Hansische Literaturbeziehungen: Das Beispiel der Þhiðreks saga und verwandter Literatur 9783110814880, 9783110150223


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German Pages 339 [344] Year 1995

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Table of contents :
Einleitung
I. Voraussetzungen
Vermutungen zum Wirksamwerden europäischer literarischer Tendenzen im mittelalterlichen Norden
Norwegen und das Reich unter Hákon IV. (1217–1263) und Friedrich II. (1212–1250)
II. Zur Þiðreks saga
Die Erzählstruktur des Velentsþáttr
Der Meisterschütze Egill, Franks Casket und die Þiðreks saga
Þiðreks saga als Gegenwartsdichtung?
Aspekte des Komischen in der Þiðreks saga
Zum Superbiaproblem in der Þiðreks saga
Konsistenz und Intertextualität im Schlußteil der Þiðreks saga
III. Die Þiðreks saga im altnordischen Kontext
Nordisches in der Þiðreks saga
Þiðreks saga und Karlamagnús saga
IV. Þiðreks saga und oberdeutsche Parallelüberlieferung
Überlegungen zur Funktion des Hortes im Nibelungenlied
Þiðreks saga und oberdeutsche Heldensage
V. Altnordisches literarisches Umfeld
Zum Königsspiegel
Literarische und kulturelle Adaptation einer lateinischen Vorlage
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Hansische Literaturbeziehungen: Das Beispiel der Þhiðreks saga und verwandter Literatur
 9783110814880, 9783110150223

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Hansische Literaturbeziehungen

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Heiko Steuer, Dieter Timpe Band 14

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Walter de Gruyter · Berlin · New York 1996

Hansische Liter a turb eziehungen Das Beispiel der Piöreks saga und verwandter Literatur Herausgegeben von Susanne Kramarz-Bein

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_G Walter de Gruyter · Berlin • New York 1996

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Reallexikon der germanischen Altertumskunde / von Johannes Hoops. Hrsg. von Heinrich Beck ... — Berlin ; New York : de Gruyter. Bis Bd. 4 hrsg. von Johannes Hoops Ergänzungsbände / hrsg. von Heinrich Beck ... NE: Hoops, Johannes; Beck, Heinrich [Hrsg.] Bd. 14. Hansische Literaturbeziehungen. - 1996 Hansische Literaturbeziehungen : das Beispiel der I>idreks saga und verwandter Literatur / hrsg. von Susanne Kramarz-Bein. — Berlin ; New York : de Gruyter, Î996 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde : Ergänzungsbände ; Bd. 14) ISBN 3-11-015022-0 NE: Kramarz-Bein, Susanne [Hrsg.]

© Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

Für Fabian und Thomas

Inhaltsverzeichnis SUSANNE KRAMARZ-BEIN

Einleitung I. Voraussetzungen

IX 1

ALOIS WOLF

Vermutungen zum Wirksamwerden europäischer literarischer Tendenzen im mittelalterlichen Norden

3

THOMAS BEHRMANN

Norwegen und das Reich unter Hákon IV. (1217-1263) und Friedrich Π. (1212-1250) Π. Zur PiÖreks saga

27 51

EDITH MAROLD

Die Erzählstruktur des Velentspáttr

53

HANS-PETER NAUMANN

Der Meisterschütze Egill, Franks Casket und die PiÖreks saga

74

HEINRICH BECK

PiÖreks saga als Gegenwartsdichtung?

91

GERT KREUTZER

Aspekte des Komischen in der PiÖreks saga

100

ULRIKE SPRENGER

Zum Superbiaproblem in der PiÖreks saga

131

OTTO GSCHWANTLER

Konsistenz und Intertextualität im Schlußteil der PiÖreks saga

150

Vili

Inhaltsverzeichnis

ΠΙ. Die PiÖreks saga im altnordischen Kontext

173

HEIKO UECKER

Nordisches in der PiÖreks saga

175

SUSANNE KRAMARZ-BEIN

Pidreks saga und Karlamagnús saga

186

IV. PiÖreks saga und oberdeutsche Parallelüberlieferung

213

PETER GÖHLER

Überlegungen zur Funktion des Hortes im Nibelungenlied

215

HERMANN REICHERT

PiÖreks saga und oberdeutsche Heldensage

236

V. Altnordisches literarisches Umfeld

267

RUDOLF SIMEK

Zum Königsspiegel

269

STEFANIE WÜRTH

Alexanders saga: Literarische und kulturelle Adaptation einer lateinischen Vorlage

290

Einleitung VON SUSANNE KRAMARZ-BEIN

Der vorliegende Band vereinigt eine Reihe von Beiträgen, die auf dem Symposium 'Hansische Literaturbeziehungen. Das Beispiel der PiÖreks saga und verwandter Literatur' (vom 19. - 21. 11. 1992) in Bonn vorgetragen und diskutiert wurden. Im Zentrum der Tagung standen die mit den Handelsverbindungen der Hanse einhergehenden literarischen Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Skandinavien im Mittelalter, wie sie sich deutlich am Beispiel der altnorwegischen PiÖreks saga aus der Mitte des 13. Jh.s verfolgen lassen. Die PiÖreks saga bietet ein anschauliches Beispiel dafür, inwieweit ursprünglich niederdeutsche literarische Stoffe über hanseatische Kaufleute aus Westfalen nach Norwegen gelangten und dort unter geeigneten Rezeptionsbedingungen um die Mitte des 13. Jh.s aufgezeichnet wurden. Besonderes Gewicht kommt dem mutmaßlichen Aufzeichnungsort des Textes, der westnorwegischen Hansestadt Bergen, zu, da sie zum einen das zentrale Handelszentrum Norwegens im Mittelalter darstellte, in dem zahlreiche deutsche Kaufleute ansässig waren und so auch zur Verbreitung deutscher literarischer Stoffe beitragen konnten. Zum anderen war Bergen aber zugleich Königssitz des auch literaturgeschichtlich bedeutsamen norwegischen Königs Hákon Hákonarson (Hákon IV., 1217-63), jenes Königs, dessen Anliegen darin bestand, "to give glacialis Norwegia a place in the full sunlight of mediaeval civilization", so die poetische Charakterisierung H. G. Leachs.1 In seiner Regierungszeit suchte Hákon gezielt Anschluß an die europäi-

1 Henry Goddard Leach, Angevin Britain and Scandinavia, Cambridge, London 1921 (= Harvard Studies in Comparative Literature, VI), S. 149. Leachs Buch gibt eine gute Einführung in Hákons Rolle als Kulturvermittler zwischen dem Kontinent und Norwegen und als Anreger einer regen literarischen Ubersetzungstätigkeit. Bei der Übermittlung romanischer Stoffe nach Norwegen haben vor allem anglonormannische Quellen und englische Vermittlung eine wichtige Rolle gespielt. Vgl. femer auch das Sonderheft Orkney Miscellany Vol. S, 1973 (King Häkon Commemorative Number), Kirkwall 1973, das sich aus Anlaß von Hákons 700. Todestag in einigen Aufsätzen würdigend mit seinem Wirken und seiner Zeit befaßt Der bedeutende norwegische König starb am 16. Dezember 1263 in Kirkwall, der Hauptstadt der schottischen Oikneys, die zu seiner Zeit zum norwegischen Herrschaftsbereich gehörten. Im vorliegenden Band geht Thomas Behrmann in seinem Beitrag detailliert auf die Beziehungen Hákons zum Kontinent und speziell zu Friedrich II. ein.

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sehe höfische Kultur (vor allem Englands, Deutschlands und Spaniens) und regte zahlreiche Übersetzungsarbeiten u.a. aus dem arthurischen Umfeld (sog. übersetzte Riddarasögur) an. Auch die Aufzeichnung der PiÖreks saga läßt sich in diesem kontinental geprägten literarischen Milieu gut vorstellen. Auf dem Symposium wurde der Blick über die PiÖreks saga im engeren Sinne hinaus zudem auf die verwandte Literatur des nordischen Umfeldes (vor allem die Alexander- und Karlsdichtung) gerichtet. Auch rückten benachbarte Texte des oberdeutschen Hochmittelalters (Nibelungenlied und mittelhochdeutsche Dietrich-Dichtung) ins Blickfeld, wobei der Schwerpunkt allgemeiner auf Fragen des mittelalterlichen Kulturaustausches zwischen dem Kontinent und dem Norden lag. Die PiÖreks saga erfreut sich in der skandinavistischen wie germanistischen Forschungsgeschichte seit jeher eines besonderen und zugleich kontrovers diskutierten Interesses. Als prominentes Beispiel wird sie zum einen in der Forschungsliteratur zu den Riddarasögur oder Fornaldarsögur (diesen beiden SagaGattungen wird sie traditionell alternativ zugewiesen) häufig behandelt. Zum anderen ist sie aber auch für ein germanistisches Publikum - aufgrund ihrer in einigen Punkten von der oberdeutschen Parallelüberlieferung des 13. Jh.s (Nibelungenlied und mhd. Dietrich-Dichtung) recht abweichenden Perspektive ein vielzitiertes Vergleichswerk. Der großen Resonanz, die die PiÖreks saga in der Forschung fand und findet, wurde von kritischen Stimmen bisweilen auch negativ begegnet. So befindet beispielsweise Eyvind Fjeld Halvorsen als besonderer Kenner der Riddarasögur: "Der literarische Wert der PiÖreks saga steht in keinem Verhältnis zu dem Interesse, das die Forscher ihr entgegengebracht haben."2 Seit diesem Votum Halvorsens von 1958 ist in der PiÖreks-saga-¥oTsc\mng allerdings einiges in Bewegung gekommen, und der hier vorliegende Tagungsband möchte die jüngsten Diskussionen fortführen und zugleich vorantreiben. Während in der älteren Forschung vor allem sagengeschichtliche und quellenkritische Fragestellungen dominierten, so gilt das Interesse der neueren und neusten Forschung in verstärktem Maße der Frage nach der Erzählstruktur und Erzählintention der Saga. Von Ausnahmen abgesehen3, setzte eine solche Be2 E. F. Halvorsen, Art. Didriks saga af Bern. In: Kulturhistorisk Leksikon for Nordisk Middelalder, K0benhavn 1958, Bd. III, Sp. 73-76: "D.s litt verd svarer pâ ingen mâte til den interesse forskerne har vist for den" (Sp. 75). Als Argumente folgen: Popularisierung/Vulgarisierung alter Stoffe, mangelnde Tragik, fehlendes Rittertum, schematische Personendarstellung ohne psychologische Einsicht, parodistische Brautwerbung. 3 Erste Anstöße erhielt eine strukturorientierte Betrachtungsweise bereits zu Beginn unseres Jh.s durch die für ihre Zeit aufgrund der genauen formalen Analyse bemerkenswerte Untersuchung Hans Frieses, Thidrekssaga und Dietrichsepos (Untersuchungen zur inneren und äusseren

Einleitung

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schäftigung mit Strukturfragen erst in den 80er Jahren unseres Jh. s ein. Die Diskussion eröffnete 1980 Ulrich Wyss4, und wesentliche Beiträge kamen in den folgenden Jahren von Theodore M. Andersson5, Thomas Klein6 und Heinrich Beck7. Einige Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes greifen die aktuellen Fragen nach der Erzählstruktur und zugrundeliegenden Erzählintention auf (Beck, Gschwantler, Kramarz-Bein, Kreutzer, Marold und Wolf) und führen damit die aktuelle Forschungsdiskussion weiter. In den 80er Jahren unseres Jahrhunderts wurde die Diskussion um die PiÖreks saga zudem durch die populärwissenschaftlichen Arbeiten Heinz Ritters entfacht. Seine auflagenstarken Bücher führten dazu, daß unser Text ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit rückte, dies freilich in einer Sichtweise, die der Saga (vor allem im Bereich der Ortsnamen) einen (falsch verstandenen) Realitätsgehalt abverlangt. Eine solche Betrachtungsweise hat die neuere Fachwissenschaft zu einer berechtigten Kritik der Ritterschen Position herausgefordert.8 Form, Berlin 1914 [= Palaestra CXXVni]). 4 Vgl. Ulrich Wyss, Struktur der Thidrekssaga. In: Acta Germanica 13, 1980, S. 69-80. 5 Vgl. Theodore M. Andersson, An interpretation of Köreks saga. In: Structure and Meaning in Old Norse Literature. New Approaches to Textual Analysis and Literary Criticism. Hrsg. v. John Lindow, Lars Lönnroth und Gerd Wolfgang Weber, Odense 1986, S. 347-377, bes. 368ff. sowie während der Drucklegung des vorliegenden Bandes erst erschienen: Th. Μ. Α., Composition and Literary Culture in Möreks saga. In: Studien zum Altgeimanischen. Festschrift für Heinrich Beck. Hrsg. ν. Heiko Uecker, Berlin/ New York 1994 (= Ergänzungsbande zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 11), S. 1-23. 6 Vgl. Thomas Klein, Zur KÖreks saga. In: Heinrich Beck (Hrsg.), Arbeiten zur Skandinavistik. 6. Arbeitstagung der Skandinavisten des Deutschen Sprachgebietes: 26.9.-1.10.1983 in Bonn, Frankfurt a.M7 Bern/ New York 198S (= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik, Bd. 11), S. 487-565, bes. S. 512ff. 7 Vgl. Heinrich Beck, Die Thidrekssaga in heutiger Sicht. In: 2. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Die historische Dietrichepik. Hrsg. v. Klaus Zatloukal, Wien 1992 (= Philologica Germanica, Bd. 13), S. 1-11; H.B., Saxland = Hünaland? In: Iconologia Sacra. Mythos, Bildkunst und Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. Festschrift für Karl Hauck zum 75. Geburtstag. Hrsg. v. Hagen Keller und Nikolaus Staubach, Berlin/ New York 1994, S. 519-528 und H.B. zusammen mit Susanne Kramaiz-Bein, Perspektiven in der niederdeutschnordischen Dietrich-Dichtung. In: Zeitgeschehen und seine Darstellung im Mittelalter. L'actualité et sa représentation au Moyen Age. Hrsg. ν. Christoph Cormeau, Bonn 1995 (= Studium Universale, Bd. 20), S. 72-87. 8 Zu nennen sind hier besonders H. Ritters Bticher, Die Nibelungen zogen nordwärts, München 1981 und Dietrich von Bern - König zu Bonn, München 1982. In der Folgezeit besorgte H. Ritter femer eine Wiederauflage der Von der Hagenschen Übertragung der PiÖreks saga von 1814 (1989) sowie eine Erstübersetzung der altschwedischen Didriks saga (1989). Zu Ritters Ansatz und Ergebnissen vgl. jetzt Heinrich Becks wohlwollende Rezension (Zur Thidrekssaga-Diskussion. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 112,1993, S. 441-448), die letztlich aber keinen Zweifel daran läBt, daß Ritter mit seiner Vorgehensweise dem literarischen Charakter der Saga nicht gerecht wird, dies vor allem deshalb nicht, weil bei ihm die "SagenOnomastik" "zum direkten Gradmesser für die Geschichtstreue des Dargestellten" (Beck, S.

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Trotz der Tatsache, daß sich die neuste Pidreks-saga-Forschung besonders mit erzähltheoretischen Problemen beschäftigt und dem lange Jahre zu Unrecht als mehr oder weniger wahllos kompiliertes 'Heldensagen-Sammelsurium' gescholtenen Text jetzt auch endlich den wohlverdienten Textcharakter zuspricht, schwebt allgegenwärtig über jeglicher Diskussion über die PiÔreks saga die seit alters kontroverse Streitfrage, ob die in Norwegen aufgezeichnete Saga als bloße Übersetzung eines niederdeutschen Originals zu betrachten sei 9 oder aber als eine altnorwegische Schöpfung zu gelten habe, deren Kompositionsprinzip im wesentlichen auf den norwegischen 'Sammler' bzw. 'Kompilator' zurückgeht. 10 Wer

442) gemacht, also das Dargestellte als Spiegel von Realität (als identifizierbare Lokalitäten und 'geschichtliche' Begebenheiten) aufgefaßt wird. Völlig zu Recht hält H. Beck folgendes dagegen: "Die Ths. erweckt für den naiven Leser den Eindruck eines geschichtlichen Berichts über historische Ereignisse im niederdeutschen Raum (und angrenzenden Gebieten). Dazu trägt nicht zuletzt das vom Verfasser unterlegte und von H. Ritter hochbewertete Ortsgerüst bei. Allerdings ist die Botschaft der Ths. subtilerer Art und nicht als antiquarischer Bericht über einen angeblichen Dietrich, König zu Bonn, zu verstehen. Die germanistische Sagenforschung hat längst erkannt (und die Mündlichkeitsforschung bestätigt es erneut), daß Sagentradition keine antiquarische Vermittlung ist, sondern jeweils einer aktuellen Aneignung entspringt." (S. 446) Seine Position begründet H. Beck auch in dem hier vorliegenden Sammelband. 9 Die These einer Übersetzung aus dem Niederdeutschen wurde und wird in der Forschung vor allem vertreten von: Heinrich Hempel (Nibelungenstudien I. Nibelungenlied und Thidrikssaga und Balladen, Heidelberg 1926 [= Germanische Bibliothek, Zweite Abteilung Untersuchungen und Texte, Bd. 22]; - H. H., Sächsische Nibelungendichtung und sächsischer Ursprung der Thidrikssaga. In: Edda, Skalden, Sagas. Festschrift zum 70. Geburtstag von Felix Genzmer. Hrsg. v. Hermann Schneider, Heidelberg 1952, S. 138-156; - H. H„ Zur Datierung des Nibelungenliedes. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 90, 1960/61, S. 181-197), Roswitha Wisniewski (Die Darstellung des Niflungenunterganges in der Thidrekssaga. Eine quellenkritische Untersuchung, Tübingen 1961 [= Hermaea. Germanistische Forschungen NJ 5 ., Bd. 9]) und - aktuell - von Theodore M. Andersson (The Epic Source of Niflunga saga and the Nibelungenlied. In: Arkiv för nordisk filologi 88,1973, S. 1-54; - Th. Μ. Α., Niflunga saga in the Light of German and Danish Materials. In: Mediaeval Scandinavia 7,1974, S. 22-30; - Th. Μ. Α., Kapitel ftöreks saga. In: Th. M. Α., The Legend of Brynhild, Ithaca and London 1980 [= Islandica XLIII], S. 128-150 und Th. Μ. Α. [wie Anm. 5]). Einen Forschungsüberblick über die verschiedenen Positionen zur PiÔreks saga (allerdings nur bis 1967) bietet Helmut Voigt in seinem Nachwort zur Thule-Übersetzung (Die Geschichte Thidreks von Bern. Übertragen von Fine Erichsen, Neuausgabe mit Nachwort von Helmut Voigt, Düsseldorf/ Köln 1967 [= Thüle. Altnordische Dichtung und Prosa, Bd. 22]), hier S. 469-475. 10 Die sog. altnorwegische 'Sammler- bzw. Kompilationsthese' ist in der Forschung besonders mit den Namen Carl Richard Ungers (Ausgabe: Saga DiÖriks Konungs af Bern. Fortelling om Kong Thidrik af Bern og hans Kaemper. I norsk bearbeidelse fra det trettende Aarhundrede, efter tydske kilder. Udgivet af C. R. Unger, Christiania 1853, Fortale, S. m/IV) und Gustav Storms (Sagnkredsene om Karl den Store og Didrik af Bem hos de nordiske Folk. Et bidrag til middelalderens litterare historie, Kristiania 1874, S. 89-99, 104-131), Helmut de

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von dem vorliegenden Band eine eindeutige Entscheidung in dieser Kontroverse (wenn sie sich überhaupt mit diesen Alternativen greifen läßt) erwartet, wird enttäuscht sein, jedoch setzen einige Beiträge die Akzente mehr in die 'deutsche' bzw. mehr in die 'altnorwegische' Richtung. Mit der Frage der deutschen Quellen und genereller einer deutschen Perspektive des Textes befaßt sich besonders H. Beck, während die 'nordischen Züge' und das altnorwegische literarische Umfeld in den Beiträgen von H. Uecker und von mir in den Vordergrund gerückt werden. Bei der Beurteilung dieser Kontroverse ist eine grundsätzliche Unterscheidung notwendig, nämlich die Trennung der (deutschen) Quellenfrage von dem Aspekt der (norwegischen) Bearbeitung und des altnorwegischen literarischen Milieus.11 Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß die Quellen der PiÖreks saga in der Hauptsache deutscher bzw. niederdeutscher Provenienz sind. Wie die Forschung bislang aber viel zu wenig gesehen hat, weist unser Text auf der anderen Seite nicht zuletzt auch in seiner Erzählstruktur Berührungen mit zeitgenössischen Riddarasögur und verwandter Literatur (darunter vor allem mit der Karlamagnús saga) auf, trägt also Züge seines altnorwegischen höfischen Entstehungsmilieus. In einigen Textpassagen wird überdies sagagemäß erzählt, so daß man sagen darf, daß der Charakter der PiÖreks saga im Einklang mit der altnordischen Saga-Tradition steht Die Frage 'Übersetzung' oder 'altnorwegische Kompilation' sollte daher besser nicht alternativ gestellt werden, zumal die mutmaßliche Entstehung der PiÖreks saga im norwegischen Bergen12, dem

Boors (Die Handschriftenfrage der Körekssaga. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 60,1923, S. 81-112) und auch Horst P. Pütz' (Heimes Klosterepisode. Hin Beitrag zur Quellenfrage der Thidrekssaga. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 100,1971, S. 178-194) verbunden. 11 In der neueren Forschung kommt Uwe Ebel das Verdienst zu, diese Unterscheidung präzisiert zu haben. In seinem Aufsatz, Die KÖreks saga als Dokument der norwegischen Literatur des dreizehnten Jahrhunderts (In: Niederdeutsches Wort 21, 1981, S. 1-11), legt er den Akzent besonders auf den Aspekt der altnorwegischen Überarbeitung und macht auf Berührungen mit der altnorwegischen Literatur aufmerksam. 12 Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Entstehung der PiÖreks saga im westnorwegischen Bergen ist nach wie vor das berühmte Handschriftenveizeichnis des Bergenser Bischofs Ámi SigurOarson, das in seinem Besitz u.a. auch eine Handschrift der Piöreks saga (wahrscheinlich die 'Stockholmer Membran') vermerkt. Das Verzeichnis muB in den Jahren 1308-1314 angefertigt worden sein, woraus folgt, daß man die Entstehung der Membran selbst noch auf die zweite Hälfte des 13. Jh.s datieren darf. Vgl. dazu: Gustav Storm, Den Bergenske Biskop Arnes Bibliothek. In: Historisk Tidsskrift II, 2, Kristiania 1880, S. 185-192. Die Theorie von der Entstehung der PiÖreks saga in Bergen wurde von Peter Erasmus Müller (Sagabibliothek med Anmserkninger og indledende Afhandlinger, Bd. 1-3, K0benhavn 1817-1820) begründet und in der Folgezeit vor allem von Gustav Storm (wie Anm. 10) ausgebaut Kritisch gegenüber der Bergen-Hypothese: Helmut Voigt, Zur Rechtssymbolik der Schuhprobe in Piöriks

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Königssitz und der Hanseniederlassung13, auch von Seiten eines potentiell höfischen Rezipientenkreises ein dynamisches Bild bietet, zu dessen Erfassung statische Alternativen zu kurz greifen. Der Titel des Symposiums und des vorliegenden Sammelbandes 'Hansische Literaturbeziehungen' spielt auf den hansischen Übermittlungsweg (niederdeutscher Heldensagen-Überlieferung nach Skandinavien bzw. - präziser - nach Norwegen an. Auf den Begriff 'hansische Literatur' wurde in diesem Zusammenhang hingegen bewußt verzichtet, zumal er in der Hanseforschung bislang wenig problematisiert wurde und er auch nicht ohne weiteres mit dem zur mittelniederdeutschen Literatur gerechneten Textcorpus gleichzusetzen ist.14 Außerdem wäre eine Subsumierung der PiÔreks saga unter die mittelniederdeutsche Literatur selbst wiederum unzulässig. Ein Blick auf die neueren allgemeinen Darstellungen zur Hanse zeigt, daß die Frage einer 'hansischen Literatur' als Teilbereich der 'hansischen Kultur' nur am Rande gestellt wird.15 Überhaupt tritt in der Hanseforschung der spezielle Aspekt der literarischen Hansebeziehungen

saga (Viltina Wttr). In: (Pauls und Braunes) Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Tüb.) 87, 1965, S. 93-149, bes. S. 129/130, 134-149. 13 Von der umfangreichen Literatur zur Rolle und Bedeutung Bergens in der Hansezeit sowie zum sog. 'Hanse-Norwegen-Problem' kann hier lediglich stellvertretend auf folgende neuere Publikationen hingewiesen werden: Knut Helle, Kongssete og kj0pstad. Fra opphavet til 1536, Bergen 1982 (= Bergen bys historie, Bd. 1); Knut Helle, Die Deutschen in Bergen während des Mittelalters. In: Espen Bowitz Andersson (Hrsg.), Bryggen. Das hanseatische Kontor in Bergen, Lübeck 1982 (= Det Hanseatiske Museums Skrifter, Nr. 25), S. 12-26. Die archäologischen Ausgrabungen von 1955-68 im historischen Stadtkern von Bergen, der sog. 'deutschen Brücke' (Bryggen), dokumentiert die von Asbjöm Herteig herausgegebene mehrbändige Reihe The Bryggen Papers (Bergen/ Oslo u.a. 1985ff.). Vgl. ferner auch Volker Henn und Arnved Nedkvitne (Hrsg.), Norwegen und die Hanse. Wirtschaftliche und kulturelle Aspekte im europäischen Vergleich, Frankfurt/M./ Berlin/ Bern u.a. 1994 (= Kieler Werkstücke A. Beiträge zur Schleswig-Holsteinischen und skandinavischen Geschichte, Bd. 11), Klaus Friedland, Die Hanse, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1991 (= Urban-Taschenbücher, Bd. 409), S. 5471 sowie den Beitrag Thomas Behrmanns im vorliegenden Band, der sich u.a. auch mit dem Hanse-Problem beschäftigt. 14 Stellvertretend sei hier auf Gerhard Cordes' Artikel 'Mittelniederdeutsche Dichtung' im 'Handbuch zur niederdeutschen Sprach- und Literaturwissenschaft' (Hrsg. v. Gerhard Cordes und Dieter Möhn, Berlin 1983), S. 351-390 verwiesen, der weitere Fachliteratur verzeichnet. Cordes selbst verzichtet in seiner Darstellung auf den Terminus 'hansische Literatur' (S. 352). 15 Aus der Vielzahl der neueren (allgemeinen) Publikationen zur Hanse seien hier exemplarisch folgende herausgegriffen, die sich auch mit der Frage der 'Hansekultur' befassen: Philippe Dollinger, Die Hanse, Stuttgart 19894 (= Kröners Taschenausgabe, Bd. 371), bes. S. 340-349; Johannes Schildhauer, Die Hanse. Geschichte und Kultur, Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz 1984, bes. S. 217-226; Klaus Friedland (wie Anm. 13), S. 166f.; Uwe Ziegler, Die Hanse. Aufstieg, Blütezeit und Niedergang der ersten europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Eine Kulturgeschichte von Handel und Wandel zwischen 13. und 17. Jahrhundert, Bern/ München/ Wien 1994, S. 320-344.

Einleitung

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gegenüber dem übergeordneten der hansischen Sprachbeziehungen ('Hansesprache', Rolle des Mittelniederdeutschen) deutlich zurück.16 Die Frage nach der Bedeutung der Hanse für die Übermittlung und Verbreitung literarischer Stoffe hat als einer der ersten Wolfgang Stammler in seinem inzwischen zum 'Klassiker' gewordenen, vielzitierten Aufsatz 'Die deutsche Hanse und die deutsche Literatur' gestellt. Seine Auffassung von der Entstehungsgeschichte der mittelniederdeutschen Denkmäler (durch direkte Vermittlung aus dem Mittelniederländischen) ist erst von der jüngsten Forschung (durch Loek Geeraedts 1986) problematisiert worden.17 Für die PiÖreks saga ist es zweifellos angebracht, ihren hansischen Übermittlungsweg in den Vordergrund zu rücken, wobei allerdings der Nachweis, daß es sich bei ihr um 'hansische Literatur' (also um eine Äußerungsform der ebenfalls vieldiskutierten 'hansischen Mentalität') handele, zuerst noch erbracht werden müßte.18 Die 14 Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes beleuchten die Thematik der PiÖreks saga und des verwandten Umfeldes jeweils aus unterschiedlichem Blickwinkel. Daher wurden sie hier nicht nach der alphabetischen Reihenfolge der Beiträger, sondern nach thematischen Schweipunkten zusammengestellt (I.) Eine erste Gruppe befaßt sich gewissermaßen mit den Voraussetzungen: hierzu gehören die Beiträge Alois Wolfs (aus literaturwissenschaftlicher Sicht) und Thomas Behrmanns (aus historischer Sicht).

16 Vgl. hierzu Robert Peters, Das Mittelniederdeutsche als Sprache der Hanse. In: P. Sture Ureland (Hrsg.), Sprachkontakt in der Hanse. Aspekte des Sprachausgleichs im Ostsee- und Nordseeraum. Akten des 7. Internationalen Symposions über Sprachkontakt in Europa, Lübeck 1986, S. 65-88 mit weiterführender aktueller Literatur. Vgl. ferner Sture Urelands Einleitung zum genannten Sammelband, S. VII-XXXVIH mit aktueller Bibliographie zum Thema. 17 Vgl. Wolfgang Stammler, Die deutsche Hanse und die deutsche Literatur. In: Hansische Geschichtsblätter 45, 1919, S. 35-69. Auch Stammler betonte für die PiSreks saga den hansischen Übermittlungsweg, dies allerdings unter Reduzierung der Quellenfrage auf ausschließlich mündliche Quellen: "So geht die 'Thidreksaga' zurück auf Erzählungen, welche der nordische Zusammensteller von niedersächsischen Kaufleuten erlauscht hatte." (S. 38/39). Zu Stammlers Ansatz vgl. jetzt Loek Geeraedts, Literarische Beziehungen zur Zeit der Hanse. Zur Entmythologisierung einer Stammlerschen These. In: Sprachkontakt in der Hanse (wie Anm. 16), S. 107-121 mit weiterführender Literatur zum Thema 'literarische Hansebeziehungen'. 18 Vgl. hierzu Leonard Forsters kurzen Aufsatz von 1986, Die Thidrekssaga als hansische Literatur (In: Sprachkontakt in der Hanse [wie Anm. 16], S. 43-50), der das Thema allenfalls problematisiert. Überdies bekräftigt L. Forster mit seinem Urteil: "Die Thidrekssaga ist keine Saga im eigentlichen Sinne, sondern ein Sammelsurium von historischen und legendären Geschichten [...]" (S. 44) leider die alten Vorurteile gegenüber diesem Text (s.o. S. XII) erneut

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(Π.) Eine zweite Gruppe beschäftigt sich mit der PiÖreks saga im engeren Sinne, mit Problemen einzelner Erzählabschnitte wie dem Velents Páttr (Edith Marold, Hans-Peter Naumann); mit ihrem Charakter als Gegenwartsdichtung (Heinrich Beck), mit Aspekten des Komischen (Gert Kreutzer), mit dem Superbia-Problem (Ulrike Sprenger) und schließlich - unter strukturanalytischen Aspekten - mit ihrem Schlußteil (Otto Gschwantler). (ΙΠ.) Eine dritte Gruppe betrachtet die Saga im altnorwegischen Kontext (Heiko Uecker, Susanne Kramarz-Bein). (IV.) Eine vierte Gruppe beschäftigt sich mit der oberdeutschen Parallelüberlieferung, mit dem Nibelungenlied (Peter Göhler) bzw. allgemeiner mit den Beziehungen zu der oberdeutschen Heldensage (Hermann Reichert). (V.) In einer fünften Gruppe rücken schließlich verwandte Texte des altnordischen Umfeldes in den Vordergrund, der altnorwegische Königsspiegel (Rudolf Simek) sowie die Alexanders saga (Stefanie Würth). Im folgenden seien die Themen der einzelnen Beiträge skizziert: I. VORAUSSETZUNGEN

(1) Alois Wolf (Freiburg i. Br.), Vermutungen zum Wirksamwerden europäischer literarischer Tendenzen im mittelalterlichen Norden Alois Wolf geht es in seinem Beitrag um zwei voneinander unabhängige Problemkreise, die für eine Beeinflussung des Nordens durch den Kontinent sprechen. Dies betrifft zum einen die europäische Tendenz zum Neubearbeiten bis hin zur literarischen Großform und zum anderen Aspekte der im FränkischKarolingischen wurzelnden Herrschaftsproblematik. Im europäischen Hochmittelalter läßt sich vor allem in den Volkssprachen eine zeittypische Neigung zum Wiederaufgreifen alter Stoffe in erzählerischen Großgebilden feststellen. Als Beispiel für diese gesamtmittelalterliche Neubearbeitungstendenz läßt sich besonders der altfranzösische Prosalancelot anführen, der in der ersten Hälfte des 13. Jh.s eine gewaltige Summe des Artus-Stoffes bietet Alois Wolf spricht auch der PiÖreks saga eine solche Tendenz zur heldenepischen summa zu. Überdies wendet die Pidreks saga auch die Erzähltechnik des entrelacement an, wie es insbesondere für den altfranzösischen Prosalancelot charakteristisch ist, verfährt hier allerdings in vergröbernder Weise. Auch hinsichtlich des zweiten Aspekts der Herrscherproblematik zieht A. Wolf Verbindungslinien zwischen dem Norden und dem Kontinent. So lassen sich für die Egils saga (vor allem ihren Pórólfs Páttr) durchaus Berührungen mit den Chansons de geste (Empörerepen und Wilhelmsepik) feststellen. Ferner erwägt A. Wolf die Frage, inwieweit südlich geprägte Herrschervorstellungen Einfluß auf die Skaldendichtung (darunter die Hákonarmál) genommen haben mögen.

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(2) Thomas Behrmann (Münster), Norwegen und das Reich unter Hákon IV. (1217-1263) und Friedrich Π. (1212-1250) In seinem Beitrag beschäftigt sich Thomas Behrmann aus historischer Sicht mit den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den Reichen Hákons und Friedrichs. Ausgehend vom Quellenmaterial geht Th. Behrmann zum einen auf den frühhansischen Norwegenhandel ein, der zunächst maßgeblich von westfälischen Städten über die Nordsee betrieben und dann seit der Mitte des 13. Jh.s von Lübeck und den übrigen wendischen Städten über die Ostsee abgewikkelt wurde. Zentraler norwegischer Umschlagplatz war bekanntlich das westnorwegische Bergen, das sowohl Hanseniederlassung als auch Königssitz war. Zur Beurteilung der politischen Beziehungen zwischen den Reichen Hákons und Friedrichs spielen als Quellen vor allem der englische Chronist Matthäus Parisiensis (Chronica Majora) und die Hákonar saga des Sturla f>orÖarson eine wichtige Rolle, wobei letztere auch Aufschluß über einen regen Gesandtschaftsverkehr gibt Im Zusammenhang mit den Geschenken, die über Norwegen u.a. nach Kontinentaleuropa gelangten, gehörte insbesondere der von Friedrich für die Beizjagd begehrte isländische Gerfalke. Und nicht zuletzt ergeben sich auch aus Hákons Förderung der höfischen Übersetzungsliteratur (sog. übersetzte Riddarasögur) Berührungen Norwegens mit der kontinentalen höfischen Kultur. Π. ZUR PIDREKS

SAGA

(3) Edith Marold (Kiel), Die Erzählstruktur des Velentspáttr Edith Marold beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit dem Velents Páttr der PiÖreks saga, der sich aufgrund seines harmonischen Ausgangs erheblich von der heroischen Version der eddischen VçlundarkviÔa unterscheidet Dabei geht es E. Marold insbesondere um die Erzählstruktur des Páttr, die zugleich die Bedeutung eines Sinnvermittlers hat. Als wichtiges Ergebnis erweist sich, daß der í»áttr auch im Kleinen das Erzählverfahren des entrelacement erkennen läßt, das die neuere /»/¿(rgfa-iûga-Forschung auch dem Gesamttext im Großen zuerkannt hat. Im Velents Pattr wild die Wielandsage zu einer im weitesten Sinne höfischen hochmittelalterlichen Erzählung über Aufstieg und Fall am Königshof umgeformt Es handelt sich also um keine Ansammlung von Künstleranekdoten, sondern um eine gut aufgebaute Erzählung über das Verhältnis von König und Untertan, in der das Unrechte Handeln des Herrschers hervorgehoben wird. Für den Velents Páttr ergeben sich zum einen Berührungen mit dem von Joseph Harris untersuchten Coipus der Îslendinga-Pœttir; dies gilt hinsichtlich der gemeinsamen Erzählstruktur, des gemeinsamen Grundthemas sowie des spezifischen Heldentypus'. Zum anderen weist der Velents Páttr aber auch Ähnlichkeiten mit den Chansons de geste, insbesondere der 'Empörergeste', auf, wobei die

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Frage, ob ein solcher Einfluß seitens der romanischen Heldenepik bereits in Niedeideutschland oder erst in Norwegen anzunehmen sei, nicht eindeutig zu bestimmen ist Eine Umformung der Velentsage unter dem Einfluß der Chanson de geste ist sowohl in Niederdeutschland als auch in Norwegen denkbar. (4) Hans-Peter Naumann (Zürich), Der Meisterschütze Egill, Franks Casket und die PiÖreks saga Auch Hans-Peter Naumann befaßt sich mit dem Velent-Abschnitt der PiÖreks saga, hier allerdings mit der Meisterschützen-Episode von Egill. Dabei hebt er hervor, daß sich die Darstellung der PiÖreks saga von allen anderen zum Typus gehörenden Meisterschützen-Varianten des germanischen Raumes unterscheide und hier überhaupt zum ersten Mal auf Egill bezogen werde. Von geringerer Bedeutung ist für H.-P. Naumann das Problem der (mangelhaften) Verzahnung von Meisterschützen- und Wieland-Tradition, ihm geht es vielmehr um die Frage, ob die Episode Traditionswissen vermittelt, das im Einklang mit der im Prolog der Saga eröffneten Vorzeitperspektive steht. Des weiteren unterzieht H.P. Naumann das berühmte Runenkästchen von Auzon (Franks Casket, angefertigt um die Wende vom 7. zum 8. Jh.) einer näheren ikonographischen Analyse. Die Deckelplatte des Kästchens (sog. Egilplatte) ziert die Darstellung eines Bogenschützen, der in angelsächsischen Runenzeichen als /EgililEgill ausgewiesen ist. Besondere Bedeutung kommt hier der auffalligen Hand-Haar-Gebärde des EgilSohnes zu, deren Deutungsmöglichkeiten (deiktische Gebärde oder emblematische Chiffre) H.-P. Naumann am Schluß seines Beitrags erwägt. (5) Heinrich Beck (Bonn), PiÖreks saga als Gegenwartsdichtung? Unter dem Aspekt der Quellenfrage der PiÖreks saga beschäftigt sich Heinrich Beck in seinem Beitrag mit der Frage nach einer deutschen Perspektive des Textes. H. Beck sucht die in der Forschung alternative gattungsgeschichtliche Zuweisung der PiÖreks saga zu den Fornaldarsögur bzw. den Riddarasögur neu zu bestimmen, indem er ihren Gegenwartsbezug (in einem gegenüber S. Nordal erweiterten Sinne) betont. H. Beck vermag zu zeigen, daß die Größen Raum und Zeit in der niederdeutsch-altnorwegischen PiÖreks saga als Variablen fungieren und daß in den Umlokalisierungen der Saga eine bestimmte Erzählintention zum Ausdruck kommt, die man als aktualisierende Sagenrezeption verstehen kann und die sich von der oberdeutschen Perspektive (z.B. des Nibelungenliedes) deutlich unterscheidet (6) Gert Kreutzer (Köln), Aspekte des Komischen in der PiÖreks saga Ausgehend von den drei Kategorien Charakterkomik, Situationskomik und Komik mit stilistischen Mitteln analysiert Gert Kreutzer die komischen Züge und Episoden der PiÖreks saga, wobei die Grenzen insbesondere zwischen den

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beiden ersten Gruppen fließend sind. Als Themen der komischen Passagen der Saga kommen zum einen menschliche Schwächen und Laster, darunter Feigheit, Eitelkeit, Anmaßung, Habgier und Neid, zum anderen aber auch Sexualität und Geschlechterrollen sowie Ritter und Mönche vor. Des weiteren behandelt G. Kreutzer auch die Komik auf der Figurenebene. In der Charakter- und Situationskomik der Saga lassen sich zugleich Ansätze zu einer Kritik am Rittertum und genereller am traditionellen Männlichkeitsklischee vernehmen. Am Schluß hebt G. Kreutzer besonders hervor, daß wir mit der Komik zugleich ein wesentliches Struktur- und Stilmerkmal der PiÖreks saga vor uns haben, zumal die komischen Episoden es vermögen, einen stilistischen Ausgleich zwischen den einzelnen Erzählsequenzen herzustellen. Überdies gehören nicht zuletzt einige komischironische Episoden zu den besterzähltesten Passagen der Saga überhaupt. (7) Ulrike Sprenger (Basel), Zum Superbiaproblem in der PiÖreks saga Ulrike Sprenger unterzieht in ihrem Beitrag den Erzählkomplex der PiÖreks saga von Flucht/Exil, Schlacht von Gronsport und PiÖreks Heimkehr einer eingehenden Analyse im Hinblick auf die Frage, ob sich in diesen Episoden Züge von Superbia PiÖreks finden lassen. Sie zieht bei dieser Analyse auch die oberdeutsche Parallelüberlieferung (Dietrichs Flucht und Rabenschlacht) vergleichend heran. In all diesen Episoden lassen sich keine Hinweise auf Superbia finden, PiÖrekr erscheint im Gegenteil in der Rolle des Opfers und eines schwer Leidenden, während der Gegenspieler Ermenrikr mit Zügen von Superbia ausgestattet ist Für die Rolle PiÖreks als leidende, sich unschuldig fühlende Figur zieht U. Sprenger die Hiob-Figur heran, die in der mittelalterlichen Exegese als der große Dulder erscheint. Auch ein vergleichender Blick auf den Jugend- und Altersabschnitt weist PiÖrekr nicht als mit Superbia belastet, sondern eher mit dem ritterlichen höhen muot bedacht aus. Von all diesen Episoden hebt sich für U. Sprenger schließlich der eigentliche Schluß der Saga (PiÖreks 'Höllenfahrt' und vorausgehende Heimir-Episode) ab. Im Einklang mit Edith Marold findet sie hier Indizien für Superbia, betont dabei aber, daß die PiÖreks-Konzeption des Schlusses von der sonst in der Saga entwickelten deutlich abweiche. (8) Otto Gschwantler (Wien), Konsistenz und Intertextualität im Schlußteil der PiÖreks saga Unter der Fragestellung der Konsistenz geht Otto Gschwantler der Gestaltung PiÖreks im Schlußteil der PiÖreks saga nach. In diesem Teil der Saga erlebt PiÖrekr zunächst einen steilen Aufstieg, der ihn zu einer glänzenden Machtstellung führt, und gerät dann allerdings im hohen Alter in der Kloster-Episode vollends ins Zwielicht Unter strukturellen Gesichtspunkten betont O. Gschwantler das hohe Maß an Geschlossenheit des Schlußteils, das durch Rückwendungen,

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Korrespondenzen, Kontrastierungen und Vorausdeutungen erzielt wird. Im intertextuellen Horizont (im Vergleich mit der Veroneser Tradition, dem Wunderer und Sagen vom Wilden Jäger) enthält die Gestaltung von PiÖreks Ende Züge des Wilden Jägers und läßt sich der offene Schluß der PiÖreks saga aufgrund der Anrufung der Fürbitterin Maria als eine sagagemäße Entsprechung des Fegefeuers interpretieren. ΙΠ. D E PlDREKS SAGA IM ALTNORDISCHEN KONTEXT

(9) Heiko Uecker (Bonn), Nordisches in der PiÖreks saga Mit der Frage nach den nordischen Zügen der PiÖreks saga beschäftigt sich Heiko Uecker in seinem Beitrag. Er konstatiert ein charakteristisches Nebeneinander von nordischen und kontinentalen Eigenheiten im Namenmaterial, im Stil und bei den Personenbeschreibungen. So finden sich kontinentale höfische Vorstellungen vom Rittertum und entsprechende Personendarstellungen neben typisch sagamäßigen Beschreibungen, Dialogen und Ansätzen von Saga-Erzähllogik. Jedoch belegt insbesondere die Verwendung des nordischen Namenmaterials für die zentralen Figuren des Sigurd-Kreises eine Kenntnis der nordischen Heldensagenüberlieferung wie sich überhaupt Berührungen beispielsweise mit der Völsunga saga, der Edda, aber auch den islendingasögur finden lassen. Die für die PiÖreks saga charakteristische Mischung aus nordischem und kontinentalem Material erklärt sich H. Uecker (im Anschluß an die Arbeiten Renate Lachmanns und Jan und Aleida Assmanns über das 'kulturelle Gedächtnis') damit, daß die PiÖreks saga an der Schnittstelle von Oralität und Literarität stehe. (10) Susanne Kramarz-Bein (Bonn), PiÖreks saga und Karlamagnús saga In diesem Beitrag geht es um die Aufzeichnung der PiÖreks saga im Milieu der altnorwegischen Übersetzungsliteratur. Mit der Karlamagnús saga wird eine zweite Saga-Großkompilation zum Vergleich herangezogen, in der der Lebenszyklus des bedeutsamen Herrschers und seiner zwölf Kämpen (Jugend, Erwachsenendasein und Alter/Tod) eine ähnlich gewichtige Rolle spielt. Enge Berührungen betreffen die Verwendung des Erzählschemas der zwölf ebenbürtigen Gefährten (félagar ok iafningjar), das in beiden Sagas als Topos der Herrscherglorifikation dient Weitreichende Übereinstimmungen ergeben sich ferner im Bereich der beiden Moniage-Erzählabschnitte (Vilhjálmr- und Heimir-Moniage), die in beiden Fällen makrostrukturell in die Alters- und Todessequenz eingepaßt sind. In dem Beitrag wird die These vertreten, daß der Vilhjálmr-Moniage der Karlamagnús saga das Vorbild für den Heimir-Moniage der PiÖreks saga abgegeben habe. In diesem Zusammenhang kommt der Lokalisierung des Klosters Wadincúsan besonderes Gewicht zu, das die /»iTïrafcs-sagû-Forschung seit

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alters mit dem westfälischen Wedinghausen identifiziert. Bezeichnenderweise verlegt die Saga selbst es in die Lombardei und stimmt damit mit der Karl Magnus Krönike überein, die ihren Vilhjálmr-Moniage in der Lombardei spielen läßt Schließlich wird die Arbeitsweise der Redaktoren der Karlamagnús saga genereller zum Anlaß genommen, auch das der Pidreks saga zugrunde liegende Strukturprinzip auf Seiten ihrer norwegischen Redaktoren zu suchen. I V . PIDREKS SAGA UND OBERDEUTSCHE PARALLELÜBERLIEFERUNG

(11) Peter Göhler (Berlin), Überlegungen zur Funktion des Hortes im Nibelungenlied Für das Nibelungenlied beschäftigt sich Peter Göhler am Beispiel des Nibelungenhortes ebenfalls mit Strukturfragen. Im Vergleich mit der nordischen (Atlilied) und deutschen Tradition (Lied vom hürnen Seyfrid) analysiert er dessen leitmotivische Bedeutung und wechselnde Funktion im Nibelungenlied und befaßt sich mit der Intention des Epikers bei der Hortdarstellung. P. Göhler geht der Fragestellung nach, wie das Hortmotiv in die Erzählstruktur des Nibelungenliedes verwoben wurde, und findet in ihm ein bedeutsames Gestaltungsmittel für die Gesamtstruktur des Liedes. Die forschungsgeschichtlich kontroverse Hortforderungsszene betrachtet er nicht isoliert - wie bislang öfter geschehen - , sondern versteht sie als einen Schlußpunkt einer sich steigernden Komposition, die gezielt auf eine letztliche Konfrontation zwischen Hagen und Kriemhild hin angelegt ist (12) Hermann Reichert (Wien), PiÖreks saga und oberdeutsche Heldensage Mit den Beziehungen zwischen der Pidreks saga und der oberdeutschen Heldensage beschäftigt sich Hermann Reichert in seinem Beitrag. Am Beispiel der Literaturzitate des Marners sowie der Heldensagen-Referenzen in den oberdeutschen Schwänken Weinschwelg und Von dem übelen wîbe ermittelt H. Reichert ein Repertoire an Lieblingsstoffen, das sich teilweise auch mit den in der PiSreks saga überlieferten Sagenstoffen deckt und das für die genannten oberdeutschen Texte Rückschlüsse auf den jeweiligen Publikumsgeschmack der dahinterstehenden Rezipientenschaft zuläßt. V . ALTNORDISCHES LITERARISCHES UMFELD

(13) Rudolf Simek (Wien/Bonn), Zum Königsspiegel Rudolf Simek beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem altnorwegischen Königsspiegel (der Konungs skuggsjá), der ein einzigartiges Zeugnis der altnorwegischen enzyklopädischen Sachprosa und programmatischen Hofliteratur aus der Mitte des 13. Jh.s ist R. Simek widmet sich besonders dem ersten Teil des

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Königsspiegels über Kaufleute und Naturkunde und stellt Zusammenhänge mit der mittelalterlichen Ökonomik-Literatur her. Von besonderer Bedeutung sind R. Simeks Überlegungen hinsichtlich des Königsspiegel-Prologs, der von der Forschung bisweilen für nicht authentisch erklärt wurde: für R. Simek hält er das Ideal des Aufbaus einer Ökonomik fest und könnte daher durchaus vom Autor selbst stammen. Eine besondere Rolle bei der Vermittlung ökonomischen Gedankenguts spielt das Speculum doctrinale des auch sonst in Norwegen einflußreichen Vinzenz' von Beauvais, das seine Spuren in den militärhistorischen Anschauungen des Königsspiegels hinterlassen habe. Insgesamt betont R. Simek mit seiner Einordnung des Königsspiegels in die Gattung der mittelalterlichen Ökonomik zugleich die Verankerung des Textes in kontinentaleuropäischen Zusammenhängen und setzt damit in der (vor allem norwegischen) KönigsspiegelForschung, die traditionell dessen spezifisch altnorwegische Züge in den Vordergrund zu rücken pflegt, neue Akzente. (14) Stefanie Würth (München), Alexanders saga·. Literarische und kulturelle Adaptation einer lateinischen Vorlage Stefanie Würth geht es am Beispiel der altisländischen Alexanders saga um die Fragestellung, auf welche Weise eine lateinische Vorlage im Kontext der altnordischen Übersetzungsliteratur literarisch wie auch kulturell adaptiert wurde. Da sie auch allgemeiner auf Probleme der altwestnordischen Übersetzungsliteratur des 13. Jh.s eingeht, können ihre Ergebnisse auch für andere Texte des literarischen Milieus - darunter nicht zuletzt auch für die PiÖreks saga - fruchtbar gemacht werden. Bei der Alexanders saga handelt es sich um eine im 13. Jh. angefertigte Übersetzung der Alexandreis Walters von Châtillon (um 1180). Als Übersetzer ist - entgegen einiger kritischer Stimmen - nach wie vor Brandur Jónsson anzunehmen, der die Übersetzung vor 1264 (seinem Todesjahr) angefertigt haben muß. Insgesamt darf die Alexanders saga als eine genaue Übertragung der Alexandreis gelten, wobei sich gegenüber Walter jedoch eine Tendenz zur nüchternen Darstellung und zur Straffung feststellen läßt. Darüber hinaus geht es Brandur um eine didaktische Aufbereitung des klassischen und mythologischen Stoffes im Hinblick auf ein Publikum, bei dem keine solchen Kenntnisse vorauszusetzen waren. Angesichts dieser Neigung zur Kürzung und Zusammenfassung der Vorlage fallen die wörtlichen Wiedergaben des Originals (im Bereich der Darius-Rede und der Verteidigungsrede der Skythen) besonders ins Gewicht. St Würth interpretiert die ungekürzte Wiedergabe dieser Reden im Zusammenhang mit der wechselvollen Geschichte der Sturlungenzeit: Sie könnten als Identifikationsangebot für ein isländisches Publikum sowohl im Hinblick auf die Expansionsbestrebungen des norwegischen Königs als auch auf die Hybris der isländischen Führer hin gedeutet weiden.

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Insgesamt zeigte die Tagung am Beispiel der PiÖreks saga und verwandter Literatur, wie intensiv die literarischen und allgemeiner auch die kulturellen Wechselbeziehungen zwischen dem Kontinent und Skandinavien in der frühen Hansezeit waren. Wenn am Ende auch mit keiner Lösung in der Grundkontroverse um die PiÖreks saga aufgewartet werden konnte, so ergab sich aus den einzelnen Beiträgen und den anschließenden Diskussionen das Bild eines dynamischen Literaturbetriebs im hansischen Milieu, in dem intertextuelle Bezüge sowohl aus der deutschen als auch aus der nordischen Tradition verbunden werden. Die PiÖreks saga erscheint als ein Text, der einerseits deutlich von seinen (niederdeutschen Quellen bestimmt ist, aber unter dem Aspekt seiner Bearbeitung auch Züge des literarischen Milieus aufweist, in dem er entstand. Von daher sollte man sich vom heutigen Standpunkt aus fragen, ob die in der Forschung kontrovers diskutierten Alternativen eines nordischen Kompilationswerkes oder der Übersetzung niederdeutscher Dichtung nicht überhaupt als zu wenig differenziert und damit wenig geeignet erscheinen, um dem dynamischen Literaturbetrieb des hansischen Milieus gerecht zu werden. Man wird sich die Entstehung der Saga in einem literarischen Milieu vorstellen können, das einerseits - und dies auch von seiner Rezipientenseite her - empfänglich für eine niederdeutsche, 'welfische' Perspektive war, andererseits aber auch im weiteren Zusammenhang der Kulturpolitik Hákon Hákonarsons und seiner Bestrebungen des Anschlusses an die kontinentale Kultur des Mittelalters zu sehen ist. Zur Vielfältigkeit und Dynamik dieses Entstehungsmilieus tragen nicht nur die frühen Hanseverbindungen des 13. Jh.s, vor allem zwischen Westfalen und Norwegen, bei. Ferner ergeben auch die interskandinavischen politischen Beziehungen im 13. Jh., die verwandtschaftlichen Verbindungen des norwegischen Königshauses mit Dänemark und Sachsen sowie die dänisch-sächsischen Bündnisse und dynastischen Verbindungen19 ein komplexes, dynamisches Bild, das man mit den oben ange19 Schon Gustav Storm (wie Anm. 10), bes. S. 96-99 zeichnete ein dynamisches Bild des kulturellen und politischen Austausches in Norwegen zur Regierungszeit Hákons. So war z.B. Hákons Sohn und Thronfolger Magnus mit der dänisch-sächsischen Prinzessin Ingeborg verheiratet Ingeborg war dänische Prinzessin und Enkelin des Herzogs von Sachsen-Altenburg, was zur Folge hatte, daß der Brautwerber 'Bruder Nikolaus' im Jahre 1260 von Hákon zuerst nach Dänemark, dann aber direkt weiter zum sächsischen Herzog geschickt wurde (vgl. Storm, S. 95/96). Zu den dänisch-sächsischen Beziehungen (Allianz zwischen Otto IV. von Braunschweig und Knut VI. [und später Waldemar] von Dänemark) vgl. Bernd Ulrich Hucker, Kaiser Otto IV., Hannover 1990 (= Monumenta Germaniae Histórica, Schriften, Bd. 34), hier bes. S. 46-48, 223-230 sowie Heinz Thomas, Die Staufer im Nibelungenlied. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 109, 1990, S. 321-354, bes. S. 324, 332/33. Vgl. faner auch: Karl Jordan, Heinrich der Löwe und Dänemark. In: Geschichtliche Kräfte und Entscheidungen. Festschrift zum

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sprochenen statischen Alternativen kaum fassen kann. Wenn sich der Entstehungsort der PiÖreks saga überhaupt eindeutig bestimmen läßt (vgl. Anm. 12), dann verfügt das norwegische Bergen als mittelalterlicher Königssitz und Hanseniederlassung - sowohl von Seiten der hansischen Übermittler des Stoffes als auch von Seiten der möglichen Verfasserschaft sowie eines potentiell höfischen Rezipientenkreises - über alle Voraussetzungen für ein solches literarisches Milieu. Zum Abschluß gilt es noch, Dank auszusprechen. An erster Stelle möchte ich der Fritz-Thyssen-Stiftung für die freundliche Finanzierung des Symposiums 'Hansische Literaturbeziehungen' herzlich danken, ohne die die Tagung nicht hätte stattfinden können. Ein weiterer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Heinrich Beck und den weiteren Herausgebern der 'Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde' für die Aufnahme des Bandes in diese Reihe. Ferner möchte ich der Göttinger Arbeitsstelle 'Hoops Reallexikon Germanische Altertumskunde' herzlich für eine kritische Durchsicht des Manuskripts danken. Von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Skandinavistischen Abteilung der Universität Bonn haben viele Hände zum Gelingen des Bandes beigetragen: ich danke Thorsten Alms, Gabi Beyer-Jordan, M.A. und Silvia Schmidt für das Erstellen von Graphiken und das Eintippen von Beiträgen. Ein herzliches Dankeschön geht an Claudia Müller, M.A., die mir beim Eingeben von Korrekturen und beim abschließenden Korrekturlesen half. Mein größter Dank gilt last but not least unserem Computerexperten Joachim Trinkwitz, M.A., der bei den zahlreich aufgetretenen technischen Problemen (vom Festplattendefekt der zentralen Computeranlage bis hin zu Konvertierungsfragen, dem Scannen und schließlich dem endgültigen Layout) immer Rat wußte und mir zur Seite stand. Ohne seine tatkräftige Mithilfe hätte dieser Tagungsband nicht fertiggestellt weiden können.

Bonn, im Juli 1995

Susanne Kramarz-Bein

65. Geburtstag von Otto Becker. Hrsg. v. Maitin Göhiing und Alexander Scharff, Wiesbaden 1954, S. 16-29.

I. Voraussetzungen

Vermutungen zum Wirksamwerden europäischer literarischer Tendenzen im mittelalterlichen Norden VON ALOIS WOLF

Daß der mittelalterliche Norden auf unvorhersehbare Weise bedeutende dichterische Leistungen sui generis erbracht hat, dabei aber auch eingebettet erscheint in die westeuropäische Kulturgemeinschaft, ist eine Tatsache. Dieses Zusammenspiel mag teils naiv funktioniert haben, teils wird man auch ein ausgeprägtes Wissen um einen nordischen Sonderweg annehmen können.1 Letzteres schließt nicht aus, daß auch da Tendenzen wirksam werden konnten, die in einem europäischen Zusammenhang zu sehen sind, im Norden aber neue Möglichkeiten erhielten. Im folgenden soll es um Parallelen und Übereinstimmungen gehen, die meist nicht exakt dingfest zu machen sind, vielleicht aber gerade deshalb ein literarhistorisches Problem darstellen, das irritiert und Aufmerksamkeit verdient Ich greife zwei voneinander unabhängige Problemkreise heraus: zum einen die europäische Tendenz zum Neubearbeiten bis hin zur literarischen Großform, zum anderen Aspekte der im Fränkisch-Karolingischen wurzelnden Herrschaftsproblematik. Die Frage des Wirksamwerdens geschichtstheologischer Sehweisen bleibt dabei außer Betracht Man bemerkt im europäischen Hochmittelalter, besonders in den Volkssprachen, eine Neigung zum Neuaufgreifen derselben Stoffe und daraus zur rasch anschwellenden Schaffung von erzählerischen Großgebilden, die in manchen Fällen mit dem Anspruch der abschließenden Deutung des Dargestellten auftreten. Es beginnt, ab dem 11. Jh., noch bescheiden, mit biblischen Erzählwerken im Deutschen: Wiener Genesis, Millstätter Genesis und Exodus und die Vorauer Bücher Mosis, dazu Judithdichtungen etc. Das 12. Jh. kennt, vor allem im Französischen, die Expansion des Alexanderstoffes. Der Tristanstoff kommt dazu und erscheint in verschiedenen Versionen. In der ersten Hälfte des 13. Jh.s bietet dann der frz. Prosalancelot eine gewaltige Summe des Artusstoffes. Im großen Versroman der Krone Heinrichs von dem Türlin erhält dieses Sammelunter-

1

Vgl. Klaus von See, Snonis Konzeption einer nordischen Sondeikultur. In: Snorri Sturluson. Kolloquium anläßlich der 730. Wiederkehr seines Todestages. Hg. v. A. Wolf, Tübingen 1993 (= ScriptOralia 51), S. 141-177.

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A. Wolf

nehmen gleichsam sein optimistisch weltliches Pendant. Auch die Stoffe der Heldensage werden von dieser Neigung erfaßt. Schon das Nibelungenepos ist nicht einfach Fixierung von Traditionsgut, sondern ein Beispiel für Neu- und Weiterdichten mit Tendenz zu umfassenden Lösungen, was auch dazu führte, andere Sagenstoffe wie Dietrichsage und Walthersage und Anregungen aus chansons de geste einzubeziehen.2 Es geht also um eine zeittypische Tendenz. Im Biterolf und Dietleib begegnet man einige Jahrzehnte später einem weiteren beachtlichen Ansatz zu einer heldenepischen summa. Der Norden hat in dieser Hinsicht Vergleichbares zu bieten, wobei die Idee der platten Entlehnung zu kurz greifen würde. Ab Ende des 12. Jh.s beobachtet man auch hier, daß die gleichen Stoffe innerhalb kurzer Zeit neu- und weitergedichtet werden. Vom Ágrip über einzelne Königssagas, wobei auch noch das Latein hereinspielen kann, bis zu Fagrskinna und Morkinskinna und zu Snorris Heimskringla, dem Werk, das als summa der norwegischen Königsgeschichte gelten kann und wohl auch so gedacht war. Die Heldendichtung steht dem nicht nach, wie Edda und Völsunga saga zeigen. In manchen Fällen mag es sich dabei um bloße Fixierung unterschiedlicher mündlicher Traditionen handeln, daneben dürfte es aber auch Fälle geben, die für unsere Fragestellung relevant sind. Dazu möchte ich die Völsunga saga rechnen und sie einreihen in die gesamtmittelalterliche Neubearbeitungstendenz. Das Nebeneinander von Atlakviöa und Atlamál läßt einen an die Ältere und Jüngere Judith denken oder an die Berner und Oxforder Folie Tristan. Etwa um die gleiche Zeit entsteht als spektakulärstes Beispiel fur diese Tendenz die umfassende PiSreks saga, eine summa - nicht weniger als der altfrz. Prosalancelot, Heinrichs Krone oder Biterolf und Dietleib. Wo die Edda oder die Völsunga saga nicht über das eigene Tun reflektieren, fügt sich die PiÖreks saga durch ihren ausführlichen Prolog ein in die Reihe seriöser historiographischer Neubearbeitungen und Sammelwerke. Verstand der Verfasser der Pidreks saga sein Werk als die bewußt heldenepisch orientierte Entsprechung zu dem, was z. B. Snorri in seiner Heimskringla für die norwegische Königsgeschichte geleistet hatte? Curschmann hat auf bemerkenswerte Übereinstimmungen zwischen den Prologen beider Werke aufmerksam gemacht.3 Damit verbindet sich vielleicht ein grundsätzlicher Anspruch der PiÖreks saga, daß nämlich Vergangenheitskunde, bei Snorri als verläßliches historisches Wissen umund zusammenfassend dargeboten, nun um die nicht auf den Norden beschränkte heldenepische Komponente ergänzt würde. Verglichen mit der Völsunga saga

2 3

Vgl. dazu Alois Wolf, Das literarische Leben Österreichs im Hochmittelalter. In: Geschichte der östeneichischen Literatur. Hg. von H. Zeman, Graz (im Druck). Vgl. Michael Curschmann, The prologue of KÖreks saga: thirteenth century reflections on oral traditional literature. In: Scandinavian Studies 56, 1984, S. 140-151.

Vermutungen zum Wiiksamwerden europäischer literarischer Tendenzen

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und der Edda, die ja auch, freilich in bescheidenem Rahmen, bei ihrer Darstellung der Nibelungensagen Umfassendes anvisieren, würde der Verfasser der PiÖreks saga die heldenepische Überlieferung durch die historisch-geographische Einbettung und das an Snorri orientierte Absichern mittels dichterischer Quellen auf eine neue Stufe heben. Siedelt man die PiÖreks saga in Bergen an, so könnte man erwägen, ob nicht der sich betont der südlichen Literatur öffnende dortige Hof eine Einstellung gegenüber heldenepischer Vergangenheitskunde begünstigte, die von der der Isländer, die besonders tief darin eingedrungen waren, abwich. Daß Snoni keinen Platz für Dietrich von Bern hatte, daß Dietrich in der Skaldik keine frühen Spuren hinterließ und in der Liederedda sozusagen nur über die Hintertür Eingang fand, könnte mit einem nordischen Sonderbewußtsein der Isländer zusammenhängen, worin die Heldensagenbühne seit langem besetzt war. Konnte man in dieser Hinsicht in Bergen unbefangener sein und demnach auch darangehen, in einer erzählerischen Großaktion andere heldenepische Stoffe, aber auch viele dem Norden vertraute Sagen, auf eine neue Grundlage zu stellen und sie mit der großen Historiographie und den Übersetzungen aus dem Französischen gleichziehen zu lassen? Dazu kommt, daß die PiÖreks saga bei der Bewältigung der Stoffmassen ein Verfahren anwendet, das an das sogenannte entrelacement des französischen Prosalancelots erinnert.4 Daß der Prolog der PiÖreks saga dazu schweigt und nur das geographische Bauprinzip erwähnt, will nicht viel besagen. Im Prosalancelot, von dem es bereits in der ersten Hälfte des 13. Jh.s eine mittelniederländische Übersetzung gegeben haben könnte, werden die Schicksale der zahllosen einzelnen Artusritter zu Erzählsträngen, zwischen denen das Webschiffchen hin- und herspringt. In ähnlicher Weise, freilich grobschlächtiger, wechselt die PiÖreks saga von einem Stoffkreis zum andern und wieder zurück. M. W. weist keines der großen isländischen Prosawerke, sei es Königssaga oder Bauerngeschichte, dieses fast schematische Erzählprinzip auf. Da wäre auf das Buch von Carol Clover hinzuweisen, das aber nicht auf die PiÖreks saga eingeht3 Clover sieht diese Technik in den komplexeren Sagas überhaupt am Werk. Dem möchte ich widersprechen. Die regelmäßige, auf Vielsträngigkeit angelegte Webtechnik des französischen entrelacements, die einen breiten Erzählteppich erzeugt, ist nicht identisch mit der Mehrsträngigkeit von Snorris 01φ saga helga oder der Njâla, wo einem Hauptstrang unterschiedlich gewichtete Nebenstränge zugeordnet werden und das Ganze nicht das Produkt einer 4

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Vgl. Alois Wolf, Altisländische theoretische Äußerungen zur Verschriftlichung und die Verschriftlichung der Nibelungensagen im Norden. In: Zwischen Festtag und Alltag. Hg. v. W. Raíble, Tübingen 1988 (= ScriptOralia 6), S. 185 f. Vgl. Carol J. Clover, The medieval saga, Ithaca and London 1982, bes. S. 140 ff.

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A. Wolf

numerischen Erweiterung der Handlungsträger ist, die jeweils einen Strang zugewiesen erhalten, der immer wieder aufgegriffen wird; vielmehr liegt ein vertieftes Eingehen auf Probleme vor, die mit dem Hauptstrang in Verbindung gebracht werden und von Saga zu Saga in unterschiedlicher Weise ins Bewußtsein treten. Der Vergleich von Snorris Ólafs saga mit der Legendarischen Saga oder der Fagrskinna macht das klar. Es geht also wohl um eine autochthone Verfeinerung in der Entwicklung der isländischen Prosa; bis zu einem gewissen Grad mag die mündliche Erzähltradition bereits vorgearbeitet haben. Anders beim entrelacement. Hier springt das Webschiffchen in der Horizontalen hin und her, feindosiert im Prosalancelot, gröber aneinanderreihend in der PiÖreks saga, im Grunde aber dem gleichen Prinzip gehorchend. Nun kann man kaum annehmen, daß die niederdeutschen Gewährsleute, die laut Prolog "allir á eina leiö" erzählen, das Monstrum der PiÖreks saga in der Weise mündlich erzählt hätten, wie es der Text schriftlich darbietet. Der bekannte Hinweis des Verfassers auf das Fehlen von gravierenden Varianten in den Berichten der Gewährsleute, gleich ob diese aus Bremen oder Münster stammen, kann sich nur auf das grob Inhaltliche beziehen und gilt ohnehin bloß für die Schilderung vom Untergang der Nibelungen. Zieht man daraus die Konsequenz, so kommt man zu den Ergebnissen Hempels und Anderssons, daß nämlich die PiÖreks saga nicht eine nordische Verschriftlichung niederdeutscher Mündlichkeit sei, sondern Bearbeitung einer niederdeutschen Buchvorlage;6 diese könnte man sich nach der Art des mittelhochdeutschen Biterolf und Dietleib vorstellen - nur eben in Prosa - , und ihr könnte man die Erzähltechnik des entrelacements zutrauen. Man kann dabei auch auf die Tatsache hinweisen, daß sich im Hochmittelalter im Norddeutschen eine kräftige Tendenz zur Prosa bemerkbar macht. Angeregt durch Heinrich den Löwen entstand dort der Lucidarius - bewußt als Prosawerk abgefaßt - , es folgen die Sächsische Weltchronik und der Sachsenspiegel. Zu bedenken ist auch das mystische Schrifttum. Die PiÖreks saga würde dann demzufolge an den Rand dessen rücken, was man altnordisch-isländische Literatur im engeren Sinn nennen kann, und sie wäre als "Übersetzungsliteratur" auch für vorliegende Fragestellung nicht von zentraler Bedeutung. Die im Norden, wie im übrigen Europa, verbreitete Neigung, in großen Sammelhandschriften literarische Leistungen der Vergangenheit verfügbar zu machen, sei hier nur erwähnt Die mittelalterliche Tendenz, mittels erzählerischer Großgebilde umfangreiche Stoffbereiche zu bewältigen, führte in einer Sonderentwicklung im Norden sogar

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Vgl. Theodore M. Andersson, An interpretation of KÖreks saga. In: Structure and meaning in Old Norse literature. Ed. by J. Lindow u. a., Odense 1986, S. 347-377.

Vermutungen zum Wiiksamwerden europäischer literarischer Tendenzen

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dazu, daß man daran ging, die Ereignisse der eigenen jüngsten Vergangenheit in einer umfassenden Komposition, der Sturlunga saga, darzustellen und auf diese Weise zu "bewältigen".7 In dieser Tendenz, in einem Großgebilde meist schon Bekanntes und Gestaltetes erneut darzubieten, äußert sich auch das Bemühen, sich damit auseinanderzusetzen und ihm einen Sinn abzugewinnen. Das beobachtet man im Prosalancelot in dessen religiöser Sinngebung der Artuswelt, in etwas leichtfertiger und optimistischer Form in Heinrichs Krone und in Biterolf und Dietleib-, es gilt nicht minder für die Pidreks saga. Die isländische Literatur hat es vermocht, diese mittelalterliche Tendenz zum deutenden Neugestalten in Großformen zu einem eindrucksvollen Instrument zu entwickeln in den großen Familiensagas, die als schriftliche Werke mehrheitlich nach Snorris Heimskringla anzusiedeln sind.8 Das halbe Dutzend großer Familiensagas weist dabei einen breiten Fächer an Möglichkeiten auf. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte die größte Saga, die Njäla, ein besonders lohnender Gegenstand sein, da sie, gerade weil eine direkte gattungsmäßige Anlehnung an südliche Vorbilder, anders als bei der PiÖreks saga, auszuschließen ist, von einer hochmittelalterlichen Grundtendenz getragen erscheint, die z. B. auch der mittelhochdeutschen Kudrun ihre Struktur verleiht Das mittelhochdeutsche Großepos Kudrun, um 1240, setzt sich in deutlicher Anlehnung an das in der allgemeinen Vernichtung gipfelnde Großepos von den Nibelungen mit der kaum minder heillosen Rachegeschichte der Hildesage auseinander.9 Den alten Stoff breit ausgestaltend, wenn auch sorglos erzählend und ins Exotische ausschweifend, führt der Dichter vor, wie sich Unheil, Rache und Totschlag, ja Krieg, über ein paar Generationen hinziehen, neues Unheil hervorbringen und wie der böse Rachegeist sich in bestimmten Personen festsetzt, vor allem in Gerlint. Dazu die Gegenbewegung, statt der Vernichtung steht am Ende eine große Versöhnung, aus der nur das Böse, das dem Gericht anheimfällt, ausgeklammert ist; auch Kriemhild, freilich in anderem Kontext, fiel dem "Gericht" anheim! Statt im Tod gipfelt das Epos in der Feier einer vierfachen Vermählung. Dieser Befund ist bereits innerhalb der kontinentalen Literatur im Kontext des 13. Jh.s von Interesse. Der Kudrundichter konnte das Neue, das er in den alten Sagenstoff einbrachte, offenbar nicht mit dem überkommenen Sagenpersonal bewerkstelligen; 7 8

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Vgl. Stephan N. Tranter, Sturlunga saga. The rôle of the creative compiler, Frankfurt 1987 (= European university studies I, 941). Vgl. Alois Wolf, Roland - Byrhtnod - Olafr helgi. Snorris Schriftkultur und die Entwicklung der Saga zur komplexen epischen GroBform. In: Helden und Heldensage. Otto Gschwantler zum 60. Geburtstag. Hg. von H. Reichert und G. Zimmermann, Wien 1990 (= Philologica Germanica 11), S. 483-512. Vgl. Werner Hoffmann, Kudrun. Ein Beitrag zur Deutung der nachnibelungischen Heldendichtung, Stuttgart 1967 (= Germanistische Abhandlungen 17).

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er bediente sich einer sagenhistorisch unbelasteten Gestalt, der Kudrun. Vergleichbares beobachtet man im Prosalancelot. Nicht die traditionellen Artusritter werden die Abenteuer beenden und des Grals teilhaftig werden, nicht einmal Lancelot, le meilleur chevalier. Es bedarf dazu einer neuen Gestalt, der Erlöserfigur Galaads.10 Dazu kommt in der Kudrun die Vermählung, gesteigert in der Verbindung von vier Paaren, was der Tendenz zur spätklassischen Weitung der Dimensionen entspricht. Ich zögere nicht, das späte mittelhochdeutsche Großepos Kudrun mit der späten Großsaga, der Njála, in Parallele zu setzen. In den Ablauf der Generationen ist ein dreifacher, anschwellender Unheilsablauf eingespannt, über die Tötung Gunnars und die Njálsbrenna hin zu den weitere Familien einbeziehenden Rachetaten des Kári.11 Doch daraus wird auch hier schließlich Versöhnung, ja Vermählung, wenn der große Rächer Kári die unerbittliche Rächerin Hildigunnr heiratet Die Njála bedarf dazu keiner neuen Person wie das Kudrunepos, was sich aus der Wirklichkeitsgebundenheit der Saga erklärt, wohl aber eines neuen erzählerischen Ansatzes im Schlußteil - von Höskuldr wird noch die Rede sein. Vergleichbar ist auch die Qualitätsverschiebung, die sich bei der Charakterisierung des Unheils vollzieht. Das Unheil schwillt nicht nur an, es wird in seinem Wesen böser, es verstärkt sich das Schuld-, ja Sündhafte daran. Bei der Tötung Gunnars kann sich das Böse als solches - im Rat des Mörör - nicht durchsetzen, es gelten noch gewisse Anstandsnormen. Bei der Njálsbrenna mit der vorausgehenden Tötung der Heilsgestalt des Höskuld gilt das nicht mehr, so wie auch im Kudrunepos in der Gestalt der Gerlint ein neuer böser Zug ins Geschehen einbricht. Doch wo das Böse ist, wächst das Rettende auch; es setzt hier christliches Denken voraus und kann von da aus auch überwunden werden, wobei die Romfahrt des Flosi und die entsprechende Reise des Kári Heilvolles ahnen lassen. In der mittelhochdeutschen Kudrun handelt es sich freilich um Unheilsabläufe, die eingebettet sind in alte Heldensage, die überdies um diese Zeit ihre ursprüngliche Verbindlichkeit und existenzielle Erschütterungsfähigkeit, die noch dem Nibelungenlied seine düstere Größe verleiht, zu verlieren beginnt. In der Njála hingegen wird der Unheilsablauf als Teil der eigenen noch sehr nahen Vergangenheit erfahren.12 Der Verfasser der Njála Schloß verschiedene Tradi-

10 Im frühen Artusritterroman gibt es Sünde in diesem präzisen Sinne nicht; diese wichtige Neuorientierung setzt erst mit Chrétiens Gralroman ein. 11 Vgl. Alois Wolf, Zur Stellung der Njála in der isländischen Sagaliteratur. In: Tradition und Entwicklung, Festschrift Eugen Thumher, Innsbruck 1982 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germ. Reihe 14), S. 61-85. 12 Man halte deutsche Texte, in denen historische Wirklichkeit faßbar wird - wie Ludwigslied, De Heinrico, Annolied, Herzog Ernst - gegen die isländischen Texte.

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tíonen über Gunnar und Njáll zu einer neuen großen Gesamtkonzeption zusammen. Mit deren Protagonisten konnten sich die Isländer des 13. Jh.s identifizieren; HliÖarendi und BergJjorshváll sind heute noch Realitäten! Man konstatiert eine gemeinsame europäische hochmittelalterliche Strukturierungstendenz, doch eine eigenständige Verwirklichung im Isländischen, die dem daraus entstehenden Werk einen Sitz im Leben verschaffte und nicht nur einen Platz in gehobener höfischer Unterhaltung oder Erbauung. Das Nibelungenlied steht am Ende fassungslos vor dem unaufhaltsamen Unheil. Der Kudrundichter, sicherlich weniger tiefgehend veranlagt, fand sich damit nicht ab. Gisla saga und Grettis saga nehmen ebenfalls das hereinbrechende Unheil gleichsam als Wesenselement menschlichen Schicksals der isländischen Frühzeit als gegeben hin, wenn es von Gisli heißt: "Nú ferr Gisli heim, ok Jjykkir honum um allt einn veg á horfask."13 Der Dichter der Njála fand sich nicht mit Hallgerds Diebsaugen ab; es muß ihn da etwas umgetrieben haben, und ich möchte die Übereinstimmung mit dem Kudrunepos nicht als belangloses Zufallsprodukt abtun, auch wenn wir nicht nachzeichnen können, auf welche Weise übergreifende kulturelle Mechanismen dabei am Werk waren. Kudrun und Njála zeigen also, wie aus mittelalterlich-christlicher Sicht Unheilsabläufe in Heil verwandelt werden können. In der südlich mittelalterlichen Literatur zeigt sich, wie schon angedeutet, auch eine starke Tendenz, in traditionell gewordene und neu bearbeitete Stoffe neues Personal einzuführen und ihm zum Teil wichtige Aufgaben zuzuweisen. Dieses Phänomen ist dem Norden ebenfalls nicht fremd geblieben und nicht auf plattes Übersetzen zurückzuführen, was es zusätzlich interessant macht. Der oben erwähnte Höskuldr HvitanesgoÖi z. B. ist außerhalb der Njála in keiner Quelle belegt Es ist kaum anzunehmen, daß er - wenn er je existierte - zum Grundbestand des Sagapersonals gehört haben wird, auf den der Verfasser zurückgreifen konnte. Gerade dieser Höskuldr erschließt durch seine Existenz und sein ungewöhnliches Verhalten der Sagahandlung eine neue Dimension. Ein negatives Beispiel aus derselben Saga wäre Pjóstólfr, Hallgerds Vertrauter, den ebenfalls keine andere Quelle nennt und der eine wesentliche Kraft im Unheilsablauf darstellt. Auch in den Liedern der Edda wirkt diese Tendenz. Der personelle Grundbestand der Nibelungensage, der lange Zeit hindurch ziemlich konstant geblieben sein muß, wie noch das Nibelungenlied erkennen läßt, unterliegt im Hochmittelalter einer erheblichen Verschiebung, Erweiterung und Neuakzentuierung. Dabei ist nicht so sehr auf jene personellen Erweiterungen zu achten, die

13 VestfirÖinga sögur. Hg. von B. K. Pórólfsson - G. Jónsson, Reykjavik 1943 (= íslenzk fomrit 6), Kap. 12, S. 42.

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durch die Verbindung mit anderen Sagenkreisen bedingt sind - so das späte Eindringen Dietrichs von Bern in eddische Lieder - , sondern auf eine davon unabhängige, gleichsam immanente Expansion, wie man das aus südlichen Texten auch kennt So rücken ζ. B. in den Atlamál neben die festetablierten Männergestalten wie Gunnarr und Högni auf einmal deren Frauen, Glaumvör und Kostbera, von denen die Sage sonst nichts weiß, in den Vordergrund und laufen den alten Figuren fast den Rang ab. So erhält in einem anderen eddischen Text Atli eine Schwester, die mit Gunnarr ein Verhältnis hat Bei diesem Vordringen von Frauengestalten in der jüngeren Schicht der eddischen Lieder ist zu fragen, ob es sich um eine isländische Sonderentwicklung handelt oder ob sich nicht auch darin eine umfassendere mittelalterliche Tendenz äußern könnte. Nun ist mit Sicherheit anzunehmen, daß es im Norden dichterische Traditionen gab, die von eindrucksvollen Auftritten weiblicher Personen handeln. Es war dies aber auf bestimmte Szenen und Rollen beschränkt. Die Gestalten der Brynhild und der Gudrun in den jüngeren Eddaliedern wird man jedoch nicht einfach auf diesen alten Szenentyp zurückführen können. Wenn U. Sprenger in ihrer Kritik an Mohr u. a. bemerkenswerte Argumente dafür beibringt, daß man diese Lieder nicht als Ausflüsse von Übersetzungen südlicher Elegien, sondern als authentische isländische Schöpfungen betrachten soll, so ist das auch für vorliegende Fragestellung von Wert.14 Große hochmittelalterliche Dichtungen kreisen nicht mehr nur um die männlichen Helden, sondern bringen zusehends Frauengestalten hervor, die auf imponierende Weise sentimentalisiert sind: die Kriemhild des Nibelungenliedes, die Gyburg im Willehalm, die Isolde vor allem in Gottfrieds Tristan oder gar im Prosatristan, die 'schmerzensreiche Königin* im Prosalancelot, ja, bereits Enite im Erek und Dido im Aeneasroman. Die klagende Gudrun der jüngeren eddischen Lieder und die Brynhild der SigurÖarkviÖa in skamma - kein Sigurdlied, sondern ein Brynhildlied - sollte man u. a. in diesen Reigen einfügen. Bei der Ausgestaltung dieser Frauenauftritte konnte es auch zu punktuellen direkten Anleihen bei der südlichen Literatur kommen. Anderssons Erwägung, Brynhilds sumptuöse Vorbereitung ihres Selbstmordes sei nach dem Muster von Didos Freitod angelegt würde - weil als eine Folge dieses Vordringens der Frauengestalten zu deuten - an Wahrscheinlichkeit gewinnen.15 Ich komme zur Herrschaftsproblematik und frage auch da, ob es ähnliche Verbindungslinien zwischen dem alten Norden und dem Kontinent bzw. England

14 Vgl. Ulrike Sprenger, Die altnordische heroische Elegie, Berlin/ New York 1992 (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 6). 15 Vgl. Theodore M. Andersson, The legend of Brynhild, Ithaca 1980 (= Islandica 43), S. 241.

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gibt Wie unter den Kleinkönigen in der Zeit vor der Besiedlung Islands in den einzelnen Gebieten Norwegens das jeweilige Gemeinwesen funktioniert haben mag, ist nicht mehr recht greifbar. Allzuviel Bedeutung wird man diesen kleinen Herrschern nicht zutrauen dürfen, denn so ganz ungewohnt scheint den Isländern im Niemandsland, das sie betraten, ihr unroyalistisches soziales Verhalten ja nicht gewesen zu sein; von einem radikalen Neubeginn wird man darin wohl nicht sprechen können. Daß die Wikingerzeit ältere Strukturen in den Hintergrund treten ließ, ist aber zu bedenken. Im erfolgreichen Bemühen Harald Schönhaars, eine straffe Königsherrschaft aufzubauen, wird man nicht nur eine bloß energische Fortsetzung der Politik der früheren Kleinkönige sehen dürfen. Man wird dabei auch nach England und damit letztlich nach dem Kontinent blicken müssen. Daß der penetrante Rückbezug der Nachfolger Haralds auf dessen einvalds-Herrschaft so sehr an die Ansprüche und Visionen nachkarlischer Herrscher erinnert, ist dafür symptomatisch. Auch Haralds entschlossenes Bestreben, Norwegen und die westlichen Inseln vom Wikingerunwesen zu befreien, trifft sich mit ähnlichen Bemühungen kontinentaler und insularer Herrscher.16 Dazu kommt, daß Harald, wie Bjarne Fidjest0l wahrscheinlich machen konnte, den alten mythisch-halbsakralen Wurzeln der Herrschaft bereits distanziert gegenüberstand.17 Für die Werke, die der Königsgeschichte gewidmet sind, bedeutet das Auftreten Harald Schönhaars den großen Wendepunkt in der norwegischen Vergangenheit; die unbestimmte Vorzeit ist damit vorbei, Geschichte kann beginnen. In einer Reihe von Familiensagas begnügt man sich mit der zur Formel erstarrten Wendung, daß mit Harald in Norwegen ein straffes Königsregime einsetzte, das viele ins Exil trieb; hierauf nimmt dann die Erzählung ihren Lauf, und höchstens noch punktuell gerät das norwegische Königtum in den Blick. Eine Saga macht da bekanntlich eine Ausnahme, die Egils saga. Bei dieser Saga kann man hinsichtlich der Herrscherthematik von einer Perspektive sprechen, wodurch die Isländergeschichte ein ungewöhnliches, ja einmaliges Profil erhält. Angesichts dieser Besonderheit ist zu fragen, ob dabei nicht auch übergreifende Tendenzen und außernordische Muster zu bedenken und mit den isländischen Familienüberlieferungen in Verbindung zu bringen wären.

16 Vgl. Andreas Holmsen, Norges historie fica de eldste tider til eneveldets innf0relse i 1600, Oslo 1961, bes. S. 137 ff. Im Haraldskvœôi rühmt der Skalde Pörbjörn den siegreichen König als dróttin Nordmanna, Sir. S, was Holmsen wie folgt kommentiert' "En synes en kan merke skaldens stolthet over f0rste gang â kunne bruke disse ordene", ebd., S. 139. 17 Vgl. Bjarne Fidjest0l, Skaldediktinga og trusskiftet. Med tankar om litterar form som historisk kjelde. In: Nordisk Hedendom. Et symposium, Odense 1991, S. 113-131.

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Ansatzpunkt für die Erwägung, daß eventuell ein außernordisches Muster bei dieser Saga mitwirken könnte, ist die Darstellung des Schicksals von Egils Onkel í»órólfr. Aufgrund des hohen Ranges der mündlich überlieferten Dichtungen Egils ist vernünftigerweise mit einer substantiellen Familienüberlieferung zu rechnen. Diese war aber in erster Linie wohl auf Egill selbst bezogen. Gewiß wird man auch von Kveld-Ulf und dessen Söhnen zu erzählen gewußt haben; das wird aber nicht über das genealogische Vorspiel mit einigen anekdotischen Einlagen hinausgegangen sein. Und bei der Familienüberlieferung über Egill selbst und seine Abenteuer wird man mit viel interessantem Stoff rechnen können, aber kaum mit einer konsequent strukturierten Geschichte. Von dieser durchdachten Strukturierung, die das Werk des 13. Jh.s ist, dürfte auch die Vorgeschichte Egils profitiert haben, und da könnte es sein, daß im neuen Kontext der schriftlichen Großsaga auch Muster zur Geltung kamen, die nicht in der Überlieferung verankert waren.18 Die Egils saga des 13. Jh.s bietet nicht nur Ausschnitte eines Dichterlebens, in dem es gelegentlich zu Konfrontationen des Dichters mit dem König kam, sie ist vielmehr eine folgerichtige Darlegung einer großen und kohärenten Auseinandersetzung zwischen Bauer, Krieger, Dichter und dem König. Die konsequente Thematisierung des Problems Herrscher contra eigenständige Persönlichkeit, die in der Saga bereits die Vorgeschichte Egils prägt und sie auch dadurch über ein stereotypes genealogisches Vorspiel erhebt, findet reiche Ausprägung in den im karolingischen Kulturraum sich entwickelnden Chansons de geste. Wie stark die Anstöße, die über diesen Kulturraum hinauswirkten, sein konnten, zeigt auch der spanische Cid, der das problematische Verhältnis zwischen einem mächtigen Vasallen und einem durch Verleumder mißtrauisch gemachten König exemplarisch abhandelt. Man vergesse nicht, daß die ersten 27 Kapitel der Egils saga, 72 Seiten, die hinführen bis zur Landung Skalla-Grims auf Island, mit nur zwei visur auskommen müssen. Für den schöpferischen Sinn und die ordnende Hand des Verfassers aus dem 13. Jh. also ein offenes Feld. Daß ein problematisches bzw. problematisiertes Verhältnis zwischen der neuen frühmittelalterlichen Königsherrschaft und mächtigen Kriegern, das sich im Süden herausbildete, auch die grundsätzlich anders orientierte germanische Heldensage nachhaltig beeinflussen konnte, zeigt bereits der Waltharius.19 Im Herzog Ernst hat man dann eine unmittelbare deutsche Entsprechung zu den frz. Empörergestes; das Nibelun-

18 Vgl. Alois Wolf, Zum Bau der Egilssaga. In: Sprache - Text - Geschichte. Hg. von P. Stein, Göppingen 1980 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 304), S. 695-732. 19 Vgl. Alois Wolf, Volkssprachliche Heldensagen und lateinische Mönchskultur. In: Geistesleben um den Bodensee im frühen Mittelalter, Freiburg 1989 (= Literatur und Geschichte am Obenhein 2), S. 157-183.

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genlied mit seiner vielschichtigen Herrscher/Vasall-Thematik sei nur erwähnt. Ich frage mich, ob man nicht auch das Schicksal Pórólfs in diese Perspektive rücken sollte. Das Schema ist gegeben: Aufstieg eines mächtigen Kriegers am Hof, zunächst gutes Einvernehmen, dann Verleumdung und Mißverständnisse, Fehleinschätzungen, schließlich Feindschaft zwischen dem König und dem mächtigen Krieger. Wenn es in Chansons de geste wie Renaus de Montauban, Ogier le Danois, im Cid oder im Herzog Ernst schließlich zur Versöhnung kommt, während der stolze Wrólfr fällt, so hängt das natürlich mit der historischen Tradition zusammen, die ein gutes Ende ausschloß. Es kommt aber dabei zu einem bezeichnenden Auseinanderklaffen der Überlieferung. Die Landnámabók berichtet unpoetisch und somit wohl der Wahrheit näher, daß Harald Schönhaar Pórólf töten ließ. In der hochstilisierten Egils saga ist es der König selbst, der in einer wohlkomponierten Szene den tödlichen Hieb erteilt. Diese poetisierende Zuspitzung auf König und Empörer noch am Schluß des Dramas entspricht durchaus der Personalisierung des Problems König/Vasall, wie man es auch aus südlichen Texten kennt. Das Vokabular, womit die Egils saga das Umfeld des königlichen Harald absteckt, kann man nicht als treuen Spiegel sozialer Verhältnisse der Zeit um 900 ansehen; es spiegeln sich darin vielmehr, wie Kuhn und Hofmann gezeigt haben, südliche Verhältnisse wider, wie sie, nach Ausweis der skaldischen Zeugnisse, erst zur Zeit Knuts des Großen und Olafs des Heiligen eingetreten sind.20 Für die Isländer des 13. Jh.s wird das zusätzliche Aktualität besessen haben, wobei einem auch Snorris Einbindung in die Politik des norwegischen Hofes einfällt. In der Vorgeschichte des t>órólf-J)áttr kommt es zu einer Konzentration jenes höfischen Vokabulars, das der Anlehnung an englische und kontinentale Realitäten sein Dasein verdankt Es häufen sich Fügungen wie "gerask maÖr Haralds", "ganga til handa", "vera handgenginn", "gerask hans Jjjönustumenn", "gera J)ik lendan mann ef J)ú vili bjóna honum", dazu kommen Hinweise auf die hirö des Königs und die húskarlar. Sowohl aus der Sicht des Erzählers wie aus den Reden der Beteiligten wird ab dem 4. Kapitel immer wieder auf das Thema König/Königsmann hingewiesen. Der Verfasser weckt damit Erwartungen, die dann auch eingelöst werden, wenn Pórólf das Schicksal des verleumdeten und trotzigen Empörers ereilt. Das im Süden gut etablierte Erzählmuster mag sich als darstellerischer Leitfaden angeboten haben. Bei der Schilderung von Egils Reaktion auf den Tod seines Bruders Pórólfr könnte dann ein einprägsames Szenenzitat aus der nicht minder von Vasallen-

20 Vgl. Dietrich Hofmann, Nordisch-englische Lehnbeziehungen der Wikingerzeit, Kopenhagen 1955 (= Bibliotheca Amamagnœana 14), bes. § 47, 81, 307, 342.

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stolz geprägten Wilhelmsepik vorliegen. I>órólfr und Egill stehen als die überragenden Krieger im Dienst des englischen Königs. Dieser, da er Egils Schlachtplan nicht befolgte, wurde de facto schuldig am Tode Pórólfs. Die Hofszene, in der Egill dem König gegenübertritt, ist konzipiert wie der Auftritt eines Vasallen, der von seinem Herrn Rechenschaft fordert und fordern kann. Der Schwerpunkt der Darstellung mag in dem unvergeßlichen Porträt des erzürnten Egill liegen.21 Das Porträt ist eingebettet in eine Feudalszenerie und weist deren typische Gebärden auf, für die es m. W. keine Anhaltspunkte in nordischen Traditionen gibt. Egill, heißt es, geht mit seiner sveit - also wie ein mächtiger Vasall mit seinem Anhang - an den Hof. Der König, nun in typisch nordischer Perspektive, sat vid drykkju, doch dann geht es wiederum nicht sehr altnordisch weiter: Egill, den Helm auf dem Haupt, setzt sich, stellt mit wuchtigem Ruck den Schild vor sich hin, zieht das Schwert halb aus der Scheide, legt es übers Knie und stößt es dann wieder in die Scheide zurück. Man kennt diese große Feudalszene, in der ein mächtiger Vasall von seinem König Rechenschaft fordert, dasitzt und das Schwert übers Knie legt, aus der Wilhelmsepik. Sie ist von da in die Nibelungensage eingedrungen und hat im Nibelungenlied die prachtvolle 29. aventiure hervorgebracht. Das Nibelungenlied hat das feudalrechtlich fixierte Bild der Wilhelmsepik auf ergreifende Weise sentimentalisiert.22 Die Egils saga ordnet den primär rechtlichen Charakter der Feudalgestik dem Porträt Egils unter. Es kommt in der Saga sogar zu einer Doppelung solch südlich-feudaler Rechtsgebärden. Der Schildgestus erinnert an die Szene, wo Rüdeger in Waffen unten

21 Ist es Zufall, daß das Wilhelmsepos an der Stelle der großen Feudalszene, die für uns in Frage kommt, ebenfalls - wie aus einer darstellerischen Notwendigkeit heraus - Ansätze eines Porträts des wütenden Vasallen aufweist? Die Technik des laissenhaften Erzählens ermöglicht unterschiedliche Akzentuierung: V. 2328 f. heißt es: "Grant a le cors, le vis et le menton / le regart fier assés plus d'un lion"; dann V. 2493 f.: "Lors commencha les iex a rouellier / les dens a croistre et la teste a hochier", und V. 2738 ff. fügen neue Züge hinzu, woraus herausgegriffen sei: "Et si avoit la teste herupee / amples narilles, nes haut, chieie levee". So weit ab von Egils Mienenspiel ist das ja nicht. Aliscans. KriL Text von E. Wienbeck, W. Hartnacke, P. Rasch, Nachdruck, Genf 1974. 22 Vgl. Alois Wolf, Die Verschriftlichung der Nibelungensage und die französisch-deutschen Literaturbeziehungen im Mittelalter. In: Hohenemser Studien zum Nibelungenlied, Dornbim 1981, S. 33-71. Die Chanson de Roland kennt ebenfalls diesen Typ des Schwertgestus, wenn es von Genelun, der durch König Marsilie beleidigt wurde, heißt: "mist la main a l'espee, cuntre dous deie l'ad del funer getee", V. 443 f. Grundverschieden davon der Typ eines Schwertgestus, der im Beowulf erscheint, wo in einer bedeutsamen Situation einem Krieger ein besonderes Schwert in den Schoß gelegt wird, V. 1143 ff., 2194 ff. M. Wynn, die zuerst auf diese Thematik aufmerksam gemacht hat, achtet zu wenig auf unterschiedliche Typen der Schwertgestik, auf deren Präzisiening im kulturellen Kontext und auf die Möglichkeit von Entlehnung. Marianne Wynn, Hagen's defiance of Kriemhilt. In: Medieval germ an studies presented to Fr. Norman, London 196S, S. 104-114.

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an der 'schrecklichen Stiege' den Schild vor sich hinstellt und den Burgundern die Treue aufkündigt Der Schwertgestus selbst wird in der Saga verdoppelt, was für seinen sekundären, von der primären rechtlichen Funktion losgelösten Charakter spricht, der ihm freiere Verfügbarkeit verleiht Auch der König, der von Egill ja nichts zu fordern hat zieht nämlich sein Schwert und legt es übers Knie, dann reicht er übers Feuer hinweg mit dem Schwert dem Skalden einen kostbaren Ring und leistet damit Genugtuung, wozu noch die zwei Silberkisten als broöurgjöld kommen.23 Dazu kommt Egils Auftritt am Hof Erichs in York. Egill, heißt es, sucht nach dem Schiffbruch zuerst seinen Freund und Vermittler Arinbjöm auf. Wie selbstverständlich werden dabei dessen hüskarlar erwähnt, was eben anglodänische Verhältnisse aus der Zeit Knúts des Großen in die Mitte des 10. Jh.s zurückverlagert.24 Egils Fußfall vor Erich gehört zum Instrumentarium mittelalterlicher Herrschaftssymbolik. Arinbjörn rät Egill zu diesem Demutsgestus und tatsächlich, "Egill tók um fòt konungi". Nordal erwähnt zwar in seiner Ausgabe die wichtige Parallelstelle aus der ólafs saga helga, verwässert den Sachverhalt aber sofort wenn er auf Odysseus zurückverweist und meint: "hefur Jjetta veriö aefaforn siöur". Das übersieht die historische Präzisierung. Die Ólafs saga erzählt ζ. Β., daß Björn stallali, der sich von Knut bestechen ließ, von Schuldgefühlen geplagt war, er suchte Olaf im Exil auf, "tók um fòt honum" und erlangte Vergebung.23 Das ist mittelalterliche Gebärdensprache. Die Schilderung von Egils Erscheinen bei Erich ist dagegen eine Mischung aus stilisiert Archaischem und Modernem. Zunächst wird nämlich Egils Auftritt nach dem Muster von Skalla-Grims Erscheinen vor Harald Schönhaar stilisiert. Dort heißt es über die Ankömmlinge, sie seien "likari Jjursum at vexti ok syn en mennskum mönnum".26 Bei Egils Ankunft: "maör er kominn [...] mikill sem troll". Unmöglich, daß Skalla-Grimr einen Fußfall vor Harald hätte tätigen können, und bei dem trollähnlichen Egill ist das ebenfalls auszuschließen. Wenig später aber 23 Für diesen zweiten Schwertgestus, allerdings nur für die Ringübergabe, nicht aber für das Sitzen mit der Waffe auf den Knien, könnte die entsprechende visa Egils einen allerdings schwachen Ansatzpunkt geboten haben. Egils saga Skalla-Grímssonar. Hg. von Siguröur Nordal, Nachdruck Reykjavik 19S5, Kap. 55, Str. 19, S. 143 ff. Die Situation im Hildebrandslied stimmt nur äußerlich mit der in der Egils saga überein: ort widar orte, V. 38. Letztere erweist sich als sekundäre Kontamination bedeutsamer Gesten unterschiedlicher Herkunft und Funktion. 24 Egils saga (wie Anm. 23), Kap. 59, S. 178 ff. Zu hüskarlar vgl. Klaus von See, Edda, Saga, Skaldendichtung. Aufsätze zur skandinavischen Literatur des Mittelalters, Heidelberg 1981, S. 276 ff. 25 Snorri Sturluson, Heimskringla Π. Hg. v. Bjami AÖalbjarnarson, Reykjavik 1955 (= íslenzk fomrit 27), Kap. 186, S. 338 f. 26 Egils saga (wie Anm. 23), Kap. 25, S. 63.

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erfährt man, daß Egill fraglos die feudalreligiöse Demutsgebärde vollzieht wie der schuldbewußte Björn, der von König Olaf Vergebung erlangen wollte. Alte, vielleicht auf Egill selbst zurückgehende Erzähltraditionen wußten davon wohl kaum etwas. Für die Schreibezeit war es dann offenbar kein Problem, dergestalt Unvereinbares miteinander zu verbinden, Troll und Fußfall! Das Publikum des 13. Jh.s sah in Egils Verhalten nichts Ehrenrühriges mehr. Mit der südlich eingefärbten Herrscherproblematik hängt auch die Verbindung von Herrscher und Land zusammen. Die Wikingerzeit, die ab Ende des 8. Jh.s einsetzt, wird nicht ohne Einfluß auf die Mobilität und auf die Einstellung zu Grund und Boden geblieben sein. Die Leichtigkeit, mit der man den Wohnsitz wechseln konnte - von Norwegen auf die Britischen Inseln, nach Island und Grönland - ist nicht zu übersehen. Im weitgehend konsolidierten fränkisch dominierten Europa, wozu auch England zu rechnen ist, muß dagegen die von Königsherrschaft und Kirche getragene Raumorganisation stabilisierend gewirkt und den Sinn für Bindung an bestimmte Räume gefördert haben. Dazu wurde über die lateinische Bildungstradition römisches ραίπα-Denken zu einem wesentlichen Element in der Mentalität europäischer Herrscher und Beherrschter im Mittelalter. Von all dem kann bei den simplen Strukturen, die für den heidnischen Norden anzusetzen sind, keine Rede sein. Es ist kein Zufall, daß der altgermanischen Heldensage die politische Perspektive fehlt und das Territorium in ihr als Erlebnisumfeld abwesend ist, und es ist ebensowenig Zufall, daß Rolandslied und Wilhelmsepik in ihren France-Belegen geradezu schwelgen. Natürlich fehlte den altnorwegischen Bauern keineswegs das Bewußtsein für die Bindung an einen bestimmten Raum; das war in der agrarischen Lebensweise angelegt. So dürften auch skaldische Texte zu Ehren der heidnischen Ladejarle zu verstehen sein. Ich greife die Bandadrâpa des Eyjólfr dáÓaskáld heraus, die für den Jarl Erich gedichtet wurde. Im stef, an wichtiger Stelle also, heißt es von Erich "at mun banda dregr land und sik" und daß er nun "raeör goövöröu hjarli".27 Die Gebietsbezeichnungen land bzw. hjarl sind hier dem Mythischen zugeordnet und dürften über die alten Fruchtbarkeitskategorien nicht hinausweisen. In der 3. Str. der drápa ist von Erich als dem Herrscher über Yggjar brúdi die Rede, wofür Finnur Jónsson in seiner Übersetzung Norge einsetzt. Damit kommt aber in den primitiv mythischen Kontext eine verfälschende politisch territoriale Konnotation hinein. Es hatte freilich in Norwegen bereits eine Entwicklung begonnen, die für die HeiTschaftskonzeption der christlichen Olafe wichtige Voraussetzungen schuf.

27 Den norsk-islandske skjaldedigtning. Hg. von Finnur Jónsson, Nachdruck Kopenhagen 1973, Β I, S. 190 ff. Dazu Fidjest0l (wie Anm. 17), S. 117 f.

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Harald Schönhaars Politik mag dafür den Grund gelegt haben. Betrachtet man die Hákonarmál, so präzisiert sich der räumliche Horizont in einer Weise, die, noch entfernt, aber immerhin, den Vergleich mit patriotischen Tönen nahelegt, wie man sie aus dem fränkischen Reich, aber auch aus dem nicht minder christlichen England der Wikingerzeit kennt. Zwischen Harald Schönhaar und dem englischen König gab es gute Kontakte, Hákon Haraldsson verbrachte geraume Zeit am englischen Hof. Zunächst ein Blick auf einschlägige westeuropäische Texte aus der Wikingerzeit. Das Ludwigslied, 881 unmittelbar nach einem Sieg über Wikinger entstanden, legt Nachdruck auf die Idee von Vrankôn als Territorium - womit kein archaischer Agrarbereich gemeint ist - und bringt diesen Raum in enge Beziehung zum König und zu den Bewohnern, auf die es nicht minder ankommt, thiot Vrankôno,28 Vrankôn wird dann als la France eine große Zukunft haben. Das Lied auf die Battle of Brunanburh, nach 937 anzusetzen und teilweise ebenfalls auf Wikingerbedrohung zurückgehend, bietet Vergleichbares. König Aethelstan und sein Bruder Eadmund siegen.29 Sie schützen land, hord, hamas, V. 9 f. Sie kehren in ihr Land, das zunächst als cyppe - angestammtes Land und dann variiert als Wesseaxena land, V. 58 f., bezeichnet wird, zurück. Das Lied endet mit dem Hinweis auf den Zeitpunkt, zu dem einst die Angeln und Sachsen ins Land gekommen waren, um eard in Besitz zu nehmen, V. 73. Es fehlt bloß noch das nomen proprium für diese eard. Das Ludwigslied war schon weiter mit seiner Raumbezeichnung, hier in Vrankôn. In der anderen englischen Wikingerdichtung, der Battle of Maldon, nach 991 anzusetzen, trumpft Byrhtnod gegenüber dem Wikingerboten mit drei Variationen auf: Er werde den angestammten Besitz verteidigen - "êjjel, eard Ae^elraedes, fole and foldan", V. 52 f.30 Auch hier fehlt noch das nomen proprium, aber das betreffende Territorium wird als eard Aepelraedes bezeichnet, König und Land gehören also eng zusammen. Wenig später ist von ûrne eard die Rede, V. 58. Von da aus zu Eyvinds Totenpreislied auf Hákon Aöalsteinsföstri.31 Der Skalde, um seinen König von Erich Blutaxt, dem vaterlandslosen Haudegen, abzusetzen, bemüht sich, ihn angesichts der neuen Religion ganz und gar, doch unnaiv, für die alte mythische Welt in Beschlag zu nehmen. Er nähert sich dabei aber den Vorstellungen der erwähnten westeuropäischen Texte an, wenn er in der

28 Althochdeutsches Lesebuch, 14. Aufl. von E. A. Ebbinghaus, Tübingen 1962, S. 136 f. 29 The Anglo-Saxon minor poems. Ed. by Elliot van Kirie Dobbie, New York 1942 (= The Anglo-Saxon poetic records VI), S. 16 ff. 30 Ausgabe wie Anm. 29, S. 7 ff. 31 Ausgabe wie Anm. 27, S. 57 ff.

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4. Strophe den König ζ. Β. definiert als den, der skyldi land verja,32 Es fehlt noch das nomen proprium für das Land, doch wird es durch die Bewohner bestimmt, die Nordmenn. Der Name NorÖmenn, dem es hier nicht an Programmatik mangelt, erscheint dabei in derselben Funktion wie in den betreffenden Texten die Namen Westsachsen oder Franken. Das heißt nicht, daß die Bewohner Norwegens eines Anstoßes durch westeuropäische Texte bedurft hätten, um sich als NorÖmenn zu bezeichnen; was aber die Beziehung Herrscher/Land/ Bewohner betrifft, ist vielleicht mit Wirkungen moderner westeuropäischer Denkmuster zu rechnen. Das gewinnt zusätzliche Bedeutung dadurch, daß die Hâkonarmâl in bewußt enger Beziehung zu den beiden anderen Preisliedern auf norwegische Könige, Hrqfnsmál und Eiriksmál, stehen.33 Eyvindr rückt gleich zu Beginn den Begriff König in den Mittelpunkt - kjósa of konunga. Dieser König ist allvaldr, Str. 13, und zweimal wird er als Feind der Jarle, Str. 3, 16, und, auf die Erichsöhne zielend, als Schrecken der Inseldänen, Str. 3, bezeichnet. Eyvind setzt auch einen dynastischen Akzent - hverr Yngva œttar. Dieser fehlt, so weit man sehen kann, den Eiriksmál, nicht aber dem HaraldskvceÖi. In der Battle of Brunanburh und im Ludwigslied hätte er ebenfalls eine Entsprechung. Hákon wird also als der Vertreter der Sippe des Yngvi eingeführt, auf den es ankommt. Das wird am Beginn der zweiten Strophe, unmißverständlich für die Insider, dadurch unterstrichen, daß Hákon als Bruder des Björn umschrieben wird. Björn, einer der Söhne Haralds, ein positiver Charakter, war von seinem Bruder Erich getötet worden! Die dritte Strophe steckt den Machtbereich Hákons ab zwischen den Extrempunkten Hálogaland im Norden und Rogaland im Südwesten: "hét á Háleygi sems á Holmrygi". Im zweiten helming dieser Strophe ist dann vom "gótt gengi NorÖmanna" die Rede. Der dreifachen Nennung der Leute - Háleygir, Holmrygir, NorÖmenn - entspricht die dreifache Umschreibung des Königs einbani jarla, enn gjöfli, oegir Eydana. Von diesem Hákon kann es nun, ebenfalls mit Seitenblick auf den eher landlosen Erich und dessen wikingernde Söhne heißen, skyldi land verja. Mit dem bedeutsam repetierten Strophenschluß "stó8 und árhjalmi/stóS und gollhjalmi" ist die Rüstungsschilderung zu Ende, und mit der nächsten Vierergruppe tritt man in die Schlachtschilderung ein. Dem gengi nordmanna aus Str. 3 entspricht nun, Str. 6, die Umschreibung Hákons als bauga Tyr NorÖmanna, das Nationale mit dem Bild

32 In da' AtlakviÖa, die in ihrer skaldisierten Form in den Umkreis Harald Schönhaars führen könnte, wird die svá skal-Fotmél auf einen völlig anderen Königstyp angewandt, wenn Gunnars verhängnisvoller Entschluß mit der preisenden Formel quittiert wird: "qvaddi J)á Gunnarr, sem konungr scyldi, maeir, Í mööranni, af mööi stórom", Str. 9. 33 Vgl. dazu Fidjest0l (wie Anm. 17), S. 120 ff.

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des spendenfreudigen Herrschers verbindend; die Gunnhildsöhne waren ja als besonders geizig verschrien! Nun kann auch der Schlachtort ins Blickfeld treten. Das verbindet die Häkonarmál mit den Hrafnsmál und der dort gerühmten Schlacht im Hafrsfjöröur. Der Schlachtort wird überdies gut in Szene gesetzt: Heißt es zunächst nur "róma varÖ í eyju", Str. 6, so gipfelt die folgende Strophe im Eigennamen: [...] Í fjöru StorÖar, nicht allzu weit vom Hafrsfjöröur entfernt, das Norwegisch-Königliche unterstreichend. (Die Eiriksmál können nicht mit präzisen Namen von Schlachtorten aufwarten.34) Die Scharnierstrophe, Str. 9, vollzieht den Blickwechsel ins Mythische. Zwei Vierergruppen zeigen den König jeweils mit den Walküren bzw. mit Odin selbst, Str. 10-17. In der abschließenden Vierergruppe ist es wiederum die Schutzfunktion, auf die es ankommt. 18. I»á jîat kyndisk, hvé sá konungr hafÖi vel of Jjyrmt véum, es Hákon buÖu heilan koma rá0 öll ok regin.

20. Mun óbundinn á yta sjöt fenrisulfr fara, áór jafngöör á auÖa tröö konungmaör komi.

19. GöSu doegri verör sá gramr of borinn, es sér getr slflcan sefa, hans aldar mun χ vesa at gööu getit.

21. Deyrfé, deyja fraendr, eyÖisk land ok lá0; siz Hákon fór meÖ heiÖin goÖ, mörg es J)j6Ö of J)éuÔ.

Die Schutzfunktion wird nun, mythisch überhöht, zum pyrma véum, Str. 18. Verliert sich die von uns postulierte moderne patriotische Nuance wieder im alten mythischen Lebenszusammenhang? Gerade das forciert Altheidnische der Schlußstrophen, Hákon war schließlich am englischen Hof Christ geworden, öffnet Spielraum für Überlegungen. Im Hinweis auf das Beschützen der heidnischen Kultstätten ist bekanntlich ein aktualisierender Seitenhieb auf die Erichsöhne enthalten. Hákon wird also nicht so sehr als der großzügige Verwöhner seiner Elitekrieger gerühmt wie sein Vater, sondern gezeigt als einer, der eins ist mit seinem Land. In der Schlußstrophe wird das zur krönenden Aussage - gleich, ob

34 Auch Egils Haupteslösung bringt im Zusammenhang mit den kriegerischen Taten Erichs keine Hinweise auf konkrete Schlachtorte.

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diese Strophe möglicherweise erst später angefügt wurde. Es wird der erbärmliche Zustand des Landes nach Hákons Tod beklagt: eyöisk land, ok Ιάδ, was in schroffem Gegensatz zum verja land und pyrma véum steht. Könnte das noch auf ein altes Fruchtbarkeitskönigtum hinweisen, so ist die stabende Formel land ok Ιάδ zu bedenken, bei der möglicherweise auch modernere Konnotationen mitschwingen. Vor allem der Schlußvers ist zu beachten, worin das Soziale betont wird, in Parallele zu land ok Ιάδ; der Unterdrückung der Bewohner gilt nämlich das letzte Wort Das geht nicht in archaischen Vorstellungen eines Agrarkönigtums auf. Zum Verb eyöask stellt sich in Verbindung mit pjoÖ péa der positive Kontrastbegriff byggja ein und somit die Rechtsformel "at lögum skal land várt byggja en eigi at úlogum eyÖa". Man wird Klaus von Sees Bedenken gegenüber gemeingermanischer Vergangenheit dieser Wendung nicht beiseite schieben dürfen.35 Auch Hofmann neigt der Ansicht zu, daß man es im Norden auf dem Gebiet des Rechts mit relativ jungen Entwicklungen zu tun habe, was auch Einflüsse von außen nahelegt.36 In der Wikingerzeit könnte sich als Gegenbewegung zu anarchaischen Tendenzen ein Königtum formiert haben, das sich nicht mehr in alten Agrarritualen erschöpfte. Es wird sich Anregungen vor allem aus England nicht verschlossen haben, wo schon Alfred der Große sich als Rechtswahrer und Schützer durchzusetzen gewußt hatte. In dieser Sicht erscheint der König auch nicht nur in seiner Eigenschaft als Ringspender preiswürdig die Hákonarmál sind in dieser Hinsicht nicht sehr wortreich - , sondern weil er das Land insgesamt vertritt, schützt und das Recht garantiert.37 Die unnaiv altheidnische Einkleidung der Schlußaussage - "Hákon fór meÖ heiÖin goÔ" besagt nicht, daß Hákons KönigsheiTSchaft nur als Phänomen der Vorzeit aufgefaßt werden könnte. Die verdächtige Konzentration des Mythischen könnte darauf hinweisen, daß die Vorstellung vom König als Landesherrn, im Englischen und Fränkischen vorgebildet, gleichsam gewaltsam aus altheidnischer Sicht in Beschlag genommen werden sollte. Es ist keine Rede mehr von Odin; das bloß Wikingerhaft-Kriegerische tritt zurück, und, anders als in den Eiriksmál, Str. 8, heißt es am Beginn der abschließenden Vierergruppe, Str. 18, worin eine Anspielung auf die Völuspä vorliegen könnte, daß "rá8 öll ok regin" den König willkommen heißen. In der Schlußstrophe kehrt das überbietend wieder, wenn die heiÖin goÖ im allgemeinen beschworen werden, Str. 21. In Parallele dazu

35 36 37

Vgl. Klaus von See, Altnordische Rechtswörter. Philologische Studien zur Rechtsauffassung und Rechtsgesinnung der Germanen, Tübingen 1964 (= Hermaea 16), S. 88, 187 ff. Vgl. Dietrich Hofmann, Rezension zu Klaus von See, Altnordische Rechtswörter, Tübingen 1964. In: Anzeiger für deutsches Altertum 77, 1966, S. 151-158. Eyvindr rühmt in einer gegen die Erichssöhne gerichteten Lausavisa die Freigebigkeit Hákons: Den norsk-islandske skjaldedigtning (wie Anm. 27), Β I, S. 64, Str. 8.

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steht die auffällige Akzentuierung des Namens des Gepriesenen. In dreifacher Steigerung, von Str. 18 zu 20, wird die Rühmung dieses Königs vorangetrieben. Das auszeichnende Adjektiv gódr wird dabei geschickt eingesetzt. Es baut auf enn goÖi in der 17. Str. auf, rahmt die Strophe 19 ein und wird in der 20. Strophe zum Mittel zur Rühmung der Unvergleichlichkeit Hákons - jafngódrl38 Str. 19 ist zweigeteilt. Der erste Helming preist die Geburtsstunde dieses Königs als Sternstunde, der zweite blickt in die Zukunft, auf Hákons ewigen Ruhm. Das Lob auf den begnadeten Zeitpunkt der Geburt des Herrschers ist m.W. nicht gerade alltäglich in der poetischen Tradition des Nordens, und es ist zu fragen, ob dabei nicht christlich verbrämte Vorstellungen im Spiel waren. Vom Cid, Roy Diaz, wird der Dichter auch sagen "que en buen ora nasco!"39 Der zweite Helming mit der Vergewisserung des ewigen guten Angedenkens an Hákons Lebenszeit erscheint in Hinblick auf die an Hávamál, Str. 76/77, orientierte Schlußstrophe wie ein versetztes Zitat daraus, was auf ein absichtsvolles Manipulieren schließen ließe. Der Duktus der Hávamálstrophen zielt nämlich jeweils auf die Aussage des zweiten Helmings ab, auf oröstirr bzw. dómr um dauÖan. Eyvindr nimmt nun in seiner Schlußstrophe, die zwar wie die der Hávamál einsetzt, diesen Duktus nicht auf, sondern lenkt dafür auf die verheerenden Folgen hin, die Hákons Tod für Land und Leute hatte, was auf dem Hintergrund des Erwartungshorizonts der Hávamálstrophen voll auf die Gunnhildsöhne und deren negativen oröstirr zurückschlägt. Das orÖstirr-domr-Thcma.

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Vgl. dazu die präzisen Beobachtungen Roberta Franks, worin gezeigt wird, wie dann ausgehend von gódr - Eyvindr von Hallfreör in dessen Lob auf Olaf Tryggvason überboten wird: Roberta Frank, Old Norse court poetry. The dróttkvìett stanza, Ithaca 1978 (= Islándica 42), S. 67. El Cantar de mio Cid, übers, und eingeleitet von H. J. Neuschäfer, München 1964 (= Klassische Texte des romanischen Mittelalters 4), z. B. V. 1237. Auch in Chansons de geste findet sich diese 'Formel'. Im Alten Wilhelmslied z. B.: "Beneit seit l'ore que le suen cors fu né": La Chanson de Guillaume, pub. par Duncan McMillan, Paris 1949, V. 3015. Im Couronnement de Louis, éd. par E. Langlois, Paris 1968, ruft Wilhelm aus: "Bien seit de l'ore que tels clers fu norriz", V. 1701; im Charroi de Nîmes, éd. par J. L. Perrier, Paris 1968, sagt Wilhelm über seinen Neffen: "[...] de bone heure fus nez [...]", V. 460. Der Haffe Konrad läßt Roland sagen: "Wì saelic der gebom wart, der nu dise hervart gevnimit [...]", V. 146 f., oder wenn die Franken feststellen: "Sô wol der wîle unt der stunde, daz Rolant ie wurde gebom", V. 5362 f. Die negativen Formeln - Verfluchung der Geburtsstunde - gehören ebenfalls hierher, sie sind zahlreich in den Chansons de geste. Dazu wäre noch der Lobpreis anderer wichtiger Zeitpunkte zu erwähnen, so wenn Wilhelm im Alten Wilhelmslied, s. ο. V. 946 ff., die Stunde preist, in der er Giburg gewann und sie sich taufen ließ. Curtius konstatiert in diesem Fall ausdrücklich "geistliche Gesinnung" (E. R. Curtius, Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, Bern 1960, S. 157). Daß diese schriftlichen Fassungen erheblich jünger sind als die Hákonarmál, kann kein Vorwand für Nichtberücksichtigung sein.

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im positiven Sinn hat er bereits im zweiten Helming der 19. Strophe vorweggenommen: "hans aldar mun ae vesa at gööu getit", was an oröstirr [...] goöan der Hávamál denken läßt Dieser Zusammenhang würde dafür sprechen, die 21. Strophe zum ursprünglichen Text zu rechnen. Mit Str. 20 eiTeicht die Rühmung ihren Höhepunkt. Es kommt dabei erneut zu intertextuellen Verflechtungen und einer darauf aufbauenden Steigerung. Die Verflechtung könnte dreifach sein, genealogisch, heldenepisch und mythologisch. Zum ersten dürfte ein Bezug zur Glymdrápa vorliegen, Str. 9, die f>0rbjöm zu Ehren von Harald Schönhaar, Hákons Vater, gedichtet hat "Jafngöör konungsmaÖr komi [...]" wäre die Überbietung zu "kemrat [...] annarr konungsmanna". Zweitens wäre eine Anspielung auf Grípisspá, Str. 52, zu erwägen. Dort geht es um die Unvergleichlichkeit Sigurds; (immerhin ist im Umkreis der Haraldssippe Nibelungenpräsenz nachweisbar!). Es heißt dort: "munat maetri maÖr á mold koma und sólar sjöt enn |)ú Sigurör {ukkir". Drittens, und von besonderem Gewicht, der Hinweis auf den Endzeitmythos, der um diese Zeit, aus der auch die Völuspä stammt, besondere Aktualität besaß. Das noch farblose ae der Str. 19 wird dadurch mit voller Wucht präzisiert. Dabei fällt eine Perspektivenverschiebung auf. In den Eiriksmâl sagt Odin, Str. 7, voll Sorge über die Gefahr, die den Göttern droht, "sér úlfr enn hösvi á sjöt goöa". Eyvindr dagegen benutzt den Hinweis auf das Kommen des Wolfes - er verwendet die volle Form Fenrisûlfr, als ob diese Präzisierung nötig wäre - bloß zur Fixierung der Zeitspanne, die er mit Hákons Tod einsetzen läßt. Er läßt das Untier auch nicht gegen die sjöt goöa anstürmen, sondern á yta sjöt\ Die Eiriksmâl schlössen sich hierin einfach dem Mythos an, wogegen die Hákonarmál diesen Endzeitmythos dem König und den Menschen unterordnen. Sind die Eiriksmâl eine späte wikingerzeitliche Zurechtstilisierung und Vereinseitigung des Walhallmythos, so würden die Hákonarmál, so mythenbewußt sie sich auch geben, auch durch das Ausblenden Odins an dieser wichtigen Stelle konsequent auf den vorbildlichen Herrscher und dessen Rolle für Land und Leute hinführen. So wäre zu erwägen, daß die forcierte Rückbindung Hákons an die alten numinosen Mächte nicht Ausdruck naiven archaischen Bewußtseins zu sein braucht, sondern auf südlich geprägte Herrschaftsvorstellungen bezogen wäre, wobei versucht worden sei, diese ins Bodenständige, Nichtwikingerhafte zu integrieren. Das wäre auch ein Indiz dafür, daß der mythische Boden bereits schwankte.40 So könnte man auch annehmen, daß das von Eyvindr am Schluß wirkungsvoll herausgestellte Verödungsthema nicht so sehr naiv nach rückwärts verweist auf

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Auch dieses restaurative Element macht es u. a. unwahrscheinlich, daß die Hákonarmál zeitlich vor die Eiriksmâl zu setzen seien.

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primitives Fruchtbarkeitskönigtum, sondern, aus unserer Sicht, eher vorausdeutet auf Ólafr Tryggvason und Ólafr helgi. Eyvindr spricht von auda tröö und eyöisk land ok Ιάδ. HallfreÖr legt dann genauer räumlich fest, wenn er zum Tod Ólafs Tryggvasonar sagt "öll Norölönd er oröin auô", und für Sigvatr geht es bereits präzise um Norwegen, und die Verödung des Landes kommt in einem Ausbruch großartiger Naturbeseelung zur Geltung: "há {rótti mér hlaeja höll of Nóreg alian [...] klif'. Norwegen, im Sinne von Patria, gewinnt darin als Name eine emotionale Qualität wie France im Rolandslied.41 Die bei Eyvindr sich anbahnende Identifizierung von Land und Herrscher, die keine geradlinige Fortsetzung alteinheimischer Vorstellungen sein dürfte, erreicht also wenige Jahrzehnte später bei Olaf ihren Höhepunkt. Was im Ludwigslied Ludwig ist für die Franken als Volk und Territorium - für Karl und la France im Rolandslied ist es dann nicht anders - , ist Olaf für Norwegen. t»órarin loftunga, bloß eine Generation nach der Bekehrung Islands, wird noch einen Schritt weiter gehen und in seiner GlcelognskviÖa die alte genealogische Tradition auf die neue christlich typologische Grundlage stellen. In der Ólafs saga helga wird dann der neue Patriotismus besiegelt werden, wenn Olaf, aus dem Exil zurückkehrend, vergleichbar den Franken des Rolandsliedes beim Austritt aus den Pyrenäen, über das Land blickt und sich zu Norwegen bekennt.42 In Verbindung mit möglichen südlichen Einfärbungen der Herrscherthematik im Norden sei auch auf das Gefolgschafts-comitatus-Problem hingewiesen, das in der angelsächsischen Forschung neuerdings wieder akut geworden ist, und auf die damit zusammenhängende Frage der Heroisierung. Einige Vertreter dieser Forschung, so unlängst J. Harris bei einem Vortrag in Freiburg, nehmen erneut die Bjarkamál als Zeugnis für das Vorhandensein eines seit Tacitus ungebrochenen comitatus-Ethos im Norden. Da das wenige, was von den Bjarkamál überliefert ist, für diese Hypothese ausfällt, stützt man sich auf Saxos lateinische Umschreibung des Sachverhaltes. Daneben dient noch das altenglische Kurzepos Battle of Maldon als Beleg. Der letztere Text ist aber eher dem Umfeld der Chansons de geste zuzuordnen und kann nicht primär für altgermanische Traditionen beansprucht werden. Roberta Frank, die sich diesem Trend nicht fügt, konnte weitere wichtige Zeugnisse beibringen, die gegen die These von der ungebrochenen comitatus-Tradition sprechen.43 So z. B. eine Strophe Sigvats

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HallfreÖr, Ólafsdrápa Str. 19; Sigvatr, Lausavisur 26. Den norsk-islandske skjaldedigtning (wie Anm. 27), Β I, S. 154 bzw. 252. Klaus von See, Skaldendichtung. Eine Einführung, München 1980, S. 72. ólafssaga helga (wie Anm. 25), Kap. 202, S. 351, Chanson de Roland, V. 818 ff., Aliscans (wie Anm. 21), Laisse XCIX. Vgl. Roberta Frank, The ideal of men dying with their lord in the battle of Maldon. In:

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über Umstände beim Tod Olafs, also ein Zeugnis der Spätzeit. Das Königtum Olafs kann man nicht beliebig in die Vergangenheit verlängern. Frank kann dann auch noch auf Gesetze aus der Zeit Knúts des Großen verweisen, die das Schändliche der feigen Flucht beim Tod des Anführers anprangern. Auch das ist nicht einfach als Reflex alter mündlicher Rechtstradition aufzufassen, das mittelalterliche Lehenswesen liegt da viel näher. Diese Art Heroik wird man also primär auf südliche Einflüsse zurückzuführen haben, und das läßt es ratsam erscheinen, den Komplex Heroik und Heroisierung im mittelalterlichen Norden nicht nur als alten Granitblock zu betrachten, sondern Schichten und Überformungen darin zu unterscheiden und ihn offenzuhalten für das Wirken gesamtmittelalterlicher Tendenzen. Es sei abschließend ein Aspekt extremen Heroisierens in der Battle of Maldon zur Diskussion gestellt, den Hans Kuhn, symptomatisch für die Forschungslage, in Bausch und Bogen für den alten Norden in Beschlag nimmt.44 Es geht um die Verse 312 ff. unmittelbar vor Ende des Fragments. 310

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Byrhtwold majjelode, bord hafenode (se waes eald geneat), aesc acwehte; he ful baldlice beornas lacrde: "Hige sceal J>e heardra, heorte J»e cenre, mod sceal f>e mare, J)e ure macgen lytlaö. Her liö ure ealdor eall forheawen, god on greote. A maeg gnornian se Öe nu fram Jjis wigplegan wendan JjenceÖ. Ic eom frod feores; fram ic ne wille, ac ic me be healfe minum hlaforde, be swa leofan men, licgan J)ence."45

Der Anführer der christlichen Angelsachsen ist bereits tot, den Wikingern der Sieg sicher. In dieser ausweglosen Situation äußert sich in einer Abfolge heroischer Bekenntnisse einzelner hervorragender Krieger auch der alte Byrhtwold, und ihm ist die heroische Kernaussage in den Mund gelegt: "Hige sceal t>ê heardra, heorte J>ê cênre, môd sceal J>ê mare, j)ê ûre maegen lytlaö." Für Hans Kuhn, der eindrucksvoll die Dynamik des Nordens zur Wikingerzeit herausarbeitet, sind dies "einzigartig stolze Worte, die so klingen, als stammten

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People and places in northern Europe 500-1600. Essays in honour of P. H. Sawyer, Woodbridge 1991, S. 95-107. Vgl. Hans Kuhn, Uns ist Fahrwind gegeben wider den Tod. Aus einer großen Zeit des Nordens. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 106, 1977, S. 155. S. o. Anm. 29, S. 15 f.

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sie aus einem Heldenlied". Kuhn meint damit natürlich ein altgermanisches Heldenlied; es wird sich aber als wahrscheinlicher herausstellen, an die altfranzösische Rolandssage zu denken! Kuhn folgert: "der Geist der Zeit (= nordische Wikingerzeit) hatte also auf die Angelsachsen übergegriffen". Heroischer Geist kann der Wikingerzeit natürlich nicht abgesprochen werden, über ihn verfügten auch Kosaken und Tscherkessen; nur, wir haben es hier mit literarischen Texten zu tun, und man wird den unmittelbaren kulturgeschichtlichen Hintergrund stärker beachten müssen. Im altfrz. Rolandslied findet sich in einer vergleichbaren Situation eine sinngleich heroische Reaktion, die überdies vorzüglich in den Kontext integriert ist bzw. als Konsequenz daraus hervorgeht, was für ihren primären Charakter spricht In dreifacher Steigerung bestürmt Olivier seinen Gefährten Roland, das Hornsignal zu geben. Beim dritten Mal fügt er den entscheidenden Zusatz an "Nus i avum mult petite cumpaigne", V. 1087, was Roland das Stichwort liefert für seine heroische Replik: "Mis talenz en engraigne". (Hige, heorte, môd lesen sich wie Variationen zu talenz.) Auf diesen Höhepunkt ist die Szene angelegt, Rolands Worte sind die passende Antwort. Nicht so bei Byrhtwold, dessen Äußerung unvermittelt mit dieser heroischen Formel einsetzt. Byrhtwolds Auftritt würde eher an innerer Konsistenz gewinnen, wenn man die beiden ersten, eben diese heroischen Kemverse, 312 f., streichen würde. Es liegt kein Dialog vor, der Zitatcharakter dieser Verse fällt auf. Wenn man die anschließenden jeweils drei Verse direkt auf Byrhtwolds kriegerische Gestik Schild an sich reißen, Speer schütteln - folgen läßt statt der zwei erwähnten allgemein heroischen, so erhält man eine kohärente Abfolge: Der Alte konstatiert nach seinem Gestus die Situation - der Herr, V. 314, liegt zusammengehauen auf dem Geröll; wer jetzt den Kampfplatz verläßt, hat allen Grund, zeitlebens zu trauern. Die nächsten drei Verse handeln dann von Byrhtwold selbst und seinem Verhalten. Er sei alt, er wolle den Kampfplatz nicht verlassen, vielmehr an der Seite seines toten Herrn zu liegen kommen. Diesen zweimal drei Versen, die vom toten Herrn handeln, dem eigenen Alter und der Bereitschaft, hier zu sterben, stellt der Dichter die zwei allgemeinen Verse, die sentenzhaft von heroischem Verhalten handeln, voran. Um so stärker der Heldenmut, je kleiner die Schar! Worte, die man lieber einem ungestümen jungen Anführer in den Mund legen würde. Im Rolandslied ist dazu in Olivier auch die Stimme der sapientia präsent Bei Byrhtwold fallen überdies die abstrakt-heroische Äußerung und die anschließend geäußerte ergreifende menschliche Verbundenheit mit dem Herrn auseinander, was an sekundäres Zusammenfügen durch den klerikalen Verfasser denken läßt. Wenn es heißt, daß Byrhtwold seine Krieger laerde, V. 311 - worauf plakativ die heroische Formel folgt - so könnte das ein weiteres Indiz für den nicht primären Charakter dieser zwei Verse sein, wie auch der

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Endreim in V. 309 mápelodel[...J hafenode sich nicht altertümlich anhört. Im Rolandslied kann, in der Sache begründet, nicht vom Tod des Lehensherrn die Rede sein, das Thema vom Nachsterben fehlt demnach auch. Dessenungeachtet strotzt das Rolandslied von Aussagen zu seignor und hom - gerade auch im oben erwähnten Kontext, ζ. Β. V. 1010. Die heroische Kernaussage, auf die beide Texte zurückgehen, hat wohl ihre Wurzeln im neuen christlich feudal inspirierten Heroisierungsschub, der aus dem karolingischen Europa kam; das Makkabäerbuch der Bibel als Inspirationsquelle liegt dabei näher als eine auf Tacitus zurückgehende Heroisierungstradition. Damit genug der 'Vermutungen'. Sie könnten Anlaß geben, hergebrachte Vorstellungen über den Platz des Nordens im mittelalterlichen Europa zu überdenken.

Norwegen und das Reich unter Hákon IV. (1217-1263) und Friedrich II. (1212-1250) VON THOMAS BEHRMANN

Wer über die Beziehungen zwischen Norwegen und dem Reich im Mittelalter nachdenkt, wird seinen Blick immer wieder auf das 13. Jahrhundert richten müssen. In dieser Zeit der Ostsiedlung und der "Kaufmannshanse" wurden Weichen gestellt, die die innere Entwicklung, aber auch die gemeinsame Geschichte beider Länder bis ins Spätmittelalter und darüber hinaus prägten. Dies gilt in besonderem Maße für die Epoche Hákons IV. und Friedrichs Π., zweier Herrscher und Zeitgenossen von ungewöhnlichem persönlichen Format und politischer Willenskraft. Hákon, der Enkel und Fortsetzer König Sverris, steht für die Festigung der Königsherrschaft und für die mittelfristige Durchsetzung des dynastischen Prinzips in Norwegen.1 Der Staufer Friedrich verkörpert ebenfalls - doch für lange Zeit zum letzten Mal - eine starke monarchische Gewalt im römisch-deutschen Reich; seine reale Machtausübung konzentriert sich indessen auf den Süden Italiens und auf Sizilien.2 Unter Hákon und Friedrich, der ja mütterlicherseits selbst normannischer Herkunft war3, führte der Weg vom

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Über Hákon vgl. Knut Helle, Norge Wir en stat, 1130-1319, Bergen-Oslo-Troms0 21974 (= Handbok i Norges Historie, Bd. 3), S. 103-133; Maitin Geihardt, Noiwegische Geschichte. Hg. v. Walther Hubatsch, Bonn 21963, S. 105-110; Sverre Bagge, Kingship in medieval Norway. Ideal and reality. In: European Monarchy. Its Evolution and Practice from Roman Antiquity to Modem Times. Hg. v. Heinz Duchhardt - Richard A. Jackson - David Sturdy, Stuttgart 1992, S. 41-53, bes. S. 47 f. Über Friedrich Π. noch immer maßgebend Emst Kantorowicz, Kaiser Friedrich II., 2 Bde. (Haupt- und Ergänzungsband), Berlin 1928-1931, Nachdruck Düsseldorf - München 1963. Zu David Abulafia, Herrscher zwischen den Kulturen. Friedrich II. von Hohenstaufen, Berlin 1991 (engl. London 1988), vgl. die Rezension Hans Martin Schallers in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalteis 47, 1991, S. 290 f. Von der neuesten Biographie des Staufers ist bislang nur der erste Band erschienen: Wolfgang Stümer, Friedrich II., Teil 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194-1220, Darmstadt 1992 (= Gestalten des Mittelalters und der Renaissance). Zur Vorgeschichte der normannisch-staufischen Eheverbindung vgl. Gerhard Baaken, Unio regni ad Imperium. Die Verhandlungen von Verona 1184 und die Eheabredung zwischen König Heinrich VI. und Konstanze von Sizilien. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 52,1972, S. 219-297. Inwieweit Friedrich sich damit auch

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norwegischen zum deutschen Herrscher in der Tat von Bergen nach Unteritalien, und er wurde in dieser und der umgekehrten Richtung vielleicht häufiger beschritten als jemals vor- oder nachher im Mittelalter. In den Beziehungen zwischen Norwegen und dem Reich sind drei Aspekte zu unterscheiden: zum einen die wirtschaftlichen Kontakte in der frühhansischen Zeit, zum zweiten die direkten Beziehungen zwischen Hákon und Friedrich und zum dritten die Bedeutung des Reichsgebietes als Durchgangsland für Pilger und Studenten aus Nordeuropa, die aber hier nicht weiter zu verfolgen ist.4 Für einen Nicht-Skandinavisten und Nicht-Germanisten kann es im Hinblick auf das Tagungsthema nur darum gehen, das wirtschaftliche und politische Umfeld für die Vermittlung eines niederdeutschen Erzählstoffes wie der PiÖreks saga nach Norwegen auszuloten.3 Der Aufschwung des Handels zwischen Norddeutschland und Norwegen erwuchs aus einer tiefgreifenden Umgestaltung des norddeutsch-nordeuropäischen Raumes im Hochmittelalter. Der Norden des Reiches entwickelte sich im 13. Jahrhundert zu einem Zentrum neuer Siedlungsstätten mit eigenem politischen Machtanspnich. Die Dynamik dieses Prozesses kommt nirgendwo eindrucksvoller zur Geltung als in Lübeck. Auf der Mitte des 12. Jahrhunderts noch verlassenen Landzunge zwischen Trave und Wakenitz stand Ende des 13. Jahrhunderts eine der größten Städte Nordeuropas.6 Dieses beispiellose Wachstum

seiner entfernt nordischen Abstammung bewußt war, ist nicht bekannt. Vgl. dazu Otto Springer, Mittelalterliche Pilgerwege von Skandinavien nach Rom. In: Ders., Arbeiten zur germanischen Philologie und zur Literatur des Mittelalters, München 1975, S. 338-372; Else Ebel, Das Bild des Fremden in den altwestnordischen Quellen. In: Hansische Geschichtsblatter 100,1982, S. 41-55, hier S. 41; Sverre Bagge, Nordic Students at Foreign Universities until 1660. In: Scandinavian Journal of History 9, 1984, S. 1-29. 5 Dies ist bislang im Zusammenhang nicht geschehen. Julius Harttung, Norwegen und die deutschen Seestädte bis zum Schlüsse des dreizehnten Jahrhunderts, Berlin 1877, konzentriert sich auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts. Helle, Norge (wie Anm. 1), S. 130ff., 173 und passim, kann in seinem Handbuchbeitrag die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Norwegen und dem Reich nur resümieren. Klaus Friedland, Kaufmannsgruppen im frühen hansisch-norwegischen Handel. In: Bergen, Handelszentrum des beginnenden Spätmittelalters, Köln - Wien 1971 (= Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, Bd. 17), S. 41-51, behandelt die Organisation des vor- und frühhansischen Norwegenhandels (vgl. jetzt auch ders., Die Hanse, Stuttgart - Berlin - Köln 1991 [S. 54-71 über norwegischen und dänischen Fernhandel]). Kantorowicz (wie Anm. 2) und Abulafia (wie Anm. 2) ziehen die Hákonar saga nicht heran und schweigen deshalb über die politischen Beziehungen zwischen Hákon und Friedrich. Gleiches gilt für Folker Reichert, Der sizilische Staat Friedrichs II. in Wahrnehmung und Urteil der Zeitgenossen. In: Historische Zeitschrift 253, 1991, S. 21-50.

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Vgl. Erich Hoffmann, Der Aufstieg Lübecks zum bedeutendsten Handelszentrum an der Ostsee in der Zeit von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 66, 1986, S. 9-44; ders.,

Norwegen und das Reich unter Hákon IV. und Friedrich Π.

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resultierte zu einem wesentlichen Teil aus der Zuwanderung von Menschen aus den Altsiedelgebieten, die in den Lebens- und Erwerbsmöglichkeiten im noch wenig herrschaftlich durchdrungenen Norden eine Chance gesehen haben mögen und sich nun teils in Lübeck, teils in anderen neugegründeten Ostseestädten niederließen. Die größte Gruppe von ihnen kam aus den Rheinlanden und aus Westfalen. Die bis 1259 identifizierbaren Herkunftsnamen von Lübecker Bürgern sind in einem knappen Drittel der Fälle rheinisch oder westfälisch.7 Unter den Lübecker Ratsfamilien des Spätmittelalters finden sich zahlreiche westfälische Namen, wie die Warendorps, Osenbrugghes, Coesfelds oder die van Soest, um nur die bekannteren zu nennen.8 Die Auswanderung von Westfalen in die neuen Ostseestädte bildet einen Sonderfall der Femhandelsaktivitäten westfälischer Kaufleute. In der frühen Hansezeit wurden die seit alters bestehenden Handelskontakte sächsischer und friesischer Kaufleute mit den Nordländern9 nur verstärkt und kanalisiert. Auf die Lübeck im Hoch- und Spätmittelalter. Die große Zeit Lübecks. In: Lübeckische Geschichte. Hg. v. Antjekathrin GraBmann, Lübeck 1988, S. 79-340. 7 Vgl. Ahasver von Brandt, Die gesellschaftliche Struktur des spätmittelalterlichen Lübeck. In: Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte in Europa, Konstanz - Stuttgart 1966 (= Vorträge und Forschungen 11), S. 215-239, hier S. 216; vgl. auch Rolf Hammel, Stadtgründung, Herkunft der Siedler und Berufstopographie der Hansestadt Lübeck im Mittelalter. In: Sprachkontakt in der Hanse. Aspekte des Sprachausgleichs im Ostsee- und Nordseeraum. Akten des 7. Internationalen Symposions über Sprachkontakt in Europa, Lübeck 1986. Hg. v. P. Sture Ureland, Tübingen 1987, S. 21-42, hier S. 25. 8 Vgl. Fritz Rörig, Lübecker Familien und Persönlichkeiten aus der Frühzeit der Stadt In: Deis., Hansische Beiträge zur deutschen Wirtschaftsgeschichte, Breslau 1928, S. 127-138, hier S. 130 f.; E. F. Fehling, Lübeckische Ratslinie von den Anfängen der Stadt bis auf die Gegenwart, Lübeck 1925, Nachdruck 1978 (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck 7.1), S. 175-234 (Register); Emst Günther Krüger, Die Bevölkerungsverschiebung aus den altdeutschen Städten in die Städte des Ostseegebiets. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 27,1934, S. 101-158, 263-313, hier S. 302-313 (Personenregister); Westfalen, Hanse, Ostseeraum, Münster 1955; Wilhelm Koppe, Von den "van Söst" in Lübeck von den 1280er Jahren bis zum Knochenhaueraufstand von 1384. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 62, 1982, S. 11-29; ders., Die Frauen "van Söst" im 14. Jh. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 68,1988, S. 11-19. 9 Wichtig noch immer Alexander Bugge, Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter. In: Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte 4,1906, S. 227-277; vgl. zuletzt: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Teil 4: Der Handel der Karolinger- und Wikingerzeit. Hg. v. Klaus Düwel - Herbert Jankuhn - Harald Siems - Dieter Timpe, Göttingen 1987 (= Abh. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, phil.-hisL Kl., 3. Folge, Nr. 156), mit den Beiträgen von Gerd Hätz, Der Handel in der späten Wikingerzeit zwischen Nordeuropa (insbesondere Schweden) und dem Deutschen Reich nach numismatischen Quellen (S. 86-112), Heiko Steuer, Der Handel der Wikingerzeit zwischen Nord- und Westeuropa aufgrund archäologischer Zeugnisse (S. 113-197) und Else Ebel, Der Femhandel von der Wikingerzeit bis in

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Rolle Bremens als frühmittelalterliches Missionszentrum, aber auch Handelsplatz für den sächsischen und friesischen Verkehr mit dem Norden braucht nicht eigens hingewiesen zu werden.10 Die Sagaliteratur erwähnt mitunter Leute aus Bremen in den nordischen Ländern, ohne daß sich diese Nachrichten freilich sicher datieren ließen.11 Der Zisterzienser Cäsarius von Heisterbach berichtet in den Jahren um 1220 von Kölner Händlern, die in Norwegen für einen Kölner Kanoniker Eisbäipelze erwarben.12 Ein um 1200 in Dasli (bei Stavsj0 und Nes, Prov. Hedmark) vergrabener Münzschatz gibt Einblick in den Handelsverkehr zwischen Norwegen und Norddeutschland im Hochmittelalter.13 Er setzt sich zusammen aus niederländischen, rheinischen und sächsischen Münzen. Unter den letzteren befinden sich auch solche aus Soest, Bremen und Münster14, also aus allen drei Orten, in denen nach den Worten des unbekannten Verfassers der Pidreks saga der Untergang der Nibelungen in der von ihm wiedergegebenen Form erzählt wird.15 Vielleicht war es ein Norweger, der die Münzen vergrub,

das 12. Jahrhundert in Nordeuropa nach altnordischen Quellen (S. 266-312). 10 Vgl. Hermann Bächtold, Der norddeutsche Handel im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert, Berlin - Leipzig 1910 (= Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte 21), S. 267; Johanna Müller, Handel und Verkehr Bremens im Mittelalter, 1 (bis zum Jahre 1350). In: Bremisches Jahrbuch 30, 1926, S. 204-262, hier S. 211 ff. 11 Vgl. Ebel, Bild des Fremden (wie Anm. 4), S. 43,48, 53 Anm. 35. 12 Caesarii Heisterbacensis monachi ordinis Cisterciensis dialogus miraculorum. Hg. v. Josephus Strange, 2 Bde, Köln - Bonn - Brüssel 1851, Bd. 2, disL 8, cap. 57, S. 129 f.; zur Datierung vgl. Karl Langosch, Caesarius von Heisterbach. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hg. von Kurt Ruh u.a. Bd. 1, Sp. 1152-1168, Sp. 1157. 13 Zuerst publiziert von C. A. Holmboe, De prisca re monetaria Norvegiae et de nummis saeculi duodecimi nuper repertis, Christianiae 1841; vgl. auch Hans Holst, Norges mynter til slutten av 16. ärhundre. In: M0nt Hg. v. Svend Aakjsr, Stockholm - Oslo - K0benhavn 1936 (= Nordisk Kultur 29), S. 93-138, hier S. 107 ff.; ders., Numismatiske minner fra hansaveldet i Norge. In: Nordisk numismatisk ärsskrift 1938, S. 89-108, hier S. 98 f. Für den Hinweis auf den Fund und für die Literaturangaben danke ich Herrn Dr. Peter Ilisch (Westfälisches Landesmuseum/Münster). 14 Die Soester Münzen stammen aus der Zeit des Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg (1167-1191), die Bremer wurden unter Erzbischof Siegfried (1180-1184) geprägt, die Münsteraner tragen keine Aufschrift eines Bischofs, vgl. Holmboe (wie Anm. 13), S. 45-47. Zu den Münsterschen Handelsbeziehungen im hohen und späten Mittelalter vgl. Peter Johanek, Handel und Gewertie. In: Geschichte der Stadt Münster, Bd. 1. Hg. v. Franz-Josef Jakobi, Münster 1993, S. 635-681, S. 638-644. 15 Fine Erichsen, Die Geschichte Thidreks von Bern, Jena 1942 (= Thüle. Altnordische Dichtung und Prosa, Bd. 22), S. 414. Hier und anderenorts (ebd. S. 232 f., 410,413,435,452, 460) führt die PiSreks saga "deutsche Lieder" oder "Erzählungen deutscher Männer" an. Dies ist zum einen ein Beleg für eine mündliche Textvorlage, zum anderen Hinweis auf eine Vertrautheit des Verfassers mit deutschen Erzählstoffen. Die These von Leonard Forster, Die Thidrekssaga als hansische Literatur. In: Sprachkontakt (wie Anm. 7), S. 43-50, daß "ein zweisprachiger niederdeutscher, wohl westfälischer Bewohner der Stadt Bergen" den Text "für die Norweger schriftlich fixiert" habe (S. 44 f.), ist interessant, aber von ihm

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und vielleicht kannte er einige der Herkunftsgebiete aus eigener Anschauung. Jedenfalls sind im 12. Jahrhundert Handelsfahrten von Norwegern nach Utrecht bezeugt16, und die Urkunde Kaiser Friedrich Barbarossas für Lübeck von 1188 nennt auch Normanni als mögliche Besucher der jungen Stadt.17 In Köln - und in einem Fall in Münster - weisen die Zunamen Normann oder de Norwegia18 im 12. Jahrhundert auf Handelsbeziehungen mit Norwegen. Der Aktivhandel der Norweger ging jedoch bekanntlich seit dem 13. Jahrhundert nach und nach in die Hände der Hansekaufleute über, eine Entwicklung mit einschneidenden Folgen für die norwegische Wirtschaft im Spätmittelalter.19 Worauf ist der Aufschwung des frühhansischen Norwegenhandels zurückzuführen? Zu denken ist in erster Linie an Verschiebungen auf dem nord- und westeuropäischen Getreidemarkt. Norwegen konnte noch bis ins 13. Jahrhundert hinein außer bei Mißemten seinen Getreidebedarf in der Regel selbst decken.20 Allenfalls wurde der auch in der PiÖreks saga erwähnte21 teure Weizen eingeführt - und zwar von Engländern, wie es die berühmte Rede König Sverris über den nützlichen Einfluß der englischen Kaufleute und den schädlichen der deutschen überliefert, die das Land mit Wein überschwemmten.22 Die Siedlungsbewegung nach Osten schuf eine veränderte Lage. Das Getreide aus den neuen Kornkammern des Nordostens, aus Holstein, Mecklenburg und Pommern, später auch aus Preußen und dem Baltikum, suchte seinen Weg nach Westen und Norden, und es fand nicht nur in Norwegen, sondern selbst in England Ab-

seihst nicht belegt 16 Vgl. Bächtold (wie Anm. 10), S. 52 f., 264 f. 17 Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 10, Teil 4: Die Urkunden Friedrichs I. 1181-1190. Hg. v. Heinrich Appelt, Hannover 1990 (= Monumenta Germaniae Histórica, Diplomata regum et imperatonim Germaniae 10.4), Nr. 981, S. 266, Z. 2. 18 Bächtold (wie Anm. 10), S. 266; Hans-Joachim Seeger, Westfalens Handel und Gewerbe vom 9. bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts, Berlin 1926 (= Studien zur Geschichte der Wirtschaft und Geisteskultur 1), S. 4. 19 Vgl. Oscar Albert Johnsen, Norwegische Wirtschaftsgeschichte, Jena 1939, S. 161-192; nur eingeschränkt brauchbar John Allyne Gade, The Hanseatic Control of Norwegian Commerce during the late Middle Ages, Leiden 1951. 20 Vgl. Johnsen (wie Anm. 19), S. 83 f. 21 Vgl. Erichsen (wie Anm. 15), S. 451: Rispe, das Roß des als Mönch im - 1170 gegründeten - westfälischen Kloster Wedinghausen (zur Identifizierung des Ortes vgl. William J. Paff, The geographical and ethnic names in the I>i5reks saga. A Study in Germanie Heroic Legend, s'Gravenhage 1959, S. 205 ff.) lebenden Helden Heime, wird bemerkenswerterweise mit Weizen statt mit Hafer wieder zu Kräften gebracht (sofern von Erichsen korrekt wiedergegeben). An anderen Stellen wird in der PiÖreks saga auf die Minderwertigkeit von Gerstenbrot angespielt: vgl. Erichsen (wie Anm. 15), S. 443, 446. 22 Vgl. Ebel, Bild des Fremden (wie Anm. 4), S. 49 f.

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nehmer.23 In Norwegen war es die Bevölkerung in den wenigen Siedlungszentren, vor allem am Königssitz Bergen, die das Angebot an preiswertem Korn aus den deutschen Seehäfen wahrnahm. Hinzu kam eine zweite Neuerung. Viele deutsche Schiffer und Kaufleute nahmen norwegischen Stockfisch oder Hering nicht als Rückfracht in ihre Heimat, sondern exportierten ihn nach England, um dort Wolle oder Tuche einzukaufen, die sie in Flandern oder daheim absetzen konnten.24 Ein Mandat König Heinrichs ΠΙ. von England von Oktober 1229 mag den zeitlichen Horizont andeuten, in dem die Dreiecksfahrt zwischen den Ostseestädten, Norwegen und England bereits betrieben wurde: in jenem Jahr gestattete er einer mit milites regis Norwegie et mercatores Saxonie in England

erwarteten Kogge aus Norwegen freien Verkehr im Inselreich.23 Anfang des 14. Jahrhunderts betrieben die Hansen den Dreiecksverkehr bereits weitaus erfolgreicher als Engländer und Norweger zusammen ihren beiderseitigen Direkthandel.26 Von den übrigen Waren des Norwegenhandels hatte besonders der Wein einige Bedeutung27, und zwar nicht nur als Genußmittel, sondern auch als liturgische Essenz. Wie stark der Mangel an Getreide und an Wein zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Gegenden Norwegens empfunden werden konnte, zeigt in drastischer Weise eine Anfrage des Erzbischofs von Nidaros an die Kurie vom Jahre 1237. Da in den Kirchen einiger Suffraganbistümer wegen Mangels an Getreide und an Wein die Meßfeier ausfallen müsse, wurde der Papst um die Erlaubnis gebeten, daß man dort nicht mehr nur Hostien aus Brot, sondern aus beliebigen Substanzen darreichen und Wein durch Bier ersetzen dürfe - wofür man freilich in Rom kein Verständnis aufbrachte.28

23 Vgl. Johnsen (wie Anm. 19), S. 85 f.; Heidelore Böcker, Pommerns vergessene "Tore zur Welt". In: Pommern. Geschichte - Kultur - Wissenschaft, Greifswald 1991, S. 7-22, hier S. 7; Natalie Fryde, Deutsche Englandkaufleute in frühhansischer Zeit In: Hansische Geschichtsblätter 97, 1979, S. 1-14, hier S. 6. 24 Knut Helle, Neueste norwegische Forschungen über deutsche Kaufleute in Norwegen und ihre Rolle im norwegischen Außenhandel im 12. bis 14. Jahrhundert In: Hansische Geschichtsblätter 98, 1980, S. 23-38, hier S. 30 ff. 25 Patent Rolls of the Reign of Henry III. preserved in the Public Record Office, 1225-1232, London 1903, ND Nendeln/Liechtenstein 1971, S. 274. Vgl. dazu auch Friedland, Kaufmannsgruppen (wie Anm. 5), S. 45 ff., dessen Schlußfolgerungen hinsichtlich des von ihm genannten Kaufmanns Gilebertus de Sleswik m. E. allerdings einer Überprüfung bedürfen. 26 Vgl. Helle, Neueste norwegische Forschungen (wie Anm. 24), S. 32. 27 Über Weinimporte nach Norwegen Bächtold (wie Anm. 10), S. 53,265. Zu Weinproduktion und -handel in Westfalen Seeger (wie Anm. 18), S. 66-70,114 f.; vgl. auch oben zu Anm. 22. 28 Diplomatarium Norvegicum, Bd. 1. Hg. v. Chr. A. Lange - Carl R. Unger, Christiania 1847, Nr. 16, S. 14, vgl. Les registres de Grégoire IX. Hg. v. Lucien Auvrai, Paris 1907, Nr. 3657, S. 647.

Norwegen und das Reich unter Hákon IV. und Friedrich II.

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Wichtigster Umschlagplatz in Norwegen war Bergen.29 Hierher wurde der in Nordnorwegen gefangene und zu Stockfisch verarbeitete Kabeljau gebracht, hier versahen hansische Kaufleute ihre norwegischen Lieferanten mit Krediten30, von Bergen aus fuhren die Schiffe übers Meer zu den Häfen der englischen Ostküste, Bergen wählte Hákon in Anknüpfung an die von seinen Vorgängern Magnus und Sverrir begründete Tradition zum Krönungsort31, und in Bergen begann er mit der Errichtung seiner berühmten Königshalle.32 Ein dänischer Chronist ist Ende des 12. Jahrhunderts erstaunt über die dichte Bevölkerung der Stadt und beschreibt ihren Hafen voll von isländischen, grönländischen, englischen, deutschen (noch in dieser Reihenfolge!), dänischen, schwedischen und gotländischen Schiffen.33 Der englische Mönch Matthäus Parisiensis will ein halbes Jahrhundert später bei seiner Ankunft in Bergen 200 und mehr Schiffe erblickt haben.34 Zu dieser Zeit bestand vielleicht auch bereits eine feste Niederlassung von deutschen Kaufleuten; zumindest sind sie ebenfalls Mitte des 13. Jahrhunderts als Wintersitzer in Bergen zu erschließen.35 Um dieselbe Zeit mag

29 Grundlegend Knut Helle, Kongssete og kj0pstad. Fra opphavet til 1536, Bergen 1982 (= Bergen bys historie, Bd. 1); vgl. auch Bergen, Handelszentrum (wie Anm. 5). 30 Vgl. Helle, Neueste norwegische Forschungen (wie Anm. 24), S. 37. 31 Vgl. Erich Hoffmann, Coronation and Coronation Ordines in Medieval Scandinavia. In: János M. Bäk (Hg.), Coronations. Medieval and Early Modern Monarchic Ritual, Berkeley - Los Angeles - Oxford 1990, S. 125-151, hier S. 126 f. 32 Vgl. Gerhardt (wie Anm. 1), S. 123; Helle, Kongssete (wie Anm. 29), S. 546-549. 33 Vgl. Anonymus de profectíone Danorum in terram sanctam. In: Scriptores rerum Danicarum medii aevi 5. Hg. v. Jacobus Langebek, Hafniae 1783, Nachdruck Nendeln/Liechtenstein 1969, S. 341-362, hier cap. 11, S. 353; Knut Helle, Anglo-Norwegian Relations in the Reign of Hâkon Häkonsson (1217-63). In: Mediaeval Scandinavia 1,1968, S. 101-114, hier S. 102 f.; ders., Trade and Shipping between Norway and England in the Reign of Hâkon Häkonsson (1217-63). In: Sj0fartshistorisk ârbok 1967, S. 7-34. 34 Mattaei Parisiensis, monachi Sancti Albani, Chronica Majora. Hg. ν. Henry Richards Luard (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores [57]), 7 Bde., London 1872-1883, Bd. 5, S. 36. Zur Norwegenreise des Matthäus vgl. Richard Vaughan, Matthew Paris, Cambridge 2 1979 (= Cambridge Studies in medieval Life and Thought, ser. 2.6), S. 4-7; Hans-Eberhard Hilpert, Kaiser- und Papstbriefe in den Chronica majora des Matthaeus Paris, Stuttgart 1981 (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 9), S. 35 f. 35 Vgl. Alexander Bugge, Kleine Beiträge zur ältesten Geschichte der deutschen Handelsniederlassungen im Auslande und besonders des Kontors zu Bergen in Norwegen. In: Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte 6, 1908, S. 186-209, hier S. 200207; Helle, Neueste norwegische Forschungen (wie Anm. 24), S. 37; ders., Norge (wie Anm. 1), S. 132 ("omkring 1259"); Arnved Nedkvitne, Der Strukturwandel im noideuropäischen Seehandel vom 12. bis zum 13. Jahrhundert; seine Bedeutung für die norwegischen Seehandelsstädte. In: Seehandelszentren des nördlichen Europa. Der Strukturwandel vom 12. zum 13. Jahrhundert, Bonn 1983 (= Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 7), S. 261-269, hier S. 261.

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die Einwanderung deutscher Handwerker begonnen haben, die an der Wende zum 14. Jahrhundert bereits als feste Vereinigung auftreten.36 Über die Herkunft der deutschen Norwegenfahrer lassen sich erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts genauere Angaben machen, wobei freilich stets Entwicklungen bedacht werden müssen, die schon vorher eingesetzt haben können. Die älteren Verbindungen Bremens nach Norwegen sind auch im 13. Jahrhundert bemerkbar. In einem Verwendungsschreiben des Bremer Erzbischofs und des gesamten höheren Bremer Klerus für Bremer Heringsimporteure an Herzog Hákon aus dem Jahre 1288 ist von zweiundzwanzig Bremern die Rede, "qui omnes juramentis legitimis affirmabant [...], quod ipsi progenitorum vestrorum temporibus plus quam ceteri regnum Norwagie visitare solebant"37 Nach dem Wortlaut dieses Eides (progenitorum vestrorum) dürfte es also auch schon zur Zeit König Hákons IV., des Großvaters von Herzog Hákon38, einen intensiven Bremer Norwegenhandel gegeben haben. So verwundert es nicht, daß auf einem Bergener Runenholzfragment, das allerdings nur in die Zeit zwischen 1248 und 1332 datiert werden kann, der Name eines Alfward aus Bremen erscheint, freilich neben einem Markward aus Rostock.39 Bewohner einer Nordseestadt und einer der noch jungen Ostseestädte werden hier also bereits gemeinsam genannt.40 Dabei war der Norwegenhandel für die Bremer offenbar von größerem Gewicht als für die wendischen und pommerschen Städte: Dem Embargo, das jene 1284 gegen Norwegen verhängten, Schloß sich die Weserstadt nicht an.41

36 Vgl. Bugge, Kleine Beiträge (wie Anm. 35), S. 200 f. 37 Bremisches Urkundenbuch. Hg. v. D. R. Ehmck - W. v. Bippen, Bd. 1, Bremen 1873, Nr. 444, S. 483. Zu den alten Bremer Missionsverbindungen nach Norden vgl. Heinrich Schmidt, Skandinavien im Selbstverständnis der Bremer Kirche vom 9. bis zum 11. Jahrhundert. In: Bremen. 1200 Mission. Hg. v. Dieter Hägermann, Bremen 1989 (= Schriften der Wittheit zu Bremen, N.F. 12, S. 33-59. 38 Zu Herzog Hákon vgl. Grethe Authén Blom, Samkonged0mme - Enekonged0mme - Häkon Magnussons Hertugd0mme, Oslo 1972 (= Det Kongelige Norske Videnskabers Selskab, Skrifter No. 18, 1972), S. 38-70. 39 Vgl. Ingrid Sanness Johnsen, Die Runeninschriften über Handel und Verkehr aus Bergen (Norwegen). In: Untersuchungen zu Handel und Verkehr 4 (wie Anm. 9), S. 716-744, hier S. 730,742. Die beiden Personennamen sind zu verbreitet für einen sinnvollen Identifizierungsversuch. Vgl. auch ebd. S. 722 f. über einen deutschen (?) Stockfischhändler namens Otto sowie S. 736 ff. über Runen als "Kommunikationsmittel der Handelsleute?". Zur Sache auch Aslak Liest0l, Correspondence in Runes. In: Mediaeval Scandinavia 1,1968, S. 17-27. 40 Über Hamburg, Rostock, Wismar, Stralsund und Greifswald im Norwegenhandel in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts vgl. Harttung (wie Anm. 5), S. 1 9 , 2 6 , 6 9 , 8 8 , 9 8 f. und passim; auch Bugge, Kleine Beiträge (wie Anm. 35), S. 208 f.; Böcker (wie Anm. 23), S. 7 f. 41 Über den Konflikt von 1284/85 Harttung (wie Anm. 5), S. 52-84.

Norwegen und das Reich unter Hákon IV. und Friedlich Π.

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Auch die westfälischen Städte, die ebenfalls angesprochen worden waren, blieben damals abseits.42 Zwar waren Westfalen auch weiter am Norwegenhandel - z. T. auch am Dreiecksverkehr mit England - beteiligt43, doch die Initiative lag etwa seit der Mitte des 13. Jahrhunderts bei Lübeck und den übrigen wendischen Städten. Wenn die Piöreks saga nur von Männern aus Soest, Bremen und Münster berichtet, die den Sagenstoff weitergegeben hätten, so möchte man eher an die ältere Zeit denken, als der Norwegenhandel noch über die Nordsee - und nicht vorwiegend über die Ostsee - abgewickelt wurde. Als ein Bürger aus dem unweit von Soest gelegenen Lippstadt in Bergen verstarb, wandte sich seine Heimatstadt 1281 an Lübeck, um die Herausgabe des Nachlasses zu erwirken.44 Ein Ausblick ins Spätmittelalter läßt die Dominanz Lübecks im Norwegenverkehr noch stärker hervortreten. In Lübeck konstituierte sich eine eigene Gesellschaft der Bergenfahrer, unter ihnen wiederum lag der Anteil von Kaufleuten, die aus Westfalen, und zwar besonders aus dem Raum Münster gebürtig und nach Lübeck eingewandert waren, überdurchschnittlich hoch.45 Es ist möglich, aber nicht nachweisbar, daß ähnliche Verhältnisse schon im 13. Jahrhundert bestanden haben. Ein Konflikt zwischen Norwegern und Lübecker Kaufleuten im Jahr der Krönung Hákons (1247) macht schlagartig die Interessenlage Norwegens deutlich und lenkt den Blick auf die politische Komponente in den Beziehungen zwischen Norwegen und dem Reich. Er entzündete sich an Übergriffen von Lübeckern auf norwegische Schiffe im Krieg der Travestadt gegen Dänemark.46 Hákon reagier-

42 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 1. Hg. v. Konstantin Höhlbaum, Halle 1876, Nr. 996, S. 344. Mit der Bestätigung eines (unbekannten) Privilegs König Waldemars Π. von Dänemark für Soest durch seinen Nachfolger Erich Plogpenning im Jahre 1232 endet offenbar der unmittelbare Kontakt westfälischer Städte mit nordischen Herrschern. 43 Vgl. Seeger (wie Anm. 18), S. 25 f., 32 ff., 76, 90. 44 Hansisches Urkundenbuch (wie Anm. 42), Nr. 874, S. 301. Vgl. hierzu und zur gesamten Entwicklung auch Paul Kallmerten, Liibische Bündnispolitik von der Schlacht bei Bornhöved bis zur dänischen Invasion unter Erich Menved (1227-1307), phil. Diss. Kiel 1932, bes. S. 22 f., 60-72. 45 Vgl. Friedrich Bruns, Die Lübecker Bergenfahrer und ihre Chronistik, Berlin 1900 (= Hansische Geschichtsquellen, Neue Folge, Bd. 2), S. CXL-CXLII. Im Verkehr mit Ostnorwegen (Tönsberg, Oslo) war dagegen Rostock dominant, vgl. Johnsen (wie Anm. 19), S. 171 f. 46 Zum Folgenden vgl. Harttung (wie Anm. 5), S. 21-25; Bruce E. Gelsinger, Norwegian jurisdiction over Lübeck: background to an unredeemed offer. In: Mediaevalia Scandinavia 11,1978-79, S. 242-257. Die Quellengrundlage: The Saga of Hacon, and a Fragment of the Saga of Magnus. Hg. v. G. W. Dasent, London 1894 (= Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores [88], Icelandic Sagas Bd. 4), cap. 256, S. 261 f. (altnordisches Original: Hákonar Saga and a Fragment of Magnus Saga. Hg. v. Gudbrand Vigfusson, London 1887 [= Rer. Brit. Med. Aevi Script. [88], Icelandic Sagas Bd. 2]).

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te mit Repressalien an Lübeckern, worauf die Geschädigten den zur Krönung Hákons nach Bergen angereisten päpstlichen Legaten Wilhelm von Modena47 mit Erfolg um Vermittlung baten. Dennoch hielt sich Lübeck mit der Wiederaufnahme des Norwegenhandels offensichtlich zurück: zwei Briefe Hákons an die Stadt lassen deutlich erkennen, daß das Interesse an einer Normalisierung der Beziehungen vom König ausging. Im ersten Brief fordert Hákon die Lübecker auf, namentlich Korn und Malz wieder nach Norwegen zu liefern und norwegischen Kaufleuten zu gestatten, dasselbe in Lübeck einzukaufen, "solange", wie es heißt, "die Teuerung in unserem Reich andauert".48 Im zweiten Brief teilt er den Lübeckern mit, daß sein erster bislang ohne Antwort geblieben sei und er nunmehr selbst Kaufleute entsende. Er bittet die Lübecker darum, sie zu schützen und ihnen zu erlauben, was sie anderen abgeschlagen hätten, nämlich Korn, Mehl und Malz zu kaufen.49 Die Motive für die abwartende Haltung der Lübekker sind nicht klar, sei es, daß sie ihre Rechtsstellung in Norwegen gezielt verbessern wollten, sei es, daß sie auf eine Teuerung der Kornpreise spekulierten. Der Konflikt war jedoch kaum eine von Lübeck inszenierte Provokation.50 Nicht nur hatte Hákon vor seiner Krönung große Mengen an Vorräten aus dem Ausland kommen lassen, um die Feierlichkeiten würdig zu begehen51, sondern ein wirksames Embargo hätte auch einer umfangreichen diplomatischen Vorarbeit bedurft - wie Lübeck sie 1284 in der Tat leistete,52 während 1247 nicht das geringste Anzeichen hierfür überliefert ist. Wichtig an dem Vorfall erscheinen vor allem zwei Aspekte. Zum einen handelt es sich bei den vom König begehrten Gütern um genau jene, für die bislang England Norwegens Hauptlieferant war. Aus Lynn, dem Ausfuhrhafen für ein an Getreide- und Malzproduktion reiches Hinterland, sind in der ersten Hälfte des 47 Über seine Norwegenmission Gustav Adolf Donner, Kardinal Wilhelm von Sabina, Bischof von Modena (1222-1234), päpstlicher Legat in den nordischen Ländern (t 1251), Helsingfors 1929 (= Societas Scientiarum Fennica, Commentationes Humanarum Litterarum 2.5), S. 304-360. 48 Codex Diplomaticus Lubecensis - Lübeckisches Urkundenbuch, 1. Abtheilung: Uikundenbuch der Stadt Lübeck, Bd. 1, Lübeck 1843, Nr. 153, S. 143: "Mittatis ergo ad nos naves uestras in estate more solito cum rebus nostro regno necessari is, cum biado et brasio et iddem nostris mercatoribus licentiam emendi concedatis, dum caristia in regno nostro durauerit [...]" 49 Ebd. Nr. 154, S. 144: "Rogamus etiam, ut licenciant eis [sc. mercatoribus nostris] concedatis emendi ea, que sibi viderint necessario expedire, precipue bladum, farinam et brasium, licet aliis mercatoribus eandem licenciam negaueritis asportandi [...]" 50 In diese Richtung geht jedoch die Argumentation von Gelsinger, Norwegian jurisdiction (wie Anm. 46), S. 247. 51 Vgl. The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 248, S. 251 f. 52 Vgl. Harttung (wie Anm. 5), S. 61 f. Im übrigen will Matthäus Parisiensis im Jahre 1248 über 200 Schiffe in Bergen gesehen haben (wie Anm. 34).

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13. Jahrhunderts zahlreiche Schiffe nach Norwegen gesegelt. In Lynn nahmen Gesandte Hákons Getreide und Malz als Geschenke König Heinrichs ΠΙ. von England entgegen.53 Überhaupt beweist der intensive Gesandtschaftsverkehr zwischen Norwegen und England34, daß die traditionell engen politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Verbindungen zwischen beiden Ländern33 zu dieser Zeit noch nicht gestört waren.36 Wenn Hákon sich also - und dies wäre der zweite Punkt - in einem ganz und gar unköniglichen Ton wiederholt an Lübeck wendet, so muß er in der Travestadt die ökonomisch und politisch erste Adresse gesehen haben, um für den Einfuhrbedarf seines Landes eine Lieferquelle zu erschließen. Lübeck und sein Hinterland muß dem norwegischen König schon um 1250 als eine zu diesem Zweck dem Inselreich ebenbürtige Alternative erschienen sein. Freilich mag ihn dazu auch der Umstand bewogen haben, daß die englischen Getreidepreise 1246 und 1247 etwa doppelt so hoch lagen wie in den vorangegangenen Jahren und damit höher als jemals zuvor im 13. Jahrhundert.37 Das Verhältnis zwischen dem norwegischen König und Lübeck war jedoch noch lange nicht bereinigt Wie die Hákonar saga berichtet, soll Hákon sich bei Kaiser Friedrich über die Gefahrdung norwegischer Schiffe bei der Fahrt nach Lübeck beklagt haben.58 Friedrich habe ihm daraufhin im Sommer 1250 geantwortet, daß er seine Ehre über die der anderen nordischen Herrscher erheben wolle; und er sei bereit, ihm die Hoheit über Lübeck zu geben. Als die Gesandten, die Hákon alsbald nach Italien schickte, am 6. Januar 1251 Venedig erreichten, mußten sie jedoch erfahren, daß der Kaiser kurz vor Weihnachten (genau: am 13. Dezember) gestorben war.59 Was zunächst vielleicht als Übertreibung der norwegischen Quelle erscheint, hält durchaus einer Nachprüfung stand. Die italienische und die deutsche Überlieferung fügen sich widerspruchsfrei in das von der Hákonar saga mitgeteilte

53 Vgl. Helle, Anglo-Norwegian Relations (wie Anm. 33), S. 103 f. 54 Helle, ebd. S. 111, spricht von mindestens zwanzig Gesandtschaften Hákons nach England sowie von mehreren in umgekehrter Richtung. 55 Henry Goddard Leach, Angevin Britain and Scandinavia, Cambridge/Mass. 1921 (= Harvard Studies in comparative Literature 6), Nachdruck New York 1975. 56 Erst Ende des 13. Jahrhunderts gerieten England und Norwegen durch konkurrierende Interessen in Schottland in einen politischen Gegensatz, vgl. Helle, Anglo-Norwegian Relations (wie Anm. 33), S. 114. 57 Vgl. D. L. Farmer, Some Grain Price Movements in Thirteenth-Century England. In: The Economic History Review, Second Series 10, 1957/58, S. 207-220, hier S. 212; Gelsinger, Norwegian jurisdiction (wie Anm. 46), S. 243. 58 Zum Folgenden vgl. The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 275, S. 280 f.; Harttung (wie Anm. S), S. 24; Gelsinger, Norwegian jurisdiction (wie Anm. 46), S. 242. 59 Zu den Daten vgl. das altnordische Original: Hákonar Saga (wie Anm. 46), cap. 275, S. 270; Gelsinger, Norwegian jurisdiction (wie Anm. 46), S. 242.

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zeitliche Gerüst40 Bereits in den ersten Tagen des Jahres 1251 galt also - dies verdient hervorgehoben zu werden - der Tod des im süditalienischen Castel Fiorentino verstorbenen Kaisers in Venedig für so gewiß, daß die norwegischen Gesandten kehrtmachten, um nunmehr König Konrad in Süddeutschland aufzusuchen.61 Der von der Hákonar saga hier an erster Stelle - und auch sonst noch öfter - genannte Gesandte Sira Askatin, späterer Bischof von Bergen, war einer der wichtigsten auswärtigen Repräsentanten des Königs.62 Keinen Grund gibt es auch, die brisante inhaltliche Seite in Frage zu stellen. In der Tat scheint Lübeck angesichts einer drohenden Unterstellung unter norwegische Herrschaft seine bisherige Position gegenüber Hákon überdacht zu haben. Am 6. Oktober 1250, vielleicht noch vor dem Aufbruch der norwegischen Gesandten nach Italien, sehen wir nämlich plötzlich hochrangige Vertreter der Reichsstadt an der Trave in Bergen vor Hákon erscheinen.63 Die Urkunde, die der König an diesem Tag für Lübeck ausstellte und in der erstmals der norwegische Reichsrat aufgeführt wird64, ist ein für die norwegische Verfassungsgeschichte sehr wichtiges Dokument. Vom Lübecker Standpunkt aus betrachtet, waren die Zusagen Hákons allerdings wenig konkret gehalten; sie bestanden im wesentlichen aus der Formel, "tali gaudeant [sc. Lubicenses] privilegio et libertate, qualem aliquo

60 Zur Qualität der Hákonar saga, die um 1264/65 vom Isländer Starla WrÖarson niedergeschrieben wurde, in der Bereitstellung von Daten vgl. Knut Helle, Artikel "Hákonar saga Hákonarsonar". In: Kultarhistorisk leksikon for nordisk middelalder 6, Kpbenhavn 1961, Sp. 51 ff., bes. Sp. 53; zu ihren schriftlichen Grundlagen Narve Bj0rgo, Om skriftlege kjelder for Hákonar Saga In: Historisk tidsskrift [Oslo] 46, 1967, S. 185-229. Zum Datum von Friedrichs Tod Kantorowicz 1 (wie Anm. 2), S. 626. 61 Diese Angabe der Hákonar saga ist bei der Diskussion um die Geheimhaltung von Friedrichs Tod bislang nicht berücksichtigt worden. Vgl. Kantorowicz 2 (wie Anm. 2), S. 249 f., mit der dort angegebenen Literatur. Konrad IV. hielt sich bis zu seinem Aufbruch nach Italien im Herbst 1251 in der Tat in Süddeutschland auf. 62 Vgl. Svene H. Bagge, Den kongelige kapellgeistlighet 1150-1319, Bergen - Oslo - Troms0 1976, S. 70 f., 73 f., 77 f., 81 f., 87, 168; Richard I. Lustig, Some views on Norwegian foreign service: 1217-1319. In: Mediaevalia Scandinavia 11, 1978-79, S. 212-241, hier S. 220, vennutet in ihm einen Engländer. 63 Code* Diplomaticus Lubecensis (wie Anm. 48), Nr. 157, S. 145 ff. Dem Leiter der Lübeckischen Gesandtschaft, Domin[us] J. de Bardvik - von Gelsinger, Norwegian jurisdiction (wie Anm. 46), S. 248, als "a certain Johannes von Bardwick" bezeichnet - war noch eine lange Zukunft als Ratmann und Bürgermeister beschieden, vgl. Fehling (wie Anm. 8), S. 18, Nr. 173. 64 Vgl. Knut Helle, Konge og gode menn i norsk riksstyring ca. 1150-1319, Bergen - Oslo Troms0 1972, S. 319,445,493. Die Urkunde trägt femer das älteste wohlerhaltene Siegel eines norwegischen Herrschers, vgl. H. Bresslau, Internationale Beziehungen im Urkundenwesen des Mittelalters. In: Archiv für Urkundenforschung 6, 1916-1918, S. 19-76, hier S. 60.

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tempore in regno nostro habuerunt meliorem."65 Die Urkunde enthält hingegen weder Befreiungen von Zollabgaben noch vom Strandrecht, wie sie die Travestadt gerade in jener Zeit an den nördlichen und westlichen Eckpunkten ihres Außenhandels zu erwerben begann.66 Ein undatierter, aber vielleicht aus derselben Zeit stammender Brief Hákons an Lübeck scheint zudem die bittende Rolle der Ostseestadt gegenüber dem Herrscher über Norwegen zu bestätigen.67 Nimmt man noch hinzu, daß die Lübecker immerhin mindestens drei Gesandte zum König schickten68- eine Anzahl, für die sich im dreizehnten Jahrhundert wohl nur ein einziger Parallelfall findet69-, so tritt vollends die veränderte Haltung Lübecks gegenüber dem König von Norwegen zutage. Hákon konnte nun einfach festschreiben, was er durch seine Briefe zuvor nicht erreicht hatte,

65 Codex Diplomatien Lubecensis (wie Anm. 48), Nr. 157, S. 146; Gelsinger, Norwegian jurisdiction (wie Anm. 46), S. 245, 248; ders., A Thirteenth-Century Norwegian-Castilian Alliance. In: Medievalia et Humanística, Ν. S. 10, 1981, S. 55-80, hier S. 56, schließt aus dem wiedergegebenen Wortlaut auf ein bereits bestehendes Vertragsverhältnis zwischen Hákon und Lübeck und datiert dieses mit Berufung auf die Hákonar saga in das Jahr (ca.) 1237. Die Hákonar saga berichtet jedoch nur, daß 1237 ein Streit zwischen Sudr-menn, die mit ihren Koggen (!) gekommen seien, und Bergenem ausbrach, den Hákon geschlichtet habe (The Saga of Hacon [wie Anm. 46], cap. 193, S. 178 f. = Hákonar Saga [wie Anm. 46], S. 170 f.). Dies ist eine zu dünne Grundlage für Gelsingers Schlußfolgerungen. Zum Begriff Sudr-menn, der Leute aus dem Reichsgebiet bezeichnen kann, aber nicht bezeichnen muß, vgl. Paff (wie Anm. 21), S. 171 (zu Sudr-lönd). 66 Vgl. z. B. Hansisches Urkundenbuch (wie Anm. 42), Nr. 393 f., S. 127, Nr. 448, S. 161 f.; Walter Stein, Über die ältesten Privilegien der deutschen Hanse in Flandern und die ältere Handelspolitik Lübecks. In: Hansische Geschichtsblätter 10 [30], 1902, S. 49-133; Helmut Rothardt, Der Kampf Lübecks gegen die Ausübung des Strandrechts im Ostseeraum, Würzburg 1938. Anders als Friedland, Die Hanse (wie Anm. 5), S. 61, vermag ich aus der Urkunde an keiner Stelle eine Befreiung vom Strandrecht herauszulesen. Vgl. auch die Bemerkung von Vilho Niitemaa, Das Strandrecht in Nordeuropa im Mittelalter, Helsinki 1955 (= Annales Academias Scientiarum Fennicae, ser. Β, Bd. 94), S. 253 f., "dass Norwegen als letzter nordeuropäischer Staat iJ. 1278 den Strandraub gegenüber Fremden veibot". Vielleicht wegen des Fehlens von konkreten Vergünstigungen hat Grethe Authén Blom, Kongemakt og privilegier i Norge inntil 1387, Oslo 1967, S. 46, das Stück nicht unter die norwegischen Herrscherprivilegien eingereiht. 67 Hansisches Urkundenbuch (wie Anm. 42), Nr. 390, S. 126: Hákon zeigt den Empfang von zwei Entschuldigungsschreiben Lübecks für einen Zwischenfall am (unbekannten) Ort Wisclemburch an. Diesmal war es also der norwegische König, der mit einer Antwort auf sich warten ließ! Der Editor hat das Stück ohne Angabe von Gründen zeitlich parallel zur Urkunde vom 6. Oktober 1250 für Lübeck eingeordnet 68 Dies ergibt sich aus dem Uikundentext (Codex Diplomaticus Lubecensis (wie Anm. 48), Nr. 157, S. 146): "[...] fide dignos nuncios, scilicet commendabilem virum Dominum J. de Bardvik et alios." 69 Ebd. Nr. 34, S. 44 (Lübeckische Gesandtschaft an Kaiser Friedrich II. unter anderem zur Erlangung des Reichsfreiheitsbriefes 1226).

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nämlich daß in beiden Richtungen ein ungehinderter Handelsverkehr gewährleistet sein solle. Für die Bereitschaft Friedrichs, die Reichsstadt an der Ostsee dem König von Norwegen zu versprechen, lassen sich auch Motive angeben. Die letzten Jahre des Staufers stehen bekanntlich im Zeichen einer wieder verschärften Auseinandersetzung mit dem Papsttum.70 Auf Betreiben Innocenz' IV. war am 3. Oktober 1247 mit Wilhelm von Holland ein neuer Gegenkönig in Deutschland erhoben worden, den der Papst im Norden des Reiches nach Kräften zu stützen suchte.71 Auch Lübeck ist angesichts von Avancen Wilhelms dem Stauferkaiser damals offenbar untreu geworden, zumal als die Stadt 1249 von Innocenz geradezu mit Privilegien überschüttet wurde.72 Daß Friedrich die Reichsstadt für ihre Unbotmäßigkeit habe bestrafen wollen73, ist eine durchaus plausible Interpretation; immerhin hatte er schon einmal, im Jahre 1214, die transelbischen Gebiete in die Hände eines Dritten gegeben, des Königs Waldemar von Dänemark, wohl um dessen Seitenwechsel vom Weifen Otto IV. zu Friedrich zu belohnen.74 Doch auch dem Norwegerkönig war Friedrich noch einen Gunsterweis schuldig. Der päpstliche Legat Wilhelm von Modena war 1247 nicht nur nach Bergen gereist, um Hákon zu krönen, sondern auch - so Matthäus Parisiensis, der es von Hákon selbst erfahren haben will - um ihm als letztem in einer Reihe von Kandidaten anzubieten, in Deutschland als Gegenkönig gegen Friedrich anzutreten; dies soll Hákon allerdings entschieden zurückgewiesen haben.75 Auch diese

70 Vgl. Kantorowicz 1 (wie Anm. 2), S. 540-626. 71 Vgl. Otto Hintze, Das Königtum Wilhelms von Holland, Leipzig 1885 (= Historische Studien 15), bes. S. 41 ff. 72 Vgl. Hartmut Steinbach, Die Reichsgewalt und Niederdeutschland in nachstaufischer Zeit, Stuttgart 1968 (= Kieler Historische Studien 5), S. 14-17; Evamaria Engel, Beziehungen zwischen Königtum und Städtebürgertum unter Wilhelm von Holland, 1247-1256. In: Stadt und Städtebürgertum in der deutschen Geschichte des 13. Jahrhunderts. Hg. v. Bernhard Töpfer, Berlin 1976 (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 24), S. 63-107, hier S. 72 f.; Johannes Fried, Der päpstliche Schutz für Laienfürsten. Die politische Geschichte des päpstlichen Schutzprivilegs für Laien (11.-13. Jh.), Heidelberg 1980 (= Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist Kl., 1980, 1), S. 281 ff. 73 So auch Gelsinger, Norwegian jurisdiction (wie Anm. 46), S. 252 f. Gedacht war vielleicht nur an eine Übertragung des kaiserlichen Rektorats über Lübeck an Hákon. 74 Vgl. Bernd-Ulrich Hucker, Kaiser Otto IV., Hannover 1990 (= Monumenta Germaniae Histórica, Schriften 34), S. 228. 75 Matthaei Parisiensis Chronica Majora (wie Anm. 34), lib. 5, S. 201: "Post hos autem omnes, voluit dominus Papa loco Fretherici Haconem regem Norwagiae in culmen imperii subrogare [...] Sed postquam coronatus fuit, protestatus est palam, se semper velie ecclesiae inimicos, sed non omnes Papae inimicos, impugnare. Et hoc idem protestatus est idem rex mihi ipsi Mathaeo, qui et haec scripsi, sub magni juramenti attestatione"; vgl. dazu - trotz

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Angabe mag heute fremdartiger erscheinen als damals. Sie paßt in die Aufwertung der nordischen Herrscher durch das Papsttum.76 Und bereits Gregor IX. hatte 1240 - allerdings vergeblich - versucht, den dänischen Herzog Abel als Gegenkönig zu Friedrich zu nominieren.77 Besonders überrascht es nicht, daß Hákon auf ein solches Angebot der Kurie nicht eingegangen ist. Matthäus nennt als Motiv, daß Hákon zwar die Feinde der Kirche, nicht aber all jene des Papstes habe bekämpfen wollen.78 Die Hákonar saga geht noch weiter und vermittelt den Eindruck, daß zwischen dem norwegischen König und dem Kaiser sehr freundschaftliche Beziehungen bestanden.79 Als Ende der zwanziger Jahre ein Gefolgsmann des Königs von einer Pilgerfahrt nach Jerusalem nicht heimkehrte, habe Hákon Friedrich um Auskunft über seinen Verbleib gebeten. Dies sei der Beginn eines regen Gesandtschaftsverkehrs gewesen. Die Hákonar saga nennt auch Namen von norwegischen Gesandten. Am häufigsten habe Hákon einen Mann namens Heinrich (Heinrekr) geschickt, der - ein sehr beachtenswertes Detail - in Norwegen geboren, seiner Herkunft nach aber Deutscher gewesen sei. Unter den Gesandten des Kaisers wiederum sei einmal ein Matheus gewesen, in Begleitung von fünf blämenn, also Schwarzen oder Dunkelhäutigen.80 Auch diese Angaben sind so präzise und passen so

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Zweifeln an der von Matthäus berichteten Reihenfolge der Kandidaten letztlich zustimmend - Hintze (wie Anm. 71), S. 8 f.; Donner (wie Anm. 47), S. 355 f., der Matthäus' Bericht korrigiert, aber nicht verwirft Vgl. Donner (wie Anm. 47), S. 2 und passim; Wolfgang Seegriin, Das Papsttum und Skandinavien bis zur Vollendung der nordischen Kirchenorganisation (1164), Neumünster 1967 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 51), S. 201 und passim. Vgl. Donner (wie Anm. 47), S. 235; Armin Wolf, Ikonologie der Ebstorfer Weltkarte und politische Situation des Jahres 1239. Zum Weltbild des Gervasius von Tilbury am welfischen Hofe. In: Ein Weltbild vor Kolumbus. Die Ebstorfer Weltkarte, Interdisziplinäres Kolloquium 1988. Hg. v. Hartmut Kugler - Eckhard Michael, Weinheim 1991, S. 54-116, hier S. 104 f. Wie Anm. 75. Es muß freilich offenbleiben, ob diese Worte Hákons nicht nur die Gedanken des englischen Chronisten wiedergeben. Zum Folgenden vgl. The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 164, S. 151 und cap. 191, S. 177 f. (= Hákonar Saga [wie Anm. 46], S. 144 f., 169 f.). The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 243, S. 147 (= Hákonar Saga [wie Anm. 46], S. 237). Vgl. Walter Baetke, Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur, 2 Bde., Berlin 19651968 (= Sitzungsberichte der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.hist Kl., Bd. 111), Bd. 1, S. 56: blämaör - "Mann mit schwarzer oder dunkler Hautfarbe, Äthiopier, Mohr", Bláland - "'Negerland', bes. Äthiopien od. Nord(west)afrika\ sowie die Belegsammlungen dazu bei Johann Fritzner, Ordbog over Det gamie norske Sprog, 3 Bde., Kristiania 1886-1896, Bd. 1, Sp. 149 f. bzw. Sp. 148. Was die Namen der kaiserlichen Gesandtschaftsführer angeht - die Hákonar saga (wie Anm. 46), cap. 191, S. 169 nennt auch einen Vilhjálmr (Wilhelm) - , so stehen sie dem Bericht der Quelle jedenfalls nicht ent-

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genau in zeitgenössische Zusammenhänge, daß sie sich nicht von der Hand weisen lassen. Von der Einwanderung Deutscher nach Norwegen war bereits die Rede.81 Und Friedrich Π., der es bekanntlich verstand, durch ein auffälliges Erscheinungsbild bei seinen Zeitgenossen Eindruck zu erwecken, mag sehr wohl eine von Sarazenen begleitete (nicht: geführte!) Gesandtschaft nach Norwegen geschickt haben, deren Zusammensetzung dort noch nach Jahrzehnten in Erinnerung war. Wir wissen jedenfalls, daß der Kaiser zur Einschüchterung der Brescianer bei der Belagerung der Stadt im Jahre 1238 sarazenische Truppen einsetzte und daß er einen Gesandten sarazenischer Herkunft an den (freilich muslimischen) Hof von Tunis schickte.82 Wenn die deutschen und die italienischen Quellen über den Gesandtschaftsverkehr zwischen Hákon und Friedrich schweigen, so könnte dies auf die Struktur der Überlieferung zurückzuführen sein: Auch das Urkundenmaterial zur Geschichte des letzten Stauferkaisers basiert nahezu ausschließlich auf Empfängerüberlieferung83, und eine der Hâkonar saga vergleichbare Vita besitzen wir für Friedrich nicht. Doch gibt es mehrere, wenn auch entlegene Indizien, die den transkontinentalen Verkehr teilweise auch aus cisalpiner Sicht zu bestätigen scheinen. Einmal ist die von Rudolf Meissner erwogene Möglichkeit zu bedenken, daß der Verfasser des norwegischen Königsspiegels, der in seinem Werk Sizilien und Apulien vielleicht aus eigener Anschauung beschreibt, als Gesandter Hákons bei Friedrich war.84 Auch hat man vermutet, daß ein dreiköpfiges, die Dreifaltigkeit darstellendes Königshaupt aus Marmor, das lange Zeit in Bergen die Fassade von Svensgârden zierte und Stilmerkmale süditalienischer Plastik aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufweist, als Geschenk des Kaisers an seinen norwegischen Herrscherkollegen nach Norden gelangt sein könnte.85 Zum dritten liefert eine arabische Quelle einen kuriosen, aber vielleicht nicht

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gegen: vgl. die bei Kantorowicz 2 (wie Anm. 2), Exkurs 5, aufgeführten valetti imperatoris (S. 278, Nr. 21 f. jeweüs ein Mattheus, S. 283, Nr. 48 f. je ein Wilhelm). Vgl. Anm. 35 f. Vgl. Kantorowicz 1 (wie Anm. 2), S. 180, 264, 2, S. 69. Über das Registerfragment von 1239/40 aus Friedrichs Kanzlei vgl. Wilhelm E. Heupel, Schriftuntersuchungen zur Registerfiihrung in der Kanzlei Kaiser Friedrichs II. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 46, 1966, S. 1-90. Der Königsspiegel - Konungsskuggsjá, aus dem Altnorwegischen übersetzt von Rudolf Meissner, Halle/Saale 1944, S. 14 f., vgl. cap. 11, S. 62. Zur Frage des (unbekannten) Verfassers vgl. jetzt vor allem die plausible Hypothese im Beitrag von Rudolf Simek (in diesem Band) sowie Gerhard Rösch, Zur Bildung des Kaufmanns und Seefahrers in Nordeuropa. Zwei Texte des 13. Jahrhunderts. In: Hansische Geschichtsblätter 110,1992, S. 1741, der mediterranen Einfluß vermutet (S. 27). Für den Hinweis auf den Königsspiegel und für hilfreiche Gespräche danke ich Herrn Professor Peter Johanek (Münster). Vgl. Helle, Kongssete (wie Anm. 29), S. 663, Abb. S. 662.

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weniger überzeugenden Hinweis. Dem mit ihm befreundeten Sultan Al-Kamil von Ägypten oder aber seinem Bruder, dem Sultan von Damaskus hat Friedrich nämlich um 1233/34, wie zwei arabische Quellen bezeugen, einmal einen Eisbären zum Geschenk gemacht, der offenbar die Reise in den Orient wohlbehalten überstand.86 Wie aber war Friedrich an das in südlicheren Gefilden sonst nicht anzutreffende Tier gelangt? Daß es seinerseits ein Geschenk des norwegischen Königs an den Kaiser war, ist eine plausible Vermutung. Grönländische Eisbären gehörten zu den kostbarsten Geschenken nordischer Großer an Fürsten des Kontinents.87 Und von wem, wenn nicht von Hákon, sollte etwa jener Eisbär stammen, den König Heinrich ΙΠ. von England im Herbst 1252 aus Norwegen erhielt und der, wie es in einem königlichen Mandat heißt, nur mit Maulkorb und Eisenkette ausgeführt werden durfte und selbst noch mit einer starken Leine zu sichern war, wenn man ihn in der Themse Fische fangen ließ?88 In jedem Fall ist es auffällig, wie stark die Hákonar saga das gute Verhältnis zwischen beiden Herrschern betont Der englische König, zu dem Hákon doch weit intensivere Beziehungen gepflegt hat, wird dagegen kaum eines Wortes gewürdigt.89 Mag das Interesse des Norwegers am bereits zu Lebzeiten legendenumwobenen Stauferkaiser und seiner halborientalischen Hofhaltung noch einleuchten, so muß man einen Augenblick innehalten, um zu verstehen, was Friedrich daran gelegen haben könnte, die Botschaften aus dem fernen Land im Norden zu erwidern. Aus dem Norden kam nicht nur der weiße Bär, sondern der Norden war - und dies ist es, was für Friedrich zählte - die Heimat des weißen Falken, des Gerfalken. Friedrichs seinerzeit unvergleichliches, an Genauigkeit der Beobachtung erst in unserem Jahrhundert übertroffenes90 Werk über die "Kunst, mit Vögeln zu jagen" bedarf keiner näheren Erläuterung. In diesem seinem 1245 86 Vgl. Michele Amari, Storia dei musulmani di Sicilia. Hg. v. Carlo Alfonso Nallino, Catania 1938, Bd. 3.2, S. 662f. (mit S. 663 Anm. 1): Die Araber seien über sein löwengleiches Fell und seine Vorliebe für Fisch erstaunt gewesen. Vgl. auch Kantorowicz 1 (wie Anm. 2), S. 180, 2, S. 70 (in dem hier angeführten zusätzlichen Beleg aus der Chronik des Roger Wendover ist nur von Geschenken des Sultans Al-Kamil an Friedrich die Rede). Die Annahme von Abulafia (wie Anm. 2), S. 259, Friedrich habe diesen Eisbären im Norden für sich einfangen lassen, ist wohl doch allzu kühn. 87 Vgl. Gert Kreutzer, Von Isländern, Eisbären und Königen. Anmerkungen zur AudunNovelle. In: Trajekt 5, 1985, Stuttgart - Helsinki 1986, S. 95-108, hier S. 103 (S. 101 über ein Eisbärengeschenk von Isleif, dem eisten Bischof von Island, an Kaiser Heinrich ΠΙ.). Ich danke dem Verfasser für diesen Hinweis. 88 Calendar of the Liberate Rolls preserved in the Public Record Office, Henry ΠΙ., Bd. 3, 1251-1260, London 1959, S. 84 sowie S. 70 und 73; vgl. Helle, Anglo-Norwegian Relations (wie Anm. 33), S. 106 (auch über andere Geschenke Hákons an Heinrich). 89 Vgl. The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 249, S. 252, cap. 265, S. 272. 90 Erwin Stiesemann, Die Entwicklung der Ornithologie von Aristoteles bis zur Gegenwart, Berlin 1951, S. 10 f., vergleicht Friedrich Π. mit Konrad Lorenz.

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abgeschlossenen91 Falkenbuch charakterisiert er auch die Eignung einzelner Falkenarten für die Beizjagd. Der edelste aller Beizvögel, eben der Gerfalke, komme aus Island, einer Insel zwischen Grönland und Norwegen92, wie überhaupt der Kaiser alle Raubvögel aus der Polarzone wegen ihrer gesteigerten Gattungseigenschaften preist.93 Wenn Friedrich eigens Boten entsandte, um in Lübeck Falken für sich einkaufen zu lassen94, so wird er Tiere aus Island oder auch Grönland im Auge gehabt haben, die jedenfalls über Norwegen, eines der wichtigen Ausfuhrländer für Jagdfalken im Mittelalter95, nach Kontinentaleuropa exportiert wurden. Zwar spricht die Hákonar saga nur summarisch davon, daß Hákon dem Kaiser Dinge geschenkt habe, die im Süden schwer zu beschaffen seien96, doch dem englischen König hat Hákon mehrfach Falken zum Geschenk gemacht, und dem Sultan von Tunis soll er ebenfalls einmal Falken übersandt haben.97 Noch an einer weiteren Stelle in seinem Falkenbuch kommt Friedrich auf den Norden zu sprechen. Er habe einst - so schreibt er in seiner systematischen Vogelkunde des Ersten Buches - eigens Boten hoch in den Norden gesandt, um Nachforschungen über die geheimnisvolle Barnikelgans anzustellen.98 Die Bar-

91 Vgl. Baudouin van den Abeele, La fauconnerie dans les lettres françaises du ΧΙΓ au XIV' siècle, Leuven 1990, S. XVI. 92 Kaiser Friedrich der Zweite, Über die Kunst mit Vögeln zu jagen. Kommentar. Hg. v. Carl Arnold Willemsen, Frankfurt/Main 1970, S. 209 (aus der abweichenden Textfassung der Manfred-Handschrift): "quidam nidificant in insulis maris septentrionalibus, scilicet in altis rupibus ipsarum, videlicet in quadam insula, quae est inter Noroegiam et Gallandiam, et vocatur theutonice Yslandia et Latine interpretatur contrata seu regio glaciei, et isti sunt meliores omnibus aliis." 93 Vgl. ebd. S. 211 f. 94 Historia diplomatica Friderici Secundi. Hg. ν. J.-L.-A. Huillard-Bréholles, Bd. 5.2, Paris 1859, S. 749; vgl. Kantorowicz 2 (wie Anm. 2), S. 291. Bezeichnenderweise ist diese Nachricht nur im Registerfragment aus Friedrichs Kanzlei (vgl. oben Anm. 83) überliefert; dies läßt ahnen, dafi vielleicht weitere Quellen über Friedrichs Boten- und Gesandtschaftsverkehr nach Norden zugleich mit den Registern verloren sind. Aus dem Registerfragment geht im übrigen sehr klar hervor, welche Bedeutung die Falkneiei im täglichen Leben des Herrschers besaß; dazu auch Abulafia (wie Anm. 2), S. 260. 95 Vgl. Gisela Hofmann, Falkenjagd und Falkenhandel in den nordischen Ländern während des Mittelalters. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 88, 1957-58, S. 115-149. 96 Vgl. The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 191, S. 177. 97 Vgl. Helle, Anglo-Norwegian Relations (wie Anm. 33), S. 106, und Hofmann (wie Anm. 95), S. 140; The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 313, S. 338. 98 Für den Hinweis auf die Barnikelgans sowie für Literaturangaben danke ich Herrn Dr. Baudouin van den Abeele (Brüssel). Die für Friedrichs Forscherdrang ungemein charakteristische Stelle lautet (Friderici Romanorum Imperatoris Secundi De arte venandi cum avibus. Hg. v. Carolus Amoldus Willemsen, Lipsiae 1942, Bd. 1, S. 55): "Est et aliud genus an serum minonim diversorum colorum, albi scilicet in una parte corporis et nigri in alia

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nikelgans ist eines jener Wesen, die in der Vorstellungswelt des Mittelalters und der frühen Neuzeit eine jahrhundertelange Spur hinterlassen haben." Der Glauben an die aus (Treib-)Holz, also ungeschlechtlich entstehende und damit als Fastenspeise geeignete - und begehrte! - Bamikelgans beruhte auf dem Versuch, für zwei grundverschiedene zoologische Phänomene eine gemeinsame Erklärung zu finden: zum einen für das täuschend vogelartige Aussehen der Entenmuschel (Lepas fascicularis bzw. Lepas anatifera)100, die in der Tat als Treibholz etwa an die Nordseestrände angeschwemmt wird, und zum anderen für die bis an den Anfang unseres Jahrhunderts unbekannten Brutplätze der Ringelgans (Branta bermela bzw. Branta leueopsis). So war es nicht völlig abwegig, zwischen der Ringelgans und dem Holz der Entenmuschel eine Verbindung zu sehen - bis im Jahre 1907 erstmals Brutplätze der Ringelgans in Spitzbergen, später auch in Ostgrönland und im russischen Eismeergebiet ausfindig gemacht wurden.101 Friedrichs Expedition nach Norden war also, wie weit auch immer sie gelangte, ein wohlbegründetes, seinem forschenden Charakter entsprechendes Unternehmen.102 Die Naturbeobachtung und speziell die Falknerei, die Ablichtung eines Raubvogels zur Jagd und seine Unterwerfung unter den Willen des Jägers, war für Friedrich ein philosophisches und wissenschaftliches Thema; für seine Herrscherkollegen war die Beizjagd ein Sport, Teil der ritterlich-höfischen Lebensform. Besonders an den Höfen des romanischsprachigen Europa pflegte man die

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orbiculariter, que anseres dicuntur bemecle, de quibus neseimus etiam, ubi nidificant. Assent tarnen opinio quorundam eas nasci de arbore sicca. Dicunt enim, quod in regionibus septemtrionalibus longinquis sunt ligna navium, in quibus lignis de sua putretudine nascitur vermis, de quo venne fit avis ista, pendens per rostrum per lignum siccum, donec volare possit. Set diutius inquisivimus, an hec opinio aliquid veritatis continet, et misimus illuc plures nunüos nostras, et de illius lignis feeimus adferri ad nos, et in eis vidimus quasi coquillas adhérentes ligno, que coquille in nulla sui parte ostendebant aliquam formam avis, et ob hoc non credimus huic opinioni, nisi in ea habuerimus congruentius argumentum. Sed istorum opinio, ut nobis videtur, nascitur ex hoc, quod bemecle nascuntur in tarn remotis locis, quod homines nescientes, ubi nidificant, opinantur id, quod dictum est." Vgl. Edward Heron-Allen, Barnacles in nature and in myth, London 1928; Kaiser Friedrich der Zweite, Über die Kunst (wie Anm. 92), S. 115 f.; Christian Hünemörder, Artikel "Bamikelgans". In: Lexikon des Mittelalters 1, München - Zürich 1980, Sp. 1474 f. Vgl. Wulf Emmo Ankel, Das Märchen von den Entenmuscheln. In: Natur und Museum 92, 1962, S. 207-218, hier S. 208 f. Vgl. Heron-Allen (wie Anm. 99), S. XV. Die aus einem Codex des IS. Jahrhunderts stammende Nachricht, daß der Kaiser einmal Leute in regione Armenie Norvegie (sic) geschickt habe, um einen Versteinerungsquell zu erkunden (Ex Rogeii Bacon operibus. Hg. v. F. Liebennann, Hannover 1888 [= Monumenta Germaniae Histórica, Scriptores 28], S. 569-583, hier S. 571, Anm. 7), sei hier nur mit Vorsicht wiedergegeben. Kommentarlos bei Kantorowicz (wie Anm. 2), 1, S. 327, 2, S. 153.

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Kunst, mit Falken zu jagen.103 Im Norden war seit langem wohl der Wert der Beizvögel als Handelsware bekannt, doch begann man offenbar erst spät, die Beizjagd selbst zu betreiben. In Norwegen stammen die ersten Belege aus dem 13. Jahrhundert Neben dem Königsspiegel ist hier auch wieder die Hákonar saga zu nennen, die berichtet, daß Hákons gleichnamiger Sohn sich bei der Jagd mit einem Falken 1257 eine tödliche Krankheit zugezogen habe.104 Doch die Beizjagd, die also auch am Hof des norwegischen Königs ausgeübt wurde, war keineswegs die einzige Verbindung Norwegens zur höfischen Welt Kontinentaleuropas. Hákon fand als erster norwegischer König vollen Anschluß an den Kreis seiner Herrscherkollegen im Westen und Süden. Von seinen Beziehungen zu Heinrich ΠΙ. von England, zu Friedrich Π., Papst Innocenz IV. und dem Sultan von Tunis war bereits die Rede. Den weitgespannten Horizont der Außenbeziehungen Norwegens zeigt auch die Absicht König Ludwigs des Heiligen von Frankreich, zusammen mit Hákon einen Kreuzzug zu unternehmen und jenem dabei den Befehl über die Hotte zu übertragen - ein Plan, für den er den Norweger allerdings nicht gewinnen konnte.105 Zu erinnern ist schließlich an die von König Alfons dem Weisen von Kastilien angeregte Eheverbindung zwischen Hákons Tochter Kristina und einem seiner Brüder nach ihrer eigenen Wahl. Zum Geleit seiner Tochter soll Hákon eine mehr als hundertköpfige Gesandtschaft nach Spanien aufgeboten haben.106 Doch schon vor seiner Anerkennung durch die ersten europäischen Herrscher hat sich Hákon an Vorbildern des Südens orientiert. Seit den 1220er Jahren entstand bekanntlich die von ihm angeregte, unter seinen Nachfolgern fortgeführte Serie von volkssprachlichen Übersetzungen der französischen höfischen Literatur.107 Hákon selbst hat - dies ist in diesem Zusammenhang hervor103 Vgl. Hofmann (wie Anm. 95), bes. S. 115 f., 132, 138; van den Abeele (wie Anm. 91). 104 Der Königsspiegel (wie Anm. 84), cap. 55, S. 208; The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 288, S. 301. 105 Matthaei Parisiensis Chronica Majora (wie Anm. 34), Bd. 4, S. 651 f. Matthäus hatte Hákon den Brief Ludwigs persönlich überbracht, vgl. auch Hilpert (wie Anm. 34), S. 35 f. 106 The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 290, S. 302 f., cap. 294, S. 311-315; vgl. dazu Gelsinger, Norwegian-Castilian Alliance (wie Anm. 65), der (bes. S. 69 f., Anm. 1-3) auch Angaben zur spanischen Überlieferung macht. Der Bericht ist im Kern nicht zu bezweifeln. Vincent Almazan, Translations at the Castilian and Norwegian courts in the thirteenth century: parallels and patterns. In: Mediaeval Scandinavia 12, Odense 1988, S. 213-232, hier S. 213, Anm. 2, hebt hervor, daB er 29 spanische Ortsnamen enthält. 107 Vgl. Leach (wie Anm. 55), S. 149-158, und passim; E. F. Halvorsen, The Norse version of the Chanson de Roland, K0benhavn 1959 (= Bibliotheca Arnamagnxana 19), S. 9; Helle, Norge (wie Anm. 1), S. 246; Almazan (wie Anm. 106); allgemein vgl. Les relations littéraires franco-scandinaves au Moyen Age. Actes du Colloque de Liège (avril 1972), Paris 1975 (= Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l'Université de Liège 208). Mit den großen französischen Versromanen gelangten im übrigen auch die in ihnen enthal-

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zuheben - sein Land offenbar niemals in Richtung Westen oder Süden verlassen, mit Ausnahme der Orkney-Expedition, auf der er den Tod fand. Wie man seine Motive auch gewichten mag, ob es ihm mehr um Erziehung oder um Unterhaltung der Hofgesellschaft ging, fest steht, daß er sich von den Schilderungen des fremdländischen höfischen Lebens, der Rolle von König und Gefolgschaft einen förderlichen Einfluß auf die Mannen in seiner Umgebung versprach. Hákon, den Matthäus Parisiensis bene litteratus nennt108, bediente sich der höfischen Literatur gewiß ein Stück weit zur Repräsentation seines Königtums nach innen, ähnlich wie er es durch reich ausgestattete Gesandtschaften nach außen zu vertreten wußte. Wie stark beide Seiten gerade am Hof Hákons als zusammengehörig empfunden wurden, zeigt die folgende Stelle aus dem Königsspiegel: "Es kann sich auch oft ereignen, daß höfische Gesandte aus andern Ländern zum Könige und seiner Gefolgschaft kommen und um so genauer seinen Dienstbetrieb und seine und seiner Gefolgschaft höfische Art beobachten [...]. Und wenn sie wieder heim in ihr Land kommen, da schildern sie die Sitten [...]. Alle Kunde, die zu andern Ländern gelangt und über Fürsten verbreitet wird [...], gereicht oft entweder zu Hohn und Spott oder zur Ehre."109 In diesem Sinne ist es bezeichnend, daß die Hákonar saga nicht selten mehr Angaben zu den Formen als zu den Inhalten von Gesandtschaften enthält, daß sie das Überbringen von Geschenken mindestens ebenso aufmerksam notiert wie die jeweiligen politischen Hintergründe. Der Aufwand des diplomatischen Verkehrs war in den Augen ihres Verfassers Starla Pöröarson - und man darf sagen: auch für Hákon selbst - ein Mittel, um sein Land an die Höfe West- und Südeuropas heranzuführen und etwa jene Lügen zu strafen, die dem päpstlichen Legaten Wilhelm von Modena in England vor seiner Überfahrt nach Norwegen erzählt hatten, er werde dort kaum Fleisch zu essen und allenfalls saure Milch zu trinken bekommen.110 Hákon verkörpert ähnlich wie sein Sohn Magnus einen neuen Herrschertypus des 13. Jahrhunderts, in mancher Hinsicht vergleichbar mit Ludwig dem Heili-

tenen Berichte über die Ausübung der Falknerei nach Norwegen. Zur Sache grundlegend van den Abeele (wie Anm. 91) (vgl. auch ebd. S. 2 f., 36, über Sone de Nansai in Norwegen). 108 Matthaei Parisiensis Chronica Majora (wie Anm. 34), Bd. 4, S. 652. Anlaß von Matthäus' Äußerung ist Hákons selbständige Lektüre des Briefes, den ihm König Ludwig hatte zukommen lassen. Auf seinem Sterbebett ließ Hákon sich zunächst lateinische Bücher vorlesen, hatte jedoch Mühe, dem Text zu folgen, und hörte dann, Tag und Nacht, die heimische Sagaliteratur: The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 329 f., S. 366 ff. Zu Hákons Bildung auch Leach (wie Anm. SS), S. 149 f. 109 Der Königsspiegel (wie Anm. 84), cap. 29, S. 111. 110 The Saga of Hacon (wie Anm. 46), cap. 249, S. 252.

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gen, Eduard I. von England, Alfons dem Weisen und eben Friedrich Π. Von Friedrich hat Jacob Burckhardt in berühmter Überspitzung gesagt, er habe den Staat als bewußt gestaltetes Kunstwerk verstanden. Dieses Diktum darf man cum grano salis auch auf die genannten Herrscherpersönlichkeiten beziehen, die, selbst gebildet, in ihren Reichen schriftliche Verwaltungs- und Rechtsgrundlagen einführten111 und ihr Königtum mit neuem Machtbewußtsein repräsentierten, an deren Höfen aber auch eine ähnliche Etikette gepflogen und verwandtes Erzählgut tradiert wurde. Wir haben den Überblick über die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den Reichen Hákons und Friedrichs mit der Betonung des höfischen Elements in Hákons Selbstverständnis abgeschlossen und sind damit an denselben Punkt gelangt, den die Literaturwissenschaft durch die gemeinsame Betrachtung von Pidreks saga und Königsspiegel längst erreicht hat112 Es bleibt noch eine kurze Anmerkung zur Frage, was die wirtschaftliche und die politisch-kulturelle Ebene, den Horizont niederdeutscher Fernkaufleute und die Welt germanischen ritterlichen Heldentums, die in der PiÖreks saga zutage tritt, miteinander verbunden haben könnte. Zunächst war der Norden Deutschlands in frühhansischer Zeit keineswegs eine ritterfremde Landschaft, wie man es im Vergleich zu Oberdeutschland vielleicht annehmen möchte. Rittertumiere wurden im 13. Jahrhundert auch in den jungen norddeutschen Städten abgehalten, und die höfische Literatur erlebte um die Wende zum 14. Jahrhundert im Norden des Reiches geradezu eine Blütezeit.113 Vor allem aber bot sich von hier aus in der nordosteuropäischen Siedlungs-, Missions- und Kreuzzugsbewegung eine säkulare gemeinsame Handlungsperspektive für Adel und Kaufmannschaft gerade auch aus Westfalen. An den Kreuzfahrten nach Livland beteiligten sich nicht nur niederdeutsche Ritter, sondern auch "die Führungsschicht des Städtebürgertums wichtiger westfälischer Städte und Lübecks".114 Bremer Ministerialen besetzten

111 Über die Gesetzgebung unter Hákon vgl. Helle, Norge (wie Anm. 1), S. 226. Erst mit Hákons Sohn Magnus Lagab0ter ("Gesetzesverbesserer") freilich begann eine neue Ära der Gesetzgebung. - Burckhardts Diktum in: Ders., Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Hg. v. Werner Kaegi (= Jacob Burckhardt-Gesamtausgabe S), Berlin - Leipzig 1930, erster Abschnitt. Kritisch dazu Reichert (wie Anm. 5), S. 23. 112 Vgl. Uwe Ebel, Die RÖreks saga als Dokument der norwegischen Literatur des dreizehnten Jahrhunderts. In: Niederdeutsches Wort 21, 1981, S. 1-11. 113 Vgl. Werna1 Paravicini, Rittertum im Norden des Reichs. In: Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters. Akten des Kolloquiums, veranstaltet zu Ehren von Karl Jordan, 1907-1984. Hg. v. Werner Paravicini, Sigmaringen 1990 (= Kieler Historische Studien 34), S. 147-201, hier S. 160 f., 164 f. 114 Bemd Ulrich Hucker, Die imperiale Politik Kaiser Ottos IV. im baltischen Raum und ihre personellen und materiellen Grundlagen. In: Visby-Colloquium des hansischen Geschichtsvereins, 15.-18. Juni 1984. Hg. v. Klaus Friedland, Köln - Wien 1987 (= Quellen und

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nicht nur Schlüsselpositionen in Livland115, sondern waren auch als Kaufleute tätig.116 In Lübeck, wo man über Rittertumiere nicht viel Gutes zu berichten hatte117, fanden dennoch die Abenteuer Herzog Heinrichs von Mecklenburg und seines Knappen Martin während ihrer 26jährigen Gefangenschaft beim Sultan von Babylon ihr Publikum: Ende des 13. Jahrhunderts wurde dieser Erzählstoff aus einer offenbar gereimten Vorlage in mittelniederdeutscher Sprache in die sogenannte Chronik des Albrecht von Bardowieck übernommen.118 Bei Heinrich dem Löwen war es seine Palästinareise von 1172, die man zur Fabel ausgeschmückt im Norden nicht nur noch nach Jahrhunderten erzählte, sondern die um 1230 vielleicht schon bis nach Island gelangt war.119 Die geographische Spannweite der PiÖreks saga zwischen Süd und Nord, West und Ost bot sowohl reisenden Kaufleuten wie auch Kreuzfahrern einen gemeinsamen Erlebnishintergrund. Gerade Stoffe aus dem Süden besaßen im Norden allemal eine Anziehungskraft, die zur Sagenbildung beinahe genügte und neben der die Frage des Rezipientenkreises fast in den Hintergrund tritt. Dietrich von Bern wurde nach dem Bericht der Kölner Königschronik bekanntlich im Winter 1197/98 im Moselgebiet gesichtet120, und Friedrich II. selbst kehrte, nachdem

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Darstellungen zur hansischen Geschichte, N. F. 32), S. 41-65, hier S. 64. Zur Herkunft livländischer Ritterbrüder aus Westfialen vgl. jetzt Sonja Neitmann, Von der Grafschaft Mark nach Livland. Ritterbrüder aus Westfalen in livländischen Deutschen Orden, Köln Weimar - Wien 1993 (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 3); Ritterbrüder im livländischen Zweig des Deutschen Ordens. Hg. v. Lutz Fenske - Klaus Militzer, Köln - Weimar - Wien 1993 (= Quellen und Studien zur baltischen Geschichte 12). Vgl. Hucker (wie Anm. 74), S. 184. Bremisches Urkundenbuch. Hg. v. D. R. Ehmck - W. v. Bippen, Bd. 1, Bremen 1873, Nr. 172, S. 205: keine Heeresfolge für Kaufleute beim Stedingerzug Bischof Gerhards, "exceptis illis mercatoribus, qui vel tamquam ministeriales vel tamquam homines ecclesie ab ecclesia sunt infeodati, quorum quilibet ad expeditionem ecclesie evocatus servicium suum per unum hominem poterit redimere competenter armis instructum." Vgl. Paravicini (wie Anm. 113), S. 161 f. Vgl. Karl Koppmann, Zur Geschichtsschreibung der Hansestädte vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. In: Hansische Geschichtsblätter [1], 1871, S. 55-84, hier S. 71 f. Vgl. Karl Jordan, Heinrich der Löwe. Eine Biographie, München 1979, S. 258 f.; Helge Gemdt, Das Nachleben Heinrichs des Löwen in der Sage. In: Heinrich der Löwe. Hg. v. Wolf-Dieter Mohrmann, Göttingen 1980 (= Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archiwerwaltung 39), S. 440-465, hier S. 447. Chronica regia Coloniensis. Hg. v. Georg Waitz, Hannoverae 1880 (= Monumenta Germaniae Histórica, Scriptores rerum Germanicarum in us um scholarum [18]), S. 159.

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er gleich Dietrich von der Hölle des Ätna verschlungen ward, in der Kaisersage wieder nach Deutschland zurück.121

121 Vgl. Fedor Schneider, Kaiser Friedrich II. und seine Bedeutung für das Elsaß. In: ElsaßLothringisches Jahrbuch 9,1930, S. 128-155, hier S. 149-155; Kantorowicz 1 (wie Anm. 2), S. 630 f. Zur Dietrich-Rezeption im Mittelalter aus historischer Sicht vgl. Franti Sek Graus, Lebendige Vergangenheit Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln - Wien 1975, S. 39-48.

II. Zur PiÖreks saga

Die Erzählstruktur des Velentspâttr VON EDITH MAROLD

Jedem, der die beiden großen Gestaltungen des Wielandstoffes, die Vplundarkviöa und den Velentspâttr der PiÖreks saga, miteinander vergleicht, wird der bedeutende Unterschied zwischen beiden ins Auge fallen. Abgesehen von den beiden Hauptmotiven, der Lähmung des Schmiedes und seiner grausamen Rache, haben wir es mit völlig unterschiedlichen Handlungen zu tun, was vor allem für den Anfang und das Ende gilt. Auch die Relationen der Protagonisten zueinander unterscheiden sich. Die wesentlichsten Unterschiede seien hier genannt: 1. Die Schwanenjungfrau-Fabel fehlt im Velentspâttr. An ihre Stelle tritt eine Erzählung über Velents Abstammung und Jugend, über den Erwerb seiner Schmiedekunst bei den Zwergen. 2. Velent kommt im Gegensatz zu Vplundr freiwillig an den Hof des Königs und bemüht sich um eine Karriere bei Hof, die durch andere Höflinge behindert wird und die schließlich mit einem jähen Sturz und der Verbannung endet, was ebenfalls durch die Intrige eines Höflings, des Truchsess', bewirkt wird. 3. Die Lähmung ist im Velentspâttr Strafe für ein Vergehen Velents, der sich für die Vorenthaltung des ihm seiner Meinung nach zustehenden Lohnes - die Hand der Königstochter und das halbe Reich - zu rächen versucht hatte. 4. Am Ende des Velentspâttr steht nicht ein vernichteter König mit seiner weinenden, geschändeten Tochter wie in der VçlundarkviÔa, sondern es gibt unglaublich genug nach Velents grausamer Rache - ein "happy end". Der König stirbt, Velent söhnt sich mit seinem Nachfolger aus und heiratet Bgövild. Wie an diesen Unterschieden deutlich wird, ist die Tragik der VplundarkviSa völlig geschwunden, die grausame Rache des Schmiedes ragt fast wie ein erratischer Block hinein in eine veränderte Landschaft, in der es eigentlich um ganz andere Dinge geht als um Entführung, Verstümmelung und grausame Rache. Hier sind wir am Hof eines hochmittelalterlichen Königs mit all seinen Höflingen, das eigentliche Ziel der Handlung ist nicht mehr die Rache, sondern der Gewinn der Königstochter. Bisher ist der Velentspâttr fast immer als eine Art Steinbruch benützt worden, in dem man die Fossilien älterer Vorstufen der Wielandsage zu suchen pflegte. Doch im Zug einer neuen Bewertung der PiÖreks saga, die diesem Werk nicht

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nur den Charakter einer riesigen Kompilation von Stoffen zuschreibt, sondern versucht, hinter ihrer Erzählstruktur einen bestimmten Sinn aufzudecken, wie es z. B. die Arbeiten von Th. Andersson1 tun, sollte man auch für die kleineren Abschnitte versuchen, sie als Neugestaltungen alter Stoffe im Geiste des Hochmittelalters zu verstehen. Für meine Betrachtung möchte ich den Ausgangspunkt in einem Aufsatz von Wolfgang Mohr, "Wandel des Menschenbildes in der mittelalterlichen Dichtung"2 suchen, wo er die Veränderung des Heldenbildes mit folgenden Worten beschreibt: "An die Stelle der heroischen Fabeln treten anekdotische und novellistische Themen. Jetzt wird es erzählenswert, wie ein Mensch sich im Widereinanderspiel der Gesellschaft durchsetzt, wie er sich geschickt aus der Klemme zieht, oder umgekehrt, wie sich der Ungeschickte blamiert und der Spitzbube entlarvt wird." Dieser Wandel des Menschenbildes zeigt sich nicht nur in der Gestaltung der Figuren der Dichtung, sondern auch in der Erzählstruktur, die damit nicht bloße Organisation von Handlung, sondern zugleich auch Vermittler von Sinn ist Unter diesem Aspekt möchte ich nun genauer auf die Erzählstruktur des Velentspâttr eingehen.

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Vgl. Theodore Andersson, An interpretation of MÖreks saga. In: Structure and Meaning in Old Norse Literature. Hg. v. John Lindow, Lars Lönnroth, Gerd W. Weber, Odense 1986, S. 347-377. Wolfgang Mohr, Wandel des Menschenbildes in der mittelalterlichen Dichtung. In: Wirkendes Wort, 1. Sonderheft, 1952, S. 37-48. Wiederabdruck in: Wirkendes Wort, Sammelband Π, Düsseldorf 1962, S. 127-138, hier S. 130.

Die Eizählstruktur des Velentspáttr

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Der Velentspáttr3 läßt sich in sieben Erzählabschnitte gliedern4: Jugend Fahrt zum Königshof - Aufstieg - Fall - Rache - Flucht - Versöhnung. Man kann sie als symmetrische Anordnung um Aufstieg, Fall und Rache als Zentrum verstehen. Es wird umgeben von zwei Einheiten, die die Bewegung zum Königshof hin und vom Königshof weg darstellen. Jugend und Versöhnung können als Ausgangspunkt bzw. Ziel in Velents eigener Welt - Seeland - gedeutet werden. Der Abschnitt "Jugend" dient vor allem dazu, Velent mit seinen besonderen Fähigkeiten auszustatten: Er erlernt die Kunst des Schmiedens bei den Zwergen und erwirbt dabei auch die materiellen Grundlagen dafür, d. h. das Handwerkszeug und das Material, Silber und Gold. Seine Fähigkeit als geschickter Handwerker ermöglicht ihm den "Weg zum Königshof' und die "Flucht" von dort. Beide Wege legt er auf außergewöhnliche Weise zurück: den Weg hin in dem wunderbaren Einbaum mit den Glasfenstern, den er sich schnitzt. Die Fahrt zum Königshof geschieht nicht aufgrund eines Beschlusses, sondern ist das Ergebnis eines Sich-dem-Zufall-Überlassens, da der Weg in die Heimat durch den Fluß verwehrt ist. Der "Weg zurück", die Flucht nach der Rache, geschieht ebenfalls mit einem technischen Wunderwerk, den Flügeln. Und nun zum Zentrum: Den Aufstieg am Königshof verdankt Velent ebenfalls seinen ungewöhnlichen Fähigkeiten3 und er erfolgt in Konkurrenz mit anderen

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Der Velentspáttr ist in beiden Redaktionen der Pidreks saga enthalten, in Mb2 und in den isländischen Hss. A und B. Die Abweichungen sind im allgemeinen gering, vgl. Jan de Vries, Betrachtungen zum Wielandabschnitt in der PiÔrekssaga. In: Arkiv för Nordisk Filologi 65, 1951, S. 63-93, der das Verhältnis der Redaktionen einer eingehenden Untersuchung unterzogen hat. Die Eizählstruktur wird von den redaktionellen Unterschieden nur selten berührt. Wenn dies der Fall ist, wird an entsprechender Stelle darauf eingegangen. Es gibt bisher kaum einen Versuch, eine stimmige Gliederung für den Velentspáttr zu erstellen. Meist sah man darin ein Gemisch von verschiedenen allmählich zusammengekommenen Motiven wie z. B. Jan de Vries, Bemeikungen zur Wielandsage. In: Edda - Skalden - Saga. Festschrift Genzmer. Hg. v. Hermann Schneider, Heidelberg 1952, S. 173-199. Ein erster Versuch einer Gliederung stammt von Robert Nedoma, Die bildlichen und schriftlichen Denkmäler der Wielandsage, Göppingen 1988 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Hg. von Ulrich Müller u.a., Nr. 490), S. 210 ff. Nedoma gliederte den Páttr in vier Abschnitte: Einer Einleitung (Jugend) folgt ein Abschnitt, den er "Velent als vielseitiger Künstler" nennt, dann die Rache und schließlich der Schluß. Diese Untergliederung zeigt deutlich, daß sie noch von der Vçlundarkviôa beeinflußt ist. Der Hauptunterschied zwischen dieser und der hier vorgelegten Gliederung liegt in der Wertung der Schmiedekunststücke Velents (s. dazu u. S. 56f.). In der Bewertung der Schmiedekunstwerke Velents, die hier dem Thema "Aufstieg am KönigshoF zugeordnet werden, liegt einer der wesentlichen Unterschiede zu der von Nedoma (wie Anm. 4), S. 210 vorgelegten. Er sieht in diesem Abschnitt nur eine Reihe von Episoden, in denen sich Velent als hervorragender Künstler erweist, und spricht von einer "gewissen Arbitrarität in der Montage der einzelnen Erzählsegmente" (S. 210). Da er in diesen Abschnitt

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Höflingen, die seinen Aufstieg verhindern wollen. Die erfolgreiche Karriere Velents hat die Form eines Wettkampfes mit dem Schmied des Königshofes, Amelias. Ausgangspunkt ist die Entdeckung der Schmiedekunst Velents, dadurch daß er ein verlorenes Messer durch ein neues von außerordentlicher Qualität ersetzt Das Lob des Königs führt zum Angebot des Wettkampfes durch den eifersüchtigen Hofschmied. Als hinderndes Moment tritt der Verlust bzw. der Diebstahl der Werkzeuge auf, was wiederum durch Velents Kunst überwunden wird - die Anfertigung der Statue des Diebes, die zu seiner Entdeckung führt. Mit den wiedergewonnenen Werkzeugen kann Velent das Schwert Miming schmieden und die Wette einlösen, was gleichzeitig den Tod seines Kontrahenten bedeutet. Diese Ereignisse vollziehen sich ständig unter den Augen des Königs, spiegeln sich in einem Auf und Ab in seiner Gunst. R. Nedoma6 faßt den Abschnitt von der "Unterwasserfahrt" bis zur "SpeisenVerunreinigung" als einen Abschnitt zusammen, der "zur Illustration der außergewöhnlichen Fähigkeiten Velents" (S. 224) diene. Die Episoden seien so strukturiert, daß "am jeweiligen Ausgangspunkt eine unangenehme Situation [stehe], aus der Velent einen Ausweg durch wundersame Taten (mit Hilfe wundersamer Dinge) findet und dadurch das Wohlwollen König NiÖungs erringt" (S. 225). Gewiß demonstriert Velent seine außergewöhnlichen Fähigkeiten - aber das findet mit der Küchenepisode kein Ende. Man könnte hier ohne weiteres auch die Flucht vom Hof NiÖungs integrieren: Die Verstümmelung und Gefangenschaft wären als "Bedrängnis" zu bewerten, das "Kunststück" wäre die Herstellung der Flügel, das "Lob" würde allerdings fehlen, es sei denn, man würde NiÖungs Ausruf "Er tv ην fvgl velent morg vndr gerir JDV af f>er." (S. 128f.)7 dahingehend interpretieren. Die Darstellung der wunderbaren Fähigkeiten Velents zieht sich über den ganzen l>áttr hin und ist deshalb ungeeignet, einen einzelnen Abschnitt zu charakterisieren. Darüber hinaus unterscheiden sich die letzten beiden von Nedoma genannten Unterabschnitte - der "Siegsteintransport" und die "Speisenverunreinigung" ganz deutlich von den ersten vier: Weder betätigt sich Velent

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auch den Fall Velents einbezieht, ergibt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit, die er mit "der Wirkung gegenläufig gerichteter Gestaltungsfaktoren" begründet (S. 212): "das Handlungsschema verlangt die Darstellung eines Kunststückes Velents nebst folgendem Prestigegewinn, der Handlungsablauf der Gesamtgeschichte gerade das Gegenteil" (ebd.). Das alles ist nicht nötig, wenn man diesen Abschnitt in die Teile "Aufstieg" und "Fall" unterteilt Zur genaueren Abgrenzung dieses Abschnitts, s. u. Nedoma (wie Anm. 4), S. 224 ff. Der Velentspáttr wird nach der Redaktion Mb2, nach der Ausgabe von Henrik Bertelsen, RSriks saga af Bern. Udg. for Samfund til Udgivelse af Gammel Nordisk Litteratur, K0benhavn 1905-11 (= SUGNL XXXIV), zitiert.

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hier im Bereich seiner Schmiedekunst, noch kann er sich damit das Lob des Herrschers erringen. NiÖungr versagt ihm den versprochenen Lohn für die Überbringung des Siegsteins und der Anschlag Velents durch die Speisen führt zur Strafe der Lähmung. Ganz abgesehen davon, daß der svile im Essen nichts zur Lösung der Bedrängnis der Verbannung beitragen kann. So muß auch Nedoma zugeben: "Gegen Ende dieses Abschnitts ('Velent als vielseitiger Künstler') funktioniert das angeführte Gestaltungsschema nicht mehr klaglos" (S. 225). Wegen der im ganzen Werk präsenten Darstellung der Künste Velents und der Schwierigkeiten mit der Episodenstruktur "Bedrängnis - "Kunststück" - "Lob" ist der Schluß zu ziehen, daß eine andere Untergliederung gesucht werden muß. Genauere Lektüre führt zu der Erkenntnis, daß Velents wunderbare Fähigkeiten nicht in einer Reihe willkürlich angeordneter Episoden um ihrer selbst willen dargestellt werden, sondern einem anderen Ziel dienen: nämlich Velent eine ruhmvolle und ehrenvolle Position am Hof des Königs einzubringen. Sie scheitern aber an der Intrige des Truchsess'. Daraus ergibt sich die große Gliederung: "Aufstieg mit Hilfe der wunderbaren Fähigkeiten" und "Fall durch die Intrige der Höflinge". Der erste Teil, der "Aufstieg", ist keineswegs durch "die Episodenhaftigkeit" charakterisiert, die "eine gewisse Arbitrarität in der Montage der einzelnen Erzählsegmente bedingt" (Nedoma S. 211). Die Episoden selbst, meint Nedoma, seien "mehr oder weniger in sich geschlossen, wobei die relativ schwachen wechselseitigen handlungstechnischen Beziehungen keine stringente Handlungsabfolge bedingen" (ebd.). Eine genaue Betrachtung zeigt das Gegenteil: Der Aufstieg Velents am Königshof wird in mehreren Spannungsbögen, die ineinander verschachtelt sind, erzählt: Er beginnt mit der Ankunft in NiÖungs Land und dem Verstecken der Geräte, das nicht weiter erklärt wird. Sodann wird Velents erste Bewährung erzählt: der Verlust des Messers und Herstellung eines neuen, sie führt zur Aufdeckung seiner großen Schmiedekunst Seinem Aufstieg stellt sich nun die lebensgefährliche Wette des konkurrierenden Goldschmieds entgegen. Die versteckten Geräte erweisen sich nunmehr als Hindernis, das zunächst beseitigt werden muß. Der erste Versuch, den Dieb in der Hofversammlung zu entdecken, schlägt fehl und trägt Velent zudem die Ungnade des Königs ein. Ein zweiter Versuch, die Herstellung einer täuschend ähnlichen Statue des Diebes ist einerseits ein neuer Beweis seiner Kunstfertigkeit, bringt ihm seine Werkzeuge wieder und auch die Gunst des Königs. Mit den Werkzeugen kann er sein berühmtes Schwert Miming schaffen und die Wette gewinnen. Graphisch dargestellt sieht der Handlungsverlauf folgendermaßen aus:

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Ankunft in NiÖungs Land Verstecken der Geräte Bewährung (Messerverlust und Herstellung eines neuen)

OFFENBARUNG DER KUNSTFERTIGKEIT

Wette mit Amelias, dem Goldschmied

WETTKAMPF

Verhinderung der Arbeit durch die versteckten Werkzeuge

BEHINDERUNG

Wiedergewinnung des Werkzeugs

BESEITIGUNG DER BEHINDERUNG

1. Versuch, auf der Hofgesellschaft den Dieb zu entdecken, schlägt fehl

FEHLSCHLAG

2. Versuch, durch die Herstellung der Reginn-Figur den Dieb zu entdecken, hat Erfolg

ERFOLG

Herstellung des Miming

SIEGREICHE AUSFÜHRUNG DES WETTKAMPFS

Gewinn der Wette Die Episoden sind alle streng miteinander verflochten, wenn man sie von ihrer Funktion her beurteilt. Man könnte also folgende funktionelle Gliederung dieses Abschnitts vorschlagen: I. Offenbarung der Schmiedekunst Velents (Schmieden eines Messers und eines Nagels) Π. Bewährung im Wettkampf mit dem bisherigen Hofschmied. Dieser Abschnitt ist gekennzeichnet dadurch, daß Velent ein Hindernis beseitigen muß: das Fehlen der Werkzeuge. In der Beseitigung dieses Hindernisses erleidet er zunächst einen Fehlschlag, dann hat er Erfolg. Die Bewährung selbst könnte unterteilt werden in die Herstellung der Waffen und ihre Erprobung, die zum Erfolg und zum Abschluß dieses Abschnitts und zugleich des Abschnittes "Aufstieg am Königshof' führt.

Die Erzählstniktur des Velentspâttr

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Die Handlung hat nun einen Höhepunkt erreicht, Velent steht in höchster Gunst am Königshof und sein Ruhm als geschicktester Schmied verbreitet sich im ganzen Norden. Von dieser Höhe erfolgt nun der Fall. Fall bedeutet hier: Ungnade des Königs und Verbannung. Verursacht wird der Fall zunächst wiederum durch einen Höfling, den Truchsess: Er will Velent den Siegstein nehmen, den dieser in einem unglaublichen Ritt für den König geholt hatte, der dem seine Tochter versprach und das halbe Reich, der ihm diesen Stein überbringe. Velent tötet in Selbstverteidigung diesen Truchsess. Der König nimmt nun zwar den Stein entgegen, aber er hält sein Versprechen nicht, sondern verbannt Velent vom Hof wegen der Tötung des Truchsess'. Die Entscheidung, wo der Abschnitt Rache beginnt, ist nicht ganz einfach. Der Stofftradition folgend würde man dazu neigen, ihn mit der Tötung der Söhne beginnen zu lassen. Dann bliebe jedoch der Abschnitt isoliert, wo Velent das Essen am Königshof mit einem svik, einem Betrug, wie es die Saga nennt, versieht. Die Stelle ist nicht ganz klar und zudem weichen die beiden Varianten Mb2 und AB beträchtlich voneinander ab. Mb2 bietet die einfachere Version: Velent schleicht sich in die Küche des Königshofs und beteiligt sich an der Bereitung des Mahles. Bei Tisch erkennt die Prinzessin durch ihr Zaubermesser, das erklingt, "Jjegar er nocqvat var oreint imatnom", daß "svic ero gor i matinn" (S. 113). Daraus ist nicht sicher zu erkennen, was Velent mit der Mahlzeit vornahm. War sie vergiftet? Die isländischen Redaktionen AB erzählen eine verwickelte Geschichte, erst von der Vertauschung des Zaubermessers der Prinzessin mit einer von Velent hergestellten täuschend ähnlichen Kopie, dann der Verunreinigung, die hier als Liebeszauber gedeutet wird und schließlich der Aufdeckung, weil das Messer nicht erklingt. Jan de Vries hat m. E. zu Recht die isländische Fassung als wenig folgerichtige Bearbeitung eines "beschränkten und kurzsichtigen Kopfes" bewertet, die versuche, Velent noch einmal als kunstfertigen Schmied auftreten zu lassen, indem sie auf ein Motiv des Anfangs (Messertausch) zurückgriff, dann aber bei der Aufdeckung zu unwahrscheinlichen Begründungen greifen mußte.8 Dennoch bleibt die Frage, ob der svik auch in Mb2 schon als Liebeszauber gedacht war. Eine solche Interpretation scheint jedenfalls die Logik der Handlung für sich zu haben.9 Velent versucht durch Zauber zu erreichen, was ihm verwehrt wurde. Allerdings wäre zu bedenken, daß ein Liebeszauber Velent zwar die Liebe der Prinzessin, nicht aber unbedingt ihre Hand und schon gar nicht das halbe Königreich eingetragen hätte. Die Hand-

8 9

De Vries (wie Anm. 3), S. 87f. So sieht das auch de Vries (wie Anm. 3), S. 88.

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lungslinie, die ja — vom Ganzen der PiÒreks saga her gesehen - auf eine Karriere bei Hof mit dem Höhepunkt der Gewinnung einer Gattin angelegt ist10, könnte so schwerlich weitergeführt werden. Deswegen, und weil ihn Mb2 nicht erwähnt, halte ich es für möglich, daß der Liebeszauber eine spätere Interpretation eines Vergiftungsversuchs als erste Racheaktion sein könnte.11 Jedenfalls führt diese Handlung Velents dazu, daß ihm die Kniesehnen durchgeschnitten werden und ihm schließlich als Gnadenerweis des Königs gestattet wird, für ihn in einer Schmiede arbeiten zu dürfen. Die Frage, wie dieser Abschnitt im Hinblick auf die Erzählstruktur interpretiert werden kann, läßt sich durch ein Textsignal beantworten: Das vorangehende Kapitel mit der Ächtung Velents wegen der Tötung des Truchsess' zeigt am Ende deutlich an, daß ein Abschnitt zu Ende geht. Es heißt dort am Schluß: "oc liÖr sva vm riöar sakir. at engi maör veit hvar velent var kominn. en niövngr konongr er heima i sino riki." (S. 112) Und der neue Abschnitt beginnt: "Velent likar nv allilla fengit nv konongs reiÖi oc sialfr er hann friölavss hyggr nv til hemda [...]" (Ebd.)12 Diese Rache besteht zunächst darin, daß er sich unerkannt in die Küche des Hofes begibt und dem König und seiner Tochter irgendeinen Schaden mit dem Essen zuzufügen versucht. Für den Velentspáttr beginnt die Rache Velents also bereits hier, und die Lähmung ist eine Folge der ersten mißlungenen Rache. Diese Verschiebung ist nicht etwa eine ungeschickte Stoffmanipulation, die der eigentlichen Untat des Königs, der Lähmung des Schmiedes, das Gewicht nimmt. Sie stellt vielmehr eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses von König und Schmied dar. Nicht mehr Gefangennahme und Lähmung sind das eigentliche Unrecht des Herrschers, sondern die Ungerechtigkeit und der Undank des Königs, der Velent sowohl den versprochenen Lohn - seine Tochter und das Land - vorenthält, als auch die Notwehrsituation bei der Tötung des Truchsess' nicht anerkennt und Velent verbannt und friedlos macht. Die Lähmung dagegen ist die Strafe für den Versuch, den König und seine Tochter zu vergiften bzw. sich der Tochter durch Zauber zu bemächtigen.13 Daß diese Interpretation richtig ist, zeigt die Rede

10 Der Velentspáttr ist ja die Geschichte der Eltern des Viöga, des Lieblingshelden der Piöreks saga. 11 Dafür könnte eine Parallele in der Sverris saga sprechen: Jarl Eirik, seine Frau und sein Sohn sterben kurz nacheinander und der Erzähler berichtet' "J)at var margra manna mal at vandir meN myndo hafa gefit }>eim svic oc liflat." (Sverris saga etter Cod. AM 327 4°. Hg. von Gustav Indreb0, Kristiania 1920, S. 121). 12 A und Β haben im wesentlichen dasselbe, nur der sprachliche Ausdruck variiert. 13 Die isländischen Redaktionen verhalten sich hier widersprüchlich. Einerseits sagt der König, daß die Lähmung die Strafe sei für den svic: "J)u Velent villdir nu svikia mig og mina dottur. Jjat sama skal J>ier goldit vera, og kallar sina {)rala ath Jieir taki hann og skiere i sundur j

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Velents, als er Abrechnung mit NiÖungr hält. Er teilt ihm triumphierend mit, daß er den Königshof nun verlasse und daß der König ihn nie mehr in seine Gewalt bekäme, dann beginnt er mit der Aufzählung des Unrechts des Königs: I>at var fyrst kavpmali ockaRr at pv gañ mer pina dottor oc fiar meö halft riki pitt oc fuir pvi at yör tratti pa mikill vandi oc ofriCr firir dvrom standa. En pv ger&ir mie vtlsegan oc friölavsan firir pat at ec varOa hendr minar oc drap ec pann er mie vildi fyRri drepa. fectv per pa pat til slita viO mie oc lavnaSir pv ma' illa mitt staif. en hvgkvxmt varö mer po at ec ν aera liölavss oc litilmagni allt saman mart hevir til ossttiz gorz meö ocr (S. 130)14

und jetzt erst kommt die Erwähnung der Verstümmelung. Der Abschnitt "Rache" beginnt demgemäß nach der Verbannung, die auch der eigentliche Anlaß für sie ist Und damit steht auch die Gliederung dieses Abschnittes fest: Mißglückte Rache - Lähmung als Bestrafung - Tötung der Kinder - Schwängerung der Königstochter - Vorbereitung der Flucht - Abrechnung mit dem König. Auch hier zeigen sich einige charakteristische Veränderungen gegenüber dem Eddalied. Im Gegensatz zur VglundarkviSa, wo Vglund BgÖvild Bier reicht, wohl um die vom Alkohol Betäubte dann zu überwältigen, deutet nichts in der Darstellung im Velentspâttr auf eine Vergewaltigung der Königstochter hin. Der Páttr ist zwar wortkarg, wie der größte Teil der Sagas in sexuellen Dingen. Als die Königstochter in die Schmiede kommt und ihn bittet, den zerbrochenen Ring zu reparieren, sagt Velent, "[...] at fyRr vili hann annat smiÖa. laetr Velent aptr hvröina sem fastazt oc legz hia konongs dottor. Oc er J)at er syst boetir hann ringinn [...]" (S. 122) (ähnlich auch in den Fassungen A und B). Das Ereignis wird im gegenseitigen Einverständnis verschwiegen und im übernächsten Kapitel versichern beide sich gegenseitig, daß sie keinen anderen Mann resp. Frau haben wollen. Die Darstellung im Velentspâttr geht also von einem gegenseitigen Einverständnis aus.15 Diese Umformung ist nicht etwa durch die rücksichtsvollere Haltung des Hochmittelalters dem weiblichen Geschlecht gegenüber zu erklären, sondern damit, daß dieser Abschnitt eine doppelte Funktion hat. Er ist zum einen Rache am König, der durch die Schwängerung seiner Tochter getroffen werden soll, zum anderen aber weist er in die Zukunft, wo

hans fotleggium aliar sinar [...]" (S. 114). Andererseits sagt der König kurze Zeit später im Gespräch mit Velent, daß er ihn lähmen ließ "fyrer pui ath ei villda ek ath pu ferir brott vr minu Riki [...]" Hier könnte man den Einfluß der VçlundarkviÔa vermuten. 14 A und Β zeigen eine andere und sehr viel kürzere Version: hier beginnt die Anschuldigung NiSungs mit der Verstümmelung, für die Velent die Schwängerung der Tochter und die Tötung der beiden Söhne als Rache verkündet 15 A und Β vertiefen diese Versicherung noch zu gegenseitiger eidlicher Versicherung - es besteht hier sogar so etwas wie ein Verlöbnis.

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BçÔvild als Velents Gattin in Seeland leben wird. Der Sproß aus dieser Verbindung ist einer der Lieblingshelden der Pidreks saga: ViÖga. Der Abschnitt "Flucht" ist durch die Vorbereitung dafür mit der Rache verzahnt, denn die endgültige Abrechnung mit dem König muß noch zur Rache gerechnet werden. Die einzelnen Abschnitte werden folgendermaßen ineinandergeschoben: Handlungsverflechtung in Mb2: RACHE

FLUCHT

Mißglückte Rache Lähmung Tötung der Königssöhne Schwängerung der Königstochter Einführung Egils (Apfelschuß) Treffen mit der Königstochter (Verlobung) Herstellung des Fluggewandes und Erprobung mit Hilfe Egils Verabredung zur Scheintötung ("Blutblase"), falls der König den Befehl zum Schuß gibt Abrechnung mit dem König Flucht und scheinbare Tötung durch den Schuß Egils Auch dieser Abschnitt, die Flucht, enthält ein Element, das den Erfolg in Frage stellen könnte, die Bedrohung durch den Befehl des Königs an den Bruder und Meisterschützen Egill, der diesen vor die Wahl stellen könnte, entweder den Fliehenden zu erschießen oder selbst getötet zu werden. Doch Velent hat bereits im voraus dies bedacht und seine Gegenmaßnahme getroffen in Gestalt der gefüllten Blutblase, die einen erfolgreichen Schuß vortäuschen und damit den Bruder schützen soll. Die isländischen Redaktionen zeigen eine etwas andere Verzahnung der Handlung. Sie lassen den Bruder Egill ankommen, bevor Velent die Rache unter-

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nimmt, stellen die Schwängerung der Königstochter vor die Tötung der Königssöhne und die letzte Unterredung mit der Königstochter direkt vor Velents Flucht. Handlungsverflechtung in den isländischen Versionen A und B: RACHE

FLUCHT

Mißglückte Rache Lähmung Einfuhrung Egils (Apfelschuß) Schwängerung der Königstochter Tötung der Königssöhne Herstellung des Fluggewandes und Erprobung mit Hilfe Egils Unterredung mit der Königstochter (Verlobung) Verabredung zur Scheintötung ("Blutblase") Abrechnung mit dem König Flucht und scheinbare Tötung Mit der Umkehrung der beiden Rachetaten stehen sie zumindest gegen die Sagentradition, wie Jan de Vries16 nachweist. Die Stellung der Ankunft Egils vor den Rachetaten (so Α Β) ist logisch befriedigender17, ebenso wie die Unterredung mit der Königstochter direkt vor der Flucht. Es entsteht so ein geradliniger Ablauf: Ankunft Egils - Rachetaten - Fluchtvorbereitung - Unterredung mit der Königstochter - Flucht Das ist jedoch kein Argument für die Ursprünglichkeit dieser Abfolge, da die isländischen Redaktionen des Spätmittelalters dazu neigen, geradlinige, logisch verkettete Handlungen herzustellen. Daher wird die verzahnte Handlung von Mb2 die ursprüngliche Fassung sein. Um den letzten Abschnitt, die "Versöhnung", überhaupt zu ermöglichen, muß der alte König sterben und dem Sohn und Nachfolger Otvin (NiÖungr in A und 16 Vgl. de Vries (wie Anm. 3), S. 71. 17 Das heißt aber nicht, daß sie deswegen ursprünglicher sein muß, wie de Vries (wie Anm. 3), S. 73 ff. meint. Die Darstellung von verflochtenen Handlungen ist ein für die Prosa des 12. und 13. Jh.s typisches Verfahren, das entrelacement, s. dazu u. S. 69f.

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Β) das Feld überlassen, mit dem sich Veleni versöhnen und Freundschaft schließen kann. Zum guten Ende wird auch noch das illegale Liebesverhältnis mit der Königstochter durch die Heirat legalisiert, und Velent kehrt endgültig heim auf die Höfe seines Vaters in Seeland. Dieser interpretierende Überblick sollte zeigen, daß der Velentspáttr nicht eine Ansammlung von fabulierenden Künstleranekdoten ist, sondern ein gut aufgebautes und organisiertes Ganzes, dessen Aufbau zugleich der Sinn bzw. das Thema dieser Gestaltung des Wielandstoffes ist. Nicht Unrecht und Rache, wie in der heroischen Gestaltung des Stoffes in der VçlundarkviSa sind das Thema, sondern das Verhältnis und die Begegnung des Königs mit dem Untertan, die Bewährung im Leben am Königshof, wo der aus der Fremde Gekommene auf Gegner und Neider trifft Dieser Thematik entsprechend sind die Figuren gestaltet: Velent wird am Königshof ein kurteiss sveinn, ein höfischer junger Mann, der am Hofe Dienst tut und auf Aufstieg hofft, wie seine eigenen Worte bezeugen. Als er das eine der drei Messer des Königs, die er hüten sollte, am Meer verliert, klagt er: Vist matta ec mikill settled veröa oc fatt tyr mer at ec se kominn af goöom xttom. Nv var ec kominn i Jjionasto meö goöom konongi oc feck hann mer litla (uonasto oc vildi hann sva min freista oc vaeri pess von ef hann s x at ec gxtta vel hins litla at hann mvndi hvgsa at ec varveitta sva hino meira ef mer ν seri i hendr fengit. oc mvndi ec Jjaöan af noccora vpreist fa en t>at er ec skyldi nv pionat hafa hit litla. t>a gleymöa ec t>vi oc man hveRr maör kalla mec fol. (S. 86)"

Velent ist ein getreuer Diener seines Herrn, bescheiden, zurückhaltend, bereit, das Unmögliche im Dienst seines Herrn zu tun. Bis sein Heir das gegebene Wort bricht. Dieser Wortbruch des Königs ist der eigentliche Wendepunkt und Auslöser der Katastrophe. Die Figuren der Höflinge sind dem Erzählschema entsprechend negativ gezeichnet: Der ehrgeizige Hofschmied, der Velent in einen lebensbedrohenden Wettkampf verwickelt; Reginn, der Velents Besitz "spaßeshalber" versteckt, und schließlich der Truchsess, der sich mit fremden Federn schmücken will - übrigens ein häufiges Märchenmotiv, in dem der Held um den Lohn für seine Heldentat gebracht werden soll. In den Worten dieses Truchsess' begegnen wir einem weiteren Motiv, das einen Blick in die Sozialgeschichte dieser Zeit tun läßt. Als Velent sich den Siegstein nicht für Reichtümer abkaufen lassen will, hält ihm der Truchsess entgegen:

18 Die isländischen Hss. A und Β haben diese Rede zusammenfassend ersetzt mit einem Hinweis auf Velents Trauer, daß das Messer verloren sei, daß er damit einen sehr geringen Dienst erwiesen habe. Jan de Vries (wie Anm. 3), S. 82 f. hält eine solche Überlegung für charakteristisch für "den engen Horizont eines bürgerlichen Kreises, wie wir ihn in den Hansastädten voraussetzen dürfen." Dem würde ich nicht zustimmen können, den selbstbewuBten Kaufleuten lag wohl weniger an einem Aufstieg am Hofe.

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"dvlenn er tv at J»r er |>v hygs fa mvno konongs dottor, smiör einn litill firir |)er. er |)eir hafa eigi fengit er af beztom aettom ero i landi Jîesso." (S. 110)19 Velent ist in dieser Hofgesellschaft der erfolgreiche Außenseiter, ein Emporkömmling in den Augen der alten Aristokratie, aber vom König favorisiert Deshalb trifft ihn der Neid und die Ablehnung der Höflinge. Die Erzählung ist so gesehen die Geschichte einer Bewährung: Velent der Außenseiter, von nicht-adeliger Herkunft20, aber großer Geschicklichkeit, geht trotz der Hindemisse, die ihm eifersüchtige Höflinge, ja der König selbst mit seinem Wortbruch in den Weg legen, seinen Weg letztlich erfolgreich zu Ende. Er muß den Königshof verlassen, aber er gewinnt die Königstochter, das märchenhafte Symbol erfolgreicher Bewährung. Die heroische Sage von Unrecht und Rache ist umgestaltet worden in eine Erzählung einer erfolgreichen Bewährung - genau wie es den zu Beginn zitierten Worten Wolfgang Möhrs entspricht: "An die Stelle der heroischen Fabeln treten anekdotische und novellistische Themen. Jetzt wird es erzählenswert, wie ein Mensch sich im Widereinanderspiel der Gesellschaft durchsetzt [...]" Natürlich stellt sich nun die Frage, wie es zu einer solchen Umgestaltung des alten Sagenstoffes kam und wo sie vor sich gehen konnte. Diese Frage hängt eng mit dem immer noch nicht geklärten Problem der Entstehung der PiÖreks saga zusammen, so daß hier nur einige Überlegungen angestellt werden können. Mehrere Fragen stellen sich: Ist diese Umformung in eine hochmittelalterliche, im weitesten Sinn höfische Erzählung unabhängig von der PiÖreks saga entstanden oder geschah dies erst im Rahmen der PiÖreks saga? Und was gab den Anstoß dazu? Folgende Möglichkeiten sind denkbar: 1. Umformung in einem niederdeutschen Spielmannslied, das a) in Norwegen in die PiÖreks saga integriert und dabei bearbeitet wurde21,

19 In A und Β ist der Truchsess durch den Mundschenk ersetzt, und der Hinweis auf die niedrige Herkunft Velents fehlt. 20 So sieht zumindest seine Rolle am Hof des Königs aus. Er ist jedoch, wie der Anfang des Abschnittes angibt, der Nachkomme von König Vilcinus. 21 Der Einwand Emst Walters, Zur Entstehung der Thidrikssaga. In: Niederdeutsches Jahrbuch 82,1959, S. 23-28, hier S. 25, daß so viele Spielleute nicht in Bergen gewesen sein könnten, läßt sich damit entkräften, daß ein oder zwei so kundige Spielleute wie ζ. B. der Manier, dessen umfangreiches Repertoire bekannt ist, durchaus reichen konnten.

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b) Eingang fand in eine nddL Prosafassung, wie sie zuletzt von Andersson22 wieder vorgeschlagen wurde. 2. Umformung direkt in Zusammenhang mit der Abfassung der PiÖreks saga, d. h. durch den Verf. der PiÖreks saga. Auch hier sind zwei Möglichkeiten denkbar, daß dies direkt in Norwegen stattfand oder in Niederdeutschland. Auf niederdeutsches Sprachgebiet weisen eindeutig die Namensformen Velent und Otvin.23 Aber andere Namen weisen ebenso eindeutig nach Skandinavien: SigurÖr, Reginn, Qlrúnar-Egill. So, wie sich die Wielandsage in der PiÖreks saga darstellt, muß man auf alle Fälle mit Einflüssen zumindest aus der nordischen Nibelungentradition rechnen, aus der die Namensform SigurÖr und der Name Reginn stammen. Ob auch die VçlundarkviÔa bekannt war, läßt sich trotz des erklärenden Zusatzes er Vceringjar kalla Völund nicht mit nachweisbaren Einflüssen auf den Text erhärten. Hempel24 wies darauf hin, daß die Sage von Velent und die seines Sohnes ViÖga besonders reich sind an Ortserinnerungen an den niederdeutschen Raum: der Berg Ballova (Balve in Westfalen), wo Velent das Schmieden erlernt; die Weser als unüberschreitbarer Fluß in der Velentsage, den ViÖga später mit seinem Pferd überspringt usw.; nicht zuletzt gehört auch die Lokalisierung in Jütland und Seeland auch noch in diesen Gesichtskreis. Auch die Vorliebe für ViÖga führt Hempel auf die niederdeutsche Überlieferung zurück. Daß der PiÖreks saga ein niederdeutsches Spielmannslied von Velent zugrundelag, könnte durch eine Beobachtung von Jan de Vries an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Er meint, an einigen Stellen den ursprünglichen Wortlaut noch erschließen zu können.25

22 Vgl. Andersson (wie Anm. 1). An eine solche Prosafassung dachten auch schon Heinrich Hempel, Sächsische Nibelungen Dichtung und sächsischer Ursprung der MÖrikssaga. In: Ders., Kleine Schriften. Hg. v. H. M. Heinrichs, Heidelberg 1966, S. 209-225, der an eine "heroische Weltchronik" dachte, und de Vries (wie Anm. 3), weil "eine so umfangreiche Kenntnis und besonders eine so überraschende Einfühlungsgabe in die weitverzweigte und unübersichtliche Traditionsmasse der deutschen Heldensage [...] bei einem Auslander höchst unwahrscheinlich" seien (S. 92). Diesem Argument möchte ich nicht viel Beweiskraft zuschreiben. Schließlich hat es in Norwegen ja auch zu einer Karlamagnús saga gereicht! 23 Vgl. dazu de Vries (wie Anm. 3), S. 79. 24 Vgl. Heinrich Hempel (wie Anm. 22), S. 221 f. 25 Vgl. de Vries (wie Anm. 3), S. 70, wo er aus dem Satz "en ef l>it vilit at ek smiöi ykkr nokkurn hlut, Jja skulu J)it veita mér mina bœn" eine mögliche gereimte Vorlage erschließt: "of gi welet, dat ik ju iet smede, / so solt gi dòn mi ene bede." De Vries bringt noch einige andere Beispiele von typischen Wiederholungen von Formeln in wiederkehrenden Situationen. Man könnte diesen Beobachtungen wohl noch einige hinzufügen, wie z. B. die Anrede des Königs an Egill mit "1» hinn vngi egill skiot hann velent" (S. 130) (nur Mb2). Eine systematische Untersuchung könnte hier vielleicht noch einiges zu Tage fördern.

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Diese Hinweise besagen aber noch nicht, ob diese niederdeutsche Vorlage bereits die hier festgestellten strukturellen Veränderungen aufwies. Doch einen Hinweis muß man noch in Betracht ziehen: Jan de Vries hat aus der niederdeutschen Namensform Otvin geschlossen, daß die Velentsage schon dort mit der Viögasage verbunden war. Denn nur dann hat ein Nachfolger von König Niöungr einen Sinn, mit dem sich Velent versöhnen kann, so daß sein Sohn ViÖga schließlich einer legitimen Ehe entspringen kann. Die Verbindung von Velent und ViÖga ist eine alte Heldensagentradition, sie ist bereits im altenglischen Waldere bezeugt, wo Weland als Vater des Widia genannt wird, der dort übrigens auch als Nachkomme des Nídhád bezeichnet wird26, was die Wielandfabel von der Schändung der Bç>Ôvild voraussetzt Man kann also davon ausgehen, daß die niederdeutsche Vorlage bereits mit einer Versöhnung und damit wohl mit der Eheschließung zwischen Velent und der Königstochter endete. Daraus könnte man weiter folgern, daß bereits in der niederdeutschen Vorlage die Wielandsage als Vorgeschichte einer Widgasage fungierte. Aber selbst dann, wenn man diese Verbindung der beiden Sagentraditionen annimmt, ist damit noch nichts über die Umformung der Wielandsage zu einer Erzählung über Aufstieg und Fall am Königshof ausgesagt Dafür wird man noch weiter Umschau halten müssen. Ähnlich schwierig steht es mit der Frage, wo die Anregungen zu dieser Umformung zu suchen sind. Für einzelne Motive* hat man immer schon auf Vorbilder verwiesen. H. Schneider stellt in seiner 'Germanischen Heldensage' fest, daß die Truchsess-Episode "glatt aus dem Tristan entlehnt" sei.27 So "glatt" geht das nicht auf, es besteht vielmehr ein markanter Unterschied zwischen beiden. Gemeinsam ist beiden Truchsessgestalten, daß sie sich mit fremden Federn schmücken, den Lohn in Gestalt der Königstochter einheimsen wollen. Was die Episode im Tristan betrifft, handelt es sich um ein Motiv, das überaus häufig mit Drachenkämpfen verbunden ist. Der eigentliche Sieger schneidet dem Drachen die Zunge heraus und kann so den betrügerischen Truchsess überführen.28 Während Tristan jedoch von außen an den irischen Hof kommt, als Fremder, wie es dem üblichen Drachenkampfschema entspricht, gehört Velent dem Königshof schon lange an und die Episode mit dem Siegstein sollte der krönende Höhepunkt seiner höfischen Karriere sein. Während die Tristanepisode weitgehend dem verbreiteten Märchenmotiv entspricht, hat die Velentepisode nur den betrii-

26 "[..JJjäesöe hine of nearwum NiÔhades maeg, Wélandes beam, Widia út forlét [...]" 27 Hermann Schneider, Germanische Heldensage, Bd. Π/2, Berlin und Leipzig 1934, S. 84. 28 Vgl. Stìth Thompson, Motif-Index of Folk-Literature. A classification of Narrative Elements in Folktales, Ballades [...], Copenhagen 195S, unter Nr. H 105.1, wo ein weltweites Vorkommen dieses Motivs dokumentiert ist

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gerischen Tnichsess und den Lohn, die Königstochter, gemeinsam. Bei der weiten Verbreitung beider Motive - des betrügerischen Truchsess' und der Königstochter als Lohn für eine Befreiungstat (unter diesem funktionalen Aspekt lassen sich Drachenkampf und Holung des Siegsteines vereinen) - scheint mir das nicht ausreichend, um eine direkte Beziehung zwischen dem Tristan und dem Velentspáttr anzunehmen. Ähnliches gilt auch für den Vergleich der Ameliasepisode mit der Einleitung zur Ásmundarsaga mit dem Wettkampf der Zwerge mit den Schmieden des Königs BuÖli.29 Auch die von Panzer beigebrachten Quellen gehören wohl dem internationalen Erzählgut an.30 Der Nachweis einzelner motivlicher Parallelen führt in der Frage m. E. kaum weiter. Hier soll der Versuch gemacht werden, die Frage nach Anregungen neu zu stellen, indem die Erzählstruktur, also die Thematik von Aufstieg und Fall am Königshof, wie sie sich aus der Analyse ergab, stärker ins Zentrum gerückt wird. Dazu lassen sich folgende Parallelen anführen: Joseph Harris hat in zwei Aufsätzen 1972 und 197631 eine Gruppe von 31 Paettir behandelt, die eine Erzählstruktur und ein Thema haben, die dem Velentspáttr verblüffend ähnlich sind. Es sind isländische Êacttir, die alle eine Reise eines Isländers an den norwegischen Königshof behandeln. Er beschreibt die Struktur dieser f>aettir als eine Abfolge von sechs Abschnitten, die er folgendermaßen benennt: Introduction - Journey in - Alienation - Reconciliation - Journey out - Conclusion. Der Unterschied zu der zuvor dargestellten Struktur des Velentspáttr bestünde darin, daß dort vor der "alienation", d. h. der Krise im Verhältnis zwischen König und Untertan, der Aufstieg ausführlich beschrieben wird. Was das Strukturelement "reconciliation" betrifft, so muß gesagt werden, daß Harris diese Bezeichnung wohl zu sehr im Bann der Proppschen Theorie gewählt hat, denn er selbst muß unter den Varianten eine ganze Reihe von l>aettir aufzählen, in denen es keine Versöhnung gibt. Man könnte vielleicht das Schema unter Anwendung von Brémonds Erzähltheorie so modifizieren, daß man anstelle von "reconciliation" eine dreifache Weiterentwicklung zur Wahl stellte: a) Versöhnung, b) feindselige Aktion des Isländers, c) Abbruch der Beziehungen. Dann müßte Harris nicht soviele abweichende Varianten annehmen. Der Velentspáttr hätte dann die Möglichkeit b), die feindselige Aktion, gewählt.

29 Vgl. Henry Schück, Volundsagan. In: Arkiv för Nordisk Filologi 9,1893, S. 111. 30 Vgl. Friedrich Panzer, Zur Wielandsage. In: Zeitschrift für Volkskunde NF Π, 1931, S. 125-135. 31 Vgl. Joseph Harris, Genre and Narrative Structure in some íslendinga {wettir. In: Scandinavian Studies 44, 1972, S. 1-27; ders.. Theme and Genre in some íslendinga Jjaettir. In: Scandinavian Studies 48, 1976, S. 1-28.

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Thematische Gemeinsamkeiten zwischen diesen Êœttir und dem Velentspáttr fallen insofern auf, als in den îslendingapœttir der häufigste Grund für die königliche Ungunst die Tötung eines Vasallen ist. Das entspräche der Tötung des Truchsess' im Velentspáttr. In einer Gruppe von Îslendingapœttir spielt die Feindseligkeit der Höflinge gegenüber dem Isländer eine bedeutende Rolle, auch das ist ein wesentliches Thema bei Velents Aufstieg. Der Souveränität, mit der Velent seine Aufgaben meistert, entspricht die Darstellung des Isländers als klüger, mutiger und weniger engstirnig als die Norweger. Mit einem Wort, wir haben es in beiden Fällen mit Helden von z. T. märchenhafter Überlegenheit zu tun. Und auch das soziale Thema ist in den Îslendingapœttir präsent, der an den norwegischen Königshof kommende Isländer wird häufig von den norwegischen Höflingen verachtet Harris sieht in diesen t>sttir, die er der tragischen Familiensaga gegenüberstellt, Verwandte der Volkserzählungen, in denen ein junger Mann, arm, aber geschickt, auszieht, um am Hof sein Glück zu machen. Er besiegt alle Schwierigkeiten und heiratet zum Schluß. Als Prototyp dieser Erzählungen sieht er "The triumphant underdog of folklore". Dieser Sichtweise gegenüber möchte ich eher an der W. Möhrs (wie Anm. 2) festhalten, der diesen Heldentypus in einer Reihe mit Notkers Karlsgeschichte, dem Ruodlib, Historien des 10. und 11. Jh.s, sieht. Wir können eine Übereinstimmung des Velentspáttr mit dieser Gruppe der îslendingapœttir in mehrfacher Hinsicht feststellen: Einmal hinsichtlich der gemeinsamen Erzählstruktur und eines gemeinsamen Grundthemas, sowie in einem spezifischen Heldentypus. Was darüber hinaus ebenfalls den Blick auf Island lenken könnte, ist die Erzähltechnik, die Carol Clover stranding genannt hat, das Verflechten von Handlungssträngen. Daß die PiÖreks saga im Großen diese Technik wie die Isländersaga anwendet, darauf hat schon Thomas Klein 1985 hingewiesen.32 Allerdings ist diese Technik des entrelacement so weit in Europa verbreitet, daß man sich fragen sollte, ob diese Erzähltechnik der PiÖreks saga tatsächlich durch die Isländersaga zugekommen ist, oder ob nicht ein in Westeuropa verbreiteter narrativer Typus seinen Weg nach Norwegen gefunden hat. Jedenfalls läßt sich dieses Erzählverfahren auch im Kleinen am Velentspáttr feststellen: Immer wieder werden Teile von Handlungssträngen vorausgenommen oder Personen eingeführt, ohne daß sofort deutlich wird, welche Bedeutung sie für die Handlung haben: Als Velent in seinem Einbaum im Reich von König Niöung ankommt, verbirgt er seinen Besitz, Gold und Silber und die Schmiedewerkzeuge.

32 Vgl. Thomas Klein, Zur Thidrekssaga. In: Arbeiten zur Skandinavistik 6. Hg. v. Heinrich Beck, Frankfurt a M./ Bern/ New York 1985, S. 487-565, hier S. 538 ff.

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Und dann heißt es: "Und das sah ein Ritter des Königs, der Reginn hieß." Weiter wird nichts gesagt, erst mehrere Kapitel später wird klar, was es damit für eine Bewandtnis hat - dieser Ritter war es, der die Werkzeuge Velents versteckte und damit seine Arbeit verhinderte. Genauso wird die Geschichte des Liebesverhältnisses zwischen Velent und der Königstochter unterbrochen durch die Ankunft Egils und seiner Bewährung als Meisterschütze in der Episode mit dem Apfelschuß (s. die graphische Darstellung nach S. 88). Erzählstruktur wie auch die Technik des entrelacement schienen zunächst darauf hinzudeuten, daß bei der Ausgestaltung des Velentspáttr Einflüsse isländisch-norwegischen Erzählens maßgeblich gewesen sein könnten. Doch ein Blick auf die europäische Erzählkunst dieser Zeit lehrt, daß ebenso wie die Technik des entrelacement nicht auf Island beschränkt, sondern ein Phänomen der westeuropäischen Erzählkunst ist33, sich auch die Thematik von Aufstieg und Fall am Königshof, das Motiv des Neides der Höflinge, das Motiv des Vasallen, der versucht, für ein erlittenes Unrecht am König Rache zu nehmen, in einem viel weiteren Umkreis findet, der vielleicht auch auf das isländische Erzählmuster der von Harris untersuchten t>aettir eingewirkt haben könnte: Im Rahmen der frz. chanson de geste entwickelte sich eine spezielle Motivik, die den Helden in einer Auseinandersetzung mit dem König schildert, die zu seiner Ächtung führt und meist mit einer Versöhnung endet, die sog. "Empörergeste" {Le cycle féodal)34, in der die Auflehnung einzelner Vasallen gegen den Herrscher das zentrale Thema ist. Hier lassen sich eine Reihe struktureller und motivlicher Gemeinsamkeiten aufzeigen: Strukturell gemeinsam ist die Abfolge: Aufstieg in der Gunst des Herrschers, Verlust der Gunst des Herrschers mit Verbannung und Flucht, der eine Versöhnung folgen kann.35 Motivliche Gemeinsamkeiten sind, daß den Helden dieses Typs der chanson de geste ebenfalls der Neid der Höflinge entgegenschlägt, daß sie aus Notwehr oder aufgrund von Verleumdung einen

33 Carol J. Clover, The Medieval Saga, Cornell University Press 1982, S. 135 ff. weist selbst auf die Parallelen in der westeuropäischen Epik hin: "Open composition, compound structure, internal digression, abundance of particulars, cyclic tendencies, simultaneous narration, and the pursuit of multiplicity for its own sake are medieval characteristics, not just saga peculiarities." (S. 203) 34 In diese Gruppe gehören u. a. Gormond et Isembart, Doon de Mayence, Chevalerie Ogier, Renaud de Montauban, Les Quatre Fils Aymon, Raoul de Cambrai und Girart de Roussillon. 35 Max Wetter, Quellen und Werk des Emstdichters. 1. Teil Deutsche Geschichte und westfränkische Ächtermäre, Würzburg 1941 (= Bonner Beiträge zur Deutschen Philologie 12), nennt Huon de Bordeaux, Esclarmonde, Gui de Nanteuil, Gaydon, Ogier le Danois, Haimonskinder mit ihrem Führer Renaut von Montauban, Girart von Viane, Jourdains von Blaivies und Girart von Rossillon (S. 70).

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Verwandten des Kaisers töten, der ihnen daraufhin die Gunst entzieht. In einigen Fällen geht die Gemeinsamkeit so weit, daß die Auseinandersetzung mit den Höflingen um die Hand einer Verwandten des Kaisers entbrennt. Ebenfalls gemeinsam ist das Bewußtsein des Helden, vom Herrscher ungerecht behandelt worden zu sein, und seine Empörung darüber. Gemeinsam ist auch das negative Herrscherbild: der Kaiser resp. der König wird aus der Perspektive des Empörers gesehen, er ist als ungerechter Herrscher dargestellt Man hat für die chanson de geste auf die harten Auseinandersetzungen zwischen Adel und Königtum verwiesen, die diese Motivik hervorbrachten.36 In welcher Weise ist es denkbar, daß solche in der frz. Epik gängigen Handlungsmuster auf die Gestaltung des Velentspáttr Einfluß nehmen, bzw. als strukturelles Vorbild dienen konnten? Werfen wir erst einen Blick nach Norwegen: Daß die frz. chanson de geste dort rezipiert wurde, bezeugt zur Genüge die Existenz der Karlamagnús saga. Die Erzählung von Heimes Klosterepisode ist, wie Horst Pütz37 nachwies, auf den Montage d'Ogier - im übrigen eines der Empörerepen - zurückzuführen. Auch von einem Einfluß der chanson de geste auf die Pidreks saga wurde schon mehrmals gesprochen (s.u.). Auch könnte man auf eine ähnliche politische Situation in Norwegen wie in Frankreich verweisen, wo sich König Sverrir mit seinen Birkibeinar und seine Nachfolger in jahrzehntelangen Kämpfen gegen die Baglar durchsetzten, die nicht nur die Opposition der Kirche, sondern auch die der alten Reichsaristokratie vereinigte. Eine Antwort müßte in einer umfassenden Untersuchung des Herrscherbildes der Pidreks saga gesucht werden. Kramarz-Bein wies bereits auf die negativen Seiten des PiÖrek-Bildes in der Pidreks saga hin.38 Es wäre zu fragen, ob diese negative Darstellung nicht auch in einer allgemeinen Kritik an einem Königtum wurzeln könnte, das wie die Herrschaft Hákon Hákonarsons der Aristokratie immer mehr Macht entzieht Sowohl die literarische Situation wie die allgemein politische Situation würden eine solche Umformung der Wielandsage im Rahmen der Abfassung der Pidreks saga als möglich erscheinen lassen. Allerdings sind auch einige Einwände gegen diese These zu berücksichtigen: 1. Obwohl von den meisten Forschem angenommen wird, daß die Pidreks saga in Norwegen verfaßt wurde, wird gelegentlich auch die These vertreten, die 36 Vgl. Peter Wunderli, Zwischen Ideal und Anti-Ideal. Variationen des Karlsbildes in der altfranzösischen Epik. In: D a Herrscher, Leitbild und Abbild in Mittelalter und Renaissance. Hg. von Hans Hecker, Düsseldorf 1990, S. 59-79. 37 Vgl. Horst P. Pütz, Heimes Klosterepisode. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 100, 1971, S. 178-194. 38 Vgl. Susanne Kramarz-Bein, Zum Dietrich-Bild der PiSrekssaga. In: Bernhard Glienke / Edith Marold (Hgg.), Arbeiten zur Skandinavistik. 10. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik 1991, Frankfurt a.M. u.a. 1993, S. 112-133.

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PiÖreks saga sei die Übersetzung eines niederdeutschen Originals.39 In diesem Fall müßte die Bearbeitung und Umformung des Velentabschnittes schon in Norddeutschland erfolgt sein. 2. Obwohl schon einige Forscher auf einen literarhistorischen Zusammenhang zwischen PiÖreks saga und chanson de geste hinwiesen, findet man zugleich auch immer die Ungewißheit, ob dieser Einfluß auf die erzählerische Gestaltung sich in Norwegen vollzog oder ob schon die deutschen Quellen bereits diesen Einfluß aufweisen.40 Das würde in diesem Fall bedeuten: Umformung unter dem Einfluß der chanson de geste in einem niederdeutschen Lied oder einer niederdeutschen PiÖreks saga. Dem Einwand, daß ein Einfluß der chanson de geste auf die mündliche Tradition der deutschen (Spielmanns)lieder schwer vorstellbar sei, könnte man mit der folgenden Überlegung begegnen. D. Hofmann41, der als Quelle der PiÖreks saga mündliche Dichtung des niederdeutschen und niederländischen Sprachraumes geltend machte, führte Elemente, "deren Ursprung mehr oder weniger deutlich in geschriebener Literatur zu finden ist", auf die Bekanntschaft der Fahrenden mit dieser Literatur zurück, die an Fürstenhöfen für die Gemeinsamkeit vorgelesen wurde. Auf diese Weise konnten mündliche und schriftliche Literatur einander begegnen, konnte auch eine französische chanson de geste Einfluß gewinnen. Ein Beispiel dafür ist der Einfluß der Empörergeste auf das deutsche Spielmannsepos Herzog Ernst, der schon Gegenstand vielfältiger und umfangreicher wissenschaftlicher Diskussionen war.42 Dieses Beispiel zeigt, daß es auch möglich wäre, daß die Empörergeste schon im niederdeutschen Sprachgebiet Einfluß auf die Umformung der Velentsage gewonnen hätte. Wie aus dem Vorhergehenden deutlich wird, ist eine Umformung der Velentsage unter dem Einfluß der chanson de geste sowohl in Norwegen wie in Deutschland denkbar. Eine Entscheidung ist auch hier, wie in den anderen Fällen der

39 Erst neulich plädierte Th. Andersson (wie Anm. 1) für die Heikunft der PiÖreks saga aus dem deutschen Raum, aus Soest Die Einwände, die Klein (wie Anm. 32), S. 543 gegen eine solche Zuweisung vorbrachte, scheinen mir mit Anderssons Ausführungen nicht ausgeräumt 40 So z. B. Hermann Schneider, Deutsche und französische Heldenepik. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 51,1926, S. 200-243, bes. S. 208 und 227ff„ der zunächst zweifelt, dann aber schon Einfluß der französischen Wilhelmsdichtung auf das älteste Dietrichepos annimmt (S. 224). 41 Dietrich Hofmann, Zur Lebensform mündlicher Eizähldichtung des Mittelalters im deutschen und niederländischen Sprachgebiet: Zeugnisse der Piörekssaga und anderer Quellen. In: Dietrich Hofmann, Studien zur Nordischen und Germanischen Philologie. Hg. von Gert Kreutzer, Alastair Walker und Ommo Wilts, Hamburg 1988, Bd. I, S. 281-305. 42 Vgl. F. Klaub«, Charakteristik und Quellen des altfranzösischen Gedichtes Esclarmonde. Diss. Heidelberg 1913; Max Wetter, Quellen und Werk des Emstdichters, Würzburg 1941; G. 2ünk, Herzog Emst et chansons de geste. In: Etudes germaniques 32, 1977, S. 108-118.

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Beziehung zwischen chanson de geste und PiÖreks saga nicht möglich, weil ihr eine Fülle von ungelösten literaturhistorischen Fragen entgegenstehen: die schwierige Frage der französisch-deutschen Literaturbeziehungen im Bereich der Heldendichtung oder der Spielmannsliteratur und der chanson de geste, und die der Entstehungsgeschichte der PiÖreks saga. So muß es denn beim Aufweis der strukturellen Ähnlichkeit zwischen Velentspáttr und chanson de geste bleiben, die literaturgeschichtlichen Konsequenzen müssen der weiteren Diskussion vorbehalten bleiben.

Der Meisterschütze Egill, Franks Casket und die PiÖreks saga VON HANS-PETER NAUMANN

Kurt Schier zum 65. Geburtstag

L Die eigentümliche Funktion, die der Meisterschütze Egill in der Rachesage Wielands erfüllt, ist oft besprochen worden, ohne daß sich bisher weder ein Konsens über die Produktions- noch über die Rezeptionsbedingungen dieses Motivkonglomerats ergeben hätte.1 Soviel dürfte jedoch feststehen: Die vier Erzählzüge, die im Velentabschnitt der PiÖreks saga mit Egill verbunden sind - der Apfelschuß, die Beschaffung der Federn für Wielands Flughemd, sein mißglückter Test des Flugapparates und schließlich der Scheinschuß auf den entfliegenden Bruder - werden durch die älteren Kontexte der Stoffgeschichte nicht gedeckt oder lassen sich, was bildliche Darstellungen anbelangt, nicht zweifelsfrei festmachen. Die Meisterschützenepisode selbst, um die es hier in Weiterführung einer schon länger zurückliegenden Studie gehen soll2, wird in der PiÖreks saga zum ersten Mal auf Egill überhaupt bezogen, und ihre Einfügung in die Rachehandlung wirkt in textbildender Hinsicht alles andere als überzeugend.

1

2

Forschungskritische Zusammenfassung zuletzt bei Robert Nedoma, Die bildlichen und schriftlichen Denkmäler der Wielandsage, Göppingen 1988 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 480). - Bibliographische Angaben für den Zeitraum 1960ff. in: Heldensage und Heldendichtung im Germanischen. Hg. v. Heinrich Beck, Berlin-New York 1988 (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 2), S. 329-413. Vgl. Hans-Peter Naumann, Teil und die nordische Überlieferung. Zur Frage nach dem Archetypus vom Meisterschützen. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 71, 1975, S.108-128.

Der Meisterschütze Egill, Franks Casket und die Piöreks saga

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An diesem Bild ändern auch die Überlieferungsdifferenzen, die sich aus der komplizierten Handschriftenlage der Piöreks saga ergeben, kaum etwas. In der ausführlicheren norwegischen Fassung (Mb 2)3 tritt Egill auf Rat des Bruders völlig überraschend in die Gefolgschaft König Nidungs ein, nachdem Wieland seine Rache - Ermordung der Söhne, Beischlaf mit der Tochter - vollzogen hat. Nidung will die Berühmtheit des artistischen Schützen auf die Probe stellen und läßt Egils dreijährigem Sohn, der gewissermaßen als Requisit sofort bei der Hand ist, den Apfel auf den Kopf legen. Egill nimmt drei Pfeile, trifft erwartungsgemäß direkt und antwortet auf die entsprechende Frage nach der Bestimmung der beiden anderen mit der klassischen Trutzreplik: "Ef ec hefÖa lostiÖ sveininn meö einni orenni, J>a haföa ec yör gessar tvaer aetlat" ("Wenn ich den Knaben mit dem einen Pfeil getroffen hätte, so hätte ich Euch die beiden anderen zugedacht.") Die Äußerung bleibt für den Schützen ohne jede Konsequenz, doch hält der Erzählerkommentar mit Blick auf Egill wenigstens fest: "oc {)otti allom hann diarflega msela" ("und alle fanden, daß dies kühn gesprochen sei.") Die norwegische Membran fügt nun allerdings ein für das zeitgenössische Verstehen aufschlußreiches Detail hinzu, indem sie nämlich den Meisterschützen als Qlrúnar Egill apostrophiert ("Oc Senna kalla menn olrvnar egil") und damit den Querverweis zur Schwanenmädchenfabel der VçlundarkviÔa liefert, in welcher ein Wielandsbruder namens Egill als Gatte der Qlrún eine Rolle spielt. Die gerafften isländischen Fassungen A und Β verlegen den Apfelschuß im Interesse einer schlüssigeren Handlungsabfolge vor die eigentliche Rachesequenz und lassen den Schuß unter Todesandrohung erfolgen, verzichten jedoch andererseits auf das Trutzwort, während die vorgängige Provokationssymbolik der Rachepfeile in A gerade noch angedeutet wird, indem Egill einen zweiten Pfeil wortlos neben sich legt, in Β aber überhaupt nur noch von einem einzigen Geschoß die Rede ist.4 Gemeinsam für die Gesamtüberlieferung der Piöreks saga ist die Beobachtung, daß die signifikante Auseinandersetzung zwischen Bogenheros und bösartigem Souverän sich nicht zu ihrer aus anderen Quellen bezeugten Vollform entwickeln kann. Die Normverletzungen, die sich für den Konflikt als eigentlich konstitutiv erweisen, werden nicht "durchgespielt" in dem Sinne, daß ihnen entsprechende Sanktionen folgen würden. Weder wird die Hybris des Schützen belangt, noch kommt es zur Zuspitzung in der "Hohlen Gasse", d.h. der Schuß auf den Tyrannen bleibt ebenfalls ausgeklammert. Auch die erzählstofftypischen und ansonsten 3 4

Text nach der Ausgabe KÖriks saga af Bern. Hg. v. Henrik Bertelsen, K0benhavn 1905-11, Bd. I, S.123f. Die Einzelheiten hierzu bei Jan de Vries, Betrachtungen zum Wielandabschnitt in der Möreks saga. In: Aikiv für nordisk filologi 65, 1950, S.63-93.

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jeweils breit ausgeführten Interaktionsrituale der Antagonisten erscheinen im norwegischen wie im isländischen Handschriftenzweig stark verkürzt und verlieren damit ihre emotionale Implikation. Alles in allem kollidieren mit der Darstellungsabsicht offenkundige erzählsemantische Fehlleistungen. Man kann diese narrative Haltung als gattungskennzeichnendes und strukturelles Merkmal der Dietrichepik zu interpretieren suchen, wie dies kürzlich von Robert Nedoma im Anschluß an Richard Heinzle unternommen worden ist. Nedoma stellt textuelle Unstimmigkeiten geradezu als "charakteristischen Gestaltungsfaktor" heraus und meint damit, "daß für die Tradierung die Betonung einer einzelnen Szene, die punktuelle Herausarbeitung einer einzelnen Sequenz ohne Rücksichtnahme auf den Gesamtkontext von größerer Bedeutung war als ein in sich stimmiger, nach logischen Kriterien ablaufender Gesamttext"? Sicherlich ließen sich zahlreiche Einzelepisoden benennen, für die dieses Erzählmodell durchaus eine gewisse Verbindlichkeit besitzt. Mit Blick auf die Kompilation der PiSreks saga in ihrer ganzen Vielschichtigkeit fragt sich allerdings, ob ein derartiges Gestaltungsprinzip durchgängig unterlegt und Stoffkreis für Stoffkreis auch konkret nachgewiesen werden kann.6 Gerade im Falle der Meisterschützenepisode scheinen mir die nicht beseitigten Unstimmigkeiten und Widersprüche weniger mit einer narrativen Intention, als vielmehr mit den komplexen Zusammenhängen und Differenzen der Stofftradierung zusammenzuhängen. Und auf diese kommt es hier an.

II. Zunächst ist auf das häufig übersehene Faktum zu verweisen, daß Kompilator oder Übersetzer der PiSreks saga mit der Schützenepisode grundsätzlich anders verfahren als die übrigen zum Typus gehörenden Varianten im germanischen Raum. Dabei berühren die Unterschiede weniger die abstrahierbare Motivkette der Fabel - also etwa das Movens des Konflikts und die näheren Umstände des exzeptionellen Schusses, das Verwandtschaftsverhältnis zur zieltragenden Person, Fehlen oder Fallen des Trutzwortes und eventuelle Abrechnung mit dem Gegenspieler, sondern es ist die eigentümliche Perspektivität der Darstellung, welche die PiÖreks saga in deutlichen Gegensatz zu ihren Stoffnachbarn bringt. Die Einbindung des Kunstschützen Egill in die Sagenbiographie des kunstfertigen

5 6

Nedoma (wie Anm. 1), S.213f. mit Anm. 554 u. 555. Vgl. die strukturbezogenen Überlegungen von Ulrich Wyss, Struktur der Thidrekssaga. In: Acta Germanica 13, 1980, S.69-86.

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Schmieds exponiert Vorzeitwissen und entspricht mithin jenem Erzählinteresse, das im Einleitungssatz des PiÖreks iaga-Prologs (nach der Fassung A) ausdrücklich gelenkt werden soll auf "Jjau störti^indi er verit hafa j fornum sid" ("die großen Ereignisse, welche in heidnischer Zeit geschehen sind"). Man wird die Situierung Í fornum siÖ nicht streng auf die religiös verstandene Opposition zum neuen Glauben (inn nyi siÖr) festlegen wollen, sondern allgemeiner als ein der Zeit entrücktes und daher notwendigerweise heidnisches - oder dem Christentum wieder entfremdetes - Heldenzeitalter aufzufassen haben. Auf völlig andere Art verlagern alle übrigen Zeugnisse aus nordischer, schweizerischer, hoch- und niederdeutscher oder englischer Quelle den Meisterschützenstoff in Zeit und Raum. Ihre verbindende Klammer ist der stets mehr oder weniger fest umrissene historische wie geographische Bezugsrahmen, der für das Konfliktverhältnis gesucht wird. Es handelt sich bekanntlich um den folgenden Überlieferungskomplex7: (1) Saxo Grammaticus, Buch 10 der Gesta Danorum (um 1200): Widersacher sind der Dienstmann Toko und König Harald Gormsson oder "Blauzahn", der um 986 herum gestorben sein dürfte; Saxos Toko wiederum läßt sich ohne Schwierigkeiten mit Palna-Tóki aus der Jómsvikinga saga identifizieren. (2) EindriÖa pättr ilbreiös: eine Bekehrungsanekdote aus der Großen Óláfssaga Tryggvasonar in der Flateyjarbók (1387-1390); sie ist verlegt in die kurze Regierungszeit von Óláf Tryggvason 995-1000. EindriÖi wird vom König persönlich bekehrt, nachdem dieser in einem Wettschießen selbst den Meisterschuß ausgeführt hat, und fällt an Óláfs Seite in der Seeschlacht bei Svoldr. (3) Hemings páttr Áslakssonar: Diese zweiteilige Erzählung findet sich ebenfalls in der Flateyjarbók und ist Bestandteil der Königssaga von Haraldr haröräöi (1047-1066). Die Entscheidung zwischen den Antagonisten ist in die Schlacht von Stamfordbridge verlegt, in deren Verlauf Harald - dem Páttr zufolge - dank der Mithilfe Hemings durch einen Pfeilschuß getötet wird. Auf dem Hemings pättr bzw. einer seiner Vorformen basieren einerseits die norwegischen und färöischen Balladenversionen von Harald konungi og Heming unge und Geyti Aslaksson, andererseits die späten isländischen Hemingsrimur * Selbst in diesen

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Die ausführlichste Behandlung der Quellenlage findet sich nach wie vor bei Helmut de Boor, Die nordischen, englischen und deutschen Darstellungen des Apfelschußmotivs. In: Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Abt. III, Aarau 1947, Bd. I, Anhang S.1-S3. Auch in: Helmut de Boor, Kleine Schriften. Hg. v. Roswitha Wisniewski u. Herbert Kolb, Berlin 1966, Bd. 2, S.117-174. Zur Tradition um Hemingr vgl. Oskar Klockhoff, Konung Harald och Heming. Försök tili jämförande sagoforskning. In: Uppsalastudier. Festskrift Sophus Bugge, Uppsala 1892, S. 114-

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schon entlegenen Überlieferungszweigen ist die historische Bezugnahme noch greifbar. (4) Weißes Buch von Samen (1470-72) und Bundeslied (1477). Die hier sich zum ersten Male schriftlich konkretisierende schweizerische Widerstandssage versetzt die ebenso symbol- wie geschichtsträchtige Handlung um Teil und Gessler in die Zeit der habsburgischen Vögteregierung nach dem Tod König Rudolfs (gest. 1291). Bis in wörtliche Anklänge reichende Koinzidenzen mit der lateinischen Version des Saxo Grammaticus legen nahe, daß diese als Zwischenglied für die Stoffwanderung von Nord nach Süd in Frage kommt, sei es auf mündlichem Wege oder sogar in abschriftlicher Vermittlung.9 (5) Malleus maleflcarum ("Hexenhammer", 1487): Heinrich Institoris und Jacob Sprenger zugeschrieben. Er enthält die Erzählung vom Freischützen Punker von Rohrbach aus der Pfalz, die unter dem Heidelberger Kurfürsten Ludwig ΠΙ. (1410-1436) spielt. (6) Sage von Henning Wulff: Diese auf das 16. Jahrhundert zurückgehende, aber erst im 18. Jahrhundert aufgezeichnete Bildersage vom Wilstermarscher Bauernführer Henning Wulff ist pointiert antidänisch ausgestaltet und orientiert sich an den holsteinischen Bauemunruhen unter König Christian I. (gest 1481). (7) Ballade von Adam Bell, Clim of the Clough und William of Cloudesly (Erstdruck 1536): Obwohl weniger klar umrissen, bildet in dieser Outlaw-Ballade vom Robin-Hood-Typ der ritterlich-feudale Widerstand gegen Sheriff und Krone im 13. und 14. Jahrhundert die historische Folie.10 Die stofflichen Parallelen der englischen Quelle zur nordischen Überlieferung sind evident, weshalb die Ballade in der komparativen Diskussion Gewicht erhält, ohne daß es möglich wäre, genetische Beziehungen aufzudecken.

139; Ο. K., De nordiska framställningarna af Tellsagan. In: Arkiv för nordisk filologi 12, 1896, S.171-200. Zur isländischen Rima-Nachdichtung vgl. P. M. den Hoed, Hemingsnmur, Haarlem 1928. 9 Vgl. schon Andreas Heusler, Der Meisterschütze. In: Festschrift Theodor Pliiss, Basel 1902, S.l-28; erneut in: Kleine Schriften. Hg. v. Stefan Sonderegger, Berlin 1969, Bd. 2, S.582597. Näheres zu den literarischen Zusammenhängen Max Wehrli, Das Lied von der Entstehung der Eidgenossenschaft, Das Umer Teilenspiel. In: Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Abt. III, Aarau 1932, Bd. 2,1; M. W., Der Schweizer Humanismus und die Anfänge der Eidgenossenschaft In: Schweizer Monatshefte 47, 1967/68, S.127-146. 10 Hierzu Ingrid Benecke, Der gute Outlaw. Studien zu einem literarischen Typus im 13. und 14. Jahrhundert, Tübingen 1973 (= Studien zur englischen Philologie, N.F. 17).

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Dieser Gegenüberstellung bedürfte es nicht, wenn auch die PiÖreks saga dem Schemazwang zur Historisierung und der damit verbundenen Aktualisierung des Geschehens wenigstens tendenziell entsprechen würde. Man müßte in diesem Fall vermutlich Helmut de Boor recht geben, der die Ausbildung des Apfelschußmotivs ins 10. und 11. Jahrhundert und nach Norwegen in die Regierungszeit von Olaf Tryggvason, Olaf dem Heiligen und Harald dem Harten verlegt.11 Als literarisch faßbares Produkt gesellschaftlich-politischer Auseinandersetzung, als symbolhafte Konzentration des Kampfes zwischen aufstrebendem Zentralkönigtum und beharrender großbäuerlich-landschaftlicher Thingfreiheit soll der Meisterschützenkonflikt in dieser Umbruchszeit Gestalt gewonnen haben. Nicht die Lokalisierung eines verfügbaren Wandermotivs wird hier vorausgesetzt, sondern Sage wird als Ausfluß einer wie auch immer gearteten sozialpolitischen Realität verstanden. Dieser Ursprungshypothese folgt zwangsläufig die Annahme, daß sämtliche literarische Fassungen der Apfelschußerzählung - die der Gesta Danorum und der PiÖreks saga ebenso wie die schweizerische, die deutschen und die englischen - letztlich von dem einen norwegischen Prototyp abhängen müßten. Damit aber wird Egils Rolle in doppelter Hinsicht fragwürdig: Weder könnte er als der ursprüngliche Träger der Apfelschußtradition gelten, noch bestünde eine Verbindung zwischen dieser und der Wielandsage. Der Kompilator hat vielmehr - so sieht es wiederum de Boor - den Apfelschuß aus "Stoffhunger" vom norwegischen Lokalmatador Hemingr auf Egill, den er aus anderem Zusammenhang schon als Bogenhelden kannte, übertragen. Eine solcherart verengende geo- und ethnographische Sichtweise der literarischen Zusammenhänge dürfte heute ebenso auf Zurückweisung stoßen12 wie jeder noch so hartnäckige Versuch, den Teil-Mythus in real herrschende historische Verhältnisse aus dem Ende des 13. Jahrhunderts auf dem Gebiet der nachmaligen Eidgenossenschaft einzubetten. Sofern neue Inteipretationsansätze für den Meisterschützenkonflikt gesucht oder neu erörtert werden, zielen sie nicht zuletzt wegen der symbolbestimmten Relevanz des gesamten Vorstellungskomplexes auf seine möglichen archetypischen oder tiefenpsychologischen Substrate. Dies zeigt sich deutlich im jüngst als "The 1991 Archer Taylor Memorial Lecture" zum Thema erschienenen Forschungsreferat des amerikanischen Folkloristen Alan Dundes, in welchem nach einer breit angelegten komparatistischen Diskussion am Ende auf sehr differenzierte Art der Versuch unternommen wird, Teils Schuß auf den Sohn und

11 Vgl. de Boor 1966 (wie Anm. 7), S.145-147. 12 Zur Kritik an de Boors Interpretationsmodell vgl. ausführlicher Naumann (wie Anm. 2), S.l 13f.; meinen Einwänden zugestimmt hat seither Heinrich Beck: s.v. Egill (Meisterschütze). In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Berlin-New York 2 1986, Bd. 6, S.466f.

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den Schuß auf den Tyrannen als ödipales Dilemma und somit sexual-symbolisch zu begreifen.13 Um auf die PiÖreks saga zurückzukommen, so liegt der entscheidende Punkt der Auseinandersetzung wohl nicht darin, ob der Apfelschuß seit altersher mit dem Wielandstoff verbunden war - die narrativen Defizite der betreffenden Episode sprechen eher dagegen. Es geht m.E. vielmehr darum, ob der Kompilator zur Bereicherung seiner Darstellung Traditionswissen aufgreift, das sich mit der im Prolog eröffneten Vorzeitperspektive vereinbaren läßt. Andreas Heusler hatte dies in seiner 1905 erschienenen Abhandlung zum Meisterschützen-Typ vorbehaltlos akzeptiert: "Der Sammler der Thidreks saga hat Egil schon als Helden der Meisterschützensage vorgefunden".14 Belege für diese Behauptung konnte natürlich auch ein Heusler nicht beibringen, aber es wird die Existenz einer germanischen Wandersage plausibel gemacht, deren Ausbreitung aus dem altsächsischen Raum her vermutet werden kann. Hierzu scheinen sich namenkundliche Beobachtungen von Walter Steinhauser zu stellen, der jedoch bei der Ursprungsfrage einerseits so weit geht, den Sagenzug von Egill als "vorkeltisch" zu betrachten, um andererseits sein Ausstrahlungsgebiet m.E. allzu konkret "östlich des Rheins zwischen Westerwald und Lippe" anzusetzen.15

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Nun schlägt sich auf der Seite Egils zweifellos positiv zu Buche, daß er aus verschiedenen Quellenbereichen Motivzüge von z.T. hoher Altertümlichkeit auf sich vereint, die zwar nicht explizit auf den Apfelschuß, so doch auf seine Qualifikationen als Meisterschütze aufmerksam machen. Auf dieses Sinnfeld

13 Vgl. Alan Dundes, The Apple-Shot: Interpreting the Legend of William Tell. The 1991 Archer Taylor Memorial Lecture. In: Western Folklore 50, 1991, S.327-360 [mit ausführlicher Bibliographie zum Apfelschuß-Motiv]. - Dundes hebt S. 335 die Problemstellung meiner vergleichenden Studie von 1975 (wie Anm. 2) ausdrücklich hervor, interpretiert mich jedoch falsch, wenn er meine Frage nach der möglichen archetypischen sozialen Situation des Meisterschützenkonflikts einseitig auf einen symbolischen Status im Sinne der Archetypenlehre C.G. Jungs festlegen möchte. Zu den begründeten Vorbehalten gegenüber psychoanalytisch orientierten Deutungsversuchen von Volkserzählstoffen im Gefolge Jungs und seiner Schule wie denjenigen Freudscher Richtung, der auch Dundes mit seinem sexualsymbolischen Erklärungsansatz folgt, vgl. bereits Max Lüthi, Psychologie des Märchens. In: Märchen, Stuttgart 61976, S. 109-117; neuerdings dazu auch Katalin Horn, Brauchen Menschen Märchen? Volkserzählungen aus psychologischer Sicht. In: Fabula 34, 1993, S.1-8. 14 Heusler, Kleine Schriften (wie Anm. 9), S.588. 15 Walter Steinhauser, Woher kam der Bogenschütze Egill? In: Festgabe für Otto Höfler zum 75. Geburtstag. Hg. v. Helmut Birkhan, Wien-Stuttgart 1976, S.627-644, hier S.638 u. 640.

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spielen im 10. Jahrhundert die Skalden Eyvindr skáldaspillir und HallfreÖr vandraeÔaskàld an. Obwohl es sich um punktuelle Zitationen handelt und der Name Egill im Kenningschatz der Skaldik sonst keine erkennbare Rolle spielt, ist ihr Aussagewert als nicht gering einzuschätzen. In einer lausavisa Eyvinds um das Jahr 970 heißt es, daß der Dichter aus einer Notlage heraus gezwungen war, seine Pfeile gegen Heringe einzutauschen, wobei die Pfeile wortspielerisch als "laupsildr Egils gaupna", "laufende Heringe aus Egils Händen" umschrieben werden.16 Auf diese älteste faßbare nordische Namenserwähnung folgt um 990 eine Anspielung in Strophe 8 der HallfreÖr zugeschriebenen Hákonardrápa, die sich mit der Kenning "hryngráp Egils vápna" auf den von Egils Bogen auf die Rüstungen klirrenden Pfeilhagel bezieht.17 Obwohl man vor einer Überbewertung dieser Skaldenstellen in ihrer Belegkraft für den assoziierbaren Erzählstoff gewarnt hat1®, läßt sich nicht bestreiten, daß beide Umschreibungen überhaupt erst über den Namenträger und durch die an ihm haftenden sagengeschichtlichen Motivationen identifizierbar werden. Diesen ganz zentralen Aspekt mittelalterlicher Namenverwendung hat Stefan Sonderegger in den Terminus "Namenbedeutsamkeit" gefaßt und darüber hinaus seine referentiellen Funktionen u.a. für magische, mythische, heldische Bereiche aufgezeigt19 Die Anführung des Namens - und sei es auch nur im Vorbeigehen - muß im 10. Jahrhundert die klare Vorstellung von einer Erzählsubstanz vermittelt haben, welche die artistische Handhabung der Bogenwaffe auf exzeptionelle Art in den Fokus rückt, und dieses Bewußtsein war im 13. Jahrhundert noch immer lebendig, da Snorri Sturluson nicht nur die lausavisa Eyvinds in seiner Heimskringla zitiert20, sondern überdies in den Skáldskaparmál auch die Strophe von HallfreÖr als Ken-

16 Finnur Jónsson, Den norsk-islandske Skjaldedigtning, IB, K0benhavn 1912-15, S.6S, Str. 14; vgl. dazu neuerdings Arnulf Krause, Die Dichtung des Eyvind skáldaspillir. Edition Kommentar - Untersuchungen, Leverkusen 1990, S.274-276. 17 Jónsson, S.148; vgl. weiter Bjarne Fidjest0l, Det norr0ne fyrstediktet, 0vre Ervik 1982, S. 102-106. 18 Vgl. dazu die zurückhaltende Stellungnahme von Alois Wolf, Franks Casket aus literaturhistorischer Sicht. In: Frühmittelalterliche Studien 3, 1969, S.229. 19 Stefan Sonderegger hat das Phänomen der Namenbedeutsamkeit methodisch in mehrfach differenzierender Weise begründet und dargelegt, vgl. dazu: Personennamen des Mittelalters. Vom Sinn ihrer Erforschung. In: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. Hg. v. Karl Schmid/Joachim Wollasch, München 1984, S.2SS-284 (= Münstersche Mittelalterschriften 48); St. S., Namengeschichte als Bestandteil der deutschen Sprachgeschichte. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hg. v. Werner Besch/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger, 2. Halbbd., Berlin-New York 1985, S.2039-2067, hier S.2044; St. S„ Die Bedeutsamkeit der Namen. In: Zeitschrift für Literatur und Linguistik 17,1987, S.ll-23. 20 Heimskringla. Hg. v. Finnur Jónsson, K0benhavn 1911, S.104.

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ningbeleg beizieht21 Zur Zeit Snorris dürfte die Namenbedeutsamkeit den Meisterschuß nach einem Gegenstand auf dem Kopf des männlichen Verwandten einbeschlossen haben. Auch aus der mangelhaft vollzogenen Verzahnung der Meisterschützenepisode mit dem Wielandstoff in der PiÖreks saga läßt sich keinesfalls die Folgerung ableiten, daß Egill erst nachträglich mit dem Äpfelschuß in Verbindung gebracht worden wäre.22 Es ist schwer vorstellbar, daß ausgerechnet dieses konstitutive Moment der Schützenbiographie im 10. Jahrhundert gefehlt haben sollte. Daß das Merkmal der Namenbedeutsamkeit gerade im Bezug auf den germanischen Bogenheros und sein Betätigungsfeld eine entscheidende referentielle Funktion für die Erzähl- und Sprachgemeinschaft erfüllt haben muß, wird vielleicht am deutlichsten anhand der Ikonographie des vieldiskutierten Bilder- und Runenkästchens von Auzon (Franks Casket), dessen Anfertigung nach allgemeiner Auffassung nach Nordhumbrien und in die Wende vom 7. zum 8. Jahrhundert verlegt werden kann.23 Der Schöpfer des Kunstwerks begnügt sich nicht mit der bloßen Bildchiffre des Bogenschützen an zentraler Position der Deckelplatte, sondern er ergänzt und erläutert die Darstellung unmißverständlich durch den in angelsächsischen Runenzeichen vermittelten Namen /Egili (vgl. Tafel 1). In diesem Zusammenhang sollte allerdings nicht übersehen werden, daß die assoziative Signalwirkung, die vom ags./an. Namenpaar AîgilHEgilP* ausgeht, nicht die einzige sinngebende Komponente ist. Es spielt in diesem Falle neben der Namenbedeutsamkeit die historisch-etymologische Bedeutung des Namens selbst eine Rolle.23 Man müßte nicht einmal so weit greifen wie Steinhauser, der germ. EigillEgillEgilo usw. als Kurz- oder Koseformen zu dithematischen Zusammensetzungen wie Egil-war mit der appellativischen Bedeutung "pfeilkundig, Pfeilschütze" auffassen möchte.26 Allein schon die Wortsippe, an die sich iEgili wie Egill anschließen lassen, nämlich ae. eé¿, afr. egg, as. eggia, ahd.

21 Snorra Edda. Hg. v. Finnur Jónsson, K0benhavn 1900, Kap. 46, S.116. 22 So sieht es auch Nedoma (wie Anm. 1), S.263. Es ist übrigens dies die Position, die nachdrücklich schon von Heusler vertreten worden war, vgl. (Anm. 9), S.587f.; anders wiederum argumentierte de Vries (wie Anm. 4), S.71ff., der den Meisterschützen Egill zwar zum Grundbestand der Wielandsage rechnet, aber gerade im Apfelschuß ein sekundäres Element erblickt. 23 Vgl. dazu ausführlich Alfred Becker, Zu den Bildern und Inschriften des Runenkästchens von Auzon, Regensburg 1973; weiter Karl Hauck, Auzon, das Bilder- und Runenkästchen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Berlin-New York 1973, Bd. I, S.S14-522. 24 Zu dieser und ahnlichen Doppelformen vgl. Andreas Heusler, Heldennamen in mehrfacher Lautgestalt In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 52,1910, S.97-107. 23 Auch dieser Aspekt des Nameninhalts ist von Sonderegger (wie Anm.19) hervorgehoben worden. 26 Steinhauser (wie Anm. IS), S.632-634.

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echa, egga usw. "Ecke, Schneide, Kante", "Schneide einer Waffe" (vgl. lat. acies "Schärfe"), machen sie zu sprechenden Namen.27 Dies in Erinnerung zu rufen scheint mir deswegen wichtig, weil kein anderer mit dem Meisterschuß in Verbindung gebrachter germanischer Namenträger eine ähnliche Primärmotivation erkennen läßt 28 Ein einziger Parallelfall findet sich in der altnordischen Literatur vor, und zwar im gleich doppelt motivierten Namen des Qrvar-Oddr "PfeilOdd" (wobei an. oddr appellativisch "Spitze") aus der gleichnamigen Fornaldarsaga vom Ende des 13. Jahrhunderts. Dieser Oddr, der mit Zauberpfeilen eine Riesin blendet und dafür mit dem glorifizierenden Beinamen ausgestattet wird, vertritt jedoch nicht nur einen ganz anderen heroischen Typus, sondern er steht mit diesem Motivem überdies in der Volksüberlieferung außerhomerischer Polyphemmärchen und nicht in der Meisterschützentradition.29

IV. Wenn nun nach dem Gesagten noch einmal an die ikonologische Diskussion des Kästchens von Auzon anzuknüpfen ist (vgl. Tafel 1), so vor allem deshalb, weil mir einige vielleicht wichtige Figuren- und Darstellungselemente bei der überwiegend positivistisch orientierten Bildlektüre der letzten Jahrzehnte entweder vernachlässigt oder auch völlig übersehen zu sein scheinen. Ich fasse die in gewissem Sinne "dekonstruktivistischen" Sehweisen des Bildwerks kurz zusammen und berücksichtige vor allem die diskutablen Relationen zwischen verschiedenen Egill-Auslegungen und dem Wielandstoff. Die linke Vorderseite des Kästchens hält allgemein unbestritten eine dreiteilige Wielandszene fest Gleichzeitig ist die opinio communis dem alten Vorschlag Sophus Bugges gefolgt, der den Vogelfänger im rechten Bilddrittel mit Wielands Bruder Egill und diesen seinerseits mit dem Schützen der Deckelplatte identifizierte.30 Schon die erste der beiden Prämissen ist unsicher. Sie ist es bereits

27 Vgl. Ernst FOrstemann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. I: Personennamen, Bonn 21900, Sp.l4ff; Henning Kaufmann, Altdeutsche Personennamen. Ergänzungsband, München 1968, s.v. Agjö, Agila; Ferdinand Holthausen, Vergleichendes etymologisches Wörterbuch des Altwestnordischen, Göttingen 1948, s.v. Egill u. egg 1; Jan de Vries, Altnordisches etymologisches Wörterbuch, Leiden 21962, s.v. Egill, egg I. 28 Siehe aber Jacob Grimms Vermutung: "Teil wird deutlicher durch telum, pfeil." In: Kleinere Schriften IV, Berlin 1869, S.77. 29 Dazu ausführlicher Hans-Peter Naumann, Das Polyphem-Abenteuer in der altnordischen Sagaliteratur. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 75, 1979, S.173-189. 30 Sophus Bugge, The Norse Lay of Wayland (V0lundarkvi5a) and its Relation to the English Tradition. In: Saga-Book of the Viking Club 2, 1898-1901, S.271-312; postum in norwegi-

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deswegen, weil Bugge die Aussagen der späten PiÖreks saga auf das Bildzeugnis zurückprojiziert, ohne näher zu erwägen, ob der Vogelfangszene nicht ein ganz anderer Bedeutungsgehalt zukommen könnte: nämlich eine andere Figurenkonstellation oder ein anderer Inhaltsbezug, der mit der Beschaffung des Flugmaterials nichts zu tun hat. Alois Wolf hat zusätzlich auf die Disproportionen der beiden Figuren aufmerksam gemacht - der groß ins Bild gerückte Schütze auf der Deckelplatte und dessen "Reduktion" - wie Wolf es nennt - im Vogelfanger des Wielandteils.31 Diese bildkritischen Überlegungen haben letztlich zur Konsequenz, daß die /Egili-Szene des Deckels und die Wielandszene der Vorderseite als Umsetzung eines jeweils eigenständigen Sagenzuges akzeptiert werden müssen. Denn auch die Deckelplatte, für sich genommen, liefert ikonographisch keinerlei Hinweise auf Stoffpartikel der Wielandtradition. Allem Einfallsreichtum zum Trotz können Querverbindungen zu Wielands Flucht in der VelundarkviÖa und zu Egils Scheinschuß auf den Bruder in der Piöreks saga visuell nicht explizit gemacht werden.32 Betrachtet man die Deckelplatte unvoreingenommen von der Spezifik der Darstellung her, so sind es in erster Linie vollzogene oder virtuelle Aktionen des Schützen, die ins Wahrnehmungszentrum gerückt werden. Er versperrt mit schußbereitem Bogen die Öffnung zu einem architektonischen Gebilde - kein Haus, sondern eine von oben gesehene und mit Zinnen bestückte Befestigung - , in der sich unter einer Arkade eine weitere, nur mit Oberkörper wiedergegebene Gestalt aufhält. Ihm zu Füßen liegt ein zusätzlicher Pfeil. In seinem Aktionsradius befinden sich links fünf Bewaffnete: der vorderste in Halbfigur ist von einem Pfeil in die Brust getroffen, der nächste wehrt zwei Geschosse mit dem Schild ab, ein dritter Pfeil weist genau auf seinen Kopf. Ein Gepanzerter richtet in abgewinkelter Haltung das Schwert in Kopfhöhe einer der beiden Großfiguren am linken Bildrand. Beinahe exakt in Bildmitte beugt sich eine unbewaffnete Gestalt unter der Aussparung für den ursprünglichen Deckelknopf; die linke Hand ist mit deutlich hervortretender Bewegung an die Stirn geführt, während das Haar mit ebenso markiertem Gestus schräg nach unten fällt. Hinter ihrem Rücken zeigt ein Pfeil mit der Spitze nach oben. Über und unter der Aussparung erkennt man zwei unbekleidete, jeweils nur mit einem Schild ausgestattete Gestalten in waagrechter Position.

scher Originalfassung: Det oldnorske Kvad om Vçlund (Vglundarkviöa) og dets Forhold til engelske Sagn. In: Arkiv för noidisk filologi 26, 1910, S.33-77, hier S.65-73. 31 Wolf (wie Anm. 18), S.239f. 32 Verwiesen sei auf die eingehende und kritisch Stellung nehmende Diskussion bisheriger Bildinterpretationen bei Becker (wie Anm. 23), S.78-92; vgl. zuletzt auch Nedoma (wie Anm. 1), S. 10-27.

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Ergänzt wird diese von vEgili beherrschte Bilderreihe durch einen unmittelbar mit ihm in Verbindung stehenden zweiten Bedeutungsträger - dem Säulenbogenensemble innerhalb der Befestigung. Die beiden Säulen der Arkade ruhen auf einem Doppelkopftier, das sich als Figurenbaldachin über der möglicherweise weiblichen Gestalt wiederholt. Sie hält einen stabförmigen Gegenstand in der Hand. Rechts über dem Bogen ist das Zeichen der dreifachen Dreiecke angebracht; es findet sich auch an der oberen und unteren Ecke der Befestigung. Ausgehend von einem für das nordische Altertum in ganz anderer Hinsicht relevanten Bildzeugnis, der 801 von Karl dem Großen aus Ravenna nach Aachen versetzten Theoderich-Statue und dem 829 von Walahfrid Strabo darüber verfaßten Gedicht De imagine Tetrice, ist von Felix Thürlemann an die differenzierte Bedeutungsweise des Kunstwerks im frühen Mittelalter erinnert worden.33 Wenn Thürlemann anhand von dieser Fallstudie hervorhebt, wie das visuelle Zitat des Ostgotenkönigs in Form seiner Repräsentationsstatue durch die allegorische Lesart im Gedicht Walahfrids sich ins Negative verkehrt, so steht dahinter ein semiotisches Konzept, das auf die komplexen Zeichenfunktionen von Zitat und Symbol bzw. Allegorie aufmerksam machen will, welche im Bezugsrahmen frühmittelalterlichen Bedeutungsdenkens lenkend auf die Bildlektüre einwirken. Es dürfte heute unbestritten sein, daß beide Zeichenfunktionen, die des Zitats wie die des Symbols, in der Ikonographie von Franks Casket angelegt sind, ohne daß sich meiner Meinung entscheiden ließe, welchem semiotischen Aspekt die Suprematie zukommt Zur Bedeutsamkeit des ausdrücklich sprachlich benannten Meisterschützen auf der Deckelplatte stellen sich jedenfalls die verschiedenen Bedeutungen, die sich aus dem unübersehbaren architektonischen Zitat, aus Gebärdensprache, aus Zeichen- und Tiersymbolik ergeben. In den zu Anfang der 1970er Jahre fast gleichzeitig erschienenen neueren Untersuchungen zu Franks Casket von Alfred Becker und Karl Hauck sind die einzelnen semiotischen Modi der Deckelplatte in ganz unterschiedlicher Weise bewertet worden. Für Becker sind Bilder, Zeichen und übrigens auch die Inschriften allein nach ihrer magisch-symbolischen Zweckdienlichkeit ausgewählt; die Bilderfolge als Ganzes soll dem Besitzer des Kästchens Wohlstand sichern und ein günstiges Schicksal garantieren. Im Deckelbild - gerade weil es keine aus der Überlieferung erschließbare Sagenform enthalte - soll als magische

33 Vgl. Felix Thürlemann, Die Bedeutung der Aachener Theoderich-Statue für Karl den Großen (801) und bei Walahfrid Strabo (829). Materialien zu einer Semiotik visueller Objekte im frühen Mittelalter. In: Archiv für Kulturgeschichte 1977, S.25-65. - Das aus Ravenna stammende Reiterstandbild spielt in der Diskussion um den Runenstein von Rök (Östergötland, 9. Jh.) eine entscheidende Rolle, da es nach verbreiteter Forschungsmeinung die visuelle Vorlage für das auf dem Stein festgehaltene Runengedicht geliefert haben kann.

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Bildformel die Aussage "erfolgreiche Abwehr" visualisiert sein. Um die Wirksamkeit der Bildformel zu sichern, werde vom Schnitzer der Meisterschütze zitiert, aber ausdrücklich nicht über seine Geschichte, sondern allein über seine Fähigkeiten.34 Während bei Becker vor allem die Bildlektüre von magisch-symbolischer oder allegorischer Bezugsebene aus auf ein intendiertes Gesamtprogramm aufmerksam machen soll, stellt Hauck den Bildzyklus als - mit eigenen Worten - "germanisch-gentiles Reichtums-Exemplum" unter ein geschlossenes "Drei-Meister-DreiSchicksalsfrauen'-Konzept. Im Gegensatz zu Becker besteht er somit auf einer alten Verzahnung von Egill- und Wielandüberlieferung. Die von ihm zuletzt im Reallexikon35 vorgelegte Deutung der Egill-Platte setzt am großen Helmträger an, der über eine Kategorie von Herrscherinsignien als *Niphap identifiziert wird. In der zurückgebeugten kleineren Figur, die scheinbar einen Schwertstoß gegen den Nacken des Helmträgers richtet, will Hauck den Töter Nidungs entdecken. Es soll sich um Wielands Sohn, den Bastard der Bödwild handeln, der am eigenen Großvater die Rache des Schmieds vollendet. Als streitbarer Widersacher Egils auf dem Kästchen würde sich dann Nidung entpuppen, während der Schütze selbst - wie in der PiÖreks saga - von der finalen Rachehandlung ausgeschlossen bliebe. Aber worauf bereits Becker hinweist, so zeichnet sich die erhobene Schwertspitze vor dem Nackenschutz des Helms ab und muß deshalb überhaupt nicht auf einen Tötungsakt raten lassen, sondern könnte auch der Abwehr dienen. Die Beobachtung scheinbar nebensächlicher Darstellungselemente kann folglich zu ganz unterschiedlichen Deutungsresultaten führen. Um diese und andere Einzelheiten geht es hier aber nicht. Es geht mir um die gesamte Sehweise Haucks. Um formal-inhaltliche Analogien aufzuzeigen, setzt er am nicht ganz von der Hand zu weisenden Bildzitat an und schließt von da auf Lücken der Textüberlieferung. Er beschreitet mithin den genau entgegengesetzten Weg wie die ältere Forschung.

V. Wenn man sich der Wirkung des Augenfälligen nicht ganz entziehen und dem Deckelbild eine bestimmte Zitatfunktion zubilligen will, dann erhebt sich noch einmal die naheliegende Frage, welche Taten eigentlich der Heldenbiographie

34 Becker (wie Anm. 23), S.114-118. 35 Hauck (wie Anm. 23), S.S15f.; K. H. auch: Voibericht über das Kästchen von Auzon. In: Frühmittelalterliche Studien 2, 1968, S.415-418.

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eines Meisterschützen angemessen wären und wie sich diese Aktionen gegebenenfalls bildwirksam umsetzen lassen. Im Umkreis der altnordischen Literatur findet sich außer dem germanischen Meisterschützen noch ein weiterer Bogenheld, der mit seinem Namen einen verzweigten, wahrscheinlich bis in vorisländische Zeit zurückreichenden Traditionskomplex zusammenhält. Es geht um die Figur des Án bogsveigir, der um 1200 im 6. Buch der Gesta Danorum des Saxo Grammaticus als Ano sagittarius erstmals literarisch faßbar wird und von dem die Ans saga bogsveigis sowie die Áns rimur bogsveigis handeln.36 Wie der

erwähnte Qrvar-Oddr stammt Án aus dem norwegischen Geschlecht der Leute von Hrafhista, wie dieser erhält er in einem märchenartigen Einleitungsteil von einem übernatürlichen Wesen seine Waffen als Zaubermittel, die ihn während seiner Laufbahn zu den phantastischsten Kunstschüssen befähigen. Den ursprünglich glorifizierenden Beinamen biegt die Vorzeitsaga zum Spottnamen um, indem sie ihn aus einer burlesk-tölpelhaften Situation heraus erklärt - Án drückt sich mit gespanntem Bogen auf dem Rücken gewaltsam durch eine Türe. Seine Überlegenheit mit der Bogenwaffe bestätigt sich meist in Situationen, in die er als Verbannter gerät. Indem Án sowohl in der Saga wie bei Saxo Grammaticus den Typus des Outlaw vertritt, ergeben sich zwar überlegenswerte Querverbindungen zu William of Cloudesly und zum Gesetzesbrecher Teil, doch läßt sich in seinem gesamten Erzählkreis kein einziges Motiv benennen, das auch nur einen annähernden Darstellungswert wie der Apfelschuß oder die heroische Selbstverteidigung gegen eine erdrückende Übermacht aufweisen würde. Daß aber der JEgili des Kästchens inmitten einer Szene steht, die zwar inkorrekterweise als "Hausverteidigung" geläufig geworden ist, sich bei genauer Betrachtung tatsächlich auf die Verteidigung einer aus der Vogelperspektive gesehenen burgartigen Anlage bezieht, dürfte unbestreitbar sein. Doch auch die englische Ballade von William of Cloudesly erzählt von ihrem Helden in spätmittelalterlicher Umgebung zweierlei: einmal den Meisterschuß und zum anderen eine Belagerung, in deren Verlauf William sich und seine Frau Alice erbittert bis auf den letzten Pfeil gegen den Sheriff und seine Leute verteidigt. Elis Wadstein hatte zuerst darauf aufmerksam gemacht, aber in seinen Schlußfolgerungen spekulativ übertrieben.37 Dennoch bleibt die Koinzidenz, zumindest in struktureller Hinsicht, bemerkenswert. Es stellt sich jedoch die Frage, wie sich die Bildaussage der Abwehr zur Bedeutung der ineinander verschachtelten, aus Festungsumriß und Säulenbogenensemble bestehenden architektonischen Kom-

36 Zu den Quellen und ihren stofflichen Zusammenhängen vgl. zuletzt S.F.D. Hughes, The Literary Antecedents of Áns saga bogsveigis. In: Mediaeval Scandinavia 9,1976, S.198-235. 37 Vgl. Elis Wadstein, The Clermont Runic Casket, Uppsala 1900 (= Skrifter utg. af K. Humanistiska Vetenskaps-Samfundet i Uppsala VI, 7).

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ponente der gesamten rechten Deckelhälfte verhält Man sollte nicht darüber hinwegsehen, daß auch der gotländische Bildstein von Klints Hunninge I, der in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts datiert wird, eine Szene wiedergibt, in der ein Bogenkrieger einen geometrischen Bautypus durch eine Öffnung der Befestigung hindurch verteidigt und daß ausgerechnet diese Szene ebenfalls in eine Bildumgebung versetzt ist, die Themata der Heldensage aufgreift.38 Wird mit anderen Worten auf beiden Denkmälern zusammen mit einer Schützenerzählung ein bestimmter architektonischer Bedeutungsträger zitiert?39 Vor dem Milieuhintergrund germanischer Heldensage wäre die Anspielung auf eine ummauerte, palastartige Königshalle oder auf den Herrensitz eines lokalen Hoheitsträgers denkbar. Für Franks Casket müßte man m.E. jedoch weit eher in Betracht ziehen, ob hier nicht das geometrische Vorbild eines spätrömischen Kastells nachlebt. Dafür spricht nicht nur der viereckige, regelmäßig-kompakte Befestigungstypus, sondern zugleich die vom Schnitzer deutlich herausgearbeitete Ziegel- bzw. Quaderstruktur von Mauerwerk und Zinnen der Anlage.40 Aber macht die Herausstellung einer spätantiken Repräsentationsfoim, die sich freilich gut in die römischen Motivkreise des Kästchens einfügen würde, den Egill-Stoff für uns durchsichtiger? Möglicherweise sind dem Säulenbogenensemble bisher unberücksichtigte symbolbestimmte Hinweise zu entnehmen. Schon Becker hatte auf Grund analoger Vorkommensbereiche vermutet, daß das Motiv des Doppelkopftieres nicht als bloßes dekoratives Element aufzufassen ist, sondern mit Bestattungsriten und dem Totenkult in Verbindung stehen könnte.41 Die Anordnung der Tierfigur direkt unter dem Arkadenbogen, aber über der menschlichen Gestalt, macht den Eindruck eines Bauelements, das sich als plastischer Baldachin deuten läßt. Die Rolle des architektonischen Details als Figurenbaldachin aber würde eine Funktion der Binnenanlage als Grabmal nahelegen.42

38 Zu Klinte Hunninge I vgl. Sune Lindqvist, Gotlands Bildsteine, Bd. I, Stockholm 1941-1942, S.85 mit Abb. 185. - Die Analogie zu Franks Casket wäre evident, wenn neben der Mauerverteidigung ebenfalls eine Wielandszene abgebildet wäre, wie Klaus von See vorgeschlagen hat, vgl. Germanische Heldensage, Frankfurt a.M. 1971, S. 118-121 mit Abb. 6; vorsichtiger jedoch Nedoma (wie Anm. 1), S.34. 39 Zur Funktion und Bedeutung des architektonischen Zitats vgl. Günter Bandmann, Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 1951. 40 Diesen Hinweis auf das Nachwirken spätrömischer Vorbilder für geometrische Burgtypen vor allem im Norden entnehme ich Adolf Reinle, Zeichensprache der Architektur. Symbol, Darstellung und Brauch in der Baukunst des Mittelalters und der Neuzeit, Zürich-München 2 1984, S.46; vgl. weiter Samuel Guyer, Grundlagen mittelalterlicher abendländischer Baukunst, Einsiedeln-Zürich-Köln 1950, S.190. 41 Vgl. Becker (wie Anm. 23), S.123f. 42 Auch dazu Reinle (wie Anm. 40), S.337-341.

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Obwohl die zeichenhaft vermittelten Erzählsubstrate letztlich im Dunkeln bleiben, sind der Diskussion ikonographischer Einzelheiten gewisse Aufschlüsse nicht abzusprechen. Dies trifft auch auf das Problem des Meisterschusses zu, dessen Nachweis auf dem Kästchen für die stoffliche Einbindung des Burgverteidigers Pigili zweifellos von ganz besonderem Belang wäre. Schon Sophus Bugge hatte in seiner komparativen Studie zum Wielandstoff die Beobachtung beigesteuert, daß die unter der Deckelaussparung nach vorn gebeugte Figur mit ihrer Haartracht signifikant von der aller übrigen dargestellten Gestalten abweicht.43 Naive Kunst, so argumentierte Bugge, habe den Sohn des jEgili abbilden dürfen, der mit einer Handgebärde nach dem noch vor Angst gesträubten Haar zu erkennen gibt, daß ihn der Pfeil nicht verletzt habe. Man wird Bugge sicherlich insofern beipflichten müssen, daß durch die auffällige Hand-HaarGebärde eine bestimmte Information vermittelt werden soll. Die Frage stellt sich nach dem Bedeutungsmodus dieser gestischen Verhaltensweise. Projiziert sie deiktisch auf ein bestimmtes Ereignis, oder illustriert sie als emblematische Bewegung ein kulturell festgelegtes Muster frühmittelalterlicher Körpersprache? Beide Möglichkeiten seien abschließend kurz erwogen. Egils Kunst lenkt vorab auf den fatalen Schuß. Er kann auf den Sohn oder einen anderen nahen männlichen Verwandten abgegeben werden. Vielleicht fallt ins Gewicht, daß die betreffende Figur auf dem Kästchen als einzige unbewaffnet, gewissermaßen funktionslos abgebildet ist. Als mögliches Attribut kann nur der frei mit der Spitze nach oben weisende Pfeil gelten. Man muß nicht schlechterdings den aufgespießten Apfel erwarten. Im Hemings páttr ist das Ziel auf dem Kopf eine Nuß, im EindriÖa páttr ein Brettspielstein. Jacob Grimm führt in seiner "Deutschen Mythologie" den von Zeus abstammenden Heros Sarpedon an, dem als Kind ein Ring von der Brust geschossen wird.44 Die Art des Zielobjektes ist also von sekundärer Bedeutung. Wie aber läßt sich der Schußvorgang bildlich realisieren? Macht man sich die Mühe, die über 300 Jahre hinwegreichende schweizerische Bildgeschichte zu Teil durchzusehen45 - Teils Apfelschuß wurde zum ersten Mal 1505/1507 in der Chronik des Luzerner

43 Vgl. Bugge (wie Anm. 30), Det oldnorske Kvad, S.72f. 44 Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, I. Bd., S.317 [Nachdruck der 4. Aufl., Frankfurt/Berlin/ Wien 1981]. Zu weiteren eurasischen Varianten des Motivs vgl. Heinrich Lessmann, Der Schütze mit dem Apfel im Iran. In: Orientalische Litteratur-Zeitung 8, 1905, S.219-221; weiter Miicea Eliade, Notes on the Symbolism of the AITOW. In: Religions in Antiquity. Hg. v. Jacob Neusner, Leiden 1968, S.463-475. 45 Vgl. dazu: Drei Jahrhunderte machen sich ihr Bild vom Teil. In: Teil. Werden und Wandern eines Mythos. Hg. v. Lilly Stunzi, Bern-Stuttgart 1973, S.31-88; zuvor schon Franz Heinemann, Tell-Iconographie: Wilhelm Teil und sein Apfelschuß im Lichte der bildenden Kunst eines halben Jahrtausends (15.-20. Jahrhundert), Luzern 1902.

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Geschichtsschreibers Petermann Etterlin abgebildet - , so ergibt sich die kaum überraschende Entdeckung, daß nur zwei Darstellungsweisen überhaupt in Frage kommen und möglich sind: der Augenblick unmittelbar bevor Teil abzieht und das Resultat - der Sohn zeigt den durchbohrten Apfel, wobei nicht selten auch die unversehrte Stirnpartie zur Geltung gebracht ist. Die Figur des Kästchens würde demnach, wie Bugge es schon sah, mit der deiktischen Gebärde auf die zweite Möglichkeit ansprechen. Zusätzlich sei auf die besondere Erzählvariante bei Saxo Grammaticus hingewiesen, nach welcher der Schütze Toko das Kind sich mit abgewendetem Gesicht aufstellen läßt. Der Pfeil hinter dem Rücken, aus falscher Richtung sozusagen, fände hierin eine Erklärung. Wenngleich insgesamt gewichtige Argumente für eine frühe und damit wohl ursprüngliche Anbindung der Meisterschützenepisode an die Namenträgerschaft von £igili/Egill sprechen, so ist auch mit der an Bugge anschließenden Lesart letzte Gewißheit kaum zu erlangen. Es bliebe daher zu untersuchen, welcher Sachverhalt mit der demonstrativ zum Haar weisenden Handgebärde im angelsächsisch-germanischen Frühmittelalter emblematisch ausgedrückt sein könnte. Von Becker stammt der Hinweis auf das figürliche Dekor des bekannten fränkischen Grabsteins von Niederdollendorf aus der Rheingegend (7. Jahrhundert). Auf der einen Schauseite ist unter der bogenförmigen Abbildung einer doppelköpfigen Schlange eine aufrecht stehende Männerfigur wiedergegeben, die sich mit der rechten Hand an das augenfällig hervorgehobene Haar greift. Die Geste wurde zuletzt von Roth als Vorgang des Kämmens interpretiert.46 Es scheint dies das einzige bisher zugängliche Bildzeugnis zu sein, das auf ungefähr gleicher Zeitebene wie Franks Casket ein ähnliches Verhaltensphänomen visuell erkennbar macht. Aber kodiert die Gebärdenaussage - es handelt sich um ein fränkisches Grabmonument - wirklich die gleiche Botschaft? Roth diskutiert eine Reihe von Vorstellungsbereichen aus Volksglauben und Rechtsbrauch, die sich auf die Haarsymbolik hinführen lassen (z.B. das Haar als Sitz der Lebenskraft, als Mittel bei Rechtsvorgängen wie Schwur, Freilassung, Schutzersuchen). Doch ohne zusätzliche Informationen, seien sie narrativer oder emblematischer Natur, ist die versinnbildlichte Handlung weder auf dem merowingischen Grabstein noch auf der Deckelplatte von Franks Casket zu entschlüsseln. Neue Antworten werden sich wahrscheinlich erst dann finden lassen, wenn ein Motiv- und Gebärdenkatalog der Bildquellen des germanischen Frühmittelalters die Zeichensprache visueller Objekte besser verständlich macht.

46 Vgl. H. Roth, Bildsteine der Merowingerzeit und Karolingeizeit auf dem Kontinent In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd.2, Berlin-New York 1976, S.554f. mit Tafel 45, Abb. b.

Pidreks saga als Gegenwartsdichtung?1 VON HEINRICH BECK

Die gattungsmäßige Zuordnung der PiÖreks saga schwankt in der Sekundärliteratur. Sie wird einerseits den Fornaldarsögur zugeordnet, andererseits den Riddarasögur beigezählt. Übereinstimmung scheint jedoch darin zu herrschen, daß die PiÖreks saga mit ihrem Stoff aus der fornöld schöpfte und damit den Gegenwartssagas entgegensteht. Zu diesem Ergebnis hat nicht zuletzt der bedeutende isländische Philologe und Historiker SigurÖur Nordal beigetragen.2 Von ihm stammt der Vorschlag, die Sagaliteratur zu klassifizieren nach dem zeitlichen Abstand von Begebenheit und Aufzeichnung, d.h. also die erzählte Zeit in ihrem Verhältnis zur Gegenwart des Erzählers zum Kriterium einer Saga-Gliederung zu machen. Er unterscheidet demnach Samtidssagaer (Samtiöarsögur): Der Verfasser ist Zeitgenosse der erzählten Begebenheit oder stützt sich auf zeitgenössische Berichte. Die Grenze liegt bei etwa 1100. Fortidssagaer (Fortiöarsögur): Die erzählte Zeit erstreckt sich etwa von 850-1100. In diesen Zeitraum fallen die Islendingasögur und die meisten Konungasögur. Oldtidssagaer (Forneskjusögur): Die erzählte Zeit liegt vor der Besiedlung Islands, also vor etwa 850. Dazu zählen alle Fornaldarsögur und Riddarasögur. Im Gefolge dieser Nordalschen Sicht wurde die PiÖreks saga als eine Erzählung gesehen, deren erzählte Zeit vor 850 liegt, die also als Fomaldarsaga oder Riddarasaga zu klassifizieren ist 3 Die weitere Unterscheidung von Fomaldarsaga und Riddarasaga knüpften eine Reihe von Autoren an den Raum der Erzählung: Die Fornaldarsögur spielen in den NorÖrlpnd, bzw. im Umfeld der Wikingerzüge (Fornaldarsögur NorÖrlanda). 1

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Der Beitrag ist in seiner Vortragsform belassen und durch einige Literaturangaben ergänzt worden. (Stellenangaben beziehen sich auf die Ausgabe von H. Bertelsen, f>iöriks saga af Beni, K0benhavn 1905-11). Vgl. SiguiOur Nordal, Sagalitteraturen. In: Nordisk Kultur Vili: B, Stockholm, Oslo, K0benhavn 1953, S. 230. Kurt Schier, Sagaliteratur, Stuttgart 1970, S. 83 spricht von stofflichen Zusammenhangen, "ohne daß jedoch die Wöreks saga selbst als Fomaldarsaga aufgefaßt werden dürfte".

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Die Riddarasögur sind in den höfischen Kulturräumen des Kontinents beheimatet (übersetzte Riddarasögur).4 Angesichts dieser Zuordnungen und Klassifikationen, die alle eine gewisse Plausibilität in Teilbereichen beanspruchen dürfen, seien im folgenden die Größen Raum und Zeit in der PiÖreks saga in den Mittelpunkt gerückt Dabei wird die These vertreten, daß in der PiÖreks saga (wie in verwandten Dichtungen auch) Raum und Zeit variable Größen sind, die von dem Bestreben einer örtlichen Aneignung und einer zeitlichen Aktualisierung bestimmt sind - d.h. für Dichtungen dieser Art gibt das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählergegenwart kein geeignetes Kriterium ab. Dieser Einwand richtet sich nicht gegen den Nordalschen Begriff der samtiÖar sögur allgemein. Natürlich besteht ein Unterschied zwischen den Gegenwartssagas von der Art einer Hákonar saga Hákonarsonar, einer íslendinga saga und Sverris saga und der PiÖreks saga. Die Kriterien von Raum und Zeit eignen sich aber nicht, den eigentlichen Unterschied deutlich zu machen - oder doch nur insofern, als bei den eigentlichen Gegenwartssagas diese Kriterien Konstanten darstellen, bei den Dichtungen von der Art der PiÖreks saga aber Variablen. Eine Einschränkung ist im Voraus zu machen: Es ist eine kontrovers diskutierte Frage, ob die PiÖreks saga als niederdeutsche oder als norwegische Schöpfung zu gelten hat, eine altnorwegische Dichtung oder Übersetzung darstellt. Für die folgende Argumentation genügt es festzustellen, daß niederdeutsche Quellen zweifellos in das Werk eingingen - m.a.W. also eine deutsche Perspektive der Quellen zu vermuten ist Das schließt nicht aus, daß die altnorwegische Schöpfung in der Ordnung und Perspektivierung der Quellen eine zusätzliche Deutungsdimension heranträgt. Im folgenden wird der Blick besonders auf die Quellen gerichtet Schauen wir zunächst auf die Zeitdimension, die der PiÖreks saga zugrundeliegt. Die Zentralgestalt I>iÖrekr vertritt den historischen Theoderich, der 526 starb. Als seine Zeitgenossen erscheinen die Burgunderkönige (der historische Burgunderuntergang wird auf 436 datiert) und der Hunnenkönig Adi (Attila, gest. ca. 453). Diese älteste sagengeschichtliche Personenkonstellation hebt also bereits die realgeschichtliche Zeitfolge zugunsten einer neuen Dimension auf. Ein weiterer Schritt auf diesem Wege ist die Einbeziehung des Erminrikr (des historischen Ermanarich, gest. 375) als Zeitgenosse und Gegenspieler des PiÖrekr (das Hildebrandslied kennt noch die Konstellation Theotrich: Otacher, d.h. Odoaker). Auf dieser Stufe bewegen sich das mhd. Nibelungenlied und die eddischen Fremdstofflieder. Einen deutlich erkennbaren weiteren Schritt bieten

4

Vgl. E.F. Halvorsen, Ait: Riddersagaer. In: Kulturhistorisk Lexikon för nordisk medeltid XIV, Malmö 1969, Sp. 178.

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die späteren mhd. Dietrichepen, denen sich die altnorwegische Piöreks saga anfügen läßt Sie synchronisieren mit dieser Personenkonstellation ein weiteres bedeutendes historisches Ereignis: die Kontakte mit der östlichen Völkerwelt, insbesondere den Slawen im Zeitraum des 10. bis 13. Jahrhunderts. Mit zwei Sagenkreisen wird die östliche Hemisphäre in die jüngere Sagengeschichte integriert: - der niederdeutschen Hertnitfabel, - der fränkischen (Wolf-) Dietrichgeschichte. Weist erstere auf die slawische Welt (um HolmgarÖr), so die zweite auf die orientalische (mit Konstantinopel). Beiden Fabeln ist ein buntes und lebhaftes Wachstum eigen. Mit der erweiterten Hertnitfabel (Hertnit vereinigt Russen und Wilzen in einem Reich) assoziiert die Sage die Slawenkämpfe Dietrichs, die von der Attilastadt Soest ausgehen. Die Zeitdimension der Piöreks saga schließt also die Epoche der Slawenkontakte ein, d.h. die Piöreks saga führt in eine Zeit, da sich Vergangenheit und Gegenwart des Erzählers begegnen. Der Slawenkreuzzug des Jahres 1147 unter Beteiligung Heinrichs des Löwen und die Expansion des Deutschen Ordens im Ostseeraum in Konkurrenz mit dem dänischen König im 13. Jahrhundert sind dafür Belege. Die Wilzen (lat. Velti, Veleti, Velatabi, dt. Witten, Wilzen) waren eine slawische Völkerschaft an der südlichen Ostsee, deren Name im Sinne von Slawen insgesamt gebraucht wurde - sowie im Dänischen VinÖr. Die Eigenart dieser Zeitdimensionierung besteht aber nicht allein darin, daß sie bis unmittelbar an die Gegenwart heranführt - vielmehr wird die Vergangenheit verkürzt und in ihrer Erstreckung auf einige wenige Generationen projiziert. In dieser Heldensagen-Sicht erscheint die geschichtliche Tiefe aufgehoben in einer unmittelbar an die Gegenwart grenzenden Spanne von wenigen Generationen. In der Einleitung der Saga greift der Verfasser über Í>i8reks Vater Petmar von Bern zurück bis zum Großvater, einem Ritter Samson von Salemi. Im Verlauf der Erzählung geben die Hauptpersonen Anlaß, eine kurze Ahnenreihe aufzutun: Attila ist Sohn eines Königs OsiÖ von Frisland. König Vilcinus (nach dem Land und Volk der Vilcinamenn benannt sind) führt die längste Ahnenreihe der Saga an: über Vaöe, Velent zu ViÖga. Hier lag dem Verfasser offenbar eine Genealogie vor, die er ausschöpfte, die er aber auch in ihrer Länge gar nicht stimmig mit den übrigen kürzeren Ahnenreihen verbinden konnte. Nicht eine historische 'Richtigkeit' ist offenbar erzählerisches Ziel, sondern allein die Synchronisierung von Lebensläufen im Blick auf die heldische Biographie Piöreks. Für die einzelnen Sagenkreise bedeutet diese spezifische Synchronisierung nicht nur eine Zusammenführung von individuellen Sagen, sondern auch ihre Hierarchisierung.

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In einem ersten Schritt wurden Burgundenfabel und Dietrichfabel synchronisiert und koordiniert (Dietrich hält sich im Exil am Hunnenhof auf) und der Perspektive der Dietrichsgeschichte untergeordnet. In einem zweiten Schritt synchronisiert und koordiniert der Verfasser die Wilzengeschichte und die Dietrichfabel (Dietrich bestreitet in seiner Exilzeit die Wilzenkämpfe). Auch die Wilzengeschichte ist der Dietrichfabel untergeordnet. In einem dritten Schritt dominiert die Dietrichfabel auch über die Attila- und Ermanarich-Sagen. Dietrich erobert Rom, trägt Erminriks Krone und nimmt nach Attilas Tod auch Húnaland in Besitz. Die Dominanz der Dietrichfabel ist von interpretatorischer Bedeutung - auch in der Frage, in welchem räumlichen Kontext die Konzeption der PiÖreks saga zu denken ist. Drei Faktoren sind also jeweils zu beachten: - Synchronisierung (Projektion auf eine Zeitebene), - Koordinierung (Zusammenführung der Sagenkreise), - Hierarchisierung (Unterordnung unter einen führenden Sagenkreis). Nach allgemeiner Erfahrung ist die Raumdimension eine weitaus konstantere Größe in der geschichtlichen Erfahrung. Daß dessen ungeachtet auch sie in der Geschichte der Heldensage/dichtung einem Wandel unterworfen ist, ist umso bemerkenswerter. Man kann wohl die Manipulation beider Dimensionen im Traditionsprozeß der Heldensage/dichtung als Aneignung begreifen, als ein Aufgreifen vorgegebener Geschehenserfahrung von einem gegenwärtigen Standpunkt aus. Die wichtigsten Aktionsräume der Saga sind: - Húnaland mit der Hauptstadt Susat. Reich Attilas und der Hynir, - Niflungaland mit der Hauptstadt Verniza. Reich der Niflungar (Gunnars und seiner Brüder); - Vilcinaland. Reich des Hertnidsohnes Osantrix und der Vilcinamenn; - Romverjaland mit der Hauptstadt Romaborg. Reich des Erminrikr, des Oheims PiÖreks; - Amiungaland mit der Hauptstadt Bern. Reich des PiÖrekr. Bemerkenswert sind in dieser Reihe Hunaland und Vilcinaland. Húnaland identifiziert die Saga mit Saxland. Susat, die Attilaresidenz, ist mit dem heutigen Soest gleichzusetzen. Erfüllt sich nach oberdeutscher Überlieferung das Burgunderschicksal zwischen den Polen Wormez und Etzelnburc (Ungarn), so nach der Saga zwischen Verniza und Susat (Saxland). Dies ist ein deutlicher Fall von Umlokalisierung des Húnalandes, die z.B. im Widerspruch zu der Stufe steht, die im Nibelungenlied erreicht war. Vilcinaland ist in der Reihe der Sagenräume um Dietrich von Bern neu. Die Saga räumt dem Geschehen dort etwa 1/3 des Gesamtumfanges ein. Das Stammland von König Vilcinus umfaßte SvipioÖ,

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Gautland, Skaney, Sealand, Jutland, Vinland (Wendenland) (II, 61). Nachdem er Pulinaland verheert hatte (= Polen), unterwirft er noch Ruziland - mit den Städten Smalenzkia (= Smolensk), Kiu (= Kiew), Palteskia (= Polotsk) und der Hauptstadt HolmgarÖr (= Novgorod). Nach dem Tode des Vilcinus fallen die Eroberungen wieder zurück an König Hertnid von HolmgarÖr und seine Söhne. Die Vilcinussöhne erhalten SvipjoÖ und Sealand, bleiben aber unter der Oberhoheit des Hertnidsohnes Osantrix, dem König des Vilcina-Reiches (II, 68f.). Sagengeschichtlich ist hier offenbar eine Vilcinus-Überlieferung und eine Hertnid-Fabel verknüpft: erstere verbindet sich mit dem größeren dänischen Herrschaftsbereich, letztere mit dem russischen. Die verbleibenden Räume Niflungaland (Verniza), Romverjaland (Romaborg) und Amiungaland (Bern) sind auch den oberdeutschen Überlieferungen vertraut. Die Piöreks saga beschreibt diese Räume als Gebiete von: Eiminriks Herrschaft: Π, 158 (I, 30f.), Gunnars Herrschaft: II, 258 (I, 319; 323), Í>i8reks Herrschaft: I, 31; 174. Der kurze Überblick macht wohl schon deutlich, daß in der Piöreks saga die Größen Raum und Zeit nicht im Sinne objektiver geschichtlicher Darstellung verstanden werden dürfen. Húnaland nach Saxland zu verlegen, die Etzelnburc in Susat zu lokalisieren, widerspricht der oberdeutschen Überlieferung und ist geschichtlich gesehen falsch. Dietrich vor Emiinrikr fliehen zu lassen und seine Exilzeit mit Slawenkämpfen auszufüllen, entspricht nicht der Sicht des Hildebrandsliedes und ist geschichtlich so falsch wie die Verlegung der Etzeinburg nach Soest.5 Offenbar gelten hier nicht die Regeln geschichtlicher Darstellung, auch nicht die Vorgaben, die mit den eddischen Fremdstoffliedern in den Norden vermittelt wurden und auf dem Kontinent vorauszusetzen sind. Es handelt sich allem Anschein nach um Regelhaftigkeiten in einer mündlich gepflegten Überlieferung. Inwieweit es sich tatsächlich um Regeln handelt, müßte weiter verdeutlicht werden. Die folgenden Bemerkungen dazu gehen von der Piöreks saga aus und suchen in einem weiteren Schritt einige Beobachtungen zur Heldensage allgemein einzubeziehen. Es ist also die Frage, ob sich für die Raum-Zeit-Änderungen in der Piöreks saga gegenüber früheren Versionen der Überlieferung Begründungen finden lassen - oder ob diese als Willkür erscheinen.6 Die Piöreks saga bietet sich in

5 6

G. Eis vermutet diesen geographischen Bezug schon im oberdeutschen Dietrich und Wenezlan, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 84, 19S2/53, S. 75. H. Schneider (Gennanische Heldensage 1,1. Buch, 2. Aufl., Berlin 1962, S. 20f.) unterschied dreierlei Arten von Lokalisierung: die altgeschichtliche, die rekonstruierte (meist gelehrte) und die willkürlich aneignende. Problematisch ist dabei die Annahme einer willkürlichen

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dieser Hinsicht als ein geeigneter Untersuchungsgegenstand an, da die Dietrichsagen in deutscher Überlieferung mehrfach bezeugt sind. Die Zeitdimension der PiÖreks saga ist offensichtlich durch zwei Faktoren bestimmt: - die biographische Erzählform. Das Heldenleben des PiÖrekr ist für den Erzähler der narrative Rahmen, in den er alles Geschehen drängt - erweitert durch einen kurzen Blick auf die Vater- und Großvatergeneration. In der Lebensspanne I>iÖreks erfüllt sich aber auch das heldische Zeitalter als solches. Am Ende seines Lebens finden sich weder Helden noch Riesen mehr, mit denen zu kämpfen ihm Ruhm gebracht hätte (Π, 392). Dabei ist davon auszugehen, daß seine Lebenszeit die anderer Menschen überstieg: als 30jähriger begegnet ihm Hildibrandr. Als dieser mit ISO Jahren stirbt (nach deutschen Liedern sei er sogar 200 Jahre alt gewesen), lebt PiÖrekr immer noch. - die Synchronisierung mit den Wilzenkämpfen. Ein gegenwärtiges Geschehen erhält durch die Verbindung mit Gestalten (Atli, PiÖrekr, Hertnid etc.) und Erzählmustern der Heldensage (z.B. der Brautwerbung) eine heroische Dimension, die unmittelbar an die Gegenwart grenzt: das Christentum hat sich etabliert, MÖrekr verließ seinen arianischen Irrglauben und wurde rechtgläubig-katholisch. Klöster existieren, ihre Privilegien stehen offenbar zur Debatte (Heimirs Moniage und Unterwerfung des Klosters Wadincusan unter die königliche Abgabenpflicht). Die Raumdimension erhält eine charakteristische Prägung durch die norddeutschdänisch-slawischen Lokalisierungen. Die Sagahandlung verläuft zu einem wesentlichen Teil in diesen Räumen. Für die Niflungensage bedeutet dies eine bemerkenswerte Umlokalisierung aus dem west- und süddeutschen in den norddeutschen Raum. Das Namensgerüst, das der Sagamann aufbaut, zeugt deutlich davon: einerseits baut er mit aller Deutlichkeit ein niederdeutsches Lokal auf mit Namen wie Susat (Soest), Porta (Dortmund), Drekanflis (Drachenfels), Osning (Teutoburger Wald), andererseits bleiben auch alte Namen stehen: Bakalar (Bechelâren), Mare (Moeringen), Dúná (Tuonouwe). Mit dieser Umlokalisierung geht aber auch eine Umzeichnung bestimmter Handlungsakteure Hand in Hand: - der vom Nibelungendichter ausgestaltete Krieg der Wormser gegen Liudeger von Sachsen und Liudegast von Dänemark hat einen deutlich antisächsischantidänischen Aspekt. Siegfried demütigt deren Könige und ihre Heere in einem

Lokalisierung, die vor allem in Niederdeutschland und Skandinavien geübt worden sein soll. Vgl. auch W. Jungandreas, Umlokalisierung in der Heldendichtung. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 59, 1934, S. 229-238.

Pidreks saga als Gegenwartsdichtung?

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Kampf, der Siegfrieds Vorrangstellung übeldeutlich macht Eine gegenteilige Sicht bestimmt die PiÖreks saga. Die sächsisch-dänischen Helden erhalten eine positive Wertung. Sie sind überragend und zählen zu den ersten unter den jafhingjar Piöreks. - ein zweites Mal treten im Nibelungenlied die Dänen, diesmal in Verbindung mit den Thüringern gegen die Burgunden an: in der 35. âventiure kämpfen Irinc von Tenemarken und sein Lehnsherr Hâwart zusammen mit Irnfrit von Thüringen gegen Hagen, Giselher und Volker - und werden alle erschlagen. Während Irinc im Nibelungenlied eine teilweise burleske Figur abgibt, rühmt ihn die Pidreks saga mit der Feststellung: noch heute nennen die Soester Bürger die Stelle, da er zu Tode kam, den Irungs vegr, die Irungswand. Irungr war ursprünglich der thüringischen Heldensage zugehörig. In der Pidreks saga ist er ein Ritter in Grimhilds Gefolge - macht ihn das Nibelungenlied bewußt zu einem Vertreter Dänemarks? Aktualisierungen, d.h. Aufgreifen von Heldensagenüberlieferungen zum Zwekke gegenwärtiger Problemgestaltungen, sind in diesem Überlieferungszweig öfters zu beobachten. Zwei Beispiele seien angeführt, die durch Saxo Grammaticus eine Aktualisierung erfahren haben: 1.) Die Offa-Sage. Nach altenglischer Version (Widsith) handelt es sich um einen Grenzkonflikt zwischen Angeln einerseits, Myrgingas und Swafe andererseits am Fifeldor, den Offa durch eine Heldentat löste - eine Situation vor Abwanderung der Angeln auf die Insel. Bei Saxo und Sven Agesen sind die streitenden Parteien Dänen und Sachsen. Uffo ist ein Däne, der die bedrohlichen Gebietsansprüche der südlichen Nachbarn an der Eider abwehrt Offenbar wird hier ein Heldensagen-Stoff aktualisiert, um die stets bedrohlichen Grenzkonflikte an der dänischen Südgrenze zu thematisieren. 2.) Die Ingeld-Sage. Nach Beowulf behandelt sie eine Fehde zwischen Dänen und Hadubarden. Ingeld opfert seine Liebe zu der jungen dänischen Gattin (Freawaru) der Rachepflicht für den Vater, der von den Dänen getötet wurde. Bei Saxo ist die Geschichte wiederum in den Dienst aktueller nationaler Interessen gestellt: Ingellus ist ein Dänenkönig, der mit den Sachsen in Fehde liegt. Eine Heirat mit einer Sachsenprinzessin kann den Frieden nicht sichern. Von StarkaÖr aufgehetzt, den ungerächten Tod des Vaters nicht zu vergessen und die Aussicht zu bedenken, Dänemark könne als Erbe an die Sachsen fallen, erschlägt Ingellus beim Gelage die Söhne des Sachsenhenschers, um so die Würde des dänischen Landes gegenüber den Sachsen zu wahren. Die Ingeld-Geschichte bietet Saxo (oder schon Vorläufern) die Möglichkeit, eine höchst aktuelle und an vielen Stellen seines Werkes bekundete Einschätzung der deutsch-dänischen Beziehungen zu artikulieren.

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Aktualisierung bedeutet auch hier, Heldensage/Heldendichtung in einer gegenwärtigen Sicht zu thematisieren. Das Beispiel Saxo zeigt, daß offenbar im Umgang mit der Zeitdimension der Heldensage zwei Möglichkeiten bestehen: - Heldensage wird aktualisiert, d.h. in einem historischen Kontext belassen, aber inhaltlich mit gegenwärtiger Problematik thematisiert. - Heldensage wird vergegenwärtigt, d.h. aus dem historischen Kontext in einen gegenwärtigen oder gegenwartsnahen Kontext übergeführt Mit dieser spezifischen Handhabung der Zeitdimension ist auch (meist) eine neue Sicht der Raumdimension verbunden. Deutlich wird dies in der Fabel vom Burgundenuntergang, wie ihn Nibelungenlied und PiÖreks saga berichten -

räumlich also in der Beziehung des Wormser Könighauses zum Atlihof in Ungarn (Etzelnburc) bzw. Saxland (Susat). Die Aufwertung der sächsisch-dänischen Helden und die Lokalisierung des Burgundenuntergangs in diesem Raum entspringen offenbar einer erzählerischen Absicht, die sich aus der Auseinandersetzung mit der oberdeutschen Dichtung ergibt. Es liegt nahe, damit eine Perspektive zu verbinden, die realgeschichtlich mit dem Gegensatz von Staufern und Weifen gegeben war. Mit dem Tode Kaiser Heinrichs VI. stürzte Deutschland in die 20jährigen Wirren des staufisch-welfischen Thronstreites - "ein epochaler Einschnitt nicht nur für die Geschichte Deutschlands und des Reiches, sondern ganz Europas samt dem byzantinischen Osten, auch für Papsttum und Kirche".7 In der Doppelwahl von 1198 standen sich Philipp von Schwaben und Otto, der Sohn Heinrichs des Löwen, gegenüber. Der Kölner Erzbischof und sein niederrheinisch-westfälischer Anhang wählten Otto zum König. Die Krönung erfolgte am 12.7.1198 in Aachen. Stehen die sagengeschichtlich beobachtbaren Translozierungen und Vergegenwärtigungen in einem Zusammenhang mit dem Tagesgeschehen? Die Beziehungen zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und narrativer Welt sind sicher nicht mechanisch zu sehen - d.h. auf einer inhaltlichen Ebene anzusiedeln (im Sinne einer Identifkation von Sagengestalten und historischen Persönlichkeiten etc.). Hilfreich ist hier der von Erich Köhler verwendete Begriff der "homologen Strukturen" (unter Beachtung der vermittelnden literarischen Traditionen)8. In den Relationen von Nord und Süd, von Ost und West kommen Interessen, Wünsche und Befindlichkeiten der Zeit zum Ausdruck. Sie sind letzlich für 7 8

H. Grandmami. In: B. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1, Stuttgart 1954, S. 342. Vgl. Erich Köhler, Einige Thesen zur Literatursoziologie. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 55, 1974, S. 261.

PiÖreks saga als Gegenwartsdichtung?

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Sagenentwicklungen verantwortlich zu machen, die Raum und Zeit einer Erzählintention unterordnen. Als Ergebnis läßt sich formulieren: Dichtungen von der Art der PiÖreks saga offenbaren eine Raum- und Zeitvorstellung, die wandelbar und anpassungsfähig erscheint. Sie stellen in diesem Überlieferungszweig eine Variable dar. Der erzählerischen Perspektive der PiÖreks saga wird eher eine Interpretation gerecht, die sie in die Nähe von Gegenwartsdichtung rückt Gegenwartsdichtung im engeren Sinne (d.h. im Sinne SigurÖur Nordais) unterscheidet sich von solchen Dichtungen aber dadurch, daß an die Stelle der Variablen Raum und Zeit Konstanten treten. Insofern ist die PiÖreks saga nur in einem eingeschränkten Sinne Gegenwartsdichtung.

Aspekte des Komischen in der PiÖreks saga VON GERT KREUTZER

0. Vorbemerkungen Es muß hier darauf verzichtet werden, auf die zahlreichen Versuche mit ihren ganz unterschiedlichen Ergebnissen einzugehen, das Komische zu definieren.1 Ohnehin wurde mit Recht davor gewarnt,, mittelalterliche Komik mit den Kriterien der in der Neuzeit entwickelten Humortheorien zu analysieren, vielmehr solle man sein Verständnis des Phänomens bei der Betrachtung mittelalterlicher Literatur auf das Bewußtsein der damaligen Zeit reduzieren,2 um nicht Gefahr zu laufen, die Intentionen eines mittelalterlichen Autors oder sogar die Qualität

1

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Erwähnt seien hier Kuno Fischer, Über den Witz, 1889; - Theodor Lipps, Komik und Humor. In: Beiträge zur Ästhetik. Hg. von Th. Lipps und R. M. Werner, VI, 1898; - Henri Bergson, Le rire, Paris 1900; - J. Borew, Über das Komische, I960; - Rolf Arnold Müller, Komik und Satire, Zürich 1973 und András Horn, Das Komische im Spiegel der Literatur, Würzburg 1988. Einen tiefenpsychologischen Ansatz wählte Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Frankfurt/Main 1940. Man berücksichtige dazu aber auch die kritischen Auseinandersetzungen von F. Kiener, Empirische Kontrolle psycholanalytischer Thesen. In: L. Pongratz (Hg.), Handbuch der Psychologie, Band 8/2, Göttingen 1978, S. 1201-1207; - H. J. Eysenck & G. D. Wilson (Hgg.), Experimentelle Studien zur Psychoanalyse Freuds, Wien 1979, S. 276-280; - R. Adamaszek, Trieb und Subjekt, Bern 1985, S. 199220; - A. A. Berger, Humor An introduction. In: American Behavioral Scientist 30 (1), 1987, S. 6-15. Vgl. dazu die kontroverse Debatte um die Fôstbrœôra saga: Nach der extremen und einseitigen Interpretation als reine Parodie durch Helga Kress (Bróklindi Falgeirs. FóstbneSrasaga og hláturmenning miöalda. In: Skirnir 161, 1987, S. 271-287) vermutet ÁstráSur Eysteinsson den Einfluß von Halldór Laxness' Gerpla auf moderne Interpretationen der Saga (Er Halldór Laxness höfundur FóstbrxSra sögu? Um höfundargildi, textatengsl og Jjyöingu í sambandi Laxness viö fornsögumar. In: Skáldskaparmál 1, 1990, S. 171-188), auch Peter Hallberg warnt vor einer seiner Meinung nach anachronistischen Sicht, diesen mittelalterlichen Text als eine Parodie auf den Heroismus zu lesen (An Icelandic saga of our time: Halldór Laxness' Gerpla. In: The Eighth International Saga Conference. The Audience of the Sagas. Preprints, 1, Göteborg 1991, S. 168-180). Einen vorläufigen Abschluß liefert Preben Meulengracht S0rensen mit seiner abgewogenen Darstellung von Humor und satirischer Intention in dieser Saga (Humour, Heroes, Morality and Anatomy in Fôstbrœôra saga. In: Twenty-eight Papers Presented to Hans Bekker-Nielsen [...], Odense 1993, S. 395-418).

Aspekte des Komischen in der PiOreks saga

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einer mittelalterlichen komischen Dichtung zu verkehren.3 So scheint ein pragmatisch-empirisches Vorgehen geboten. Auf der Basis des jeweils ermittelten Befundes sollen bestimmte Kategorien entwickelt, gegeneinander abgegrenzt und ansatzweise in ihrer Funktion umrissen werden. Dabei kann im Hinzelfall durchaus strittig sein, ob ein bestimmter Zug im Mittelalter komisch gemeint oder aufgefaßt wurde. Denn wie die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, so die Komik im Ohr des Hörers: "A jest's prosperity lies in the ear / of him that hears it, never in the tongue / of him that makes it", hat es Shakespeare einmal formuliert.4 Die Komik in der Literatur ist wohl fast so alt, wie die Literatur selbst. In der Antike setzte man sich bereits theoretisch mit dem Phänomen auseinander.3 Das Mittelalter weist eine Fülle komischer Gattungen und Stilmittel auf, die zum Teil auf antike Vorbilder verweisen, zum Teil aber auch einheimische Traditionen fortsetzen oder schaffen.6 Im Hinblick auf die PiSreks saga ist natürlich die

3 4 5 6

Vgl. J. Suchomski, "Delectado" und "utilitas". Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur, München 1975, S. 4 und 6. Love's Labour's Lost V, 2. Vgl. dazu: Mary A. Grant, The Ancient Rhetorical Theories of the Laughable, Madison, Wise.: University of Wisconsin Press 1963. Vgl. dazu allgemein: J. S. P. Tatlock, Medieval Laughter. In: Speculum XXI, 1946, S. 289294; - Helen Adolf, On Medieval Laughter. In: Speculum XXII, 1947, S. 251-53; - Emst Robert Curtius, Scherz und Ernst in mittelalterlich«' Kultur. In: Ders., Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Beni 1948, S. 420-435; - Dennis Howard Green, bony in the Medieval Romance, Cambridge 1979. - Zur englischen Literatur Heinz Reinhold, Humoristische Tendenzen in der englischen Dichtung des Mittelalters, Tübingen 1953; - Martin Tschipper, Lachen und Komik vom späten Mittelalter bis zur elisabethanischen Zeit. Studien zu Conduct Books, Mystery Plays und Jestbooks, Diss. Bamberg 1969; - Dieter Mehl, Belustigung und Erbauung im Schwank. Geoffrey Chaucer. Eine Einführung in seine erzählenden Dichtungen, Berlin 1973, S. 180-198. - Zur romanischen Literatur. Per Nykrog, Les Fabliaux. Etude d'histoire littéraire et de stylistique médiévale, Copenhague 1957; - Fritz Schalk, Die moralische und literarische Satire. La littérature didactique, allégorique et satirique. In: GmndriB der romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd. 6,1, Heidelberg 1968, S. 245-284; - Jürgen Beyer, Schwank und Moral. Untersuchungen zum altfianzösischen Fabliau und verwandten Formen, Heidelberg 1969 (= Studia Romanica 16); - Frank-Rutgar Hausmann, Komisch-realistische Dichtung. Die italienische Literatur im Zeitalter Dantes und am Ubergang vom Mittelalter zur Renaissance. In: Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd. 10,2, Heidelberg 1989, S. 179-200.

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mittelhochdeutsche Literatur als Vergleich von besonderer Wichtigkeit7 und hier wiederum die Helden- und die Spielmannsdichtung.* Komik, Humor, Satire und ähnliche Kategorien fallen in den meisten Zeugnissen der altnordischen Literatur nicht so ins Auge, daß sie ihren Charakter bestimmen. Dies ist nur bei relativ wenigen Texten der Fall, wobei für die Prosa die Bandamanna saga, der Porsteins páttr skelks und der Sneglu-Halla pâttr, für die Poesie die Lokasenna und die PrymskviÖa als Beispiele genannt seien. Andererseits fehlt es bei genauerem Hinsehen in kaum einem Text an komischen Szenen, Figuren oder Dialogen. Bisher gibt es zwar einige Ansätze zur Behandlung der Komik in der altnordischen Literatur, von einer systematischen Gesamtdarstellung dieses Themenkomplexes sind wir aber noch weit entfernt.9 Eine ganz simple Einteilung der Komik geht von den Kategorien Charakterkomik, Situationskomik und Komik mit stilistischen Mitteln aus.10 Obwohl unmittelbar einsichtig ist, daß selbst zwischen diesen drei Gruppen die Grenzen fließend sind und meist Kombinationen auftreten, sollen sie im folgenden für einen ersten Zugang Verwendung finden.

7

Vgl. Hans Fromm, Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 36, 1962, S. 321-339; - Justus Lunzer, Humor im Biterolf. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 63, 1926, S. 25-43; - R. Madsen, Die Gestaltung des Humors in den Werken von Eschenbachs, 1970. 8 Einführung und Literatur Walter Johannes Schröder, Spielmannsepik, Stuttgart 1962. Zur Komik in der Spielmannsdichtung vgl. L. Wolf, Der groteske und hyperbolische Stil des mhd. Volksepos, 1903. 9 Einen knappen Überblick gibt Andreas Heusler, Das Komische im altnordischen Schrifttum. In: Mitteilungen der Vereinigung der Islandfreunde, Bd. 17, Wien 1930, S. 51-59. - Eine Monographie, die sich auf ausgewählte Isländersagas konzentriert, ist: Fritz H. König, The Comic in the Icelandic Family Saga, The University of Iowa, Ph. D. 1972, 1973. - Zur Fôstbrœôra saga s. Helga Kress (wie Anm. 2) und Preben Meulengracht S0rensen (wie Anm. 2). - Eine Materialsammlung zur Komik in Egils saga, Snorra Edda und Heimskringla liefert Finnbogi GuÖmundsson, Gamansemi Snorra Sturlusonar. Nokkur valin dxmi, HafnarfirSi 1991. - E. Paul Durrenberger und Jonathan Wilcox, Humor as a guide to social change: Bandamanna saga and heroic values. In: Gisli Pálsson (ed.). From Sagas to Society. Comparative Approaches to Early Iceland, Hisarlik Press 1992, S. 111-123 sehen den Humor in der Bandamanna saga als Schlüssel zu den sozialen Änderungen in der Sturlungenzeit. Hinweise zur Sagäkomik finden sich auch in den Gesamtdarstellungen, u.a. in: Peter Hallberg, Die isländische Saga, Frankfurt/Main 1965. - Zur Eddakomik vgl.: Franz Rolf Schröder, Das Symposion der Lokasenna. In: Arkiv för Nordisk Filologi 67,1952, S. 1-29. - Otto Höfler, Götterkomik. Zur Selbstrelativierung des Mythos. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 1971, S. 371-389; - A. Ya. Gurevitch, On the nature of the comic in the Elder Edda. A comment on an article by Professor Höfler. In: Mediaeval Scandinavia 9, Odense 1976, S. 127-137. 10 Diese Einteilung legt auch König (wie Anm. 9) zugrunde.

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Zumindest ein Seitenblick gebührt dem zwar fragwürdigen, aber doch folgenreichen Ansatz Michael Bachtins,11 dem trotz aller berechtigten Einwände immerhin das Verdienst zukommt, die Diskussion um die Funktion des Komischen in der Literatur auch des Mittelalters neu belebt zu haben. Das Fehlen einer monographischen Darstellung zur Komik in der Pidreks saga kann angesichts der Forschungslage insgesamt nicht verwundern. Vielleicht schon eher, daß diese Saga in den Überblicksdarstellungen zur Komik nicht einmal erwähnt wird. Andererseits wird auch in den Spezialuntersuchungen zur Pidreks saga dieser Bereich fast ganz übergangen, obwohl er m. E. ein wichtiges Struktur- und Stilmerkmal dieses Textes ist. Die folgende skizzenhafte Untersuchung beginnt mit einer Befragung des Vorworts auf Aussagen zu unserem Thema. Der nächste Teil gliedert sich nach den Themen, um welche die meisten der komischen Passagen in der Pidreks saga kreisen: menschliche Schwächen und Laster wie Feigheit, Eitelkeit, Anmaßung, Habgier und Neid; Sexualität und Geschlechterrollen; Ritter und Mönche. Hierbei mischen sich meist Charakterkomik und Situationskomik. Der nächste zu behandelnde Bereich ist die Komik auf der Figurenebene: Worüber wird von den handelnden Personen gelacht? Mit welchen Scherzen oder witzigen Repliken belustigen oder verspotten sie einander? Der empirische Teil wird abgeschlossen mit der Behandlung stilistischer Mittel zur Erzeugung von Komik. Der anschließende Teil wird sich zusammenfassend mit der Bedeutung der Komik in der Pidreks saga beschäftigen. Dann sollen noch einmal die Einstellungen des Autors/Kompilators zu wichtigen Fragen zusammengefaßt werden, wie sie in den komischen Stellen zum Ausdruck kommen. Es wird weiter zu fragen sein, welches Licht die behandelten komischen Passagen auf die erzählerische Qualität der Saga werfen könnten. Schließlich soll auf der Basis der Ergebnisse noch kurz auf Bachtins These von der "Lachkultur" eingegangen werden.

1. Das Vorwort: Prodesse und delectare Das Vorwort der Pidreks saga, dessen Ursprung und Alter hier nicht diskutiert zu werden braucht, hat verschiedene Funktionen. Es bietet neben einer Inhalts-

11 Vgl. Michael Bachtin, Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1969; - ders., Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt/Main 1987.

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Übersicht u. a. Hinweise auf Ziel, Zweck und Charakter dieser Kompilation. Ganz in der klassisch-antiken Tradition, aber durchaus im Unterschied zur Masse der altnordischen Prosaliteratur, bekennt sich das Vorwort ausdrücklich zu einer Mischung von Nutzen und Vergnügen. Interessant ist hier das Verhältnis dieser Mischung. Während das prodesse nur sehr kurz in dem Sinne begründet wird, daß die Sagas von berühmten Männern nutzbringend (nytsamligar) seien, weil sie den Menschen Heldentaten vorführten und sie lehrten, das Gute vom Schlechten zu unterscheiden, wird das delectare dieser Saga gegenüber der Belehrung auf fast dreimal so viel Raum entfaltet Dabei hat die Darstellung werbenden, fast apologetischen Charakter und grenzt sich nicht nur von der nur ernsten, belehrenden Literatur ab, sondern auch von anderen Formen der Unterhaltung. Es ist ein Plädoyer für die Literatur überhaupt (unter Einschluß der Poesie) und ihren Unterhaltungswert. Ganz rationalistisch wird mit der Effektivität, dem geringen Aufwand im Verhältnis zum Ertrag, der leichten Verfügbarkeit und dem geringen Risiko argumentiert. Kaum vorstellbar, daß der Autor bei dieser Werbung in eigener Sache, wenn er die Literatur als ein billiges und ungefährliches Vergnügen anpreist, ganz ohne Ironie gesprochen haben sollte: t>at er samjiykke margra manna svo ath einn madur maa gledia {ja marga stund enn flester skemtanar leikar eru setter med erfide enn sumer med miklum fekostnadi sumer verda eigi algerfuir nema med mannfiaulda. sumer leikar era faaRa manna skemtan og Stauda skamma stunnd. sumer leikar eru med mannhsttu. a m sagna skemtan edur kvseßa er med onghum fekostnade edur mannhxttu. maa einn par skemta morgumm monnumm sem til wilia hlyda flessa skemtan ma og hafa vid faa metin ef vili hun er iafnbuinn nott sem dagh og hvart sem er liost eda myrkt. (I,6) 1 2

Wenn hier von skemtan und gleÖi die Rede ist, von vergnüglicher Unterhaltung, so ist dies natürlich umfassender als Komik im engeren Sinne. Andererseits wäre es nach diesem Vorwort aber auch höchst verwunderlich, wenn die PiÖreks saga, wie dies (mit gewissen Einschränkungen) etwa für die Heimskringla gilt, gänzlich frei von komischen Elementen wäre.

12 Die PiÖreks saga (Mb = S KB 4 fol., A = AM 178 fol. und Β = AM 177 fol.) wird zitiert nach: Henrik Bertelsen (Hg.), Möriks saga af Bern, 2 Bde, K0benhavn 1905-11 (= SUGNL 34) (zit: Bd., Seite).

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2. Laster und Schwächen 2.1 Feigheit und falsches Heldentum 2.1.1 Der Feigling als komische Figur In den Isländersagas spielt der Feigling als komische Figur eine große Rolle. Pörör inn huglausi und Njósnar-Helgi aus der Gisla saga sind nur zwei Beispiele für diesen Typ des Feiglings, der dem Spott des Lesers ausgesetzt wird und als Folie für unerschrockene Helden wie Gisli dient. Dabei verfährt die Isländersaga recht gnadenlos und überantwortet den Feigling ohne Bedauern dem Tod. Figurenperspektive und Autoiperspektive fallen hier zusammen. Der Feigling ist als Gegenbild zum Helden geradezu unverzichtbar. In aller Regel ist der Feigling von Stand, Herkunft oder anderen Merkmalen her von vornherein ein Außenseiter. Er gehört als Sklave, Ausländer, Besitzloser u. ä. nicht dem Stand der freien Bauern oder Adligen an, aus dem sich die Helden gewöhnlich rekrutieren. Dem standesgleichen Gegner wird dagegen der Mut in der Regel gerade nicht abgesprochen. 2.1.2 Mensch oder Teufel? Diese Art der Charakterkomik auf Kosten sozial niedriger Stehender findet sich auch in der Piöreks saga: Nachdem Velent in seinem ausgehöhlten Baumstamm an Land getrieben wurde, beginnen die Fischer des Königs Nidung auf seinen Wunsch, den Stamm zu öffnen, um zu sehen, was darin ist. Nv hoggva jjeir stocken«, oc er velent fiiwr hvat Jjeir gera J>a kallar harnt a pa oc biör J)a haetta oc segir at maör er istockinom. Oc er Jjeir heyra ravddena pa hyggia Jieir at vera man i fiandiim sialfr itreno. oc verOa {>eir rseddir oc lavpa bravt allir isinn staö hverr. Pa lycr velent vp stockenom oc gengr firir konongen/i oc mslti sva. maör em ec herra en eigi troll [...] Konongrenn ser at fetta er maSr friör oc eigi skelmir (1,84) (Enn er Jjeir heyra hans Rodd hnedast {»ir og hlaupa fra seigia kongi ath peir hyggia ath fiandinn sialfur sie j trienu. Nu lykur Velent vpp stokkinumm og geingur fyrir köng og seiger ath pat er madur enn ei fiande. A, 1,84).

Dieses Motiv, daß ein Mensch von naiv-abergläubischen Menschen für einen Teufel, einen Troll, ein Gespenst oder ähnliches gehalten wird, ist in der komischen Literatur bis in die Gegenwart verbreitet. Neben der Feigheit wird hier zugleich die Naivität aufs Korn genommen. Dasselbe Motiv kommt variiert an späterer Stelle noch einmal vor: Als Vildiver in Verkleidung eines Bären mit dem Schwert König Osantrix und zwei Riesen totgeschlagen hat, geraten die Leute des Königs in Furcht und glauben, in diesem Bären stecke der Teufel: Oc ην leypr ser hveRr konongs manna, er firir ero staddir vapnlavsir. oc veröa allir rygvir oc felmsfvllir viö fall konongsens oc stia allir at fiandinn sialfr se lavpinn i pann biom. (I,269f.)

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Erst als Vildiver das Bärenfell abwirft, erkennen die Stadtbewohner, daß er ein Mensch und kein Troll ist, wie sie gedacht hatten: Nv rifr vildiver af ser biamarins belg oc lsetr nv sia sic hveRr harm er oc sia ην borgarmenn at hann er maSr en eigi troll sem {>eir hugöv. (1,270)

2.1.3. Die angstvollen Räuber Besonders beißend ist die Ironie, mit der die Angst der überlebenden fünf Räuber aus dem Lyrawald vor ViÖga und seinen Gefährten ausgemalt wird. Sie haben eine Brücke hinter sich zerstört: oc vildo eigi f a lata ivir coma firir f v i at feim fotti engaRa happa von at viOga ef feir fyimiz ne hans felagom. firir t>vi at feir fottuz eigi f a t lvt skipti hafa fengit af vapnom hans er feim maetti hvgr viS lxgia. oc eigi vilia feir til beiSaz optaR/-. (1,157)

Die Anspielung auf ihre frühere Großmäuligkeit, mit der sie Viögas Waffen gefordert hatten, läßt sie jetzt desto kläglicher aussehen. 2.1.4 Feige Helden Die Räuber haben Angst vor Viöga und seinen Begleitern. Diese drei, nämlich Hildibrandr, Heimir und Hornbogi sind aber hier keineswegs die mutigen Helden, als die sie nach außen gerne erscheinen möchten. Sie wollen sich nicht in Gefahr bringen, wahren nur mit Mühe den Schein. Hildibrandr greift sogar zu einer hinterhältigen List, indem er sein Schwert mit Viögas Mimung vertauscht (freilich in der Absicht, PiÖrekr vor Viöga zu schützen). (I,152f.) 2.1.5 Heimir auf der Flucht Das Ansehen Heimirs als mutiger Held, hier bereits angeschlagen, wird in der Folge vollends demontiert. Zweimal wird er in der höchsten Steigerung von Feigheit, als Flüchtender vorgeführt - in einer Weise, die durchaus komische Züge hat: Jjetleifir sa at faßir hans er fallimi, oc hœgr til heimis af mikilli hermö i hialm hans sva at hann fell a kne. Oc fegar spretr hann vp aftr oc leypr til hestz sins oc abac hanom oc riör nv sem mest ma hann vndan alian fann dag oc er hann f v i feginn er hann nxr livino i fesso sinni, f a sagBi hann f a t sem margir hava siOan sannat. at ecki i am var i am drottinhoUt sem spori, hann gaf hanom lif fann dag. sem margvm aörom hevir hann gevit, Mb (ath ekki jam er jañidrottinhollt wr afli borit sem sporinn, A; jafngott ur afle bored, og jafii drottne hollt, B) (1,219)

Die Sporen sind es hier also, denen Heimir sein Leben verdankt. Heimirs Verhalten steht in Kontrast zu dem PiÖreks in einer ähnlichen Lage. Der wird ohnmächtig geschlagen, aber als er zu sich kommt, steht er schnell auf und springt auf sein Pferd, doch nicht um zu fliehen, sondern um sich dem Gegner zu stellen und sich zu rächen (I,190f.).

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2.1.6 Heimir flieht vor der Wassermühle Die zweite Flucht Heimirs bedeutet eine Steigerung der Komik ins Groteske. Er hört das Klappern eines Mühlrads und deutet es als die Worte seiner vermeintlichen Verfolger, woraufhin er in panischer Flucht Tag und Nacht reitet, bis er sich in Bern in Sicherheit fühlt: Sva er sagt at mylna var i anni oc geek mylnan. En heimi heyröiz sva til sem mylnv hiolen leti sva slag slag oc drep drep. Sva fotti heimi sem eftir hanom fceri hin« g ami i bitvrvlfr oc maelti vi8 svn sinn petleif. hogg hogg oc drep. heimir riör ην vndan bseöi dag oc nott. oc lettir eigi fyRr en hann com heim i bem. (1,220)

2.1.7 Wandilmar, ein Feigling als Held wider Willen Wir haben in den angeführten Zitaten gesehen, wie einfache Leute sich als Feiglinge erwiesen. Größer war der Gewinn an Komik, wenn wirkliche oder nur vermeintliche Helden zu Feiglingen wurden. Noch komischer ist jedoch der umgekehrte Fall: ein Feigling wird ohne sein Zutun und gegen seinen Willen zum gefeierten Helden. Es geht um die Jagd Jarl Jrons nach einem Wisent - ein mindestens ebenso absurdes Vorhaben wie ein modemer Stierkampf: Nachdem der Wisent sechs Jagdhunde getötet hat, läßt Jron seine eigenen Hunde Paron und Bonikt auf ihn los. Der Wisent flieht, die Hunde verfolgen ihn. Nun kommt die Stunde Ritter Wandilmars und eine Szene herrlicher Situationskomik. Wandilmar ist zwar groß und stark, aber unglaublich ängstlich. Aus Angst vor dem Wisent springt er vom Pferd und klettert auf einen Baum. Das Tier folgt ihm und nun bekommt Wandilmar doppelt soviel Angst. Als er noch weiter nach oben zu klettern versucht, fällt er vom Baum herunter und genau rittlings auf den Hals des Wisents. Er hält sich an den Hömem fest, und nun bekommt auch der Wisent Angst und läuft fort Es ergibt sich eine wilde Jagd, bei der das Tier schließlich ermüdet und ihm der Garaus gemacht wird. Einn riddari hefer fylgt jarli. harm het Wanndilmar, hann var mikill og sterkur og allra manna var hann vdiarfastur. hann hrxddist miogh dyrit pegar hann sa pat og hleypti vndann og sier ath pat munndi faa tekid hann og hleypur af hestinum og vpp i eitt trie. Nu hleypur dyrid epter honum og minder treit, Nu werdur hann haalfu hreddari enn aadur og hleypur vpp i kvistuna er aa woru trenu. enn kvistemer faa ei borit hann og fellur hann ofann. Nu er dyrit vnder og hefur snuist j mot hundunumm riddarinn fellur ofan og kemur millumm hornna dyrsins og sinum meginn huorr fóturinn haalsins. hann spenner hondunumm wmm hom dyrsins og helldur allfast. dyrit verdur allhraett hleypur vndann enn hunndarner epter. Jarl og hans menn hlaupa nv epter hunndunumm. peir fara nv langa leid, pa maellte jarl wid Nordian sinn hinn be sta weidi mann egh sie huar dyrid hleypur og par med ath mikil furda er ath madur nokkur liggur aa haalsi dyrsins. Nu sier Nordian suo sem jarl sa. Pa. kallar jarl hátt sskiumm epter dyrinu pviat nv mun pat msdast, einn wor madur er nu kominn aa dyrith. Nu hle^per Nordian og hverr riddari sem hans hestur ma fara. dyrit hleypur nv sem pat má fara vid manninn. par fylgia vij hiner yngstu wisunndar og aller hundar Jrons ialls par er nv mikit kall, hunnda sk0U og óp, af weidimonnum. dyrit hleypur nordur áa heidina til wngara skogs. Wanndilmar er nu suo hrxddur ath hann muni falla af dyrinu fyrer pa s0k ath petta dyr er suo mikit ath

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bann veit at hann hefer baña ef hann fellur ofann og f a t veit hann ef hann fser halldit ath dyrit mun m s d a s t a f e s s a lund hleypur dyrith f a r til er f a t kiemur j wngara skog og f a r i skoginumm komast fyrer hundarner Paron og Bonikt og faa rekit dyrit apttur og nv verdur dyrenu f u n g t ath hnera haalsinn og hofudit er madurinn sat aa. J f e s s u kemur ath Jron jarl wid sitt gladil. hann leggur i giegnumm dyrit. med f e s s u fellur wisundurinn. (n,137£f.)

Wandilmar, der sich aus bloßer Angst bis zuletzt auf dem Wisent gehalten hat, wird nun vom Jarl Jron zum Helden erklärt. Er überschlägt sich geradezu mit Lobeshymnen und nennt ihn diarfr und hraustr und spricht ihm hreysti, hugpryöi u n d atgiörfi

zu:

f a msellti Jron wid Wanndilmar riddara. f a ert kalladur allra manna vvaskastur til wigs, hier hefer f ν ην vnnid f a t verk ath eingi er suo diarfur edur hraustur i minu lanndi ath meiri saemd hafi mier vnnid enn f u wid f i n n e reysti og skalltu f e s s wel niota er vid komumm heim fyrer saker hugprydi f i n n a r og athgiorfui. (11,139)

So falsch Jron den Wandilmar einschätzt, so falsch schätzen ihn wiederum seine Leute ein. Sie halten ihn für den Jagdhelden, und er tut nichts, diese Meinung zu korrigieren. Es hatte ja zum Glück niemand sonst gesehen, was sich wirklich zugetragen hatte. Nu ridur ath Nordian og adrer riddarar f a r er dyrid hefer fallit, f e i r lofa nu miok afrek jarls er hann hefer gert enn eingi feirra weit nema hann einn er f ann veg hefer tilborid. f e i r taka dyrit og gera til matar og gefa sinumm hundumm og eru nv all káter. f a ridur Jron iarl vid alla sina menn heim og hefer nu efnt sina heitstreinging vel og prydiliga. (11,139)

Am Ende bekommt der unfreiwillige Held die Prinzessin zur Frau und den Titel eines Grafen, wohl der Preis für sein Schweigen. I>a er Jron jarl kemur heim i Brandina borg geingur i giegn honum hans frv og hennar dotter jungfni Jsolld og fagna nu vel jarli og verda nv miok fegnar. hann tok i hond Jsolldi og leiddi hana fyrer Wandilmar riddara og sagdi ath f e s s a giof vili hann gefa honum. f a t f a k k a r Wandilmar vel jarli. epter f a t var giert feirra brullaup og fekk hann Jsolld dottur jarls. Suo launar Jron jarl Wanndilmar er hann fieck fyrer hans saker weidtt hinn mikla wisunnd. Wandilmar war sif ann greifi Jrons iarls. (Π.139)

Diese Geschichte ist gewiß eine der unterhaltsamsten und erfüllt wie wenige andere die Kategorie der skemtan. Ihre Mittel sind zunächst die der Charakterkomik, indem sie Wandilmar als Prototypen eines Feiglings vorführt, obwohl er Ritter ist. Diese Art der Komik geht dann über in eine effektvoll ausgestaltete Situationskomik. Dennoch ist die wirklich komische Figur am Ende aber nicht so sehr Wandilmar, der ja von den Ereignissen in jeder Hinsicht profitiert hat, sondern eher Jron, der in seinem krankhaften Streben, den im Grunde harmlosen Wisent zu erlegen und als Jagdheld zu gelten, jedes Zugeständnis macht. In ihm wird der Jagdheld und der Sinn einer Jagd fragwürdig, bei der nichts als falsche Helden und Hundefutter herauskommen. Hier begegnet uns die Komik in der Funktion, die weniger den Feigling als den sogenannten Helden selbst in ein komisches Licht rückt.

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Die Passage mit dem Ritt auf dem unbeherrschbaren Wisent hat aber noch eine andere Dimension, die sich erst vom Ende der Saga her erschließt. Wenn gewöhnlich, wie man sagt, der Tragödie die Farce folgt, so geht hier die Farce der Tragödie voraus, indem der Ritt Wandilmars in komischer Weise den Ritt KÖreks auf dem schwarzen Teufelspferd vorwegnimmt. 2.1.8 Ironische Kritik an MÖreks "ritterlichem" Verhalten PiÖrekr ist zwar Protagonist und Titelheld der Saga, aber dennoch kein tadelsfreies Idealbild eines Helden. Dies kann er schon deshalb kaum sein, weil seine mehrfache Flucht von Anfang an zum Kern seiner Geschichte gehört und das tragische Thema der mittelhochdeutschen Dietrichepik bildet. Charakterdefekte PiÖreks sind etwa eine gewisse Passivität und seine Freundschaft zu dem zwielichtigen Heimir.13 In einem ungünstigen Licht erscheint PiÖrekr auch in der Episode um den Zweikampf mit Ecka. Dabei scheint es neben der Charakterisierung der Kontrahenten aber auch um eine grundsätzlichere Auseinandersetzung mit ritterlichen Verhaltensnormen zu gehen. Dies ist die Vorgeschichte: König Drusian auf Drekanflis ist gestorben und hat eine Frau und neun unverheiratete Töchter hinterlassen. Die Witwe hat sich mit dem stolzen Ritter Ecka verlobt, der sich für unbesiegbar hält. Er streift als Jäger in den Wäldern umher und fordert jeden zum Zweikampf, der sich nicht unterwerfen will. PiÖrekr, noch von den Wunden geschwächt, die ihm ViÖga beigebracht hat, will vorläufig jeden Kampf vermeiden und hofft, sich in tiefer Finsternis unbemerkt an Ecka vorbeischleichen zu können. Er wird bemerkt und von Ecka zum Kampf gefordert. l>iÖrek gibt zunächst vor, Heimir zu sein, wird aber an seiner Stimme erkannt. Nun versucht er, sich mit mangelnder Bewaffnung und der Dunkelheit herauszureden, läßt sich auch von der Aussicht auf die prächtigen Waffen Eckas nicht provozieren. Schließlich zieht Ecka seinen stärksten Trumpf. Wenn PiÖrekr nicht für Gold kämpfen wolle, dann doch für das Leben (oder den Schutz) und die kurteisi der neun Jungfrauen und ihrer Mutter: Oc ef t)v villt eigi beriaz viör mie firir sakar gullz eöa goöra vapna. {ja bers firir lif oc kvrteisi {»essa ix drotninga oc {jeiRra moOor [...] (1,182)

Damit ist PiÖrekr offenbar an seiner empfindlichen Stelle getroffen, und er geht sofort auf diesen Gedanken ein: J>a nuelti {jiörikr. ]jat veit gvö meö mer at eigi firir gvll oc eigi firir vapn J)in vil ec berriaz viör pec. en firir sacar kvrteisi oc hœverscv feiRra .ix. drotninga J)ar firir vil ec giama beriaz nv. (I,182f.)

Ecka hat endlich den Kampf erreicht, den er unbedingt wollte, aber nicht erzwingen konnte. Daß für Ecka die Berufung auf die Pflicht eines Ritters,

13 Vgl. Ulrich Wyss, Struktur der Thidrekssaga. In: Acta Germanica 13, 1980, S. 76.

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Frauen und Schwache zu schützen und um deren Gunst zu kämpfen, nur ein Vorwand für seine unbezähmbare Kampfleidenschaft ist, wird dem Leser unmittelbar deutlich. KÖrekr dagegen ist wenigstens guten Glaubens, wenn er meint, sich Ritterpflicht und Minnedienst nicht entziehen zu können. Bald gerät er in eine fast aussichtslose Lage, aber als Ecka ankündigt, er werde ihn gebunden den Damen vorführen, will er lieber sein Leben lassen, als Spott von den neun Jungfrauen und ihrer Mutter und allen höfischen Frauen und Männern zu ertragen. Diese Vorstellung bringt ihn so auf, daß ihm neue Kräfte zuwachsen und er - allerdings nur mit Hilfe seines Pferdes Falka - den Ecka besiegen und töten kann. Ecka, der ja mit allen Mitteln den Kampf herbeiführen wollte, hat sich damit einen schlechten Dienst erwiesen und ist zur komischen Figur des bestraften Angebers geworden. Nicht besser ergeht es aber dem Sieger. Stolz reitet er mit den Waffen des Getöteten (sein heiliger Schwur, nicht darum zu kämpfen, ist schnell vergessen) in die Stadt, um Dank und Lohn der Frauen für seine Heldentat zu ernten. Die Reaktion ist allerding nicht im erhofften Sinne. Die Königin-Witwe ist außer sich vor Trauer über den Tod ihres Verlobten, und KÖrekr muß vor ihrer Rache fliehen. Drastisch wird ihm die Hohlheit des Klischees von der ritterlichen Lebensart mit dem unverlangten und unerwünschten Minnedienst, mit kurteisi und haeverska vor Augen geführt. Wieweit diese Passage über die Szene und die beteiligten Personen hinaus eine grundsätzliche Bedeutung hat, wäre zu fragen. Ich sehe hier durchaus Ansätze zu einer Satire, wie sie später auf einer anderen literarischen Ebene bei Cervantes begegnet. PiÖrekr macht auch im weiteren Verlauf nicht immer eine glückliche Figur: "Noch der alte, leidgeprüfte Thidrek muß sich, nach Nibelungenuntergang und Rabenschlacht, einem so infantilen Abenteuer wie einem Drachenkampf unterziehn (II,361f.), und mit seinem im Kloster unverhofft wiedergefundenen Waffenbruder Heimir gibt er sich einem eher kleinkarierten Freibeutertum hin."14 Das Ende PiÖreks schließlich hat schon in der isländischen Version (in der Membran fehlt der Schluß) nichts mit einer heroischen Apotheose oder einer tragischen Verstrickung zu tun, besitzt aber doch einen mystisch-übernatürlichen Charakter. Einen Schritt weiter geht die schwedische Version, in der Körekr an den Wunden stirbt, die ihm sein früherer Freund ViÖga beigebracht hat, und unerkannt als Kaufmann begraben wird: "tha bleff hann dödh äff the sar wideke welanson hade honum giffuith ok warth jordath j then sama stadh för en köpman." (Sv 302)15 14 Wyss (wie Anm. 13), S. 72. 15 Die schwedische Version wird zitiert nach: Gunnar Olof Hyltén-Cavallius (Hg.), Sagan om Didrik af Bern, Stockholm 1850-1854 (= SSFS 5) (zit: Sv Seite).

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Hier ist die Entheroisierung so weit getrieben, daß die Komik nicht mehr fern ist 2.2. Habgier, Stolz und Anmaßung 2.2.1 Die Räuber im Lyrawald Wie Feigheit und falsches Heldentum sind in der Pidreks saga Habgier und Anmaßung Ziel der Kritik mit Hilfe der Komik. Einem solchen Fall sind wir bereits oben im Schicksal des großmäuligen Ecka begegnet. Ein weiteres Beispiel ist die folgende Geschichte: Als ViÖga zur Raubritterburg im Lyrawald reitet, sehen die Räuber seinen Ritt von den Schießscharten herab - aus sicherer Entfernung und unter Deckung. Ihre Überzahl, ihre erhöhte Position und die Sicherheit der Burg unterstützen offenbar das Überlegenheitsgefühl der Bande. Ohne jeden Selbstzweifel fühlen sie sich schon vor dem Kampf als Sieger und widmen sich eingehend dem Problem, wie sie die sichere Beute unter sich aufteilen sollen. Dabei entsteht die Komik sehr allmählich und steigert sich durch die immer größer und absurder werdenden Forderungen. Am Ende glaubt sich der Anführer großzügig geben zu sollen, wenn er ViÖga immerhin das Leben lassen will, wenn er seine ganze Habe und dazu noch seinen rechten Arm und sein rechtes Bein als Beuteanteil verloren hat. ViSga riör nv fram til kastalans oc steinbogans peir sitia i vigskarBom ovan veröom i kastalanom oc sia reiS hans. pa mjelti Gramaleif. par riör einn maör sa hevir skiold mikinn sa skioldr sœmQi mer vel oc hann verö ec at hava en per skiptiö annaRri herneskio hans sem per vilit. pa maelti stvdfvs. mein von at sia maOr eigi sverO gott pat man mitt veröa oc engom kosti vil ec lata pat po at mer ν seri mikit fe boOit viO. Nv maelir praella hans brynio vii ec hava. pa maelir sigstaf hans hialm vii ec hava. pa maelir hinn fimti. hann hevir vist goöan hest hanom skipti ec mer. pa mselir hinn setti ec vii hava kyrtil hans oc oli klaeOi hans. Nv mselir hinn siavndi hvat hevi ec pa nema brynhosur hans meO pvi at allo er aOro skipt aör. pa nuelir hinn .viij. fegyrOil hans vii ec hafa oc allt pat er i er. Nv maelir hinn .ix. ec vil hafa hina hcegri hond hans firir minn lvt pa maelir hinn .x. at visv hevi ec aetlat mer hinn hcegra fot hans a6r ec fara heim. Nv maelir hinn .xi. ec vii pa hava havvQ hans. pa svaraOi stvdfvs. eigi seal drepa manninn po hevir hann fatt gott eptir pa er hann hevir petta latit er nv er skipt at hann haldi lifmo. (I, 146ff.)

Eine andere Note bekommt die Komik in der folgenden Szene. Als drei der Räuber zu ViÖga geschickt werden, um die Beute einzufordern, wird ein komischer Kontrast ausgestaltet zwischen den unverschämten Räubern und dem sich ausgesprochen höflich gebenden Vi5ga. Er begrüßt die Ankommenden freundlich ("velkomnir, goÖir menn") und faßt ihre brüske Forderung nach Habe und Gliedern als Verhandlungsangebot auf, das er einem unschuldigen Ausländer gegenüber allerdings nicht als fair empfinde. Nv fara peir prir amoti hanom einom. pa maelti viÖga. vel comnir goOir menn sagöi hann. peir svaraöo aldrigi skaltv vel cominn her skall tv lata vapn pin oc klaeöi oc hest oc par eptir scalltv leiva

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trina hiña hœgri hond oc pimi hœgra f o t oc po scalltv oss ¡>at vel packa ef pv kœmz livino vndan. Nv maelir viöga. Oiamnleg er pessi saett er per bioöit mer vtlendom marini oc saclavsom. (I,148f.)

2.2.2 Bestrafte Hybris: Der Schmied Amelias Einen typischen Fall von bestrafter Anmaßung haben wir in der Geschichte des Schmiedes Amelias vor uns, der in fataler Überschätzung seiner Möglichkeiten Velent zu einer Wette auffordert. Komische Züge erhält die Episode durch die Charakterisierung des Amelias als verschlagen, dumm und überheblich, insbesondere durch die blinde Selbstsicherheit, mit der er Velent auffordert, nur ja mit äußerster Kraft zuzuschlagen, wodurch er sich selbst das Todesurteil spricht. Nv gengr velent abac stolenom far sem firir sat amelias oc setr sverSz eggina a hialminn oc mselir viO Amelias oc spyR/· ef hami kenn ir. t>a svaraOi Amelias hogg til af olio afli oc lat sem pess mvnir l>v vi6r pvrfa ef lyöa seal. Nv J>rystir velent sva fast sveröino oc dregr viö at svndr nam hialminn oc hawOit oc bryniona oc bvkinn alt til beltistaöar oc lycr sva lifdagom Amelias. (Mb2,1,103f.)

Der exemplarische Charakter dieser Geschichte wird durch den Kommentar der Leute unterstrichen, der inhaltlich unserem Sprichwort "Hochmut kommt vor dem Fall" entspricht. Nv mselti margr maör a flessa lvnd. at par sem mafir setr dramb sitt haest at pat kann laegst at leggiaz. (Mb2,1,104)

Gegenüber der Version der Membran ergänzen die Versionen AB die Episode durch einen Dialog, der die Komik erheblich steigert. Nachdem Velent den Amelias mit seinem scharfen Schwert durch Helm und Brünne hindurch gespalten hat, fragt er ihn zum zweitenmal, ob er etwas spüre. Der antwortet, er habe das Gefühl, man habe ihn mit Wasser begossen. Hier unterliegt Amelias, im Grunde schon tot, einer grotesken Fehleinschätzung seiner Situation, die er noch immer nicht als bedrohlich empfindet. Noch glaubt er wohl an einen möglichen Sieg bei der Wette. Als Velent ihn aber auffordert, sich einmal zu schütteln, fallt Amelias in zwei Teilen vom Stuhl. Ok nu gengur Velent a bak stolnumm peim er Amilias sat a og setur sveröz eggina aa h ans hialm og spyr ef hann kienner. Amilias svarar hogg til diarfliga [og af 0llu afle (fehlt A). edur legg hvart er pu villt og [vœnter mig pu purfer (vasnti ek ath pu skallt purfa A) alls vid ef bita skal. Nu pryster Velent sverdinu [og dregur so fast ad (sua ath i A) sunndur nam hialminn og [h0fuded bukinn og bryniuna, og allt til belltiz, og spir hv0rt hann kienne ad nu bijte. Amilias svarar, ad hann kienne sem vatn kallt fiere umm bukinn. Nu seigir Velent hristu pig og pa muntu kienna, og nu hrister hann sig, og pa fieli hvor hlutur sinn veg ut (er hausinn tok spurde Velent ef hann kenndi. enn Amilias suarar sier wera sem hellt ν aere vmm hann vatne. og pa dro Velent sverdit fast og bad hann hrista sik. ok er hann xtladi pat ath gera hliop sverdit nidur vmm belltistad og fellur hann j tueim hlutum A) af stolnum. Ok nu maelir par (pat A) margur madur [a pessa lund, ad pad sie mest dramb ad setia sig sem haedst, pvi pad skule skiotast falla og laegst sitia adur enn liette (ath pat er mest dramb er sialfur setur aa sik ath pat skal skiotast nidur falla. A) (AB, I,103f.)

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Bei dieser Ergänzung haben wir es wohl mit einem Wanderwitz zu tun, der in ähnlicher Weise von einem chinesischen Meisterhenker erzählt wird.16 Ein durchaus vergleichbarer, aber nicht in derselben Weise ausgestalteter Fall von bestrafter Anmaßung betrifft den unfreundlichen Berner Torwächter, dem Alibrand kurzerhand den Kopf abschlägt. (11,352)

3. Sexualität und Geschlechterrollen 3.1 Die Überlistung der Hildr Ein guter Teil der in kontinentalen Gattungen wie Schwank und Fabliau enthaltenen Komik kreist um Themen, die mit der Sexualität und dem Verhältnis der Geschlechter zu tun haben. Dabei begegnen wir einem skeptischen bis verächtlichem Frauenbild mit seinem ganzen Spektrum weiblicher Schwächen und Laster: Triebhaftigkeit, Unersättlichkeit, Listenreichtum, Untreue usw.17 Diese Art von Komik auf Kosten von Frauen fehlt im Norden nicht völlig, ist aber relativ selten und zurückhaltend. Wo sie vorkommt, bezieht sie sich meistens auf sozial Außenstehende, wie Trollfrauen u.a. Auch in der Piöreks saga werden die Frauen recht milde behandelt. So ist die Neugier von Frauen, auf die Herburt gegenüber Hildr mit Erfolg spekuliert, eine recht harmlose Schwäche. Um die gut bewachte Hildr sehen zu können, wendet er folgende List an: Er nimmt zwei Mäuse, eine mit Gold, die andere mit Silber geschmückt, und läßt sie laufen. Um sie zu sehen, wendet die Prinzessin den Blick und Herburt vermag ihre Aufmerksamkeit und bald auch ihr Interesse an ihm zu wecken:

16 Heinrich Hempel bewertet den Unterschied der Versionen wie folgt: "Der kunstwettstreit zwischen Velent und seinem nebenbuhler im schmiedehandwerk Amelias ist in AB ungleich runder und befriedigender erzählt Es möchte allenfalls als geschickte erweiterung erscheinen, daß nach AB Velent den nebenbuhler ein zweites mal fragt, was er empfinde, als er durch leichten druck das schwert durch den heim und in den schädel eindringen macht Amelias sagt, er habe das gefühl, als ob er mit wasser überschüttet würde. Aber nun der effectvolle schluß: Velent drückt kraftiger, das schwert gleitet ganz durch körper und rüstung des Amelias hinab, Velent fordert ihn auf sich zu schütteln, da fällt er in zwei teilen auseinander. Das ist die natürliche und ursprüngliche pointe der scene und gewiß nicht von einem bearbeiter hinzugefügt Wie matt sind dagegen Mb und Sv! Übrigens ist die pointe einer von den zügen, die Sv sich keinesfalls hätte entgehen lassen, wenn seine vorläge sie bot" (Nibelungenstudien, I: Nibelungenlied, Thidrikssaga und Balladen, Heidelberg 1929, S. 438f.) In der Bewertung der Fassungen kann man Hempel nur zustimmen, kaum aber in der Schlußfolgerung, das Bessere müsse notwendig auch das Ältere sein. 17 Vgl. Suchomski (wie Anm. 3), S. 169.

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Nv haev/r herburt tecit .ij. myss oc aOra latiO bua med gulli en aöra mec silfii. Nu laetr hann t>a lausa musina er med gullinu var buin. en su mus lœypr at steinueGinum. oc t>ar ner sem sitr konungs dotti/·, oc er musai lœypr at henni. t>a li taz hon um skiott oc ser t/7 huar musin lœypr. Oc nu faer herburt set nockot hennar andlit. Nockoerri stundv sidan lsetr hann laupa J>a musina er af silfri war buin oc tiessi mus lœypr ena somv leiO sem en fyRi oc at veGinum J>ar sem konungs dottir var oc anaß sinni ser konungs dottir af sinni boc oc ser musina huar hon lœypr. oc nu ser hon .i. mann abburöar kuiteisligan. oc ην laer hon til hans oc hann til hasnnar igegn. (11,52)

Es gelingt Herburt, ein Treffen mit der Prinzessin zu verabreden. Nun sollte er eigentlich für WÖrekr um Hildr werben, möchte sie aber gerne selbst gewinnen. Da greift er zu einer neuen List, die ebenso originell und komisch ist wie die vorige: damit Hildr ihn selbst vorzieht, malt er ein schrecklich aussehendes Zerrbild PiÖreks an die Wand und erreicht damit tatsächlich sein Ziel: herburt talar opt νΐδ hilldi dottur a r t e konungs. oc hann sag ir, at Tpidrekr ìconungr hans moOur broöi'r hsev/r han sendan a haenar fund. {>ess œrendis at biöia haennar honum til asignar konu hon spyR hvat manna er Jjiörec af bem segir hon eda huersu er hann syndum. Nu suarar herburt Jriörecr konungr er allra kappa mestr i verolldu oc allra mil Idastr af fe. oc ef pu skallt ven hans aeigin kona skort/r xigi Jjic gull ne silfr ne gersimar. hon suarar mattu skrifa hans andlit her a steinn ueGinum. hann suarar. ñ u géra ma ek sva meö minni haendi at sa maör mun kenna {jiörec konung er hann haev/V a5r seö. oc nu skrifar hann a steinueGinum andlit mikit oc raeSilekt. oc nu maellti han. frv se her nu andlit t>iOrex konungs af bem. oc sua hialpi GuC mer at andlit Jiiörex konungs er nu mikclu raeöilegra. (n^5f.)

Die List funktioniert. Hildr will auf keinen Fall diesen schrecklichen an die Wand gemalten Teufel heiraten, sondern fragt Herburt, ob er nicht selbst um sie freien wolle. Nun ist Herburt am Ziel und willigt natürlich sofort ein: Nu suarar hon. verOi xigi GuS mer sua reiör at pessi en rasöilegi anzkoti fai min. oc aenn maellti hon herra hvi biör f)u min til handa {liöreki konungi af bem en biör min sigi til handa sealfum per. Jja maellti herburt. ec vii reca aerendi J>iOrex konungs sem mer var boSit. En Jia ef J)er viliö atigi hann haua pa vil ec giama t>essa biöia af t>er vilit mie hava. (II,56)

PiÖrekr wird eine andere heiraten müssen. In dieser Episode ist es wohl eher eine gewisse Naivität bei Hildr, die es Herburt ermöglicht, zum erwünschten Ziel zu kommen. So mag der Leser über Hildr lächeln, aber auf keinen Fall wird sie hier in herabsetzender Weise bloßgestellt 3.2 Sexuelle Komik Wenigstens oberflächlich gesehen gröber sexuellen Charakter hat die bereits erwähnte Episode, in der sich Jarl Apollonius als reisende Hure Heppa verkleidet. Hierin geht es u.a. darum, daß Mädchen sich damit belustigen, Heppa auszufragen, mit wievielen Männern sie in einer Nacht geschlafen hätte. Die Mädchen interpretieren die Antwort im Sinne ihrer Frage und amüsieren sich köstlich darüber. In Wirklichkeit spielt Apollonius sie aus und benutzt ihre Lust auf Obszönitäten zur Tarnung seiner eigenen Absichten. Hier wird also nicht die

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obszöne Frau selbst zum Gegenstand von Komik (es ist ja auch nur ein verkleideter Mann), sondern ein Publikum, das sich auf diesem Niveau erheitert. (1,117f.)18 3.3 Brynhildr hängt Gunnarr an die Wand Negative Frauenbilder gibt es in der Piöreks saga durchaus, man braucht nur an die grausame Grimhildr zu erinnern. Als Objekt groben Spottes oder gar der Verachtung begegnen sie jedoch nicht Wohl aber gibt es den umgekehrten Fall, der das verbreitete Schema vom Pantoffelhelden variiert. In Brynhildr kehrt sich in komischer Weise das Rollenschema vom starken Mann und der schwachen Frau um. Als der bedauernswerte Gunnarr mit seiner Frau schlafen will, weigert sie sich, fesselt ihn mit ihrem und seinem Gürtel und hängt ihn an einem Nagel an die Wand, wo er bis zum Morgen aushalten muß: oc nu er pau eru .ij. saman vili konungr siga lag vi'3 konu sina. En hon vili pat vist atigi. oc sua Jjrœyta t>au t>etta sin amillum at hon teer sitt beliti oc sua hans. oc bindr foetr hans oc sua hsndr. oc nu festir hon han upp a .i. nagla med fotum oc hondum oc par er hann naliga til dags. (11,40)

Die Tatsache des mißglückten Beilagers hat die Piöreks saga mit den anderen Versionen der Nibelungensage gemein, aber nur sie gestaltet die Szene in dieser grotesk-komischen Weise aus. 3.4 Jron und Isolde. Die Jagd auf vier- und zweibeinige Tiere Auch in der Geschichte von Jron und Isolde erhält die Frau den besseren Anteil. Während sich die Auseinandersetzung zwischen Brynhildr und Gunnarr jedoch auf der Ebene der Körperlichkeit abspielt, geht es hier um geistige Qualitäten. Während Jron als Exponent eines fragwürdigen Männlichkeitsideals gezeichnet wird, ist ihm seine Frau Isolde an Intelligenz, Vorausschau und Lebensklugheit in jeder Beziehung überlegen. Diese Konstellation wird nun aber nicht in so drastisch-burlesker Weise komisch ausgestaltet wie bei Brynhildr und Gunnarr. Isolde liebt ihren Mann, an dessen Verhalten sie mit Recht vieles auszusetzen hat. Er überschätzt seine Kräfte erheblich und fordert immer wieder ohne Not weit Stärkere heraus, vor allem aber ist er von einer krankhaften Jagdleidenschaft befallen, für die er alles aufs Spiel setzt: seine Sicherheit, seine Ehe, sein Reich und letztlich sein Leben. Isolde versucht nun, auf sein Verhalten einzuwirken, um ihn vor sich selbst zu schützen - mit direkten Vorhaltungen (die natürlich nichts fruchten), vor allem aber mit List und den Mitteln einer Frau. So rät sie davon ab, mit Gewalt gegen den mächtigen König Salomon von Frackland 18 Zur sexuellen Komik vgl. auch unten das Kapitel über intertextuelle Komik.

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vorzugehen, um dessen Tochter Herborg für Jrons Schwager Apollonius zu gewinnen, sondern weist den Weg, mit dem sanften Mittel der List und des Liebeszaubers zum Ziel zu kommen. (I,112f.) Glänzend und mit subtilem Humor erzählt ist eine Episode, in der Isolde ihren etwas begriffsstutzigen Mann allmählich zur Einsicht bringt, daß sein Glück nicht in den Wäldern, sondern bei ihr zu Hause zu suchen ist. Ihre Mittel sind Wortwitz, Doppeldeutigkeiten, Anspielungen, verblümte Drohungen und unverhüllte Erotik: Jron jarll af brandina borg veidi'r iafnaη dyr med sinum hundum oc haucum. sua micit kapp hefir han til veiöanna at optt er hann i skogum .vij. netr eöa .ix. nsetr eöa .xij. daga sua at xigi kemr han til stanar borgar. oc viöa riör harm um ceyöi merer. petta likar isoIlde hans konu illa, er hann feR opt ovarlega. oc er skommum heima meö henni en longum i brottu. pat er .i. sinη er jron jarll byr sic oc sina menn oc vili nu xllta dyr oc sua laetr han bua ferS Sina at abrottu skal hann vera .xij. daga, {ietta hoyrOi isoIlde kona hans hon maellti. herra illa gerì {)er pat at keppaz vid dyra veiöar. eöa riöa nid fa menti um oeyöimercr. oc sua mikit sem pv leifi'r septir J>er pat er land pit oc menn pinir. pu riör opt i pa more er skamt ifra riöa pin/r oviw'r Salomon konwngr oc hans menn. hann er ¡eigi minni veiöi madr en pu. ver haellör heima oc get rikis pins, par ma standa mikill ofarnaör af dyra veidinni. ef xigi laetr pv. pa suarar jron. fru pat er min en mesta skemtan at veiöa dyr. oc pat nenni ec vist xigi at firir lata, xcki rxöumc ek Salomon konung eöa hans menn. oc xigi picki mer verra at veiBa i hans more en sealfs mins. pau letta pessu tali oc verör drotning allreiÖ. petta var um uetr oc var fallin nyr sneor. Snemma um morginin xptir stenör jarll upp or sinni reckiu oc gengr at snaeöa oc kallar til sin ueiOi mennina. pa er jarlin var nystaOin or saeng sinni stenör upp fnian. oc gengr ut af borginni. skammt i fra borginni stendr .i. lindi tre fagrt. hon gengr undir treit. oc legr af ser oll klxöin. pa breiOir hon hendr sinar oc laetr fallaz ofan i sneoen sem hon er long, pa stendr hon upp oc feR ikleöi sin. hon ser i sneonum likneskiu sina. oc allz merci sua sem kona haefdi par legit, hon gengr heim til borgar oc par til er jarllin sat iuir matborSi. hon mxlir hui snxöi per sua snemma herra huat villtu nu gera. pa suarar jarllin. fru ec sfcjl riöa ut i skog at ueiöa dyr sem minn uandi er til pa maelti hon. hui uilltu χ riöa ut a ueiöi more, en veiöa eigi pau dyr er her eru vid hond sealfa. oc mattu pa riöa heim at kuelldi. oc sofa i sxing pinni. pa suarar jarllen xigi eru dyr her vid borgina pau er frami se i at veiöa. sma dyr laupa her pav er xkei vil ec sia minum hundum til perra, pa suarar isollde. herra her laupa pau dyr hia sealfri borg pinni er varia mattu sua viöa riöa i œyôi merer er pu muntt finna bettri veiöi en pat ef pu faer pessi teciL oc hit bxzta dyr af pessum ollum er ec sxgi per fra. sa ec nu er ec var gengin ut af borginni. oc ef pu villt skiott viö skipaz pa munntu x n fa tekit pat dyr ef pu villt veiöa. sigi skalltu gera hesta pina sueituga firir pa sœc. oc xigi munntu spilla hundum pinum oc s i n saman f s r pu pat tecit ef pu villt. Villtu xigi veiöa pat. vist ssegi ec per at pa veiöir pat annaR madr.19 jarlin stenör upp pegar, oc geck meß henni utt af borginni oc til linditresens. pa maellti àrottning. herra se her nu huar petta dyr man farit haua oc hyG at xf pu kennir huat dyra petta man verit haua. jarlinn litr i sneoen oc ser stadin at kuenmadr mun par niör hava lagz isneoen. pa maellti fruen herra. se nu ef pu munt set haua noekeuat petta dyr villtu xigi veiöa pat pa veiöir pat annaR madr pa maellti jarlin fru petta dyr s M ueiöa xngi maSr nasma ec. oc snœri aptr iborgina oc kallar til sinna manna at ofan sitai taka perra sœôla. oc binda hunda hans nu vil hann xigi utt riöa. (Π,120-124)

19 Der Frau als Jagdwild, hier aber durchaus unkomisch, begegnen wir auch im Eckenlied (167, 2-13).

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Die gewonnene Einsicht hält immerhin ein Jahr vor, doch dann packt Jron das Jagdfieber von neuem. Isolde setzt Bitten, Tränen, Zärtlichkeiten und erotische Versprechen ein: Nu verdr isoIlde allogloO oc gretr sarlega. hon leGr sinar baöar henör of hals jron jarlle. oc msellti minn leuui herrariOsigi ut sua sem {m sasgi'r uer helldr heima. oc haf skemtan i Jjinni seing meö mer. enriöxigi vt at t>in/ii dyra veiöi. ¡)vi at {>ar mun illt af standa per sealfum oc sua mer ef t>u villt xigi lata leiöaz. (0,133) Leider hat alle Mühe Isoldes keinen dauerhaften Erfolg. Als echter Mann läßt er sich von Frauen (auch seine zwölfjährige Tochter schaltet sich ein) nicht von seinen Plänen abbringen: "aecki maegu konur leda mie." (Π,134) Es kommt, wie von Isolde vorhergesehen: Jron wird gefangen und nun muß sie wieder all ihre Diplomatie aufwenden, ihn, der dies im Grunde gar nicht verdient, wieder freizubekommen. Am Ende läßt sich Salomon erweichen: durch die Bitten seiner Frau, einen Empfehlungsbrief, den Isolde von Atila erbeten hat, und vor allem wegen der kurteisi Isoldes. Die Ironie liegt darin, wie männliche Borniertheit durch Isolde auf der Figurenebene, aber auch durch den Erzähler durch den Verlauf der Handlung bloßgestellt wird. (II,14ff.) Als Isolde wenig später stirbt, dünkt den Jarl dies, immerhin, ein großer Schade ("|)et/a Jjyckir jron jarli enn mesti skaöi." 11,147). 3.5 Der betrogene Betrüger - Jron auf der Jagd nach Bolfriana Eine noch kläglichere Rolle spielt Jron in einer späteren Episode: Atila von Susa ist zu einem Fest in Rom eingeladen, und viele seiner Fürsten reisen mit ihm. Als sie nach Fritila im Aumlungaland kommen, richtet Herzog Aki ihnen ein Fest aus. Bolfriana, die schöne Frau Akis, wird auf den schönen Jron aufmerksam. Auch Jron entgeht die Schönheit Bolfrianas nicht, und er wird ganz krank vor Liebe. Als alle anderen außer Jron und Bolfriana tottrunken sind, können sich die beiden ihre Gefühle gestehen. Jron gibt Bolfriana den Liebeszauberring Isoldes, der seinem Bruder Apollonius Erfolg bei Herborg, der Tochter Salomons, gebracht hatte (die Entführte war aber kurz darauf gestorben). Auf dem Rückweg von Rom machen Atila und seine Männer wieder Station in Fritila und Jron und Bolfriana schwören sich ewige Liebe. Alle reisen heim, auch Jron kehrt nach Brandinaborg zurück. Auf einem Jagdunternehmen kommen Jron und Nordian nach Fritila in Akis Reich. Jron erfährt, daß Aki von jErminrikr nach Rom eingeladen ist. Er schickt Bolfriana einen Brief, in dem er sich mit ihr verabredet, wenn Aki abgereist ist. Aki macht Bolfriana betrunken. Als sie schläft, liest er heimlich den Brief, legt ihn nachher wieder sorgfältig in ihr Täschchen. Aki läßt sich nichts anmerken und reist ab, kehrt aber bald unter einem Vorwand zurück und stößt auf Jron. Es kommt zu einem Kampf, in dem

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Aki den Jron tötet (Π, 148f.) Der Tote wird von Piörekr gefunden, der nach Fritila reist, und bestattet. Aki kommt hinzu und offenbart, daß er mit seinen Leuten den Jron getötet habe. Auf die Frage WÖreks, was Jron sich habe zuschulden kommen lassen, antwortet Aki: "han villdi veiöa imorkunni tvifœtt dyr meö velsamlegri flaerö oc medferö oc slogligri raöa gerö beGia peira iirir uttan minn vilia." (Π.155) Hier begegnet das Thema "Liebe und Jagd" erneut, diesmal nach dem verbreiteten Schema der ertappten und vom Ehemann überlisteten und bestraften Ehebrecher.

4. Makabre und andere Scherze: Komik auf der Figurenebene 4.1 Zurechtweisung eines vorlauten Mönchs In der mittelalterlichen Schwankliteratur spielt Komik auf Kosten von Geistlichen, insbesondere auch von Mönchen, eine sehr große Rolle. In der piÖreks saga tritt dieses Motiv eher zurück, was natürlich mit dem Charakter des Stoffes zu tun hat, fehlt aber immerhin nicht ganz. In der ersten betreffenden Szene wild ein vorlauter Mönch auf drastische Weise zurechtgewiesen, die ihn der Lächerlichkeit preisgibt: i. muncr sa er war hen/iar gezlunujtfr gengr a mill i (iena oc skytr honum i fra. oc spyR hvi hann se sua diarfr utlsnzkr maör at han fiorir at tala vid yOr ini. Oc {»essa sjfeal hann fa giolld skiott. En herbwt tecr sinni hcegri hindi ihans skeG oc skekr sua fast at af losnar SkeG meö skinni oc saeg/'r at hann sjfcal {>at leiOa honum sitt sinni at rinda utlienzkum manni. (11,54)

4.2 Schwerter zu Türangeln Als das Kloster, in dem sich Heimir seit einiger Zeit aufhält, vom Riesen Aspilian herausgefordert wird, ist Heimir zum Zweikampf bereit. Als er nun vom Abt seine Waffen fordert, will dieser sie aus einem Mißtrauen heraus, aber wohl auch, um Heimir aufzuziehen, nicht herausgeben und gibt vor, sie seien nicht mehr verfügbar: aus dem Schwert habe man Türangeln gemacht, das übrige habe man auf dem Markt verkauft: J>a grunar abotann ath ¡sessi mun wera nokkurskonar kempa og maellte. {jitt suerd munntu ecke hafa. t>at er sunndur hogguid og gior af hurdar jam her j mvstrinu enn onnur herklsdi woni selld aa torgi til fiaar stadnumm. (11,379)

Bei dieser Gelegenheit wird den Mönchen vorgeworfen, sie seien wohl klug, was die Bücher angehe, aber dumm im Hinblick auf die Ritterschaft: t>ier munnkar erud froder aa bskur enn faafróder aariddaraskap.wissi pier hversu god t'essi νορη voru t>a hefdi pier alldrei peim lógad. (11,379)

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Der schlechte Scherz des Abts verfehlt seine Wirkung nicht. Als Heimir hört, daß man sein gutes Schwert Naglring zu Türangeln gemacht hat, wird er fuchsteufelswild und reißt dem Abt die Kapuze so heftig herunter, daß diesem vier Zähne herausfallen. ok nv hleypurtaannvpp til abótans og tekur j hans kuflh0tt baadumm h0ndum og maellte. wist warttu fól er t>u skilldir sigi hafa annal jam til ath bua {tinar kirkiu hurder enn mitt góda sverd Naglhring. Jjess skalltu giallda. hann hristir kuflh0ttinn med hofdinu svo bartt ath vr hrutu iiij tennur. (ü,379f.)

Immerhin hat der Scherz den Erfolg, daß Heimir indirekt seine Identität zu erkennen gibt, indem er im Zorn den Namen seines Schwertes verrät: er munkar heyra nefndann Naglhring finna fieir ath {)ar er kominn Heimir Studasson og werda munkar nv mi0k hrsdder og taka lukla t>a er ath ganga einni stoni hirdslu, {jar era i aull hans wopn. (Π.380)

In Wirklichkeit waren alle Waffen noch vorhanden und wie neu. Dasselbe Spiel beginnt von neuem, als Heimir sein Pferd Rispa zurückhaben will: epter £at spyrr hann huar se hans hestur Rispa, {ja su arar abótinn. {)inn hestur dró griót til kirkiu og war nv fyrer morgumm aanim daudur. (11,380)

Keines der Pferde des Landes, die Heimir angeboten werden, kann ihm genügen. Schließlich wird ein altes, abgemagertes Pferd vorgeführt, das Heimir als Rispa erkennt und wieder auffüttert. Komische Züge haben auch die Hohnreden Heimirs und seines Gegners vor dem Kampf. (II,382f.) 4.3 Überlistung 4.3.1 Markgraf RoÖolfr gewinnt mit List Osanctrix' Tochter für Atila Markgraf RoÖolfr geht im Auftrag König Atilas zu Osanctrix. In Verschleierung seiner wahren Identität nennt er sich SigurÖr und gibt sich als Feind Atilas aus. Aus dieser Situation, die der Leser durchschaut, aber Osanctrix lange verborgen bleibt, ergibt sich Ironie, zu der auch absichtlich zweideutige Bemerkungen RoÖolfrs wie die folgende beitragen: [...] ok t>xss villda ek guö bitöia. luma saegir hann. at sua vaere margraeivi RoÖolfr komenn ayöart valid sem nu em ek komenn. ok at per fengeö hanum ambunat sin svik ok illgseming. (1,64)

So wie hier spielt "SigurÖr" im Dialog immer wieder zur Tarnung, aber auch zu seiner und der Leser Erheiterung auf RoÖolfr an. Als ein König namens NorÖungr um Erka wirbt, die mit ihrer Schwester Β aerta in einem Kastell ist, das kein Mann betreten darf, wird ausgerechnet "SigurÖr" als Vertrauensmann zu den Frauen geschickt, um die Werbung mitzuteilen. Geschickt deutet er gegenüber Erka an, daß es in seinem Land gegen die höfische Sitte sei, daß ein Mann mit einer Jungfrau spreche, erst recht ein Ausländer, aber da der König den Auftrag gegeben habe, wolle er sich mit ihr unterhalten. Um keinen Anlaß für üble Nachrede zu bieten, schlägt er allerdings ein Gespräch

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im Garten vor. Die Könige Osanctrix und NorÖungr beobachten die beiden und halten SigurÖr für besonders vertrauenswürdig und NorÖungr denkt, daß SigurÖr seine Werbung weitergeben wird, aber der hat natürlich Wichtigeres zu tun: en bann Sigurör pikkizt xiga skylldare srande at sysla. ok vaerör pui Noröungs konongs ekki getet. (1,66)

Dann offenbart sich RoÖolfr gegenüber den Frauen und bittet für Atila um Erka, für sich selbst um Baerta. Auf Zureden Baertas willigt Erka ein. RoÖolfr führt NorÖungr hinters Licht, ohne direkt zu lügen: En aeraendet gat ek sigi bsetr flutt ok sva hialpe mer guö at ek hasvi syslat af allre minni kvnnasto. Ok pat hyg ek at far sinn skuli bsetr sysla aeraende iokunmi lande [...] (1,68)

NorÖungr denkt natürlich, es handele sich um seine Werbung, und läßt sich hinhalten. Eine Einladung Atilas, bei ihm zu bleiben, nimmt RoÖolfr an, bereitet aber mit einem Vorwand allmählich seinen Rückzug vor. Als Osanctrix einmal weintrunken eingeschlafen ist, reiten RoÖolfr, sein Bruder OsiÖ, Baerta und Erka fort Damit ist das Unternehmen erfolgreich abgeschlossen und der überlistete Osanctrix vermag auch nachträglich nichts daran zu ändern. (I,69f.) Diese Geschichte korrespondiert in Thematik und Darstellung besonders gut mit ähnlichen Brautwerbungserzählungen der Spielmannsepik. 4.3.2 Apollonius als reisende Hure Namensänderungen, Verkleidungen und Verstellungen spielen auch sonst eine große Rolle in der Piöreks saga. Sie sind aber längst nicht immer komisch. Anders liegt der Fall, als sich der Jarl Apollonius, um Herborg treffen zu können, als die reisende Hure Heppa verkleidet, eine komische Episode mit einer Überlistung, deren sexuelle Anspielungen bereits oben erwähnt wurden: harm [Apollonius jarl] gengr par lil er hann kemr i aeitt porp litit oc i aeinv husi finnr han aeina konu. oc maellti til konunnar at hon skylldi fa honum sinn h0fuddvk oc sina skikeiu en han gaf henni sitt fingr gull oc sina goSa skikeiu han toc hœfuOuc oc sueipar um hœfut ser en kuenskikeiu yuir sic. oc gengr til borgarennar helldr siö dags, oc par er opit borgar liO han snyr apa holl er drottninginn atti, oc kom {jar in til kuenna oc konor spyria pser er firir varo huer er tessi kona en hon nefniz heppa. drottning minniz a at hon haevír hana opt heyrt nefnnda Heppu faranda vif pat kollum ver foni konu. pessi haföi verit allra putna mest. hon war oc allra kuena mest sua at cengir karllar voru haeri oc Jjrecligri. firir pa soc nefndiz jarllenn hennar nafni. (n,117f.)

Die Komik in der nun folgenden Szene funktioniert auf zwei Ebenen und ist Teil des listigen Plans. Die Mädchen machen sich über die vermeintliche Heppa lustig. Auch Herborg, die Apollonius erkannt hat, beteiligt sich scheinbar an dem Spiel. Sie fragt, wie viele Männer Heppa in einer Nacht genommen habe. Apollonius tut so, als könne er nicht, wie es sich gegenüber einer Prinzessin gehörte, in höfischer Weise auf Französisch antworten und müsse die Fingersprache zu Hilfe nehmen (ein kleiner Seitenhieb auf die feine höfische Art). Er streckt alle Finger nach oben. Nun lachen Herborg und die Mädchen, aber aus unterschiedli-

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chen Gründen. Die Mädchen deuten die Geste sexuell, Heppa habe mit zehn Männern in einer Nacht geschlafen, Herborg freut sich, weil sie versteht, daß Apollonius mit zehn Männern gekommen ist margar meyiar maelltu v/3 konuna oc henda ser gamaη at. oc {ratti vera nyraSlekt er J>essi kona var komin. fru Herborg g eck til hennar oc maellti vid h ana sem aSrar [hatlega (meyiar katlega Bertelsen) seg nu huersv marga menn toc J>u a se inni nott. t>essi kona fottiz xigi kunna at suara kurteislega afranzeis tungu sem somdi at suara comings áottur oc toc vpp yuir hcefut ser ollum fingrunum. {>a lo konungs dottir oc aliar meyiar. heraf Jjikciz fruin/i uita huersu marga menn han toe heiman meO ser. en aörar meyiar leia oc hallt/a .x. menn toku hana a «inni nott (11,118)

4.3.3 Heimlicher Schwertertausch König NiÖungr wird von Velent getäuscht, indem er die Schwerter austauscht. Komisch wird diese List durch die betonte Diskrepanz der Wirklichkeit zu dem, was NiÖungr von dem Schwert glaubt, das er im Besitz hat: "oc hygs konongr nv hafa ]>a gersimi er aldregi man mein fin/iaz J)o at leiti vm alla verold." (1,105) 4.3.4 Trick beim Schwören f>iÖrekr legt SigurÖr mit einem Trick herein. Er schwört, Mimung nicht zu haben, steckt das Schwert aber nur hinter sich in den Boden. (ü,33f.) 4.3.5 Eine tödliche Behandlung Als Aumlungr Hildibrandr und t»iÖrekr vom Tod des bösen Ermenrikr erzählt, müssen diese lachen. Aus diesem Lachen kann man sicher Erleichterung und Schadenfreude heraushören, es reagiert aber auch auf die Situationskomik, die darin liegt, daß ein offensichtlich grotesk untauglicher medizinischer Rat Sifkas befolgt wird, wodurch dem Kranken endgültig der Garaus gemacht wird: Ec kann segia f e r mikil tidindi af t>inom faOorbroeOr ermenrik konungi. harnt hefiV nu nockora riO siukr vœrit af pui at hans kuiOr var slitnaör oc ofan hafa sigit turns parmar oc istra oc her hefir Sifka lagt til rad at skera skylldi til oc draga sua ut istru og seigir ath ]pa munde wera betur. Ok suo war gert og er ην halfu werr enn aadur. ok nv vitum wier sigi hvort kongur lifer edur sigi, ok ην hlasr Hilldibrand og Mdrek og bidia harm hafa mikla faukk fyrer sin tifindi. (II,340f.)

4.4 ViÖga treibt einen makabren Scherz mit seinen Gefährten Als ViÖga den gefürchteten Riesen j£tgeir getötet hat, inszeniert er einen makabren Scherz, um seinen Gefährten einen Schrecken einzujagen. Die Inszenierung ist dramatisch genug (dreimaliger Superlativ: "sem haröast má hann, sem hasst má hann, sem hann getr haest"), daß sie darauf hereinfallen. Sie fliehen so schnell sie können. Nur KÖrekr besteht diese Tapferkeitsprobe: oc ri5r sem allra haröazt ma hann til sina felaga. nv helldr han upp sinu suerOe sem haest ma hann. oc apir sem hann getr haest. Oc maelir nv. undan goOir vinir. Risin hxvir veitt mer bana sar. oc slikt

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sama biOi per ef nu lœypir sigi hueR sem ma. oc er pe/r hœyra petta kail loeypa nu hueR sem ma naema piOrekr konungr [...] (1,366)

ViOga pa ottaz nu allìr. oc

4.5 Vorgeblicher Scherz Heimirs Es gibt schlechte Scherze, welche die Figuren miteinander treiben, aber auch solche, die nur als Ausrede herhalten müssen. Heimir stellt eine aus Neid geborene beleidigende Äußerung gegenüber Viöga nachher als Scherz hin, als dieser über ihn herfallen will: Oc par kcemr at heimir vin/tr eiö at h ansi nuelti ¡ietta fuir g am ans sakir viC felaga sinn, viöga teer viö pessari saett oc mioc travOr oc lvka peir penna veg sinni deilv. (1,280)

- und auch Reginn sagt, nachdem er Velents Werkzeuge gestohlen hat, er habe dies nur "fyrir gamans sakar" getan. (1,97) 4.6 Heimir treibt einen harmlosen Scherz mit KÖrekr Heimir leugnet PiÖrek gegenüber seine Identität und gibt vor, sich nicht an die gemeinsamen Erlebnisse zu erinnern. Zuletzt beendet Heimir das Spiel: pa hlo Heimer og maellte. Godi heiTa I>idrek kongur, nv minnunst egh alls {less er pu minnter migh. (n,385ff., Zitat 11,387)

4.7 Ironie Ironie spielt keine geringe Rolle in der PiÖreks saga, und zwar auf der Ebene des Figurendialogs wie auf der Erzählerebene. Ein Beispiel für Ironie und spöttische Herabsetzung sind die folgenden Worte Hildibrands, die er an f>iÖrekr richtet: en mer pyckir mein von at pv liotir pann lvtinn er osigr heitir. ef pv nytr enskis at nema pin ein. (1,161)

Als Hildibrandr, Heimir und Hornbogi den im Fluß watenden Viöga als den Zwerg Alfricr ansehen und von ihm Lösegeld fordern wollen, kontert Viöga mit der ironischen Replik, sie mögen ihn aus dem Wasser lassen, dann werde sich zeigen, wie hoch er seinen Kopf trage. (1,140) Beispiele für Ironie des Erzählers sind die folgenden Stellen: Als die überlebenden fünf Räuber vom Lyrawald eine Brücke hinter sich zerstört haben, kommentiert dies der Erzähler in einem ironischen Stil, der ihren jetzigen kläglichen Zustand umso stärker mit ihrer früheren Großmäuligkeit kontrastieren läßt: oc vildo eigi f a lata ivir coma fuir pvi at peim potti engaRa happa von at viöga ef peir fynniz ne hans felagom. fuir pvi at peir pottuz eigi pat lvt skipti hafa fengit af vapnom hans er peim maetti hvgr vi8 lsgia. oc eigi vilia peir til beiOaz optaRr. (1,157)

Aspekte des Komischen in der PiSreks saga

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Mit dem ironischen Mittel der Litotes wird unterstrichen, wie wenig Grund die Römer haben, dem toten Sifka nachzuweinen: "Er Romverium ekki mikill harmur epter sinn hof^ingia." (11,357) 4.8 Lachen Es gibt einige Beispiele, daß Figuren der Saga aus Vergnügen oder in Reaktion auf eine komische Situation lachen, z. B. PiÖrekr und Hildibrandr bei der Erzählung von der medizinischen Behandlung Ermenriks. Häufiger ist das Lachen jedoch nicht Folge oder Wirkung eines komischen Sachverhalts, sondern eher ironisch, spöttisch oder sarkastisch: Als Atila den Markgrafen Roöolfr auf Werbefahrt um Erka, die Tochter des Königs Osanctrix geschickt hat, lehnt Osanctrix die Werbung mit dem Einwand ab, Atila habe Hunaland usurpiert. Atila, zutiefst beleidigt, antwortet mit einem Lachen, das nur als bitter-ironisch zu verstehen ist, und mit einem Sprichwort "Dann soll das Kind seinen Willen haben": "Da svaraÖe atila konongr laeigiande. latvm hafa barn £>at er braekar" (1,60). Atila rüstet zum Krieg gegen Osanctrix, um die Schande zu rächen, muß aber eine Niederlage einstecken. Dasselbe Sprichwort, ebenfalls ironisch gebraucht, begegnet übrigens in der Folge noch einmal: "enda seal ην hava barn {)at er brekar". (1,168) Hier ist es Hildibrandr, der damit PiÖrekr meint, als dieser nicht nachgeben will. Nichts mit Komik zu tun hat auch das eher spöttisch-überlegene Lachen des Osanctrix: "Nu svarar Osantrix kongur hlacianndi J)u margreifi Rodingeirr ert godur dreingur." (11,90) 4.9 Grotesker Vergleich Zweimal wird ein Vergleich gebraucht, der in seiner Verbindung von Menschenfleisch und Fleisch, das in den Kochkessel geworfen wird, grotesk wirkt: hœgr hann (Irungr) til hogna alldiaiflega meö sinu sueröi. a hans loer sua at isundr nemr bryniuna. oc sua mikit af lere sem eC mesta stycki 1M er til ketils er brytiat. (Π.319) - oc vm fiat skal ec svena at fyRi skal ec vera hoGvin sua smatt sem [J>a er (J>at ath A; mgl. B) brytiat er til ketils allra smaest en ec skyla bundin vera (avmlungr) (11,21). 4.10 Ein komischer Gegenstand Möglicherweise ist es nur ein Beweis seiner großen Kunstfertigkeit, wenn Velent einen Nagel mit drei Köpfen macht (Mb I,86f.) Für sich gesehen ist dies aber ein Gegenstand von so grotesker Gebrauchsuntüchtigkeit, daß es wohl nicht zu weit hergeholt ist, hierin einen Scherz Velents zu sehen, den er mit dem König treibt.

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Die Fassung AB tilgt diesen Zug, indem sie in einen Nagel mit drei "Rücken", also mit dreieckigem Schaftquerschnitt ändert

5. Intertextuelle Komik Der Charakter der Pidreks saga als Kompilation vorliegender Quellen, ihre geradezu herausgestellte Mittelbarkeit der Darstellung des Stoffes machen sie zu einem Text, der offenbar ständig auf andere Texte Bezug nimmt, mehrfach auch explizit - und dies nicht nur im Vorwort.20 Dabei handelt es sich hier sicher in der Masse um reine Stoffentlehnungen. Auch im Vorwort deutet nichts darauf hin, daß der Autor/Kompilator sich über seine Quellen erhebt oder sich gar grundsätzlich von ihnen distanziert. Andererseits ist bei dem zeitlichen, geographischen, gattungs- und milieubedingten Abstand der Pidreks saga von den meisten Vorlagen doch damit zu rechnen, daß zumindest in Einzelfällen intertextuelle Referenzen intendiert komischer Natur sind, daß vorgefundene Darstellungsweisen, Figuren, Motive, Situationen, Verhaltensweisen und Wertungen im Sinne einer Parodie in ein neues Licht gerückt werden. Leider läßt sich dies aber nicht am konkreten Beispiel sicher festmachen, da wir bisher keine einzige unmittelbare Vorlage der Pidreks saga kennen und zum Vergleich heranziehen können. Insbesondere ist es schwierig, übernommene und originäre Komik zu unterscheiden. Beispielhaft dafür ist ein direkter oder indirekter Reflex auf eine Szene in Wolframs Parzival. Im vierten Buch (192ff.) wird berichtet, daß die Königin Condwîrâmûrs den jungen Parzival mitten in der Nacht in seinem Schlafzimmer aufsucht. Entgegen den Erwartungen des Lesers, mit denen hier in Komik erzeugender Weise gespielt wird, kommt sie aber "nicht wegen einer solchen Liebe [...], die jenen Namen verlangt, der Jungfrauen zu Frauen macht".21 Vor eventuellen Übergriffen ist sie ja auch bestens geschützt durch ihr weißes Seidenhemd, das ihr als wehrhafte Rüstung dient (192, 15f.) Eine verfängliche Situation, die Condwîrâmûrs in aller Unschuld als Muster höfisch-keuschen Verhaltens meistert Unkeusch sind nur die Gedanken des Lesers, der hier bloßgestellt wird.

20 Ich danke Herrn Kollegen Thomas Klein für wertvolle Hinweise zu diesem Kapitel. 21 "niht nach sölher minne [gienc], / diu sölhen namen reizet / der meide wîp heizet" (192, 1012). Übers, nach Gottfried Weber, Wolfram von Eschenbach: Parzival, Darmstadt 1963, S. 758.

Aspekte des Komischen in der Piöreks saga

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Eine ganz ähnliche Situation wie im Parzival begegnet uns in der Piöreks saga wieder. Petleifr und die Tochter Sigurös haben sich ineinander verliebt. Beim abendlichen Weintrinken war es zu zärtlichen Blicken, Händedrücken und Füßchentreten gekommen. Beide sind sich durchaus einig. Als Petleifr im Bett ist, schläft er sofort ein. Um Mitternacht bekommt er Besuch von Sigurös Tochter, die ohne Umschweife zu ihm ins Bett schlüpft Dabei erwacht er und macht ihr leise Platz neben sich. Nachdem die Lesererwartung nun in eine bestimmte Richtung gelenkt worden ist, wird sie wiederum enttäuscht. Das Mädchen ist nur gekommen, um sich mit I>etleifr zu versöhnen, da sie ihn zunächst ziemlich rüde behandelt hatte. Nun wird, viel deutlicher als im Parzival, unmittelbar auf die vermutete Lesererwartung eingegangen: t>at mvnv Jseir hyggia er heyra sagvna oc nser sitia oc flestv vilia aferlegra veg snva at hon mvndi sialva sec fram bioOa. Nei J>at for sva fiaRn til Jiess gecc hon fangat at skemta hanom meO fagrom dœmi sagom oc aCrom kvrteislegom rœOom. peim er hon kviuii betr en flestar meyiar aOrar. oc hitt at hon vissi at minor sottv flcer tva menn saman i reckiv en ein« saman. (I, 230)

Im Vergleich zum Parzival ist diese Szene komischer: Während Condwîrâmûrs ja in Wirklichkeit tatsächlich ein Muster an höfischer Tugend ist und ihr Verhalten aus ihrem Charakter und durch die Situation, in der sie sich befindet, durchaus begründet ist, fehlt eine solche Erklärung in der Petleifr-Geschichte. Das Mädchen, das sich nun plötzlich als Ausbund höfischen Verhaltens (kurteisi) präsentiert, hatte sich vorher ganz anders gegeben: undamenhaft grob zupackend und sehr initiativ und direkt in sexuellen Dingen. Hier ist der Verhaltenskontrast ins Groteske gesteigert, der Leser darf sich düpiert fühlen. Die nachgelieferte Begründung, daß die Flöhe zwei Menschen in einem Bett weniger plagen als einen, setzt der Szene ein weiteres komisches Glanzlicht auf. Im Parzival wird das höfische Verhaltensideal letztlich nicht in Frage gestellt. In dieser Szene der Piöreks saga scheint es durch die groteske, der Situation kaum angemessene Übersteigerung als obsolet, geradezu komisch hingestellt zu werden.22 Ähnliche Fälle übernommener und (zum Teil) gesteigerter Komik ließen sich in der Vilkinasaga im Vergleich mit der Spielmannsepik, insbesondere mit dem König Rother aufzeigen. Darauf soll hier verzichtet werden. Statt dessen möchte ich kurz auf die Eckensage eingehen.23 Oben im Kapitel 2.1.8 wurde der Kampf zwischen PiÖrekr und Ecka mit seinen komischen und satirischen Zügen behandelt. Hier liegt, wie wir einem Vergleich

22 In AB geht die Komik dieser Szene übrigens völlig verloren. 23 Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Eckenlied. Fassung L. Hg. v. Martin Wierschin, Tübingen 1974 (= Altdeutsche Textbibliothek, Nr. 78). Zum Vergleich der Piöreks saga mit dem Eckenlied s.: Hans Friese, Thidrekssaga und Dietrichsepos. Untersuchung zur inneren und äußeren Form, Berlin 1914, sowie: W. E. D. Stephens, Didrikssaga und Eckenlied. In: London Medieval Studies 1, 1937-39, S. 84-92.

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mit dem mittelhochdeutschen Eckenlied entnehmen können, zweifellos ein Fall von intertextueller Komik vor. Auch das Eckenlied weist komische Züge auf, auf die hier wenigstens andeutend einzugehen ist: Sie liegen teilweise in der Charakterisierung der Figur Eckes, die in grotesker Weise durch übermuot und hofart, aber auch durch eine gewisse Naivität gekennzeichnet ist. Er läßt sich durch die zynische Seburk zum Werkzeug ihrer Launen machen und kommt auch durch das warnende Beispiel Helfrichs nicht zur Einsicht, der sich ebenfalls "durch willen schoener wibe" gegen Dietrich hat ausschicken lassen und damit "selber sein Leid erdacht hat". Komisch ist auch die Schilderung, wie Ecke "wie ein Leopard" zu Fuß in den Wald stürmt und mit seinen tausend Schellen das Wild verstört. Als Ecke gegenüber Dietrich sein Schwert über alle Maßen lobt, um diesen gierig auf die Beute zu machen, ist der Effekt genau gegenteilig: ich hete guoter wiize niht, / swen ich dran gedachte, / das man im soelches prises giht, / und ich dan mit dir faehte: / so bruoft ich mir selben aerebait. (84, 7-11)

Als Ecke merkt, daß er sich selbst eine Falle gestellt hat, zögert er nicht, seine Worte zu widerrufen: "ich han gelogen! / mit dem swert bin ich betrogen; / ich wais niht, wie es snidet" (85,1-3) Dietrich selbst scheint das groteske Mißverhältnis zwischen Anlaß und Tat zu spüren, wenn er zweimal vermutet, die Damen würden sich darüber lustig machen, wenn die beiden sich für sie totschlügen ("das wir hie fehten umbe si, / des munt si dort wol lachen." 125, 7f.). Alle diese komischen Elemente richten sich gegen Anmaßung und Überheblichkeit, aber auch gegen Aspekte des höfischen Frauendienstes.24 Dietrich erscheint gegenüber Ecke als moralisch und dadurch letztlich auch körperlich überlegen. Dennoch wird er auf tragische Weise schuldig. Gemeinsam ist beiden Texten die kritische Beurteilung des falsch verstandenen höfischen Frauendienstes mit seinen blutigen Folgen. Interessant ist aber die Verschiebung in der Beurteilung der beiden Kontrahenten. In der PiÖreks saga wird Dietrich nicht wie im Eckenlied eine moralische Überlegenheit zugestanden. Er wird vielmehr, kaum anders als Ecka, in einem kritischen Licht gesehen, wohl auch dem Spott preisgegeben.

24 Vgl. dazu Francis B. Brévart: "Indem er diese Heldenaussendung tragisch ausgehen ließ, war so die Gelegenheit gegeben, das überkommene, ihm offensichtlich bedenklich gewordene höfische Aventiurewesen, vor allem die Aventiure im Frauendienst dieser Art nicht nur in Frage zu stellen, sondern, wie ich meine, durchaus negativ zu werten." (won mich hant vrouwen usgesant (L 43, 4). Des Helden Ausfahrt im Eckenlied. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, 220. Band, 135. Jahrg., 1983, S. 268-284, Zitat S. 279).

Aspekte des Komischen in der Pidreks saga

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6. Auswertende Zusammenfassung: Bedeutung und Funktion der Komik in der Pidreks saga 6.1 Thematisch Die Komik in der PiÖreks saga richtet sich gegen menschliche Schwächen, die in bestimmten Typen gesteigert vorgeführt werden - Feigheit, Gier, falsches Heldentum, Jagdleidenschaft, Eitelkeit, Unehrlichkeit, Neugier, Geilheit usw. Hieraus könnte man möglicherweise einen christlichen Lasterkatalog nach Art der Exempel abstrahieren. Schwer zu trennen von dieser Art von Charakterkomik ist die Situationskomik, da sich komische Szenen in der Regel aus bestimmten Charaktereigenschaften der Beteiligten ergeben, sich andererseits der Charakter in diesen Situationen erst deutlich offenbart. Eher im Sinne reiner Unterhaltung fungieren die mehr oder weniger komischen Scherze und Repliken, welche die handelnden Figuren untereinander austauschen. 6.2 Ethik, Tendenz Es finden sich in der Charakter- und Situationskomik durchaus Ansätze zu weitergehender und grundsätzlicher Kritik am Ideal und an der Wirklichkeit des Rittertums, am traditionellen Männlichkeitsklischee überhaupt. Hier wird durchaus nicht nur der zeitliche, sondern auch der sozialgeschichtliche Abstand zu den dargestellten Ereignissen und Zuständen deutlich. Als Hákon den Geist höfischritterlichen Lebens in den Norden importieren wollte, hatte dieser sich ja einerseits bereits weitgehend überlebt, andererseits waren die Verhältnisse schon deshalb nicht bruchlos übertragbar, weil es an einer abgeschlossenen höfischen Kultur fehlte. So macht sich wohl gerade in den komischen Stellen eine Außensicht auf das Heldenhaft-Ritterliche geltend. Nicht wenigen Helden wird ja eine durchaus bürgerliche Herkunft zugeschrieben, Städte und Stadtbürger spielen eine erhebliche Rolle, die Helden bekommen bürgerliche Züge. Vielleicht ist es als eine letzte Konsequenz dieser Tendenz zu beurteilen, wenn Dietrich in der schwedischen Fassung sogar als (vermeintlicher) Kaufmann stirbt. Ein grundsätzliches Problem liegt allerdings darin, daß schwer zu entscheiden ist, wieweit es sich um Kritik gegen Erscheinungen der eigenen Lebenserfahrung oder um intertextuelle Referenzen im Sinne einer Gattungssatire oder ähnliches handelt. Die Distanz zur tragischen Heldendichtung ist natürlich noch größer als die zum höfischen Rittertum. Ganz allgemein läßt sich eine Tendenz zur Versöhnlichkeit, zum happy end, zum häufig nicht genügend motivierten Ausgleich

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konstatieren. Dies bedeutet in aller Regel eine Ausdünnung und Verflachung des erzählerischen Potentials. Der Verlust an Tragik wird aber erzählerisch teilweise ausgeglichen durch die Ausgestaltung durch Komik. Auf der anderen Seite sind grobe Geschmacklosigkeiten und Verbalobszönitäten in der PiÖreks saga kaum anzutreffen. 6.3 Strukturelle Bedeutung Angesichts der programmatischen Äußerungen des Vorworts ist die Bedeutung der Komik als wesentliches Mittel der Unterhaltung nicht gering einzuschätzen. Zumindest im Mittelteil der PiÖreks saga ist die "Mischung von Ernst und Scherz" und eine "Erzählweise, die mehr auf Unterhaltung und Belustigung des Publikums aus ist als auf künstlerische Form"25, ebenso bestimmendes Merkmal wie in der Spielmannsepik, von der sie hier stark abhängig ist. Durch das Ausgreifen komischer Episoden auf den ersten und, freilich in geringerem Maße, auch dritten Teil, wird ein gewisser stilistischer Ausgleich, eine Vermittlung zwischen den Hauptteilen erreicht. Nirgendwo wird so die Tragik über längere Passagen zur alles beherrschenden Tonlage. Die Buntheit der Mischung der Erzählhaltungen wie der Stoffe (Tendenz zur Aufteilung von Handlungssträngen!) ist eines der wesentlichen Mittel zur Konstituierung des angestrebten Unterhaltungswertes. 6.4 Stilistische Bedeutung Die stilistisch-erzählerische Qualität der PiÖreks saga wird im allgemeinen nicht hoch eingeschätzt. Es ist unübersehbar, daß die Beteiligten mit der Fülle des Stoffs einen Kampf auszutragen hatten, den sie ambitioniert angingen, aber am Ende nicht gewinnen konnten. Der doppelte Tod des Osanctrix und die Verdoppelung der Vilkinasaga sind dafür die augenfälligsten, aber nicht die einzigen Zeugen. Die erzählerische Ausgestaltung im einzelnen ist ebenfalls durchaus defizitär. Die Charaktere sind häufig genug oberflächlich und widersprüchlich gezeichnet usw. Dennoch gibt es Passagen, die trotz ihrer sprachlichen Schlichtheit durchaus anderen Zeugnissen einer großen Erzähltradition im Norden an die Seite gestellt werden können. Hierzu rechne ich vor allem die Partien komischironischen Charakters, wie die Jron-Isolde-Geschichte oder die WandilmarEpisode.

23 Walter Joh. Schröder, Spielmannsepik, Stuttgart 1962, S. 1.

Aspekte des Komischen in der

PiSreks saga

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6.5 Piöreks saga und "Lachkultur" M. Bachtiii26 unterscheidet innerhalb der neuzeitlichen Romanliteratur zwei Grundtypen, den "monophonen" und den "polyphonen" Roman. Im "monophonen" oder "monologischen" Roman herrsche der "auktoriale" Erzähler vor, der das Geschehene aus einer gleichsam "olympischen" Perspektive heraus gestalte, so daß alle Einzelstimmen einer einzigen, beherrschenden Stimme untergeordnet seien. Im "polyphonen" Roman dagegen finde man eine Vielzahl von Sprechweisen, die nicht nur eigenständige Bewußtseinsformen repräsentierten, sondern auch durch eine "soziale Redevielfalt" gekennzeichnet seien. Diesen "polyphonen" Typus betrachtet er als den Erben einer literarischen Entwicklung, die im Spätmittelalter und in der Renaissance begonnen habe und die am besten durch das Einströmen eines allgemeinen "karnevalistischen Weltempfindens" in die Literatur charakterisiert werden könne. Er entdeckt als "karnevalistisch" angesehene Gattungen und Formen auch im Mittelalter und münzt dabei seinen ideologiekritischen Ansatz in einen historischen um. Für Bachtin bedeutet "Karneval" eine Lebenshaltung, was eine Enthistorisierung des Karnevals und verwandter Phänomene voraussetzt. "Karneval" wird bei ihm mit einer "Lachkultur" gleichgesetzt, welche als Opposition des Volkes zur "ernsten" Kultur des Staates und der Kirche fungiert habe. Diese Sichtweise wird von Moser und nach ihm auch von Guijewitsch als anachronistisch und den historischen Tatsachen widersprechend zurückgewiesen.27 In der Tat steht Bachtins Theorie von einer Lachkultur des Volkes zur mittelalterlichen Quellenlage im Widerspruch. Hierzu kann auch die Piöreks saga Belege beisteuern. Übernimmt man Bachtins Kategorien, stellen sie die PiSreks saga zweifellos eher auf die Seite des "polyphonen" Typs. Wieweit dies in diesem Fall allerdings dem Gestaltungswillen oder -vermögen bzw. -Unvermögen des Redaktors/der Redaktoren zuzuschreiben oder durch die

26 Es scheint, daß nur Helga Kress (wie Anm. 2) versucht hat, Bachtins Thesen auf altnordische Literatur anzuwenden. Sie deutet an, daß sie im "grotesken Realismus" ("grótesk raunsœi") der FôstbrœOra saga und anderer Sagas Hinweise auf eine "Lachkultur" ("hláturmenning") sieht, die Partei für die friedliebende, arbeitende Bevölkerung nimmt, ohne allerdings der Frage nachzugehen, wer im alten Island wohl die Träger einer solchen Gegenkultur gewesen sein könnten. 27 Vgl. zu Bachtin die grundlegende Kritik von Dietz-Rüdiger Moser, Lachkultur des Mittelalters? Michael Bachtin und die Folgen seiner Theorie. In: Euphorion 84, 1990, S. 89-112. Vgl. femer den Moser im wesentlichen zustimmenden Beitrag von Aaron J. Guijewitsch, Bachtin und der Karneval. In: Euphorion 83, 1991, S. 423-429, die wenig überzeugende Replik von Elena Nährlich-Slateva, Eine Replik zum Aufsatz von Dietz-Rüdiger Moser, "Lachkultur des Mittelalters?..." In: Euphorion 85,1991, S. 409-422 und das Schlußwort von D.-R. Moser, Auf dem Weg zu neuen Mythen oder Von der Schwierigkeit, falschen Theorien abzuschwören. In: Euphorion 85, 1991, S. 430-437.

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Quellen- und Entstehungsbedingungen bedingt ist, bleibt letztlich eine offene Frage. Karnevalistische Züge, durchaus auch im Sinne einer Ideologiekritik, finden sich, wie gezeigt wurde, in nicht geringer Zahl. Auch volkstümliche Züge sind überall präsent. Dennoch wäre es meiner Ansicht nach verfehlt, die Piöreks saga als Zeugnis einer volksnahen Gegenkultur in Anspruch nehmen zu wollen, welche zur "offiziellen" Kultur in einer kritischen Opposition gestanden hätte. Viele Zeugnisse sprechen dafür, daß es nur eine, allerdings vielfältige Kultur gegeben hat, und daß man die Piöreks saga nicht aus dem Zusammenhang der Bemühungen des norwegischen Hofes im 13. Jahrhundert reißen darf, den Anschluß an die höfische Kultur des Kontinents zu finden.

Zum Superbiaproblem in der PiÖreks saga VON ULRIKE SPRENGER

Die PiÖreks saga1 endet mit der Höllenfahrt MÖreks; wie E. Marold2 ausgeführt hat, steht dahinter seine Superbia, die durch die Tributforderung an das Kloster (Kap. 440) zwar auch als Habsucht, vor allem aber als Forderung nach einer Stellung der Übermacht zu charakterisieren sei. Wie es um die Superbia PiÖreks allgemein steht, soll hier ausgehend von der Schlacht von Gronsport (Kap. 372384) etwas näher untersucht werden. Hierzu ein Blick auf die Vorgeschichte: Kap. 367-371. Piörekr af Bern lebt seit vielen Jahren beim Hunnenkönig Attila im Exil. Der um sein verlorenes Reich weinende Piörekr erhält auf seine Bitte die militärische Unterstützung von Königin Erka: ihre zwei Söhne und tausend Krieger. Auf ihre Fürsprache hin stellt Attila PiÖrekr Markgraf RoÖingeirr sowie zweitausend Hunnen zur Verfügung. Beim Ausritt des Heeres empfiehlt Erka ihre zwei Söhne dem vorher in diesem Zusammenhang nicht genannten Pether, PiÖreks Bruder, später noch Hjálpríkr. Und nun die Schlacht selbst, Kap. 372-384. Im Kampf kommt es zur Flucht Sifkas und seines Heeres. Darauf setzt der große Auftritt ViÖgas ein; er erschlägt NorÖungr, anschließend greifen die hunnischen Prinzen und auch Pether ein, mit dem Ergebnis, daß Ortvin und Erpr, auch Hjálpríkr fallen. In einem heftigen Zweikampf tötet schließlich - wider Willen - ViÖga Pether. Auf die Meldung dieser Ereignisse reitet PiÖrekr, der seinen Bruder rächen will, ViÖga nach; dieser entzieht sich dem Zweikampf durch Flucht. Er versinkt zuletzt ins Meer, die Heimstätte seiner Mutter. PiÖrekr will wegen des Todes der Prinzen nicht mehr ins Hunnenland zurück. Nach langem Zureden durch RoÖingeirr und andere tut er es schließlich doch. In Susat - RoÖingeirr hat die Berichterstattung

1 2

Die PiÖreks saga wird zitiert nach: t>iÖreks saga af Bern. Hg. v. Henrik Bertelsen, K0benhavn 1905-1911, Bd. I und Π (= Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur, Bd. 34). Vgl. Edith Marold: Dietrich als Sinnbild der Superbia. In: Arbeiten zur Skandinavistik. 6. Arbeitstagung der Skandinavisten des Deutschen Sprachgebietes: 26.9. - 1.10.1983 in Bonn. Hg. v. Heinrich Beck, Frankfurt 198S (= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik Bd. 11). Marold hat bereits hervorgehoben, daB die Höllenfahrt zum "Helden" KÖrekr in Gegensatz steht.

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am hunnischen Hof übernommen - begibt sich MÖrekr zusammen mit Hildibrandr in eine Küche; er will dem Königspaar nicht vor Augen treten, auch nicht nach der Aufforderung Attilas durch zwei Ritter, an den Hof zu kommen. Zuletzt sucht Erka selbst PiÖrekr auf und versichert ihn ihrer und Attilas Gnade. Er lebt nun weiterhin als Freund des Königspaares am Hunnenhof. Das Bild, das in diesen Kapiteln von KÖrekr gezeichnet wird, entspricht nicht dem, das man sich üblicherweise von einem Helden macht PiÖrekr tritt als weinender Bittender vor Erka auf, er spricht von seinem Schmerz um sein verlorenes Land. Piörekr ist ein Vertriebener, der keine andere Möglichkeit hat, sich wieder in den Besitz seines Reiches zu setzen, als um Hilfe zu bitten. In der Schlacht selbst erweist er sich zwar als glänzender Kämpfer, der den Sieg erlangt. Doch nach der Meldung der Erschlagung der Prinzen, des Bruders und vieler Häuptlinge nützt er seinen Sieg nicht aus. Als er schließlich ins Hunnenland zurückkehrt, bleibt er zunächst dem hunnischen Hof fern. Es ist ein tief bekümmerter, vor allem aber sich geschlagen fühlender PiÖrekr, der gezeigt wird: Die Prinzen, hier Anfuhrer eines Heeresteils, wie auch sein Bruder und viele weitere wurden getötet, als KÖrekr an einer anderen Stelle kämpfte; er konnte nicht eingreifen, deshalb sagt er auch: Π, 247, lOff.: "Huat gaf guÖ mer at sok er hann let koma sa illan dag yfir mik at [...]." KÖrekr fragt also, wessen ihn Gott beschuldige, daß er einen solchen Unglückstag über ihn kommen ließ. (Er selbst blieb unverletzt, die anderen starben.) KÖrekr fühlt sich unschuldig; das von Gott über ihn Verhängte ist ihm unerklärlich. Ein zweites Verhängnis trifft ihn: KÖrekr kann sich infolge des Eingreifens von ViÖgas Mutter nicht für die Erschlagung seines Bruders rächen; er muß sich damit als doppelt geschlagen empfinden. Der Tod der Prinzen beschwert ihn deshalb so sehr (noch mehr als der seines Bruders), weil er glaubt, daß eine Rückkehr ins Hunnenland nun unmöglich ist. Daß er sich später im Hunnenland in eine Küche begibt, ist jedenfalls charakteristisch für diesen PiÖrekr. (Dieses Vorgehen als eine Art List zu betrachten, die bewirken soll, daß man ihn später holt, scheint mir nicht gegeben.) Der in der Schlacht von Gronsport und in den vorausgehenden Kapiteln gezeigte Piörekr hat nichts mit Superbia zu tun. Seine Haltung wird sehr gut von RoÖingeirr charakterisiert: Π, 250, 9f.: "aeigi skalltu firir lata Juc [...]": "Du sollst dich nicht selbst aufgeben", d.h. verzweifeln.3

3

Vgl. Fritzner (Johan Fritzner, Ordbog over det gamie norske sprog, Oslo 1954), Bd 1, S. 520, der neben dem Beispiel aus der Piöreks saga noch eines aus der Partalopa saga (25,9f.) anführt. Er verweist auf fyrirleggjast als Synonym und führt vier Beispiele aus der geistlichen Prosa (Biskupa sögur 1,194,25, 823,28, Stjórn 247,2, Maria saga 160,25) an. Das Beispiel aus der Stjórn verdeutlicht die Haltung des den Israeliten übel gesinnten Pharaos, der sie durch Unterdrückung zur Verzweiflung (und damit zum Auswandern) bringen will.

Zum Superbiaproblem in der Piöreks saga

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In Susat gibt es eine überraschende Lösung des Problems für f>iörekr: Π, 251,16ff. fragt Attila zuerst nach dem Ausgang des Kriegszuges und ob PiÖrekr noch lebe. RoÖingeirr antwortet 251, 21ff., daß Piörekr lebt, daß die Hunnen siegten, daß es ihnen aber trotzdem schlecht ging: Die Prinzen sind tot. Er nennt weitere Gefallene, u.a. Pether, und erklärt auch die Verluste der Ömlungen; die Überlebenden flüchteten. Attila, der sich bei RoÖingeirs Darstellung tapfer hält, verweist auf die Todgeweihtheit4, die von der jeweiligen Bewaffnung eines Kämpfers unabhängig ist. In der Folge fragt Erka WÖrekr, ob ihre Söhne tapfer kämpften. Auf seine bejahende Antwort verweist sie auf das Schicksal; die Weiterlebenden müssen für sich selbst sorgen. In da - Halle wird PiÖrekr von Attila freundlich empfangen. Weder bei Attila noch bei Erka ist von einer Schuld I>iÖreks die Rede. Zum Vergleich ein Blick auf die Rabenschlacht5, die dasselbe Thema behandelt. Dort sind die Söhne Etzels noch Kinder; der Vater will sie trotz ihrer Bitten durchaus nicht mit Dietrich ziehen lassen. Schließlich aber setzt sich Helche selbst bei Etzel für das Anliegen der Söhne ein. Dietrich verspricht, sie unversehrt nach Hause zurückzubringen. Die Prinzen werden nach erteilter Erlaubnis in Bern in der Obhut von Elsân zurückgelassen. Auf einem von ihnen erbetenen Spazierritt im Nebel verirrt, geraten sie auf das Schlachtfeld und da vor Witege. Sie und auch der sie begleitende Diether werden von ihm erschlagen. Bei der Nachricht vom Tod der drei reagiert Dietrich unmäßig; er hat lîp und ère verloren (882,6): er verflucht den Tag seiner Geburt (z.B. 888,1/2). Da ihm Gott keine Ehre vergönnt, soll er ihn sterben lassen (894,4/5). 896,3 soll er ihn sogleich vernichten; diesmal verweist er den heiligen Gott darauf, daß der Teufel seinen Spott mit ihm getrieben habe (897). Ihm ist unsœlde zuteil geworden; überall wird man nun sagen: "das ist der, der seinen Herrn verraten hat", obwohl er unschuldig sei (898, 899). Dietrich spricht von Rache für die Prinzen, für den Bruder. Auch hier wird der von Dietrich verfolgte Witege von seiner Mutter gerettet. Der ihn begleitende Rienolt, der sich zum Kampf stellt, wird von Dietrich erschlagen. Nach der Rückkehr zu den toten Prinzen und neuen Klagen Dietrichs erfolgt der Angriff auf Raben; er endet mit seinem Sieg und der Flucht von Ermrîch. Rûedegêr bereitet in Gran die Rückkehr Dietrichs an den hunnischen Hof vor. Helche klagt ihn zuerst an, schuld am Tod der Söhne zu sein, und verflucht ihn. Als sie aber hört, daß Diether auch gefallen ist, und Rûedegêr

4 5

Zìifeigr vgl. HamSismál 10,7/8: "er hér sitiom feigir á mçrom,/ fiani munom deyia". Veige in diesem Sinn wird aber auch noch im Mittelhochdeutschen sehr oft gebraucht Zitate, ebenso Dietrichs Flucht, nach der Ausgabe von Ernst Martin, Deutsches Heldenbuch, 2.Teil, Berlin 1866, S. 217-326 und S. 55-215. Diese Weike der mittelalterlichen Dietrichepik werden hier (ohne Diskussion der chronologischen Probleme) herangezogen.

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ihr darlegt, daß Dietrich auf sein Reich, auf Hab und Gut verzichten und sogar selbst sterben würde, wenn die Prinzen dadurch wieder lebendig würden, und außerdem seinen unmäßigen Schmerz schildert, nimmt sie das Geschehene an. Etzel akzeptiert schließlich ebenfalls das Vorgefallene. Rûedegêr betont im übrigen mehrmals die Bedeutung Dietrichs für den hunnischen Hof. Dietrich kehrt nach Gran zurück.6 In der Rabenschlacht spielt die Schuldfrage eine große Rolle: Nach unmäßiger Klage, mit der Beschuldigung Dietrichs als treulos, kommt die Königin langsam zur Einsicht ihrer Fehlbeurteilung; entsprechend ist es bei Etzel, der zuerst noch Helche selbst beschuldigt, weil sie für das Mitziehen der Kinder eintrat. Die Darstellung des Schuldproblems in der Rabenschlacht ist dennoch inkonsequent. Dietrich fühlt sich, wie angeführt, unschuldig; 1022,4 spricht er jedoch, vor Rüedegers Ritt an den Hunnenhof, von der Schuld, die er gegenüber den Prinzen hat (1024,3 aber wieder von seiner Unschuld). Für Dietrich mag es eine doppelte Sicht des Schuldproblems geben. Er hat sich verpflichtet, für die Sicherheit der Kinder zu sorgen. Daß er das als Schlachtführer nicht selbst tun konnte, ist klar; doch wählte er, auf Rûedegêrs Rat hin, offensichtlich den falschen Mann - Elsân - für diese Aufgabe aus. (Daß auch Diether, dem Dietrich selbst die Prinzen anbefohlen hatte, eine verhängnisvolle Rolle spielte, kann er nicht wissen7, ebensowenig Rûedegêr). Letztlich ist es eine Verkettung unglücklicher Umstände, die zur Katastrophe führt. Man kann eigentlich nur von einer "bedingten" Schuld Dietrichs sprechen. Diese Doppeltheit bezüglich des Schuldproblems bleibt im weiteren bestehen, nicht nur bei Dietrich. Nach Rûedegêrs Bericht, der nie von einer Schuld Dietrichs spricht, bezeichnet auch Etzel, nach vorangegangener Anklage, 1138 Dietrich als unschuldig. In der letzten Strophe (1140) aber heißt es, daß das Königspaar Dietrich seine Schuld vergab. Kann man auch die Doppeltheit der Bewertung der Schuldfrage bei Dietrich psychologisch zu begründen versuchen, so liegt doch vom Werk selbst her gesehen eher eine Inkonsequenz vor, die auf der Benutzung verschiedener Quellen beruhen könnte. In einem gewissen Grad muß das auch für die Darstellung in der Piöreks saga selbst gelten. Da ist einmal JuÖrekr, der sich wie gezeigt schuldlos fühlt. Trotzdem sagt er Π, 250,16ff., daß er Erka versprochen habe, die Prinzen zurückzubringen, dies nun aber nicht getan habe. Die Rollenverteilung der Piöreks saga

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Er fällt Etzel zu Füßen und sagt, daß er ihn töten solle (1136, 1137). Daß er trotz der Eroberung von Bern nach Gran zurückkehrt, wird nicht begründet. Es ist wohl der Druck der Sage: Dietrich gehört ins Exil. Zuerst überredet er Elsân, die Erlaubnis zu einem Spazierritt zu geben. Auf dem Schlachtfeld selbst gibt er, da er sich an Witege rächen will, den Anstoß zum Kampf mit ihm.

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zeigt jedoch deutlich, daß J)iÖrekr ohne Schuld ist: In diesem Werk ist es Erka, die zwei Ausziehenden ihre Söhne zum Schutz anvertraut und zweimal das Versprechen erhält, entweder mit den Söhnen zurückzukommen oder überhaupt nicht heimzukehren. Gegenüber der Rabenschlacht bedeutet dies einen grundlegenden Unterschied: Dort verspricht Dietrich, die Prinzen Helche unversehrt zurückzuführen. In der PiÖreks saga hat jedoch JuÖrekr mit dem Schutz der Kinder überhaupt nichts zu tun. Er ist unbelastet von diesem Problem; das oben angeführte Zitat ist damit als ein aus einer benutzten Quelle stehen gebliebenes Relikt zu betrachten, eine Quelle, wie sie auch die Rabenschlacht benutzt hat, die deutlich die Verpflichtung Dietrichs darlegt (auch wenn er dieser, wie gezeigt, nicht selbst genügen kann). Bei der von Dietrich durchzuführenden Rache liegt eine ähnliche Doppeltheit vor. In der Rabenschlacht will Dietrich die Rache für die Söhne Etzels ausführen (902,934). 908 aber spricht er, unter Anrufung Gottes, von der Rache für seinen Bruder; der von Dietrich verfolgte Witege (970,6) redet nur davon, daß er dessen Bruder tötete. In der PiÖreks saga erwähnt JnÖrekr nach den verschiedenen Totschlägen an erster Stelle die Prinzen, dann seinen Bruder. In der Folge sagt er, er könnte den Tod seines Bruders besser verschmerzen als den von Ortvin und Eipr. Im Anschluß daran bemerkt er, daß er nun die Prinzen rächen oder aber sterben müsse (Π, 247,18). Im Gespräch mit ViÖga nennt f>iÔrekr jedoch nur die Rache für seinen Bruder (II, 248,9 und 248,15). Auf dem Schlachtfeld selbst beklagt er zuerst seinen Bruder (249,10), anschließend die Prinzen (249,18). Hinsichtlich der Rabenschlacht kann man hervorheben, daß für Dietrich, der gegenüber dem hunnischen Königspaar eine Verpflichtung eingegangen war, die er aber nicht erfüllen konnte, die Durchführung der Rache für die Prinzen besonders notwendig war, verschafft die Rache den Betroffenen doch eine gewisse Genugtuung. In der PiÖreks saga gibt es keine solche Verpflichtung PiÖreks, trotzdem besteht auch für ihn ein Grund zur Rache für die Prinzen. Die Rache für einen Blutsverwandten ist zwar für den Betroffenen die erste Pflicht, doch ist PiÖrekr als Vertriebener vom hunnischen Königspaar abhängig; deshalb ist, wie er glaubt, durch den Tod der Prinzen seine Lage aussichtslos geworden, damit Rache für Ortvin und Erpr erforderlich. Der von seinem Schmerz - und seiner Verzweiflung (Erka!) - Aufgewühlte denkt einmal an die Prinzen, dann wieder an seinen Bruder. Dennoch ist auffällig, daß in beiden Texten eine solche Doppeltheit bezüglich der Rache besteht; der Gedanke an verschiedene Quellen liegt auch hier nahe. Man kann in diesem Zusammenhang auf Rosenfeld8 verweisen,

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Vgl. H. Rosenfeld, Art. Dietrichdichtung. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 5, Berlin 1976, S. 432.

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der von der Möglichkeit eines Heldenliedes über die Schlacht von Ravenna spricht, dessen tragischer Abschluß der Tod Diethers und der vergebliche Versuch Dietrichs, seiner Rachepflicht nachzukommen, gewesen wäre. Allerdings muß hier hervorgehoben werden, daß zwar in der PiÖreks saga wie auch in der Rabenschlacht die Rache für die Erschlagenen für den Berner ein bestimmendes Anliegen ist, daß aber bei der Berichterstattung am hunnischen Hof davon überhaupt nicht gesprochen wird. In der Rabenschlacht wird die Verfolgung Witeges durch Dietrich lediglich angetönt, aber nicht dargestellt. Bei der PiÖreks saga mag das damit zusammenhängen, daß die Todgeweihtheit der Prinzen das klärende Wort für ihre Erschlagung ist. In der Rabenschlacht ist der Schmerz das alles bestimmende Thema: die hauptsächlichste Entschuldigung für Dietrich liegt darin, daß er durch den Tod seines eigenen Bruders einen schweren Verlust erlitten hat, d.h. dadurch zu einer Art Leidensgenosse des hunnischen Königspaares wird. Obwohl in der Rabenschlacht der Schmerz Dietrichs unmäßig ist, auch der über den Tod seines Bruders, geht er schließlich auf Anraten eines Kriegers zur Belagerung von Raben über und nimmt die Stadt ein (vorher muß er auf sein Pferd getragen werden). Diesem Dietrich fehlen also gewisse Skrupel, die er in der PiÖreks saga hat (z.B. bezüglich der weiteren Benützung des Heeres von Etzel). Doch muß auch hier erst Rûedegêr das hunnische Königspaar "vorbereiten", ehe Dietrich an den Hunnenhof zurückkehren kann. Durch den Verlust der Prinzen und seines eigenen Bruders wie auch die nicht durchgeführte Rache ist Dietrich schwer getroffen, immerhin gibt es für ihn eine gewisse Erfüllung durch die Rückeroberung seines Reiches, d.h. die Besiegung Ermrichs. Das Ziel seines kriegerischen Auszuges hat er erreicht, wenn auch verbunden mit schwerem Leid; dieser Dietrich wird nicht wie in der PiÖreks saga handlungsunfähig. Die Akzente sind hier in der PiÖreks saga wesentlich anders gesetzt als in der Rabenschlacht. Auch für die Argumentation des Königspaares zur Erschlagung ihrer Söhne gilt dies. In der Rabenschlacht ist wie in den entsprechenden Stellen der PiÖreks saga keine Superbia Dietrichs zu erkennen. Zur Vervollständigung der Charakterisierung Dietrichs in der Rabenschlacht sei noch kurz Dietrichs Flucht herangezogen, trotz teilweiser inhaltlicher Überlagerung. Nach einem ersten Sieg über Ermrich muß Dietrich infolge eines Überraschungscoups seines Onkels für die Auslösung seiner gefangenen Recken alles hergeben, was er hat, Länder, Gold. Obwohl er vor Ermrich einen Kniefall macht und ihn bittet, ihm, der noch nicht einmal zum Mann herangewachsen ist, wenigstens Bern zu geben, bleibt dieser hart. (Auch daß Dietrich seinen Sohn gefangen hat und Ermrich so dessen Leben aufs Spiel setzt, hat keinerlei Bedeutung.) Dietrich muß bettelarm abziehen.

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Fünfzig Recken begleiten ihn. Er hadert mit seinem Schicksal: nicht nur hat er sein Königreich verloren; niemand wird mehr seinem Namen Ehre erweisen. Schon bald aber tritt Rûedegêr auf, der ihm alle erdenkliche Hilfe zuteil werden läßt und ihn zu Helche bringt, die Dietrich dann zu Etzel führt Das hunnische Königspaar ermöglicht Dietrich einen neuen Versuch zur Rückeroberung seines Reiches. Nach seinem Sieg tritt Witege zu ihm über, verrät ihn aber kurz darauf an Ermrich, so daß auch dieser Sieg verloren geht. Erst beim dritten Versuch gelingt Dietrich, neu ausgestattet durch die Hunnen, die Rückeroberung seines Reiches, dennoch kehrt Dietrich an den Hunnenhof zurück. Dietrich in der Flucht ist hochherzig und treu: für die Rettung seiner Recken wird er besitzlos und damit abhängig von der Güte anderer, stimmungsmäßig ist er vor allem auf Klage eingestellt Dietrich selbst sagt, bevor er an den Hunnenhof kommt: V.4555,7/8 "Nü hân ich weder êr noch guot niwan trûrigen muot", worauf er von Hildebrant gescholten wird (V. 4561ff.). Als Fürst sollte er, Dietrich, den andern Mut machen. Auch Wolfhart weist ihn nach der Rückgewinnung seines Reiches beim Jammern über den Tod seiner Recken zurecht (V. 10022ff.). Vorher spricht Dietrich aus, wie er wohl sein ganzes Leben betrachtet: V. 9914/15 "herre got, dû hâst mir gegeben, niwan ungemach und herzenleit." Dieser Dietrich ist gewiß nicht durch Superbia zu charakterisieren. Dieser Charakterzug wird seinem Gegenspieler Ermrich zugeschrieben: V. 2545 Untriuwe und übermuot. In Dietrichs Flucht und in der Rabenschlacht ist Dietrich sehr stark, auf geradezu übertriebene Weise als Leidender, Klagender gezeichnet. Trotzdem erobert er schließlich sein Reich zurück. Im Gegensatz dazu finden sich in der PiÔreks saga keine großen Jammerszenen (mit Küssen der Toten usw.). Zeigt sich in der Schlacht von Gronsport ein vom Schicksal Geschlagener, der handlungsunfähig wird, so tritt in der vorausgehenden "Flucht" (Kap. 345) ein etwas anderer KÖrekr auf. Im mittelhochdeutschen Epos Dietrichs Flucht erkämpft sich der Berner schließlich mit einem Hunnenheer im dritten Anlauf den Sieg und damit die Rückgewinnung seines Reiches (geht aber nach Gran zurück). Dietrich stellt sich also mehrere Male zur Schlacht gegen Ermrich und gewinnt am Schluß. In der Pidreks saga flieht PiÖrekr bei der Nachricht vom anrückenden gewaltigen Heer von Erminriki9. Daß er damit seine Ehre verliert, ist ihm und Hildibrandr 9

Daß hier im Text über die Flucht PiÖreks eine Schlachtdarstellung ausgefallen sei, halte ich für unwahrscheinlich. Ein KÖrekr, der später aus Rücksicht auf das hunnische Königspaar (Tod der Prinzen, Vermeiden weiterer Verluste) auf die Ausnützung seines Sieges verzichtet und eher ins Exil zurückkehrt (und auch das nur mit Mühe), kann auch kampflos sein Reich

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klar (Π, 173,20ff). Er legt der Versammlung seiner Großen die zwei sich bietenden Möglichkeiten dar. Er kann der Übermacht von Erminrikr standhalten, diesem großen Schaden zufügen, dann aber sein Reich verlieren, oder aber wegreiten, seine Burg Erminrikr ausliefern und damit sein Leben bewahren. Das Erhalten des Lebens spielt hier eine große Rolle, ein Motiv, das auch an anderer Stelle auftritt. Als abschreckendes Beispiel mag er dabei das Schicksal der Härtungen vor sich sehen: Diese zogen es vor, in ihrer Burg Erminriks Heer zu erwarten; sie waren vertrauensselig und glaubten, mit Erminrikr verhandeln zu können. (Etwas, woran PiÖrekr wohl nicht glaubt.) Ihre Burg wurde jedoch eingenommen und sie selbst gehängt. KÖrekr dagegen zieht es vor, den Kampf gar nicht erst zu beginnen, sondern vor Erminrikr zu fliehen und alle damit verbundenen Konsequenzen auf sich zu nehmen. Auch hier ist von Superbia nicht die Rede. An sich ist das auch völlig klar: Bereits die Grundsituation von PiÖreks Flucht und der Schlacht von Gronsport wie auch der zwei herangezogenen mittelhochdeutschen Werke schließt das aus: Zwei Hauptgestalten stehen sich gegenüber: Ein Übeltäter (Erminrikr) und sein Opfer (PiÖrekr). Doch auch der schließlich über den Übeltäter errungene Sieg des Opfers führt nicht zu Superbia: In Dietrichs Flucht wird dem Protagonisten nach dem Sieg sein Klagen über die Gefallenen verwiesen, und in der Rabenschlacht sind die weiteren Umstände derart, daß Demut, nicht Übermut am Platz ist. Das gilt ebenso für die Darstellung Piöreks in der Schlacht von Gronsport. Kein Übermut ist zum vornherein bei der "Flucht" PiÖreks zu erwarten. Das gilt im weiteren auch, wie ergänzend zu bemerken ist, für die Heimkehr PiÖreks nach Bern. Nach dreißig Jahren Exil versteift er sich darauf, nur mit Hildibrandr (und HerraÖ) leyniliga nach Bern zurückzukehren (II, 329,7ff.). PiÖrekr weist das Angebot Attilas, ihm ein Heer mitzugeben, ab; er will nicht, daß noch einmal (wie bei Gronsport) hunnische Krieger für ihn geopfert werden. Von Attila heißt es II, 334,5ff., daß er weint und betrübt ist, daß er König PiÖrekr unter so erniedrigenden Umständen fortziehen lassen soll. Also auch hier keine Superbia und ebensowenig bei der Art und Weise, wie er sein Reich zurück erhält: Erminrikr ist gestorben. PiÖrekr wird in Bern wieder als König anerkannt; dort hat in der Zwischenzeit der Sohn seines engsten Freundes und Kämpfers Hildibrandr regiert. Dieser Alibrandr (nicht PiÖrekr) tritt auch an der Spitze eines Heeres dem übermächtigen Sifka entgegen und tötet ihn. PiÖrekr

übergeben. Auch hier ist bestimmend das Vermeiden nichts einbringender Verluste und die Erhaltung des eigenen Lebens. Vgl. auch Premerstein (Richard von Premerstein, Dietrichs Flucht und die Rabenschlacht, Gießen 1957 [= Beiträge zur deutschen Philologie. Hg. v. A. Götze, K. Viëtor und W. Mitzka, Neue Folge Bd. 15]), S. 32ff.

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selbst kämpft mit einem römischen Hilfsheer. Er wird anschließend König über Romaborg, d. h. das Reich Erminriks fällt ihm nun auch zu. Diese drei Ereignisse - Flucht (Exil), Schlacht von Gronsport sowie Rückkehr - sind in der PiÒreks saga für PiSreks Leben konstituierend, und Flucht, Exil, Heimkehr waren es schon früh, wie z. B. das Hildebrandslied zeigt; Superbia ist damit nicht verbunden. Gewiß hat Marold10 gezeigt, daß das Motiv aus geistlicher Quelle stammt, d. h. nichts mit der Heldensage zu tun habe. Hier soll nun aber noch etwas weiter auf das Motiv der Superbia eingegangen werden. Zuerst ist die Aussage WÖreks nach der Meldung der Totschläge (II, 247,10ff.) noch näher zu betrachten und vor allem auch zu sehen, in welches Umfeld sie gehört. I>i8rekr, der sich unschuldig fühlt, fragt, wieso Gott einen solchen Unglückstag über ihn kommen ließ. In der mittelhochdeutschen höfischen Epik finden sich viele Stellen mit Klagen um Erschlagene11, auch solche mit Auflehnung der Klagenden, so z.B. in Veldekes Eneit. 8034ff. empört sich Aeneas über den Tod des Pallas. 9344 klagt Turnus die Götter an, daß sie Camilla sterben ließen. In der Crâne (16970/71 geht Kai so weit zu sagen, daß der Schmerz der Welt Gottes Spiel und ihm ihr Herzeleid lieb sei. "Rechten" mit Gott findet sich ebenfalls in der Kaiserchronik. 14690ff. wirft Karl der Große Christus seine Erniedrigung vor (Aufstand der Römer, Blendung des Papstes), und weiter droht er dem heiligen Petrus, seinen Dom zu verbrennen, falls er nicht dem Papst das Augenlicht wiederherstelle. Auch wenn es sich hier nicht um einen Totschlag handelt, gehört die Stelle doch in denselben Zusammenhang wie die vorher angeführten. Premerstein12 verweist ohne weiteres auf II, 247,10ff. in der PiÖreks saga. Als konventionelle Motive einer "Totenklage" nennt er13: Wunsch zu sterben, Klage Gott gegenüber, Racheschwur, Verwünschung der eigenen Geburt und des Täters oder des am Tod Schuldigen. Die entsprechenden Stellen aus der Rabenschlacht wurden bereits angeführt. Doch muß hervorgehoben werden, daß es wie gezeigt z.T. nicht nur um Klagen Gott gegenüber, sondern auch um direkte Anklagen geht. Bei den erwähnten Stellen wird zwar Gott "angeklagt", die Frage einer eigenen Schuld wird aber nicht gestellt. In Veldekes Eneit 8200ff. verflucht so auch die Mutter von Pallas die Götter; sie verweist darauf, daß sie ihnen lebenslang 10 Vgl. Edith Marold (wie Ann. 2), S. 473f. 11 Vgl. hierzu Walker (Emil Walker, Der Monolog im höfischen Epos. Stuttgart 1928 [= Tübinger germanistische Arbeiten Bd. 5], S. 157ff., besonders S. 171, Anm. 125 (Zitate nach den von ihm angegebenen Ausgaben). 12 Vgl. Richard von Premerstein (wie Anm. 9), S. 204. 13 Richard von Premerstein, Anm. 74 (nach Walker). Unter "Totenklage" ist hier natürlich eine in das Epos eingefügte Passage zu verstehen, kein selbständiges Gebilde, wie es das auch gibt (Lyrik).

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geopfert und gedient habe. Sie, die Götter, waren aber taub und blind. Pallas Mutter sagt es zwar nicht direkt, aber es wird doch deutlich, daß für sie dieser Tod ungerecht ist. Einen Schritt weiter geht hier Troylus im Liet von Troye (Klage um Hektor). 10534 "Was hân ich herregot getan wider dich?" Das ist eine rhetorische Frage, Troylus ist ohne Schuld. Die Frage von Betroffenen nach einer eigenen Schuld wird von Premerstein nicht genannt, und sie ist auch kein konventionelles Element dieser Klagen. Daß WÖrekr sie stellt, zeigt die Unfaßbarkeit dieses Verhängnisses für ihn. Obschon das auch für Troylus gelten mag, ist er doch nur einer unter vielen anderen, keiner, der in das Geschehen eingreifen kann, PiÖrekr aber, der eine handelnde Einzelfigur ist, fühlt sich in seinem Tun betroffen. In einem sehr bekannten mittelalterlichen lateinischen Werk stellt in einer verzweifelten Situation (kein Totschlag) eine andere Figur dieselbe Frage: Darius in der Alexandreis von Walter von Châtillon. Darius, im Kampf gegen den für ihn unüberwindlichen Alexander mehrfach besiegt, erhält die Kunde, daß ein Anschlag gegen ihn geplant sei, läßt sich aber von einem der Attentäter wider besseres Wissen beschwichtigen. Nachts, unruhig und gequält, beginnt er mit sich selbst zu reden: 7,17ff. Et tarnen hec secum: "Quos me, pater impie divum, Distrahis in casus? quo me parat alea fati Perdere delicto? superi, quo crimine tantas promeriu penas, qui nec locus inter amicos Et notos superest ñeque enim securas apud quos Debueram dominus totam deponere vitam? Darius zählt anschließend alles auf, was man einem König als Vergehen anrechnen könnte14; dann aber wird deutlich, daß er sich selbst schuldlos sieht; er soll weiterleben können. Doch kommt nun der Gedanke an den "störrischen" Ablauf des Schicksals15, und Darius will Selbstmord begehen, er wird aber daran gehindert und kurz darauf von den Attentätern fortgeschleppt. Auch Darius empfindet das ihm auferlegte Schicksal als ungerecht. Die Schuldfrage des Darius ist in unserem Zusammenhang auch deshalb wichtig, weil sie von einem mit MSrekr charakterlich Verwandten (z. B. Unschlüssigkeit, Zweifel) gestellt wird. Für beide, Darius und MÖrekr, ist auch typisch das Gefühl des Ausgesetztseins, der Einsamkeit, der Hilflosigkeit. Darius sagt in den oben angeführten Versen, daß

14 Z. B. schlechtes Regieren, parteiische Rechtssprechung durch Annahme von Gaben usw. Was hier vorschwebt, ist offensichtlich das mittelalterliche Ideal des rex iustus. 15 Streckenbach (Walter von Châtillon, übers, v. Gerhard Streckenbach, Darmstadt 1990), S. 126 (V. 52).

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er niemanden hat, der ihn beschützt; er fühlt sich völlig allein gelassen. Bei PiÖrekr ist es der Gedanke, nicht mehr ins Hunnenland zurückkehren zu können (Π, 247,16ff.); dabei geht er, wie schon angeführt, so weit zu sagen, daß er den Tod seines Bruders (auch wenn er ihm nahe geht) annehmen könnte, wenn nur die Prinzen noch lebten (damit ihm das Hunnenland noch offen stünde). Wie ist das im einzelnen zu interpretieren? In der Vorgeschichte geht J>iÖrekr weinend zu Erka, um Hilfe für die Rückeroberung seines Landes zu gewinnen. Hier, nach seinem Sieg in der Schlacht, aber auch nach der Erschlagung der Prinzen, seines Bruders und vieler anderer Berühmter und Unberühmter, fühlt er, wie er bereits jetzt erkennt, sich nicht in der Lage, Attilas Soldaten weiter zu benützen. Eine realistische Überlegung (obwohl er nicht immer so klar urteilt [Heimkehr]) mag dabei mitspielen: Die Ömlungen sind zwar auf der Flucht, verfolgt von ihm, nun aber ist er zurückgeholt worden, er muß die Rache an ViÖga durchführen; damit wird eine weitere Verfolgung der Fliehenden verzögert, und Erminrikr in Romaborg ist noch immer militärisch stark. Die Rückeroberung seines Reiches ist damit in weite Feme gerückt. Unter diesen Umständen bleibt ihm nur die Rückkehr ins Hunnenland. Diese ist ihm jedoch, wie er glaubt, durch den Tod der Prinzen abgeschnitten (es sei denn, er räche sie durch die Erschlagung ViÖgas). Entsprechend ist seine Reaktion, nachdem ihm ViÖga durch eine höhere Macht entzogen ist: Er weigert sich, nach Susat zurückzukehren, auch dann, als RoÖingeirr und andere versprechen, sich beim hunnischen Königspaar für ihn einzusetzen. Auch den Vorschlag, weiter Krieg zu führen, lehnt er aus den dargelegten Gründen ab. Wenn er sich schließlich dennoch für die Heimkehr nach Susat bestimmt, so doch ohne zu wagen, vor das hunnische Königspaar zu treten. Die von schwer Leidenden, sich unschuldig Fühlenden an Gott gestellte Frage nach einer eigenen Schuld findet sich in höfischer Epik, in der Alexandreis. Die betreffende Passage in der PiÒreks saga (Π, 247,10ff.) ist zwar nur knapp, aber sie gehört in diesen Zusammenhang. Man kann sich nach der Herkunft dieser Betrachtungsweise fragen. Bei Walter läßt sich keine antike Abhängigkeit feststellen.16 Für die "Totenklage" allgemein in höfischen Werken wie z.B. der

16 Von einer Schuldfrage ist bei Curtius Rufiis (Q. Curtí Rufi Historiarum Alexandri Magni Macedonis libri qui supersunt. Hg. v. Edmund Hedicke, Leipzig 1908) nicht die Rede, dagegen vom Schicksal (S. 143,3; 143,19 = K. 12 [33], dem Darius verfallen ist. Zwierlein (Otto Zwierlein, Der prägende Einfluß des antiken Epos auf die Alexandreis des Walter von Châtillon, Akad. der Wiss. und Lit zu Mainz 1987, Abhandl. der geistes- und sozialwiss. Kl., Nr. 2, S. 19), verweist für das vorausgehende Buch - 6 51 lf. - auf Lucan.) Bei Julius Valerius findet sich weder in den Alexandri polemi noch in der Epitome etwas Entsprechendes. Justinianus (M. Iuniani Iustini epitoma historiarum philippicarum Pompei Trogi. Hg. v. Otto Seel, Leipzig 1935) IX 15,2 spricht dagegen nach der Fesselung des Darius durch diese Mörder von diis immortalibus iudicantibus. Bei Curtius Rufus (S. 143,8ff.) ist überdies

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Emit, dem Trojalied, wie auch für die Kaiserchronik verweist Walker17 auf die französische Epik. Doch: Die Frage an Gott eines sich als unschuldig betrachtenden Leidenden nach seiner Schuld: Eine Figur ist hierfür ein großes Beispiel: Hiob. Ein solcher Aspekt der MÖreksgestalt wurde bis jetzt, soweit ich sehe, nicht in Betracht gezogen. Eine entsprechende, stärker hervortretende Prägung zeigt die Rabenschlacht. Dietrich ist zwar oben als gewissermaßen bedingt schuldig charakterisiert worden, doch bezeichnet er sich in der hier relevanten Passage selbst als unschuldig, und er wird auch nicht zur Einsicht einer Schuld geführt18; ihre Heranziehung ist damit gerechtfertigt. Hiob wird als Unschuldiger aus höchstem Glück ins Elend (Verlust der Kinder, des Vermögens, der Gesundheit) gestürzt. Dietrich ist, auch wenn er den Schlachtsieg erringen kann, vom Unglück getroffen. Hiob und Dietrich klagen, mehrfach, darüber, daß sie geboren wurden, und verfluchen den Tag ihrer Geburt. Beide sprechen wiederholt von ihrer Unschuld (Hiob z.B. 9,21; 13,3; 13,18; 31,6. Dietrich 899,2). Beide wünschen sich den Tod. Beide sind betrübt, freudlos (Hiob 10,1. Dietrich 909,1/2). Dietrich sagt 897,4/5, daß der Teufel seinen Spott mit ihm treibe. Bei Hiob ist auch der Teufel im Spiel, doch mit der Erlaubnis Gottes, wie aus der Rahmenhandlung hervorgeht. Das ist nicht gleichwertig, dennoch könnte man von einem Berührungspunkt sprechen. Wenn Hiob hier zur Gegenüberstellung mit Dietrich in der Rabenschlacht herangezogen wurde, so muß hervorgehoben werden, daß die mittelalterliche Hiob-Exegese

beschrieben, wie Darius in seiner trostlosen Verlassenheit nach Rat sucht. Die ganze Szene in der Alexandreis ist wohl in hohem Maß von Walter selbst gestaltet. Zu der von Darius nach einer Schuld gestellten Frage äußern sich weder Christensen (Heinrich Christensen, Das Alexanderlied Walters von Châtillon, Hildesheim 1969), Colker (Galten de Castellione Alexandreis. Hg. v. Marvin L. Colker, Padua 1978 [= Thesaurus mundi. Hg. v. Joseph Billanovich, Guido Martellotti, Johannes Pozzi, Bd. 17]), Streckenbach (wie Anm. 15) noch Harich (Henriette Harich, Alexander Epicus, Diss. Graz Nr. 72, Graz 1987). Christensen, S. 125, Anm. 1, weist zur Stelle lediglich darauf, daß die Unbeständigkeit des Glücks bei Walter ein beliebtes Thema sei. Das von Darius aufgeworfene Schuldproblem läßt sich bei Walter nicht auf die antiken Quellen zurückführen. 17 Emil Walker (wie Anm. 11), S. 159.- Nach Zimmermann (Otto Zimmermann, Die Totenklage in den altfranzösischen Chansons de geste, Berlin 1899 [= Berliner Beiträge zur germanischen und romanischen Philologie. Hg. v. Emil Ebering, Bd. 19]), S. 107 ist das "Rechten" mit den heidnischen Göttern (ohne Schuldproblem) in den altfranzösischen Chansons de geste etwas ganz Allgemeines. Karl der Große wirft sogar einmal dem heiligen Denis vor, daß er schlafe, anstatt seine Vasallen zu schützen. 18 Das Problem stellt sich insofern anders als z.B. beim Armen Heinrich, als bei ihm ein Lernprozeß stattfindet, in dem er erkennt, daß er durch seinen Übermut - er vergaß, daß Gott ihm sein irdisches Wohlsein gegeben hatte - schuldig wurde; sein Aussatz ist die Strafe hierfür.

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nach Glutsch19 im Helden nicht etwa denjenigen sieht, der sich gegen Gott erhebt, sondern den großen Dulder. Die Anklagen, die Hiob gegen Gott erhebt, werden in der mittelalterlichen Exegese nicht wörtlich genommen, sondern umgedeutet, so bei Gregor dem Großen. Als großer Leidender muß auch Dietrich in der Rabenschlacht betrachtet werden. Obwohl auch er wie Hiob seine Geburt verwünscht und sterben möchte, klagt er Gott nicht direkt an; er spricht nur z.B. davon (894,4), daß er ihm keine Ehre gönnt. Seine Figur stimmt damit überein mit dem Bild, das die mittelalterliche Exegese von Hiob gibt Dietrich ist freilich sehr dramatisch dargestellt; er beginnt, sich einen Finger abzubeißen (896, 1/2), und dramatisch ist seine anschließende Jagd auf Witege. Die literarische Qualität ist allerdings nicht sehr hoch. Die aus der Rabenschlacht und Hiob angeführten Parallelen sind natürlich kein Beweis für eine direkte Abhängigkeit.20 (Verfluchung der eigenen Geburt, Wunsch nach dem Tod, dies sind vielgebrauchte Phrasen, deren Herkunft letztlich unerklärt ist; dies gilt auch für französische Vorbilder.) Beim leidenden PiÖrekr aus der Saga ist noch einmal an seine Entschlußunfähigkeit nach der Schlacht, seine Weigerung, das hunnische Heer weiter zu benutzen und damit seinen Sieg zu befestigen, zu erinnern; die Rabenschlacht hat diese Züge nicht Dietrich ist aber trotzdem vor allem leidend dargestellt (wie auch in Dietrichs Flucht). Für diese "Heldengestaltung" kann man auf die spätmittelalterliche tirolische aventiurenhafte Dietrichepik21 mit entsprechenden

19 Vgl. Glutsch (Karl Heinz Glutsch, Die Gestalt Hiobs in der deutschen Literatur des Mittelalters, Diss. Karlsruhe 1972), S. 28ff. 20 In da Rabenschlacht bezeichnet Dietrich seinen toten Bruder Diether 911 "als der milt ein glîchiu wäge". Derselbe Vers findet sich im Armen Heinrich von Hartmann von Aue V. 66. (Ausgabe von I. Knight Bostock, Oxford 1941 [= German Medieval Series. Hg. v. H.G. Fiedler, Section A, Vol. 1]). Im Armen Heinrich gibt es wie in der Rabenschlacht und im Buch Hiob das Verfluchen der eigenen Geburt, den Wunsch nach dem Tod, das Fehlen der Freude. Glutsch hat bei einem Vergleich des Hiob-Textes und des Armen Heinrich festgestellt, daß auch Hartmann in Hiob den großen Dulder, nicht den Empörer sieht (wozu aber Heinrich ein Gegenbild ist [s. oben]). Es wäre dennoch denkbar, daß der Autor der Rabenschlacht aus dem Armen Heinrich geschöpft hat, wie vielleicht das oben aufgeführte Zitat annehmen lassen könnte. 21 Vgl. hierzu vor allem Ruh (Kurt Ruh, Verständnisperspektiven von Heldendichtung im Spätmittelalter und heute. In: Deutsche Heldenepik in Tirol. Hg. v. Egon Kiihebacher, Bozen 1979 [= Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstitutes, Bd. 7]), S. ISff., besonders S. 23, S. 25 (Sorge). - Zu Dietrichs Flucht vgl. Curschmann (Michael Curschmann, Zu Struktur und Thematik des Buchs von Bern. In: (Pauls und Braunes) Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 98 (Tüb.) 1976, S. 357-383, sowie Haug (Walter Haug, Hyperbolik und Zeremonialität Zu Struktur und Welt von "Dietrichs Bucht" und "Rabenschlacht". In: Deutsche Heldenepik in Tirol [wie oben]), S. 116-134. - Piöreks ritterliche Glorifizierung

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"Heldenfiguren" verweisen, ohne daß dabei ein direkter Zusammenhang bestehen müßte. Daß HÖreks Charakterisierung in den besprochenen Kapiteln in diese Richtung läuft, macht noch einmal klar, daß Superbia für ihn nicht kennzeichnend ist Für die Beurteilung des StyperWa-Problems ist weiter wichtig die Darlegung der "riesischen" Abstammung t>iÖreks (Kap. 1). Sein Großvater Samson hat die Statur eines Riesen; ist er auch nicht so hoch wie ein solcher, so ist er doch dick und kräftig wie der stärkste Riese. Nun kann die Herkunft von einem "riesischen" Geschlecht verschieden interpretiert werden, wie z.B. die Erläuterungen von Colker22 zur Alexandreis von Walter von Châtillon (2. Buch, V. 498ff.) über die Herkunft von Darius zeigen: 1) Abstammung von den Söhnen Sems und den Töchtern Chams (biblisch)23 oder aber 2) aus teuflischem Samen oder noch 3), nach antiker Tradition, von Gaia (terrigenus). Streckenbach24, wie schon Christensen25, setzt hier bei Walter die antike Vorstellung, also nicht die biblische voraus. Für die PiÖreks saga muß man jedoch auf das Vorwort verweisen: Dort wird nämlich dargelegt, daß nach der Sintflut die Menschen groß und stark wie Riesen waren und viele Menschenalter lang lebten. Später aber wurden die Menschen schwach, die Zahl der Riesen verminderte sich und es gab noch weniger tüchtige und kühne Menschen. Samsons Statur ist also positiv und nicht etwa als teuflisch aufzufassen. Hervorzuheben ist auch, daß von Samson gesagt wird, daß er nicht nur blidur, sondern auch litillatur (das Gegenteil von Superbia) war. Ebenso werden seine großen Taten gelobt (so I, 19,14). In diesem Zusammenhang ist weiter daran zu erinnern, daß Riesen z.T. auch in nordischen königlichen Stammbäumen genannt werden. So heiratet nach der Ynglinga saga (Kap. 13) Vanlandi Drifa, die Tochter von Snjár dem Alten. In Hversu Nóregr byggdisk ist der Riese Fornjötr Stammvater von Nórr (Heros eponymos von Norwegen) und seinem Bruder Górr. Diese sind wiederum Stammväter der meisten norwegischen Kleinkönigsgeschlechter und vieler norwegischer Adelsgeschlechter.26 Auch der Gott ÓÒinn ist riesischen Ursprungs. Die riesenhafte Abstammung I>i8reks und seine entsprechende Statur sind also als positiv aufzufassen (titillati). Wenn außerdem in der Vorrede gesagt wird, daß die Abkömmlinge dieser riesenhaften Geschlechter sehr alt wurden,

steht dazu in einem gewissen Gegensatz. S. unten. 22 Marvin L. Colker (wie Anm. 16) zum 2. Buch V. 498ff., S. 385. 23 Nemroth, der Enkel Chams, war nach der Scolastica historia (vgl. Stjórn. Hg. ν. C. R. Unger, Christiania 1862, S. 64) ein Riese. 24 Vgl. Gerhard Streckenbach (wie Anm. 15), S. 210. 25 Vgl. Heinrich Christensen (wie Anm. 16), S. 157, Anm. 1. 26 Vgl. Kulturhistorisk Leksikon for Nordisk Middelalder, K0benhavn 2 1981, Bd. 7, Sp. 694.

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kann man auch auf Abraham (kein Riese) und weitere biblische Gestalten verweisen, die ebenfalls ein hohes Alter erreichten. In Dietrichs Flucht wird überdies von Dietrîchs Stammvater Dietmâr gesagt, daß er 400 Jahre alt wurde; weitere Abkömmlinge von ihm lebten ebenfalls sehr lange. Der Prolog selbst stellt freilich große Probleme.27 Einmal besteht das Problem des Prologs an sich, dazu kommt, daß der Prolog wie auch die Höllenfahrt in der Membran nicht enthalten sind; so wurde der Prolog z.T. auch als spätere Zutat aufgefaßt. Die riesische Statur Samsons und auch die PiÖreks sind jedoch in den Eingangskapiteln der PiÖreks saga enthalten (die Vorrede gibt hierzu nur allgemeine Ausführungen), samt der durchaus positiven Bewertung von Samson. Diese Eingangskapitel fehlen zwar ebenfalls in der Membran, sie finden sich aber in der schwedischen Fassung der Saga, die auf diese zurückgeführt wird.2® Den Eingangskapiteln der PiÖreks saga vergleichbar ist die lange genealogische Einleitung zu Beginn von Dietrichs Flucht. Im Prolog der PiÖreks saga wird überdies dargelegt, daß die Geschichten von ggf gum mçnnum dazu dienen, Böses von Gutem zu unterscheiden, d. h. es geht um ein pädagogisches Ziel, wie es z. B. auch in der Vorrede der Strengleikar vertreten wird.29 Man kann hier auf de Vries30 verweisen, nach dem im Prolog deutscher Text mit isländischem vermischt ist. Der Prolog ist auf alle Fälle eine Art "Einführung" für die ganze Saga mit positiver Bewertung von Wörekr. Das Problem der Höllenfahrt (Superbia) stellt sich damit auch hier. Wenn weiter etwa darauf hingewiesen wird, daß PiÖrekr als Teufelscharakteristikum manchmal brennendes Feuer aus dem Mund kommt, so wird das in der Saga als Zeichen seiner Erregung gedeutet: II, 247,23ff.: "oc sua er hann nu raeiör ok harmsfullr oc grimmr at aelldr brasnnande flygr af hans munni", ebenso wird beim Kampf mit Hçgni II, 324,20ff. das Feuer als Zeichen seines Zorns dargestellt. Dieselbe Art der Charakterisierung ist für ViÖga verwendet: Auf

27 Mehr oder weniger umfangreiche Prologe kennt die Ritterepik, Rabenschlacht und Dietrîchs Flucht enthalten aber nur kurze formelhafte Aufforderungen zum Zuhören (Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Berlin 1966, Bd. 3, S. 205). Prologe treten auch im Altnordischen erst später auf. 28 Vgl. Klein (Thomas Klein, Zur Köreks saga. In: Arbeiten zur Skandinavistik. 6. Arbeitstagung der Skandinavisten des Deutschen Sprachgebietes: 26.9. - 1.10.1983 in Bonn, Frankfurt a.M7 Bern/ New York 1985 [= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik, Bd. 11]), S. 489. 29 Vgl. auch Kramarz-Bein (Susanne Kramarz-Bein, Zum Dietrich-Bild der PiÖreks saga. In: Arbeiten zur Skandinavistik. 10. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik. 22. 27.9. 1991 am Weißenhäuser Strand. Hg. v. Bernhard Glienke und Edith Marold, Frankfurt a.M/ Berlin u.a. 1993 [= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik, Bd. 32]), S. 128. 30 Vgl. de Vries (Jan de Vries, Altnordische Literaturgeschichte, Bd. 2, Berlin 1967), S. 516f.

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seiner Waffenhaube ist ein Drache aus rotem Gold, voll von Gift, abgebildet: I, 330,13ff.: "firir J)vi berr hann £at mark yuir sinu hoföi at aengi skyli i dyliaz at hann ser hue mikit hans skap er. oc reiÖi peim er fuir uerör [...]". Manchmal wird auch darauf hingewiesen, daß PiÖrekr in der nach ihm genannten Saga als Teufel bezeichnet werde. Beispielsweise beschimpft Hçgni Π, 324,20 ihn bei seinem Kampf mit ihm als den Teufel selbst. Das ist die Erwiderung darauf, daß PiÖrekr 324,18 Hç>gni als "Albensohn" bezeichnet, was auch als Beschimpfung gedacht ist. Trotzdem ist es der "Teufel" PiÖrekr, der dafür sorgt, daß Hçgnis letzter Wunsch in Erfüllung gehen kann (Zeugung eines Rächers). Piörekr benimmt sich HQgni gegenüber sehr menschlich. Die Zweikampfszene hat im übrigen eine groteske, um nicht zu sagen komische Note: Hçgnis Panzerringe brennen, und er sagt: (Π, 325,5ff.): wäre er ein Fisch, so wäre er nun bald gebraten und könnte gegessen werden. Man muß in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß Grimhildr entsprechend tituliert wird (II, 325,19). Fjändi wie djçfull sind Schimpfworte, so Sturlunga saga II, 122,21: "hvar er Haukr djgfullinn?" Ormr (dreki) kann ebenfalls als Schimpfname benützt werden, so wird in der PiÖreks saga I, 29,12 Samson, der Großvater von PiÖrekr, als "{jessi hinn digurhálsadi ormur" bezeichnet. Was nun PiÖreks Bezeichnung als "Teufel" durch den Abt anbelangt (Π, 389,8) (auch Heimir ist ein fjándí), so liegt hier insofern etwas Besonderes vor, als ein Geistlicher spricht Die angeführten Stellen geben jedenfalls wenig aus bezüglich eines teuflischen Wesens von PiÖrekr. Die Kernstücke dieses Lebens mit einem Gegner, der als Verwandtentöter und Annektierer von Land, das ihm nicht gehört, selbst des Übermutes, d.h. der Superbia, bezichtigt wird, können wie dargelegt keine Argumente für die Höllenfahrt PiÖreks liefern; dementsprechend ist seine Darstellung nach der Heimkehr von der Schlacht von Gronsport zusammen mit Hildibrandr (Aufenthalt in einer Küche). Zur Abrundung: ein kurzer Blick auf Jugend und Alter PiÖreks (d.h. ohne Flucht, Schlacht bei Gronsport und Heimkehr) zeigt ihn ritterlich verbrämt, mit der Charakterisierung, weltberühmt zu sein, ein Ausbund an Ehre und Würde, wobei freilich die gestellten Ansprüche nicht immer erfüllt werden; es kommt zu Niederlagen, Flucht (so nach Eckes Tod). (Niederlagen gibt es auch bei PiÖreks Begleitern.) Wenn allerdings Π, 36,24ff. gesagt wird, daß er wisse, daß er nun sein Leben lang in seinem Reich in Frieden "sitzen" könne, so steht das in eklatantem Widerspruch zu dem, was kommt. Doch wird man trotz des übermäßigen Ehranspruchs nicht sagen können, daß der ritterliche Piörekr von Superbia geprägt ist. Der Tadel, den er I, 354,6 von Heribrandr bei einer Art Artusfest

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einstecken muß (Bezeichnung als "Kind"), zeigt doch nur seine für den Ritter typische Hochstimmung. Bumke31 spricht vom "gesteigerten Selbstbewußtsein, wie es sich im Lärm der Hoffeste bezeugte". Ein solches Gefühl ist auch für PiÖrekr vorauszusetzen. Dies gilt ebenso für die Übersteigerung, mit der er sich Π, 367,12ff. Königin Isolde vorstellt. Für diese starke Selbsteinschätzung ist an den höhen muot der mittelalterlichen Ritter zu erinnern. Die Kirche äußerte sich hier verdammend; die Ritter aber versuchten, ein weltliches Ideal mit der kirchlichen Morallehre in Übereinstimmung zu bringen.32 Dieses Bild33 von WÖrekr steht in einem gewissen Gegensatz zu jenem, das die oben analysierten Kapitel - Flucht, Schlacht von Gronsport, Rückkehr - zeigen. Trotz dieser hohen Selbsteinschätzung kann KÖrekr nicht als Höllenkandidat betrachtet werden. Der alte I>iÔrekr fühlt sich sogar dem Drachen gegenüber, den er, um einen Löwen zu retten, ohne Erfolg angreift, machtlos und ruft deshalb Gott an, mit Berufung auf seinen (neuen) wahren Glauben (Aufgabe des Arianertums).34 In der Saga selbst wird Piörekr mehrheitlich positiv gesehen, wie das schon Marold35 festgestellt hat, trotz Einschränkungen. Eigentliche Superbia gibt es bei ihm nicht; hierfür kann man auf den bereits herangezogenen Armen Heinrich verweisen, der durch eine lange Leidenszeit für seinen Übermut büßt (V. 383ff.). Eine solche Vorstellung ist jedenfalls der Piöreks saga völlig fremd. Damit stellt sich das Problem der Beurteilung von I>iöreks Höllenfahrt. Nach Marolds Darlegungen36 ist - wie erwähnt - als Motiv die Tributforderung an das Kloster (ursprünglich Hölle [San Zeno] und nun auf Heimir übertragen) heranzuziehen. Heimir tötet auch die Klosterbrüder. In A nimmt er das Gut des Klosters und belädt viele Pferde damit. KÖrekr kommt dazu, und sie legen Feuer an das Kloster. In Β ist jedoch WÖrekr am Brand nicht beteiligt. I»iÖrekr wird hier - mit Heimir als Antreiber - als gierig nach Abgaben, Schätzen, Geld dargestellt. Eine weitere ähnliche Episode mit einem Riesen folgt: II, 390,4ff. Heimir will von diesem Tribut für PiÖrekr verlangen, wird aber von ihm erschlagen. WÖrekr rächt Heimir; er tötet den Riesen, seine Schätze rührt er aber überhaupt nicht an, obwohl er

31 Vgl. Bumke (Joachim Bumke, Höfische Kultur, München 1986 [dtv]), Bd. 2, S. 428. 32 Vgl. Hempel (Wolfgang Hempel. Uebermuot diu alte, Bonn 1970 [= Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik. Hg. v. Armin Arnold, Bd. 1]), S. 210ff und Joachim Bumke (wie Anm. 31), S. 427ff. 33 Vgl. dazu die eingehende Darstellung von Susanne Kramarz-Bein (wie Anm. 29), besonders S. 127, mit weiterer Literatur. 34 Körekr hat bereits den "richtigen" Glauben und will nun dafür belohnt werden. HávarSr in der írfirSinga saga dagegen tut das Gelübde, den neuen Glauben, d. h. das Christentum anzunehmen, wenn er im Kampf gegen I>orbjQrn siege. 35 Vgl. Edith Marold (wie Anm. 2), S. 466. 36 Vgl. ebd., S. 466ff.

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mit der Tributforderung einverstanden war. Offensichtlich ist PiÖreks Tribut(Geld-)gier auf die Heimirepisode beschränkt Die ganze Heimirepisode erscheint merkwürdig: Heimir, von dem nach seiner Ächtung durch Erminrikr (weil er ihm seine Schandtaten vorgeworfen und Sifka als Anstifter dafür angegriffen hatte) nie mehr etwas in der PiÖreks saga gesagt wird, taucht plötzlich in einem Kloster auf und will seine Sünden bereuen, eine Vorstellung, von der, auch generell, in der PiÖreks saga sonst überhaupt nie die Rede ist37. Nachdem er von t>iÖrekr ins weltliche Leben zurück gelockt wurde, vergeht er sich in der geschilderten Weise am Kloster. Nachher ist von Reue nicht mehr die Rede. Die ganze Episode mit Heimir könnte wie eine schlechte Farce erscheinen; daß er sein Ende durch den Stangenhieb eines gewaltigen Riesen findet, kann man jedenfalls nicht als gerechte Strafe betrachten. Dazu kommt die deutliche Geldgier der Mönche (auch des Abtes), vielleicht gehört ebenso das Nichtherausgebenwollen der kostbaren Waffen Heimis (zum Kampf mit Aspilian) dazu. Das Bild der Mönche ist jedenfalls nicht nur positiv. Der ganze Motivkreis um Heimir scheint aus dem Französischen zu stammen.38 Die Episode mit dem plötzlich auftauchenden Heimir hat offenbar nur einen Zweck: als Brücke für die Höllenfahrt zu dienen. Die Höllenfahrt KÖreks beruht, wie Marold gezeigt hat, auf der Heimirepisode. Noch anders ausgedrückt paßt sie, wie oben dargelegt wurde, nicht zum sonst in der Saga gegebenen WÖreksbild. Die Verdammung Theoderichs durch die Kirche ist alt, wie die Dialogi Gregors des Großen zeigen. Dort aber wird er von zweien seiner Opfer in den Ätna gestürzt. Theoderich wird auf diese Art und Weise für tatsächlich begangene Übeltaten bestraft; dies ist die für die Kirche logische Schlußfolgerung. In diesem Zusammenhang muß hervorgehoben werden, daß die lateinischen und volkssprachlichen chronikalischen Darstellungen die wirklichen Fakten aus dem Leben Theoderichs gestalten, also seine Jugend in Byzanz, aber auch seine Verbrechen39. Wenn nun von einer niederdeutschen Chronik über Theoderichs Leben40, mit der Höllenfahrt (wie in der PiÖreks saga) als Ab-

37 In der schwedischen Fassung der PiÖreks saga (Sagan om Didrik af Bern. Hg. v. Gunnar Olof Hyltén-Cavallius, Stockholm 1850-1854) wird noch gesagt, daß er sich taufen lieB, ein Zeichen dafür, daß dem betreffenden Gestalter die ganze Geschichte unglaubwürdig erschien. 38 Vgl. besonders die Darlegungen von Pütz (Horst P. Pütz, Heimes Klosterepisode. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 100, 1971), S. 178-195. 39 Vgl. hierzu die Ausführungen von Zimmermann (Heinrich Joachim Zimmermann, Theoderich der Große - Dietrich von Bern. Die geschichtlichen und sagenhaften Quellen des Mittelalters, Diss. Bonn 1972). 40 Vgl. Edith Marold (wie Anm. 2), S. 474, mit Verweis auf Hempel (Heinrich Hempel, Sächsische Nibelungendichtung und sächsischer Ursprung der Mörikssaga. In: Kleine Schriften. Hg. v. Heinrich Matthias Heinrichs, Heidelberg 1966).

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schluß gesprochen wird, müßte man dann auch eine Aufzeichnung seines wirklichen Lebens voraussetzen. Nur so ist die Höllenfahrt sinnvoll. Für die weitere Gestaltung von PiSreks Leben, wie sie schließlich in der Saga vorliegt, wäre wieder die Exilsage, die in Deutschland verwurzelt war (Hildebrandslied]), und weiter das rittermäßige Element herangezogen worden. Daß die Höllenfahrt benützt wurde, könnte sich dadurch erklären, daß für einen "Biographen" f>iÖreks der Druck der volkstümlich gewordenen weit herum bekannten Höllenfahrtsvorstellung (z.B. Darstellung in Andlau im Elsaß), die überdies mit dem Jäger Dietrich in Verbindung stand, so stark war, daß sie verwendet wurde. Das sind hypothetische Vorstellungen, aber mir scheint, man müßte sich doch stärker darüber klar werden, daß hinter der Höllenfahrt - Entrückung ist ein unpassender Euphemismus, der nur die Verlegenheit der Interpretierer zeigt - eine andere PiÖrekskonzeption steht als die sonst in der Saga vorgetragene (abgesehen von der merkwürdigen Heimirepisode).

Konsistenz und Intertextualität im Schlußteil der PiÖreks saga VON OTTO GSCHWANTLER

Beim Studium der PiÖreks saga standen lange Zeit überlieferungs- und sagengeschichtliche Fragen im Vordergrund.1 Erst in letzter Zeit wird Problemen der Struktur, der Erzähltechnik und der Erzählintention erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Mehr und mehr setzt sich die Auffassung durch, daß es sich bei der PiÖreks saga nicht um ein bloßes Sagenkompendium handelt, sondern daß sie das riesige Material trotz aller Inkonsistenzen nach einem bestimmten Plan ordnet und, zumindest auf weite Strecken, in den Dienst einer Erzählintention stellt 2 Unter dem Aspekt Konsistenz/Inkonsistenz des Textes hat jüngst Susanne Kramarz-Bein das Dietrich-Bild der PiÖreks saga einer eingehenden Analyse unterzogen. Für den ersten Teil der Saga (bis zum Abschluß der Isungenkämpfe) stellt Kramarz-Bein einen Widerspruch zwischen Fama und faktischem Verhalten fest: "Einerseits baut der Text systematisch und leitmotivisch eine schon mythisch anmutende superlativische Fama bereits des jungen MÖrekr als dem berühmtesten, tapfersten Kämpen und edelmütigsten und besten Helden der ganzen Welt und aller Zeiten auf, und andererseits erweist er ihn dann paradoxerweise im Beweisfall des Kampfes gegen nordische Helden als das exakte Gegenteil der o.g. Eigenschaften" (S.114). Vor allem im Zweikampf mit den nordischen Helden ViÖga und SigurÖr aber auch mit Ekka und dem Elefanten kann er nur durch List und Tücke oder mit Hilfe anderer den Sieg erringen. In der folgenden Heiratssequenz schneidet t>iÖrekr nicht besser ab. Er hat sich Hildr, die Tochter

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Aktuell sind sie nach wie vor, vgl. zuletzt Hermann Reichert, Heldensage und Rekonstruktion. Untersuchungen zur Thidrekssaga, Wien 1992 (= Philologica Germanica 14). Die neuere Literatur verzeichnet Susanne Kramarz-Bein, Zum Dietrich-Bild der Piörekssaga. In: Arbeiten zur Skandinavistik. 10. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik 22.27.9.1991 am Weißenhäuser Strand. Hg. v. Bernhard Glienke und Edith Marold, Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993 (= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik 32), S. 112-132, hier S.113f, Anm.2.- Die PiÖreks saga wird zitiert nach PiÖreks saga af Bern. Hg. v. Henrik Bertelsen, 2 Bde, K0benhavn 1905-11 (= Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur 34).

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von König Artus, in den Kopf gesetzt, doch sein Werber Herburt spannt ihm die Braut aus, indem er HÖrek als den schrecklichsten und häßlichsten Mann überhaupt hinstellt (Π,55ί.; Kramarz-Bein, S.119f.). In den ca. letzten 100 Kapiteln, dem letzten Viertel der Saga, scheinen, trotz mancher negativer Züge, doch die positiven zu überwiegen. Gerade in der Kontrastierung mit Erminrik und Attila, die zunehmend negativ gezeichnet werden, gewinnt PiÖrekr zusehends. In der Exilzeit erweist er sich gegenüber Attila als dankbarer und tapferer Held (Kramarz-Bein, S.121f.). Im Schlußteil der Saga wird vor allem erzählt, wie PiÖrekr sein Reich wiedergewinnt und auf dem Gipfel seiner Macht steht. Nach Kramarz-Bein zeichnet die Saga hier "das Bild des gesetzten, reifen und erfolgreichen Königs - dies im deutlichen Gegensatz zu dem vergleichsweise negativen Bild des jungen Herrschers im ersten Teil des Textes" (S. 124). Trotz dieses Erfolgseindruckes "wird dem letzten großen Helden dennoch am Ende der drohende Höllenritt nicht erspart, wenngleich er auch im letzten Moment abgewendet scheint" (S.127). Im Folgenden soll etwas eingehender untersucht werden, wie einerseits dieser Schlußteil vom Untergang der Niflungen an mit dem Vorausgehenden verbunden ist, anderseits wie in diesem Abschnitt die beiden Schlußkapitel mit Piöreks geheimnisvollem Verschwinden vorbereitet werden und wie sich die Schlußkapitel selbst unter Berücksichtigung des intertextuellen Zusammenhangs darstellen.

I Mit dem Untergang der Nibelungen hat auch MÖrekr seinen Tiefpunkt erreicht. Seit 32 Jahren ist er nun im Exil und alle seine Gesellen und Freunde und sein ganzes Ansehen ("alla mina drengi oc vini oc alla mina soemö" 11,328), so klagt er Meister Hildibrand, hat er verloren, so daß er nun heimlich (Iceynilega 11,330) und nur von Hildibrand und Herad begleitet ins Ömlungenland ziehen will. Mit Recht vermutet Hildibrandr, daß das als Fahrt mit wenig Glanz ("meÖ litilli soemö" Π.330) erscheinen wird, und Attila will PiÖrek dazu bewegen, nicht in Unehren ("meÖ uscemö" 11,333) fortzuziehen, und bietet ihm ein Hunnenheer an. Und doch bleibt es dabei: die drei ziehen wie Flüchtige fort, rasten tagsüber in Wäldern und reiten, Städte meidend, in den Nächten (ü,333f.). Obwohl König MÖrekr sehr gedrückt ist, legt er eine typisch heroische Haltung an den Tag. Er will lieber im Kampf um sein Reich sterben als in Unehre im Húnaland altern ("haelldr vil ec daeyia firir mitt riki aumlunga land oc mina goöo borg baern en ek vili veröa cervasi i hunalandi meÖ uscemö" 11,329). Diese Worte an Hildibrand wiederholt er sinngemäß gegenüber Herad und Attila ("ek vii fa

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mitt riki eÖa bana at adrum kosti" 11,331 und, fast identisch, 11,333), und auch Hildibrandr gebraucht sie (Π,329). Doch die vor allem im ersten Teil der Saga zu beobachtende Neigung, InÖrek gegenüber seinen jafningiar zu benachteiligen, setzt sich auch im Schlußteil der Saga noch fort Der einzige von ihnen, der noch übrig ist, Hildibrandr, steht mehrfach im Vordergrund. Als die drei zum Aufbruch gerüstet sind, ermahnt Hildibrandr seinen Herrn, nicht in Unehren ("meö usoemö" 11,332) fortzuziehen, ohne sich von Attila zu verabschieden. Später, als 32 Reiter hinter ihnen her sind, ist es Hildibrandr, der richtig vermutet, daß es der junge Elsung ist, der seinen Ahn Elsung von Bern rächen will. PiÖrekr ist angesichts der Übermacht im Zweifel, was zu tun sei: fliehen oder kämpfen, aber Hildibrandr tritt in seiner Trutzrede entschieden für Kampf ein. Auch im folgenden Streitgespräch mit den Gegnern steht er im Vordergrund. Zwar bleibt es MÖrek vorbehalten, Elsung zu töten, aber das Endergebnis ist doch, daß MÖrekr sieben, Hildibrandr neun feindliche Ritter erschlagen und außerdem Elsungs Neffen Ömlung überwältigt hat, während t>i8rekr die übrigen in die Flucht schlägt. Die Berichte der Geflohenen drehen sich vor allem um den weißbärtigen Kämpen, in dem sie gar den Teufel selbst vermuten (11,337-342), ebenso in seinem Schwert (11,341; so meint auch Alibrand, S.350). In dem folgenden Abschnitt über Hildibrand und Alibrand ist PiÖrekr zunächst naturgemäß ganz abwesend, erst gegen Ende, bei der Einholung und Huldigung der Berner Bürger, steht er wieder im Mittelpunkt (11,353-355). In der entscheidenden Schlacht von Gregenborg gegen Ermenriks Nachfolger Sifka fällt es Alibrand zu, Sifka zu fällen, während PiÖrekr gegen ein römisches Hilfsheer kämpft, das ihnen in den Rücken gefallen war. Noch einmal muß also Piörekr hinter einen anderen Helden zurücktreten. Hildibrands überragende Stellung an der Seite des Königs findet darin ihren höchsten Ausdruck, daß er es ist, der I>iörek in Romaborg die Krone Ermenriks aufs Haupt setzt (11,357). Vom Abschied von Attila an bis zum Auftreten Heimes stellt sich die Geschichte f>i8reks als Erfolgsserie dar. Der Sieg über Jarl Elsung und seine Mannen stellt gleichsam den Auftakt dar: Indem Elsungs Racheanschlag zunichte gemacht wird, wird MÖreks Anspruch auf Bern erneut bekräftigt Einen ersten Höhepunkt bildet die feierliche Erklärung der Vornehmsten Berns gegenüber Alibrand, sich gegen Sifka und für MÖrek zu entscheiden. Als von Gott Gesandter wird I>iörekr empfunden, denn die Versammelten bleiben noch einen großen Teil der Nacht beisammen und danken Gott, daß sie König i>iÖrek mit ihren eigenen Augen sehen sollten (11,353). Es folgen dann die feierliche Einholung I>iÖreks, der prachtvolle Einzug in Bern, die Übergabe der Stadt und des Ömlungenlandes durch Alibrand und die Huldigung der Großen.

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Die nächste Etappe bildet dann der Sieg über Sifka, der Einzug in Romaborg und die Königskrönung. Die folgenden Worte signalisieren deutlich, daß Möreks Macht nun einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat: von den Bauwerken und Standbildern ist da die Rede, die er errichten ließ (n,357f.)· Unmittelbar darauf verliert KÖrekr den letzten seiner Getreuen, Hildibrand. Kein Held der ganzen Saga wird so gerühmt wie er (Π,358ί.). Da auch Herad stirbt (11,359), ist PiÖrekr nach Wiedererlangung seines Reiches nun vollends vereinsamt, doch seinem weiteren Aufstieg tut dies keinen Abbruch. Mit den folgenden Kapiteln um Hertnid und I>i5reks Drachenkampf (II,359ff.) tauchen wir nun wieder ganz ein in die Welt der Aventiure. Hertnid zieht allein gegen den Drachen, um Ruhm zu gewinnen oder den Tod zu erleiden ("vinna fraegd edur faa bana"). Er ist aus großem Heldenübermut ("af mikilli raesni") ausgeritten und greift den Drachen an mehr aus Kampfeslust und Ehrgeiz denn aus Klugheit ("meir af kappi og metnadi enn af viturleik"). Als nach Hertnids Tod 3000 Räuber ausziehen, um seine Witwe Isold in ihrer Stadt zu belagern, da will Piörekr sie treffen, denn er ist so kampflustig, daß er irgendeine Heldentat vollbringen will ("hann er suo kappsamur ath hann vili winna nockurt rausnar werk") (n,360f.). Da trifft er plötzlich auf den Drachen. Sobald er seiner ansichtig wird, springt er vom Pferd, zückt alldreingiliga (11,362) sein Schwert und geht auf ihn los. Zwar unterliegt er zunächst, indem der Drache ihn mit seinem gewaltigen Schwanz umschlingt und in seine Höhle entführt Doch sobald das Untier, vollgefressen, eingeschlafen ist und seine Beute freigegeben hat, stürzt WÔrekr sem huatast zum Ausgang und findet ein Schwert. Nun will er "winna saemd edur fa bana" und tötet den Drachen und seine Jungen (11,363). Schließlich fängt er Hertnids ungestümes Roß ein, was zwölf Männer nicht zustande gebracht hätten. Dann eilt er in Hertnids glänzender Rüstung diarfliga Isoldes Rittern zu Hilfe, die fälschlich meinen, Hertnid nahe, und teilt unter den Räubern solche Hiebe nach beiden Seiten aus und tut sich so hervor, daß nichts vor ihm bestehen kann ("hœggur nu a tvser hliöar sier, og so myked gioerer hann äff sier, ad ecke vaetta stenndur fyrer honum" 11,366). Ebenso erfolgreich wie im Kampf ist PiÖrekr gegenüber Isold. Um die Eigenart dieser Aventiure würdigen zu können, scheint es sinnvoll, einen kurzen Vergleich anzustellen mit PiÖreks Drachenkampf im ersten Teil der Saga und seinen unmittelbar vorausgehenden Kämpfen mit Ekka, Fasold und dem Elefanten. Der junge PiÖrekr zieht nach der Schlappe, die er im Zweikampf mit ViÖga einstecken mußte, allein aus, um irgendeine Heldentat ("nockurt hreysüverk" 1,174) zu vollbringen. Auch ins letzte Abenteuer zieht MÖrekr in dem unverminderten Drang, Heldentaten zu vollbringen und den Ruhm zu vermehren (s.o.). Auch sonst gibt es Übereinstimmungen. Vor dem Kampf mit

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Ekka schlägt MÖrekr mit Nagelring in die Steine, um durch die Funken das Dunkel der Nacht zu erhellen, und dann, als HÖrekr sich endlich bereit erklärt hat zu kämpfen, tut dies auch Ekka (1,183). Auf dieselbe Weise verschafft sich MÖrekr Licht in der Höhle des Drachen mit dem Schwerte Hertnids (11,363). Die Königin auf Burg Drekanflis hält den heranreitenden t>iÖrek wegen seiner Rüstung für Ekka (I,186f.); ebenso hält Isold den herannahenden Mörek für Hertnid (11,365). Nicht weniger bemerkenswert sind jedoch einige Unterschiede. PiÖrekr war gegen Ekka ausgezogen, um eine Heldentat zu vollbringen. Doch als er unvermittelt auf ihn trifft, verleugnet er seinen Namen und versucht lange, dem Kampf auszuweichen (1,176-183). Von solchem Zaudern ist bei f>i8reks zweitem Drachenkampf nichts zu spüren, es wird im Gegenteil immer wieder seine Entschlossenheit hervorgehoben. Als er ungeheures Getöse im Wald hört - es sollte sich zeigen, daß es vom Drachen kommt - will er unbedingt die Ursache herausfinden. Er ist so kühn (idiarfur), so heißt es da, daß er nirgends hingewiesen werden konnte, wo er nicht hingehen würde, d.h. daß er keiner Gefahr aus dem Wege ging (11,361). Als MÖrekr Ekka überwunden hat, will er in dessen Stellung eintreten: er will die Königin zur Frau gewinnen und dieselbe Ehrenstellung wie sein Gegner. Doch wird daraus nichts. Als die Königin erkennt, daß Ekka tot ist, fällt sie in Ohnmacht. Später zieht sie Trauerkleider an, die Bürger aber eilen alle zu den Waffen, um Ekka zu rächen, PiÖrekr aber nimmt angesichts der Übermacht schleunigst Reißaus (1,186-188). Wie ganz anders verläuft PiÖreks Werbung nach dem Tode Hertnids! Nachdem er seinen Namen genannt und den Tod Hertnids gemeldet hat, legt Isold beide Arme um seinen Hals und küßt ihn und heißt ihn vor allen Männern willkommen, geleitet ihn zum Hochsitz König Hertnids und befiehlt den Mächtigen des Landes, ihm zu dienen. Kurze Zeit danach findet die glanzvolle Hochzeit statt und das Paar zieht nach Romaborg. Schon hatte man mit Sorge weitum nach ihm gesucht, doch nun verbreitet sich, welch große Heldentat er vollbracht hat ("huersu mikit afreks werk hann hefer vnnit"), und Hs.B fügt noch hinzu: und sein Ruhm war noch sehr gewachsen ("og hefur nu enn myked vaxed hannz fraegd" II,367f.). Das Ziel, das sich MÖrekr vor dem Aufbruch gegen Ekka gesteckt hat, ist bescheidener: er will erst zurückkehren, wenn er gleich berühmt (iamfrcegr) ist wie vorher (1,174), d.h. vor der Begegnung mit ViÖga; und nach der Besiegung Ekkas und Fasolds will er nach Bern zurückkehren, wissend, daß er nun nicht weniger berühmt sei als vorher ("eigi ofnegri en aÖr var hann" 1,193). t>iöreks Sieg über Ekka ist nicht ungetrübt, da er ihn letztlich seinem Pferd Falka verdankt, das mit den Vorderfüßen Ekkas Rückgrat zerbricht. Auch im

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Kampf mit dem Elefanten eilt es seinem Herrn zu Hilfe (I,185f. u.195). Besonders auffallend ist, daß im folgenden Kampf mit dem Drachen PiÖrekr hinter Fasold zurücktritt Als diese beiden vergeblich auf den Drachen einhauen, da ruft der im Drachenmaul steckende Sistram Fasold zu, er solle das Schwert aus dem Rachen des Untieres ziehen. Fasold tut dies "af mikilli reysti" und schlägt unverzüglich auf den Drachen ein. An Fasold richtet sich auch die folgende Bitte Sistrams, ihn bei seinen Hieben zu schonen; erst dann adressiert er die beiden Kämpen gemeinsam, und schließlich heißt es: "nv hoggva J)eir stört {)ar til er drekinn er davör" (I,198f.). Das ändert aber nichts daran, daß in der ganzen Szene Fasold im Vordergrund steht Die Überschrift von Kapitel 189 ("Vm drekann er Köricr drap") und die Reihenfolge der Namen in der Überschrift von Kap. 190 ("her vega J)eir at drekanvm f>iÖricr oc fasold") sind etwas irreführend. Im zweiten Drachenkampf hingegen schmälert niemand und nichts PiÖreks Sieg, aller Glanz fällt auf ihn. WÖrekr zeichnet sich hier in seinen Handlungen durch uneingeschränkte Entschlossenheit und Kühnheit aus, was im Text auch immer wieder ausdrücklich hervorgehoben wird. Die Erzählung vom Drachenkampf und der Erwerbung Isolds steht somit in deutlichem Kontrast zur entsprechenden Erzählphase im ersten Teil der Saga, so daß nun ftörekr als untadeliger Held vor uns steht. Auch im Schlußteil wird die in der Saga so beliebte Technik der Segmentierung3 mehrmals angewandt. Nach ftöreks Sieg über den Drachen und die Räuber, seiner Vermählung mit Isold und seiner glanzvollen Rückkehr nach Romaborg wird der Erzählstrang um PiÖrek plötzlich abgebrochen und von Attilas Tod erzählt. Am Ende dieser Sequenz wird die Verbindung mit PiÖrek hergestellt mit der Bemerkung, daß nach Attilas Tode f>iörekr die Herrschaft über das ganze Hunaland übernahm. Hs.B weiß darüber hinaus noch zu berichten, daß dies auf Anraten vieler seiner Freunde geschah, die gleichzeitig mit ihm bei König Attila gewesen waren (11,375). PiÖrekr wird also Herrscher über Húnaland, und dies, obwohl Attila, wie es früher heißt, einen Sohn hatte, der ein Jahr jünger als Aldrian war, nämlich elf Jahre (11,369). Auch diese Episode endigt also mit einem kräftigen Zuwachs an Macht und Ansehen, indem KÖrekr nun zum Herrscher jenes Landes wird, in dem er 30 Jahre lang als Vertriebener gelebt hatte. Wenn man Húnaland, Saxland, Danmörk und Vilzinaland mit Blick auf den "weifisch orientierten Nordosten" als Einheit sehen darf4, so könnte man auch von einem schließlichen Sieg des Südens über den Norden sprechen, gegen

3

4

Vgl. Heinrich Beck, Die Thidrekssaga in heutiger Sicht. In: 2. Pöchlamer Heldenliedgespräch. Die historische Dietrichepik. Hg. v. Klaus Zatloukal, Wien 1992 (= Philologica Germanica 13), S. 1-11, bes. S. 2ff. Beck (wie Anm.3), S.10.

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den NÖrekr mehrmals den kürzeren gezogen hatte. Alles scheint auf ein HappyEnd zuzusteuern.

Π Da tritt nun plötzlich Heimir wieder auf den Plan, diese ganz und gar schillernde Figur. Von Anfang an hatte er Spannung in f>iÖreks engste Umgebung gebracht Seinem Rivalen Viöga gegenüber verhält er sich mehrmals richtig niederträchtig. Als ViÖga gegen Räuber kämpft, will Heimir ihm nicht helfen (1,153), und als Viöga nach dem Kampf mit dem Riesen Viöolf mittumstangi halbtot auf dem Schlachtfeld liegt, stiehlt Heimir ihm sein Schwert (1,258). Körekr nimmt ihn in einer Weise in Schutz, die befremdend ist (I,273;279ff.). Ulrich Wyss bemerkt, daß I>iÖreks unbeirrbare Freundschaft zu Heimir - neben einer gewissen Passivität - einen Charakterdefekt des Helden KÖrekr ausmache.5 Als Körekr vor Ermenrik ins Exil mußte, verfeindete sich Heimir mit Sifka und lebte nun 30 Jahre, die ganze Dauer von PiÖreks Exil also, als Räuber in Wäldern. Nach dem Tode Sifkas aber bereute er seine Taten und zog sich in ein Kloster zurück, um zu büßen (II,176;375ff.). KÖrekr entsinnt sich seines lieben Freundes, als er vom Sieg eines Mönches über den Riesen Aspilian hört, macht ihn ausfindig, nimmt ihn freudig auf, setzt ihn zum Ersten seines Gefolges ein und gibt ihm ein großes Lehen (Π,385-387). Heimir war der erste gewesen, den der junge KÖrekr nach einem Zweikampf als Gefolgsmann aufgenommen hatte. Durch Heimis Auftreten am Ende der Saga werden die Anfänge in Erinnerung gerufen. Da Heimir sich zunächst nicht zu erkennen geben will, muß ihn Piörekr an viele gemeinsame Erlebnisse erinnern, ehe er sich zu erkennen gibt. Auch vorher war schon einige Male die Gelegenheit für Rückwendungen wahrgenommen worden. Schon als KÖrekr seinen Plan eröffnet, in sein Reich zurückzukehren, ruft er den Verlust seiner Freunde und Mannen beim Nibelungenuntergang in Erinnerung (II,328f.). Auf dem Weg an Bakalar vorbei gedenkt er des freigebigen und edlen Markgrafen Rodingeirr und wie ihm auf der Flucht vor Ermenrik Gudelinda eine grüne Kampffahne und ein purpurnes Seidenkleid schenkte (II,334f.). An früherer Stelle, wo die Begebenheit erzählt wird, schenkt Gudelinda ein Banner halb aus grüner, halb aus roter Seide mit einem goldenen Löwen darauf sowie einen Puipurstoff (11,178). Es ist öfter so, daß die Erinne-

5

Vgl. Ulrich Wyss, Zur Struktur der Thidrekssaga. In: Acta Germanica. Jahrbuch des südafrikanischen Germanistenverbandes 13, 1980, S. 69-86, bes. S.76f.

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rung nicht genau der Erzählung entspricht Hildibrandr erinnert vor Bakalar daran, wie Rodingeiir ihm in Rußland wieder sein Pferd verschaffte und ihm so das Leben rettete (vgl.n,209, wo es heißt, daß Rodingeiir ihm wieder aufs Pferd und so zur Flucht verhalf). In den folgenden Kapiteln wird der Bogen zurückgespannt bis zu MÖreks Großvater Samson von Salerni, der Jarl Elsung von Bern getötet hatte und so die Herrschaft über Bern gewann (I,28f.), und den will nun Jarl Elsung der Junge an PiÖrek rächen. Auch dadurch, daß PiÖrekr Sigurds Helm und Hildibrandr Sigurds Schwert Gram trägt, wird Vergangenheit vergegenwärtigt (n,335ff.). Durch die Rückkehr Köreks in sein angestammtes Reich und das Auftreten von Gestalten wie Sifka, Alibrand und dessen Mutter schließt sich der Kreis. Da Högnis Sohn Aldrian sein Rachewerk nach Attilas Gier auf den Nibelungenhort ausrichtet, da er nach vollbrachter Tat zu Brynhild zieht und dort die Herrschaft antritt (11,369374), werden in diesen Kapiteln am Ende der Saga weit zurückliegende Ereignisse der Nibelungensage in Erinnerung gerufen. Besonders ausführlich wird bei der Wiederbegegnung Piöreks mit Heimir von Rücksendungen Gebrauch gemacht. Zuerst erinnert PiÖrekr Heimir daran, wie ihrer beiden Pferde aus der Frisia tranken, so daß das Wasser zurückging, so viel es auch war (11,386). In diesem Falle ergeht es dem Leser der Piöreks saga ebenso wie Heimir: er vermag sich nicht an diese Episode zu erinnern, denn sie wird früher nirgendwo erwähnt Als zweites ruft f»iÖrekr dem Mönch in Erinnerung, wie dieser sich mit ihm auf die Flucht begab, dann aber zu Ermenrik zurückkehrte und von ihm in die Acht getrieben wurde (11,386). Von diesen Begebenheiten war früher (II,176f.) ausführlich erzählt worden, wenn auch etwas anders: Ermenrikr wollte Heimir hängen lassen, doch dieser konnte entfliehen. Da sich der Mönch weiterhin unwissend stellt versucht es MÖrekr mit dem Hinweis auf die gemeinsame Reise nach Romaborg, wie sie eines Tages den toten Jarl Iron mit Wunden bedeckt auf der Straße liegend fanden, wie seine Habichte über dem Toten schrieen, seine Hunde winselten und sein Pferd wieherte und wie keiner seiner Mannen den geliebten Herrn verlassen wollte. Von diesem Ereignis wird in Kap. 341 (bes. n,154f.) erzählt. Es wird ausdrücklich erwähnt, daß MÖrekr mit allen seinen Mannen nach Fritilaborg kam und daß auch Viöga und Heimir dabei waren (11,153). Nur in einem Punkt besteht eine kleine Abweichung: Die Mannen Irons treten hier erst auf den Plan, als t»iÖrekr und die Seinen, nachdem sie Jarl Iron bestattet hatten, schon weitergezogen sind. Es wird noch vermerkt, daß sie so lange im Ömlungenland blieben, bis sie sicher waren, daß Aki den Jarl getötet hatte (11,156).

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Zu guter Letzt erinnert PiÖrekr an einen Einzug in Romaborg, von dem er offenbar meint, daß er einen besonders nachhaltigen Eindruck auf Heimir gemacht habe: "Da wieherten unsere Pferde und alle höfischen Frauen standen und schauten; da hatten wir Haar, hell wie Gold und schön gelockt" (11,387). Der auf die Ironepisode folgende Zug nach Romaborg, an den man zunächst denken möchte, wird erzählerisch in keiner Weise ausgestaltet und steht zudem im Zeichen ViÖgas, für den Körekr bei Ermenrik um die Hand Bolfrianas anhält (n,156f.), Heimir wird hier nicht einmal erwähnt. Etwas ausführlicher ist der Bericht über die erste Romreise, von der im Petleif-Abschnitt erzählt wird: Petleif hat PiÖrek von Bern, ViÖga und Heimir bei Aki getroffen (1,235; vgl. auch 11,148). Körekr zieht dann mit einem Gefolge von zwanzig Rittern nach Romaborg, wo sie ankamen, als Ermenriks Fest, zu dem sie geladen waren, eben begann. "Viele vornehme Männer (rikis menti) waren dorthin gekommen, und die prächtigen Königshallen (kontings hallir) waren geschmückt (skipaöar) mit

erlesenen Gästen" (1,238). Das weitere Geschehen wird ganz von I>etleif beherrscht. Heimir wird nur einmal erwähnt, weil er Petleif wiedererkennt (1,244). So wenig Rückhalt diese Anspielung Piöreks in der Saga hat, sie tut ihre Wirkung: Heimir gibt sich lachend zu erkennen, wirft die Kutte ab, holt seine Waffen und sein Roß und zieht mit t>iörek nach Romaborg. Der nimmt ihn freudig auf, setzt ihn zum Ersten seines Gefolges ein und gibt ihm ein großes Lehen (11,387). Nach den heiteren Tönen, die zuletzt angeschlagen wurden, möchte man nicht erwarten, welche Folgen das hat Heimir legt dem König nahe, Tribut zu fordern von dem Kloster, das er eben verlassen hatte. Befremdend ist, wie rasch und vorbehaltlos er auf Heimes Rat eingeht Er erteilt Heimir den verhängnisvolen Auftrag, so daß dieser sich dann mit vollem Recht gegenüber den Mönchen auf ihn berufen kann ("[...] og sagdi ath Pidrek af Bern hefer senndt hann pangad med J)ui eyrendi" 11,388). Als Heimir alle Mönche erschlagen und die Pferde mit dem Gold und Silber des Klosters beladen hat, kommt PiÖrekr hinzu, und die beiden stecken alle Gebäude in Brand und bringen die Schätze nach Hause (11,389). In Hs.B wird die Rolle MÖreks etwas anders dargestellt Hier muß PiÖrekr seinen alten Freund nicht erst im Kloster ausfindig machen und an seine Vergangenheit erinnern, Heimir verläßt einige Zeit nach dem Kampf mit Aspilian von sich aus das Kloster und begibt sich zu Piörek. Er eröffnet ihm die Möglichkeit, vom Kloster Schätzung zu fordern, und erklärt sich zugleich bereit, diesen Plan auszuführen, tüörekr gibt nur seine Zustimmung ("enn kongur liet so vera sem Heimer sagde" 11,388). Der Überfall auf das Kloster und auch die Brandlegung sind hier das alleinige Werk Heimis. Nach vollbrachter Tat kehrt er mit der ganzen Beute ("meÖ allann Jiennann fiárhlut") zu I>i8rek zurück und erstattet ihm

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Bericht Wie dieser darauf reagierte, erfahren wir nicht (II, 389). Doch auch in dieser Fassung bleibt KÖrekr letztlich für Heimis Tat verantwortlich. Im Prolog ist davon die Rede, daß die Menschen nach der Sintflut immer schwächlicher wurden, ihre Gier nach Besitz und Ehre ("agirni ath afla fiar nie metnadar" 1,4) aber keineswegs abnahm. Die Habgier tritt in den letzten Kapiteln mit Heimir in den Vordergrund. Auch die Mönche des Klosters, in das Heimir eintritt, sind ihr verfallen. Vor allem wegen der kostbaren Schätze, die er mit ins Kloster bringt, reden sie dem Abt zu, ihn doch aufzunehmen, und das tut er dann auch, trotz aller Bedenken, weil auch ihm die Schätze in die Augen stechen (II, 376f.). Auch sonst werden die Mönche keineswegs nur als unschuldige Opfer dargestellt, denen uneingeschränkte Sympathie entgegengebracht wird. Als Heimir sich bereit erklärt hat, gegen den Riesen Aspilian zu kämpfen, der einen der Höfe des Klosters fordert, will der Abt ihm unter allerlei Ausflüchten seine Waffen und sein Pferd vorenthalten, wohl nicht so sehr aus Habgier, sondern aus Furcht vor dem mächtigen Kämpen (11,379). Die Episode endigt dann mit der Bemerkung, daß Heimir und i>iÖrekr die ganze Beute mit sich nehmen und in ihre Schatzkammer bringen ("flytia heim allann Jjeirra flárlut og leggia j sina fehirdslv" 11,389). Heimir nimmt im Schlußteil der Saga an der Seite Piöreks eine ganz ähnliche Stellung ein wie einst Sifka an der Seite Ermenriks. Sifka hatte zwei Söhne Ermenriks in den Tod geschickt, indem er die Gier des Königs auf Tributzahlungen der Könige von Wilzenland und England weckte, und auch Piöreks Vertreibung leitet er in die Wege mit der Begründung, Ermenrik stünden die Abgaben aus dem Ömlungenland zu (II,160ff.). Heimir hat im Gegensatz zu Sifka nichts an seinem Herrn zu rächen und handelt allem Anschein nach nicht in böser Absicht, aber er verführt PiÖrek mit fast denselben Worten wie Sifka einst Ermenrik: "Du bist nun der mächtigste König der Welt; alle Länder und Städte im LangbarÖaland und weitumher leisten dir Abgaben; warum verlangst du nicht auch Tribut von [...]" (vgl. 11,387 mit Π.160). Auch der Anlaß zu Heimis letztem Kampf gegen einen Riesen sind dessen unermeßliche Schätze an Gold und Silber. Auch in diesem Falle geht die Anregung von Heimir aus: er informiert Mörek von dem Riesen, der der einzige sei, der ihm Ehre und Tributzahlung (sòma og skatt 11,390) verweigere, und erklärt auch gleich seine Bereitschaft, gegen den Riesen zu ziehen; der König ist damit einverstanden ("enn kongi {jikkir Jjat wal" Π.390). Allerdings wird aus diesen Schätzen nichts; Heimir kommt im Kampf mit dem Riesen ums Leben, und der folgende, letzte Kampf Piöreks gegen den Riesen steht ganz im Zeichen der Rache. Noch einmal ist Piörekr in aller Munde, wie er seinen lieben Freund

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rächte ("hversu hann hefndi sins kiaerra winar" Π.392). Von irgendeiner Beute ist da nicht mehr die Rede. Im Einklang mit dem objektiven Erzählstil der Saga findet sich im Text kein Wort der Mißbilligung des Vorgehens gegen das Kloster. Während jedoch sonst solche Episoden mit dem Hinweis zu endigen pflegen, daß die erzählten Ereignisse eine Mehrung von Macht und Ansehen brachten, ist davon hier keine Rede. Wie sollte auch die Ermordung wehrloser Mönche und die Einäscherung eines Klosters Ehre bringen? Diese beiden Taten übersteigen auch das, was man mit Heldenübermut oder Habgier ("agirni ath afla fiar") erklären kann. Dieser Übergriff auf eine kirchliche Einrichtung wiegt wohl umso schwerer, als er nach dem Übertritt MÖreks und aller Arianer zum rechten Glauben (Π.358) erfolgt In manchen Chroniken, die zunächst durchaus positiv über den Gotenkönig berichten, vollzieht sich ein plötzlicher Umschlag ins Gegenteil. So wird Dietrich in der Kaiserchronik durch sein Vorgehen gegen Papst Johannes, Boethius und Seneca (der hier an die Stelle von Symmachus getreten ist) zum Tyrannen, ubel wuotgrimme (V. 14154). Mit einem so harten Wort wird MÖrekr nach der Heimir-Episode nicht bedacht, wie er denn auch vorher nicht uneingeschränkt positiv gezeichnet wird. Aber rein funktional läßt sich der Überfall auf das Kloster in der PiÖreks saga doch mit dem Vorgehen gegen führende Kirchenmänner in der Historiographie vergleichen. PiÖrekr legt hier Herrscherwillkür an den Tag, die ihn in die Nähe Ermenriks und Attilas in ihrem fortgeschrittenen Alter rücken. Auch auf I»iörek erstreckt sich, so scheint es, jene in der PiÖreks saga mehrfach zu beobachtende Vorstellung von der Verschlechterung des Charakters im Alter.6 Vielleicht signalisiert schon eine frühere Stelle, daß I»iÖrekr tyrannische Züge angenommen hat. Unmittelbar nach der Mitteilung, PiÖrekr habe die Herrschaft über Hunaland angetreten, heißt es in Hs.B, PiÖrekr habe nun bis in sein Alter über sein Reich geherrscht, nichts sei darüber zu berichten, daß Fürsten gegen ihn kämpften; alle hätten solche Angst vor ihm gehabt, daß keiner wagte, sich an ihm zu rächen, auch wenn er allein in Waffen ritt ("so eru nu aller hraedder fyrer honum, ad eingenn {jorer ad hefnast a honum, Jjott eirnsaman rijde hann med sijnum vopnumm" 11,375). Von der Begeisterung und Zuneigung, mit der er in Verona empfangen wurde, ist da nicht die Rede, nur von dem Schrecken, den er verbreitete. Die Klosterepisode rückt PiÖrek kurz vor dem Schluß endgültig in jenes Zwielicht, das auch sein Ende umgibt.

6

Vgl. Wyss (wie Anm.S), S.78; Thomas Klein, Zur Köreks saga. In: Arbeiten zur Skandinavistik. 6. Arbeitstagung der Skandinavisten des Deutschen Sprachgebietes: 26.9.-1.10.1983 in Bonn. Hg. v. Heinrich Beck, Frankfurt a.M./BenVNew York 1985 (= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik 11), S.487-56S, hier S.522; Kramarz-Bein (wie Anm.2), S.129, Anm.28: Die Vorstellung treffe auf MÖrek nicht zu.

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m Damit sind wir bei den beiden Schlußkapiteln (443/444) angelangt Eines Tages, als MÖrekr beinahe altersschwach, aber doch tüchtig mit den Waffen war, nahm er ein Bad "j J>einn staÔ er nv er kailad Piöreks bad". Nicht zufällig war dieses Bad als einziges der Bauwerke, die PiÖrekr als Herrscher über Italien hatte errichten lassen, namentlich angeführt worden (Π.357). Da ruft ein Knappe aus, daß da ein Hirsch laufe von noch nie gesehener Stattlichkeit Der König springt auf, hüllt sich in den Bademantel und befiehlt sein Pferd und seine Hunde herbeizuschaffen. Da steht plötzlich ein schwarzes Pferd gesattelt bereit. Mörekr besteigt es und wird von ihm in rasender Eile hinweggeführt. Niemand weiß, was aus ihm geworden ist Es stellt sich die Frage, ob dieses Ende nur äußerlich aufgepfropft ist weil die Überlieferung nun einmal so oder so ähnlich war, ohne inneren Zusammenhang mit dem Bild, das von dem Helden KÖrekr in der Saga gezeichnet wird. Vor allem: wie verhält sich dieses Ende zum unmittelbar Vorausgehenden? Während Theoderichs Sturz in den Vulkan in der stets geistlich geprägten Historiographie immer als Strafe für sein Vorgehen gegen Boethius, Symmachus und Papst Johannes betrachtet wird, ist die volkstümliche Version von seiner Entrückung zu Pferde überall von diesen historischen Ereignissen gelöst, doch wird auch sie unter geistlichem Aspekt gesehen. In der Inschrift von San Zeno in Verona, die in ihrem Motivbestand weitgehend mit der Darstellung der PiÖreks saga übereinstimmt, fordert der Gotenkönig Tribut von der Hölle ("petit infernale tributum"), und diese schickt ihm einen Hirsch, einen Falken, Hunde und ein Pferd, mit dem er zur Hölle fahrt ("petit infera non rediturus"). Vielleicht besteht ein sagenhistorischer Zusammenhang zwischen der Tributforderung an die Hölle in der Inschrift von San Zeno und der Tributforderung Heimis (und damit Köreks) an das Kloster in der PiÖreks saga.7

7

Vgl. Edith Marold, Dietrich als Sinnbild der Superbia. In: Arbeiten zur Skandinavistik. 6. Arbeitstagung der Skandinavisten des Deutschen Sprachgebietes: 26.9.-1.10.1983 in Bonn. Hg. v. Heinrich Beck, Frankfurt a.M/Bem/New York 1985 (= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik 11), S.443-486, hier S.466. Beim Moniage verbunden mit der RoBprobeszene handelt es sich um verbreitetes Erzählgut der Zeit. In dem Moniage Guillaume geht der Mönch-Held gegen sein Kloster ähnlich vor wie Heimir, vgl. dazu Horst P. Pütz, Heimes Klosterepisode. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 100, 1971, S.178-194, bes. S.187. Vielleicht ist also nicht Heimir sekundär eingeführt, um PiÖrek zu entlasten (so Marold), sondern KÖrekr, der auf diese Weise belastet wird? - Bezüglich der Zeugnisse zu Dietrichs Ende verweise ich der Einfachheit halber auf diese Arbeit von Marold und auf Otto Gschwantler, Zeugnisse zur Dietrichsage in der Historiographie von 1100 bis

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Es gibt Verbindungen zwischen dem Überfall auf das Kloster und dem Schlußkapitel der Saga. Nach den Worten des Abtes gehört der Klosterbesitz Sankt Maria und Gott ("fee er aa Sancta Maria med Gudi" 11,388), und diese beiden heiligen Namen sind es, die KÖrekr auf seinem verhängnisvollen Ritt anruft: "Enn apttur mun ek koma J)a Gud will ok Sancta Maria" (11,393). Der erzürnte Abt schilt PiÖrek, und auch Heime, einen Teufel ("og wer J>ar fiandi sem ftdrek kongur" 11,389), und zuletzt reitet Körekr auf einem Pferd hinweg, in dem er einen Teufel sieht ("f»etta mun wera einn fianndi er ek sit aa" 11,393). Aber ein direkter Zusammenhang zwischen dem Überfall auf das Kloster und dem Ende des Königs wird nicht hergestellt. Das, was PiÖrek unmittelbar zum Verhängnis wird, ist die Verfolgung eines Hirsches, seine Jagdleidenschaft also. Von der ist auch unmittelbar vorher, am Beginn von Kapitel 443, die Rede: Es gab keine Kämpen oder Riesen mehr, mit denen zu kämpfen sich gelohnt hätte. PiÖrekr ist nun, so heißt es da, ein so großer Kämpe und ein so gewaltiger Mann ("mikill kappi og afreks madur"), daß niemand wagte, sich mit ihm zu messen ("ath eingi jjorer vid hann ath iafnast"). Diese Bemerkung bringt Hs.B auch schon früher, im Anschluß an die Notiz über MÖreks Bauten und Standbilder (Π.358). Das Lexem jafningi (einer, der von gleichem Rang, gleicher Tüchtigkeit ist), das sich wie ein Leitwort durch die ganze Saga zieht, hat nun ausgedient, da es keine jafningjar mehr gibt.® Und so bleibt PiÖrek nur noch als rühmliche Tat ("fiat eitt Jnkkir honum fraegd"), große Tiere zu jagen, an die sich andere nicht wagten. Oft ritt t»iÖrekr mit nur wenigen Knappen auf die Jagd und vollbrachte da große Heldentaten (afreks verk), doch, so heißt es weiter, "können wir sie nicht beschreiben, weil wir sie nicht erfahren haben" (11,392). Die Jagd wird also in heroischem Kontext gesehen, sie dient der Mehrung des Ruhmes. Schon an einer früheren Stelle wird t>iÖreks Liebe zur Jagd erwähnt u.zw. vor dem Drachenkampf und der Befreiung Isolds. Da wird gesagt, daß WÖrekr viel auf der Jagd war und eines Tages mit seinen Hunden und Habichten tief in die Wälder ritt; auf diese Weise erfuhr er von den Räubern, die Isold belagerten (11,361). Am frühesten wird PiÖreks Jagdleidenschaft eingeführt in Hs.B, sicher nicht zufällig nachdem alle Gegner besiegt, die Herrschaft in Italien gesichert und die letzten Vertrauten, Hildibrandr und Herad, verstorben sind. Da heißt es, daß PiÖrekr große Freude an der Jagd hatte und mit seinen Habichten und Hunden

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gegen 1350. In: Heldensage und Heldendichtung im Germanischen. Hg. v. Heinrich Beck, Berlin/New York 1988 (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 2), S.35-80. Vgl. Beck (wie Anm.3), S.6f.

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und seinem Pferd Blanke auszog, das er von Alibrand bekommen hatte und das so schnell war, daß kein Pferd ihm folgen konnte. Vielleicht klingt in dieser Stelle auch so etwas wie Kritik an, wenn gesagt wird, daß KÖrekr so kühn und so stolz war ("so er hann diarfur, og so er hann stolls"), allein in Ödland zu reiten, weil er weder vor Menschen noch vor Tieren Angst hatte (Π.359). Jagdleidenschaft wird häutig als Ursache für den Eintritt in die Rolle des Wilden Jägers angesehen.9 Nach westfälischer Sage war Hackelbärend ein Jäger, der auch sonntags auf die Jagd zog und wegen dieser Entheiligung nach seinem Tode in die Luft verwiesen wurde, wo er mit seinem Hunde Tag und Nacht jagen muß, ohne sich auszuruhen (Grimm, S.767). Nach niedersächsischer Sage war Hans von Hackeinberg Obeljägermeister des Herzogs von Braunschweig und ein gewaltiger Weidmann, der 1521 gestorben, nach anderen in diesem Jahre geboren und 1581 gestorben sein soll. Drei Stunden von Goslar, im Garten eines Wirtshauses liegt sein Grabstein (ib.S.768). Von Haddenberg wird erzählt, daß er im Sturm und Regen 'fatscht', mit Wagen, Pferden und Hunden durch den Thüringerwald, den Harz, am liebsten durch den Hackel, einen Wald zwischen Halberstadt, Groningen und Derenburg. Auf dem Sterbebett wollte er nichts vom Himmel wissen und auf die Ermahnungen des Predigers erwiderte er, unserem Herrgott möge der Himmel bleiben, wenn ihm nur seine Jagd bliebe. Worauf der Prediger: "So jage bis an den Jüngsten Tag", was bis heute in Erfüllung geht (ib. S.768f.). Der Hackenberg oder Hackelberg der Altmärker Sage soll auch sonntags gejagt und alle Bauern seiner Gemeinde mitzugehen gezwungen haben. Eines Tages kamen zwei Reiter ihm an die Seite gesprengt, die ihn aufforderten mitzuziehen. Der eine sah wild und grimmig aus, seinem Pferde sprühte Feuer aus Nase und Maul, der Reiter zur Linken sah ruhiger und milder aus. Hackelberg aber wandte sich zu dem wilden, der mit ihm fortsprengte und in dessen Gesellschaft er bis zum Jüngsten Tag jagen muß. Nach einer anderen Sage hauste Hackelberg in Solling unweit Uslar. Er hatte gottselig gelebt, war aber so sehr am Weidwerk gehangen, daß er auf seinem Todbett Gott anflehte, "für sein theil himmelreich ihn bis zum jüngsten tag am Solling jagen zu lassen. Sein wünsch wurde ihm verhängt, und man hört oft in diesem wald zu nacht hundsgebell und greuliches hornblasen" (ib. S.769). E.M. Arndt erzählt eine Sage, nach der in Sachsen vor langer Zeit ein mächtiger Fürst lebte, dem die Jagd über alles ging und der jeden Waldfrevel auf das härteste bestrafte. Schließlich brach er sich den Hals auf der Jagd, hat aber im Grab keine Ruhe, sondern muß jede Nacht im Wald jagen (S.773f.).

9

Vgl. Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, 4. Ausgabe besorgt von Elard Hugo Meyer, Gütersloh 1875, Bd.2, S.767ff.

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Nach einer niedersächsischen Sage muß der wilde Ritter Tils dafür büßen, daß er eines Christsonntags sich vermaß: Heute müsse er ein Wild erlegen und solle seine Burg darüber untergehen - die dann auch in der Tiefe des Sees versank (S.774). In einem Meistergesang von Michel Beheim gibt ein als Wilder Jäger Umgehender als Ursache für seine Bestrafung an, er sei zu Lebzeiten ein Herr gewesen, "der nie jagens satt wurde und zuletzt an gott die bitte richtete, ihn bis zum jüngsten tag jagen zu lassen". Und so jagt er schon "fünfthalbhundert" Jahre einem Hirsche nach, ohne ihn je zu erreichen (S.777). Gerade wegen dieses Motivs ist hier eine besondere Nähe zur Version von Dietrichs Ende in der Piöreks saga gegeben. Ganz ähnlich wie Hackelberg soll der Dänenkönig Waldemar die vermessenen Worte geäußert haben: "Gott möge sein himmelreich behalten, wenn ich nur in Gurre immerdar jagen kann!" Nun reitet er jede Nacht von Burre nach Gurre (S.787). Auch wenn der Wilde Jäger eine Frau ist, wird Jagdleidenschaft als Grund der Strafe angegeben. Frau Gauden war einmal eine vornehme Frau, die die Jagd so sehr liebte, daß sie sich zu den Worten hinreißen ließ, sie wolle nie zum Himmel hinein, dürfe sie immerfort jagen. Auch ihre 24 Töchter waren leidenschaftliche Jägerinnen, und als Mutter und Töchter wieder einmal durch Wälder und Felder jagten, erscholl es wieder von ihren Lippen: Die Jagd ist besser als der Himmel! Da verwandeln sich vor den Augen der Mutter die Töchter in Hündinnen und seitdem jagen sie dahin zwischen Himmel und Erde. "Längst schon sind sie des wilden treibens überdrüssig und beklagen den frevelhaften wünsch, aber sie müssen die folge ihrer schuld tragen, bis die stunde der erlösung kommt Kommen wird sie einmal, doch wann? weiß niemand" (S.771f.). Aus der deutschen Sage wissen wir, daß auch Dietrich von Bern in die Rolle des Wilden Jägers versetzt wurde. Dieser Rolle ähnelt auch das Schicksal, das Dietrich nach seinem Tode im Wunderer erfährt.10 Da wird erzählt, wie der erst 16-jährige Held sich bereit erklärt, gegen den schreckenerregenden Verfolger einer Jungfrau zu kämpfen. Sie verleiht ihrem Helden einen Segen, den sie ihrer Frömmigkeit wegen von Gott empfangen hat und der bewirkt, daß er von keinem Helden, also auch nicht vom Wunderer, erschlagen wird. Der Segen bleibt durch Dietrichs ganzes Leben wirksam, und dies ist der Anlaß, daß das Gedicht in Form eines Exkurses kurz auf Dietrichs Ende eingeht. Ich gebe die einschlägigen Strophen hier wieder, da ich noch mehrmals auf sie zurückkommen werde.

10 Ich zitiere hier den Wunderer nach: Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis zur Gegenwart Sagen, Märchen, Exempel und Schwanke mit einem Kommentar hg. v. Lutz Röhrich, 2 Bde. Bern und München 1962-67, Bd.2, S.7-25.

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129 Do thet sie jm ein segen / der ir von gott was kunt / vonn jrer frümkeit wegen / gab ir gott sölichen funt / das was an jm beliben / vnd an ym wol bewert / als man es fyndt geschiiben / das yn gott offt ernert 130 Vnd ist auch noch bey leben / her dieterich von bern / gott thet ym ein buoß geben / das möcht jr hören gern / eyns tags er sich veijahe / zuo Berne in der statt / durch red dz selb geschähe / das was des teüfels rat 131 Darumb er wart berürte / mit eynem roß vnreyn / vnnd ward dohyn gefuore / jn die wüst hyneyn / do hyn do muest er reiten in die wüste rumanyag / mit wüimen mueß er streiten / biß an den jüngsten tag. 132 Das laß wir nuon guot seyne / vnd war er kommen sey / got hilfft ym noch vß peyne / mit sterck wont er ym bey / dz wölT wir lassen bleiben / vnd fahen wider an / vnd volgen nach dem schreiben / was wundrer hat gethan. Die Schlußstrophe des ganzen Gedichtes nimmt darauf Bezug, daß Dietrich immer noch gegen Drachen kämpfe: 215 Nuon hat ein end das gdiechte / wer das gehöret hott / mit worheyt ich das sptiche / nuon seint sie alsampt todt biß on herr dietetiche / der ist bei leben doch, vnd strit so krefftigliche / mit den würmen noch. Wie in der PiÖreks saga so wird der Bemer auch hier von einem höllischen Roß hinweggeführt Im Wunderer ist dies die Strafe für freventliche Worte, die er eines Tages auf Anstiften des Teufels sprach. Diese Begründung hat kein Gegenstück in der PiÖreks saga, man könnte aber an die vermessenen Worte Hackelbergs und anderer leidenschaftlicher Jäger denken, die zur Strafe als Wilde Jäger umgehen müssen. Wie im Wunderer so wird auch in Sagen vom Wilden Jäger immer wieder gesagt, daß die Strafe bis zum Jüngsten Tag dauere. Gerade auch deswegen hat schon Jakob Grimm (S.782) die Version von Dietrichs Ende im Wunderer mit Sagen von Hackelberg zusammengestellt Eine ganz ähnliche Version von Theoderichs Ende wie die PiÖreks saga erzählt Diakon Giovanni in seinen Historiae imperiales.11 Theoderich habe, nur in ein Badetuch gehüllt das vom Teufel geschickte Pferd bestiegen und sei dann für immer verschwunden. Wie sehr die Übereinstimmung mit der PiÖreks saga ins Detail geht zeigt sich am Beispiel des Badetuchs. In der PiÖreks saga heißt es:

11 Vgl. Marold (wie Anm.7), S.454; Gschwantler (wie Anm.7), S.74. Zum Fehlen des Hirsches Marold S.464.

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"tekur sina badkaapu ok sveipar sig med", bei Giovanni: "solum inuolutus linteamine". Angeregt dürñe das Motiv durch das Relief von San Zeno sein, auf dem der Reiter einen wehenden Umhang hat; doch die beiden schriftlichen Zeugnisse sprechen übereinstimmend davon, daß sich der König in einen Bademantel bzw. ein Badetuch eingewickelt hatte. Dies deutet auf eine feste Formulierung in der mündlichen Überlieferung. Man erzähle, so Giovanni weiter, daß Dietrich noch jetzt nachts durch die Wälder jage und Nymphen verfolge. Hier ist von der Verfolgung eines Hirsches nicht die Rede, auch nicht von einem Ritt in die Hölle. Theoderich-Dietrich reitet hinweg und lebt in der Meinung des Volkes als Wilder Jäger fort, der Waldfrauen verfolgt. Daß der Teufel ihm nicht nur ein Pferd, sondern auch die Hunde schickt, paßt zum Erscheinungsbild des Wilden Jägers. Die Volksüberlieferung, auf die sich Giovanni stützt, scheint also einen engen Zusammenhang gesehen zu haben zwischen Dietrichs Entrückung und seinem Auftreten als Wilder Jäger. Wir halten fest, daß die Saga f>i8reks Jagdleidenschaft frühzeitig und offenbar vorausplanend eingeführt hat, da sie in ursächlichem Zusammenhang mit seiner Entrückung steht, auch wenn hier nichts erwähnt wird von frevelnden Worten. Dabei dürften Sagen Pate gestanden haben, in denen leidenschaftliche Jäger, die sich gegen Gott versündigt haben, in die Rolle des Wilden Jägers eintreten müssen. Aber von einem Fortleben I>iÖreks als Wilder Jäger ist in der PiÖreks saga nicht direkt die Rede. Aber vielleicht indirekt? Unmittelbar auf die Mitteilung, daß Theoderich das Pferd bestiegen habe, folgen bei Giovanni die Worte: "et statim nunquam comparait, set per silvas adhuc de nocte uenari dicitur et persequi nimphas". Er wendet sich mit dem ersten Satz gegen den Glauben, daß Theoderich irgendwann wieder erschienen sei, und aus dem zweiten dürfen wir schließen, daß er sich speziell gegen den Glauben an eine Wiederkehr als Wilder Jäger wendet. Den Worten "et statim nunquam comparait" entspricht in der PiÖreks saga in etwa: "og alldrei hefer si^ann tilspurst". Noch auffallender ist die Übereinstimmung dieses Satzes der PiÖreks saga und des unmittelbar vorausgehenden mit den Worten, mit denen Leo von Roimitai seine Bemerkung über die Entrückung auf einem Pferd beschließt: "ex eo tempore postea nunquam apparaisse, ita ut quo devenerit in hanc usque diem ignoretur". Die entsprechenden Satzteile in Gegenüberstellung: og alldrei hefer si})ann tilspurst

-

nunquam apparaisse

HeJjann j fra

-

ex eo tempore postea

kann einngi madur ath seigia [...]

-

ignoretur

huad af honum ward

-

quo devenerit.

Konsistenz u. Intertextualität im Schlußteil der Piöreks saga

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Aus der Übereinstimmung der beiden Stellen darf man schließen, daß derartige Bemerkungen weithin zum festen Bestand der Rede über Dietrichs Ende gehörten. Auch die Inschrift von San Zeno mit ihrem non rediturus und die immer wiederkehrenden Beteuerungen der Chroniken, Dietrich sei nach seinem Tod bzw. seinem Verschwinden niemals wieder gesehen worden, wollen wohl gegen den Glauben an eine Wiederkehr ankämpfen. Dort, wo von einem teuflischen Roß und einem Ritt in die Hölle gar nicht die Rede ist wie bei Leo von Rozmital, läßt eine Formel wie "ita ut quo devenerit ignoretur" alle Möglichkeiten offen und könnte sich indirekt gegen den Höllenritt wenden. Und nunquam apparuisse könnte sich gegen die Auffassung richten, Dietrich ziehe als Wilder Jäger durch die Wälder. Insofern die Worte der Saga: "og alldrei hefer sij>ann tilspurst" dem nunquam apparuisse entsprechen, könnten auch sie sich gegen den Glauben wenden, daß KÖrekr seither in irgendeiner Weise in Erscheinung trat. Da von PiÖreks Jagdleidenschaft die Rede war, da sein Ende mit dieser Jagdleidenschaft zusammenhängt, ist wohl auch hier in erster Linie an eine Wiederkehr als Wilder Jäger zu denken. Ob auch die Frage des Knappen: "herra naer munntu apttur koma" mit dem Glauben an Piöreks Wiederkehr zu tun hat? Notwendig ist eine solche Annahme nicht. Der Knappe weiß noch nicht, daß der König auf einem Teufelsroß reitet, er sieht ihn nur in rasender Eile davonreiten. Daher auch seine zweite Frage: "fyrer hvi riöur {JU suo hart?" Sollte man dann die erste Frage nicht eher verstehen als: Wann kehrst du um, d.h. wann gibst du die vergebliche Verfolgung auf? So schreibt denn auch Hs.B: "naer munntu seti a ad snua?" Allerdings gebraucht auch hier KÖrekr in seiner Antwort die Worte apttur koma und gibt zu verstehen, daß das nicht in seinem Ermessen liege. Meint er, daß Gott und Sankt Maria sozusagen im letzten Augenblick das Unheil wenden, so daß er umkehren könne? Oder ist doch an eine Wiederkehr aus dem Jenseits - irgendwann gedacht? Da man das nächtliche Dahinstürmen des Wilden Jägers wohl kaum als "Wiederkehr" (koma aptur) bezeichnen kann, möchte man eher an die Sagen von entrückten Königen denken, von denen man glaubte, daß sie einst wiederkehren würden. Immerhin gibt es ein Zeugnis, das darauf hindeutet, daß auch Theoderich zu diesen Königen zählte. Obwohl die Dietrich-Erscheinung von 1197 in der Chronica regia Coloniensis manches mit dem Wilden Jäger gemein hat, ist sie durch die Ursache ihrer Ankunft (adventus) und ihre Prophetie, die beide das ganze Reich betreffen, mit der Reichs- und Königssage verbunden.12

12 Vgl. Gschwantler (wie Anm.7), S.64-70.

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Die Bemerkung, niemand habe nach PiÖreks Verschwinden etwas von ihm erfahren, niemand könne daher sagen, was aus ihm geworden sei, entstammt mit Sicherheit der Tradition, mit einiger Wahrscheinlichkeit auch das Thema Wiederkehr. Es wird hier andeutungsweise auf Sagen Bezug genommen, die über PiÖreks Schicksal nach seinem Tode in Umlauf waren. Aber durch die unmittelbar folgenden Sätze, die zugleich die ganze Saga beschließen, wird die Frage, was aus PiÖrek wurde, in ganz andere, religiöse Zusammenhänge gerückt: Obwohl PiÖrekr glaubte, daß ihn ein Höllenroß hinwegführe, könne man nicht sagen, was aus ihm geworden sei, d.h. ob er gerettet oder verdammt sei. Deutschen Männern sei in Träumen kundgetan, PiÖrekr habe die Hilfe Gottes und Sankt Marias erfahren, weil er bei seinem Tode ihrer Namen gedachte. Auch die religiöse Thematik ist in der Saga von langer Hand vorbereitet. Schon im Prolog ist von PiÖreks und seiner Zeitgenossen Arianismus die Rede: die Geschichte spiele nach dem Tode Konstantins des Großen, der fast die ganze Welt christianisiert habe; aber nach seinem Tode sei das Christentum verdorben, Irrlehren erhoben sich, so daß es im ersten Teil der Saga niemanden gab, der den rechten Glauben hatte ("suo ath j fyrra lut J>essarar sœgu voru ongver J>eir ath netta tra hefde" 1,3). Mit diesen Worten wild auf die spätere Bekehrung vorausgedeutet. Nachdem die Saga von PiÖreks Krönung zum König von Romaborg berichtet hat und bevor sie von Hildibrands und Herads Tod erzählt, bemerkt sie, daß gegen Ende der Lebenszeit König PiÖreks die Irrlehre des Arius von christlichen Männern verurteilt wurde und sich alle zum rechten Glauben bekehrten, die der Irrlehre angehangen hatten. Hs.B fügt noch präzisierend hinzu, daß König PiÖrekr, Meister Hildibrandr, das ganze Römerreich und LangbarÖaland sich von der Irrlehre des Arius abwandten und sich von neuem zum Christentum bekehrten (11,358). Wenig später, als PiÖrekr im Kampf mit dem Drachen nach Verlust seines Schwertes in schwere Bedrängnis gerät, nimmt er in einem flehentlichen Gebet auf diese seine Bekehrung Bezug: "Heiliger Gott, hilf mir und steh mir bei! [Denn kein Mensch kann mir nun helfen.] Seitdem ich im wahren Glauben an Dich glaube, ist dies meine erste Bitte, die ich an Dich richte. Errette mich, Herr und Gott! Errettest Du mich nicht, so werde ich nie gerettet" (11,362; der Satz in eckiger Klammer nur in Hs.B). Und so ist es denn nicht vollends überraschend, daß die letzten Worte, die wir aus PiÖreks Munde vernehmen, ein Anruf an Gott und Maria sind: "Wiederkommen werde ich, wenn Gott will und Sankt Maria". Die PiÖreks saga steht in ihrem Bestreben, PiÖrek vor der ewigen Verdammnis zu bewahren, nicht allein. Das Weiterleben als Wilder Jäger wird in manchen Sagen als eine Art Fegefeuer aufgefaßt. Nach der Chronique de Normandie aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erscheint König Karl V. (1364-1380) mit

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seinem Gefolge dreimal pro Woche im Wald von Moulineaux. Er sagt von sich: "Ich bin König Karl der V. von Frankreich, der aus dieser Welt geschieden ist, und leiste Buße für die Sünden, die ich auf Erden begangen habe, und dies hier sind die Seelen der Ritter und anderer Untertanen, die mir (einst) dienten, und die für ihre Sündenlast nun Buße tun." Im übrigen kommt Karl und seinen Rittern nach dieser Überlieferung die ehrenvolle Aufgabe zu, gegen Sarazenen und verdammte Seelen zu kämpfen.13 Obwohl die Versetzung Karls und seiner Ritter in die Wilde Jagd im christlichen Sinne als Strafe aufgefaßt wird, muß doch festgehalten werden, daß es sich dabei nicht um ewige Verdammnis handelt, sondern um eine spezielle Form der Buße, die irgendwann ein Ende nehmen wird und insofern dem Fegefeuer vergleichbar ist. Und so heißt es denn auch in einem späteren Zusatz zu der Schrift De cognitione sui: "Fuit enim Carolus quintus, qui peccatorum suorum longam egit poenitentiam, et nuper tandem per intercessionem beati Dionysii liberatus est."14 Wir haben gesehen, daß in Sagen, die von leidenschaftlichen Jägern handeln, immer wieder von einer Strafe die Rede ist, die bis zum Jüngsten Tag, also nicht ewig, dauern wird. Die Sage von Frau Gauden spricht von der "Stunde der Erlösung", die einmal kommen wird (s.o.). Auch dort, wo Dietrich in die Rolle des Wilden Jägers eingetreten ist, mußte das nicht ewige Verdammnis bedeuten. So muß er im Wunderer, nachdem er von einem teuflischen Roß hinweggeführt wurde, gegen Drachen kämpfen. Diese Strafe wird ihm als Buße (Str.130) auferlegt, die "biß an den jüngsten tag" dauern wird. Beides deutet darauf hin, daß seine Leiden irgendwann ein Ende nehmen. Es handelt sich also um ein heroisiertes Fegefeuer. In Str. 132 wird die Zuversicht ausgesprochen, daß Gott ihn einst aus seiner Pein erretten wird (s.o.). Es scheint, daß der Glaube an das Fegefeuer von der späten Dietrichsage dankbar aufgegriffen wurde, weil er die Möglichkeit bot, den geliebten und bewunderten Helden wenn schon nicht vor jeglicher Strafe, so doch vor ewiger Verdammnis zu bewahren. Die mögliche Errettung PiÖreks in der Saga hat nichts damit zu tun, daß er ein ruhmreicher Held war und so große Taten vollbrachte - das alles kann ihm in seiner Not nicht helfen - sie wird allein damit begründet, daß er der Namen Gottes und Marias gedachte. Unwillkürlich drängt sich der Gedanke an die vanitas auf, in der Theodore M. Andersson ein Strukturprinzip der Saga gesehen hat.15 In einer Reihe schwedischer Runeninschriften

13 Karl Meisen, Die Sagen vom Wütenden Heer und Wilden Jäger, Münster i.W. 1935 (= Volkskundliche Quellen 1), hier S.88 (auch französischer Text). 14 Meisen (wie Anm.13), S.49. 15 Vgl. Theodore M. Andersson, An interpretation of Möreks saga. In: Structure and Meaning in Old Norse Literature. New Approaches to Textual Analysis and Literary Criticism. Hg. v.

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des 11. Jahrhunderts wird für Verstorbene gebetet mit den Worten: "Gott helfe seiner (ihrer) Seele und (auch) die Gottesmutter."16 Daß man dabei an die Errettung aus dem Fegefeuer gedacht habe, scheint zumindest zweifelhaft. In englischen Gebeten des 9.-11. Jahrhunderts erscheint Maria vor allem als mächtige Fürsprecherin der Seele vor dem Richterstuhl Gottes17, und auch aus dem Stoßgebet PiÖreks und seiner möglichen Rettung wird man nicht ohne weiteres auf die Vorstellung vom Fegefeuer schließen dürfen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber doch ziemlich groß, da sich der Glaube an das Fegefeuer im 13. Jahrhundert fest etabliert hatte und es für den christlichen Sagamann doch wohl schwer vorstellbar war, daß MÖrekr geradewegs in den Himmel einzog. Da in der Piöreks saga ein Zusammenhang zwischen PiÖreks Jagdleidenschaft und seiner Entrückung besteht, ist es immerhin möglich, daß dem Sagamann eine ähnliche Überlieferung von einer Buße seines Helden bekannt war - aber gefolgt ist er ihr nicht! Er hat für die Vorstellung, daß sein Held nicht einfach geradewegs in den Himmel kam, aber auch kein ewig Verdammter ist, einen Ausdruck gefunden, der ihm passender schien und ohne Zweifel sehr viel eindrucksvoller ist Es wird eigens hervorgehoben, daß WÖrekr angesichts des Todes ("wid bana sinn") Gott und Maria angerufen habe. Die Anrufung Mariens erhält ein besonderes Gewicht dadurch, daß sie gerade auch um ihre Fürbitte in der Sterbestunde ("nunc et in hora mortis") angefleht wurde. Die Traumgesichte deutscher Männer, PiÖrekr habe den Beistand Gottes und Marias erlangt, sind daher mehr als eine vage Hoffnung.

Zusammenfassung t»i8rekr hat im Nibelungenuntergang mit Ausnahme Hildibrands seine letzten Freunde und Getreuen und sein Ansehen verloren. Der Gegensatz zwischen Fama und faktischem Verhalten, der weite Teile der Jugendgeschichte beherrscht, ist aufgehoben, ja ins Gegenteil verkehrt, indem mehrmals von Verlust

John Lindow, Lars Lönnroth, Gerd Wolfgang Weber, Odense 1986 (= The Viking Collection. Studies in Northern Civilization vol.3), S.347-377f., bes. S.371f. 16 Vgl. dazu Otto Gschwantler, 'Licht und Paradies'. Fürbitten für Verstorbene auf schwedischen und dänischen Runeninschriften und ihr Verhältnis zur lateinischen Totenliturgie. In: triuwe. Studien zur Sprachgeschichte und Literaturwissenschaft Gedächtnisbuch für Elfriede Stutz. Hg. v. Karl-Friedrich Kraft, Eva-Maria Lill u. Ute Schwab, Heidelberg 1992 (= Heidelberger Bibliotheksschriften 47), S.51-67. 17 Vgl. dazu meinen für das 4. Internationale Symposium über Runen und Runeninschriften (Göttingen, 4.-9.8.199S) vorgesehenen Beitrag über 'Die Runeninschriften als Quelle der Frömmigkeitsgeschichte'.

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der Ehre gesprochen wird, KÖrekr aber durchaus heldische Gesinnung an den Tag legt. Die Geschichte seiner Rückkehr nach Italien ist die Geschichte der Wiedererlangung seiner Herrschaft und des Aufstiegs zu neuem Glanz. Auch in diesem Teil ist er noch gelegentlich der "Zögling" Hildibrands und tritt einigemale in den Schatten eines anderen Helden, wie dies im ersten Teil mehrmals der Fall ist, doch fehlen blamable Züge wie Kampfscheu und die Anwendung von List und Tücke: MÖrekr erweist sich stets als tapferer Kämpe. Auch nach der Krönung in Romaborg setzt sich der Aufstieg fort und wird nun ins Mythische gesteigert durch den Drachensieg, der in deutlichem Kontrast zum Drachenkampf des ersten Teiles steht. Auch die folgende Sequenz über Attilas Tod gehört noch zur aufsteigenden Handlung des Schlußteils, da nun KÖrekr die Nachfolge Attilas als Herrscher über Húnaland antritt Seine Machtstellung hat eine schwindelerregende Höhe erlangt. Während f>iÖrekr gegen Sifka um sein angestammtes Recht kämpft, geht es ihm im Kampf gegen den Drachen und die Räuber allein um neue Heldentaten und um die Mehrung seines Ruhmes. Ideale der Jugend treten wieder in den Vordergrund. Dort spricht Hildibrandr von PiÖreks Übermut (hans drambi 1,143) und später macht er die Prahlerei, den Hochmut und die Wildheit seines Zöglings ("dramb oc metnaör meö grimleic" 1,170) verantwortlich für die Niederlage gegenüber ViÖga. PiÖreks anmaßende Rede, die zum Aufbruch ins Bertangenland führt, ist nach Herbrand aus Übermut und Unverstand gesprochen ("af kappi oc af oviti" 1,354), und Sifka warnt Ermenrik vor MÖreks Übermut ("firi ofkappi hans" 11,170), allerdings in verleumderischer Absicht. Solche Eigenschaften sind für den jungen Helden charakteristisch, später begegnen sie nicht mehr. Der unersättliche Drang zu immer neuen Taten dringt allerdings wieder hervor, nachdem PiÖrekr alle politischen Gegner besiegt hat, und damit werden die fragwürdigen Seiten des Heldentums wieder stärker hervorgekehrt, vor allem nach der Wiederbegegnung mit Heimir, der den Überfall auf das Kloster anregt. I>iÔrekr wird schuldig durch Gewährenlassen und aktive Teilnahme an der Brandschatzung. Die Klosterepisode ist funktional vergleichbar mit Theoderichs Vorgehen gegen Papst Johannes, Boethius und Symmachus in den Geschichtswerken. Aber ein direkter Zusammenhang zwischen dieser Episode und KÖreks Ende wird in der Saga nicht hergestellt. Es geht bei l>iöreks Ende offenbar nicht um die Strafe für ein bestimmtes Vergehen, es steht jedoch im Einklang mit der Auffassung der Saga von der Fragwürdigkeit des Heldischen, die knapp vor dem Ende besonders drastisch vor Augen geführt wird. Dies illustriert einmal mehr den hohen Grad an Konsistenz des Textes. In der dreiteiligen Gesamtanlage des Werkes - Jugend, Heirat, Alter (vgl. Klein, Andersson) - nimmt der Schlußteil der Saga insofern eine Sonderstellung ein, als der Hauptheld nochmals einen steilen Aufstieg erfährt, ehe er im hohen Alter

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vollends ins Zwielicht gerät Ausführlich werden im ganzen Schlußteil der Saga Rückwendungen eingesetzt, denen die Saga gerade in diesem Teil ein hohes Maß an Geschlossenheit und Abrundung verdankt Der Sagamann hält sich dabei nicht streng an einen uns erhaltenen Text bekundet jedoch Vertrautheit mit der Organisation des Gesamtwerkes und untermauert sie durch Korrespondenzen, Kontrastierungen, Vorausdeutungen und vor allem Rückwendungen. Bei der Interpretation der beiden Schlußkapitel wurde versucht, den intertextuellen Horizont miteinzubeziehen, mit dem hier im Sinne von Walter Haug schriftliche wie mündliche Überlieferungen gemeint sind.18 Motive kehren hier wieder, die wir aus der Veroneser Tradition kennen: das Bad, der Bademantel, die Entrückung auf einem teuflischen Roß bei der Verfolgung eines Hirsches; aber sie sind in der PiÖreks saga in andere Zusammenhänge gerückt: es wird eine Verbindung hergestellt zwischen der Verfolgung des Hirsches und PiÖreks heroisch motivierter Jagdleidenschaft, die im Schlußteil der Saga mehrmals vorausplanend erwähnt wird. Dies evoziert Sagen vom Wilden Jäger, in denen der so Bestrafte für seine frevlerische Liebe zur Jagd büßen muß. Die Bemerkung, PiÖrekr sei nie wieder gesehen worden, niemand wisse daher, was aus ihm geworden sei, stammt aus der Tradition und hat sich ursprünglich gegen den Glauben gewandt, MÖrekr erscheine in irgendeiner Form wieder. Damit dürfte auch die Frage nach der Wiederkehr in der PiÖreks saga zusammenhängen. Es werden vorgeprägte Formeln in den Text eingebaut, die ursprünglich auf sagenhafte Überlieferungen um PiÖreks Schicksal nach dem Tode anspielten, die beim Publikum, vielleicht auch dem der PiÖreks saga, als bekannt vorausgesetzt werden durften. Diese Formeln erhalten in der Piöreks saga selbst aufgrund des Kontextes eine ganz neue Dimension, indem sie auf die Frage hinlenken, ob PiÖrekr gerettet sei oder verdammt. Da der Wilde Jäger häufig bis zum Jüngsten Tag büßen muß, da Dietrichs Kampf gegen Drachen im Wunderer als eine Art heroisiertes Fegefeuer zu verstehen ist, könnte der offene Schluß der Saga als sagagemäße Entsprechung des Fegefeuers verstanden werden. In diesem Schluß, der der Vorliebe der Gattung Saga für eine "eigentümliche Teilklarheit, ein berechnendes Verschweigen" (Andreas Heusler19) entspricht, dürfen wir wohl in besonderem Maße eine Eigenleistung des (norwegischen) Sagamannes sehen.

18 Vgl. Walter Haug, Montage und Individualität im Nibelungenlied. In: Nibelungenlied und Klage. Sage und Geschichte, Struktur und Gattung. Passauer Nibelungengespräche 198S. Hg. v. Fritz Peter Knapp, Heidelberg 1987, S.277-293, hier S.285f., 292f. 19 Die altgermanische Dichtung, 2. Aufl. Potsdam 1941, S.277.

III. Die PiÖreks saga im altnordischen Kontext

Nordisches in der PiÖreks saga VON HEIKO UECKER

Die Frage, was denn nordisch an der PiÖreks saga sei, mag manchem ridikül erscheinen, ist diese doch in altnordischer, in altnorwegischer Sprache abgefaßt und damit könnte man es sein Bewenden haben lassen: die PiÖreks saga eine exotische Blüte am Stamm der reichen altnordischen Prosaliteratur. Gut und schön, wären da nicht die vielen Quellenberufungen (H. Voigt hat sie im Nachwort zur Neuausgabe der Thule-Übersetzung zusammengestellt), die uns glauben machen sollen, die Saga beruhe auf niederdeutschen Quellen. Von diesen ist uns nichts erhalten, und so hat man wacker spekuliert, was es damit auf sich haben könnte: Soester Lokalsagen hat man durchschimmern sehen, eine Ableitung von der Älteren Not, die ebenfalls nur erschlossen ist, hat man postuliert, eine niederdeutsche Historia Dietrichs von Bern glaubte man rekonstruieren zu können. Diese Versuche haben alle etwas für sich genauso wie die Bemühungen, die PiÖreks saga als ein Werk zu verstehen, das nach bestimmten Erzählprinzipien strukturiert ist, die typisch mittelalterlich seien. Hierfür wird der doppelte cursus, das Prinzip des entrelacements, der Ansippung, der Zyklenbildung herangezogen. Stillschweigende Voraussetzung dieser Herangehensweise ist die Annahme, man habe es mit einem bewußt geformten literarischen Werk zu tun, dessen sinnvolle Strukturen es aufzudecken gelte. Dem steht die Ansicht gegenüber, diese Saga sei nur ein Kübel, in den nur lose verbundene Geschichten geworfen wurden. Sinnvolle Konstruktion also oder Machwerk, literarischer Gestaltungswille oder Sammelsurium? Meine Ausgangsfrage bedarf noch einer kurzen Verdeutlichung, nämlich: was ist "nordisch" überhaupt? Ich gebe eine Minimalbeschreibung, wenn ich sage: "nordisch" ist das, was nicht kontinental ist, wobei ich das reine Sprachgewand im allgemeinen ausklammere. Dabei ergeben sich für mich folgende Möglichkeiten, das Nordische vom Kontinentalen zu sondern: Motive (sie sind hinlänglich und oft beschrieben worden), also das Gebiet der Stoffgeschichte (und hier ist wenig Neues zu vermelden) und das Gebiet der sprachlichen Gestaltung. Bei letzterem denke ich an Fragen von festen Versatzstücken (ohne jetzt schon an oral poetry zu denken) und anderen stilistischen Eigentümlichkeiten wie sie für die altnordische Prosa typisch sind.

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H. Uecker

Meine Annahme ist, die Betrachtung des Stils der PiÖreks saga könne Aufschlüsse über die verschiedenen Schichten der Saga geben, im besten Falle auch darüber, wie es mit der ästhetischen Beschaffenheit, bzw. Geschlossenheit bestellt ist Ob diese Annahme gerechtfertigt ist, muß sich zeigen, denn die Qualität des Puddings erweist sich bekanntlich erst beim Essen. Um mein Vorhaben etwas zu beschützen, möchte ich den Untertitel hinzufügen "Höchst vorläufige Überlegungen zu einer vielleicht möglichen Fragestellung". Ich vermisse eine gründliche Untersuchung des Stils der PiÖreks saga, eine Analyse, die sowohl die Membran (ob es da wohl unterschiedliche Stilistika der einzelnen Hände gibt ?) als auch die isländischen Handschriften A und Β berücksichtigt, deren vollständige Edition wünschenswert ist 1 Die folgenden Dar- und Überlegungen sind das Ergebnis eines möglichst sorgfältigen close readings. Ich gehe nun zu meinen Belegen über und beginne mit den Namen. Einige sind nach nordischem Lautstand wiedergegeben, andere nicht, und hierin zeigt sich eine eigentümliche Mischung. Sehen wir uns einige von ihnen an: nordisch sind z.B. Gunnarr (= Gunther), Hçgni (= Hagen), der dreimal afTróju genannt wird, Sigurdr (= Sigfrit), Brynhildr. D.h. vier Hauptfiguren aus dem Nibelungenkreis tragen nordische, nicht niederdeutsche Namen, ohne daß jedoch ihre Geschichte in der PiÖreks saga so erzählt wird, wie sie im Nordischen sonst (Völsunga saga, Edda) berichtet wird. Wird man hier nicht auf Interferenzerscheinungen gestoßen, etwa dergestalt, daß man auch im norwegischen Bergen, wo die Saga ja wohl geschrieben ist, über Kenntnisse der nordischen Nibelungenüberlieferung verfügte? Scheint diese Annahme durch die aufgeführten Namen gerechtfertigt zu sein, ist es dagegen problematischer, wenn wir den Namen einer anderen zentralen Figur betrachten: der Frau Sigurds. Im Nibelungenlied heißt sie Kriemhilt, in der PiÖreks saga dagegen Grimhild, wenigstens in der Membran wird sie so genannt. Die Mutter der Gjukungen, nicht die Schwester, wird in Völsunga saga und Edda auch so genannt, ansonsten ist der Name im Altwestnordischen selten, er wirkt eher wie ein fremdes Element. In dieser Form ist allerdings die Schwester ja auch in der dänischen Ballade von Grimhilds Hcevn belegt. In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung von Interesse, daß die isländische Handschrift A (aber nicht B, die auch isländischer Provenienz ist) nahezu durchgehend den Namen Grimhild durch den nordischen Namen GuÖrün ersetzt, bzw. den Namen ganz wegläßt oder einfach durch dróttning erstattet. Diese Tendenz, den Namen zu borealisieren, ist besonders bei den Teilen von A zu beobachten,

1

V. Skard hat in seinen Dativstudiar, Oslo 1951, eine Möglichkeit aufgezeigt; Ei 7 . Halvorsen 1958 eine genauere sprachliche Untersuchung angemahnt (In: Kulturhistorisk Leksikon for Nordisk Middelalder, Bd. 3).

Nordisches in der PiBreks saga

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die Mb5 entsprechen (allerdings auch einmal bei Mb3). So kann man weitergehen und das andere Namenmaterial aus der nordischen Überlieferung zusammenstellen: etwa der Name Guthormr, Fafnisbani, BuÖli, aber auch Tristram in seinen verschiedenen Formen Tistram, Tintram, Tilstram. Dies alles darf den Schluß nahelegen, daß - wie gesagt - die nordische Überlieferung in Bergen bekannt war, weshalb eben diese Namengleichungen vorgenommen wurden. Dies unterstreicht auch schon der Prolog (Bd. 1,2), der davon spricht, daß norraner menn einen Teil der Geschichte zusammengetragen haben, einiges davon in Liedern (vgl. unten). Anders ist dies mit der Personage um Dietrich - er selber trägt den Namen PiÖrekr, der eben eine deutliche Sprache spricht; die im Altwestnordischen belegten Personen mit diesem Namen sind sicher deutscher Herkunft, die entsprechende nordische Parallele ist PjoÖrekr, seit dem Rök-Stein, seit dem Historiographen Theodoricus monachus, seit der Landnámabók gut belegt. Bei ihm und seinen Helden haben wir es wohl eindeutig mit einer deutschen Namenschicht zu tun (allerdings bringt die Edda den nordischen Namen Pjódrekr ebenso wie der Appendix der Benedicts saga [Heilagra Manna Sögur 1,245]). Diese Verteilung der beiden Namenschichten entspricht der hinlänglich bekannten Tatsache, daß Dietrich der Held des Südens ist, daß damit eben die PiÖreks saga im Norden etwas Untypisches ist (sie hat ja auch in den Volksballaden keine Nachwirkung gehabt) so wie das Nibelungenlied im Süden, denn Sigurd ist der Held des Nordens (wofür auch sein Nachleben in den nordischen Balladen spricht). Dieser Umstand ist nicht nur der neueren Forschung bewußt - die PiÖreks saga selber bringt es auf den Punkt: so heißt es von Sigurd: "oc hans nafn gengr i ollum tungum firir noröan girclands haf oc sua man vera masöan verolld stendr" (11,347), während es von PiÖrekr heißt: "oc hans namn man uppi vera oc eigi verôa tapaÖ nalega vm allt suörriki meÖan veroldin stendr" (1,250); dies wird zu einem frühen Zeitpunkt in Dietrichs Biographie gesagt, als er nach Petmars Tod das Reich übernimmt. Ähnlich zusammenfassende vorausdeutende, die Biographie summierende Aussagen finden sich auch in der altnordischen Literatur, ich ziehe als ein Beispiel die Völsunga saga heran, wo es im zweiten Kapitel über die Völsungar heißt: "oc váru t>ó allir miklir fyrir sér, sem lengi hefir uppi verit haft [...]" (ed. Ebel 1983, S. 61) und ähnlich auch bei Sigurds Geburt: "[...] um hvern mann fram annarra í norÖralfu heimsins" (ed. Ebel, S. 79), und dagegen wird PiÖrekr deutlich als der südliche Held gesehen. Hier wäre nun das Verhältnis der PiÖreks saga zur Völsunga saga erneut zu beleuchten, ich will es indes noch etwas hinausschieben und diesen Abschnitt zu Ende bringen, indem ich rasch darauf verweise, daß sich noch eine weitere Namensschicht andeutet, von der ich nicht

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genau weiß, woher sie kommt, z.B. Paron oder Porsi (zwei Jagdhunde), Studas, Gamaleif, Bolfriana. Der Name Vilifer aber taucht auf in den Riddarasögur Saulus saga ok Nikanors und Vilhjàlms saga sjoÖs, Malpriant (nur in B) findet sich in der Erex saga, Elis saga, Karlamagnús saga und in der AmlóÒa saga, ein Jarl Rodgeirr von Salerno (nur A und B) erscheint auch als Name in der Jarlmans saga ok Hermans, und schließlich kommt Púll (= Apulien) häufig in den Riddarasögur vor (übrigens schreibt auch die Sächsische Weltchronik Pulle für Apulien). Die anderen Namen dürften wohl aus dem Dunstkreis der Riddarasögur kommen ebenso wie die Pidreks saga einige Nebenmotive mit ihnen oder mit den übersetzten Sagas teilt, z. B. die Geschichte vom flugdreki oder den Kampf zwischen Löwen und Drachen (Hinweise bei van Nahl, Originale Riddarasögur, 1981). Die allgemeine Meinung ist, daß die Pidreks saga in den meisten Fällen die gebende ist, aber ich glaube, daß dies doch noch einmal genauer betrachtet werden müßte. Es kommt mir im folgenden übrigens nicht darauf an, Abhängigkeiten oder Einflüsse zu konstatieren, sondern nur auf den Aufweis von Gemeinsamkeiten. Haben wir es bei den Namen also mit verschiedenen Schichten zu tun, d.h. ein Teil entstammt der nordischen Überlieferung, so gilt dies auch für andere Gebiete, beginnend gleich mit zwei Beispielen aus dem Prolog: "suo og vmm mannfallit ath kalla ath J>a falli al^ydann er fallner voru hiner agiaetustu menn er aadur voru lofader" (1,2/3). Diese rhetorische Figur der pars pro toto findet eine Parallele im rhetorischen Interesse des 3. und 4. Grammatischen Traktates. Und daß die Geschichte überall in gleicher Weise erzählt werde, dafür sei die Tatsache verantwortlich, daß sie in Gedichten überliefert werde: "J>a mun flessa s0ghu aller aa eina leid seigia enn Jjui valida t>eirra hin fornu kuaede" (1,2). Klingt hier nicht eine Stelle aus Snorris Prolog zur Heimskringla an, wo er den überlieferten Gedichten einen hohen Quellenwert zuweist? Es ist nicht überraschend, daß die Pidreks saga die nordische Überlieferung oder wenigstens einen Teil davon kennt, drückt sie dies doch auch selber deutlich aus, wofür folgende Beispiele herangezogen werden: Die häufig zitierte Bemerkung über "Velent, hinn agaeti smiör er vaeringiar kalla volond" (1,105) zeigt doch Kenntnis der typisch nordischen Überlieferung, übrigens hat sie eine Parallele in der Bezeichnung der Burg 'Tritila, er vaeringiar kalla Fridsaelu" (1,30). Ich kenne dieses Wort dank Fritzners Sammeleifer nur als Bezeichnung für den glücklichen Zustand, der dem Frieden folgt. Fridsœla gibt in Nikulás' Itinerar das italienische Vercelli wieder. Hierher gehört auch "Sigifred J>at kollum vier Sigurd", allerdings bezieht sich dies nicht auf den berühmten Helden, sondern ist ein Tarnname von Rodolf. Und ebenfalls stellt sich hierher die Umschreibung von Studas: "og t>ui [i.e. nach einer Schlange] kalla vaeringiar

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hann Heimir" (1,40). Als Apollonius als Frau verkleidet in die Burg des Salomon kommt, um seine Herborg zu entführen, heißt es: "farandi vif J>at kollum ver forukonu (A und Β "g0ngukonu"). {jessi haföi verit allra putna mest" (11,117). Und der letzte Beleg in dieser Sparte: "fiolkungar konor J>aer er ver kollum volor" (11,271) - welch Abstand zur Völva der Völuspä\ (In geographischen Beschreibungen kommt diese Formel häufiger vor, z.B. "Arabia, ])at köllum ver Rabitaland" (vgl. die Belege bei R. Simek, Altnordische Kosmographie, 1990, S. 201-210). Wie von selbst stellt sich der bekannte Beleg aus der Stjórn, S. 85, ein: "laborinthus [...] er sumir menn kalla Vçlundar hús"). Quellenkenntnis des Nordischen darf man vielleicht auch hinter dem folgenden Beleg vermuten: Kurz bevor PiÖrekr Grimhild tötet, sagt er zu Attila: "oc slict sama [d.i. wie sie ihre Brüder hat umbringen lassen] villde hon koma jjer ihel oc mer ef J)at maette hun" (11,325). Dies spielt möglicherweise auf die Tatsache an, daß Gudrun ja im Nordischen in der Tat Atli umbringt. Ich muß mich nun sputen zu sagen, daß die PiÖreks saga - und jeder weiß es - viel enthält, was nicht sagamäßig ist, was aus einer anderen Sphäre stammt. Dazu gehören das Ambiente, die Rittersphäre, die unendlichen Übertreibungen, aber auch Sprachlich-Stilistisches, das möglicherweise noch die direkte Herkunft aus dem Süden anzeigt, allerdings bewege ich mich im folgenden auf schwankendem Grund. Für das Nordische eher untypische Satzstellungen sehe ich in folgenden Belegen: "t>a viljum ver allir J>er fylgja" (11,250) und "ef J)at gerir Jra Jjaess mundo gialda" (11,257) und "Ec kann {)at segia t>er" (Π.259) und "aliar vilja Hogna sia" (Π,300). Die eigentümliche Plazierung der Verben wäre für die klassische Sagasprache wohl als zumindest ungewöhnlich zu bezeichnen wie auch die Satzklammer des folgenden Belegs wohl nicht unbedingt klassisch nordisch ist: "hann haevir siöan er hann varö konungr mikit aukit sitt riki i marga Stada" (11,170). Typisch klassisch nordisch ist dagegen das bald folgende: "oc nu er hann kemr |)ar stenör hann upp oc talar oc Iyer sua sinu male aat hann bad reinalld fara heim oc seigia" (11,171) ebenso wie das gleich folgende: "nu for sem mik grunade" (B: "varde") und "oc Iyer a {)essa lund sinu male at nu mun oss uera .ij. kostir geruir" (Π.173) - also die Einleitung der direkten Rede mit at. Gut altnordisch ist auch: "oc er ski at sxgia fyr af for Jjaeira en {)aeir koma haeim" (wobei man sich das fyr auch anders piaziert vorstellen könnte). Sicher ist die folgende längere Stelle untypisch für die Sagasprache: [...] oc ulfraö hans frandi fylgir honum alldrengUega oc her septir riOr framm hueR at oQrum aumlunga lanz hers oc fir Jjessi fylking falla uillcina menn huar sem [)eir koma fram oc hilldibrandr meistari beR merki Piörex konungs sua lanet framm iher villcina mann sua at aliar fylkingar riöa {>eir i gegnum. oc t » snua {)eir aptr a leid aCra. oc drepa uillcina menn huem yuir annan. oc a t>essa lund fara {)eir J>ann dag alian oc nu ser osangtrix konungr oc riör herOilega a hendr hunum oc drepr margan mann, oc ueröur nu orrostan all mannskeO af huaRa tueggiu liöi. Osantrix konungr riOr i enduerCri fylking oc veitir nu morgum manni skaSa oc nu riOr ulfraör i gegn honum fraenöi Wöreks

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konungs meO sina sueit oc siga peir all harOa orrostu. oc aör en letti fellr Osangtrix konungr. oc nu er konungr er fallin flyia uillcina menn en hynir sœkia nu aeptir oc drepa sua margan mann at fatt kemz undan oc heuir nu Attila konungr sigr oc t>o latiO aör i orrustunni .v. hundniO riddara (Π,182/83). Diese lange Parataxe, die zwar in dieser Länge einzigartig ist, aber als Erscheinung häufiger auftaucht, wirkt auf mich nicht wie eine lebendige Schilderung des Kampfes, sondern erweckt in mir das Gefühl purer Mündlichkeit. Ein Beispiel für den typischen Sagastil mit seiner in mancher Hinsicht der Phantasie nichts überlassenden Genauigkeit ist folgender Beleg: "oc eitt mikit hogg hoggr jsether a hans hialm oc klyfr hialminn oc hofuöit sua at i ioxlonom nam staÖar oc fell Runga dauÖr til iaröar" (11,243) so wie auch "Nu hoggr hilldibrandr til eins Jjeirra meÖ svaeröe a hans hals sua at af flygr hofuöit oc sa faellr dauÖr af haestinom" (11,235). Sagamäßiges Erzählen findet sich gelegentlich bei Beschreibungen des Äußeren von Personen (neben sehr viel häufigeren derartigen Beschreibungen, die auf die höfische Sphäre verweisen, wie sie z.B. in den Riddarasögur praktiziert werden): ViÖga, der schöne (der absolute Gegensatz von Hogne) sieht aus wie ein zweiter Gunnlaugr, "haeröimikill baeöi Jjyckr og breiÖr miömeor" (1,329), der Isländer ist bekanntlich "herÖimikill ok miömjör". Viöga ist dazu málrcetinn wie Olaf der Heilige. Gegen Ende der Saga wird aus dem häßlichen Hagen, der bei seiner Geburt einem Troll ähnlicher war als einem Menschen und der im Wasserspiegel sein wenig freundliches Aussehen betrachtet (1,321), doch noch ein schöner Mann, dessen Anblick sich "margar kurteisar konur" (11,302) nicht entgehen lassen wollen. Er nähert sich sogar dem Ideal eines Gunnlaugr: "hann er mior um miÖian oc breiÖr um heröar [...] oc ei er hann at siör allra manna drengelegastr" (11,302). Damals wie jetzt ist er von bleichem Aussehen: "hans andlit er sua bleikt sem bast oc sua folt sem aska" (1,321) - "lanct andlit hever hann oc bleict sem aska" (11,302). Hierzu könnte man einen Zusatz zur Ólafs saga vergleichen: "bleikr sem bast, fölr sem ná" (Flateyjarbók 11,136). Von Hildibrandr heißt es ähnlich: "er vaenn madur og lioslitadur breidleitur og eygdur forkunnar vel riettnefiadur. Haar hans og skegg er gult sem silke" (1,33). Eine Parallele bietet etwa die Njáls saga: "hárit svá fagrt sem silki". Bei der Beschreibung von I>iÖrekr, die sehr lang und ausführlich ist, heißt es u.a.: "hann var laangleitur ok riettleitur liosleitadur og eygdur mann best og nockut skolbrunn" (1,31), wozu sich beispielsweise einige Sagabeschreibungen, die allerdings niemals so lang sind, stellen: "réttleitr ok lioslitaÖur" oder "skolbrunn, eygÖr mjçk ok vel" (Eyrbyggja saga); und dann darf auch der schöne Kjartan Óláfsson nicht vergessen werden: " hann var mikilleitr ok vel farinn i andliti, manna bezt eygÖr ok ljöslitaör; mikit hár hafÖi hann ok fagrt sem silki [...]" (Laxdcela saga, cap. 28).

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Ahnlich wie in der Saga ist auch die folgende Stelle mit ihrer eine Handlung abschließenden Sentenz zu bewerten: "Nu maelti margr maör a ])essa lvnd. at Jjar sem maör setr dramb sitt haest at J>at kann laegst at leggiaz" (1,104) heißt es nach dem Streit zwischen Velent und Amelias. Echos an diese sprichwörtliche Sentenz finden sich z.B., als i>iÖrekr im Streit mit ViÖga Hildebrand um Vermittlung bittet, die dieser jedoch ablehnt, da ftörekr selber schuld sei: "oc veldr Jm dramb ok ofmetnaÖr meÖ grimleic" (1,170). Allerdings bedeutet dramb auch "Eifer", z.B. "beqast t>eir nu af miklu drambi" (A: "kappi") (1,257), und von Sigmundr heißt es von seiner Brautfahrt, er fuhr "meÖ miklv drambi oc hœversku" (1,284). Steht diese vielleicht doch negative Zeichnung MÖreks im Dienste, ihn als einen "unnordischen" Helden zu zeigen? Im Gegensatz zu anderen Helden weicht er vor einer Übermacht zurück und weiß nicht, wie er sich in einem unbekannten Land verhalten soll (cap. 181). Daß er weiterhin ViÖga und auch Heimir hängen lassen will, stellt ihn eher in die Reihe seiner Gegner als seiner Freunde (vgl. cap. 158, cap. 197), wie dies auch aus seiner Vorliebe für das Schimpfwort "f)u hinn illi hundr" hervorgeht (dies scheint überhaupt im Altisländischen eine beliebte Form der Insinuation zu sein, denkt man etwa daran, daß die Marfu saga ein lateinisches nequissime bei Vincenz von Beauvais mit "Jm hinn versti hundr" übersetzt). Für seinen Hochmut spricht auch "oc vist maelir J)v af kapp oc af oviti" (1,354). Daß er einen doppeldeutigen Eid schwört, um Siegfried zu besiegen, scheint ihn in ein zweifelhaftes Licht zu stellen (cap. 318). Weitere mir für die Saga typisch erscheinende Züge nenne ich im Vorübergehen: aus dem Nordischen stammen wohl die nicht immer eindeutig verwendeten Ausdrücke einvigi, holmgangr. "bjööa mér á holm" (1,168), holmgang (AB orosta) (11,14 u. 25). Der cap. 33 geschilderte Kampf zwischen Piörekr und Heimir ähnelt mehr einem mittelalterlichen Turnier als einem einvigi (1,41), auch ViÖga fordert t»iÖrekr zu einem einvigi (1,134), so ebenfalls Ekki (1,182), und die Kämpfe von KÖrekr und seinen Mannen gegen Isungs Leute werden so bezeichnet (Π,ΐό). Ähnlichkeiten mit der Saga hat auch der alt gewordene Hertnid "gamall at alldre ok Jjungfcerr" (1,47); vgl. "I»órir var gamall og Jîungfœrr" (Fritzner). Die Formel "nu er fra jjui ath seigia" (1,18) und die Bezeichnungen hâsœti und fóstbrcedr sind dem Sagaleser so bekannt, daß hier keine Vergleichsstellen aufgeführt werden müssen. Wenn in cap. 6 Samson den Ritter Brunstein und sein Gefolge tötet bis auf einen, der entkommt und das Vorgefallene erzählen kann, dann findet man diese Erzähllogik auch in der Isländersaga. Nach bester Sagatradition finden sich gelegentlich dialogisch gestaltete Partien, z.B. die lebendigen Zwiegespräche von MÖrekr und Hildibrandr (cap. 414) oder von Aumlungr und f»iÖrekr (cap. 417).

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Wenn im folgenden Beleg Gefühle unterdrückt werden, dann verweist dies mehr auf die Isländersaga als auf die höfische Sphäre, in der allen Gefühlen ja freier Lauf gelassen wird. Man überbringt Samson schlimme Nachrichten (cap. 20), doch der tut, als gehe ihn das alles nichts an. Im besten Sagastil läßt er sich nicht anmerken, ob es ihm gut oder schlecht dünkt: "ok sem kongur heyrer J)etta laetur hann sem hann hafui ecke spurt og einngu svarar hann og ei bregdur honum vid huort er honum Jiotti vel edur illa" (1,28). Dies steht in starkem Kontrast zu den häufigen Darstellungen von Gefühlsaufwallungen, von Weinen und von Klagen in der PiÖreks saga. Der folgende Beleg, der eine gewisse Rahmung der Saga andeutet, könnte vielleicht Parallelen in der Isländersaga finden. Samson, PiÖreks Großvater, hält in cap. 17 eine lange Rede über das Alter - früher war sein Haar schwarz, jetzt ist es weiß: "en margt hefuer skiptast sij)an mitt haar og skegg war svartt sem hrafn enn nu er J)at hvítt sem dúfa [...]" (1,25), und ähnliches sagt PiÖrekr kurz vor Ende der Saga im Gespräch mit Heimir: damals "t>a haufdu wier haar litt sem gull og rokkit fagurligha. t>at sama er nv grátt sem dvfa hwartueggia J)itt og mitt" (11,387). Es ist dennoch sehr fraglich, ob man diesen Befund zu einer Interpretation der Saga auswerten darf. Ein weiterer Beleg noch, der tendenziell auf das Nordische verweisen könnte. Sigmund vertraut seinen Freunden, doch dies hätte er besser unterlassen, denn "oc J)at haevir oppt at boritz at sa maör er vel trvir ceÖrvm manni at sa verör svikinn af ])eim" (1,289). Von feme erinnert dies an die Völsunga saga: "hann átti sér marga çfundarmenn svá at um siöir réôu Jjeir á hendr honum er hann truÖi bezt" (S.60). Schließlich soll noch der in capp. 103-105 berichteten dreifachen Schwertprobe durch das Zerschneiden einer Flocke auf dem Wasser entsprechende Stellen aus der Völsunga saga, bzw. aus der Edda (Reginsmál-Prosa) zur Seite gestellt werden. Wenn Mrekr beim Kampf gegen das große Tier Elevans von Fasold, dem er den félagskap angeboten hat, den Rat erhält, es von unten durch einen Stich in den Bauch zu töten (capp. 186-188), dann ist dies jenes Verfahren, dessen sich auch Sigurd bei der Überwindung des Drachens bedient (Ramsund-Stein, Edda). Ein Charakteristikum unter anderen ist die Übertreibung, sie wird beispielsweise an den großen Zahlen deutlich: Samson zieht gegen Elsung in die Schlacht mit 15.000 Rittern und "vtal annarra manna" (1,28), sein Gegner verfügt über 10.000 Ritter und "mikinn her annann" - um nur ein Beispiel zu nennen. Derartiges ist aus der spätmittelalterlichen Heldenepik gut bekannt, aber auch aus der lateinischen Historiographie: Adam von Bremen erzählt, daß in einem dänischen Thronstreit 11.000 Männer erschlagen wurden (Freiherr-vom-SteinAusgabe, S. 187); König Arnulf habe um 900 die Normannen und Dänen ver-

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nichtend geschlagen, wobei 100.000 Heiden ihr Leben ließen (S.219), dieselbe Zahl gibt er an für die besiegten Engländer in der Schlacht von Hastings (S.39S); mitunter weiß er sogar die ganz genaue Zahl, wenn die Christen von den in den Nordengau eingedrungenen Nordmannen genau "10.377" töteten. Ähnlich berichten die Annales Xantenses zum Jahr 84S, daß 12.000 Heiden, die über die Christen hereingebrochen waren, von den Friesen niedergehauen wurden (Freiherr-vom Stein-Ausgabe, Bd. VI, S. 347), vom Jahr 883 weiß Regino von Prüm, daß König Ludwig in der Schlacht von Saucourt mehr als 8.000 Feinde mit dem Schwert niedergestreckt habe. Bleiben wir zum Abschluß der Betrachtung von Textstellen noch einmal bei der Völsunga saga. Dort heißt es: "Fra honum segja allir eitt, at um atferö ok vQxt var engi hans maki" (S. 79). Heißt das: sie sagen/erzählen alle dasselbe, übereinstimmend, in gleicher Weise, womit sich eine Parallele zum Prolog der PiÖreks saga ergäbe? Und daß alles in gleicher Weise erzählt werde, daran sei die Tatsache der liedmäßigen Überlieferung schuld: "Pui valida jjeirra hin fornu kuaede" (1,2) - und diesen Beleg hatte ich schon einmal zitiert. Zu den Quellenberufungen will ich hier nicht eigens Stellung nehmen, nur auf einen Beleg aufmerksam machen, der mir trotz seiner Unauffälligkeit zeigt, daß es mit der Einheitlichkeit, die der Prolog suggeriert, doch nicht so gut bestellt ist: Von Hildebrand, so heißt es bei seinem Tod, berichten pyÖverskir menn, er habe "halft annad hundrad wetra, enn {jydversk kuaede seigia ath hann hefdi cc. wetra" (11,359). Zu diesen Quellenberufungen wäre viel zu sagen und noch mehr zu fragen: Stehen sie in der PiÖreks saga in einem nordischen Zusammenhang (etwa der Art direkter Berufungen, auch wenn diese fingiert sind, wie dies in den originalen Riddarasögur häufig der Fall ist [vgl. A. van Nahl, Originale Riddarasögur, 1981] oder einen eher anonymen Charakter tragen wie in den íslendingasögur) oder ist dies eher eine mittelalterliche Verfahrensweise, so daß man das für typisch isländisch gehaltene sumir segja - sumir segja eventuell mit Erscheinungen verbinden darf, wie sie z.B. bei Gregor von Tours auftreten, der häufig dann, wenn er mündliche Berichte zitiert, ferunt oder tradunt verwendet (G. Krusch hat sie zusammengestellt: Monumenta Germaniae Histórica, Script rer. Merov. 1, 2. Aufl. 1937-51, S. XIX, Anm. 4). Und wie verhalten wir uns gegenüber folgender Stelle aus dem Prolog: "Norraener menn (B: "Nordmenn") hafa saman faert nockurn part S0ghunnar, enn sumt med kvedskap. {)ath er fyrst fra Sigurdi ath seigia Fabnisbana Volsunghum og Niflunghum og Welent smid og hans brodur Egli, fra Nidungi kongi [...]" (1,2) Bezieht sich dies auf die Völsunga saga oder gar auf eine Vorstufe der Edda? Ich weiß es nicht Wenn es dann unmittelbar weiter heißt: "l>esse sagha er samansett epter s0gn (B: "efter sogu") Jjydskra manna" (1,2), dann wird auch hier wieder deutlich, daß die PiÖreks saga

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die nordische Überlieferung kennt, weshalb sie eben - wie oben gesagt - die Namen der zentralen Figuren des Sigurd-Kreises ihr entnimmt. Alois Wolf (Altisländische theoretische Äußerungen zur Verschriftlichung und die Verschriftlichung der Nibelungensagen im Norden. In: W. Raible (Hg.), Zwischen Festtag und Alltag. Zehn Beiträge zum Thema 'Mündlichkeit und Schriftlichkeit', Tübingen 1988, S. 167-189) hat darauf hingewiesen, in welcher Weise sich der Prolog der Pidreks saga in die nordische Tradition des Reflektierens über das eigene Schreiben einfügt, indem er auf vergleichbare Erscheinungen der Biskupasögur, Samtßarsögur, Heimskringla und bei Ari verweist; allerdings darf hierbei nicht übersehen werden, daß der Prolog eine durchaus mittelalterliche Erscheinung ist Wolf hat auch auf gravierende Abweichungen der Pidreks saga von der altnordischen Literatur aufmerksam gemacht, wenn er z.B. das Auftreten der Helden am Hofe Dietrichs nach dem Artus-Schema deutet. Wir haben es bei der PiÖreks saga mit einem Verschriftlichungsprozeß mündlicher Literatur zu tun. Dies stellt sie an die Seite der Völsunga saga (mit der sie auch die Tatsache verbindet, daß beide den Kapiteln Überschriften geben). Sie verwenden hierbei eine für den Norden typische literarische Form: die Prosa. Aber: Ist Prosa gleich Prosa? Vielleicht gibt es neben der möglicherweise traditionellen einheimischen Form der Prosa, wie man sie in der Isländersaga vorfindet, noch eine zweite Form der Prosa, wie man sie in den Prosaauflösungen von Liedern in der Pidreks saga und der Völsunga saga findet. Stilistisch, d.h. auf der Textoberfläche sind dabei keine grundsätzlichen Unterschiede zu vernehmen, aber genealogisch hätte man es mit zwei Arten zu tun. Es wäre zu überlegen, ob die zweite Art an vergleichbare Erscheinungen in den kontinentalen Literaturen anzuschließen ist; hier beginnt wohl ab ca. 1200 der Übergang zur Prosa, der man das "Wahrheitssiegel" verlieh (H. Weddige, Heldensage und Stammessage, 1989, S. 122, zum Lucidarius, Sächsische Weltchronik; vgl. auch W. Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter, 21992, S. 241-258). Die PiÖreks saga wäre dann (nach sächsischem Vorbild?) in Prosa geschrieben, um ihren Wahrheitsgehalt deutlich zu unterstreichen, und wäre im Norden gut angekommen, da man hier an Prosaerzählungen gewöhnt war. Wenn Lesen heißt, im Text Spuren, Verstrebungen, Schichtungen, Einkerbungen zu finden, wenn Lektüre im Entziffern des Palimpsestes, der jede Literatur ist, besteht, dann ist das Aufdecken der verborgenen Zeichen auch die Restitution des Gedächtnisses, denn jeder Text konnotiert den "Makro-Gedächtnisraum" (vgl. R. Lachmann, Mnemotechnik und Simulakrum. In: R. L., Gedächtnis und Literatur, 1990, S. 13-50) einer Zeit, einer Gesellschaft, und dieser Gedächtnisraum läßt sich für die PiÖreks saga bestimmen als eine ziemlich kunterbunte Mischung aus nordischem und kontinentalgermanischem Material, eine Mischung, die ästhetisch wenig

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zufriedenstellend ist Die Amalgamierung ist wenig gelungen. Dies hängt wohl damit zusammen, daß die Pidreks saga an der Schnittstelle von Literalität und Oralität steht Ich beziehe mich abschließend auf Jan und Aleida Assmann (Schrift und Gedächtnis. In: A. und J. Assmann/ Chr. Hardmeier (Hgg.), Schrift und Gedächtnis. Archäologie der literarischen Kommunikation 1983, S. 265284): Schrift sammelt was verloren zu gehen droht Dabei exploitiert sie die mündliche Tradition, die sie zu literarisieren versucht. Dies stellt einen erheblichen Traditionsbruch dar. Für Oralität versus Literalität werden zwei Kategorien aufgestellt: "Komplexitätsreduktion" ("Ordnung"). Hierbei ist für Oralität bezeichnend: Formelhaftigkeit Standardisierung von Themen, Überhöhung der Figuren, antithetische Bewertung, Literalität ist charakterisiert durch systematische Disposition, Überschriften (= Gliederung der optischen Textpräsentation), Herstellung textimmanenter Kohärenz). Die zweite Kategorie ist "Komplexitätssteigerung" ("Vielfalt"). Für Oralität sind kennzeichnend: Expressivität, Dramatisierung, Musik und eventuelle sonstige mediale Amplifikationen; für Literalität sprechen reicheres Lexeminventar, Phänomene der Vielschichtigkeit verschiedene Zeitebenen. Sollten die angeführten Parallelen etwas für sich haben, ergibt sich fur das norwegische Bergen (und die PiÖreks saga ist wohl in Bergen entstanden) ein reiches literarisches Klima: es waren dort die Isländersaga, die eddische Dichtung, die Fornaldarsaga, die Riddararsaga (aus den Fußspuren ihres Stiles in der Pidreks saga erschließbar) neben den übersetzten europäischen Geschichten bekannt Die PiÖreks saga hat teil an der Oralität und an der Literalität. Eine genauere Untersuchung der Sprache und des Stils könnte diese "höchst vorläufigen Bemerkungen" vielleicht etwas sicherer machen.

PiÖreks saga und Karlamagnús saga VON SUSANNE KRAMARZ-BEIN

I. Einleitung Wenn man von den Quellen der PiÖreks saga absieht und ihre Aufzeichnung in Norwegen in den Vordergrund rückt, dann fällt ein nächster Blick auf eine vergleichbare Groß-'Kompilation* desselben literarischen Milieus: die Karlamagnús saga. So gesehen, gehören beide Sagas in den weiteren Kontext der altnorwegischen Übersetzungsliteratur um die Mitte des 13. Jahrhunderts, die von dem norwegischen König Hákon Hákonarson (1217-1263) im Rahmen von dessen Kulturpolitik gewichtige Impulse empfing. Die PiÖreks saga und die Karlamagnús saga weisen sowohl in struktureller und kompositioneller Hinsicht als auch im Hinblick auf einige zentrale Ideen Ähnlichkeiten auf, die einen Vergleich dieser beiden Saga-Großformen als gewinnbringend erscheinen lassen. Im folgenden werden einige zentrale Vergleichsaspekte hervorgehoben und Fragen nach dem literarischen Milieu und dem Aufzeichnungsinteresse dieser beiden von mittelalterlicher Stofffreude zeugenden Texte gestellt.1 Im Zentrum der beiden Großtexte stehen zwei bedeutende Könige aus historischer Zeit, Theoderich der Große bzw. Dietrich von Bern (matière d'Allemagne)

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Bei den hier vorgelegten vergleichenden Beobachtungen zur PiÖreks saga und Karlamagnús saga handelt es sich um ein Thema, das in größerem Umfang und mit ausführlicher Begründung ein zentrales Kapitel meiner Habilitationsschrift über die PiÖreks saga im Kontext der altnorwegischen Literatur ausmacht Die folgende Darstellung ist daher bewußt verkürzt. Die beiden Sagas werden nach folgenden Ausgaben zitiert: Karlamagnús saga. Branches I, III, VII et IX. Edition bilingue projetée par Knud Togeby et Pierre Halleux. Texte norrois édité par Agnete Loth. Traduction française par Annette Patron-GodefroiL Avec une étude par Povl Skârup, Copenhague 1980 (= Ogier le danois ΠΙ). Für die verbleibenden, nicht in dieser Ausgabe enthaltenen Branchen (darunter die VIII. Branche von der Roncevaux-Schlacht und die X. Branche) wird auf Ungers Ausgabe zurückgegriffen (Karlamagnus saga ok kappa hans. Fortxllinger om Keiser Karl Magnus og hans jaevninger. I norsk beaibeidelse ña det trettende aarhundrede. Udgivet af C. R. Unger, Christiania 1860). Mfriks saga af Bern. Udgivet for Samfund til Udgivelse af Gammel Nordisk Litteratur ved Henrik Bertelsen, Bd. Ι/Π, K0benhavn 1905-11 (= Samfund til Udgivelse af Gammel Nordisk Litteratur, Bd. 34).

PiOreks saga und Karlamagnás saga

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und Karlamagnús, Charlemagne, Karl der Große {matière de France). Beide Texte repräsentieren zyklische, auf die zentralen Königsgestalten hin angelegte Prosafassungen, die an dem Lebenszyklus des Herrschers von der Jugend bis zum Tod orientiert sind und in den mittleren Passagen vom Geschick der beidemale zwölf getreuen Gefährten berichten. Vorweg ist allerdings gleich zu bemerken, daß die Karlamagnús saga in ihrer losen Reihung der zehn Pasttir insgesamt weniger homogen und 'kompilatorischer' als die (diesbezüglich vielgescholtene) PiÖreks saga erscheint Daß die literarischen Großformen PiÖreks saga und Karlamagnús saga mit ihrem strukturellen Kompositionsprinzip des Lebenszyklus' eines bedeutsamen Herrschers ein typisch mittelalterliches Darstellungsinteresse vertreten, läßt sich auch an anderen Texten zeigen. Man denke hier an die der Karlamagnús saga ähnliche rheinische Karlskompilation Karlmeinet (Anfang 14. Jh., um 1320), die in sieben Büchern (dies allerdings in Versform) von Karls Jugend, seinen Taten und denen seiner pairs bis zu Karls Tod erzählt. Im arthurischen Umfeld ist besonders auf solch umfangreiche Romanzyklen in Prosa zu verweisen wie den altfranzösischen Prosa-Lancelot, den mhd. ProsaLancelot sowie - gewissermaßen als Vollendung der Gattung - Sir Thomas Malorys Werk Le Morte Darthur (1469-1470, Erstpublikation 1485), das für Artus einem ähnlichen, am Lebenszyklus orientierten Muster folgt. Zyklisch angelegte literarische Großformen sind im Norden im 13. Jh. freilich auch sonst anzutreffen. Man darf hier ebenfalls an die Texte der Ólafs-Überlieferung (darunter besonders die frühe Legendarische Ólafssaga), an umfangreiche Islendingasögur wie etwa die Njàls saga und besonders auch an Snorris Heimskringla erinnern. Wie beispielsweise Eugène Vinaver für Le Morte Darthur2, Carol Clover genereller für die 'medieval saga'3 und im Anschluß an sie Thomas Klein4 auch für die PiÖreks saga gezeigt haben, ist eine solche Neigung zur zyklischen Darstellungsweise unter Verwendung der Erzähltechnik des Entrelacement eine typische Ausdrucksform mittelalterlicher Ästhetik.

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Vgl. Eugène Vinaver, The Rise of Romance, Oxford 1971, hier bes. die Kapitel: The poetry of interlace, S. 68-98 und A new horizon, S. 123-139. Vgl. Carol J. Clover, The Medieval Saga, Ithaca and London 1982. Vgl. Thomas Klein, Zur KÖreks saga. In: Heinrich Beck (Hrsg.), Arbeiten zur Skandinavistik. 6. Arbeitstagung der Skandinavisten des Deutschen Sprachgebietes: 26.9. - 1.10. 1983 in Bonn, Frankfurt a.M./ Bern/ New York 198S (= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik, Bd. 11), S. 487-565, hier bes. S. 538-543.

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Π. Makrostrukturelle und kompositionelle Ähnlichkeiten von Karlamagnús saga und PiÖreks saga Die Funktion eines Rahmens haben in der Karlamagnús saga einerseits der zugleich als eine Ouvertüre der Gesamtsaga dienende erste Mttr, der von Karls Jugend und Aufstieg erzählt, aber auch einige spätere Episoden vorwegnimmt und mit der Erwählung der zwölf pairs endet, und andererseits die zehnte und letzte, nur in der B-Version erhaltene hagiographische Branche über 'Zeichen und Wunder', die mit Karls Tod endet. Ähnlich ist auch der große Rahmen der PiÖreks saga: Nach umfangreichen genealogischen Vorbemerkungen über PiÖreks Vorfahren Samson und dessen Söhne erfahren wir einiges über seine Jugend und die sukzessive Zusammensetzung seines Gefährtenkreises. Und die letzten, nur in den isländischen Handschriften AB und der altschwedischen Fassung erhaltenen Kapitel berichten uns von seinem Ende als dem letzten Überlebenden seiner Zwölferschar. Makrostrukturell betrachtet liegt beiden Sagas also eine Orientierung an dem Lebenszyklus des Herrschers und seiner zwölf Getreuen zugrunde, die sich erzähltechnisch in der Aufteilung in drei auf- und absteigende Sequenzen niederschlägt: 1) Jugend, 2) Erwachsenendasein und 3) Alter/Tod, oder allgemeiner: Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang. In der neueren /»/¿Jrefcs-iaga-Forschung haben vor allem Theodore M. Andersson5, Thomas Klein6 und Heinrich Beck7 5

6 7

Vgl. Theodore M. Andersson, An interpretation of RSreks saga. In: Structure and Meaning in Old Norse Literature. New Approaches to Textual Analysis and Literary Criticism. Hrsg. v. John Lindow, Lars Lönnroth und Gerd Wolfgang Weber, Odense 1986, S. 347-377. Auf den während der Drucklegung des vorliegenden Beitrags erschienenen Aufsatz Th. M. Anderssons, 'Composition and Literary Culture in Köreks saga' (In: Studien zum Altgennanischen. Festschrift für Heinrich Beck. Hrsg. v. Heiko Uecker, Berlin/ New York 1994, S. 123), der in einigen Fragen zu anderen Schlüssen gelangt (vgl. hier Anm. IS), kann hier lediglich hingewiesen werden. Erste Anstöße erhielt eine stniktuiorientierte Betrachtungsweise bereits zu Beginn unseres Jh.s durch die für ihre Zeit aufgrund der genauen formalen Analyse bemerkenswerte Untersuchung Hans Frieses, Thidrekssaga und Dietrichsepos (Untersuchungen zur inneren und äusseren Form, Berlin 1914 [= Palaestra CXXVni]). In den 80er Jahren eröffnete Ulrich Wyss mit seinem Aufsatz 'Zur Struktur der Thidrekssaga' (In: Acta Germanica 13,1980, S. 69-86) die Diskussion über Strukturfragen der PiÖreks saga. Vgl. Thomas Klein (wie Anm. 4), bes. S. 512-543. Vgl. Heinrich Beck, Die Thidrekssaga in heutiger Sicht In: 2. Pöchlamer Heldenliedgespräch. Die historische Dietrichepik. Hrsg. v. Klaus Zatloukal, Wien 1992 (= Philologica Germanica, Bd. 13), S. 1-11; Heinrich Beck, Saxland = Hunaland? In: Iconologia Sacra. Mythos, Bildkunst und Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. Festschrift für Karl Hauck zum 75. Geburtstag. Hrsg. v. Hagen Keller und Nikolaus Staubach, Berlin/ New York

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gezeigt, daß in dieser Neigung zur Sequenz-Bildung ein deutliches Strukturprinzip des diesbezüglich vielgescholtenen Textes zu erkennen ist, das mit den Erzählprinzipien der Anreihung und Verflechtung arbeitet Bezeichnenderweise folgen auch die I»aettir der Karlamagnús saga diesem Struktur-Muster, wenn auch - aufgrund des Paettir-Prinzips - nicht so konsistent wie die PiÖreks saga: Die erste Branche der Karlamagnús saga berichtet von Karls Aufstieg, der Hauptteil der Saga stellt seine Erfolge dar, und die beiden letzten Branchen zeigen ihn alt, krank, politisch machtlos (IX.) und schließlich tot (X.). Auch die bedeutenden Karls-Helden werden in diesen Lebens-Zyklus eingebunden. Die Branchen ΠΙ und IV stellen die Jugendzeiten (Enfances) Oddgeirs bzw. Rollants dar. Interessant ist hierbei vor allem die erzähltechnische Meisterung von Gleichzeitigkeit: Die IV. Branche schildert uns Rollants Enfance zu einem Zeitpunkt, zu dem Oddgeirr bereits Chevalier ist. Die Mittelteile der beiden Saga-Großformen korrespondieren trotz einiger Unterschiede insofern miteinander, als sie die bedeutendsten Karls- und Dietrichsrecken, deren Zahl in beiden Fällen zwölf zählt, und Karls und Dietrichs kämpferische Aktionen in den Mittelpunkt rücken. Im Zentrum der gleichnamigen Paettir stehen die Karls-Paladine Oddgeiir danski (Ogier le Danois, Holger danske) im ΙΠ. I»áttr und - in der Tradition der Chanson de geste als Karls-Held durchaus untypisch - Vilhjálmr korneis (Guillaume d' Orange) im IX. Páttr. Implizit spielt Rollant sowohl im Agulandus-Pâttr (IV.), im Guitalins Páttr (V.) als auch in der Roncevaux-Schlacht (VIII.) eine zentrale Rolle. Der JorsalaferöPáttr (VII.) hat u.a. auch eine der Heldenschau der Piöreks saga vergleichbare Funktion, indem hier alle zwölf Karlshelden mit ihrem Kaiser als Anführer nacheinander und namentlich aufgeführt werden, ihre z.T. sehr großspurigen und pikanten Prahlereien (an. gabb) zum besten geben und - dank Gottes Hilfe z.T. auch ausführen. Vergleichbar prädominant wie Rollant und Oliver in der Karlamagnús saga treten in der PiÖreks saga vor allem die Dänenhelden ViÖga und Petleifr aus dem Zwölferbund hervor. Bezeichnenderweise spielt in der Karlamagnús saga ebenfalls ein Däne, nämlich Oddgeirr danski, eine wichtige Rolle und weiß sich in der Zwölferrunde hervorragend zu bewähren. Im Hauptteil der PiÖreks saga wird der Gefährtenkreis systematisch zur Zwölfzahl erweitert, deren Präsentation in der Heldenschau gipfelt und deren Standfestigkeit sich im nachfolgenden Bertangenzug bewähren muß. In der darauffolgenden Alters- und Todessequenz der Saga wird die Zwölfzahl dann ebenso systematisch reduziert, wie sie eingangs aufgebaut wurde, so daß am Schluß alle zwölf Kämpen bis auf den König selbst tot sind.

1994, S. 519-528.

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Insgesamt gesehen zeigt sich der Hauptteil der Karlamagnús saga allerdings als nicht so stringent strukturiert wie die PiÖreks saga·, die Branchen Π-ΙΧ repräsentieren eine lose Aufeinanderfolge, innerhalb derer bisweilen chronologische und logische Widersprüche und Ungereimtheiten, sowohl zwischen den einzelnen Paettir, aber sogar auch innerhalb eines Páttrs auftreten. Dies gilt besonders für die I. Branche und ihre - forschungsgeschichtlich kontrovers beurteilte (vgl. Anm. 39) - Beziehung zu den nachfolgenden Paettir sowie auch für den IV. Páttr der A,a-Version. Die Pœttir ΙΠ-VI folgen allerdings insofern einem Strukturplan, als sie die verschiedenen Kiiegszüge Karls gegen die Heiden in Italien, Spanien und Sachsen zum Thema haben, wobei gegenüber der Realhistorie bisweilen Verschiebungen auftreten. Ein deutliches Strukturmerkmal des Hauptteils der Saga ist darin ersichtlich, daß die Anordnung der Branchen III-VIII auf das historische Ereignis der Roncevaux-Schlacht hin ausgerichtet ist. Im Saga-Text erscheint der VIII. í>áttr, die Beschreibung der Roncevaux-Schlacht, als dramatisch inszenierter Höhepunkt, der zugleich den Beginn des Niedergangs darstellt, wenn in dieser Schlacht die zwölf pairs - darunter vor allem Rollant, der besondere Liebling des Kaisers, - den Tod finden und von dem trauernden Karlamagnús begraben werden. Insofern erweist sich dieser VIH. Páttr der Karlamagnús saga durchaus als der Todessequenz der PiÖreks saga vergleichbar; am Ende haben beide Herrscher ihre zwölf jafningjar verloren, wenngleich die Karlamagnús saga allerdings bei der Zusammensetzung des Zwölferbundes Inkonsequenzen aufweist (s.u.). Insgesamt gesehen ist in der Karlamagnús saga das strukturelle Prinzip des sukzessiven Auf- und Abbaus der zwölfzahligen Heldenrunde, wie es die PiÖreks saga - konsequenter noch als die mhd. Dietrich-Dichtung - anstrebt, nicht so durchgängig durchgeführt wie in der PiÖreks saga. Schon allein die Aufteilung des Textes in zehn voneinander mehr oder weniger unabhängige Paettir steht einem solchen Strukturprinzip entgegen. Das Paettir-Prinzip ist letztlich auch verantwortlich für chronologisch-logische Ungereimtheiten, Dopplungen und Widersprüche in der Karlamagnús saga, deren Ausbesserung die B-Redaktoren zwar anstrebten, aber nicht vollständig erreichten. Andererseits treten auch in der PiÖreks saga durch den Redaktionswechsel in der Membran von Mb2 zu Mb3 Ungereimtheiten und Dopplungen auf, die denen der Karlamagnús saga nicht unähnlich sind. Beispiele dafür sind Konfusionen hinsichtlich der Herkunft der Niflungen und der von der PiÖreks-saga-Forschung gelegentlich gerügte zweifache Tod des Osantrix. Bekanntlich stirbt Osantrix in der Mb2-Redaktion zum ersten Mal durch die Hand Vildivers (1,269), während Mb3 ihn später in der Vilcinasaga III zum zweiten Mal durch PiÖreks Verwandten ÚlfraSr (11,182) töten läßt. Vergleichbare Konfusionen herrschen z.B. auch in der I. Branche der

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Karlamagnús saga bei Bófi inn sfoggiatisi. Im 31. und 32. Kapitel der Branche erfahren wir von seinem Tod (S. 62,64). Im 46. Kapitel derselben Branche wird nun aber erwähnt, daß ein Bófi inn skegglausi zusammen mit GeirarÖr zum Statthalter in Saxland bestimmt wird (S. 94). An dieser Stelle sieht es ganz so aus, als sei Bófi hier zu einem zweiten fiktiven Leben 'erweckt' worden, und in der Forschungsliteratur wird der Fall Bófis gerne als Paradebeispiel für Inkonsequenzen angeführt.8 Unklarheit herrscht in der Karlamagnús saga zudem in der Frage, welche Helden im einzelnen zu dem Elitekreis der zwölf pairs zu rechnen sind. So stimmen beispielsweise die Auflistungen der zwölf jafningjar in der I. (S. 104) und VII. Branche (S. 238, 264-278) nicht miteinander überein. Offenbar hat der Elitekreis der zwölf pairs einen so stark topisch-symbolischen Charakter, daß man keine konsistente Zugehörigkeit und Zählung der Helden erwarten darf. Grundsätzlich scheinen solche oder ähnliche Widersprüche durchaus Kennzeichen mittelalterlicher literarischer Großformen und insbesondere der hier zur Debatte stehenden, aus verschiedenen Quellen zusammengesetzten Saga-Großkompilationen zu sein, was bei dem Umfang dieser Texte auch kaum verwundert. In diesem Zusammenhang denke man beispielsweise auch an die Ungereimtheiten, die sog. Brüche im Nibelungenlied, die in der Forschung ganz unterschiedlich gewertet werden, von 'Alternativstrophen' des Vortrags (so der Erklärungsversuch A. Massers), über 'erzähltechnische Defekte' (so die Deutung J. Heinzles) bis hin zu Sinnvermittlern in einer intertextuellen Montage (so die Interpretation W. Haugs).9 Dabei ist es durchaus einleuchtend, daß Brüche in

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Vgl. z.B. Constance Β. Hieatt (Karlamagnús saga. The saga of Charlemagne and his Heroes. Translated by C. B. H., Bd. I-III, Toronto 1975-1980 [= Mediaeval Sources in Translation, 13,17,25]), hier General Introduction, Bd. I, S. 15. Der Gerechtigkeit halber sei aber darauf hingewiesen, daß die I. Branche noch eine zweite Figur desselben Namens kennt (Kap. 25, S. 50; Kap. 44, S. 92), so daß nicht ganz eindeutig zu bestimmen ist, ob im 46. Kap. eine 'Wiederbelebung' Bófis vorgenommen wird oder nicht Vgl. Achim Masser, Von Altemativstrophen und Vortragsvarianten im Nibelungenlied (In: Hohenemser Studien zum Nibelungenlied. Unter Mitarbeit von Irmtraud Albrecht hrsg. v. Achim Masser, Dombim 1981 [= Montfort, H. 3/4 1980], S. 299(125)-311(137)), der für eine Deutung der Ungereimtheiten im Nibelungenlied im Zusammenhang mit Erzähl- bzw. Vortragsvarianten plädiert Joachim Heinzle findet einige Defizienzen in der Struktur des Nibelungenliedes (so bes. durch die Einfügung der Hortforderungsszene), die jedoch nicht dem Dichter anzulasten seien, sondern auf das Konto einer überaus vielgestaltigen und widersprüchlichen (mündlichen) Tradition gehen (vgl. Joachim Heinzle, Gnade für Hagen? Die epische Struktur des Nibelungenliedes und das Dilemma der Interpreten. In: Nibelungenlied und Klage. Sage und Geschichte, Struktur und Gattung. Passauer Nibelungengespräche 1985. Hrsg. v. Fritz Peter Knapp, Heidelberg 1987, S. 257-276, bes. S. 267/68). Walter Haug hingegen betont in seinem Aufsatz 'Montage und Individualität im Nibelungenlied' (In: Nibelungenlied und Klage [wie oben], S. 277-293) die "sinnvermittelnde Funktion" der Brüche

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der Erzählstruktur die Konsequenz widerstreitender Erzähltraditionen sind, die vom Dichter aus Treue gegenüber seinen Vorlagen und/oder mündlichen Traditionen nicht eliminiert werden, sondern von ihm statt dessen intertextuell 'montiert' werden. Und selbst das ästhetisch sehr anspruchsvolle und vielgelobte Werk Sir Thomas Malorys, Le Morte Darthur, enthält Dopplungen und Widersprüche, wenn es Helden wie König Bagdemagus nach ihrem Tod zu einem zweiten fiktiven Leben erweckt10 In diesen Fällen kann man sich voll und ganz Hieatt (wie Anm. 10) anschließen, die anläßlich solcher Dopplungen davor gewarnt hat, den Maßstab der Konsistenz etwa der Literatur des 19. Jh.s an mittelalterliche Texte heranzutragen. Auch hinsichtlich der redaktionellen Arbeitsweise lassen sich Ähnlichkeiten zwischen der PiÖreks saga und Karlamagnús saga feststellen. Im deutlichen Gegensatz etwa zu Sir Thomas Malory und zu vielen kontinentalen höfischen Romanen haben wir es im Falle der beiden Sagas nicht mit einem individuellen Verfasser, sondern mit verschiedenen Redaktoren zu tun. Bezeichnenderweise weisen die beiden ursprünglich altnorwegischen Texte jeweils zwei sich unterscheidende Hauptredaktionen auf. Im Falle der PiÖreks saga sind dies (neben den isländischen Redaktionen AB) die beiden Redaktionen Mb2 und Mb3 der Stockholmer Membran; im Falle der Karlamagnús saga liegen uns zwei unterschiedliche Versionen, die A- und B-Gruppe vor. Interessant ist es, die Arbeit der B-Redaktoren der Karlamagnús saga näher zu beleuchten: Die B-Version enthält gegenüber der A-Version insgesamt drei zusätzliche ﻜttir (wobei der IX. und Teile des X. Mttrs wahrscheinlich auch in dem verlorenen Ende der A-Version vorhanden waren), zudem eliminiert sie einige vermutlich als unverständlich empfundene Passagen, kommentiert andere Stellen und erweitert manche als unzulänglich aufgefaßte Teile, darunter bes. im Agulandus- und Oddgeirs-Pättr der A-Version. Nachweislich haben die Redaktoren der B,b-Version zudem versucht, der losen Reihenfolge der Paettir der A-Version durch eingefügte Überleitungssätze mehr Konsistenz und logische Kausalität zu verleihen. Ein Beispiel möge dies verdeutlichen: Die b-Version des VII. Páttrs, des Voyage oder Pèlerinage de Charlemagne, z.B. beginnt mit einem Überleitungssatz, der den Anschluß zur vorhergehenden VI. Branche von Otúel und den Auseinandersetzungen Karls und seiner pairs mit dem Heidenkönig Garsia herstellt.11 Für

innerhalb der "intertextuellen Montage" des Nibelungenliedes (S. 293). 10 Vgl. Sir Thomas Malory, Le Morte Darthur (Works. Edited by Eugène Vinaver, London/ New York/ Toronto, Second Edition 1973), hier Buch XX, Kap. 19, S. 700; vgl. dazu auch Hieatt (wie Anm. 8), General Introduction, Bd. I, S. 15/16. 11 "M er virduligr herra Carlamagnus kçisari, hafdi sigrat ok iferkomit hinn hçidna kông Garsie, ok drepit meztan lut t>ess lids er honum filgdi, medr t>eim atburdum, sem nú hafa grçinder

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diese überleitende redaktionelle Arbeitsweise der B-Redaktoren lassen sich zahlreiche weitere Belege anführen. Auch haben sich die B,b-Redaktoren um die Beseitigung von Widersprüchen bemüht: So stirbt Túrpín in a bereits während der Roncevaux-Schlacht im VIII. Páttr. Im X. I>áttr der B,b-Version wird er hingegen - anderen Quellen gemäß (darunter die Michaels saga) - als der langlebigste aller Karlskämpen bezeichnet (Unger, S. 553). B,b haben diesen Widerspruch bemerkt und ersetzten in ihrer Version des VIII. Mttrs die Berichte über Túrpín konsequenterweise durch dessen Neffen Valtari und verteilten seine Repliken in z.T. veränderter Form auf die anderen Helden.12 Ganz ähnlich hat auch der Mb3-Redaktor der Piöreks saga gearbeitet, indem er sogar ganze Passagen umgestellt hat, wie seine Verlegung der Vilcinasaga I in die Heiratssequenz des Textes zeigt, mit der er die Sukzession von Mb2 deutlich verändert. Zudem nimmt Mb3 im Text von Mb2 durch Tilgung, Umstellung und Einfügung von 10 Blättern Eingriffe vor.13 Durch diese Arbeitsweise von Mb3 treten aber in der Gesamt-Membran wiederum Ungereimtheiten und Dopplungen auf, so beispielsweise das doppelte Kapitel von der 'Herkunft der Niflungen'. Neben solchen strukturellen und kompositionellen Besonderheiten sind sich die beiden Sagas auch unter sprachlich-stilistischen Aspekten ähnlich, wie vor allem E. F. Halvorsen betont hat. Er ordnet beide Texte der Kategorie "Translator's Prose" zu, einer Kategorie von relativ einfachem Übersetzungsniveau.14 Insgesamt betrachtet erweckt die Piöreks saga jedoch einen homogeneren Eindruck als die Karlamagnús saga, der vor allem aus dem systematischen Aufund Abbau des Heldenbundes und der noch konsequenter vollzogenen Einbindung in den Lebenszyklus als Strukturprinzip resultiert Auf der anderen Seite verit: bar sva til çinn tima, })á er milli vard J>ess ôfridar, er hann ätti vid hçidnar {jiôder": S. 235. Zu diesen Überleitungssätzen der B-Version vgl. auch Hieatt (wie Anm. 8), Bd. ΠΙ, S. 174. 12 Vgl. dazu wie genereller zur Arbeit der B.b-Redaktoren Eyvind Fjeld Halvorsen, The Norse Version of the Chanson de Roland, K0benhavn 19S9 (= Bibliotheca Amamagnaeana, Vol. XIX), S. 49, 66, 91 und 88-98, Constance Β. Hieatt, The Redactor as Critic: An analysis of the B-version of Karlamagnús saga. In: Scandinavian Studies S3, 1981, S. 302-319 sowie Povl Skârup (wie Anm. 39). 13 Vgl. hierzu die Fußnoten in Berteisens Ausgabe (wie Anm. 1): I, 281, Anm. 1 und I, 351, Anm. 1. 14 Vgl. Halvorsen (wie Anm. 12), S. 24, 75/76. Eine detaillierte Untersuchung zu Sprache und Stil der Piöreks saga ist immer noch ein Desiderat. Vgl. aber Vemund Skard, Dativstudien. Dativus Sympatheticus und Dativus Comparationis in der norrönen Sprache, Oslo 1951 (= Skrifter utgitt av Det Norske Videnskaps-Akademi i Oslo II. Hist.-Filos. Klasse 1951, No. 2), S. 15-32. Zur Sprache der Karlamagnús saga vgl. Peter Hallberg, Stilsignalement och författarskap i norrön sagalitteratur. Synpunkter och exempel, Göteborg 1968 (= Nordistica Gothoburgensia 3, Acta Universitatis Gothoburgensis), S. 105-119.

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trifft die kompilatorische Arbeitsweise hauptsächlich für die A-Version der Karlamagnüs saga zu, wobei den B-Redaktoren ein grundlegendes Bemühen um größere Stringenz und Konsistenz zuzuschreiben ist.

ΙΠ. Der Zwölferbund der fèia gar Zu den frappierendsten ideellen Gemeinsamkeiten der beiden Texte gehört die strukturbildende Verwendung des Erzählschemas 'epische Zentralfigur umgeben von einer auserwählten Zwölferschar'. Beide Sagas erzählen von zwei außergewöhnlichen Herrschern im Kreise ihrer beidemale zwölf Kämpen, PiÖreks saga ok kappa hans bzw. Karlamagnüs saga ok kappa hans, und wählen zur Beschreibung dieses Königsbundes ein nahezu identisches Vokabular. Daß in der PiÖreks saga das Konzept der ebenbürtigen Gefährten, félagar ok jafningjar, von zentraler, struktureller Bedeutung ist, haben in der Forschung vor allem Thomas Klein, Heinrich Beck und jetzt wieder Theodore M. Andersson gezeigt15. Eine ähnlich gewichtige strukturbildende Rolle spielt es in der Karlamagnüs saga. Dort tritt in allen Paettir die leitmotivische Formel von den zwölf Ebenbürtigen, den tólfjafningjar auf, die Karlamagnüs stets begleiten. Bei dem Lexem jafningi, der Ebenbürtige, handelt es sich offensichtlich um eine Ableitung von lat. par, also gleich, ebenfalls realisiert in altfrz. pairs, anglonorm. per. Literarisch vertreten ist dieser Terminus vor allem in der Karls-Dichtung mit den zwölf pairs de France, bzw. Li duze per z.B. in der Chanson de Roland und dem Voyage oder Pèlerinage de Charlemagne16, so daß man annehmen möchte, daß die Vorstellung der zwölf pairs und deren Übertragung mit altnordisch jafningjar mit der Karlsdichtung in den Norden gelangte und dort über die Karlamagnüs saga bzw. deren Vorstufen Verbreitung fand. Vergleicht man nun die Verwendung von jafningi in der Karlamagnüs saga und der PiÖreks saga, so

15 Vgl. hier Aiuneikung 4-7. In seinem (während der Drucklegung meines vorliegenden Aufsatzes erschienenen) Beitrag (wie Anm. 5) hat sich Th. M. Andersson ebenfalls mit der "Company of Tvelve" befaßt (S. 10-12) und auf Berührungen mit der Karlsdichtung hingewiesen, dies aber mit einer anderen Gewichtung: Andersson schätzt diesbezüglich die Berührungen mit dem mhd. Rolandslied höher ein als die - wie hier hervorgehoben - Parallelen zu der altnorwegischen Karlamagnüs saga. 16 Vgl. La Chanson de Roland (Edition critique par Cesare Segre. Nouvelle édition revue. Traduite de l'italien par Madeleine Tyssens, Bd. Ι/Π, Genève 1989), z.B. V. 262, V. 325 [286] und Voyage de Charlemagne (Le Voyage de Charlemagne à Jérusalem et à Constantinople. Texte publié avec une introduction, des notes et un glossaire par Paul Aebischer, Genève 1965 [= Textes Littéraires Français, 115]), V. 121,205,232,420,436,639,662,699, 743, 781, 784.

PiÖreks saga und Karlamagnús saga

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fällt jedoch ein Unterschied auf: Analog zu den douze pairs der altfrz. Überlieferung spricht die Karlamagnús saga hauptsächlich von tólf jafningjar ohne den Zusatz félagar, dies z.B. im VII. Páttr über die JörsalaferÖ und im Vm. Mttr über die Roncevaux-Schlacht17, wohingegen diese Formel in der PiÖreks saga kombiniert als félagar ok jafningjar auftritt Das erste Glied der Formel, félagar, scheint ein besonderes Charakteristikum der Dietrich-Dichtung zu sein, die stets von Dietrichs Gesellen (mhd. geselle) spricht18 Hingegen tritt ein dem an. jafningi adäquates Lexem - zu denken wäre vor allem an mhd. ëbengenôz in der Dietrich-Dichtung kaum auf.19 Im Gegensatz zur PiÖreks saga wird hier bisweilen sogar betont, daß Dietrich eben nicht von Seinesgleichen umgeben sei.20 Insgesamt läßt sich für unseren Zusammenhang hypothetisch annehmen, daß in der PiÖreks saga zwei Vorstellungskreise miteinander kontaminiert wurden: zum einen das jafningjar-patxern des Karls-Kreises und die félagar- Vorstellung der Dietrich-Dichtung. Im Zusammenhang mit der Frage nach dem 'Hansischen Übermittlungsweg', der bei Vermittlung des Stoffes der PiÖreks saga nach Norwegen eine wichtige Rolle gespielt hat, wäre zudem zu fragen, ob der charakteristische Zusatz félagar in der PiÖreks saga möglicherweise ein Reflex auf den félagi als Handels- bzw. Geschäftspartner sein könnte, eine Konnotation, die der Terminus seit den Runensteinen von Haithabu (Ende 10. Jh.) offensichtlich haben kann. Das Erzählschema des Dreizehnten als Haupt einer erlesenen Zwölferschar (12+1) geht ursprünglich auf die biblische Abendmahlsszene zurück, in der Chri-

17 Vgl. Jórsalaferd-Páttr der Karlamagnús saga, (Belege aus A) 242 (zwei Nennungen), 248, 258/260,262,282,284,288,294. Auch im VIII. Mttr der Karlamagnús saga tritt die Formel "Rollant ok Oliver ok J)eir 12 jafningjar" leitmotivisch an sehr vielen Stellen auf (vgl. Ausg. Unger, S. 484,488,490,491,492,497,501,502,503, 504, 505 (drei Nennungen), 506,510, 511, 512, 513, 514, 515, 522, 525, 528, 529 (drei Nennungen), 530. Eine Formel, die beide Elemente kombiniert als félagar ok jafningjar vereint, ist dagegen eher selten anzutreffen: "Nú fór Rollant at leita félaga sinna, ok fann {>á alla jafningja nema Oliver" (Unger, S. 522). 18 Als ein Beispiel für eine besonders häufige Verwendung von mhd. geselle, seile sei hier der Laurin genannt (Laurin. Mit Benutzung der von Franz Roth Gesammelten Abschriften und Vergleichungen. In: Deutsches Heldenbuch. Erster Teil, Berlin/ Zürich 1963 [Nachdr. der 1. Aufl. v. 1866], S. 201-237): V. 77, 84,94, 117, 237, 389, 642, 787/88, 792, 806, 814, 818, 827, 830, 961, 996, 1069, 1187, 1227, 1258, 1314, 1322, 1393, 1431, 1519, 1535, 1565, 1586. 19 Der 'Große Lexer' (Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1872-1878 mit einer Einleitung von Kurt Gärtner, Stuttgart 1992, Bd. Ι-ΙΠ), Bd. I, Sp. 501 verzeichnet unter ëbengenôz ("der von gleichem stände ist") lediglich einen einzelnen Beleg aus der Dietrich-Dichtung, und zwar im Großen Rosengarten. 20 Vgl. z.B. Laurin (wie Anm. 18), V.4: "niender vant man sîn gelîch"; V. 26: "niender vint man sîn gelîch".

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stus als Dreizehnter zu den zwölf Aposteln hinzukommt. Der in enger Beziehung zum Hof Theoderichs stehende Cassiodor prägte hierfür den Satz: "[...]tamquam caput omnium ipse tertius decimus adueniret".21 In der Karlamagnús saga wird der Vergleich der pairs mit den Aposteln und Karls mit Christus besonders im I. und noch deutlicher im VII. í»áttr explizit hervorgehoben: So schließt der I. Páttr in seinem 56. Kapitel damit, daß sich Karlamagnús seine zwölf Getreuen mit dem ausdrücklichen Ziel des Vorgehens gegen die Heiden auswählt und sie gezielt in der gleichen Weise zum Heidenkampf einsetzen möchte, wie Gott selbst seine zwölf Apostel als Verkünder des Evangeliums über die ganze Welt gesandt hat ("t»essa hdföingia set ek til stiomar moti heidnom 1yd j ]3a minningh sem gud skipadi .xij. postulum sinom at predika guds eyrendi vm alian heim", 104). Und im VII. I>áttr der Karlamagnús saga, der fiktiven JórsalaferS, begeben sich Karlamagnús und seine jafhingjar in die Paternoster-Kirche Jerusalems, in der vormals Christus zusammen mit seinen zwölf Jüngern die Messe gesungen hatte. In dieser Kirche nun setzt sich Karlamagnús auf den Stuhl Christi, und die zwölf Begleiter nehmen um ihn herum auf den Stühlen der Apostel Platz. Diese imperiale Einnahme der dreizehn Stühle und damit Stilisierung Karlamagnús' zum alter Christus sowie seiner zwölf jafningjar zu den Jüngern macht den typologischen Bezug ganz offensichtlich und führt im Text zudem noch zu einer Bekehrung eines Juden, der sich ob dieses Anblicks sofort taufen lassen will, weil er nun sicher wisse, "at l>ar er gud sialfr ok hans tolf postular" (S. 242-44 [A]). Von Bedeutung ist nun aber, daß die Zwölfzahl auch in Zusammenhang mit Theoderich und seit alters ebenfalls in der Dietrich-Dichtung eine besondere Rolle spielt Wie Karl ist auch Dietrich als Dreizehnter von einem idealisierten Zwölferbund umgeben. Die PiSreks saga hält an dieser Grundkonstellation fest und macht sie - noch intensiver als die mhd. Dietrich-Dichtung - zu ihrem Strukturprinzip. Im Falle Theoderichs läßt sich weiter feststellen, daß die ursprünglich biblische Konstellation 12+1 bereits in der Spätantike als Topos der Herrscherglorifíkatíon gedient hat. Dies hat Ejnar Dyggve sehr anschaulich anhand seiner architektonischen Studien zum Konstantins- und Theoderichs-Mausoleum gezeigt: In die Kuppel des Theoderichs-Mausoleums in Ravenna sind die Namen der zwölf Apostel auf zwölf radiäre Steinbänke eingehauen, so daß sich in der Projektion bei Plazierung des kaiserlichen Sarkophags in der Mitte das

21 Magni Avrelii Cassiodori Expositio Psalmorvm LXXI-CL. In: Corpus Christianorvm. Seríes Latina XCVm (= Magni Avrelii Cassiodori Senatorie Opera Pars Π.2), Tvrnholti 1958, S. 1195.

Pidreks saga und Karlamagnús saga

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Bild von Christus im Kreise seiner Jünger einstellt22 Über die ursprünglich biblische Vorstellung hinaus hatte die Konstellation 12+1 also bereits seit der Spätantike die Bedeutung eines Topos zur Herrscherverherrlichung, wie sich am Beispiel Theoderichs und Karls zeigen läßt. Sowohl die Pidreks saga als auch die Karlamagnús saga machen also bei ihrer Darstellung Gebrauch von einem spätantiken Herrscherglorifikations-Topos.

IV. Vilhjálmr-Moniage und Heimir-Moniage Von besonderer Bedeutung im makrostrukturellen, aber auch im mikrostrukturellen Bereich ist ein Vergleich der IX. Branche der Karlamagnús saga über Vilhjálmr korneis und des Heimir-Moniage gegen Ende der PiÖreks saga, ein Vergleich, der zugleich auch Konsequenzen für die Quellenfrage der gesamten PiÖreks saga hat. Die IX. Branche der Karlamagnús saga ist ausschließlich in der B-Gruppe der Saga erhalten, darüber hinaus aber auch in der dänischen Karl Magnus Krönike in dem Passus über William cornitz. Da die Karl Magnus Krönike selbst aber wiederum auf die A-Version der Karlamagnús saga (und möglicherweise auf eine ursprünglichere Version als die uns bekannten) zurückgeht, darf die Annahme, daß die IX. Branche über Vilhjálmr bereits auch in dem verlorenen Ende der A-Version vorhanden war, als sehr wahrscheinlich gelten.23 In dem IX. Páttr der Karlamagnús saga über Vilhjálmr korneis wird eine weitgehend der Heimir-Moniage-Erzählung der PiÖreks saga ähnlich strukturierte Episode überliefert. In beiden Groß-'Kompilationen' eingebettet in die Altersbzw. Todes-Sequenz durchleben die inzwischen gealterten Karls- bzw. DietrichsHelden Vilhjálmr und Heimir einen kritisch dargestellten Kloster-Aufenthalt Ihr vorübergehendes Qidensleben, das durch für die Mönche vollbrachte Heldentaten

22 Vgl. Ejnar Dyggve, Kong Theoderik og den nordiske runddysse [= Rundgrab]. En kunsthistorisk Studie over Theoderikmausoleets kuppel, K0benhavn 19S7 (= Studier fra Sprog- og Oldtidsforskning, Nr. 233). Vgl. femer auch Anker Teilgârd Laugesen, Syv - Ni - Tolv. Nogle iagttagelser over typiske tal i litteraturen, K0benhavn 19S9 (= Studier fra Sprog- og Oldtidsforskning, Nr. 237), bes. S. 43-45. 23 Zu den textkritischen Verhältnissen von Karl Magnus Krönike und Karlamagnús saga vgl. Lindegârd Hjorth, Einleitung zur Ausgabe (Karl Magnus' Krönike. Udgivet for UniversitetsJubilaeets Danske Samfund af Poul Lindegârd Hjorth, K0benhavn 1960 [= UniversitetsJubilxets danske Samfunds Skriftserie, Nr. 398]), bes S. Dí/X: "D [= Karl Magnus Krönike] slutter sig til α-redaktionen [= der Karlamagnús saga], men ogsä den bygger pä en α-tekst, der har vaeret oprindeligere end de nu bevarede" (S.X). Vgl. ferner Halvorsen (wie Anm. 12), S. 33; Hieatt (wie Anm. 8), Bd. III, S. 296 und Skârup (wie Anm. 39), S. 340.

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ausgezeichnet ist, endet - letztlich aufgrund des Fehlverhaltens der Mönche mit Entzweiung (im Falle der PiÖreks saga sogar mit anschließender Zerstörung des Klosters) sowie einer kurzfristigen Rückkehr ins Heldendasein, auf die in beiden Fällen der baldige Tod des letzten Karls- bzw. Dietrichs-Recken folgt. Auch wenn der Moniage ein verbreitetes und beliebtes Thema besonders der altfranzösischen Helden-Epik ist (man braucht nur an die Quelle der Karlamagnús saga, eine Version des Moniage Guillaume, zu erinnern), so steht sich die Darstellung der Karlamagnús saga und der PiÖreks saga, besonders auch unter strukturellem Blickwinkel, in diesem Punkt sehr nahe. In der PiSreks-saga-Forschung hat sich bereits Horst P. Pütz24 mit der Heimir-Episode beschäftigt und auf bezeichnende motivische Ähnlichkeiten vor allem mit der französischen Chanson de geste des Wilhelms-Zyklus, dem Moniage Guillaume, hingewiesen. In diesem Zusammenhang hat Pütz am Rande bereits auf den Vilhjálms-I»áttr der Karlamagnús saga verwiesen und die Annahme geäußert, daß der PiÖreks saga die Motive des Heimir-Moniage durch Vermittlung der Karlamagnús saga zugeflossen seien. Pütz kommt das Verdienst zu, für die hier zur Debatte stehende Frage der Beeinflussung der PiÖreks saga durch die Chansons de geste auf wichtige motivische Parallelen aufmerksam gemacht zu haben. Da er aber die Heimir-Episode mit dem Moniage Guillaume selbst, nicht aber mit der Karlamagnús-saga-Wersion des Moniage vergleicht, können hier einige neue Ergebnisse formuliert werden, die über Pütz' Analyse hinausgehen. Im Vilhjálmr- und im Heimir-Moniage finden sich - trotz vorhandener Unterschiede - einige charakteristische gemeinsame Strukturelemente, dazu gehören: der plötzliche Aufbruch des letzten verbleibenden Karls- bzw. Dietrichs-Helden ins Kloster, die Außenseiter-Rolle des Helden-Mönchs im Kloster, die Krisensituation und seine heldische Bewährung, die (im Falle Heimis nachträgliche) Rache am Kloster, die Suche des Herrschers nach seinem letzten verbliebenen Getreuen; Rückkehr des 'Mönchs' ins Heldendasein und für den König begangene Taten; Tod des Helden und würdiges Begräbnis (für Vilhjálmr) bzw. Rache (für Heimir) seitens des Herrschers. Die Berührungen zwischen den beiden Moniage-Paettir betreffen dabei vor allem Einzelheiten im Bereich des Klosteraufenthaltes selbst (ungerechte Behandlung und Außenseiter-Stellung des Helden-Mönchs), im Verhältnis des Getreuen/Vasallen zu seinem König (Suche des Herrschers nach Vilhjálmr/

24 Vgl. Horst P. Pütz, Heimes Klosterepisode. Ein Beitrag zur Quellenfrage der Thidrekssaga. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 100,1971, S. 178-195, hier bes. S. 189, 191, 194.

PiOreks saga und Karlamagnús saga

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Heimir und Rollentausch/Verkleidung des Helden etc.) sowie - am wichtigsten - die Einordnung in die Erzählsequenz Alter und Tod. In beiden Paettir bewegen wir uns explizit in der letzten Sequenz der Groß'Kompilationen', die vom Alter und Tod der Helden handeln. Diese gemeinsame Sequenzzugehörigkeit ist zwar vor allem von makrostruktureller Bedeutung, aber auch mikrostrukturell gesehen eröffnen sich hier einige Parallelen zwischen den beiden Sagas: einige Passagen des Vilhjálms-Páttr sind nichts anderes als eine wehmütig ausgesprochene laudatio temporis acti Karls. In tiefem Kummer läßt der gealterte und inzwischen auch politisch machtloser gewordene Karlamagnús das vergangene Heldenleben seiner Gefährten Revue passieren und beklagt deren Verlust und seine eigene Machtlosigkeit ("harmar hann Jsat nu miok er kappar hans erv fra honum. Rollant fallinn ok J>eir xij iafningiar. Oddgeir danski aa brott ok Othuel. en hann sialfr afgamall. Vilhialmr horfin. {)a safnaz saman ovinir hans ok stia at hefna sin ok sinna fracnda", 310). Ganz ähnlich gestaltet ist die zentrale Passage des Heimir-Moniage, in der der König seinen letzten Recken gesucht und nun endlich im Kloster unter Mönchen wiedergefunden hat Das Gespräch Möreks mit dem sich bewußt verstellenden Heimir (PiÖreks saga, Kap. 438/39) gehört zu den besterzähltesten, nahezu poetisch anmutenden, Passagen der gesamten Saga: PiÖrekr müht sich sehr, Heimis Gedächtnis im Hinblick auf die gemeinsam bestrittenen Heldentaten aufzufrischen. Doch erst die vierte von I>iÖrekr rekapitulierte Episode aus beider Heldenleben bringt Heimir zum Lachen und damit zum Eingeständnis seiner wahren Identität: bezeichnenderweise handelt es sich hierbei um eine 'höfische âventiure\ nämlich wie PiÖrekr und Heimir in Rómaborg bewundernd von den höfischen Damen betrachtet wurden (II, 387). Das besagte Kapitel ist in unserem Zusammenhang vor allem deshalb von Bedeutung, als es eindringlich seine Zugehörigkeit zur Alters- und Todessequenz belegt: PiÖreks Rede ist eine einzige laudatio temporis acti: seine und Heimis Haare (einst leuchtend wie Gold und lockig, nun aber taubengrau) tragen deutlich die Spuren des Alters, und der leitmotivisch auftretende Hinweis auf den vielen Schnee, der seit beider erstem Zusammentreffen fiel (eine im Vergleich mit dem sonstigen Stil der PiÖreks saga durchaus poetische Formel), betont die gute alte Heldenzeit. Aus dem Vorausgehenden darf man folgendes festhalten: Die Berührungen zwischen der Karlamagnús saga und der PiÖreks saga betreffen also nicht nur einzelne Motive oder Etappen des auch sonst verbreiteten Moniage-Themas, sondern - und dies ist das Entscheidende - sie sind darüber hinaus übereinstimmend in die Makrostruktur der beiden Großwerke eingepaßt. In beiden Fällen gehört der Moniage der Alters- und Todes-Sequenz an und erscheint überdies im

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größeren Zusammenhang des Heldenbundes um Karl und Dietrich: Vilhjálmr und auch Heimir sind die beiden letzten verbleibenden Karls- bzw. Dietrichs-Recken; mit ihrem Tod neigt sich die Heldenzeit dem Ende zu. Übrig bleiben nur die gealterten Könige selbst. Auch hierin tun sich strukturelle Beziehungen zwischen der Karlamagnús saga und der PiÖreks saga auf: als IX. Branche repräsentiert der Vilhjálmr-Moniage den vorletzten Páttr der gesamten Karlamagnús saga. Danach folgt noch die X. Branche, die Von Wundern und Zeichen handelt und mit Karls eigenem Tod und Begräbniszeremonien endet. In der Karlamagnús saga folgt also auf Vilhjálms Tod nur noch der Tod des Kaisers selbst Ganz ähnlich ist die Makrostruktur des Schlußteils der PiÖreks saga zu beurteilen. Im Anschluß an den Moniage des letzten MÖreks-Recken Heimir und dessen Tod (Kap. AB 430-442) folgen lediglich noch die beiden Kap. 443/44, die von des Königs Jagdleidenschaft und seinem Verschwinden auf dem schwarzen Pferd berichten. Wie die Karlamagnús saga bietet also auch die PiÖreks saga im Anschluß an Moniage und Tod des letzten félagi nur noch eine Version vom Ende des Königs selbst (dies allerdings mit lediglich zwei Kapiteln in kürzerer Form als die Karlamagnús saga), wobei auch das Ende der beiden Herrscher Übereinstimmungen zeigt. Die hier dargestellten Berührungen zwischen der Karlamagnús saga und der PiÖreks saga im Bereich des Moniage sind letztlich auch für die kontroverse Quellenfrage der PiÖreks saga von Bedeutung. Angesichts der beiden Komponenten, nämlich der Ähnlichkeiten der mikrostrukturellen Gestaltung der beiden Moniage-i»acttir und ihrer makrostrukturellen Einpassung in den Lebenszyklus ist es doch wahrscheinlich, daß die PiÖreks saga nicht lediglich (irgendeine Version des Moniage Guillaume, sondern statt dessen die MoniageVersion der Karlamagnús saga gekannt hat Dies würde bedeuten, daß man die Heimir-Episode der PiÖreks saga im altnorwegischen literarischen Milieu der Übersetzungsliteratur ansiedeln könnte und nicht bereits im niederdeutschen Bereich des Klosters Wedinghausen. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die geographische Lokalisierung des Klosters Wadincúsan, in dem laut der PiÖreks saga Heimis Moniage stattfindet (II, 385). In der Forschung wurde es folgenschwer mit dem (1170 gegründeten) Prämonstratenser-Kloster Wedinghausen bei Soest identifiziert Die weitreichenden quellenkritischen Folgerungen, die Roswitha Wisniewski von dieser Lokalisierung ableitete (daß nämlich die gesamte PiÖreks saga die bloße Übersetzung einer von Scriptor Ludwig im Kloster Wedinghausen zwi-

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sehen ca. 1210 und 1230 angefertigten niederdeutschen Vorlage sein soll),25 wurden von William J. Paff, Horst P. Pütz und anderen bereits kritisch beantwortet, so daß darauf im Detail nicht mehr eingegangen werden braucht26 Von großer Bedeutung ist nun aber, daß die in der Forschung vorgenommene Identifizierung des Klosters mit Wedinghausen bei Soest im Text der Piöreks saga selbst keine Entsprechung findet. Π, 385 heißt es lediglich: "Munklifit het Wadincusan", ohne daß an dieser Stelle näher gesagt wird, wo sich dieses Kloster geographisch befindet Einige Kapitel vorher erfahren wir im Zusammenhang mit den Übergriffen des Riesen Aspilian auf Besitzungen des Klosters aber indirekt näheres (Kap. 431, A): Der Riese selbst hat seine widerrechtlichen Besitzungen in der Lombardei (Lungbardie, Π, 377). Da der von Aspilian annektierte Teil Eigentum der Mönche des Klosters Wadincüsan ist, ist davon auszugehen, daß auch das Kloster selbst entweder in der Lombardei bzw. in erreichbarer Nähe von der Lombardei liegt. Als Lokalisierung haben wir es hier - wie in anderen Teilen der Piöreks saga auch -τ mit einer oberitalienischen Landschaft zu tun; von Westfalen ist an dieser Stelle (außer dem Ortsnamen selbst) jedenfalls nicht die Rede. Sehr aufschlußreich für die Lokalisierung des Klosters ist ein Blick auf die Wilhelms-Branche der Karlamagnús saga bzw. den entsprechenden Passus über William cornitz in der Karl Magnus Krönike. Zwar wird in der Karlamagnús saga an der entsprechenden Stelle kein Name des Klosters genannt (S. 306), aber die dänische Karl Magnus Krönike (die auf die A-Version der Karlamagnús saga zurückgeht), bewahrt in dem entsprechenden Teil (Kap. 78/79) mehrfach den

25 Vgl. Roswitha Wisniewski, Die Darstellung des Niflungenunterganges in der Thidrekssaga. Eine quellenkritische Untersuchung, Tübingen 1961 (= Hermaea. Germanistische Forschungen, Ni 3 ., Bd. 9), bes. S. 261-266. 26 Vgl. William J. Paffs Rezension zu Wisniewski. In: Journal of English and Germanic Philology 61, 1962, S. 948-952. Zum Thema Wadincüsan bemerkt Paff treffend: "It seems hard to believe, however, if the saga writer were working with a chronicle written in Wedinghausen, that he would place the monastery in Italy or that he would have found the form Wadincusan before him" (S. 951). Auch unter methodischen Aspekten legt Paff seinen Finger auf die wunde Stelle: "By concentrating her attention on the story of the Nibelungen, she [= R. Wisniewski] avoids difficulties which a similar analysis of the whole saga would entail" (S. 952). Vgl. auch die bei Pütz (wie Anm. 24), bes. S. 179-182 gegen Wisniewskis Ludwig-These genannten Argumente. Ihre für Wedinghausen ins Feld geführten inhaltlichen Argumente (darunter auch eine vermeintliche besondere Vertrautheit mit Kenntnissen eines MönchsDaseins) lassen sich - bereits mit Pütz - als unspezifisch abtun. Schon Pütz hat die berechtigte Frage gestellt: "Kann nicht auch ein norwegischer Mönch mit den Gepflogenheiten von Klosterinsassen vertraut gewesen sein?" (S. 190).

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Ortsnamen Lumbardy.21 Auch wenn die Karl Magnus Krönike selbst nur in relativ jungen Handschriften (von 1480, 1509 und 1534) überliefert ist, so bewahrt sie - nach communis opinio (vgl. Anm. 23) - dennoch ursprünglichere Lesungen als die der Α-Gruppe der Karlamagnús saga, m.a.W. kann sie in ihrer ursprünglichen Form durchaus der gebende Teil für die PiÖreks saga gewesen sein. Insgesamt läßt sich also festhalten, daß die PiÖreks saga mit ihrer Lokalisierung des Klosters in die Lombardei oder zumindest in deren Nähe ganz in der Tradition der Karl Magnus Krönike, also sagengeschichtlich in der Tradition der französischen Karlsepik steht. Als Vermittlerin käme eine ältere Fassung der Wilhelms-Branche der A-Version der Karlamagnús saga in Betracht, etwa in der Gestalt, wie sie uns heute noch durch das Zeugnis der Karl Magnus Krönike bekannt ist. Gegen die hier formulierte These kann man nun den Ortsnamen Wadincúsan selbst zu Felde führen. Die Frage, ob das Wadincúsan der PiÖreks saga mit Wedinghausen bei Soest gleichzusetzen sei, wurde in der Forschung seit alters bejaht und nur selten problematisiert. Überdies wurde (so vor allem bei Wisniewski) häufig auf inhaltlicher Ebene argumentiert. Für das 1170 gegründete westfälische Kloster Wedinghausen bei Arnsberg selbst führt Förstemanns (/Jellinghaus') Altdeutsches Namenbuch eine ganze Reihe früher Belege auf (darunter Wedinchusen, Weddenchusen).M Es kann auch keine Diskussionen darüber geben, daß das zweite Namenselement -husen als solches typisch für niederdeutsch-westfälische Ortsnamen ist.29 Aber ist das Proprium Wadincúsan zweifelsfrei identisch mit dem niederdeutschen Ortsnamen Wedinghausen? Die gründlichste und verläßlichste Studie zu den geographischen und ethnischen Namen der PiÖreks saga bietet 1959 William J. Paff. Zwar identifiziert er gleich

27 Hier liegt nicht nur das Kloster selbst "i lumbardy", sondern auch der sarazenische Kontrahent Williams, der heidnische König Madús/Madúl (= Ysoré in der romanischen Tradition), kommt von dort, und schließlich findet auch der für William siegreiche Kampf in der Lombardei statt: Karl Magnus' Krönike (wie Anm. 23), Kap. 78, S. 332-334 und Kap. 79, S. 334336. 28 Vgl. Emst Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. Π, 2 (Orts- und sonstige geographische Namen). 3. völlig neu bearbeitete Ausg. hrsg. v. Hermann Jellinghaus, Bonn 1916, S. 13041305. 29 Vgl. dazu Hermann Jellinghaus, Die westfälischen Ortsnamen nach ihren Grundwörtern, Hildesheim/ New York/ Paderborn 1971 [Nachdr. d. 3. Aufl. von 1930), S. 92-114, der in seiner Untersuchung belegt, daß es in Westfalen "etwa 2000 Namen auf -hausen" gibt, "von denen die meisten schon vor dem Jahre 1300 vorkommen." "Etwa 17S0 haben als ersten Teil altdeutsche Personennamen." (S. 92) Auf S. 112 identifiziert Jellinghaus "Wedinghausen" mit dem Wadincúsan der PiÖreks saga: " Wedinghausen, früheres Kloster b. Arnsberg: Vadincusan Thidreksaga, Withinkeshusen 1028, Widinchusen 1124".

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im ersten Satz Wadincúsan eindeutig als "The flourishing monastery at Wedinghausen near Arnsberg on the Ruhr", verweist kurz darauf aber zugleich auf die eigentümliche Ambivalenz, daß die entsprechende "sequence in PiÖriks saga points directly both to LangbarÒa-land in northwestern Italy [...] and, in this name, to northern Germany".30 Auch wenn einiges dafür spricht, das Wadincúsan mit Wedinghausen zu identifizieren, so bedeutet dies noch lange nicht, daß Wisniewski mit ihrer weitreichenden These von den engen Zusammenhängen der PiÖreks saga und Wedinghausen recht hätte, zumal ihre Abhandlung überwiegend inhaltlich (Chronikcharakter des Heimir-Moniage, vermeintliche Berührungen chronologischer und lokaltraditioneller Art) bestimmt ist und sie sprachliche Fragen überhaupt nicht reflektiert. Ausgehend von der sagengeschichtlich ursprünglich aus romanischer Tradition erklärbaren Lokalisierung des Heimir-Moniage in die Lombardei möchte ich folgende Hypothese formulieren: Das Wadincúsan der PiÖreks saga kann durchaus als eine in Norwegen vorgenommene sekundäre Lokalisierung mittels eines westfälischen Ortsnamens aufgefaßt werden, ohne daß daraus ein westfälischer Handlungsschauplatz der Heimir-Episode abgeleitet werden müßte. Quellenkritisch ist es denkbar, daß der Redaktor des Heimir-Moniage seine Version geographisch an dem Vorbild der Karlamagnús saga bzw. einer älteren Version der Karl Magnus Krönike orientiert hat und das Kloster lediglich sekundär mit dem ihm - aus mündlichen Erzählungen hanseatischer Kaufleute - bekannten Namen benannt hat.

V. Unterschiede Bislang war von etlichen Gemeinsamkeiten der beiden Sagas die Rede, was jedoch nicht den Blick auf die zweifellos vorhandenen Unterschiede verstellen soll. Zu den fundamentalsten Unterschieden gehört das religiöse Gesamtkolorit der Karlamagnús saga, das - thematisch an Karl gebunden - ein Kennzeichen dieses Textes ist Beispielhaft sei hier auf die Motivation der zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen aus Anlaß der Heidenmission verwiesen, die Konvertierung Otúels (VI. Páttr), auf die Jerusalem-Fahrt Karls, die religiöse Grundstimmung in den Sterbeszenen der Roncevaux-Schlacht sowie auf den hagiographischen Charakter des letzten Páttrs. Religiosität und religiöse Proble-

30 William J. Paff (The geographical and ethnic names in the Wöreks Saga. A Study in Germanic Heroic Legend, 's-Gravenhage 1959 [= Harvard Germanic Studies II], S. 205-207, Zitat, S. 205. Vgl. auch Paffs differenziert kritische Rezension zu Wisniewski (wie Anm. 26).

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me spielen hingegen in der Pidreks saga - ebenfalls thematisch bedingt - bis auf einige wenige Reflexionen über den Arianismus im Prolog und gegen Ende des Textes kaum eine Rolle. Die PiÖreks saga zeigt sich wesentlich säkularer als die Karlamagnus saga. Im Gegensatz zu Theoderich und auch zu Artus ist Karl nun einmal der ideale christliche Herrscher und auserwählte Stellvertreter Gottes, der auf dessen irdischem Stuhl sitzen darf und sich - trotz einiger irdischer und verzeihlich menschlicher Fehltritte wie z.B. am Hof von Konstantinopel - Gottes Hilfe gewiß sein darf, weil er dessen Auserwählter ist. Ein weiterer, möglicherweise damit zusammenhängender Unterschied besteht darin, daß Karlamagnús' Vormachtstellung in der Saga unangefochten bleibt. Seine zwölf pairs kennen ihre Grenzen, und selbst der sehr dominante Rollant untergräbt nicht die Machtposition des Kaisers. Etwas anders sieht dies in der Pidreks saga aus: Mörekr wird bisweilen von dem Heldenglanz des Dänen ViÖga und auch SigurÖs überstrahlt, wenngleich sein Ruhm als unangefochten gilt. Bekanntlich liegt der Fall in der Artus-Dichtung ähnlich, wenn Artus selbst oft von seinen vorzüglichen Tafelrunden-Rittern übertroffen wird, und dies gilt besonders für Gawein.

VI. Fazit und Ausblick Eine eindeutige Antwort in der Frage, welche Saga als ursprünglicher zu betrachten sei, bleibt schwierig, da wir über kaum definitive Datierungskriterien verfügen. Die Entstehung sowohl der Karlamagnús saga als auch der PiÖreks saga datiert man gemeinhin um die Mitte des 13. Jh.s und damit in die Herrschaftszeit Hákon Hákonarsons. Für die Α-Gruppe der Karlamagnús saga wird zumeist eine Entstehungszeit vor bzw. um 1250 angenommen.31 Und für die Datierung der B-Version gibt es folgende Anhaltspunkte: der Formâli der Π., nur in der B-Version enthaltenen Branche Affrú Ólíf ok Landrés (Unger, S. 50) läßt Rückschlüsse auf eine Übersetzung bald nach 1286/87 zu. Die ältere Forschung (Unger, Storm) datiert die B-Gruppe - nicht zuletzt aufgrund der Rezeption von Vinzenz' von Beauvais Speculum historíale - auf den Zeitraum 1290-1320. Die Rezeption der Michaels saga in der B-Version führt Eyvind Fjeld Halvorsen und Peter G. Foote zu einer

31 Zur Datierung der Α-Gruppe vgl. Unger (wie Anm. 1), S. ΙΠ (1. Hälfte 13. Jh.), Gustav Storm (Sagnkredsene om Karl den Store og Didrik af Bern hos de Nordiske Folk. Et Bidrag til Middelalderens Litterare Historie, Kristiania 1874), S. 14 (1240-50). Vgl. auch E. F. Halvorsen (wie Anm. 12), S. 75 und Peter G. Foote, The Pseudo-Turpin Chronicle in Iceland. A Contribution to the Study of the Karlamagnús saga, London 1959 (= London Mediaeval Studies: Monograph No. 4), hier S. 7 und 47.

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späteren Datierung der B-Gruppe auf die Zeit nach 1320 (Foote: möglicherweise 1330-40).32 Für die Stockholmer Membran der PiÖreks saga ergeben sich als Datierungskriterium ante quem die Jahre 1308-1314, da in dieser Zeit das berühmte Handschriftenverzeichnis des Bergenser Bischofs Árni Siguröarson angefertigt worden sein muß, das im Besitz des Bischofs u.a. auch eine Handschrift der PiÖreks saga (vermutlich die Membran) verzeichnet.33 Die Membran selbst muß also noch in der zweiten Hälfte des 13. Jh.s aufgezeichnet worden sein. Bei der relativ späten Datierung der gesamten B-Gruppe der Karlamagnús saga auf das Ende des 13./ Anfang des 14. Jh.s liegt es nahe, allenfalls deren AGruppe mit der PiÖreks saga in Beziehung zu setzen, wobei allerdings zu bedenken ist, daß die B-Gruppe in manchen Fällen eine originalere Lesart bewahrt hat. Eine wichtige Rolle bei der Beurteilung des Verhältnisses der beiden Sagas nimmt die vergleichende Betrachtung der beiden Moniage-PxUii ein, die die Annahme nahelegt, daß die PiÖreks saga die Karlamagnús-saga-V&csion des Moniage Guillaume gekannt hat. Auch wenn die Α-Gruppe der Karlamagnús saga selbst keinen Vilhjálmr-Moniage überliefert wie die B-Gruppe, so ist es doch als sehr wahrscheinlich anzusehen, daß ein solcher in ihrem verlorenen Ende gestanden hat, zumal die dänische Karl Magnus Krönike Episoden aus dem Vilhjálmr-Moniage bewahrt (s.o.). Wenn auch die Forschung mehr oder weniger stillschweigend davon ausgeht, daß die PiÖreks saga um 1250 den neuen Übersetzungsstil eingeführt habe, wie er in der Karlamagnús saga und der Flóvents saga zutage trete34, so scheint mir diese Annahme nicht so selbstverständlich zu sein. Warum sollte dieser Impuls nicht ebensogut von der Karlamagnús saga ausgegangen sein, zumal Foote und auch Togeby selbst es nicht für ausgeschlossen halten, daß die isländische

32 Zu den genannten Datierungskriterien vgl. Unger (wie Anm. 1), S. III (Ende 13. Jh. oder Anfang 14. Jh.), Storm (wie Anm. 31), S. 67/68, Halvorsen (wie Anm. 12), S. 75/76, Foote (wie Anm. 31), S. 7, 24/25, 47. 33 Vgl. hierzu Gustav Storm, Den Bergenske Biskop Arnes Bibliothek. In: Historisk Tidsskrift Π, 2, Kristiania 1880, S. 185-192; zur Datierung des Verzeichnisses, S. 187. Der entsprechende Passus des Handschrutenverzeichnisses lautet: "Nomino bôkr . logbok foni oc logbok . truffa saga oc brutus mz. saga |>i0rxk a baern . orvar oddz saga . thomas saga ens helga chantuariensis arkiepiscopi. sopdyngium oc {)ar a margar sagur." (S. 186, Hervorheb. S.K.B.) 34 So die Annahme Knud Togebys (La chronologie des versions Scandinaves des anciens textes français. In: Les Relations littéraires franco-scandinaves au Moyen Age. Actes du Colloque de Liège [avril 1972], Paris 1975 [= Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l'Université de Liège, Fase. CCVm]), S. 183-191, hier S. 186.

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Pseudo-Turpin-Übersetzxmg (vor 1230, möglicherweise zwischen 1190 und 1220) den Anstoß für die gesamte Karlamagnùs-saga-Ûbeitiagxmg gegeben habe.35 Die ideellen Konzepte der beiden Sagas lassen kein eindeutiges Urteil in der Frage nach der Originalität zu: Einerseits scheint die jafningi-Vorstellung deutlich dem Karls-Kreis zugeordnet zu sein; andererseits ist jedoch die Zwölfzahl der Gesellen seit alters ebenfalls ein Kennzeichen der Dietrich-Dichtung, so daß eine Abhängigkeit schwer nachweislich ist. Wie aber oben gezeigt, ist es m.E. jedoch wahrscheinlich, daß in der PiÖreks saga eine Kontamination des jafningiErzählschemas der Karlamagnús saga mit dem félagar- Vorstellungskreis der Dietrich-Dichtung vorliegt, so daß die Karlamagnús saga in diesem Detail eher die gebende Partei zu sein scheint. Aufgrund solcher und auch grundsätzlicherer Überlegungen ist jedoch zu fragen, ob man im Falle von Karlamagnús saga und PiÖreks saga mit den Methoden der traditionellen Quellenkritik überhaupt weiterkommt. Statt dessen ist ein Blick auf das Rezeptionsmilieu und das Aufzeichnungsinteresse beider Texte gewinnbringender. Im Hinblick auf das Rezeptionsmilieu beider Sagas ist es von Bedeutung, daß sie beide - und dies möchte ich für die PiÖreks saga (u.a. auch für ihren Heimir-Moniage) besonders betonen - intensiven Gebrauch von den literarischen Modewörtern der höfischen Übersetzungsliteratur wie z.B. kurteiss, hœverskr und dem r/ctóari-Terminus machen, so daß sie durchaus Züge der zeitgenössischen höfischen Übersetzungsliteratur und der Riddarasögur aufweisen. Unter dem Aspekt ihrer Rezeption gehören beide Texte in das weitere Umfeld des norwegischen Hofes Hákons. Eine weitere Frage stellt sich hinsichtlich des Aufzeichnungsinteresses solcher Texte wie der Karlamagnús saga und der PiÖreks saga. Vor allem eine Frage drängt sich auf: Warum werden zur Zeit Hákons in Norwegen Texte aufgezeichnet, in deren Zentrum jeweils ein idealisierter großer Herrscher Karl/Karlamagnús bzw. Theoderich/t>iÖrekr im Kreise seiner auserwählten zwölf Getreuen steht? Ähnliches gilt ebenfalls für die Rezeption der Artus-Dichtung mit Artus als idealem Herrscher und Zentrum seiner - und darin besteht ein Unterschied zur Dietrichs- und Karlsdichtung - allerdings nicht unbedingt zwölfzahligen Tafelrunde. Wäre es zu dreist, hinter all diesen Darstellungen idealisierter Königsbünde ein literarisches Identifikationsangebot an Hákon Hákonarson zu vermuten? Bedenkt man, daß das ursprünglich aus der Abendmahlssituation entwickelte Denkmodell des Dreizehnten als Haupt einer idealisierten Zwöl-

35 Vgl. Foote (wie Anm. 31), S. 44 und Togeby (wie Anm. 34), S. 187-189. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, daß die Verlagen der Branchen der A-Gnippe möglicherweise vor 1200 zu datieren sind: vgl. dazu Skärup (wie Anm. 39), S. 3S0.

PiÖreks saga und Karlamagnús saga

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ferschar in der Spätantike als Topos der Herrscherglorifikation diente, so wäre es auch als Identifikationsangebot an einen mittelalterlichen Herrscher bestens geeignet. Dabei hat die Herrscherfigur Karls in der kontinentalen mhd. Literatur Ani aß zum Heirschervergleich geboten: Man denke beispielsweise an das Rolandslied mit Heinrich dem Löwen als Mäzen, der sich selbst als nepos Karoli bezeichnen ließ und die karolingische Tradition auch für seine Politik fruchtbar machte.36 Daß Karls Bedeutung als erster großer christlicher König und Kaiser auch ihre Spuren in Norwegen hinterlassen hat, zeigt sich nicht nur darin, daß insgesamt sieben norwegische Könige das Epitheton Magnus in ihrem Namen führten.37 Es wäre weiterhin zu fragen, ob und inwieweit auch Theoderich ein Identifikationsangebot für einen mittelalterlichen Herrscher sein kann, wenngleich er - als Arianer - gewissermaßen ein Gegenbild zu Karl darstellt. Insgesamt gesehen zeigt eine vergleichende Analyse von Karlamagnús saga und PiÖreks saga, daß beide Texte im mikro- wie im makrostrukturellen Bereich enge Berührungen aufweisen; dies gilt vor allem in bezug auf das beiden gemeinsame pattern der tólffélagar ok jafningjar und im Bereich der MoniagePœttir. Schließlich kann eine vergleichende Betrachtung der beiden Groß-'Kompilationen' im Hinblick auf die strittige Quellenfrage der PiÖreks saga neue Perspektiven eröffnen: Zum einen sprechen die engen textuellen Affinitäten zwischen der Karlamagnús saga und der PiÖreks saga dafür, daß auch die PiÖreks saga Züge aufweist, die sie unter dem Aspekt ihrer Aufzeichnungssituation als altnorwegischen Text der Übersetzungsliteratur erscheinen lassen. Noch grundsätzlicher und gewichtiger freilich belegt die Existenz der Karlamagnús saga, daß man in Norwegen um die Mitte des 13. Jh.s in der Lage war, Übersetzungen verschiedener Chansons de geste zur Prosa-Großform zusammenzustellen, indem man sie - unter Anwendung des Segmentierungsverfahrens strukturell in den Lebenszyklus eines bedeutsamen Herrschers einfügte. An dieser Stelle darf ebenfalls daran erinnert werden, daß die altnorwegische Literatur bereits zu Beginn des 13. Jh.s die sog. Legendarische Saga über Olaf den Heiligen (Legendarisk Olavssaga) hervorgebracht hat, die - als möglicherweise älteste Königssaga überhaupt - einen Olafs-Zyklus (von Kindheit/Jugend und

36 Vgl. hierzu Karl-Emst Geith (Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, Bern und München 1977 [= Bibliotheca Germanica, Bd. 19]), bes. S. 113, 119-123 sowie Joachim Bumke (Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150-1300, München 1979), hier S. 86-91. 37 Darauf hat auch schon Heniy Goddard Leach (Angevin Britain and Scandinavia, Cambridge/ London 1921 [= Harvard Studies in Comparative Literature, VI]), S. 237/38 hingewiesen.

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Wikingerfahrten, über Herrschafts- und Missionstätigkeiten, Flucht nach Rußland und Rückkehr bis hin zu Olafs Tod und anschließend einsetzender Verehrung samt einem Wunderkatalog) repräsentiert38 Zyklisch orientierte Sagadichtung in originaler wie auch in übersetzter Form hat in Norwegen also auch bereits vor der Karlamagnús saga und vor der Pidreks saga ihre Tradition. Unter quellenkritischen Aspekten ist es für den Textvergleich von Karlamagnús saga und Pidreks saga bedeutsam, daß man für die erstgenannte bislang keine schriftliche Gesamt- oder umfangreichere Teilvorlage aus dem Karlskreis erwiesen bzw. (mit dem Postulat einer Vie romancée de Charlemagne als Teilvorlage)39 nur hypothetisch angenommen hat; das Kompositionsprinzip der Karlamagnús saga geht im wesentlichen auf die Arbeit ihrer Redaktoren zurück. Ebenso ist es doch auch im Falle der PiÖreks saga möglich, daß sie in Norwegen nicht als eine bloße Übersetzung eines niederdeutschen Originals angefertigt wurde, sondern daß das ihr erkennbar zugrunde liegende Strukturprinzip ebenfalls auf das Konto ihrer norwegischen Redaktoren geht. Bedeutsam ist ferner die Beobachtung, daß in der Karlamagnús saga Versionen von Chansons de geste zur Großkompilation zusammengefaßt wurden, die zu verschiedenen Zeiten nach Skandinavien gelangt sind, darunter die isländische

38 Die uns vorliegende Handschrift der Legendarischen Olafssaga (Delagardische Sammlung der Universitätsbibliothek Uppsala, Nr. 811) in tröndischer Sprache stammt aus der Mitte des 13. Jh.s, laut Holtsmark möglicherweise von 1229. Bei ihr handelt es sich jedoch um eine Abschrift einer möglicherweise isländischen Vorlage von ca. 1200. Vgl. dazu: Holtsmarks Einleitung zur Ausgabe (Legendarisk Olavssaga. Etter Uppsala Universitetsbiblioteks Delagardieska Sämlingen Nr. 811. Med en Innledning av Anne Holtsmark, Oslo 1956 [= Corpus Codicum Norvegicorum Medii Aevi, Quarto Serie, Vol. II]), S. 7-10. 39 Die Diskussion um die I. Branche und ihre Quellen wird in der Forschung überaus kontrovers geführt. Dabei gipfelt die Kontroverse in der Frage, ob der I. Mttr bereits vor der Gesamtkompilation als unabhängige Branche existiert und auch die Vorlage für weitere Teile der Saga abgegeben hat oder ob er als eine Art Ouvertüre der gesamten Saga gedacht war. Das hypothetische Postulat einer Vie romancée de Charlemagne als Quelle der I. Branche wurde vor allem von Paul Aebischer (Textes norrois & littérature française du moyen âge, I: Recherches sur les traditions épiques antérieures à la Chanson de Roland d'après les données de la première branche de la Karlamagnús saga, Genève/Lille 1954 [= Société de Publications Romanes et Françaises, XLIV] und Π: La première branche de la Karlamagnús saga. Traduction complète du texte norrois, précédée d'une introduction et suivie d'un index des noms propres cités, Genève 1972 [= Publications Romanes et Françaises, CXVHI], modifiziert auch von Eyvind Fjeld Halvorsen (wie Anm. 12), bes. S. 45, 52,60/61, 64) und jetzt erst wieder von Povl Skârup (Contenu, sources, rédactions. In: Karlamagnús saga, Ausgabe Togeby/ Halleux 1980 [wie Anm. 1], S. 333-355), bes. S. 346-352 vertreten. Als Vertreter der Gegenposition ist vor allem Knud Togeby zu nennen (L'influence de la littérature française sur les littératures Scandinaves au moyen âge. In: GrundriB der Romanischen Literaturen des Mittelalters, Vol. I. Hrsg. v. Hans Ulrich Gumbrecht, Heidelberg 1972, S. 333-395), hier S. 359.

Pidreks saga und Karlamagnús saga

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Pseudo-Tuipin-Übersetzung, die aus der Zeit von vor 1230, möglicherweise auch zwischen 1190 und 1220 stammt (dazu hier Anm. 35), oder auch der Voyage oder Pèlerinage de Charlemagne, der schon vor Hákons Zeit in Skandinavien bekannt wai40. Eine solche Feststellung ist insofern auch für die Pidreks saga von Belang, als bei ihr ebenfalls die Möglichkeit besteht, daß zu unterschiedlichen Zeiten nach Norwegen gelangtes deutsches Quellenmaterial (in schriftlicher und/oder oraler Form) dort zur Großkompilation zusammengestellt wurde. Der Stoffumfang der Pidreks saga ist nicht größer als der der Karlamagnús saga oder beispielsweise des Morte Darthur, ihre Bearbeiter hätten keine schwierigere Aufgabe zu vollbringen gehabt als andere mittelalterliche Verfasser und Redaktoren.

40 Vgl. dazu Knud Togeby (wie Anm. 34), S. 184/85.

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ANHANG: Die (größtenteils recht unsicher bestimmbaren) Quellen der Karlamagnús saga*: Branche I (ohne Überschrift) [Um Karlamagnús konung] Quellen: verlorene Versionen verschiedener Chansons de geste oder erster Teil einer (hypothetisch angenommenen) Vie romancée de Charlemagne ***

Branche Π: Affrû Óllf ok Landrés Die Π. Branche ist nicht ursprünglich, sondern nur in der B-Gruppe enthalten. Ihrem Formáli (Unger, S. 50) ist als Datierungshinweis die Zeit nach 1286/87 zu entnehmen, da Bjarni Erlingsson zu dieser Zeit die (verlorene) mittelenglische Vorlage ins Altnordische übersetzen ließ. Die Quelle des mittelenglischen Textes wiederum ist verwandt mit dem roman d'aventure Doon de la Roche ***

Branche ΙΠ: Af Oddgeiri danska Quelle: Erste Branche (Enfances) der Chevalerie Ogier de Danemarche; die Quelle der letzten Kapitel der altnordischen Branche ist unbekannt. ***

Branche IV: Af Agulando konungi Quellen: Pseudo-Turpin und Chanson d 'Aspremont ***

Branche V: AfGuitalin Saxa Quelle: eine verlorene Chanson des Saxons, die vermutlich auch die Quelle für Jean Bodels Chanson de Saisnes war. Branche VI: Af Otúel Quelle: Chanson d' Otinel Branche VII: Af Jórsalaferd Quelle: Voyage/Pèlerinage de Charlemagne ***

Branche VOI: Af Rúnzívals bardaga Quelle: frühe Version der Chanson de Roland, die in besonderer Nähe zum Oxford-Manuskript der Chanson de Roland steht Φ**

PiOreks saga und Karlamagnús saga

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Branche IX: Af Vilhjàlmi korneis Quellen: Eine Version des Montage Guillaume (wobei die Saga-Version jedoch nicht direkt auf eine der beiden französischen Versionen des Montage Guillaume, sondern möglicherweise wiederum auf deren gemeinsame Vorlage zurückgeht). ***

Branche X: Um kraptaverk og jartegnir Quellen: Vinzenz von Beauvais, Speculum Historiale und Tveggja Postola saga J6ns ok Jacobs

*

Die Darstellung orientiert sich vor allem an den Ausführungen C. R. Ungere (wie Anm. 1), Fortale, S. ΠΙ-XLI, H. G. Leachs (wie Anm. 37), S. 23S-2SS; E. F. Halvorsens (wie Anm. 12), Peter G. Footes (wie Anm. 31), Knud Togebys (wie Anm. 39); C. B. Hieatts (wie Anm. 8), Bd. I, S. 13-31 und Povl Skâmps (wie Anm. 39).

IV. PiÖreks saga und oberdeutsche Parallelüberlieferung

Überlegungen zur Funktion des Hortes im Nibelungenlied VON PETER GÖHLER

Der Nibelungenschatz spielt in den verschiedenen Nibelungendichtungen eine wesentliche, von Text zu Text aber auch eine sehr unterschiedliche Rolle. Er ist ein tragendes Element des Nibelungenstoffes und tritt von Fall zu Fall in wechselnde Beziehungen mit anderen Elementen, die den Stoff konstituieren. Es sind dies vor allem: Sigurd/Siegfrieds Herkunft, sein Kampf mit dem Drachen, Siegfrieds Verhältnis zu Brünhild und zu Kriemhild, die Brautwerbung Gunthers, der Streit der Königinnen, der Tod Siegfrieds, der Untergang der Burgunden und der Tod Atlis/Etzels. Es fragt sich, welchen Platz der Hort in der Struktur der einzelnen Dichtungen einnimmt Diese verleiht dem Hort Bedeutungen, und sie ist ihrerseits selbst Bestandteil der Entwicklung der epischen Formen. Für das Verständnis der mittelalterlichen Texte ist das sicher von Bedeutung. Es ist aber auch insofern von Belang, als mittelalterliche Dichtungen nicht nur mit ihren Stoffangeboten und ihrer Thematik bis in die Gegenwart rezipiert wurden. Diese Rezeption wurde wesentlich auch durch die ästhetische Eigenart der Rezeptionsobjekte determiniert. Ich verfolge dies jetzt nicht weiter, muß diesen Zusammenhang aber benennen, da sich aus ihm m.E. nicht nur ein Sinn der Arbeit an den mittelalterlichen Gegenständen ergibt, sondern da sich von hier aus auch wesentliche Aspekte der Fragestellung für die literaturgeschichtliche Analyse ergeben. Ich konzentriere mich im folgenden vor allem auf das Nibelungenlied.} In der Forschung hat die sogenannte Horterfragung in der Schlußaventiure eine beträchtliche Rolle gespielt.2 Das ist verständlich, bündelt diese Szene doch die 1

2

Das Nibelungenlied wird nach der Ausgabe von Karl Bartsch/Helmut de Boor, Wiesbaden, 22. Aufl. 1988 zitiert; Zitate aus der C-Fassung folgen der Ausgabe von Ursula Hennig, Tübingen 1977, allerdings folgt die Strophenzahlung aus Gründen der leichteren Orientierung der Ausgabe von Baitsch/de Boor unter Beifügung der Handschriftensigle. Zitate aus der Klage werden der Ausgabe von Karl Bartsch, Leipzig 1875 entnommen. Das Lied vom hürnen Seyfiid wird nach der Ausgabe von Wolfgang Golther, 2. Aufl., Halle 1911 zitiert Ich verweise vor allem auf Hans Kuhn, Kriemhilds Hort und Rache. In: Festschr. f. P. Kluckhohn u. H. Schneider, Tübingen 1948, S. 84-100, erneut in: H.K., Kleine Schriften Π,

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Konflikte des Epos und löst sie in einer letzten Steigerung der Katastrophe in höchst wirkungsvoller Weise. Allerdings hat diese nicht nur faszinierende, sondern auch in sich brüchig scheinende Szene das Augenmerk der Forschung von anderen wichtigen Textstellen abgelenkt und es ihr erschwert, die fragliche Szene in ihrem Zusammenhang zu erkennen, zumal die Forschung methodisch problematisch vorging, indem sie interpolierend eine - unterstellte - Stimmigkeit der Szene suchte.3 Ich will daher nicht einfach die Diskussion um die Schluß-

Berlin 1971, S. 65-79; Friedrich Maurer, Leid. Studien zur Bedeutungs- und Problemgeschichte besonders in den großen Epen der staufischen Zeit, Bern/München 1951; Werner Schröder, Die Tragödie Kriemhilds im Nibelungenlied. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 1960/61, S. 41-80 u. 123-160, erneut in: W.S., NibelungenliedStudien, Stuttgart 1968, S. 48-156; Hans Kuhn, Der Teufel im Nibelungenlied. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 94,1965, S. 280-306, erneut in: Nibelungenlied und Kudrun. Hrsg. v. Heinz Rupp, Darmstadt 1976 (= Wege der Forschung, 54), S. 336-366; Bert Nagel, Das Nibelungenlied. Stoff - Form - Ethos, Frankfurt/M. 1965, S. 30f; Werner Schröder, Zum Problem der Hortfrage im Nibelungenlied. In: W.S., Nibelungenlied-Studien, Stuttgart 1968, S. 157-184; Bert Nagel, Staufische Klassik, Heidelberg 1977, S. 531-536; Joachim Heinzle, Gnade für Hagen? Die epische Struktur des Nibelungenliedes und das Dilemma des Interpreten. In: Nibelungenlied und Klage. Sage und Geschichte, Struktur und Gattung. Passauer Nibelungengespräche 1985. Hrsg. v. Fritz Peter Knapp, Heidelberg 1987, S. 257-276; Otfrid Ehrismann, Nibelungenlied. Epoche - Werk - Wirkung, München 1987, S. 196-207; Edward R. Haymes, A Rhetorical Reading of the "Hortforderungszene" in the Nibelungenlied. In: "Waz sider da geschach". American-German Studies on the Nibelungenlied. Text and Reception. Ed. by Wemer Wunderlich and Ulrich Müller, Göppingen 1992 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 564), S. 81-88. 3 J. Heinzle (wie Anm. 2) hat das Dilemma, vor das die Forschung durch Kriemhilds Rede in 2367 gestellt worden ist, überzeugend vorgeführt, bes. S. 262-265. Mit Bezug auf literaturtheoretische Überlegungen Isers und dessen Begriff der "Leerstelle" erwägt Heinzle, daß diese "sich sehr wohl auch als Folge von Strukturmängeln ergeben" können (S. 266), und bezüglich der fraglichen Szene führt Heinzle aus, "daß die Einführung der Hortfoiderungsszene in den Handlungszusammenhang zu einem erzähltechnischen Defekt geführt hat", wie "die epische Struktur des Nibelungenliedes insgesamt in nicht geringem Maße defizient ist; und daß dies nicht so sehr als individuelles Versagen des Dichters zu begreifen ist, sondern als schier unausweichliche Konsequenz der literarischen Situation, in der er stand." (S. 267) Nach Heinzle versucht der Dichter, den Stoff mit Hilfe der "Trojaformer literarisch zu deuten. Der Dichter hatte es "nicht mit geschlossenen schriftlichen Vorlagen zu tun, nicht mit Literatur, sondern mit einer weitgehend oder gar ausschließlich mündlichen Erzähltradition, die wir uns gewiß nicht vielgestaltig und widersprüchlich genug vorstellen können - und die eben doch in all dieser Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit als ehrwürdige Vorzeitkunde für ihn verpflichtend war. Die Aufgabe, die er sich (oder die man ihm) gestellt hatte, bestand darin, diese Erzähltradition in Literatur umzusetzen, sie mittels der Erzähltechniken, Erzählmodelle, Deutungsmuster, die in der literarischen Tradition ausgebildet waren, in diese einzubinden." (S. 268) Ich hege Bedenken gegenüber dem Rückgriff auf die "Trojaformel", da die Schönheit Kriemhilds (richtigen der Ruf ihrer Schönheit) zwar die Werbungen Siegfrieds und Etzels veranlaßt, die Wurzel der Katastrophe aber nicht in diesen Werbungen, sondern viel eher in der unangemessenen Werbung Gunthers um Brünhild und in dem Ranganspruch, der in ihr zum Ausdruck kommt, liegt Das Beziehungsgefüge zwischen dem burgundischen

Überlegungen zur Funktion des Hortes im Nibelungenlied

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szene des Nibelungenliedes fortsetzen, sondern grundsätzlicher nach der Funktion des Hortes im Nibelungenlied fragen. Ich gehe zunächst den Text des Epos durch, um die einschlägigen Passagen desselben zu besprechen. Die Einführung des Hortes geschieht im Rahmen der Erzählung von Siegfrieds Ankunft in Worms, die einen durch die beiden ersten Aventiuren aufgebauten ersten Spannungsbogen schließt, indem Siegfried zur Werbung um Kriemhild aufbricht, und die damit recht eigentlich das epische Geschehen in Gang setzt. Der Epiker stattet Siegfried in der dritten Aventiure zusätzlich, über das bereits Mitgeteilte hinausgehend, mit mehreren für das weitere Geschehen wichtigen Attributen aus (Hortbesitz, Tarnkappe, Unverwundbarkeit), indem er Hagen von Siegfrieds frühen Taten berichten läßL Dieser Bericht scheint der Information der burgundischen Könige zu dienen, ist aber tatsächlich, wie 92,1b deutlich macht, an den Hörer gerichtet, der wohl mit Erwartungen bezüglich dieser Geschichten in den Vortrag gegangen sein dürfte. Der Inhalt dieses Berichts paßt nicht völlig in die vom Epiker gegebene Erzählabfolge: Man mag sich fragen, wann Siegfried die Gelegenheit gehabt habe, diese Taten zu vollbringen, schließt sich doch die dritte Aventiure unmittelbar der zweiten an; erst die C-Fassung des Epos schafft mit C-21,5ff und C-43,5ff den erforderlichen Raum. Auch steht der Soloritt, von dem Hagen in 88,1 weiß, in offenkundigem Widerspruch zu 25,1; vollends stimmt der Ausflug ins Märchenhafte, von dem wir hier hören, wenig zu der in der zweiten Aventiure angestimmten Tonlage einer von Normalität gerprägten Vorbildlichkeit höfischen Lebens. Gerade deshalb aber ist es geraten, nach den Gründen für die Einfügung des Berichts, den Hagen gibt, zu fragen: Der Epiker hätte ja die notwendigen Handlungsvoraussetzungen auch anders beibringen können. Was gewinnt er also durch die von ihm gefundene Lösung? Der Hörer erhält einerseits die erforderlichen Informationen über Siegfried, indem der Epiker die einleitende Vorstellung Siegfrieds in der zweiten Aventiure ergänzt (womit er vermutlich auch Hörererwartungen entspricht), ohne sich durch epische Entfaltung der frühen Taten Siegfrieds aufhalten und in eine andere epische Welt entführen zu lassen, wie das später etwa in der durch das Darmstädter Aventiurenverzeichnis belegten Fassung des Epos geschehen ist Anderseits bringt er Hagen in akzentuierter Weise ins Spiel: Indem er Hagen erzählen läßt, wird diese Figur nicht nur

Königshaus und Siegfried, das sich aus dieser Werbung ergibt, setzt eine kausal verknüpfte Handlung in Gang, die schließlich in der Katastrophe endet. Zu den Beziehungen Siegfrieds zum Wormser Königshof vgl. Peter Göhler, Das Nibelungenlied. Erzählweise, Figuren, Weltanschauung, literaturgeschichtliches Umfeld, Berlin 1989, S. 77-112.

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geschickt (mit eigener Auftrittsszene) in ihrer spezifischen Bedeutung für den Wormser Königshof eingeführt, sondern auch bereits am Anfang des Epos in eine noch ganz ferne und zunächst unbestimmte Beziehung zum Hort gebracht. Ich halte das für ein überlegtes Vorgehen des Epikers.4 Hagens Bericht rückt die Horterwerbung durch Siegfried in den Mittelpunkt. Für diese Erzählung wendet der Epiker 13 Strophen auf (87-99). Dadurch erhält der Hort beträchtliches Gewicht. Der Drachenkampf Siegfrieds wird hingegen mit einer Strophe (100) abgetan. Und auch die Information über die königliche Geburt Siegfrieds (von der der Hörer durch die zweite Aventiure allerdings schon ein hinlängliches Bild gewonnen hat) wird von Hagen gleichsam nachgereicht (103), nachdem sich Gunther entschlossen hat, mit Rücksicht auf Siegfrieds Taten, in denen sich ein Persönlichkeitswert manifestiert, dem Gast zur Begrüßung entgegenzugehen. Hagen gibt damit eine aus dem Stand Siegfrieds abgeleitete Rechtfertigung für Gunthers Entschluß zu ausgesuchter Höflichkeit. (Das Rangproblem wird dann im folgenden Geschehen eine große Rolle spielen.) Der Nibelungenhort könnte im Munde und Denken der Zeitgenossen gewesen sein, und zwar auch unabhängig von konkreten Erzählabläufen aus dem Bereich der Nibelungensage (vgl. Reinhart Fuchs, 662). Welches Gewicht die Bindung dieses Schatzes an die Siegfriedfigur für das Publikum des mittleren 13. Jahrhunderts hatte, wird dadurch deutlich, daß Dietrich sein Zögern, gegen Siegfried anzutreten, im Biterolf (7810-7849, 8149ff) aus seinem Wissen um Siegfrieds Sieg über die Nibelungen begründet. Dieser Kampf Siegfrieds wird im Biterolf in enger Anlehnung an das Nibelungenlied rekapituliert. Horterwerbung und Drachenkampf erscheinen im Nibelungenlied zwar nebeneinander, aber ohne jegliche Verbindung. Diesbezüglich unterscheidet sich die Darstellung im Nibelungenlied von der in den nordischen Quellen wie auch von der im Lied vom hürnen Seyfrid. Die Verbindung von Drachenkampf und Horterwerb ist in der nordischen Überlieferung wesentlich und vermittelt einen mythologischen Ursprung des Hortes, von dem im Nibelungenlied und im Lied vom hürnen Seyfrid nichts mehr gegeben ist. Die Horterwerbung verleiht Sigurd in der nordischen Überlieferung außerdem eine Bedeutung als überragender Held, der Siegfried im Nibelungenlied nicht unbedingt bedürfte, da er hier anders als in der nordischen Überlieferung von vornherein der höchsten Stufe der feudalen Hierarchie zugehört. Im Lied vom hürnen Seyfrid ist der Hort mit Herkunft (ähnlich dem Nibelungenlied), Erwerbung durch Seyfrid (lose mit einem Drachenkampf verbunden, also ähnlich wie in der nordischen Überlieferung) und

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Ausführlicher zur Anlage der dritten Aventiure vgl. Göhler (wie Anm. 3), S. 10-26.

Überlegungen zur Funktion des Hortes im Nibelungenlied

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Versenkung im Rhein (mit bedeutendem Unterschied zum Nibelungenlied) präsent5 Ich erörtere jetzt nicht die möglichen Motivtraditionslinien im Sinne der traditionellen stoffgeschichtlichen Forschung, denn ich neige mehr der Auffassung zu, daß es ein breites Reservoir von Erzählmotiven sagen- und märchenhafter (auch mythologischer) Natur in variierenden Verbindungen und in großer Beweglichkeit gegeben hat Aus ihm schöpfte der Dichter zu seinen Zwecken. Er folgte dabei der Tradition, oder er ging frei mit ihr um - je nach Bedarf. Ich halte nicht viel von "Stoffzwang" und von Vorstufenrekonstruktion, da diese angesichts der lückenhaften Überlieferung meist hypothetisch, wenn nicht spekulativ bleiben müssen.6 Wesentlich ist, welches Bild aus der Aufnahme vorhandener oder der Erfindung neuer Motive und aus der Art ihrer Zusammenführung entsteht. Diesbezüglich halte ich für wesentlich, daß die Exposition der Handlung in der dritten Aventiure drei Momente zusammentreten läßt: Siegfrieds Horterwerbung mit seiner daraus resultierenden überrragenden Stellung, die Herausforderung Gunthers (d.h. in gewisser Weise des Wormser Hofs) durch Siegfried und die bedeutende, herausgehobene Stellung Hagens am Wormser Hof.7

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6 7

Damit ist die Horterzählung episch zwar nicht ins Lot, aber doch immerhin ans tradierte Ziel gebracht worden - mühsam und holprig und nicht sehr sinnvoll. Das Lied vom hürnen Seyfrid hat das Motiv also nur mitgeschleppt. Aber gerade deshalb ist ein Blick auf diese Dichtung lehrreich. Der Horterweib ist lose mit einem Befreiungsabenteuer Seyfrids verbunden worden - mit der Befreiung Kriemhilds und der Zwerge. Interessant ist, daß die Aneignung des Hortes eine Frage der Rechtmäßigkeit ist; Seyfrid nimmt den Schatz an sich, da er glaubt, daß dieser nach seinem Sieg über den Riesen und über den Drachen henenlos und damit ihm als Sieger zugefallen ist (140,7f und 165f). Bemerkenswert ist vor allem: Der Hort prägt nicht die Beziehungen zwischen den Menschen wie im Nibelungenlied, und Kriemhild tritt in keine Beziehung zum Hort (abgesehen von 166,4). Er wird noch vor Seyfrids Ankunft in Worms durch seine Versenkung im Rhein aus der Handlung herausgenommen, so daß er bei der Tötung Seyfrids keine Rolle spielen kann. Das ist im Nibelungenlied insofern anders, als zwar im Zusammenhang mit der Ermordung Siegfrieds nicht ausdrücklich vom Hoit, sondern nur vom Machtgewinn (870) die Rede ist, die Bemerkung Hagens in 774 den Hort aber bereits in den begehrlichen Blick der Burgunden (oder jedenfalls Hagens) gerückt hat. Innerhalb des Liedes vom hürnen Seyfrid ist der Hort damit eigentlich überflüssig, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß Seyfrid ihn erst an sich nimmt, dann aber wenig später mit Rücksicht auf seinen baldigen Tod wieder wegwirft. Der Hort könnte in diesem Erzählen problemlos fortgelassen werden. Die vielleicht wichtigste Funktion des Hortes im Lied vom hürnen Seyfrid besteht wohl darin, den Erzählinhalt des Liedes über den Hoit lose mit einer verlorenen liedhaften Dichtung vom Burgundenuntergang zu verbinden, auf die in 14,6-8 hingewiesen wird. Zur grundsätzlichen Bedeutung der stoffgeschichtlichen Fragestellung vgl. jedoch Göhler (wie Anm. 3), S. 27-36. Man darf aber m £ . nicht so weit gehen, von einem hier angelegten Konkurrenzverhältnis

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Nachdem die Siegfriedfigur solcherart als Herr des Hortes eingeführt ist, bleibt dieser im Bewußtsein des Erzählers und seines Publikums fortan präsent, indem immer wieder, oft mehr beiläufig, auf diesen unermeßlichen Reichtum Siegfrieds verwiesen wird: Siegfried nimmt die Tarnkappe mit ins Land Brünhilds (336).8 Die ganze achte Aventiure basiert auf Siegfrieds Herrschaft über den Hort, der in 484 ausdrücklich erwähnt wird und dessen Erwerbung ihn zum Herrn über Nibelungenland gemacht hat. Die Unerschöpflichkeit des Schatzes wird in der CFassung bei dieser Gelegenheit besonders hervorgehoben (C-506,9f). Hinter Siegfrieds Korrektur der Forderung Kriemhilds, ihre Brüder müßten ihr vor ihrer Abreise aus Worms ihr Erbe zuteil werden lassen, steht unerwähnt sein unermeßlicher Hortreichtum (691 und 694f). Am Ende der elften Aventiure bietet sich (722) dem Erzähler noch einmal die Gelegenheit, auf Siegfrieds Horterwerbung durch einen großen Kampf zurückzublicken; wiederum wird der unvergleichliche Umfang des Schatzes benannt. Von besonderem Gewicht ist die Bemerkung, mit der Hagen jene Erzählung kommentiert, die die aus Nibelungenland zurückkehrenden Boten von der Freigebigkeit Siegfrieds geben: 774 "Er mac", sprach do Hagene, "von im sampfte geben. er'n kundez niht verswenden, unt sold er immer leben, hört der Nibelunge beslozzen hat sin hant. hey sold er komen immer in der Burgonden lant!" Wieder erregt die Unermeßlichkeit des Schatzes Aufsehen, vor allem aber ist Hagens Bemerkung in der (metrisch betonten) Schlußzeile der Strophe auffallend. Denn diese Stelle hängt eigentlich in der Luft. Es ist zu diesem Zeitpunkt des Geschehens ja in keiner Weise zu sehen, daß der Schatz je nach Worms gelangen könnte. Soll man die Stelle als Ausdruck eines Neides Hagens lesen? Ein solcher Eindruck kann entstehen.9 Hagens überraschende Äußerung bereitet den Hörer auf die Ereignisse der neunzehnten Aventiure vor. Es gehört zur Eigenart des Erzählens im Nibelungenlied10, daß spätere Verhaltensweisen von Figuren (oder Problemstellungen und

zwischen Hagen und Siegfried zu sprechen. Siegfried und Hagen stehen auf zu verschiedenen Ebenen - wesensmäßig und sozial. Hagen handelt nicht aus eigenem, sondern aus Wormser Interesse heraus - jedenfalls bis zum umstrittenen Aufbruch der Burgunden ins Hunnenland. Vgl. Göhler (wie Anm. 3), S. 77-112. 8 Die Tarnkappe hat eigentlich eine vom Hort abgelöste Bedeutung. Immerhin gehört sie ihrer Herkunft nach in den Umkreis der Horterwerbung und mag den Hörer an diese frühe Tat Siegfrieds erinnern. 9 Die Fassung C akzentuiert noch stärker "hey, solden wir den teilen noch in Burgonden lant!" (C-774,4). 10 Vgl. Göhler (wie Anm. 3), S. 37-76.

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Handlungsschritte) gelegentlich durch frühzeitige, meist unmotivierte Andeutungen atmosphärisch vorbereitet werden. Dieses vorbereitende Erzählen fragt nicht unbedingt nach logischer oder psychologischer Stimmigkeit, sondern kann sich über alle logische und psychologische Wahrscheinlichkeit hinwegsetzen. Und später wird dieser Vorbereitungsstrophen in der Regel auch nicht gedacht Der Erzähler verzichtet meist darauf, zwischen diesen vorbereitenden Strophen und ihren später folgenden Bezugspunkten eine Verbindung herzustellen. Bekanntermaßen bringt die zwanzigste Aventiure mit der Werbung Etzels einen Neueinsatz des Erzählens, einen Anstoß von außen, der die steckengebliebene Handlung neu in Bewegung bringt Diese Zäsur wird in der Forschung allgemein hervorgehoben. Weniger wird dagegen beachtet, daß bereits die achtzehnte Aventiure die Handlung zu einem vorläufigen Abschluß gebracht hat, von dem aus sie sich nicht recht weiter entfalten will, und daß bereits die neunzehnte Aventiure etwas Neues zum bisherigen Geschehen beisteuert das nicht mit Notwendigkeit aus diesem resultiert. In gewisser Weise liegt also bereits hier ein Neueinsatz des Erzählens vor. Daß von der Stofftradition her diesbezüglich bestimmte Hörererwartungen vorgelegen haben, halte ich für wenig wahrscheinlich. Das begründe ich noch. Dieser Neueinsatz des Erzählens ist durch den Epiker vorbereitet worden: durch die wiederholte Erwähnung des Hortes und besonders durch die soeben besprochene Strophe 774.11 Die neunzehnte Aventiure ist inhaltlich reich. Sie beginnt mit einer Schilderung der Trauer Kriemhilds. Nach Jahren wird eine auf den Schatz Siegfrieds gerichtete Begehrlichkeit Hagens laut in die Gunther bereitwillig einstimmt (1107f). Zunächst macht sich eine Versöhnung zwischen Gunther und Kriemhild notwendig. Wie viele wichtige Handlungen wird auch dieser Schritt von Hagen angeraten. Diese Versöhnung vertieft dann später die Konfliktanlage im zweiten Teil des Epos und differenziert die Gestaltungsmöglichkeiten der Ereignisse am Hof Etzels.12 Damit ist der Weg geebnet den Hort nach Worms zu holen. Gernot und Giselher übernehmen dies. Nun aber ergibt sich eine von burgundischer Seite

11 Der Neueinsatz mit der zwanzigsten Aventiure ist hingegen nicht vorbeitet, sieht man von den Ankündigungen künftigen Leids ab, die aber keine konkreteren Vorausdeutungen enthalten. 12 Wenn der Epiker den Schatz nach Kriemhilds Entschluß, in Worms zu bleiben, automatisch nach Worms gebracht hätte - dies wäre ja ohne weiteres möglich gewesen - was hätte sich ergeben? Die gleiche Fortsetzung wäre denkbar gewesen. Warum wählt er also nicht die einfachere Variante? Die burgundische Begehrlichkeit wäre dann weniger deutlich hervorgetreten; vor allem hätte der Verzicht auf die Versöhnung dem Epiker wertvolle Möglichkeiten genommen, das Racheunternehmen Kriemhilds zu problematisieien.

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nicht vorausgesehene Wendung, als Kriemhild vermittels des Reichtums Anhänger gewinnt und damit Gefahr droht. Ob tatsächlich eine reale Gefahr gegeben ist, d.h. ob Kriemhild mit ihren Schenkungen eine konkrete Zielstellung verfolgt, sagt der Text nicht Kriemhild übt groze fugende (1127,4), wenn sie schenkt. Es sind hier nicht vordergründig Zwecke erkennbar. Bemerkenswert ist immerhin der Zuzug unkunder (C: vremder) recken (1127,1), der schon bedrohlich wirken kann. Denn diese sind - das wird allerdings nicht eigens erwähnt - Kriemhild verpflichtet und nicht in irgendeiner Weise an den Wormser Hof gebunden. Der Hörer mag Kriemhilds Hoffnung auf spätere Rachemöglichkeit (1033), mit der Kriemhild die Bereitschaft Sigmunds zu sofortigem Vorgehen gegen die Burgunden zurückgehalten hatte13, im Ohr behalten haben, so daß Hagens Reaktion hinlänglich motiviert ist. Nun wird Kriemhild auf Betreiben Hagens die Verfügungsgewalt über den Hort entzogen. Im konkreten Verlauf des Hortraubs und in der Beteiligung der Könige bleibt manches unklar. Hagen ergreift die Initiative und verwehrt Kriemhild den Zugriff zu ihrem Reichtum. Das geschieht gegen Gunthers Willen (1129 und 1131), aber ohne daß dieser ein Veto einlegt. Im unmittelbar folgenden Text fallt der Plural auf, der eine Beteiligung anderer neben Hagen impliziert (vgl. auch 1140 und 1141,2f sowie später 1742,3): 1132 Ir sumelicher eide waren unbehuot. do namen si der witwen daz kreftige guoL Da Gernot in 1132,4 zornig reagiert, kann man in 1132,lf eigentlich nur an Hagen und Gunther denken. (Später beruft sich Hagen auf seine Herren, 1742,3.) Giselher schlägt sich auf die Seite Kriemhilds und wendet sich mit scharfen Worten gegen Hagen (1133,1-3). Daraufhin gibt Gemot (wem gegenüber?) den Rat, den Schatz im Rhein zu versenken. Das tut Hagen während eilig organisierter Abwesenheit aller (auch Giselhers). Giselhers Bereitschaft zur Hilfe (1135,3f) ist wirkungslos, da sie vertagt wird. Unklar bleibt, wer am Eid, den man sich vor (!) Hagens Aktion geschworen hat (1140), um den Schatz verborgen zu halten, beteiligt ist. Auf diese Weise hält der Dichter manche Details in der Schwebe. Einerseits achtet er auf Differenzierung im burgundischen Lager, anderseits bleibt an allen Beteiligten etwas hängen. Das ist mit Blick auf das Ende nicht ungeschickt gemacht14

13 Es ist interessant, elafi der Gedanke, die Rache mit Hilfe Sigmunds auszuführen (1033,3), vom Epiker nicht wieder aufgegriffen wird. 14 Heinzle hat S. 271f (wie Anm. 2) im Anschluß an Hans Kuhn demgegenüber betont, daß das Eidmotiv mit Blick auf die Hortforderungsszene eingefügt und eigentlich sinnlos ist, wie 1739ff zeige. Vgl. aber unten Anm. 19.

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Die C-Fassung akzentuiert noch etwas stärker. Es wird betont, daß die Versöhnung um des Hortes willen arrangiert wird: "durch des hordes liebe was der rat getan" (C-1114,3). Sie wird mit valsche gefüeget (C-1115,2). Hagen hofft, den Hort allein nutzen zu können (C-l 137,4-8). Die Mitschuld Gunthers wird ausdrücklich benannt (C-1142,13f). Der Hortraub verstärkt das Leid Kriemhilds und das Unrecht, das ihr zugefügt worden ist. Ihr Konflikt mit Hagen und in abgestufter Weise mit den Burgunden erhält eine zusätzliche Dimension. 1141 Mit iteniuwen leiden beswaeret was ir muot, umb ir mannes ende, unt do si ir daz guot also gar genamen.15 Man sollte sich dabei daran erinnern, daß Machtfragen für Kriemhild keine nebensächlichen Dinge sind, vgl. etwa nur ihre Forderung der Erbteilung oder ihr Auftreten im Streit mit Brünhild.16 Diese Verstärkung der Konfliktproblematik - ob sie der Epiker nun völlig neu erfunden hat oder ob die Tradition bereits erste Anknüpfungspunkte bot - wird vom Epiker geschickt genutzt, um dem ganzen zweiten Teil der Dichtung zusätzliche Auseinandersetzungen, Sprengkraft, Farbe und Figurenzeichnung zu geben. Es sollte auch nicht übersehen weiden, daß der Epiker die Möglichkeit nutzt, das burgundische Lager auch in dieser Phase der Handlung zu differenzieren.17 Der Hortraub verstärkt das Rachebegehren Kriemhilds, ohne daß dadurch allerdings die Handlung bereits vorangetrieben würde. Dazu bedarf es noch immer des Anstoßes von außen, den die zwanzigste Aventiure bringt Damit ist der erste Teil des Epos nun wirklich zu jenem Abschluß gebracht worden, der von sich aus keine Fortsetzung hervorbringt, sondern des Anstoßes von außen bedarf.18

15 Diese Verbindung von Siegfrieds Ermordung und Hortverlust findet sich in additiver Form auch in 1259f und verstärkt in der C-Fassung: C-1743,4 und C-1744,7, was Heinzle (wie Anm. 2), S. 273f als Versuch des Bearbeiters gewertet hat, defektive Leerstellen zu bessern. 16 Vgl. Siegfried Beyschlag, Das Motiv der Macht bei Siegfrieds Tod. In: Germanisch Romanische Monatsschrift 33, 1952, S. 95-108, erneut (und ergänzt) in: Zur germanisch-deutschen Heldensage. Hrsg. v. Kail Hauck, Darmstadt 1961 (= Wege der Forschung, 14), S. 195-213. Die Strophe 1126 werte ich als Zeichen der großen Liebe Kriemhilds zu Siegfried und nicht etwa als Ausdruck einer Bedürfnislosigkeit Kriemhilds. 17 Es ist dies ein Moment, das immer wieder zu beobachten ist - im Zusammenhang mit der Ermordung Siegfrieds und bei den Beratungen ü b » Etzels Werbung und Kriemhilds Einladung. Vgl. dazu auch Beyschlag (wie Anm. 16). 18 In der Fassung C wird dieser Abschluß noch durch den Rückzug Kriemhilds nach Lorsch verstärkt (C-l 142,5-32).

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Mit der Werbung Etzels öffnen sich für Kriemhild nun neue Perspektiven. Die Möglichkeit der Rache für den Tod Siegfrieds scheint auf (1259,4); der Gedanke an den Reichtum Etzels verbindet sich mit dem Gedanken an den durch Hagen erlittenen Verlust des Hortes und läßt sie die wiederzugewinnende Handlungsfreiheit sehen. 1259,4 "waz ob noch wirt errochen des minen lieben mannes lip?" 1260 Si gedahte: "sit daz Etzel der recken hat so vil, sol ich den gebieten, so tuon ich, swaz ich wil. er ist ouch wol so riche, daz ich ze gebene han. mich hat der leidege Hagene mines guotes ane getan." Damit kommt die Handlung neu in Gang. Während der Reisevorbereitungen Kriemhilds kommt es im Beisein Rüdigers (übrigens bald nachdem der Hörer durch Kriemhilds Gedanken in 1260,4 noch einmal an den Hortraub erinnert worden ist) zu einem bemerkenswerten Zwischenfall: Kriemhild, die immer noch unermeßlich reich ist, schenkt reichlich und veranlaßt Hagen zu erneutem Griff nach ihrem Reichtum. Die Könige sind zunächst machtlos (1274), bis Gernot (nach Rüdigers tröstendem Hinweis auf Etzels Reichtum, 1275) die Öffnung der Schatzkammer erzwingt, was Gunthers Zustimmung findet. Die Verteilung an Rüdigers Gefolge kann nun erfolgen, wird aber von Rüdiger (wohl formelhaft) abgelehnt. Kriemhild nimmt schließlich zwölf Kisten voller Gold mit sich. Das Ganze ist in dreifacher Weise problematisch. Siegfrieds Hort ist doch bereits geraubt und im Rhein versenkt worden; hatte Hagen etwas übersehen? Immerhin ist in 1271,3 von Schätzen die Rede, die hundert Pferde nicht hätten forttragen können. Hat der Erzähler die Ereignisse der neunzehnten Aventiure vergessen? Das ja wohl nicht, zumal soeben in 1260 noch einmal an den Hortraub erinnert worden war. Ferner: Kriemhild wird als Frau Etzels über derart riesige Macht verfügen (mit diesem Hinweis versucht Rüdiger Kriemhild ja auch zu trösten), daß es eigenüich belanglos ist, wenn sie sich jetzt noch durch große Geschenke Sympathisanten schafft. Wozu also die Aufregung und Hagens Aktion? Und schließlich: Rüdiger wird Zeuge dieser Szene und müßte eigentlich irgendwie auf diese Offenlegung des Gegensatzes zwischen Kriemhild und Hagen reagieren. Das geschieht aber nicht. (Dies ist jedoch mehr ein Problem der Gestaltung der Rüdigerfigur und soll hier nicht weiter verfolgt werden.) Die Szene enthält demzufolge eine nicht ganz stimmige Motivwiederholung, die der Epiker offenbar wünscht und nutzt, um dem Konflikt zwischen Kriemhild und Hagen neue Nahrung zu geben und ihn spezifisch akzentuiert in die Aufmerksamkeit des Hörers einzugraben: Der Hörer wird durch diese Episode nicht nur mit dem Wissen darum in das folgende Geschehen geschickt, daß Kriemhild

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noch immer an Rache für Siegfrieds Tod denkt und endlich Möglichkeiten hierfür erhält, sondern auch mit dem Gefühl, daß der Raub des Hortes nicht der Schnee von gestern ist Während des Zwischenaufenthalts Kriemhilds in Bechelaren wird abermals an den Hortraub erinnert: 1323 Swie ir genomen waere der Nibelunge golt, alle die si gesahen, die machte si ir holt noch mit dem kleinen guote, daz si da mohte han. des wirtes ingesinde dem wart groziu gäbe getan. Am Anfang der dreiundzwanzigsten Aventiure, in der Kriemhild nun zur Aktion schreitet, gedenkt sie maniger leide (1391,4) und des Verlusts maniger eren (1392,1) durch Hagen. Es ist nicht nur vom Tod Siegfrieds die Rede. Auch die vieldiskutierte Hortforderung am Schluß des Epos wird verdoppelt und erfährt auf diese Weise eine erzählerische Vorbereitung. Das geschieht in der achtundzwanzigsten Aventiure im Rahmen der abgestuften Begrüßung der Burgunden durch Kriemhild, indem Kriemhild Hagen mit der Frage abfertigt, welchen Anlaß sie denn habe, Hagen zu begrüßen: 1739 Si sprach: "nu sit willekomen, swer iuch gerne siht. durch iuwer selbes friuntschaft so grüeze ich iuwer niht. saget, waz ir mir bringet von Wormez über Rin dar umb ir mir so groze soldet willekomen sin." Auf Hagens hohnvolle Versicherung, wenn er um ihre Bedürftigkeit gewußt hätte, so hätte er ihr aus seinem Besitz eine Gabe mitgebracht (1740), folgt Kriemhilds Frage nach dem Hort: 1741 "Nu suit ir mich der maere mere wizzen lan: hört der Nibelunge, war habt ir den getan? der was doch min eigen, daz ist iu wol bekant. den soldet ir mir füeren in daz Etzelen lant." Hagen erklärt, der Hort ruhe auf Weisung seiner Herren im Rhein, und zwar für immer. Kriemhild beklagt den Verlust des Schatzes; die C-Fassung stellt dabei eine Verbindung zwischen dem Verlust des Horts und dem Verlust Siegfrieds her: C-1743,4 "nach im und sime herren han ich vil manigen leiden tac." Auf Hagens schroffe Absage (1744), die in der Vulgata-Fassung die Szene schließt, fügt die C-Fassung noch eine weitere Rede Kriemhilds ein, mit der sie den materiellen Wert des Hortes für sich gering veranschlagt und statt dessen das generelle Leid, das ihr zugefügt worden ist, benennt: C-1744,5 "Jane rede ihz niht darumbe, deich mere goldes welle gern, ich hans so vil ze gebene, deich iuwer gäbe mac enbern.

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ein mort und zwene roube, die mir sint genomen, des möhte ich vil arme noch ze liebem gelte komen." Nach meinem Dafürhalten steht in dieser Szene nicht die Frage nach dem Hort im Sinne einer realen Rückgabeforderung im Vordergrund. Die Szene enthält eine der vielen Konfrontationen zwischen Kriemhild und Hagen, die rhetorisch und unheilverkündend geführt werden. In diesem Zusammenhang wird dann nach dem Hort gefragt Ich würde nicht sagen, daß Kriemhild hier emsthaft fragt, ob Hagen ihr etwas mitgebracht habe. Vielmehr wird gesagt (1739,2) und demonstriert, daß zwischen ihnen keine friuntschaft ist und sein kann. Der Epiker erreicht damit nicht nur eine Steigerung der Spannung, sondern er legt Feuer an den schwelenden Konflikt und bereitet den Hörer auf die Hortforderung in der Schlußaventiure vor.19 Wenig später bekennt sich Hagen vor großer hunnischer Öffentlichkeit gegenüber Kriemhild trotzig zur Tötung Siegfrieds und weiß: "ich han iu leides vil getan." (1791,4; vgl. auch aller miner leide, 1792,2). Es ist nicht ausdrücklich vom Hort die Rede. Aber leides vil meint für den Hörer sicher auch den Schatz. Die vielbesprochene Schlußszene stellt den schrecklichen und wie es scheint unabwendbaren Höhepunkt20 der Katastrophe dar. 2367 Do gie diu küneginne, da si Hagenen sach. wie rehte fientliche si zuo dem helde sprach: "weit ir mir geben widere, daz ir mir habt genomen, so muget ir noch wol lebende heim zen Burgonden komen." Do sprach der grimme Hagene: "diu rede ist gar verlorn, vil edeliu küneginne. ja han ich des geswom, daz ich den hört iht zeige, die wile daz si leben deheiner miner herren, so sol ich in niemene geben." Die Diskussion hat sich vor allem in Anschluß an diese Textstelle auf zwei Fragen konzentriert:21 Bietet Kriemhild ihrem ärgsten Feind einen Tauschhandel an, und ließe sie ihn tatsächlich gegen Gold laufen? Provoziert und will Hagen Gunthers Tod? Ich versage es mir jetzt, die verschiedenen Überlegungen, die hier geltend gemacht worden sind, zu referieren und im einzelnen zu besprechen. Joachim Heinzle hat zutreffend die Problematik der Deutungsansätze dieser

19 DaB sich Hagen in diesem Wortwechsel nicht wie dann später in der Schlußaventiure auf die Eidesbindung beruft, führe ich darauf zurück, daß wohl die Hortforderung durch Verdopplung vorbereitet werden kann, daß aber die Art ihrer Zurückweisung nicht zweimal in der gleichen Weise erfolgen kann, wenn nicht Steigerungsmöglichkeit verschenkt werden soll. 20 Vgl. dazu aber Göhler (wie Anm. 3), S. 123-140. 21 Vgl. die in Anm. 2 genannte Literatur.

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Szene dargestellt22 Ich beantworte beide Fragen mit einem eindeutigen Nein und füge hinzu: Ich halte bereits die Fragestellung für wenig glücklich; sie berücksichtigt m.E. nicht ausreichend die Eigenart des Erzählens im Nibelungenlied. Der Schluß der Dichtung enthält nicht nur diese beiden Stolperstellen, sondern eine große Zahl von Eigentümlichkeiten, die ein kritisches Nachfragen herausforderten; modern gesprochen - die Szene scheint viele "Erzählfehler" zu enthalten. Warum übergibt Dietrich die Gefangenen ausgerechnet Kriemhild, deren Haß er doch kennt, und nicht etwa Etzel? Wie sollte Hagen Kriemhild ergetzen (2355,3), was er ihr angetan hat? Dietrich geht tränenreich weg (2365) und ist dann später wieder anwesend, ohne daß sein Hinzutreten erwähnt worden wäre. An der Schlußszene nehmen Hagen, Kriemhild, Dietrich, Hildebrand und Etzel teil; haben sie Kriemhild den Mordbefehl erteilen und mit dem Kopf Gunthers auf Hagen zutreten lassen, ohne zu reagieren? Ist es vorstellbar, daß der gefesselte Hagen noch immer das Schwert Siegfrieds bei sich hat?23 Glaubt Kriemhild etwa, mit der Tötung Gunthers die Bedingung zu erfüllen, die Hagen zur Herausgabe des Schatzes veranlassen könnte? Der Text läßt den Hörer mit diesen Fragen allein - wenn der Hörer sich diese Fragen denn überhaupt stellte. Der Epiker hat das Erzähltempo ungeheuer gesteigert. Wieviel Handlung steckt nicht allein in Strophe 2369! Der Erzählerjagt das Geschehen dem letzten blutigen Höhepunkt mit rasender Geschwindigkeit zu. Er wird erreicht, als Kriemhild ihren Todfeind mit Siegfrieds Schwert das Haupt abschlägt. (Damit die Rache für Siegfrieds Tod effektvoll mit dessen Schwert erfolgen kann, muß es im entscheidenden Moment zur Hand sein. Nach Jahren tut Kriemhild nun das, was Siegfried verwehrt gewesen war, 983,3f und 986,3f.) Bei diesem Erzähltempo bleibt nicht Zeit, jenen Fragen gestalterische Aufmerksamkeit zu schenken. Und ich zweifle, ob sich der zeitgenössische Hörer hier naserümpfend verhielt. Es geht hier, wie so oft im Epos, nicht um Wahrscheinlichkeit der Details. Das wird übrigens auch kaum bestritten. Aber daraus sollte man methodisch den Schluß ziehen, auch die beiden anderen Fragen, die der Forschung so viel Kopfzerbrechen bereitet haben, bereits auf ihre Zulässigkeit zu prüfen und interpolierende Textauslegung zu vermeiden. Man muß m.E. das streckenweise skizzenhafte, andeutende und auch ambivalente Erzählen des Epikers respektieren und nicht Eindeutigkeit des Textes erzwingen wollen, wo der Text sie verweigert.

22 Vgl. Anm. 3. 23 Das wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber "so wil ich doch behalten" (2372,2) und "Si zoh iz von der scheiden, daz kund er niht erwern" (2373,1) bewirken doch diese Vorstellung.

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Mit der sogenannten Hortforderung Kriemhilds in der Schlußaventiure wird m.E. nicht im Ernst eine Möglichkeit eröffnet, dem Blutbad ein Ende zu machen - und obendrein durch die haßerfüllte (2367,2) Kriemhild und vor dem Tod ihres eigentlichen Feindes. Eine solche überraschende Wendung hätte der Epiker mit Sicherheit mit einem höheren Textaufwand offeriert, zumal sie in schroffem Gegensatz zu Kriemhilds Racheverlangen gestanden hätte. Wenn er Kriemhild in jener Weise reden läßt, dann geschieht das aus seiner Absicht der Gestaltung eines katastrophalen Schlusses und aus seinem Wissen heraus, daß er Hagen negativ reagieren läßt Streng genommen - und das ist vielleicht doch nicht ganz unwichtig - spricht Kriemhild ja auch nicht ausdrücklich vom Hort, sondern sagt: "weit ir mir geben widere, daz ir mir habt genomen [...]" Damit kann der Hort gemeint sein - Hagens Antwort zeigt dies; das kann aber auch auf den Verlust Siegfrieds und auf die Zerstörung ihres Lebens zielen. Siegfried jedenfalls kann nicht zurückgegeben werden. Also ist das Ganze nur rhetorisch? Ich verstehe Kriemhilds Rede als eine Auflistung dessen, was Hagen ihr angetan hat - nicht unbedingt agitatorisch an Dietrich zur Widerlegung von dessen Äußerung über ein mögliches ergetzen durch Hagen (2355) gerichtet34 - , als eine Rede, die das Todesurteil bereits enthält und nicht vor diesem letzten Schritt zurückschreckt. Erst Hagens Antwort engt die Fragestellung auf den Hort ein. (Ähnlich war der Dialog zwischen Kriemhild und Hagen auch in der achtundzwanzigsten Aventiure verlaufen.) Was wäre geschehen, wenn Hagen versucht hätte, sich freizukaufen? Wir stünden plötzlich einer anderen Kriemhild- und einer anderen Hagenfigur gegenüber. Man braucht diese Frage bloß zu stellen, um die Irrealität des "Angebots" Kriemhilds zu hören. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht uninteressant, daß Hagen in der C-Fassung weiß, daß Kriemhild ihm keinen Ausgleich anbietet: "Er wiste wol diu maere, sine liez in niht genesen" (C-2368,5). Der C-Bearbeiter, der im allgemeinen versucht, Kriemhild zu entlasten und in freundlicherem Licht erscheinen zu lassen25, geht hier nicht den Schritt, auch nur anzudeuten, daß Kriemhilds Angebot in 2367,4 ernst gemeint sein könnte. Daß Kriemhild hinterhältig auf eine Destruktion der moralischen Persönlichkeit Hagens zielte, ist eine mögliche Vorstellung, aber eine moderne, die nicht den Möglichkeiten mittelalterlicher Figurengestaltung gemäß ist. Man muß die enge Verbindung des Hortmotivs mit dem der Rache für den erschlagenen Gatten hervorheben. Deutlich klingt in dem Wort min holder

24 In diese Richtung gehen Überlegungen von W. Schröder, Problem der Hortfrage (wie Anm. 2). 25 Vgl. Werner Hoffmann, Die Fassung *C des Nibelungenliedes und die Klage. In: Festschrift für Gottfried Weber, Bad Homburg 1967, S. 109-143.

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vriedel (2372,3) der ungeminderte Schmerz Kriemhilds um Siegfried; und daß Hagen eben mit dessen Schwert erschlagen wird, macht unüberhörbar deutlich, wofür er stirbt Siegfried und das an ihm begangene Verbrechen sind bis zur letzten Strophe des Epos präsent, und sein Tod ist nur mit dem Untergang Hagens zu sühnen. Die ursprüngliche Intention des Dichters ging m.E. auch nicht dahin, daß Hagen es mit seiner Weigerung und dem Verweis auf den Eid etwa darauf anlegt, Gunther an Kriemhilds Messer zu liefern. Zwei Gründe veranlassen mich, so zu urteilen. Zum einen bräche damit ganz am Schluß der Dichtung plötzlich ein Gegensatz zwischen Hagen und seinem Herrn auf, von dem bis dahin auch nicht eine Andeutung zu spüren gewesen war. Einen solchen Gegensatz nun hier in den Text hineinzulesen, halte ich für verfehlt. Zum anderen interessiert den Epiker in der Regel wenig, was die Figuren denken und warum sie etwas tun. Der Epiker teilt ihre Handlungsweisen mit, ohne sie zu hinterfragen. Man geht daher m.E. über den Text hinaus, wenn man auf diese Weise Erwägungen und Emotionen der Figuren als Ursachen für wahrscheinlich doch vorgegebene Reaktionen sucht Dabei ist zu beachten, daß die C-Fassung an dieser Stelle eine Textergänzung bringt, die genau diesen Gedanken enthält: C-2368,5 Er wiste wol diu maere, sine liez in niht genesen, wie möhte ein untriuwe imer sterker wesen? er vorhte, so si hete im sinen lip genomen, daz si danne ir bruoder lieze heim ze lande komen. Von dieser Textergänzung her scheint die Forschung also genötigt, sich dieser Frage zu stellen.26 Ich halte dies für eine C-eigene Auffassung. Hagen mutiert zum valant, dem alles zuzutrauen ist und man möchte mit der Klage hinzufügen: der allez riet (1250f). An diesem Punkt geht die C-Bearbeitung einen Schritt, der ihrem sonstigen Bemühen, die künstlerische Geschlossenheit des Epos noch zu steigern, zuwiderläuft. Denn diese wird mit der überraschenden Wendung Hagens gegen seinen König doch erheblich tangiert Diese C-Strophe fällt auch insofern aus der Gestaltungsweise der Schlußszene heraus, als hier die rasche Abfolge der Ereignisse durch einen erklärenden Einschub unterbrochen wird. Es ist wohl so, daß sich die C-Fassung hier in Übereinstimmung mit der Tendenz der Klage von der Möglichkeit leiten läßt Hagen in einem besonders negativen Licht erscheinen zu lassen (vgl. z.B. auch C-l 137,4-8).

26 Diese Einfügung wird von Heinzle (wie Anm. 2) als eine Sinnunterstellung gewertet S. 274.

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Es bleibt natürlich bemerkenswert, daß die C-Fassung im Wortwechsel zwischen Kriemhild und Hagen den Ansatzpunkt für eine solche Lesart erkennt. Das bedeutet, daß man die Schlußszene so verstehen konnte, und weist uns auf ihre Ambivalenz hin. Konnte ein mittelalterlicher Hörer auch auf die Idee des Freikaufs kommen? Ich sehe dafür keine Anhaltspunkte. Daß Hagen sich gegen Gunther wendet, war hingegen - wie C zeigt - vorstellbar. Offenkundig ist die richtige Bewertung der Schlußszene nicht aus ihr allein zu ermitteln. Ich frage daher nach der Bedeutung des Hortes für die Gesamtanlage der Dichtung und versuche, die Schlußszene aus diesem Zusammenhang heraus zu verstehen. Dabei müssen die möglichen stoffgeschichtlichen Voraussetzungen, von denen der Epiker auszugehen hatte, in die Erwägung einbezogen weiden. Die Geschichte vom Untergang der Burgunden wäre ohne den Hort erzählbar.27 Die entscheidenden Linien gerieten nicht ins Wanken. Der Epiker hätte den Hort entweder ganz fortlassen oder doch mit dem Tod Siegfrieds aus dem Auge verlieren können (wie z.B. Siegfrieds Sohn); er hätte Etzels Werbung im Anschluß an die achtzehnte Aventiure in Worms eintreffen lassen können. Der Tod Siegfrieds hätte als Rachemotiv für den zweiten Teil ausgereicht. Aber wieviel Substanzverlust hätte das ergeben! Das Streben nach dem Hort bietet reichlichen Ansatz für die Thematik des Machtgewinns und -verlusts; die Versöhnung als Element und Möglichkeit der Differenzierung der Konfliktproblematik hätte sich nicht zwingend ergeben; die zweimalige Verletzung der Rechte Kriemhilds durch den Hortraub Hagens wäre entfallen. Dies macht deutlich, daß dem Hort eine wichtige, die Konflikthaltigkeit der Dichtung ergänzende und vertiefende Funktion zukommt. Der Hort trägt damit neben anderen Veränderungen auf dem Weg vom Lied zum Epos zur Gewinnung der großen epischen Form bei. Die sogenannte Hortforderungsszene ist nach übereinstimmender Auffassung der Forschung alter Motivbestand der Sage. Den Hortraub mit den sich ergebenden Folgerungen sowie die Art, wie der Hort in die Struktur der Dichtung verwoben wird, halte ich hingegen für Eigentum des Epikers. Dies war ihm ein Mittel zur Gewinnung großen und komplexeren Inhalts und großer epischer Form.

27 Vgl. die spätmittelalterliche dänische Ballade. Ihre sagengeschichtlichen Zusammenhänge erörtert Dietrich von Kralik, Die dänische Ballade von Giimhilds Rache und die Vorgeschichte des Nibelungenliedes, Wien 1962 (= Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wiss., Phil.-hist. Kl., Bd. 241/1).

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Der Anstoß für die Erfindung des Hortraubs kann von der Hortforderungsszene ausgegangen sein. Diese dürfte nach Ausweis des Atliliedes zu einer frühen Entwicklungsstufe der Sage gehören, und sie war sicher auch in Deutschland bekannt. Denn die weitgehende Übereinstimmung zwischen Atlilied und dem Nibelungenlied im Ablauf der Szene kann als Beweis für einen genetischen Zusammenhang gewertet werden: Einer ersten Forderung nach Rück- oder Herausgabe des Schatzes folgt eine erste Verweigerung unter Berufung auf eine eidliche Veipflichtung; es schließen sich erste Hinrichtung, zweite Forderung, zweite Verweigerung und zweite Hinrichtung an. Dieser Ablauf im Nibelungenlied und im Atlilied ist fast identisch und lediglich auf eine andere Figurenkonstellation übertragen.2® Tradition kann ein großes Beharrungsvermögen haben, und zwar vor allem dann, wenn eine eindrucksvolle Szene oder Handlungsfolge mit reichen Assoziationsmöglichkeiten gegeben war. Sollte jene Form des Burgundenuntergangs beibehalten werden, so mußte die Hortforderung neu begründet und im vorausgehenden Geschehen verankert werden. Da bot sich ein Unrecht, das Kriemhild im Zusammenhang mit dem Hort zugefügt worden ist, an. Der Hortraub war die glückliche Erfindung, die dazu angetan war, der Dichtung zusätzliche Dimension zu geben und das Ganze zu einem dichteren Gewebe zu verbinden. Es kann hinzugekommen sein, daß Siegfried ja bekanntermaßen Herr über einen riesigen Schatz war, der auch in nordischer Überlieferung (vgl. Edda und Völsungasagä) Ziel begehrlicher Überlegungen von Seiten der Verwandten Kriemhilds (sowohl der Mutter, als auch der Brüder) gewesen war. Auch von dieser Seite konnte der Gedanke an eine gewaltsame Aneignung des Schatzes durch die Brüder der Verwitweten entstehen, der dann zugleich eine überzeugende Voraussetzung für die tradierte und wegen ihrer Wirksamkeit schwer verzichtbare Schlußszene bildete. Von verschiedenen sagengeschichtlichen Seiten bot sich also möglicherweise der Gedanke, die Hortmotivteile durch einen Raub zu verbinden, an. Übrigens wäre evtl. noch zu erwähnen, daß ja auch die nordische Überlieferung davon weiß, daß der Hort nach dem Tode Sigurds in den Händen der Schwäger ist. Also: In dem Moment, da die Burgunden nicht mehr Opfer des goldgierigen Atli waren, sondern Opfer der Schwester wurden, kann der Mechanismus ihrer Vernichtung übernommen worden sein (freilich mit Rollentausch zwischen Gunther und Hagen und zwischen Atli und Kriemhild). Er wurde dem im Nibe28 Dabei hat die Figur des Hialli im Epos keine Entsprechung gefunden. Hialli ist für den Gang der Handlung bedeutungslos. Seine Funktion besteht nur darin, Licht auf Högni, auf dessen Mut, Tapferkeit und Standfestigkeit selbst im Tode zu werfen. Vgl. Göhler (wie Anm. 3), S. 188f.

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lungenlied dominierenden Konflikt zwischen Kriemhild und den Burgunden bzw. Hagen eingefügt Die Hortforderung als Kem jenes Untergangsmechanismus mußte neu begründet werden. Dazu diente der Hortraub, der die genetisch jüngere Erfindung sein dürfte. So erhielt die Schlußszene eine durchaus logische Anbindung ans Ganze der Komposition. Es ist daher m.E. nicht notwendig, mit Heinzle von Ungereimtheiten der Schlußszene zu sprechen: "Sobald im Laufe der Sagengeschichte an die Stelle der Goldgier des Hunnenkönigs der Rachewille der Frau als Movens der verräterischen Einladung trat, verlor die Hortforderung ihren Sinn. Indem er sie beibehielt oder wieder aufgriff, belastete der Nibelungendichter seine Erzählung mit beträchtlichen Ungereimtheiten: Kriemhild, die über lange Jahre nur dem Gedanken an Rache für die Ermordung Siegfrieds gelebt und in einer Orgie von Blutvergießen nichts anderes als Hagens Tod angestrebt hatte, soll nun auf einmal bereit sein, den verhaßten Mörder ihres geliebten Mannes gegen Herausgabe des Hortes zu begnadigen; und Hagen, der Treue, in den Schrecken der Kämpfe den Nibelungen ein helflicher trost (1526,2), soll nun auf einmal Anstifter der Ermordung seines Herrn sein."29 Ungereimt ist das Ganze nur, wenn man Kriemhilds Äußerung in 2367,3f tatsächlich als Angebot eines Tauschhandels liest. Berücksichtigt man das Gewicht, das der Hort in der Konfliktanlage des Epos (vermittels des doppelten Hortraubs) erhalten hat, so ist es nur konsequent, daß in der Schlußabrechnung seiner gedacht wird. (An Siegfried wird vermittels des Schwerts in eindrucksvoller Weise erinnert.) Und das konnte unter dem Einfluß der tradierten Hortforderungsszene in Form einer scheinbaren und rhetorischen Hortforderung erfolgen. Die Hortforderungsszene scheint brüchig zu sein, weil die Fragen, die die Erwähnung des Horts aufwirft, dazu angetan zu sein scheinen, die Handlung von ihrem Ziel zu entfernen (Freilassung Hagens?) bzw. ein völlig neues Thema anzuschlagen (wendet sich Hagen gegen Gunther?). Dieser Eindruck ergibt sich aber nur dann, wenn die Analyse allein auf der einzelnen Äußerung aufbaut, diese isoliert und die Szene nicht als Schlußpunkt einer sich steigernden Komposition sieht. Man erwäge einmal, welche Möglichkeiten der Epiker hatte. Die letzte Konsequenz der Konfliktgestaltung und die eindrucksvollste Konfliktlösung erreicht er, wenn er den Feind Kriemhilds durch ihre Hand und durch das Schwert Siegfrieds fallen läßt (und nicht etwa im Kampf mit Iring oder einem anderen Gegner). (Daher mußte Dietrich die Gefangenen auch Kriemhild übergeben.) Daß die Rache auch Gunther trifft und sich nach dem Untergang der burgundischen

29 J. Heinzle (wie Anm. 2), S, 259.

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Gefolgschaft nicht mit dem Tod Hagens begnügt, gibt dem Schluß das maximale Gewicht der Tragik und ist insofern folgerichtig, als Gunther erhebliche Mitschuld am Tod Siegfrieds und am Hortraub hatte.30 Man mache die Probe: Gunther hätte zu einem früheren Zeitpunkt fallen und Gernot hätte der letzte der Brüder sein können - die Tötung Gemots wäre dann nicht in Grenzen nachvollziehbarer Höhepunkt des Schlusses, sondern ein gräßlicher Mißklang gewesen. Wenn man unterstellt, daß der Epiker dazu entschlossen war (im Anschluß an die Tradition, die die Wandlung der Rachefabel längst und noch in der mündlichen Tradition der Liedform vollzogen hatte31), Gunther und Hagen durch Kriemhilds Hand (ob dies schon im Lied geschehen war, wissen wir nicht) sterben zu lassen, so stand er vor der Frage, wie dies zu geschehen habe. Als einfache Hinrichtung oder als Aufgipfelung der Konfrontation zwischen Kriemhild und Hagen? Diese Möglichkeit bot sich durch Rückgriff auf alles, was Hagen ihr angetan hatte (vgl. bereits Hagens trotziges Eingeständnis "ich han iu leides vil getan", 1791,4), und damit auch auf die Hortgeschichte. Der Epiker folgte damit seinem kompositorischen Prinzip, diese Konfrontation zu steigern. Auch gegen die Regeln der Wahrscheinlichkeit, die wir Späteren so gern zum (unberechtigten) Maßstab machen. Ich gebe ein Beispiel für dieses kompositorische Verfahren des Epikers. Die wirkungsvolle Szene "wie er niht gen ir uf stuont" zeigt genau dies. (Ich analysiere sie jetzt nicht im Detail.) Der Epiker läßt Hagen so agieren, daß der Gegensatz zwischen ihm und Kriemhild für alle (nur nicht für Etzel, aber das ist ein anderes Problem) sichtbar zutage tritt - mit demonstrativer Schwertgeste und dem trotzigen Bekenntnis zur Tötung Siegfrieds (1790) sowie dem Eingeständ-

30 Vgl. die Rede Pilgrims in der Klage: "[...] und ist Etzein hof mit sölher not zergangen, so hat vil iibele enpfangen Kriemhilt, diu niftel min, 3410 ir bruoder unt die recken sin. si möhte baz han getan und hete doch genesen lan Giselher und Gemot, die ir Sünden sluogen tot, 341S unde hetens die engolten, so waer sis unbescholten: wände in sluoc doch Hagene." Diese Textstelle ist aufschlußreich, da man gemeint hat, daß Kriemhild mit Gunther versöhnt sei und wegen des Hortes sterbe. 31 Vgl. die Erzählung Saxos vom Tode Knut Lawards im Jahre 1131, dazu Göhler (wie Anm. 3), S. 184f.

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nis, "ich han iu leides vil getan" (1791,4) - hier steht auch der Hortraub, der kurz vorher bei der Begrüßung der Burgunden durch Kriemhild bereits aufgerufen worden war, im Hintergrund. Diese Herausforderung wird in ihrer Unerhörtheit noch dadurch gesteigert, daß Kriemhild ungeachtet der Offenheit, mit der sich Hagen zu seiner Schuld bekennt, und ungeachtet des gewaltigen hunnischen Aufgebots, mit dem sie ihm gegenübergetreten war, ohnmächtig ist. Diese Szene bringt die Handlung nicht voran. Sie unterbricht vielmehr sogar den Gang des Geschehens und läßt die burgundischen Könige auf dem Hof der Etzelburg herumstehen (und mit ihnen Dietrich, der zu ihrem Empfang angetreten war), damit Hagen und Volker ihren Auftritt mit Kriemhild haben können. Es ist deutlich: Der Epiker ordnet sein Erzählen der Entfaltung und Steigerung der Konfrontation zwischen Hagen und Kriemhild unter. Und es stört ihn dabei nicht, daß er die burgundischen Könige vorübergehend zu Statisten im wahrsten Sinne des Wortes macht. Bedenkt man all dies, so sollte man erkennen, daß es in der Schlußaventiure um die Aufgipfelung der Konfrontation geht, in der für retardierenden Kuhhandel ernsthaft kein Platz ist. Von hier aus gesehen, wirkt auch die Schlußszene als enorm geschlossen. Dazu ist allerdings jene Steigerung des Erzähltempos notwendig. Sonst ginge diese Wirkung verloren, wenn sich der Erzähler Zeit nähme, die Details der letzten Ereignisse auszubreiten. Hier liegt m.E. ein großes künstlerisches Gespür vor. Der Hort wird mit großer gestalterischer Aufmerksamkeit in die Gesamtanlage der Dichtung eingefügt. Er ist von Anfang an vorhanden, zunächst als ruhendes Motiv, indem er im Besitz Siegfrieds dessen Stellung in der Welt markiert. Er wird sodann als Morgengabe (1116,4; 1118,4) aufs engste mit Kriemhild - auch als Zeichen ihres Verhältnisses zu Siegfried - verbunden. Nach dem Tode Siegfrieds geht der Hort auf Grund des Verlangens Hagens (und Gunthers) nach diesem Reichtum mit dem Versöhnungsversuch, mit Gewinnung von Anhang durch Kriemhild, mit doppeltem Hortraub und doppelter Hortrückforderung als wesentliches, die Handlung dynamisierendes Motiv in die epische Struktur ein. Der Hort erlangt jedoch nicht die zentrale Stellung in der Konfliktausbildung wie im Atlilied·, im Zentrum des Epos und der kausalen Verkettung seines Geschehens stehen vielmehr die Werbung Gunthers mit der notwendigen Hilfe Siegfrieds, Brünhilds Verweigerung, Siegfrieds erneute Hilfe, der Streit der Königinnen, der Tod Siegfrieds und die Rache Kriemhilds. Diese kausale Kette dominiert. Die Ereignisse um den Hort treten als konfliktverschärfende Elemente hinzu. Der Hort ist nicht ein die Handlung eigenständig vorantreibendes Motiv. Dabei kommt dem Hortraub eine besondere Bedeutung zu. Er wird jedoch erst mit einem bereits bestehenden Gegensatz zwischen Kriemhild und Hagen bzw.

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den Burgunden als Motiv möglich und sinnvoll. Auf diese Weise gelingt es dem Epiker, den zentralen Konflikt grundsätzlicher und vielschichtiger anzulegen.32 Die Hortproblematik weist verschiedene Seiten auf, ist im Rahmen verschiedener literaturgeschichtlicher Betrachtungs- und Herangehensweisen von Belang. Die stoffgeschichtliche Betrachtungsweise ist auf die im einzelnen schwer zu ermittelnden genetischen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Dichtungen orientiert und greift mit dem Hort ein Beispiel für die Beharrungskraft eines Motivs: Sofern nur der Stoff, in dem es verwurzelt ist, fortexistiert, wird es mit ihm tradiert und kann selbst dann übernommen werden, wenn es im spezifischen Erzählzusammenhang überflüssig ist.33 Es ist ein legitimes Anliegen der stoffgeschichtlichen Forschung, genetische Zusammenhänge aufzuspüren und mögliche Vorstufen im Umriß zurückzugewinnen. Fragt sie nicht primär und ausschließlich nach diesen, sondern wesentlich auch nach der Funktion tradierter Motive, so nähert sie sich der rezeptionsgeschichtlichen Fragestellung. Für diese ist nicht nur wichtig, was bei der Adaption übernommen, umfunktioniert und weggelassen wird. Für sie ist vielmehr auch belangvoll, wie einmal vorhandene, stabilisierte und dadurch zu fortdauernder Wirkung befähigte Tradition die Rezeption in neue Richtung begleitete oder sie auf neuen Wegen hemmte. Die Frage nach der Funktion des einzelnen Motivs innerhalb einer neu entstehenden Dichtungsstruktur führt schließlich zur genregeschichtlichen Problematik. Mit dem Nibelungenlied tut die Nibelungensage den Schritt zur großen epischen Form. Das Hortmotiv wird mit der Kausalkette einer Rachefabel verbunden. Damit entsteht eine komplexere epische Struktur, und das Hortmotiv erhält Anteil an der Hervorbringung epischer Breite und Differenziertheit.

32 Der Epiker sucht, findet und nutzt Möglichkeiten, Kriemhilds Rache nicht nur auf die eine Tat des Mordes an Siegfried zu gründen, sondern mehrere, länger wirkende Motive ständig präsent zu halten. Es sind dies der Tod Siegfrieds und der zweimalige Hortraub. Ergänzend tritt hinzu, daß Kriemhild die Ehe mit einem Heiden als aufgenötigte Last empfindet, vgl. 1395; 1248 und 1261f. In der C-Fassung wird in C-1396,1 diese Ehe sogar ausdrücklich als Grund für eine Rache aufgefaßL 33 So wird der Hort für das Lied vom hürnen Seyfrid und für das Volksbuch vom gehörnten Siegfried im wörtlichen Sinne zu einer Last, mit der sich Siegfried eine Weile abmühen muß, da er (mit Rücksicht auf das Publikum und seine Erwartungshaltung?) nicht in der Lage ist, den Schatz einfach liegen zu lassen. Möglicherweise ist das räetelin (1124) des Nibelungenliedes ebenfalls ein solches mitgeschlepptes und blind gewordenes Motiv.

PiÖreks saga und oberdeutsche Heldensage VON HERMANN REICHERT Verwendete Abkürzungen: Die Pidreks saga wird zitiert nach Henrik Bertelsen (Hg.), Kopenhagen 1905ff, Band, Seite, Zeile, z. B. 2,327,5. *J>s bezeichnet den Archetypus, jeweils in dem Sinn, in dem die Annahme eines solchen im Kontext nahegelegt wird. Auch die sonstigen, seit Bertelsen üblichen Abkürzungen und Zitierweisen werden aus dieser Ausgabe übernommen bzw. in Anlehnung an sie gebildet; insbesondere: Mb für die Stockholmer Membran der Pidreks saga und Mbl bis Mb5 für deren Schreiber; Is = Isländische Handschriften (A, B) der Pidreks saga (*Is deren Archetypus); Sv = Schwedische Fassung der PiÖreks saga. Zitiert nach: Sagan om Didrik af Bern. Hrsg. v. Gunnar Olof Hyltén-Cavallius, Stockholm 1850 (Sämlingar utg. af Svenska Fomskrift-sällskapet Heft 14,15,22 = Bd. 10). Zitierweise: Kapitel, Zeile nach Hyltén-Cavallius. Mit Sv meine ich den von Hyltén-Cavallius (meist nach SvA) hergestellten Text.

Welches Bild können wir uns von Entstehungsweise, Quellen und Parallelberichten der PiÖreks saga machen, und wie kann darüber hinaus unsere Vorstellung von dem sein, was an verlorener Literatur oder an mündlicher Tradition von Heldensagen im 13. Jahrhundert in ihrem literarischen Umfeld existiert hat: welche Stoffe, welche Gattungen, in welchem Medium, von und für welche Sozialschichten? Ein Teil der Antwort muß aus einer Untersuchung der PiÖreks saga selbst kommen. Ich habe zu zeigen versucht: unterschiedliche Stilzüge in der PiÖreks saga (ζ. Β. t»etleifr mit oder ohne Beiname Danski) lassen annehmen, daß eine Mehrzahl schriftlicher deutscher Quellen wahrscheinlicher ist als eine einheitliche deutsche Vorlage; diese deutschen Quellen, kann man weiter vermuten, waren allerdings, wenigstens zum wesentlichen Teil, nicht unabhängig voneinander tradiert, sondern wurden als zusammengehörig empfunden.1 Der andere Teil der Antwort muß aus der Untersuchung dessen kommen, was in Deutschland an Heldensagentraditionen belegt ist. Eine wichtige Teilfrage, die nach der Landschaft, in der wir die meisten literarischen Beziehungen zur PiÖreks saga feststellen können, ist nicht leicht zu beantworten. Oberdeutsches scheint zunächst in der PiÖreks saga kaum eine Rolle zu spielen. Die Beziehun-

1

Vgl. Verf., Heldensage und Rekonstruktion. Untersuchungen zur Thidreks saga, Wien 1992 (= Philologica Germanica 14).

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gen zu anderen Zentralräumen deutscher Kultur, nämlich Sachsen und Franken, sind auffälliger.2 In der Piöreks saga selbst, 2,327,14ff., wird für den Niflungenuntergang auf Erzählungen deutscher Männer aus Soest verwiesen, die Lokalberichte enthielten, sowie auf Erzählungen von Männern aus Bremen und Münster und auf Vorzeitlieder in deutscher Sprache. Diese Passage bieten sowohl Mb als auch Is (Sv, die schwedische Übersetzung von Mb,3 hat 1,339,25 "böker äff scripne" daraus gemacht, während zuvor 1,339,18 das "sva segir {jyöeskir menn at engi orrosta [...]" von Mb4 2,327,5 als "thz ssgia tyske men ath ekke haffuer större stridh warit [...]" überlebt hat). Diese berühmte Quellenreferenz der Piöreks saga ist umstritten, denn sie könnte vielleicht in die fertige Piöreks saga, allerdings dann schon in *I>s, eingebaut worden sein, und muß daher nicht unbedingt Auskunft über die Entstehung von Niflungenteilen der Piöreks saga, insbesondere des Niflungenuntergangs4 oder gar der ganzen Piöreks saga geben. Der andere Teil ihrer Aussage, daß es sowohl Erzählungen deutscher Männer (aus Soest bzw. Bremen und Münster), die nach Skandinavien, insbesondere Norwegen, kamen, als auch deutsche Lieder aus dem Bereich der Nibelungensage gegeben haben muß, von deren Existenz man dort wußte, ist dagegen nicht anzweifelbar. Noch weniger helfen können uns die Worte des isländischen3 Prologs der Piöreks

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Die interessanten literarischen Beziehungen der PiOreks saga zur außerdeutschen europäischen Literatur, die die Forschung der letzten Jahrzehnte immer deutlicher werden ließ, können bzw. brauchen hier nicht mit behandelt zu werden. Über das Verhältnis von Sv zu Mb vgl. Verf. (wie Anm. 1), insbes. S. 28. Diese Formulierung ist genauer, als es 'zu den Quellen der Niflunga saga' wäre, denn die Überschrift "haer hefir vpp sagù Niflunga [...]" findet sich schon 2,258,3ff-, vor dem 'Zank der Königinnen' und Sigurds Tod; vom Niflungenuntergang ist dieser Teil der Saga getrennt: einerseits durch einen Einschub, der unter anderem die rätselhafte 'dritte Version vom Tode des Osantrix' und das Ende von Isung, Fasold und I>etleifr sowie Ostancia enthält, anderseits durch eine wichtige inhaltliche Divergenz: 2,258ff. treten zuerst nur Gunnar und HQgni neben Sigurd auf, dann, ab dem Mordrat, auch Gernoz, während Gilser zwar schon in der 'Herkunft der Niflungen' (in der Aldrian- Fassung 1,322,4 nach Mb3 und 1,351,8 nach Mb2; in der Irung-Fassung Mb3 1,323,16) vorkommt, aber dann erst wieder ab der Werbung Attilas um Grimhild. Daß 2,433 Is Gilser statt Gemoz nennt, den Mb dort richtig hat, ist sicher sekundär, nicht aus *Ps und hier daher irrelevant Sv besitzt zwar Kürzungstendenzen, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß, das ein Weglassen des Prologs bedeuten würde, und stimmt gerade an ihrem Anfang sehr gut zu dem leider nicht in Mb, aber in Is erhaltenen Sagatext, der durch dieses Zusammenstimmen von Is und Sv auch für Mb erschließbar ist. Daher ist anzunehmen, daß Mb dort begonnen hat, wo auch Sv beginnt, nämlich mit Dietrichs Vorfahren. Ein Indiz für nachträgliche Hinzufügung des Prologs ist auch, daß die Inhaltsangabe des Prologs teilweise nicht zur Saga stimmt. Da die Fassung mit Prolog nur in dem durch die isländischen Hss. repräsentierten Zweig erhalten ist, spreche ich der Einfachheit halber im Zusammenhang mit dem Prolog von 'Island', 'isländisch' usw., im Zusammenhang mit der Quelle von *Is von 'Norwegen' usw., obwohl z. B.

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saga, "l'esse sagha er ein af frìm staerstum s0ghum er gerfuar hafa verit j J)yverskri tunnghu er sagt er ftaa Pidreki kongi og hans k0ppumm Sigurdi Fabnis baña og Niñunghum Villtina monnum og morghum audrum kóngum og k0ppum er koma vid J)essa s0ghu" (1,1,6ff.6): das muB nicht heißen, daß die Saga als Ganzes und als Solches schon in Deutschland existierte, bevor sie nach Skandinavien kam. Denn schon im nächsten Absatz wird klar, daß mit saga pessi die Erzählinhalte, kein spezielles Werk gemeint waren: die Worte "Norraener menn hafa samann faert nockurn part s0ghunnar, enn sumt med kvedskap" werden am leichtesten dann sinnvoll verstanden, wenn man sie auf den mit Prosa durchmischten Liederzyklus bezieht, den wir im Codex Regius der Liederedda erhalten haben.7 Saga kann hier also sehr viel bedeuten, insbesondere anscheinend einen ganzen Sagenkreis, ohne ein in einem bestimmten Wortlaut und mit klarem Anfang und Ende überliefertes Werk bezeichnen zu müssen. Ganz wenig hilft der so markante Satz l,2,13ff. (nach A) "jjesse sagha er samansett epter s0gn jjydskra manna, enn sumt af {)eirra kuaedum er skemta skal rikumm monnum og fornort voro J)egar epter titundum sem seiger j gessare s0ghu." Der Glaube, die Lieder seien unmittelbar nach den historischen Ereignissen verfaßt worden, scheint uns für das Island des 13. Jahrhunderts naheliegend, obwohl wir ihn nicht teilen; samansett epter s0gn, das auf mehrere Teilquellen hindeutet, wird in seinem Wert gemindert durch B, das sett (fier sogu hat.8 Mir ist an dieser Stelle nicht wichtig, ob *Is samansett und s0gn oder sett und sogu hatte, sondern daß ein Abschreiber das eine gegen das andere austauschen konnte. Das heißt vielleicht, daß die Differenzierung zwischen diesen beiden Möglichkeiten damals nicht dasselbe Gewicht hatte wie heute und/oder man schon um 1250, der

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8

*Is auch eine in Norwegen geschriebene und nach Island transportierte Handschrift gewesen sein könnte und daher 'Island/Norwegen' usw. am Platze wäre. Genau genommen, könnte man differenzieren: Unterschiede zwischen A und Β bedeuten Abweichungen mindestens einer der beiden Hs. von *Is und müssen auf Island entstanden sein; der Prolog und damit *Is ist sehr wahrscheinlich erst auf Island entstanden; ein nicht notwendig anzusetzendes, aber mögliches **Is könnte (vor der Hinzufügung des Prologs) in Norwegen oder auf Island entstanden sein; *t>s ist wohl in Norwegen entstanden. Im Text verzichte ich jedoch auf diese Differenzierung, denn der Argumentationsgang vorliegender Untersuchung wird davon nicht berührt. l,6ff. Hier nach A zitiert "J)ath er fyrst fra Sigurdi ath seigia Fafnisbana Volsunghum og Niflunghum og Welent [...]" heißt nicht, daß die dem Prologschreiber bekannte Fassung mit diesen Liedern in dieser Reihenfolge begonnen haben muß; "J)ath er fyrst ath seigia" heißt hier wohl 'insbesondere' (anders, nämlich mit 'zuerst', übersetzt Fine Erichsen, Sammlung Thüle Bd. 22, S. 61). A ist bekanntlich im großen und ganzen zuverlässiger als B, aber es gibt auch viele Stellen, an denen A offensichtlich geändert und Β den ursprünglichen Text erhalten hat. Wo A und Β die einzigen Textzeugen sind, also weder Mb noch Sv zur Kontrolle dienen können, ist daher auf Grund des Stemmas allein keine Entscheidung zu Gunsten von A oder Β möglich.

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möglichen Entstehungszeit von *A (Brœôratungubôk?) und *B (Austfjaröabök?), nicht mehr genau wußte, welche der beiden Möglichkeiten zugetroffen hatte (sofern man nicht einen Fehler erst von A oder Β annimmt). Auf jeden Fall treten zu der Erzählung/den Erzählungen die für alt gehaltenen Lieder, die an den Höfen, aber nicht nur dort, vorgetragen wurden und allgemein bekannt waren. Ob diese Lieder aber, die auf Island näher bekannt waren (wie die im Prolog folgenden Ausführungen über die Struktur dieser Lieder zeigen), Parallelquellen von *I>s oder Parallelüberlieferungen zu *f»s waren, dürfen wir dem Prologtext nicht entnehmen wollen. Wir können annehmen, daß die genannten Stellen des Prologs die auf Island im 13. Jahrhundert gängige Anschauung von der Heimat und Traditionsweise dieser Lieder treffen, auch wenn das, was im eigentlichen (wohl aus Norwegen stammenden) Sagatext zu den Quellen des Niflungenuntergangs gesagt wird, Anregung für den Prologschreiber gewesen sein mag, auf diese Fragen einzugehen. Die Eddaprosa Frá dauöa SigurÖar nennt pyöverscir menn, die über Sigurds Tod berichten, und zeigt mit dieser Quellenangabe dieselbe Vorstellung wie die Piöreks saga vom Verlauf des Traditionsstromes von Nibelungensagen nach Skandinavien im allgemeinen, und vor allem, wie man ihn im 13. Jahrhundert einschätzte. PiSreks saga, Prolog und Eddaprosa stimmen überein im geographischen Horizont ihrer Quellenlokalisierungen, der Deutschland, bzw. in der Piöreks saga genauer, die nördlichen Teile Deutschlands, abdeckt. Dazu kommen im Prolog noch Dänemark und Schweden als Länder, in denen Heldensage lebt (sie werden aber nicht als Herkunftsländer von Gewährsleuten oder Quellen der Piöreks saga bezeichnet). Das stimmt mit dem überein, was wir aus den sonstigen bekannten vor allem leider indirekten Zeugnissen von Heldensage wissen; ausgenommen vielleicht, was Dänemark betrifft: wir würden uns nicht wundern, wenn dieses auch unter den Quellenländern fungierte; eine aus der Piöreks saga herausgesponnene Quellenlokalisierung hätte wegen der Lokalisierung, die f»etleif- und Wielandsage erfahren, Dänemark mit guten Gründen aufnehmen können. Anderseits darf uns die Tatsache, daß dies nicht geschehen ist, nicht so sehr verwundern, daß wir eine eigene Erklärung dafür suchen, sprich: eine Hypothese darauf aufbauen müssen. Für sächsisches Gebiet, das in der Piöreks saga und bei Saxo Grammaticus als Land von Heldenliedern auftritt, können wir die im Prolog angesprochene soziale Gruppe (Vortragende an Fürstenhöfen) noch durch Zeugnisse aus der Personennamengebung erweitern: ζ. B. die Berichte über den (rätselhaften) Tanz von Kölbigk (Diözese Halberstadt) nennen unter den Namen der Teilnehmer einen

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Theodericus und einen Hildebrandus (Bericht Π9) bzw. Thiederic und Amelrich (Bericht ΙΠ10). Die Diskussion über den Realitätsgehalt dieser Berichte interessiert hier nur insofern, als die Namen der Tänzer jedenfalls die Namengebung der unteren, also illiteraten Sozialschichten widerspiegeln, die Heldensage oder zumindest Grundkenntnisse ihrer Stoffe, und zwar insbesondere des Dietrichstoffes, auch dort anzusetzen ist. Insbesondere 'Hildebrand', das nach Schiaug11 als Personenname altsächsisch selten ist, muß Heldensagenreferenz sein, während 'Dietrich' allein, ohne Verbindung mit anderen Heldensagennamen, auch Nachbenennung nach irgendeinem anderen Dietrich sein könnte. Die Namen der Mönche in Korvey, Merseburg, Hersfeld usw. überschneiden sich recht deutlich mit denen des Personeninventars der Heldensage; die Sozialschicht, der sie vor dem Eintritt ins Kloster entstammten, ist allerdings oft nicht feststellbar. Heldensage, insbesondere Dietrichsage, ist, folgert man aus den Namen insgesamt, in Sachsen bei allen Sozialschichten bekannt und beliebt gewesen.12 Daß der Prolog eigens auf die Fürstenhöfe verweist, könnte den Zweck haben, die Verbreitung dieser Sagen in hohen Sozialschichten des Ursprungslandes zu dokumentieren (eine konnotative Bedeutung 'im [vorbildlichen] Deutschland nimmt man diese Lieder so wichtig, also sollt auch Ihr entsprechend ehrerbietig [...]' oder auch andere konnotative Bedeutungen sind denkbar). Im Sagatext kommt weifisches Gebiet durch Jarl Iron af Brandinaborg zu Ehren; daß er zu einem Sohn von König Artus gemacht wird, bedeutet zwar im Kontext der PiÖreks saga, in der Artus eine eher lächerliche Rolle spielt, keine so große Ehre, wie das etwa im Kontext einer Riddarasaga bedeutet hätte, aber immerhin: der Bezug ist gegeben. Ein Heldenlied über Jarl Iron hat aber wohl noch nie jemand angenommen. Das zeigt, daß mit den Liedern, auf die sich Saga und Prolog berufen, nicht alle norddeutschen Elemente gemeint sein können, die der PiÖreks saga zugrunde liegen. Die Heldenlieder, die uns für sächsisches Gebiet bezeugt werden, waren außerdem in ihren geographischen Angaben wohl ebenso sparsam wie das Hildebrandslied oder die AtlaqviÖa; die zwar chaotische, aber scheingenaue Art, wie die PiÖreks saga lokalisiert, ist in dieser ganzen Gattung nicht zu erwarten. Das räumliche Gerüst der PiÖreks saga (bzw. die Teile, aus denen es zusammengeflickt ist) muß Traditionen entstammen, die darauf Wert legen, politisch wichtige

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Vgl. Emst Erich Metzner, Zur frühesten Geschichte der europäischen Balladendichtung. Der Tanz in Kölbigk, Frankfurt 1972 (= Frankfurter Beiträge zur Germanistik 14), S. 43. 10 Vgl. Metzner (wie Anm. 9), S. 47. 11 Vgl. Wilhelm Schiaug, Die altsächsischen Personennamen vor dem Jahre 1000, Lund 1962 (= Lunder germanistische Forschungen 34), S. 108. 12 Die Zeugnisse aus der Namengebung können dabei natürlich nur für die Stoffe, nicht für Gattungen oder Vortragsweisen in Anspruch genommen werden.

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Orte durch schriftlich festgelegte Heldensagenlokalisierungen zu legitimieren. Da sind von vornherein keine klaren Prioritäten zu erwarten: wenn um 1200 etwa eine Soester und eine Passauer Tradition der Nibelungensage nebeneinander bestanden haben sollten, würden die namens der Auftraggeber tätigen Verfasser ohne Skrupel beliebte Motive der 'gegnerischen' Tradition in ihre eigene eingebaut haben. Daß die Passauer Tradition durch das Nibelungenlied einem stärkeren 'Modernisierungsschub' ausgesetzt war als die *Soester, bedeutet nicht, daß die *Soester Tradition (sofern es sie gegeben haben sollte13) in die PiÖreks saga aus einer vor 1200 entstandenen Hs. übernommen worden sein müßte. Doch da die Quellen der Teile der PiÖreks saga, die die Nibelungensage enthalten, nicht für das Gesamtwerk repräsentativ sein müssen, werde ich sie in einer anderen Publikation genau behandeln und gehe hier nur so weit wie nötig auf sie ein. Fränkisches, insbesondere rheinisches Gebiet ist, von den Schauplätzen her gesehen, in mehreren Abschnitten der PiÖreks saga wichtig. Auch der Aufbau der PiÖreks saga wird am ehesten mit dem 'Anhang zum Heldenbuch' verglichen, in dem "die Verbindung mit dem Land um Köln, Aachen, Worms und Mainz deutlich erkennbar"14 ist. Obwohl aus verschiedenen Sagentraditionen, haben die hier angesiedelten Berichte in der PiÖreks saga gemeinsam, daß die geographischen Vorstellungen entweder nicht der Realität entsprechen (die Mosel mündet ins Meer, Donau und Rhein fließen zusammen13, ein Olivenbaum, der nach Mb bei Drekanflis wächst, wird dort, auch wenn es nicht Drachenfels am Rhein sein sollte, schwer zu finden sein16) oder blaß und nichtssagend sind (Reich König Salomons usw.). Das läßt sich auf zweierlei Weise deuten: entweder die fränkische Schicht ist der PiÖreks saga nur sehr indirekt vermittelt zugekommen, und/oder die Lokalisierung in Franken wurde nur sehr oberflächlich und schlampig Geschichten anderer geographischer Herkunft aufgepfropft (was man etwa für die 'Rabenschlacht' an der Mosel annimmt). Wo rheinische Dichtungen mit der PiÖreks saga Gemeinsamkeiten aufweisen, wie der König Rother, ist nicht ausgemacht, daß die rheinische Fassung ohne Umwege Richtung PiÖreks saga wanderte. An einem Beispiel des König Rother läßt sich das zeigen:

13 Die Soester Version (Lokalisierung) muß nicht unbedingt einer Soester literarischen Tradition entnommen sein. 14 Roswitha Wisniewski, Mittelalterliche Dietrichdichtung, Stuttgart 1986 (= Sammlung Metzler 205), S. 91. 15 So und nicht anders ist "fear sem saman kem dúná oc rin" zu übersetzen; die PiÖreks saga denkt an das Zusammenströmen zweier Flüsse, nicht an die Mündung eines Flüßchens in den Rhein. 16 Dieses Beispiel ist wegen der abweichenden Überlieferung in Is nicht ganz sicher, doch ist die lectio difficilior Olivenbaum' immerhin die wahrscheinlichere. Darüber unten S. 247f.

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Rother 1640 schlägt Âsprian den Kämmerer Konstantins. Die Stelle ist in zwei Hss. erhalten. In der alten (noch 12. Jahrhundert) rheinfränkischen Haupths. H lautet sie: Vnde scloc ime einin orsclac Daz eme der köpf alzo brach. Das junge (2. Hälfte 13. Jahrhundert) bairische Fragment E dagegen hat statt "Daz eme der köpf alzo brach" die interessante Lesart "Daz er schiere nider lach". In der PiÖreks saga schlägt Asplian König Konstantin den Schlag (Mb3 2,81,8; ähnlich Is, Blattverlust in Mbl): "oc laust viö œyra milio konungi sua at han fell t>£gar isvima." Die Lesart der jungen bairischen Hs. des Rother entspricht also der PiÖreks saga. Dieser Beleg zeigt: Wenn Werke, die vermutlich auf rheinische Quellen zurückgehen, oder Heldensagenüberlieferungen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, die rheinische Lokaltraditionen (z. B. Nibelungenhort, Kriemhildsteine) verarbeiten17, zur PiÖreks saga passen, heißt das nicht, daß der PiÖreks saga unmittelbar rheinische Quellen vorgelegen haben müssen. Die Übereinstimmung der PiÖreks saga mit einer bairischen Hs. des 13. Jahrhunderts ist allerdings nur ein Indiz für entsprechende Traditionszusammenhänge, kein Beweis, da E zufällig auch Altes bewahrt und H geändert haben könnte. Doch wird man nicht ohne Notwendigkeit die Lesung einer guten alten Hs. für sekundär gegenüber der einer jungen Bearbeitung annehmen, also ist das Indiz brauchbar. Aus welchen Gründen oder Zufällen auch immer: auch Gebiete, die unter den Schauplätzen der PiÖreks saga kaum vorkommen, müssen in die Untersuchung ihrer Traditionszusammenhänge einbezogen werden.

17 Insbesondere der Hürnen Seyfrit, der sicher regionale Traditionen enthalt, und in dem die Erwerbung von Seyfrits Hornhaut mehr der PiÖreks saga entspricht als dem Nibelungenlied·, in zweiter Linie die Darmstädter Hs. η des Nibelungenliedes, die in der Namensform Herch für die verstorbene Gemahlin Etzels zur Piöreks saga stimmt (vgl. dazu Peter Göhler, Bemerkungen zur Überlieferung des Nibelungenliedes. In: 3. Pöchlamer Heldenliedgespräch. Die Rezeption des Nibelungenliedes, Wien 1995 [Philologica Germanica 16]) und, was ich darüber hinaus in einem mir von Herrn Göhler dankenswerterweise (noch unkorrigierten und daher im genauen Wortlaut von ihm nicht verantworteten) zur Verfügung gestellten Vorausexemplar seiner Transkription von η entdeckte, auch mit der Motivierung der Einladung: die Altersschwäche Etzels, lügt Kremhylt η 19,4: "König Etzel wer verscheden sin helff wer gar kranck" entspricht 2,281,9: "Attila konungr er nu gamall oc t>ungferr at styra sinu riki". Jürgen Vorderstemann, Eine unbekannte Handschrift des Nibelungenliedes in der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt In Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 105, 1976, S. 121, nennt die Motivation der Einladung in η 'eigenartig', ohne den Zusammenhang mit der PiÖreks saga zu erkennen.

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In Süddeutschland sind die Schauplätze noch spärlicher als in Franken und die Geographie um nichts besser: KÖrekr reitet auf seiner Heimkehr 2,334,14 von Susat nach Bern den Westweg zum Mundiagebirge (den Alpen; also zum St. Bernhard?) und kommt dabei, Städte vermeidend, nach mehrtägigem Ritt nach Bakalar, wo er Rodingeirs Tod beklagt. Bakalar muß Pöchlam in Niederösterreich sein; auch Heinz Ritter-Schaumburg ist es nicht gelungen, bei Berg am Rhein einen Ort Bakalar ausfindig zu machen. Aus unserer Sicht tat der Autor gut daran, PiÖrekr Städte vermeiden zu lassen1*; er hätte sonst noch mehr Schwierigkeiten gehabt, einen Weg, der eher zu dem der Nibelungenklage paßt (von Etzelnburc westwärts kommt man tatsächlich in einigen Tagen nach Pöchlam), mit der 'Soester Version' der Nibelungensage zu verbinden, in der zumindest Bakalar und RoÖingeir junge Zutat, ohne Rücksicht auf die Geographie, sein müssen. Doch sehe ich die Probleme nicht so sehr in der Lokalisierung, die immer wieder aufgerollt wird, weil sie auch für Laien interessant wirkt. Translations von Herrschaft sind den Mediävisten bekannt; Aachen als nova Roma Karls des Großen könnte als Ausgangspunkt für Schauplatzveränderungen der Dietrichsage vielleicht eher mit Gewinn herangezogen werden als Trier, das tatsächlich Sitz römischer Kaiser war, und deshalb von Heinz Ritter-Schaumburg für das 'Rom' der PiÖreks saga in Anspruch genommen wurde. 'Neue' Roms und Trojas gibt es im Mittelalter mehrere; auch ein 'Neues Verona' oder 'Pseudo-Alt-Verona', abgeleitet von der Dietrichsage, wäre nicht erstaunlich. 'Verwechslung' des Helden mit einem lokalen Namensvetter (bzw. umgekehrt), das Modell, mit dem Ritter-Schaumburg arbeitet, ist nicht das adäquate Modell dafür. Faktum ist, daß zwischen Franken und Norditalien bzw. den Alpen kaum Ortsnamen genannt werden. Die Ausnahmen sind spärlich, und zwar haben wir an oberdeutschem geographischem Gut: Die Identifikation von Bakalar mit Pöchlarn, die wir für gesichert halten,19 die Lokalisierung von Brynhilds Gestüt in Schwaben (so nur A in 1,38,11; die Wörter 'in Schwaben' stehen nicht in Sv), Jarl Elsungs schwäbische und ungarische Hilfstruppen (1,28,17; Sv hat hier 8,43 auch Baiern und torkeren; nach Hyltén-Cavallius sollen letztere die Türken sein), die erst knapp vor den erhaltenen schwedischen Hss. am Horizont europäischer Kultur auftauchen Die schwäbische Herrschaft Boltrams und Reginbalds (l,32f.)

18 "Ok secki fara Jjeir iborgir", 2,334,16. 19 Ein Dietrich Boykeler in Berg am Rhein um 1300 war möglicherweise baccalaureus (würde ich am ehesten vermuten), aber keinesfalls aus einem Ort *Bakalar, der einerseits wichtig genug gewesen sein soll, Maikgrafenresidenz zu sein, anderseits unbedeutend genug, daß dieser Ortsname als solcher nirgends belegt ist (außer eben in Pöchlam).

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Des gefoppten Königs Nordung Reich ist Schwaben in Mbl, Mb3 und Is, also ist Schwaben fester Bestandteil der Osantrixsage beider Versionen; allerdings nicht Herrschaftsbereich des Sagenhelden, sondern einer Nebenfigur, auf deren Kosten gelacht werden darf. Den Tod Dietrichs in Schwaben, den Sv 303,4ff. berichtet, hat Sv höchstwahrscheinlich selbst hinzugefügt, nicht aus Mb (deren Schlußteil Sv noch vorlag, uns aber leider verloren ist) entnommen. Dieser deutlichen Aussparung oberdeutschen Gebietes entsprechend, hat man daher oberdeutsche literarische Quellen im Zusammenhang mit der PiÖreks saga nur zurückhaltend untersucht. Man leitet die PiÖreks saga aus nicht erhaltenen, sondern nur aus Reflexen erschlossenen niederdeutschen Heldensagenzeugnissen her und diskutiert nur innerhalb dieser Theorie Details; z. B. die Art der Wanderung nach Skandinavien, ob als mündliche Einzellieder und Einzelerzählungen, die dort erst verschrifüicht wurden, oder als mehrere schriftliche Quellen, die dort zusammengefügt wurden, oder als fertige niederdeutsche Quelle, die dort nur übersetzt und vielleicht mit einigen Erklärungen für nordisches Publikum versehen wurde, und ob wir uns die Wanderung, via Hanse, direkt von Niederdeutschland nach Norwegen oder via Dänemark vorstellen sollten, und ob, falls man Übersetzung von Teilquellen annimmt, vielleicht manche Teilquellen unabhängig von einander mehr als einmal übersetzt wurden.20 Als 'Quellen' scheinen die Gestalter von Heldensage, im Norden wie in Deutschland, nicht nur Heldenlieder aufgefaßt zu haben, sondern auch ganz andere Textsorten: von 'Erzählungen deutscher Männer', wie sie die PiÖreks saga nennt, bis zu dem mündlichen Bericht eines Innsbrucker 'Fremdenführers' über das Grab Heimos/ Heimes, der sich in einem in die Chronik Albert von Stades aufgenommenen Itinerar von Rom nach Dänemark widerspiegelt21 Der Bericht vom 'Riesen' Heimo in Wilten bei Innsbruck ist echte Lokaltradition und nicht nur aus der Namensgleichheit herausgesponnen, also eine deutlicher faßbare Größe als etwa die aus dem Itinerar des Abtes Nikulás von í»verá erschlossenen Heldensagentraditionen in Knetterheide, Wilflinsburg und Luna.22

20 Der Verf. hat seine Ansichten darüber in Heldensage und Rekonstruktion (wie Anm. 1), insbesondere S. 30ff., niedergelegt. 21 Vgl. darüber Verf., Heime in Wilten und in der Thidrekssaga. In: Studien zum Altgermanischen. Festschrift für Heinrich Beck. Hg. von Heiko Uecker, Berlin/New York 1994 (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 11), S.503-512. 22 Nikulás' Wissen über Wilflinsburg entspricht den historischen Tatsachen und er hat es sich wohl schon vor seiner Reise zu Hause angeeignet, nicht erst unterwegs erfahren; sein Wissen über Luna entspricht nicht den historischen Tatsachen, auch nicht denen der Heldensage, aber ist durch eine Entstellung bzw. Verwechslung von historischen Tatsachen und Sage erklärbar (Luna wurde von den Söhnen Ragnars heimgesucht, während dieser gerade in England den

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Während uns aus und für Sachsen Heldenlieder klar bezeugt sind, standen in oberdeutschem Gebiet die Traditionen von Heldensagen und die Traditionen, die sich für nordeuropäische Kultur interessieren, von Anfang an in heterogensten Kontexten: das St Gallener ABCdarium Normannicum ist ein Zeugnis für klösterliches Interesse an der kuriosen Runenschrift; Heldensagennamen bezeugen Heldensage (in St. Gallen schon 786 "Heimo et filia ejus Suanailta"23). Gemeinsam ist den vielen oberdeutschen Zeugnissen das Stoffgebiet, nicht die Form. "Semper ille Attalam, semper Amalungum et cetera id genus" haben Gunther von Bamberg (1057-1065) nach der Meinung des Domschulmeisters Meinhard interessiert, und Meinhard spricht, nach Carl Erdmanns überzeugender Deutung, dieselben Dichtungen in einem anderen Brief als fabulis curialibus an, durch die (neben den Polstern) Gunther von der Augustinus-Lektüre abgehalten wird. Also die Figuren Attala und Amelung, und die Geschichten von ihnen, nicht Lieder von Amelung usw. haben interessiert. Diese Formulierung ist sicher Zufall, aber trifft trotzdem den Nagel auf den Kopf. Die Unterschiede in Länge, metrischer Form und Werkstruktur innerhalb der deutschen Heldensage sind enorm; auch innerhalb der Großepik (auch wenn man die Überlieferung in lateinischer Sprache ausklammert). Die Stoffe interessierten an und für sich und haben anscheinend jede neu gebotene Lebensweise angenommen; neue Gattungen, Überlieferungstechniken und Medien wurden alsbald usurpiert. Eine vorherrschende Gattung 'Dietrichroman', in der Dietrich gelebt hätte wie Artus in Deutschland (nicht in seiner Heimat Westeuropa) im wesentlichen im Artusroman, gab es nicht Die Unmöglichkeit eine communis opinio in der Quellenfrage zustandezubringen, kann bei fast gleichbleibender Quellenlage (nur die Nibelungenlied-Hs. η bringt einige neue Gesichtspunkte, und das nur für den Niflungenteil) entweder mit Resignation beantwortet werden, oder mit einer weniger weit zurückreichenden, dafür Lösungen möglich machenden Fragestellung: Die Frage, wo mit der Piöreks saga verwandte Überlieferungen um deren mutmaßliche Entstehungszeit

Tod im Schlangenturm starb; daß Gunnars Schlangenturm dort gewesen sein soll, muß wohl auf einer weitgehenden Entstellung dieser Sachverhalte beruhen. Doch auch dafür ist möglicherweise schlecht erinnerte isländische Lektüre Nikulás', keinesfalls Berichte der Bewohner von Luna verantwortlich). Daher ist auch für die Identifizierung von 'Knetterheide' mit Gnitaheiöi keine westfälische oder fränkische Lokaltradition erforderlich. Die u. a. auf diesen Indizien aufbauende, viel weitergehende Ablehnung des Nikulás-Itinerars für die Heldensagenlokalisierungen in Knetterheide und Luna von Emil PloB, Siegfried-Sigurd der Drachenkämpfer, Köln 1966, S. 75ff„ kann ich nur in der hier angedeuteten, sehr eingeschränkten und modifizierten Form mitmachen. 23 Diskutiert von Hermann Schneider, Germanische Heldensage, 1. Bd., Berlin 1928 (= Gnindriß der Germanischen Philologie 10), S. 249.

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populär waren, ist mit größerer Sicherheit beantwortbar als die nach 'direkten' oder 'indirekten' Vorläufern oder 'ursprünglichen' Sagenlokalisierungen. Das Eckenlied, an das die PiÖreks saga wörtliche Anklänge zeigt, ist von Joachim Heinzle von seiner hypothetischen tirolisch-rheinischen Textvorgeschichte befreit worden;24 eindeutig auf Tirol und Oberitalien beziehen sich seine Ortsangaben für die Gegend des Treffens (nicht des Auszuges) in den erhaltenen Fassungen und die belegbare Geschichte des Textes: es tritt im Codex Buranus als Melodieweiser auf. Was die Lokalisierung des Buranus betrifft, herrscht keine Einigkeit im Detail, doch wird allgemein der Ostalpenraum angenommen, und die Zeit bald nach 1230. Wir können die Landschaft, in der der Buranus entstand, als eine verbuchen, in der man das Eckenlied gut kannte. Das bedeutet für die Herkunft der Dichtung kein starkes Indiz, aber immer noch ein besseres als drei Hexen am Jochgrimm in Südtirol, die einem Ort Jockgrim im Rheinland entgegenstehen, an dem die drei Königinnen leichter residieren könnten als auf dem Tiroler Berg - zumindest auf der Literaturstufe unserer Texte, in denen es sich nicht um Wetterhexen handelt.25 Die Anknüpfung an Köln und die Rheinlande ist strukturell interessant: gerade die Entfernung vom Schauplatz der Erzählung ist wesentlich, nämlich daß der Ruhm Dietrichs weithin gedrungen ist. Auch ein sicher tirolischer Riese, nämlich Heimo, für den strukturell nötig ist, daß er von ferne eingewandert ist, ist nach der erst spät belegten Gründungssage von Wilten bei Innsbruck vielleicht vom Rhein her eingewandert. Die Rheinlande als Ausgangspunkt der Fahrt von Helden, die einen bestimmten Zielpunkt erreichen sollen, sind nicht so originell, als daß sich darauf Theorien aufbauen ließen.26 Hingegen ist die Tiroler Geographie innerhalb des Eckenliedes stimmig. Diese Argumente für eine südliche Datierung des Eckenliedes, und zwar in der uns erhaltenen Form, scheinen mir überzeugend. Daher sind wir nicht auf weitere, schwächere, angewiesen, an denen zu verzeichnen wären: In der PiÖreks saga

24 Vgl. Joachim Heinzle, Mittelhochdeutsche Dietrichepik, München 1978 (= Münchner Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 62), S. 162-182. Versuche, Garda im Eckenlied mit Nowgorod zu identifizieren, wären nur für die noch hypothetischere Vor-Vorgeschichte des Textes interessant, denn in allen erhaltenen Fassungen ist die Lokalisierung in Tirol und Oberitalien durch mehrere Ortsnamen, und zwar geographisch stimmig, gegeben. 25 Belege für die Ortsnamen siehe Heinzle, Dietrichepik (wie Anm. 24), S. 181. 26 Vielsagend ist die Formulierung der ältesten Quelle der Wiltener Sage, eines Einblattdruckes von 1601 (abgedruckt bei Franz Joseph Mone, Zur Geschichte der teutschen Heldensage, Quedlinburg 1836 [= Bibliothek der gesammten deutschen Natìonal-Literatur 2,1], S. 288ff.): "Der Riese Heime kam nach Tirol, manche sagen, aus Welschland, andere sagen, vom Rhein."

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bindet KÖrekr 1,183,7 sein Pferd an einen Olivenbaum, olive tre, als er nahe Drekanflis gegen Ecka kämpft. Identifiziert man Drekanflis mit Drachenfels am Rhein, ist ein Ölbaum verwunderlich. Die Lokalisierung des Eckenliedes (der Kampf erfolgt in Südtirol) würde das möglich machen. Aber der Haken an der Sache ist: das Eckenlied spezifiziert den Baum nicht, und die isländische Fassung hat statt dessen einen Lindenbaum, linndi tre, und wir müssen hier nicht unbedingt der lectio difficilior folgen, sondern könnten auch einen Fehler in Mb in Erwägung ziehen. So fest bezeugt, daß man man eine südliche Lokalisierung an ihm festbinden könnte, ist dieser Ölbaum nicht, aber die wahrscheinlichere Lesart ist er als lectio difficilior immerhin. Der Name des Bruders Eckes, Fasolt, ist in einer bairischen Quelle für einen für das Wegtreiben von Hagelwolken verantwortlichen Dämon bezeugt; der Name des Winddämons (?) ist sicher nicht aus der Literatur genommen, aber daß er eine lokale bairische Figur darstellte, und nicht vielleicht auch für Winde im Rheinland verantwortlich sein konnte, ist bezweifelbar: immerhin gibt es die Faseltsklaue im Honnefer Tal.27 Falls die Wanderung von Ecke im Eckenlied und von Heimo in der Wiltener Gründungssage eine Einwanderung der Sagen(figuren) selbst spiegeln sollten, wäre diese Einwanderung schon vor der Entstehung der Dichtungen anzusetzen, die für unsere Diskussion in Frage kommen. Die PiÖreks saga hat eine deutlich sekundäre Lokalisierung des Kampfes zwischen Ekka und KSrekr, da die Ausfahrt f»iÖreks (l,174ff.), der Ekka zufällig trifft (l,176,14ff.), der Aussage Ekkas widerspricht, er sei eigens ausgezogen, t>iÖrekr aufzusuchen (l,178,7ff.), und auch MÖreks Lüge (l,176,16ff.), er sei Heimir, Sohn des Studas, auf dem Wege nach Hause nach Bertangaland (I)28, ins geographische System der Saga nicht sinnvoll eingebaut werden kann. So klare Ergebnisse wir bezüglich des erhaltenen Eckenliedes haben, so wenig können wir über eine 'ursprüngliche' Lokalisierung der Orte sagen. Ad absurdum führen kann man die Versuche, eine 'ursprüngliche' Lokalisierung der Schauplätze zu finden, durch folgende Überlegung: Drekanflis ist die Burg der Witwe Drusians. Dieser erscheint im Wolfdietrich (in der Namensform Drasian); Wolfdietrich ist mit dem Ort Garda verknüpft. Es hat nun Überlegungen gegeben, ob Garda nicht 'ursprünglich' den in der PiÖreks saga als HolmgarÖr (Nowgorod) auftretenden Ort bezeichnen sollte; konsequenterweise, wenn man ein stimmiges Weltbild der Sage aufbauen wollte, müßte man daher auch die Burg der Witwe in die Gegend von Nowgorod verlegen. Drasian ist der Entführer von Wolfdiet27 Literaturhinweise bei Heinzle, Dietrichepik (wie Anm. 24), S. 181. 28 Vgl. 1,38,11, wo A Schwaben als Heimat des Studas nennt (Mb fehlt, Β hat keine Landesangabe). Selbst wenn man dieser schmalen Textbasis mißtrauen wollte, wird kaum jemand Brynhilds Burg nach Britannien verlegen wollen.

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richs Frau Sigeminne; dazu lenkt er Wolfdietrich mit einem Hirschen mit goldenem Geweih ab. Pschmadt kommentierte dies: "Man sieht deutlich, die hirschszene ist ganz frei als motiv verwandt; der heide Tresian hat das tier in den wald gesetzt; um den Wfd. zu verlocken und ihm indes seine Frau zu stehlen: ein echter Spielmannsrationalismus."29 Ähnliche Bewertung durch Pschmadt erfährt auch die Entführung im Oswald (wo der Hirsch den Vater von der zu entführenden Tochter ablenken soll). Curschmann meint, Pschmadts Rückführung des Motivs auf 'Hindefeesagen' gehe, wie manches andere, "zu weit hinter das vom Text wirklich Gebotene zurück".30 Das ist richtig; trotzdem könnte man mit demselben Recht formulieren, es geht zu wenig weit hinter den Text zurück: Der Hirsch, der von einem Bösewicht dazu eingesetzt wird, um dem Helden die Gattin zu entführen, ist viel älter als die Spielmannsdichtung: das Ramayana, ein indisches Epos, das in Teilen auf das 4.-3. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht, kennt eine dem Wolfdietrich sehr ähnliche Ausformung: der aus der Hauptstadt Ayodha verbannte rechtmäßige Thronfolger Rama zieht mit seiner Gattin Sita in den Wald. Der Dämonenfürst Ravana entführt Sita mit folgender List: er schickt einen wunderbaren Hirschen, dem Rama nachjagt; währenddessen lockt er Sita mit List aus dem von Rama um sie gezogenen schützenden Zauberkreis und entführt sie über das Meer nach Sri Lanka. Mit Hilfe von helfenden Tieren (Affen) gelingt Rama die Rückeroberung Sitas; die Burg Ravanas wird niedergebrannt. Schließlich zieht Rama als Herrscher in Ayodha ein. Das Ramayana ist eine weitbekannte Dichtung; z. B. auf der aus dem 9./10. Jahrhundert stammenden Reliefdarstellung des Ramayana auf der hinduistischen Tempelanlage Prambanan auf Java ist die Jagd- und Entführungsszene gut dargestellt. Der Wolfdietrich, wo Sigeminne recht unmotiviert allein im Wald zurückbleibt, um von Drasian/Trusian/Trisian entführt zu werden, dessen Zauberhirsch Wolfdietrich nachjagt, ist da ganz offensichtlich unter Zuhilfenahme des viel früher in der Hindulegende belegten Motivs gestaltet. Drasian hat in Ravana eine deutliche Parallele. Das ist kein Einzelfall; (vermutlich indirekte) Motivgemeinschaft mit orientalischen Erzählungen wurde mittelhochdeutscher Dichtung mehrfach nachgewiesen. Die Frage, ob der Ort Garte, der in der Wolfdietrichsage eine so große Rolle spielt, 'ursprünglich' Garda oder Nowgorod meine, muß daher relativiert werden: 'ursprünglich' ist vielleicht nicht einmal Ayodhya. Interessant wäre es freilich, zu wissen, ob die Beziehungen der Dietrichdichtungen zu Rußland erst um 1200 entstanden sind oder ältere Wurzeln haben, was sehr

29 Carl Pschmadt, Die Sage von der verfolgten Hinde, Diss. Greifswald 1911, S. 64. 30 Michael Curschmann, Der Münchner Oswald und die deutsche spielmännische Epik, München 1964 (= Münchner Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 6), S. 27.

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wahrscheinlich ist, denn schon in der Kaiserchronik v. 14021 erhält Dietrich von Kaiser Zeno zu Lehen: Riuzen unde Pomerân (Pommern), Priuzen ande Pôlân, Petsenaere (Petschenegen) unt Valwen (Ukrainer), die Winde (Wenden) allenthalben, Sclaveme unt Criechen, Affrikaere (Wandalen?) kômen willeclîche. Aber deswegen das im Eckenlied stimmige Garda durch Nowgorod zu ersetzen, ginge nicht an. Nun zu ViÖga, dem Sohn Velents und Enkel VaÖis: Die Welt der PiÖreks saga siedelt die Begegnung des Vilcinus mit der Meerfrau, der VaÖi entsproß, zwischen Schweden und Rußland an. Dietrichs Flucht kennt einen Wate als Gefolgsmann Ermenrichs, der von Dietleip vor Mailand getötet wird (von Gillespie31 als 'Wate 2' abgetrennt; das ist wohl eine Verlegenheitslösung). Der Dukus Horant nennt Wate 21f. u. ö. von den Krichen. Auf den Dukus Horant müssen wir hier, obwohl er nicht zentral zum Thema gehört, kurz eingehen, da er, wiewohl schon seit ca. 40 Jahren bekannt, in der Diskussion um die PiÖreks saga zu wenig benutzt wird: der Dukus (= Herzog) Horant verbindet Namen der Hildesage mit einer Handlung, die ähnlich der des Rother ist. Auffällig mit der Kudrun gemeinsam ist eigentlich nur der Gesang Horants, der im Dukus Horant die Gesandtschaft um Hilde leitet Asprian und Widolt sind hier Brüder wie in der PiÖreks saga; im Rother steht nichts von einer Verwandtschaft32; anderseits ist in Rother und PiÖreks saga die Rangordnung der Riesen - Asprian ist König - gemeinsam gegen den Dukus Horant, wo Wate ranghöher, vurste rieh, ist Die PiÖreks saga hat in beiden Fassungen Motive getilgt und geändert, die in Rother und Dukus Horant vorhanden sind; besonders augenfällig ist alles, was mit der Seereise zusammenhängt. Rother und PiÖreks saga sind eng verwandt; Rother und Dukus Horant weniger eng; fast nichts gemeinsam haben PiÖreks saga und Dukus Horant gegen den Rother, ausgenommen daß die Riesen Brüder sind (was auch Zufall sein könnte) und daß Dänemark (im Dukus Horant als Heimat Horants) in das Werk einbezogen wird. Im Dukus Horant wird nicht begründet, warum gerade ein Däne Gesandtschaftsführer wird. Dänemark ist in das Imperium Etenes (= Hetels) eingegliedert, das Deutschland,

31 George T. Gillespie, A Catalogue of Persons named in German Heroic Literature, Oxford 1973, S. 139. 32 Darüber P. F. Ganz, F. Norman, W. Schwarz. In: Dukus Horant (hrsg. von denselben), Tübingen 1964, S. 95.

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Lombardei, Âpulien, Sizilien und Toscana als Zentrum hat, von dem aus er selbst Dänemark beherrscht und Spanien und Ungarn ihm dienen, nach v. 76 auch Frankreich. Das entspricht, namentlich in der engeren Eingliederung Dänemarks, den Zuständen des späteren 12. Jahrhunderts bzw. den Träumen der staufischen Kanzlei - und zwar viel deutlicher, als die Welt der PiÖreks saga einem solchen Konzept entspricht. Eine ebenbürtige Prinzessin muß im Dukus Horant aus Konstantinopel kommen; eine französische wäre Tochter von Etenes Lehensmann. Nach dem Widsith v. 22 herrschte Wada über die Haelsinge; als Riesen könnte man sich ihn als eine Art 'Phorus' durch einen Sund watend vorstellen,33 doch ist am Öresund, an den man zunächst denken möchte, keine entsprechende Tradition belegt. Man lokalisiert die Haelsinge des Vidsid üblicherweise im Baltikum.34 Der Kudrun und der mit ihr verwandten nordseegermanischen Überlieferung nach gehört Wate ins Nord-Ostseegebiet; das Rolandslied nennt ihn den Ahnherrn des Dänen Ogier. VaÖis Sohn Velent erscheint möglicherweise schon auf einer in Schweindorf (Ostfriesland) gefundenen Münze aus der Zeit um 60035; zumindest der Name weist also in die Nordseegegend. Der Vidsid bestätigt diese Lokalisierung. Schon um 354 erscheint aber nach Ammianus Marcellinus und anderen zeitgenössischen Quellen36 ein alemannischer König Vadomarius; ca. 20 Jahre später dessen Sohn Vithic(g)abius37. Daß diese Namen von Vater und Sohn auffälligerweise verwandt mit den Namen von Großvater und Enkel der Wielandsage sind, ist seit dem vorigen Jahrhundert bekannt.38 Der von Jordanes einmal als heros Gothorum, einmal als fortissimus Gothorum bezeichnete Vidigoia39 paßt in unsere Vorstellung, daß Figuren gotischer Heldensage um den Kristallisationskern Dietrich von Bern gereiht wurden. Aber wenn schon 150 Jahre vor Theoderich bei den Alemannen Figuren der 'Dietrichsage' so bekannt gewesen sein sollten, daß sie in der Namengebung Niederschlag fanden (was man in Namenbelegen des 9. und späterer Jahrhunderte mit gutem Recht annimmt, weshalb Personennamen nicht als Beweise für

33 Anders K. Malone, Widsith, Kopenhagen 1962 (= anglia 13), S. 206, der den Namen anscheinend auf das Waten durch das Blut am Schlachtfeld bezieht 34 Vgl. Gillespie (wie Anm. 31), S. 138, Malone (wie Anm. 33), S. 158 u. 206f., Dukus Horant (wie Anm. 32), S. 115. 35 Beweise dafür, dafi auf dem Schweindorfer Solidus tatsächlich die Sagenfigur gemeint ist, gibt es nicht; doch ist der Name jedenfalls auffällig. Vgl. Reichert, Lexikon der altgerm. Namen, Bd. 1, S. 770 s. v. Weland 2 und Robert Nedoma, Die bildlichen und schriftlichen Denkmäler der Wielandsage, Göppingen 1988 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 490), S. 35ff. 36 Belege bei Reichert (wie Anm. 35), S. 746. 37 Belege wie Anm. 35, S. 788 s. v. Vithigabi. 38 Literatur bei Gillespie (wie Anm. 31), S. 146f. 39 Belege s. Reichert (wie Anm. 35), S. 776.

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Sagenlokalisierungen gelten können, nur fur Sagenkenntnis), beginnen wir zu zweifeln, ob VaÔi bis um 1200 nur an der Ostsee gezeugt worden sein kann oder ob er nicht vielleicht schon in altgermanischer Zeit an jedem Meer, an dem Germanen sich niederließen, lokalisiert werden konnte und seine Bedeutung in heidnischer Zeit so groß gewesen sein könnte, daß sogar die Namengebung eines Binnenstammes sie reflektiert40 Er könnte sogar in altgermanischer Zeit und dann wieder im Hochmittelalter ganz zufällig an der Ostsee lokalisiert worden sein, ohne daß der Verfasser dieser Teilquelle der PiÖreks saga etwas von altgermanischer Sage gewußt hätte. Die Frage der 'Heldennamen in mehrfacher Lautgestalt', so genannt von Andreas Heusler41, wurde in bezug auf den Namen Wieland von Nedoma42 ausführlich diskutiert. Daß die lange bisherige Diskussion zu keinem allgemein akzeptierten Ergebnis führte, kann nicht verwundern, wenn man bedenkt, daß jede Wanderung von Heldensage dort, wo sie gerade ankam, zur Folge hatte, daß man die Namensform, in der man das neue Produkt hörte, mit den Namen bekannter Helden, insbesondere solchen vergleichbarer 'Biographie', synchronetymologisch vergleichen oder die altbekannte Form durch die neue ersetzen konnte und solche konkurrierende Formen aufs Neue einander beeinflussen konnten. Wisniewskis Vermutung, "Witege [...] hat sein historisches Vorbild wohl im Goten Vidigoja", ist nicht beweisbar, und die Weiterführung des Satzes: "Vidigoja, der sich im Jahr 330 in Kämpfen gegen die Sarmaten auszeichnete"43, ist so, im Indikativ und ganz ohne Einschränkung, nicht gerechtfertigt. Jordanes hat 34,178 den verlorenen Bericht des Priskos als Quelle, der anläßlich der Teilnahme an einer Gesandtschaft zu Attila an den Ort kam, wo vor langer Zeit Vidigoia, fortissimus Gothorum, der Tücke der Sarmaten unterlegen war. Ob da Priskos einen historischen Bericht über einen Sarmatenkrieg, sei es den von 330 oder einen anderen, wiedergab, oder eine gotische Heldensage als Geschichte mißverstand, wird wohl kaum jemand beurteilen können, insbesondere wo Jordanes 5,34 den Vidigoia unter die in Liedern besungenen Vorfahren aufnimmt, deren Übergang zu den Heroen fließend gewesen sein kann. Die Brücke von Dänemark nach Italien, von ViÖgas Vorfahren zu seinen Taten, kehrt in abgewandelter Form bei Petleifr wieder: Thetlevus ist ein Name, der in

40 Wenn man nicht annehmen will, und gegen eine solche Annahme spricht doch einiges, daß von den beiden alemannischen Königen des 4. Jahrhunderts die Sage ausging und ihre Verlegung an ein Meer überhaupt sekundär wäre. 41 Andreas Heusler, Heldennamen in mehrfacher Lautgestalt. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 52, 1910, S. 97-106. 42 Vgl. Nedoma (wie Anm. 35), S. 61-70. 43 Roswitha Wisniewski (wie Anm. 14), S. 46.

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Dänemark erstmals 1154 auftaucht, und zwar im XIV. Buch der Gesta Danorum des Saxo Grammaticus als Name eines Gefolgsmannes von König Sven (fll57); wir können also Einfluß deutscher Namengebung vermuten. Zunächst bleibt der Name in Dänemark selten, während er in Italien schon seit Paulus Diaconus bezeugt ist (zahlreiche Belege bei Bruckner, Die Sprache der Langobarden). Den Sprung von Oberitalien nach Sachsen hat der Name allerdings früh geschafft: er tritt schon um 850 in Korvey in der Schreibung Teodlef auf. Schiaug44 wertet die hochdeutsche Form Dietleib, die zweimal im Korveyer Heberegister auftritt, als hochdeutsche Schreibung niederdeutscher Namen, nicht als hochdeutsche Namentradition. Die, freilich isolierte, Kudrun bezeugt Interesse an einer Geschichte, die im Nord- und Ostseeraum spielt; in beiden Teilen des Nibelungenliedes und in Biterolf und Dietleip erscheinen anscheinend grundlos Figuren aus Dänemark (Fruote, Boppe45). Oberdeutsche Dichtungen des 13. Jahrhunderts enthalten Verweise auf Heldensagen, die in die PiÖreks saga Eingang gefunden haben; zum Teil beziehen sich diese Verweise erkennbar auf Fassungen dieser Sagen, die uns nur in der PiÖreks saga, zu einem anderen Teil auf Fassungen, die uns gar nicht, weder in deutschen Dichtungen noch in der PiÖreks saga, erhalten sind. Die Art der Anspielungen zeigt, daß das oberdeutsche Publikum auch Stoffe von Dichtungen, die uns heute verloren sind, gut gekannt haben muß. Hier ist eine, nicht nur für unser Thema gültige, Präzisierung nötig: Die Ursache dafür, daß ehemals beliebte Texte verloren gingen, kann auf (vorwiegend) mündliche Tradition deuten, könnte aber auch sein, daß die uns erhaltenen Handschriften aus bestimmten Rezipientenkreisen stammen. Wenn wir z. B. unverhältnismäßig mehr Hss. von Wolframs Parzival besitzen als von Werken der Heldensage, muß das nicht beweisen, daß die offensichtlich wohlbekannte Heldensage hauptsächlich mündlich tradiert wurde; es könnten auch mehr Handschriften von Werken dieser Gattung verlorengegangen sein. Rezeption im 13. Jahrhundert und spätere Erhaltung der Handschriften unterlagen unterschiedlichen Bedingungen (Änderungen des Publikumsgeschmackes, Vorhandensein modernisierter Neufassungen, Politik, Wohlhabenheit bestimmter Sozialschichten, häufigere Zerstörung von Burgen als z. B. von Klöstern usw.). Es gab auch schriftlich tradierte Literatur, die im 13. Jahrhundert so bekannt war, daß ein Autor sie

44 Vgl. Schiaug (wie Anm. 11), S. 20 und 84. 45 Der Boppe ûz Tenelant des Biterolf ist zwar wohl identisch mit dem starken Boppe des Ackermann, aber die Identifikation mit dem Bovo des Kölbigker Tanzes ist ganz hypothetisch; noch hypothetischer die mit einem namenlosen Gefolgsmann Dietrichs aus Ermenrîkes Dôt. Zu optimistisch urteilt Metzner (wie Anm. 9), S. 198ff.

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zumindest in groben Zügen bei seinem Publikum voraussetzen konnte, von der wir aber sonst gar nichts wissen. Der unten zu nennende, von Liederdichtern des 13. Jahrhunderts mehrfach erwähnte Curâze ist offensichtlich eine Figur aus einem Roman oder einer Erzählung, die einen antiken Stoff gestaltet, was nach allgemeinem Konsens auf schriftliche Tradition hinweist; der spätere Verlust trotz Beliebtheit im 13. Jahrhundert ist also kein Zeichen für mündliche Tradition. Trotzdem reihe ich mich nicht unter die ein, die in letzter Zeit wieder die (sicher auch vorhandene) 'Schriftlichkeit' der Heldensage als ihre hauptsächliche Existenzform annehmen, denn es gibt Hinweise in der Literatur des 13. Jahrhunderts auf mündliche Überlieferung gerade dieser Gattung, die weder durch Kasuistik noch durch Generalisierungen hinwegdisputiert werden können. Kronzeuge sind die 'Repertoirestrophen' des Marners: Der Marner hat seine frühesten datierbaren Strophen für Heinrich von Zwettl46, Propst von Maria Saal47, gedichtet, als dieser Bischof von Seckau48 werden sollte. Spätere Gönnerbeziehungen verweisen auf das südliche Thüringen (die Henneberger) und, sein letztes datierbares Lied, auf den Aufbruch Konradins 1267 von Schwaben nach Italien. Damit ist als geographischer Horizont Süddeutschland gegeben, obwohl wir kein eindeutig interpretierbares Zeugnis für seine Herkunft besitzen. Die Repertoirewünsche seines 'fiktiven Publikums' müssen jedenfalls insbesondere auf oberdeutsches Publikum gepaßt haben. Von geographisch lokalisierten Stoffen wünschte man sich anscheinend Fernerliegendes; das spiegelt eine andere Publikumshaltung als etwa Dichtungen, die zur Herrschaftslegitimierung den Nahbereich des Auftraggebers in die Handlung einbeziehen sollen.49 Die erste 'Repertoirestrophe' des Marners nennt die Wünsche seines Publikums, während die zweite die Alternativen nennt, die er lieber bieten würde. Die hier interessierende 1. Strophe listet an Publikumswünschen auf50: Wie Dietrich von Berne schiet - Wâ künc Ruother saz - Der Rimen stürm Ekhardes nôt - Wen Kriemhilt verriet - War komen sì der Wilzen diet - Heimen stürm - Hêrn Witchen stürm - Sigfrides tôt - Hêrn Eggen tôt - Minnesanc Der NibelungeSI hört.

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In Niederösterreich. In Kärnten. In der Steiermark. Da sich solche Publikumsinteressen im Anlaßfall und in den Quellen mischen können, kommt zu den ohnehin unlösbaren Lokalisierungsproblemen noch eine weitere Dimension dazu. 50 Deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahrhunderts. Hrsg. v. Karl Bartsch, Stuttgart 1893, S. 231 f. 51 So die Lesart der besseren Hs. Der Nibelungenhort wird noch durch eine zweite Strophe des Marners gesichert, so daß wir ihn jedenfalls als beim Marner bezeugt verzeichnen können.

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Ob sie die Teile seines Repertoires wiedergibt, die er selbst weniger liebt und nur dem Publikum zu Gefallen singt, oder das Repertoire seiner Konkurrenten, das er gar nicht singt, ist für uns unwichtig, da sie in jedem Fall die Beliebtheit und die Zusammengehörigkeit dieser Stoffgruppe bezeugt52, deren epischer Teil33 außer dem getreuen Eckart, den die PiÖreks saga leider nicht (bzw. nur seinen Namen als den eines Schmiedegesellen) kennt, komplett in der PiÖreks saga enthalten oder gespiegelt ist: Rother ist stofflich mit der Werbung des Osantrix der PiÖreks saga zu vergleichen, die sogar eine, wenn auch kurze, fast wörtlich identische Passage mit dem König Rother enthält54; Der Riuzen stürm könnte den Waldemar-Episoden der PiÖreks saga entsprechen. Im Nibelungenlied sind die Russen, Griechen, Polen, Walachen, Ukrainer, Petschenegen 1339ff. Kolorit, aber Reflexe einer Heldensagenwelt, die vollständiger in der PiÖreks saga gespiegelt ist und die schon im Dietrichabschnitt der Kaiserchronik begegnet. Das Nibelungenlied erwartet anscheinend 1699,3 von seinen Zuhörern, daß sie zu do gedâhte si vil dure an Nuodunges tôt keine Erklärung benötigen, wer der von Witege erschlagene Nuodunc war; anscheinend teilweise zu Unrecht, denn die Tradition war sich nicht sicher: in Biterolf und Dietleip und Rosengarten F ist Nuodunc Rüdegers Sohn. Das ist nicht herausgesponnen aus Nibelungenlied 2164,3 ich bevilhe iu ûf genâde mîn wîp und mîniu kint, denn da ist Nuodunc ja auch für sehr unaufmerksame Rezipienten des Nibelungenliedes längst tot. Nach der PiÖreks saga wäre er sein Schwager, und das ist wohl das, was das Nibelungenlied bei seinem Publikum als bekannt voraussetzt. Wo das Nibelungenlied sich im 2. Teil von der Nibelungensage in den weiteren Horizont der Heldensage öffnet, werden die zentralen Figuren der Dietrichsage herbeizitiert, die Walthersage, aber auch Figuren wie Markgraf Iring, der im Nibelungenlied unkorrekt 1345 u. ö. als Däne bezeichnet wird, obwohl die thüringische Sagenzugehörigkeit noch durchscheint (er tritt zusammen mit den

52 Was die Funktion dieser beiden Strophen für das Originalpublikum betrifft, so ist die Interpretation als Publikumsverspottung sicher richtig (Vgl. Joachim Heinzle [wie Anm. 24], S. 72). Das betrifft aber nicht ihren hier angesprochenen Zeugniswert für die Publikumswünsche und damit den Erwartungshorizont, den das Publikum bezüglich der Vorträge von Fahrenden hatte. Einer Maximal distanzierung der beiden Repertoirestrophen auf verschiedene Spielleute, die weltliche gegen gelehrt-klerikale Stoffe geradezu 'feindlich' ausspielt, würde ich nicht das Went reden - auch die 'weltlichen' Stoffe sind oft unter heilsgeschichtlichem Aspekt gesehen (z. B. im Rother). 53 Das Fehlen des Minnesangs in der PiÖreks saga braucht ja nicht erörtert zu werden. 54 Vgl. oben S. 242f.

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Thüringern bzw. deren Anführer Landgraf Irnfrit auf)· Die Rolle der Dänen55, eventuell auch der Thüringer, im 1. Teil der Sachsen und Dänen im Nibelungenlied könnte man versucht sein, einer im ganzen Sprachraum beliebten niederdeutschen (Soester?) Quelle zuzuweisen, die dann auch für die Einführung Dietrichs von Bern ins Nibelungenlied verantwortlich wäre. Man könnte eine stärkere Verflechtung Dietrichs in die Nibelungensage in niederdeutschen Quellen daraus herauslesen, daß er in der Pidreks saga Teilnehmer der Werbungsfahrt um Brynhild ist, was eine alte Figurenkonstellation sein kann, während Dancwart in dieser Rolle sicher jung ist. Dann könnte man die Verknüpfung der Dietrichsage und die Anspielungen auf andere Heldensagen aus deren literarischem Umfeld, wie sie das Nibelungenlied bietet, mit der Beliebtheit einer norddeutschen Dichtung begründen. Dem entgegen steht, das Gegenteil beweisend: mit der Schicht im Nibelungenlied, der Dietrich angehört, ist die Figur Rüdegers verbunden. Und Markgraf Rüdeger wird in Pöchlarn und zusammen mit Dietrich schon in einem Loblied des Metellus Tigurinus (= von Tegernsee; um 1160) auf den heiligen Quirinus, den Patron seines Klosters, bezeugt: "(Miles agros ...) Alme Quirine, tuos rapuit, Quos orientis habet regio Flumine nobilis Erlafia, Carmine Teutonibus celebri Inclita Rogerii comitis Robore seu Tetrici veteris." Eine Schicht des Nibelungenliedes, die in den Raum zwischen Passau und Wien verweist, stellte demnach die Nibelungensage in einen Kontext von Heldensage, der beim Publikum Bekanntheit, ja Beliebtheit von Stoffen voraussetzt, die uns durch die PiÖreks saga lebendig werden. Kleinere Zeugnisse von erwarteter Heldensagenkenntnis des Publikums, wie Waithers von der Vogelweide Scherz, der den Namen der Geliebten seines literarischen Namensvetters dazu benützt, den Namen seiner, des Sängers, Geliebten zu nennen und gleichzeitig nicht zu nennen, wenn er sie im Lied 73,23 'Hiltegunde' nennt, können angesichts des Gewichtes dieser Belege beiseite bleiben. Ein wichtiges 'Repertoire' an Lieblingsstoffen des Publikums bieten zwei kleine anonyme Dichtungen des mittleren oder späteren 13. Jahrhunderts, Der Weinschwelg und Von dem Obelen wîbe. Nach der Meinung Edward Schröders stammen sie vielleicht vom selben Autor; das ist unbeweisbar, auf jeden Fall aber entstammen sie demselben literarischen Umkreis. Wenn auch Weinschwelg und Böses Weib anonym sind, so ist doch die räumliche Umgebung, in der sie entstanden, recht gut durch die Verse 552 ff. des Übelen wîbes bestimmbar:

55 Aus dieser Diskussion heraußen bleiben sollte besser Island als Heimat Prünhilts und Norwegen als Herrschaftsbereich Siegfrieds. Diese Lokalisierungen haben wohl andere Ursachen.

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ich het dà zinsbrucke vil guoten Bôzenaere getrunken für die swaere. Als Ortsbestimmung ist da nicht der Bozner Wein geeignet, den trank man auch in Tegernsee, und Wolfram wußte von seiner Berühmtheit (Willehalm 136,7), sondern der Ort, wo er getrunken wird, Innsbruck. Dagegen ist 758f.: under miner üehsen trag ich dich hin ze Wienen mit 'sogar bis Wien' zu übersetzen, es bezeichnet einen vom Standort des Erzählers eher entfernten Ort Das 'Hier' des Werkchens ist also Tirol. Dort hat es auch noch späterhin gelebt, denn überliefert ist es uns im aus dem Etschtal stammenden Ambraser Heldenbuch. Auch über das Milieu, in dem diese Schwänke lebten, sind Vermutungen möglich, und zwar durch Weinschwelg 299ff.: Dâ ze Pârîs, ze Padouwe und ze Tervîs, ze Róme und ze Tuscân vindet man deheinen man, ich ensî sîn meister gewesen (Weder in Paris, Padua, Treviso, Rom noch in der Toskana [Florenz] findet man jemanden, der so klug ist wie ich). Die Nennung der Universitätsstädte läßt an das Vagantenmilieu denken.56 Daß diese beiden Werkchen Namen bzw. Stoffe der Heldensage nennen, wird des öfteren angemerkt, doch ist für eine Beurteilung des Stellenwertes dieser Heldensagen-Anspielungen notwendig, sie im Rahmen aller in den beiden Werken enthaltenen literarischen Anspielungen zu verzeichnen. Ich führe dies hiermit durch: Der Weinschwelg befindet 98ff.: der herzöge Iram der was gar âne wîsheit,

56 Gleichzeitig gibt die Nennung von Treviso (Universität ab 1260) und die Datierung der Wiener Handschrift (1260/90) einen ziemlich engen Rahmen für die Entstehungszeit (nach: Fischer/Ianota, Vorwort zu: Der Stricker, Verserzählungen II, mit einem Anhang: Der Weinschwelg, Tübingen 1977 [= Altdeutsche Textbibliothek 68], S. VIII und nach Hugo Kuhn, Weinschwelg. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 1. Aufl., Bd. 4, Sp. 891).

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daz er einem wisent nächreit, er und sîn jäger Nordian. Dieses Beispiel für Unvernunft (Jagd statt Weintrinken) muß eine dem Publikum wohlbekannte Figur sein, sonst macht es keinen Sinn. Wir sind im Vergleich zum intendierten Publikum des Weinschwelg unterinformiert, denn wir kennen keine deutsche Dichtung des 13. Jahrhunderts, in der diese Jagd geschildert wird; wir müssen uns mit der Darstellung von Irons Jagd im Valslcenguskogr, wie ihn die PiÖreks saga bietet, behelfen. 276f. heißt es vom Gesang des Trunkenen: Er singet sô wol, daz Hôrant Daz dritteil nie sô wol gesanc. 328ff. ist Paris einfältig genug, sich wegen Helena erschlagen zu lassen, statt Wein zu trinken; also kennt man einen Trojanerkrieg; ähnlich töricht ist 333 Dido. Überraschender ist 334ff.: Grälanden sluoc man unde sôt Und gab in den frouwen ze ezzen, Want si sîn niht wolden vergezzen. Im altfranzösischen Leich von Graelent, den wir kennen, gerät der Held zwar in die Gefahr des Ertrinkens und wird in ein 'Feenreich' entführt, aber von einem 'Thyestesmahl', das Damen vorgesetzt wird, erfahren wir weder dort noch in der deutschen Literatur; in der altfranzösischen Literatur entspricht möglicherweise der Stoff des Lai d'Ignaure?1. 331 ñ. folgen Pyramus und Thisbe. Die letzte Anspielung ist dann 344f.: Curâze, der von minne in dem sê ertranc. Das muß ein Hero- und Leander-Thema sein; erhalten ist uns aber nichts außer Anspielungen wie dieser.58 Heldensage steht hier neben den wichtigsten Antikenstoffen, teils in uns bekannten, teils unbekannten Fassungen. Nun zum zweiten der genannten Schwänke, Von dem übelen wîbe: Von diesem bösen Weib wird gesagt, 156, Noch küener waers dan Aspriân.

57 Vgl. Hanns Fischer, Studien zur deutschen Märendichtung, Tübingen 1968, S. 230. 58 Stellennachweis bei Carl von Kraus, Liederdichter des 13. Jahrhunderts, Tübingen 1952-58, Bd. 2, S. 457: sonst noch bei Rudolf von Rotenburc, Tannhäuser, Boppe.

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Asprian kennen wir aus der deutschen Literatur (Rother, Dukus Horant, Rosengarten ACDPV, Virginal Heidelberger und Wiener Hs., Van Bere Wisselauwef9 in verschiedenen Rollen, aber auch aus der Pidreks saga. Rätselhaft ist mir der Vermerk Gillespies, "possible OFr origin, cf. Asperant in the ch.d.g. (Langlois 50)", denn bei Langlois 1. c. findet sich ein Aspremars, ein Sarazene Aspremereins (Nebenform zu Espervaris) und der Ortsname Aspremont, aber kein •Asperant60. Uhland hatte, seiner mythologischen Deutung der Bärengeschichte wegen (er sah in dem hilfreichen, sieghaften Bären den Gott Thor in seinen Riesenkämpfen), Asprian als Verballhornung von hochdeutsch Ansbern angesehen; Ernst Martin stimmte dem zu und vermutete, ebensowenig überzeugend, daß die lautliche Ähnlichkeit des Namens Asprian an den Ortsnamen Aspremont, der in der Karlssage vorkommt, die Ursache dafür gewesen sei, die Geschichte vom Bären Wisselau, der gegen die Riesen König Asprians (dort in der orthographischen Form Espriaen) kämpft, an die Karlsage anzuschließen.61 Wenn wir mechanisch Namensammlungen nach Ähnlichklingendem durchsuchen, kommen wir vielleicht auf den seltenen langobardischen Namen Ansprancf2. Wäre Ansprand, für uns die relativ ähnlichste Namensform, die Quelle, hätten wir es mit einer weder historisch noch sagengeschichtlich begründeten, zufälligen ad-hoc-Verwendung eines langobardischen Namens oder einer einem (langobardischen) Namen ähnlichen Lautkette durch die Heldensage zu tun; dieser Vorgang wäre in Oberitalien, aber auch anderswo denkbar. Über vage Vermutungen ist da nicht hinauszukommen. Im Bären Wisselau, dessen Handschrift "wohl noch dem 13. Jahrhundert" entstammt,63 und auf den schon vor 1290 angespielt wird,64 sind König Espriaen und seine Riesen Gegner Karls, dem Gernout mit seinem Bären Wisselau zu Hilfe kommt; in der Pidreks saga erschlägt Villdifer, als Bär namens Wizlao verkleidet, König Osantrix und von dessen Riesen: König Asplian65, Etgeir, Aventrod und Widolf die beiden letzt-

59 Stellennachweis bei Gillespie (wie Anm. 31), S. 7. 60 Emest Langlois, Table des noms propres de toute nature compris dans les chansons de geste, Paris 1904, S. 50 bzw. 203. 61 Vgl. Ernst Martin (Hrsg.), Neue Fragmente des Gedichts van den vos Reinaerde und das Bruchstück van bere Wisselauwe, Straßburg 1889 (= Quellen und Forschungen zur Sprachund Culturgeschichte der germanischen Völker 65), S. 66. 62 Wilhelm Bruckner, Die Sprache der Langobarden, Straßburg 1895 (= Quellen und Forschungen 75), S. 225, nennt drei Belege. Von diesen entstammt einer einer von mir nicht eingesehenen Urkunde von a. 856, die beiden anderen verschiedenen Fassungen der Origo gentis Langobardorum, in MGH Leges IV, S. 646, und beziehen sich auf dieselbe Person, einen König des 8. Jahrhunderts. 63 So Martin (wie Anm. 61), S. 38. 64 So Martin (wie Anm. 61), S. 71. 65 So Mb 1,2; Mb3 hat Aspilian, was ein klein wenig weiter weg vom deutschen Original ist

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genannten. Die Pidreks saga schwankt, offenbar wegen widersprüchlicher Quellen, zwischen Asplian als König, dessen Brüder riesenhaft sind: l,48,23ff.; 53,14ff.; 60,30-61,14; 360,15 (bei diesem Beleg wird explizit darauf hingewiesen, daß er selbst wie ein normaler Mensch ist) und zwischen Asplian als Riese: 1,48,18 (bei diesem Beleg wird explizit darauf hingewiesen, daß alle vier Riesen sind);2,65 (nur AB): alle 4 Brüder sind Riesen, Aspilian trägt außerdem noch die Apposition risi. Der dazugehörige Tanzbär ist, was den Ort seiner literarischen Entstehung betrifft, nicht einordenbar, der Name könnte einen böhmischen Tanzbären namens Wenzel vermuten lassen, doch kam dieser wohl weit herum und kann uns daher nicht bei der Frage helfen, wo er den Schritt in die Epik tat. Die bairischen Beziehungen des Rother lassen immerhin Bekanntheit des Stoffes in Tirol erwarten, doch so eindeutig, wie Helmut de Boors Formulierung es erscheinen läßt "In der 'Bösen Frau* erscheinen Asprian aus dem König Rother [,..]"66, ist das nicht, da in Von dem übelen wîbe außer dem Namen und seiner Tapferkeit keine Information zu Asprian geboten wird. Der Riese Asprian ist im Rosengarten besonders gefährlich, weil er mit zwei Schwertern gleichzeitig kämpft (Rosengarten A 98). Er kämpft dort gegen Witig (und wird in A von diesem besiegt, in D getötet). In der Pidreks saga hat Asplian auch im Krieg gegen Attila Gelegenheit, seine Tapferkeit zu zeigen (wenn er auch unterliegt), und bedroht schließlich ein Kloster, und zwar von der Lombardei aus (2,377,16), und das Kloster scheint nicht allzu weit von der Lombardei abzuliegen, heißt aber 2,385,21 Wadincusan.61 Auch die nächste Erzählung, auf die das Böse Weib verweist, ist in der Pidreks saga zu finden: 257ff.: Maneger sagt von Witegen nôt - nû vernemet ouch die mine durch got und sagt von Dietriche: der nôt wac ungelîche der mînen, des und wane. sie vähten daz die spaene

66 Helmut de Boor, Die deutsche Literatur im späten Mittelalter, München 3. Aufl. 1967 (= Geschichte der deutschen Literatur 3,1), S. 283. 67 Auch diese Klosterszene der Pidreks saga hat Beziehungen zu Tirol, und zwar durch ihren Protagonisten, Heime: die Chronik Alberts von Stade (um 1250) erwähnt das Grab des riesenhaften Heimo im Kloster Wilten bei Innsbruck. Der Art der Nennung nach muB es sich für Alberts Leser um 'den' Heimo handeln, den sie kennen; in Stade (bei Bremen) kann das wohl nur die uns auch aus der Piöreks saga bekannte Sagenfigur sein, deren Grab man in dieser für die Diskussion um die Entstehung der Pidreks saga so wichtigen Landschaft demnach in Tirol glaubte. Vgl. dazu Verf. wie Anm. 21.

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von ir schildes rande Stuben und sich diu breter gar zerkluben; ir helme wurden fiuwervar: dar under in doch niht enwar. sus vâhten sí vil manegen tac daz ir deweder nie gelac tôt von swerte noch von sper. der vaht hin und jener her, einer sluoc den andern nider, sô erholt sich diser des hinwider und sluoc den andern ûf diu knie, sî vâhten also daz sì nie von swertslegen wurden wunt In der PiÖreks saga wird PiÖrekr zwar schließlich doch von ViÖgas Schlägen verwundet, und zwar nach Mb2 und Is übereinstimmend mit fünf Wunden, doch die enge Verwandtschaft der Erzählungen ist offenkundig. 304 ff. heißt es dann: sô getâne âventiure wârn hern Waithern unkunt, dô er und min frou Hildegunt fuoren durch die rîche alsô behagenlîche. Die Walthersage kannte man im Umkreis unserer/unseres Dichter/s also ebenfalls. Diese war schon lange vor der Zeit der hier zu behandelnden Werke, in karolingischer oder ottonischer Zeit, schriftlich aufgezeichnet worden; der Herkunftsort des lateinischen Epos ist unbekannt, in den letzten Jahrzehnten hat man verschiedene Indizien gefunden, die eher nach Eichstätt als nach St. Gallen weisen, doch ist das alles weit von Beweisbarkeit entfernt. In welcher Fassung die Walthersage in Tirol bekannt war, geht aus der Anspielung nicht ganz klar hervor, denn das 'behaglich durch die Lande ziehen' kann in seiner ironischen Âusdrucksweise sowohl auf die sofortige Verfolgung (in der Pidreks saga) als auch auf den Kampf nach längerer Fahrt (im Waltharius; diese Vorstellung liegt nach communis opinio auch den Anspielungen im Nibelungenlied 1756,4 und 2344,2 zu Grunde) bezogen werden - eher aber doch für den Kampf nach längerer Fahrt. Dann werden auch Figuren genannt, die weder mit der PiÖreks saga noch mit ihrem Umfeld zu tun haben: Pyramus und Thisbe, deren Selbstmord 385ff. er-

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wähnt wird; Ovid hat Tirol sicher in schriftlicher, vielleicht sogar lateinischer Tradition erreicht: der nächste Verweis (408ff.), auf Parzival, ich waere bî einem tanze die wîle michels baz gewesen od ich hiet tiutsche gelesen von dem werden Parzivâle, ê daz ich die quäle von ir siegen hiete erliten berichtet nämlich, daß man diesen auf Deutsch lesen könne - ob das allerdings darauf zu beziehen ist, daß das zuvor genannte Werk, Pyramus und Thisbe, aus Ovids Metamorphosen, dem Autor des Üblen Weibes nur im Original und nicht etwa in der Übersetzung Albrechts von Halberstadt bekannt war, oder spezieller Ausdruck der Hochachtung gegenüber Wolframs Dichter-Übersetzertätigkeit ist, scheint mir nicht eindeutig; auf jeden Fall war der Autor des Üblen Weibes belesen; bei seinem Publikum setzt er aber hier nur die Kenntnis der Stoffe, nicht Detailkenntnis der Texte, voraus, während seine Anspielungen auf die Dietrichsage auch Details referieren, als wären sie dem Publikum bekannt Weder Erek und Enite haben einander geprügelt, im Gegensatz zu ihm (412ff.), noch wurde Äneas von Dido so mißhandelt (438ff.), noch mit ir wîzen handen Ysalde, der saelden kröne, diu sich ie vil schöne behüetet hât vor schänden, jâ waene sì Tristranden selten sluoc mit rocken. Daß Isolde Weißhand als Partnerin Tristans auftritt, verwundert nicht, denn nur sie ist seine Ehefrau. Dann sind wir wieder im Dietrichkreis. 527ff.: Hiete meister Hildebrant so sère verhouwen schildes rant als sì mir den stuol zersluoc, daz waere et im vil und genuoc. sì ist her Dietrich ze mir, ouwê daz ich gegen ir niht her Witege werden mac. sö giilte ich ir den dritten slac.

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578 ff. werden Gahmuret, Belakane und Feirefiz genannt; zwar wichtige Figuren im Parzival, aber doch nicht Protagonisten. Wolframs Parzival ist damit das einzige nicht zur Heldensage gehörige Werk, auf das im Bösen Weib zweimal, und noch dazu auf mehr als auf knappste Kenntnis der Hauptfabel, angespielt wird: also getaner minne wären diu gelieben erlân, Gahmuret und Belakân, diu dô Feirefïzen den swarzen und den wîzen, gebar von síner friihte. sî phlac sô schcener zühte und was sô wîplîchen guot, het er durch sînen frechen muot die dannenvart niht genomen, er waere nimmer von ir komen. Das letzte Literaturzitat, 696 ff., gehört wieder in den Dietrichkreis: gehört ir ie wie Dietleip mit dem merwîbe vaht den langen tac unz an die naht? daz leben im nieman gehiez. sî schôz ein stxhelînen spiez breiten unde wessen, gesmidet von siben messen, - als der tihtaere sprach in die erde, daz in nieman sach, dô sî sîn wolte râmen. und sîn snelheit diu was grôz, daz si in ze tôde niht enschôz. Die Sagenfigur Dietleip kennen wir aus oberdeutschen Werken (Biterolf und Dietleip, Laurin, Walberan) und aus der PiÖreks saga, allerdings mit stark divergierender 'Biographie', wobei die deutschen Fassungen in vielem jünger zu sein scheinen als die in der PiÖreks saga gebotene. Weder hier noch dort findet sich aber ein Kampf mit einem Meerweib, obwohl im Laurin Dietleip ein merwunder als Schildzeichen führt und im Rosengarten A 119 in Siebenbürgen im Kampf gegen ein merwunder verletzt wurde. Riesenweiber mit Zaubermitteln, die nur durch List getötet werden können, wie z. B. die Hildr der PiÖreks saga, gibt es zwar auch in deutschen Dichtungen, aber sie heißen nicht merwunder. Die mer-

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wunder sind in diesem literarischen Umkreis männlichen Geschlechts, und die merwtp, die wir sonst kennen, sind nicht kämpferisch, sondern eher verführerisch. Auch in der Piöreks saga steht seekona für die verführerische Nixe, troll für das Riesenweib Hildr. Die einzige literarische Figur, die 'Meerweib' genannt wird und Dietleips Gegnerin ähnlich ist, ist Grendels Mutter, das mere-wff mihtig (Beowulf 1519), die (Beowulf 1545) gegen Beowulf mit einem seax, also einem langen Messer, kämpft. Die Details der Kampfszenen entsprechen jedoch einander nicht. Die beim Publikum offensichtlich bekannte Quelle des Übelen wîbes für den Kampf Dietleips gegen ein merwîp, das wohl ein besonders widerwärtiges weibliches merwunder gewesen sein muß, fehlt uns also; entfernte Verwandte bzw. Reflexe davon sind erhaltener germanischer Heldensage bzw. deutscher Dichtung nicht fremd. Die obenstehende Sammlung der literarischen Anspielungen im Weinschwelg und im Bösen Weib zeigt, 1. daß Heldensage in der Zahl der Anspielungen und in der Genauigkeit der erwarteten Kenntnisse eine Sonderstellung einnimmt und daher eine wichtige Gattung in der ostalpenländischen Kultur gewesen sein muß, und 2., daß die Überschneidung mit in der Piöreks saga überlieferten Sagenstoffen bzw. Heldennamen unerwartet groß ist: zu Irons Jagd, Witege, Zweikampf Dietrich-Witege, Dietleip und Hildebrant tritt nur Horant (aus der Kudruri) als nicht auch in der Piöreks saga enthaltener Name aus der deutschen Heldensage. Daß hier keine Figuren der Nibelungensage genannt werden, ist auffällig, ist aber nicht eindeutig interpretierbar, denn Gründe dafür könnten z. B. sein: - Zufall; - in Tirol könnte als 'Normalreferenz' für Heldensage die Dietrichepik empfunden worden sein, daher in den zitierten Dichtungen kein Bedarf an weiteren Heldensagenfiguren bestanden haben, außer an Horant; woraus aber nicht geschlossen werden dürfte, daß man in Tirol die Nibelungensage nicht kannte; - die Kudrunsage könnte (über Wate) noch eher mit der Dietrichsage verknüpft geschienen haben als die Nibelungensage; - die Nibelungensage könnte in Süddeutschland zwar durch die außerordentliche dichterische Leistung des Nibelungenlieddichters vor allem in literarisch interessierten Kreisen bekannt, aber nicht besonders stark im allgemeinen Publikum verwurzelt gewesen sein. Die Beliebtheit der Dietrichsage im Tirol des 13. Jahrhunderts wird auch außerliterarisch bezeugt, nämlich durch die Darstellung Dietrichs von Bern neben König Artus auf einem Fresko in Runkelstein. Es ist bekannt, daß sich in den beiden zuvor behandelten Werkchen Figuren erwähnt finden, die wir auch aus der Piöreks saga kennen, doch habe ich hier alle darin enthaltenen literarischen

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Anspielungen dokumentiert, damit auch ihr Stellenwert klar wird: hier werden literarische Figuren aus verschiedenen Stoffkreisen zitiert, aber die Heldensage, genauer: Erzählungen, die auch in die PiÖreks saga Eingang gefunden haben, überwiegen deutlich.68 Nichts steht der Annahme entgegen, der Autor habe auch die von ihm zitierten Heldensagen gelesen. Allerdings könnte das Vorwiegen von Heldensagenstoffen auch darauf zurückzuführen sein, daß er bei seinem Publikum Kenntnis gerade dieser Geschichten erwartete, und zwar wohl zum Teil nur vom Hörensagen. In verschiedenen Kulturen bzw. Gesellschaftsschichten kann und konnte man voraussetzen, daß Parzival oder Pyramus und Thisbe vom Hörensagen bekannt waren, ohne daß Wolframs, Ovids oder Shakespeares Text im Original allgemein rezipiert worden wären; nicht das ganze Publikum des Tirolers mußte all das gelesen haben, nicht einmal er selbst. Doch erfahren wir von ihm nicht nur einzelne Namenbrocken, sondern dazu Teilchen von Erzählungen, die zu denen passen, die die PiÖreks saga von diesen Figuren berichtet: im Weinschwelg Iram + Nordian + Wisent, im Üblen Weib Witeges und Dietrichs Zweikampf im Zusammenhang mit Hildebrand, Waithers und Hildegunds weiten Weg. Manches weicht aber auch ab, wie erwähnt: die Verletzungen KÖreks, und vor allem daß weder Petleifr der Däne noch Dietleip sonst je gegen ein Meerweib kämpfen. Biterolf und Dietleip ist für steirische Auftraggeber geschrieben, steht also der Landschaft, in der die Dietrichepik für das 13. Jahrhundert zu Hause ist, nahe, hat aber zahlreiche Namen und Figuren, weniger Lokalisierungen, mit der Piöreks saga gemeinsam. Das Material ist damit gesichtet. Unser Ausgangspunkt war: unterschiedliche Stilzüge in der PiÖreks saga (ζ. Β. I>etleifr mit oder ohne Danski69) zeigen, daß eine Mehrzahl schriftlicher deutscher Quellen wahrscheinlicher ist als eine einheitliche deutsche Vorlage. Viele Möglichkeiten der Entstehung dieser Heterogenität sind aber denkbar. Die Sichtung des Umfeldes zeigte: die Struktur des in Niederdeutschland gesungenen Heldenliedes, wie wir sie aus dem Hildebrandslied konjizieren, liegt viel weiter von den Teilquellen der PiÖreks saga ab als rheinische, aber vor allem auch oberdeutsche Quellen, auf deren Beliebtheit das 'Repertoire' des Marners hinweist, sowie das Eckenlied, Biterolf und Dietleip und anscheinend auch die Dichtung von dem tihtœre, auf die das Böse Weib anspielt Strukturierende Zusammenfassungen von Heldensagen in der Form der später überlieferten Prosa-Wortnach/rede des Heldenbuches sind naheliegend, könnten daher auch öfter als einmal entstanden sein. Dagegen signalisiert der zum Schluß hin zunehmende elegische Grundton, der sich auch im Schlußteil der

68 Ob die Nibelungentradition nur zufälligerweise fehlt, kann nicht gesagt werden. 69 Siehe Verf. (wie Anm. 1), S. 14ff.

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PiÒreks saga findet, eine nichtzufällige Form der Zusammengehörigkeit. Die Wandlung vom Werkkomplex (Mar/ierrepertoire) zum komplexen Großwerk (Piöreks saga) ist etwas anderes als die zur Kürzestfassung (Heldenbuchvorf nach/rede). Dieses, möglicherweise im Bereich hanseatischer Kaufleute in Bergen entstandene, komplexe Großwerk trägt deutliche Spuren eines Literaturbetriebes, der innerhalb Deutschlands wesentlich durch die sich verfestigende Tiroler Tradition der Dietrichsage geprägt wurde. Für die verdeckten Teile dieser Überlieferung möchte ich nicht das übliche Bild des Eisberges wählen, denn dessen unsichtbare Teile können doch errechnet werden. Vor dem Berg, der die Vorstufen der Dietrichsagen vor uns verbirgt, steht der getreue Eckart "und warnet alle die in den berg gan wöllent".

V. Altnordisches literarisches Umfeld

Zum Königsspiegel VON RUDOLF SIMEK

Der altnorwegische Königsspiegel gehört zu den wichtigsten, aber auch sprödesten Werken der altnorwegischen Literatur, und obwohl die Forschung eine Menge von Veröffentlichungen zu diesem Werk hervorgebracht hat (85 Nummern in der Bibliographie von Tveitane von 19711, über 20 seither2), kennen

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Vgl. M. Tveitane, Studier over Konungs skuggsiá, Bergen etc. 1971, Bibliographie auf 188-192. Vgl.: Sverre Bagge, Forholdet mellom Kongespeilet og Stjóm. In: Arkiv för Nordisk Filologi 89,1974,163-202; Sveire Bagge, The Political Thought of The King's Mirror, Odense 1987; Svene Bagge, [Rezension von] Ingeborg Gl0ersen, Kongespeilet og Las siete Partidas. In: Historisk Tidsskrift (Oslo) 51,1972,344-347; Sverre Bagge, The Formation of the State and Concepts of Society in 13th century Norway. In: E. Vestergaard (Hrsg.), Continuity and Change. A Symposium, Odense 1987,43-59; Sverre Bagge, Fiirstenspiegel. B. Volkssprachliche Literaturen. IV. Skandinavische Literaturen. In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München und Zürich 1989, Sp. 1052-53; Ingeborg Gl0ersen, Kongespeilet og Las siete Partidas, Oslo 1972; Herbert Grabes, Speculum, Mirror and Looking-Glass, Tübingen 1973; Eyvind Fjeld Halvorsen, Konungs skuggsjá. In: Kindlers Neues Literatur Lexikon, Bd. 18, München 1992, 910-912; Dietrich Hofmann, Die Königsspiegel-Zitate in der Stjóm. In: Skandinavistik 3, 1973,1-40; Ludvig Holm-Olsen, The Prologue to The King's Minor Did the author of the work write it? In: Speculum Norrœnum, Odense 1981,223-241; Laurence Marcellus Larson (Hrsg.), The King's Mirror (Speculum Regale - Konungs Skuggsjá), New York 1917 (Reprint 1972) (= Library of Scandinavian Literature, XV); Hallvard Mager0y, Kongespeilet. In: Store Norske Leksikon, Bd. 8, 2. utgave, 3. opplag, Oslo 1991, 388-89; Einar Molland, "Les quatre filles de Dieu" dans le Miroir Royal Norvégien. Exégèse médiévale de Ps. 84,11. In: Jacques Fontaine & Charles Kannengiesser (Hrsg.), Epektasis, mélanges patristiques offerts au Cardinal Jean Daniélou, Paris 1972, 155-168; Einar Molland, "Guds fire d0tre" i Kongespeilet In: Fridtjov Birkeli, Arne Odd Johnsen & Einar Molland (Hgg.), Oslo bisped0mme 900 âr. Historiske studier, Oslo, Bergen, Troms0 1974, 51-12; J0rgen Qvistgaard Hansen, (Rezension von] Ingeborg Gl0ersen, Kongespeilet og Las siete Partidas. In: Historisk Tidskrift (K0benhavn) 76, 1976, 258-259; Uwe Schnall, Klassifikationsversuche und Beschreibungsmuster natürlicher Phänomene im "Königsspiegel": Die sogenannte Walliste. In: Arbeiten zur Skandinavistik. 11. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik 8.-14. August 1993 in Sigtuna. Hrsg. v. Hans Schottmann, Münster 1994,191-204; Jole R. Shakelford, The Apple/candle illustration in 'The King's Mirror' and the 'South English Legendary': In: Maal og Minne 1984, 72-84; Rudolf Simek, The Political Thought in the King's Mirror A Supplement In: Festschrift für Jónas Kristjánsson. Reykjavik 1994, 723-734; Mattias Tveitane, Hie 'Four Daughters of God' in the Old Norse King's Mirror. In: Neuphi-

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wir bislang weder Verfasser und genauen Entstehungsort, noch genaue Abfassungszeit, und noch viel weniger die Quellen dieses Werkes. Der Verfasser nennt im Prolog gute Gründe, anonym bleiben zu wollen, und bis heute ist ihm dies gelungen, auch wenn es eine ganze Reihe von Versuchen gegeben hat, ihn zu identifizieren. Für den Entstehungsort hat man bislang meist stillschweigend Bergen angenommen, wenn auch der weitere westnorwegische Umkreis des Königshofes problemlos in Frage kommt. Die Entstehungszeit des Werkes hat man, nach den älteren Datierungen auf die Zeit vor 13003, immer mehr auf die Zeit zwischen 1240 und 1263 eingegrenzt4, wobei jüngere Arbeiten die Zeit zwischen 1250/55 und 1263 als wahrscheinlich auffassen5. Für die Quellen dagegen hat eine ganze Reihe von Detailuntersuchungen Parallelen und Möglichkeiten gezeigt, die zu einer Bestimmung der Vorlagen des unbekannten Verfassers führen könnte, aber niemand hat bis jetzt auch nur für längere Passagen des Werkes Vorlagen nachweisen können. Selbst die auffälligen Gemeinsamkeiten, die Ingeborg Gl0ersen 1972 mit dem spanischen Rechtsbuch Las siete Partidas nachweisen konnte, beziehen sich nur auf Prolog und Abschnitte des 3. Teils6. Schon der Titel gibt Rätsel auf: Die Bezeichnung Speculum Regale ist trotz der umfangreichen Spiegelliteratur im Mittelalter und dem allerdings erst neuzeitlichen Gattungsbegriff Speculum principum "Fürstenspiegel" alleinstehend; ein Speculum regum (eine Sammlung von Königsbiographien) ist zwar von Gottfried von Viterbo aus der Mitte des 12. Jahrhunderts bekannt, ein Speculum regum des Alvarus Pelagius stammt dann aber erst vom Anfang des 14. Jahrhunderts, ein Speculum regiminis des Philippus de Pergamo ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert und ein Speculum morale regium des Robert von Gervais von 1384.7 Anne

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lologische Mitteilungen 73, 1972, 795-804; Mattias Tveitane (Hrsg.), Studier over Konungs skuggsiá, Bergen 1971; die zwei Arbeiten von Einar Már Jónsson sind mir erst nach AbschluB des vorliegenden Artikels zur Kenntnis gelangt: Einar Már Jónsson, Efnisskipan Í kaupmannabálki Konungsskuggsjár. In: Skírnir 165,2 1991, 275-301; Einar Már Jónsson, StaSa Konungsskuggsjár í vestraenum mióaldabókmenntum. In: Gripla VII 1990, 323-354 So R. Keyser in der Einleitung zur Ausgabe von 1848, niff. Zu den verschiedenen Datierungsmöglichkeiten vgl. B. T. Hallseth, Irland-afsnittet i Konungs skuggsiá. In: Maal og Minne 1967, 50-63, 50f, und S. Bagge, The Political Thought in The King's Mirror, Odense 1987, 12-13. Bagge (wie Anm. 4), 13; so auch schon F. Paasche, Om kongespeilets forfatter. In: Festskrift til Hj. Falk, Oslo 1927,170-181, der den Winter 1261-62 als Abfassungszeit postuliert hatte. Vgl. I. Gl0ersen, Kongespeilet og Las siete Partidas, Oslo etc. 1972, 25-79. Vgl. dazu H. Grabes, Speculum, Mirror und Looking-Glass, Tübingen 1973 (= Buchreihe der Anglia, 16), 49 und L. Holm-Olsen, The Prologue to The King's Mirror. Did the author of the work write it? In: Speculum Norrœnum, Odense 1981, 223-241, 224ff.

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Holtsmark8 und Ludvig Holm-Olsen9 schlugen vor, daß der Titel des norwegischen Werkes durch die Speculum-Titel des in Norwegen bekannten Vinzenz von Beauvais {Speculum naturale, Speculum historíale, Speculum doctrinale) angeregt worden sei, da nur sie die gleiche adjektivische Derivation aufwiesen. Da von allen denkbaren Speculum-Titeln - bis zur Abfassung des Königsspiegels gibt es erst knapp hundert10 - das Speculum majus des Vinzenz das in Norwegen bekannteste war, ist diese Annahme nicht unwahrscheinlich. Aber nicht nur der Titel, auch der Inhalt des altnorwegischen Königsspiegels weicht deutlich von den anderen europäischen Fürstenspiegeln ab, so daß man ihn als weitgehend unabhängiges und eigenständiges Werk angesehen hat11. Im Gegensatz zu allen anderen mittelalterlichen Fürstenspiegeln (Anh. 1) weist der altnordische Königsspiegel nämlich nicht nur einen Abschnitt über das Verhalten bzw. die Erziehung des Königs selbst auf (dies findet sich erst im 3. Buch), sondern auch einen umfangreichen Abschnitt über die königliche Gefolgschaft (hiri5; 2. Buch) und einen über die Kaufleute (1. Buch). Obwohl es, wie der Forschung keineswegs entgangen ist, derartige Einschübe in persischen Fürstenspiegeln gibt, fehlen Abschnitte über Kaufleute in allen bislang bekannten europäischen Fürstenspiegeln, und selbst Erweiterungen auf die königliche Gefolgschaft sind selten (John of Salisbury: Polycraticus, Vinzenz: De eruditione filiorum). Übrigens hat sich auch die Forschung zu den europäischen Fürstenspiegeln bisher ausschließlich mit den darin vertretenen Herrschaftstheorien beschäftigt12, es gibt keine Arbeit, die andere inhaltliche oder gar strukturelle Fragen komparatistisch behandelt. Allerdings ist ein direkter Vergleich mittelalterlicher Fürstenspiegel schon allein vom Umfang her schwierig, denn gegenüber äußerst knappen Traktaten wie De regis persona et regio ministerio des Hinkmar von Reims stehen sehr umfangreiche Werke wie das des Johannes von Salisbury.13 Ich habe vor, mich hier vorwiegend mit dem 1. Buch des Königsspiegels zu beschäftigen, also dem Abschnitt über die Kaufleute, und diesen ein wenig genauer zu analysieren, wobei allerdings eine knappe Behandlung des Prologs vorauszuschicken ist Das Buch über die Kaufleute ist nämlich der Abschnitt,

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Vgl. A. Holtsmark, Kongespeillitteratur. In: Kulturhistorisk Lexikon for Nordisk Middelalder 9, 1964, 61-68. Vgl. Holm-Olsen (wie Anm. 7). Vgl. dazu allgemein Grabes (wie Anm. 7), 246-259. Vgl. Bagge 1987 (wie Anm. 2), 19f. Vgl. E. Booz, Fürstenspiegel des Mittelalters bis zur Scholastik, Diss. Freiburg 1913; W. Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Leipzig 1938. Vgl. dazu allgemein R. M. Smith, The Speculum Principimi in Early Irish Literature. In: Speculum 2, 1927, 411-445.

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durch den sich der altnorwegische Königsspiegel am meisten von anderen Fürstenspiegeln unterscheidet und der dementsprechend der vergleichenden Quellenforschung am meisten Kopfzerbrechen bereitet hat. Finnur Jónsson, der im Anhang zu seiner Ausgabe von 1920 relativ ausführlich auf mögliche Quellen eingeht, besonders im naturkundlichen Abschnitt, verliert diesbezüglich über die kaufmännischen Ratschläge nicht einmal ein Wort, wohl ebenfalls mangels vergleichbaren Materials. Beim Prolog des Königsspiegels hat man, wie bei anderen mittelalterlichen Prologen auch, Zweifel an der Echtheit angemeldet, vor allem wegen des stilistischen Bruches am Übergang zum ersten Buch und wegen des darin enthaltenen Plans des Werks, der mit der Ausführung nicht übereinstimmt Eine eingehende Untersuchung zur Echtheit hat Ludvig Holm-Olsen 1981 angestellt14, und obwohl Bagge dessen Ergebnisse 1987 wieder in Frage gestellt hat und den Prolog wieder in seiner Vollständigkeit als echt bezeichnete13, möchte ich Holm-Olsens Ergebnisse kurz referieren, ohne mich deswegen Holm-Olsens Schlüssen anschließen zu wollen. Der Prolog zerfallt, so Holm-Olsen, in 9 Abschnitte, von denen Nr. 3 den Plan zum Inhalt, Nr. 6 die Gründe für die Wahl des Titels und Nr. 7 für die selbstgewählte Anonymität des Verfassers behandeln. Holm-Olsen kam zu dem Schluß, daß der Prolog in seiner Gänze kaum vom Autor stammen dürfte, aber einzelne Teile (nämlich Abschnitte 5, 7 und 8) vermutlich von ihm selbst sind. Gerade die beiden interessantesten Stücke, nämlich Nr. 3 über den Plan des Werks und Nr. 6 über den Titel, sind am schwierigsten zu beurteilen, und Holm-Olsen ließ hier alle Möglichkeiten offen, obwohl er bei Nr. 3 selbst annahm, es handle sich um späteren Zusatz. Für meine Argumentation sind aber gerade diese beiden Abschnitte interessant; auf Nr. 6 komme ich noch später zu sprechen, aber Nr. 3 behandelt die dispositio, den Plan des Werkes. (Anh. 2). Bekanntlich enthält der Königsspiegel aber keine Abschnitte über Klerus und Bauern, so daß es nur drei Möglichkeiten gibt: entweder ist das Werk fragmentarisch überliefert (was auf Grund der Handschriftenlage sehr unwahrscheinlich ist), es wurde nie abgeschlossen (warum dann im Prolog, der nach mittelalterlicher Praxis wohl nachträglich verfaßt wurde, diese dispositio dargelegt wurde, ist allerdings unklar), oder der Verfasser des Prologs kannte das Werk nicht gut genug (was selbst bei der Annahme der "Unechtheit" des Prologs auch nicht sehr wahrscheinlich ist). Der bisherigen Forschung schien die zweite Möglichkeit am naheliegendsten, doch zu belegen ist diese Vermutung durch nichts; am Ende

14 Vgl. Holm-Olsen (wie Anm. 7), 223ff. 15 Vgl. Bagge 1987 (wie Anm. 2), 16, Anm. 2.

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dieses Aufsatzes möchte ich allerdings noch eine weitere, vierte Möglichkeit behandeln. Nach einer knappen und unpassenden Überleitung vom Prolog zum eigentlichen Werk beginnt dann das 1. Buch Uber die Kaufleute, dessen Inhalt folgendermaßen aussieht: Nach einer kürzeren, aber dennoch verbosen Einleitung (Kapitel 2 nach der traditionellen Zählung, die den Prolog als 1. Kap. zählt), folgt der erste eigentliche Abschnitt mit Ratschlägen an den prospektiven Kaufmann (Anh. 3). Der Abschnitt beginnt mit dem Hinweis auf mögliche Lebensgefahr, besonders in heidnischen Ländern; handelt vom notwendigen Mut auf dem Meer, von der Höflichkeit auf Handelsplätzen, enthält eine Anhaltung zum morgendlichen Gottesdienstbesuch ebenso wie zur Vorsicht beim Einkauf, bespricht die Nützlichkeit von Zeugen beim Abschluß von Geschäften, den sozialen Vorteil eines guten und sauberen Mittagstisches; dann folgen praktische Regeln über die Kontrolle der Waren und das Abstandnehmen von Betrügereien, sowie schließlich der Hinweis auf notwendige Kenntnisse des Kaufmanns, wobei besonders die Rechtskenntnis und die Sprachkenntnis (Latein und Französisch) hervorgehoben wird. Das vierte Kapitel enthält dann weitere praktische Ratschläge sowie Tugenden (Freundlichkeit, Selbstkontrolle, Kindererziehung) und Laster (Trunksucht, Spielsucht, Hurerei und Streitsucht) eines Kaufmanns, schließlich folgt als Einleitung zu praktischen Hinweisen auf Pflege und Ausrüstung eines Handelsschiffs ein erster Verweis auf die notwendigen meteorologisch-astronomischen Kenntnisse; ergänzt werden diese Ratschläge durch Verhaltensmaßregeln beim Umgang mit Königsleuten, bei der Wahl der Unterkunft und der vernünftigen Geldanlage. Soweit ist dieser Teil des Buches mit seinem Plan völlig konform; allerdings nehmen die bislang genannten Ratschläge nur etwas über drei Seiten der 35 Seiten des 1. Buches ein16, und nun folgt der sogenannte naturkundliche Abschnitt des Königsspiegels, der über weite Strecken überhaupt kein Wort mehr über den Kaufmann oder seine Bedürfnisse verliert. Ein Überblick über den Inhalt dieses Abschnittes findet sich in Anhang 4. Erst mit dem allerletzten Abschnitt kehrt die Belehrung tatsächlich wieder zu den Bedürfnissen eines seefahrenden Kaufmanns zurück, der Rest des naturkundlichen Abschnittes ist eine, wenn auch für mittelalterliche Verhältnisse auffallend praxisorientierte, naturkundliche Realenzyklopädie. Dieser naturkundliche Abschnitt hat, vielleicht mit Ausnahme der Herrschaftstheorie des 3. Buchs, die jüngere Forschung zum Königsspiegel am meisten

16 Vgl. das Inhaltsverzeichnis der Ausgabe von L. Holm-Olsen, Konungs skuggsjá, Oslo 21983, Vf.

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beschäftigt, davon am meisten wohl der Abschnitt über Irland. Diesen stark teratologisch geprägten, aber für mittelalterliche Verhältnisse auffällig detaillierten regionalgeographischen Abschnitt hat man in der Vergangenheit auf britische Quellen zurückführen wollen, besonders auf Nennius und auf die Topographia Hiberniae des Giraldus Cambrensis, aber schon zu Anfang dieses Jahrhunderts hat man festgestellt, daß die Namensformen des Abschnitts höchstwahrscheinlich auf mündliche Vermittlung der Informationen zurückgehen dürften17. Hallseth hat dabei versucht zu zeigen, daß der Irland-Abschnitt auf Grund einer nicht näher identifizierten Quelle nachträglich in den Königsspiegel interpoliert wurde; ohne hier gerade auf den Irland-Abschnitt näher eingehen zu wollen, scheint mir allerdings aus strukturellen Gründen, daß der Abschnitt in der Komposition des ganzen Königsspiegels einen festen Platz hat: Er entspricht ähnlichen teils auch teratologischen Anmerkungen über Norwegen, Island und Grönland und nimmt ungefähr denselben Raum wie die Abschnitte über Island und Grönland ein. Sollte der Irland-Abschnitt interpoliert sein, besteht kein Grund, dies nicht auch für den Grönland- und Island-Teil anzunehmen, aber in diesem Fall wäre das erste Buch um mehr als die Hälfte reduziert, was nicht sehr wahrscheinlich ist. Ich gehe also im weiteren davon aus, daß der Irland-Abschnitt vom ursprünglichen Verfasser oder Kompilator der drei Bücher (was auch Hallseth nicht ausschloß) stammt. Die eigentlichen Ratschläge an Kaufleute nehmen, wie gesagt, den Beginn des ersten Buches ein, welches somit anfangs tatsächlich den Eindruck eines kompletten Abschnittes über Kaufleute macht. Die darin enthaltenen Lehren werden gleich zu Beginn von einer massiven Aufforderung zu Kirchenbesuch und Gebet begleitet, der Rest der Ratschläge enthält allerdings keinerlei klerikales Gepräge, so daß dieser Satz recht aufgesetzt wirkt und sofort wieder abgelöst wird von einem Ratschlag, es anderen Handelsleuten in einem fremden Kaufhafen gleichzutun. Noch vorher wird zwar auf den Mut, den der Kaufmann auf dem Meer und unter fremden Völkern braucht, angespielt, noch mehr aber auf die Notwendigkeit eines gefälligen und höflichen Benehmens. Es folgen praktische, wenn auch recht simple Ratschläge: Der Kaufmann soll sich vor verdorbenen Waren hüten und seine Ware vor dem Einkauf untersuchen, er soll Zeugen zum Geschäftsabschluß beiziehen und seine eigene Ware nicht besser machen als sie ist

17 Vgl. K. Meyer, The Irish Mirabilia in the Norse "Speculum Regale". In: Folklore 5, 1894, 299-316, Reprint in: Tveitane (wie Anm. 1), 130-143; J. Young, Two of the Irish "Mirabilia" in the "King's Mirror". In: Études celtiques 3, 1938, 21-26, Reprint in Tveitane (wie Anm. 1), 125-129; A. Heiermeier, Die im norwegischen Königsspiegel vorkommenden irischen Namen und Wunder. In: R. Meissner, Der Königsspiegel, Halle a.S. 1944, 263-268; und Hallseth (wie Anm. 4), 50-63.

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und zu einem entsprechenden Preis anbieten. Dazwischen eingeschoben ist der Knigge für den ordentlichen Mittagstisch, komplett mit weißem Tischtuch und einer sinngemäßen Fassung des Sprichworts "Nach dem Essen sollst Du ruhn oder tausend Schritte tun"18. Erst dann, als letzter Absatz des 3. Kapitels, folgen die wesentlich konkreteren Hinweise auf kaufmännische Bildung: einerseits die Aufforderung zum Studium schriftlicher Rechtsquellen, als bjarkeyjarrétt bezeichnet (was also ausdrücklich die Handelsgesetze betrifft19), andererseits die Ermunterung zum Erlemen von Fremdsprachen, besonders des Lateinischen und Französischen, da diese am weitesten verbreitet seien. (Es soll hier nur angemerkt werden, daß die Kenntnis des Französischen und Lateinischen in Norwegen um die Mitte des 13. Jahrhunderts dem Literaten und Kleriker wohl nützlicher war als dem Kaufmann in der Konfrontation mit der aufstrebenden Hanse.) Die Regeln in Kap. 4 sind ähnlicher Natur, und man könnte sie allgemein unter Tugenden und Laster zusammenfassen: Freundlichkeit, Rechtschaffenheit, Schweigsamkeit, Verantwortung für die Erziehung der Kinder - was hier etwas unpassend scheinen könnte - werden als erstrebsam dargestellt, Trunksucht, Spielsucht, Hurerei und Streitsucht dagegen als für einen Kaufmann schlimme Laster. Dann folgt der erwähnte erste Hinweis auf die notwendige Kenntnis von Taglängen und Gezeiten, und schließlich folgen noch einige praktische Regeln: das Gebot, sich mit den Leuten des Königs gutzustellen (vielleicht nicht ohne Zusammenhang mit der Situation der frühen Hanse in den 40er und 50er Jahren des 13. Jahrhunderts, als es wiederholt zu blutigen Unruhen zwischen Bergenser Bürgern und deutschen Kaufleuten kam, die zu ihrem Glück aber das Wohlwollen des Königs besaßen). Nach einem letzten rein kaufmännischen Ratschlag, nämlich seine Ware wieder schleunigst weiterzuverkaufen und sie nicht zu horten, geht der Hauptteil des Kapitels dann ausschließlich auf seemännische Fragen ein, die ich hier nicht näher behandeln will; schließlich folgen noch Hinweise zur Quartiersuche - auch hier wieder die erwähnte Unterscheidung in Stadtbürger und Königsleute - und schließlich über die Investition von Gewinnen, wobei auf die Risikoverminderung durch das Prinzip der verteilten Anlegung (also der Diversifikation) eingegangen wird. Nach einer letzten Mahnung,

18 Dabei ist interessant, daß die entsprechenden mittelalterlichen deutschen und lateinischen Sprichwörter nur das eine oder das andere raten: also entweder "Post cenam pausa, nec stes nec eas sine causa" (dt. Nach dem Essen soll man ruhn, weder stehn, noch ohn Ursach Gänge thun) oder eben "Post cenam stabis vel passu mille meabis" (dt. Nach dem Essen soll man stehn oder 1000 Schritte gehn (H. Walther, Proverbia Sententìaeque Latinitatis Medii Aevi, Bd. 3, Göttingen 1965, 890; K. F. W. Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Bd. 1, Leipzig 1867, Reprint Augsburg 1987, 887). 19 R. Keyser, P.A. Munch (Hrsg.), Norges Gamie Love indtil 1387, Bd. 1, Christiania 1846, 301-336.

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sich vor üblen Sitten zu hüten, folgt ein Übergang zum naturwissenschaftlichen Teil des Kapitels. Die praktischen Regeln des Königsspiegels sind damit nicht sehr unterschiedlich von jenen, die sich in anderen mittelalterlichen Standeslehren für Kaufleute finden. Diese sind zwar so gut wie nie in Fürstenspiegel integriert, finden sich aber in anderen literarischen Gattungen, und zwar: Schachbüchern, allen voran der Liber de ludo Scachorum des Predigermönchs aus Reims Jacobus de Cessoli aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts20, welcher sehr verbreitet war und auch in zahlreichen volkssprachlichen Versionen erhalten ist, z.B. im mittelhochdeutschen Schachzabelbuch des Konrad von Ammenhausen, 1337, das selbst wieder eine Reihe anderer Schachzabelbücher in Versform provoziert oder wenigstens beeinflußt hat21, oder in der englischen Fassung von Caxton, wo das Kapitel über die Kaufleute mit: The maners of marchauntes & chaungers überschrieben ist Zweitens Ökonomielehren, wie der Yconomica des Konrad von Megenberg (14. Jahrhundert), aus dem Bereich der Ökonomik22. Drittens finden sich, allerdings erst an der Wende zur Neuzeit, eigene Kaufmannsspiegel, etwa Robert Mason's Mirrour for Merchants von 1609, Richard Dafforne's The Merchants Mirror und John Every's Speculum mercativum von 1673. Im Mittelalter sind dagegen eigene derartige Specula mercatorum nicht bekannt. Schachbücher versuchen, an Hand des Schachspiels Ständelehren zu bieten, in denen möglichst viele Stände einzeln beschrieben und nach ihren Lastern und Tugenden moralisch abgehandelt werden, aber keines der Schachbücher enthält Informationen enzyklopädischen Charakters, wie es das Kaufmannskapitel des Königsspiegels tut Interessanter ist in diesem Zusammenhang die mittelalterliche ÖkonomikLiteratur, von der am umfangreichsten die bislang - relativ - am besten erforschte Konrads von Megenberg 100 Jahre nach dem altnorwegischen Königsspiegel entstandene Yconomica ist. Sie steht in der Tradition der antiken, pseudoaristotelischen Ökonomielehren, die sich als Lehren vom Hauswesen verstehen

20 Vgl. F. Vetter, Das Schachzabelbuch Kunrats von Ammenhausen, Frauenfeld 1887, XLIXLffl. 21 Vgl. G. F. Schmitt, Konrad von Ammenhausen. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 5, Berlin 1985, 136-39. 22 Vgl. dazu S. Krüger, Zum Verständnis der Oeconomica Konrads von Megenberg. Griechische Ursprünge der spätmittelalterlichen Lehre vom Hause. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 20, 1964, 475-561 und S. Krüger (Hrsg.), Konrad von Megenberg, Weike: Ökonomik (Buch 1), Stuttgart 1973 (= Monumenta Germaniae Histórica ΠΙ,5), Einleitung X,

xxnf, xxrc, xxxiif.

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- im Gegensatz zu Lehren vom Staatswesen (vgl. Aristoteles' Politik, auf der aber das erste Buch der Ökonomik beruht, ebenso wie auf Xenophons OikomeniÄöi 23 ).

Von den zahlreichen in der Antike entworfenen Hauslehren24 waren für das europäische Mittelalter die meisten verloren; bekannt waren im wesentlichen nur die aristotelische Politik und Buch 1. und 3. der pseudo-aristotelischen Ökonomik, allenfalls Xenophons Oikonomikos in Ciceros Übersetzung, welche durch die Verwendung bei Columella: De re rustica bis ins Hochmittelalter bekannt war, daneben war im universitären Betrieb bis zu den Aristotelesübersetzungen Ciceros Schrift De officiis die Hauptquelle der Ökonomik, so auch für Vinzenz.25 (Anh. S26) Der Hauptweg der Vermittlung der antiken Ökonomiklehrbücher fuhrt aber über das Arabische; zwischen 1250-1260 übersetzt Pedro Gallego, Minorit und Bischof von Cartagena, die Ökonomik des''Antecer' aus dem Arabischen27; um 1260 wurde die Politik des Aristoteles ins Lateinische übersetzt, vielleicht schon zur selben Zeit auch die älteste Fassung der pseudo-aristotelischen Ökonomik (Translatio vetus) direkt aus dem Griechischen, die dann um 1280 und 1295 (durch Durandus de Alvemia) noch zweimal übersetzt wird; um 1300 wird dann die ganze Yconomica Galieni, d.h. der 'Bryson', ins Lateinische übertragen2®. Der Weg der Vermittlung des 'Bryson' ist aber auch innerhalb der arabischen Überlieferung keineswegs einfach, vgl. dazu das Stemma bei Plessner (Anh. Ô).29

Einer der Punkte, die mich ursprünglich - abgesehen von den Lehren für den Kaufmann selbst - aufmerksam auf den Zusammenhang mit den Ökonomielehren gemacht haben, war die auffällig lange Beschreibung der acht Winde im Sommer und im Winter. Einerseits spricht die naturwissenschaftliche Literatur

23 24 25 26

Vgl. Krüger (wie Anm. 22), 480f, Anm. 10. Vgl. Krüger (wie Anm. 22), 476. Vgl. dazu Krüger (wie Anm. 22), 548f. Für die Erstellung der Graphik bin ich Fr. Mag. Barbara R. Krebs zu besonderem Dank verpflichtet Die Konvertierung der Graphiken in Anhang 5 und 6 besorgte dankenswerterweise Thorsten Alms, Bonn. 27 'Antecer' ist die bei Pedro Gallego zu findende Verballhomung eines arabischen Namens, der sich nicht mehr rekonstruieren läßt: Translatio abreviata fratris episcopi Cartaginensis de speculatione antecer in regitiva domus; vgl. Krüger, Verständnis (wie Anm. 22), S4S und 550; der Text dieses 'Antecer' ist recht ähnlich der Yconomica Galieni, welche von Armengandus (oder Armengaudus) Blazii, Arzt in Montpellier, um 1300 aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt wurde (vgl. dazu Plessner [wie Anm. 29], 22). 28 Vgl. Krüger, Verhältnis (wie Anm. 22), 546. 29 Vgl. M. Plessner, Der Oikonomikos des Neupythagoreers 'Bryson' und sein EinfluB auf die islamische Wissenschaft, Heidelberg 1928 (= Orient und Antike 5), 140.

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des Hochmittelalters üblicherweise von 12 Winden30, nicht von acht - was aber nach traditionell altnordischer Einteilung der Windrichtungen allein noch nicht so auffällig wäre - , andererseits ist die beinahe poetische Schilderung der Winde weit entfernt von den Abschnitten der Winde, die ich aus mittelalterlich naturkundlichen Traktaten kenne, wo normalerweise auf die Entstehung der Winde und die Namen der 12 Windrichtungen eingegangen wird, nicht aber auf detaillierte Schilderungen ihrer Eigenschaften; so konnte Finnur Jónsson in der Einleitung zu seiner Ausgabe des Königsspiegels noch mit Überzeugung sagen: "Dette afsnitt slutter med den pragtfulde skildring af vindene og deres forlig; forf. taler om solen og vindenes forhold dertil i l0bet af 24 timer, men i virkeligheden et âr. Hele afsnittet er forf.s eget. Der henvises ikke til nogen kilde."31 Solche Schilderungen finden sich dagegen schon in der Antike, aber eben nicht in der naturwissenschaftlichen Fachliteratur oder den Enzyklopädien, sondern in der landwirtschaftlichen Fachliteratur und darauf basierenden literarischen Werken, etwa Hesiods Werke und Tage und Columellas De re rustica. Aus dieser antiken Tradition fließen diese Beschreibungen der Winde und Tageszeiten dann in die mittelalterliche Ökonomik ein, von wo sie der Autor des Königsspiegels übernommen hat und sie auf seine souveräne Weise sprachlich eigenständig, inhaltlich aber am Vorbild bleibend, gestaltet hat 32 Eigentlicher Inhalt der Ökonomiken sind aber weder Regeln für Kaufleute noch meteorologische Beschreibungen, sondern die Organisation des landwirtschaftlichen Großhaushalts einer feudalen Gesellschaft; die moderne Nachfolgewissenschaft ist also nicht die Ökonomie im modernen Sinn, sondern eine bislang nur in den USA als wissenschaftliche Disziplin zu findende Hauswirtschaftslehre oder "home economics"33. In den antiken und mittelalterlichen Ökonomiken werden jedenfalls, ausgehend vom Haushalt, die Institutionen der Ehe und der Kindererziehung, der hierarchischen Ordnung des Großhaushalts samt der Führung des Gesindes, und dann die praktischen Seiten der agrarischen Lebensführung, wie Viehzucht, Landbau, aber auch Hausbau, und verschiedene Gewerbe, inklusive Medizin, abgehandelt, wobei enzyklopädisches Wissensgut keine unwesentliche Rolle spielt Sowohl unter den Gewerben als auch bei der Erzie-

30 Vgl. dazu Isidor, De natura rerum 37; Isidor, Etymologiae XIII, 11; Beda, De natura rerum 27; Honorius, De imagine mundi I, 54; Vinzenz, Speculum naturale IV, 26-37; Acht Winde dagegen finden sich bei Albertus Magnus, Liber de passionibus aeris; Aristoteles, Meteorologica,, II; Erathostenes I, 6, 9-13. 31 F. Jónsson, Konungs skuggsjl Speculum regale, Kopenhagen 1920, Einleitung, 54. 32 Zu den Winden vgl. besonders H. Steinmetz, De ventorum descriptionibus apud Graecos Romanesque, Diss. Göttingen 1907; wenig ergiebig dagegen der Artikel von O. Holl, Wind, Winde. In: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4, Rom etc. 1972, Sp. 532f. 33 Erich Egner, Der Verlust der alten Ökonomik, Berlin 1985,11.

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hung der Söhne zu verschiedenen ehrbaren Berufen werden in einzelnen Texten die Kaufleute behandelt Diese Ökonomik bildet in spätmittelalterlichen Werken den ersten Abschnitt, sozusagen den gesellschaftlichen Mikrokosmos, der zu einem zweiten Buch über das staatliche Gemeinwesen - aufgefaßt als Haus des Fürsten, überleiten kann, worin vom Fürstenhof ausgehend die Regierungsämter und die staatliche Verwaltung behandelt werden. Das dritte Haus ist das spirituelle der Kirche, welches im letzten Buch abgehandelt wird; ein derartiges Konzept findet sich in der Yconomica, Politica und Monastica des Konrad von Megenberg im 14. Jahrhundert34. Die Ähnlichkeit mit der platonischen Gliederung in Nähr-, Wehr- und Lehrstand ist nur oberflächlich, da das Haus in seinen verschiedenen Größenordnungen der Ausgangspunkt der Gliederung ist Die Einteilung in domus, regnum und ecclesia ist selbstverständlich hochmittelalterlich und bereits eine Erweiterung der aristotelischen Grundidee. Der Einschluß des Reichs führt auch dazu, daß die Ökonomik als einen ihrer Teile einen Fürstenspiegel enthält der allerdings aus anderen Wurzeln schöpft als der Hauptstrang europäischer mittelalterlicher Fürstenspiegel: Werden in diesen (gemäß auch den vereinzelten Spiegel-Titeln) exemplarische Lebensläufe vorgeführt oder moralische Lehren geboten, so liegt das Schwergewicht der ökonomischen Fürstenspiegel auf der Hierarchie, der Ordnung und der Verwaltung. Gegenseitige Beeinflussungen der beiden Gattungen lassen sich aber schon spätestens im 13. Jahrhundert festmachen: Die Ökonomik baut ihre regnumTheorie entsprechend dem Gedankengut christlicher Moralphilosophie aus, die Fürstenspiegel herkömmlicher Art übernehmen praktisches Detailwissen, was dann zum Einschluß ständedidaktischer oder regelrecht enzyklopädischer Abschnitte führt; die Beispiele dafür sind nicht zahlreich, machen die Tendenz jedoch deutlich genug: Der nur ca. 20 Jahre nach dem Königsspiegel entstandene einflußreichste Fürstenspiegel des späteren Mittelalters, des Aegidius Romanus De regimine principum, enthält Abschnitte über den Stand der Krieger und auch über die Kriegskunst (vgl. ähnliches im Königsspiegel), der Liber de regimine civitatum des Johannes von Viterbo (vor 1228 entstanden) behandelt ausführlichst die Ämter des Reiches und seine Verwaltung, und der schon 1159 entstandene Policraticus des Johannnes von Salisbury enthält Abschnitte über alle denkbaren artes, einschließlich Arithmetik und Musik; das Buch De regimine

34 Vgl. Krüger, Konrad von Megenberg, Werke: Ökonomik (Buch 1) (wie Anm. 22), Einleitung XXIf.

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principian des Engelbert von Admont (um 1290/92) enthält überhaupt systematische Anmerkungen zu fast allen Eigenkünsten.35 Es ist also in der praktischen Ausformung vor allem die Erweiterung der Moraldidaktik durch praktisches Wissen, auch enzyklopädischen Ausmaßes, was die Ökonomik von den traditionellen Fürstenspiegeln unterscheidet. Genau das ist aber auch im altnordischen Königsspiegel der Fall: Einerseits ist - zumindest im Plan des Prologs - trotz des Titels nicht nur vom König die Rede, sondern auch von seinem Gefolge und den Kaufleuten (soweit ist der Plan verwirklicht worden), sowie auch vom Klerus und den Bauern - was, aus welchen Gründen immer, nicht zur Ausführung gelangte. Andererseits ist die starke inhaltliche Schwellung durch praktisches, auch mündlich vermitteltes Wissensgut im Abschnitt über die Kaufleute (wie auch über die Kriegskunst im zweiten Buch über die hirö), und vielleicht auch durch biblisches Exempelmaterial im dritten Buch auffällig. Es läßt sich, trotz der selbständigen Ausführung des Königsspiegels, sogar beweisen, daß der Autor des Königsspiegels das domus-Bild der Ökonomik bewußt verwertete: Am Ende des dritten Buchs, im vorletzten Kapitel (69), wird das Verhältnis von Königreich und Kirche behandelt. Dabei spricht er sowohl vom Reich als auch von der Kirche als von zwei Häusern, die Gott auf Erden errichtet habe, und für die König bzw. Bischof als Verwalter eingesetzt worden seien. Die Herkunft aus dem domus-B'ûà der Ökonomie-Tradition erklärt auch die Verwendung des Begriffs Haus in diesem Zusammenhang, die Bagge in seiner Diskussion in 'The political Thought in the King's Mirror' nicht erklären konnte36. Es überrascht daher nicht, daß Bagge für das ganze Konzept des Verhältnisses von König und Bischof im Königsspiegei keine Parallelen in europäischen Königsspiegeln finden konnte; die einzigen vagen Anklänge im erwähnten Policraticus des Johannes von Salisbury, die er konstatiert, sind umso interessanter, als der Policraticus der am meisten von der Ökonomik beeinflußte Fürstenspiegel ist37. Erklärbarer werden nunmehr auch die von Gl0ersen konstatierten Übereinstimmungen zwischen dem 1263 entstandenen Rechtsbuch Las siete Partidas und dem Königsspiegel38, da das spanische Werk die spanischen Übersetzungen der arabischen Ökonomik rezipiert, erstmals um 1260 durch Pedro Gallego übersetzt Die arabische Ökonomik basiert aber selbst wieder auf

33 36 37 38

Zugänglich nur in der Ausgabe von 1725 durch Huffnagl. Vgl. Bagge, The Political Thought (wie Anm. 2), 117. Vgl. ebd., 133-37. Vgl. Gl0ersen (wie Anm. 2), 16ff.

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dem Oikonomikos des Neupythagoräers Bryson, der wiederum auf der PseudoAristotelischen Ökonomik fußt39. Der altnorwegische Königsspiegel ist damit erstens trotz des Titels weniger ein Fürstenspiegel, sondern steht in der Tradition der alteuropäischen Ökonomik (möglicherweise schon unter pseudo-aristotelischem Einfluß), basierend auf dem peripatetischen Schema der Moralphilosophie. Beide Gattungen - die Fürstenspiegel und die Ökonomiken - beeinflussen einander aber auch sonst gegenseitig40 (vom Polycraticus über das Speculum doctrinale, der Las siete partidas bis zu Aegidius Romanus und Konrad von Megenberg). Wie durch die Ökonomik des Konrad von Megenberg und teilweise auch den Fürstenspiegel des Aegidius Romanus sollen durch Königsspiegel Fürstensöhne in den Prinzipien der Ökonomie, Politik und Ethik unterrichtet werden, und nicht nur Fürstensöhne, sondern alle mit gleichem Recht, wes Standes oder Ansehens sie immer seien, wie Abschnitt 6 des Prologs des Königsspiegels ausdrücklich betont (Anh. 7). Der Prolog kann daher, wie ich meine, auch so interpretiert werden, daß er das Ideal des Aufbaues einer Ökonomik festhält, somit neben den Kaufleuten auch die Bauern abhandeln wollte (worauf ja das Schwergewicht der antiken Ökonomik lag), und im Anschluß an königliches Gefolge und König (was nunmehr als Einheit aufgefaßt weiden müßte) noch den Klerus behandeln wollte, womit die drei Häuser des spätmittelalterlichen Schemas gleichwertig gefüllt worden wären; damit könnte der Prolog sehr wohl vom Autor stammen, da dieser die programmatische und damit gattungskonstituierende Beschreibung sicherlich nicht weglassen wollte, obwohl er nicht mehr zur Ausführung aller Teile gelangt war. Zweitens läßt sich außerdem für den Königsspiegel in Vinzenz* Speculum doctrinale erstmals eine konkrete Quelle nachweisen, vor allem in den Stellen über die Kriegsgeräte41. Weiters läßt sich aber auch sagen, daß selbst für diese Bereiche, die durch die Ökonomik als Gattung geprägt sind und klassische Vorlagen gehabt haben dürften, das Speculum doctrinale als alleinige Quelle 39 Vgl. Krüger, Zum Verständnis (wie Anm. 22), 478. 40 Übrigens ist auch die auf den eisten Blick so unähnliche gnomische altirische Fürstenspiegelliteratur (vgl. oben Anm. 13) nicht so weit von unserer Gattung entfernt, wie Krüger mit anderem Blickwinkel anmerken kann: "Immerhin ist die Verwandtschaft so nah, daß die Weisheitsliteratur vielfach Eingang in die Ökonomiken findet Die Diskussion der sieben griechischen - Weisen über das "beste Haus" in Plutarchs Gastmahl zitiert noch Hohenberg in seiner Oeconomica (Geórgica curiosa), T-us-i die arabischen Weisen in seiner von 'Bryson' abhängigen Ökonomik, Konrad die Disticha Catonis, [...]" (Krüger, Zum Verständnis [wie Anm. 22], 514). 41 Zwar können die wörtlichen Obereinstimmungen in den militärhistorischen Abschnitten auch aus Vegetius direkt stammen, den Vinzenz über weite Strecken wörtlich zitiert, aber die Kenntnis des Vegetius im Norwegen des 13. Jahrhunderts ist sonst nicht nachzuweisen, die von Vinzenz' Specula dagegen schon.

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nicht ausreicht und andere Werke der Ökonomikliteratur herangezogen wurden. Der Verfasser des Königsspiegels füllt dabei aber die zahlreichen freien oder schon unpassenden Systemplätze der enzyklopädischen Wissensvermittlung, wie übrigens andere europäische Verfasser von Ökonomiken auch, selbständig mit regionalspezifischen Informationen, wie etwa den Walarten oder der Geographie Grönlands, und schafft damit ein autochthones Werk für Norwegen innerhalb der Gattung der Ökonomik.

ANHANG

Anhang 1: Wichtige europäische Fürstenspiegel vor 1300. Smaragdus of St. Mihiel: Via regia (um 800); Jonas von Orléans: De institutione regia (um 829); Sedulius Scotus: De rectoribus christianis (Mitte 9. Jh.); Hinkmar von Reims: De regis persona et regio ministerio (um 868); Johannnes von Salisbury: Policratici sive de nugis curialium et vestigiis philosophorum libri VIII (1159); Pierre von Blois: Dialogus cum rege Heinrico (1174-79); Gottfried von Viterbo: Speculum regum (1180-83); Giraldus Cambrensis: De principis instructione (1180-1217); Helinand de Froidmont: De regimine principum (ca. 1200; nur fragmentarisch erhalten); Aegidius von Paris: Karolinus (1200); Guilelmus Brito (Aremoricus): Philippis (1214-24); Johannes von Viterbo: Liber de regimine civitatum (vor 1228); Robert von Blois: L'enseignement des princes (Mitte 13. Jh.); Johannes von Limoges: Morale somnium Pharaonis (ca: 1234-53?); Gilbert von Tournai: Eruditio regum et principum (1259); Vinzenz von Beauvais: De morali principis institutione (1260-63); Vinzenz von Beauvais: De eruditione filionim regalium/puerorum nobilium (ca. 1250); Pseudo-Thomas von Aquin: De eruditione principum (um 1265?); Thomas von Aquin: De regno (1265/66); Aegidius Romanus: De regimine principum (ca. 1277-79); Engelbert von Admont: De regimine principum (um 1290/92);

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Raimundus Lullus: Proverbia (1296); Liber de informatìone principimi (Anonym, ca. 1300).

Anhang 2: Abschnitt 3 des Prologs des Speculum regale (L. Holm-Olsen, The Prologue to The King's Mirror: Did the author of the work write it? In: Speculum Norrœnum, Odense 1981, 223-241, 239, Übersetzung nach R. Meissner, Der Königsspiegel, Halle a. S. 1944, 30): Enn t>ui naest byriadi eg raedu mijna med vppha[fli)gri spurn in gu wm kaupmanna jjjrottir og feira sidu. Enn at lokinni J>eiri raedu og feingnum suorum. J)á dirf(d)umst eg mijna raedu og spurningu og steig eg hátt vpp til irrotta vmraeduna |)uiat J)ar naest tok eg at foniitnast og at spyria wm kongliga sidu edur annara hofdingia {jeira er Jjeim fylgia og J)iona. Og eigi liet eg ospurt med ollu. vm lendra t manna ijjrott og J)eira sidu. Enn J>o lauk eg minne spurningu med J»ui at racda wm jjjrottir baenda og fîolmennis J)ess er land byggir og £eira sidu og athaefî. t read: laeröra (cf. p. 227 above). Zunächst begann ich meine Rede mit der ersten Frage über die Tätigkeiten der Kaufleute und ihre Zustände. Nach Abschluß dieser Rede mit ihren Fragen und den erteilten Antworten; da erkühnte ich mich in Rede und Fragen und stieg hoch auf in der Besprechung von Lebenstätigkeiten, denn ich begann nun zunächst zu fragen und Bescheid zu suchen über die Verhältnisse des Königs und anderer großer Herren und ihrer Gefolgsleute und Diener. Auch unterließ ich es durchaus nicht zu fragen über die Lebenstätigkeiten der Geistlichen und ihr Verhalten. Doch ich beendete damit mein Fragen, daß ich die Rede brachte auf die Lebenstätigkeiten der Bonden und der großen Menge derer, die das Land bebauen, auf ihr Verhalten und ihre Art.

Anhang 3: Inhaltsübersicht des Abschnitts über die Kaufleute: Kap. ΠΙ: Lebensgefahr heidn. Länder Mut auf dem Meer Höflichkeit in Handelsplätzen morgendlicher Gottesdienstbesuch Vorsicht beim Einkauf Zeugen Mittagstisch

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Kontrolle der Waren Abstand von Betrügereien Rechtskenntnis (bjarkeyjarrettr) Sprachkenntnis (Latein und Französisch) Kap. IV: Tugenden Kindererziehung Laster 1. Verweis auf naturwiss. Kenntnisse Verhältnis zu Königsleuten Pflege des Schiffs Lernbegierigkeit Ausrüstung für Handelsfahrten Wahl der Unterkunft Geldanlage Kap. V-XXni: naturkundlicher Abschnitt

Anhang 4: Inhalt des naturkundlichen Abschnittes: V: Die acht Winde im Sommer V: Verhalten der Tiere im Winter und Sommer VI: Ebbe und Flut VI: Mond und Sonne VI: Tag und Jahr VII: Zu- und Abnahme des Tageslichtes Vm: Schrift über Wunder Indiens IX: Wunderbares in Norwegen X: Irland: heiße Quellen XI: Irland: Heilige ΧΠ: Island: Die Wale ΧΙΠ: Island: Die Vulkane XIV: Island: Straforte in Vulkanen XV: Island: Sumpfeisen, Bierquellen XVI: Grönland: Meerwunder, Treibeis und Eisberge, Robben XVII: Grönland: Natur XVm: Grönland: Tiere

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XIX: Grönland: Klima und Nordlicht XX: Grönland: Nordlicht und Klima XXI: Klimazonen der Erde ΧΧΠ: Die rechten Zeiten für die Seefahrt XXIII: Die acht Winde im Winter, Beginn der Schiffahrtssaison

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Anh. 5: Die Gattung der Ökonomik in Antike und Mittelalter Die Gattung der Ökonomik im Mittelalter Aristoteles (Politik)

Pseudo-Aristoteles (Ökonomik)

Xenophon (Oikonomikos)

Konrad von Megenberg (ca. 1348-52)

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Anhang 7: Abschnitt 6 des Prologs des Speculum regale (L. Holm-Olsen, The Prologue to The King's Mirror: Did the author of the work write it? In: Speculum Norroenum, Odense 1981,223-241,240, Übersetzung nach R. Meissner, Der Königsspiegel, Halle a.S. 1944, 31f): Enn bokinne er giefit fagurt nafn Jjui at hun heitir SPECULUM REGAle. og J)o eigi firi drambsakir ]>ess er ritadi. nema fìri {>á sok at huer er foruitnast vili vm goda sidu edur haeuersku edur fogur og sannlig orda log. J>á má hann ]jar finna og sia j bokinne. suo sem margar likneskiuR edur allskyns smidir sem j skijrri Skuggsion. Enn firi J)ui heitir kongz skuggsio. at {>ar er iafnuijst ritad vm konga sidu sem annara manna enda er hann hsstur ad nafni og a hann ad fylgia fegurstum sidum og hans hird og allir h ans {rionustu menn at aliar adrar {nodir taki af Jjeim god daemi til ráduendi og godrar medferdar og allra annara haeuerskra sida. Suo a kongur huer sem eim at siá j tressa skuggsion og lijta fyst a siálfs sijns sidu. og ]3ar naest allra annara {jeira sem vndir honum eru. ssma J)á alla er goda sidu hafa. en temía {)á til godrà sida med aga er eigi meiga ognarlaust numid fá. Enn })0 at {)at nafn sie helldur a ad kongs skugsion sie kallat J>a er hun skiput ollum og J)ar med heimilld suo sem almenningur }>ui at huerium er kostur j at siá er vili, og skygna huort er helldur vili wm sidu annara edur sialfs sijns og fiesta mun hann Jjar j finna. og vaentir mig at hann mun eigi vera taldur med osidar monnum er vel fylgir t>ui ollu er {>ar má j finna og til hanz sidar horfir huada manni sem hann er at tígn edur nafni. Dem Buche ist aber ein schöner Name gegeben, denn es heißt Speculum regale, doch nicht aus Hochmut dessen, der es geschrieben hat, sondern deshalb, damit es denen, die es anhören, um so anziehender erscheine, daraus zu lernen, und zweitens, weil jeder, der sich über gute Sitten oder höfisches Wesen unterrichten will oder über gefällige und wahrhafte Redeweise, es dort in dem Buche finden und erschauen kann, so wie man so manche Bilder und allerlei Zierwerk in einem reinen Spiegel erschaut. Und deshalb heißt es "Spiegel des Königs", weil darin ebenso bestimmt über das Verhalten der Könige wie anderer Leute geschrieben wird; er ist ja der höchste dem Namen nach und er hat sich der besten Sitten zu befleißigen mit seiner Gefolgschaft und allen den Männern seines Dienstes, damit alle anderen Leute an ihnen ein gutes Vorbild haben für Besonnenheit, gutes Benehmen und alles sonstige höfische Verhalten. Jeder König soll in diesen Spiegel schauen; zuerst auf sein eigenes Verhalten sehen und dann auf das aller derer, die unter ihm stehen, alle die ehren, die gutes Verhalten zeigen, und diejenigen mit Strenge zu gutem Verhalten erziehen, die es sich nicht aneignen können ohne Furcht Aber wenn auch gerade der Name dafür gewählt ist, daß es "Spiegel des Königs" genannt wurde, so ist das Buch doch für alle

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bestimmt mit gleichem Recht, gleichsam als Almende, denn jedem steht es frei hineinzusehen, wer will, und zu erschauen, was er eben will, was das Verhalten aller andern angeht oder sein eigenes. Das meiste wird er darin finden, und ich meine, daß er nicht zu den Leuten ungehörigen Verhaltens gerechnet werden wird, wenn er dem allen wohl nachkommt, das er darin finden wird und was für sein Verhalten in Betracht kommt, wes Standes oder Namens er immer sei.

Alexanders saga: Literarische und kulturelle Adaptation einer lateinischen Vorlage VON STEFANIE WÜRTH

Während der Regierungszeit des norwegischen Königs Hákon Hákonarson erreichte die schon immer vorhanden gewesene kulturelle Verbindung der nordischen Länder mit Kontinentaleuropa ihren vorläufigen Höhepunkt. Während sich einerseits in Norwegen sowohl kulturell als auch wirtschaftlich immer stärker der Einfluß der Hanse bemerkbar machte, pflegte Hákon andererseits einen sehr intensiven Kontakt mit dem anglonormannischen König Heinrich ΙΠ.1 Nicht zuletzt über diese Verbindung gelangten Werke der französischen höfischen Literatur nach Norwegen2, die unter Hákons Ägide in die Volkssprache übersetzt wurden und sehr bald von hier aus auch nach Island3 und Schweden4 gelangten. In diesem Zeitraum konzentrierte sich jedoch das Interesse an der höfischen Literatur des Kontinents nicht allein auf die Artusromane, sondern es wurden auch antikisierende Romane im Norden rezipiert, wobei es in der Forschung jedoch umstritten ist, ob es ebenfalls dem Anstoß des norwegischen Hofes zu verdanken ist, daß Werke wie die Trójumanna saga, die Breta sögur oder die Alexanders saga übersetzt wurden. Die Alexanders saga ist eine im 13. Jahrhundert angefertigte Übersetzung der Alexandreis des Walter von Châtillon, die um 1180 in Reims entstand. Walter, lat. Gualterus, wurde vor 1135 in der Nähe von Lille geboren und erhielt seinen

1

Eine Vorstellung von der Intensität dieser Kontakte bietet Bd. 19 des Diplomatarium Norvegicum, Kristiania 1914, das auschließlich Dokumente über politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen Norwegen und England enthalt. 2 Vgl. dazu Knud Togeby, L'influence de la littérature française sur les littératures Scandinaves au moyen âge. In: GrundriB der romanischen Literaturen des Mittelalters. Hg. ν. Hans Robert Jauss und Erich Köhler, Bd. 1, Heidelberg 1972, S. 333-395, hier: S. 333. 3 Die meisten Übersetzungen der französischen höfischen Romane sind nur in isländischen Handschriften überliefert. Darüber hinaus regten die Riddarasögur in Island zu Nachdichtungen an, den originären Riddarasögur. 4 Die norwegische Königin Eufemia ließ zwischen 1303 und 1312 anläßlich der Verlobung und anschließenden Hochzeit ihrer Tochter mit dem schwedischen Herzog Erik Magnus son drei Riddarasögur in schwedische Verse übertragen, die nach ihr benannten Eufemia-Visor.

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Beinamen de Castellione nach seinem späteren Wirkungsort Châtillon, das an der Marne liegt.3 Walter studierte in Paris und Reims, leitete dann die Schule in Laon und reiste 1166 im Auftrag des anglonormannischen Königs Heinrich Π. nach England, um in kirchenpolitischen Fragen zu verhandeln. Nach seiner Rückkehr studierte er kanonisches Recht in Bologna und wurde anschließend Notar und offizieller Sprecher des Erzbischofs Wilhelm von Reims, dem er die Alexandreis widmete und dessen Name Guillermus als Akrostichon in den Anfangsbuchstaben der zehn Bücher des Werkes auftaucht und am Anfang, in der Mitte und am Schluß des Werkes genannt wird. Das Todesjahr Walters wird auf die Zeit um 1185 angesetzt. Zahlreiche Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse (z.B. die Ernennung Wilhelms zum Erzbischof von Reims, die Ermordung von Thomas Becket und Robert von Cambray, der Regierungsantritt des französischen Königs Philipp Π.) ermöglichen eine Datierung des Werkes auf die Jahre 1178-1182. Das Epos, das neben der nur fragmentarisch erhaltenen Dichtung des Alberich von Besançon (um 1120) die erste Versdichtung über Alexander den Großen darstellt, wurde schnell berühmt, erlangte bald große Verbreitung und wurde häufig nachgeahmt. Bereits im 13. Jahrhundert wurde die Alexandreis als Schulbuch im Lateinunterricht verwendet, häufig als Ersatz für Vergils Aeneis. Eine von Colker zusammengestellte Liste führt für das 13. Jahrhundert über 200 Handschriften auf, die fast alle vollständig erhalten sind. Viele dieser Handschriften sind mit Glossen versehen, woraus sich auf Benutzung im Unterricht schließen läßt. Nach Aussage der gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstandenen Handschrift AM 226 fol. wurde die Alexandreis von Brandur Jónsson, dem Abt des isländischen Klosters Pykkvabaer und späteren Bischof von Hólar, übersetzt.6 Diese Zuschreibung, die sowohl im Epilog der Alexanders saga wie auch im Epilog der ebenfalls in AM 226 fol. enthaltenen GyÖinga saga steht, war lange Zeit umstritten. Als erster zweifelte Ole Widding die bis dahin für wahr gehaltene Zuschreibung in den Handschriften an. Nachdem er es schon 1951 für unwahrscheinlich erklärt hatte, daß Alexanders saga und GyÖinga saga vom selben Übersetzer stammten7, versuchte er 10 Jahre später, diese Ansicht wissenschaftlich zu untermauern.8 Seine Skepsis beruhte zum einen darauf, daß die Zu5 6

7 8

Die Angaben zu Walters Biographie stammen aus: Galten de Castellione Alexandreis. Hg. v. Marvin Colker, Patavii 1978, S. XI-XVIU. Alexanders saga. Islandsk oversaettelse ved Brandr Jónsson. Hg. v. Finnur Jónsson, K0benhavn 1923, ISS. Im folgenden beziehen sich alle Stellenangaben aus der Alexanders saga auf diese Ausgabe. In: Betaenkning vedr0rende de i Danmark beroende islandske händskrifter og museumsgenstande, K0benhavn 1951, S. 40. Vgl. Ole Widding, Pafi finnur hver sem um er hugaö. In: Skimir 134, I960, S. 61-73.

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Schreibung nicht in der ältesten erhaltenen Handschrift, sondern nur in jüngeren Manuskripten zu finden ist. Zum anderen war Widding der Ansicht, daß zwei stilistisch so stark voneinander verschiedene Werke wie Alexanders saga und GyÖinga saga unmöglich vom selben Übersetzer stammen können. Nach einer stilistischen Untersuchung der Alexanders saga und einem Vergleich aller erhaltenen Handschriften stellte Widding dem bis dahin gültigen, von Finnur Jönsson erstellten Stemma der Saga einen eigenen Entwurf entgegen, worin er dafür plädierte, daß die Alexanders saga eine norwegische Übersetzung aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts darstelle, die ziemlich bald nach Island gelangt sei und von der die längere Version in den erhaltenen Handschriften abstamme. Brandur Jönsson habe bei einem Aufenthalt in Norwegen selbst eine gekürzte Abschrift angefertigt und diese mit nach Island zurückgenommen, und von dieser Abschrift stamme die gekürzte Version der Alexanders saga ab, wodurch sich auch die Zuschreibung in den Handschriften erkläre. Beide erhaltenen Versionen der Alexanders saga gingen also nach Widding auf dieselbe norwegische Übersetzung zurück, seien aber unabhängig voneinander nach Island gelangt Dieser von Widding vorgebrachten Meinung schloß sich später auch Thorkil Damsgaard Olsen an, ohne jedoch zusätzliche Argumente vorzubringen.9 Ohne sich explizit für Brandur Jönsson als Übersetzer der Alexanders saga auszusprechen, widerlegte Einar Ólafur Sveinsson die Argumente Widdings.10 Zunächst wies er darauf hin, daß die Zuschreibungen in den Handschriften nicht besagten, Brandur Jönsson habe die Alexanders saga aufgeschrieben, sondern er habe sie übersetzt. Darüber hinaus sei es unwahrscheinlich, daß ein so bedeutender und vornehmer Mann wie Brandur Jönsson selbst einen Text kopiert habe, sondern er habe sicherlich einen Schreiber für eine solche Aufgabe angestellt. Als zweiten wichtigen Einwand gegen Ole Widding brachte Einar Ólafur Sveinsson vor, daß Widding einen der ursprünglichen Übersetzung der Alexanders saga nahestehenden Text mit einem bearbeiteten und gekürzten Text der GyÖinga saga verglichen habe. Ein stilistischer Vergleich zwischen der längeren Fassung der Alexanders saga mit einigen Handschriftenfragmenten der GyÖinga saga, die der ursprünglichen Übersetzung wesentlich näher stehen als die der Edition von GuÔmundur Porláksson11 zugrundegelegte Haupthandschrift belege hingegen,

9

Vgl. Thorkil Damsgaard Olsen, Den h0viske litteratur. In: Norr0n Fortellekunst Hg. v. Hans Bekker-Nielsen, Thorkil Damsgaard Olsen, Ole Widding, K0benhavn 1965, S. 92-117, hier S. 105. 10 Vgl. Einar Ólafur Sveinsson, Athugasemdir um Alexanderssögu og GyÖingasögu. In: Skimir 135, 1961, S. 237-247. 11 GySinga saga. En Bearbejdelse fra Midten af det 13. Ârh. Hg. v. GuÖmundur Itorláksson, K0benhavn 1881.

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daß die beiden Sagas stilistisch nicht so grundverschieden sind, wie dies von Widding postuliert wurde. Schließlich ging Einar Ólafur Sveinsson noch auf die vermeintliche norwegische Vorlage der Alexanders saga ein und zeigte verschiedene Möglichkeiten auf, wie sich Norwagismen durch norwegische Schreiber, die im Dienste Brandurs standen, eingeschlichen haben können. Femer zeige eine Untersuchung der Stabreimformen, daß der Übersetzer der Alexanders saga eher in isländischen als in norwegischen Kreisen zu suchen sei. Aus Einar Ólafur Sveinssons Argumentation geht deutlich hervor, daß er eher den Zuschreibungen der mittelalterlichen Handschriften als den Ausführungen Ole Widdings Glauben schenkte, womit man wieder am Ausgangspunkt der Diskussion angelangt war.12 Mitte der 70er Jahre wurde das Thema von Peter Hallberg erneut aufgegriffen.13 Er versuchte die Frage nach dem Übersetzer der beiden Sagas mittels einer Frequenzanalyse charakteristischer Worte und Formulierungen zu entscheiden. Obwohl inhaltliche Zusammenhänge zwischen Alexanders saga und GyÖinga saga die Zuschreibung in den Handschriften zunächst plausibel erscheinen lassen, kommt Hallberg am Ende seiner Untersuchung zu dem Schluß, daß Brandur keinesfalls der Übersetzer beider Werke gewesen sein kann. Welche der beiden Sagas er jedoch übersetzt hat, ließ auch Hallberg offen. Ahnliche Einwände, wie sie Einar Ólafur Sveinsson Ole Widdings Artikel gegenüber vorgebracht hatte, veranlaßten Kirsten Wolf zu einer Revision von Peter Hallbergs Untersuchung.14 Da Hallberg in seiner Analyse die verkürzte Version der GyÖinga saga mit der ungekürzten Version der Alexanders saga verglich, wies Kirsten Wolf die Ergebnisse der Untersuchung als inadäquat zurück. Basierend auf der nur in Fragmenten erhaltenen, längeren Version der GyÖinga saga und der längeren Version der Alexanders saga untersuchte Kirsten Wolf die beiden Werke hinsichtlich des Verhaltens des Übersetzers gegenüber seiner Vorlage. Sie richtete ihr Augenmerk auf das Ausmaß der Auslassungen,

12 Zieht man in Betracht, daß zu dieser Zeit darüber verhandelt wurde, welche Handschriften nach Island zurückkehren und welche Handschriften in Kopenhagen verbleiben sollten, so kommt man nicht umhin anzunehmen, daß sich hinter der wissenschaftlich geführten Diskussion politische Motive verbargen: Falls nachgewiesen werden konnte, daß Alexanders saga und GyÖinga saga isländische Werke sind, hatten alle Handschriften an Island zurückgegeben werden müssen, bei einem norwegischen Ursprung der beiden Sagas verblieben die Manuskripte dagegen in Kopenhagen. 13 Vgl. Peter Hallberg, Nägra sprâkdrag i Alexanders saga och GyÖinga saga - med en utblick pä Stjórn. In: Sjötiu ritgeiOir helgaSar Jakobi Benediktssyni 20. Juli 1977. 2 Bde, Reykjavik 1977 (= Stofnun Árna Magnússonar Rit 11-12), Bd. 1, S. 234-250. 14 Vgl. Kirsten Wolf, GyÖinga saga, Alexanders saga, and Bishop Brandr Jónsson. In: Scandinavian Studies 60, 1988, S. 37 MOO.

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Amplifikatìonen, Fehlübersetzungen, Erklärungen, etc. - also auf die individuellen Züge, welche die Übersetzungen gegenüber ihren Vorlagen aufwiesen. Dadurch spielten die stilistischen Unterschiede zwischen den beiden Sagas, die Widding zu seiner Vermutung geführt hatten, daß zwei verschiedene Übersetzer am Werk sein mußten, keine Rolle mehr, sondern wurden auf die unterschiedlichen Vorlagen zurückgeführt Am Ende ihrer detaillierten Untersuchung kam Kirsten Wolf zu dem Ergebnis, daß die stilistischen Unterschiede nicht schwer genug wiegen, um auf zwei unterschiedliche Übersetzer schließen zu lassen. Man müsse vielmehr davon ausgehen, daß derselbe Mann - wenngleich vermutlich zu unterschiedlichen Zeitpunkten - beide Werke übersetzt habe. Als Fazit kommt man zu dem Schluß, daß es bisher nicht gelungen ist, gewichtige und überzeugende Argumente vorzubringen, um Brandur Jónsson als Übersetzer der Alexanders saga zurückzuweisen. Wenn nun Brandur tatsächlich die Saga übersetzte, so muß er es vor 1264, seinem Todesjahr getan haben, d.h. in den letzten Jahren des isländischen Freistaats und am Ende der Regierungszeit Hákon Hákonarsons (1217-1263) oder zu Beginn der Regierungszeit von Hákons Sohn, Magnus lagabaetur (1263-1280). Die Alexanders saga stellt somit ein Beispiel für eine schnelle Rezeption kontinentaler Literatur im 13. Jahrhundert dar, wie es auch im Bereich der kosmographischen Literatur beobachtet wurde.15 Brandur Jónsson (geboren zwischen 1205-1212) gehörte einer der mächtigsten isländischen Familien der Sturlungenzeit an, den Svinfellingar.16 Die wichtigste Quelle für seine Biographie ist demnach auch die Sturlunga saga, in deren Verlauf er auch immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Der als "einn hinn mesti laerdómsmaÓr á Islandi"17 apostrophierte Brandur hatte offensichtlich eine sehr gute Ausbildung genossen und war vermutlich im Kloster Pykkvabaer zur Schule gegangen.18 Sein Name taucht erstmals in isländischen Annalen für das Jahr 1232 in Zusammenhang mit einer Auslandsreise auf, von der Finnur Jónsson annimmt, daß Brandur sie zu Studienzwecken unternommen habe.19 Über Dauer und Ziel dieser Reise ist jedoch nichts bekannt. In der Sturlunga saga erscheint zum ersten Mal um das Jahr 1238 Brandur prestur Jónsson,20 In die-

15 Vgl. Rudolf Simek, Altnordische Kosmographie. Studien und Quellen zu Weltbild und Weltbeschreibung in Norwegen und Island vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, Berlin, New York 1990, S. 329. 16 Zu den Lebensdaten Brandurs vgl. Tryggvi ÎOrtiallsson, Brandur Jónsson biskup á Hólum. In: Skímir 97,1923, S. 46-64. 17 Tryggvi I>órhallsson (wie Anm. 16), S. 48. 18 Vgl. ebd., S. 48. 19 Vgl. Finnur Jónsson, Den oldnorske og oldislandske Littérature Historie, 3 Bde, K0benhavn 1894-1901, Bd. Π, S. 569. 20 Sturlunga saga Áma saga biskups. Hrafns saga Sveinbjarnarsonar hin sérstaka. Hg. v.

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ser Zeit waren beide isländische Bischofssitze von Norwegern besetzt, die sich jedoch nicht ständig im Land aufhielten. Deshalb wurde Brandur von 1250-1254 im Bistum Skálholt während einer Auslandsreise des Bischofs SigvarÖur als dessen Vertretung eingesetzt,21 woraus zu ersehen ist, wie großes Ansehen Brandur bereits als junger Mann von ca. 30 Jahren genoß. 1247 war Brandur zum Abt des Augustinerklosters Pykkvabaer ernannt worden und übte dieses Amt bis 1262 aus.22 Als 1260 der norwegische Bischof Heinrekur in Hólar starb, dauerte es noch zwei weitere Jahre, bis Brandur zu seinem Nachfolger gewählt wurde. So konnte Brandur erst 1262 nach Norwegen reisen, um dort die Bischofsweihe zu empfangen. Im folgenden Jahr kehrte er nach Hólar zurück, wo ihm jedoch nur eine kurze Amtszeit vergönnt war, da er am 26. Mai 1264 starb. Brandurs Leben wurde sehr stark durch die politischen Ereignisse der Sturlungenzeit geprägt. Brandur war bereits aufgrund seiner Herkunft aus einer der führenden isländischen Familien mit dem politischen System seiner Heimat vertraut und daran gewöhnt, an wichtigen Entscheidungen teilzuhaben. Dieselben großen Familien, die sich die politische Macht Islands teilten, stellten auch die wichtigsten kirchlichen Würdenträger. Während die Zusammenarbeit zwischen weltlicher und kirchlicher Macht in den ersten beiden Jahrhunderten nach der Christianisierung ausgezeichnet funktioniert hatte, kam es während der Sturlungenzeit zu immer heftigeren Auseinandersetzungen. Brandur machte als Abt die Erfahrung, daß er Macht brauchte, um sich gegen Unruhestifter und gegen die Gefährdungen der starken Stellung der Kirche zur Wehr zu setzen. Ihren wirklichen Höhepunkt erreichten die Streitigkeiten zwischen weltlichen und kirchlichen Machthabern erst nach dem Tod Brandurs, wobei seine Schüler eine maßgebliche Rolle spielten. Brandur Jónsson hatte sich jedoch nicht nur mit innenpolitischen Problemen zu befassen, sondern er mußte sich auch mit dem zunehmenden Einfluß Norwegens auseinandersetzen. Im Gegensatz zur ersten Zeit des Christentums auf Island begann der norwegische Erzbischof nun, immer häufiger norwegische Bischöfe in Island einzusetzen. Wie im übrigen Europa, so waren auch im Norden Simonie und Ämterhandel an der Tagesordnung. Wie das Beispiel des norwegischen Bischofs Heinrekur zeigt, waren diese ausländischen Bi-

Örnölfur Thorsson, 2 Bde, Reykjavik 1988, Bd. I, S. 403. 21 "Hann var {)á fyrir kennimönnum um alla biskupssyslu Sigvaröar biskups" (Sturlunga saga, Bd. II, S. S68). Sturlunga saga II, S. 611 berichtet, daß "Biskup [Heinrekur] sendi menn í Skálaholt til Brands ábóta aò hann skyldi koma sunnan sem skjótast". Sturlunga saga II, S. 248 lädt Brandur den fwgils skaiOi "heim í Skálaholt" ein, und Sturlunga saga II, S. 617 heißt es, daß ein Mann "feri í Skálaholt aO ñnna Brand ábóta". 22 Die Sturlunga saga setzt die Weihe Brandurs zum Abt in Beziehung zur Krönung des norwegischen Königs Hákon: "Brandur prestar Jónsson var vigòur til ábóta á J)ví ári er Hákon konungur var vfgÖur undir kórónu" (II, S. SSO).

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schöfe nicht besonders an ihren Bistümern interessiert, sondern legten lediglich Wert auf das Prestige und den Titel, die damit verbunden waren. Die Sturlunga saga erwähnt Brandur Jónsson vor allem dann, wenn es um die Vermittlung in schwerwiegenden Streitigkeiten geht.23 Aus der Darstellung erhält man den Eindruck, daß Brandur einer der wenigen Männer dieser turbulenten Zeit gewesen sei, dem alle vertrauen konnten. Obwohl sich die Sturlunga saga in lobenden Worten über Brandur, seine Bildung und seine vermittelnde Funktionen äußert, wird nirgends eindeutig der Charakter des berühmten Mannes erkennbar.24 Offensichtlich war er einerseits der Barmherzige, der sich um die Versöhnung streitender Parteien bemühte, andererseits war er jedoch nicht minder von Ehrgeiz getrieben, was seine eigene Karriere anging. Zweifellos besaß Brandur Eigenschaften, die ihm auch als weltlichen Politiker zu einer führenden Position verholfen hätten. Während der Herrschaft von Hákon Hákonarson und auch noch in den ersten Jahren der Regierung seines Sohnes Magnus lagabaetur herrschte zwischen dem Erzbischof und dem König gutes Einvernehmen. Brandur Jónsson scheint sowohl mit dem Erzbischof als auch mit beiden Königen befreundet gewesen zu sein. Vermutlich wurde er zum Bischof von Hólar ernannt, weil man sich von ihm die Fortsetzung des guten Verhältnisses zwischen dem norwegischen König und der isländischen Kirche erhoffte.25 Mit dieser guten Beziehung zum norwegischen Hof werden auch Brandurs literarische Werke, die Alexanders saga und die GyÖinga saga in Verbindung gebracht, die verschiedentlich aufgrund der Zuschreibung in Handschrift als Auftragsarbeit des norwegischen Königs Magnus Hákonarson lagabaetur betrachtet werden.26 Die Vorlage der Alexanders saga, Walters Alexandreis basiert in erster Linie auf den Historiae Alexandri magni des Quintus Curtius Rufus (ca. 1.-4. Jahrhun-

23 Vgl. dazu die Aufstellung bei Tryggvi Wrhallsson (wie Anm. 16), S. 50-55. 24 "Hann [...] var ágaetur höföingi, klerkur góòur, vitur og vinssell, rikur og göögjam. Og i J)ann tima haföi hann mest mannheill l>eirra manna er J)á vom á íslandi" (Sturlunga saga II, S. 550). "og [Ami] fór til fyrrnefnds Brands ábóta og batt sig honum á hendi og geröist hans klerkur ])ví hann sá t>ennan mann mikinn atgjörvimann í hagleik og riti og hvassan i skilningi til bóknáms svo aÖ um {Dann hlut var hann formenntur flestum mönnum aö jöfnu námi" (Ama saga biskups. In: Sturlunga saga II, S. 772-773). 25 Vgl. Magnus Stefánsson, Frá goöakiikju til biskupskirkju. In: Saga Islands. Hg. v. SigurÖur Líndal, Bd. III, Reykjavik 1978, S. 111-257, hier: S. 116. 26 Vgl. z.B. Frederik Paasche, Norges og Islands Litteratur inntil utgangen av Middelalderen. Ny utgave ved Anne Holtsmark, Oslo 1957, S. 444; Kurt Schier, Sagaliteratur, Stuttgart 1970, S. 93; SigurÖur Nordal, Litteraturhistorie. B. Norge og Island (= Nordisk Kultur VIII:B), Stockholm, Oslo, K0benhavn 1953, S. 224. Finnur Jónsson (wie Anm. 19), Bd. Π, S. 868 ließ dies nur für die GyÖinga saga gelten, ebenso Jón Helgason, Norr0n Litteraturhistorie, K0benhavn 1934, S. 207.

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dert), die zwar keinen Anspruch auf historische Wahrheit erheben, dennoch eine Art Faktenbericht darstellen. Walter verfolgte in seiner Versbearbeitung weniger das Ziel, eine historische Darstellung der Zeit Alexanders zu geben als vielmehr die bewußt poetisch gestaltete Biographie eines großen Königs zu schreiben, der schicksalsbestimmt handelt und an seiner vom wankelmütigen Schicksal angelegten Hybris zugrunde geht.27 Trotz der Bemühung um stilistische Annäherung an die klassischen lateinischen Vorbilder fließen bei Walter die Kennzeichen seiner Zeit ein. So stellt er Aristoteles, den Lehrer Alexanders, als mönchischen Stubengelehrten dar,28 und die ritterlichen Tugenden, die Alexander bei seinem Lehrer erwirbt, orientieren sich offensichtlich an den mittelalterlichen Fürstenspiegeln. Zahlreiche ausführliche geographische Beschreibungen bieten Walter die Gelegenheit, sein gelehrtes Wissen auszubreiten. In Walters Stil macht sich das Bestreben bemerkbar, die lateinischen Klassiker nachzuahmen. Die antike Mythologie spielt als Grundlage für Metaphern eine große Rolle, und Götter sowie Personifikation abstrakter Begriffe greifen häufig aktiv in das Geschehen ein. Die Schlachten Alexanders sind erkennbar nach klassischem Vorbild gestaltet, indem sie als Reihen detailliert geschilderter Einzelkämpfe präsentiert werden. Immer wieder wird die historische Chronologie der Ereignisse aufgelöst in Einzelszenen, in denen besondere Tugenden Alexanders exemplarisch dargestellt werden. So benutzt Walter den Tod der Gattin des Darius, um Alexanders Trauer und damit auch seine ritterliche Achtung vor der Frau seines Gegners zu zeigen (Alexandreis, IV,11-23). Das gesamte Werk ist von großem Pathos durchdrungen, die Gefühle der beteiligten Personen werden eindringlich und wortreich geschildert. Mittels verschiedener zeitgenössischer Anspielungen29 aktualisiert Walter die Darstellung und verstärkt den exemplarischen Charakter des Werkes, das die Unzuverlässigkeit des Schicksals darstellt und zur Demut gegenüber der göttlichen Gewalt statt Alexanders Hybris aufruft. Die Alexandreis ist ein höfisches Epos nach klassischem Vorbild, das sich an ein gebildetes höfisches Publikum richtet, wie ja auch aus der Widmung an den Erzbischof von Reims und die Anspielungen auf den französischen König erkennbar ist. Unter den nordischen Übersetzungen, die im 13. Jahrhundert entstanden, fanden bisher vor allem die nordischen Versionen der höfischen Romane, die Riddara-

27 Vgl. Heinrich Christensen, Das Alexanderlied Walters von Châtillon. Halle 1905, S. 107 und S. 113. 28 Aristoteles wird als hager und bleich beschrieben, erschöpft und von den Anstrengungen gezeichnet, nachdem er in seiner Kammer sein Gesamtwerk beendet hat: Alexandreis 1,59-71. 29 Alexandreis VII.317-331: Kritik an der Kirche; Käuflichkeit der Bischöfe; Tod des Robert von Cambrai und des Thomas Becket; Schisma. V,520 und 10,461-469: lobende Erwähnung des Erzbischofes Wilhelm.

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sögur Beachtung.30 Obwohl sich der Terminus Riddarasögur innerhalb der Forschung fest etabliert hat, erweist sich eine genauere Definition des Begriffes als schwierig. Eng gefaßt beinhaltet er lediglich die Übersetzungen altfranzösischer Vorlagen, etwas weiter gefaßt werden unter ihm auch einige - aber nicht alle Übersetzungen pseudohistorischer lateinischer Werke einbezogen,31 wobei diese jedoch in den Forschungsarbeiten zu den Riddarasögur so gut wie nie behandelt werden.32 Nach Klaus Rossenbeck müssen bei der Konstituierung der Gattung Riddarasögur zwei Punkte maßgeblich berücksichtigt werden: einmal die Tatsache, daß es sich dabei um Übersetzungsliteratur handelt, zum anderen werden die einzelnen Sagas schon vom Inhalt her wesentlich geprägt.33 Nach dieser Definition, die nicht von den Vorlagen der Übersetzungen, sondern von den volkssprachigen Übertragungen ausgeht, spielt die Sprache der Originale keine Rolle. Dennoch verbietet sich für Rossenbeck für die Alexanders saga die Bezeichnung Riddarasögur, da zwar Versform und Ausdrucksweise der lateinischen Vorlage dem Stil eines höfischen Romans entsprechen, die fließende Prosa der Übersetzung dem Text hingegen vorwiegend historiographischen Charakter verleiht und die Darstellung keine ausschließlich höfischen Elemente enthält. Rossenbeck meint statt dessen, in der Alexanders saga eher eine Ähnlichkeit mit der lateinischen Gestenliteratur zu sehen.34 Da die Alexanders saga nur auf einer einzigen, bekannten Vorlage basiert und nicht - wie zahlreiche andere Übersetzungen aus dem nordischen Bereich durch verschiedene zusätzliche Quellen kontaminiert wurde, ist es möglich, Original und Übersetzung genau miteinander zu vergleichen und sowohl die

30 So z.B. Foster W. Blaisdell, Some Observations on Style in the riddarasögur. In: Scandinavian Studies: Essays presented to Dr. Henry Goddard Leach on the Occasion of his EightyFifth Birthday, 196S, S. 87-94; Marianne Kalinke, Erex saga and ívens saga: Medieval Approaches to Translation. In: Arkiv för nordisk filologi 92, 1977, S. 125-144; Geraldine Barnes, The Riddarasögur A Medieval Exercise in Translation. In: Saga-Book 19, 1977, S. 403-441; Geraldine Barnes, The riddarasögur and medixval European literature. In: Mediaeval Scandinavia 8, 1975, S. 140-158. Barnes wurde kritisiert von Marianne Kalinke, Scribes, Editors, and the riddarasögur. In: Arkiv för nordisk filologi 97, 1982, S. 36-51. 31 So z.B. Eyvind Fjeld Halvorsen, Riddersagaer. In: Kulturhistorisk leksikon for nordisk middelalder, Bd. XIV, K0benhavn 1969, Sp. 175-183, hier Sp. 176; ders., Riddarasögur. In: Kindlers Neues Literatur Lexikon, Bd. 19, München 1992, S. 391-395, hier: S. 391-392. 32 In ihrem Forschungsüberblick vermeidet Marianne Kalinke eine Definition des Begriffes Riddarasögur, aber aus ihrer Darstellung wird deutlich, daß auch sie darunter vor allem Übersetzungen französischsprachiger Vorlagen versteht: vgl. Marianne Kalinke, Norse Romance. In: Old Norse-Icelandic Literature. A Critical Guide. Hg. v. Carol J. Clover und John Lindow, Ithaca and London 1985 (= Islandica 45), S. 316-363. 33 Vgl. Klaus Rossenbeck, Die Stellung der Riddarasögur in der altnordischen Prosaliteratur eine Untersuchung an Hand des Erzählstils, Diss. Frankfurt/Main 1970, S. 39. 34 Vgl. ebd., S. 41-42.

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Unterschiede als auch die Übereinstimmungen bei der Interpretation des altnordischen Textes zu berücksichtigen. Die folgenden Überlegungen basieren auf einer genauen Lektüre der Alexanders saga und sollen den Ausgangspunkt für eine weitere, intensivere Analyse übersetzter Werke bilden. Es ist daher selbstverständlich, daß die hier gewonnenen Schlußfolgerungen nicht ohne weiteres generalisiert werden können. Erst nach weiteren Untersuchungen wird sich herausstellen, ob es sich um grundsätzliche Charakteristika bei der Übertragung fremdsprachiger Literatur im Mittelalter handelt oder ob sie je nach Gattung weiter differenziert werden müssen. Dem Vergleich zwischen Vorlage und Übersetzung muß zunächst eine philologische Bestandsaufnahme vorausgehen, d.h. inwieweit repräsentieren die uns heute zugänglichen Texte tatsächlich die Vorlage bzw. die ursprüngliche Übersetzung? Spiegeln die erhaltenen Handschriften das Werk des Übersetzers oder stellen sie eine Stufe der volkssprachigen Rezeption dar, die Bearbeitung eines Werkes, das bereits als zur einheimischen Literatur gehörig betrachtet wurde? Die Übersetzungen, die uns aus dem mittelalterlichen Skandinavien vorliegen, müssen unter anderen Gesichtspunkten als moderne Übersetzungen betrachtet werden, da die Übersetzer nicht eine kongeniale Übertragung ihrer Vorlage zum Ziel hatten, sondern vielmehr die kulturelle Adaptation eines fremdsprachigen literarischen Werkes anstrebten. Nicht das Fremde stand im Vordergrund, das dem einheimischen Publikum zugänglich gemacht werden sollte, sondern die Leser sollten Bekanntes erkennen und sich dadurch vorsichtig dem Neuem nähern. Die Arbeitsweise des Übersetzers ist der eines Redaktors zu vergleichen: Er betrachtete sich dem Verfasser seiner Vorlage als ebenbürtig und änderte nach Bedarf den ihm vorliegenden Text, um ihn seinen eigenen Vorstellungen anzupassen. Beim Vergleich der Übersetzung mit ihrer Vorlage lassen sowohl Veränderungen - seien es inhaltliche Abweichungen, Zusätze oder auch Auslassungen - wie auch exakte Übereinstimmungen Rückschlüsse zu auf die Intention des vorliegenden, altnordischen Textes. Dabei sind Abweichungen und Auslassungen zunächst einfacher zu interpretieren als Übereinstimmungen:35 Änderungen der Vorlage bedeuten, daß der Übersetzer mit bestimmten Aussagen entweder nicht einverstanden war oder es für notwendig befand, sie zu ergänzen, zu kommentieren oder zu erläutern; dasselbe gilt für Auslassungen, wobei hier auch noch zu bedenken ist, daß eine gestrichene Aussage der Vorlage vom Übersetzer unter Umständen als unwichtig oder unwesentlich betrachtet wurde. Einen Sonderfall 35 Natürlich muß hierbei der Idealfall vorausgesetzt werden, daß der mit der Übersetzung verglichene Text auch wirklich mit der Vorlage des Übersetzers identisch war und nicht eine bereits mehr oder weniger stark bearbeitete Version darstellte.

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stellen "Fehler" dar, die auf ein Mißverständnis des Übersetzers oder mangelnde Sprachkenntnisse zurückgehen, obwohl man auch hier jeweils fragen muß, warum der Übersetzer ein Wort oder auch einen ganzen Satz mißverstand oder falsch übersetzte. Denn da die Sprache der Literaten, d.h. in der Regel der Geistlichen, das Latein war und man wohl kaum einen reinen Anfänger mit der Übersetzung eines wichtigen Werkes beauftragte, dürften Fehler, die wirklich auf mangelnder sprachlicher Kompetenz beruhen, selten vorkommen. Eher muß man davon ausgehen, daß der Übersetzer die dargestellten Verhältnisse oder auch einzelne Begriffe aufgrund seines vom Original verschiedenen Erfahrungshorizontes mißverstand - oder aber auch in bekannte Verhältnisse umsetzen wollte. Komplizierter wird es bei der Interpretation von Übereinstimmungen. Grundsätzlich kann man wohl davon ausgehen, daß Übereinstimmung Zustimmung des Übersetzers bedeutet; andererseits muß man bei der Interpretation einzelner Stellen vorsichtig sein, da hier die Gefahr besteht, daß man Einzelheiten zu viel Gewicht beimißt, die vielleicht bei der Interpretation des Originals eine Rolle spielen, dem Übersetzer aber vielleicht nicht als ebenso bedeutend vorkamen. Es stellt sich bei Übereinstimmung von Aussagen, die eine bestimmte Tendenz der Meinung zum Ausdruck bringen, auch die Frage, inwieweit es dem Übersetzer möglich gewesen wäre, hier ändernd einzugreifen. Übereinstimmungen von nicht-handlungstragenden Abschnitten sind eher als bewußte Übereinstimmung zu werten als die Wiedergabe von Passagen, auf die aus narrativen Gründen nicht verzichtet werden kann. Grundsätzlich besteht bei der Inteipretation mittelalterlicher Übersetzungen das Problem, daß die historische Differenz, der man sich als Wissenschaftler ja ständig bewußt ist, größer als bei originären volkssprachlichen Texten ist, da wir es hier zunächst scheinbar mit zwei, tatsächlich aber mit drei Ebenen zu tun haben: 1) die Ebene der Vorlage der Übersetzung, 2) die Ebene der Übersetzung, 3) die Ebene der tatsächlich erhaltenen Texte. Die Alexanders saga bietet unter diesen Gesichtspunkten für eine Übersetzungsanalyse eine gute Ausgangsposition. Im Verhältnis zu anderen Übersetzungen innerhalb der altnordischen Literatur ist hier die Differenz zwischen den ersten beiden Ebenen verhältnismäßig gering: es liegen nur ca. 70 Jahre zwischen Original und Übersetzung. Darüber hinaus liegt der Übersetzung nur ein einziges, gut zugängliches Werk zugrunde, das nicht durch zusätzliche unbekannte Quellen kontaminiert wurde. Ebensowenig haben wir es mit einer großen Differenz zwischen Ebene 2 und Ebene 3 zu tun, da es nur zwei erhaltene Versionen der Saga gibt, wovon die älteste erhaltene Handschrift (AM 519a, 4to)

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der längeren Version möglicherweise nur durch ein einziges Zwischenglied von der Originalübersetzung getrennt ist 36 Die folgenden Aussagen über Inhalt und Stil der Alexanders saga beziehen sich demnach alle auf die längere Fassung der Saga, die in AM S 19a 4to nahezu vollständig überliefert ist. Obwohl es nicht ganz korrekt ist, so werde ich doch davon ausgehen, daß aufgrund der sowohl zeitiichen wie auch überlieferungsgeschichtlichen Nähe zur originalen Übersetzung diese Fassung ziemlich genau den Wortlaut Brandurs repräsentiert.37 Die altnordische Übersetzung der Alexandreis bezeugt, daß Brandur Jónsson zweifellos ein sehr gelehrter Mann mit ausgezeichneten Lateinkenntnissen war. Für die Alexanders saga treffen die üblichen Charakteristika altnorwegischer oder altisländischer Übersetzungen fremdsprachiger Literatur zu: sie ist keine sklavische, wortwörtliche Übersetzung, sondern eine freie Bearbeitung; die Verse wurden in Prosa aufgelöst; der Übersetzer bemühte sich, den der lateinischen Klassik nachempfundenen Stil dem der einheimischen Sagaliteratur anzupassen. Dies zeigt sich gleich zu Beginn des Werkes, da Brandur die Prosavorrede Walters mit den Informationen über Entstehung und der Widmung an den Erzbischof von Reims ausläßt (Alexandreis, S. 3-5) und statt dessen seine Übersetzung wie eine Konunga saga einleitet: Darius hefir konungr heitiO er reö fyrir Serklande hann var agetr konungr ok ¡¡»im luta heims ins er Asia heitir. (Alexanders saga, S. 1, 1-3)

Auch in weiteren Punkten stimmt die Erzählweise der Alexanders saga mit der volkssprachigen Literatur überein. Dementsprechend versucht Brandur, das Pathos Walters zurückzudrängen, indem er weniger explizit die Gefühle der Personen beschreibt, sondern Stimmungen, Gefühle, seelische Regungen durch Handlungen oder Aussagen der Betroffenen zum Ausdruck kommen läßt. Dieses Bestreben wird gleich zu Beginn der Saga bei der Vorstellung des jungen Alexanders deutlich, da Brandur auf die Beschreibung des Knaben und seiner Gefühle (,Alexandreis, I, 27-58) verzichtet und ihn statt dessen gleich in seinem Monolog eindeutig und ohne Umschreibungen seine Pläne verkünden läßt (Alexanders saga, S. 2-3).m

36 Alexanders saga. The Arna-Magnaean Manuscript 519A, 4*°. Hg. v. Jón Helgason, Copenhagen 1966 (= Manuscripta Islandica VII), S. XXVI. 37 Im folgenden werden keine Beispiele aus dem Abschnitt S. 75,1 bis S. 80,12 zitiert, da Finnur Jónsson hier in seiner Edition die Lakune der Haupthandschrift AM 519A, 4to mit Hilfe der entsprechenden Stelle aus AM 226 fol. ausgefüllt hat 38 Weitere Beispiele: die Beschreibung Trojas und seiner Vergangenheit (Alexanders saga, S. 15,14-12 versus Alexandreis 1,452-483); die Beschreibung der Halle der Victoria (Alexanders saga, S. 69,6-70,9 versus Alexandreis IV,403-432); die Verteidigungsrede des Philotas (Alexanders saga, S. 121,25-124,13 versus Alexandreis VIII,185-301).

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Insgesamt bemüht sich Brandur, seiner Übersetzung den Anschein größerer Neutralität zu verleihen und eine größere Distanz als Walter zum Bericht zu wahren. Deshalb vermeidet es der isländische Übersetzer, subjektive Kommentare zum Geschehen abzugeben, und streicht auch eine Anzahl der häutigen persönlichen, meist stark moralisierenden Einschübe seiner Vorlage.39 Übernimmt Brandur jedoch solche Kommentare, so macht er sie durch Formeln wie segir meistare Galterus, r§8ir sva meistare Galterus, segir hann meistarenn etc. als persönliche Äußerungen Walters kenntlich.40 Obwohl die Tradition der Sagaliteratur scheinbare Objektivität vom Erzähler verlangt, so bieten sich einem Verfasser dennoch verschiedene Möglichkeiten, auf seine Anwesenheit und auf seine der Erzählung übergeordnete Stellung aufmerksam zu machen. Auch Brandur wendet diese Technik an, indem er entweder auf inhaltlich verwandte Stellen im Text verweist41 oder auf das Einsetzen eines neuen Handlungsstranges oder Erzählabschnittes aufmerksam macht42 An verschiedenen Stellen, wo Brandur auf Veränderungen des ihm vorliegenden Textes hinweist, wird deutlich, daß er sich durchaus als selbständig arbeitender Autor und nicht nur als Diener seiner Vorlage fühlte.43 Wie intensiv sich Brandur mit seiner lateinischen Vorlage auseinandersetzte, zeigt nicht nur die wiederholte Klage über unklare oder undeutliche Formulierungen Walters,44 sondern auch ein Hinweis auf die Abfassungszeit seiner Vorlage: "Af {jessom oröum ma vel scilia hvem tima meistare G(alterus) hevir uppi veret" (S. 110,22-23). Obwohl man Alexandreis und Alexanders saga Abschnitt für Abschnitt miteinander vergleichen kann und dabei erkennt, wie genau sich Brandur an seine Vorlage hält, so muß man doch gleichzeitig feststellen, daß der isländische Übersetzer auch seine eigenen Vorstellungen in den Text einfließen ließ. Manche 39 Vgl. z.B. Alexandreis II, 148-159; V, 298-306; VI, 56-62; IX, 64-70. 40 Z.B. Alexanders saga, S. 31,32; S. 373-5; S. 37,10-12; S. 39,9-13; S. 56,2; S. 57,11-12; S. 66,11-13; S. 83,24-25; S. 85,27-28; S. 84,1-7; S. 101,4; S. 103,20-21; S. 109,31-32; S. 111,47; S. 124,29-30; S. 125,8; S. 139,28-32; S. 149,10-12; S. 152,6-15. 41 Vgl. z.B.: "sem siÖaR mon sagt veröa" (S. 2,1); "er nu var fra sagt" (S. 10,25); "er fyR var nefnd" (S. 27,23); "er fyR var getiÖ" (S. 28,2); "er nu hefir fra veret sagt" (S. 40,12); "sem nu hevir sagt verit" (S. 51,27); "sa enn same er nefndr fyR isogunni" (S. 112,8) etc. 42 Vgl. z.B.: "Sva er sagt" (S. 13,28 und öfter); "Nu er at segia" (S. 28,1 und öfter); "Nv er til sogonnar at snua. oc fra J>vi at segia" (S. 37,16); "oc J>at er sciotast at segia" (S. 42,22); "Pat er ην nest at segia" (S. 52,31); "Nv verör her fyrst fra at snua. en par til at taka" (S. 69,2-3); "I annan staö er J>at at segia" (S. 105,29-30) etc. 43 "Pesse stortiöende voro par oil áscrivat sem her er nu nockot brevat af. en J>at ero storsavgor ef t>pr ero greiddar ut ígegnom" (S. 36,30-32); "En sogar gessar lukvz aliar içve Esdre ritara. Vm fram J)au stormerki er her erv stvttlega brevat" (S. 64,34-65,2). 44 "eptir Jjvi sem meistare Galterus visar til. en eigi kveör hann scyrt á meó hveriom atburövm t>at varö" (S. 129,33-34); "Jjat ma raOa at likendum Jjott M(eistare) Galterus gete J)ess eigi iboc sinne" (S. 136,14-15).

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Stellen faßt er zusammen, andere gibt er in voller Länge wieder. Nicht alle Bücher der Alexandreis werden in der Übersetzung gleich ausführlich behandelt, vor allem ab Buch VII nehmen die Kürzungen Brandurs sehr stark zu. Ob dies aber wirklich auf den Wunsch des Übersetzers zurückzuführen ist, sein Werk nun endlich beenden zu können,45 läßt eine genaue inhaltliche Analyse der Alexanders saga bezweifeln. Trotz der zahlreichen Kürzungen und Auslassungen ist der isländische Text wortreicher als seine lateinische Vorlage und insgesamt genauso umfangreich, was natürlich auch mit der Sprache zusammenhängt: verschiedene lateinische Konstruktionen, wie z.B. die Partizipialkonstniktionen, sind nur durch Auflösung in Nebensätze und damit relativ umständliche Formulierungen wiederzugeben. Ein Überblick über die Auslassungen und Zusammenfassungen gegenüber der Alexandreis belegt, daß Brandur eine ausgezeichnete Übersicht über seine Vorlage hatte. Er zeigt ein starkes Gefühl für den roten Faden und setzt Digressionen Walters deutlich von der eigentlichen Handlung ab, verweist auf bereits erwähnte Ereignisse, sobald deren Kenntnis an späterer Stelle vonnöten ist, läßt umfangreiche Beschreibungen aus oder faßt Digressionen Walters in wenigen Worten zusammen. Ein typisches Beispiel für Brandurs Art der Übersetzung bietet die Beschreibung des Aristoteles. Während Walter wortreich und blumig, in pathetischen Worten den Lehrer Alexanders vorstellt, verwendet Brandur wenige, aber präzise Worte und erzielt damit eine ebenso genaue Charakterisierung: Forte macer pallens incompto crine magister (Nec facies studio male respondat) apertis Exierat thai amis ubi nuper corpore toto Perfecto logyces púgiles aimarat elencos. O quam difficile est Studium non prodere uultu! Liquida noctumam sapiebant ora lucemam. Seque maritabat tenui discrimine pellis Ossibus in uultu, partesque effusa per omnes Artículos manuum macies ieiuna premebat. Nulla repellebat a pelle parentesis ossa. Nam uehemens studii macie labor afficit artus Et molem carnis, et quod cibus educat extra Interior sibi sumit homo fomenta laboris. (Alexandreis 1,59-71)

Nv bar sva til at Aristotiles meistare hans oc fostr faOer haföi gengit vt af herbergi sino, par er hann haföi gort eina boc af iOrott peire er dialéctica heitir alatino, en {¡reto boc er kolloO anor0no. pat matti oc sia honom hverso mikla stvnd hann haföi lagt aboc pa er hann haföi pa saman sett, oc hverso litt hann haföi meöan annars gztt. hann var rvfinn oc opveginn magr oc bleikr fandlite. (Alexanders saga, S. 3,18-25)

Obwohl alle von Walter berichteten Fakten in der Übersetzung enthalten sind, gehen die Anschaulichkeit und Plastizität der lateinischen Beschreibung des Lehrers in der isländischen Saga verloren. Das Publikum der Alexanders saga 45 So Jón Helgason (wie Anm. 36), S. XXX.

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hatte sicherlich kein Mitleid mit dem vom Studium erschöpften Aristoteles. Dieser Tendenz zur nüchternen Darstellung fallen in der isländischen Übersetzung auch zahlreiche andere Beschreibungen - in erster Linie Natur- und Landschaftsbeschreibungen - zum Opfer, deren Aufgabe es ist, eine Stimmung zum Ausdruck zu bringen.46 Auch andere stark rhetorisch gefärbte Abschnitte Walters werden in der isländischen Übersetzung in einem nüchterneren Stil wiedergegeben. Brandur Jónsson ist ständig bestrebt, die oft langatmige Erzählung Walters zu straffen und den Fortgang der Handlung zu beschleunigen. Deshalb tauchen in seiner Übersetzung auch zahlreiche Personen, die bei Walter lediglich eine Statistenrolle in Kämpfen oder anderen Massenszenen erfüllen, gar nicht auf. Ebenso verzichtet er darauf, bei der Beschreibung des berühmten Schildes des Darius auch die nicht abgebildeten Szenen zu erwähnen (Alexandreis 11,514521). Ganz offensichtlich hatte Brandur bei verschiedenen Kürzungen auch sein Publikum und dessen Kenntnisse im Blick, wenn er solche Passagen stark zusammenfaßt, die ein umfangreiches, vor allem geographisches Hintergrundwissen voraussetzten. So fehlen in der Alexanders saga die Beschreibung der Länder Asiens {Alexandreis 1,396-426) ebenso wie eine detaillierte Aufzählung der Länder, die Alexander zu erobern beabsichtigt (Alexandreis VII,371-378 und X,171-190). Statt dessen heißt es vereinfacht in der Alexanders saga, der Herrscher wünsche, daß die Götter "sva fa lagt undir mec allann heimenn" {Alexanders saga, S. I l l , 33) und nu setlar hann til Babilonar. oc scipa i>ar like sinu. en siOan astiar hann at hería vestr fAffricam. oc leggia sva undir sec vestrhalfv heimsens. oc eptir pat setlar hann norOr hingat fEvrópam. oc sva fremi norOr yvir Mundio fiali. (Alexanders saga, S. 148,34-149,4).

Sehr auffällig sind diese Kürzungen bei den Beschreibungen der Grabmäler des Darius und seiner Frau, wo sich Brandur Jónsson darauf beschränkt, nur ganz allgemeine geographische Angaben oder die Namen der Kontinente zu übernehmen (Alexanders saga, S. 64,3-65,1 und S. 112,5-21). Wie Rudolf Simek zeigen konnte, waren - zumindest unter gebildeten Leuten - die verschiedenen Weltgegenden im 13. Jahrhundert im Norden durchaus bekannt, wobei man am wenigsten über Afrika informiert war und natürlich am besten über Europa.47 Brandur behält in der Alexanders saga jedoch nur ganz allgemeine Aussagen oder wirklich allgemein bekannte Namen wie Asien oder Afrika bei, nennt zwar die Namen der wichtigsten eroberten Städte, läßt aber die genaue geographische Lokalisierung aus. Dies läßt den Schluß zu, daß er bei seinem Publikum nur sehr allgemeine geographische Grundkenntnisse und keine umfassende Bildung voraussetzte.

46 Vgl. z.B. Alexandreis Π, 71-74; 11,100-103; 111,463-473. 47 Vgl. Simek (wie Anm. 15), S. 321-325.

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Dem Ziel, den fremden Stoff einem nordischen Publikum leichter zugänglich zu machen, dienen auch verschiedene Zusätze, welche die Alexanders saga gegenüber ihrer Vorlage aufweist. Wir haben es also mit zwei gegensätzlichen Tendenzen bei der Arbeitsweise Brandurs zu tun: einerseits Verkürzung und Zusammenfassung der Vorlage mit dem Ziel der Handlungsstraffung, andererseits Erweiterung und Ergänzung zur besseren Verständlichkeit Wie auch in anderen nordischen Übersetzungen, wie z.B. der Trójumanna saga, wird Jupiter mit dem nordischen Gott Pórr gleichgesetzt.48 Alle anderen Götter behalten hingegen auch in der isländischen Übersetzung ihre klassischen Namen, wobei jedoch jeweils ihre Funktion im mythologischen System erklärt wird.49 Die Art, in der Brandur versucht, die klassische Mythologie seinem nordischen Publikum näherzubringen, wird vor allem in Buch X,31-54 bei der Beschreibung der Unterwelt, dem Wohnort der Laster, deutlich. Brandur übersetzt die Namen und fügt Erklärungen über die schädlichen Auswirkungen der einzelnen Laster hinzu, wodurch der ganze Abschnitt innerhalb der Alexanders saga einen belehrenden Charakter statt des bei Walter vorherrschenden spielerisch-allegorischen erhält (145,12-35). Auch sonst vermeidet Brandur die bei Walter zahlreichen Personifikationen und behält sie nur dann bei, wenn es unumgänglich ist. So war Brandur gezwungen, eine adäquate Entsprechung für die Schicksalsgöttin zu finden, die in Walters Epos eine zentrale Stellung einnimmt. In der Alexanders saga entspricht der lateinischen Fortuna der Begriff hamingja, der sich in seiner Grundbedeutung jedoch gravierend vom klassischen Schicksalsbegriff unterscheidet.50 Während fortuna immer auch einen Beigeschmack von hasard aufweist, so bezeichnet hamingja ein dem Menschen von Anfang an innewohnendes Element, wodurch sein Leben bestimmt wird. Demzufolge verzichtet Brandur vielfach darauf, die immer wiederkehrenden Hinweise Walters auf die Unausweichlichkeit des Schicksals zu übernehmen.51 Während Brandur fortuna regelmäßig durch hamingja wiedergibt, übersetzt er fata variabel (unter anderem auch

48 "liknesci guös J>eira er Iupiter heitir alatino, en t>arr avara tungo" {Alexanders saga, S. 21,2628). 49 Vgl. z.B.: "[...] vingvöenu er Bachus heitir oc astargyöiunne er Venus heitir" (Alexanders saga, S. 7,7-8); "Pallas var kallaö af heiönum monnum specöar gyöia" (S. 11,13-14); "Bardaga gyöian er Bellina heitir" (S. 42,5); "[...] Báál scurögoös J)ess er sva het" (S. 64,5); "bardaga guöet herra Mars" (S. 153,26). 50 Eine ausführliche Diskussion der beiden Begriffe bei Einar Ólafur Sveinsson, Alexandreis et la Saga d'Alexandre. In: I.A.S.S. Actes du Τ Congrès international d'histoire des littératures scandinaves, Paris 1972, S. 11-40, hien S. 30. 51 Vgl. z.B. Alexandreis I, 443; VI.443; VI.516; VII.58; X,95.

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mit hamingja)52, wodurch der Unterschied zwischen fortuna und fatum bei Walter in der Alexanders saga verwischt wird. Brandur begnügt sich jedoch nicht damit, dem nordischen Publikum die mythologische Welt der Alexandreis verständlicher zu machen, sondern er bereitet den gesamten Text didaktisch auf, so daß sich das delectare und das prodesse ergänzen, während bei Walter ganz eindeutig die Unterhaltung und die Freude an der Ästhetik der Sprache im Vordergrund standen. Überläßt es Walter seinem Publikum, die Schlußfolgerungen aus Handlungen und Ereignissen zu ziehen, so begründet Brandur häufig, warum etwas geschieht, und fügt selbständig logische Erklärungen und Ergänzungen hinzu.53 Brandur überträgt jedoch nicht einfach die kulturell fremdartigen Dinge und Erscheinungen in nordische Verhältnisse, sondern er ist auch darum bemüht, seinen Lesern eine Erweiterung ihres Bildungshorizontes zu ermöglichen. Deshalb behält er einige lateinische Termini bei, versieht sie jedoch entweder mit einer Erklärung54 oder achtet darauf, daß ihre Bedeutung aus dem Kontext zu erkennen ist 55 Die spielerische und oft auch rätselhafte Ausdrucksweise Walters muß einem eindeutigeren und direkteren, dadurch auch nüchtern wirkenden Stil in der isländischen Übersetzung weichen. Dazu gehört auch die Auflösung der bei Walter aus rhetorischen Gründen sehr zahlreich auftretenden Metaphern und Umschreibungen. Nur ein einziges Mal, am Ende der Alexanders saga und als Zitat gekennzeichnet, behält Brandur eine der mythologisch umschriebenen Zeitangaben seiner Vorlage bei: "Nu gengr sol içgi segir meistare Gaiteras viÖ orÖen {»esse tiöende" (S. 155,2-3). In allen

52 "nisi mutua fata dedissent" (VI.246): "ef ei ge heföe iofn vgipta til handa fallet" (S. 92,15); "quo me parat alea fati perdere delicto?" (VII,18-19): "eöa scolu t>ar en efstoforlogen eptir fara" (S. 101,20); "proch quanta licentia fati" (VII.74): "at hamingian er ustaöug" (S. 103,11); "Quem quia fata negant" (VII.264): "En Jjviat orlogen banna at viÖ megem viör talaz" (S. 108,20-21); "nondum tua fata tuasque expertas uires" (IX,303-304): "Jjar til ec reynda Jrinn krapt oc hamingio" (S. 138,6); "An metuis ne sis fati reus huius?" (IX,469): "eigi fer ]DU viö orlogum minom gort" (S. 142,5-6); "nec fata sinebant" (X,376): "oc orlogen vilia nu fyr 0ngan mun" (S. 152,28-29). 53 Z.B.: "en {jviat hann scilSe eigi J>a tungu er t>eir mellto varò hann vaR af tule einom hvat t»ir tauloQo" (Alexanders saga, S. 100,15-17). 54 Z.B.: "boc af iörott J)eire er dialéctica heitir alatino, en Jjrçto boc er kolloö anor0no" (Alexanders saga, S. 3,20-21); "til ár Jjeirar er Evfrates heitir. hon er ein af J»im fiorom er or paradiso falla" (S. 20,6-7); "eitt fagrt tre l»t er lauros heitir" (S. 29,17); "Avaxtalauser sandar erv J>ar }>eir er ecke ma gras ájnivaz. fletta kalla menn sandhof' (S. 50,22-23); "af tre J)vi er oliva heitir" (S. 58,23); "drottning su af Amazonia er Kalestris heitir. oc .cc. meyia {>eira meö henne er adansca tungu mego vel heita scialldmeyiar" (S. 116,10-11); "En siöan er çôr su er pulsus heitir" (S. 153,8-9) etc. 55 Z.B.: "en hialmr hans trotte loga af karbuneulo {»im er ivar settr" (Alexanders saga, S. 38,12); "[...] hialm {jann er seein af piripo l>eim er fstoö" (S. 41,1-2); "kallar sßan til sin astrónomos. oc spyR f>a hver save til {>ess vçre. er átunglet hafSe dreget" (S. 54,20-21) etc.

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anderen Fällen ersetzt der isländische Übersetzer die stimmungsvollen und teilweise langatmigen mythologischen Bilder durch eindeutige und knappe Zeitangaben: "I manaöe ]>eim er maius heitir tecz orrosta meö Jjeim Alexandro oc Dario snemma dags" (74,21).S6 Vermutlich entschloß sich Brandur jedoch nicht nur aus stilistischen Gründen, die Metaphern und Metonymien Walters aufzulösen, da zu ihrer Entschlüsselung gute Kenntnisse der klassischen Mythologie erforderlich sind, die Brandur nicht ohne weiteres bei seinem nordischen Publikum voraussetzen konnte. Brandur umgeht sogar Anspielungen und Umschreibungen mit biblischem Inhalt, da sie zu ihrer Deutung mehr als nur Grundkenntnisse des christlichen Glaubens verlangen.*7 Auch Alexander erscheint bei Brandur durchweg nur unter seinem Namen, während ihn Walter meist umschreibt als Macedo (1,295), regum fortissimus (IV, 11), Vltio diuina (V,10), Martius héros (VI,297), deorum emulus in terris

(XI,3-4) etc. Aus diesen Änderungen gegenüber seiner Vorlage wird ersichtlich, daß Brandur bei seinem Publikum keinerlei Wissen über die klassische Mythologie voraussetzte und auch Lateinkenntnisse ihm bei seinen Lesern oder Hörern nicht selbstverständlich zu sein schienen. Der Verzicht Brandur Jónssons auf eine Nachahmung der auf die lateinischen Klassiker zurückzuführenden stilistischen Charakteristika seiner Vorlage bedeutet keineswegs, daß seine Übersetzung trocken und ohne jeglichen rhetorischen Schmuck ist. Brandur verwendet jedoch in erster Linie die aus der einheimischen Literatur, sowohl der Prosa als auch der Versdichtung, bekannten Stilmittel. Zur Hervorhebung bedeutsamer Stellen, zum Beispiel in Reden, Reflexionen oder bei der Charakteristik von Personen, setzt Brandur die Alliteration ein, die seiner Sprache eine rhythmische Eleganz verleiht Ein weiteres von Brandur häufig eingesetztes Stilmittel ist die Antithese, deren Einsatz nicht immer durch die lateinische Vorlage vorgegeben ist.3® Liegt die Originalität Walters in seinen häufig auftretenden Metaphern und Metonymien, so zeichnet sich Brandur durch

56 Vgl. dazu Alexandreis V,l-6: "Lege Numae legis lata de mensibus olimy Qiuntus ab ancipiti descens ordine Iano/ Mensis erat, roséis distinguens partibus annum,/ Et gemino plausu gaudebant hospite Phebo/ Ledei fratres, prima cum parte diei/ Concurrere duces." 57 Z.B. Alexanders saga, S. 23,25-26: "IJjessom staö var siöan f0ddr enn s0le Pàli postole" entspricht Alexandreis Π,145-147: "Hie, ut scripta ferunt, illustri claruit ortu,/ Per quem precipue caecis errore subacto/ Gentivus emersit radius fideique lucerna." 58 Z.B.: "t>eir voro likara bunir konom en hermonnum" (Alexanders saga, S. 22,10-11) entspricht "muliebriter" (Alexandreis 11,112); "Her meö biör hann oc byör tignum sem útignum" (Alexanders saga, S. 86,1-2) entspricht "monet allicit artat/ Fortes conductos ciues" (Alexandreis VI,54-55); "oc vacSe sva vpp svçfOa reiöe stormennis oc mugsins" (Alexanders saga, S. 121,24-25) entspricht "Sopitamque dueum dicendo resuscitat iram/ Sedatumque facit rursum crudescere uulgus" (Alexandreis VOI,183-184).

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die Schaffung neuer Wörter, vor allem neuer Adjektive auf -ligr, aus.59 Durch die wesentlich größere Zahl der Adjektive sowie auch durch die Beibehaltung einiger vom Lateinischen geprägten syntaktischer Formen60 unterscheidet sich die Alexanders saga deutlich von den tslendingasögur, die zu einem weniger wortreichen Stil tendieren. Brandurs Sprache läßt sich als rhythmische Prosa61 charakterisieren, wie sie auch in den nordischen Übersetzungen der höfischen Romane verwendet wird, aber sie ist in der Alexanders saga stärker klerikal und didaktisch geprägt und enthält weniger stereotype Wendungen, wie sie für die Riddarasögur typisch sind. Statt dessen schiebt Brandur häufig - zum Teil sogar von ihm selbst stammende - isländische Redewendungen oder auch Sprichwörter ein, um idiomatischen Ausdrücken oder Wortspielen Walters gerecht zu werden, aber auch an Stellen, wo die lateinische Vorlage keinerlei Entsprechung bietet.62 Da die ausführliche Beschreibung von Gefühlsregungen oder auch Naturbeschreibungen ohne funktionellen Zweck in der isländischen Literatur nicht üblich waren, sind die entsprechenden Passagen in der Alexanders saga ebenfalls stark gekürzt. Ganz offensichtlich teilte der Abt Brandur die Begeisterung Walters für Kriegsgeräte und Waffen nicht, da auch die Darstellung der kriegerischen Ausrüstung bei ihm wesentlich knapper als in seiner Vorlage ausfällt und kriegstechnische Spezialtermini so gut wie überhaupt nicht vorkommen. Da jedoch das Isländische keine so präzisen Formulierungen erlaubt wie das Lateinische, ist Brandur trotz seiner Tendenz zum Kürzen häufig zu wortreicheren Formulierungen als seine Vorlage gezwungen.63 Obwohl sich zahlreiche Beispiele finden lassen, wo sich nordische und kontinentale Erzählweise in der Alexanders saga mischen, so handelt es sich bei der Übersetzung doch um eine selbständige Leistung Brandurs. Gerade die Schlachtenschilderungen bieten ein gutes Beispiel dafür, wie sich Brandur einerseits an seiner Vorlage orientiert, sich andererseits aber darum bemüht, den durch die

59 Z.B.feigligr (S. 30,32); kvensligr (S. 34,31); blektiligr (S. 37,4) etc. Vgl. dazu Einar Ólafur Sveinsson (wie Anm. 50), S. 22-23. 60 Im Verhältnis zu den fslendingasögur verwendet Brandur häufiger das Partizip Präsens (z.B. S. 88,24-25; S. 94,8; S. 115,28) oder er ersetzt einen Nebensatz durch eine Partizip-PerfektKonstruktion: "eptir fengenn sigr" (S. 20,1-2); "meö fenginnar frçgôar" (S. 114,13). 61 Vgl. Einar Ólafur Sveinsson (wie Anm. 50), S. 23. 62 Z.B.: "J)a man fer til gefaz mattr oc megin" (S. 5,21); "oc gerir sciotan scilnat bucs oc hofvös" (S. 38,28); "oc hoggr til hans meö sveröe sva at hann J)arf eigi fleira" (S. 39,14-15); "oc sçttaz heilom satom" (S. 59,24); "oc ryöia ser goto meö odde oc eggio" (S. 103,7-8); "en J>at er iamnan reynt at heliar maörenn er harör viö at eiga" (S. 105,14-15) etc. 63 Z.B. Alexandreis 11,90: "Vnde uel elusit sortem uel forte reclusit" wird übersetzt mit: "Oc her var nu annat hvart. at Alexander konungr fyllde J>at er orlogen hofSo fyrir scipaL J»tt hann leyste knutana helldr meö sveröe. en meö hondum ser. ella synde hann |>at at t>esse atrunaör. haföe hegomlegr veret" (Alexanders saga, S. 21,7-11).

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einheimische Sagaliteratur geprägten Vorstellungen des Publikums entgegenzukommen. Entgegen der isländischen Gepflogenheit behält Brandur den Vergleich der Schußwaffen mit Hagel, Regen etc. bei, gibt dadurch der Schilderung mehr Farbe, kürzt aber die Aneinanderreihung zahlreicher Einzelkämpfe und behält dadurch die Schlacht als Gesamtereignis stärker im Auge. An mehreren Stellen glaubte Brandur, die Glaubwürdigkeit der Erzählung durch den Hinweis auf andere, historische Quellen beweisen zu müssen. Neben einem von Walter übernommenen Verweis auf Homer (S. 16,3) führt Brandur auch die Trojumanna saga (S. 8,24) an, die Historia Thebana (S. 12,14), die Libri Machabeorum (S. 23,11-12), den Ovidius magnus (S. 48,28), aber es tauchen auch unspezifischere Angaben auf wie "heilog boc" (S. 64,8), "sva finnz ritat" (S. 117,21) oder "i fornum bocum" (S. 151,20). Offensichtlich ging es Brandur nicht nur wie Walter darum, eine erbauliche Heldenbiographie als Exempel für zukünftige Herrscher zu verfassen, sondern ihm war vor allem an der Vermittlung historischer Informationen gelegen, wobei die von ihm angeführten Autoritäten die Authentizität seiner Darstellung unterstreichen sollen. Die bisher besprochenen Punkte betrafen ausschließlich Unterschiede zwischen Alexandreis und Alexanders saga. Wenn man weiß, daß Brandur bei seiner Übersetzung eine Neigung zur Kürzung und Zusammenfassung zeigt, erhalten Abschnitte, die genauso ausführlich wie in der Vorlage enthalten sind, für die Interpretation besonderes Gewicht. Ausführliche und nahezu wörtliche Wiedergabe der lateinischen Vorlage findet sich vor allem an denjenigen Stellen, wo Walter moralisch gefärbte Kommentare zum Geschehen abgibt oder Reflexionen allgemeinerer Art einflicht. Diese Stellen übersetzt Brandur sehr genau und macht sie durch eine Formulierung in der Form von "Svá segir meistari Gaiteras" als Zitate deutlich. Dadurch schiebt er gleichzeitig die Verantwortung für die Aussage auf Walter ab, trotz der exakten Übereinstimmung mit der Vorlage und der zu vermutenden Zustimmung Brandurs - bei seiner Selbständigkeit wäre es ein leichtes für ihn gewesen, diese Stellen zu streichen oder jedenfalls stark zu kürzen. Ebenso kennzeichnet er das Ende dieser Passagen mittels Formeln wie "nú er aftr til sögunnar at snúa [...]" etc. Ungekürzt wiedergegeben werden ferner die Rede des Darius an sein Heer (Alexanders saga, S. 29,29-31,20) sowie die Verteidigungsrede der Skythen, als Alexander sich zur Eroberung ihres Gebietes anschickt (Alexanders saga, S. 126,12-128,31). Beide Reden bieten Identifikationsmöglichkeiten für eine Nation, die durch Angriff und Unterdrückung bedroht ist, so wie es in Island im 13. Jahrhundert während der Kämpfe der Sturlungenzeit und der drohenden Annexion durch den norwegischen König der Fall war. Allerdings unterscheiden sich die beiden Reden in ihrem jeweiligen Konzept, das sie als Lösung für das Problem der Bedrohung anbieten.

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Während Darius seine Leute zum Kampf und Widerstand bis zum bitteren Ende gegen Alexanders Eroberungspläne auffordert, versuchen die Skythen, Alexander von der Nutzlosigkeit der Gewaltanwendung zu überzeugen. Der Perserkönig verweist auf die vornehme Abstammung seines Volkes und lehnt es deshalb ab, sich einem griechischen Bastard zu unterwerfen. Er appelliert an den Stolz seiner Leute und hetzt sie zum Kampf gegen das gegnerische Heer. Ganz anders verhält sich dagegen der Anführer der Bewohner Skythiens, das Brandur entsprechend den nordischen Gepflogenheiten Svipjód in mikla nennt. Er fragt, warum Alexander gewaltsam ihr Gebiet erobern wolle, da sie sich doch nie gegen ihn erhoben hätten und er somit keinen Grund für eine Feindschaft gegen sie habe. Die Skythen seien bescheiden und begnügten sich mit den Dingen, die ihnen die Natur zugestehe, und begehrten weder Gold noch andere Schätze. Ein Leben in Freiheit und in bescheidenen Verhältnissen sei ihnen genug, solange sie damit ihr Auskommen haben. Deshalb wunderten sich die Skythen sehr, daß Alexander, der nun bereits über so zahlreiche Länder herrsche, seinen Ehrgeiz immer noch nicht zügeln könne. Weil sie keinerlei Verteidigungswaffen besitzen, wollten sich die Skythen nicht gegen die Eroberung wehren, prophezeiten Alexander aber, daß die gewaltsame Unterwerfung so zahlreicher Völker ihm kein Glück bringen werde, weil er nie auf die Liebe seiner Untertanen hoffen könne und ständig mit Aufständen zu rechnen haben werde. Am Ende seiner langen Rede weist der Gesandte Alexander auf die Menschenrechte hin und meint, es sei klüger, sich durch Freundschaft sichere Verbündete zu schaffen als durch gewaltsames Vorgehen zahllose Feinde: Emi ef J)u ert maör sem ver. J>a gleym alldregi J)vi hvat j)u ert. {mat vvitrlect er at hafa sva fast hugenn a auöro at maör mune eigi hverr hann er. Oc ef pu letr oss Cfriöe sitja. J>a monom ver vera vinir J>inir. oc kollom ver at sv vinátta kvnne tryggast at verSa er Jjeir binda sin amillom er aör hafe hvarigir yfir aSra komeL (Alexanders saga, S. 128,20-26) Sowohl die Ermahnung an den Nationalstolz als auch der Gedanke, daß es besser sei, freiwillig der Freund eines fremden Königs als dessen tributpflichtiger Untergebener zu sein, waren den Isländern bereits aus der Rede des Einar Weraeingur bekannt, die dieser auf dem Althing hielt, um die Isländer dazu zu bewegen, die Besitzansprüche Ólafs des Heiligen abzulehnen: [...] Og munum vèr eigi t>aC ófrelsi gera einum oss til handa heldur bsöi oss og sonum vorum og allri aett vorn {»ini er {ietta land byggir og mun anauö sú aldregi ganga e6a hverfa af {>essu landi. En JxStt konungur sjá sé gööur maOur, sem ég trúi vel aö sé, t>á mun l>aö fara héOan frá sem hingaS til t>á er konungaskipti verdur aö {>eir eru ójafnir, sumir góOir en sumir illir. En ef landsmenn vilja halda freisi sínu {ivi er t>eir hafa haft siöan er land }>etta byggOist pi mun sá til vera aö ljá konungi einskis fangstaöar á, hvorki um landaeign hér né um J)aö aö gjalda héôan ákveSnar skuldir paer er til tyOskyldu megi metast En hitt kalla eg vel falliO aö menn sendi konungi vingjafir, Jjeir er J>aö vilja,

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hauka eöa hesta, tjöld eOa segl eöa aCra pá bluti er sendilegir eni. Er pvi J)á vel vario ef vinátta kemur ( móL [...]"

Vor dem Hintergrund der unruhigen politischen Situation der Isländer zu Anfang und in der Mitte des 13. Jahrhunderts kann man sich sehr gut vorstellen, daß diese Abschnitte nicht ohne Wirkung blieben und von den Isländern sowohl als Ermahnung zum Frieden untereinander als auch als Aufforderung an den norwegischen König gelesen wurden, der in dieser Zeit sein Reich zu einer immensen Größe ausdehnte.65 Dem Publikum der Alexanders saga müssen Parallelen zwischen Alexander und den imperialistischen Zielen Hákon Hákonarsons aufgefallen sein. Als sich 1261 Grönland dem norwegischen König unterworfen hatte, war er der größte Grundbesitzer in Europa geworden. Die Rede des Darius wie auch die Rede der Skythen in der Alexanders saga erinnerte die Isländer an ihre eigene Situation, daß sie sich den Expansionsbestrebungen des norwegischen Königs zu erwehren hatten. Gleichzeitig darf man aber nicht vergessen, daß die Übersetzung der Alexanders saga in das Ende der Sturlungenzeit fiel, einer Zeit heftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen Islands. Als Angehöriger einer der führenden isländischen Familien, der Svinfellingar, war Brandur Jónsson selbst in diese Auseinandersetzungen verwickelt und wurde in mindestens zehn Fällen als Schlichter angerufen, wobei es ihm jedoch nur dreimal gelang, die beteiligten Parteien zu einem Vergleich zu bewegen.66 Die machtpolitischen Auseinandersetzungen der größten isländischen Familien führten schließlich dazu, daß der norwegische König die streitenden Parteien gegeneinander ausspielte und dadurch immer größeren Einfluß in Island gewann und schließlich das Land unter seine Herrschaft brachte. Die Hybris der isländischen Führer wurde - ebenso wie die Hybris Alexanders - letztendlich mit ihrem Fall bestraft. Die Alexanders saga wendet sich somit an ein zwar politisch und historisch aufgeschlossenes und interessiertes, aber in bezug auf klassische Mythologie, Geographie oder Lateinkenntnisse keinesfalls außerordentlich gebildetes Publikum. Brandur bemüht sich, den teilweise recht exotischen Inhalt seiner Vorlage für den Horizont eines Auditoriums, das aus dem nordischen Raum bisher noch nicht hinausgekommen war, allgemein verständlich aufzubereiten. Gleichzeitig soll das Publikum bei der Rezeption des Textes den Nutzen der Wissenserweiterung haben. Dementsprechend verwendet Brandur in seiner Übersetzung einen von dem seiner Vorlage sich stark unterscheidenden Stil, ohne jedoch ins

64 Snorri Sturluson, Heimskringla. Hg. v. Bergljót Kristjánsdóttir, Bragi Halldórsson, Jón Torfason, Ornólfur Thorsson, 3 Bde, Reykjavik 1991, hier Bd. 1, S. 406-407. 65 Auf die zeitgenössischen Bezüge der Skythenrede weist auch Hermann Pálsson hin: Um beisi og landvinninga. In: Lesbók MorgunblaOsins, 14.3.1992, S. 10-11. 66 Vgl. dazu Tryggvi Wrhallsson (wie Anm. 16), S. S0-S1.

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Banale abzugleiten. Eine stilistische Untersuchung im Rahmen einer unveröffentlichten isländischen B.A.-Arbeit brachte zwar das Ergebnis, daß die Alexanders saga alle drei im 13. Jahrhundert vorherrschenden Stilrichtungen enthalte, den volkstümlichen, den gelehrten und den florissanten Stil,67 aber wenn man sich die Verteilung dieser drei Stile anschaut sowie in welchen Abschnitten der Saga welcher Stil vorherrscht, so wird sofort deutlich, daß die Übersetzung zu einem schlichten Isländisch tendiert, das befreit ist vom rhetorischen Schmuck der Vorlage und sich in erster Linie an den einheimischen Sagastil anlehnt, diesen jedoch mit gelehrten Elementen anreichert. Zusammengefaßt ergibt sich also das Bild, daß Brandur die Alexandreis des Walter von Chátíllon sehr genau in seine Muttersprache übertrug, dabei aber offensichtlich den Erfahrungshorizont und potentiellen Wissenshintergrund seines eigenen Publikums berücksichtigte. Brandur übertrug das Versepos in eine rhythmische Prosa, wie sie sich bereits in den Übersetzungen der französischen höfischen Romane ausgebildet hatte.68 Walters pathetische Ausdrucksweise weicht in der isländischen Übersetzung einem didaktisch-belehrenden Stil, der eher klerikal denn höfisch geprägt ist.69 Die bewußt von ihm übernommenen zeitgenössischen Anspielungen wie z.B. die Ermordung des Thomas Becket und des Robert von Flandern70 sowie die ausgelassenen Anspielungen auf den französischen König und französische Verhältnisse, die nur einem französischen Publikum verständlich sein konnten, zeigen, daß Brandur seine Vorlage als ein zeitgenössisches Werk las, das ihm die Möglichkeit bot, auch seine eigene Zeit und Geschichte einzuarbeiten. Es zeigt sich somit, daß Brandur Jónsson in seiner Übersetzung den Gepflogenheiten folgte, die auch bei der Übersetzung höfischer Romane üblich waren: Das Fremde der Vorlage sollte einem einheimischen Publikum leichter zugänglich gemacht werden, wobei Auslassungen und Änderungen als absichtliche Mittel die Anpassung an die volkssprachige Literatur erleichterten, gleichzeitig jedoch auch den persönlichen Stil des Übersetzers ausdrückten.71

67 Vgl. Elín Bjarnardóttir, Um t>y5ingu Alexanders sögu. Latínumenntun á íslandi. Unveröffentlichte B.A.-Arbeit, Reykjavik 198S. 68 Vgl. Einar Ólafur Sveinsson (wie Anm. 50), S. 18. 69 Vgl. ebd., S. 20. 70 Der Vers "Flandria Robertum, caes um dolet Anglia Thomam" (VII,331) ist nicht in allen Handschriften der Alexandreis überliefert und wurde von Gugger und Mueldener nach nicht kenntlich gemachten Vorlagen in ihre Editionen eingefügt In der Handschrift Erfurtensis Amplon. 8° 90 (um 1200) fügte ein späterer Schreiber (im 13. Jahrhundert) den Vers hinzu: "Flandria robertum thomam dolet angliam caesum" (Alexandreis, S. 187). Hieraus ergeben sich wichtige Hinweise auf die unmittelbare Vorlage Brandurs. 71 Vgl. Marianne Kalinke, Erex saga and ívens saga (wie Anm. 30), S. 125.

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Wer war aber Brandurs Publikum? Die oben bereits angeführte Handschrift AM 226 fol. nennt nicht nur Brandur als Übersetzer der Saga, sondern auch Magnus Hákonarson lagabactur als Auftraggeber des Werkes. Innerhalb der Forschung ist häufig die These zu finden, daß Hákon Hákonarson für die Übersetzungen höfischer Literatur aus dem Französischen zuständig war, während sich sein Sohn um die lateinische Literatur kümmerte.72 Magnús teilte zweifellos das Interesse seines Vaters für Literatur; so wird auch die in der Handschrift AM 226 fol. überlieferte Bibelübersetzung Stjórn mit seinem Namen in Verbindung gebracht. Aber gab er wirklich den Auftrag für die Übersetzung der Alexandreisl Während kaum möglich ist, die Angabe über Brandurs Autorschaft zu falsifizieren, steht der Hinweis über das Mäzenatentum von König Magnus auf etwas wackligeren Beinen, denn er wird nicht im Epilog der Alexanders saga, sondern nur in der in der Handschrift AM 226 fol. auf sie folgenden Gydinga saga als Auftraggeber angeführt: Pessa bok fserdi hinn heilagi Jéronimus prestr or ebresku maali ok i latínu. Enn or latlnu. ok ί norràènu sneri Brandr prestr Ions son. er sidan var byskup at Holum, ok sua Alexandra magno, eptir bodi virduligs herra. herra Magnúsar kongs. sonar Hakonar kongs gamia. (Gydinga saga, S. 101,1217)

Es ist natürlich möglich, daß sich die Aussage "eptir bodi virduligs herra" sowohl auf die Gydinga saga als auch auf die Alexanders saga bezieht; andererseits kann "ok sua Alexandre magno" wie auch "er sidan var byskup at Holum" auch nur als Attribut zur genaueren Identifizierung Brandurs gedacht gewesen sein. Die Gydinga saga, die in erster Linie auf den Makkabäerbüchern des Alten Testaments basiert, paßt hinsichtlich Inhalt und Stil sehr gut zu der Bibelübersetzung Stjórn·, man kann sich gut vorstellen, daß Magnús sie als Ergänzung übersetzen ließ oder daß Brandur sie in Island übersetzte und sie, als er 1262 nach Norwegen reiste, Magnus als Geschenk mitbrachte. Aber ist es denn wahrscheinlich, daß die Übersetzung eines mittellateinischen höfischen Textes für einen König, der eine ausgezeichnete Erziehung genoß und dessen Vater großen Wert auf umfassende Bildung legte, so leicht verständlich aufbereitet wurde, wie dies bei der Alexanders saga der Fall ist? Der Königsspiegel belegt, daß Hákon bei seinen Söhnen Wert auf die Kenntnis von Sprachen und der Geographie legte. Gerade solche Kenntnisse setzte aber Brandur bei seinem Publikum offensichtlich nicht voraus. Ist es deshalb nicht eher wahrscheinlich, daß Brandur die Alexanders saga für ein isländisches Publikum übersetzte? Die Saga zeigt, wie Ehrgeiz einen König zum Herrscher über große Teile der Welt machen kann. Wenn er aber das rechte Maß aus den Augen verliert, so wird er alles wieder verlieren. Vor dem Hintergrund der Übernahme Islands durch Norwegen scheint 72 Vgl. z.B. Paasche (wie Anm. 26), S. 484 und Schi«' (wie Anm. 26), S. 93.

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St. Wurth

mir die Alexanders saga eher als Trost und gleichzeitig als Mahnung für die isländische Bevölkerung geschrieben worden zu sein, denn als erbauliche Lektüre für den norwegischen Hof. Da in den Varianten eines Textes, die eine Fixierung des Lesens darstellen, bestimmte Tendenzen der Wirkung greifbar werden,73 möchte ich noch einen kurzen Ausblick auf spätere Bearbeitungen anschließen. In der Handschrift AM 226 fol., die aus dem späten 14. Jahrhundert stammt und generell eine Tendenz zur Kürzung der in ihr enthaltenen Texte aufweist, fallen vor allem die Reden Streichungen zum Opfer. Da aber vor allem diese Reden politische Anspielungen enthalten, die auch in der altisländischen Übersetzung als Kommentare oder Bemerkungen über die zeitgenössische Politik interpretiert werden konnten, so wird deutlich, daß die Alexanders saga im Lauf der Tradierung eine andere Zielsetzung bekam. Neben der Alexanders saga enthält AM 226 fol. eine - ebenfalls gekürzte - Version der Gydinga saga, eine gekürzte Version der Rómverja saga und die unter dem Namen Stjórn bekannte Übersetzung eines Teils des Alten Testaments. Es herrscht ziemlich einhellig innerhalb der Forschung die Ansicht, daß diese Handschrift eine Art Weltgeschichte darstellen soll, die von der Schöpfung bis Christus, genauer bis zum Tod des Pilatus reicht. Daher wäre es verlockend anzunehmen, daß der Bearbeiter von AM 226 fol. den ihm vorliegenden Text der Alexanders saga von politischen Anspielungen befreite, weil sie nicht in sein Konzept einer Weltchronik paßten. Aus der Existenz einer weiteren Handschrift, Sth. Perg. 24 fol. (Mitte des 15. Jahrhunderts) geht jedoch hervor, daß die Kürzungen bereits in einem früheren Überlieferungsstadium vorgenommen sein mußten, da auch diese Handschrift die kürzere Fassung der Alexanders saga enthält und nicht von AM 226 stammen kann, sondern auf eine mit dieser gemeinsame Vorlage zurückgehen muß. Leider ist Sth. 24 nur fragmentarisch erhalten; außer der Alexanders saga enthält sie noch die gleiche Fassung der Rómverja saga wie AM 226, aber ob auch die Gydinga saga und Stjórn darin enthalten waren, ist nicht bekannt. Jedenfalls müssen also die Kürzungen der Texte bereits in einem früheren Stadium stattgefunden haben. Vielleicht war einer der Gründe, daß nach dem Ende des isländischen Freistaates die politischen Anspielungen nicht mehr aktuell waren. Auf einen Wandel in der Rezeption deutet auch eine Marginalie in AM 225 fol. hin, einer Handschrift aus dem 15. Jahrhundert, die eine genaue und direkte Kopie von AM 226 darstellt und vermerkt, daß die Alexanders saga zur Unterhaltung vorgelesen wurde. Ein weiteres

73 Vgl. EH. Smits, Die Historia de Preliis Alexandri Magni, Rezension J 2 im Mittelalter Rezeptionsgeschichtliche Probleme. In: Alexander the Great in the Middle Ages. Hg. v. W.J. Aerts, Jos. M.M. Hermans, Elizabeth Visser, Nijmegen 1978, S. 86-107, hier S. 86.

Alexanders saga: Literarische und kulturelle Adaptation

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Indiz für eine veränderte Lesehaltung stellt auch der weder bei Walter noch in AM 519 enthaltene Brief Alexanders an Aristoteles dar, worin Alexander verschiedene exotische und wunderbare Erscheinungen beschreibt, die er auf seinem Zug durch Indien antraf. Die historische Distanz zwischen Publikum und Saga ist im 14. und 15. Jahrhundert also wesentlich größer als im 13. Jahrhundert. Es findet keine Übertragung auf die eigene Zeit mehr statt, sondern die Alexanders saga wird als Informationsquelle über weit zurückliegende Zeiten und weit entfernte Weltgegenden gelesen. Offensichtlich war auch zu dieser Zeit das Bewußtsein nicht mehr vorhanden, daß der Verfasser der Alexandreis und der isländische Übersetzer nahezu Zeitgenossen waren, daß die Alexandreis kein klassisches lateinisches Werk ist, sondern zeitgenössische Literatur für das Publikum des 13. Jahrhunderts. Die Analyse der Alexanders saga zeigt, daß Rossenbeck mit seiner Klassifizierung der Saga recht hat: es handelt sich trotz aller immer noch vorhandenen unterhaltenden Elemente stärker um eine historische Darstellung als um einen höfischen Roman, da Brandur bei seiner Übertragung ganz andere Schwerpunkte als Walter von Châtillon setzte. Die Konzentration auf den Handlungsablauf sowie die nüchternere und weniger bilderreiche Sprache lassen die Ästhetik und das Spiel mit den Formen zugunsten einer didaktischen Zielsetzung in den Hintergrund rücken. Obwohl sich Brandur eng an seine Vorlage hielt, Übertrag er sie doch in eine ganz andere literarische Gattung. Bei der Interpretation mittelalterlicher isländischer - oder generell nordischer - Literatur ist es notwendig, sich immer wieder vor Augen zu führen, auf welcher Stufe der literarischen Reihe man sich befindet, da die Erscheinungsform eines Textes nicht zuletzt von den historischen Gegebenheiten beeinflußt wird. Gerade bei der sehr wechselvollen Geschichte des 12. bis 14. Jahrhunderts in Island und Norwegen ist es wichtig, sich bewußt zu machen, ob ein Text die Zeit widerspiegelt, zu der er spielt, zu der er entstand oder zu der er rezipiert wurde. Aufgrund der häufig schlechten Überlieferungslage von Texten - oft ist man froh, wenn man aus mehreren Handschriften einen vollständigen, zusammenhängenden Text rekonstruieren kann - besteht die Gefahr, daß diese subtilen Unterschiede verloren gehen. Aber in den Veränderungen eines Textes im Laufe seiner Tradierung spiegeln sich die veränderten historischen, literarischen und gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen eine Saga überliefert wird.

W

Walter de Gruyter Berlin · New York

Nordwestgermanisch Herausgegeben von Edith Marold, Christiane Zimmermann Groß-Oktav. X, 299 Seiten. Mit 8 Abbildungen und 22 Karten. 1995. Ganzleinen ISBN 3-11-014818-8 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Band 13) Beiträge in deutscher und englischer Sprache eines interdisziplinären Kolloquiums zum Thema "Nordwestgermanisch" in Kiel (Oktober 1992) mit sprach- und literaturwissenschaftlichen Untersuchungen zur Gliederung der Germanischen Sprachen. Inhalt: Th. Andersson, Nordische und kontinentalgermanische Ortsund Personennamenstruktur in alter Zeit - H. Beck, Namenkundlich-religionsgeschichtliche Bemerkungen zur Gudme-Diskussion G. Fellows-Jensen, The light thrown by the early place-names of Southern Scandinavia and England on population movement in the Migration Period - E. Hoffmann, Historische Zeugnisse zur Däneneinwanderung im 6. Jahrhundert - T. Looijenga, Bracteate Fyn-C 1 : A Surprising Encounter with Emperor Marcus Aurelius Carus? W. Nicolaisen, Is There a Northwest Germanic Toponomy? Some Thoughts and a Proposal - H. F. Nielsen, Methodological Problems in Germanic Dialect Grouping - K. Schier, Gab es eine eigenständige Balder-Tradition in Dänemark? - E. Seebold, Volker und Sprachen in Dänemark zur Zeit der germanischen Wanderungen - U. Sprenger, Zur Offasage - M. Stoklund, Neue Runeninschriften um etwa 200 n. Chr. aus Dänemark: Sprachliche Gliederung und archäologische Provenienz - J. Udolph, Die Landnahme Englands durch germanische Stämme im Lichte der Ortsnamen - Th. Vennemann, Morphologie der niederrheinischen Matronennamen. Walter de Gruyter & Co. · Berlin · New York Postfach 303421, D-10728 Berlin · Tel. (030) 2 60 05-0, Fax (030) 2 60 05-222