Hausreden [4., unveränd. Aufl., Reprint 2022] 9783112660003, 9783112659991


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German Pages 208 [416] Year 1869

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Table of contents :
Inhalt
Das Haus
Der Hausherr
Das Weib
Höchster Mutterwunsch
Das Nächste
Die klare Einsicht
Die schreckliche Versäumniß
Wrltmelodie.
Die Armen und die Armuth
Ein leichtes Her
Den Deinen Liebe — Allen Hülfe!
Das Gedenken
Das Abgelebte
Selbstachtung.
Das Verlorene
Der Liebe Testament
Unsterblichkeit.
Wirkung der Kirbe
Vollendung.
Die Enkel
Herzenskalte — Herzenstod
Der Witwer
Nicht uber's Ziel
Die Verklärung
Die Kindergesegneten
Die eigenen Tage
Die Ehre
Gerechte Klage
Der wahre Fromme
Selbstgefuhl
Nichts verloren
Unabhängigkeit.
Die göttliche Unruhe
Zu guter Nacht, zu gutem Morgen
Menschensorge.
Das Scheiden
Nimm Alle aus, schließ' Keinen aus
Das Wunder unter Sterblichen
Größe im Dulden
Genesung.
Das wahre Geisterreich
Aelterntrost.
Das Helle Gelächter
Dir heilige Kraft zu lachen
Die Wünsche
„Mein Gott!"
Verdiente Gesellschaft
Schonung der Weiblichkeit
Muth zur Wahrheit
Die drei Weltwunder
Die älteste Tochter
Das Spiel des Lebens
Der Bettler und die Maus
Die beste Meinung
Der Schlußstein
Liebe dich selbst
Das Ewige
Die Welt des Menschen
Die Freiheit
Das Träumen
Der kennt das Unglück nicht, der es noch fürchtet
Weltschmerz
Bestimmung ist Nothwendigkeit
Der stille allgemeine Krieg
Zu spätes Glück
ZU spätes Unglück
Die endlose Auferstehung oder das vergessen
Das Naturwüchsige
Theaterrede.
Gefühl der Heimat
Das Vaterland
Das bezaubernde Schloß
Des Gebers Gewinn
Die Welt und das Leben
Die Neugier
Ausgleichen und Nachräumen
Arbeit.
Die Stimmung
Hab' es besser im Alter!
Nachtgedanken.
Der Werth des Ruhmes
Die Kunst: ein Zuschauer zu sein
Freiheit zu loben! und Freiheit zu tadeln!
Seifenblasen.
Lebensfreiheit.
Die Schutz- und Hülfsgeister
Die Mutter aller Kühnheit
Der Gehorsam
Die einzige Sklaverei
Das Allgemeinmenschliche
Die Kinderlosen
Das Tleisch der Welt
Das Göttliche
Klarheit.
Lebensreise.
Selbstgenügen.
Werth der Gegenwart
Die einzige Liebe
Gerechte Unterscheidung
Erhebung.
Die Fesseln.
Auferstehung.
Die Liebe thut sich nie genug
Die Freude ist die Jugend
Das Gebet
Hilf, wem noch zu helfen ist.
Das immer Neue
Sei gefällig!
Abschied.
Gleichgültigkeit.
Menschenlast und Menschenlist
Des Menschen Macht
Die immer eitle Furcht
Die Versäumnis
Das Recht der Wesen
Die Ameisen
Leben ist Religion
Das Glauben ist der Glaube
Auslächeln.
Göttlicher Lohn.
Dir Srgnenden
Vollkommenheit.
Lehrer.
Menschenrecht.
Der Bann
Der Armen wahre Hülfe
Das Bleibende
Das Haus des Alters
Die rechte Hoffnung
Der hohe Slotz
Lohn der Leiden
Blüte und Frucht
Bhnmacht der Hölle und des Himmels
Der Muth find wir
Zur Nachtruhe
Bleibe Still.
Die beste Lernzeit
Die Herrlichen
Der Morgen drauf
Zweimal lebt wer wohl gelebt
Die Götterblume
Vergessen sein
Die Noth
„Das hat verthan''
Der heilige Geist.
Wunsch und Erfüllung
Das wachsende Licht
Alles Gute gehört Jedwedem
Entbehrlichmachung.
Werth der Unzufriedenheit
Tapferkeit bis aus
Gegenseitigkeit.
Mktamorphosr.
Spiegelung.
Das Reich des Schönen
Freudigkeit am Menschlichen
Das bessere Leben
Reine Seele: reine Augen
Wirke mit den Deinen
Die Weltüberwinder
Der wahre Mensch
Alles Leben ist Gebet
Die Danksagung für das Leben
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Hausreden [4., unveränd. Aufl., Reprint 2022]
 9783112660003, 9783112659991

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Hausreden Leopold Schefer.

Hausreden. Bon

KeoxM Scdeßer.

Vierte unveränderte Auflage.

Lrip)ig Verlag vou Veit & Comp. 1869.

Inhalt. Seite

Das Haus Der Hausherr Das Weib Höchster Mutterwunsch Das Nächste Die klare Einsicht Die schreckliche Versäumnis Weltmelodie

Die Armen und die Armuth Em leichtes Herz

q

.11

............................................14 15

.

20 24

Den Deinen Liebe — Allen Hülfe!

26

Das Gedenken Das Abgelebte Selbstachtung Das Verlorene

.. ..

Der Kicbe Testament.........................................................................46

Unsterblichkeit . 1...................................................................................48 Wirkung der Liebe.............................................................................. ...... Vollendung Die Enkel Herzcnskälte — Herzenstod Der Witwer

Nicht über's Ziel Die Verklärung

. 52 ...........................53 . 54 . 60 ................................ 64

VI

Seite

Die Kindergcsegneten..................................................................65 Die eigenen Lage........................................................................... 68 Die Ehre..................................................................................... 71 Gereckte Klage............................................................................ 74 Der wahre Fromme.......................................................................77 Selbstgefühl................................................................................. 79 Nichts verloren........................................................................... 81 Die göttliche Unruhe.................................................................. 83 Zu guter Nacht, zu gutem Morgen.........................................85 Menschensorge.................................................................................86 Das Scheiden.................................................................................87 Nimm Alle auf, schließ' Keinen aus......................................... 90 Das Wunder unter Sterblichen..............................................92 Größe im Dulden....................................................................... 94 Genesung.......................................................................................... 86 DaS wahre Geisterreich...................................................... 99 Aelterntroft....................................................................................101 Das Helle Gelächter..................................................................... 104 Die heilige Kraft zu lachen...................................................... 107 Die Wünsche............................................................................... 109 „Mein Gott!".......................................................................... Hl Verdiente Gesellschaft................................................................ 115 Schonung der Weiblichkeit...................................................... 117 Mutb zur Wahrheit.................................................................... 118 Die drei Weltwunder.................................................................121 Die älteste Tochter..................................................................... 122 Das Spiel des Lebens................................................................ 128 Der Bettler und die Maus................................................. 132 Die beste Meinung..................................................................... 135 Der Schlußstein.......................................................................... 138 Liebe dich selbst..........................................................................139 Das Ewige....................................................................................141 Die Welt des Menschen ........................................................... 142 Die Freiheit...............................................................................143 Das Träumen . ..................................................................... 118 Der kennt das Unglück nicht, der es noch fürcktet ... 150

VII

Weltschmerz............................................................................... 152 Bestimmung ist Nothwendigkeit ............................................. lo4 Der stille allgemeine Krieg...................................................156 3u spätes Glück........................................................................158 3it spätes Unglück.............................................................. ..... 160 Die endlose Auferstehung; oder dasVergessen .... 162 Das Naturwüchsige .......................................... ..... 166 Tbeaterrede..................................................................................168 Gefühl der Heimat................................................................... 173 Das Vaterland ♦ ....................................................................174 DaS bezaubernde Schloß............................................... . 177 Des Gebers Gewinn .............................................................. 179 Die Welt und das Leben.................................................... 182 Die Neugier .................................................................................. 184 Ausgleichen und Nachräumen.............................................. 187 Arbeit............................................................................................ 189 Die Stimmung.........................................................................190 Hab' es besser im Alter!..............................................................192 Nachtgedanken........................................................................ 194 Der Werth deS Ruhmes......................................................... 198 Die Kunst: ein Zuschauer zu sein.................................... 197 Freiheit zu loben! und Freiheit zu tadeln!............................. 199 Seifenblasen.............................................................................. 201 Lebensfreiheit. . ♦ . v............................................................. 203

Die Schutz- und Hülfsgeister.................................................. 206 Die Mutter aller Kühnheit........................................................208 Der Gehorsam............................................................................ 210 Die einzige Sklaverei..................................................................214 Das Allgemeinmenschliche....................................................... 218 Tie Kinderlosen............................................................. • 219 Das Fleisch der Welt................................................................. 229 Das Göttliche................................................................................ 231 Klarheit.......................................................................................... 233 Lebensreise . ................................................................................236 Sclbstgenüqen................................................................................ 238 Wertb der Gegenwart......................................................

239

VIII

Die einzige Liebe............................................................................. 241 Gereckte Unterscheidung................................................................. 244

Erhebung............................................................................................. 246 Die Fesseln.................................................................. 248 Auferstehung....................................................................................... 250

Die Liebe thut sich nie genug...................................................... 251 Die Freude ist die Jugend .......................................................253 Das Gebet........................................................................................ 254 Hilf, wem noch zu helfen ist ................................. 256

DaS immer Neue........................................................................258 Sei gefällig!................................................................................. 259 Abschied................................................................................................. 261 Gleichgültigkeit....................................................... ..... 263 Menschenlaft und Menschenlift...................................................... 267 Des Menschen Macht.......................................................................269 Die immer eitle Furcht................................................... 271 Die Versäumniß................................................................................. 273 Das Recht der Wesen..................................................................276

Dre Ameisen....................................................................................... 278 Leben ist Religion...................................... 279 Das Glauben ist der Glaube...................................................... 281

Auslächeln............................................................................................ 282 Göttlicher Lohn................................................................................. 284 Die Segnenden.................................................................................. 286 Vollkommenheit..................................................................................288 Lehrer........................................................... 290 Menschenrecht........................................................................................292 Der Bann............................................................................................ 294 Der Armen wahre Hülfe..................................................................298

Das Bleibende..................................................................................303 Das Haus des Alters....................................................................... 305 Die rechte Hoffnung ..................................................................307 Der hohe Stolz..................................................................................309

Lobn der Leiden.................................................................................. 311 Blute und Frucht............................................................................ 312 Ohnmacht der Hölle und des Himmels...................................... 315

IX

Der Muth sind wir............................................................................ 317 Zur Nachtruh'................................................................................... 319 Bleibe still . 320 Die beste Lernzeit............................................................................. 821 D»e Herrlichen .................................................................................. 323 Der Morgen drauf....................................... -................................ 325 Zweimal lebt, wer wohl gelebt ................................................. 327 Die Götterblume . ............................................................................. 329 Vergessen sein........................................................................................ 332 Die Noth.............................................................................................. 334 „DaS hat verthan"............................................................................. 341 Der heilige Geist . ............................................................................. 345 Wunsch und Erfüllung.................................................................. 35o Das wachsende Licht....................................................................... 352 Alles Gute gehört Jedwedem....................................................... 356 Entbehrlichmachung ........................................................................ 359 Werth der Unzufriedenheit............................................................ 363 Tapferkeit bis aus.............................................................................368 Gegenseitigkeit........................................................................................ 371 Metamorphose .................................................................................. 372 Spiegelung............................................................................................. 374 Das Reich des Schönen................................................................. 376 Freudigkeit am Menschlichen............................................................ 380 Das bessere Leben............................................................................. 382 Reine Seele: reine Augen............................................................ 384 Wirke mit den Deinen....................................................................... 386 Die Weltüberwinder....................................................................... 390 Der wahre Mensch.............................................................................393 Alles Leben ist Gebet....................................................................... 396 Tlc Danksagung für das Leben..................................................398

Die Liebe und das Leben lassen sich Richt lehren, nur behüten, an sich mahnen.

Ron ihren Schätzen nur den Schleier heben, Ron ihrem Himmel nur die Wolken ziehn,

Die Rebelflecken schön als Sonnen deuten, Die Genien der Menschheit an den Abgrund Rah führen und Hinunterschauen lassen, Der immer hinläust neben ihrem Wege,

Darein ein falscher Tritt unrettbar stürzt — Das unterfängt, das untersteht ein Mensch sich,

Dem noch die Thränen rein im Auge blinken,

Dem noch das frohe Herz im Leibe lacht, Der glücklich war wie Einer je auf Erden, Und bebt und glüht, ja ernst mit Inbrunst betet, Datz reine Liebe reine Liebe bleibe,

Rnd Seliglebende die Seligen.

Das Haus. Kannst du, so baue dir ein Haus, ein kleines, Ein Hüttchen nur, ein eignes, daß du wissest,

Wie mühsam Andern ihre Stadt entstanden, Wie alte Bölker sauer sich geplagt,

Wie schwer ein jeder Stein gelegt ward, zweckvoll

Als ein Gedanke durch die Seele ging, Gleichwie ein Pinsclstrich am Bild des Malers.

Hast du ein Eigenthum, daun wirst du recht

Der Andern Eigenthum erst achten — wissen, Was Eigenthum sei: unsrer Seele Wunsch,

Durch Müh' und Arbeit selber uns geschaffen. Geschenktes ist uns nur ein Halbbesitz, Nur eine kurze Ueberraschungsfreude. Gekauftes ist Bedurftes, nicht Erzeugtes

Von uns, nicht aus der Seele uns Gewachsenes.

Die ganze Welt gehört der ganzen Welt,

So wie der Acker Millionen Halmen;

Wir selber sind nur unser Eigenthum

Durch unser Werden aus uns, mit uns, in uns. So schafft des Jünglings Liebe sich die Jungfrau, 1

2 — Die viele Jahre da war — ihm nur nicht! —

So schafft er sich aus ihr das Weib, die Mutter; Sie werden beide aus und durch einander, Sie schaffen aus der Seele sich die Kinder

Durch Liebe, Müh' und Arbeit tauseudsach. Sich selbst allein besitzt der Mensch, und durch sich

Erst alles, was die Seele ihm verlangt,

Und an dem Andern nur besitzt er sich Erweitert, klar und ganz, so viel Er ist. Was nicht ein Theil von seinem Wesen ist,

Ein Hauch von ihm, ein Werk aus seinem Leben, Das bleibt ihm streng geschieden, sonnenweit.

Lebendig, wie die Seele, ist Besitz;So groß, so reich sie ist, so liebevoll, So rein, so heilig ist er, wie das Herz

Des Menschen, so unraubbar ihm, wie er

Sich selbst. — So schafft die Schnecke sich ihr Haus Aus ihrem Saft, und so nur ist's ihr eigen.

Mit deinem kleinen Haus- und seinem Gärtchen Erbaust du dir ein Königreich, das dein ist, Und keine Unterthanen drin, nur Freie,

Nur Liebende, die alles dir zu Liebe Mit Freuden thun, und dennoch sich zum Nutzen.

Denn Das ist das Geheimniß aller Welt, Das nirgendwo in einem Lande wahr wird,

Als ringsum nur in Hunderttausend Häusern

3 Bei guten Menschen: daß aus wahrer Liebe Mit srohem Opfer Jegliches geschieht,

Was alle Lieben Tag und Nacht bedürfen, Und viele lange Jahre, stets das Andre

Und Neue.

Und die Liebe ist stets neu;

Nur sie versteht, was einem Jeden nützt Zur Stunde, ja zum Augenblick.

Drum sind

Nur unsre Lieben uns zum Leben nöthig,

Wenn auch den Vorrath zu dem Leben uns Die ganze Menschheit lang" erworben hat, Die ganze Menschheit immerfort ihn fördert. Doch all" die Mittel haben uns nur Werth,

Wie eine Frucht vom Baume, wenn die Hand Des Weibes, wenn der eignen Kinder Händchen

Sie uns mit Lächeln reicht; — sie wird noch mehr, Wenn wir den Duft geathmet, sie beschaut, Und dann dem Kinde lieb sie wiedergeben —

Da ist sie dreifach über allen Werth! Die Mutter ist die Walterin des Hauses,

Da ist sie mehr als alle Königinnen Im weiten Lande, denn da ist sie Alles.

Der Vater ist ein Herr, wie keiner mehr; Im kleinsten Hause fühlen sich die Kinder

Als sichre Erben von der ganzen Welt, Im Hause wird die Ewigkeit zum Tage,

Der ungeheure Raum zur Kinderstube,

4 Die ew'gen Frühlinge zu lieben Blumen

Am Fenster, und die ew'gen Herbste schwellen Zu süßen Trauben an dem Hausgelände.

Verlangt das Glück'von keinem Könige, Begehrt von keinem Reichen Eure Rettung,

Sie sind zu arm dazu, wenn auch barmherzig. Verlangt die Liebe nicht vom ganzen Volke:

Ein Jeder hat sein Herz nur für die Seinen.

Nur seine Liebe soll den Menschen laben, Nur von den Lieben soll er Gaben nehmen, Die Denen Freude sind, die sie ihm bringen. Das Haus ist aller Paare Lebenswerkstatt,

Und Größeres ist nirgendwo zu thun,

Als darin; nichts so Wichtig-Nöthiges, Nichts Köstlichers und Seligers, als sich, Den Menschen zu vollenden!

Heiliger

Sogar ist Nichts, als sich unsterblich machen

Durch Kinder . . . gute Menschen aufzustellen Als schönste Werke aus der Liebe Werkstatt,

Die voll Geschäft von früh ist bis zu Nacht,

Und jedes unaufschieblich, froh begeistert, Durch aller Liebe längst voraus belohnt! Nur seine Arbeit soll den Menschen nähren,

Denn unsre Arbeit schafft uns unser Glück, Als treuen Tag-Verdienern durch das Werk,

Das wir gethan; wenn auch ein Jeglicher

Nur zu der Seinen, zu der Lieben Wohl.

5 Wer seinen Lieben alles treu gewesen, Der war der Welt und sich genug für immer;

Denn nimmer kann und wird ein Anderer nlehr sein. So sei denn deinen Lieben alles treu —

Und gebe Gott dazu ein eigen Haus dir! Das Haus ist erst der Ort, worin das Glück Sich Wohnung machen kann, wo selbst das Unglück Beklagt, gemildert und bezwungen weicht

Durch Liebe; wo das Alter sanft gepflegt,

Der Tod mit Thränen fromm gefeiert wird.

Drum ist das Haus der heiligste der Orte, Der Liebe Altar und des Himmels Tempel Zur schönsten Feier aller seiner Wunder,

Zum seligsten Genuß all seiner Zauber,

Und sei das Haus die ärmste kleinste Hütte!

6

Der Hausherr.

Wer in der Welt für nichts zuvor gegolten,

Nur hier gehorchen mußte, da gehorchen, Der wird in seinem Haus ein Herr wie Keiner Im Lande größer, mächtiger und freier.

Und was noch mehr als das: er wird beglückt,

Wie sonst durch Niemand wo!

Und er beglückt

Die Seinen, wie sonst Niemand thut: er liebt!

Und was noch mehr als das: er wird geliebt. Die kühlste Gattin fürchtet für sein Leben, Die Kinder weinen, wenn er leist nur klagt . . . Das Haus ist aus auf immer, elend sind sie,

O nimmermehr so glücklich, wenn er stirbt. —

Da fühlt er seinen Werth, und liebt sie heißer. Als Knabe mußt' Er laufen — Ihm nun läuft man! Als Jüngling mußt' Er dienen — Ihm nun dient man!

Und er befiehlt — und so geschieht, wie Er will. Doch wer sich Herr weiß, der befiehlt nicht grausam —

(Unsicherheit nur macht Tyrannen grausam; Siehst du wo Schrecken, Mord ... da ist kein Herr!)

7 Ihm ist das Herrschen sicher und die Liebe; So herrscht er mild — er winkt

nur,

als

der

Vater! Drum ist kein besserer Herr, als nur der Hausherr!

Drum ist kein größerer Herr, als nur der Hausherr! Drum ist kein freierer Herr, als nur der Hausherr! Was allen Königen im Land' unmöglich . . .

Was in der Welt dem Manne selbst nicht möglich, Das wird ein Jeder in dem eignen Hause.

Drum willst du srei sein, Jüngling, werd' ein Mann! Ein treuer Gatte werde, und ein Vater!

So

wirst

du

auch

zugleich

zum

guten

Menschen,

Zum Klügsten, der am rechten Ort', am einzig

Stets möglichen, das Leben angegriffen, Die ganze Welt am gegenwärt'gen Tage;

So lebst du götterhast.

Aus freien Hausherrn

Nur wird ein freies Volk im ganzen Lande.

Drum, soll dein Volk ein freies Volk sein, werd' es Durch liebevolles Mann- und Vater-sein

An deinem Theil, an seinem Theil ein Jeder:

Durch Aller Glück nur wird die Freiheit Aller.

8

Das Weib. Was nicht im Menschen auch ist, das ist nirgend, Was nicht im Weibe auch ist, lebt das wo?

Doch Alles, was umher im Aether glüht, In Stürmen braust, in Meeren wogt und schäumt,

In Sonnen stralt und stilllebendig zuckt Ju der Natur, der großen Chrysalide,

Das lebt im Weibe, wird gcheimnißvoll Lebendig in der Mutter — heißt ein Kind. . . .

So ist das Weib denn eins mit der Natur, Es ist sie selbst in reizender Gestalt, Noll ihrer Kraft und heißen Muttersinnes; Des Lebens Müh' ist ihr ein froh Geschäft;

Mehr als die reichste Königstochter ist sie Am seligsten begabt mit Fleiß und Arbeit!

Am reichsten ausgestattet mit der Sorge!

Nicht eine auferlegte Pflicht, kein Dienst Ist ihr des Lebens schweres Tagewerk —

Des Weibes muthig-unermüdet Wirken Ist ganz ihr eignes, freies, göttlich Wesen, Wenn irgend etwas göttlich ist im All.

9 Die edle Jungfrau sie ergiebt dem Jüngling Sich, weil er sagt und sieht: „Du bist mein Gluck!

,,Nicht leben kann ich . . . mag ich ohne dich!" Sie kann, sie will, sie muß ihn glücklich machen — Das soll ihr Glück sein, ihre schwere Arbeit,

Die sie auf Lebensdauer übernimmt. Sie nimmt den ganzen Mann auf ihr Gewissen,

Für seine Jahre all'; den jungen, schönen

Nicht nur, ach, auch den Alten einst, den Schwachen, Den Blinden, Tauben; ja sie nimmt den Kranken, Den Sterbenden ... den Todten auf ihr Herz,

Auf ihre Liebe! — und der Schwerste ist Der Todte, der nicht da ist, dem sie nichts ist, Der fehlt, so lange!

Doch sie hosit sich Kraft

Genug; und wenn sie ihr gebrach', noch Thränen

Genug; und wenn sie ihr versiegten, Klagen

Genug; sie wird das Weib sein immerdar.

Sie übernimmt das ganze Haus zur Sorge,

Die ganze Welt im Haus', auf ihren Tag! Wo die Natur mit breiter Kraft und Fülle Nicht hingelangte mit der Götterhand,

Da langt des Weibes zarte Menschenhand Erst hin.

Die Sonne trocknet nicht dem Kinde

Die Thränchen — sieh', die Mutter thut es! —

Nicht Die Wolke tränkt den Durstigen — die Mutter!

Die Sterne trösten nicht den kranken Mann —

10 Die Gattin thut es sanft mit feuchten Augen. Wo selbst dem Mann der Muth versagt, da steht

Das Weib noch bei dem Sterbenden; sie wird ihm

Die heilige Natur, die treue Freundin Im Tode; und sie scheut sich kindisch nicht

Dor Sarg und Grab, darein sie ihre Lieben Beschickt, wie keine Göttin treuer könnte.

Denn sie erinnert sich: sie war ja selbst schon

In Schmerzen klar die heilige Natur,

Als sie in stiller Nacht das Kind gebar, Dem sie geheim schon lange, wie der Blume Die Erde, seine Wunderwerkstatt war.

Sie scheut sich nicht zu sterben; denn sie fühlte Sich immer nah' und Eins mit jedem Zauber;

Und wie ein gutes Kind mit Lächeln sagt: „Was wird mir meine Mutter thun!" so spricht sie: „Ich und die milde Liebe wir sind Eins; „Ich habe ihren Segen mir verdient."

11

Höchster Mutterwunsch.

Daß deine Frau und deine Kinder alle

Dir niemals sterben sollen, — o das wäre

Der grausam-unnatürlichste der Wünsche, Auch wenn Erfüllung je ihm möglich wäre!

Die frohe Mutter, die das Kind geboren, Muß fromm und gut auf ihren Arm es nehmen,

Und beten: „O mein Kind, mein liebes Kind, Stirb ja mir wieder sanft und selig — einst!"

Das ist die wahrhaft fromme, weise Mutter;

Sie selber ist der tiefste Geist des Alls. Wann aber stirbt das Kind ihr sanft und selig

Für dieses und für alle Menschenleben? Wenn ganz als Mensch es selig hat gelebt.

Solch' Leben heißt den schönsten Tod ihm wünschen.

Und vor der hohen Ahnung rinnen ihr Die Hellen Thränen heiß von ihren Wangen. Sie drückt den Knaben als den Himmlischen Voll Himmelseligkeit an ihre Brust,

Und beide küßt der Vater, beide segnend,

Und spricht:

„O sterbt dereinst mir beide — selig!"

12

Das Nächste.

Die Sterne mögen machen was sie wollen — Wir haben hier es mit uns selbst zu thun.

Nicht auszuforschen, was das Leben sei, Ist unser Werk; wir haben es zu leben;

Und damit ist es griindlich ausgekannt In allen Lagen, jedem menschlichen

Verhältniß, im Gefühl der Lust, des Leides, Und aller jener Wunder, drein das Leben

Von Kindheit an uns führt, und klar und deutlich

Bei Hellem Sonnenschein und wacher Seel

So weiß ein Jeder klar, das was er thut Und wo er ist — denn stets in sich nur, bei sich, Und sich nur thut der Mensch von Kindheit an;

Nur sich zu thun Hilst ihm die ganze Welt,

Und das nur kann die Menschheit Jedem Helsen. Die Kinderfreuden lassen sich dem Kinde Nicht malen: spielen, leben muß es sie! Dem Jüngling und der Jungfrau lassen sich

Die Lieb' und ihre Freuden nicht erzählen, Nicht singen, sängen selbst die Götter alle!

13 Sie böten ihnen Schweigen vor dem Lallen Des ersten Kindes! Und sie nähmen nicht

Ein Buch der Baukunst aller Sternenhimmel

Für ihres Kindes Wiege an, auch wenn nur Ein Zimmermann sie mit der Axt gezimmert. Ein Menschenpaar

nimmt

nicht

die ganze

Menschheit

Für seine Kinder, für ein einzig Kind; Nimmt nicht die großen Himmelsräume all'

Für seine Hütte mit der Hufe Erde. Das Eigene, das eigen sich Erschaffne, Das ist nur Jedes wahres Eigenthum!

Das Wenige, das ist das Himmelreich, Das Rechte, das zur Stunde heiß Bedurfte,

Das ist das Selige, das Menschen-All, Ist Fülle, Freude, Trost und Herzensgnüge.

Denn mehr als gnug, das ist das größte Uebel,

Das wird zu Nichts, das ist dem Menschen Nichts!

14

Die klare Einsicht.

Vom wirklich klar-erkannten Guten weicht Kein Mensch mehr ab, sonst wär' er nicht der Mensch! Nur wo er sich zu nützen meint, und doch Sich oder Andern schadet, da nur fehlt er.

Oft furchtbar, und unwiederbringlich stets.

Nur klare Einsicht hilft den Menschen wirklich.

Die besten Lehren bessern sie noch nicht; Denn willig, eifrig sind sie alle schon

Aus Herzensdrang, und meistens nur zu sehr, Bis klare Einsicht ihren Willen bannt

Und fest auf leichten schönen Weg sie führt.

Drum ist die Einsicht besser als die Lehren, Und nöthiger der Weise als der Priester; Denn Gott schon hat das Menschenherz erfüllt.

Doch Gutes gut zu thun, das zeigt der Weise Dem von der schönen Welt berauschten Menschen.

15

Die schreckliche Versäumniß. Saumseligkeit und Abgeschlagenheit Laß nicht dich überkommen; treib' sie aus.

Unrettbar-Armen und Unglücklichen

Nur ist verzeihlich, trage zu verzichten

Aus das, was rings geschieht und noch geschehn wird. Sie sollen Ruhe haben, sollen schlafen —

Und dazu giebt das stille sichre Bett Das gute Schicksal ihnen; gut, so wie Der Blitz, der seinen Mann erschlagen hat

Und ihn im Grab nicht weiter todten mag, Noch tobten kann, auch wenn er tückisch wollte. Drum ferne sei dir Abgeschlagenheit,

Die schwere Sucht zu ruhn in allen Gliedern. Saumseligkeit jedoch so lang du lebst

Und streben kannst, die schüttle stark dir ab!

Ein Herrscher lebt nicht immer; selbst ein Volk ist Langlebig wohl, doch immerlebig keins; Und wie das ganze menschliche Geschlecht

Nur seine Jahre haben wird, so hat

Ein jeder Mensch nur seine Lcbenstage;

16 Und einen Tag versäumen, nur ein Gutes

Zu thun versäumen, ist ein tausendfach Verbrechen, und es wird millionenfach

Dann durch die Kinder, die es auch entbehren. Ein Gutes, das du dir in Zeiten thust,

Zeugt tausend Gutes in den weitern Tagen

Und wird der Ahnherr tausend guter Folgen. Die Sorge, was wohl dir und allen Deinen Jetzt nöthig sei, heut' ausführbar — die Sorge,

Das ist die heilige, die göttergleiche! Nur träg' erwarten, was vom Himmel falle,

Was streng' erst Andre von dir fordern werden,

Und da zu sitzen wie ein trunkner Arzt, Dem selbst recht wohl ist in der Stadt voll Kranken — Das ist die größte Schmach für einen Vater

Von einem Kinde und von Millionen; Das ist die Blindheit, welche wohl die Sonne

Zu sehen glaubt — und doch nicht sieht; nicht sieht Sie wandeln . . . sinken . . . untergehn; doch nicht

Die letzte Sonne sieht, die Jedem endlich Auf ewig untergeht: dem Haus, dem Volke,

Saumselig ist fluchselig — reich an Fluch! Es heißt, es ist: sein Herz ... die Welt verschlafen.

17

Wrltmelodie.

Die Seele schafft die Worte sich zur Welt,

Wie uns das eigne Herz den Busen schwellt. Die Liebe schafft die Worte sich zum Leide,

Die Jugend schafft die Worte sich zur Freude. Propheten, Dichter suchten sich die Welt — Den Todtenstrom, der seinen Sang behält —

In Worte aufzulösen, zu erklären Seit alter Zeit, und ewig wirds so währen.

Der Mensch wird dieser Welt gewaltig sein, Und Jeder singt zu ihr sein Wort allein, Sein eignes Wort zu ihrer Melodie;

Kein Fremder giebt ein beffres nie uns, nie! Drum singet selbst der große Sternen-Chor

Kein Wort vom Himmel froh der Erde vor! Sie ehren jedes Menschen eignes Herz

Und ehren jedes Kindes eignen Schmerz, Wie jeden Laut, wie jeder Blume Duft,

Rein, unerstickt vom Hauch der Himmelsgruft.

Und was, was Ungeheures sängen sie

18 Zu dieser Welt furchtbarer Melodie!

Denn sie noch würden alles nicht erfassen,

Sie, einzeln, würden vor dem Chor erblassen, Stumm werden vor dem ungeheuren Wort,

Und jeder schlich' bestürzt sich einsam fort. Die armen Menschenkinder fassen kaum Den Text zur Welt als leichten Kindertraum,

Und Menschenworte paßten für das Ohr Der Sonne nicht, nicht für das Sternen-Chor;

Sie sängen nicht dem kleinen Menschen nach Sein innres Erden-Lebensungemach. Drum Jeder macht sich selbst den Text zur Welt Stets, stündlich, wie das Herz die Brust ihm schwellt;

Wie jede Blume ihren Kelch sich baut,

Und jeder Wind weht mit dem eignen Laut. Zur Frühlingsmelodie der Sonne macht Der Kuckuk sich den Text, tief ausgedacht! Die alte Frau macht flugs zum Donnerklange

Den Text in einem frommen Wort sich bange;

Zum Schlafe macht das Kind den Text mit Gähnen, Zum Tode macht der Mensch den Text mit Thränen; Sein tiefstes Wort sind seine stummen Klagen,^

Die blassen Wangen und das Herzverzagen,

Die öde Ruh, die kalte Weltversäumniß — Und jedes Her; ist klar sein Weltgeheimniß.

Und zu der alten Todesmelodie

19 Gebricht das neuste Wort Beraubten nie.

So saust der große Sturm am Himmel fort Und jeder Mensch ist selbst dazu das Wort.

Dem Armen weh! der Andrer Wort borgt

Zu Liebe, Leben, was er hofft und sorgt, Zu Schmerz und Tod, zu Freude und Genügen — Er ist der Erde Lügner und die Lügen! Du aber wirst des Himmels Wahrheit sein,

Schaffst du zu deinem Loos dein Wort allein.

20

Die Armen und die Armuth. O kränke mir die Armen nicht! Du thust Sonst Schande dir, und ihnen bittres Unrecht.

O denke sie dir nicht blos arm an Brot

Und Kleidern, arm an Wohnung; nein, erkenne Die ganze Armuth, die sie rings umfängt An Leib und Seele, wie ein alter Mantel.

Gewöhnung arm zu sein und nichts zu gel­ ten —

Ob sie nun Weisheit reden oder Thorheit — Raubt ihnen andrer Menschen Eitelkeit,

Den guten Schein, von dem ein Jeder lebt Im Volk, und den sich ängstlich stets bewahrt, Den guten Schein sich nutzlos zu bewahren. „Sie sind zu nichts, als noch zu Tod zu füttern!"

So sprechen Rohe wohl; das hören sie,

Und wollen auf der Erde mit dem Schatze Des Lebens nichts, nichts mehr, als nach und nach

Die Tage ohne Qual so zu verlieren.

Der bittre Unmuth, mit dem sie zum Himmel

Noch manchmal aufschaun, wie in früherer Zeit,

21 Da sie noch hofften, zog in ihre Augen,

Und finster blicken sie die Menschen an; Der Klang in ihrer Stimme wird allmählich

Kein bittender, er wird ein fordernder,

Und ihre Sprache eine ausgelernte, Erkünstelt-hohle mit verstellten Thränen, Um die zu täuschen, die an Leib und Seele Nicht angegriffen, nicht empört von Unglück,

Die Hand nicht nach der kleinsten Gabe führen.

Die ganzen Kleider würden ihnen schaden . . . Drum ziehn sie früh die alten Lumpen wieder

Im reinen Glanz der Morgensonne an, Indeß sie eine Thrän' im Auge trocknen,

Mehr nicht; denn selbst sich klagen, selbst sich weinen, Macht ihnen nur das schwere Leben schwerer. Sie sind nicht wohlerzogen, nichts gelehrt

Von ihren Aeltern oder von den Menschen; Sonst wären sie nicht arm; sie hätten wohl

Ein Häuschen, einen kleinen Acker, hätten Durch treuen Fleiß ihr Brot, und lehrten wieder

Gern ihre Kinder, die nun ihnen nichts Als kleine, kaum besenfzte Ebenbilder

Und ihre Furcht statt ihre Hoffnung sind. —

Sei du erst dreißig Jahre arm, dann siehe,

Wie du im Alter wirst gekleidet sein; In welcher Sprache du zu Menschen reden; In welchen Kreis die Seele dir gebannt

22 Und dein Gefühl! Ein armer, guter, treuer

Gerechter Mensch, ganz ohne Neid und Fehl,

Noch hülfrcich, wo er weiß und kann, noch sanft Und dankbar gegen Menschen, noch mit Freude

Zum Haus des Herrn — doch in die Halle — wandelnd — Der Arme ist ein Wunder dieser Erde

Und wandelt einst ganz grad' ins Paradies. Drum sieh das ganze Elend wahrer Armuth,

Die Geistesarmuth Lis zur Herzensarmuth,

Dann weißt du ganz erst, was ein Armer ist. Und dennoch hilf und gieb nur halb den Armen,

Die andre Hälfte deiner Gabe lege Du fromm zurück: die Armuth auszutilgen,

Den schlimmen Zu st and unter Menschen noch,

Drein Tausend heut, und aber Tausend morgen Versinken müssen, oder frei gesagt:

Daraus nur wenig sich erheben können,

Und in dem besseren, dem leidlichen Sich kaum durch Fleiß Lei tödtend schwerer Arbeit

Und bei Entbehrung mühevoll erhalten,

Doch nie des Lebens froh geworden sind. O schafft die Armuth . . . schafft den schlimmen Zustand Der Menschen fort aus eurem Kreis, ihr Menschen!

Legt an die Zukunft eurer Kräfte Kraft Und eure Mittel an Vermittelung

23 Des rechten Lebens, das der Menschheit ziemt.

Was euch geholfen hat, nicht arm zu sein, Das sagt nur, das gewährt den Andern klug

Und gut; ihr wißt es ja, was euch noch Hilst Der Aeltern Tugend, eures Vaters Ehre Und eurer Mutter Liebe — und sie waren Einst Kinder, und als Kinder ward einst gründlich

Nur ihnen für des Lebens Zeit geholfen. Wollt ihr den Menschen helfen — helft den Kindern; Wollt ihr das nicht, so müßt ihr selbst vergehn,

Doch eure Enkel ganz gewiß im Thal Des breiten Unglücks rings im ganzen Volk.

Das muß euch Eifer, euch Begeistrung wecken, Es wäre denn, ihr wäret selbst schon arm

An Geist und Herzen, wie die ohne Brot. Ihr Glücklichen, o macht doch Andre glücklich!

24

Ein leichtes Her).

Laß Nichts auf lang', auf immer dir geschehen; Du bleib' allein auf immer dir Derselbe. Denn alles, wie auf einer Wanderschaft,

Zum Jnnewerden und zum Anschaun kommt

Und geht.

Denn du ja gehst vorüber, leicht,

Zu bleiben nicht, am Quell im Rosenhain.

Das wisse stets, und wandle wie auf Wolken In deinem Geist, in deinem Herzeü leicht. Wo frohes Gut-Sein, guter Frohsinn blüht,

Da ist ein leichtes Leben, leichtes Herz, Da blüht der Mensch — nur wie ein Blüten bäum.

— Lobst du dies Wort, und froh, dann kannst du leben! Dann bist du freigesprochen, bist du Meister, Und ein unschuldig Kind als alter Greis.

Und Alle, die da Großes-Ding für Sünder

„Vollbracht",

die

haben's klein und leicht er­ achtet,

Und waren's Schlachten voller Blut; denn sonst Vollbrachten sie es nicht und blieben stehn

Am ersten Todten, der da fiel, erstaunt.

25 Denn nur mit leichtem Muth geschieht das Schwerste;

Noch keine Sonne wälzten Götter schwer; Wie Blumenstaub wehn leicht und

süß

die

Sterne!

So zieh' du durch das Leben als ein Held, Und ruhig laß der Erde Spielzeug liegen

In Sonn' und Mondschein, oder Lenz und Schnee! Wen noch das Leben drückt, der hat noch nicht Es überwunden.

Leicht sei dir das Herz!

Dann ist dir einst die Erde leicht! — Du sprachst Auch selber nach dem schönsten Tage wohl: „Nichts ist doch besser als das Bett!" . . . und nach

Dem schönen Leben willst du das nicht sagen? O Kind! du bist zu müde! — Dir war schwer!

26

Den Deinen Liebe — Allen Hülfe!

Hilf Andern, bitt' ich dich auf meinen Knien, Hilf allen Anderen zu deinem Heil!

Was hüls' es dir allein, ein Gott zu sein . . .

Die Sonne, die auf Elend niederlacht! Was hüls' es, weise dir allein zu sein, Wenn Andre noch im Irrthum rings ersticken,

Sich alle Tage, alle Stunden schaden, Den Andern gräßlich schaden, wider Willen

Dir schaden, dich in Sklavenkreise bannen, In denen du mit ihnen liegen mußt, Weil sie darinnen liegen? Glaub', o glaube:

Nicht Einer ist je frei — als nur zum Tode; Die Freiheit ist der Tag, der Tag für Alle,

Nur alle, alle sind mit Ehren frei, Nur alle, alle sind mit Ehren weise — Die Weisheit ist dem Einen tiefster Kummer: Sie sieht die Schrecken, sieht das Unglück erst Mit reinen Augen aus dem klaren Geiste!

Weh einem Menschenherzen in der Welt, Das wähnte, glücklich ganz allein zu sein,

27 Allein mit Weib und Kind in seinem Hause!

Kein

Mensch

allein

ist

glücklich,

als

ein

Schelm,

Ein leichter Thor, ein frevelhafter Spötter; Und ist der glücklich, ohne Herz und Sinn?

Das größte Unglück ist: das Unglück sehn, Und

selbst

nicht

helfen

. .

.

selbst nicht

helfen

können.

Die größte Thorheit ist: verschlossene Weisheit Zm Haupt; die schärfste Feuerqual ist Liebe Im Herzen wie in Mauern eingekerkert.

Ein jeder Dulder ist dem Glücklichen Ein Schimpf; ein Vorwurf ist ein jeder Thor Dem Weisen, und ein jeder Arme ist

Dem Reichen ein Gespenst auf seinem Golde. Dem freien Menschen ist ein jeder Sklave

Ein Stich ins Herz, und eine Thräne Blut Aus seinen Augen! — Darum irre nicht: Selbst auf dem Throne giebt es keinen Freien,

Wo noch ein Sklav' im ganzen Lande ist, Der ihm erscheint und seine Ketten schüttelt!

Nicht einen Reichen giebt es, der da froh Sich reich fühlt, da wo Menschen noch verhungern!

Ein Weiser ist wie nicht da, wo die Thoren

Noch herrschen, hochgeehrt und mächtig sind! Denn ihnen allen sind die hohen Güter,

Die Freiheit und die Weisheit und der Reichthum,

28 Nur Qual und Trauer, Schande, Noth und Pein,

Und werden ihnen täglich groß res Unglück.

Hilf Andern! bitt' ich dich auf meinen Knien. Schon helfen wollen, ernstlich helfen wollen, Läßt dir die Noth vor deinem Auge mildern,

Und zaubert dir den Menschen hin, dem du

Zu helfen brennst!

Und thust du, thust du alles,

Was dir zur Hand ist, was in deiner Macht steht,

So ist dir wohl, so fühlst du dich gelabt. Sieh' nur das kleine Knäbchen an!

Es hat

Mit seinen kleinen Armen, seinen Händchen

An meiner Seite Feuer löschen helfen, Und auf die letzten fernen Kohlen nur Sein Kännchen ausgegossen.

Sieh', es schwitzt

Von seiner Arbeit und von Feuerglut — Und wie ein tapfrer Held schon steht es da

Und seine Augen funkeln ihm vom Geiste,

Der es zu retten trieb, mit Freud' es sättigt. Doch wird ein ganzes Volk von Helfenden Im ganzen Lande, welch' ein Geist erscheint da!

Welch' süße Arbeit und welch' satte Freude! Da wird ein jedes Elend ausgegossen, Da wird ein jedes arme Kind errettet;

Da wird den Menschen Bahn gemacht zu lcbeu; Die Hülfe giebt das Leben nie, nur Mittel Dazu, denn leben muß ein Jeder selbst.

29 Ameisen lieben sich doch nicht, fürwahr nicht,

Und dennoch wohnen, leben sie einander

Beisammen, und wo ein' auf ihrer Straße Im Wald' der anderen begegnet — gleich

Unnachgefragt hilft sie ihr ihre Raupe Mit aller Leibeskraft ins Sichre bringen; Noch Andre kommen, und wie Zimmerleute

Froh tragen sie — für sie den großen Stamm —

Das kleine Aestchen, froh gemeinsam hin; Jedwede eilt dann fort den eignen Gang

Und hilft auf anderm Wege wieder Andern, Und Andre helfen ihr aus Leibeskräften, Selbst mit Gefahr des Lebens, ohne Dank.

Und dennoch lieben sie sich nicht; sie sind

Ameisen alle nur, aus einem Hause. So sind die Menschen all' aus einem Hause — Der Erde, und sie helfen sich in Andern, Zu wohnen und zu leben, Menschen würdig.

Zum Helfen brauchst du nicht die heil'ge Liebe, Die wahre, die den Deinen nur gehört, Und die du keinem Andern schenken könntest,

Auch wenn du wolltest; denn dein Herz verbietet Dir das, die Einem froh geschworne Treue.

Unmöglich ist dem Einen, Alle lieben, Die fernen und die unbekannten Menschen. Die liebt der Mensch nur, die er sich erschaffen

Durch seine Liebe: Mann und Weib und Kinder.

30 Doch ist dadurch kein andrer Mensch beschädigt; Das ganze Volk entbehret dadurch nichts,

Nicht Kummer macht das ihm, es kennt dich nicht,

Ein Jeder überall ja liebt die Seinen, Die Andern ehrt er, schätzt sie hoch als Menschen. Du hilsst dem Räuber, der ertrinken will,

Dem kranken Mörder — den du doch nicht liebst;

Ihn liebt nur seine Frau noch, seine Kinder. Du hilfst dem Maulthier, das du doch nicht liebst;

Du liebst den Hund nicht, und du hilsst ihm doch. So hils dem Menschen auch, den du nicht kennst,

Nicht liebst, den du nur siehst als hülsbedürftig,

Besteh' die Hülfe auch worin sie wolle: Auch in dem Stocke nur für einen Lahmen, Und für den Blinden nur in einem Führer, Das ist ihm alles!

Alles hilfst du ihm.

So ist ein Wassertrunk dem Sterbenden

Die ganze Welt, die du ihm reichst im Kruge. Zum Helfen braucht es nur Gerechtigkeit,

Nur klare Einsicht, wohlverstandne Klugheit Für dich und deine Seele; daß du dir

Die bittre Scham ersparst: Du seist kein Mensch! Gebrochne Bäume heilt der Gärtner nicht,

Die eine leichte Stütze schon gerettet!

Du aber rettest oft den armen Kranken

Mit einem Groschen grad' zu rechter Zeit,

31 Der mehr ihm werth ist, als die ganze Sonne Und alle Menschenherzen rings von Stein.

Dem morgen todten Armen hilft kein Brot-Berg, Nicht Schüsseln voller Speist an seinem Grabe;

Der Tod nun machte dich ihm überflüssig!

Drum nimm die Augenblicke wahr, zu helfen,

Die Zeit der Hülfe trifft das Uebel tödtlich.

Wo er mit Wenigem am meisten hilft, Da wehrt der Mensch zugleich der größten Noth! Da hat er glücklich recht die Zeit getroffen!

Drum giebt dem Guten seine Tüchtigkeit

Erst treue Menschenkenntniß, heiliger Kummer, Sich ohne Scham um Arme zu bekümmern, Um den zu wissen und den Augenblick,

Wo er mit kleiner Gabe Wunder thut! Ja, mit der leeren Hand schon, die er einem Schon Sinkenden vom Rand des Users reicht. Und wie belohnt sich dir das Gute thun!

Hilfst du, und helft ihr Alle, Arm' und Schwache

Ernähren, und Gesunde durch die Arbeit

Erhalten — so befällt sie Krankheit nicht, Befällt sie nicht der schwarze Tod — und du, Du bleibst am Leben am gesunden Orte. Hilfst du des Nachbars Schobendach bewahren,

So brennt daneben dein Palast nicht an! Was du den Kindern um dich her gelehrt,

32 Geht deinen Kindern einst zu gut von ihnen! Du selber lebst erst froh und menschenwürdig, Wenn du zufriedne Menschen um dich siehst,

Nicht Kranke, Arme, die in Lumpen betteln; Das macht dich selbst zum ganz elenden Menschen:

Du siehst in ihnen dich in deinem Spiegel,

Des Gottes Ebenbild als Bild des Todes. — Hilf Andern, also hilfst du dir zugleich!

Und tausendfach wird dir dafür geholfen! Seist du nun reich, ja seist du selbst recht arm.

Wenn du geholfen hast, so weit du reichst, Und dir dann heimlich eine Thräne noch, Selbst arm, vom Auge rinnt . . . vielleicht gewahrt Ein Andrer sie, und hilft!

Gewahrt sie Gott, und hilft.

Vielleicht, gewiß Denn stumme Klagen

Des Menschen, und erst eines ganzen Volkes, Sie schrein zu Gott um Hülfe!

Und er hilft!

33

Das Gedenken. Du lebst nicht, Mensch, um Andrer nur zu denken, Die einst ihr Tagwerk hier vor dir gethan;

Du lebst nicht, Mensch, daß deiner stets gedacht Von Allen werde, die dich nicht mehr finden.

Nur der Gekannten und Geliebten noch Zu denken, bleibt ein Schein von ihrem Dasein In uns; das hält sie fest, so lang' wir leben,

Und länger nicht, und länger Keinem nöthig,

Nicht uns, noch ihnen, Keinem in der Welt. Und bricht dir auch dein Herz darüber säst Entzwei, daß, die so leibhaft gegenwärtig

Dir in die Augen sahn, die dich so liebreich Umwandelten, an denen deine Seele

Beglückter, als am ganzen Himmel hing — Daß Derer einst kein Mensch gedenken soll An keinem Erdentag . . . daß sie dahin

Sein sollen, wie ein Wolkenbild, auf ewig . . . Wohlan, so muß dein Herz darüber brechen — Wenn eben nicht dein Schmerz so fest sie hielte, Dein Auge sie noch stets so deutlich schaute, 3

34 Daß nicht dein Herz darüber brechen kann! Nur für die Unsern reicht des Herzens Liebe Uns völlig, ihnen völlig.

Fremde kümmert

Nur unser Loos als allgemeines Loos Der Menschen, als ihr eignes Schicksal nicht;

Sonst müßten alle Menschen stets verzweifeln, In Thränen schwimmen über alles Leid,

Und über alles Glück in Wahnsinn stürzen. Rein aus der Mensch en Angedenken schwind en, Das ist die Hoheit, Würd' und Heiligkeit

Des Menschen; allen denen keusch erhaben Sich zu entziehn in ew'ge Götterstille,

Die ihn nicht einzig liebten, einzig ehrten! Ein jeder Mensch verlischt gemach im dritten Geschlecht der Menschen.

Seine Kinder weinen

Um ihn viel schwerer, als um Erd' und Sonne.

Einst groß, erzählen sie den Kindern wieder

An manchem stillen Abend von der Mutter

Und von dem Vater, tief bewegt im Herzen,

Indeß die Kinder, still und ehrfurchtsvoll Nur vor den Aeltern, hören, was sie sprechen; Denn ihnen sind der Aeltern Aeltern schon Nur Geister, wie die Bäume nicht einmal Und wie die Berge, die vor ihnen stehm; Die Lieb' ist ihnen allgemeines Staunen,

Nicht klare Glut, nicht Bild gewordnes Gold.

35 Was aber gehn den Späteren und Fremden

Die alten Knochen an, die dürren Hände Großmutters und ihr silbergraues Haar? — Doch diese Hände haben deine Mutter

Gewiegt; sie haben dann das kleine Schürzchen Ihr vorgebunden; dieser Leib hat sie Getragen; dir ist sie die Heilige Mehr, als die ganze heilige Natur,

Die nur in ihr ganz nah und gegenwärtig Dir alles Himmlische und Göttliche

Bedeutet, leibhaft dargestellt; die dir Vergänglichem das Ew'ge war auf ewig. Du wirst gewiß all' deiner Lieben denken;

Doch ohne Ehrenrührigkeit und Schaden

Denkt ihrer mehr kein Fremder in der Zukunft. — So lass' sie ernst in ihrer Götterstille,

Darein voll Hoheit, Würd' und Heiligkeit

Sie hocherhaben Allen sich entzogen, Die sie nicht liebten, die nicht sie geliebt!

36

Das Abgelebte. Ruinen anzuschaun, verfallne Städte, Bemooste Gräber, abgeblühte Rosen

Und Alles aus dem Lebensstrom Geschwemmte Mild zu verstehn — dazu bedarf's ein klares

Ein ausgewirktes Herz, um nicht in Wehmuth

Zu sinken, nein, sie ernst... gefaßt... dann lächelnd Sogar zu sehn, und sie mit Dank zu segnen.

Denn eher sieht der Mensch sie nicht mit Würde

Und sie in ihrem reinen Werthe nicht, Dem stillen, heiligen, ja himmlischen.

Bewundre da Großvaters alte Brille; Da seinen Stab mit glattgegrifsnem Kopfe;

Großmutters abgeschnittnes Silberhaar, Den neunzig Jahr' durch aufgebrauchten Arm, Den sie dir zeigt, darüber selbst verwundert,

Nun sie ihn ausgestreifelt, und die Sonne

Ihn ihr bescheinen muß als Wunderwerk, Das sie belacht, wie eine Göttin lachte,

Die über alle Welt sich hochgeschwungen.

37 Nicht TempelsLulen müssen's sein im Grase, Von Betern ausgekniete Marmorstufen:

Ehrwürdig langt zu frommer süßer Wehmuth Die Helmes-lose rostig alte Axt,

Die im Gebrauch des Lebens stumps gehau'ne, Die ganz zerles'ne alte Hauspostille, Die viele Kranke redlich ausgetröstet.

Der alten aufgebrauchten Dinge Werth Ist Menschen: daß sie leben einst geholfen

Den Lebenden in ihren heil'gen Tagen; Denn heilig sind die einzigen Lebenstage Von einem Jeden: von dem fleißigen Weinstock

Da draußen an der Mauer vor den Fenstern —

Ja von dem alten Bilde an der Wand: Als ihres Lebens freundliche Genossen,

Die ihnen schweigend sich dahingegeben, Wie redend manches Andern Zung' im Munde,

Und wie das alte Haus, das sie beherbergt

Geschlechter durch, Großältern und Urenkel. Wer nun, die alten Tag' im Herzen, einsieht: Durch welche unaussprechlich treue Dienste

Die abgelebten Dinge unbrauchbar

Und wieder neue Weltgehülfen worden,

Der steht gerührt und weihet ihnen Dank,

Ja freut sich ihrer und beweint sie nicht, Auch wenn die Augen ihm voll Thränen stehn!

38 Sie führen ihn in jene heil'gen Tage, Die guten Menschen sel'ge Tage waren;

Er hebt sich still und fromm zu ihrer Ehre, Zu ihrem Angedenken und der Seinen

Doch einen Stein vom alten Hause auf; Er Pflanzt vom Rosenstrauch des lieben Gartens

Den letzten Sproß sich an sein neues Haus, Und ist, im großen Sinn der Welt, ein Frommer Mit klarem Aug' und aufgeschloss'nem Herzen,

Der als Prophet in lichte Himmel sieht, Und als ein Mensch, bezaubert auf die Erde.

39

Selbstachtung.

Ob du Vieltausend Jahre wonnig schläfst, Ob einen Augenblick nur, oder ob du

Reg' wachst bis an das Ende aller Welt

Und ob nur deinen Tag in reicher Gnüge — Das, das ist nur Ein Wachen, nur Ein Schlaf, Das ist dasselbe Unglück oder Glück,

Das atP und jedes, was da mit dir lebt

Nun oder mit dir stirbt, in Frieden theilt. Wer seufzt: „Wie lebt das Veilchen doch so kurz!

„Wie ewig harrt ein Kind auf die Geburt „Seit unvordenklich alter grauer Zeit!"

Wer weint:

„Wie stirbt die Welt doch ewig lang!" —

In dem schläft noch die heilige Vernunft.

„Sein" ist der alte Zwang, die alte Noth.

Sieh', leben ist Niemandem eine Ehre, Und „sterben", einmal dagewesen sein, Ist keine Schande, wie die ganze Welt;

Und „lang" ist nichts, und „kur;" ist nichts; es fehlt

40 Für alle Dinge, und der Welt: das Maaß;

Ein Jedes mißt allein nach sich sich ab; Vergleichbar auch ist rings mit Allem nichts,

Glückselig oder unglückselig ist In seiner Art und Weife alles nur,

Von dem man sagt: „es lebt". — Nur Muth!

Wo in der Welt nichts hilft, da hilft Verachtung; Selbstachtung aber ist die höchste Kraft.

41

Das Verlorene. Das, was du hast, das geht im täglichen

Gebrauch, gewöhnlichen Bedürfniß auf.

So geht's der Sonne, so der besten Mutter, Die treu im Hause waltet.

Wie die Sonne

Den Tag nur da ist, und ihn mit sich nimmt, So nimmt die Mutter ihre Liebe mit, Den Tag mit, den sie froh gemacht im Hause

Durch ihre Gegenwart, die unerkannte. Doch ist die Sonne unter, wird es finster Aus Erden — ist die Mutter fort, verloren,

Dann siehst du nicht, ach, was verloren ist, Denn das Verlorene ist unsichtbar;

Dann stehst du: welchen Werth Verlornes hatte Mehr als die Sonne ist dir nun dein Weib, Das dir auf immerdar verlorene,

Für früh verloren, für den Tag, den Abend,

Verloren für die Nacht, das frohe Aufstehn, Für euer so gewohntes süßes Leben. Du gäbst die Sonne für dein Weib mit Freuden, Den Morgen, der alltäglich dir zurückkehrt,

42 Doch nicht dein Weib!

Der neue Frühling regt

Dir sie im Herzen aus — ein jeder Mond, Ein jeder Blütenbaum, jedwede Rose,

Die Lerche in der Lust regt sie dir aus Im Herzen, in dem leeren ohne sie!

Verlornes — hatt' es auch geringen Werth, Erscheint nun Plötzlich kostbar, unersetzlich; Der Werth der andern Dinge scheint nicht mehr. Wie kleine Lichter vor der hellen Sonne.

Der Knabe hat nur seinen Ball verloren —

Und über ihn vergißt er Spiel und Kinder, Die Abenddämmrung und das Vaterhaus.

Das Mädchen hat den armen Ring verloren — Das Mädchen weint und sucht voll Herzensangst,

Versäumt die heil'gen Stunden, und die Sonne

Sie ist ihr nur das Licht, das suchen Hilst! Der Hirt läßt seine ganze Herde stehn Und sucht, wie blind, sein ihm verlornes Lamm; Die ganze Herde ist ihm nichts geworden, Er hat sie ja! so läßt er sie verlaufen.

Ein Weib verliert vom Halsband eine Perle,

Da sucht sie die verlorne Perle nur —

Und läßt das Halsband von den Raben stehlen. Ein goldnes Herz ist dir ins Meer gefallen; So oft du wieder auf dem Ufer wandelst, Sichst du hinab und zürnest auf das Meer! Du mußt hinabspähn nach dem unsichtbaren

43 Verlornen Schatz, der einst der deine war. Das Schlechte wird dir theuer durch Verlieren! Selbst wiederum dir leicht Erlangliches

Wird über alles rings Vorhandene Dir werth.

Die Seele trotzt: „es ist verloren!"

Und welchen Werth nun hat Verlorenes

Dir erst, das nimmer mehr erlanglich ist! Das einzig war! dem, als du es noch selig Besaßest, Nichts sich auf der Welt verglich! Verlorenes, wie nichts Lieberes die Erde,

Der ganze Himmel nicht mehr für dich hatte!

Ja, welchen tiefsten Schmerz nun fühlt der Mensch Mit Recht, dem sein Verlorenes das einzig

Ihm Eigne, das geliebt ihn liebte, war! Dem Weib' ihr Mann, dem Manne, weh', sein Weib!

Die doch Verlorene nur zu beweinen, Versäumt er seine Tage; läßt die Herde Der Sterne über ihm verloren sein,

Verloren gehn.

Er giebt sich selbst verloren.

Die allen Ihren treugesinnte Mutter

Weint über ihr verlornes Kind; sie sieht Vor Thränen alle ihre andern Kinder . . . Und ihren Mann nicht, die doch um sie stehn —

Das eine nur, nur das verlorne Kind, Das lebt ihr in der Angst allein, entsetzlich!

Es lebt ihr als die ganze, ganze Welt. Wer nicht verloren hat, der weiß es nicht,

44 Was er besessen!

Ach, und wer verloren,

Der weiß es, ohne Hülfe, ohne Trost,

Als diesen: in dem glühenden Ermessen Der Herrlichkeit des ihm Verlorenen Den Götterwerth des Herrlichen zu fühlen,

Und wehmuthseliger zu sein, als Götter, Die nie ein Weib, die nie ihr Glück verloren,

Die daran Aermeren als arme Menschen,

In ihrer starren todten Sicherheit, Der ewigen Gewohnheit aller Schätze, Der ewigen Gewohnheit ihres Himmels. Verlieren lassen, selbst das Theuerste

Unwiederbringlich ganz verlieren lassen, Das ist die Weisheit jenes hohen Geistes,

Der wußte, daß Besessenes dem Menschen Aufgehen würde in den Tag des Lebens,

Nicht würdig Ihm genug geschätzt von Menschen Und noch dem Menschen nicht genug geschätzt. So aber wird ihm selbst das Kleinste groß,

Das Flüchtige zum Unvergänglichen, Das Leichteste zum allerschwersten Golde.

Und wer mit Lebenden, mit Liebenden Noch nicht zufrieden war, beseligt nicht Genug, der wird es durch Verlorenes! Umarmtes freue Menschen noch so hoch —

Verlornes erst hat doch den höchsten Werth!

45 Unwiederbringlichkeit befestigt ihn Und macht Verlornes zauberisch. — O, wohl Dem,

Der im Verlorenen das Göttliche Erblickt!

Ihm bannt die Seele fromm Erstaunen

Und Scheu, an ihm sich — wagend — zu vergreifen

Mit Wünschen, bittend es zurückzuflehn Mit Thränen.

Also hat es sich verschanzt

In stiller unsichtbarer Himmelsburg.

46

Der Liebe Testament. Wenn du nun auf der Erde lange Zeit Die Deinigen verlassest, reiche ihnen

Doch eine Hand zuletzt von deinem Lager! Laß sie darauf ausweinen, satt, recht satt.

Wer von uns stumm zieht, macht die Welt uns todt,

Zum Liebesgram voraus.

Sag' ihnen doch

Ein Wort aus ihre lange Lebenszeit,

Die sie nun ohne dich erdulden sollen! Gieb ihnen da, wenn auch ein klein Geschäft,

Das sic für dich alljährig immer wieder

Verrichten sollen!

Damit giebst du ihnen

Ein heilig Amt für ihre Lieb' und Treue;

Du lebst dadurch mit ihnen innen fort;

Du weihst sie dir, und sie sind dir geweiht. Sie üben dies empfangene Geschäft

Dann in den neuen Sonnentagen aus, Den neuen Frühlingen; und dir gehören

Die Blumen noch, als wärst du gegenwärtig;

Die Eine Rose doch gehöret dir, Die sie dir jeden Sommer auf dein Grab

47 Zu legen weinend einst gelobt!

Ja, dir

Gehört die Erde, die noch Rosen trägt,

Die Sonne, die sie dir erzieht.

Du machst

Der Deinen Leben zu dem frömmsten Hochamt

Im größten Tempel, rührender und wahrer, Als alle Todtenmessen an Altären

Der winzig-kleinen Häuser für dcu Gott, Den großen!

Und dein letztes Wort an sie

Wird stets lebendig in der Deinen Herzen

Durch Freud' und Leid zum Troste fortgetragen Hin unter alle Sonnen, bis zur letzten, Wo sie sich wieder hin zum Abschied legen,

Sie, wiederum die Hand den Ihren reichen, Ein fromm Gedenkwort treu den Ihren sagen,

Und wiederum ein klein Geschäft den Ihren Verlassen, lebenslang für Sie zu thun. — So wird die ganze große schöne Welt

Ein süßes Erbe guter Menschenherzen

Und Jahre — nur Ein treuer Augeublick! Und du, du stirbst nicht, meinest nicht zu sterben;

Du schaust die Zukunft, fühlst geliebt dich leben

Mit deinen Kindern und mit deinen Enkeln. Drum sag' ein Wort! verlass' ein Werk der Liebe!

O scheide nicht so stumm, ohn' eine Hand, Sonst sch affst du erst den Jammer und den Tod.

48

Unsterblichkeit. Die Menschen hoffen cdT Unsterblichkeit,

Das Ewige vor Augen und im Herzen,

Als schönes Weltall und als volle Seele. Doch dies hinaus-getragene Gesühl Der Seele in die Tage aller Zukunft,

Was kann es jetzt sein und was ist es anders,

Was kann es alle Ewigkeiten sein In allen süß genoss'nen Himmeln selbst,

Als eine Hoffnung, Sicherheit und Ruhe

In dieser Gegenwart? Der Lebenstag

Kann nie zugleich schon alle Tage sein! Das gegenwärtig-eine Weltgefühl

Kann nie voraus, zugleich vereint-gefaßt Die Summe sein, die aus Unsterblichkeit

Sich erst ergeben soll.

Unsterblichkeit

Ist nichts, ein Wort allein; unsterblich Leben

Würd' erst Unsterblichkeit.

Und ihr Gefühl

Ist sichres Leben in der Gegenwart,

Ist Ruhe nur im Jetzt, ist frohe Hoffnung.

Und voll von dieser süßen Hoffnung ist Ein jedes Menschenherz; denn in dem Geiste

Des Menschen fühlt der Geist sein ewig Leben.

49 Nun aber fragt das frömmste Her; am frömmsten Und ersten, grade mit dem Recht des Gottes, Es fragt der Gott selbst laut in ihrer Seele: Kann je ein Mensch so Großes hoffen

Von seiner Zukunft in der Ewigkeit, Als von der Zukunft Gottes? Muß er nicht Davor verstummen, muß erstaunend wünschen,

Nur als ein Auge an der großen Sonne Einst Theil zu nehmen?

Schon im Leben muß er

Das flehn, und einst in seinem Tode kann er

Nicht süßer sterben, als den Gott im Herzen, Mit seinem Leben ganz in ihn vergangen,

Ganz aufgegangen, ganz in ihn gegeben, Da nie die Ewigkeit, so wie ein Meer nicht,

Mit einem Zuge auszutrinken ist,

Was kann der Mensch in jedem Augenblicke Noch Wonnereich'res fühlen, als die Freude

Am Leben, an der gegenwärtigen Stunde, Und als die Liebe zu den Seinen voll Und ganz! — Das heißt, das ist: „Die Ewigkeit

„Aus goldenen Gefäßen Zug für Zug „Genießen, während seine Augen tief „Versenkt im großen blauen Himmelsspiegel

„Bezaubert ruhn."

Darin erblaßt die Hoffnung

Des Menschen, wie der Morgenstern im Tage, Und segnend stralt die große Sonne ihm.

50

Wirkung der Kirbe. Wie Licht der Sonne scheint und sich verscheint Und wirkt und ausströmt in die schöne Wirkung;

So wie das Veilchen duftet und verduftet In seiner Frühlingstage laue Luft —

So fließt die Liebe aus des Menschen Herzen In Menschenherzen, die geliebten, über,

Aus denen wieder ihre Liebe strömt In sein erregtes, sein beglücktes Herz.

Wie jede andre Kraft, die heiligste,

Aufgeht in ihre frohen Wirkungen, So geht die Liebe unter Himmelswonne Auch auf in ihre süßen Wirkungen,

Und ist und wird das Leben, wird die Freude

Der seligen Geliebten; wird das Leben Der Wunderwesen, die da Kinder heißen; Wird Sorg' und Mühe, Leiden, Klag' und Thränen;

Wird Träume, wird die wunderbare Füllung Der Tage, Nächte, von der Wiege an

Bis in das Alter, bis in Sarg und Grab. —

So ist die Liebe denn der ganze Mensch,

51 Und da die Liebe bleibt, so bleibt der Mensch

So lang' ein Funken bleibt von diesem All. Der Liebe Wirkung nur verlischt so sanft,

Wie alle — Menschen; wie der Regenbogen, Der doch so prachtvoll-schön in Wolken stand,

Doch wieder eingeht in den alten Himmel.

52

Vollendung. Der stärkste Drang, das herrlichste Verlangen,

Die tiefste Sehnsucht glüht im Geist des Alls Nach Ende und Vollendung alles Dessen, Was aus ihm lebt.

Nur mit dem reinen Ende

Von Jedem erst vollendet es sich selbst;

Nothwendiger und unentbehrlicher Ist nichts dem Endelosen, als das Ende;

Was ihm nicht endete, das lebte nicht;

Was sich nicht endet, wird sich nie vollkommen. Nur durch das Ende wird erst alles ganz,

Erfüllt, zufrieden, innerlich begnügt,

Sei das nun eine Rose, sei'n es alle, Und sei's der Fruchtbaum, sei es Mann mib Weib,

Ja sei's das ganze menschliche Geschlecht,

Das erst das Ende wird vollkommen machen

Und Ruh' ihm geben — wie dem Seidenwurme Der auf dem Maulbeerblatt sich, träumend, einspinnt.

Nichts ohne Grenzen — nicht ein Bild auch nur.

Ein Fest, ein Lied — was da vollkommen sei

Und schön, und göttlich ohne Ende nichts! Und mit dem Ende Alles überschwenglich!

53

Die Enkel. Es ist genug, daß jegliches Geschlecht Sich um die Seinen kümmert, als nur ihm

Zur Sorge und zur Freude anvertraut. Mich hatten meine Väter nicht; sie kannten

Mich nicht, und sorgten unbewußt für mich,

Ein jeder nur in seinen Kindern redlich. Und dennoch bin ich da, ich lebe deutlich

Hier unter ihrer Sonne jetzt, wie sie

Dereinst, und ich genieße alles Glück Der Lebenden und trage all' ihr Schicksal. So werden meine Enkel da sein, leben, Hier unter meiner Sonne einst, wie ich Anjetzt, und sie genießen alles Glück

Der Lebenden, mib tragen all' ihr Schicksal. —

In meinen Kindern sorg' ich für die Enkel, Daß sie erscheinen unter dieser Sonne!

Denn ohne mich erschienen sie einst nicht; Jedoch das Glück ist jedes eigne Sorge.

Nicht in die Zukunft reicht des Menschen Kraft; Sein Wunsch nur schwebt dahin als frommer Traum, Der ihnen träumen mag zu guter Stunde!

54

HrrMvkältr — Her;cnstod. lieblosen Mannes Weib ist abgesetzt Vom mehr wie engelgleichen Rang der Frauen;

Denn ihr Mann, ihrer in der ganzen Welt, Er freut sich nicht an ihr und ihren Kindern.

Das macht sie todt im Herzen, macht sie müde, Nur einen Finger für das Haus zu regen;

Und nur ein Stein erscheinet ihr der Mann, Für den sie lebt und einzig leben will, Die für den Wind nicht lebt, noch für die Sonne,

Noch für die Erde, noch den ganzen Himmel, Nicht für die Zukunft, für die Seligkeit —

Nein für das wahre Leben nur mit ihm. Und ist er noch so treu, und hat sie noch So viele Kinder von dem kalten Weisen,

Doch zieht er sie nicht vor den Frauen allen, Und läuft für Andre emsig wie für sie

Zum Arzt, und giebt den andern Weibern alles Wie ihr, was irgend sie erfreut, und küßt -

Die Kinder seiner Nachbarin so zärtlich,

Wie ihre Kinder.

Fragt er, wenn sie weint:

55 „Wer ist mein Weib? und wer sind meine Kinder?"

Dann hat der Thor ein liebend Herz gebrochen; Er war nicht werth, daß ihn sein Weib geliebt,

Nicht werth, daß sie ihm Kinder hat geboren; Der war nicht werth, daß ihm die Sonne schien;

Der kann den Menschen nie ein Vorbild sein, Kein

Lehrer,

der nicht Lieb'

und Menschen

kannte; Der falsch? Grund macht falsch das ganze Haus,

Und sein Gedenken löscht bei Menschen aus. Dem schreibet auf das Grab: „Der war kein Mensch.

„Der war nicht selig, wie Geliebtsein macht, „Der war nicht selig, wie das Lieben macht;

„Der war der Thor, der eine Welt voll Sterne „Für mehr hielt, als ein einzig liebend Herz. —

Hier ruhe sanft, du Unglückseliger!"

56

Der Witwer. Was mühst du dich denn noch! was sorgst du noch!

Denn deiner Tage Blume ist dahin. Was kümmern dich die andern Blätter noch,

Die andern Menschen und die kleinen Kinder; Was kümmert dich der Strauch, der sie getragen,

Der Baum: die Welt — ob er noch fortbesteht, Ob langsam eingeht; nutzlos ist es dir!

Und dennoch mühst du dich noch, sorgst du noch; Du stehst und lächelst mit Verwunderung Die winzig-kleinen lieben Mädchen an, Die in der Welt ihr Glück versuchen wollen,

Und hergekommen, Niemand weiß, woher; Zu welchem Schicksal aber weißt du wohl, Und darum seufzest du und stehst gerührt,

Beugst dich zu ihnen, hälft die Hand den Kleinen

Hin, und sie schlagen ein mit lautem Lachen.Dann gehst du, stehst du, schaust dich um, und sprichst

wohl: „Was mühest du dich noch, was sorgest du!"

57 Und kannst es doch nicht lassen, denn du bist Ein Mensch.

Du warst ein Mensch, und sie sind

Menschen, Sie werden Menschen sein.

Das überwältigt

Dich ganz; das rührt dich, und du sorgst so fort In deinem Herzen, wie du schon gesonnen,

Als deiner Tage Blume dir noch blühte, Ms sie noch selbst oft zu dir trat, und sie Treu mit dir sorgte, treu sich mit dir mühte Ganz um das selbe, was dich heut noch kümmert;

Sie weihte dir des Lebens Müh' — und du, Du sahst sie mit erstaunter Seele an Und glücklich noch — doch schon gedankenvoll

Sie kleidend in der Erde Menschenschicksal, Die Zukunst schauend in der Gegenwart, Und eure Gegenwart in stiller Zukunft,

So wie der Gärtner schon den Frühling schaut

Als Herbst, daß er den Sommer Wohlbestelle, Den Frühling treu benutze für den Herbst;

Im Winter aber sitzt er mit den Knaben,

Liest Samenkörner aus und hebt sie aus Für den, der künftig Blumen säen will;

Bedeckt die jungen Pflanzen, die den Winter Noch nicht ertragen, deckt die Pfirsichbäume;

Die Reben legt er in die warme Erde, Da sind sie wie verschwunden, unsichtbar Schon ruhn die neuen Trauben in den Knospen

58 Den Geistern da; die Sonne wird sie sehen

Und wird sie Kindern sichtbar machen, groß Und süß.

Die ausgetragnen alten Bäume

Nun reutet er zum Platz für neue aus,

Denn ihre Früchte haben sie getragen, Die jungen aber wollen sie erst tragen.

So müht er sich denn noch, so sorgt er noch.

So kümmerst du dich noch, so mühst du dich Aus stillem, unabwehrbar treuem Dank, Aus einer unabwehrbar süßen Hoffnung,

In deinem Menschenkreise, in dem Kreise Der Deinen; und du thust, gebannt vom Leben, Gebannt vom Herzen nichts, als was du doch

Nicht lassen kannst.

Das aber thust du alles.

Denn du erfuhrst in deiner reichen Brust:

Was dir geschehen ist und deinen Lieben, Das kann, das soll, das wird so weltgethan Nun Andern fortgeschehen; dir um so lieber,

Da auch die Deinen mit genießen werden, Was irgendwo der gute Geist bereitet,

Der rings in allen lebt, wie auch in dir.

So hast du stille Freude, göttliche, So wie ein Vater, der dahingehn muß,

Das Haus verschließt, die Schlüssel aber hinlegt An den den Kindern wohlbekannten Ort;

Darinnen aber legt er auf die Tische Zuvor die Gaben, wenn sie aus der Schule

59 Spät wiederkommen, daß sie alles finden, Der Gaben froh, viel froher noch des Vaters, Der wohl hinwegging, doch nicht ohne Liebe

Und ohne Liebeszeichen; und der Vater freut Sich um die Stunde in der Ferne herzlich Und denkt der Kinder, die nun sein gedenken.

So freust du im voraus der Stunden dich, Auch deren keine dir mehr schlägt, die du

Nicht hörst, und die gewiß, gewiß doch schlagen,

Und um so näher, als dir deine schlägt . . . Um so gewisser, als du sie nicht hörst!

Drum mühst du dich denn noch, und sorgst du noch, Und kümmerst dich aus alter, alter Liebe,

Die sich um dich gekümmert, um die Deinen, Und immer sich noch kümmert, wie du jetzt.

60

Nicht nber1s Ziel. Dem Leben eines Alten fehlt die Zukunft.

Er bau' ein Haus, wie lange noch bewohnt er's!

Er kaufe Wiesen, Felder, setze Bäume, Wie lange werden sie ihm Früchte bringen! Er nehme sich ein junges schönes Weib,

Wie lange wird er ihrer sich erfreun,

So weint die Witwe hinter seinem Sarge;

Und wenn sie ihn mit einem Kind' erfreut, Das ist ein Waisenkind, auch noch so reich;

Er hat das Kind und seine junge Mutter

Betrogen, oder aus dem Wahn getäuscht: „Der Mensch, der seine Jahre schon gelebt,

„Kann wiederleben; noch einmal von vorn „Die Jugend neu beginnen, und den alten, „Ihm unvergessnen Lauf noch einmal lausen;

„Die alte Sonne scheint ihm noch einmal

„Mit neuen, andern, jungen Menschen dennoch, „Wenn ihm die Seinen auch im Grabe liegen." Mit seinem ausgelaufnen Lauf ist Nieman Begnügt, der schönen Welt doch noch nicht satt,

61 Des süßen Lebens immer noch nicht froh;

Und auch den Weisesten und Glücklichsten Bestürzt das Ende, das unnöthige,

Das unerklärliche, wie ihn bedünkt — Weil noch die Sonne frisch vom Himmel glänzt,

Wie er sie einst als Kind zuerst gesehn,

Weil noch die Erde grünt und blüht, wie je! Schwer ist die Einsicht in des Lebens Wahrheit:

Durch sich erst macht der Mensch sein Leben aus, Die Menschen machen ihre Tag' und Jahre,

Die Sonne nicht!

Ihr stilles weites Glänzen

Giebt einem Mann mit seinem Weib und Kindern Zwölf Tage in dem scheinbar Einen Tage,

Denn Zwölf sind Häupter, deren jedes Einen,

Den seinen, als den eignen Tag vollbringt; Und neben ihnen lebt sich seinen Tag

Der Apfelbaum noch; lebt sich seinen Tag

Ein jeder Grashalm noch und jede Traube Am alten Weinstock, jeder Käfer noch, Der unter seinem grünen Blatte wohnt.

Dem Leben eines Alten fehlt die Zukunft; Dem alten Grashalm und der reifen Traube

Fehlt auch die Zukunft, fehlt ihr Tag, den sie Nicht mehr erschaffen können aus sich selbst, Weil sie sich ihre Tage schon geschaffen.

Durch unsere Vergangenheit schlt uns Aus Recht des frühern Daseins unsre Zukunft!

62 11 ni unseres erreichten Zieles willen Fehlt uns der Lauf!

Sonst fehlte er uns nicht,

Wie nicht den Kindern, nicht dem jungen Reh.

Die blüh'nde Jungfrau zeihe — der Vernunft, Die einem ältern Manne, den sie liebt,

Und die er liebt, mit aufgeregtem Busen, Mit vielen Thränen und erbangter Stimme,

Doch lebensweise sanft versagt, mit ihm Zum Altar hinzutreten, zur herzlosen Unmöglichkeit, wo sie, der Welt vergessen,

Ja sage, ihn lebendig mit sich fort In ihre Zukunfttage hinzuschleppen . . .

In ihre Nächte.

Ihre Seele fühlt

Die heilige Ehrfurcht vor gelungener Vergangenheit; sie bangt und zittert schüchtern,

Ob sie die Bahn auch sicher selbst durchlaufe,

Und weinet ahnungsvoll schon vor dem Schreck, Wenn sie die Tage alle selbst erfüllt; Denn ihre Liebe scheint ihr ohne Ende.

Doch auch die Liebe endet, stillvcrwandelt Als Opferduft den Todten dargebracht.

Der Mensch ist wahrlich doch ein Himmlischer,

Und dennoch kommt er, währt und gehet wieder, So wie die Sonne und die andern Sterne,

Und alles Himmlische, so schön es sei; Und auch die Liebe wird, und währt — und stirbt: Das Lieben stirbt, im Sterblichen auch sterblich.

63 So wird der Veilchendust erst mit dem Veilchen,

Wenn ihm der Kelch in süß'ster Blüte steht;

Die Blätter duften nicht, die Knospe wenig, Doch blühend macht es seine Veilchentage

Und Veilchennächte, jedes arme Veilchen, Und seine Bienen hangen ihm am Munde. Der dürre Kelch hört leise auf zu dufteu,

Und traurig schwebt die Biene von ihm weg; Thau hängt sich nur daran als Himmelsthräne.

So weint der Mensch um die, wie arme Veilchen,

Ihm weggestorbenen Geliebten, weint Um ihre nun verlorene Liebe lang'; Und seine Liebe auch verwandelt sich

In Starren, Nachschaun, zorniges Bewundern —

Und wird ein Schatten der Erinnerung.

64

Die Verklärung. Es giebt nicht „Liebe", fiefy’, nur Liebende! Es giebt nicht „Jugend", aber junge Wesen; Es giebt nicht „Leben", sondern Lebende; Es giebt nicht „Tod", nur Sterbende, nicht Todte. Das alles sind nur Namen, hohler Traum,

Nur täuschend-irremachende Gedanken. Gedanken sind die Seele nicht, ihr Werk nur.

Es giebt kein All, nur lauter Einzelne; Das Unbeschränkte wird erst werth als Eignes, Selbstständiges, als dieses Lebende. Der ew'ge Quell ist jedem nur den Trunk werth!

Die ew'ge Kraft ist jedem nur sich selbst werth! Das ist der Kraft hochherrlichste Verklärung!

Ihr Lufttriumphzug durch die Himmclshallen,

Wozu sie sich mit tausend Sonnen leuchtet, Durch unsere Geliebten wird die Erde

Zum Zauberschloß; durch unsre Werke wird Das, endlos, Keinem nutze All zum Orte, Das Haus zum Götterhaus; durch unser Leben Wird unsre Zeit; mehr als die Ewigkeit

Ist eine schöne Nacht, ein süßer Schlaf.

65

Die Kindergesegneten.

Mit Kindern geht das wahre Leben an,

Die wahre Arbeit und die wahre Liebe; Der Dank für alles ausgestandne Leid,

Die Freude über den getroffnen Weg, Den Weg, der in den Lebensgarten führte.

Mit Kindern geht die wahre Hoffnung an, Der ganze Himmel hat sich ausgethan;

Die Sonne möchte angebetet werden,

Daß sie den Kindern immer heiter scheine! Der Mond schon zeigt mit Zauberglanz die Nächte. . . Er stellt die frohen Abende schon dar,

Darin die Kinder einst als Menschen schweben

Und glücklich ruhn nach ihrem heißen Tage. Die Mutter möchte laut die Blumen bitten, Nur ja für ihre Kinder stets zu blühn;

Die Bäume rührt sie an mit Segenshand,

Daß sie den Kindern ihre Früchte tragen; Das Gras betritt sie weihend, daß es sanft Die Kinder trägt und ihnen Veilchen blüht;

66 Die Wege sieht sie golden sich verlieren ... Die Wolken sieht sie freudeahnend ziehen Hinaus — dahin, in ihrer Kinder Tage!

Und fühlt sich jauchzend in der Götter Haus — Das Kind, das Kind hat ihr es aufgethan!

Das Kind, das Kind macht ihr's zum Himmelreich ... Wie konnte fie's — den Augenblick — vergessen?

Und hastig läuft sie in das Haus zum Kinde. Da ist ihr wohl! Da hat sie sich und Alles

Nun ganz.

Nun ist das leere Sehnen aus,

Die Seligkeit ist herrlich angegangen, Mehr als der Frühling voller Pracht und Schmuck. —

Der Vater aber hört den Kuckuk schreien, Und steht gerührt.

Heut zählt er uicht die Rufe

Für sich — er zählt sie für das Kind!

Er betet,

Ganz ohne Worte, und er betet doch.

Er schaut die Berge an, mit Kraft zu dauern, Sie sind nicht festgebannte Wogen mehr; Er sprüht die Fluren an mit Segensaugen,

Sie sind die elysäischen Gefilde;

Sein Haus ist ihm das wahre „hcil'ge Haus",*) Mit wahrer heiliger Mutter, heil'gem Kinde:

Sein Kind! Sie, sein Weib! hoch der Stern: sein Stern! *) La casa santa.

67 Er wünscht der ganzen Menschheit ewiges Heil Und Freud' und Wohlergehn, auch nicht ein Leid — Sein Kind ja soll durch sie beglückt, mit ihr

Beseligt leben, soll an ihrem Werk' und Glücke Sein eignes Glück erwerben und verdienen.

Er wünscht der Erde einen guten Tag; Er wünscht den Sternen eine gute Nacht;

Sich wünscht er. . . Nein! Er wünscht nicht mehr . .. Als — noch ein Kind, und noch ein Kind — und noch Eins!

68

Die eigenen Tage.

Wer, wie er muß, nicht leben will, lebt gar

nicht! Das Weib, dem graute, Weib zu sein; der Mann,

Der Mann mit Abscheu wäre, Mensch mit Zorn. Den Knaben sieh, wie froh er Knabe ist, Er reitet seine Weidenruthe müd';

Das Mädchen sieh, wie munter es im Teich Mit andern Mädchen badet! Alle haben Laut Himmelsfreud' an sich und aneinander.

Die Lilie steht als Lilie da, und schämt

Sich nicht, noch rühmt sie sich.

Die Nose steht

Vor Scham nicht roth als Rose da; das Veilchen

Verbirgt sich nicht aus Zorn . . . der Schatten labt es. Was sollte nun der arme Specht erst sagen,

Der sich das Brot aus Bäumen hacken muß? Der Storch, der in den Wassern waten muß Nach Schlangen? Doch er weiß sie wohl zu spießen,

Sie wohl zu brauchen, darum geht er treu;

Kann er vor Lust nicht singen — klappert er, Und sitzt als Greis noch ruhig in dem Schilfe

69 Und läßt die Sonne sich zu Ende scheinen. Die Alte trägt das Leben noch so aus,

Den alten Leib wie einen alten Rock

Noch ab. — Der Arme trägt die Armuth aus; Der Leidende die Leiden, selbst die Schmerzen;

Und Jener langsam seine blöden Augen; Zum Grabe trifft er doch damit, das weiß er.

Wer, wie er muß, nicht leben will, lebt gar

nicht: Die Witwe nicht, die ihren Mann verloren; Der Mann, der Witwer ward; der arme Jüngling,

Dem seine Braut gestorben; und die Jungfrau,

Die Keiner sich gewählt; das stille Paar nicht, Das kinderlos sich selber nur so austrägt,

Sie müssen alle leben, als das, was sie Die Kraft in dieses Sonnenreich geboren, Und also wie sie waren, wie das Leben

Da war, als sie hineingetreten, wie

Es ward in seinem heiligen Verlaufe,

So müssen Alle leben!

Keine Mutter

Verändert nur das Näschen ihres Kindes;

Kein Göttersohn verwandelt nur ein Gräschen Im Felde, keinen Baum im Wald, und macht, Daß er nicht dagewesen sei.

Kein König

Kann anders, als er selbst geworden, als

Er täglich wird, mit seinem Weibe gehen; Und auch mit ihr nicht anders, als sie wird.

70

Auf jedem Haupte ruht die Himmelsmacht! Auf jedem Keim, auf jeder dürren Blume,

Auf jedem todten Kind der Götterarm, Der Alle einschließt in das eigne Wesen. Wer, wie er muß, nicht leben will, lebt gar nicht.

71

Die Ehre. Die Ehre ist dem Menschen, unverbrüchlich Den Weg des Lebens wandeln, wie sein Herz,

„Die Stimme der Natur", ihm deutlich sagt;

Und eine andre Stimme giebt es nicht Und braucht er nicht, und er verstünde keine

Als sie, die heilige, aus seinem Herzen. Die einz'ge Schande nur ist Unrecht thun, Unglücklich werden und unglücklich machen;

Das Andre Alles ist nur Eitelkeit,

Betrug von Andern, oder Selbstbetrug. Dem Guten, Schönen, Wahren, Herrlichen

Noch Ehre anzuhängen, ist ein Greuel, Zieht es hinunter in den Staub der Welt; Noch eine gute That belohnen wollen, Ist Frevel, unkeusch, ist Verrath, und quillt Aus Seelen nur, die Gutes thun nicht kennen

Und ihre falschen Güter Göttersöhnen Zu wahren Lebensgütern prägen wollen. Weh' dem, der Menschenruhm und Menschenlohu Bedarf zum Gutsein und zum Gutesthun.

72 Die Ehre ist dem Menschen, unverbrüchlich

Den Weg des Lebens wandeln, wie sein Herz, Die Stimme der Natur, ihm heilig sagt; Die Stimme der Natur ist eine Stimme

Aus einem großen Reich, das ewig schon Bestanden, eh' Gestirn' und Sonne schwebten; Ist eine Stimme, Jedem eingeboren,

Und laut zu hören in der eignen Brust,

Wie Frühlingssäuseln — oder Donnerschlage.

Du höre stets sie sanft als Frühlingssäuseln, Und deine Ehre sei es, ihr zu folgen;

Du folgst, wenn du ihr folgst, nur dir, nur dir;

Du thust, weirn du sie thust, dein Heil nur, deines, Und Aller Heil, mit denen du verkehrst.

Du halte menschenwürdig diese Stimme Für kein Gebot, das machte dich zum Sklaven; Für kein Gesetz, das machte dich zum Schergen; —

Für deine Seele halte sie! für dich!

Für deine Freude! für dein heitres Glück! Halt' diese holde Stimme für dein Leben,

Die Ehr' ist anders nichts, als treues Leben. Nur das, was Unglück bringt, ist wahre Schande,

Und wahre Ehr' ist, was da glücklich läßt Den, der den heil'gen Weg des Lebens wandelt.

Dem neuen Ankömmling auf seiner Erde, Dem Kinde, nicht den Weg des Lebens lehren,

Sein eignes Herz verstehn und ihm allein

73 Zu folgen . . . nicht das große Himmelreich,

Die Welt, so tief sein eigner Geist vermag,

Erkennen lernen wollen, unermüdlich . . . Der Menschenjungsrau Liebe nicht zu halten, Nicht ihrem lieben Kind der Vater bleiben,

Sie einsam arm und trauernd zu verlassen . . . Dem Gatten reine Treue nicht zu halten;

Nicht täglich, stündlich stets so gütig sein Dem Weib, dem Menschen um dich, so verehrend,

Wie du ihm wärst, wenn jetzo erst die Welt Entstünde, und er als ein Wunder heut

Anbetungswürdig, heilig dir erschiene — Da hast du in den ewig großen Worten Genug für deine ganze Lebenszeit, Was Schande wäre, weil es elend macht,

Was Ehre wäre, weil es glücklich läßt.

74

Gerechte Klage. Der Schmerz um Todte, die nicht alt gestorben, Ist göttlich; denn er ist ein sittlicher, Der Fehler und Unwissenheit beweint. —

Nur widerwillig, langsam, sorgsam, schonend Zerstöret wieder die Natur ein heilig

Gebild von ihrer Hand, mit ihrer Hand. Sehr fehlen, Vieles irren muß ein Mensch selbst, Ihm Schweres anthun müssen andre Menschen

Durch Frevel, Irrthum und Unwissenheit, Eh' die Natur dadurch gezwungen wird,

An ihrem eignen Werk sich zu vergreifen, Um früh ein End' mit ihm zu machen, Hoffnung

Des Grabes, Ruh' und Frieden ihm zu geben,

Statt ferner schönes Leben, bis zum rechten Genügevollen Ende sel'ger Menschen.

Und aus den Klagenden und Weinenden

75 Nun klagt und weinet die Natur, durch Mund Und Auge ihrer Menschen, drin sie wohnt

Und lebt, und deren Geist sie selber ist, Und denen Göttersinn, als Menschensinn,

Für höchste Sitte, Glück und Ehre glüht. Der Schmerz um Todte, die nicht alt gestorben, Ist unsre Wehmuth, daß der junge Mensch

Gefehlt, gefrevelt hat, sich schwer geirrt Nur . . . oder daß ein Andrer oder Viele

An ihm gefrevelt, oder Erdenbrauch Und Erdenweisheit nicht gekannt, geachtet, . . .

Daß er sich selbst, sie ihn zum Tod gebracht, Der kein unendliches Bedauern sein soll,

Kein Herzzerreißen, jammervoll Gedenken Des Hingegangnen, nur sein sel'ges Ende Des sel'gen Daseins, götterwerth im Leben

Und götterwerth im Tode, fegen voll, Und von den Ueberlebenden gesegnet.

Der Schmerz um Todte, die nicht alt gestorben, Ist göttlich, denn er ist ein sittlicher; Doch um den Tod nicht — um ihr Leben nur!

Denn um den wahren menschenwerthen Tod Fällt keine Thräne, als nur heilige,

Erschallt kein Wort, als nur ein segnendes. Die Sel'gen werden still und fromm vergessen —

76 Unglückliche, sie bleiben Klagenden Im Grab lebendig — bis sie selber sterben. Drum soll der Mensch der Seinen sich erbarmen, Um ihrer Liebe nie so weh zu thun, Sein Leben und den Tod ihr noch zu rauben!

77

Der wahre Fromme.

Noch viel zu thun sein wird in dieser Welt, In dieser selben Welt nach deinem Tode — Noch vieles Schöne wird zu schauen sein,

Noch viele Wonne zu genießen.

Willst du

Auch Einem eine gute That nur wegthun? Nur Einem eine Wonne weggenießen? . . .

So will'ge, nicht aus Sattigkeit des Herzens, Nein, aus dem reinsten Edelmuth der Seele, Will'ge: vom Werk des Lebens abzutreten,

Ja ausgeschlossen von der Welt zu sein —

Wie Menschen völlig ausgeschlossen werden

Von dieser Erde durch den Tod, das Grab.

Und das geschieht schon ohne dein Gebet, Und Allen ist es also schon geschehen,

Wie dir es wird.

Das Eine bleibt dir nur:

Das Ausgeschlossensein aus Edelmuth Zu segnen, und den Thätern dieses Lebens

Ihr neues Werk sammt ihrer Kraft zu gönnen Mit ihrer Wonne, die sie schöpfen werden,

Und deinen Frieden ihnen einst zu wünschen,

Und deinen Edelmuth: das süße Werk

78 Des Lebens in der Werkstatt dieser Welt Einst ihren Kindern wiederum zu gönnen,

Noch ihre Enkel segnend, wie du deine.

So wird der Tod dein heilig frommes Werk, Dem keins sich gleicht, das du zuvor gethan!

So krönst du dich mit ew'ger Siegeskrone Der Güt' und Weisheit und der Lieb' und Tugend.

79

Srlbstgrfnhl.

Du ziehe keinen andern Menschen an,

Du krieche nicht in eines Andern Seele Und sieh hinaus zu seinen Augenfenstern,

Noch lebe du als er! auf seinen Namen Du lebe dich, als du,-als reiner Geist, Der selber ist und der du selber bist. Beschimpfe und erniedrige dich nicht

Als solcher; denn als Wesen bist du Jedem Aus Erden und im Himmel gleich.

In dir

Quillt Güte, Wahrheit ganz ursprünglich auf,

Und Schönheit schaust du götterreich aus dir. Gieb Keinem unter einem andern Namen

Als deinem!

Gieb ihm unter seinem eignen

Erhabnen Namen „Mensch".

Empfange von ihm

Als Menschen unter seinem Namen selbst. So ehrst du ihn, so ehrt er dich erst recht.

Wen du erst liebst, weil — Moses es gesagt, Den machst du schlechter noch als einen Stein.

80 Wer dich erst nährt, weil — Mohammed es wollte,

Der stellt sich unter jeden guten Hund, Der ganz sich weiß, der klar dich sieht und fühlt: Was du nicht thust als du, hat keinen Werth.

Mensch, laß dich nicht bezaubern und umnebeln!

Denn aller Wahn ist Täuschung, Trug und Unheil;

Zum größten König macht dich Selbstgefühl. Als Mensch sich fühlen, löst den dumpfsten Zauber,

Selbst den: „nicht mein Geist sei mein eigner Geist!" Am seligsten und treusten lebt das Kind,

Das Menschenkind, das froh sich selbst empfindet,

Als Niemand Andrer, weder stolz noch kriechend

Vor keiner Abkunft, ganz entzückt nur da. Den liebt es, wer es liebt; still bildet sich

In ihm aus seinem eigenen Verständniß

Ein Herr, der ihm im Herzen wohnen wird,

Der nur es selbst sein wird, als seiner Seele Tiefeigner Sinn, und seine eigne Kraft.

O Schänd' und Qual, je aus der Kindheit schreiten!

Kein Weiser, kein Mensch, was er auch vollend e,

Je übertrifft das Kind an höchstem Werthe Durch reines, schönes, frohes Selbstgefühl.

81 Nichts verloren. In diesem heiligen, großen, schönen Himmel

— Gleich Einer reinen weiten Menschenseele,

Gleich einem düstevollen Lilienkelche — Ist nichts umsonst, das Sonnenstäubchen nicht! . . .

Geschieht vergebens nichts.

Da fällt vergebens

Das kleinste Tröpfchen Thau nicht, haucht vergebens

Das leise unsichtbare Lüftchen nicht, Blinkt nicht ein Stral aus eines Sternes Haupt,

Blickt nicht ein Blick aus einem Mutterauge,

Rührt sich des Nachts kein Blatt an einer Rose. Schon in der Urwelt längst zergangnes Wirken Ist nicht vergangen: es ist nah', ist da

Zu neuem Dienste! Was in später Nachwelt

Einst kommen soll, das schläft schon in beni Apfel Als Kern ... als zartes Vorbild zu der Palme. Vergebens ist ein Hauch der Liebe nicht;

Er rührt, er schafft, er webt in einem Herzen, Stark gleich dem Sonnenstral in warmer Erde, Der Blumen aufweckt und am Zweigs die Knospen.

Vergebens fließt wo keine Menschenthräne, Vergebens klagt wo keine Menschenseele.

In diesem heiligen, großen, schönen Himmel Ist nichts umsonst, geschieht vergebens nichts.

82

Unabhängigkeit. Beglückt der, wem ein Mensch noch helfen kann! Dem Helfer, dem Geholfenen, Zwei'n ist wohl.

Beglückter, wem Niemand mehr helfen kann, Mit aller Allmacht nicht.

Da wird ein Mensch

Ein großer Halbgott, ohne Noth und Tod. Heil dem, wem nicht geholfen werden kann! Die Hoffnung nur auf Hülfe, sie verdirbt Den Menschen!

Lange wär' die Menschheit schon

Am Ziele, ohn' Vertrauen, als zu sich. Die Würde ist's, das Selbstgefühl, die Größe

Der Seele, die den Himmel sich erstiegen; Denn höher steigt kein Mensch in allen Räumen.

In allen Zeiten höher nie, als nur Durch Werth und Würd' und Größ' in seiner Seele.

Das Unabhängigkeitsgefühl erst macht

Aus Menschen wahre Menschen; sonst giebt's keine!

83

Die göttliche Unruhe. Beruhigen — o welch unmenschlich Wort! Zur Ruhe zwingen — grausam-harte That!

Nichts Aerg'res kann dem Menschen je geschehen,

Als ihn beruhigen.

Ruh' ist der Tod.

Gleichwie die Sonn' auf einer Riesenblume,

So brütet auf dem Herzen heiß das All.

Das Herz, das ist die Unruh in der Weltuhr, Das immer schlägt, das immer drängt und mahnt:

Du kannst nicht ruhig vor dem Glücke sein — Denn alles Heil steht göttlich Menschen zu. Du kannst nicht ruhig in dem Glücke sein,

Denn hoch da gehen dir des Lebens Wogen! Du sollst nicht ruhig nach dem Glücke sein,

Das Glück befestigen, verlangt erst Helden! Du sollst nicht ruhig in dem Unglück rasten,

Wie ein Verirrter in den Wald sich legt; Nur Muth und Anstrengung erlöst daraus. Wer lebte ruhig in der Sklaverei,

Daß er im Schlase nicht doch stöhnt' und weinte! 6*

84 Wer lebte ruhig in der Freiheit erst,

— Die alles Gute froh erlaubt zu thun — Daß jede Kraft sich ihm nicht heiß bewegte! Du kannst nicht ruhig in der Jugend sein, Dein Lebensglück dir redlich zu bereiten.

Du sollst im Alter dich nicht ruhig fühlen; So lang’ die Deinen mit dir leben, kannst du

Nicht ruhig sein, um treu für sie zu wirken Noch mit der letzten Hand, der letzten Lehre.

Und wenn sie dir gestorben sind, da wirst du

Nicht ruhig sein, sonst wärst du fühllos, todt. Drum lerne recht unruhig sein voll Eifer, Und freu’ dich deines Lebens, wenn du’s bist.

85

Zu guter Nacht, )u gutem Morgen. Ein böses Wort, zu Nacht gesagt, verdirbt noch Den ganzen Tag nach rückwärts.

Sei denn sanft

Am Abend; sei im Alter sanft; o sei

Den Alten sanft!

Der Frieden laßt die heil'ge

Erinnerung im Busen stärkend blühen Und duften! . . . Und was hast du sonst? und sie?

Nur aus dem Frieden kommen gute Werke, Nur aus dem Guten kommt die Ruh' und Freude.

Sieh', ungescholten gehn die Kinder fröhlich Zu Bett, und haben Alles wohlgemacht, Nicht wissend, daß sie Kinder sind — nur glücklich! Und willst du gütig sein, so läute auch

Den Morgen nicht mit Feuerglocken ein, Viel lieber mit der Glockenhyazinthe,

Die du unmerklich auf das Angesicht Von deinem Weibe legst, das schlummernd athmet. . .

Den Frühling träumt und, von dem Dust erwacht,

Den vollen Frühling findet — ach, und dich! Des Lebens Morgen ist der Pflege werth,

Und jeder Morgen reinster Hut und Liebe; Drauf wird von Allen Alles wohlgemacht, Kaum wissend, daß sie Menschen sind — nur glücklich.

86

Menschensorge.

Nichts an der Sternuhr hat der Mensch zu stellen,

Nicht in der Sonne Oelkrug Del zu gießen, Den Mond nicht blank zu scheuern, zu vergolden, Den Himmel nicht zum Lenz neu blau zu malen. Der Mensch hat für die Erde nicht zu sorgen,

Nicht für des Meeres vollen Teich, nicht für Der Flüsse Gang und Speisung von den Bergen,

Noch für der Berge sicher-heitre Ruh. Deß' ist er überhoben, als ihr Sohn. Sein Feld zu Pflügen; seine Ernte trocken

Hereinzubringen; wo es ihm gefällt Den Baum in seinen Garten hinzusetzen; Den alten Weinstock dankbar zu verjüngen; Den Quell zur Hütte nah der Frau zu leiten —

Das ist noch etwa seine ganze Müh'

Mit dieser Welt.

Die Winde läßt er sausen,

Die Wolken treiben, um das Land zu wässern, Und weist dem Blitz ein Eckchen an zur Ruhe —

Der Rauch mag selber aus vom Herde steigen! Den Menschen kümmert immer nur der Mensch.

87

Das Scheiden.

„Die Welt verlassen, jene Morgenröthe,

Den Blitz der Sonne, jene Abendröthe,

Und jeden Frühling, alle Lerchenlieder . . . Den Staar, der im bethauten Grase watet

Und funkelnd für die Kleinen Nahrung sucht . . . Nur Den nicht mehr zu sehn, ihn ganz verlassen, Die Welt verlassen, welch' ein schwerer Gang! O sage, was dabei den Menschen tröstet ?" —

Du gute Seele, sieh, der Mensch verläßt Ja nicht die Welt!

Wie sollt' ihm das geschehn?

So lang' er in ihr lebt, umstralt sie ihn,

Sie lebt in ihm, so lang' er nur noch haucht, Und aus ihr fort zu sein begreift er nicht; Sein von ihr Abschiednehmen ist ein Traum,

Sein Scheiden von ihr nur ein wacher Traum! Kein Herz begreift „die letzte Stunde," keins

Begreift „das letzte Mal" voraus als Wahrheit,

88 Und wär' es wirklich auch das letzte Mal Für Andre, die's nachher dafür erkennen.

Denn alles Letzte gleicht noch seinem Ersten:

Das letzte Mal zu trinken ist noch trinken; Das letzte Mal zu sehen ist noch sehen, Nur leicht umwallt von mattem Silbernebel, Worin die Dinge geisterhaft erscheinen. Sie sind nur weggehaucht, die Scheidenden;

Zwar sind sie fort, doch nicht der Welt entbehrend.

Viel milder, billig halb und ganz natürlich Erscheint das wiederum die Welt verlassen, Der Nachgebliebnen Trauer um die Todten, Nun sie erwägen, ja bekennen müssen:

Ach, unsre Lieben haben schon einmal Die Welt ja nicht besessen! Morgenröthe

Und Blitz der Sonne, jene Abendröthe Und jeder Frühling mit den Lerchenliedern,

Dem Staar der im bethauten Grase watet . . .

Das Alles war für sie ein finstres, ödes Und schwerverschloss'nes Haus seit unvordcnkbar

Urlängst vergess'ner Zeit.

So scheint es nur!

Denn sie, sie waren nicht.

Erst als sie kamen,

Erbaut' es sich für sie; sie selbst erbauten Und schmückten und genossen es sich selbst. Und was von Kindheit an bis in das Alter

Bis zum vollendet sattbegnügten Menschen

Sie auch davon bedurften und darin,

89 Das Alles wurde ihnen tausendmal

Zu Theil, zur Uebersülle, zum Erliegen! — „Die Welt verlassen . . . nun, was war es denn? „Ein Wunder war's, in sie hineinzugehn,

„Und aus ihr gehn — ein Kinder rasch entschlafen." So würden selbst die Abgeschiednen sagen, Wenn ihnen nicht ein Gott die Stimme hemmte.

90

Nimm Alle aus, schließ' Keinen aus. Nimm Alle auf, schließt Keinen aus.

So thut

Der Gott; drum ist er's; und so thust du göttlich. Wer sich und seine Sache einzig will

Zu starrer Herrschaft bringen, gegen den Erhebt sich jeder Mensch von freier Seele,

Und ihn, den Unduldsamen, duldet Keiner. Der stützt nicht seine Macht, wer Andre ausschließt,

Der wird unmöglich in dem Menschenschwarm. Wer bös vor einem Haus, vor einer Stadt

Den Staub von seinen Füßen schüttelt, der Hat sich daraus versperrt, hat sich beraubt,

Viel Gutes erst zu lernen und zu thun.

Denn unverbesserlich ist auch nicht Einer; Am Bösen lernst du Gutes thun; das größte Verdienst wird an Verlorenen erworben;

Wer richtig wandelt, wofür dankt' er dir?

Den nehmen Alle an, wer Alle aufnimmt. Wer Alle aufnimmt, der erweitert sich Das Herz zum Himmel; und wer Alle einschließt

In sein Gemüth, sein Glück und seinen Glauben,

91 Der ist der wahre Mensch, der redliche, Der große.

Wer zum Scheine noch Gewalt hat,

Der rede wahr und menschlich zu den Menschen,

Und mein’ es anders nicht, als wie er sagt; Denn leicht erkennt das schlichte Volk die Falschheit. Nicht Drohung, Grobheit, ungeheure Strafe

Schlägt mehr am Geist des freien Menschen an! Nicht Klage, Schmerz, noch Thränen rühren ihn, Ihn rührt nur Wahrheit, ihn ergreift nur Edles

Und Gutes, das zu thun er aufgefordert, Ja ein geladen wird!

Dies schöne Zutraun,

Daß Jeder frei von selbst das Seine thue,

Das giebt noch einen Schein der Macht; das giebt Den wahren Werth, ein Licht des Volks zu sein.

92

Das Wunder unter Sterblichen. Du schwarzverschleierte, betrübte Mutter

Gehst still an mir vorüber; mild bestreift Aus deinen bang-verweinten Augen mich Dein stummer, vorwurfschwerer Blick, daß ich

Dich nicht beklagt! mit keinem Wort getröstet In deiner tiefsten Mutternoth, dem Sterben

Des lieben Knäbchens, der Begräbnißangst! Da ich ja trösten . . . doch beklagen könnte.

Ich stehe ehrfurchtstumm vor dir! — Du schaust Das Leben jetzt in seinen Tiefen an . . .

Du könntest uns nun lehren.

Wem geschieht,

Fühlt Wahres, und er lehrt das Wahre glühend.

Das ist kein kleines Leid, wofür es Trost giebt,

Denn nur Ersatz ist Trost, geträumter oder

Sichtbarer, wie wir Kinder damit täuschen. Das Heilige den Menschen wegzutrösten Ist Sünde — und der Schmerz ist heilig, wenn

Je Etwas! Thränen auch zu trocknen ist Ein schwerer Frevel; denn sie kommen Menschen Zu hoch und theuer durch Verlust der Lieben

Zu stehn . . . und kommen ihm nicht oft im Leben,

93 Vielleicht nur einmal: daß er heilig werde, Und heilig diese schöne Welt empfinde;

Und heilig, was er hier in seinem Arm

Besessen; heilig, was er selbst geboren. Es soll nicht Trost für große Dinge geben;

Und größer giebt es einem Weibe nichts,

Als Kind und Mann. Weil kein Ersatz.

Und dafür ist kein Trost,

Wer wagt, die Todbetrübten

Zu trösten, tobtet ihre Todten nur Vor ihren Augen noch einmal, und giebt

Doch ihnen nichts dafür, beraubt sie nur. Drum nicht beklagen darf ich dich in deinem

Hochheiligen Leid, o liebe treue Mutter . . . Geh', fühle dich gesegnet, wie du's bist!

Du bist das Wunder unter Sterblichen;

Ein ew'ger Geist, der um Verlornes klagt, Die eto’ge Liebe, die den Tod beweint!

Im Morgenlande heilig ist das Weib,

Das unter seinem Herzen still ein Kind trägt, Ihr unbekannt, ein Mensch erst in der Zukunft — Unendlich heil'ger ist die Menschenbrust, Die einen langgeliebten Liebenden,

Den reifen Todten, köstlich in sich trägt

Als Heiligthum, wie keins wo in den Himmeln.

94

Größe im Dulden.

Nachgeben lerne! dieses Alls Gesetzen;

Nachgeben lerne Menschen und der Noth, Der Nöthigung, die sie das Schicksal nennen.

Das, was dich bändigt, ist gewiß dein Schicksal — Auch wenn es Menschen sind, ja Kinder nur. Nachgeben lerne!

Ohne Schande thust du's.

Erzwinge nicht, stets glücklich sein zu wollen; Der Kampf erst macht dich völlig arm und elend.

Unglücklich sein ist nicht das größte Unglück — Ist oft auch süß.

Die Klage!

Die Thränen auch sind süß,

Jene heilige Bescheidung:

„Ich bin unglücklich — aber gut und edel."

Ja, hüte dich, nicht stolz darauf zu sein,

Daß du, unglücklich wohl, ein Glück verdient; Du lebst auch ohne das; du lebst als Du, Wenn auch nicht wie die Andern, wie du wünschtest. Auch Wünsche, Sehnsucht tragen ist noch menschlich, Vergebne Sehnsucht ist die reizendste! Am allerbesten, fast dem Gotte gleich,

Lebst dann du, wenn du heiter leidest; schuldig

95 Nun, oder ganz unschuldig, und doch lebest, Wie Menschen ziemt: gelassen, treu und willig Zu jedem Guten, ohne Haß und Neid

Auf Andre neben dir, die fröhlich leben, Umringt von ihren Lieben, ohne Gram. So unglückselig sein ist großes Glück;

Es scheint die Seligkeit und ist sie halb, Ja ganz, wenn du dich über dein Geschick

Erhoben, lebst, als gab' es keins für dich. Vielleicht nur wollte dich das Schicksal prüfen, Gewiß erheben! frei dich von ihm machen.

Und steh': Dir ist's gelungen!

Sieh', es floh!

Und weinend, sehnend bist du erst recht glücklich. Nachgeben lerne! du erwirbst die Welt Dir schöner so; du schaffst, verdienst sie dir.

Und Andern wirst du noch ein Mensch erscheinen So gut wie Einer; Andre werden dich Noch lieben, ehren, dein bedürfen — Herz,

Dein noch bedürfen! und du wirst sie liebeu!

96

Genesung.

Die guten Aeltern, denen todtgefährlich

Ihr Kind erkrankt, sie lernen Grabes-Furcht, Sie lernen Zagen um den Schatz des Lebens.

Der Mann, dem jäh' sein Weib zum Tod' erkrankt

Er lernt da ihren, nimmer so zuvor Erkannten Werth; sie schien ihm so natürlich

Nothwendig da, wie nur ein Baum im Walde; Er lernt die Lieb' in ihrer vollen Glut.

Doch wenn sie glücklich wieder ihm geneset, Da drückt er wieder rasch die Todespforte Ins Schloß; er ahnt kaum, welche Schrecken alle Er nicht geschaut! er ist, durch finstre Nacht Hinsteuernd, an dem rosigen Gestade

Der altbekannten klaren Heimat wieder Gelandet; blind und unerfahren hat Das stumme Schicksal diesmal ihn gelassen . . .

Er drückt sein Weib entzückt wohl an sein Herz-,

Doch als Unsterbliche!

Er weint vor Freuden,

Und theilt zum Dank an arme kranke Frauen

Nun Speisen aus, wie seine Frau erquickt, Und sendet ihnen auch wohl ihren Arzt — Und dennoch kennt er die Genesung nicht!

97 Tod-Armen nur, unherstellbar Beraubten Ist jene grause Kenntniß Vorbehalten;

Der Mann nur, dem sein Weib gestorben ist,

Fühlt schwer: was „wiederum genesen" — wäre,

Doch was es keiner Menschenseele ist. Denn wer es weiß, dem ist es hohl und schrecklich,

Ein Traum, den graus in ihm das Schicksal träumt Zum eitlen Scheintrost, eitel, so als hätt' es Ihm eine Freude auch gegeben, welche

Doch Menschen und doch Götter nie erfahren,

Und die als Traum den Mann zur Erde beugt,

Ihn zwingt, die Hand zum Himmel auszustrecken

Nach einem überhimmlisch frohen Glück, Das, wenn sein krankes Weib genesen wäre,

Ihm selber ein Geheimniß auch geblieben. So werden Menschen, werden Götter denn

Es nie erfahren, was Genesung ist;

Es werden's alle nur als einen Traum

Sich träumen — doch das Glück wird nimmer wahr.

Nur Todte wüßten, was das Leben wäre; So weiß es Niemand!

Die nur, die geliebte

Gestorbene begraben, könnten wissen, Was wiederum genesen wäre — und so weiß es

Kein Hingestorb'ner, kein noch Lebender; Jedoch die Todberaubten können's träumen

Vor allen Lebenden und Glücklichen;

98 Sie sind die Schwer-Bevorzugt-Eingeweihten; Denn feurig hülfreich sind sie, jedem Manne

Sein Weib, und jedem Weib den Mann zu retten, Als machten sie die Andern in dem Maße

Beseligt — wie sie selber elend sind!

Die da am seligsten erst könnten sein,

Die sind es nie,

und werden's nie und

nirgend,

Und darum sprechen sie zu ihrem Freunde:

„O Freund, erhalte deinem Weibe dich „Als ihren höchsten Schatz, als ihre Erde „Und ihren Himmel, ihre Lieb' und Wonne!

„Denn stirbst du, stirbt das Alles, Alles ihr. „Und du, o Weib, erhalte deinen Leib

„Wie eine unschätzbare Perle!

Nichts

„Sei je dir werth, den Mann zu kränken, noch „Dich je.

Ties unter euch liegt alles Ird'sche!

„Näh' über euch schwebt sonst das schwerste Unglück, „Das Elend, das kein Sterblicher erkennt,

„Die allerhöchste Menschenseligkeit „Zu ahnden — und verloren sie zu sehn: „Genesung, die da kein Genes'ner kennt,

„Und Keiner, dem ein Lieber nicht genesen." O Weib und Mann, lernt bis ins Alter nicht Den Werth ermessen — den Genesung hätte!

99

Das wahre Geisterreich. Sind die verloren, die hinaLgesunken, Die Völker alle?

Die sind nicht verloren,

Die du nicht kanntest.

Die sind nicht verloren,

Die du dir auferweckst, mit dir zu wandeln. Das große Volk von weggezognen Menschen,

Das kaum geschieden, wie im Nebensaale Still uns noch fortlebt, o wie macht es reich uns, Ja froh!

Sie alle überstanden alles . . .

So werden wir's.

Wir wecken uns sie auf.

Da lassen sie uns schaun das, was auch wir sind; Da sehn wir uns in Freud' und Mühe leben,

Da sehn wir unser Schicksal schon erfüllt. —

Wohin ein treuer Mensch auch gehe, die ihn Geliebt, erscheinen ihm auf seinem Wege, Begleiten ihn und sprechen hold mit ihm. Und er erkennt sie nicht.

Er will sie nicht

Erkennen, weil sie todt im Grabe lägen! Und dennoch sind es sie!

Sie sind es selbst.

Denn vorher schon, als sie noch lebten, hatt' er Von ihnen nur ihr Bild in seiner Seele — 7*

100 Und das hat er auch noch; er hat es ganz,

Ja reicher, schöner, rührender in sich. . . .

Und mit der Mutter, die ihr Kind verloren, Nun läuft es an der Mutter Hand! ... Der Mann

Geht mit dem bangen Weibe, seiner Witwe, Ein Stück des Weges, und er tröstet sie; Sie klagt ihm ihre Noth! . . . Und dem verlassenen, Dem Vater mit den einsam-guten Kindern,

Erscheint die Mutter, und sie steht am Wege, Und lächelt seiner Treu', und weint sie an! . . .

Der alte Vater und die alte Mutter Sie sitzen Frohvermählten klar am Bache Im sonnegoldnen Wald, und segnen sie. Sie sind es selbst.

Sie scheiden nimmer ganz. —

Das ist das wahre Geisterreich am Tage, Das Geisterreich in jedes Menschen Brust,

Der treu geliebt, und Liebe treu verdient. Wer nach den glücklichen, den lauten Tagen Des Lebens noch ein Besseres verlangt, Als süße Wehmuth, der verstand es nie!

Und nun die Wehmuth von sich stoßend, stößt er Wie blind sein schön verklärtes Leben weg!

101

Aelterntrost.

Du findest aus den alten Jahren allen

Auch nicht ein Nest mehr auf den Bäumen wo, Nicht in dem Grase, noch aus alten Thürmen —

Das Gras ist hin, die Bäume sind vermorscht,

Die alten Mauern sind vorlängst zerfallen. Du findest von den alten Völkern allen Auch nicht ein HauS mehr, vor dem neuen Regen

Darein zu treten; von den Götterhäusern

Kaum eine Stufe . . . jetzt die Ruhebank. Die Vögelnester waren einst Palläste Der Vögel für den Sommer; die Palläste,

Wie Götterhäuser, waren einst nur Nester Der Menschen, drinnen sie den Lebenssommer

Gewohnt.

Und als sie selbst daraus getragen

Hin in die Erde worden, war ihr Bau Ein überflüssig Werk, das Wind und Wetter Mit Erbenrecht zerstörten und verwehten.

Es langt das Nest, die Vögel großzuziehn,

Es langt der Sommer, daß sie flügge werden;

102 Sie fliegen aus von ihren lieben Aeltern,

Und Jegliches von ihnen dann bedarf Sein eignes Nest für Weib und liebe Kleinen, Die wiederum ihr neues Haus bedürfen.

So können alle Kinder eines Vaters

Und einer Mutter nicht im Hause bleiben — Genug geschah, wenn sie drin groß geworden; Und alle Häuser sind nur Nester, Zelte

Der Menschen auf der immerwährenden Zerstreuung aller Kinder in dem Lande

Der Väter, in dem Reich der Menschenkinder.

Beweinet also ihr, ihr guten Aeltern, Das Haus nicht, das das Nest der Kinder war,

Wenn ihr es ihnen nicht verlassen könnt. Es langt für

sie nicht,

langt nicht für die Enkel!

So mag es stehn; so mag es übergehen

An Andre, wie das nach der Brut noch feste, Bequeme Schwalbennest an Sperlinge, Die königlich-ergötzt draus freudig schreien.

Genug ist das, was uns zum Leben langt;

Denn übrigbleiben soll vom Menschen nichts.

Nichts soll von Völkern übrigbleiben.

Gnug,

Wenn das, was sie besessen, ausgelangt,

Was sie gebaut, was sie mit ihrem Fleiße

Erworben, auf den Aeckern, in den Gärten, Auf Bergen, in den Flüssen, auf dem Meere.

103 Die frühern Völker sind ja nicht die Aeltern Der spätern Menschenkinder, Menschenenkel.

Nur für die eignen Kinder langt mit Fug Die Hand der Aeltern, langt die Mutterliebe,

Des Vaters Segen; oft für Diese kaum. Die besten Aeltern, selbst die mächtigsten, Gleichwie die ärmsten, müssen ihre Kinder

Dereinst für ihre Enkel sorgen lassen,

Die ja der Kinder Kinder sind, und freudig

— Zu ihrem Erdgeschäft — auch für sie sorgen! Denn Sorg' und Liebe, Müh' und Arbeit braucht

Ein jegliches Geschlecht, und die ihm nehmen, Sie ihm unnöthig machen, wär' sein Tod. — So ist denn von den ungeheuern Schätzen Der alten Völker alle Nichts geblieben; Auf daß die neuen Völker neu ihr Leben

Verdienen, sich erbaun nach ihrem Wunsche,

Wie sie bedürfen; daß sie glücklich leben Durch ihre Arbeit in den eignen Tagen.

104

Das Helle Gelächter. O Tochter, höre deinen Vater gern! Er ist der treuste Freund, der beste Mensch

Für dich auf Erden, und dir näher keiner. Nun höre mir ein scheinbar Kleines an,

Doch, bist du frei davon, besitzest du Den höchsten Schatz: ein weises, frommes Herz —

O Tochter, schlage kein Gelächter auf, Das Helle, freche, das abscheuliche

Dem edlen Sinn, dem redlichen Gemüthe. Belachst du einen Dummen, bist du dümmer;

Belachst du einen Schlechten, bist du schlechter; Belachst du einen Weisen, bist du thöricht; Belachst du einen Narren, bist du närrisch; Belachst du einen Armen, bist du schändlich; Belachst du einen Buckligen, verdienst du,

Nicht ein gesundes Glied an dir zu tragen.

Verlachst du einen Tauben, einen Stummen,

Verdienst du, nicht zu hören, nicht zu reden; Verlachst du Blinde, siehst du noch mit Ehren?

Und gellst du sonst noch eine steche Lache,

105 Da glaubt der Menschenfreund, es bricht bei dir

Verborgner Wahnsinn aus; und wirklich ist es

Der größte Wahnsinn: ein verdorbnes Herz Voll Uebermuth, Stolz, Schonungslosigkeit.

Für trunken räth' man dich zu Bett zu bringen! Der Strenge aber spricht: dir thäte Noth,

Noch einmal, und ein bessres Mal geboren

Zu werden, oder lieber gar nicht mehr! Der Mensch allein kann lachen; lachen labt — Der frohe Mensch lacht nur aus treuer Freude;

Doch gellst du herzlos eine freche Lache — Die Ziege ist ehrwürdiger als du,

Der Kuckuk ist ein Engel gegen dich, Lacht er den Frühling an; und lachen Liebe Die Turteltauben bei der Abendröthe —

Sind sie gebildet, aber du bist roh.

Der Geist der Liebe hat ihr Herz gesänftigt,

Gefüllt.

Ein Weiser gegen dich erscheint

Sogar der Stein, der schweigt! Am Menschen zeigt

Das Schweigen Ehrfurcht an vor allem Guten, Den Drang der Sehnsucht nach der Schönheit Fülle;

Drum guter Frauen süß'ste Red' ist Schweigen. Jedoch die frechen Lacherinnen haben Nicht einmal das, was scheinbegnügte Menschen

Sich Bildung heißen, die ein Bild nur sein Und scheinen wollen, wie ein Marmorbild Vom Meisel wohlgestaltet und geglättet.

106 Ein abgethanes, ein erkanntes Wort Ist „Bildung", nur als halbes schädlich ganz.

Den Menschen aber baut der Himmlische Und füllt ihn aus mit seiner schönen Seele.

— Drum, gute Tochter, lache nie die Lache! Und laß sie niemals deine Töchter lachen,

Sie ist dem bösen Weib nur Vorbehalten,

Als bös sie zu erkennen und zu meiden. Doch sieh' mich an, ich glaube gar: du weinst?

Du gutes Herz hast nie ja so gelacht —

Sei mir gesegnet!

Und du wirst es sein,

Wenn jenen thränenwerthen Lacherinnen

Gewisses Unglück naht aus ihrer Seele, Verachtet jetzt, und unbedauert einst.

107

Dir heilige Kraft ju lachen. Vorzeichen sind im Hause dir von Unglück: Zorn, Aerger, Unzufriedenheit und Schweigen,

Gleichwie der Himmel vor Gewittern schweigt. Den Keim des Unglücks nähren sie erst groß,

Sie breiten durch die Ungeduld es aus, Indeß sie selbst schon schwere Uebel sind.

Nur wähne nicht, der Zorn sei ohne Grund, Das Schweigen, Unzufriedenheit und Aerger;

Sie sind die Früchte auch von Andrer Saat,

Und nicht des Herzens Acker ist da schlecht. Denn unzufrieden soll der Mensch ja sein Mit Widerwärtigem und Unvollkommnem. Drum, wenn du schon die Zeichen siehst, die Träger,

Die Leid und Thränen, Schmerz und Krankheit bringen,

Ja Tod und sein Gefolge, ew'ge Trauer — Dann halte dich . . . und halte Alle an

Im Lauf zum Abgrund; mache nüchtern sie Und klar, des Uebels Anlaß auszutilgen,

Ihn wegzuräumen, auszugleichen, gut

108 Zu machen, zu verachten . . . weg zu lach en! Denn dazu hat der Mensch das Lachen auch,

Den bösen Ernst in heitern Sinn zu wandeln,

Nicht nur die Freude aus der Brust zu jagen. Denn mit dem Lachen flammt die Freude weg, Als selbst die Freude und ihr Ausdruck . . . flammt

Der Aerger weg, die Unzufriedenheit,

Der Zorn — und wieder rein ist dir das Haus Mit allen Deinen, wie ihr heitres Herz. Wer lachen kann zu bittrem Erdgeschick,

Der hat den ernsten Weisen übertroffen! Der steht der Freud' am nächsten und den Göttern.

Nur was von Menschen kam, betrübt den Guten. Drum ist das Lachen keine Göttergabe,

Es ist der hohe Muth der Götter selbst.

109

Die Wünsche.

Wie viele Wünsche bleiben unerfüllt!

Gerechte, von der Noth erpreßte, theure Den Menschenherzen, als ihr schönstes Ziel.

Wenn sie den alten lieben Wunsch erreicht, Dann wollen sie zufrieden sein!

Dann möge

Das Leben aus sein! — Und so streben sie, Von einem Traum der Seligkeit getragen, Von einem Traum der Ruhe angehaucht.

Des Tages Werke und die Tage haben Zweifachen Werth für sie: den, was sie sind,

Und was sie ihnen erst bedeuten; doch

Das Leben selbst verliert den Herzen seine

Bedeutung in dem Wandel reicher Jahre, Die ihnen jegliches Erlangliche

Gewähren.

Verlauf,

Einsicht in den wirklichen

des

Lebens

Wahrheit

bannt

die

Wünsche

Und heißt sie in der Tracht des Tages kommen.

110 So kommen sie denn hold als unsre Lieben, Dem Manne als sein Weib und seine Kinder,

Dem Weibe als die Kinder und der Mann,

Auch wenn die Kinder täglich größer wachsen,

Und wenn der Mann auch täglich älter ward. Sie kommen heut zu Abend als der Vollmond

Und als die Morgensonne nach der Nacht, Ja, als die Aepsel auf dem Apfelbaume. O glücklich der, der sein Erlebtes — wünscht!

111

„Mein Gott!" Wie rühmst du hoch in feierlicher Seele

Des Himmels Schönheit und der Erde Pracht, Das unermessne Glück, ein Mensch zu sein. —

Doch wie so rasch verschwindet dieser Schatz Und über wie so Leichtem ist er aus!

Wie du ein Licht verlöschest in der Höhle

Voll augentzückend schöner Zauberbilder, Und Finsterniß fällt über dich und Grauen.

*

*

*

Der Mutter Wiegenfest ist heut.

Ihr Knäbchen

Steigt auf die Felsen, Blumen ihr zu suchen Da droben, wie sie immer sich gelobt, Und an dem Abhang sieht es erst die schönste.

Es langt — es reicht nicht mit gedehntem Arme —

Es streckt sich vor — und stürzt hinunter thurmtief.

112 Zerschmettert liegt es drunten, seine Blume Fest in der Hand — und über ihm am Himmel

Scheint hell die Sonne fort, der Felsen strotzt So fort, die Wolken ziehn so fort, die Vögel Sie singen fort.

Wie wird die Mutter weinen!

Denn über sie fiel Nacht und Finsterniß, Das Wunderbild des Knaben ist hinweg,

Dem Knaben ist die schöne Höhle aus.

Die alte, arbeitsame, arme Frau, Sie möchte gern die Finger blutig spinnen

Zu Brot, zu Holz, zu einem neuen Hemd —

Ihr Todtenhemd, darin sie ruhen will, Das sie sich selbst bescheren will zu Weihnacht; Von allen Ihren blieb nur einsam sie. Den Flachs, den hat sie glücklich sich erbettelt;

Jedoch das Oel wird nicht im Lämpchen langen!

So geht sie in der Abenddämmrung hoffend

Zum Krämer über den gewohnten Steg; Sie ist in ihrer Jugend einst mit ihm

Zur Schule ja gegangen . . . und er borgt ihr Den Kreuzer Oel gewiß! sie wird recht bitten.

Und keinen Pfennig ist sie Jemand schuldig, Denn einem Armen borgt der Arme nur, Die Armen sind die Reichen ohne Schulden.

113 Ihr hat das Herz geklopft.-------- „Er hat geborgt!" Und fröhlich eilt sie über ihren Steg.

Die Thränen sind ihr in die alten Augen Getreten.

„Wie die Menschen doch gut sind!" . . .

Da hat sie fehl getreten — und sie treibt Dahin im Gießbach mit dem Fläschchen Oel —

Sie denkt des ganzen Hemdes, das nun fehlt. .. Sie schämt sich ... sinkt... sie muß das kalte Wasser

Nun trinken, und sie trinkt sich willig satt — Und ist ein armes altes Weib gewesen In dieser Wunderhöhle „Welt" genannt!

Der schöne Abendstern, er scheint so fort, Der ganze Himmel funkelt über ihr, Die Lichter stralen aus den Hüttenfenstern, Die Kinder singen Lieder an dem Herde —

Sie ist dahin zu allen Königinnen.

*

*

*

Das ist der große Schatz: das Menschenleben! Das ist der Sternensaal mit seinen Erden! Das ist die Erde mit dem raschen Schicksal,

Das selbst die Kinder nicht im Spiel verschont, Und nicht das alte Weib in seiner Freude, Neuwaschen in die Grube hin zu gehn,

Neuwaschen einst vor Gottes Aug' zu treten.

8

114 Das ist das Schicksal, das den Ernst nur kennt,

Und Menschen faßt als Menschen, wie der Tod — Doch der auch alle Menschen ruhig macht,

So wie ein Kindchen, das so eben munter Noch auf dem Schooß der Mutter spielet, plötzlich Vom Schlaf gefaßt, sich an die Brust ihr lehnet Und fest entschlafen ist, wenn sie es ansieht

Und ganz erstaunt nur leise spricht: „mein Gott!"

115

Verdiente Gesellschaft. Versammle eine heitere Gesellschaft Dir, die dich einst umgeben soll im Alter.

Dann werden Kinder kommen, die dir danken, Die du vor Schaden, vor Gefahr bewahrt . . .

Dann kommen Jünglinge, die du gelehrt, Den Lebensweg zu gehn; und frohe Jungfraun,

Die du gewarnt, vielleicht mit einem Blick, Mit einem Finger, und ihr Herz erweckt.

Da mögen Freunde kommen, denen du

Der Freund gewesen, bieder, hülfreich, tröstlich. Da mögen deine Schwestern, deine Brüder, Da mag der Vater, mag die Mutter kommen . . .

Der fremde Wandrer, den du nie gesehen, Als jenen Tag, an dem er dein bedurfte.

Da mögen Blütenbäume vor dich treten, Die du gewässert; mögen arme Vögel Geflogen kommen, die du füttertest

In tiefem Schnee... da mag die Schwalbe zwitschern,

Der du am Hause nicht ihr Nest verwehrt . . . Da mögen Lerchen singen, denen du Den Stößer von den Jungen hast verscheucht. 8*

116 Und sie gewiß, sie alle kommen! kommen,

Auch wenn sie längst schon vor dir hingegangen, Nicht Kinder mehr sind, Greise nicht und Wandrer, Nicht Blütenbäume mehr, und Lerchen nicht! Doch zeitig schon, als Kind noch fange an,

Die heitere Gesellschaft dir zu werben, Und immer aufmerksam auf deinem Wege,

Dir sie vergrößernd, ihrer dich zu freuen. Die Freunde deiner Seele sterben nicht, Denn deine Seele selbst ist alle sie,

Und wird sie wiederum aus sich hervor Vor deine Augen zaubern, wenn du einst

Des Lebens denkst, und tiefgerührt der Erde Gedenken mußt — die sie dir alle sandte! Drum ist des guten Menschen Alter nicht

Verlassen, öde, nicht vereinsamt, traurig; Sein kleines Zimmer wird ihm ost zu voll . . .

Er schwebt wie eine Sonne über Tagen . . .

Er fliegt mit Flügeln über weite Lande . . . Er leuchtet über Nächte wie der Mond . . . Er fühlt sein Haupt hoch in die Wolken wachsen. Darin die ganze Welt sich ihm begiebt:

Ihm wird die Brust wie voll von süßem Honig, Und seine Seele wird zu Lerchenliedern.

117

Schonung der Weiblichkeit. Willst du das Weib beglücken und beglückt sein,

So übe Schonung! Duldung, ohne Ende! Sonst weinet sie und härmet sich zu Tode.

Denn was das Weib zeitlebens braucht, um was sie Mit jedem Blick dich ansiehd, das ist Schonung;

Denn ungeschont, da steht sie nackt im Traume Vor allen Geistern und vergeht in Scham.

118

Muth zur Wahrheit,

„Was Ändern heilig ist, das sei dir heilig,

Ein jeder Wahn, die lächerliche Thorheit, Die schädliche sogar — denn schädlich ist

Ein jeder Trug.

So ist den guten Aeltern

Die Puppe ihres kleinen Mädchens heilig

— Die Mutter hebt sie sorgsam Abends auf, —

Das Pferd des Knaben, das den Tag ihn trägt Auf seinen flinken Beinen, und das Heu,

Das er zu Nacht ihm in die Krippe steckt!" So sprichst du, Ungeheures fehlend, selbst

Verbrechend an der Menschheit Weiser wer den,

Wenn du als heilig Wahn und Irrthum schonest!

Den guten Aeltern ist das Pferd nicht heilig Des Knaben, heilig nicht des Mädchens Puppe,

Noch gar die Krippe, noch das Heu, der. Stall — Die Kinder nur sind ihnen heilig, nicht Ihr Spiel, das sie nur dulden, weil sie wissen:

119 Die Kinder werden bald ja Menschen sein,

Sie werden sie belehren, und die Welt, Daß ihren Selbstbetrug sie froh belächeln. Der ist der schändlichste, der schädlichste Der Menschen, wer den Wahn und Irrthum schont. Der schont die Menschen nicht, der ihren Wahn

schont, Des Herzens Fehler und Unwissenheit, Ja ihren Puppen Häuser baut und Hallen; Der greift den Menschen nicht an Herz und Leben,

Wer ihnen Licht und Recht und Wahrheit bringt; Denn ihre Seele sehnt sich selbst danach,

Und war in alte Bande nur verfallen,

Drin aufgewachsen wie der Staar im Bauer. Doch Menschen todten, Lebende verdammen, Um Wahn und Irrthum also auszurotten — Das heißt den Wahn nicht tödten! Denn von Feuer

Und Schwert und Gift stirbt nicht der kleinste Wahn.

Den größten Irrthum löst Verstand und Lehre,

Und haucht ihn aus dem Sinn, wie Wind den Nebel. Scharf unterscheide Wahn und „Menschen!" Schone

Den Menschen, und den Wahn erwürge frei. Wer sich beleidigt fühlt durch sanfte Lehren

Und reines Licht, der ist kein Mensch gewesen, Und würde keiner, wie du kein Mensch wärest,

Wenn du nicht frei ihm sagtest: „Das ist Täuschung!

120 „Ist Lüge! Du Belogner und Betrogner,

„Verlieren sollst du nichts, gewinnen Alles, „Ja selbst den Gott, der Licht und Wahrheit ist."

Drum: Muth zur Wahrheit! und die Lüge berstet,

Die Lügner sterben; die Belognen nicht; Du hemme ihre Hand zur Rach' an allen, Die sie so lang gehemmt an wahrem Menschsein!

Denn unversöhnbar-bittre Feinde werden Getäuschte! zwischen ihren Feinden stürzte

Die Brücke ein, ein tiefer Abgrund trennt sie, Worüber mehr kein Vogel fliegt; zum alten, Verlornen Glauben giebt es keine Rückkehr,

Zur todten, abgelebten Liebe keine!

121

Die drei Weltwunder. Da, wo die Erde noch ist, wie seit Ursprung,

In Mitten Afrika'-, da soll auch noch Der schaudervollste Ort der ganzen Welt sein, Wo man das Unglückseligste noch schaut,

Die gleichsam Tiesst-Betrognen aller Dinge, Die ärmsten drei Weltwunder für die alle, Die kommen, leben, wieder weiter wandeln.

Die Dinge sollen sein: Ein kleines Kind, Das seit der Urwelt um kein Haar gewachsen;

Dann eine unaushörlich-blüh'nde Rose; Zuletzt ein muntrer Greis, der niemals stirbt.

Sie werden vorgezeigt und ernst erklärt Von Priestern, Jegliches in seinem Tempel;

Und alle Mütter, welche je den Tod, Auch noch so frühen Tod von ihren Kindern

Beklagt; und alle Menschen, die Bestand Für ihrer Werke Pracht auf ewig wünschen;

Und alle, die da nicht begreifen konnten, Daß alles sich beschließen müsse, was

Vollkommen sein, ein Ganzes werden soll,

Die ziehn belehrt, entsetzt, verstummt und HeiligeZufrieden weg aus diesem Heiligthum.

122

Die älteste Tochter. Du lebst ein schönes und ein schweres Leben.

Erst, als das einzige, das Erstlingskind Vom Himmel in der Aeltern Haus gesandt, Wirst du dem Engel gleich geliebt.

Im Laufe

Der Zeit, noch selbst ein kleines Jüngferchen, Schon wirst du die verständige Führerin Von deinen kleineren Geschwistern.

Du bist

Ihr Rath, ihr Trost in allem, ihre weise Gespielin, die die ew'gen Kinderspiele

Schon treu gelernt auf Erden; du bist ihnen

Die kleine Mutter, die vertrauliche.

So wie die Gans zum Wasser ihre Gänschen,

Führst du die Kleinen säuberlich zur Schule.

Du lehrst sie beten; zeigest ihnen fromm

Das erste Vogelnest mit lieben Kleinen, Und sagst dazu: „der Vater sagte heimlich:

Das wäre unser Haus, das wären wir!"

Dann hilfst du früh der Mutter, machst die Härchen Den Schwestern und dem Brüderchen den Ball.

123 Die Mutter spricht: Kind, komm, zu sehn den neuen

Weltbürger! . . . Und du siehst die gute Kuh Im Stall an ihrer Krippe stehn, ganz froh

Und mutterstolz; denn neben ihr steht schon Ihr Sohn, das Kalb, und ißt schon Blumen mit, Und sie beschaut euch mit den großen Augen,

Ob ihr es seht? ihr Mutterherz versteht? Da streichelst du den lieben Sohn, und sie Beleckt dir dankbar deine Hand dafür.

Das hilft dir, deiner Mutter Lob verstehn.

Nun wirst du bald Gehülfin eurer Mutter-

Im Haus, im Garten, treu von früh bis spät, Von Lenz bis Herbst, das ganze Jahr hindurch . . .

Durch manche Jahre, manchen stillen Winter; Ihr seid die Engel in dem Menschenhause,

Die Seligen auf Erden bei einander Seid ihr, der Menschen Glück nun euch erstrebend,

Wie nie zuvor, und schöner kaum je nachher! Ihr thut das, was die Sterblichen seit Alters

Da „leben" nennen. — Aber lange nicht

Besteht ein Kreis von Glücklichen; er löst Sich leis'; oft von dem sommergrünen Baume Schon fällt ein gelbes Blatt.

So neigt das Leben

Der Mutter heimlich sich gemach zu Ende. Ach, wie erschrickst du, daß die Liebe Vieler

Nicht Einen vor dem Tod bewahren könne . . . Wie Alles eilt! ... Du wirst die Pflegerin

124 Ihr — und sie nennt dich „meine gute Tochter". Das bricht dir bald das Herz!

Doch Alles muß

Geschehn, was uns das Leben mit sich bringt,

Es muß sogleich geschehn, da gilt kein Aufschub,

Und Alles kann die Liebe, was sonst Niemand, Und Alles thut sie auch, wie Niemand sonst.

Und also drückst du deiner Mutter auch Die Augen zu. — Darauf ist Alles leicht!

Was wäre dann noch einem Kinde schwer Und einem Weibe? nicht ihr eigner Tod.

Du windest ihr die Kränze auf den Sarg,

Indeß die Kleinen zuschaun, oder dir

„Die fehlenden drei Rosen" eilig holen.

Gebüsche Laubwerk von den Eichen bringen Dir, ganz darein versteckt, die Knaben stumm.

Wer weiß da vom Begräbniß seiner Mutter? Denn seiner Mutter heiliges Begräbniß

Vergißt das beste Kind zuerst ... es hat es kaum Gesehn, geglaubt nicht, hat es nur geträumt,

Indeß von Engeln aus der Welt getragen!

Verstand und Güte aber erbt das Haus,

Der Sorgende, der erbt die Müh' und Sorge. So hast du nun das ganze Haus geerbt,

Der Mutter Segen und sogar ihr Grab. Denn du bepflanzest jeden neuen Lenz Der Mutter stille Gruft mit jungen Blumen;

125 Denn

blüht

ein

Grab

schön,

meint

der

Mensch,

der Tod Darunter sei auch schön; und ruhet es In Frieden, ruh' darin der Todte auch

In Frieden. Herzlich bist du so der Sorge

Gewohnt, und du bemutterst deine Schwestern, Den Lieben thust du nicht das kleinste Gute

Hinweg!

Dich freut, was jedes selbst vollendet.

Du nun beschickst den Bruder in der Fremde Mit jeglichem Bedurften, und ein Briefchen

Dazu: „Behalt' uns alle lieb, o Bruder!"

Was lange Tag' und Nächte dir gekostet, Das liegt nun fertig zugeschnürt, so wenig!

Noch in die leeren Räume stopftest du Ihm Nüss' und Aepfel aus dem Vaterhaus,

Die liebe Heimat, eingedenk, zu kosten!

Die Schwestern auszustatten schaffst du Rath; Vom Segen eures Hauses giebst du ihnen Das Beste mit, Gesponnenes, Gebleichtes

Noch von der Mutter Hand, in jener Zeit, Der heil'gen, da ihr alle bei einander

In Frieden saßet, oft spät in der Nacht, Der nah'nden Zukunft arbeitsam gedenkend. Nun kam die Zeit!

Nun scheidet sie auf immer —

Du drückst sie weinend noch einmal an's Herz;

126 Du wirst noch wiederschaffen, was ihr etwa Bedürft; was nicht, das wirst du fromm entbehren —

Denn in die rechten Hände ist's gewandert.

Darauf empfängst du noch den alten Vater

— Der sich noch auslebt und noch alles auölebt — Zur Pflege.

Du umwandelst ihn des Tages

Und du behorchst ihn leise noch des Nachts —

Der eines Morgens doch nicht mehr erwacht. Und eilig schleicht der letzte Morgen her; Und athmet er in Ruh', und seufzt er nicht

Am Morgen? nein, er lächelt dir ... er hält

Dir deine Hand, mit welcher du ihn streichelst,

Drückt dir sie, sieht dich gerne bei ihm stehn, Als für ihn wichtiger, dich noch zu sehen, Und dir noch wichtiger, als jedes andre Geschäft, wie du wirst viele noch nach ihm

Verrichten können, und er bittet: „Bleibe Bei mir!" . . . O wie hoch bist du da beglückt Im wonnigen und schmerzlich bangen Herzen,

Daß auch dies euer letztes Glück dir leise Sich seinem Ende naht.

Denn das bedeutet Die Hand, die dir der Vater still zum Segen

Sanft auf dein Haupt gelegt — und sähe dich

Ein Gott, und liebte, segnete dich nicht?

127 Du Gute folgst dem besten Bräutigam Nicht in sein Haus von deinem Vater weg;

Und wenn er leise fragt: „ob nie? ach, wann?" Da schlägst du deine Augen stumm zur Erde,

Er sieht dir Thränen durch die Wimpern quellen, Und schaubar steht vor ihm die heil'ge Liebe.

128

Das Spiel des Lebens.

Das Kind noch will von gar nichts ein Ergebniß;

Ihm ist ein jedes Spiel das Leben selbst

In höchster Würde, so von größtem Werth.

Und wie die Kinder leben auch die Vögel, Selbst wenn sie spielen „Nesterbaun, und Brüten,

„Und Jungefüttern, über Meere ziehn."

Die goldnen Vögel, die Gestirn' am Himmel, Sie spielen auch nur so ihr kindlich Leben.

Der Jüngling aber will zuletzt von all' Dem Schönen, Süßen, Lieben ein Ergebniß Von seinem Thun, selbst von der schönen Jungfrau.

Sein Leib, sein Leben, alles soll ihm fruchten

Zum festlich-ordentlichen Spiel des Lebens,

Wie alle Menschen vor ihm es gespielt, Sonst graut zuletzt die süß'ste Lust ihn an; Genuß ist hohl, und Wünsche thun es nicht —

Des Lebens tiefer Geist hat ihn gefaßt, Der Ewigheitre, über Welten hohe.

Nun strebend wohnt der Mann in seinen Tiefen,

Und thut die höchsten Wunder aller Welt

129 Verborgen in der Zeit und in dem Raume,

Unfaßbar-große — doch ihm herzens-klare! Doch vom Genuß wird auch die Seele satt, Das Leben zehrt wie eine Frucht sich auf,

Es spielt sich aus, wie jedes andre Spiel — Was ihm erfüllt ist, wirft er hinter sich In die Vergangenheit, die stille Kammer-

Voll — Nichts, nicht einmal Staub und Spinngewebe.

Ganz leise wird das Leben unbedeutend . . . Und wieder müssig, ohne recht Geschäft,

Als abgesetzte Könige der Welt,

Dann gehn die Menschen nm, wie fremde GeisterIm eignen Hause.

Müde sehn die Alten

Den Kinderspielen zu, davon ganz ernstlich

Begnügt, in ihre Kinderzeit versunken, — Die Nichts als ihre Kinderseele war —

Wo „Weinen und Begraben" nur ein Spiel war;

Und Weinen und Begraben sind nun wieder Ein Kinderspiel, gespielt von großen Leuten, Und schön dazu geblasen und gesungen, Daß selbst die Vögel unterdessen schweigen.

Und ist der Zug vorbei, da spielt der Greis, Der Welt vergessen, eifrig mit den Kindern. Das ist die Vorbereitung auf den Himmel,

Die heilige Verborgenheit und Stille.

Und jedem Menschen scheint zuletzt erlaubt, Die Welt als Ernst recht herzlich satt zu haben; 9

130 Die ewigen Verwandlungen, das Wachsen

Der Kinder, all' die Herbste, die Verluste, Sie dringen sich dem Menschen auf als Spiel, Den Trauernden sogar, um wie viel mehr Den Heitern und Beglückten, welche zeitlos

Und sanft auf wellenweichen Tagen schiffen.

„Verzeiht das Spiel, und seht es günstig an; „Es soll euch Keinem zur Ermüdung dauern!"

So ruft die Sonne früh vom Himmel aus, Vor Freude stralend.

Und die Sterne rufen

In großem Chor zu Nacht: „Verzeiht das Spiel!

„Wir mühen uns für euch, das Leben wagend, „In Lüften tanzend schwere Reigen, spielend.

„Wer weint, — der ist noch nicht einmal ein Kind! „Wer lacht, hat uns verstanden; und wer schläft,

„Auch Diesem spielen wir geduldig fort — „Er könnt' erwachen! . . . Einer könnte wach sein!

„Fehlt nicht! Wir fehlen nie. — Verzeiht das Spiel."

*

* *

Die Spiele spielt das Kind mit heil'gem Ernst, Mit Eifer, alle seine Kraft dran setzend, Nicht Kleider, Glieder, Leib und Leben schonend.

Sie spielen Jagd, sie spielen Krieg, Erstürmen

Der Burgen, spielen Kirchenbauen, Läuten,

131 Und singen, beten, und zu Grabe gehn;

Sie spielen Schule halten, predigen, Schulmeister, Pfarrherrn, Blinde, Taube, Lahme;

Sie spielen Aerzte, ja sie spielen Todte

Und Thiere-sein, ja Glocken, Bäum' und Steine;

Sie spielen Himmel, Höll' und Weltgericht, Und Auferstehung — bis sie nichts mehr wissen,

Bis Alles sich in Einen Wirrwarr löst, Der draußen fortsaust als die schöne Welt, Wenn sie, zu Nacht nach Haus gerufen, schlafen.

Die Spiele spielen die Erwachsenen Mit Ehren, Ordnung, Kunst und größten Opfern.

O hielten Menschen erst ihr Erdenleben Für nur so hehr und wichtig, wie die Kinder

Ihr Spiel, das oft sie zur Verzweiflung bringt; Nicht für ein sinnlos nichtiges Gewirr, Wie's eben will gerathen oder enden — Und sie verwandelten die Welt zum Tempel!

Zu Priestern und zu Göttern sich — wie Kinder. Erst wem das Leben schöne Dichtung ist, Dem wird die Welt und wird der Mensch gefallen,

Ja süß ergötzen — eher keinen Tag.

132

Der Bettler und die Maus. Nichts nützlicher, als jene Einbildung Der Menschen all': ein Herr zu sein worüber; Da über Menschen, über Wald und Fluß

Und Berg, ja über einen Hund, ein Roß, Ein Lamm nur, und den Vogel im Gebauer. Durch jenen Wahn, als Herr sie zu besitzen,

Fühlt sich der Mensch als Vater oder Mutter

Der Wesen und der Dinge, übernimmt Die Sorge stolz für sie; er wird zum Vogt

Der Erde, und sie dreie habens wohl.

Doch sieh, es bleiben in der Menschen Hand Das Kind, das Roß, das Lamm und Feld und Berg

Unsichtbar, aber mächtig ganz allein

Nur in der Hand der heiligen Natur,

Und nichts besitzt der Mensch an seinen Gütern, Als seinen Kinderstolz, ein reges Herz

Und den Gebrauch der Dinge, die er sein nennt. Denn sie vergehn ihm unter seinen Händen . . . Er selber muß von ihnen bald von dannen.

133 Dann leben sie ihr eignes Leben weiter, Gleichwie die Berge stehn, die Flüsse rauschen,

Die Sonnen ziehn und Nachts die Sterne wandeln. Daß zum Gebrauch die Dinge einem Herrn

So anvertraut sind, also wie die Kinder Von der Natur der Mutter und dem Vater, Das hat ihm keinen — als des Lebens Werth,

Als daß er für sie sorgt zu seiner Freude, Und zu der Dinge eignem Wohlergehn; Sei das des Menschen Weib und Kind und Lamm,

Sein Hund, der Obstbaum, all' die frohen Halme Des wohlbestellten Ackers, und die Fische

Im Teiche und die Bäume seines Waldes,

Ja selbst die Rosen seines Blumengartens.

Ein schlechter Herr ist der, in dessen Obhut Sein eingebildet Eigenthum verkümmert: Der Mensch, das Kind, der Born, das Haus, das Land ;

Er träumt den Traum, „einHerr zu sein", nicht herzlich— Und Herzensohnmacht ist des Volkes Elend,

Und Land- und Geldgier macht zu rohen Herrn, Gewalt und Eigendünkel reißt zum Wahnsinn, Selbst Eseln seinen Kopf noch auszusetzen

Und Menschen nur als arme Schafe brauchen Zu wollen; denn geschehn doch wird das nie. Indeß ein Bettler ist noch treu ein Vater

Der Maus und streut ihr redlich alle Krumen

134

Aus seinem Bettelsack.

Dem Bettler gleiche

An Herrgesühl! ... Er könnte sie ermorden — Er aber fühlt: er ist ihr Herr und Vater,

Sie ist die letzte Freundin ihm, sein Kind. So thu'! ... und wären deine Mäuse — „Menschen!"

Und hätt' er Gold genug statt armer Krumen, Er schüttete sie aus die armen Leute,

Reich wie die Wolke Regen auf die Flur;

Er ließe Jeden leben, wie ihm wo.hl ist,

Und ließe ihn in seinem Haupte herrschen, Wie seine Maus in ihrem Mäuseloch. — So ist's nicht menschlich blos, so ist es göttlich.

135

Die beste Meinung. Du willst nicht deinen Lebenstag voll Leid, Du willst ihn ruhig, glücklich, als ein Mensch; Doch darum ohne jenen Wandel nicht,

Den dir der Erde Jahreszeiten bringen . . .

Den Wechsel deiner Lebensjahreszeiten. Denn darin nur erkennst du Menschenleben, Daß du geboren wardst, ein Kind, ein Jüngling,

Ein Mann, ein Greis bist, und dann wieder stirbst, Und wie zuvor einst ungedacht, so nachher

Gleich-unbekannt bist aus der alten Erde, Die vor der Unzahl ihrer Wesen aller

Da über Keines Rechnung führt und Merk, Was nur ihr großes Kind, der Mensch, versucht:

Ein kurzes Tagebuch von seiner Wanderung Zu führen — ohne Anfang, ohne Ende, Und Jahreszahlen sich erdenkt und Feste,

Indeß es heilig wie die Bienen , lebt Und wie die seligen Blumen auf den Wiesen.

136 Nun schiltst bn mich: ich nenne Alles gut;

Ich sag': „ich würde nicht von Regen naß, „Nicht kalt von Frost, nicht müde von der Arbeit, ,,Jch weine über Keins der mir Gestorbnen,

„Ich halte Jedes Leben schon für gut, „Die Erde schon für menschlich eingerichtet." Ich meine: „diese Welt sei ganz vollkommen,

„Kein Gräschen zuzuthun, kein Stern da droben „Hinwegzunehmen, nicht ein Wolf zu bessern,

„Je einer Wolke Zug nur zu verändern."

Nun halte du das, wie du willst, wie das Dein blöder oder klarer Geist gebietet. Doch meine „beste Meinung" von der Welt Ist nur die beste von dem Menschenherzen,

Und von des Menschen Kraft, er selbst zu sein.

Der Topf ist gut, der Feuer hält und Wasser. Ja, wäre wirklich diese Welt die schlechte, Die schlechteste, die Ordnung all' ein Greuel,

Und dieses eine große ganze All — Und müßt' es jedem Wesen nicht genügen,

Ihm Leben, Tod und Freud' und Leid zu sein;

Ja, stimmte auch ein Hauch nur nicht mit ihm, Und wäre Menschenwissen, Kunst und Streben

Nur aus dem Nichts her . . . wäre nicht die Frucht Und die Erfüllung eben dieses All's —

Dann hätt' ich erst recht heilig-köstlich Recht, Das feste, hohe Menschenwort zu sagen:

137 „Und wär' die Welt noch tausendmale schlechter,

„Das Leben tausendmal noch unvollkommner, „Bon noch mehr Elend, Leid und Schmach beladen,

„Da stieg' Ich erst zu tausendfachem Werth —

„Da ist die Welt gut, wo Ich gut sein kann,

„Nur gut sein will; schon gut ist guter Wille; „Selbst in der Hölle wär' ich dann ein Halbgott. „Der Mensch ist stets nur gut aus seiner Kraft!

„Sie ist der Mensch geworden, Er ist sie nur!" Besäß' dich eine andre „beste Meinung", Verkenntest du den einz'gen Menschenwerth,

So bitt' ich: Tritt aus meine Seite, bleibe

Bei mir! du freust dich sonst des Lebens nie,

Es wäre denn, dich freute, Zorn und Fluch

Im reinen Menschenherzen dir zu füttern Mit unerkannt dir schauderhaften Dingen!

Der Frieden in dir ist die Freud' an allen,

Den williges Erkennen süß dir nährt.

138

Der Schlußstein. Das Kleinste gleich dem Größten redlich thun

Nach Wissen und Gewissen und Verstand — Mehr können alle Lehrer uns nicht lehren, So viel' auf allen Sternen Weisheit schreien, Geschrieen haben und noch schreien werden.

Das ist die Zeit und ist die Ewigkeit;

Das ist: von Furcht der Strafe und von Hoffnung Des Lohnes frei sein, ist die ganze Welt Sammt aller Herrlichkeit in seinem Herzen.

Denn nirgend war sie mehr, nie wird sie mehr;

Und nur das Eine überbietet sie: Sich in den Tod hinlegen rein und froh.

139

Liebe dich selbst. Es kommt darauf nicht an, daß Jemand lebe, Nur daß er rein und gutbewußt sich fühle.

Wer ewige Gesetze frech beleidigt, Der wäre besser nicht da, als sie leidend; Dem nutzt es nicht, zu hohen Jahren kommen,

Denn länger schleppt er doch nur seine Last. Dem Bösen nutzt es, früh die Welt verlassen.

Und erben Weib' und Kinder von ihm Schätze —

Wie können sie ihn redlich da beweinen, Als einen heimlich doch Verachteten . . . Aus frommem Sinn nur stumm Bedauerten,

Daß er der Menschen würdig nicht gelebt,

Viel eher des Gerichts, der Strafe werth,

Als einer Thräne, die ihn selig preiset, Wenn er nun dennoch nackt zur Grube fährt.

Drum: Von den Seinen selig einst gepriesen Zu werden, deutet auf ein selig Leben, Auf einen sanften Tod, auf Ruh' im Grabe,

Und Frieden in „der Nachgelassnen" Brust.

140

O du, verdiene Dir und Ihnen Ruh' Und Frieden, Gnüg' und Treue, Lieb' und Segen!

Wenn du dich selbst liebst, liebst du auch die Deinen,

Und um der Deinen willen bist du redlich Und freundlich, treu und willig gegen Andre; Denn so nur liebst du wahrhaft treu dich selbst.

141

Das Ewige.

Wer heute schön ist, den bewundre heut, Den Mann, das Weib, die Rose und die Wolke;

Die Schönheit ziehet langsam wie die Sonne

Am Himmel hin — doch zieht sie bald vorüber. Wer heute mächtig ist, dem beug' dich nicht,

Denn Macht

ist

flüchtig,

mit

dem

schen hin.

Wer heute weise ist; den ehre hoch,

Denn in ihm lebt der ewige Verstand; Im Guten ehrest du die ew'ge Güte,

Die ew'ge Liebe in dem Liebenden.

Men­

142

Die Welt des Menschen. Für wen, für wen in aller Ewigkeit

Gedenkt wohl der zu leben, der nicht ganz Für seinen Gatten und die Kinder lebt?

Der nicht die Sonne würdigt anzuschaun, Die Sterne kalt vorüberflimmern läßt,

Wie Kinder, die mit kleinen Lichtern gaukeln.

Was wird ihn freuen, freut der Tag ihn nicht,

Der Frühling und die Blumen und der Herbst, Der reisen Früchte Duft, die letzte Nuß! Wen will er laben, labt er nicht den Wandrer,

Der heut, der jetzt zu seiner Hütte kommt? Wem wohlthun, wenn dem Bettler nicht, der leis

Mit magerm Knöchel an die Thür' ihm klopft? . . .

Den armen Kindern, die mit feiner Stimme

Im Hausflur betend stehn — daß Götter weinten! Wer soll sich jemals seiner freuen, freuen

Sich seiner nicht die Menschen um ihn her? Denn war ein Mensch den Seinen nichts, so war er

Sich nichts. Wer Mensch sich ist, ist Andern theuer.

143

Die Freiheit. Wie viel gelitten hast du schon, o Menschheit, Du arme Menschheit, aus der Wanderschaft

Hin über diese Erde bis ins Grab!

Wie viel gelitten von den Elementen, Den Wettern, Stürmen und den Wasserfluten,

Von Feuer aus dem Boden unter dir, Von Steinen über dir, herabgeschleudert

Vom Himmel; von der kranken Erde Beben,

Von Brand der Sonne und von grimmer Kälte, Und von der Erde alter Pest, dem Tode —

Wie viel gelitten hast du! Doch wie viel

Auch hast du schon besiegt! . . . und wich das Uebel Nicht von dir, bettetest du dich im Grabe,

Dem sichern Zufluchtsort von Anbeginn,

Dem schaurigen, der nichts als Ruhe giebt; Doch nimmer dein ersehntes schönes Leben

Auf Erden, deren altes Kind du bist.

Wie viele deiner Feinde sind vertilgt —

144 Du hast sie ausgetilgt, die wilden Thiere, Die wilden Menschen.

Denn die größten Feinde

Der Menschen sind allein die bösen Menschen, Die sich nur lieben, sich nur Freiheit wollen,

Für sich nur Reichthum und für sich nur Wohlsein —;

Doch nicht aus Bosheit, nur aus tiefer Blindheit, In allen Menschen um sich her den Menschen

Nicht auch zu sehn! — Das ist die Leidenschaft, Die, Herz und Sinn umnebelt, ganz welt-einsam,

Sich selbst nur fühlt, doch Andre schwer verletzend Sich elend macht.

Nun, sie auch haben sich

Zu Tod gewüthet und zu Tod geraset — Die Pharaonen-Sorten . . . Alexander . . .

Der Volksbestehler Cäsar . . . und der feige Augustus, dessen Wuth nur Lächeln war,

Sogar nur Sanstmuth, ja Gerechtigkeit,

Verbriefte Freiheit — alles: um zu herrschen! Sie alle sind, verwünscht, hinabgefahren,

Sie alle sind, zum wenigsten — gestorben,

Und liegen als Gerippe in den Gräbern! So wälzten sich die Völker durch Jahrhundert'

Nach ihrem Himmel — bis ans Herz im Elend; Denn immer standen neue Feinde auf. Und immer stehn noch neue Feinde auf Mit andrer Zeit; so wie aus andrem Frühling

Ganz neue, eigene Gewitter steigen

145 Und andre Blitze zischen, die die neuen Gebäu' zerschmettern, und die neuen Schloßen,

Die neue Saat verhageln. Also soll

Des Menschen Leben sein auf dieser Erde; Es soll ein ew'ger Kampf der Guten sein Mit allen Bösen, und ein steter Sieg.

Die Grausamkeit der Anderen erzeugt Erst recht Barmherzigkeit in bessern Menschen;

Die Ungerechtigkeit erzeugt erst lebhaft Gerechtigkeitsgefühl in jeder Brust;

Die Unterdrückung wirkt erst recht die Freiheit Im Sklaven, der auf seinem Strohe weint

In Ketten, die er Nachts dem Himmel zeigt.

Des Menschen Güter sind nur innre Güter, Und diese sind viel tausendmale höher Und werther, als die äußern Gaben alle,

Die ihnen auch der beste Thor nur schenkte. Der Mensch soll alles selber sich erwerben,

Sich alles selbst verdienen.

Und verdient er'ö,

Ist er desselben werth: dann mehr besitzt er's,

Wie Götter ihren Himmel nie besäßen! Und also würdig wird der Mensch auf Erden

In allen Hütten jedes Gut sich schaffen,

Dies heut, und jenes morgen; aber alle Gewiß, gewiß — wenn er es nöthig findet.

10

146 Jedoch das Höchste ist die Sittlichkeit.

So weit nur frei sein soll der Mensch, so weit Er sittlich bleiben kann.

Was da ihm bleibt,

Das soll er ordnen nach der Freiheit.

Freiheit

Erst ordnet himmlisch sich und alles Gleiche. Die „allerhöchste" Ordnung unter Sklaven . . .

Der Frieden und das Wohlsein unter Sklaven Sind wahren Menschen Abscheu, sind die Hölle!

Doch Sittlichkeit ist nicht der Freiheit Grenze

Nur etwa, nein! sie ist die ganze Freiheit, Ihr Wesen, Inhalt, und ihr volles Leben!

Drum stößt sie alle Falschheit, alles Unrecht

Und alle Tyrannei mit Abscheu aus, Und schließt ein jedes Wahre, Rechte, Schöne Und jedes herzliche Bedürfniß ein, Sie giebt ihm Geltung, Leben und Gestalt. Drum ist die Freiheit froh des Todes werth,

Denn Dasein ohne sie ist bittre Schmach

Und tiefstes Elend, tiefer als das Grab.

Die Worte werden alle Völker richten Und aller Schicksal eisenfest bestimmen:

Wer frei sein will, der sei zuerst ein Mensch.

Nur also wird er gleich dem Göttlichen Und ordnenbar und stark, so stark wie Alle.

Unfreie Menschen haben nur Gelüste,

147 Der freie Mensch allein hat einen Willen;

Denn nur der Freie ist der Sittliche, Der Gute, und das Gute ist der Gott. So sind die freien Menschen denn erst Menschen.

Wer frei sich macht, der wird gesegnet sein! Der fürchtet nicht Tyrannen, nicht den Tod; Und wer das nicht thut, sei er, wer er wolle,

Der wird zergehn, verwehn wie Spreu im Winde,

Heut oder morgen, aber ganz gewiß.

148

Das Träumen.

Dein Träumen auch ist treuer Sorge werth!

Dir wichtig, lehrreich, froh und schön zu sein, Nicht blos ein Blocksbergs-Tanz verworrner Geister, Kein Leuchten faulen Holzes in der Nacht.

Aus reiner Quelle steigt kein giftiger Nebel, Aus reinem Blut nicht Angst und Wuth und Mord,

Aus reinem Leben keine Reu' und Qual, Nein: Blumen! Rosen und Vergißmeinnicht; Weltmärchen da erzählen sich die Geister

In stiller Freude — und Dir Schlafendem!

So hat der gute Mensch des Lebens Vorbild Und Nachgesang in seiner Seele Macht.

Und weiß dann auch der Schläfer wach am Morgen

Nichts mehr davon, was er im Schlaf gewesen, Was ihm da hold geschehn, er hold gethan

Im stillen Reich des Schlummers; wußt' er selbst nicht

Da drunten: daß er droben in der Welt

149 Ein Mensch sei . . . daß er einen Namen trage, Und daß ihn jemand liebe — o so ist doch

Ein Jemand — ja ein göttergleicher Geist Der seligen Natur: ein Seliger

Gewesen, der sich hell und süß empfand;

Und mehr wie Jemand sind wir alle nicht, Und mehr wie Jemand ist sogar kein Geist, Der sich in sich in stiller Nacht erkennt;

Und mehr als selig-still gewesen sein

Hier im geheimen unerforschten Reiche, In das er nimmermehr je wiederkehrt: Mehr kann der wache klar-bewußte Mensch

Auf schöner Erde unter blauem Himmel

Auch nicht verlangen von dem Wachen Leben;

Mehr kann der Sterbende, mehr kann der Todte

Auch nicht verlangen, hoffen und erlangen. Drum lerne ja der Mensch durch schönesLeben Am Tag: des Nachts schön träumen! und er

schafft

Sich sein Verweilen in derWelt noch einmal So lang, und noch einmal so süß und lieblich Blos durch ein reines treues Kinderherz.

150

Der kennt das Unglück nicht, der es noch fürchtet.

Du Guter, dem sein Weib nun sterben wird,

Du preisest mich — aus Furcht und Angst — beglückt, Daß ich den Tod der Meinen überstanden! Nun ja, ich habe wohl dabei gestanden,

Bei ihrem Tod bin ich lebendig blieben . . . Ich konnte noch zu Grabe mit ihr gehn . . . Ich lebe heute noch nach sieben Jahren.

Doch irrst du traurig, und du wirst cs sehn,

Nicht mit dem Blitzschlag und dem Donnerrollen Ist auch der Brand des Hauses überstanden;

Mit deines Weibes Tode geht der Gram

Erst an! die Einsamkeit beginnt! die Krankheit Des Herzens ist für immer ausgebrochen.

Selbst deines Weibes Sterben und Begraben Ist niemals überstanden — ihr Verlust

Währt fort, ja schwerer wird er Tag für Tag Und Nacht für Nacht empfunden bis zuletzt: Und darum kehrst du stets in jene Stunde

151 Zurück, wo sie dir starb, und immer wieder Hörst du den Todtcnstrom vom Felsen stürzen,

Und wo du wandelst, dröhnt er dumpf dir nach. Die Augen haben ein getreu Gedächtniß,

Die Ohren wissen von Vergessen nichts — Und fällt dir dann ein, daß du mich beneidet,

Da hüte dich vor bittrem Reugelächter! Der Neid auf Menschen wird vor Nacht oft Mitleid Umsonst, voraus das Unglück sich zu denken,

Wenn in der Ferne wild Gewitter tosen, Wenn Feuer aufgeht und die Nacht durchleuchtet —

Das alles bleibt so stumm dir wie ein Bild. Ganz was ein Blitzschlag ist, erfährst du erst, Wenn er ins Haus dir schlägt! Und was der Tod ist,

Erfährst du, wenn er dir dein Liebstes hinstreckt — Dann bist du ein Gelehrter dieser Welt.

152

Weltschmerz Wohl dem, der im Verlorenen Das Göttliche erblickt!

Du sprichst von Weltschmerz.

Aber unterscheide:

Dir an der Welt erholten Schmerz, und sondre

Den Schmerz noch ab, den uns der Weltlauf bringt. Die ganze Welt hat seit der Ewigkeit

Noch nicht den kleinsten Schmerz gefühlt, selbst nicht

So wie ein Kind nur um ein Kinderzähnchen; Die Sterne wehen stumm am Himmel hin Schmerzlos wie glüh'nde Schmiedeeisen-Funken; Sie Sonne weiß von keiner Müdigkeit;

Der Mond, der Kahlkopf, hat zur Mitternacht

Vor Kälte keine Mütze noch vermißt;

Das Meer im Sturm hat seine Lust zu wogen; Stets fröhlich pfeift der Wind im Feld sein Stückchen; Schmerzlos gebiert die Erde ihre Blumen,

Und keine Wolke weinte je um Menschen,

Die Sonn' um keinen Regenbogen.

Alle,

Sie alle sind Schlafwandler, selige,

Die still hinwandeln voller Wonnekraft. Sie haben keinen Schmerz, und machen keinen —

153 So segne, wie dein schlafend Kind, die Welt! Die Menschen nur und alles, was da lebt,

Sie fühlen Lebensschmerz, wenn ihnen nicht

Das Leben treu verläuft nach heil'ger Ordnung. So rauscht der Wiesenbach nur über Steine

In seinem Bett; sonst rinnt er still und lieblich. Doch wer dem Menschen Klag' und Thränen nähme,

Nähm' ihm die Sehnsucht nach dem rechten Leben Und mit ihr auch die Kraft: es sich zu schaffen.

Nur „ein Indeß" ist Leid und Klag' und Thräne. Und weint der Glücklichste und Weiseste Auch um den glücklichsten gestorbnen Lieben, So sind das heil'ge Thränen der Bewundrung

Des heil'gen Alls, des Gottes ew'gen Lebens,

Der, selber unsichtbar, in wundervollen Gestalten schön und wunderbar erscheint,

Und wunderbar verschwindet aus der Sonne Nach frohem, königlich gelebtem Leben.

Verschwinden ist Verklärung.

Die Geliebten

Beweinen aber, ist sie seligsprechen,

Sich selber aber heilig.

Und das kann

Allein die alte hohe Götterseele, Die unaufhörlich auferstanden ist

Und stets sich wiedersieht im Weltenspiegel. Du sprichst von Weltschmerz? —sprich: Weltseligkcit!

Nur wer von Gott sich unterscheidet, — leidet.

154

Bestimmung ist Nothwendigkeit.

Wenn dir das Glück des Lebens fehlgeschlagen Trotz Müh' und Redlichkeit; wenn du auf immer Den armen Leuten zugesellt geblieben — Und bist du fromm und weise, sprich doch niemals:

„Es hat nicht sollen sein, was ich gestrebt,

„Und was gekommen, das hat kommen sollen."

Der war' ein Schrecklicher, der dumpf voraus Bestimmte: „Dieses Gute soll nicht sein!

„Und Jener soll Kameele-Lasten tragen!" Du thust ihm keine Ehre damit an; Denn bloße Macht verdient noch keine Achtung;

Und Einem Macht vcrleihn, der starr sie mißbraucht, Das fordert statt Verehrung gar Verachtung.

Die höchste Willkür ist erst schändlicher,

Als je „das Schicksal" alter Heiden war. Sprich also wahr: „Das hat nicht können sein;

„Und was gekommen, das hat kommen müssen."

Das ist die Einsicht, die mit Recht beruhigt In diesem großen Reich der freien Kräfte,

155 Auf deren jeder Wirkung Segen ruht Und herzliche Bescheidung für den Weisen.

Rings um dich und im menschlichen Geschlecht

Muß alles das geschehen, was da kann; Kann alles das geschehen, was da muß: Dies Gute Jenem, jenes Neble Diesem. Das ist die große Eigenschaft der Welt,

Das ist die heil'ge Macht, die Keinen, drückend, Im voraus blind zum Untergang bestimmt;

Die, Keinem einen Vorzug schenkend, ihn Aus Gnadenwillkür reich und glücklich machte.

Ein edler Sinn ist über alle Gnade, Ein gut Gemüth ist über alles Glück.

Denn daß das All mit seinem Geist ist, das ist Nicht Gnade, nicht von ihm, noch einem Andern. So lebt denn Alles auf sein eignes Recht.

156

Der stille allgemeine Krieg. Die Welt ist selbst der ew'ge Krieg, der stille,

Der allgemeine, nimmerruhende Der Elemente, Geister, Kräfte, Willen rings In allen Häusern, Städten und in Neichen. Kommt dieser heil'ge stille Krieg in Stocken

Wie ein gestauter Strom — dann bricht der laute,

Der kleine Krieg mit Stahl und Eisen aus

— Ein rollendes Gewitter durch den Frühling — Dem großen Kriege wieder Bahn zu machen, Dem segenbringenden, zum Heil der Menschen,

So Nacht wie Tag von früh bis spät geführt, Wo dumme Gcisterleichen, Wahn und Irrthum Nur fallen, schweigend froh zur Gruft gebracht

Von hohen aber ernst bescheidnen Siegern. —

Bei Thoren bringt das Blutvergießen Ruhm, „Sein Leben opfern" heißt da götterhaft;

Doch nichts gewonnen wird durch Sklavenmachen. Nur wer da wilde Schaaren rasch besiegt, Wer Ruh' und Freiheit zu dem großen Kriege

Der Menschheit wiederum dem Volk ersiegt

157 Und lehrreich umgeht mit den Ueberwundnen, Der ist ein Held im großen Sinn der Erde

Des blühenden Olivenkranzes werth, Geflochten von den Müttern und den Iungfraun,

Ihm auf das Haupt gesetzt von guten Fürsten!

Dem danken Weise, Künstler, alles Volk Das freie Wirken in dem stillen Kriege, Der schläft im Tode als ein Menschenfreund

Und bleibt der Nachwelt noch in Ruhm und Segen.

158

Zu spätes Glück. Laß deinen Freund, laß deine Freundin sterben . . .

Dann möge in den Tagen sich erfüllen, Was sie bei ihrer Lebenszeit gewünscht

Für dich, für sich, ein Schönes und ein Gutes:

Der lang vermißte Sohn kehrt aus der Ferne — Die kleine Tochter steht als große Jungfrau

Nun vor dem Traualtar beglückt — ja nur Der Apfelbaum, der große, der noch nie

Getragen, stehet voller Früchte — siehe,

Dann wirst du weinen über solches Glück, Das, statt zu Lust, zu bittrem Schmerze wird,

Zu leisem Hohn, zu Spott und stillem Vorwurf. Dann wirst du sehn, woher die Sage stammt: „Die Todten schaun vom Himmel auf uns nieder; „Sie freuen sich an unsrer Freude, sie

„Betrüben sich bei unsrem Schmerz." — Du wirst Zum klaren Sternenhimmel sehnend schaun Und deine Augen seufzend niederschlagen. Dann wirst du tief empfinden: Das allein

159 Ist Glück, was unsre Lieben mitgenießen;

Und alles das ist keins, was sie nicht theilen, Nicht wissen.

Und das Alles, was sie mit uns

Auch leiden, ist kein Schmerz; es einigt nur Noch unsre Seelen inniger und süßer.

Und das auch wirst du lernen: Thu' in Zeiten, Was deine Lieben freut, damit es noch

Dir Freude sei! Die Blumen aus dem Grabe Der Todten duften bitter, sind es auch Die vollsten schönsten Rosen. — Und noch Eins: Die Zeit ist kurz, wo wir die Unsern haben;

Denn wie die Nachtigal ihr Lied ost Plötzlich Abbricht, o so verstummt uns rasch das Leben, Und alle Freude wird zu stillem Leid.

160

ZU spätes Unglück.

O Mensch, der du dein Liebstes hast verloren,

Du wirst nun weiter nicht mehr glücklich sein; Du mußt vom Schatz der frohen Jahre zehren.

Doch fasse auch den sichern Trost: Du wirst

Auch

weiter

nicht

unglücklich.

Nach

dem

Liebsten

Verblaßt das andre Werthe nur zu Schatten. Was auch noch weiter dir entrissen würde,

Reißt dir das Herz nicht aus. Du wirst nur lächeln,

So wie die Mutter, der ihr Kind verbräunt,

Sein buntes Spielzeug auch als Kohlen findet. Du bist gefeit; nichts kann dir mehr geschehen. Der Himmel und die Erde und die Menschen,

Sie haben über dich die Macht verloren;

Dir giebt es keine Götter mehr, kein Schicksal; Dir sind sie todt.

Dein freier Herr bist du

In dieser Welt, so groß du dich noch fühlest,

So reich, als vollen Erben deiner Liebe. Dir schadet nichts mehr, weil es deine Lieben Nicht mehr betrübt, in Angst um dich nicht stürzt.

161

Was einem Menschen, ihm allein geschieht, Das achtet er nicht groß; er findet damit Sich duldsam ab, zum heiligen Beweise, Der Gute lebt zumeist für seine Lieben: Was sie nicht mittrifst, hat ihn selbst verfehlt. Nun, werde alt — du wirst es nicht beklagen . . . Nun, werde krank — du legst dich friedvoll hin. . . Verliere Hab' und Gut — du gehest betteln, Du legst dich stumm und sanft zum Tode hin . . . Und selbst das Grab, das alle Menschen schreckt, Ist dir zum wahren Ruhebett geworden, Die schöne Welt ein sattgeschautes Bild. Und wollt' ein Böser noch „dem Unglück" rathen, Wie erst recht bitterweh es Menschen thäte, So müßt' er ihm den Rath ertheilen: „Komme „Bei Zeit, wenn seine Lieben ihm noch leben. „Nachher verlacht er dich und schweigt; ja dankt wohl „Dir gar, daß du zu spät für sie gekommen."

162

Die endlose Auferstehung; oder

das vergessen.

„Vergessen", welch ein bang gefürchtet Wort, — So bang, als unser ganzes Leben schön war —

Und ist geschehend und geschehn doch Nichts, Ohn' alle Mühe; und was alles lebt

Kann Alles ohne Schaden leicht vergessen.

Vergessnes rührt nicht eine Seele mehr, Vergesser sind die seligsten Verlierer. Vergissest du nicht jede Nacht die Deinen?

Die Sonne und den Tag und Freud' und Leid,

Die Sterne draußen und den stillen Mond! Die Mutter selbst vergißt ihr Kind am Busen, Ja, gar so süß noch, angenehm und lächelnd!

Mehr braucht der Tod als Zeugniß nicht zu bringen:

Daß Er und alle Vorwelt Nichts sei, Nichts.

163 Die da in eines Jeden Brust genossnen Gefühle sind genossen; die Gedanken Gedacht; die Schmerzen in den großen Abgrund

Hinabgesenkt, und sind sogar nicht Lust, Nicht Traum, noch leises Flüstern mehr, — sie waren. Drum schweigt die ganze Welt, der blaue Himmel

Von allem Alten, einst Gewesenen;

Die grüne Erde schweigt so ruhevoll, So gnügereich seit aller ihrer Zeit

Bis immerfort in alle Ewigkeit, Wie eine Mutter, die die Kinder alle

In stillen Schlaf gelegt, und deren keines

Sogar nicht eines Sonnenstäubchens Schwere Bekümmerniß, Bedauern oder Sehnsucht

Auf seinem Herzen hat, das auögeschlagen.

Vergessen ist das stumme leichte Walten,

Die jedem unbewußte größte That. Selbst nicht zu ahnen, daß sie ruhn und schlafen,

Das ist der Todtenschlaf, selbst Götter würdig; Denn nicht zu sein, ist keinem eine Schande. O wüßte Einer: „Weh! ich ruh' im Grabe",

Das wär' der Ruhe Schauder-schwerste Qual!

Und Der ein Schändlichster, der sie ersonnen. Im Tod', im Grabe giebt es keine Ruhe, Die Todten ruhen nicht und schlafen nicht

Vom Leben und von ihren Leiden aus,

11*

164 Dieweil es niemals einen Todten gab.

Die Schmerzen hören mit dem Leben auf;

Es braucht im Grabe also keine Ruhe Zu geben, keine Hoffnung — nur vorher Den Traum davon.

Die Lebenden, sie leben

Nur nicht mehr, und so leiden sie nicht mehr

Das Leben und die Welt, die erst mit ihnen Geboren ward, und ihnen erst geschaffen . . .

Die Sonne, ihren Augen aufgehangen Und wieder ausgelöscht mit ihren Augen

Und klanglos stumm geschwelgt mit ihren Ohren. Nie also weiß und nie erfährt ein Todter

Je: daß er todt ist; sei er wirklich todt Nun, oder leb’ er hoch im Himmel wo. So weiß zum Ruhm und Glück der ganzen Welt

In Ewigkeit denn Keiner, daß er todt ist.

So ist denn kein Tod.

So sind keine Todten,

Kein Weltvergessen ist, kein Weltbedauern;

Auch daß er stirbt, bleibt Jedem ein Geheimniß, Kein Vogel je erfährt es, daß er todt ist, Nie eine Blume weiß, daß sie gestorben,

Der Sternenhimmel weiß kein Wort vom Tode, Nur die Lebendigen wissen: daß sie leben! So ist das Leben ewig denn! das Fest

Der ohne Ende Auferstehenden!

165 Und Finden . . . Freude . . . Liebe . . . und Ver­ lieren

Und Weinen sind des süßen Lebens Inhalt, Gehalt und Mark — sonst wär' es hohl zum Fürchten — Mit ihnen aber ist's das Himmelreich, Sogar die ew'ge Seligkeit des Gottes.

166

Das Naturwüchsige.

Eins lerne, rath' ich dir, von der Natur:

Wie sie das einführt, was sie Neues schafft,

Sie macht das Alte zu des Neuen Schirme,

Zu seiner Wiege, seiner Pflegemutter, Zu seiner Nahrung!

Wie die Chrysalide

Dem Sommervogel, der aus ihrem Stoffe Allein so schön, ein neues Wesen wird,

So schafft sie sparend! Auch das Alte ist Ihr heilig! Sie selbst hat es einst geschaffen, Als ihres Lebens Gipfel, ihren Ausdruck;

Es hat sie dargestellt.

Darum zerstört

Sie rasend nicht das Alte; wie der Landmann

Den Acker nicht, darein er säen muß, Den Baum nicht, der ihm eben Frucht soll tragen.

Natur erschlägt die Mutter nicht! Sie wüßte Sonst nicht, woraus' sie neue Menschen schüfe —

Sie legt das Kind, das nun ihr Mensch soll werden. Der Mutter in den Schooß zu ihrer Wonne, Sie muß es pflegend auf den Armen tragen, Sie trägt es auf den Armen sich zur Freude,

167 Es wächst und blüht aus ihrer vollen Brust;

Und Beide leben mit einander fort

Und helfen sich: dem Kinde anzuleben Die Mutter — und der Mutter auszuleben

Das Kind, als großer Sohn, als große Tochter. So dankbar und so weise lehrt Natur

Aus sich, dem menschlichen Geschlecht zu sein,

Und also nur besteht die höchste selbst So dauernd, die allmächtige so liebreich In sanftem Gleis, gerecht, gesegnet, sicher.

Weintrauben bringen nur die jungen Sprossen, Die dieses Frühjahr aus der Rebe drangen,

Und keine alte Rebe trägt mehr Trauben: Doch aus der alten reisen Rebe sprossen

Die jungen Schosse nur, die Trauben tragen.

Ja, wenn du Geistesaugen hast, so siehe:

Noch heute trägt der tiesverborgne Grund

Der Pyramide ihren ganzen Bau, Und ohne ihn zerfiele sie noch heut.

Die Pyramide aber ist die Welt;

Das menschliche Geschlecht, das ist der Weinstock. Ihr guten Alten, und ihr jungen Tapfern, Nachahmen möchtet ihr doch. Das im Leben,

Im Lande, ja in seinem Haus' ein Jeder — Es stets dazu in Haupt und Herzen tragen!

168

Theaterrede. Die Erde ist die große Schauspielbühne

Des großen wandernden Geschlechts der Menschen, Frei unter offnem, sonnenhellem Himmel.

Da soll es seine Mensch-Begehungen Aufführen, seine großen Heereszüge

Mit scharfen Waffen, Dolchen, tod-geladnen Geschossen, mit den lebenden Personen,

Die ihren eignen Lebenslauf ausführen,

In ihren eignen Kleidern, ganz mit ihren Selbsteignen Worten aus der eignen Brust,

Mit echten Thränen aus dem Quell der Augen,

Mit einer Wahrheitstreu', Gefühles-Inbrunst,

Die tief ergreift, und zum Erstaunen hinreißt.

Das Leben ist das allerhöchste Kunstwerk, Vom allergrößten Dichter ausgedacht, Mit allerreichsten Mitteln schön in Scene

Gesetzt, mit Bergen, Thälern, Meeren, Städten,

169 Mit Thürmen — und mit wahren Gräbern, wahren Denkmalen; Alles wirklich: was es scheint.

Und wie bewundernswürdig und natürlich

Spielt jedes Kind: „das Kind" in jedem Hause, Daß es die Mutter froh an's Her; sich zieht, Sie, die „die Mutter" giebt als eine Göttin,

Als Meisterin, der nie in ihrer Rolle Die rechte That, das rechte Wort gebricht! Der Vater aber spielt sich als der große, Mit allen Schätzen ausgerüstete

Urdichter; für „den Abend" seines Lebens Der Vater selbst geworden — und nicht länger

Als seine „Spielzeit", die ein Jeder hat. Unwiderstehlich ist die heilige

Verwandlung Aller in die Zauberdinge: Sie müssen att’ geheimnißvoll hinein In ihre wunderlichen Spielgestalten.

So muß die kleine Eichel in die Eiche, Die große, aus der finstern Welt hinaus! So muß das kleine Schlangen-Ei hinaus,

Muß in die große Schlange sich verkleiden; Und nur der Punkt an einem Rosenzweige

Muß in das Sonnenreich als volle Rose.

Und jede Seele, die sie sicht, und selbst sieht, Wird von der Prachterscheinung hingerissen

Und reißt die Andern hin durch ihre Wahrheit:

170 Das Dargcstellte selbst so schön zu sein Wie eine Rose wahr die Rose ist, Und wie der Abendstern den Abendstcrn

So Prächtig vorstellt, und zugleich er ist.

Drum alles Spiel sei frei und jeder Spieler,

Der Schädliches nicht spielt; frei alle Züge: Der Heereszug zur Schlacht; der Priester Züge,

Ein Jeder mit den eignen Requisiten Und mit dem Mundvoll schauriger Gesänge,

Die da ihr Gott nun, oder ihre Göttin,

Und selbst ihr Kind gern hört, so wie sie glauben; Sonst sängen sie ja nicht, und zögen nicht.

Mit allem seinem freien Thun und Wirken Ist erst der große Dichter selber frei

In seinem eignen weltengroßen Hause, In seiner wunderschöpferischen Seele.

Nur wer der Andern Spiele launisch stört, Der sei nicht werth des Lebens Spiel zu spielen,

Die Kinderspiele auf den ewigen Wiesen, Die Schwalbenzüge in den blauen Lüften, Und alles Volk in seiner Tracht und Sprache.

Unvorbereitet, unversucht, sogleich

Zum ersten und zum letzten Mal vollkommen

Spielt jede Jungfrau schön die junge Mutter, Und sagt das Herzenswort zu ihrem Kinde,

171 Das meisterhaft die kleinen Thränchen weint! Unübertrefflich spielt der ärmste Bettler

„Den Bettler!" Ganz unübertrefflich spielen Die Todten sich im Sarge selbst, die Todten.

Unübertrefflich spielt die Gans: „die Gans"! Kein Engel könnte je sie wahrer spielen.

Das kleinste Hühnchen spielt schon hold „das Hühnchen"

Und pickt, und nippt im Schnäbelchen das Wasser, Und blickt dabei zum Himmel rührend auf,

Daß Dem, der's schaut, vor Andacht Thränen fließen. Und wie das Leben frei ist, frei die Welt,

Und Alles, was in ihr der Künstler aufführt,

Sei auch die Kunst frei! Nur die Kunst sei frei, So ist das schönste Menschenleben frei.

Die Kunst ist selbst das göttervolle Leben: Sie lehrt die Welt anschaun mit Seel'-Entzücken, Lehrt jedes Kind und Weib, jed' Haar, jeb' Veilchen

Und selbst den Thau, mit Herzenswonn' empfinden. Drum, eh' auf dem Theater eines Volkes Nicht alles Schöne, Menschliche und Wahre

Gleich aufgeführt darf werden, was von Todten Auch gestern erst geschah, ja selbst der Todte

Von gestern und der Lebende von heute, Und was schon morgen in der Welt geschehn soll,

Das Herz zu stimmen für den neuen Act — Eh' ist der Mensch nicht frei, so wie der Meister

172 Es dann nicht wär', der Alles herrlich aufführt.

Doch wo der Künstler frei ist wie der Meister

Mit allem seinem wundervollen Schaffen, Da sind die Völker nicht mehr Geistessklaven,

Und Keiner angstvoll Herr und ehrlos Diener.

173

Gefühl der Heimat.

Wo in der Ferne, wo in fremdem Hause Geziemt sich nicht, in Thränen da zu sitzen Und Klagen auszustöhnen, die doch Keinen Der Fremden rühren.

Kaum erzählen sie:

„Da saß ein Mann." Drum schämet sich dein Herz, Zu jammern, und du hältst dich für zu gut. Doch was dich überzeugt, das Haus der Erde

Sei deine Heimat, das ist dein Vertrauen, Darin zu weinen, ohne daß ein Weib dich

Beschämt und daß die Kinder um dich stehen, Die Hände auf dem Rücken; denn ein Knäbchen

Tritt rasch vor dich — und schenkt dir seine Blumen. Und du, du ziehst das Kind in deine Arme,

Du blickst zum blauen Himmel auf und sprichst: Du lehrst, o Mitleid, mich, „ich bin zu Hause!" Doch nur die Deinen wissen, was du leidest;

Wer dich nicht kennt, der weiß nicht, was dir fehlt, Dich glücklich macht.

So bist du denn vor allem

In deinem Hause nur zu Hause.

Doch

Die Deinen ahnen auch nur, wie du leidest —

So bist du wahrhaft nur daheim in dir.

174

Das Vaterland. Wer nicht ein Vaterland auf Erden fühlt, Der wird im Himmel keinen Himmel haben. Das Vaterland ist auch das Land der Mutter,

Es ist die Kinderstube deines Volkes, Die Erde da ist deiner Spiele Garten.

Ein bloßes Gleichniß deiner Heimatbäume Sind alle Bäume dir nur in der Fremde,

Ein Gleichniß nur die Sonne dir da draußen Von deiner Sonne, und der Mond von deinem;

Ein Gleichniß nur die Flüsse dir vom Flusse In deinem Thal; die Rosen von der Rose,

Die deiner Mutter du zuerst gebracht. Die Kinder draußen scheinen Waisenkinder; Die Menschen in dem fremden Lande bleiben

Dir bunte Schatten, niemals recht von dir

Gekannt, und die dich niemals ganz verstehn, So wie du sie aus einer andern Welt,

Gleich wie aus Luft und Wasser, Fisch und Vogel.

175 Ich nehm' des ganzen Orientes Pracht Nicht für mein Heimatthal, mein Vaterhaus,

Nicht für mein Volk! Nicht Mausoleen nehm' ich Für den umgrünten Raum der theuern Gräber Von meinen Lieben, — nicht für meinen eignen

Grabhügel, der mir schon geschüttet, aber Noch leer, still auf mich harrt, und wundersam Mich ansieht und ich ihn, wenn er mich sonnhell

Anflüstert mit dem sanstbewegtem Grase Das leis im Hauch vom blauem Himmel säuselt. Der Geist von meinem Volke hat im Lande Der Väter sich sein Leben eingerichtet

Nach seinem Wunsch, ja Wahn, es ausgeschmückt

Der Väter Land ist ihm sein Kleid, sein Mantel,

Sein trautes Nest, sein Kinder-Hirtenhäuschen

Mit Hirsch und Reh, mit Schäfer, Hund und Schafen, In leiser freundlicher Bewegung rings

Umher ihm an die Wand geschattet.

Alles

Hat Er nach seinem Bildniß ausgeprägt. Das Vaterland ist seine weite Brust, Sein Haupt, darin er lebt in seinem Himmel,

Ich selbst bin meines Volkes Geist; ich lebe, Ich athme, ihm verständlich.

Meinen Geist

Und jedes Kind versteh' ich, das da weint.

Wohl Dem, der in dem Land der Väter blieb!

Heil, wer in das zum Unglück nur verlassne

176

Zurückkehrt, wär' es lieber selbst als Bettler, Als draußen in der todten Fremd' ein König

Wo über Todte, ewig sehnsuchtsbang,

Denn in der Heimat stirbt er nicht, — er schläft

Nur wie ein Kind in seiner Wiege ein. Wer nicht sein Vaterland im Herzen trägt, Der wird im Himmel keinen Himmel haben.

177

Das bezaubernde Schloß. Schön ist die Erde, wenn die Scheidesonne

In Helles Gold sie schmilzt; der Himmel schön,

Wenn ihn der Mond zu Silberduft verwandelt. Doch wenig ist das, nichtig ganz dagegen,

Von einer Todten unerforschtem Antlitz Zurück in ihre Tage schaun.

Da wandeln

Die Tage sich zum Himmelreich.

Da ist

Die Sonn' ein unaussprechlich Meteor! Des Donners Weihezug ein tief Geheimniß!

Die Rose, die du ihr, der Erdenjungfrau, Für ihre Brust da reichtest — was ist sie! Wer ist die jugendprangende Gestalt!

Der Blick aus ihren braunen Augen wiegt

Den Schein von allen Sternen heut hernieder . . .

Ihr weißes Hochzeitbett ist Blütenschnee

Aus sengen Höhn! . . . Sie mit dem Kinde ist Die Himmelskönigin aus goldnem Grunde

Des zauberischen All's heraufgequollen, Schön wie das Mondbild, schön mit seinem Stern

Aus klarem, Abendgold-behauchten See.

Sie schwimmt aus jener Göttertage Strom In heiligem Kahn . . . und du da schwimmst mit ihr; 12

178 So fahrt ihr in dem ew'gen Glanze sicher.

Jedwede Freude, die sie da genoß,

Zerreißt das Herz vor Wonne dir; und erst Ein Glück, die kleinste Gabe, die sie da Entbehrte . .. und ihr Lächeln zu der Armuth —

Keiu Gott vermöchte das zu tragen! Kein Gott Auch sagte: was das war, und wer sie war,

Die dich nun so bestürzt mit Seligkeit, Mit ungeahntem Reichthum überschüttet,

Und eine nie gekannte Art von Thränen Dich weinen heißt, wie Götter sie vor Fülle Des Glückes weinten. Und dies Glück ist dir nun

Verherrlicht nah! so wirklich —wie die Todte.

O glaube nicht, die Lebenden, die Lieben

Beglücken uns allein im Leben — nein, Die Todten machen uns die Welt zum Himmel,

Die Welt, die aus ist, und nun in uns angeht: Die angeschaute innre Welt, die einst Die äußre war, und jetzt die einzig-wahre Dem armen Menschen ist zu seinem Trost.

Ihm klopft das Herz; er wagt, gebeugt von Fülle

Des einst genossenen Glücks, nicht laut zu schreien. . .

Er singt den Schmerz und lächelt seine Thränen. Und wie ein Kind entschläft vom Zauberduft Des Frühlings, schläft er ein.-------- Still! laßt ihn

schlafen!

179

Drs Gebers Gewinn.

Aus Noth nur, aus Bedürfniß nimmt der Arme,

Aus gutem Herzen aber giebt der Gute.

Er giebt nur Brot, nur Kleider oder Holz Und nimmt des Wohlthuns Freude dafür ein —

Für Sichtbar-Irdisch- bald Verschwundenes: Ein Unsichtbares, Bleibendes auf immer! So nimmt der Arme denn nicht ganz umsonst,

So giebt der Reiche denn nicht ganz umsonst —

Sie tauschen nur, und schön gewinnt der Reiche. O so gewöhnt die Kinder früh an Geben,

Sogar das Selbstbedurfte; denn darüber Geht hoch erst das dafür Empfundene!

Von einem großen vollen Apfelbaume

Zehn Kindern nur fünf kleine Aepfel reichen —

Die Freude kann dir nicht den Himmel öffnen, Viel eher ruft es aus den Wolken: „Geizhals!"

Gieb reichlich! Reichliches ist erst gegeben. 12*

180 Ein Wenig zu, erfreut des Menschen Sinn: Die Rose zu — dem Käufer der Melone, Drei Lebenstage zu — dem kranken Alten.

Ein wenig Fehlendes verleidet aber Den Werth von einem Ganzen; schon das Goldstück

Nur eines Pfefferkornes Schwere leichter; Der Mantel, einer Spannenlange nur

Zu kurz; die schönste Jungfrau schon verleidet

Dir ganz der kleine Finger, der ihr fehlt. Dem Bettler schenk' zum kleinen Stücke Brot Ein freundliches Gesicht, so wird es groß;

Doch schenkst du ihm zum großen Stücke Brot

Noch deinen Segen, heißt ihn wiederkommen, Dann hast du ihm das Betteln leicht gemacht, Und froh verzehrt er's unter Blütenbäumen Am Born, als auch ein Gast im Himmelssaal

Mit prächtigem Kronleuchter an der Decke---------

Und neben ihm in Blumen sitzt sein Schatten! . . . Den sieht er an mit leiser Furcht und Rührung,

Und rückt hinweg: der Schatten rückt ihm nach. . . Und er erkennt ihn — denn er gleicht ihm selber —: Es ist sein alter ihm gestorbner Bruder,

Der ihn besucht — da er ihn eingeladeu „An seiner reichen Gabe Theil zu nehmen" . . .

Und beide essen nun dasselbe Brot.

Das Schattengastmahl aber stiftete

181 Die junge Hausfrau — der daS Brot gerathen,

Ihr erstes, das sie buk als neue Wirthin. Vor Freuden geben auch die Aermsten gern,

Verdrossne Reiche schließen ihre Hand.

O lebe froh!

Du lebst dir froh, den Deinen,

Und Jedem, dem dein lieb Gesicht erscheint!

182

Die Welt und das Leben. Es

läuft die

Welt

gleich

einem

goldnen

Faden Durch eines Jeden Hand, so schön und weich,

Und ihn in Handen halten ist das Leben. Es hallt die Welt gleich einer Riesen-Orgel In eines Jeden Ohr, so reich, so voll, Und ihr Gebrause hören ist das Leben.

Es stralt die Welt gleich einer stch'nden Sonne In eines Jeden Aug', so lieb, so reizend, Und sich an ihr entzücken ist das Leben.

Wer auch nur eine Rede weiter führt, Die Furche nur im Acker weiter Pflügt,

Ein Weib sich nimmt und Kinder auferzieht, Sogar ein altes Haus nur wieder bessert,

Nur heut dem Volk zur nächsten Freiheit hilft, Der hat das Ewige berührt, der hat Das Ewige gethan, gewollt, gelebt —

Da nie die ganze Welt zu Ende kommt,

183 Da nie der Traum „die Ewigkeit" erscheint, Nie selbst, nie anders als die Gegenwart,

In der das ganze All enthalten ist, Das niemals ist, wenn jetzt nicht voll und ganz — Der hat das Ewige gefaßt, der hat

Das Ewige gefühlt, erschöpft, genossen,

Wenn stets das Leben nur das Streben ist, Kein Sieg, nur ein gesegnet-heiliger Kampf, In dem die Kräfte loh'n, in Unmaaß feurig

Und markerquickender, als Ruh' und Frieden.

184

Die Neugier. Die Neugier ist des ganzen Menschenlebens Grundseuer und der Seele süßer Reiz,

Sie ist schon Ruh' und Glück als Helle Ahnung. Die ganze Welt ist einem Kinde neu; Neu sind ihm seine eignen kleinen Händchen,

Die es erhebt, besieht, im Mündchen kostet, Neu ist ihm seine schöne junge Mutter,

Ihr Haar, die Stirn, die Augen und die Brust Neu ist die Sonne ihm, der Mond im Wasser,

Das Gras, der Blütenbaum... die Sänger drinn, Sein Schatten an der Erde, den es gern Mit Füßchen treten will — und nie erreicht.

Doch zum Beweis: es stamme aus den Himmeln, So ist ihm Nichts ein Wunder — Reiz nur Alles. Die Neugier ist die Mutter alles Kennens

Und Lernens, Wissens, Könnens und des Thuns; Sie achtet Alles — sonst verschmähte sie es;

185 Sie ist der schönste Theil des Lebens selbst, Neugier ist Jugend, Alter ist Mißachten.

„Neugierig machen ist die erste Lehre; Das Neue angenehm erscheinen lassen

Und wichtig, unentbehrlich — ist die zweite;

Die dritte Lehre ist: die Anwendung

Der Dinge und ihr Nutzeil für das Leben.

Neugier beherrscht die großgewachsnen Menschen In allen Landen Tag für Tag so fort. Das ganze liebe Leben wäre wenig,

Wenn Jeder sein Loos, schon sein Alter wüßte;

Sie legten sich mit Murren in das Gras Und schliefen mit dem Wort „das weiß ich ja!" Ob das geschehn wird? — Wie? — und Was es sein wird? Das zieht und treibt die Menschen, Männer, Weiber,

Und treibt die Jungfraun und die Jünglinge:

Die Neugier sich zu stillen, in der Liebe, In ihrem Hausstand. Denn der Mensch lernt nicht

An Andrer Schicksal selbst sein Schicksal fühlen;

Er lernt' an Engeln selber nicht den Himmel.

Und wenn auch Neugier Keinen in den Sarg treibt.

Wie in den Kahn, um aus der Welt zu schissen, So treibt doch Neugier „Ob?" . . . und „Wie?" . . . und „Was?"

186 Da Groß' und Kleine, Thoren, Alt' und Arme, Selbst Solche, die hier gnüglich-glücklich waren,

Aus Neugier dennoch: — hinzu abzufahren . . . Hin, wo die Sonnen schienen herzukommen,

Und alles Schöne — das hier aufersteht! . . .

Selbst übertreiben, schön die Dinge lügen, Sogar den Himmel noch . . . das nutzt der Neugier.

So tadelt nicht die Neugier! Sie ist meist

Das Beste, ja wie selbst ein lebend Wesen! Auch Liebe ist zum frühsten Theil nur Neugier,

Und immer reizend! immer angenehm! Die Welt verschölle leis so ohne Neugier

Wie blinden Menschen selbst die Sonn' erlischt.

187

Ausgleichen und Nachräumen.

So vieles bleibt unaufgeräumt, zerstreut Von jedem Tag an jedem Abend liegen

In allen Häusern arbeitsel'ger Menschen . . . Von Angefangnem und Unfertigem,

Das erst der Morgen weiterführen soll;

Vollendetes selbst bleibt unaufgehoben,

Unangewandt zu Vieler Freud' und Nutzen; Von Völkern bleibt so viel unaufgeräumt

Im Kreis der Erde, wo es dumpf verkommt. Die Menschenmuttcr räumt am Abend nach Im Hause, was die Kinder bunt verstreut Auf Wiederfinden, oder auch auf nicht;

Sie aber hebt es auf in aller Stille, Ohn' Tadel für die Kinder, ohne Lob Für sich.

Das ist ihr göttlich angeboren

Die stille Güte und die stille Sorge, Die hat sie von den guten Geistern allen,

Den unermüdlich-fleißigen, gelernt,

188 Die still im Wald das kranke Häschen heilen, Den Specht, der sich den Schnabel abgebrochen,

Die Schloßen aus Gewittern leis zerschmelzen,

Daß früh kein weißer Streif mehr wo zu sehn; Sie lassen Armer Grab schön grün bewachsen,

Versallne Städte lassen sie berasen; Und wo kein Mensch hiudenkt, sind sie . . . gewesen!

Das ist die Hausfrau, ist der Hausherr wahrhaft! Das ist der König treu in gutem Herzen,

Der ohne Ruhmsucht immer still und fleißig Das Nachgclassne und das Unterlassne Aufnimmt und aufräumt und zum Guten führt. Wer mit sich selber innerlich zufrieden,

Der ist es auch mit Andern, still und freundlich... Wer Allem nachhilft, was er nur erreicht,

Der hätt' ein Recht: ein Engel einst zu werden.

189

Arbeit.

Die Lust zum Lebeu wächst dir mit der Arbeit;

Thu' was du willst, es ist ein Stück der Welt,

Und was du anrührst, das bezaubert dich Mit seiner alldurchdringend süßen Kraft.

190

Die Stimmung.

Die Kunst zu tadeln ist die frömmste Kunst, Die Gute ehrt und Neble lehrt und bessert — Die Pflicht zu bessern giebt das Recht zu tadeln. Der Zorn ist göttlich, der die Seele schmerzt,

Daß eine Seele fehlte, ja verbrach.

Doch wahrer Zorn ist sanft; er wüthet nicht, Er raset, donnert, flucht, vernichtet nicht; Er bleibt der edlen Seele still Geheimniß, Ihr reiner Schmerz und ihre Himmelskrast; Er scheint dein Fehlenden, so wie die Sonne,

Die über seine That hell aufgegangen,

So wie der Mond, der über Schuldige

Vertrauen breitet, ihre Thränen löst. So lehrt er Künstler, lehrt er Jünglinge,

Thut ihnen ihre schöne Seele auf, Und sie, sie glühn ihm Dank in reinen Werken.

Vor tückisch spott- und strafesücht'gen Blicken Erschrickt der Mensch, der Uebles hat gethan,

Und zieht sich, wie die Schnecke, in ihr Haus, In seine Seele starr und stolz zurück.

191 Nur Menschengüte macht den Menschen gut,

Eröffnet ihm sein Herz, den eignen Himmel, Und aus ihm selbst sproßt ihm das Schöne aus.

Nicht Worte, Lehren, Warnung, Strafe bessern; Vergebung, Himmelsgnade thun es nicht.

Und sei ein Mensch auch noch so unbelehrt, So hitzig, trotzig, leidenschaft-verwöhnt —

Die ganze Kunst der Besserung ist die:

Du mußt das Herz ihm stimmen mit dem All. Die Tugend ist nur sanfte Herzensfülle,

Und nie bedarf sie Welt- und Menschenkenntniß, Erfahrung, Weisheit, Lohn und Hoffnung nicht.

Der

reine

Mensch

nur

hat

die

wahre

Stimmung Des Weltalls; nur der Reine kann sie geben

Auch Dem, der unrein, wie die Saite schrillt.

Die reine Stimmung bringt den reinen Willen, Der reine Wille bringt die gute That, Und mit dem rechten Leben alles Glück,

Das diese ganze reiche Welt enthält, Wohl angethan, die Wesen zu entzücken,

Die aus ihm stammen, die nichts Andres kennen, Noch in dem Herzen führen als ihr Blut.

Ein reiner Mensch ist gleich dem Gott an Inhalt, Er ist der Klang des Himmels und sein Feuer.

192

Hab' es besser im Alter!

Der fühlt sich glücklich, der in seinem AlterNur um ein Weniges, ein Kleines nur

Es besser hat, als einst in seiner Jugend;

Und wer am Jahresschluß nur einen Groschen

Doch übrig hat, der ist ein reicher Mann, Ein guter Wirth; dem wird es immer langen.

Doch Der ist doppelt arm, wer schwer im Alter Zurück dann seufzen muß nach seiner Jugend,

Auch wenn sie dienen war bei harten Menschen. Ja, wer es auch am Ende seiner Tage Nur so hat, wie als Kind, der hat es schlechter!

Ihm fehlt der Jugendmuth, die Freud' und Hoffnung; Denn alt, bedarf er mehr: ein weicher Bett Und einen warmern Rock; dabei noch drückt ihn

Der Kleinmuth, daß er nichts vor sich gebracht — Als war er nicht des Himmels Segen werth.

Was alles in der Welt nicht Kinder hatte,

Das ist doch nichts als — Element gewesen.

193 Drum sind für jeden Alten, arm und reich, Die guten Kinder seine besten Schätze; Der alten Mutter und dem alten Vater Die herrlichste Zugabe zu dem Leben, — Nicht selten besser als das Leben selbst —

Sind gute Enkel! . . . himmlische Nachtlichter

Ihm froh in seiner Winterdunkelheit!

194

Nachtgedanken. Die Welt ist Eine, nur mit Einem Sinn Erfüllt, so wie der Mensch mit seiner Seele. Die Welt ist gleich dem alten Quittenbaum:

In seine goldnen Quitten alle zieht Derselbige Geruch der frühen, späten,

Ununterscheidbar-gleich, und seine Blüten

Auch duften schon den Quitten-Wohlgeruch. So auch entsteigt den goldenen Gestirnen

Das Eine selbe Weltgesühl in Alle;

Die Menschen und die Wesen alle können Nichts Andres als dieselbe Welt empfinden Mit ihren Sinnen und auf ihre Weise Und schauen und leben, wissen und genießen

— Wie Käse-Milben nur den Käse leben —

Wie junge Mäus' im Mäusenest, ihr Leben. So sind sie alle in ein Reich beschlossen,

Gefangen in demselben Sternenpfuhl . . .

Wie kleine Frösche in dem großen Teiche So muß denn allen, selbst Wahnsinnigen Dies große Haus vollkommen sein und gnügen;

Und alle Wesen sind darin verwandt

195 Wie Pfeffernüsse und wie Pfefferkuchen, Welch Heiliger auch Jedem ausgedrückt sei. Das Fahren, Rollen, Wälzen alP der Sterne

Am Himmel alle Nächte, selbst die Tage, Das ist der Götterkinder Spielzeug-Fahren Beileibe nicht, wie Menschenkinder ihre

Bethauten Puppen bald zu Schanden fahren. Und dieses schweigend große Zellgefängniß Ist nicht der große ewige Betrug;

Und keine Bienenpuppe ist betrogen

In ihrer Zelle in dem heiligen Stocke; Und wahres süßes Bienenleben ist

Ihr Leben in der blumenvollen Welt. So ist das Menschen-Leben kein Betrug

— Wenn alle Kräfte selbst nicht schwerbetrogne —

Es ist die Wahrheit und die Seligkeit, Und jeder Tropfen Thau, und jede Blüte

Ist bis zu Thränen rührend wahr lebendig. Der allgemeine Tod ist kein Betrug auch,

Er ist die Gnüge und Erhabenheit. — So paßt denn Alles in der Welt, ohn' Wunder,

Wie jedes Augenlid da auf sein Auge, Und selbst die Härchen an den Augenwimpern

Noch falten sich wie Finger kleiner Kinder,

Die beten sollen — doch den Kuckuk hören,

Und in die Händchen klopfen vor Vergnügen.

196

Der Werth des Ruhmes.

Gefallen stecket an, Mißfallen auch.

Was Hunderten gefiel, gefällt dann Einem Mit Macht von Hunderten, und Jedem so. Die Menschheit träumet einen großen Traum. Drum ist: „sein Leben herrlich auszubreiten"

Durch leuchtend Schönes und durch rührend Gutes,

Dem Volke segensreich; und wer das kann, Der lebt sich klar in jeder schönen Seele; Er wirkt in großem Kreis, auch alt, ja todt. noch.

Der Böse liegt den Menschen wie ein Schreck Unheilbar, unausrottbar in den Gliedern.

Du strebe nicht nach Ruhm.

Du sei nur das

Und übe das: was ihn entzündet.

Also

Verdoppelst und vertausendfachst du dich

Und machst das Gute, Schöne liebenswürdig, Ja selbst des Armen Tage lebenswerth! %

Dies Wissen stimmet weich; es macht bescheiden. Und ein Bescheidner erst verdient den Ruhm.

197

Die Kunst: ein Zuschauer zu sein. Die Welt ist eine Freude, die ein Gott Sich selber macht: sich selber zu genießen

In aller seiner Herrlichkeit und Schöne; Die Welt ist eine Lehre, die ein Gott

Sich selber giebt: sich selber zu erfahren In aller seiner Werke Sein und Thaten. Die Welt sich lernend, lernt der Mensch den Gott.

So ist das Anschaun-lernen und das Fühlen Des Lebens und der Dinge in dem Leben Die höchste Pflicht, das heiligste Geschäft Und seligste dem Sterblichen von Kindauf.

Nur dazu leuchten ihm die Augensterne

Umher zu fliegen in der Frühlingspracht Im Sonnenschein, und bis hinauf zu fliegen

Bis zu der goldnen Sterne Pracht und Schein.

Nur dazu hört er, von der Mutterstimme

Schon an bis zu der Lerche in den Wolken Und noch die Nachtigal zur Blütennacht

Voll sanft Gemurr des Donners und voll Duft.

So lernt der Mensch das schöne All empfinden, Es decken, voll in seinem Geist genießen,

198 So hoch ihn reines Herz dazu befähigt

Und edler Willen ihn dazu begeistert. Am menschlichen Geschlecht erst lernt der Mensch Das Beste, Schönste; und versteht es Er, Dann thut er alle seine Thaten mit

Zu seinem süß'sten freudigsten Genuß Und wird der Mitgenießer mit dem Gott,

Die schöne Welt und selbst der Gott wird sein.

Er lernt das Leben für des Lebens Ziel Und lernt es für die Welt, die nach ihm blühn wird —

Wie Er sie sah nach allen Todten prangen. Er lernet: welken, sterben und verblühn sehn,

Lernt schlafen, träumen, tausendmal erwachen,

Altwerden, altsein, sterben — ja im Sterben Hell nach dem Tode sich die Welt noch träumen: Die Sonne, die nach seinem Tode noch Am Himmel steht, an jedem Morgen kommt,

An jedem Abend geht; den Abendstern

Schon sehen, der nicht fehlen wird zu glänzen . . . Den Mond, der nicht verfehlen wird als Sichel Den jungen Mädchen dazustehn, die nicht Ermangeln werden, vor ihm sich verneigend,

Ihn fromm mit Hand und Mund zu grüßen — Oh,

Wie schön das sein wird — ohne daß er lebt! Viel schöner, als ob Er noch selber lebte!

199

Freiheit ju loben! und Freiheit zu tadeln! Vor Allem frei sei Lob und Tadel Euch!

Jedwedem Einzelnen sei frei, und Vielen:

Zu loben und zu tadeln nach Verdienst, Es sei nun Was es sei, und Wer es sei! Und laut! nicht zischelnd wo im Walde nur. Die Tyrannei: mit stummgemachter Seele

Zu leben, ist die Mutter aller andern. Wer es so weit gebracht, daß Alle das

Nur tadeln dürfen, was Ihm nicht behagt, Und Das, was Ihm gefällt, nur Preisen dürfen, Der ist der Herr der Kinder allen Volkes,

Des Lebens, und des Himmels und der Erde; Der macht die Götter, Fest- und Arbeitstage,

Wie Einer dort in Chinas Sklavenreich;

Der macht die Ehre, Schande, ja den Tod Dem, dem er das geküsste Messer schickt; Der legte alle Wahrheit an die Kette,

Und allen Trug ließ Er, wie Drachen los. Die Mutter aller Freiheit ist die Freiheit

200 Zu loben und zu tadeln laut und wahr, Es sei auch Was es sei, und Wer es sei.

Ja, wenn „der Böse" sich ein Bein gebrochen Und schrecklich litte, müfif es Ehr' sein: eine

Collecte für den Schmerzensmann zu sammeln Und ihm durch Abgeordnete zu senden.

Denn: „Bösen nicht zu helfen", ihnen nicht In Noth beispringen, ist das Böseste.

201

Seifenblasen.

Thu' ab Erstaunen und Bewunderung! Du bist ein Kind, bist ein Unwissender, So lange du erstaunest und bewunderst. Gewöhnung löst Erstaunen auf, und Kenntniß

Verscheucht Bewunderung.

Sei du ein Mensch,

Ein Geist, der würdig auf sich selbst beruht.

Warum die Dinge nicht des Staunens werth sind, Das einsehn macht dich menschenfest und weise.

Geht früh die Sonne auf — so muß sie's können; Ziehn Nachts die Sterne hin wie Kranichzüge, So müssen sie es können, sonst geschäh's nicht;

Weckt' Einer einen Todten auf, nun wohl, So müßt' er's können, meinst du, sonst geschäh's nicht. Ja bliese Einer Sonnen in die Lust,

Wie Kinder Seifenblasen — nun er kann's. Wer fiele vor dem Kinde auf die Knie Und betete das Seifentöpfchen an?

Was Einer kann, das würden Alle können Mit seiner Einsicht, Kraft und seiner Zuthat.

202 Erstaunen macht dumm, und Bewundern lehrt nichts. Erforschen ist ein göttliches Bestreben;

Erkennen ist des Geistes reinste Freude.

Du bete Keinen an, der etwas kann, Es sei auch Was es sei, und Wer es sei;

Schilt Keinen, der da etwas nicht vermag, Selbst nicht die Hand erheben, wie der Todte.

Du sorge, rings die Dinge zu verstehn;

Durch „Andre lernen" lernest du dich selbst, Verstehst dich selbst; denn alle Welterkenntniß Ist nichts, als nur Erkenntniß deiner selbst;

Denn dich nur hast du — ringsum hast du nichts.

So hell nur wird die Sonne selber dir,

So kräftig dir dein Auge schaut; so hell

Wird dir die ganze Welt nur — wie dein Geist. Du kannst nichts Höheres erdenken, Besseres

Empfinden, Schöners schauen, als du bist. Furchtsamen finken nur die Kniee, ein —

Du, bleib' bescheiden stehn auf deinen Fußen!

203

Lcbensfreihtit.

Abhängigkeit ist Sklaverei; es sei

Von wem es sei, vom Niedrigsten, vom Höchsten, Von dem, was heut nur ist, was immer ist,

Abhängigkeitsgefühl ist keine Freude,

Nicht Glaube an Religion, noch gar Religion; es ist nicht Frömmigkeit; Als Eigenschwäche, Eigennichtigkeit

Nur ist es Furcht, Unsicherheit und Bangen,

Es regt beschämend auf erst zur Empörung. Rings waltet Lebensfreiheit der Natur. Wohl Scheu und Vorsicht hat der Tiger; List

Der Fuchs; der Elephant hat seine Zweifel Auch an der Brücke, drauf er treten soll;

Doch Keines kennt Abhängigkeitsgefühl. Sie leben Alle frei und sterben frei, Voll Zuverlässigkeit und felsenfestes

Vertraun aus sich, los von den ungeheuren,

Nur dumpf empfundnen Hallen der Natur.

204 Frei schwirrt die Schwalbe in Gewitterwolken,

Frei spielt der Walfisch groß im großen Meere; Frei, mit Heroenmuth und Tapferkeit,

Greist selbst der kleine Kolibri im Nest Die Schlange an, die ihm die Jungen tobtet; Er weiß von keiner Hülfe aus dem Himmel, Von keiner Rettung durch Legionen Aeon's —

Er braucht, er mag sie nicht — Er ist der Vater! Er ist der Held! und alles, was er nur

Zu thun vermag, das thut er selbst, als kleines

Doch hohes, anstaunbares Bild der Götter; Er weiß! Er will! Er thut! So ist er ganz,

Er thut sich selbst — und Keiner wo ist mehr! Und Würd' und Freiheit spricht der Mensch ihm zu. —

Doch sprach' der Mensch sich Würd' und Freiheit ab? Und soll erst „sich erniedrigen zum Sklaven, „Abhängigkeit von Wem es immer sei",

Dem Menschen eine neue, wunderliche,

Verwogen-feige Art von Würde geben? Soll sich der Mensch erst schwach und nichtig fühlen,

Unsicher, bang von hohler Furcht besessen,

Wie selber nicht der kleine. Kolibri? Entwürdigt nicht die göttliche Natur

Und alles Sein, wozu sie sich gebildet! Entwürdigt nicht den Menschen, zu verlangen,

Daß er sich selbst entwürdige, er alles

205 Vertrauen zu sich selbst verliere, nichts Mehr wissen, wollen, thun, noch fühlen möge,

Als selber Nichts zu sein und Nichts zu

gelten,

Und Alles erst von allen Andern hoffe,

Nach allen Göttern schrei' um Hüls' und Beistand!

Des Menschen Kraft, sie fordert auf, sie übt, Den Muth zu wollen, wissen, und zu thun; Die eigne Würde und die Selbstvertretung, Die Selbstvergeltung hoch entflammt in ihm; So macht ihr ihn zum sittlich-hohen Wesen . . .

Ihn nicht zum Sklaven dieses Alls gebeugt, Gebeugt — damit Ihr niedrig ihn beherrscht. Geduld! — Er wird bald lachend Euch beschämen!

206

Die Schutz- und Hülfsgeister.

Der Gute ist das Gute nur, sonst ist

Es nirgend . . . Dein Gefühl, dein gutes, muß Dein Eigenthum, muß deines Ursprungs sein,

Und immerwährend deine eigne That. Wär' deine Seele eines Andern Seele,

Nicht deine nur . . . toär' deine gute That Nur eines Andern Wille, Rath und Werk,

Dann wärst du Nichts, kein Mensch!

Dann toär' es

Zeit, Aufhoren, Tod, Vernichtung dir zu suchen. Drum: fühle frei dich, halte frei dich, recht erst Den Lehrern gegenüber, den Propheten.

Und gäb' es rings Schutzgeister, Jedem Tausend, Hülfsgeister, dienstbereit, umschwärmten Jeden . . . Und hätten sie Vernunft und Sittlichkeit,

Dich fein und schlau zum Sklaven sich zu machen, Daß nur das Gute in der Welt geschähe,

Weil sie nicht wüßten, daß „der Gute" nur Das Gute ist, und draußen rings nichts gut —

207 Du müßtest die Hülfsgeister eisern-streng Von dir verbannen, als die größten Feinde Von deinem Menschsein, deiner Heiligkeit, Die um die eigne Seele dich betrogen, Um Wachsamkeit, um Forschung, Wahl und

Urtheil,

Durch schändlichsten Betrug.

Der Mensch ist stark

Genug, um Mensch zu sein, allein, verdienstlich. Mensch, fühle du dich selbst in deiner Kraft, In deinem göttlich hohen, wahren Wesen.

Und nur mit schwerem Zorne überlaß

Den Schwachen, wie den Kindern, sich das Gute Einflüstern, eindrohn, machen sich zu lassen,

Um — Nichts zu können, selber nichts zu sein.

208

Die Mutter aller Kühnheit.

Erkennst du nur Ein Sonnenstäubchen an —

Dann hast du alle Sterne anerkannt. Du hast das Ungeheuerste gethan; Du bist verwogen in das Feuermeer

Des Alls gesprungen und lebendig blieben. Hast du dem Staub nur Wesen zugestanden,

Dann ist es eine federleichte Zuthat,

Ihm Weisheit, Allmacht, Willen beizumessen.

Du bist gefangen.

Aber nicht verloren!

Nun rette die Vernunft!

Sie rettet dich.

Sie spricht Jedwedem zu, was möglich ist. Die Möglichkeit, das ist die heil'ge Grenze

Des Alls und aller Dinge in dem All, Auch deine.

Einsicht und Verstehn und Wissen

Entsiegeln dir das Reich der Möglichkeit,

Und lassen in das große Nichts dich schauen Hinaus aus diesem All in finstre Nacht!

209 Und dieses finstre Nichts begnügt, verlierend

Gewinnst du dich, und durch dich dieses All Voll Glänz und Wahrheit, Herrlichkeit und Schöne,

Drin jeder Wurm, auf Möglichkeit gegründet

Fest wie auf Felsen, allen Höchsten gleich An Würde, Werth und Freiheit lebt und webt.

210

Der Gehorsam. Wenn Nachts das kranke Kind aus seinem Bettchen

Die Mutter zehnmal ruft, und aus dem Schlafe Sie zu ihm eilt, ihm reicht, was es erquickt — Ist das Gehorsam? Nein, es ist nur Drang

Und Freude, ihrem Kinde Wohlzuthun;

Es ist das Mutterherz, die Kindesliebe. Wenn auf dem Weinberg' in der Zeit der Lese Der Vater ruft: Ihr Kinder, leset Trauben!

Auf! fleißig! und die Butten tragt zur Kelter! Und sie, sie lesen, tragen bis zu Nacht, Wenn längst der Abendstern vom Himmel glänzt —

Ist das Gehorsam? Nein, es ist der Wunsch,

Daß ihre Wirthschaft ehrlich fortbestehe, Daß sich der Vater Pflege, und die Mutter Zum Winter warm sich neu bekleiden könne;

Es ist das Kindesherz, die Aelternliebe. Wenn früh der arme Knecht im strengen Winter

Zu Walde fährt im Schnee mit seinen Rindern,

211 Und dann erfroren liegt, wenn sie ihn finden — Ist das Gehorsam? Nein, es ist der Eifer, Das Leben in des Wirthes Haus zu lernen,

Um seine Wirthschaft bald sich selbst zu gründen, Mit Weib und Kindern auch ein Mensch zu sein. Das schweigende Gesaus, Gebraus und Tosen

Im ganzen All, das unverbrüchlicher,

Blitzeiliger, so Tag und Nacht gleich wacher

Gehorsam scheint in jedem Staub auf Erden, In jedem flinken Wasser-Tropfen drunten

Im Meer', und jedem Sternen-Tropfen droben — Das ist nur innre Kraft! nur eigner Drang!

Auch nur ein frisches Lüftchen je mißbrauchen Zu schlechtem Mehle, und die Windmühlflügel, Wär' Schänd' und Unrecht von dem Müller-Geizhals,

Der seine Seele mißbraucht zu Betrug — Geschweige, wenn von Menschen ein Tyrann Gehorsam für ein Schädliches erzwänge

Durch schlaue Täuschung, „daß sie Gutes thäten!" Drum, wer befehlen will, der muß die Welt, Das Leben und das Menschenherz durchkennen;

Der muß sich selbst beherrschen, sich gehorchen.

Ein stolzer Trotzkops, ein Unwissender, Ein falschgesinnter, abergläubischer, In sein verrottet Herz gebannter Mensch

Befiehlt, was Keiner thut! was Alle höhnen! Sich selber thun, das kann und will nur Jeder.

14*

212 Ein Gott nur kennte Menschen ganz durchaus; Er rieth' nur an, er ließ' den Willen frei,

Denn Jeder bleibt frei, auch bei Todbedrohung, Und Werth nur hat, was willenvoll geschieht.

Fuchskluge, scheinbar-nöthigste Befehle, Die aus der Menschheit Würde nicht beruhen, Sie sind der Tod und schaffen nichts als Qual. Nie jemal war die Zeit, nie ist die Zeit

Auch nur zu einem einzigen Gesetze,

Das nicht von ewigher im Herzen läge, Auch schlummernd, aber flugs im Guten wacht

Nur eine Zuweisung und Anweisung: „Durch eine Menschen nöthig gute That

„An Andern sich als Menschen zu beweisen", Darf ein Befehl sein, heißen und bedeuten,

Und anders soll kein Mensch ihn je verstehn.

Gehorsam, als Gehorsam, ist ein Greuel, Der Engel unwerth und den Menschen Schande.

Dein einzig Vorbild sei dir Gott in allem;

Und Gott ist nicht gehorsam, weder sich

Noch Andern.

Alles, was er thut, das ist

Ihm Freude, Drang, Begeisterung, Entzücken,

Das keines Worts bedarf und keines kennt, Für dessen hohes Thun es keines gäbe. Drum habe du nur Gottes Sinn und Herz, — Und du, du hast sie, ja du bist sie selbst —

213 So bist du auch Gehorsam los und Zwang, Wer nicht aus sich viel tausendmale mehr thut,

Als irgend ein Gesetz von ihm begehrte Und fordern könnte, der ist noch ein Blinder

An Geist, an Herz ein Todter, noch mcht fähig Zu leben; und doch ist er werth, ein Mensch

Zu werden, und er wird es nur aus sich. Und so versteht, ihr freien, wahren Menschen, Zhr Männer, Frauen, Jünglinge und Jungfrau« — Versteht die Aufforderung denn zum Gehorsam

Erst recht und würdig als die gute Mahnung,

Froh eurer eignen Seele zu willfahren, Zu hören, leis zu horchen, was sie sagt,

Und eures guten Herzens euch zu freuen!

214

Die einzige Sklaverei.

Wer ist ein Sklave? — Sklave ist ein Jeder, Der seine Zeit gezwungen muß für Andre Hingeben, hin für Menschen oder Dinge,

Ja selbst für Götter und Göttinnen selber.

Der Himmel würde Den vor Sklaverei

Nicht retten, wer gezwungen ihn beträte! Denn nicht der Ort macht frei, der Geist macht frei. Und Wer ist frei? — Frei ist, wer seine Zeit,

Sein Leben, hat für sich und selbst sich lebt.

Frei ist der Adler, der sich selber lebt, Frei ist die Lerche, frei der heil'ge Storch, Frei ist der Maulwurf, der sich selber lebt,

Das Veilchen auch, am Boden angewachsen, Frei ist das Blatt noch, das vom Baume fällt, Frei ist der Apfel, der sich selber lebt. Die Freiheit waltet rings in der Natur. Und tödtet auch der Mensch den Bär, den Walfisch,

215 Da hat er ihm die Freiheit nicht genommen, Das Leben nur, das mehr kein nutze war,

Wenn es der rohen Uebermacht verfallen. Wer Andre will zu Sklaven machen, Sklaven

Von seinem Sein und Glauben, o der selbst Liegt schwer üt Geistessklaverei begraben;

Der würde als ein Gott der Welttyrann, Der stürzt sich unter Wolf und unter Haifisch

Und unter Sklaven, deren Leib nur Sklav' ist. Der Sklave hat bei seiner Hände Arbeit

Noch seine Seele frei, sie selbst zu leben, Sein Herz, sich selbst zu fühlen, und sein Weib, Sein Kind darein, auch weinend, zu umschließen.

Der Ackersmann genießt auch hinter'm Pfluge Die Morgenröthe und das Lerchenschwirren.

Wer seinen Tag vom heil'gen Morgen an Für gutes Essen, Ehre, schöne Kleider Und alle seine Tage blind dahingiebt, An jedem Morgen Weib und Kind verläßt,

Erst Welt-verdrossen sie am Abend Heimsucht,

Der lebt nicht sich, der ist nicht Mann noch Vater,

Der lebt das Leben um das Leben nicht, Der schaut die Welt nicht, fühlt sich nicht als Mensch, Der ist ein leerer Spiegel mit dem Hauche, Den reiche Thoren ihm daran geblasen.

Die Abgerichteten, das sind die Sklaven,

216 Abrichter aber sind die, die den Kindern Furcht, Hoffnung, Schrecken, Grauen in die Seele

Einpflanzen da von Dingen, die nicht sind, Ja schlimmer, die unmenschlich sind, unwürdig, Und die sie lebenslang nur träumen sollen,

Um sie mit diesen Träumen sich zu bannen, Was keine menschliche Gewalt vermöchte,

Nur Jedes eigner Wahn, der Seelenknechter. Hirnträume, Mären, Geisterzauberei, Wahn, Haß, Verachtung Andrer und Verfluchung —

Weh! das sind Leidenschaften, find Gefühle, Die werden nicht gelehrt und nicht bewiesen, Die werden nur durch Wuth heraufbeschworen, Die werden nur in kindische Gemüther

Wie Feuer angelegt! mit ihnen werden Die reinen Himmelsseelen an gest eckt Viel schlimmer als mit Pest und schwarzem Tode.

Kein angestecktes Kind lebt mehr sich selbst, Es lebt die Krankheit, die ihm tief und marternd

In Haupt und Gliedern liegt, kaum mehr ausrottbar,

Wie Schreck von Feuer und Gespenstern einst. DaS Feuer ist nun längst gelöscht; der Laken Verfault, in den der „Großknecht" sich vermummt —

Der Schreck, er währt als „böses Wesen" fort Und überfällt den Greis noch graus im Sterben.

Nicht „Wuth" ist Lehre.

Lehrgegenstände nicht.

Wahn und Rache sind

Die wahre Lehre

217 Ist: sanft nur reine, wahre Stimmung geben Der Brust; sie giebt versteinertes Gefühl

Und eisern Urtheil kleinen Kindern nicht.

Sie rüstet sie, bereitet sie nur vor Mit Wahrheit aus sich selbst sich selbst zu leben,

Nichts Fremdes, fremde Furcht und Schrecken nicht,

Denn wer nicht selber lebt, sich selbst nicht lebt, Der ist ein Sklave.

Sklave sein ist Schande,

Ist Unglück, wie es weiter keines giebt.

218

Das Allgemeinmenschliche. Nur was da allgemein von Allen, selbst

Vom armen einfach guten Volk gelebt Kann werden, Das ist nur das Leben Gottes, Der keinen Vorzug einem Menschen gab, Und

Mängel

ausglich

mit

der

heiligen

Tugend, Mit Weisheit, Einsicht in des Gottes Werke, Mit Herzensruh' und mit gelass'nem Streben.

Das ganze menschliche Geschlecht nur wird Allein sich helfen, kann allein sich helfen

Durch hohen Willen, göttliches Erkennen

Der wahren Güter, die der Mensch bedarf, Die all' ihm zustehn.

Und es wird erstaunen,

Daß es sie längst in seinen Händen hat, Und wird die blendenden, die falschen, ja Verderblich hohlen Dinge stolz verwerfen,

Die es so lang getäuscht, weil große Thoren

Danach gerungen mit der armen Seele, Von reichem Plunder bettelarm behangen.

219

Die Kinderlosen. Wie nah' ich dir, du kinderloses Weib? Du edles, reines, kiuderliebend Wesen,

Mit welchem Flötenklang, mit welcher Stimme Red' ich zu dir?

Mit deiner Mutter Stimme?

Mit Engeln sollt' ich kommen — aber ach, Da bebtest du, daß Himmelsgeister müssen

Dir nahn, weil Menschenhuld nicht reicht, Da brächst du erst in Thränen aus und weintest,

Wie nie zuvor und lägst auf deinem Antlitz,

Das schmerzverstummt ganz unerträglich schreit. Wie nenn' ich dich? ich wage keinen Namen;

Und nennen soll ich dich.

Bist du genannt,

Dann ist dir flugs geholfen.

Grüß' ich „Weib"

dich —

Nun, wessen Weib? doch eines Mannes; und Dein Mann — daß ich den hohen Namen borge — Dein Mann ist kein Mann. Nenn' ich „Jungfrau" dich, Du zürnst mich an.

Und soll ich „Gattin" sagen,

„Frau" . . . „Ehefrau" . . . „Gemalin" — keines

haftet

Au dir; und sagt' ich „Mutter", schrie'st du laut.

220 Nur Diese bist du nicht, sonst wärst du Alles.

Dich „Engel" nennen, widerlegt mir heilig

Dein ausgeweintes Aug', die heil'ge Trauer.

Uud „Namenlos"? nur Gott ist namenlos; „Braut Jesu" — wehrst du mit erhobner Haud.

„Mensch Gottes" ist der Todte erst im Himmel,

Auf Erden theilt er Leib und Seele freudig Aus seiner Liebe Recht, mit jenem schönen, Bedurften Wesen, in dem selbst der Gott Ihm kam, gestaltet als „der heil'ge Mensch",

Als Mann, als Weib, Kind, Mutter, Vater, Bruder

Und Schwester, die hier selig Ihn besitzen, Die selig Er besitzt — und du, sie nicht!

Wer

glücklich

ist,

der

macht

allein

auch

glücklich;

Unglücklich-Liebe machen uns unglücklich. Drum macht Der, der dich liebt, dein Leidgenoß, Dich elend erst, und Beide habt ihr nichts Als euch, und euren ewigleeren Trost: „Ich bin ja still — so klage du mir nicht!"

Und dennoch spricht er in der Nacht dann tröstlich,

Wenn nebenan „ein Kleines" angekommen

Und ihr die zarte Stimme betend hört:

„Wie gut, daß ich nicht eine Krone habe, „Ein Land, ein Volk, dem Sohn' es zu vererben! „Daß du nicht Schloß und Pracht und Schätze hast —

221 „„Wie macht der Reichthum arm!"" so sprach' ich dann!" Du aber sprichst: Nie legt' ich Perlen an,

Kein goldnes Diadem berührte mir Das Haar — den Leib umschlösse mir kein Gürtel, Sonst sprächen erst die Ewigneidischen:

Und dennoch gleicht sie nicht der Bettlerin,

Der Kinderseligen, ihr Kind in Lumpen! Wohl hat sie alles, doch . . . ich nenn' es nicht, Was in dem Weibe liegt als süßer Traum,

Der wie aus Rosen Rosenduft entquillt, Der tief ihr Herz und jedes Blatt erfüllt;

Und ist die Rosenknospe auch zernagt, So duftet noch der Stiel sogar nach Rosen.

So duftet mir das Kind aus meiner Seele,

Es weint mit meinen Augen Himmelsthau, Es tritt des Nachts in goldnem Mondenscheine Vor mich; es schwebt ... es winkt ... es seufzt, es

betet . . . Es betet mich an, fällt — weh! — vor mir nieder,

Ich reiß' es an mich, drück' es fast zu Tode Vor Mutterseligkeit — mir ist, als hätt' ich Zuvor die Vaterschmach mir nur geträumt —

Ich fahr' empor und will das Kind dir bringen,

Und Kind, Entzücken, Mutter, alles stürzt In wonniges Erschrecken. — Schweigend steh' ich,

Und dennoch tönt aus mir Versteinernder

222 Das frohe Wort, das ich dir rufen wollte, Von meinen Lippen leis: „es ist ein Knabe!"

So mag der Mutter neben uns nun sein. So? ... Ach, so nicht! Sie hat den ganzen Himmel,

In ihren Armen, menschenklein den Gott,

Der sie mit solchen kleinen Aermchen sucht,

Mit kleinem Mund sich Leben trinkt aus ihr.

O laß mich träumen! träumen!

Wer sein Glück

Nicht träumen kann, nicht träumt, der ist erst arm, Der muß vergehn.

Ich aber trete ruhig

Nach einem solchen Traum zu Menschen wieder,

Ich sitze stolz sogar in dem Gefühl:

Ich könnte glücklich sein — ich bin geweiht; Denn ich, ich kenne doch das Glück — ich träumt' es. So sprechend schläfst du ein, noch ganz durchglüht

Am Herzen deines-------- und er läßt dich schlafen.

Selbst lang noch wach, beweint er deine Schönheit Und Jugend, deine Liebe, wie ein Quell Versprudelt ungefaßt, wie nur verblutend; Die Arme, die nichts fassen; deine Brust, Die unberührt bleibt von den Engelslippen;

Das Auge, das nicht stralt, wie's Müttern stralt; Das Herz, das schlägt. . . nur eitler Sorge schlägt — Ach, eitler Sorge nicht, nein, wahrster, größter.

Du wirst auch altern, jugendlich Gebild, Dich einzig wird die Sonne nicht verschonen —

223 Dann wirst du ruhig sein, beschieden sein

Vom Leben, und bescheiden wie Bejahrte, Die nichts mehr wünschen gegen die Natur.

Doch nicht verstummen, sanfter nur wird dir

Die Klag':

„Ich bin auch glücklich nicht ge­

wesen;" Denn Menschenglück ist mächtiger Himmelsruf

Und klingt den Menschen durch bis in das Alter

Bis auf das letzte Bett, da sanft verklingt er, Nur eine Selige begräbt man noch

Zum Wunder, eine Selige — die starb,

Und keine Todte.

Todte giebt es nicht.

Am Morgen kommt dann deine Mutter stumm.

Nach

langem

fragt

sie

leise:

„Nun?"



Da

schweigst du,

Und leis bewegst du ihr dein ruhig Haupt. — Und nun erzählt dir Lieben sie — zum Troste: Die Nachbarin ist heute Nacht gestorben.

„Die Nachbarin, von der ich träumte?" — Sie!

Das arme Kind lebt. „Das lebt! und sie nicht?

224 „So wär' ich todt.

O welche Mutter kann

„Vom Kinde sterben!"

Weggerissen werden,

Das kann sie. „Welche grause Macht! „Welch schonungsloses, unbarmherzig Herz, „Weh, laß mich meine Augen mir bedecken —

„Und ist das Kind nun glücklich ohne Mutter?"

Die Menschen leben!

Gute — und der Vater.

„Der arme Vater! sein gedenkend bricht mir „Das Herz um meinen — Mann! . . . Wie mag die

Arme „Gestorben sein!"

Auch sterben flieht vorüber!

Es eilt, es eilt, wie diese eil'ge Welt, Die nur zu sein scheint, immer zu verschwinden. So spricht dein Vater, der dich grüßen läßt . . .

Du würdest seinen Gruß wohl fromm verstehen.

Ich sehe, was er meint, an deinem Staunen. Doch wie so gar schwer sie gestorben sei?

Der Vater spricht: Klar ist, ihr Frauen seid Die wirklich und wahrhafte ew'ge Mutter,

225 Ihr seid die Liebe selbst, ihr seid die Kräfte

In herrücher und zartester Gestalt.

Die Mutter, die ein Kind geboren hat, Die fühlt in allen Gliedern süß und heilig: Sie selber ist der Heiligthümer größtes;

Sie selber ist, was alle Himmel nur

Bedeuten, was zu sein sie ewig ringen; Und also fühlt sie sich als göttlich Wesen

Begnügt, und tief-bescheiden, tief-verbunden Zu sein, zu leisten, nun zu leben — oder Zu sterben auch; und süß, unraubbar-süß Ist sterben ihr, so süß hinopfernd-süß,

Als wenn sie selber sich gebären sollte

Als Engel; und so stirbt sie leicht dahin Mit leicht verbiss'nen Zähnen, nur zum Halt Die Kraft zu sammeln zu dem heil'gen Werke — Das uns, die zuschaun, graus das Herz zerreißt.

Wir aber sollen fühlen, was sie fühlte,

Und ruhig lächeln, wie ihr ruhig Antlitz. Es stirbt ein Weib wie eine Göttin hin,

Und die ein Kind geboren — ist ein Weib erst. Doch ach, verzeih'!

Komm an mein Herz, mein

Kind!

Drauf leise sagt dir deine Mutter weiter: „Sieh', wenn dein Leben nach Gebrauch und Ordnung

Der Welt verlies, so mußtest du dereinst

226 Dem Kind und allen deinen Kindern sterben —

Die Schmerzen hast du nun der Welt erspart.

Die Kinder konnten alle vor dir sterben —

Die Schmerzen bat nun dir die Welt erspart . . .

Und alle Freuden, die je Kinder machen. Nur eine Jungfrau bist du recht gewesen Bis zum Altare; weiter bist du nicht Beglückt den sel'gen Lebensweg gekommen.

Die Tage wirst du sitzen ohne Arbeit Und heil'ge Sorge, die das Leben ist;

Im Alter wirst du freudlos still vergehn —

Wenn dir der todten Mutter Kind nicht hilft: Das Haus der kinderlosen Aeltern ist Das gottgegebne Haus verwaister Kinder.

Ein Edlers lebt, als Hund'- und Katzen-Mutter

Und Papagein- und Afsen-Vater sein. Du kannst noch glücklich machen ganz wahrhaftig Als Mutter, und noch glücklich sein als Weib.

Doch — dll vermeide streng das größte Unglück, An dessen Rand die Kinderlose wandelt,

In dessen Abgrund leicht sie schrecklich sinkt, So leicht, wie trunken in ein Himmelbett. Auf jedes Schicksal hin ergiebt dem Manne

Die Liebende sich fest zu gleicher Liebe,

Und immergleiche Liebe ist die Treue.

Doch in des Weibes Herzen lebt die Liebe Nicht ohne tief-geheimnißvollen Inhalt:

227 Was Liebe sei . . . was sie gewähren solle, Und ohne dess' Erfüllung reißt sie sich

Aus jeglicher Verbindung los; sie faßt

Die alte Hoffnung ihres wahren Himmels, Faßt ihre Sendung, ihren Rus auf Erden: Nicht Weib allein, nein, Mutter auch zu sein . ..

Ja, wenn es müßte, lieber Mutter, Mutter Auch ohne Weib ... als Weib und

ach!

nicht

Mutter. Die ganze Vorwelt schreit zur Kinderlosen, Die ganze Nachwelt schreit zur Kinderlosen:

„Erhalte du das menschliche Geschlecht!" Weh! selber manche Mutter schon von Kindern,

Sonst edel und gewissenhaft, von Inbrunst

Nach ihr durchglüht, bezaubert ganz das Schmachten Nach einem neuen ungebornen Kinde, Als wenn sie nie geliebt, geliebt nie worden.

Wie sinnlos schließet sie die Kinder ein Noch um das Kind, das ihr im Blute stöhnt, Das sie wie rasend zum Verführer treibt,

Indeß die schon von ihr gebornen Kinder

— Als wenn sie ihr, sie ihnen fremd geworden —

Laut draußen schrein — und an die Thüre Pochen! Da schaltet mit dem Weibe die Natur Als erste, große, allerhöchste Mutter,

Und nicht die Liebe, die nur Einen Mann liebt. Und was da einst ein Weiser, der kein Weib, 15*

228 Kein Kind besaß, mit Fingern auf die Erde

Geschrieben, hat bis heut kein Mensch gelesen. Doch was ich für dich fühle, höre du:

Es ist ein Kind, was da ein Gott dem Weib' giebt,

Doch ihr, ihr ist es schwarz wie aus der Hölle, Denn sie ist keine Mutter! eine Mutter

Ja ist das reinste Wesen, wie im Himmel, So auch auf Erden! Durch gebrochne Liebe

Nur Mutter sein, ist bittre Höllenstrafe. So schwerbestraft sei du dir niemals Mutter; Mit einem Liebebruch ist selbst der Himmel

Zu theuer dir erkauft.

Du, bleib' ein Weib!

Du, bleib' ein Kind! voll Unschuld, ohne Schuld,

Und wenn nicht selig . . . doch unselig nicht!

Denn ist ein Kind ein Engel selbst — es nimmt

Kein Engel eine Schuld vom Mutterherzen!"

*

* *

So sprach die Mutter.

Und sie weinten Beide.

229

Das Mkisch -er Welt. Hast du das zarte, feine, gottgewebte, Schneeweiße Fleisch der Lilie bestaunt,

Dies unvergleichbar duftig-reine Wesen, Unsäglich zarter, lustiger als Schnee

Der Himmelswolken und der Bienen Wachs! Hast du die Perle eines Wiegenkindes

Bestaunt, die ihm in seinem Rosenmäulchen,

Wie in der Muschel wächst — und deinen Vater, Den willst du „einen Zentner Fleisch" noch nennen?

Willst du der Jungfrau demanthelles Auge, Die Stirn, die Wangen, Lippen . . . Fleisch noch

nennen, Und nicht das Fleisch der Welt für heilig halten — So thu's! du thust es nicht dem Gott zur Schmach,

Nur dir zu grobem, frechen Unverstand.

Doch darf ich Eins dich bitten, bitt' ich dich: Bedenke deines Weibes göttliches Gebild — es war vor wenig Sonnen nicht;

230 Der EngeLleib von deinen Kindern ist

Da aus des Aethers heil'gem Stoff gewebt, Den Nichts an Heiligkeit und Herrlichkeit Je übertrifft, dem Nichts am Himmel gleich ist!

Und denke: deiner Mutter liebendes Gebild, von Lieb' und Güte ganz durchzogen,

So wie ein Apfel, der in Rosen liegt — Nach wenig Sonnen wird es nicht mehr sein,

Und als nur Aetherduft ist sie verduftet In Aetherduft, der sie umwebte, füllte, Auf daß sie dir erscheinen, Mutter sein, Dich lieben konnte, sichtbar euch einander, Und an das Herz zu drücken wonnevoll.

Das Fleisch der Welt ist nöthig, wie der Geist.

Nur durch ihr Fleisch hat sie Gestalt und Schönheit So lang' sie leibt nur, lebt sie, ist sie sichtbar. Erscheinung ist das wahre Sein; erscheinend

Nur sind die Dinge; vorher sind sie nicht. Die Lieb' ist auch ein Geist! . . . und welch' ein

theurer!

231

Das Göttliche. Was ehren Menschen als ihr „Göttliches"? Gewalt und Macht erzwingen sich in freien,

Erhabnen Herzen nichts als Haß und Trotz; „Gewalt und Macht", sie sind so wenig ehrbar, Als bloße Dauer; Ewigsein ist nichts

Für Nichtiges; — Was ist, das ist die Sache! Nicht wo, wie lange oder wer es sei.

Die Menschen ehren in der eignen Seele

Die Liebe, Wahrheit, Recht, Vernunft und Ehre; Und hätte . . . wäre diese göttlichen Der Gott nicht, weinten sie um einen Gott.

Doch haben Menschen, sind sie selbst unleugbar

Die Liebe, Rechtsgefühl, Vernunft und Ehre,

So ist es deutlich, daß der Gott sich selbst In ihren Geist und in ihr Herz gesenkt,

Und daß der Gute, einig lebt mit Gott,

So eins wie Will' und Hand mit einem Menschen; Sie beide thun Dasselb' in ew'ger Freiheit.

232 Und nicht die Selbstverehrung ist das Leben,

Das Leben ist das Thun und Freuen Gottes. So ringe du nun, Göttliches zu leben

Ohn' alle Eitelkeit in aller Stille, Bescheiden, wie die Schwalbe fliegt und baut, Und wie die Rose still so köstlich blüht.

Denn lebten tausend große Götter — alle Vernichtete die kleinste Eitelkeit.

Das Göttliche, das ist das Allgemeine,

Und das Besondre sind nur Wahn und Irrthum. Drum ist der Gott so still wie ein Geheimniß,

Und alle Guten in der Welt, die Güte, Die Liebe, Redlichkeit, Verstand und Ehre,

Sie walten immerdar in heil'ger Stille, Als seliges Gefühl und unsichtbar,

Gleichwie das Licht, doch alle Welt erleuchtend, Und nur in Werken können sie erscheinen.

So, ungekannt und ungenannt, sei du Das Allerhöchste mit in deinem Herzen;

Es raubt dir's Niemand, Niemand kann dir's geben.

233

Klarheit. Der Vielerfahrne, Weise zweifelt nie.

Der Zweifellose ist allein der Frömmste, Denn Er vertraut viel fester als ans Felsen,

Daß alles gnt, den Menschen heilsam sei, Und Freude — wenn Er klar es erst erkannt. Denn alles, was ihn je bekümmert hat, Das hat in Helles Licht sich anfgelöst,

Und was ihm noch in Dunkelheit sich hüllt,

Das wird sich durch Verstehn und Wissen, ja Es muß sich schön und zaubervoll entwölken, Klar wie die Sonn' am Himmel. Sieh', und Himmel

Und Erde und ein jedes Wort im Geiste Sind klar vorhanden für den Menschengeist —

Die Seele darf sich selber nur entwölken, So ist das All mit seinem Geist ihm hell; denn Der Mensch ist nichts als sein Gefühl des Alls, Das rege Bild des Alls im Born der Seele,

Und seine Dinge werden ihm Gedanken.

234 Wenn du aus Zweifel, aus Unwissenheit, Die allen Irrthum, Wahn und Furcht gebiert, Den frechen, stolzen Thoren dich ergiebst,

Die schmunzelnd und hohnlachend Thoren schwören,

Daß sie nur einzig alle Wahrheit wahrten

Und alle Schlussel zu dem heil'gen All An ihrem Bund um ihre Hälse trügen . . .

Wenn du aus Seelenangst in ihren Pfuhl Auf Tod und Leben stürzest — weißt du, wer du

Dann bist?

Ein ganz Unwissender nicht nur,

Ein ganz Erfahrungsloser, Blöder, Schwacher,

Der nie ein Dunkel je sich aufgehellt —

Ein ganz Verzweifelter bist du in dieser Jedwedem stets vollkommnern, bessern Welt,

So wie Er besser wird und stets vollkommner — Du bist ein Mensch, der sich nicht selber glaubt,

Der keinen Funken Ehr' im Leibe hat, Dem Pilz, der Seifenblase gleich; du bist

Ein frecher Gott der ächter, der zu ihm

Auch nicht ein Senfkorn-schwer Vertrauen hat, Nicht eine Faser Kraft in Leib und Seele; Ein müßig Fauler bist du, wie mehr keiner,

Der alle Güter Leibes und der Seele, Verstand, Vernunft und Glück und Seligkeit, Auf Silberschüsseln sich kredenzt will haben,

Der alle auslacht, die da Bäume pflanzen, Die Schönes schaffen, die nach Wahrem forschen,

235

Die niemals glauben, weise je zu sein, Noch gut, nur immer besser, weiser, frömmer, Und sich den Weltgeist aus der Welt erbaut. Du aber ziehst den Menschen aus, und Gott

Nicht an, du gehst zu wohnen bei den Asien. Denn wer nur nach-glaubt,

wer nur Andern

nach-fühlt,

Der selbst hat aufgehört, ein Mensch zu sein,

Dem sich der Gott mit allem Schönen, Guten In seine Brust gesenkt, Ihn da zu finden, Nicht es geschenkt zu nehmen, wie ein Bettler,

Ein Narr die Kappe und ein Kind das Spielzeug l

236

Lebensreise. O Menschenkind! in welche Himmelslüste

Doch steigst du aus der Stoffe dunklem Schoß! — So steigt die Ameis' auf die Riesenfichte,

Die alt-uralte, die da immerblühend

Mit grünen Zweigen in den Himmel säuselt.

Aus ihrem Bau voll weißer Windelkinder

Am neuen Morgen tritt sie ihre Reis' an.

Sie freut des Weihrauchs sich, der aus ihr traust, Begegnet schon Heruntersteigenden, Holt Müde ein . . . sieht Andre in die Tiefe Hinunter stürzen.

Bei der Mittagssonne

Hat sie des Gipfels zarte Spitz' erreicht, Drauf sie kaum Raum hat.

Dort von voller Sonne

Umglänzt, von Wolken silberhell umweht,

Vom weiten blauen Himmel angebangt,

Von lausend Röschen unter ihr umblüht, Von allen Vögeln in dem grünen Hause

Froh angesungen, sitzt sie, ruht sie, träumt, Von solcher Fülle ganz betäubt — und steigt

Vor Furcht mit Vorsicht wieder still hinab.

237 Und „höher steigt ihr keiner!" weiß sie nun; „Nichts ist als Wind darüber", weiß sie nun. Sie sieht Ermüdete, von flüssigem Harz Bang-Ueberwälzte, die nun todt und still,

Einst Wunder werden in dem klaren Bernstein!

So klimmt sie durch der alten Rinde Schluchten Den langen, langen Nachmittag hinab; Und bei dem Untergang der Sonne kommt

Sie herzlich-müde heim, ein Körnchen Weihrauch Im Munde, und verkriecht sich in die Erde Zu ihrem Volk, am Stamm des alten Baumes, Der in der Nacht so fort in heiliger Stille

Bei Sternenschein die tausend Rosen wiegt, Die Sänger, die in seinen Zweigen schlafen,

Im Nest voll Jungen, auf die Sonne harrend. — So schlafen sie!

So schläft der heil'ge Baum.

238

Selbstgenügen. Gerechter und erhabner weiß ich nichts, Erhabner über alle Thorenpläne,

Als daß ein jedes Wesen mir sich selbst Zufrieden in den Tagen seiner Welt

Sich selber satt lebt und der Welt sich satt,

Und als das Wesen, das es war, verschwindet, Und doch unleugbar war, das was es war! Und das ihm selber eine Weltvernichtung

Nie raubte — niemals mehr ihm wiedernähme, Daß es gewesen, und was es gewesen, Und wie es froh war bis zur Sättigung.

239

Wrrth -er Gegenwart.

Erlöse dich auch frei von Jahr und Tagen! Um nicht in alter Zeiten Bann zu leben, Der sinnbesangend aus die Geister drückt,

Schwer wie ein Alp.

Drum nenne keinen Tag

Nach alter Menschen Namen, schienen sie

Auch noch so groß und werth, ja heilig selbst. Dein eignes Schicksal, dein dir eignes Leben

Ist mehr, und mehr werth, als der Besten Leben. Dein eigner Tag ist mehr, als Andrer Tage. Wirf dich nicht weg an längst vergangne Dinge,

Laß dich nicht wirbeln in ein Truggeflecht . . . Vielleicht ein Luggeflecht vergangner Menschen: „Als drehte sich in einem Kreis die Erde

„Und Alles finge neu an einem Tage „Alt wieder an, und hört' an einem Tage

„Neu wieder auf, um sich zu wiederholen.

„Denn unsre Zeiten wären selber nichts, „Wir selber nichts, und was wir fühlten nichts!" Ein neuer Tag ist eine neue Zeit,

Ein neuer Mensch ist eine neue Welt,

240 Urköstlich, göttlich, frei — die hoch verdient, Gefeiert als ein heiliger Feiertag

Zu werden, welcher niemals wiederkehrt. Erkenne eines Menschen Werth und deinen,

Und deines Volkes Werth erst recht — dann wirst du

Die Zeit für keinen Leierkasten halten, Den Menschen bis zum Ekel vorgeleiert.

Denn immer neue hohe Zeiten feiern

Die tausend

Sterne,

Sonne,

Mond

und

Erde; Und wenn du das erkannt, dann wirst du frei

Und seliger, als nur durch alten Tand,

Dein eignes Leben und die eigne Welt Mit unvergleichlich hoher Wonne feiern,

Und kein Kalender-Thor sein, nein, ein Mensch! So sei denn mehr kein Sklav' von Jahr und Tagen! Laß dich die Weltgeschichte nicht betrügen! Was je der Himmel und die Erde werth

Gewesen, sind sie heut noch werth, wie je; Und sind sie heut nichts, waren einst sie nichts.

Doch fühlst du deinen Werth — gieb ihn der Stunde!

241

Die einzige Liebe.

Die allgemeine Liebe zu dem All

Und zu den allen, selber zu den Sternen, Zu jedem Schaf und zu dem alten Hunde — Das ist die traurige, die Elendsfreundin,

Die frohe nicht! der Liebe Schattenbild,

Ihr frommer Wahn nur, nur ihr sel'ger Stolz, Nur ihre Einbildung der Göttlichkeit —

Das ist die Liebe nicht, auch nicht der Traum Von ihrer Hoheit, Wonn' und Seligkeit

In unbewußter, reiner Götterunschuld!

Doch segnet ihr die stille Magd des Lebens Ihr Liebenden!

Denn sie bereitet euch

Die schönen Tage, euer Lebensfest;

Sie nimmt die auf, die, auf der Liebe Weg

Gestrauchelt, leiden; die ihr Glück verfehlten; Sie ist das gute Herz der alten Weiber, Der jungen Mädchen, müßig Liebe hoffend; 16

242 Sie ist der Arzt, die gute Kindelfrau — Doch nicht das junge Weib! das junge Kind, Das selber Engel anzubeten kämen!

Der Menschen Herzen sind erwacht! Sie schauen Nun klar; sie unterscheiden scharf und streng; Sie lassen sich durch nichts mehr irre machen, Die wahre Liebe übend zu genießen.

Denn Andern wohlthun ist noch lang' nicht Liebe, Und Helfen ist noch lang' das Leben nicht, Und Leben ist noch lang' die Freude nicht —

Sonst gab' es Millionen Unglücksel'ge, Und selber Bettler wären Liebende,

Die sich einander helfen . . . ja die Bienen,

Ameisen, alle wären Liebende! Da sei ein Gott vor, daß das Heiligste, Das Höchste Aller „Liebe" sei geschimpft,

Wie alle Jene lieben, die da wohlthun,

Und einzig wohlthun können — weil nur Der

Den Werth der Hülfe kennt, der selbst tief leidet! Was Hülfe ist, das weiß kein Glücklicher;

Es weiß es kaum ein Liebender vor Glück,

Aus Phantasie nur, nicht aus Herzensgründe —

Geträumtes Gute aber ist nur Schade! Was Liebe sei, das weiß kein Liebender

Zu sagen, weil es unaussprechlich ist —

243 Drum wissen auch die Stummen es, die Tauben! Und wer ein Herz hat, ist davon beladen, Wie Braut und Bräutigam, mit tausend Rosen,

Wie Blumen im Gewitter voll von Dust!

Die Liebe, die da Hülse heißt und Wohlthun, Die wird verlöschen und sie muß verlöschen, Und glücklich eingehn mit den Leidenden, Des Lebens Leiden, und dem Unglück allem.

Die Liebe aber, die da Seligkeit Ist, Seligkeit bereitet, die wird bleiben

So lange schöne Menschen noch auf Erden Aufblühn, und schöne Jünglinge und Jungfraun Den sel'gen Schöpfergeist an sich beweisen,

Und keine Hülse brauchen — als die Sel'gen, Die von Barmherzigen nur als Märchen hörten. Unselig ist: Barmherzigkeit bedürfen!

244

Gerechte Unterscheidung.

Du siehst dir lang1 den Abendhimmel an Mit seinem Abendstern, nnd aus der Ferne

Weit blitzt es her, und, wie vergessen, erst Spät murrte kurzer leiser Donner nach.

Du staunst das große Haus, den Sternenhimmel, Begeistert an, das dir ins Auge funkelt,

Und rufst: „Wie hochehrwürdig sind die Hallen, „Durch die so viele schöne Wesen zogen!

„Darinnen so viel Herrliches geschehen, „Ganz unaufhörlich noch geschehen wird!" . . . Und reichst mir deine Flöte dar . . . zum Vorbild.

Du willst Bescheid, und sanft antwort1 ich dir:

Ersticke nicht in Sinnen-Aberglauben!

Die Flöte also soll ich da verehren, Aus der du Göttliches — geblasen hast,

Und göttlich!

Ja, den Hain, drin du geblasen,

Darin die Flöte scholl, soll ich verehren?

Jetzt geh1! und mache meinen frommen Sinn Für wahrhaft Selbst-Verehrungswürdiges

Bereit, damit ich ihn gewissenhaft

245 Dem Selbst-Verehrungswürdigen ausspare,

Und nimmermehr leichtsinnig ihn verschwende — Und also nicht der Zeit, dem Tag, dem Orte,

Noch einem Grabe, drin ein Todter ruhte, Und ohne Vorzug keinem Ort noch Tage.

O so vernimm mein wahr-bescheidnes Wort:

Ich ehre nicht die Welt, so schön sie ist — Denn ihrer Schönheit wegen lieb ich sie; — Ich achte nicht die Welt, so groß sie ist,

So ewig — denn darum bestaun' ich sie; —

Ich ehre nur die Ehrenwerthen selber, Die das in ihr Bestaunte selbst gethan. Ja, auch das Angestaunte ehr' ich nicht,

Denn das ist selber nichts, als wie ein Pfeil Aus starker Hand, ein Hauch aus reinem Munde,

Ein flücht'ger Abdruck einer edlen Seele — Ich merk' es mir und such' es auch zu thun Aus selbem Sinn, aus dem es sie gethan.

Und hab' ich auch es ganz wie sie gethan,

Verehr' ich mich noch nicht — ich that mich selber! So wie ein Kind sich schwatzt, der Staar sich singt —

Und nicht verehrungswürdig scheint mir Das.

246

Erhebung.

Ich bitte dich: Erliege nicht dem Schmerz, Bringt ihn bei Zeiten aus das rechte Maaß! Verkläre dir die Todten!

Schmücke dir

Das Grab, daß du es freundlich-gern

Mit milden Thränen siehst und sanftem Lächeln.

Verschönere das Haus der Welt dir!

Halte

Nicht Schmuck für nur Betrug; der schöne Schein Ist holde Wahrheit, wie in Kunst im Leben,

Und nur dein schönes Herz hat ihn erschaffen.

Der menschenkennerische, weise Künstler Er bildet nicht den gräßlich Leidenden Mit schmerzzerriss'nen Zügen, sondern menschlich

Und groß das Schicksal leidend, das ihn traf. Denn lang' und immer länger angeschaut, Scheint dir der Arme immer Schwereres

Zu leiden . . . bis du schreiest vor Entsetzen! So wärmt die Sommersonne auch je länger, Je heißer, selbst den Stein bis zum Erhitzen.

Drum, wenn du Tag nach Tagen klagst und jammerst, In deine glühende Brust dir immer mehre Der Freuden und des Schönen dieser Welt

Wie in ein Feuer zum Verlodern wirfst,

247 Dein Leid ausgießest über Thal und Blumen, Hinunter in dein süß-vergangnes Leben,

Hinaus in deine streng-verstoß'ne Zukunft . . .

Zu eiüem Teppich voll von Schreckensbildern Es webst, ihn wie ein schwarzes Leichentuch Ausbreitest über blauen Himmel, Tages,

Und nächtlich über Mond und güldne Sterne: Da hast du nicht den ersten Schmerz zu tragen, Den du um dein Verlorenes gefühlt —

Nein! eines jeden Tags Erinnerung DerSchm erzen überkommt dich immer schwerer

Am neuen Tag, bis du der Last erliegst,

Die du dir selbst erst auf die Brust gehäuft, Aus Treue, meinst du, gegen deine Todten.

Nicht todten wollen dich die Todten! O Recht selig wünschten sie dir zu erscheinen,

Auf daß du länger lebst und ihrer denkest!

Vertausendfache dir den ersten Schmerz Denn nicht! Vertausendfache lieber dir

Die Ruh' der Todten jetzt, und ihre Tage,

Und ihre Freuden, die sie mit dir lebten. Das ist Gerechtigkeit, ist Lieb', ist Wahrheit! Das ist die Köstlichkeit des Todes!

Das ist

Die Seligkeit der Todten und ist deine,

Die ihnen du gewährst, und sie, sie dir!

248

Die Fesseln. Aus Einer Fessel kommt die Menschheit nie:

Aus der sie ganz umwebenden Natur,

Die wie ein Wiegenkind sie eingewickelt, Sie eingesponnen wie die Chrysalide.

Aus ihrem Leibe kommt die Menschheit nie, Den sie zum Sein bedarf — sonst hört sie auf;

Aus ihrem Geiste kommt die Menschheit nie, Der erst ihr Inhalt, ihr Beweger ist; Aus ihrer Liebe kommt die Menschheit nie,

Sonst käme sie aus ihrem Glück und Leben. Ganz reine nackte Freiheit giebt eö nicht;

Die markig-volle schönste Freiheit ist, Der Geist- und Leib-sein, und der Kern des Alls, Worin er, wie die Nuß in ihrer Schale, Allein sich reifen kann und kostbar reift.

Zur einzig möglichen und schönsten Freiheit Gelangt der Mensch nur, wenn er Leib und Geist Und Liebe ist.

So muß denn jeder Mensch

Sich nicht heraus aus der Natur, nein, ganz

249 In sie hinein arbeiten, leben sie, Ihr gleichen an Gesinnung und an Thun

Und Art, so wie ein junger Aar dem großen Bis auf die Feder und den hohen Flug. So ist er frei, und wird es selbst Nichtwissen,

Wie nicht die Sonne weiß, daß sie die Sonne.

Die Freiheit fühlt sich nicht.

Nur Knechtschaft

fühlt sich, Die uns von uns und Andern angethan; Und Haß und Furcht und unnatürlich Leben

Das sind die schlimmsten, drückendsten Tyrannen —

Die fühlen sich!

Die Freiheit fühlt sich nur

Als Tag und Glück und Seligkeit und Unschuld. Drum trachte, Mensch, nach deiner schönsten Freiheit;

Die gieb dir, und du weißt nicht von Tyrannen — Die allerseligste Unwissenheit!

250

Auferstehung.

Es sterben uns die Sterbenden nicht ganz!

Es stirbt die Liebe mit dem Todten nicht, Wenn auch die Liebe zu den Todten stirbt —

Denn nichts mehr sind die Todten; aber das,

Was sie gewesen sind, das stehet auf

Verklärt und heilig, als ein Engel schön;

Und dieser Engel ist der gute Mensch, Der aus der Welt verschwand; nur dieser

Verklärte, leis' uns hold Umwandelnde,

Hat Menschen erst den Engelswahn erregt.

Der Menschen Engel sind die guten Todten Und Auferstandnen, weil wir sie geliebt. Gehaßt' und Hassenswerthe stehn nicht auf; Stets drückt ihr Unwerth tiefer sie ins Grab,

Wenn eines Kindes Thräne schon sie weckte! Die Liebe weckt allein von Todten auf.

Nicht Allen stehn die Todten auf, auch ihren Geliebten kaum, nur den sie Liebenden,

Sie nicht Vergessenden, wie kleine Kinder, Die ruhig ihre Mutter schlafen lassen.

251

Die Liebe thut sich nie genug. Hausvater, guter, der an Weib und Kindern Zeitlebens Tag und Nacht viel mehr gethan, Als Menschenlebens-unverständ'ge Engel

Aus Kinderherzen ihm zu heißen wüßten; Hausmutter, gute, die voll stiller Liebe Fast über ihre Kräfte für die Ihren,

Doch immer froh, im Hause hat geschafft,

Und selbst erlegen und gestorben ist . . . Was seid ihr doch für Muster, die die Erde

Allein erst bildet und allein beseligt! — Wer von euch beiden leben blieb, der weint: Er habe lange nicht genug gethan!

Vorwürfe macht er sich in stiller Nacht; Er zählt sich vor, wo er noch gütiger,

Noch fleißiger, noch liebevoller sein Gekonnt, und sollen sein! — Die Reu' vergiftet Ihm erst den Tod des Lieben, und er möchte Ach, nur ein Jahr, nur einen Tag ihn wieder,

Um ihm zu Füßen fallen, ihn beschwören

252 Zu können: „O vergieb, vergieb mir Alles „Das, was ich nicht gethan, versäumt, verschuldet!"

So schluchzt er, und er beugt sein Haupt zur Erde.

Doch wenn die theure Todte dir erschiene, Sie würde lächeln, sanft dich lehrend sprechen: „Nur deine gute Seele irret sich;

Selbst die Gewöhnung, gut zu sein, bedrückt dich, Weil Hand und Fuß dir jetzt gebunden sind,

Weil dir dein Mund durch meinen Tod verschlossen, Weil du nun abgesetzt von deiner Liebe Für mich und von dem treuen Helsen bist,

Und müßig, voll der heil'gen Müßigkeit, In die der Tod die Redlichen versetzt.

Du hast gethan ... du würdest thun . . . wie ich.

Die Liebe thut sich nimmermehr genug! Das hast du, Glücklicher, nie fühlen können —

Nun

weißt

du's.



Hör' es nun als Trost

von mir!"

253

Die Freude ist die Jugend.

O gönne doch der Jugend ihre Freude!

Die Freude ist die Jugend! Flieht die Freude,

Dann flieht die Jugend, Tanz, Gesang und Lust, Der blaue Himmel riß ihr mitten durch;

Und sah' sie droben auch die Sel'gen stehn — So steht sie drunten auf der kalten Erde!

Unb die Begeistrung für dieselbe Welt, An der so viele Tausend schon verzweifelt,

Sank jäh, und stürzte in sich selbst zusammen . . .

Begeistrung ist des wahren Geistes Glut. Drum gönne du der Jugend ihre Freude! Sie hat noch keine Blume weggefreut, Noch keine Lerche aus der Luft, kein Lied

Noch jemals aus der Welt mit fortgesungen,

Und keine Flöte sortgetanzt! Das Schöne, Holde alles da!

Sie läßt Sie selbst

Nur schwirrt im Herbst Nachts wie die Schwalbe fort — Und Stille herrscht am Morgen um das Haus.

254

Das Gebet. Klarsehend wird ein Betender; er weckt

Sich selber ans und sieht und fühlt das All Fromm mit Bewunderung und mit Vertrauen. Das ist genug, das ist so viel, ist alles,

Was ein Bescheidener verlangen kann, Der seine Hände nicht in die uralte

Und heil'ge Ordnung mischen will, und Gott Zum jetzt erst guten Vater auferwecken,

Aufschreien, daß er ihm, beschämt, gewähre, Nun hörend, wer es sei! und was er müsse!

Das ist genug, wenn er sich auch nicht Regen

Und Segen seinem Feld und Werk erzwingt;

Der Gottergebne, ja nur Weltergebne, Wird auch bei Dürre, bei mißlungenem Werke

Zufrieden sein im weitgewordenen Herzen, Denn er hat Gott geschaut — er hat gebetet.

Und des Vernünftegen Seele betet immer! Sie wohnt im ernsten Reich der Möglichkeit,

Sie wohnt und thront bei ihrem Herrn und Meister,

255

Bei Weisheit, Einsicht, Hoheit und Geduld. Die Welt zu dulden ist des Weisen Leben,

Und sie zu lieben, wie sein eignes Kind, Ist seine Hoheit selbst und seine Freude.

-ft

-ft

Wer erst in Noth und Tod zum Tempel rennt, Der ist zu Hause nicht bei Gott gewesen, Nicht bei Vernunft und seinem weisen Willen.

Und wer zu Haus bei Gott war — bleibt zu Hause.

256

Hilf, wem noch ju helfen ist. Dem armen Alten ist nicht mehr zu helfen. Fast einem Gotte gleich still ^itzt er da

Zufrieden, denn er hat es überstanden

Das Wohl und Weh bis auf den letzten Tag. Den Armen wird die Welt verlassen leicht,

Und Unglückselige bedanken sich Sogar noch für den Tod, den Gott nicht höhnend.

Ihm ist nicht mehr zu helfen, und er lächelt Nun du noch sanft von Hülfe zu ihm sprichst,

Und herzbescheiden freundlich sagt er dir: Wer wärst du, daß du mir noch helfen könntest!

Mir, der ich nichts bedarf und keiner Gabe Mehr fähig wäre.

Meine Zeit ist hin.

Du kannst in meine arme Knabenzeit

Nicht einen Apfel mir hinunter werfen!

Mir nicht ein Röckchen auf den Christbaum hängen,

Der mit drei kleinen Lichtchen einst verbrannt.

257 Kannst mir, dem Jüngling, nicht ein gutes Weib

Zuführen, denn wir Beide sind verschwunden, Und meine Zeit.

Du kannst mir nicht ein Bett

Statt meines Strohs in jene Winter stellen,

Nicht eine Mütze meinem Haupte schenken —

Ein Pelz von dir, der fiele jetzt zum Lachen Umsonst hinab in alle Ewigkeit!

Du kannst mir die gelittenen Schmerzen heut Nicht heilen; kannst an keinem Fest Voreinst

Ein gut Gericht auf meinen Tisch mir setzen, Nicht unter mein Kopfkissen nur zu Nacht Ein Stückchen Brot mir stecken, kein paar Groschen In meinen Beutel, mich zu laben, da ich krank

Und elend war . . . und wärest du ein Kaiser,

Ja wärest du ein Gott — das kannst du nicht."

258

Das immer Neue.

Nur wenig wär', einmal die Welt geschaffen

Zu haben; kein Verdienst, wenn sie auch währte Und ewig nur „der alte Augenblick"

Geblieben.

Aber ewig schafft die Kraft

Noch fort — die Thoren nennen das Erhaltung. So bringt sie alle Augenblicke Neues Hervor!

Nicht Neues selbst durch neue Sterne,

Durch neues Gras und neue Blüten nicht — Da bleibt Natur die alte ewiggleiche. Auf Erden bringt sie einzig nur durch Menschen,

Im Menschen wahrhaft Neues stets hervor: Nie ist das Schicksal eines Menschen so

Verlaufen!

Krank ist Keiner noch gewesen

So grade wie die arme Mutter hier;

Und jede Thräne, die die frommen Kinder An ihrem Sarge weinen, sie ist neu, Neu, wie noch keine in der ganzen Welt Geweinet ward, geweinet werden wird.

Ein Jeder fühlt sich anders, lebt drum anders.

259

Sei gefällig!

O sei gefällig!

Diene Andern wieder

Mit dem, womit dir Tausend schon gedient.

Das thut sogar der Hund! das thut die Gans, Die für die kranke Gans sich brüten setzt, Die sie in heiliger Sprache wohl verstanden,

Und wenn sie starb, die Jungen für sie führt. Wer ungefällig ist, der ist kein Mensch,

Der hat nie klar gedacht, wodurch Er lebt Und froh ist — durch die ganze Menschheit nur,

Selbst durch die Todten, die vor ihm gelebt.

Geh' selbst zu Grabe mit dem fremd Gestorbnen, Dir werden Andre thun, was du gethan. Dem Armen gieb von deinem Brot, wie dir ja

Einst deine Mutter gab, die längst Gestorbne,

Wie „Jemand" Einem deiner Väter gab Vor Abraham — denn immer lebten Menschen. Du hab' ein offnes Aug', ein offnes Herz.

Sei nie verdrießlich, daß du Einem sollst Gefällig sein, und scheu' die Mühe nicht; 17*

260

Die allermindeste Gefälligkeit Ist ohne Störung, Müh' und Einbuß' nicht,

Doch ohne Dank auch nicht und ohne Freude, Daß du das Leben Einem fortgestellt.

Das Leben Andern fortzustellen helfen,

Die dankbar-herzliche Gefälligkeit

Ist alle Tugend, die die ganze Menschheit Allein bedarf, und die Du einzig nur

Bedarfst, um auch ein Mensch zu sein wie alle.

261

Ab schied. An Scheiden denke nicht voraus mit Trauer; Denk' immer noch, „du kommst" in diesen Tag,

Wie Kinder, die sich so der Welt nur freuen.

Denn sollst du scheiden, oder scheiden soll Ein Kreis dir lieber Menschen, sieh', da fällt

Die Sonne still vom Himmel; unter euch Fühlt ihr die feste Erde leise schwinden,

Das Haus verweht da in die Lüfte hin, Der Garten liegt verblüht, schon weiß verschneit; Das ganze alte Leben wird zu Traum, Das Herz hat an der Welt den Halt verloren.

Urplötzlich wirst du alt.

Die Freunde sitzen

In grauen Haaren; selbst die jungen Mädchen

Sind alte Weiber, bleich, mit tiefen Runzeln — Der Tod hat euch mit seinem falben Licht Herein geleuchtet aus der Nacht der Zukunft.

Nichts ist mehr gegenwärtig; du entschwebtest, Du fühlst dich einzeln, aus der Welt gestoßen,

Die leis' zerfallen ist, und du zerfällst

262 Im Herzen; Wehmuth bist du nur; und Thränen Enttröpfeln blind euch, wie aus Geisteraugen.

Du wirke thätig, liebevoll bis aus,

Bis in die Stunde, wo du scheiden mußt;

Dann scheiderasch! ... Dreh' nur den Schlüssel um Vom Zimmer, und dann sprenge rüstig fort Aus deiner alten Welt, die hinter dir

In Frieden bleibt, in deine neue Welt Voll Himmelblau, voll Sonne, treu gefolgt

Vom Strome drunten, Wölk' und Winde droben,

Und von dem eignen Herzen in der Brust! Das ist gestorben — und sogleich erstanden.

263

Gleichgültigkeit.

Gleichgültigkeit, das ist die urgewalt'ge, Die schlimmste und die beste Macht des Menschen, Sich reinen Geist und reine Welt zu machen,

So mächtig, wie Vergessenheit und Tod. Gleichgültigkeit entsetzet alle Götter Von ihrem Thron', von ihrer Macht und Geltung;

Gleichgültigkeit stürzt alle stolzen Priester,

Gleichgültigkeit reißt alle Tempel ein, Ohn' auch nur eine Hand daran zu legen,

Nimmt schweigend selber Königen das Scepter,

Schafft alle Bücher und Gesetze ab —

Keins löscht sie aus, ja sie verbietet keines — Und dennoch sind sie nichts: nur Staub von Träumen. Gleichgültigkeit ist aller Dinge Tod

Und Untergang, daraus sie nichts mehr rettet, Nichts mehr heraufholt aus dem leeren Abgrund

Der nichts-bewahrenden Vergessenheit.

Ermiß du eines Dinges Untergang Und jedes Erdensohns Entbehrlichkeit

264 Ganz sicher an Gleichgültigkeit der Menschen, An kalten Herzen, an Belächeln, Stille

Und Achselzucken; — ihren Tod an Gönnen, An Schweigen ohne Klag' und ohne Thränen, Ja ohne Dank, noch armes Segenswort, Denn jedes Werk ist seines Thäters Lohn,

Den streicht er ein und läßt das Werk zurück In jedes Andern, selbst des Windes Macht. Gleichgültigkeit ist ferne von Verachtung,

Die selbst die Todten noch im Grabe mordet, Verdiente Menschen zu dem Staube wirft, Ja nicht erst wirft, nicht einfach sie verleugnet,

Noch schmäht, worin zum Trost ein Haß noch spräche, In dem ein Funken neuer Liebe schlief'!

Doch nie wird alte Liebe wieder neu, Und todte Ehr' ersteht nie aus dem Grabe. Gleichgült'ge gelten den Vergess'nen gleich Mit jenem großen Nichts, dem alten Schweigen,

Darein die ganze Welt zuletzt versinkt.

Gleichgültigwordnes ist zu Asche worden; Nie glüht es, flammt es als lebendig Feuer Durch aller Blitze Weckerstral mehr aus;

Einmal, nur einmal haben Ding' und Menschen Den Ehrentag und wecken sich Begeistrung . . .

Dann sterben sie mit der Begeistrung leis'

Erst hier, dann dort, dann überall dahin.

265 Kein Mensch, kein Werk ist ewiglich das beste, Kein Guter war der Einziggute je.

Auch geistig Auferstandne aus dem Grabe, Die lang' umhergeschwebt im Reich der Sonne,

Roch müssen ganz zum zweitenmal erst sterben Als Geister, in dem Geist noch höherer Menschen!

Wer Rollen Gold nicht achten darf, muß selbst Mehr Gold besitzen, oder kejns bedürfen.

Gleichgültig wird nichts, was noch Werth besitzt, Wenn auch geringen, doch beständigen

Au Lebensbrauch und Nutzen; denn das hebt Der Mensch bis seinen Todestag sich auf,

Wie Axt und Säge, Wasserkrug und Lampe. Gleichgültigkeit ist wahre Herzerlösung,

Ist Sinnentzaubrung, Geistbefreiung, Schlummer,

Windstiller See, ist Freud' und Ruh' und Gnüge;

Die Menschen haben einen Wahn besiegt, Sich ausgeschämt, und harren froh der Zukunft,

Die immer größer, reiner, heil'ger kommt! Gleichgültigkeit ist jene hohe Zeit, Daraus das neue bessere Leben, quillt, Gleichgültigkeit macht sie dafür empfänglich.

Denn nimmer wird der Menschengeist gleich­ gültig,

Nie Er, nur ihm das Uebertroffene — Doch nie der Sieg, das Uebertreffende.

266 Gleichgültig werden uns die alten Götter, Nebst allem Kram, mit Recht und ohne Schaden,

Ihr ganzer Anhang, Weiber, Söhne, Brüder, Die Vettern, Muhmen, höh' und niedre Diener,

All' ihre Häuser und ihr ganzes Haus —

Die Sonne, die am Himmel gestern ging — Sie kommen nie mehr wieder; große Männer Verblassen uns — weil sie gegolten haben In ihrer Zeit; denn Keiner gilt auf ewig. So laßt denn hin, was aus dem Geiste fällt;

Der Geist ist reicher, als die ganze Welt:

Er gab allein dem Alten Werth und Leben,

Er wird dem Neuen höh're Weihe geben. Gleichgültigkeit, sie ist der Herzen Winter, Wo Menschen und Natur erstorben scheinen —

Doch laß den ersten Frühlingsdonner rollen, Und jede Brust fährt auf zu neuem Leben, Das die gestorbne Sehnsucht noch im Sarge

Mit heil'ger Mutterkraft zur Welt geboren.

267

Menschenlast und Menschenlist.

Das was dem Menschen leicht ist, wie der Tag,

Leicht wie ein Wort, die Glieder ihm am Leibe, Und wie das Wasser, daS der Fels ihm sprudelt, Das ist ihm nichts, nur wenig.

Schwer muß sein

Und schwer erworben, mühsam erst erkämpft Und schwer und mit Gefahr nur sich erhalten,

Was Werth dem Menschen haben soll.

Dann wird

Ein bloßer Athemzug sogar ihm wichtig,

Die höchste letzte Birn', die spröde Braut; Die saure Pilgerfahrt auf seinen Knieen Macht ihm Vergebung seiner Sünden erst Von Werth — weil schwere Buße darauf steht, Erscheint ihm seine kleine Sünd' erst groß,

Groß wie die Welt, in der er rutschen muß, Und brennend wie die Schwielen seiner Füße.

Drum, wer das Kinderherz des Menschen kennt,

Der macht ihm Nichtig-Leichtes schwer und sauer, Macht leichteste Gesetz' ihm schwer durch Strafe,

Das Leben durch die schrecklichste Bedrohung,

268

Die Freiheit durch die längste Vorenthaltung,

Ein jedes Gut durch kindisches Entziehen,

Unschuld'ge Spiele selber durch Verbot. So wird der schwererkämpste Tod sogar Zuletzt zum „Gott sei Dank! Nun ist er da!" Das ist die Weltweisheit der Herrn und Priester,

Der Menschen aller, und der Volkspropheten.

269

Des Menschen Macht. Wenn keine Seele je mehr Böses thut,

Da sinkt ein Weltgericht ins Reich der Träume; Nicht mehr Bedrückte hoffen es nicht mehr, Nicht mehr Bedrücker fürchten es nicht mehr —

Ein jeder Gute schiebt es immer weiter

Hinaus; und Gott ist hier der Welteurichter Schon jeden jüngsten Tag in jeder Brust. So sei denn gut, o Mensch, da machst du Gott

Dem Herren Freude, und er legt dir lächelnd

Die Wage des Gerichts aus seiner Hand; Die schweren Bleigewichte werden leicht Wie Kork, wie ausgebrannter leichter Stein

Der Feuerberge; und der Schlund der Hölle Fällt zu; der Teufel legt sich murrend schlafen,

Der gute, der nur Böses strafen wollte. Sieh, solche Macht hast du, du guter Mensch,

Durch nichts als bloßen reinen Willen schon;

Denn bloßer Wille ist nur immerdar Des Menschen Thun; denn das Vollbringen ist

Des Gottes Werk stets mit der Kraft des Alls.

270 Ein Volk schon hat in seiner Macht, den König

So mild zu machen, daß er niemals straft; Durch stetes Rechtthun hat das Volk die Macht, Brav allerwärts Gesetze abzuschafsen — Wie viele Tausend schon erloschen sind, —

Durch stetes Gutsein hat das Volk die Macht In Händen: alle Priester abzuschaffen.

— Die sich verwundert unter Menschen mischen, — Und alle Geisterbücher, Bußen, Qualen, Und alle Thorheit, die die Thorheit fordert!

Durch reines Leben hat das Volk die Macht

Zu wehren, daß nie ein Prophet mehr kommt,

Und kam' er ja, nur stumm auf Erden schleicht. *

*

*

Das alles hat der Mensch in seiner Macht,

Und wohl der Mühe lohnt das, sie zu brauchen!

Wen nun die Einsicht stärkt, sich selbst zu lieben,

Der fängt das an, was Aller Werk muß sein, Und was ein Jeder schon für sich vollendet. Schon leben viel solche mächtig-große Menschen,

Und du geselle dich mit Macht zu ihnen.

271

Die immer eitle Furcht.

Wem auch ein Funke Furcht nur glimmt im Geiste, Der ist sogar noch bloßes Element nicht, Das kühn als Dunst mit Donnerwettern zieht,

Kühn mit dem Blitz in seinen jähen Tod,

Und aus dem Donner lacht so wie ein Kobold; Der hat noch nicht der Lerche heitern Muth,

Die unter Wolkenriesen schwirrend singt; Der ist noch nicht ein Geist.

Denn jeder Geist

Ist jedem Geiste gleich auf Du und Du.

Bedrohung, Haß, Gewalt und Uebermacht Sind nicht zu fürchten, nur zu meiden klug, Zu untergraben, menschlich auszugleichen.

Erst lächerlich ist, einen Menschen fürchten Als Machtbesitzer und als groben Tadler. Der Tod ist unfurchtbar — nur zu bedauern

Im voraus — also Klage nur in Wind!

Der Glauben ist auch eine Furcht, und welche! Mit Furcht und Zagen aber selig werden, Wär' jetzt ein traurig Leben.

Furcht vor Priestern

Zerhaucht die Hoffnung auf ein mild Gericht.

272 Jedwede Furcht bringt ihren Eifer mit —

Sie ist der Eifer, Freiheit sich zu schaffen

Durch klares Einsehn: Furcht ist nur dein Blöd­ sinn, Sie ist nur Thorheit und' sie stürzt in Thorheit. Das Herz des Fürchtenden ist eine Höhle

Voll Ungethüme, her aus Höll' und Himmel, Voll Scorpion' und Schlangen, die ihn nagen

Am hellen Tage mitten unter Menschen.

O reines Herz, unschuldiges, du heitres, Kraftreiches, du blickst Muth aus deinen Augen

Auf junge Kinder und auf arme Alte,

Und fühlest Mitleid mit den stolzen Schatten,

Die mit geborgten Masken aus der Hölle

Stolz Menschen schrecken — und am Tag ver­ schwinden!

273

Die Versäumnis.

Halt’ ja ein gutes Werk nie für Versäumnis;!

Und wandeltest du deinen Weg zum Tempel,

Zu Vater und zu Mutter, ja zum Weibe, Und hörtest einen Knaben Hülfe schreien,

Der im Ertrinken ringt und seine Hand

Noch einmal ausstreckt — sieh’, er streckt die Hand Nach dir, dich ruft er, den er nie gesehn,

Es ist des Himmels lauter Schrei nach dir. O sag’ ihm nicht: „ich muß nach Hause, ich

Versäume meine Zeit." — Was ist das Leben?

Und brennte eines armen Mannes Haus,

Hemm’ deine Schritte, hilf das Haus ihm retten, Sprich nicht: „ich habe keine Zeit" — Du hast Das Leben!

Hätte bei dem Abenddunkel

Ein Bettler aus dem Sack sein Brot verloren, Hilf ihm es suchen, geh’ nicht stolz vorüber

Und laß den armen Mann allein nicht tappen; Und fällt er gar darüber hin, so hilf

Ihm auf; sprich nicht:

„Es soll mich nichts ver­

säumen!

274 „Mein Vater, der ist krank; er kann indeß

„Mir sterben, und ich wäre Schuld" . . . Woran denn?

Daß Gott indessen bei ihm ist zu Hause? O steh', was eine Mutter thut und meidet,

Die treu bei ihrem kranken Kinde wacht: Sie gehet nicht, den Blütenbaum zu sehen, Sie gehet nicht zum Hochzeitfest des Nachbars, Sie geht sogar nicht in die Ernt' hinaus;

Wenn Mann und Kinder still zu Tische sitzen,

Da glaubt sie nicht das Essen zu versäumen! Und nicht den Schlaf — auch wenn ihr schon die Augen

Vor Müdigkeit zufallen; ihr verging Das alte Jahr, das neue trat herein —

Sie hatte Nichts versäumt bei ihrem Kinde.

Ja, wenn das kranke Kind" unsterblich wäre

Und ihr zur Prüfung hundert Jahr lang litte, Sie säße hundert Jahr an seiner Wiege —

Bis sie zuletzt als Todte bei ihm säße

Und in der Hand sein Händchen noch sich hielte — Sie hätte nichts versäumt, die Jugend nicht,

Das Alter nicht, den Lauf der Sonnen alle, Den Zug der Sterne, tausend goldne Nächte — Sie konnte ja die Mutter nicht versäumen,

Die Mutterliebe nicht, das Mutterherz!

So zürne nicht im Leben auf Versäumniß,

275 Die du nicht suchst, nein, die dich sucht, dich ruft, Dich braucht: der Freund, das Kind, der kranke Hund, Halt' ja ein gutes Werk nie für Versäumniß,

Und solltest du auf einer Stelle leben Und sterben — so wie rechte Eheleute

Auf einer Stelle alle Welt versäumen —

Und alle Welt gewinnen, alle Freude Der Menschen und der Welt in ihrer Liebe.

O glaube mir, das Leben aller Menschen Ist meist Versäumniß, wenn du ihre Werke

Danach beurtheilst, wonach jeder auszog, Und wovon voll die junge Seele glühte.

Sie Alle reißt die Welt-Gelegenheit In ihren heil'gen Strom.

Sie nehmen Theil

An Streit und Krieg, die andre Menschen führen . .. An Festen Theil, die andre Menschen feiern,

Und glauben, damit haben sie ihr eignes, Ihr vorgesetztes Leben treu gethan, Und haben Recht.

Ihr bester Vorsatz war,

Ein rüstig tüchtig edles Leben führen —

Und sie versäumten ihre Seele nicht,

Nur ihren Traum, und thaten froh das Wahre.

276

Das Recht der Wesen. Die Vögel unterm Himmel stehlen nicht, Die von der Saat auf deinem Acker Picken; Und siehst bu’g willig, bist du ihr Wohlthäter. Der Sperling, der ein Loch ins Mohnhaupt hackt, Den Mohn sich in den Schnabel laufen läßt, Er nährt sich blos; er nascht die Traube nicht. Die Thiere auf der Erde morden nicht, Auch wenn der Habicht deine Taube stößt. Nun seine Taube, laut dem Worte Gottes, Der also nöthig, recht und gut es fand; Die Vögel thun das Wort ohn' allen Glauben. Kein Hai im Meere tobtet seines Gleichen, Hyänen lassen selbst Hyänen leben, Nichts mordet seines Gleichen, nicht die Maus! Der Mensch nur ist der Erde einziger Mörder; Er tobtet, mordet, und mit seinem Willen: Die sollen nicht sein . . . leben! die er mordet. Ameisen führen mit Ameisen Krieg, Doch nicht mit Solchen ihres gleichen Stammes.

277 Die Bienen lassen andre Körbe schon Mit andern Königinnen fromm in Ruh;

Sie glauben, daß die Blumen Allen langen Zur Nahrung, und die freie Lust zum Fluge!

Bei Menschen aber will ein andrer Stamm

In andrem Land den andern unterjochen; Todfeinde sind die Priester andern Priestern;

Wer Andres glaubt, der scheint ein andrer Mensch, Ja keiner — wenn den frommen Thieren noch

Ein andres Thier ein Wesen Gottes scheint In seiner Dummheit, die da weiser ist

Als großer Menschen grausam Weltverständniß, Das nichts als Habsucht ist und Tyrannei.

Doch: „Wer ein Mensch ist, sei als Mensch erkannt, „Jedwedem steht sein eignes Leben zu."

278

Die Ameisen. Stell' einen Teller Honig in die Schüssel

Voll Wasser einem Volk' Ameisen hin Und siehe, was geschehen wird.

Sie kommen

Im Heereszug, von Einem Geist beseelt,

Den Eins wie Alle stumm im Haupte trägt; Die Ersten stürzen in den Wasserwall

Und schwimmend nach der Burg ertrinken sie;

Doch immer Andre kommen und ertrinken, Und immer Andre füllen ganz den Wall Mit ihren Heldenleibern achtlos aus, Und eine sichre Brücke wird aus Todten,

Drauf ziehn die Sieger in das Honigschloß, Die Todten ahnend, und die Sieger glücklich.

Das ist das Menschenvolk!

Das ist die Erde!

Das ist das Leben, und das wird der Sieg.

279

Leben ist Religion. Das Leben ist des Gottes Thun und Walten,

Das Leben selbst ist die Religion: Die innigste Verbindung seiner Seele

Noch mit dem demanthellen Thau im Grase, Wie mit dem Morgenroth und Abendsterne;

Gebet und Andacht ist nur Hauch davon,

Und alle todte Frömmigkeit ist Wahn.

Religion ist: seine Aeltern freuen

Als Kind, und selig spielen als ein Kind; Religion ist: an der Welt sich freuen,

Am Abendstern, am fallenden Gestirn, Am Sonnenaufgang und am Mondesaufgang,

Am goldnen Funkeln all' der tausend Lichter,

Die uns in unsrem großen Hause brennen; Religion ist: unser Leben lernen

Und jedes Kraut, das Menschen heilsam ist, Und alle Stoffe, alle hohen Künste; Religion ist: recht das Leben führen,

Rein, unbeschädigt, glücklich und vollkommen Zufrieden, von der Wiege bis zum Grabe.

280 Der reifen Jungfrau ist Religion:

Sich einen Mann zu nehmen, einen Vater Für ihre Kinder, ohne die „kein Weib"; Dem reifen Jüngling ist Religion:

Sich eine Frau zu nehmen, eine Mutter Für seine Kinder, ohne die „kein Mann". Was Menschenleben fördert und verschönt,

Die Herzen schmückt, die Seelen freudig macht, Das Alles ist Religion, ist Andacht, Gebet in seiner süßesten Erfüllung.

Selbst Blumen Pflanzen, Acker pflügen, säen Und ernten, selbst der Kinder Aepfelpflücken Und wonnig Schlafen für den neuen Tag,

Das neue Werk, das heil'ge Werk, das Leben, Das ist gewissenhafte Frömmigkeit,

Die innigste Verbindung, süß'ste Ehe Der ganzen Seele mit dem schönen All!

Das Leben ahnen, sich dafür begeistern,

Es überschaun und seiner sich erinnern, Ist noch das Leben selber nicht.

Das Haus,

Das Menschenhaus mit Weib und Kindern drin, Das ist der einzig unentbehrlichste,

Der heiligste, der einzig wahre Tempel. Das Leben ist des Gottes Thun und Walten;

Das Leben selbst ist: Gott vereinigt sein.

281

Das Glauben ist der Glaube.

Was kann das Glauben irgend Werthes sein, Als sich beruhigt in der Seele fühlen

Im Schooß des schauerlichen Alles lebend.

Das Glauben ist der Glaube, und es ist Die Dinge ... die Dinge so für wahr gehalten, Wie sie dem Geist erscheinen, wie sie ihm

Für wahr gedeutet werden; und es kann

Auch Lug und Trug sein, Andr'- und Selbstbethörung,

Und eher wird es nicht mit festem Scheine Ganz unverwandelbar die Welt durchleuchten, Als bis kein Hauch, kein Gänseblümchen Ihm widerspricht, geschweige der Verstand,

Die Ehre, Freiheit, eignes göttlich Wesen. — Dann möcht' es wahr, das Wahre freudig werden,

Und dazu muß das All erfreu bar sein Und werth zu leben, Todten und Lebendigen. Das nimm zum Zeichen: Wann wird Glauben sein! Thierseelen und Thierleibern ist die Welt

Schon alles werth, was ihnen drinn gefällt; Dem Denkenden, dem Menschen, ist die Welt

Nur werth, und werth: das, was er von ihr hält.

282

Auslächeln.

Beneide ja berühmten Todten nicht Den Ruhm!

Sie haben ihn nicht; denn sie wissen

Ihn nicht; sie träumten sich ihn nur im Sterben Voraus!

Sie können selbst die Alle nicht

Für Thoren halten, die vor ihren Bildern Hinknieen, räuchern, beten, Licht anzünden,

Und ihnen Blumen in die Hände stecken.

Der Ruhm ist nur der Thoren Dürftigkeit, Oft Schlechtigkeit, und immer ihre Thorheit — Und jede Thorheit ist ein übler Schaden. Weil sie nicht groß, nichts werth, noch selber gut sind,

Drum stellen sie die eignen Wünsche, eignes Bedürfen sich gemalt vor Augen hin, Um all' ihr Elend damit zu ergänzen,

Und glauben wunderwaö gethan zu haben,

Wenn sie sich an dem Glanz der Welt berauscht; Und wer sie da auslächelt, den verbrennten

Sie lieber, wüthend von verbranntem Hirn.

283

O Du, sei lieber leidlich nur ein Mensch Auf Erden, als ein Göttertraum im Himmel.

Du aber lebe dich! Du thue dich,

Und ehre jeden Armen und Unglücklichen So hoch, wie je nur einen Himmlischen, Daß Er den Besten gleich wird, Gottes werth.

284

Göttlicher Lohn.

Wie leicht ist das: sich reglos hinzugeben An jene Mächte, die den Himmel bauen,

Die Erde tragen und das Leben stiften —

Und Ruhe haben wie das Wiegenkind,

Von Mutter oder Schwesterchen gewiegt;

Und, größer dann, auf allen Lebenstagen Wie aus dem weichen Fluß hinabzuschiffen.

Wie leicht ist das!

Doch kann es nur der Sklave

Mit dumpfer Seele, nicht der freie Mensch. Drum

ist

der Weg

des Sklaven

leicht — doch

schändlich,

Des edlen Menschen Weg ist schwer — doch würdig.

Denn sei die Welt auch wirklich noch so gut, Und alles, was geschieht, auch noch so herrlich; Dem Menschen wird es dennoch dann erst gut,

Wenn es in seiner Seele gut geworden,

Verstanden, gern gebilligt, ja verehrt. Glück, Schönheit, Ordnung ist nur in der Welt,

Wenn du dir erst dein eignes Herz geordnet,

285 Wenn alles dir aus deinem Sinne blüht,

Nach deinem Wunsche steht und geht und fliegt. Drum werde weise!

Denn dein Lohn ist groß;

Dein Lohn ist Freude, Sicherheit und Wonne,

Wie Gott an sich und an dem All genießt.

286

Dir Srgnendcn.

Was hat die Sonne davon, daß sie droben

Da steht und scheint?

Was hat der Berg davon,

So ruhig lange Zeiten dazustehn?

Was hat der Baum davon, so dazustehn,

Der Zaun im Felde und der stille Grashalm? Was hat der Strom davon, so hinzufließen,

So Tag und Nacht ganz unermüdlich rege?

Sie selber haben Alle Nichts davon,

Auch wenn sie leis' von ihrem Dasein wüßten; Das bloße Dasein hat noch keinen Werth

Und hat noch keine Freud' am Freudegeben. Was hat der Mensch nun davon, daß er lebt?

Daß er, um manchmal heiter aufzulachen . . . Um eine gute Speise froh zu essen . . .

Und nach des Tages Mühe müd' zu schlafen,

So vielen Kummer duldet, so viel Sorge Tagtäglich sorgt das lange Leben lang?

Den Seinen Freude machen, Freude fehl

Den Seinigen, das ist der goldne Kern, Das ist der Himmelssinn in seiner Seele! Das macht die Mühe ihm zur frohen Lust,

287 Das giebt ihm seinen eignen sichern Werth; Das macht die Seinen und die Welt ihm lieb, Das grüne Gras, den stillen Baum voll Früchte, Den Berg, der heiter in der Ferne steht, Die Wolke, die da kommt, ihm Regen bringt,

Die Sonne, die da droben steht und scheint Zu seinem Tagwerk; und er fühlt den Werth,

Den sie ihm hat, und nennt sie „liebe Sonne",

Und seine Kinder nennt er „liebe Kinder", Sogar den stillen Säugling in der Wiege,

Der nur erst da liegt auf die Mutter wartend Und mit den kleinen Händchen nach ihr langt! Den Seinen Freude machen, Freude sein,

Das ist der Himmelssinn im armen Menschen,

Den er noch mit dem Tode froh bezahlt An jenem Tage, von dem an er ihnen Auf immer Schmerz und tausend Thränen

bringt.

Er selber will das nicht, er thut das nicht — Und dennoch bitten Sterbende so mild Die Ihren alle rührend um Verzeihung, Wenn sie sie je beleidigt! . . . und nun erst, Ach, dadurch, daß sie nun von ihnen gehn!

Und statt dem Sterbenden nur zu verzeihen, Nun stürzen sie sich weinend ihm zu Füßen,

Und Er, er segnet sie mit frommer Hand!

288

Vollkommenheit. Vollkommen ist der Mensch, der sich vertraut,

Der wie ein Kind lebt, froh in sich begnügt; Vollkommen ist das Paar zum wahren Menschsein,

Vollkommen langt ihr Leib zum schönen Leben, Vollkommen langt zum Glück die wahre Liebe,

Vollkommen frei sind wahrhaft Liebende; Im Herzen und im Hause wohnt nur Freiheit,

Ganz unbeschränkbar was ein Menschenherz Bedarf, zu thun.

Und Liebe thut nur Gutes

Den Ihren, und zugleich damit sich wohl.

Die Sünde hat der Liebe aufgehört, Der Liebe ist die Ewigkeit vergangen,

Der Himmel ist ihr in die Brust gesunken, Die ganze Welt ist ihr zu ihrem Hause Geworden, ihre Kinder zu den Göttern.

Die Liebenden sind wahrhaft nur gerettet,

Erlöst von aller alten Menschen Furcht Und Angst, die sie sich selber nur erschaffen; Gekrönt hat sie der Friede und die Freude,

Und glücklich krönet sie noch einst der Tod;

289

Sie haben alles

ch wohlgethan,

Sie gehn in kein Gericht je vor sich selber; Der Lieben Leben ist die Seligkeit,

Und unvergänglich bleibt es, unzerstörbar

Von allen spätern Sonnen und Gewalten; Sie ruhn hinfort in ihrem ew'gen Frieden, Niemand gehörten sie als sich allein,

Sie waren einzige Gebild erlebten,

Ganz einzig ohne alle Gleichen je; Ein neues Leben wär' erst ganz ihr Tod.

Wie Niemand einen Regenbogen mehr Herstellte, diesen Einzigen, so ist

Ein jegliches Gefühl, das sie durchdrang, Viel, viel zu heiligt), viel zu hoch erhaben,

Als daß ein Gott es jemals mehr erweckte. So hat der Blitz gelebt; so ist er todt.

So lebten alle Sonnen, alle Blumen Zu hoch erhaben, viel zu einzig jede; Der kleinste Grashalm selbst im großen All

Zu heilig, um noch einmal je zu sein; So wie die Perle ganz unschätzbar mehr ist,

Als jenes ewiggleiche Meer der Kraft. Drum über alle Welt erhaben fühlen,

Sich einzig schätzen, einzig selig sein . . .

Das ist vollkommen sein, das macht vollkommen. *) In der Urbedeutung: ausgesvndert.

290

Lehrer. Der Mensch ist mehr, als nur die Lehre.

Ehrlos,

Schmach wär's, vor einem Meister sich verkriechen, Schmach, auf den Knieen lernen. — L erne stehend!

Frei, wie die Eiche wächst im Glanz des Himmels. So wie kein Regenbogen ohne Sonne

Und Regenwolken, die ihn erst erzeugen

Und etwa nöthig machen — wenn er nöthig, So ist kein Lehrer, Weiser, kein Prophet

Wo ohne Welt, die ihn erst mitgesühxt, Erzeugt hat, oder etwa nöthig macht.

Für sich ist kein Prophet, kein Lehrer etwas,

Und strotzt' er auch von aller Himmelsweisheit; Er wird erst möglich, nützlich durch die Welt,

Ja durch das kleine Kind der armen Witwe! Versänke gleich den Tag nach seinem Tode

Die Erde mit der Menschheit, wär' ein jeder Prophet desselben Tags auf ewig todt, Hin, nichtig, nichts — die auferstehenden

Geschlechter helfen ihm zur Auferstehung;

291 Sie geben ihm das Leben; ihre Seelen Ernähren seine, wie das Oel den Docht,

Und ihre Herzen nur beleben seins.

Ein Lehrer, wer er auch zu sein sich rühmte, Bringt doch die Schätze nicht, aus die er zeigt; Er hat die Schätze nicht; den Ort, den Weg, Die Weise zeigt er nur, sie zu gewinnen;

Er hat sie nicht geschaffen, nicht ersonnen. Der Schatz ist eines Andern; er gehört Dem Gräber durch viel eignes saures Bücken.

Wegweisern setzt man keine Ehrensäulen! Auch nicht dem Lande, wo die Schätze liegen;

Man ehrt das Land nicht, selbst die Schätze nicht. Wad durch den Schatz erlangt wird, ist der Schatz:

Glück, Freude, Gnüg' und Ruhm und schönes Leben.

292

Menschenrecht. Der Mensch ist von dem ganzen All gezeugt,

Dem ganzen Gott, aus seiner ew'gen Fülle, So gut wie jede Sonne.

Nur geboren

Hat ihn die Mutter, sich und ihm zur Freude Und Liebe.

Also faßt der Mensch in sich,

Als herrlichstes Gefäß, das, was wo irgend

Nur Köstliches und Schönes webt und wandelt. Drum kann er auch nichts denken, sehnen, streben.

Was ihm sich nicht erfüllte: um ihn draußen

Als Werk und That, und in ihm gnügereich Als Schauen, als Entzücken und Ermessen. Die Welt ist Mensch geworden, und der Mensch

Wird Welt, und was sie hat, das soll er haben. Drum fülle Sicherheit, und reger Friede

Durchwalle aller, jedes Menschen Brust. Das All ist alle Möglichkeit; so ist,

So hat der Mensch auch alles Mögliche, Und Schwachheit, Schmach, Herzlosigkeit nun wär'

Nicht jedes Schicksal stark mit ihm zu theilen,

Beglückter, besser, mehr noch sein zu wollen,

293 Als Alles und als Alle.

Aber darum

Steht Jedem ganz aus altem Hausgesetz

All' gute Gabe zu.

Nicht Einer soll

Entbehren, was der Menschen Einem je Zum Glück gebührt, zum Lebenstag gehört.

Drum

Stolz und Kraft und Werthgefühl, o Menschheit!

Den Wahn hinweg, daß Einer besser sei,

Als Alle!

Einer Herr — und Alle Knecht!

Daß Einer werther sei und gottbegabter,

Den eine Mutter je gebar und je

Gebären wird.

Theilhaftig sei ein Jeder

Der ganzen Fülle dieser schönen Welt

Durch sein gebildet Herz, durch seine Seele.

Das Schöne rings zu schauen und zu fühlen, Das ist das Recht, das Jeder an die Welt hat Und an die Menschheit; ringen muß sie, Allen

Das zu gewähren, daß sie freudig lebe Die von der Sonne zugemess'nen Tage, Ihr zugemessen durch den eignen Geist,

Bis sie — so wie der altgewordne Mensch auch —

Ihr großes Dasein ganz und reich erfüllt,

Bis dieser Himmel wieder ihre Gruft ist,

So wie er ihre Wiege war, und sie Sein Kind: er selbst verleiblicht und vergeistigt.

294

Der Bann.

O ja, man kann Religionen auch Einfuhren mit Gewalt, mit Schwert und Feu'r; kann

Den Geist des Menschen bannen, wie ein Thier Ihn zähmen und durch Hunger das Gezähmte

Dann aus der Hand sich fressen lassen.

Ja,

Man kann Nicht-Liebende, ja Hassende Entführen mit Gewalt, und doch zuletzt

Durch Kinder ihre Neigung noch erwecken.

Der Liebe Kultus noch in ihnen stiften! . . ,

Man kann ein überwundnes Volk wie Schafe Zu seinen Schafen pferchen in den Schasstall;

Und wie der auf den Tisch gedrückte Hahn, Dem du den Kreidestrich auf seinen Schnabel

Und auf den Tisch lang hingezogen, sitzt, So sitzt das unterdrückte Volk und schaut Den vorgeschriebnen Kreidestrich fromm an, Als unbegreiflich armes Wunderthier.

Ja, noch ein Anstaunbareres ist wahr:

Des armen alten Diebes junger Knabe Stiehlt mit der frommen Kinderseele freudig

Und willig alles, was der Vater heißt,

295 Und bringt es ihm und weint dazu vor Güte, Und fühlt, er hab' ein heilig Werk gethan;

Und thut im Fluge, was die Mutter ihn Von ihrem Krankenbett mit Schmerzen bittet,

Und sei es das Ehrloseste bei Menschen. So als die nahe Gottheit scheinen Aeltern!

So mächtig sind sie, Kinder zu erziehen! Den Kindern gilt nun, was den Aeltern galt,

Was diesen schlecht und gut war, ist es ihnen;

Und wer den guten, liebeblinden Knaben Enthauptete, der thäte selbst erst Sünde.

Nun sage: Hat man da Religion Auf eines Volkes abgestutzten Stamm

Gepfropft?

Lebt noch der Stamm sein eignes Leben,

Und bildet schön sich unter'm Himmel aus? Ist das betrübte Thier das freie Thier,

Nicht nur das Spielwerk deines Kunstbetruges? Ist das die Liebe noch, die freie Glut,

Die heilige im heil'gen Menschenherzen, Die du durch Zauber sinnlicher Natur Als unbewußte Lüge hast entzündet

In dem dich hassenden, dem edlen Weibe?

Sind das noch Menschen, ist das noch ein Volk, Das du getrieben hast in deinen Schasstall? Ist das ein Hahn auch nur aus deinem Tische?

Und scheint des Diebes Kind ein Menschenkind? —

296 Sie alle sind nur wie mit Schwefeläther Behext, nicht mehr sich selber zu empfinden,

Und wenn du ihnen Arm und Beine absägst Und glühend Blei in ihre Ohren gießest: Den Unverstand, die Fabeln und den Unsinn.

Doch siehe nun: Kein Bann hält lang' Bezaub'rung, Ihn bricht die eingeborne Kraft des Herzens,

Ihn haucht die frische Lebenslust hinweg — Sie nimmt von einer Rose selbst den Duft, Den sie von Tollgewächsen angezogen, Die Rose stellt sich her aus ihrem Innern. Die buntgemalte Taube wirft von Grund aus

Die Federn ab, und wird neu, was sie war; Mit lautem Schreie fliegt der Hahn vom Tische,

Die Schaf' im Schafstall werden wieder Menschen!

Die dich nicht Liebende, Betrogene,

Erwacht im Tode wieder als sie selbst,

Sie schaut dich mit Entsetzen an und stirbt, Und Schmach wird alles, was du an ihr hattest. Der Geist des Greisen schaut wie eine Sonne

Noch in sein Knabenherz und findet sich Mit allem, was er thut, schon in demselben,

Und jenen Knaben ganz noch treu, als sich.

So schaun die Völker klar mit Sonnenaugen In ihre reine Kinderzeit zurück, Und werfen ab, was ihnen angelogen

297 Und angetrogen von den Zaubrern ward, Was ihnen aufgeladen, angehangen ward

Als Menschen auf dem langen Erdenzuge; Nun löset sich ein jeder alter Bann,

Die innern Ketten fallen ab wie Zunder,

Der Geist des Gottes hauchet ihnen Hauch Des Lebens ein, sie wachen auf als Menschen.

298

Der Armen wahre Hülfe.

Kein Glücklicher ist arm.

So ist das Glück

Gewiß und heilig nur des Volks Erlösung.

Kein Glücklicher ist arm; so hilft denn nur

„Die Menschen glücklich machen" von der Armuth — Daß Keiner arm sich fühlt; da, wer nicht arm Sich fühlt, auch arm nicht ist. Denn „reich" und „arm"

Und „glücklich" sind der Seele Selbstempfindung. Denn fyätt’ ein Bettler nichts als seine Lieben,

Doch Gottes Einsicht in das ganze All Und seine Liebe, seine Freude dran,

So möcht' er in der Hölle wohnen, da Wie Kinder aus den Fingern Nahrung saugen, Er wäre rasend, rief er: „Ich bin arm!" —

Und wieder faß' ein Böser, Herzverstockter, Der Königreiche auf der Welt besäße, Im Himmel selbst als Alp, als armer Teufel.

O wähne nur kein Reicher je, daß ihm

Nichts fehle, nicht sehr viel zu Menschenglück! O glaube ja kein Armer je, daß er

Nicht viel besitze schon von Menschenglück.

299 O möchten doch die Annen ernst erkennen, Wie viel sie schon nicht haben, was an wahrem,

Beglücktem Leben hindert!

Und wie vieles

Sie schon besitzen, was des reinsten Glückes Sie thcilhaft macht, was Schlimmes reich vergütet

Und mehr als nur ersetzt, was sie entbehren. Enthaltsamkeit, Maß, Fassung, Scheu vor Unrecht

Und Schande, Arbeit, Fleiß, Genügsamkeit,

Ja Hoffnungslosigkeit, Geduld und Liebe Und Freude an den Seinen, sind die alten, Den Armen aufgedrungnen Hausgesetze,

Um nicht in Elend völlig zu versinken. Gewohnheit macht den Zwang zuletzt freiwillige

Und selbst zu wünschen hört der Arme auf, Wie in sein Haus und in sein Herz begraben.

Und auch das Grab noch heilig, ist noch glückvoll!

O Mutter! wenn dein Kind dir schwer erkrankt,

Da willst du satt von Sorge gar nicht essen, Kaum flüchtig einen Bissen Brot dir brechen; Ja, wenn du Allerköstlichstes gegessen,

Nicht wissen, ob du überhaupt gegesseu,

Noch was? und ob du dir die Zunge naß

Gemacht, auch wenn sie Nektar dir gereicht. Und wenn das Kind dir doch gestorben ist,

Da wirst du gar nicht wissen, wo du wohnest,

300 Ob gar noch in der Welt? ... ob im Pallast, Ob in der ärmsten Hütte, ohne Bett; Ob du in seidnen Kleidern, oder ob In schlechten Kleidern gehst als Bettelfrau.

Und wenn es dir im Sarg lebendig worden, Da möchtest du sogar nicht in den Himmel, Wo Kinder nicht lebendig werden, weil

Sie da nicht sterben, da kein Auge weiut. Und deine sel'gen Mutterthränen sind Dir köstlicher, als aller Meere Perlen. Im Herzen wohnt das Unglück und das Glück. Kein Glücklicher ist arm! und reich ist kein

Unglücklicher.

Im Herzen wohnt die Armuth

Und wohnt der Reichthum.

Und nun sprich:

Was macht die Seele glücklich? lieber Mensch! Was läßt sie glücklich bleiben? und was wehret Das schwerste Unglück ab?

Ein rein Gewissen,

Des Herzens Unschuld und der frohe Muth.

Kein Schmachtender ist reich.

Des Armen Wünsche,

Die größten, die gerechtesten, die frömmsten

Sind heimlich ihre größte Armuth noch,

Die ihre Seele drückt; je werther sie Des Glückes aller Menschen sich empfinden, Je mehr beklagen sie sich selbst, verklagen

Vielleicht sogar den Geist des Himmels droben,

Der Alles habe, und für sie nur nichts.

301 Zwei Schätze soll ein jeder Mensch besitzen,

Verstehn: sein Herz, und rings die schöne Welt! Und siehe, sein Herz, seinen eignen Geist

Versteht der Arme tief und recht und innig; Denn Jedem ist sein Herz der angeborne,

Von Keinem je raubbare Schatz des Himmels. Doch Alle sollen fähig sein, das große,

Das wonnereiche Leben zu genießen, Die schöne Welt im Herzen zu verstehn,

Als größtes Kunstwerk einer guten Seele. Was große, hohe Meister alle Zeit her

Geschaffen für die Menschheit, sollen alle Als heiligen Schatz der Erde mitgenießen,

So frei wie Erde, Sonn' und Sternenhimmel. Arm ist noch glücklich nicht.

So fordert denn,

Ihr Armen, von den Menschen weiter nichts, Als eingeweiht in die Natur zu werden! Und die ihr reich an Wissen seid und Können,

Gewähret ihnen nur ihr Heil und eures,

Sie einzuweihen in ihr eignes Haus! Die Geistes-Armuth ist viel schlimmer, tiefer,

Als Leibes-Armuth, noch so sehr verlassen; Die Herzens-Armuth aber ist die größte, Die traurigste bis zur Versunkenheit,

Sich selber nicht zu fühlen, ohne Kraft Und Reiz und Willen.

Geistes-Reichthum

302 Erträgt den Mangel äußrer Lebensgüter

Mit Lächeln.

Einsicht in die schöne, große,

Ganz unaussprechlich köstliche Natur Erweckt, belebt das Herz mit Zaubermacht

Aus seinem Kinderschlaf.

Ein Weiser Mensch

Hört auf, an Geiste arm zu sein, und wird

Zugleich ein Reicher an des Herzens Fülle Und Kraft; denn seine reine Seligkeit Läßt nimmermehr ihn sagen: „ich bin arm . . .

„Ein armer Mensch!" — „Ein armer wahrer Mensch" Ist mehr ein Widerspruch, als kaltes Feuer, Als finstres Sonnenlicht und todter Geist.

Nichts, nichts ist reicher, als erhabner Sinn.

303

Das Bleibende. Geschehenes ist für die Ewigkeit Geschehen, und Gelebtes ist gelebt

Ganz unvertilgbar, nimmermehr ausrottbar Aus dieser Welt.

Ein großer Gott vermöchte

Auch nicht ein einzig Wort mehr ungeredet Zu machen, ein Gefühl nicht ungefühlt, Selbst einen Traum nicht ungeträumt.

Ja, wenn

Der ganze Himmel je zusammenstürzte,

Die ganze Welt verschwände, kein Gedanke Von einem Wesen je mehr ihrer dächte —

So hätte doch dein Menschenhaus gestanden, Du hättest drin mit deinem Weib gelebt, All deine Kinder wurden drin geboren

Und traten an die Sonne draus hervor . . . Und auf des Vaters Grabe säuselte Das Gras, von leiser Himmelsluft bewegt! Gewesensein ist heilig so wie sein.

Das bleibt dir.

Ewigkeit ist niemals da,

Ihr Traum nur kann voraus empsunden werden.

304

Du lebst das Ewige, so leb’ es ewig Mit hohem Geiste, der sich ewig gleicht, Mit reiner Thatkraft, die sich ewig gleicht, Und reiner Liebe, die sich ewig gleicht,

So wie der erste Funken Licht dem letzten, Und wie der letzte Donnerhall dem ersten.

305

Das Haus des Alters.

Das Haus des Alters ist ein einsam Haus,

Ein kaltes, ohne Blumen rings umher. Es steht auf einem kahlen, steilen Felsen,

Wovon kein Weg mehr in die Auen geht, Die drunten frisch und jung so ewig blühn. Das Haus des Alters ist ein Trauerhaus,

Ein eitles Traumhaus, drin wir müßig träumen, Was einst wir thätig träumten: unser Leben,

Von jedem Werk, unfähig, abgesetzt . . .

Darin wir wieder gern, wie Kinder, schliefen, Doch wachen müssen, übermüdet, leidend.

Das Haus des Alters ist ein banges Haus, Das jeden Augenblick den Einsturz droht, Daraus wir deutlich unsern Auszug sehn.

Wohl dem, der sich das düstre Haus des Alters

Erleuchten kann mit seines Geistes Licht;

306

Das öde Haus sich schmücken mit den Bildern Von seinen guten Werken; es bevölkern Mit den Gebilden lieber, schöner Menschen, Die ihm gehörten, denen er gehörte;

Und der das einsame bewohnen kann

In Sicherheit, im Herzen Ruh' und Frieden. Der baute sich ein Haus des stillen Glücks —

Den krönt zum Menschen, daß er sterblich ist!

307

Die rechte Hoffnung. Das ist der Menschen alter Wahn: im Alter

Sich Fried' und Ruh' und gute Tage hoffen! Das wäre so, als wenn ein Wandersmann In eine paradiesisch-schöne Gegend

Voll Hoffnung und voll heißer Sehnsucht zöge —

Doch unterwegs so. jeden Tag, so fort Ein Glied von seinem Leibe weg verlöre: Zuerst das eine Bein . . . darauf das andre;

Die eine Hand ... die andre; dann sogar Ein Ohr . . . das andre letzte Ohr; sodann

Ein Auge . . . dann das zweite, letzte Aug' —

Doch aus der Seele fiel’ ihm nicht der Muth, Noch goldne Tage, tausend süße Freuden In dem erträumten Himmelreich zu leben. So geht es dir auf deiner Wanderschaft Durch’s Leben, nur noch herzzerschneidend ärger.

Wenn du da Mutter, Vater und Geschwister Verloren hast, vielleicht den Gatten noch — ‘20*

308 Die Kinder, Freund' und Freundin, Haus und Hof,

Und manches Unglück noch dazu erfahren, Womit die Erve Keinen ganz verschont,

Ja, Arm' und Bein' und Aug' und Ohr verloren.

Die dir nunmehr den langen Dienst versagen:

Dann merkst du wohl, im Alter angekommcn, Du hast vergebens auf das Paradies, Auf Fried' und Ruh' und stille Zeit gehofft —

Denn in der schönen Welt nun leidest du. Das Alter ist des Lebens Hoffnung nicht!

Doch du versteh' den Menschen besser also: Niel lange Jahre durchzuleben, das, Das ist die rechte Hoffnung!

Denn darinnen

Kann sich der Mensch ausleben, kann genießen,

Was in die Tage ihm ein Gott gestreut.

309

Der hohe Slot). Der Mensch ist edel, himmelhoch geboren, Gerechter Stolz erfüllt des Aermsten Herz,

Und eisern hält es an der Kinder Trotz: Nichts mehr zu wollen, alles Andre nicht,

Wenn eben Das nicht, was ihr Glück erschien, . . . Wenn Das verloren ging, was sie entzückte. Ist uns die schöne Jugend zugeschlossen,

Ist hin und todt, was uns geliebt, ist hin Und todt, was wir geliebt — dann hat der Himmel

Damit uns alle Schätze ausgeschüttet, Die wir empfangen mochten.

Wir geruhen

Dann, wie das Kind im Herzen stolz und streng,

Nichts anzunehmen, kaum mehr anzuschauen Für die verbrannte Puppe, für das Pferd — Und stolz zu Fuß zu gehn in Nacht und Nebel.

Uns — keinen Blick gewinnt die Sonne ab! Und lacht der Himmel oder zürnt darüber, Daß er für uns gar nichts mehr hat mit allen Den unermess'nen schönen Herrlichkeiten?

310 Wenn er Verstand hat, sieht er grade ein

Wie hoch und keusch ihn unser Stolz verehrt Für seine ersten, schönsten Wundergaben, Und freut sich unsers kinderreinen Herzens,

Das er zuerst uns gab vor allen Dingen,

Damit wir seine Gaben erst ihm achten, Die ohne Lieb' und Treue nichts sind, nichts, Wie nie gewesen und wie nie besessen.

311

Lohn der Leiden.

Wer selber tiefes Leiden ausgestanden,

Wem andre, böse oder gute Menschen,

Verdient, auch unverdient es angethan, Der, der hat Mitleid mit sich selbst gefühlt,

Und trägt eS dann selbst auf die Feinde über. Er ist erweicht; und er entsagt der Rache, Reicht seinem Peiniger nun mild die Hand Und droht ihm mit dem Finger, traurig lächelnd.

Unglückliche nur lernen durch ihr Unglück

Das süß'ste Glück, und durch ihr Unglück nur Das Glück der Andern und ihr Leben ehren, Und ihre Ehre, wie die eigne Ehre.

Die Andern soll ich lieben, wie mich selbst —

So muß ich mich zuerst denn feurig lieben!

Selbstliebe bringt Glück, Segen!

Würdige

Selbstliebe ist die allerhöchste Weisheit.

312

Blüte und Frucht.

Der Himmel stralt so immer herrlich blau,

Die Erde blüht und grünt so immer herrlich — Und auf ihr wandeln doch zu gleicher Zeit

Unglückliche und Glückliche vermischt, Und Arme, Reiche, Alte, kleine Kinder! So bringt denn Erd' und Himmel, Tag und Nacht,

Und Lenz und Winter keinen Unterschied Ins Menschenleben, nur die Menschheit selbst.

Drum sage nicht, so täuschend-süß es klingt:

„Wie schöne Tage hab' ich einst genossen! „Welch' heitre Jahre hab' ich sonst verlebt!"

Du aber warst vielleicht bei Sturm und Donner In finstrer Einsamkeit der Seligste. Sprich lieber wahr: Wie froh war ich als Kind!

Wie glücklich fühlt' ich mich als Liebender! Wie schön da schienen mir die Tag' und Nächte, Wie hold das gute menschliche Geschlecht,

Wie süß das Leben mir in dieser Welt!

313 So sagst du recht.

Du wirst daran erkennen,

Daß du, nur du dir deine Welt geschaffen, Du nur die Tag' und Nächte dir bereitet Aus dir!

Die Welt war dir — wie du!

Die

Menschen Und die Geliebten waren dir — wie du!

Du hast an dir den höchsten Schatz besessen: Die Freude!

und

die Schönheit

und die

Liebe. Und hast du das, so freue dich noch heut,

Daß du das alles dir vollendet hast

Nach deinem Wunsch und Willen und Verlangen. Und hast du alles glücklich dir vollendet,

O so begnüge dich!

Genieße jetzt, beschauend

In Ruhe, was zuvor in jenen Tagen Dich so bewegt, so überdrängt mit Fülle,

Daß du zu ruhigem Genuß nicht kamst, Nicht kommen

konntest —

bis das Herz dir ruhte.

Und ruht es nun, , was fehlt dir da?

Dir —

nichts!

Und ihm — nichts!

Denn es war die Lebens­

quelle, Aus der du trankst, in der du badetest — Und nicht im Himmelblau, im Sonnenschein! Der Blüte Duft entzückt; die Blüt' ist Blüte,

Und doch — ihr wahres Ende ist die Frucht.

314 Und wenn die Blüte sich verstehen könnte, So zürnte sie nicht, wenn sie Frucht geworden, Da sie die Blüte war; und eher möchte

Die Frucht bedauern, daß sie Blüte nicht

Gewesen — und doch war sie es geheim. — Sieh', auch der Mensch war Blüte und ist Frucht.

Und ohne Zürnen sanft versteht sie sich.

315

Bhnmacht ler Hölle und des Himmels. Kein Leiden wandelt jemals sich in Freude,

Und keine Freude wandelt sich in Leid. Der Frühling ist der Frühling, und der Winter

Der Winter selbst für sich.

Der Regen ist

Der Regen; und der Sonnenschein, er ist

Und bleibt der Sonnenschein.

Daß Leiden enden, Daß Freuden auf sie folgen, ja aus ihnen —

Das ändert sie nicht; ihre Schmerzen reißt Das nachher nicht noch aus, und haucht sie weg

Dem Dulder, der er war in seinen Tagen Der Kümmerniß und Noth.

Daß Freuden enden, Daß Leiden auf sie folgen, ja durch sie — Das nimmt sie nicht dem Menschen aus der Brust; Und zu sich selber, zu sich Frohem kann er

Zum Trost noch wieder in die Tage steigen

Der schönen Vorzeit; ganz da trifft er sich noch

316 In Rosen wandelnd unter blauem Himmel. So bleibt denn dir die Lehre anzunehmen,

Daß Leiden enden, und daß Freuden enden,

Doch keine Folgezeit sie ändern kann, Kein Himmel, keine Hölle sie verwandeln,

Aus Freuden Leid, aus Leiden Freude machen. Was du von ihnen nachher meinst, ist Neues, Ist andres Unglück oder andres Glück

Und daß du Leiden mit des Endes Hoffnung

Erträgst! und Freuden, mit des Endes Aussicht

Dir treu erschöpfest, ja des Endes nicht Gedenkest, sonst verblasset dir die Freude!

317

Der Muth find wir.

Was ist die Freude, was ist das Gelächter, Die dir ein Scherz, ein Ungeschick wohl Plötzlich Abzwingt — weil Mensch den Menschen nie verleugnen

Kann oder mag, — worauf du aber stets

In deinen alten Schmerz zurücke finkst

Und dir das Herz noch weher thut als vor! Der Freude wehren, ernst zu dem GelächterAus Strenge und Erfahrung bleiben, das

Ist besser dir

Die Freude hat nur Werth,

Die in ein wohlgemuthet-sichres Herz

Wie

Thau in Rosen fällt,

und nicht

wie

FeuerAuf Wunden!

Darum sind ein starker Sinn,

Ein hochgewillter Mnth, ein reiner Kern Der Seele und ein ruhiges Bewußtsein

In jedem Alter, jedem Weltgcschick

Die besten Schätze!

Tenn sie gönnen uns,

318 Mit Frohen uns zu freun, und mit Betrübten

Wahrhaft zu klagen, ohn' uns zu beseuszen, Auch wenn wir selbst noch so unglücklich leben,

Und „die Gelegenheit zu weinen" gern Einmal auch unsern Augen herzlich gönnen. Hoch über allem Schicksal lebt ein Muth

In uns, der nie wankt — und der Muth sind

wir. Jedoch als der sind wir der Geist der Welt. Der ihr gelassener Herr ist, und sein eigner.

319

Zur Nachtruhe

„Wie Vieles hab' ich Einmal nur besessen!"

Das thut dir leid, und wundert erst dich an Vom Allerschönsten und vom Allerbesten?

Das Allerschönste, Allerbeste selbst

Es wird dem Menschen Einmal nur zu Theil, Es kann nur Einmal Jedem nahn im Leben —

Sonst wär' es nicht das Schönste, nicht das Beste! Und wohl dir, wenn es dir ein Gutes bleibt!

Ein Liebes! das zu deiner Seele Inhalt

Und Schatz, ja deine Seele selbst geworden! — Das denk', und schlaf zufrieden mit dir ein!

320

Bleibe Jtill.

Geht bir’8 in deiner Jugend schlecht, so sprich:

„Ich bin zu jung, um mich vom Thurm zu stürzen! „Mir kann und wird noch vieles Gute kommen." —

Geht dir's in deinem Alter schlecht, so sprich: „Ich bin zu alt, um in das Meer zu springen!

„Das Ende aller Noth ja kommt von selber." Dann bleibe still, und sei indeß ein Mensch.

321

Die beste Lernzeit. Das Allerbeste muß der Mensch doch immer Für sich allein erst lernen; jede Kunst Und jedes Handwerk, Menschendienst und Leben,

Und Götterdienst und Frömmigkeit, Geduld. Es lernt der Mensch das Beste erst im Alter;

Da hat er Zeit, da sitzt er meist allein, Da schläft er nicht, da wacht er früher auf; Nichts Nöthiges zerstreut ihm seine Seele, Er ist gesammelt, und er hat gesammelt,

Er hat Erfahrung, Menschenlebens-Kenntniß. So lernt er still sein eignes Leben nach,

Es besser — auf ein andermal — zu thun. Und selber weise werden, auch zu keinem

Gebrauch, das giebt noch unsrer Seele Werth Und schafft uns eine klare, gute Welt. Die Alten wären auch die besten Lehrer, Wenn sie noch Eifer hätten für die Welt,

21

322

Noch Achtung vor den Gütern und den Menschen, Noch Hoffnnng von der Jugend.

Doch sie wissen,

Wie wenig Jeder auch erlangt mit Allem! Der Alten Lehre ist wie bittrer Wermuth,

Er muß mit starkem Wein getrunken werden — Denn „alt" und „jung" verstehen sich nicht mehr.

323

Die Herrlichen.

Nicht alle fühlen so gemein, so schwach, Wie jene Menschenherde, die sich fürchtet

Vor allem Großen; die davor erschrickt,

Sich aufzuraffen, Menschen selbst zu werden;

Die, sich dem Schicksal beugend, feig nach jedem Verlust, sogar der Ehre, nur zu leben

Noch wünschen, nun erst recht bequem,

Des Strebens baar; die dann bei Schmeichlern Des Himmels erst die Frommen heißen, aber

Nur Schelme sind, mit Staub zufrieden „BettlerDes Lebens", ohne Menschenwerth und Würde.

Doch Andre leben, weit Erhabenere, Die mit der Kraft des göttlichen Gemüthes Das Schöne glühendheiß und goldensest

Ergriffen, und es über diese Welt

Emporgetragen, stolz und fest es halten;

Die mit dem Schicksal rechten und den Göttern,

Als selbst von Himmelsstamm und Götterehre.

21*

324 Wenn sie ihr Liebstes auf der Welt verloren, Dann geben sie der Sonne Feierabend,

Den Augen Ruhe vor dem weitern Schönen; Die Erde, bettelarm, hat Nichts für sie. Sie wissen solchem ihrem Menschendasein Ein Ende aufzulegen, würdevoll,

Aus Göttertrotz der rein erhaltnen Seele. Mit ungebeugtem Stolze stellen sie

Sich zu den hohen Geistern, über dieser Begrabnen Welt nach ihrem Tode lebend Mit unverbrüchlich mühlos-festem Schweigen Auch vor den Kindern, selbst des Nachts im Traume.

Sie scheinen undankbar und frech — und sind doch Die Reinen, die das Leben wahrhaft ehrten.

Vielleicht zu hoch, weil sie's so hoch verstandcn; Doch wer es wagt, „unglücklich" sie zu nennen,

Legt nur das Zeugniß ab von seiner Schande.

Nie läßt die Liebe zu dem Schönen, nie Die heilige Ehrfurcht vor der Wahrheit, nie

Die Sehnsucht nach der Freiheit untergehn'. — Sie macht die Todten noch zu „Heiligen

Der Menschheit" auf der blutbespritzten Erde,

Sie macht sie erst zu hohen Götterbildern, Die laut den Wahlspruch allem Volke lehren:

„Nichts, oder herrlich! — Edel, oder todt!"

325

Der Morgen drauf. Du kannst das größte Fest daheim verpassen,

Die allerschönste, süß'ste Nacht verschlafen —

Und drauf am Morgen bist du wie die Andern, Ja frischer, nicht ermüdet, nicht betäubt.

Am Morgen drauf, da bist du wie die Andern,

Am Morgen haben sie, wie du, dann nichts, Die nur Erinnerung bunt als Traum umschwirrt, Noch Glanz umflort, Gestalten noch umgaukeln,

Wie Den, der in die Sonne hat geschaut!

Am Morgen drauf ist Brauttanz, Hochzeitfest, Äindtaufenschmaus und Erntetag vorbei.

Am Morgen drauf ist selbst das Leben nichts, Sonst wär' es ja nicht aus; du lebtest noch!

Doch an dem Festtag hast du nichts gehabt,

Wenn du das Lebensfest nicht mitgefeicrt! Da wärest du kein Mensch mit frohen Men­ schen — Das ist der Unterschied, ein tödtlicher!

326 Die Kerzen eben müssen sich verzehren, Die Sonnen eben müssen all' verscheinen,

Damit du einzig deine Zeit erfüllest Mit Menschen-Liebem und mit Menschen-Schönem,

Und hast du das, so wundre dich dann nicht Am Morgen drauf, daß dir so frisch nicht ist,

Wie jungen Gasten, die noch nicht ermüdet, Betäubt — vor Kraft noch zucken, es zu feiern, Daß dich Erinn'rung bunt wie Traum umschwirrt,

Noch Glanz umflort, Gestalten noch umgaukeln. Du hast ja in die Sonne froh geschaut!

327

Zweimal lebt) wer wohl gelebt.

„Dich trifft der Vorwurf, daß du dieses Leben

„Zu köstlich, für zu rein, zu fest gehalten, „Daß du es angesehn — so, wie du warst.

„Nun trifft dich solches Leid — so, wie du bist,

„Und deine eigne Schuld nur büßest du." Und büß' ich, büß' ich nur mein eignes Glück

Und meine zutraunvolle starke Seele. Und ist das Glück und ist das Leben hin,

Sagt' ich mit Unrecht doch: „es war ja nichts!

Mir war es nichts!"

Denn Ich ja war; so war es

Denn Alles mir, so viel ich selber war,

Und nicht die kleinste Wonne weniger.

Auch war das Glück ja, war ein Glücklicher Doch in der Welt — denn Ich ja war. Wie wollt' ich

Sie je beschuldigen! wie sie ein Andrer, Wenn er mir gleicht an eigner Herzenswonne!

328 Auch wenn er nicht mir gleicht — so gleicht doch ihm

Sein Leben, weil es nur sein Fühlen war, So wie es Jedem treu sein Fühlen ist.

So wird der Vorwurf mir zur stillen Ehre; Denn wenn ich glücklich durch mich, in mir, lebte — So klar erkenn' ich das verlorne Glück

Nun auch!

So reich an Schmerzen kann ich trauern:

Die alte Wonne mißt die neue Trauer Wie Gold mir ab.

Die Trauer um das Glück

Ist noch das halbe Glück — das doppelte

Vielleicht, nun es das klare, feste ist! Wer leicht nur trauert, der genoß nur leicht —

Ich lebe zweimal!

Vorher als ein Mensch

Mit Menschen; jetzt als Geist mit Seligen.

329

Die Götterblume.

Den sanften Abglanz von des Kindes Leben

Genießet seine Mutter schon, sein Vater;

Sie leben schon im Geist des Kindes Jahre Voraus; sie sind so glücklich schon, wie einst

Es selber sein wird — das noch ruhig schläft. Des großgewachsenen Menschen Leben drauf

Genießt er nicht allein; denn seine Nachbarn Und Freunde, die ihn lieben, dann genießen Sein Leben mit; allein, genießt die Sonne

Sich nicht, die Blume nicht im Garten, sondern Die alle, die sie schaun. Das soll der Mensch

Bedenken, wissen, sich zusammennehmen In Ehr' und Würde, daß er werth erscheint

Und werth ist, und dadurch sich selber lieb. Wie eine Götterblume pflanzt der Mensch

Sich in die Menschenherzen, seiner Lieben Ernahrend-warme Brust. Und da gedeiht er,

Er wird zu seinem schönern Wesen da!

330 Ja, wenn er stirbt, bewahren ihn die Lieben Sich als ihr heilig Eigenthum. Ihn weiter!

Sie leben

Sie vollenden ihn zum Engel;

Sie machen ihn, den Sterblichen, unsterblich.

Und nur ein Anfang schien sein leiblich Dasein —

Jetzt göttlich wird er, der nur irdisch schien. Die Menschheit erst vollendet ganz den Menschen.

Liegt wo ein Schatz von Trost für Trostberaubte, Die ihren Lieben einsam nachgeblieben, So ist's die Kraft, die Lieben zu vollenden

In sich! sie geistig noch einmal zu schaffen,

Mit ihnen umzugehn so wie mit Göttern. Ein Himmelsthau erscheinen da die Thränen! Die Klage wird zum hohen Segenswort!

Zur überirdischen Gewalt die Liebe, Die

kein

Gesetz

kennt,

keiner Macht

beugt,

Die stark sich selber lebt, als reine Glut!

Und diese Kraft hat jedes Menschenherz, Und jede brennt danach, sich auszuüben;

Für sie ist Keiner zu gering, zu arm! Die Kraft bewährt ihm seine Göttlichkeit.

Und du, o Guter, der du elend lebst,

Unglücklich, ja verachtet auf der Erde,

sich

331 Auch dich wird deiner Lieben Macht ergreifen, Dich halten, nicht im Grab versinken lassen.

Sie, deine Lieben, werden dich vollenden

In Klag' und Thränen und in Nachtgesängen,

Von deren Anklang Himmel, Mond und Sterne Erst heilig werden; und das Heiligen Giebt erst den Liebenden die höchste Weihe.

332

Vergessen sein. Auf Wolken sah ich eine goldne Schrift Gleich einem wunderbaren Regenbogen Hier über dieser Erde großem Friedhof:

„Was ist es denn nun mehr, vergessen sein!"

Vergessensein kann nimmermehr uns schaden An unsrem Leben, nie zurückegreifen

In unsre Tage, und uns da verlöschen Mit unsrem Herzen also wie wir waren!

Es widerfährt uns nie, und wir erfahren

Es nie; und Dem, der uns vergißt, geschieht es Still, schadlos, wie ein Wölkchen leis' zerrinnt. Wir leben nicht, daß Andre Unserer

Gedenken!

Wenn nur unsre Lieben mit uns

Gelebt — sie uns geliebt, geehrt, beweint,

Da haben sie, da haben wir vollbracht, Was so geheimnißschön und herrlich war, Daß Engel nie es nur besingen könnten!

333 So wie ein Gott als Maler nicht vermöchte

Das ganz unmögliche für ihn — „die unterGegangne Sonne", diese unsichtbare,

Zu malen —Nichtvorhandnes als vorhanden! Und wissentlich Vergessen wär' Verzweifeln; Drum läßt die gütige Natur denn lieber Es gar so sanft geschehn — es merkt es Keiner,

Nicht der vergessen wird, nicht der vergißt.

Darum belächle denn die goldne Schrift: „Was ist denn nun mehr, vergessen sein!"

334

Die Noth. Das neue Jahr tritt ungefragt herein,

Willkommen oder unwillkommen, bleibt es,

Es läßt sich nieder mit der Sonne Recht. Denn aus dem alten Himmel kommt es her

Zu Menschen auch, als wären sie nicht hier. Und in der Ferne folgt ein alt Geräth Ihm nach, als rollten hunderttausend Wagen

Voll schweren Rüstzeugs zu des Lebens Schlacht: Brautkränze bringt es, liebe kleine Kinder, Und Wiegen, Hochzeitbetten, Millionen;

Doch Millionen schwarze Bahren auch, Und Millionen Särge groß und klein

Für Jung' und Alte, Reich' und Arme, Niedre

Und Hohe, Höchste, Fürstinnen und Fürsten; Für Könige die goldbeschlagnen Särge,

Für Bettler nur sechs Breter und zwei Bretchen.

Das Alles hält bereit ihm in der Nähe Von jeder Stadt und jedem Dorf, ja vor

Dem allerletzten kleinen Haus am Walde.

335 Da sitzt er nun, der neue Herr der Erde, Der alle Lande, Berg' und Meer' und Menschen, Sammt allen Schätzen, wie ein Kind geerbt, So unverdient und gar so stolz und trotzig,

Doch neidlos, weil Er alles Höchste hat, Und weil durch seinen kurzen Lebenslauf

Er auch dereinst merkwürdig bleiben will, Nun Gnaden austheilt, Hand' und Körbe voll.

Da nahen sich dem Jahr die alten Menschen, Den Schreihals doch zu sehn; sie bitten nichts; Denn was er für sie hätte, wär' der Tod nur.

Da nahn sich ihm die jungen Kinder scheu — Sie wollen erst von seinen Erben bitten,

Sie wünschen nichts von ihm, als nur das Leben.

Die Armen aber und Bedrängten schrei'n Ihm fast ins Ohr, weil er noch nie gehört Und sie noch nie zu ihm gesprochen haben,

Und fordern: „Gieb uns du nun endlich, endlich „Gieb du, was deine Ahnen uns gelogen,

„Und was wir brauchen! — Siehe dich nur um „In deinem Reich — da wirst du schamvoll seheu,

„Was alles fehlt; und schlägt ein Herz in dir, „Was wir vermuthen, aber noch nicht wissen,

„Noch selbst erfahren: gieb uns du nun Das!" —

Doch lieblich singt das Kessel-Kind sie an,

Als hätte es von seinen Aeltern singen

336

Gelernt, die es doch nie gesehn, — es singt: Hofft nichts von mir!

Wie bald, so bin ich tobt;

Der Kessel, draus ich stieg, der ist die Werkstatt,

Worin Ihr Etwas thut mit euren Kräften, Mit euerem Verstand und eurem Willen

Zu eurem Zweck, wenn ihr das wirklich wißt,

Was in der Höhle alles werden soll. Hofft alles Gute von euch selbst, so hofft

Ihr recht; thut alles Gute selbst ihr euch,

So thut ihr recht, so ist es recht gethan.

Ihr sprecht: ich sei ein schweres Jahr für euch; Nun sei ich Das! — Das ist zu eurem Besten.

Erscheint die Noth, die allgewaltige, Die höchste Herrscherin, der Jeder stumm Sich beugen muß vom Thron bis in die Hütte —

Erscheint sie endlich, als die einzige

Gewisse Retterin, nun einmal wieder, Da fordert sie die Menschen alle streng

Bor ihren Richterstuhl und schaut sie an

Ihr Herold aber,

Mit Lieb' und Zorn im Blick.

„Der Hunger", fragt in ihrem Namen Alle:

„Schämt ihr euch nicht der Noth?

Was habt ihr

alle Gethan, daß sie nicht komme?

Was habt ihr

Gelassen, daß sie bald entweichen muß?

Die Noth nur prüfet Herzen und Verstand!

Sie prüft die Reiche, Herrscher und Gesetze,

337 Die Würdenträger und die Sorger alle, Die Augen und die Ohren und die Hände;

Sie prüft die Götter selbst, sie prüft die Priester,

Die Lehrer, Richter, Land und Volk und Bettler: Sie prüft die kleinen Kinder und die Greise,

Die Frauen, Jungfraun und die Jünglinge; Sie prüft die Spindel und den Flachs am Rocken, Das Haus, den Herd, den Acker und den Pflug,

Bis auf den Fußsteig, der zum Brunnen führt. Scharf sieht die Noth, die liebe-bange Mutter! Die Trägen überschüttet sie mit Unheil;

Die Feigen übergießet sie mit Scham; Die Hoffer auf die Andern höhnt sie aus; Die Allesdulder schilt sie: leidet billig! Die Noth ist aller Menschen beste Freundin, Die Noth errettet aus der Sklaverei,

Die Noth errettet aus dem Aberglauben,

Die Noth erlöst von allem falschen Drucke, Die Noth löst alle Zungen, auch den Feigen; Frei klagen nimmt die schwerste Last vom Herzen.

Die unerträglich-allgemeine Noth Macht rings das Leben frisch und neu erträglich; Die lange Noth klärt Seelen, so wie Wasser,

Das Schlamm-vermischt und ungenießbar war;

Noth läßt zerfallen, was nicht nöthig ist, Daß es besteh';

Noth

baut

nichts, nöthig;

was nicht

338 Noth giebt den Kreuzer nicht unnöthig aus,

Sie fragt: wo ist der Pfennig selbst von gestern? Noth fragt nach allen Armen, allen Kranken,

Gefangenen, Beladenen und Sklaven. — Noth fühlt erst tief, was Andern fehlt, und theilt

Den letzten Bissen mit den Ncbenmenschen; Noth gießt in kalte Herzen neues Feuer, Sic macht die Seele mild und hülfeselig;

Viel tausend gute Werke schafft erst sic!

Sic stählt den Muth,

macht einig, stark und willig;

Sie macht die Feigen tapfer, Arme mächtig,

Noth macht das Land frei, frei von Drach'

und

Lindwurm, Die armen Wandrern ihren Weg verlegten!

Noth kann und thut, was Ucberfluß nie mag, Was gute Zeiten nie zu Stande bringen,

Wenn faul das Volk auf seinem Polster ruht." — Drum fürchtet nicht die Noth!

Das loben, was sie wirkt.

Ihr werdet hoch

Und seid getrost:

Sie geht vorüber! — Klein' und Große sorgen, Daß Noth erträglich bleibe, und ertragen

Aus guter Hoffnung besserer Zeiten werde,

Die da dem menschlichen Geschlecht versprochen In alten Tagen sind und in den neuen;

Denn weiser, hocherhabner lebt das Volk,

Alsrallc, die darüber hochcrhabcn

339 Sich dünken — und sich wie auf Wolken brüsten!

Der Landmann aber drunten aus der Erde Mit Seel' und Leib, des Vaters liebe Hütte

Vor seinen Augen, und die Seinen alle, Sein Weib und seine Kinder, liebend um sich

Zu Lieb' und Freude, und sie ihn — er lebt, Lebt so allein das wahre Menschenleben

Beglückter, als ein sorgenvoller König, Sein Weib als eine Königin zufriedner;

Die Kinder haben ihren Vater wirklich, Nicht einen Mann, der Abends kommt, früh geht,

Der düster kommt und widerwillig geht!

Sie haben sich einander jede Stunde Und liebesüße Sorge nur um sich,

Um Fremde nicht, um Niegesehene, Als hohle Schattenmenschen nur Geträumte!

Flieh' alles, was dich von den Deinen reißt. Mit Andern lebe nm der Deinen willen

Verträglich, hülsreich, als ein Freund, ein Mensch, So thust du Jenen und den Deinen wohl

Und lebst in reiner ungetrennter Freude. So wohnt die Lerche in der grünen Saat

Und nur vor Freuden singend, hebt sie sich

Darüber hoch empor; und satt des Schauens Läßt sie sich wieder zu dem Nest hernieder,

Der engen — höchsten Liebe satt zu werden. Und hing' ibr einer einen Jettet au,

340 Der sie zu allen Würden frech ernennte, Und strich ihr frech sein Zeichen auf den Rücken —

Sie flöge scheu davon und alle scheuchend,

Bis sie die Federn bang sich reingeputzt, Ja ausgerupft.

Dann ist sie wieder Lerche.

Wie lange waren doch die Menschen Thoren

Der Thoren, Unterdrücker und Verlacher, Die hohle Herzen sich aus Selbstsucht kauften!

Wer seine Zeit um Gut und Geld dahingiebt, Der steht und liegt tief unter jenen Sklaven, Die nur gezwungen in das Schiff sich schleppen Und zu dem Frohndienst Andrer geißeln lassen,

Die Zuckermühle knirschend drehn, und fliehn,

Und lieber in den Bergen froh verhungern, Der Pfeife lackend, die sie gellend ruft!

341

„Das hat verthan/'

Ich sah mit stiller Rührung, tief ergriffen Von jener Wehmuth, die das Leben endlich Jedwedem bringt am Schluffe seiner Tage —

Ich sah den Weib- und Kinderlosen Alten Vor seinem nahen Abschied von der Erde In Hellen Flammen seine Heiligthümer Aus allen seinen Tagen stumm verbrennen,

Und lächeln, wie die Schätze Asche wurden.

„Da sind die Schätze heilig aufgehoben „Im unzerstörbar reinen Element, „Dem tiefverschwiegenen." — So sprach er, froh

Der Sicherheit, des unsichtbaren Grabes, Darein er, allen Andern ganz unfindbar

Und unentweihbar, keusch sie tief versenkt. „Die Blumen findet selbst ein Gott nicht wieder, Und neue macht er nur aus neuem Stoff;

Ich einzig gab sie einst der Einzigen An ihre Brust, zwei zarte Nosenknospcn

Zum Traualtar. — Hier diesen Myrthenkran;

342 Trug sie nur, sie, und auch nur bis zum Abend; Und später zürnte sie mich lächelnd an,

Wenn ich den Aufgehobenen ihr zeigte; „Das hat verthan", sprach sie dann süß beschämt.

Das hat verthan! sprech' ich nun süß gedenkend. Die Pathenbriefe all' der lieben Kleinen . . .

Nach ihnen wird kein Gott wo je mehr fragen; Sie hätten ihnen in den Sarg gehört

Mit Haupt und Händchen,

Sonne,

Mond

und

Sternen: Wir hoben bang sie auf — wozu? — Ach, wohl: Uns zum Beweis, daß wir einst glücklich waren,

Daß wir auch fröhlich in den frohen Reigen Der Menschen mit gehört! — Der Kinder Briese An Mutter und an mich aus weiter Fremde,

Sie werd' ich in der Fremde, in die ich

Nun wandre, nicht mehr lesen, nicht die Mutter: Denn selbst die „Hausberichte", die ich ihr,

Der Todten, Tag für Tag aus ihrem Hause Treu ausgeschrieben, doch nie abgesandt

— Denn zu den Todten gehen keine Boten, — Sie hat sie nie gelesen; ich nur, ich

Für sie, und ich nur weinte auch für sie.

Die Welt ist nur ein Spiegel, hell und warm, Doch ohne Tiefe, nur ein flaches Glas; Darauf, und nicht darin, erblicken wir

Nur uns, getäuscht mit unsren eignen Augen,

343 Als reg' es sich darin geheimnißvoll! Der Spiegel nun zerbricht; denn Ich zerbreche. Der Mutter Wachs, die unvernähte Seide, Die ihr auf ewig nutzlos übrig liegt . . . Sei das ihr nachgeopfert, aufgehoben! Das Tuch, das ihr das Antlitz, tobt, bedeckt . . .

Ihr schönes Bildniß ... ihr beweintes Haar —

Auch das nun — Alles sei so aufgehoben. Das hat verthan! Das hat gegolten, wertb, Hoch, höchst, wie alles, was nur einmal gilt."

— „Nur vor dem Kinderschränkchen steh' ich ernst, Vor diesem armen wahren Himmelreich Mit ihren kleinen Spielen, mit dem Reiter Des Knaben, der, von Holz noch grad' so lebt, Wie er dem Kind gelebt; dem ABC, Das golden noch die beil'gen Zeichen lehrt,

Die Menschen und die Erde zu verstehn.

O armer hcil'ger Kram der sel'gen Kinder!

Auch Der, er hat verthan! Die einsam-graue Zeit. Verthan.

Hat mir verthan

Ich selbst, ich habe

Ich war, was ich gesollt.

Nun werd' ich

Das, was ich soll: selbst heilig aufgehoben

Im unzerstörbar stillen Element. — Und auch du, frohe Flamme, hast verthan!

Verlösche du nun auch in deine Asche, Und sei auch du bewahrt in deinem Himmel."

344

So betete das heiligste Gebet In göttlich freier, göttlich hoher Seele

Der alte Freund, und ich verließ ihn still.

Am Morgen aber sah ich seine Fenster Der kalten Wintersonne offen stehn.

Da war auch Er verlöscht in seiner Asche, Da war auch Er bewahrt in seinem Himmel.

345

Der heilige Geist. Es weht ein guter Geist in dieser Welt;

Er waltet ungesehn, doch offenbar, So unsichtbar der Wind den Himmel klärt;

Er fegt die Häupter rein von Aberglauben; Er nimmt im Schlafe weg, im Traum das fort, Wofür die Menschen Blut und Leben ließen;

Und was da Niemand scheint gethan zu haben, Hat er geheim in Allen leicht vollendet,

Unwiderstehlich, deutlich zum Erstaunen, Daß Keiner weiß, wer sie verwandelt hat, Wer aus der Stirn den alten Traum genommen.

Und Alle fühlen sich doch klar verwandelt. Das bist du, Gott, der du die Welt verwandelst Im bloßen Hauch, und andre Menschen sendest

Auf diese alte Erde, neue, bessre.

Denn in den Liebenden, im Mann und Weibe, Lebst du und webst du, zaubervoll und sicher. Und aus den Kindern, wie der Dust aus Blumen,

Bricht voll dein Geist hervor und trägt und lebt sie.

346 Und diese stille Macht, die ewig-rege, Die alle nur in ihrer Wirkung schauen,

Sie ist die größte, heiligste der Mächte, Die dir den Namen schützt: „Der heil'ge Geist."

Und ob du alte Tempel niederhauchst, Und ob du alte Götter niederhauchst, Uud göttliches Gewand von Menschenschultern Weghebst, das rasch gesehen ward — wer es war:

Ein Mensch wie alle, den du auch belebt, Und wieder deinen Geist in dich zurückzogst; Und ob du Wunder thust, und Wunder tilgest, —

Du thust in allem nur das Göttliche,

Das Deiner und der Menschheit Würdige. Zu schaffen ist nicht die Vorhand ne Welt;

Die ew'ge Kraft bedarf nicht der Erhaltung —

Du schaffst das Neue, Gute ewig drin; Unsäglich-Schönes wirst du noch hervorthun,

Ganz unvermuthet Wahres; nie geträumtes, Geahntes. Gute wirst du wirklich machen; Entfalten wirst du herrlich dieses Leben

Der Menschen, wirst mit Seligkeit es tränken — In jedem Haus die Herzen aller Mütter Und Väter, aller Kinder — süß beladen,

Daß sie die Last der Wonne kaum ertragen! Den Frieden wirst du geben allen Völkern,

Die Freude wirst du geben allen Menschen,

Die Ruhe wirst du geben allen Alten,

347 Den Alten wirst du süßen Tod verleihn.

Du wirst den Tod nicht aus der Welt vertilgen; Du wirst ihn Allen nach dem süßen Leben Als höchstes Glück, als herrlichste Vollendung,

Als tiefsten Wunsch erscheinen lassen, wirst

Ihn Allen als ihr höchstes Ziel erfüllen. Was alle Weisen Gutes auch erforschen,

Was alle Frommen Gutes auch vollbringen, Das langt noch nicht für diese Erde hier,

Für Andrer Leben und ihr eignes Heil;

Dafür ist kein Lohn-Anspruch zu erheben — Der Menschen Arbeit war des Menschen Lohn;

Und ganz zum Leben langte jedes Leben Vom Vollgefühle dieses reichen Alls . . . Vom Vollgefühle vieles tausend Guten . . . Vom Vollgefühle vieles tausend Schönen,

Im Menschengeist getragen, überschwebt, So wie ein Tag von silberhellen Wolken . . .

Süß überklungen rings von Lerchenliedern, So wie das Ohr des Ackersmanns im Frühling — Die Seele hold von deinem Geist bewohnt! Der friedlich glücklich altgewordne Mensch

Verlangt nur Ruhe, wünscht sich nur das Grab. Nur die, die dieses Leben hier verfehlt, Sie wünschen es noch einmal, und es besser;

Sie wünschen einen Lohn für ihre Qual,

Worein nur eigne oder fremde Schuld

348 Und nicht des reinen Alls so freundlich-liebes

Gesetz sie je gestürzt, die reine Bahn

Der Menschen nimmer sie geführt, nur Irrthum Und noch nicht klare Kenntniß dieses Alls

Und seines Geistes, den sie nicht verstanden; Doch den die Menschen alle bald verstehn,

So wahr du waltest, o du heil'ger Geist. Dann wird der Tod die größte Gabe sein,

Das höchste Glück: der reine feste Tod,

Der träumelose Schlaf, die ew'ge Ruhe Auf diese schöne, selige Erscheinung,

Des wahren Himmels wahre Seligkeit. Denn „Enden in dem Unaufhörlichen", Das ist das überschwänglich-höchste Wunder, Dem nichts sich je vergleichen kann, als fern nur

Im Ewigen: „das endliche Beginnen", Das heil'ge Kind, das holde Menschenkind, Das sich erfüllt im Greise, in dem Todten

Nach lebenslang getragnem Wunsch: „Einst glücklich Vollbracht zu sein."

Denn diesem höchsten Wunsche

Nur lebt der Mensch geheimnißvoll entgegen; Er fühlt ihn schon als Kind aus sich heraus,

Der Erde sah er ihn, dem Himmel ab; Er ruhte ihm als letztes Glück im Herzen

Bei jedem kleinen oder großen Werke Des Lebens; ja in seiner süß'sten Wonne, In seiner Liebe war nur er der Kern,

349 Der Engel, der ihn durch die Tage führte

Und durch die Nächte all' mit seinem Lieben, — Das Grab als sanftes Ziel vor Augen, ach, Die Thränen nur um sich in seinem Sarge . . .

Und dann als ganz vollkommene Erfüllung Von seiner Liebe, endlich noch die Ruhe

In einer stillen Gruft mit seinen Lieben! Das ist der süß'ste Wunsch der Liebenden,

Die dieses Leben und der Liebe Leben

Allein am heiligsten verstehn; allein,

Was sie bedürfen, in der Brust empfinden, Und selig sind, wenn sie es froh erlangen.

So schlummern ungezählte treue Paare

Schon in der Erde himmlisch-hoch zufrieden! Und ungezählte Lieben werden einst

Noch alle glücklich in der Erde schlafen, Bon deinem Geist erfüllt, du heil'ger Geist

Der Liebe und des Liebenden! du Schmücker-

Des Lebens und Vollender dieses Alls! Du Seligkeitausgießer, Allerhöchster!

Dir folg' ich, und ich werde selig sein; Dir folgen alle Liebenden mit Inbrunst

Der Liebe, und sie werden selig sein.

350

Wunsch und Erfüllung.

Der Mensch ist nie begnügt, nie ganz, auf immer.

Das macht die Seele in ihm, die die Seel' ist

Der ganzen Welt; das macht die ganze Welt, Die ihm voll Reiz, voll Schönheit und voll Güter,

Als Kind schon in sein offnes Auge lacht. Und schon verloren ist das kleine Kind, Dem eine Erdbeer' süß, die Schlehe sauer

Die Kirsche labend schmeckt; ihm ist die Welt Seitdem schon unterscheidbar; schon begehrt Und schon verabscheut; alles Gute aber Schon brennt cs, nach dem Kosten zu erlangen.

Und nicht aus einmal kann's der Mensch erreichen,

Umfassen, sich nicht sättigen aus einmal; Denn mit der schönsten Braut noch nicht zufrieden,

Will er noch Kinder.

Und erscheint das Kind,

So freut es ihn nur darum erst zumeist, Daß sie nun mit dem Kinde leben werden Biel tausend schöne Tage!

So erweitert

Die herrlichste Erfüllung selbst das Herz. — Und doch auch wie zufrieden ist der Menicb

Mit einer kleinen Gabe abgefundcn, Als stillbescbeidner Bettler dieser Erde!

351 Er, der da ew'ge Frühlinge begeht, Er findet, wie bestürzt, daS erste Veilchen; Nicht blos als Bürgeü aller aller Jahre,

Nein, als des Weltalls heitersten Besitz Steckt er es an. die Brust, er Irägt's in Lippen;

Er steht bestürzt von einer Lerche Lied, Die vor ihm ausfliegt aus der grünen Saat.

Drum weißt du was, du weiser Menschenfreund, Wenn du's vermagst, so mache doch den Deinen,

Und wenn du kannst tagtäglich, eine Freude,

Wenn auch so groß wie einen Apfel nur, Wenn auch so klein nur wie die Nuß, die Kirsche,

Das Helle Steinchen von des Flusses Ufer.

Du giebst damit dem glücklichen Empfänger

Ein wirklich gegenwärtig freudig Gut; Du giebst die Bürgschaft ihm für tausend Gaben, Die noch die reiche Welt für ihn bewahrt!

Du weckst den tausendfachen Dank ihm auf,

Den er für alles schon Empfangene In seiner Seele trägt!

Du reißest ihm

Den Wolkcnschleier von dem Himmel weg,

Und selig sieht er alle seligen Götter. Und du, der du das siehest, das gewirkt,

Du siehst dich selbst mit droben in den Wolken

Als guten Geist, dem laut sein gutes Herz

Als Menschen schlägt auf heilig-schöner Erde.

352

Das wachsende Licht. Die größte Lilie, höher als die weiße

Narcisse, ist noch hoch nicht; denn das Knäbchen,

Das stolz sich mit ihr mißt> noch überragt sie Mit seinem ganzen rosigen Gesichtchen;

Und dennoch heißt sie eine große Lilie.

Wohl schwerer ist der Pfirsich, als die Pflaume, Und doch noch leicht.

Süß ist die Goldorange,

Doch nicht wie Honig süß aus ihren Blüten. Das Bessere ist noch gut nicht! ja, das Beste Kann herzlichschlecht noch sein, beklagens­

wert h. Gut ist das ganz Vollkommene, sonst Nichts;

Doch wird das nie in dieser Welt erscheinen, Dieweil ein Gutes stets das Bess're zeugt;

Doch das ist herrlich! nicht Verzweiflung werth.

Doch was mit Recht gut heißt, das ist das Höchste In seiner Art; darüber reicht kein Wort. Kaum selten, gar nicht, nenne Etwas gut,

353 Damit des Guten Quell stets heilig bleibe, Nur „möglich-gut", nur „besser" magst du sagen.

So heißt das Leben gut — und ist noch schlimm! So heißt die Erde gut — und ist noch krank, Noch jung und unreif, wie der Mensch auf ihr;'

So heißt das Land, das Volk, das Haus schon gut,

Und sind doch nur kaum leidlich, kaum erst besser, Als schwer und traurig, oft als unausstehlich.

Das Bess're ist nicht gut schon! ja das Beste

Kann herzlichschlecht sein, recht bedauerns­

würdig. Das Schlechte hat das Gute, daß es laut Das Gute anzeigt in der Menschenbrust,

Es mächtig aufweckt, wie ein Engelbild Bor unsre Augen stellt, von unsrer Thatkraft

Es fordert, und sich zu begraben schreit Im Bessern, in dem nächsten künftigen Werke. Das Nichtgelungene, das Schädlichword'ne Macht grade erst den Fehler offenbar,

Und zeigt die Art, den Weg, ihn zu vermeiden, Um Besseres an seinen Ort zu setzen.

Des Kindes Vorstellung vom Guten ist Erst eng und klein.

Allmählich größer wächst

Sein Bild, der Drang, der Muth durch Uner­

reichtes, Ungnügliches!

Das Jmmerbess're lehrt

Das menschliche Geschlecht das Bessre erst,

23

354 Wie Heller Tag aus Morgendämmerung wird,

Die Helle Sonne aus dem rothen Ball.

Kein Bessres jemal ohne Schlimmeres Zuvor! Das Schlimmste ist des Besten Vater.

Es soll der Mensch stets unzufrieden sein Mit sich, mit dem Gethanen, dem Erreichten! Stets Lehre nehmen, Rath für alles Bessere.

Es soll der Mensch auch stets zufrieden sein Mit sich, mit dem Gethanen, d.em Erreichten,

Denn solches war das Bessere! cs war

Das Allerbeste, war das Mögliche, War Labung, und der Freude werth im Leben,

Damit er nie verzagt!

Es ist ihm Muth,

Die feste Bürgschaft für des Kampfes Sieg,

Ein Lohn der Treue an sich selbst; ein Stral Des Lichts dem Menschen mehr für seinen Geist —

Auch wenn cs gar nichts werth war, ja recht übel; Denn göttlich überwacht der Geist es schon,

Der herrlich es zum Bessern führen wird, Denn in dem Menschen lebt das Ewiggute.

So viel du von der ew'gen Herrlichkeit Begreifst, so viel schon hast du hier, gewiß schon,

So nah, so fest, so wahr — wie deine Seele,

Die dir die eigne eto’ge Herrlichkeit Nur in der Nachwelt, in den Lüften zeigt. So lebe schon, o Mensch, so innigfroh,

"So rein und gut mit dir und allen Menschen;

355 Nicht laß sie dir die Himmlischen bedeuten, O laß sie dir sie sein, da sie cs sind! Die Seligkeit, die du als künftig träumest,

Sie ist ja schon der Duft aus deiner Seele,

Der Himmelsschein, den dir dein Licht nur wirst,

Das Licht der Welt in jedem Menschenhaupte. Ein Andres hast du nicht!

Doch hast du damit

Dich selbst, die ganze Welt, die deine, große,

Und jeder Traum noch stammt aus ihr nur her; Das Träumen macht den Traum ja wahr durch sich;

Das Seligkeit-empfinden ist sie selbst, Sie ahnden ist ihr Werden in der Brust. Drum bilde dir die heiligsten Gefühle In deinem Herzen aus; erzieh' sie sorgsam,

Wie deine Kinder! pflege sie wie Blumen, Und in dem Paradiese wirst du wohnen!

356

Alles Gute gehört Jedwedem.

Ausländisch ist nicht Weisheit und Verstand Der Völker einem andern Volk der Erde —

Ausländisch wäre dann die Sonne auch, Die Wolke, die die Grenze überschreitet, Die Schwalbe und der Storch, die Nachtigal,

Die sich im Lenz in eure Büsche lagert,

Der Kuckuk, der da fragt: „Wie stehts bei euch?" Des Kuckuks denkt, euch nie vor ihm zu schämen! Wo Freiheit und Vernunft ausländisch sind,

Da sei ein Gott dem Vaterlande gnädig. Was irgendwo im fernsten Erdenwinkel

Ein Mensch gefunden, ausgeforscht, erfunden, Als gut und heilsam lange treu bewähret,

Das hat er Allen, über seinen Tod

Hinaus gefunden, ausgeforscht, erfunden

Für alle, die da Menschen sind, die auch

Wohl Menschen werden wollen, gönnt es Gott!

357 Wer Menschenglück und Freiheit will verhindern,

Verhindern, daß ihm eine gute Gabe Von draußen . . . daß ausländisch nimmermehr

Inländisch werde, der verdiente säst, Vor seiner Zeit zu sterben, die ihm Schande Und Andern Schaden ist und großes Unheil.

Wo Sklaverei ein Recht soll bleiben — weil

Sie lang' Gewohnheit war, ein uralt Unrecht, Das einst Gewalt den Schwächern angethan, Aus eigner Dummheit oder Schlauheit Andern

Zutrau'nden unverstanden auferlegt,

Da lös' ein Gott durch neuen Geist den Bann! Drum alles fremde Gute führet ein, Versucht es ernst; von Menschen kam's für Menschen;

Das Menschenherz ist überall sein Boden,

Woraus es wächst und heimatgleich gedeiht.

Ihr wärmt an fremdem Feuer eure Seele, Ihr rein't an fremden Licht euch eure Augen,

Ihr werdet klug und reich durch Andrer Weisheit -

Und euer Feu'r ist's nun! ist euer Licht Und eure Weisheit nun, und euer Glück;

Die edle Saat geht auf in eurem Lande, Denn jeder Boden trägt den Menschen, trägt

Sein Glück, und jedes Volk erschüfst es sich.

Und wenn die Rose hier nicht heimisch war, Und nicht die Kirsche — o so ist sie's jetzt, Dem Volke eingewebt — ist sie geschichtlich

358 Schon lange.

Und geschichtlich wird euch so

Bald dies, bald alles fremde Gute sein; Ihr bringt es aus der Seele neu hervor,

Denn jedes Volk macht seine eigene Geschichte — aber aus dem Stoff der Geister

Der ganzen Welt, so weit es fähig war, Ihr Gutes aufzunehmen und zu leben.

Ausländisch ist nicht Weisheit und Verstand! Wo dieses tückische, dies feindlichste

Verderbendroh'nde Wort inländisch wäre,

Da ziehet fort, nicht mit dem Volk zu fallen! Veredelt Schafe ihr durch fremde Stähre,

Und euern Geist, den wollt ihr nicht veredeln,

Nicht euer Herz erleuchten von der Sonne, Die Allen scheint, und dazu Augen haben?

Gut! macht sie zu — uud wandelt in den Abgrund, Und bis dahin lebt elend. — Nein! nein: seht! Und nehmt, was menschlich ist, euch, Men­

schen, an. Für Seelen giebt es keine Region,

Für Leiber nur: dort Vließe! dort nur Schurz:

Da Hiitte gnügend; hier ein steinern Haus. Dem Leibe leiste Jeder, was ihm nöthig — Des Geistes Haus ist Aller Geisterschloß.

359

Enlbthrlichmachung.

Sich überflüssig machen, still entbehrlich, Ist aller Menschen wohlgethanes Werk;

Ein schwergethanes, selten ganz vollbrachtes,

Ein langes, oft ein tausendjähriges.

Sich überflüssig machen, still entbehrlich, Das ist den Königen ihr saures Werk,

Ihr edles, mühevolles Thun.

Das ist

Den Lehrern allen ihr Verdienst, ihr höchstes

Am Kind, zu sagen: „Du bist frei von mir."

Das ist der Wolke ihr unwissendes Geschäft, und jedem Regentropfen seines. Gern macht der Arzt dem Kranken sich entbehrlich,

Da ist er erst der rechte Arzt geworden! — Den jungen Vögeln wird ihr Nest entbehrlich,

Um alle Bäume und um jeden Strauch; Die Mutterbrust wird ihrem Kind entbehrlich,

Die Wiege wird dem Knäbchen überflüssig, Doch noch die Mutter nicht! der Vater nicht

360 Der Mutter!

Bis auch sie zu ihrer Zeit . . .

Bis sie einander alles Menschliche

Und Liebe waren, alles ausgethan, Was möglich war zu thun und zu empfangen Als Alte, in der letzten Stunde noch.



Drum: mache dich den Deinen einst entbehrlich! Und eifrig! bald! tagtäglich, jeden Abend

Und jeden Morgen, immerfort, durch Andres.

Dann giebst du Ruhe, giebst Zufriedenheit, Dann hast du Gnüge, hast du deinen Lohn, Des Lebens Lohn dir, reich und arm, verdjent; Du hast dich hingegeben bis zum Bettler,

Doch also bist du wie zum Gott geworden, Der auch sich immerfort entbehrlich macht Den Menschen von der Wiege bis zum Sarge.

Der ist der Edelste von allen Guten,

Der sorgt, der sich bis in das Alter abmüht, Daß seine Lieben ihn dereinst nicht missen! Der nichts verdorben, nichts, gelassen hat Zu thun, daß sie ihn schmerzlich nicht entbehren.

Die Mutter ist die wahre Himmclsgöttin, Die alle ihre Kinder wohlerzogen, Die Seele ihnen aus die Lebenstage

Vorausgeschmückt, voraus ihr Herz begabt Mit

wahrem

Reichthum:

Kraft

zu

thun

dulden; Die selbst der jüngsten kleinen Tochter schon

und

361 Die arme Mitgift hingelegt, die sie, Das Kind anlächelnd, manche Nacht gesponnen,

An manchem heißen Tage ihr gebleicht,

Wo ihr die Kleine Wasser tragen helfen,

Als thäte sie den Dienst nur ihrer Mutter. —

Wohl dem, der alles Gute ausgethan!

Dem Nichts , mehr einfällt, wie er steh' und sinne; Der ruhig schläft, von keiner Schuld ermuntert,

Von keinem Traum an eine Pflicht gemahnt;

Der

wird

den

letzten

Schlaf

wie

Engel

schlafen!

Der wird den Seinen wie die Seligen Gepriesen sein, in Frieden ihnen ruhn,

Und ihre Thränen werden Ehr' und Wonne. . . . Und finden nach der Mutter Tode gleich Die Kinder noch das seine Leichentuch,

Das weiße, ihnen schon zurechtgelegt,

„Die Kleider in den Sarg" zurechtgelegt, Dann überfällt die Kinder heil'ge Wehmuth !

Der Tod des Guten wird zum Segensspruch!

Nur sel'ger Thränen, frommen Dankes werth; Und der da alle Herzen sonst zerreißt, Der Tod, hat ausgehört, der Tod zu sein, Und ist zu Liebe und zu Glück geworden.

Das ist die Seligkeit des Todes, guter Mensch,

Die Seligkeit des Sterbens und des Scheidens,

362 Die du durch „Dichentbehrlichrnachen" dir Erwirbst und dir verdienst, ja, wohl verdienest, Weil Das die Seligkeit des Lebens war, Weil schon ein Seliger, ein Liebender

Das Leben lebte. — O, so leb' es so!

Solch Leben nur wird nie entbehrlich sein.

363

Wrrth der Unzufriedenheit.

Nicht schlimmer Zustand, üble Dinge nicht, Schon machen unzusrieden.

Denn was haben

Nicht ganze Völker schon ertragen, Schweres Durch lange Zeit!

Sie trugen es nur eben,

Als ihr geerbtes, ihr gewohntes Leben,

Und ihre Herren waren ihnen nicht So bös, und waren an sich selbst so -bös nicht,

Wie Späteren aus leichtem Trug erscheint, Die sich mit ihrem reineren Gefühl

Zurückversetzen in die schlimme Zeit,

Wie blüh'ndc Rosen in des Winters Schnee.

Und auch die Klugheit macht nicht unzufrieden, Unglücklich nicht; die Helle Fackel zeigt

Die Ungethüme stumm in einer Höhle: Die Molche und die Drachen und den Abgrund;

Das Licht erzeugt sie nicht, es zeigt sie nur.

Die Mutter alles Bessern ist allein Die Unzufriedenheit! ... die Schöpferin

Des jetzo Guten, das der Mensch erkannt.

364 So ist die Unzufriedenheit denn gut

Und heilsam, ist Wohlthäterin der Völker. Das Gute und das Rechte in der Seele,

Das Wahre und das Edle in dem Herzen Macht unzufrieden, nah' im Haus', und rings

Mit Allem, was nicht recht, nicht edel ist,

Mit jedem Menschen, der nicht wahr und gut ist, Er sei auch wer er sei: das Kind, der Mann,

Der Greis, der Priester . . . trag' er eine Krone — Die Unzufriedenheit mit ihnen macht Den Menschen Ehre, will nur Denen wohl,

Mit welchen Edle unzufrieden sind; Und giebt den Unzufriednen Werth und Würde

Und höchste Ehre, wenn sie's menschlich sind. Denn göttlich ist die Weisheit und die Wahrheit, Der gute Wille und das reine Herz! Das reine Auge sieht erst recht Unreines,

Der weise Sinn erkennt erst recht die Thorheit; Drum ist die Unzufriedenheit nicht hohl, Nicht leugnend, ächtend was da übel steht. —

Die Unzufriedenheit bejaht mit Eifer-

Das Rechte, und sie eben stellt es dar Aus sich, sie schafft es aus der Himmelskraft, Die voll ihr beiwohnt, die sie eben ist. Drum schäme kein Mensch sich, ein Unzusriedner

Zu sein! und kein Mensch zürne, falsch sich schämend,

Daß Bess're mit ihm unzufrieden sind;

365 Sie sind es nicht mit Ihm: mit seiner Weise,

Mit seiner überlebten Weisheit nur! Und lernen kann er, wenn er gut sein will,

Das Bessre auszuführen mit den Geistern'

Der Unzufriednen, die im Herzen brennen, . Das Gute froh zu leben, das sie schauen.

Mit schon Zufriednen ist das Leben aus,

Das Leben, das da immerfort veraltet —

Und war's auch leidlich, stets doch besser wird, Denn ewig überbietet sich der Geist. Und nur die Todten wären ganz zufrieden, Wenn sie zugleich lebendig und zugleich

Auch wirklich todt zu sein vermöchten.

Aber

Bis in den Tod ist nie ein Mensch zufrieden; Und nimmer ist das menschliche Geschlecht

Zufrieden, bis die Erd' es nicht mehr trägt. So fruchtend-reich, gleich einer Segenswolke, Die Unzuftiedenheit auch ist, doch ist

Sie heilig selbst nicht!

Nur die Unzufriednen,

Die sie aus Licht und Herzensglut erschaffen,

Und nährend sä'n, das sind die Heiligen, Wenn Menschen jemals heilig waren, oder

Zu sein verdienten, ohne Eigennutz Und Grillen, Lebenskundige, sich selbst Und Menschen ehrende, bescheiden, redlich,

Ganz unabweislich unermüdet stark. — War Moses mit dem Drucke seines Volkes

366 Zufrieden in Aegypten, lobt' er sich

Und ihm das Elend — führt' er dann das Volk ans? Und dennoch wußt' er nirgend hin, als in — Die Wüste!

Schon die Wüste, schon das Freisein

Von Sklaverei war wirklicher Gewinn.

Die Wüste eben gab ihm Drang und Macht, Um das gelobte Land auch einzunehmcn.

So — war't ihr einst zufrieden mit den Römern, Als Herrn von Teut's Land, von den Fran'n und

Knaben, Wo blieb das Volk und all' sein großes Leben?

Das mächtige Entfalten seines Geistes? O war't ihr mit der Franken Joch zufrieden,

Wo blieb die glorreich-hohe Zukunft euch? Drum, wüßtet ihr das Bess're auch noch nicht,

So ist die Unzufriedenheit schon gut:

Sie

lehrt

das

Bess're

suchen,

sehn

und

finden. O Mensch! o menschliches Geschlecht, laß alles

Dir nehmen, nur nicht Klage, Schmerz und Sehnsucht; Laß dir die Unzufriedenheit nicht nehmen,

Durch Fälschung nicht wegtäuschen, bis derEiser Verraucht sei!

Täusche dir sie selbst nicht weg,

Damit du nimmermehr zufrieden wirst

Mit allem, was nicht gut ist; sei's der Himmel

Sammt allen Göttern, sammt den Heiligen;

367 Und sei's die Erde, sei es dein Geschick, Za sei es selbst dein Wesen auf der Erde.

Auch laß dir die Verachtung nicht verleiden,

Das zu verachten, was verächtlich ist.

Nur so bewährst du dich als echteu Menschen, Nur so ersiegst du dir beständ'gen Kampf!

Und wenn du alles wüßtest wie ein Gott, Und schwömmest in der Wahrheit wie im Meere,

Laß nie das Forschen, nie das immer Prüfen Dir rauben, aus Bequemlichkeit, Verkennung Der Ruhe! — Ruhe ist nicht Seelenschlaf,

Ruh' ist die Kraft 1111b Sicherheit im Geiste, Und darum würdevoll und schonungsreich —!

Gelassen-streng, und edel-unerbittlich! Drum sind die gründlich Unzufriedenen

Die besten Menschen, sind die guten Seelen,

Die, großes Glück und hohes Heil im Herzen, Für Andre leben, stark-bereit zum Tode. Die Unzufriedenen nur werden leben,

Und immer besser, reicher, edler, schöner! Doch die mit Allem dumpf Zufriedenen — Stets schlechter lebend, müssen sie verkommen.

368

Tapferkeit bis aus.

Du frohlockst noch, du gutes Menschenweib, In deinem Haus, das dir noch sicher scheint;

Du List noch glücklich, alles geht dir ruhig Im alten lieben Menschengleise fort. Nur darum ist die große Kraft getheilt,

Geschieden in die Einzelnen, daß Jeder Sich selbst nur fühle: jetzt der Glückliche

Sein Glück allein, ganz unberührt vom Leide Der Leidenden; der Unglückselige Nur seinen Schmerz allein ertrage, ohne Auch nur ein Kind zu stören! Niemand wäre

Sonst glücklich. Ein Jeder.

Doch so ist es seine Zeit

Und ich gönne dir dein Glück!

Spät komme dir das Leiden erst und sanft! Mich aber laß du stille sein und tragen.

Doch wenn du mir befiehlst: ich soll, als fromm, Die Sorg' und Arbeit auf die Götter werfen,

O so befiehl mir nicht, daß ich mich schäme!

Die Erde liegt nicht da zur Ruhebank! Die Sonne glänzt nicht da als Silbernagel,

369 Der Menschen Sorge dran zu hängen.

Nur

Den Regen darf ich müßig, muß ich thatloö Erwarten, ohne Zuthun; nicht den Segen! Die Götter dulden keinen Müßigen,

Nur Kranke, nur Wahnsinnige und Todte, —

Die Alten zählen sie nicht zu den Todten. Das kleinste Kind hat Arbeit viel mit sich,

Schon wenn es auf dem Mutterschoße strampelt

Und kräht vor aller Herzenslust, wie du.

Auch Lebensarbeit thut das Weib genug, Das in der Nacht ein Götterkind geboren. —

Wie Viele ruhen schon vom Leben aus, Die meine Jahre nicht erreicht!

Entschuldigt.

Sie sind

Mir auch thäte Ruhe wohl — doch

So lang' ich eine Hand nur rühren kann, Der Kopf mir auf der Schulter noch nicht wackelt,

So lange will ich, soll ich, muß ich sorgen, Arbeiten, und des Lebens heil'ge Mühe

Zu Ende mühen.

Sonst ja wär' ich schlechter,

Als wie der Fluß, der in der Nacht auch eilt,

Ja unterm Eise fort im Finstern gluckt, Und als die Kohle, die mit letzter Kraft

Noch glimmt als Funken, bis auch der gethan ist. Wenn ich gethan das Alles, was ich konnte,

Daß ich der Götter Leben mir verdiente, Dann will ich ihnen Kinder, Freunde, Welt Mit Erd' und Sonne ewig überlassen. —

24

370 Indessen gönne mir das Herz, zusammen Gezogen von genossenem Leid.

Genuß

Ist auch der Schmerz, ist auch das Unglück, als Der Lebenden Genuß.

Wer hätt' ihn sonst?

Im Himmel Niemand, und die Todten nicht.

Du Gute, eine theure Seltenheit Sind Menschenthränen auch!

Wer kann sie

weinen? Wer weint die unsern je — als du und ich!

371

Gegenseitigkeit. Die leben nur einander, die sich kennen

Und lieben, gegenseitig auf sich wirken;

Und nur die sich gekannt, die sich geliebt, Die gegenseitig aus einander hold Gewirkt, die sterben auch einander nur. Sonst Keiner Keinem.

Und der allgemeine

Gemeine Tod ist nicht ein allgemeiner!

372

Mktamorphosr.

Siehst du den schönen Greis im Silberhaar

Ehrwürdig sitzen, als der vorigen Tage

Noch athmend Denkmal, wie aus weißem Marmor Gebildet; mit dem Auge, das so viele Frühlinge sah, so viele Menschenkinder,

Die alle vor ihm hingegangen sind,

Wo er nun hingehn soll, und dessen wartet In feierlicher Stille. — O, da siehst du

Des Menschen Götterbild sich erst verklären. Jetzt siehst du, wer er war, und wer ihn lebte:

Der heil'ge Himmel und die heilige Erde. Der Greis scheint wieder, nun er geht, das Wunder, Das einst als Kind erschienen, da es kam;

Und alles, was er lebte, that, besaß, Und was er fühlte, sprach, ja was er träumte, Das weiht nun seine sinnende Gestalt Und schafft es um, als schaut' ein Gott aus ihm.

Das ist der Mann, der in den Himmel fährt, Daraus er alle Tage hergekommen, Und er verklärt sich selbst, verklärt sich dir.

373 Die Sonne wird ihm wieder, und viel reicher,

Verstandener, gesegneter das Wunder, Das sie als Kind ihm, blendend, war, da er

Zuerst als Kind sie kindlich froh bestaunt. So sieht er lächelnd alles, alles Gute:

Unsterblich Leben, Himmel, Seligkeit,

Sie sind das Eigenthum, die Eigenschaft Des reichen, unaussprechlich reichen Alls

Und seines Geistes, der im Menschengeist Die Güter schaut und fühlt und heiter findet.

So nimmt er fromm und treu den Dank zurück. Den er aus Irrthum diesem, jenem Menschen Für jene Eigenschaften dieses Alls Gezollt! erkennt sie als sein Eigenthum

Und aller Guten Eigenthum seit ewig, Auf ewig. — Und so hat der Greis sich selbst Verwandelt in die göttlich-festen Dinge,

Die sichern, ihm unraubbar-eigenen; Und dir zugleich hat er sich auch verwandelt: Aus einem Menschen — in den Geist der Welt!

Aus einem Greis' — in ewig junge Kraft! Aus deinem Freund

in einen Himmlischen!

374

Spiegelung.

„Wir glauben All' an Einen Gott", so singt es —

„Wir glauben All' an einen Gott", ist wahrer; Denn ob der Adler, oder ob die Eule Die Sonne sieht, ob ein vernünft'ger Mensch,

Das sind verschied'ne Sonnen, noch verschieden Bon der, die blinde Blumen nur empfinden. Auch ob der Fuchs den Löwen, ob der Löwe Den Löwen sieht, und ob die Gans, der Jäger

Den Fuchs erblickt, das sind ganz andre Füchse; Ob ein Tyrann und ob ein milder Mensch Den Armen sieht — das sind ganz andre Bettler! Und ob ein Mörder, ob ein Engel Gott sieht, Das sind verschied'ne Bilder eines Gottes. —

So sind denn so viel ganz verschied'ne Bilder Von einem Gott, als alle Millionen

Verschied'ne sind der Wesen, die ihn schauen. Und auch so, wie ein Kind, und wie ein Gott

Den todten Vater sieht in seinem Sarge,

Das mögen auch verschied'ne Todte sein;

375

Und Jedem anders wahr, und jeder wahre

Der rechte, einzig ihm gehörige

Und möglich ihm zuständige. — So scheint, So ist die Eine Welt Millionen Welten!

Ein Tag der Sonne Milliarden Leben! Und eine Nacht, der Eine Schlaf auf Erden, Ist tausendfach verschiedene Ruh' in allen

Verschieden Herzen aller müden Wesen.

376

Das Reich des Schönen.

Das schöne Lied, die schöne Melodie

Hat nichts zu thun mit allen Sternen droben, Nichts mit Vergänglichkeit, mit Zeit und Sonne. Das Reich des Schönen hat da nichts zu thun Mit allem Draußen, allem Glauben nichts;

Frei, seelentzückend, weltverklärend lebt es

Und schwebt es heilig, als das Reich der Götter, Im Wonneduft des ganzen ewigen Alls,

Zu aller Eingeweihten Seligkeit. — So ist dem Menschen eine Welt gegeben,

Ein Paradies, sein eignes Paradies, Das er betritt, so oft es ihm gefällt;

Das ihm kein Engel zu verschließen wagt — Der Mensch verscheucht ihn durch ein Lächeln schon,

Und alle Bonzen lacht er in die Luft, Und alle Tempel stürzen tief in Nacht.

Ein Ton erklingt ... das Lied es hebt nur an . . . Da öffnen sich des Geisterhauses Pforten,

377 Und alle bösen Geister fliehn zum Abgrund! Die Kunst, sie ist die frohste Religion, Die reichste, voll von allem, allem Schönen,

Was je in eines Menschen Herz gekommen, Und ihre Hohenpriester sind die Künstler.

Ihr Reich ist grenzenlos, ist allumfassend, Nicht blos, was da in Einem dürft'gen Raum Erstarrt'! was Eine Fabel festgebannt! In ihm entsprossen alle Himmelsblumen,

In ihm erklingen alle Zaubertöne, In ihm erglänzen alle Götterbilder, Die allen, neuen, künftigen, versammelt.

In ihm ist Längst-Vergangnes noch vorhanden!

Und Künftiges erscheinet schon in Pracht! Die Todten stehen auf im Reich des Lebens. In ihm sind einzig alle Dinge wahr,

Der Himmel und der Bettler und der Stern, Und noch der Traum ist in ihm heil'ge Wahrheit,

Festsußend in der Menschenbrust; die Schatten Selbst leben gleich den Königen und Helden,

Und unvergleichlich-schöner leben sie Und dauernder ein rein verklärtes Leben;

Die Thräne drin ist wahrer, als die Sonne,

Die Freude wahrer, als der Donner draußen, Das Lächeln wahrer, als der blaue Himmel. Das ist das wahre Reich der Seligen!

Was Schönes, Gutes alles unter Menschen

378 Umläuft, das kommt nicht aus der Welt da draußen — Das

hallt

und

glänzt

nur

aus

dem

Reich

des

Schönen. Das ist des Menschen eignes Reich des Trostes,

Der Ruhe und der Freude und des Friedens,

Das heilige Asyl der Erdbetrübten,

Gesucht von allen Leidenden, bevölkert Von allen frohen, hohen, edlen Menschen, Als seliger Aufenthalt der Liebenden.

Und wer nur eine Seele hat, ein Herz Mit menschlichem Gefühl, in allen Völkern

Der Erde, der ist Erbe, Mitbesitzer Und Herr von diesem schönsten Geisterreich,

Für das die Erde nur die Staffel -ist,

Für das der Mond Nachts, Tags die Sonne scheint, Für das die Blumen blühn, die Blumen sterben,

Für das das Meer des Lebens ruhlos brauset, Für das der Tod erfunden ist und tobtet:

Die Kinder in der Mutter Arme schon,

Und noch die Mutter und den Vater auch, Und nie auch nur den stillsten Greis vergißt . . .

Für das die Gräber und die Mahle stehn, Für das die Lebenden das Leben leben — Und Alles das: damit die stille Welt

Die herzergreifendste, die wahrste sei, Kein hohler Traum nur, nein, die Weltverklärung,

379 Auf die schon jede sanfte Mondnacht deutet,

Allabendlich der Sonnenuntergang!

In dieses Reich erhebet euch, ihr Menschen, Beschützt es euch als euer Heiligthum

Und schmückt es unermüdlich frisch mit Blumen Zu wonnigem Genuß der Menschenkinder, Die aus der Erde Landen all' mit Flügeln Der Morgenröthe und der Abendröthe Entzückt in ihre süße Heimat schweben!

380

Irrudigkrit am Menschlichen.

Hat dich des Schicksals rege Hand geschlagen, Dann bist du noch nicht elend, nur getroffen;

Es konnte dich nicht treffen, wenn du nicht Ein Mensch warst; aber deiner Mutter willen

Kann nie dir leid thun, daß sie dich geboren.

Es traf dich nicht, wenn du von deinen Werken Die Folgen alle sahst — die Niemand sah. Und hast du gut und recht gethan, gerüstet

Auf alles, was darauf dich treffen konnte —

O du, bereue dann das Gute nicht,

Bereue nicht, daß du ein Edler warst. Sei noch wie damals, muthig heut entschlossen, So hat das Schicksal seine Macht an dir Verloren, und Gewalt an dir ihr Elend. Und wie du deiner Mutter segnend noch

Gedenkst, gedenk' auch segnend du der Welt, Worin dem Guten wohl ein Unglück kommt,

381 Doch nicht vom Guten, sondern nur durch Böse,

Vom bloßen Mangel an Allwissenheit, Mit der du eben nicht ein Mensch gewesen! So aber bleibst du Mensch, bewahrest dir

Den festen Göttergeist in deinem Herzen, Das nichts verloren, als Vertraun auf Thoren Und Hoffnung aus Tyrannen und Bethörte.

382

Das bessere Leben. Das bess're Leben ist: ein guter Mensch sein, Das ist das beste! Besser ist keins möglich. Das höhere Leben ist nicht außer uns,

Da droben wo! noch einst! Das höh're Leben,

Das ist das große, schöne, reiche Leben In unserm eignen reinen schönen Geiste, In unserm eignen stillen sanften Herzen. Die Menschen leben auf der Erde hier

Das ew'ge Leben, leben Ewiges. Hast du dich über Trug und Schein erhöht,

Dann schaust du alles Einzelne als Eins:

Es zieht dir Ruhendem vorüber, köstlich, Es zeigt die Fülle dir der reichen Welt, Es wird dir süßer Stoff für dein Gemüth Zu Freud' und Lächeln, wie zu Leid und Thränen. Die Welt nur baut lebendig dir die Welt.

Drum: keine ferne Hoffnung ist dem Menschen Das höh're Leben!

Auf der Erde schon,

Und auf der Erd' erreicht er's nur als Mensch, Und grad' erst recht in aller ihrer Noth.

383

Das ist die Welt doch werth, daß sie der Geist Auf seinem langen Tag sich ansieht, kostet! Und auch ein besser Leben kennt er nicht,

Als Freude fühlen! lieben und geliebt sein! Sonst ist die

Welt hier nicht ein

Traum

Guten!

Der Mensch hier hätte keinen Sinn dafür, Und schändlich wär' es, leben hier zu müssen.

des

384

Reine Seele: reine Augen. Da sagte mir ein Freund mit sanftem Lächeln: „Ich sollte mich beklagen, weil mir Eins fehlt,

Was vielen Pflicht und süßer Traum erschien, Doch Keinen je beglückte, den ich sah,

Ja viele thöricht, sklavisch, elend machte, Mit denen frei ich nimmermehr getauscht: — Mir fehlt die Ehrfurcht.

Schon von Kind­

heit auf. Dafür hatt' ich die Liebe siebenfach,

Der Freiheit heiliges Gefühl, mein mächtig, Nie unterdrückbar, unbesieglich, eisern.

Schaamhaftigkeit, Gewissenhaftigkeit

Verehrt' ich, Unschuld bis zur tiefsten Qual; Ich biß vor Schaam mir grimmig in die Hände,

Gebeugt vor blauem Himmel und vor Sonne, Und weinte schluchzend als ein kleines Knäbchen Schon über die von mir zertretne Rose.

So hatt' ich eine Menschart für die andre; Doch stoß ein Strom von Wonne durch

die Brust

mir . . .

Und Alles, was den Andern Schmerzen bringt,

385 Dazu nur hab' .ich ruhevoll gelächelt. — Nun sage: War ich glücklich ohne Götter,

Tyrannen, Schicksal? ohne das Bedürfniß

Der Gnade werth zu sein?

Verzeihung hab' ich

Mit aller Kraft vom Leibe mir gehalten,

Und Gaben anzunehmen, von der Seele, Durch eisernes Bestreben: „nie zu fehlen"; Die besten Güter einzig hoch zu halten, Und Mangel kleiner Tagesgüter nie

Zu fühlen, im Besitz der herrlichen,

Wie Geister nie um trocknes Brot bekümmert.

Frei schreit' ich wie ein Geist in eurer Welt; Ich bin begabt mit wunderbaren Augen

Und Ohren: nicht zu sehn und nicht zu hören, Als was mir meiner würdig scheint — sonst

Nichts.

Ich habe keinen Herrn noch je gesehen,

Noch keinen Priester, keinen Tempel wo, Noch keinen Reichen, noch kein armes Kind; Noch keine Glocke hab' ich je gehört, Nur Traumgebilde ohne Kraft und Geltung — Frei ist die Welt mir, leer von allem Kram, Und voll das Herz vom ewigen Gehalt."

Er schwieg; und wohl verdient' er, daß ich sprach: „Bald fähig wirst du sein: ein Mensch zu werden."

386

Wirke mit den Deinen.

Was könnte noch in Ilions Gefilde Geschehen! welche Thaten, groß und rührend!

Jedoch, wie von der Erde ausgestoßen, ruht Der Ida wie ein Traum; der Lanthus fließt

Zum Meere, wie ein Strom der Unterwelt; Die Sonne stralt vom Himmel warm und hell — Doch hier umsonst, auf ewig wie verloschen. Was könnte in Jerusalem geschehen! Was könnten noch für große Lehrer wandeln —

Doch alles schweigt um diese alten Cedern!

Was könnte noch in Attika's Gefilden Geschehen! welche Werke, schön und herrlich —

Jedoch, da steht die Burg im Himmelblau

Wie hingeträumt. Das alles ist gewesen,

Einmal gewesen, ist in Ewigkeit Nicht wieder; und die treue Seele schaudert Vor dieser strengen Macht, die so gebeut,

387 Stillschweigend, aber ehern, über Menschen. Und wähnst du wohl, der Strom der Welt gebiete

Nur über Großes, Hohes so gewaltig?

Auch über dich gebietet er so streng!

Selbst über deine Blumen in dem Garten. Was, meinst du, könntest du noch alles thun? Welch Neues noch zu alten Jahren fügen ?

Doch auch wie von der Erde ausgestoßen Liegt deine Jugend, wie ein Traum; die Sonne

Sinkt aus dem heutigen Tage dir hinab

In jene alte finstre Unterwelt.

Drum merke wohl: Nichts ist dir gegenwärtig, Als was du sinnst und thust und schaust und liebst;

Das sei dein Volk, es sei dein Weib, dein Kind.

Drum laß dir keinen Tag vergebens leuchten!

Genieße deines Volkes Kraft und Leben, Und wirke mit den Deinen unermüdet! So lang ihr liebt, gehört nur euch die Welt, Das Haupt, das Herz, die Hand, die Menschenmacht. Nichts bleibt von allem; denn es kam, es geht —

So lebt es, rüstig.

Gehend so vergeht es

Ganz ohne Schaden; denn es hat gelebt. Fällt von der Eiche nur ein Blatt, das ist

Ein Zeichen, daß die Eiche selber fällt.

Stirbt nur ein Mensch, das ist das gleiche Zeichen:

Die

Völker

auch

vergehn,

und

einst

Menschheit. 25*

d ie

388 Wie kein Gesang in einem Tempel bleibt, Wenn er verhallt — nicht im Gewölbe schwirrt.

So bleibt auf Erden von den Völkern nichts; Nichts hallt von ihnen unterm Himmel nach;

Und kein Bedauern ruf' es dir hervor. Das Volk ... es hat gelebt, es hat gesungen In seinem Sommertage, wie die Lerche,

Und droben

schweigt

der Himmel

weil



sie

schweigt.

Und unentweihbar ist ein schönes Leben: Nie wird ihm Schmach und Schande angethan,

Nie wird das Vaterland, darin es wohnte,

Erobert, denn das Volk ist ausgewandert In andre Lande, weiter, in den Himmel. Gesinnung

macht

das

Volk

und

macht

den

Menschen; So ist das Volk, das fiel, nicht mehr das Volk.

Drum: Treue, Tapferkeit und Muth bis aus! Die Todten werden nimmer unterjocht

Und einst ihr Land von Fremden nie besessen —

Es ist nur Erde, nichtig-leerer Boden!

Und eines Gottes Stimme ruft den Thoren, Die wähnen, daß sie Volk und Land erbeutet:

„Nehmt ihren Staub, und backt euch Brot

daraus." — Wie „sterben" keine Schmach dem Einen ist, Ist einst „vergehn" auch Völkern keine Schande,

389 Wenn frei und groß und tapfer es geschah;

Sonst wäre längst die Erde zu verächtlich, Als daß der Mensch ihr noch ein Land beträte.

Dem Volke bleibt jedwede große That

Gethan, auch wenn sie Niemand weiß auf Erden Und Niemand wo im Himmel mehr!

Ihm bleibt

Ein jedes schöne Werk vollbracht, jed' Lied Sogar nur, für die Ewigkeit gesungen!

Auch wenn es, wie das Lerchenlied am Himmel, Verschollen, wie im Tempel ein Gesang.

So soll denn nichts vom Menschen bleiben; nichts Von einem Volke; nichts vom menschlichen Geschlecht.

So ist's der Erd' und seiner würdig.

Und so geschieht, so mag, so soll's geschehen. Und also einsehn, also fühlen, spart

Unzähl'ge Thränen unverständ'gen Kummers

Und Grames um uns selbst und unsre Lieben. Die wir . . . und uns nicht hoch genug geehrt! Das ist des Menschen Größe: rein vergehen

Und keine Spur von sich auf Erden lassen.

390

Die Weltüberwinder.

Ihr demantfesten, hocherhabnen Seelen, Die ihr das „Unvermeidliche" — das Leben, Rein ohne Haß und ohne Liebe tragt,

Wie euer Menschenhaupt auf eurer Schulter; Die ihr die Erde schaut als grünen Traum,

In runder schwebender Gestalt*) gemalt,

Und jene Sterne schaut als Meteore — Nur Eines hört! auch wenn ihr dazu schweigt: Kommt Achten und Verachten euch nicht ein,

O so erkennt das Mögliche doch an, Das leist und wirklich vor euch schwebt als Alles.

Wo sonst ist Etwas noch? ... ein Staub nur?

Doch etwas ist die Welt, denn ihr seid Menschen.

Daß soviel da ist, und daß soviel lebt, Und daß dies „Soviel" immer da sein wird, Ist eines Blicks doch, eines Lächelns werth,

Wenn auch voll hoher Ruh' und ungereizt. *) So, als große schimmernde Seifenblasen, malte Raphael die Träume des Pharao.

391 Und freundlich geb' ich euch auch eine Lehre,

Die einzig-nöthige für alle Menschen;

Und hätt' ich tausend Weiber, tausend Kinder, Nur- diese höchste Lehre gab' ich ihnen:

„Du wisse, könne, übe unverbrüchlich „Was deinen Leib gesund erhält — damit du „Ihn eben nicht empfindest, und du schmerzlos

„Zum Grab gelangst, so ganz wie nicht begraben! — „Thu' Nichts, um alle Weltenwunder nichts,

„Was deine Seele dir vergällt — damit du

„Sie eben nicht empfindest, daß du heiter „Dich selbst nur lebst, so sanft und schön du bist."

Befolgt ihr diese meine Lehre nur,

Dann lebt ihr furchtlos, glücklich erst wahrhaftig; Dann lächelt ihr der Welt und ihrer Götter, Ihr wär't sie selber erff; ihr stellt sie dar.

Denn preßten mächtige Titanenhände

Wie Traubenbeeren alle Sterne aus: Nicht andern Lebenswein, nicht bess're Lehre

Selbst Preßt' ein Gott daraus für sich und Andre.

Wer mit Gedanken einen Wahn besiegt, Mit reiner Seele ein Gelüst beherrscht,

Wer durch ein treuvollbrachtes Menschenleben Die ganze Zukunft, diese ganze Erde

Und alle Sterne nun als überflüssig

392

Für sich, den Menschen, klar erkannt hat — Der,

Der übte Allmacht über alle Dinge. So ist der Mensch nicht nur des Lebens Herr,

All' seines Wollens, seines Thuns — er ist auch Ein rechter, echter, wahrer Herr der Erde,

Des Himmels und der Ewigkeit für ewig.

Drum wer , so spricht, der lästert keinen Gott,

Der setzt ihn nicht ab — o, der nimmt ihn auf!

Den nahm der Gott auf, und er herrscht mit ihm.

393

Der wahre Mensch. Was treibt dich an in deiner guten Seele,

Zufrieden mit der ganzen Welt zu werden, Mit ihrem Wandel, Wechsel und Verlust,

Mit ihren alten, traurigen Gebräuchen, Worin sie jedes Menschenkind versponnen Und fest umgarnt in dieses Leben schickt? Was treibt dich an, zufrieden mit der Welt

Zu sein, zufrieden mit ihr ganz zu werden? Selbst mit dem Tod', dem Räuber deiner Lieben,

Der Lieb' und Leben dir zu Schmerz gemacht! Thut dies das alte heilige Bewußtsein

Der Seele, daß sie Seele ist der Welt? Thut dies die Ahnung, daß der schwere Kampf

Vergeblich sei, und doch in Frieden ende, In Stille und in Schweigen enden müsse? Denn eisern bleibt Geschehenes geschehen

Und nichts geändert wird um deinetwillen, So wie seit allen Tagen auch das Kleinste

Um keinen Menschen je geändert ward,

394 Um keine Sonne, nicht um alle Sterne,

Die Alles ebenso erdulden müssen

Und schweigen müssen — wie sie alle schweigen! Thut dies das heimliche Gefühl in dir, Daß deine Seele mit der Welt ja nicht

Zufrieden werden müsse, daß die Seele In dir nur mit sich selbst zufrieden werde? Daß ihr Empfinden aller Welt da draußen

Nur ihre Ruhe sei, ihr eigner Frieden,

Bis es zu ihrer eignen Billigung,

Zu eignem Segen, eigner Gnüge werde! Gewiß ist das: Es treibt dich an, die Ruhe

Zu suchen, und wo möglich sie zu finden. Denn auch verachten, hassen, ja verwerfen, Entschieden, willig, überzeugt verwerfen, — Und sei die ganze Welt auch das Verworfne — Das bringt der Seele ihre Ruhe wieder. Wohlan, o Seele, so verwirf die Welt,

Verwirf ihr ewiges Bestehn, wie sie bestand, Verwirf, so wie sie ewig wird bestehn, Verwirf, geboren werden als ein Kind, Verwirf das leise, tückische Vergehen, Das Scheiden, Sterben, und das Grab, den Tod —

Nur Eins verwirf du nicht: die todten Lieben! Verwirf das Leben nicht, das sie gelebt

Voll Liebe, reicher, freudiger zu dir!

Verwirf nicht ihre Liebe! ihren Schmerz,

395 Von dir zu scheiden!

O verwirf du nicht

Ihr traurig-lachelnd Antlitz noch im Sarge!

Verwirf nicht deine Thränen, die du weintest!

Verwirf nicht deine Klagen, deinen Zorn . . . Vor allem aber bitt’ ich himmelhoch Dich Eins: Verwirf du deine Liebe nicht!

Die Liebe halte fest, den Welten allen,

Den Göttern allen und dem Grab’ und Tode Zum Trotz.

Dann hast du erst die wahre Stärke,

Die wahre Macht weit über alle Himmel;

Ja frei, so wie ich fühle, würd’ ich sagen:

„Selbst über Gott und über Seligkeit", Wär’ eben deine Liebe nicht aus Gott, Wär’ eben sie nicht Gottes Seligkeit.

Die Liebe zu Gott ist das Höchste nicht,

Die Liebe Gottes ist das Allerhöchste. —

Und nun verehre, bete, weine, schweige, Thu’ was du willst — so thust du erst das Höchste, Das Mögliche! — so thust du erst das Rechte,

So fühlst du, lebst du erst das Wahre, Freie.

396

Alles Leben ist Gebet.

Die Menschen beten alle.

Alles Leben

Ist ein unaufhörlich Gebet, jetzt still,

Jetzt laut, das immerfort im Herzen klingt Bei allen Werken und bei allem Thun;

Das auch Gespräch mit andern, saure Arbeit Nicht unterbricht, nicht stört, nur mehr befeuert!

Denn säh' der weise Gott in Menschenherzen, So sprach' er, eine Thräne in den Augen:

„Der gute Mann da, dem die ganze Seele

„Zu schwerer Arbeit für die Kinder worden! „Er trocknet kaum den Schweiß, er blickt kaum auf „Zu mir, geduldig — o wie betet Der!

„Und dort, wie geht das kleine Mädchen ruhig

„Zu Bett, doch hungrig, weil das Brot heut fehlt — „Es folgt dem Vater . .. steh', es schläft, und doch

„Wie betet es! Sein Schlaf ist sein Gebet. „Und seine Mutter schläft da nicht; sie wacht

397 „Die Nacht hindurch, sie spinnt die Finger ganz „Und gern sich blutig für den kranken Sohn, „Der in. der Fremde schwer darnieder liegt.

„Ein jeder Faden ist ihr ein Gebet. „Nur wer zeitlebens betet, Der nur betet!

398

Die Danksagung für das Leben. ------------- Und nun entlass' ich euch aus meinem Dienst,

Ihr guten Geister alle dieses All's! Ihr war't um mich so wie ein Bienenschwarm Um eine junge Bien', im Munde Honig;

So wie die Sonne um den Blütenbaum! Ihr war't mir nah bis aus der heil'gen Ferne Im Licht des Sternes, daß ihr mich bedeutet: „Nicht hier nur weben wir und bauen Leben; „Nicht jetzt nur weben wir in deinen Tagen, „Nein, schon vor alter grauer Zeit, und werden

„So treu und herrlich weben immerdar, „Nach eines Jeden Tagen, wie nach deinen."

Ihr habt mir alle immer wohlgedient,

Wie einem Kinde seine Mutter dient, Und Vater und Geschwister stets mit Freuden Bei Tag' und Nacht, im Schlaf' und noch im Traume.

Ihr Geister alle um mich, ihr Gestirne,

Ihr habt mich nicht gesehn!

Denn ihr seid

Blinde.

399 Die im gewohnten Hause sicher wandeln, Selbst neben ihren Wasserkrug nicht greifen.

Die helle Sonne hat mich nicht gesehn,

Der Abendstern, die Mondes-Sichel nicht.

Doch ich, ich habe euch gesehn, bestaunt! Ihr dienet Jedem, ohne ihn zu kennen,

Wie blinde Jungsraun still im Vaterhause, Die leise hören, gleich, bedächtig thun,

Was Jedem lieb und nöthig ist zur Stunde.

Und wenn ihr allen Andern auch das Gleiche Mit gleicher Hand gethan, mit gleicher Treu'

Und unaussprechlicher Geschicklichkeit, So habt ihr Alles doch auch mir gethan,

Ja so, wie mir allein; so überreich, So überschön geschah mir alles, alles,

Was Einem je gethan, was Allen worden.

Euch un bedank bar Hohen, Stillen, Blinden, Euch sah ich dennoch meinen Dank hinauf In euern blauen Himmel, eure Wohnung —

Wie Regen wohnt in Wolken — hört' ihn doch Ein Mensch wohl, den er rührt'!

Und das gefällt

Euch wohl, auch ohne daß ihr lächeln könnt.

Fühl ich ihn doch!

Und das ist mir genug

Und euch genug, die ihr für Alle lebt,

Für Alle reich seid, Allen so gewogen, Geweiht, ja wie geopfert jeder Blüte,

Geopfert jedem Kind und seiner Mutter.

400 Denn schweigend freudig sterbt ihr selbst in jeben,

— Denn inniges Verwandeln ist der Tod — Wie ihr ihn sterben könnt, ihr'Ewigen,

Um immerfort zum Opfer ihn zu sterben!

Der Mensch, der einmal lebt, nur stirbt einmal, Denn Er ist eures Opfers heilige Wirkung, Das süße Kraftgedüft des ganzen Himmels! — Drum weiß ich wohl: Ihr danket euch in mir.

So wie ihr heimlich offen in mir lebt.

Noch voll Empfindung bin ich eures Webens, Und was ich alles war und alles hatte,

Es ward mir sanfte Thränen in den Augen,

Daß es die Sonne nur als Diamant, Als funkelnd-bunten Tropfen Thaues schmückte. Ja, ja! die Sonne ist mir immer pünktlich An jedem Morgen auf, an jedem Abend

Hinabgegangen, und der Mond gekommen,

Der Schlaf zum rechten müden Augenblick. Schneeglöckchen kamen unter letztem Schnee!

Der Kuckuk rief zur rechten Frühlingszeit; Die Aehren reiften, und die Traube hing Mir vollgeschlpellt zur rechten Stunde da,

Indeß ich, sorglos um das alles, ging, Arbeitete, ja schlief, nur sann und harrte,

Wie aus der Fahrt im großen Schiff der Erde, Und nicht ein Lüstchen fehlte mich zu kühlen.

Am rechten Abend stand die Jungfrau mir

401 Zum Weibe da! — Am rechten Morgen richtig

Lag ihr ein Kind im Schoß; zur rechten Zeit

War ihm die Erdbeer', war die Kirsche reif. So wurden uns die Monde reif zusammen —

Die Jahre wurden nach einander reif. Zur rechten Stunde ward das erste Haar

Mir reif.

Zum rechten Augenblicke starb —

Nach eurer himmlisch-treu gewissenhaften Und wundervollen höchsten Kunst — mein Weib. Dies schwere Lob versetzt mir meinen Athem —

Für Alles seid bedankt mit sausend Thränen!

Zur rechten Stunde werdet ihr mir nahen Und mich verwandeln, wie den Todten ziemt, Auf daß ihr Ehre habt bei euren Menschen.

Ich hab' euch wohl gelebt.

Nun lebt ihr mir wohl!

Ich nehme selbst mir meinen Schatten mit. Und so entlass' ich euch aus meinem Dienst.

Ende.

Leipzig. Druck von A. Th. Engelhardt.