Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung: Lackfabriken - Zwischenkredit [3., vollst. umgearb. Aufl. Reprint 2019] 9783111568188, 9783111196640


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German Pages 1227 [1228] Year 1928

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Abkürzungen
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Nachtrag
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Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung: Lackfabriken - Zwischenkredit [3., vollst. umgearb. Aufl. Reprint 2019]
 9783111568188, 9783111196640

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von Bitter Handwörterbuch der

Preußischen Verwaltung Dritte, vollständig umgearbeitete Auflage

Unter Mitwirkung zahlreicher hoher Reichs- und Preußischer Staatsbeamten herausgegeben von

Dr. Bill Drews

und Dr. Franz

Hoffmann

Staalsminister a.D. Wirkt. Geh. Oberregierungsrat Präsident des Preuß. Oberverwaltungsgerichts Berlin

Zweiter Band Lackfabriken — Zwischenkredit

Berlin und Leipzig 1928 Walter de Gruyter & So., Berlin — Carl Heymanns Verlag, Berlin Roßberg'sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig

L

Buchdruckerei Aotzberg'sche in Leipzig

Abkürzungen Abkürzungen allgemein gebräuchlicher Art, wie Aufl. für Auflage, Bek. für Bekanntmachung usw. sind ebensowenig wie die bei einzelnen Spezialartikeln, gebrauchten Abkürzungen in das Verzeichnis ausgenommen. Die Zahlen hinter den Gesetzsammlungen, Publikationsblättern usw. bedeuten die Seitenzahl, hinter OVG. (Entscheidungendes Oberverwaltungsgerichts) und gleichartigen Sammelwerken die Band zahl des betreffenden Werkes, die darauf folgende Zahl die Seitenzahl.

A. --- Ausschuß. Abg. = Abänderungsgesetz. AbgZBl. = Zentralblatt für die Abgabenverwaltung. ABl. = Amtsblatt. AblG. = Ablösungsgesetz. AbB. Abänderungsverordnung. AE. = Allerhöchster Erlaß. AG. -- Ausführungsgesetz. AGB GB. = Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. AGO. = Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten. AllerhB. = Allerhöchste Verordnung. ALR. = Allgemeines Landrecht. AN. = Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts. ANJuAV. = Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts, Invaliden- und Alters­ versicherung. AnnDR. = Annalen des Deutschen Reichs. AO. = Reichsabgabenordnung. AOKK. = Allgemeine Ortskrankenkasse. AOrder = Allerhöchste Order. ArbG. = Arbeitsgericht. ArbGG. = Arbeitsgerichtsgesetz vom 23. Dezember 1926 (RGBl. I 507).

ArblosBG. - Gesetz über Arbeitslosenversicherung. ArbVersorg. = „Arbeiter-Versorgung". Zentral-Organ für Versicherungswesen. ArchEBW. = Archiv für Eisenbahnwesen. ArchOffR. = Archiv für öffentliches Recht. AusA. = Auswärtiges Amt. AusfAnw. = Ausführungsanweisung. AusfB. = Ausführungsb estimmungen. AusfE. = Ausführungseriaß. AusfV. = Ausführungsverordnung. Av. = Angestelltenversicherung. AB. = Armenverband. AVBl. = Armeeverordnungsblatt. Avg. = Angestelltenversicherungsgesetz. AZollT. = Autonomer Zolltarif. BAH. = Bundesamt für das Heimatwesen, Entscheidungen des Bundesamts. BdG. = Beamtendiensteinkommensgesetz. BergA. = Bergausschuß. BezA. = Bezirksausschuß. BFürsV. = B ezirksfürsorgeverb and. BGB. = Bürgerliches Gesetzbuch. BGBl. — Bundesgesetzblatt. BKK. = B etriebskrankenkassen. BKn. = Bezirksknappschaft. BO. Eisenbahnbau- und Betriebsordnung. BR. = Bundesrat. v. Brauchitsch = von Brauchitsch, Die neuen preußischen Berwaltungsgesetze. BRG. = Betriebsrätegesetz. BVZBl. = Zentralblatt der Bmwerwaltung.

IV

Abkürzungen

DIZ. = Deutsche Juristen-Zeitung. EG. = Einführungsgesetz. EGBGB. -- Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. EOKR. = Evangelischer Oberkirchenrat. Erl. = Erlaß. EUG. = Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen. Eum. = Entscheidungen und Mitteilungen des Reichsversicherungsamtes. EBBl. = Eisenbahnverordnungsblatt. EDO. -- Eisenbahnverkehrsordnung. FA. = Finanzamt. FAG. = Finanzausgleichsgesetz. FGG. = Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. FM. = Finanzminister (Finanzministerium). FreizügG. = Freizügigkeitsgesetz. frJ. = freie Innung. FürsV. = Fürsorgeverband. FürsVO. = Verordnung über die Fürsorgepflicht v. 13. 2. 1924 (RGBl. S. 100). G. = Gesetz. GBO. = Grundbuch Ordnung. GemO. = Gemeindeordnung. GemT. ---- Gemeinheilsteilung. GemTO. = Gemeinheitsteilungsordnung. GenSynO. = Generalsynodalordnung. GewArch. = Gewerbearchiv für das Deutsche Reich. GewO. = Gewerbeordnung für das Deutsche Reich. Gew StB. = Verordnung über die vorläufige Neuregelung der Gewerbesteuer. GKG. = Gerichtskostengesetz. GS. = Gesetzsammlung. GBG. = Gerichtsverfassungsgesetz. Handb. = Handbuch der Unfallversicherung. HauptversA. = Hauptversorgungsamt. HdlVt. = Handelsvertrag. HGB. = Handelsgesetzbuch. HK. --- Handwerkskammer. HM. = Ministerium für Handel und Gewerbe. HMBl. = Ministerialblatt der Handels- und Gewerbeverwaltung. HO. = Haushaltsordnung. HVBl. = Heeresverordnungsblatt. HZA. = Hauptzollamt. I. = Innung. JA. = Jnnungsausschuß. IKK. = Jnnungskrankenkasse. JuM. = Justizminister (Justizministerium). JMBl. = Justizministerialblatt. JnB. = Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung. JV. = Jnnungsverbände. JuHK. = Industrie- und Handelskammer. IW. = Juristische Wochenschrift, Organ des Deutschen Anwalt-Vereins. KA. = Kulturamt. KabO. = Kabinettsorder. KAG. = Kommunalabgabenaesetz. v. Kamptz = von Kamptz' Annalen. KG. = Kammergericht. KGJ. = Johow, Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts. KGVBl. — Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt. KinderschutzG. = Gesetz, betr. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben. Kirch G. = Kirchengesetz. Kirch O. = Kirchenordnung. KK. = Krankenkasse. KKV. = Krankenkassenverband. KO. = Konkursordnung. Kom. = Kommission, Kommissar. KompGerH. = Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte. KonsGG. = Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit. KörpStG. = Körperschaftsteuergesetz. KR. = Kirchenrecht. KrA. --- Kreisausschuß. KrO. = Kreisordnung. KrProvAbgG. = Kreis- unb Provinzial-Abgabengesetz.

Abkürzungen

V

KunstUG. = Gesetz, betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie. KB. = Krankenversicherung. L. = Lehrer. LFA. = Landesfinanzamt. LGO. = Landgemeindeordnung. Lin. = Lehrerin. LitUG. = Gesetz, betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst. LKA. = Landeskulluramt. LKK. = Landkrankenkassen. LMK. = Landesmittelschulkasse. LR. = Landrat. LSK. = Landesschulkasse. LStG. = Preußisches Stempelsteuergesetz. LStT. = Tarif zum Preuß. Stempelsteuergesetz. LT- = Landtag. LVA. = Landesversicherungsanstalt, Landesversicherungsamt. LVG. = Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung. LWA. = Landeswasseramt. MBl. = Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung. MBlMsL. = Ministerialblatt für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. MdausA. = Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten. MDG. = Mittelschullehrerdiensteinkommengesetz. MdgA. = Minister (Ministerium) der geistlichen, Unterrichts-, Medizinalangelegenheiten, jetzt MfW. MdI. --- Minister (Ministerium) des Innern. MsL. = Minister (Ministerium) für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. MfV. = Minister (Ministerium) für Volkswohlfahrt. MfW. = Minister (Ministerium) für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. MittdSt. = Mitteilungen aus bet Verwaltung der direkten Steuern. MMBl. = Ministerialblatt für Medizinal- und medizinische Unterrichtsangelegenheiten, jetzt VMBl. MStGB. --- Militärstrafgesetzbuch. MStGO. — Militärstrasgerichtsordnung. NsdZ. = Nachrichtenblatt für die Zollstellen. OBA. = Oberbergamt. OKK. = Ortskrankenkasse. OLA. = Oberlandeskulturamt. £)$. = Oberpräsident. OPV. = Ortspolizeibehörde. ö. Pr. = östliche Provinzen. OTr. — Obertribunal, Entscheidungen des ehemaligen Preußischen Obertribunals. OVA. = Ob erv ersich erungsamt. OBG. = Oberverwaltungsgericht, Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts. PBB. = Preußische Besoldungsvorschrift. PensG. = Pensionsgesetz. PMZBl. = Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen. PolPräs. = Polizeipräsident von Berlin. PolStrafvG. = Gesetz, betr. den Erlaß polizeilicher Strafverfügungen. Polv. = Polizeiverordnung. PolBerwBZ. = Zeitschrift für Polizei- und Verwaltungsbeamte. PrFGG. — Preußisches Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit. PrGKG. = Preußisches Gerichtskostengesetz. ProvO. = Provinzialordnung. PrV. = Preußische Verfassung. PrStempG. --- Preußisches Stempelsteuergesetz. PrBBl. = Preußisches Berwaltungsblatt. PSG. = Postscheckgesetz. PStG. --- Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung. RABl. = Reichsarbeitsblatt. RAGeO. = Gebührenordnung für Rechtsanwälte. RAM. — Reichsarbeitsminister (Reichsarbeitsministerium). RASt. = Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. RBG. — Reichsbeamtengesetz. RBnG. = Reichsbahngesetz. Reg. = Regierung. Reger = Entscheidungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden. Reichspr. = Reichspräsident. REinkStG. = Reichseinkommensteuergesetz.

Abkürzungen

VI NErbStG. RfA. RfbG. RfEuLRFH. RFM. RFMBl. RG. RGBl. RGRspr. RGSt. RGZ. RIM. RK. RKG. RKv. RMBl. RMdJ. RP. RPAmtsbl. RPM. RR. RStempG. RStT. RT. RB. RVA. RBBl. RVG. RViehseuchG. RVM. RVO. RWM. RWirtM. RZollBl. Sch. SchAB. SchlHolst. SchlHolstAnz. SchVerb. StA. StAngG. StempG. StG. StGB. StHG. StM. StO. StPO. StR. TSt. UG. UV. uB. UZ Bl. V. VA. VDG. VermStG. VersA. VersG. BerwArch.

Bf. VMBl. VoArch. VSch. VU. BUG.

= Reichserbschaftssteuergesetz. = Reichsversicherungsanstalt für Angestellte. = Reichsminister (Reichsministerium) für die besetzten Gebiete. = Reichsminister (Reichsministerium) für Ernährung und Landwirtschaft. — Reichsfinanzhof. = Reichsfinanzminister. = Reichsfinanzministerialblatt. = Reichsgericht.: = Reichsgesetzblatt. = Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. = Reichsjustizminister (Reichsjustizministerium). = Reichskanzler. = Reichsknappschaftsgesetz. = Reichsknappschaft. - Reichsministerialblatt (früher ZBl.). = Reichsministerium des Innern. = Regierungspräsident. = Amtsblatt des Reichspostministeriums. = Reichspostminister (Reichspostministerium). — Reichsrat. = Reichsstempelgesetz. = Reichsstempeltarif. = Reichstag. = Reichsverfassung. = Reichsversicherungsamt. = Reichsverkehrsblatt. = Reichsversorgungsgericht. = Reichsviehseuchengesetz. = Reichsverkehrsminister (Reichsverkehrsministerium). = Reichsversicherungsordnung. = Reichswehrminister (Reichswehrministerium). = Reichswirtschaftsminister (Reichswirtschaftsministerium). = Reichszollblatt. = Schule. = Schulaufsichtsbehörde. Schleswig-Holstein. = Schleswig-Holsteinische Anzeigen, Glückstadt. = Schulverband. = Stadlausschuß. = Gesetz über dieErwerbung und den Verlust der Bundes-und Staatsangehörigkeit. = Stempelsteuergesetz (GS. 1924 S. 627). = Steuergesetz. = Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. = Gesetz, betr. den Staatshaushalt. = Staatsministerium. = Städteordnung. = Strafprozeßordnung. — Staatsrat. = Tarisstelle. = Urheberschutzgesetz. = Unfallversicherung. = untere Verwaltungsbehörde. — Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung. = Verordnung. = Versicherungsamt. = Bolksschullehrerdiensteinkommengesetz. = Gesetz über Vermögens- und Erbschaftssteuer. = Versorgungsamt. = Bersorgungsgericht. = Verwaltungsarchiv; Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichts- barkeit. = Verfügung. = Volkswohlfahrt, Amtsblatt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. = Bolksschularchiv. = Volksschule. -- Berfassungsurkunde für den Preußischen Staat. = Gesetz, betr. die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen.

Abkürzungen.

BwStr. VZG. WG. Wo. WStG. 3ZBergr. ZBl. ZsA. ZfBHuS. ZfZuV. ZG.

ZGebO. ZirkE. ZirkVf. ZoUT. ZollTG. ZPO. ZVG. ZwJ.

VII

= Verw altungsstreitv erfahren. = Vereinszollgesetz. = Wassergesetz. = Wegeordnung. — Wechselsteuergesetz. = Zeitschrift. = Zeitschrift für Bergrecht. = Zentralblatt für das Deutsche Reich, jetzt NMBl. = Zeitschrift für Agrar- und Wasserrecht. = Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen. = Zeitschrift für Zoll- und Verbrauchssteuern (früher Zeitschrift für Zollwesen und Reichssteuern). = Gesetz über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichts­ behörden. = Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige (RGBl. 1925 I 471). = Zirkularerlaß. = Zirkularverfügung. -- Zolltarif zum Zolltarifgesetz. = Zolltarifgesetz. --- Zivilprozeßordnung (RGBl. 1924 I 437). = Gesetz über die Zwangsversteigerimg und die Zwangsverwaltung. --- Zwangsinnung.

L Lackjabriken s. Chemische Fabriken. Lackierer s. Anstreicher. Laden s. Offene Verkaufsstellen. LagerauSgleich (im Zollverkehr). Im An­ schluß an die Vorschrift, daß die Zölle für Ge­ treide, Hülsenfrüchte, Raps und Rübsen sowie für die daraus hergestellten Müllerei- und Mäl­ zereierzeugnisse von Zahlungsaufschub und Stun­ dung ausgeschlossen sind (s. Getreide [im Zoll­ verkehrs), bestimmt der § 12 ZollTG. weiter, daß im Falle der Aufnahme dieser Waren in ein Zollager die zu entrichtenden Zollgefälle für die Dauer der Lagerung zu verzinsen sind. Die näheren Bestimmungen enthält die Zollstundungs­ ordnung (ZBl. 1906, 128), die den Zins als L. bezeichnet und die insoweit nach der allgemeinen Stundungsordnung vom 29. 1. 1923 (RGBl. I 75) noch in Kraft ist (s. auch Zollstundung). Sdt. Lagerbuch. Nach § 71 StO. f. d. ö. Pr., § 65 RheinStO., § 19 SchlHolstStO., § 115 HannStO., § 81 HessNassStO., § 78 FrankfStO. hat der Vorstand der Stadtgemeinde (Magistrat, Bürgermeister) über alle Teile des Vermögens der Stadtgemeinde (s. Gemeindevermögen) ein L. zu führen. Veränderungen hierin sollen den Stadtverordneten bei der Rechnungsübernahme mitgeteilt werden. In das L. müssen auch die der Gemeinde gehörigen Gegenstände, die einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunstwert haben, ausgenommen werden (Erl. vom 5. 11. 1854, MBl. 1855, 2). In SchlHolst, ist nur die Aufnahme der unbewealichen Sachen vorgeschrieben. In Hannover soll das L. dem Bürgervorsteherkollegium offengelegt wer­ den. — Für die Landgemeinden ist die Führung Zeines L. gesetzlich nur in der Nheinprovinz vor­ geschrieben. Hier hat der Bürgermeister über alle Bestandteile des Gemeindevermögens ein L. doppelt zu führen, von dem ein Exemplar auf der Bürgermeisterei und das andere bei dem Ge­ meindevorsteher bericht. Die in dem L. vorgetommenen Veränderungen sollen dem Gemeinde­ rate jährlich bei Gelegenheit der Rechnungsab­ nahme zur Einsicht und Erklärung vorgelegt wer­ den (§ 94 RheinGemO.). In den ö. Pr., in SchlHolst. und in Hessen-Nassau ist durch die zur Ausführung der GemO. ergangenen MinisterialLlnweisungen für größere Landgemeinden die An­ legung und regelmäßige Fortschreibung eines L. empfohlen, in welches sowohl das unbewegliche Vermögen der Gemeinde (Grundstücke, Gebäude, Gerechtigkeiten) als auch das bewegliche (Forde­ rungen, Bücher, Feuerlöschgerätschaften) einzu­ tragen ist Wegen des L. für Kirchengemeinden s. u. a. § 14 der Vermögensverwaltungsordnung vom 15. 12. 1886 (KGVBl. 23) und auch Kirch­ liche Gemeindeorgane. v. E. Semner, Lagerbuch der Gemeinde, 1908.

Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung,

Laichschonreviere s. Fischerei. LandarbeitSordnnng; vorläufige: s. Arbei­ ter II. Landarmenanstalten s. Fürsorge, öffent­ liche, Ille. Landaufenthalt für Kinder s. Erholungsfür­ sorge. Landbank s. Kolonisation, innere. Landbund s. Landwirtschaftliche Ver­ eine II. Landbürgermeister, Landbürgermeistereiver ­ bände s. Bürgermeister, Bürgermeisterei­ verbände (Rheinprovinz). Landdekan s. Kirchenverfassung B VII 3. LandeSamt für Familiengüter s. Familien­ güter. LandeSanstalt für Wasser-, Boden- und Luft­ hygiene in Berlin-Dahlem, Ehrenbergstr. 38. Die L. soll 1. die aus dem Gebiete der Wasser­ versorgung und Beseitigung der Abwässer und Abfallstoffe sich vollziehenden Vorgänge in Rück­ sicht auf deren gesundheitlichen und volkswirt­ schaftlichen Wert verfolgen; 2. dahin gehörende Ermittlungen und Prüfungen veranlassen; 3. Untersuchungen im Auftrage der Ministerien und auf Antrag von Behörden und Privaten gegen Gebühr ausführen; 4. den Zentralbehörden auf Erfordern des MfB. Auskunft erteilen und Gutachten im öffentlichen Interesse erstatten. Durch Erl. vom 25. 4. 1923 ist die Tätigkeit in demselben auch auf das Gebiet der Reinhaltung und Verunreinigung von Boden und Lust erstreckt. Geschäftsanweisung vom 27.8.1901 (MMBl. 237). Amtliche Veröffentlichungen in den Mitteilungen der L. Angegliedert ist das Mainwasser-Untersuchungsamt in Wiesbaden. F. H. LandeSanstalt für Fischerei in Berlin-FriedrichShagen (früher Institut für Binnenfischerei am Müggelsee). Die Anstalt ist aus der kleinen fischereibiologischen Station am Müggelsee her­ vorgegangen, die im Eigentum des deutschen Fischereivereines stand, aber im wesentlichen aus staatlichen Zuwendungen unterhalten wurde. Als im Jahre 1906 ein besonderer Lehrstuhl für Fi­ scherei und Fischzucht an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin eingerichtet wurde, erwarb der Staat diese Anstalt, um sie der Landwirtschaft­ lichen Hochschule anzugliedern. Sie wurde dem neu anzustellenden Dozenten unterstellt, so daß ihre Einrichtungen diesem gleichzeitig als Versuchs­ laboratorium dienen und auf diese Weise auch Ge­ legenheit zur Abhaltung mit Demonstrationen ver­ bundener Lehrkurse für Studierende, Fischerei­ interessenten, Fischereiaufsichtsbeamte usw. gege­ ben ist. Die Anstalt hat die Aufgabe, durch syste­ matische Erforschung der Binnen- und Küstenge­ wässer die Vorbedingungen für einen gedeihlichen Betrieb der Fischerei und Fischzucht zu schaffen. 1 3. Aufl. II.

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Landesanstalt für Gewässerkunde — Landesbank, nassauische

Das Arbeitsgebiet umfaßt vorzugsweise das Stu­ dium der Lebensbedingungen der Fischarten des Süßwassers, der sonstigen darin befindlichen Lebe­ wesen und deren Beziehung zur Ernährung der Fische, weiter die Feststellung der chemischen und physikalischen Verhältnisse, die auf die Lebensweise und Entwickelung der Lebewesen des Süßwassers von Einfluß sind, und im Zusammenhänge hier­ mit die Anbahnung einer rationellen Bewirt­ schaftung der staatlichen und privaten Fischge­ wässer, ferner Untersuchungen über Fischkrankheiten und fischereischädliche Abwässer. Die Ar­ beiten der Landesanstalt werden in der Zeitschrift für Fischerei und deren Hilfswissenschaften (Ver­ lag von I. Neumann in Neudamm) veröffentlicht. Ein Kuratorium dient dem MfL. als Beirat und steht dem Leiter der Anstalt in allen diese be­ treffenden Fragen zur Seite. Als planmäßiger Beamter ist bei ihr nur ein Chemiker angestellt. Ihr angegliedert ist die staatliche Fischereilehr­ wirtschaft Jägerhof bei Sacrow. Nach §§ 119 bis 123 der AusfAnw. vom 16.3.1918 zum FischereiG. (MBlMfL. 51 ff.) ist der Leiter der Landesanstalt als Beauftragter des MfL. zur Anstellung amtlicher Untersuchungen in/ben Fisch­ gewässern und zur Wahrnehmung fisch ereipolizeilicher Aussichtsbefugnisse ermächtigt. Fischerei­ beamte und amtlich verpflichtete Aufseher haben gegebenenfalls seine Weisungen zu befolgen. Nach §§ 106, 107 derselben Anweisung ist ein Gutachten der Landesanstalt einzuholen, bevor ausländische Fische in offenen Gewässern neu ausgesetzt werden. Die MinErl. vom 12. 9. 1919 und 15.11.1921 (MBlMfL. 1919, 261 und 1921, 397) ordnen an, daß dem Leiter der Anstalt Mitteilungen über ein Massen-Fischsterben als­ bald durch Fernsprecher oder telegraphisch zu machen sind, jedoch mit Ausnahme der Provinzen Ostpreußen, Brandenburg, Pommern, SchleswigHolstein, Grenzmark Posen-Westpreußen, der Rheinprovinz und Westfalen. Pr. Landesanstalt für Gewässerkunde. Die L. f. G. ist durch AOrder vom 14. 4. 1902 mit dem 1. 4. 1902 nach Maßgabe der dem Entwürfe zum Staatshaushaltsetat für 1902 beigegebenen Denk­ schrift (Anl. Bd. II Ziff. 15 Beil. B Bauverwal­ tung) als Nachfolgerin des infolge der äußerst ver­ heerenden Hochwasser der Jahre 1888 und 1889 einberufenen „Wasserausschusses" errichtet wor­ den. Den Anlaß gab das Bedürfnis nach einer einheitlichen Leitung, Sammlung und Be­ arbeitung aller Arbeiten, die auf eine genaue Er­ forschung der für den Abflußvorgang der Ströme, Flüsse und Bäche maßgebenden Verhältnisse hin­ zielen. Die L. f. G. ist keine besondere Behörde, sondern mit Rücksicht auf ihre über das gesamte Staatsgebiet Preußens und der anderen in das norddeutsche Stromgebiet fallenden deutschen Bundesstaaten sich erstreckende Tätigkeit der Zen­ trale, und zwar dem MfL. angegliedert. Sie steht in erster Linie dem MfL. zur Verfügung, soll aber auch bei wasserwirtschaftlichen Fragen anderer Ressorts mitwirken. Aufträge zu Gutachten sind ihr von dem genannten Minister zu erteilen. Nächste Aufgabe der L. f. G. ist die Sammlung, einheit­ liche Bearbeitung und Ergänzung der Beobach­ tungen über den Abflußvorgang bei schiffbaren und nichtschiffbaren Gewässern, sowie die Ermitt­ lung der dafür maßgebenden Verhältnisse. Ferner

liegt ihr ob die Verwertung der Untersuchungs­ ergebnisse durch Veröffentlichung und durch Mit­ wirkung bei der Lösung wasserwirtschaftlicher Fragen aller Art. Die L. f. G. besteht aus einem wasserbautechnischen Ministerialräte im MfL., als Leiter der Anstalt, und der erforderlichen Anzahl von sonstigen Beamten, wissenschaftlichen Hilfs­ arbeitern und Bureaukräften. Die Berufung des Leiters und die Besetzung der sonstigen plan­ mäßigen Stellen erfolgt durch den MfL. Der L. f. G. ist gemäß AE. vom 5. 1. 1903 ein Beirat von drei Laienmitgliedern beigeordnet. Sie führt ihre Geschäfte nach Maßgabe einer ihr erteilten Geschäftsordnung vom 2. 5. 1902 (MErl. vom 26. 10. 1902, MBl. 192). Allmonatlich veröffent­ licht sie im ZBl. der Bauverwaltung die in jedem Monat ermittelten Wasserstände der Hinblick auf die dem Handelsstande in der Handelskammer gewährte Berufsvertretung von Bedeutung war. Obwohl innerhalb der Zentralvereine die An­ sichten noch geteilt waren, sprachen sich doch in den Jahren 1892/93 sowohl das Landesökonomie­ kollegium wie das AbgH. zugunsten der als­ baldigen Einführung einer solchen Berussvertretung aus (Begründung des Gesetzentwurfs über die L., Nr. 9 der Drucks, des AbgH., I. Sess. 1894). Dies führte im Jahre 1894 zur Vorlage eines Gesetzentwurfs, der unter mannigfachen Ände­ rungen die Zustimmung der Landesvertretung gefunden hat. Das G. über die L. vom 30. 6.1894 5 Aufl. II.

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Landwirtschaftskammern

(GS. 126) ist durch zwei Novellen von ein­ schneidender Bedeutung nach der Staatsumwäl­ zung geändert worden. Schon früher war es verschiedentlich als ein Mangel empfunden wor­ den, daß die Mitglieder der L. nicht unmittelbar durch die Berufsangehörigen, sondern durch die Kreistage gewählt werden mußten. Auch sonst hatte sich das G. in mancher Beziehung als abänderungsbedürstig erwiesen. Das hatte die Staatsregierung veranlaßt, der verfassunggeben­ den Preuß. Landesversammlung einen Gesetz­ entwurf vorzulegen, der eine völlige Umgestal­ tung des bisherigen G. beabsichtigte (Drucks. Nr. 2883 für 1919/20). Der Entwurf scheiterte namentlich an Meinungsverschiedenheiten der Parteien über die Einbeziehung der landwirt­ schaftlichen Arbeitnehmer in die L. Der Entwurf wies diesen ein Drittel der Milgliedersitze zu, während zwei Drittel den Arbeitgebern unter angemessener Berücksichtigung der Besitzgrößen verbleiben sollten. Den Rechtsparteien (einschließ­ lich Zentrum) ging dieser Vorschlag zu weit, sie verlangten eine stärkere Berücksichtigung der Ar­ beitgeber, weil es sich bei den Arbeiten der L. im wesentlichen um Angelegenheiten handele, die den Grundbesitz angingen. Die Linksparteien forderten dagegen unter Berufung auf Art. 165 RV. eine paritätische Zusammensetzung der L. aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Aus den Verhandlungen über den Gesetzentwurf ging so­ dann ein Initiativantrag mehrerer Parteien her­ vor, der mit einigen Änderungen auch zur Verab­ schiedung gelangte. Das AbänderungsG. vom 16. 12. 1920 (GS. 1921, 41) hat das Wahlrecht zu den L. vollständig umgestaltet. An die Stelle der früheren mittelbaren Wahl ist die unmittel­ bare Wahl bei gleichem Stimmrecht für alle Wahlberechtigten ohne Rücksicht auf die Besitz­ größen getreten (s. III). Eine Beteiligung der Arbeitnehmer an den L- ist nicht vorgesehen. Nach wie vor setzen sich die L. im wesentlichen aus landwirtschaftlichen Betriebsinhabern zu­ sammen. Lediglich durch Zu Wahl (s. III) können auch Nicht-Betriebsinhaber Kammermitglieder werden, daneben aber ferner solche früheren Landwirte, die 15 Jahre innerhalb des Kammer­ bezirks wählbar gewesen sind. Die AussB. vom 6. 1. 1921 (MBlMfL. 19) enthalten u. a. wich­ tige Erläuterungen über die Voraussetzungen der Wahlberechtigung. Die zweite Novelle vom 22. 5. 1923 (GS. 267) brachte eine wichtige Än­ derung der Kostenaufbringungsvorschristen des § 18, nach der nicht nur eine Verschiebung innerhalb des grundsätzlich als Maßstab beibe­ haltenen Grundsteuerreinertrags vorgenommen, sondern auch ein neuer Beitragsmaßstab eingeführt werden kann (s. IV). Bei den nachstehenden Aus­ führungen wird das G. in der Gestaltung zugrunde gelegt, wie es sich nach den beiden Novellen ergibt. II. Nach dem G. über L. können zum Zwecke der korporativen Organisation des landwirtschaft­ lichen Berufsstandes durch kgl. V. (jetzt V. des StM.) nach Anhörung des Provinziallandtags Landwirtschaftskammern errichtet werden; sie sollen in der Regel das Gebiet einer Provinz, und können ausnahmsweise auch Teile einer Provinz umfassen. (Wegen Einführung des G. im Gebietsteil Pyrmont s. V. vom 22. 1. 1923, GS. 21.) Die L. sollen die Gesamtinteressen der

Land- und Forstwirtschaft ihres Bezirks wahrnehmen und alle aus die Hebung der Lage des ländlichen Grundbesitzes abzielenden Einrichtun­ gen, namentlich die weitere korporative Organi­ sation des Berufsstandes der Landwirte fördern. Sie haben hiernach nicht nur die Aufgaben 511 verfolgen, die unter den Begriff der Interessen­ vertretung fallen, sondern auch alle Maßnahmen und Einrichtungen zu treffen, welche die Land­ wirtschaft dadurch zu fördern geeignet sind, daß die geeinigte Kraft der Berufsgenossen an die Stelle der Bemühungen der einzelnen Landwirte tritt. Die L. sollen ferner die Verwaltungs­ behörden bei allen die Land- und Forstwirtschaft betreffenden Fragen durch tatsächliche Mitteilun­ gen und Erstattung von Gutachten unterstützen. Sie haben bei allen Maßnahmen mitzuwirken, welche die Organisation des ländlichen Kredits und sonstige gemeinsame Aufgaben betreffen; sie haben außerdem den technischen Fortschritt der Landwirtschaft durch zweckentsprechende Einrich­ tungen zu fördern. Auch ist ihnen nach Maßgabe der für die Börsen und Märkte maßgebenden Bestimmungen eine Mitwirkung bei der Ver­ waltung und den Preisnotierungen der Pro­ duktenbörse sowie der Märkte, insbesondere der Viehmärkte, übertragen (§ 2 des G. vom 30. 6. 1894 und Erl. vom 16. 6. 1926, MBlMfL. 337, betr. Preisfeststellungsordnungen für größere Schlachtviehmärkte, sowie vom 14. 12. 1896, betr. die Entsendung von Vertretern der Landwirt­ schaft in den Vorstand der Produktenbörsen, und vom 17. 7. 1897, betr. die Mitwirkung der L. bei der Verwaltung und den Preisnotierungen der Produktenmärkte; s. auch Börsen und Märkte und Messen). Zur Landwirtschaft im Sinne des G. rechnet die gesamte ländliche Boden­ benutzung zur Erzeugung pflanzlicher und tierischer Rohstoffe. Dazu gehören also insbesondere auch die Forstwirtschaft und der Gartenbau (vgl. AusfB. — zu 8 6 — vom 6.1. 1921 und Erl. vom 29. 1. 1921, MBlMfL. 19, 51). Ebenso gehört die Fischerei zur Landwirtschaft im Sinne des G. (OVG. 33 373, 379). Durchweg bestehen bei den L. sowohl für die Forstwirtschaft als auch für den Gartenbau und die Fischerei besondere Ausschüsse (s. V). Das gleiche gilt für die Haupt­ landwirtschaftskammer (s. d.). Unter den Begriff „Gewerbe" im Sinne der GewO, fällt die Landwirtschaft nicht (OVG. 71, 395). L. sind durch kgl. B. vom 3. 8. 1895 (GS. 363) für die Prov. Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Brandenburg, Posen, Schlesien, Sachsen, SchlHolst. sowie für die NegBez. Kassel und Wies­ baden, vom 28. 4. 1898 (GS. 69) für die Prov. Westfalen und vom 15. 3. 1899 (GS. 35) für die Prov. Hannover und die Rheinprovinz, ferner durch V. des StM. vom 6. 3. 1922 (GS. 55) für die Grenzmark Posen-Westpreußen und für den RegBez. Sigmaringen und durch B. des StM. vom 23. 7. 1926 (GS. 243) für die Prov. Ober­ schlesien auf Grund der den V. beigegebenen Satzungen errichtet worden, so daß nunmehr alle Provinzen des Staates L. besitzen. Die L. für die Prov. Westpreußen und Posen waren durch V. des StM. vom 26. 4. 1920 (GS. 283) wegen der politischen Ereignisse ausgelöst worden. Die bei Preußen verbliebenen Teile der beiden Pro­ vinzen haben jetzt, soweit sie links der Weichsel

Landwirtschaftskammern

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liegen, in der L. für die Grenzmark, soweit sie unfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte rechts der Weichsel liegen, in derL. für Ostpreußen, Personen üben das Wahlrecht durch einen gesetz­ der sie durch V. vom 2. 12. 1921 (GS. 561) lichen Vertreter aus. Personen, die in Konkurs angegliedert sind, ihre Vertretung. Die neu ge­ geraten sind oder deren Grundstücke der Zwangs­ bildete Prov. Oberschlesien gehörte bis zur Er­ versteigerung oder Zwangsverwaltung unter­ richtung einer eigenen L. zum Bezirk der L. für liegen, sind vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Schlesien. Die Stadt Berlin ist durch B. vom Wahlberechtigten haben gleiches Stimmrecht (§ 6). 6. 3.1922 (GS. 53) der L. für die Prov. Branden­ Wählbar sind alle wahlberechtigten Personen, die burg angegliedert. Die Satzungen enthalten die­ das 25. Lebensjahr vollendet haben und seit jenigen Bestimmungen, die bei der Verschieden­ mindestens einem Jahre im Kammerbezirk woh­ heit der landwirtschaftlichen Verhältnisse in den nen, ferner ehemalige Eigentümer, Nutznießer einzelnen Provinzen im G. nicht festgelegt werden oder Pächter, die 15 Jahre innerhalb des Kam­ konnten, namentlich Bestimmungen über den Sitz merbezirks wählbar gewesen sind (§ 7). Wahl­ der L., die Wahl, Zusammensetzung und Befug­ bezirke sind in der Regel die Landkreise. Durch nisse des Vorstandes und des Vorsitzenden, die die Satzung können mehrere benachbarte Land­ Form für die Legitimation des Vorstandes und kreise und Stadtkreise mit benachbarten Land­ seiner Mitglieder, die Zusammenberufung der L. kreisen zu Wahlbezirken vereinigt werden. In unt) die Gegenstände, die der Beschlußfassung der jedem Wahlbezirke sind mindestens zwei Mit­ L. Vorbehalten bleiben (§ 4 des G.). Änderungen glieder zu wählen. Im übrigen bestimmt die der Satzungen, soweit sie nicht Sitz, Zweck oder Satzung die Zahl der Mitglieder (§ 8). Wahl­ Vertretung der L. betreffen, kann nach § 2 (bei kommissar ist der LR.; bei Wahlbezirken, die Oberschlesien § 4) der V. der Ressortminister mehrere Kreise umfassen, bestimmt der OP. den selbständig genehmigen. Satzungsänderungen für Wahlkommissar. Im übrigen wird das Wahl­ Ostpreußen MBlMfL. 1907, 66; 1912, 244; verfahren durch die vom MfL. zu erlassende Wahl­ 1923, 127; 1927, 177; Brandenburg MBlMfL. ordnung geregelt. Die Kosten der Vordrucke zu 1908, 293; 1912, 368; 1921, 52, 209; 1923, 841; den Wahlen (Zählungsformulare, Wählerlisten, 1926, 185; Pommern MBlMfL. 1922, 717; Stimmlisten, Wahlniederschristen) sowie der er­ Schlesien MBlMfL. 1908, 145; 1910, 203; forderlichen Bek. trägt die L. (vgl. Erl. vom 1921, 242; 1923, 305; Niederschlesien 1927,307; 18. 7. 1921, MBlMfL. 266); die Kosten des ört­ Oberschlesien 1927,527; Sachsen MBlMfL. 1905, lichen Wahlverfahrens, wozu auch die Auf­ 214; 1909, 193; 1910, 173, 232; 1911, 140; stellung der Wählerlisten gehört, tragen die 1917, 253; 1921, 242; 1922, 718; SchlHolst. MBl­ Gemeinden (§ 9). Die Wahlordnung vom MfL. 1907, 67; 1923, 615; Hannover MBlMfL. 6. 1. 1921 (GS. 44), abgeändert durch B. vom 1914,285; 1916,56; 1921,302; 1927, 680; West­ 12. 3. 1921, 15. 3. 1924, 25. 2. 1925 und 21. 6. falen MBlMfL. 1922, 718; Kassel MBlMfL. 1926 (GS. 334, 189, 13, 193), lehnt sich an die 1922, 719; 1925, 116; 1928, 159, Wiesbaden entsprechenden Vorschriften für die politischen MBlMfL. 1912, 110; 1920, 310; 1922, 720; Wahlen an. Wegen des Zeitpunktes der Wahlen Rheinprovinz MBlMfL. 1910, 250; 1911, 189; s. Erl. vom 13. 4. und 25. 5. 1927 (MBlMfL. 1919, 173; 1920, 310; 1922, 720; 1924, 31, 362. 313, 515). Der OP. setzt den Wahltag fest (Erl. III. Die Mitglieder der L. werden in un­ vom 6. 10. 1923, MBlMfL. 897). Er muß späte­ mittelbarer und geheimer Wahl nach den Grund­ stens zwei Monate vorher bekanntgemacht werden sätzen der Verhältniswahl gewählt (§ 5). (§ 12 WahlO.). Die Wahlvorschläge sind späte­ Wahlberechtigt ist ohne Unterschied des Geschlechts stens am 42. Tage vor dem Wahltage dem Wahl­ jeder Deutsche, der die bürgerlichen Ehrenrechte kommissar einzureichen (§ 13 WahlO.). Bei Ein­ besitzt und seit mindestens einem Jahr als Eigen­ reichung nur eines Wahlvorschlags gelten die tümer, Nutznießer oder Pächter land- und darin bezeichneten Bewerber als gewählt, so daß forstwirtschaftlich genutzter Grundstücke die Land­ es in diesem Falle der Aufstellung und Auslegung wirtschaft im Hauptberuf oder über das eigene der Wählerlisten sowie einer formellen Wahl nicht hauswirtschaftliche Bedürfnis hinaus im Neben­ bedarf (§ 22a WahlO.). Damit die Wählerlisten beruf ausübt. Irgendeine Beschränkung hinsicht­ noch nach der Einreichung der Wahlvorschläge lich der Größe des Betriebs besteht nicht. Wer ausgestellt werden können, mußte die Frist zwischen im Hauptberuf Landwirt ist oder wer mehr Land der Einreichung der Wahlvorschläge und dem bewirtschaftet, als für seinen Hausbedarf nötig Wahltage sehr geräumig bemessen werden. Der ist, ist wahlberechtigt. Wegen des Wahlrechts bei bei den politischen Wahlen übliche Einheitsstimm­ verpachteten Grundstücken vgl. Erl. vom 17. 2. zettel ist durch die V. vom 21. 6. 1926 für die 1921 (MBlMfL. 89). Auch die im landwirtschaft­ Kammerwahlen ebenfalls eingesührt. — Die Mit­ lichen Berus mittätigen Ehegatten dieser Per­ glieder der L. werden auf sechs Jahre gewählt. sonen sind wahlberechtigt, so daß in diesen Fällen Alle drei Jahre scheiden die Vertrete der Hälfte für einen Betrieb ein doppeltes Wahlrecht besteht. der Wahlbezirke aus (§ 11). Durch Zuwahl der Die Betätigung einer Ehefrau muß sich auf die L. (Vollversammlung) tritt auf je volle zehn ge­ eigentliche landwirtschaftliche Erzeugung erstrecken wählte Mitglieder ein weiteres Mitglied mit und dari nicht nur auf die Führung des eigenen vollem Stimmrecht hinzu, und zwar hat sich die Haushalts beschränkt sein. Wohl aber rechnet zu Zuwahl zu je einem Drittel auf a) Landfrauen, einer wahlberechtigenden Betätigung die Mit­ b) landwirtschaftliche Betriebsbeamte und Fach­ arbeit im Garten, die Leitung der Kleintier­ lehrer, c) Vorsteher landwirtschaftlicher Genossen­ zucht usw. Als Miteigentümerin eines vom schaftsverbände oder sonstige um die Landwirt­ Ehemann geleiteten Betriebs ist die Ehefrau auch schaft besonders verdiente Persönlichkeiten zu er­ ohne Mitarbeit wahlberechtigt. Personen unter strecken (§ 14). Die Zuwahl ist zwingend und bei 20 Jahren, juristische Personen sowie geschäfts­ jeder neuen Zusammensetzung der L., also alle 5*

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drei Jahre vorzunehmen. Beim Ausscheiden eines Zugewählten während der Wahlzeit muß eine Ersatzwahl stattfinden (Erl. vom 29. 6. 1922, MBlMfL. 501). Zu den landwirtschaftlichen Bctriebsbeamten gehören auch die privaten und die staatlichen Forstbetriebsbeamten (Erl. vom 23. 3. und 27. 4. 1921, MBlMfL. 118, 171). Als Fach­ lehrer gelten Beamte, die im Hauptamte land­ wirtschaftliche Lehrtätigkeit oder als landwirt­ schaftliche Fachbeamte in nennenswertem Um­ fange Vortragstätigkeit ausüben, z. B. auch Tier­ zuchtinspektoren und Instruktoren für Sonder­ gebiete (Erl. vom 28. 6. 1922, nicht veröffentlicht). Die Mitglieder der L. versehen ihr Amt unent­ geltlich. Doch kann ihnen für die Teilnahme an Sitzungen eine Entschädigung gewährt werden, ebenso bei Ausführung besonderer Aufträge (§ 16). Der Vorstand der L. wird von der L. auf drei Jahre gewählt. Er besteht aus dem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter und mindestens drei weiteren Mitgliedern; für letztere ist die gleiche Zahl von Stellvertretern zu wählen; die Zahl der Vorstandsmitglieder wird durch die Satzung be­ stimmt (§ 13 und Erl. vom 5. 4. 1924, MBl­ MfL. 243). Den L. gehören an: in Königsberg 76, hiervon dem Vorstande 11 Mitglieder, Berlin 111 (13), Stettin 63 (6), Breslau 89 (10), Oppeln 30 (7), Halle 112 (15), Kiel 67 (8), Hannover 69 (14), Münster 91 (13), Kassel 50 (8), Wies­ baden 32 (7), Bonn 109 (13), Sigmaringen 10 (5) Mitglieder (ohne die durch Zuwahl Hinzutreten­ den). Veränderungen in der Zusammensetzung des Vorstandes sind alljährlich zum 1. Juni dem MfL. anzuzeigen (Erl. vom 1. 11. 1916). IV. Die L. sind berechtigt, aus Grund eines jährlich zu veröffentlichenden Etats von den Be­ sitzungen, deren Inhaber wahlberechtigt sind, Umlagen zu erheben. Persönliche Gründe der Wahlbehinderung befreien nicht von der Beitrags­ pflicht (§ 18 Abs. 1; OVG. 78, 396). Die frühere Beschränkung der Beitragspslicht aus Besitzungen von einem Mindestbeiträge des Grundsteuerrein­ ertrags ab ist weggefallen. Vgl. hierzu und zu der Frage der Beitragsregelung bei verpach­ teten Grundstücken Erl. v. 17.2.1921 u. 12.7.1927 (MBlMfL. 89, 583), ferner OVG. 33, 365 und OVG. in MBlMfL. 1924,229; 1926, 327. Über die Beitragspflicht eines Betriebsinhabers, der Grundstücke in verschiedenen Wahlbezirken bewirt­ schaftet, vgl. Erl. vom 9. 6.1923 (MBlMfL. 553). Als Beitrags maß st ab gilt im allgemeinen der Grundsteuerreinertrag der beitragspflichtigen Grundstücke. Das StM. kann auf Antrag einer L. einen anderen Maßstab festsetzen, auch kann die L. mit Genehmigung des MfL. örtliche Gebiete mit einem niedrigeren oder höheren Hundertsatz eds Grundsteuerreinertrags heranziehen, wenn diese Gebiete im Verhältnis zum Gesamtbezirk zu hoch oder zu niedrig veranlagt sind (§ 18 Abs. 1 Satz 2, 3). Für Hohenzollern tritt an die Stelle des Grundsteuerreinertrags das Grund­ steuerkapital (§ 24). Mehrere L. haben von der erst durch das AbänderungsG. vom 22. 5. 1923 eingeführten Befugnis, einen anderen Beitrags­ maßstab zu beantragen, Gebrauch gemacht. Dem­ gemäß werden die Beiträge jetzt erhoben: a) in der Prov. Schleswig-Holstein und Ostpreußen nach den auf Grund des ReichsbewertungsG. vom 10. 8. 1925 (RGBl. I 214) ermittelten Einheits­

werten (V. vom 20. 6. 1927, GS. 126; 16.3.1928, GS. 29). b) in der Grenzmark Posen-Westpreußen nach dem berichtigten Wehrbeitrags­ werte (V. vom 9. 7. 1925, GS. 90). Die L. für die Prov. Pommern und Hannover haben seit mehreren Jahren mit Genehmigung des MfL. Verschiebungen innerhalb des an sich beibehaltenen gesetzlichen Beitragsmaßstabes in der Weise vor­ genommen, daß einzelne Gebiete, die verhältnis­ mäßig hoch veranlagt sind, mit einem entsprechend niedrigeren Hundertsatz herangezogen werden. Für Hannover und mehrere andere Provinzen ist die Einführung der Einheitswerte als Beitrags­ maßstab in Vorbereitung. Über die Höhe der jährlichen Umlage hat die Vollversammlung der L. zu beschließen; eine Beschlußfassung durch schriftliche Abstimmung ohne Zusammentritt der L. ist unzulässig (vgl. auch Erl. vom 30. 11. 1922, MBlMfL. 33). Die Umlagen dürfen V2% des Grundsteuerreinertrags ohne Genehmigung des Ministers nicht übersteigen (§ 19). Dieser Satz hat schon vor dem Kriege durchweg über­ schritten werden müssen. Nach dem Kriege hat sich diese Notwendigkeit wegen der gesunkenen Kaufkraft des Geldes und der daraus folgenden Erhöhung der Gehälter des Personals, aber auch wegen einer wesentlichen Ausdehnung der Be­ tätigung der L., die in dem Bestreben einer Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung ihre Begründung findet, in sehr verstärktem Maße geltend gemacht. 1925 haben die L. folgende Hundertsätze des Grundsteuerreinertrags erhoben (gegen 1913): Königsberg 2,5 (0,85), Berlin 5,5 (1,3), Stettin 5Vz (6/e), Breslau 3 (3/4), Halle a. S. 22/a (73), Hannover 3,75 (7/10), Münster 2,5 (%), Kassel 3 (-/,), Wiesbaden? ("/,), Bonn 2 (8/4), ferner Schneidemühl x/a vom Tausend des berich­ tigten Wehrbeitrags, entspricht 7% des Grund­ steuerreinertrags (keine Vergleichszahl für 1913), $ieI2,2% des Grundsteuerreinertrags und 15 Pf. je Hektar (7io), Sigmaringen 0,07% des Grund­ steuerkapitals (keine Vergleichszahl für 1913). Nach der Fläche verteilt, ergab sich danach eine Belastung in Reichsmark je Hektar für Königsberg 0,19 (0,05), Berlin 0,54 (0,12), Stettin 0,50 (0,08), Schneidemühl 0,30, Breslau 0,47 (0,09), Halle 0,60 (0,14), Kiel 0,69 (0,14), Hannover 0,54 (0,09), Münster 0,40 (0,09), Kassel 0,37 (0,08), Wies­ baden 0,95 (0,16), Bonn 0,38 (0,10) und Sig­ maringen 0,40. Die Beiträge stehen den öffent­ lichen Abgaben gleich und können im Verwal­ tungszwangsverfahren beigetrieben werden; sie werden von den Gemeinden und Gutsbezirken auf Anweisung des RP. eingezogen und durch Vermittlung der Kreiskassen an die L. abgeführt (§ 18 Abs. 1, 3 und die — nicht veröffentlichten — Erl. vom 14. 4. 1896, 15. 6. 1898 und 17. 5. 1899. ferner Erl. vom 29. 12. 1921, 21. 11. 1922 und 12.10.1923, MBlMfL. 1922,127,841; 1923,899) Den Gemeinden steht ein Anspruch auf eine Vergütung für die Einziehungsarbeiten nicht zu, da es sich um die Erfüllung einer ihnen gesetzlich ohne Einräumung eines solchen Anspruchs über­ tragenen Aufgabe handelt. Den L. ist jedoch in den AusfB. (zu § 18) vom 6. 1. 1921 (MBl­ MfL. 19) und in den nicht veröffentlichten Erl. vom 17. 10. 1921 und 24. 3. 1923 nahegelegt, sich mit den Gemeinden über eine billige Ver­ gütung zu verständigen. Nach NGZ. 108, 391

Landwirtschaftskammern ist für die Frage, ob die Einziehung der Beiträge ohne Vergütung zu erfolgen hat, der Rechtsweg offen. Die Katasterämter dürfen für Auskünfte, die sich auf die Beitragserhebung beziehen, keine Verwaltungsgebühren berechnen (Erl. vom 2. 5. 1924, MBlMfL. 353). Wegen Verzinsung ge­ stundeter, überzahlter oder nicht rechtzeitig ge­ zahlter Beiträge s. G. vom 25.11.1926 (GS. 310) sowie Erl. vom 10. 12.1926 und 3. 2. 1927 (MBl­ MfL. 1926, 581; 1927, 129). Beschwerden gegen die eingeforderten Beiträge sind an den Vorstand der L. zu richten, der darüber beschließt. Gegen den Beschluß findet Klage bei demjenigen BezA., in dessen Bezirk die L. ihren Sitz hat, bei der L. für Brandenburg bei dem BezA. in Potsdam statt; gegen das Urteil des BezA. ist nur die Revision zulässig (§ 18 Abs. 4). Uber die Bei­ tragspflicht und die daraus sich ergebende Wahl­ berechtigung sind zahlreiche Streitigkeiten zur Entscheidung des OVG. gelangt (vgl. OVG. 37, 370; 33 S. 366, 373, 379; 32, 307; 35 S. 354, 360; 55, 366; PrVBl. 47, 384; MBlMfL. 1926, 256; 1927, 697). Das Kassen- und Rechnungs­ wesen ordnen die L. selbständig (§ 19). Ein­ gehende Bestimmungen über die Ordnung des Etats-, Kassen- und Rechnungswesens enthalten die Erl. des MfL. vom 14.6.1903 und 14.10.1908 (MBlMfL. 1909,5,25). Die Kassen der L. gelten als „öffentliche Kassen" (Erl. vom 28. 12. 1908, MBlMfL. 1909, 97). — Während früher die staatlichen Beihilfen die eigenen Einnahmen der L. aus der Steuerumlage überstiegen, hat sich das Verhältnis nach dem Kriege wesentlich geändert. Im Bahre 1925 betrug das Aufkommen aus der Umlage bei allen L. insgesamt 12057000 RM, dem an Reichs- und Staatsbeihilfen (ein­ schließlich 1,7 Mill. RM Baudarlehen) insgesamt 7796323 RM gegenüberstanden. Neben der Steuerumlage fließen den L. aber noch erhebliche Einnahmen aus ihren Anstalten und sonstigen Unternehmungen zu. Die Gesamtsumme aller Einnahmen (einschließlich durchlaufender Beträge) belief sich in dem genannten Bahr aus 48810355 RM. Wegen Beantragung der jährlichen Staats­ beihilfen s. Erl. vom 12.11.1925 (MBlMfL. 560). V. Die L. haben die rechtliche Stellung von Korporationen (sie sind dem Staate als seine Hilfsorgane im Sinne des § 69 II 10 ALR. unterstellt, OVG. 42, 71); sie werden nach außen von ihrem Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter vertreten. Urkunden, welche die L. vermögens­ rechtlich verpflichten sollen, sind von dem Vor­ sitzenden oder dessen Vertreter und noch einem Mitgliede des Vorstandes zu vollziehen. Als Siegel führen die L. den preuß. Adler. (Das frühere Hoheitszeichen darf nach seiner Beseiti­ gung durch die Staatsumwälzung nicht mehr ver­ wendet werden. Wegen Benutzung des Siegels durch Institute der L. s. Erl. vom 27. 7. 1907, MBlMfL. 277.) Das staatliche Aufsichtsrecht wird durch den MfL. ausgeübt (§ 20). Die L. sind berechtigt, einzelne A. aus ihrer Mitte zu bilden und mit besonderen, regelmäßigen oder vorüber­ gehenden Aufgaben zu betrauen. Diese A. haben das Recht, sich durch Nichtmitglieder zu ergänzen. Sie fassen ihre Beschlüsse zwar selbständig, diese sind aber, soweit die L. den A. nicht bestimmte selbständige Ausgaben zugewiesen hat, der L. oder dem Vorstände zur Bestätigung vorzulegen (§ 15).

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Von der Befugnis zur Bildung von A. ist ein ausgedehnter Gebrauch gemacht worden. Der Geschäftsgang der L. wird in einer von ihr fest­ zusetzenden Geschäftsordnung geregelt. Die Ple­ narsitzungen der L. sind in der Regel öffentlich. Die Tage der Sitzungen der L. und des Vor­ standes sind rechtzeitig dem Minister und dem OP. mitzuteilen. Den Vertretern der Staats­ regierung ist jederzeit das Wort in der Sitzung zu gestatten (§ 17). Durch V. des StM. kann eine L. aufgelöst werden (§ 22). Nach dem über­ einstimmenden § 7 der Satzungen hat jede L. mindestens in jedem Bahre eine Plenar­ versammlung abzuhalten. Die Dienstverhältnisse der Beamten der L. sind in den §§ 10 und 13 der Satzungen sowie durch Erl. vom 5. 7. 1902 ge­ regelt. Hiernach ist Dienstvorgesetzter der Be­ amten der Vorsitzende der L. Diejenigen Be­ amten der L., die ohne Rücksicht auf Kündigung und Pensionsansprüche mit fester Besoldung an­ gestellt sind, sind mittelbare Staatsbeamte (vgl. OVG. 42, 74; PrVBl. 29, 750; 35, 678; 40, 529) und als solche vom Vorsitzenden der L. zu ver­ eidigen. Wegen Vornahme der Vereidigung durch Anstaltsleiter s. Erl. vom 19. 11. 1912 (MBlMfL. 1913, 6). Bn betreff der Dienstvergehen der Beamten finden die Vorschriften des G. vom 21. 7.1852 (GS. 465) Anwendung. Alle sonstigen gegenseitigen Rechte und Pflichten sind im Anstellungsvertrage geregelt. Die Pensionsberech­ tigung wird den Beamten in der Regel besonders verliehen. Die L. haben die Besoldungen ihrer Beamten durchweg den staatlichen Besoldungen angepaßt. Während der Geltung des ReichsbesoldungssperrG. fanden dessen Vorschriften auch auf die Kammerbeamten Anwendung (vgl. Erl. vom 5. 10. 1922, MBlMfL. 715, und OVG. ebenda 1925, 59). Die L. dürfen ihren Beamten Ratsbezeichnungen nur mit Genehmigung des StM. beilegen (s. Erl. vom 27. 12. 1922, MBl­ MfL. 1923, 85), das StM. hat jedoch den MfL. ermächtigt, den L. (ebenso der Hauptlandwirtschaftskammer) die Einführung der Amtsbezeich­ nungen „Landwirtschaftsrat" und „Ober­ landwirtschaftsrat" für die landwirtschaftlich­ technisch vorgebildeten oberen Beamten, derAmtsbezeichnungen „Landwirtschastskammerrat" und „Oberlandwirtschaftskammerrat" für die übrigen oberen Beamten unter bestimmten Voraussetzungen zu gestatten (Erl. vom 17. 3. 1927, MBlMfL. 225). Die Forstbeamten der L. tragen nach KabO. vom 23. 8. 1912 (MBlMfL. 368) die Uniform der Gemeindeforstbeamten, je­ doch mit graugrünen Achselstücken. — Die L. sind keine Kommunalverbände (Gebietskörper­ schaften) im Sinne des § 24c KAG. (OVG. 64, 257). Ein bakteriologisches Institut der L., das nebenbei auch Kurse für Tierärzte usw. ab­ hält, gilt nicht als dem öffentlichen Un­ terricht dienend, § 24f KAG. findet auf ein solches Institut keine Anwendung (OVG. in MBlMfL. 1913,259); wohl aber werden Schulen, auchHaushaltungsschulen und Gärtner­ lehranstalten der L. durch diese Vorschrift erfaßt (OVG. 64, 257 und MBlMfL. 1912, 60). Wegen Befreiung der Schulgebäude der L. von der Grund­ vermögens- und Hauszinssteuer sowie wegen teil­ weiser Befreiung der übrigen Gebäude der L. von diesen Steuern s. Erl. vom 14. 5., 5. 8. und

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Land Wirtschaftslehrer — Lauenburg

14. 11. 1925 (MBlMfL. 257, 378, 567). Die L. sind zur Beistandspslicht nach § 191 NAbgO. verpflichtet (Entsch. des RFH. viom 11. 2. 1926, RBerwBl. 1928, 293). Nach OVG. 5, 86; 23, 377 darf eine Zwangsvollstreckung ge gen L- nur nach vorherigem Benehmen mit der Aufsichtsbehörde erfolgen. Wegen der von den L. vorzunehmenden Wahlen zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschäft s. Erl. vom 17. 11. 1923 (MBlMfL. 1013). Die L. haben fortlaufend» monatlich über die Lage der Landwirtschaft Berichte zu erstatten, deren Ergebnisse im MBlMfL. Msammengefaßt veröffentlicht werden (Erl. vom 28. 9. 1926, MBlMfL. 467). Ein unmittelbarer Schriftver­ kehr mit den obersten Reich sbehörden ist den L. nicht gestattet, wie der Mf'L. in mehreren nicht veröffentlichten Erl. entschieden hat; in dringenden Ausnahmesällen muß Abschrift einer unmittelbaren Eingabe dem MfL. eingereicht werden: nach § 21 Abs. 2 des G. sind alle Berichte der L. an die Zentralbehörden durch den OP. vorzulegen. Wegen des Schriftverkehrs mit aus­ ländischen Konsularbehörden s. Erl. vom 8. 7. und 15. 9. 1927 (MBlMfL. 572, 753). Zur Vernichtung ausgesonderter Akt en der L. ist die Genehmigung desMfL. nötig (Erl. vom 10.5.1923, MBlMfL. 447). — Die Frage, ob die L. befugt sind, örtliche Unterabteilungen (sog. Kreis­ kammern oder Kreisausschüsse) ernzurichten, ist in neuerer Zeit lebhaft erörtert worden. Der MfL. hat solche Abteilungen nach der jetzigen Rechts­ lage nicht für zulässig erklärt, hält es aber für unbedenklich, daß für bestimmte Aufgaben (beispielsweise für Steuersragen) auf Grund des § 15 des G. örtliche A. aus der Mitte der Kammer mit Zuwahlberechtigung gebildet und mit selb­ ständigen Obliegenheiten betraut werden. Wegen der Wahlberechtigung der L. zu den Bezirkseisen­ bahnräten s. Eisenbahnbeiräte VI. Die L. haben seit ihrer Errichtung eine umfangreiche Tätigkeit entwickelt, und zwar in ihrer Doppelstellung als Vertretung der Land­ wirtschaft und als Organe der landwirtschaft­ lichen Verwaltung, insbesondere für die Ver­ wendung und Verteilung der verschiedenen zur Fördemng der Landwirtschaft ausgeworfenen staatlichen Dispositionsfonds. Die L. sind jetzt, abgesehen von den Hochschulen und vondenlantn wirtschaftlichen Mittelschulen (5 ödeten Landwirt­ schaftsschulen), von denen nur vier in der Ver­ waltung der L. stehen, im wesentlichen Träger des sandwirtschaftlichen Unterrichts (s. d.). Bon den sonstigen Einrichtungen seien genannt: landwirtschaftlicheVersuchs- und Forschungsanstalten, land­ wirtschaftliche Kontrollanstalten, Versuchsanstalten für Pflanzenschutz, bakteriologische Institute (Tierseucheninstitute), Forstberatungsstellen, Buch­ führungsstellen, Bauberatungsstellen, Maschinenprüsungsstellen u. a. m. (Einzelnachweis s. Hand­ buch über den Preußischen Staat bei den ein­ zelnen Landwirtschaftskammern). Nicht alle L. besitzen die gleichen Anstalten, aber die größeren L. sind fast sämtlich mit den wichtigeren aus­ gerüstet. Die meisten größeren L. haben auch ein eigenes Versuchsgut (zürn Teil mehrere), auf dem die Ergebnisse der Wissenschaft in die Praxis übertragen werden. Zur Beratung, namentlich auch des kleinen und mittleren Besitzes, auf tierzüchterischem Gebiete, einschließlich Milch-

leistungsprüsungen, haben alle L. besonders vor­ gebildete Tierzuchtbeamte bestellt. Wegen un­ kündbarer Anstellung der Tierzuchtbeamten s. Erl. vom 4. 8. 1927 (MBlMfL. 643). Eine Reihe von L. verfügt auch über besondere Saatzucht­ beamte. Insgesamt waren bei den L. im Jahre 1925 = 3669 Beamte und Angestellte beschäftigt: davon entfielen 1246 auf den höheren Dienst. Sämtliche L. besitzen ein eigenes ABl. (eine Verbindung von ABl. mit Blättern wirtschafts­ politischer Organisationen ist nach einem Erl. vom 3. 1. 1923 nicht zulässig). Kaufmännische Unternehmungen sollen nach Erl. vom 21.11.1925 (MBlMfL. 567) von den L. grundsätzlich nicht betrieben werden. Backh. Landwirtschaftslehrer s. Landwirtschaft­ liches Unterrichtswesen. Landwirtschaftsrat (Deutscher). Der Deutsche L. hat sich am 8. 4. 1872 in Berlin als freie Vereinigung von Delegierten der landwirt­ schaftlichen Vereine zur gemeinsamen Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen im Deutschen Reiche gebildet. Körperschaft des öffentlichen Recht.s ist er nicht. Er hat seinen Sitz in Berlin und besteht nach § 2 der Satzung aus den Ab­ geordneten der in den deutschen Ländern errich­ teten landwirtschaftlichen Vertretungen, die durch G. oder V. als die berufenen Vertretungen der Landwirtschaft in ihrem Lande anerkannt sind. Zur Zeit sind sämtliche Länder im L. vertreten, er zählt 89 Mitglieder, von denen 42 auf Preußen fallen. Die Wahlperiode ist dreijährig. Durch Zuwahl können aus den Kreisen der Wissenschaft für jede dreijährige Wahlzeit vier außerordent­ liche Mitglieder mit vollem Stimmrecht in den L. berufen werden. Neben dem aus dem Vor­ sitzenden und zwei Vertretern bestehenden Vor­ stände wählt der L. für jede Wahlzeit einen Ständigen Ausschuß, der sich aus dem Vor­ stande und zwölf Ausschußmitgliedern zusammen­ setzt. Der Ständige A. hat nach einer 1923 be­ schlossenen Satzungsänderung das Recht, zwei geschäftsführende Vorstandsmitglieder in den Vorstand zu wählen. In dem seit 1876 er­ scheinenden „Archiv des Deutschen Land­ wirtschaftsrats" werden neben den Verhand­ lungsberichten über die Vollversammlungen alle Denkschriften und Petitionen des L. an Reichs­ und Staatsbehörden veröffentlicht. Es bietet ein wichtiges Nachschlagewerk über die Tätigkeit und das Wirken des L. Nach der V. über den vorläufigen Neichswirtschaftsrat vom 4. 5. 1920 (RGBl. 858) benennt der L. von den 68 Vertretern der Landwirtschaft 11 Arbeitgeberver­ treter unter gleichmäßiger Berücksichtigung von Groß-, Mittel- und Kleinbesitz. Wegen der Amtsbezeichnung „L" s. Landwirtschafts­ kammer V. Backh. Lastenverteilung bei Grundstücksteilungen s. Abgaben Verteilung. Lauenburg. Nachdem der König von Däne> mark im Wiener Frieden vom 30. 10. 1864 seine Rechte auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und L. an den König von Preußen nnd den Kaiser von Österreich abgetreten und nachdem Österreich auf die ihm hiernach zustehenden Anrechte an L. in der Gasteiner Konvention vom 14. 8. 1865 verzichtet hatte, bildete L. ein durch Personal­ union mit der Krone Preußens verbundenes

Lebensmittel selbständiges Herzogtum, das aber in das Gebiet des Norddeutschen Bundes und des späteren Deutschen Reiches einbezogen wurde, wie es, zusammen mit Holstein, auch schon zum Deutschen Bunde gehört batte (G. vom 24. 12. 1866, GS. 875; Patent und Proklamation vom 12. 1. 1867, GS. 129, 131; Art. 1 RV. vom 16. 4. 1871, BGBl. 63). Durch G. vom 23. 6. 1876 (GS. 169) wurde L. mit der preußischen Monarchie ver­ einigt und bezüglich der Staatsverwaltungs­ angelegenheiten der Provinz Schleswig-Holstein zugeteilt. Es bildet einen Landkreis, für welchen nach V. vom 24. 8. 1882 (GS. 343 und GS. 1883, 35) die östliche KrO. mit gewissen Aus­ nahmen eingeführt wurde. Die Vorschriften in Art. I, II und V dieser V. blieben bei Erl. der Schleswig-Holsteinischen KrO. vom 26. 5. 1888 (GS. 139), welche im übrigen auch für L. in Kraft gesetzt wurde, aufrechterhalten. Dabei wurden gleichzeitig die in Art. II der V. vom 24. 8. 1882 bezeichneten, zunächst nicht auf Lausgedehnten Paragraphen der östlichen KrO. in­ soweit in Kraft gesetzt, als sie die Verwaltung von Landesangelegenheiten durch den KrA. betreffen (§ 145 Schleswig-Holsteinische KrO.). Nach Art.V G. bett, die Einführung der ProvO. in der Pro­ vinz Schleswig-Holstein vom 27. 5.1888 (GS. 191) gehört L. in kommunaler Beziehung nicht zur Provinz Schleswig-Holstein. Aus diesem Grunde bestimmt § la der Schleswig-Holsteinschen ProvO. vom 27. 5. 1888 (GS. 194), daß dem Provinzial­ landtage für die von demselben zu vollziehenden Wahlen zu den für Zwecke der allgemeinen Lan­ desverwaltung angeordneten Behörden und Kom­ missionen, sowie für sonstige ihm übertragenen Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung drei Abgeordnete des Kreises L. hinzutreten sollen, und daß zu gleichem Zwecke dem Provin­ zialausschuß ein L.er Abgeordneter, für den gleichzeitig ein Stellvertreter zu bestellen ist, hinzutritt. Die Wahl dieser besonderen Vertreter des Kreises hatte nach § la a. a. O. durch den Kreistag zu erfolgen. Nach § 44 des WahlG. für die Provinziallandtage und Kreistage vom 7.10. 1925 (GS. 123) finden auf die Wahl der L.schen Vertreter beim Provinziallandtage jetzt die Vor­ schriften des dritten Abschnitts des zweiten Teiles des G. (nach OVG. vom 17.1. 28, A 2/3. 27) An­ wendung, während die Wahl des Vertreters) beim Provinzialausschuß nach wie vor durch den Kr. erfolgt. Die Angehörigen des Kreises besitzen, ob­ wohl sie nicht Provinzialangehörige sind, nach §la der ProvO.das passive Wahlrecht zum Provinzial­ rat und zum BA. Die Schleswig-Holsteinische StO. vom 14. 4. 1869 (GS. 589) ist durch G. vom 16.12. 1870 (Off. Wochenbl. 521) mit bestimmten Maßgaben in L. eingeführt, die LGO. vom 4. 7. 1892 (GS. 147) gleichzeitig für den Kreis mit erlassen. S. im übrigen wegen Einführung der preußischen G. und wegen der noch geltenden L.schen G. die Übersicht bei v. Heintze, Lauen­ burg, Sonderrecht 1909. Der Kreis bildet hin­ sichtlich der den Provinzen übertragenen Kom­ munalangelegenheiten einen selbständigen Lan­ deskornmunalverband. Nur die Angelegenheiten der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebe­ nen werden für die Provinzialinstanz laut V. vom 9.2.1924 (GS. 123) gegen anteiligen Kosten­ beitrag durch die^Hauptfürsorgestelle in Kiel be­

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arbeitet. Für die Beamten des Kommunalver­ bandes gilt das KommunalbeamtenG. vom 30. 7. 1899 (GS. 141) laut § 22 desselben nur hinsichtlich seiner allgemeinen Vorschriften, wäh­ rend im übrigen die bestehenden Vorschriften aus­ rechterhalten sind. Als solche kommt § 20 Abs. 2 des im übrigen aufgehobenen G. vom 7. 12. 1872 (Off. Wochenbl. 325) in Betracht, welcher die Landesbeamten bezüglich ihrer Pflichten und Rechte den preußischen Staatsbeamten gleich­ stellt. Ly. Lebensmittel. I. Allgemeines. Der Schutz gegen ungesunde, die Fürsorge für gesunde L. so­ wie die Verhinderung des Verkehrs mit unge­ sunden oder giftigen Stoffen und Gegenständen, die zur Aufbewahrung und Bereitung von L. be­ stimmt sind, oder der Bekleidung der Menschen oder der häuslichen Einrichtung dienen, oder als Spielwaren Verwendung finden, bilden eine der wichtigsten Aufgaben der Gesundheitspolizei. Schon das StGB, enthält in den §§ 263, 324 Vorschriften, die auf den Schutz des Publikums gegen verfälschte, vergiftete oder gesundheits­ schädliche L. abzielen. Eine eingehendere Rege­ lung wurde durch das G., betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Ge­ brauchsgegenständen, vom 14. 5. 1879 (RGBl. 145), ergänzt durch G. vom 29. 6. 1887 (RGBl. 276) herbeigeführt. Zur Regelung weiterer Ge­ biete der Nahrungsmittelpolizei ergingen das G., betr. den Verkehr mit blei- und zinkhal­ tigen Gegenständen, vom 25. 6. 1887 (RG­ Bl. 273), s. Blei- und zinkhaltige Gegen­ stände; das G., betr. die Verwendung gesund­ heitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchs­ gegenständen, vom 5. 7. 1887 (RGBl. 277), s. Farben; das G., betr. den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln, vom 15. 6. 1897 (RGBl. 475), s. Margarine, Butter; das G., betr. den Verkehr mit künst­ lichen Süßstoffen, vom 6. 7. 1898 (RGBl. 919), das durch die G. von 1902, 1922 und endlich durch das SüßstoffG. vom 14. 7. 1926 und die auf dieser Grundlage erlassene V. über den Verkehr mit Süßstoff vom 4. 8. 1926 (RGBl. I 409, 462) ersetzt wurde (s. Süßstoffgesetz); das G., betr. die Schlachtvieh- und Fleischbeschau, vom 3. 6. 1900 (RGBl. 547), s. Fleischbeschau; das WeinG. vom 7. 4. 1909 (RGBl. 393), s. Wein, und das G. zur Regelung des Verkehrs mit Milch vom 23. 12. 1926 (RGBl. I 528), s. Milch. Durch das G. über den Verkehr mit L. und Ge­ brauchsgegenständen (LebensmittelG.) vom 5. 7. 1927 (RGBl. I 134) sollen diese Bestimmungen den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ange­ paßt und gleichzeitig zum Teil zusammengefaßt werden. Da es keine grundlegenden Änderungen bringt, bleibt die bisherige Rechtsprechung ver­ wendbar. Ebenso wie das NahrungsmittelG. enthält es nur allgemeine Vorschriften über den Verkehr mit L. und Bedarfsgegenständen und behält die Regelung im einzelnen B. vor, die von der Reichsregierung mit Zustimmung des RR. nach Anhörung des zuständigen Reichstags­ ausschusses erlassen werden können (§ 5). Ins­ besondere kann zum Schutze der Gesamtheit ver­ boten oder unter Beschränkungen zugelassen werden 1. daß L. für andere auf bestimmte Weise

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Lebensmittel

gewonnen, hergestellt, zubereitet, verpackt, auf­ bewahrt oder befördert werden; von bestimmter Beschaffenheit angeboten, zum Verkauf vorrätig gehalten, feilgehalten, verkauft oder sonst in den Verkehr gebracht werden; Bedarfsgegenstände von bestimmter Beschaffenheit hergestellt, an­ geboten, zum Verkauf vorrätig gehalten, seil­ gehalten, verkauft oder sonst in den Verkehr ge­ bracht werden; gesundheitsschädliche Farben für bestimmte Zwecke verwendet oder unter einer ihre gesundheitsschädliche Beschaffenheit ver­ schleiernden Bezeichnung, Angabe oder Auf­ machung angeboten, zum Verkauf vorrätig ge­ halten, feilgehalten, verkauft oder sonst in den Verkehr gebracht werden; 2. daß Gegenstände oder Stoffe, die zur Nachahmung oder Verfäl­ schung von L- bestimmt sind oder deren Verwen­ dung bei der Gewinnung, Herstellung oder Zu­ bereitung von L. unzulässig ist, für diese Zwecke hergestellt, angeboten, feilgehalten, verkauft oder sonst in den Verkehr gebracht werden; 3. weiter kann vorgeschrieben werden, daß und wie auf den Packungen oder Behältnissen, in denen L. an den Verbraucher abgegeben werden, oder auf den L. selbst Angaben über denjenigen, der sie in den Verkehr bringt, über die Zeit der Her­ stellung sowie über den Inhalt nach Art und nach Maß, Gewicht oder Anzahl oder einem anderen Maßstab für den Gebrauchswert angebracht wer­ den. Nach B. über die äußere Kennzeichnung von L. vom 29. 9. 1927 (RGBl. I 318), abg. durch B. vom 28. 3.1928 (RGBl. 1136) die aus Grund des § 5 Ziff. 3 des G. erlassen ist, unter­ liegen der Kennzeichnungspslicht Dauerwaren von Fleisch oder mit Fleischzusatz in luftdicht ver­ schlossenen Behältnissen, Dauerwaren von Fischen, Einschließlich Marinaden, Dauerwaren von Kru­ stentieren, Milch- und Sahnedauerwaren, Ge­ müsedauerwaren, Obstdauerwaren, einschließlich Obstmus, Obstkraut, Marmelade, Obstsaft, Obst­ gelee, Obstsirup, Honig und Kunsthonig, diä­ tetische Nährmittel, Fleisch extrakt und seine Er­ satzmittel, Fleischbrühwürfel und ihre Ersatz­ mittel, kochfertige Suppen in trockener Form, Krebsextrakt und Krabbenextrakt, Eipulver und ihre Ersatzmittel, Puddingpulver, Backpulver, Ge­ würze und ihre Ersatzmittel, Schokolade und Schokoladenwaren, außer in Packungen unter 25 g, Schokolade- und Kakaopulver, Marzipan und Marzipanersatz, Kaffee, Tee und ihre Ersatz­ mittel, Teigwaren, Zwieback, Keks, Biskuits und Lebkuchen ePB.; weitere Einzelheiten vgl. §§ 98—101 PB.). III. Ausstellung der Pässe. 1. Deutsche Pässe werden nur Reichsangehörigen ausgestellt (§ 1 PB.). Nichtdeutschen Personen darf ein deutscher Paß in keinem Falle ausgestellt werden. Verliert ein Deutscher die Reichsangehörigkeit, so unterliegt er dem Paßzwang und muß sich einen Paß des Staates beschaffen, dem er nun­ mehr angehört (vgl. § 22 Abs. 2 PB.). Aus­ nahmsweise sind die Paßbehörden ermächtigt, im Reichsgebiet^ansässigen Angehörigen des Memel­ landes, die am 10. 1. 1920 irrt Memelland ge­ wohnt und die Reichsangehörigkeit besessen haben, deutsche Pässe auszustellen, in denen sie alsEemeler zu bezeichnen sind. Personen, die neben einer fremden Staatsangehörigkeit die Reichsangehörigkeit besitzen, können einen deut­ schen Paß erhalten. Personen mit zweifelhafter Staatsangehörigkeit?kann lediglich ein Personal­ ausweis (§ 29 PB.) ausgestellt werden. Die Pässe werden nach einem in Anlehnung an Vor­ schläge der Pariser Verkehrskonferenz vom Ok­ tober 1920 (vgl. C) vorgeschriebenen Muster (§ 7 PG., § 6 Abs. 1 u. 2, § 8WB.) als Einzel­ pässe oder als Familienpässe ausgestellt. Fa­ milienpässe können Ehegatten sowie Eltern oder Elternteilen mit ihren Kindern unter 16 Jahren, und, wenn es sich um Auswanderer handelt, auch mit ihren über 15 Jahre alten minderjährigen Kindern zu gemeinschaftlichen Reisen aus­ gestellt werden. Bon den erwachsenen Personen, deren Lichtbild und Unterschrift im Paß ent­ halten sind, kann der Familienpaß auch zu Einzelreisen benutzt werden (Ziff. II des Erl. vom 30. 6. 1926, MBl. 641). Kinder unter 15 Jahren erhallen einen Einzelpaß nur, wenn sie nach aus­ ländischem Recht eines solchen Passes bedürfen (8 2 PB.); im übrigen genügt für sie ein Kinder­ ausweis (§ 28 PB.). Für Reisen von Beamten zu dienstlichen Zwecken werden nach besonderen Mustern (§ 6 Abs. 3 PB.) Diplomaten- und Ministerialpässe vom AusA. und von den Landes­ zentralbehörden ausgestellt (§ 85 PB., Erl. vom 17. 7. 1925, MBl. 799 und vom 15. 6. 1927, MBl. 645). Für dienstliche Reisen von Beamten und nichtbeamteten Personen in amtlichemIAustrage stellen die Paßbehörden polizeiliche Pässe nach vorgeschriebenem Muster (grüner Umschlag) mit dem Ausdrucke „Dienstpah" aus (§ 86 PB.). Aus dem Paßformular ergibt sich, welche An­ gaben der Paß enthalten muß. Die Paßbehörden müssen sich an diesesjMuster halten und dürfen nicht den Kreis der vorgesehenen Eintragungen erweitern oder einschränken. Ein nicht ordnungs­ mäßig ausgefüllter Paß ist unter Umständen, wenn wesentliche Jnhaltteile fehlen, ungültig Staatspapiergeld im Umlauf, da namentlich eine Anzahl von Kleinstaaten er­ heblich mehr als 3 M aus den Kopf der Bevölkerung an Papiergeld ausgegeben hatte. Der auf diese Staaten entfallende Anteil von R. wurde daher nicht als eine ausreichende Erleichterung erachtet. Infolgedessen bestimmte § 3 Abs.l a.a. O., daß den­ jenigen Staaten, deren Papiergeld ihren Anteil an den R. überschreite, zwei Drittel des über­ schießenden Betrages als Vorschuß aus der Reichs­ kasse zu überweisen sei, und zwar, soweit die Be­ stände der Reichskasse die Gewährung dieser Vor­ schüsse in barem Gelde nicht gestatteten, gleich­ falls in R.; der NK. wurde ermächtigt, R. über den Betrag von 120 Mill. M hinaus bis zur Höhe der zu gewährenden Vorschüsse anfertigen zu lassen und in Umlauf zu setzen (§ 3 Abs. 2 a. a. O.). Die Vorschüsse sollten innerhalb 15 Jahren, vom 1. 1. 1876 an gerechnet, in gleichen Jahresraten zurückgezahlt werden. Da Vorschüsse in Metall­ geld nicht gewährt worden sind, hat sich die an­ fängliche Ausgabe von R. auf 174 Mill. X ge­ stellt, und dieser Betrag ist plangemäß bis zum Jahre 1892 aus 120 Mill. M, den gesetzlich vorge­ sehenen Normalbetrag, reduziert worden. Es ist mithin zunächst nur eine ganz geringe Einschrän­ kung des Papiergeldumlaufs durch die Ersetzung des Landespapiergeldes durch R. bewirkt, und erst im Laufe von 15 Jahren der Betrag des um­ laufenden Papiergeldes auf etwa zwei Drittel ein­ geschränkt worden. Der unmittelbare Vorteil der Reform, soweit sie das staatliche Papiergeld be­ traf, lag mithin weniger in der Verringerung des Papiergeldumlaufs, als in der Einheitlichkeit und Ordnung des neuen Papiergeldes. Die Aus­ fertigung der N. wurde durch § 6 des G- vom 30. 4. 1874 der Preußischen Hauptverwaltung der Staatsschulden unter der Benennung „Reichs-

Reichsknappschaftsversicherung

schuldenverwaltung" übertragen. Die ursprüng­ liche Stückelung erfolgte nach § 1 o. a. O. in 5 M»#, 20 M>» und 50 ^L-Scheinen. Nachdem jedoch die Reichsbank zur Ausgabe kleinerer Noten autori­ siert worden war, wurde durch das G. zur Ände­ rung des G., betr. die Ausgabe von R., vom 5. 6. 1906 (RGBl. 730) bestimmt, daß die R. nur noch auf 5 M und 10 M> lauten sollten. Durch § 7 des G. über Änderungen im Finanzwesen vom 3. 7. 1913 (RGBl. 521) ist zur Beschaffung eines gleichen Betrages in gemünztem Gold mit der Zweckbestimmung des Reichskriegsschatzes die Ausgabe von weiteren 120 Mill. M> R. ungeordnet worden, so daß also 240 Mill. M R. in Abschnitten zu 5 M und 10 M vorhanden waren. Schließlich ist durch das G., betr. die Ausgabe von R. und Reichsbanknoten zu 10 M vom 22. 3. 1915 (RG­ Bl. 179) der RK. ermächtigt worden, nochmals 120 Millionen M R. anfertigen zu lassen und aus­ zugeben. Dabei wurde bestimmt, daß die den Be­ trag von 240 Millionen M übersteigenden R., so­ weit sie jeweils ausgegeben sind, durch Hinter­ legung ausgegebener Darlehnskassenscheine oder, falls solche nicht zur Verfügung stehen, durch Hinterlegung von gemünztem deutschen Gelde ge­ deckt sein müssen. Die R. wurden von allen Kassen desReichs und sämtlicher Bundesstaaten nach ihrem Nennwert in Zahlung genommen und von der Reichshauptkasse in Berlin für Rechnung des Reichs jederzeit auf Verlangen gegen „bares Geld" einge­ löst (8 5 des G. vom 30.4.1874); doch hatte das Reich keinen speziellen baren Deckungsfonds dafür. Im Privatverkehr fand ein Zwang zur Annahme der R. bis zum Kriegsausbruch nicht statt. Erst das (Not-)G., betr. die R. und die Banknoten, vom 4. 8 1914 (RGBl 347) machten die R. zum ge­ setzlichen Zahlungsmittel auch für den Privatver­ kehr und befreite die Reichshauptkasse von der Ver­ pflichtung zur Einlösung der R. Die R. gehören zu den Reichsschulden, die bei der Aufwertung auf Grund des G. über die Ablösung öffentlicher An­ leihen vom 16. 7. 1925 (RGBl. I 137) von dem Umtausch in die Anleiheablösung des Deutschen Reiches (s. Anleiheablösung) ausgeschlossen wurden (8 3 Ziff. 3 a. a. O.). Dies läßt sich damit rechtfertigen, daß die R. als Papiergeld anzusehen und dementsprechend wie die Reichsbanknoten zu behandeln waren. No. Reichsknappschaftsvcrsicherung. I. Allge­ meines. Unter R. wird die Sozialversicherung der Bergleute verstanden, die schon lange vor Einführung der Arbeiterversicherung bestanden hat und auch im Hinblick auf die besonderen Ge­ fahren des Bergbaues in höherem Maße aus­ gestaltet ist. Die R. tritt an die Stelle der knappschaftlichen Versicherung der Bergbau treibenden Länder; sie ist zuerst durch das RKG. vom 23. 6. 1923 (RGBl. 1431) als Angelegenheit des Reichs geregelt worden. Während die Gesetzgebung der Länder einzelne Knappschastsvereine als Träger der Knappschaftsversicherung kannte,, ist Träger der R. der Reichsknappschaftsverein, der jetzt die Bezeichnung „Reichsknappschaft" führt. Die R. umfaßt die Kranken- und Invaliden­ versicherung nach Maßgabe der RVO. die Av. nach Maßgabe des Avg. und die besonders ge­ artete Pensionsversicherung. Die UV. gehört nicht zur R., vielmehr gelten hier uneingeschränkt die Vorschriften des dritten Buches der RVO.;

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Träger der UV. ist die Knappschafts-BG. We­ sentliche Änderungen der R. sind durch G. vom 25. 7. 1926 (RGBl. I 291) herbeigeführt. Dar­ aufhin ist eine Neufassung des RKG. durch Bek. vom 1. 7.1926 (RGBl. 1363) veröffentlicht wor­ den. Das RKG. ist durch G. vom 8.4. 1927 (RGBl. 195) und vom 29. 3. 1928 (RGBl. I 117) geändert worden. Der Umfang der Versiche­ rungspflicht richtet sich im Bereiche der Krankenund Invalidenversicherung nach den Vorschriften der RVO. (s. Krankenversicherung II, In­ validenversicherung II), im Bereiche der Av. nach dem Avg. Für die Pensionsversicherung gibt es nur eine Befreiung auf Antrag, und zwar für die in § 1235 Ziff. 3, § 1237 Abs. 1, §§ 1238, 1239 RVO. sowie in § 14 Ziff. 4, § 14 Avg. bezeichneten Personen sowie für Personen, denen vom Reich, von einem Lande oder einem Ge­ meindeverband, Gemeinde oder einem Träger der Reichsversicherung Anwartschaft auf Ruhe­ geld im Mindestbetrage der Pension nach den Sätzen der Lohnklasse IV sowie auf Witwenrente nach den gleichen Sätzen der gleichen Lohnklasse und auf Waisenrente gewährleistet ist (§§ 29, 30 RKG.). Vorübergehende Dienstleistungen sind nach Maßgabe der V. des RAM. vom 22. 5. 1924 (RGBl. I 560) versicherungssrei (§ 31 RKG.). II. Knappschaftspslicht. Der knappschaftlichen Versicherung unterliegen die in knappschaftlichen Betrieben beschäftigten männlichen und weiblichen Arbeitnehmer (Arbeiter und Ange­ stellte). Knappschaftliche Betriebe sind alle Be­ triebe, in welchen Mineralien oder ähnliche Stoffe bergmännisch gewonnen werden. Salinen und die Betriebe der Industrie der Steine und Erden, soweit sie nicht unterirdisch betrieben werden, sind regelmäßig keine knappschastlichen Betriebe. Be­ triebsanstalten und Gewerbsanlagen, die als Nebenbetriebe eines knappschastlichen Betriebs mit diesem räumlich und betrieblich Zusammen­ hängen, sind auch knappschaftliche Betriebe. Ob ein Betrieb knappschaftlich ist, entscheidet bei Zweifeln der RAM. nach Anhören der zustän­ digen obersten Landesbehörde und der Reichs­ knappschaft. Gewerbsanlagen, die, ohne Neben­ betriebe zu sein, mit knappschastlichen Betrieben verwaltungsmäßig und betrieblich Zusammen­ hängen, können auf gemeinschaftlichen Antrag der berechtigten Arbeitgeber und der Mehrheit der berechtigten Arbeitnehmer mit Genehmigung der Reichsknappschast in diese ausgenommen wer­ den, wenn zwischen den Betriebsanlagen regel­ mäßiger Wechsel des größten Teiles der Arbeit­ nehmerschaft stattfindet (88 1, 2 RKG.). III. Die freiwillige Versicherung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften in der Sozialversicherung, doch können sich Bersicherungsberechtigte in der Invalidenversicherung nur bei der Reichsknappschaft versichern; ebenso können Bersicherungspflichtige beim Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung nur bei ihr die Versicherung fortsetzen (8 102). Zum freiwilligen Eintritt in die Versicherung bei der Angestelltenpensionskasse sind bis zum voll­ endeten 40. Lebensjahre solche Angestellte in knappschaftlich versicherten Betrieben berechtigt, deren Jahresarbeitsverdienst die für die Bersicherungspflicht festgesetzte Grenze von zur Zeit

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Reichsknappschaftsversicherung

6000 KM übersteigen. Fallen die Voraussetzungen für ihre Selbstversicherung fort, so können sie diese fortsetzen (§ 53). IV. Träger der Versicherung. 1. All­ gemeines. Träger der Versicherung ist die Reichsknappschaft, die rechtsfähig ist und deren Verhältnisse durch G. und Satzung näher geregelt sind. Die Satzung wird vom RAM. genehmigt (§§ 7—12 RKG.). Verwaltungsstellen der Reichs­ knappschaft sind die Bezirksknappschaften und die besonderen KK., die über ihre Aufgaben und Verwaltung nach Maßgabe der Satzung der Reichsknappschaft Sondervorschriften erlassen, die der Genehmigung durch die Reichsknappschast unterliegen (§ 9 Abs. 2, § 13 RKG.). Sie sind nicht rechtsfähig. 2. Reichsknappschaft. Organe sind der Vorstand sowie die Abteilungsvorstände und Hauptversammlungen für Arbeiter- und Angestelltenangelegenheiten. Die Mitglieder der Organe werden auf Grund von Vorschlagslisten wirtschaftlicher Vereinigungen (§ 184 RKG.) nach den Grundsätzen der Verhältniswahl auf die Dauer von fünf Jahren gewählt. Die Reichs­ knappschaft erläßt die Wahlordnung. Die Organe bestehen je zu zwei Fünftel aus Vertretern der Arbeitgeber und zu drei Fünftel aus Vertretern der Versicherten (§§ 146, 147 RKG.). Der Vor­ stand besteht aus den Mitgliedern der Abteilungs­ vorstände. Bei der Abstimmung haben die Mit­ glieder des Abteilungsvorstandes für Angestellten­ angelegenheiten ein Fünftel der Stimmen, die nach der Satzung dem Abteilungsvorstande für Arbeiterangelegenheiten zustehen. Die Mitglieder der Abteilungsvorstände werden von den Vertretern in der Hauptversammlung gewählt, und zwar wählen Arbeitgeber, Arbeiter und An­ gestellte getrennt. Mindestens zwei Drittel der Vertreter der Versicherten müssen Knappschafts­ älteste oder Angestelltenälteste sein. Ein Drittel kann aus sonstigen oder ehemaligen Mitgliedern der Reichsknappschaft oder der früheren Knapp­ schaftsvereine entnommen werden, die freiwillige Beiträge zur KB. oder Pensionsversicherung oder Anerkennungsgebühren zur Erhaltung der An­ sprüche aus Pensionskassenleistungen zahlen (§149). Der Vorstand vertritt die Reichsknapp­ schaft gerichtlich und außergerichtlich. Er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Er besorgt die Geschäfte der Reichsknappschast, die nicht durch G. oder Satzung den Abteilungsvorständen oder den Bezirksknappschaften oder der Hauptversamm­ lung Vorbehalten oder übertragen sind. Die Satzung kann die Vertretungsmacht des Vor­ standes mit Wirkung gegen Dritte zugunsten der Abteilungsvorstände beschränken oder auch ein­ zelne Vorstandsmitglieder zur Vertretung der Reichsknappschaft ermächtigen (§ 151 RKG.). Die Abteilungsvorstände sind zur Führung der Geschäfte der Reichsknappschaft, getrennt nach Arbeiter- und Angestelltenangelegenheiten, berechtigt und verpflichtet. Jeder Vorstand führt die Geschäfte seiner Abteilung selbständig. Für die Geschäfte, die über den Wirkungskreis seiner Abteilung hinausgehen (gemeinsame Ge­ schäfte), ist der Vorstand zuständig, auch ent­ scheidet er Streit über die Zuständigkeit (§ 152 RKG.). Die Vorstandsmitglieder haften für ge­ treue Geschäftsverwaltung wie Vormünder ihren

Mündeln (§§ 154, 155 RKG.). Die Beschlüsse des Vorstandes werden mit einfacher Stimmen­ mehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt. In einzelnen Fällen ist eine getrennte Abstimmung vorgeschrieben. Über einen abgelehnten Antrag ist auf Verlangen der Antragsteller innerhalb eines Monats nochmals abzustimmen. Wird der Antrag wiederholt ab­ gelehnt, so können die Antragsteller die Entschei­ dung des RAM. anrufen. Die Erledigung be­ stimmter Aufgaben kann besonderen Ausschüssen übertragen werden, die ebenfalls zu zwei Fünftel aus Vertretern der Arbeitgeber und zu drei Fünftel aus Vertretern der Versicherten bestehen. Die Besorgung lausender Geschäfte kann durch die Satzung einem oder mehreren Vorstands­ mitgliedern oder leitenden Angestellten der Ver­ waltung übertragen werden, in der möglichst als leitender Angestellter je ein Vertrauensmann der versicherten Arbeiter und Angestellten zu über­ nehmen ist. Diese werden auf Grund von Vor­ schlagslisten wirtschaftlicher Vereinigungen von Arbeitnehmern (§ 184 RKG.) aus die Dauer von fünf Jahren gewählt (§ 157 RKG.). Hauptversammlungen für Arbeiter- und für Angestelltenangelegenheiten sind das wichtigste Organ der Reichsknappschast. Auch ihre Mit­ glieder werden auf Grund von Vorschlags­ listen wirtschaftlicher Vereinigungen (§ 184) in getrennter Wahl durch die Vertreter der Arbeit­ geber und der versicherten Arbeiter und Ange­ stellten in den Bezirksversammlungen gewählt. Ausgabe der Hauptversammlungen ist der Erlaß und die Änderung der Satzung, die Wahl der Abteilungsvorstände und die Wahl gewisser Aus­ schüsse (§ 161 RKG.). Beschlüsse werden mit ein­ facher Stimmenmehrheit gefaßt. Das gleiche gilt für Wahlen. Angelegenheiten, die über den Wirkungskreis der Hauptversammlung einer Ab­ teilung hinausgehen, gehören zur Zuständigkeit der vereinigten Hauptversammlung. Vorsitzen­ der dieser vereinigten Hauptversammlung ist der Vorstandsvorsitzende (§ 162 RKG.), der vom Vorstand aus seiner Mitte gewählt wird (§ 163 RKG.). 3. Bezirksknappschaften. Sie sind an die Stelle der früheren Bezirksknappschaftsvereine getreten; es gibt davon 16. Sie führen im Auf­ trag der Reichsknappschast die Versicherung als Verwaltungsstelle derselben neben den beson­ deren KK. durch. Im Interesse der Einheitlich­ keit der Haftung der Reichsknappschaft entbehren sie der Rechtspersönlichkeit. Zur näheren Rege­ lung ihrer Aufgaben und Verwaltung erlassen sie Sondervorschristen, die der Genehmigung der Reichsknappschastbedürfen.Die besonderenKK. können innerhalb der Bezirksknappschaft für einen oder für mehrere knappschaftliche Betriebe errichtet werden (§ 9 RKG.). Ihre Errichtung ist nur zu­ lässig, wenn durch die Zahl der in Kassenbe­ zirken regelmäßig beschäftigten Versicherten ober durch sonstige Umstände ihre dauernde Leistungs­ fähigkeit ausreichend sichergestellt erscheint und als die Leistungsfähigkeit der Vezirksknappschaft, soweit diese die KB. gewährt, gefördert wird. (§§ 18, 19, RKG.) Organe der Bezirksknapp­ schaften sind der Bezirksvorstand und die Abteilungsvorstände sowie die Bezirks­ versammlungen für Arbeiter- und Angestell-

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tenangelegenheiten. Auch diese Organe be­ stehen je zu zwei Fünftel aus Vertretern der Arbeitgeber und je zu drei Fünftel aus Vertretern der Versicherten. Der Vorstand der Bezirksknapp­ schaft besteht aus den Mitgliedern der Abteilungs­ vorstände; diese Mitglieder werden auf Grund von Vorschlagslisten wirtschaftlicher Vereini­ gungen von den Vertretern in den Bezirksver­ sammlungen gewählt, und zwar in getrennter Wahl von Arbeitgebern, Arbeitern und Ange­ stellten. Mindestens zwei Drittel der Vertreter der Versicherten müssen Knappschaftsälteste oder Angestelltenälteste sein. Das übrige Drittel kann aus sonstigen oder ehemaligen Mitgliedern der Reichsknappschaft oder der früheren Knappschafts­ vereine bestehen. Die Arbeiter- und Ange­ stelltenältesten müssen bestimmten Anforde­ rungen (§ 166 RKG.) genügen; sie werden inner­ halb von Sprengelwahlgruppen, die die Bezirks­ knappschaft bestimmt, auf Grund von Vorschlags­ listen wirtschaftlicher Vereinigungen nach Bestim­ mung einer von der Reichsknappschaft erlassenen Wahlordnung nach den Grundsätzen der Ver­ hältniswahl auf fünf Jahre gewählt (§ 171 RKG.). Sie haben im allgemeinen die Befolgung der Satzung und der Sondervorschriften durch die Versicherten zu überwachen und die Rechte der Arbeiter und Angestellten gegenüber der Reichs­ knappschaft wahrzunehmen (§ 167 RKG.). Die Befugnisse und Aufgaben des Vorstandes der Bezirksknappschaft und ihrer Abteilungsvor­ stände entsprechen denjenigen der Organe der Reichsknappschaft (§§ 173ff. RKG.). Auch für die Beschlußfassung und die Wahl der Vorstände gelten ähnliche Vorschriften. Die Bezirksver­ sammlungen setzen sich aus Vertretern der Arbeitgeber, die von den Arbeitgebern gewählt werden, und aus Vertretern der Versicherten, die von den Knappschaftsältesten und Angestellten­ ältesten auf Grund von Vorschlagslisten wirtschaft­ licher Vereinigungen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl aus deren Mitte gewählt werden, zusammen. Die Bezirksversammlungen wählen die Vertreter zu den Hauptversammlungen der Reichsknappschaft, erlassen die Sondervorschriften und wählen einen Ausschuß zur Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung der KK. (§ 178 RKG.). 4. Dienstrecht der Knappschastsangestellten. Die Anstellungs- und Dienstverhält­ nisse der Angestellten der Reichsknappschaft, der Bezirksknappschaft und der besonderen KK. wer­ den durch eine von der Reichsknappschaft auf­ gestellte Dienstordnung geregelt, deren Bestim­ mungen aber gegenüber Bestimmungen eines Tarifvertrags zurücktreten (§§ 185, 186 RKG.). Die Angestellten sind nach den Vorschriften des RKG. versichert, sie scheiden aus der Pensions­ versicherung aus, sobald ihnen durch die Dienst­ ordnung Anspruch auf Ruhestandsversorgung und Hinterbliebenensürsorge eingeräumt wird; doch können sie bis dahin erworbene Ansprüche durch eine Anerkennungsgebühr sichern (§ 187 RKG.). 5. Aufsicht. Die Reichsknappschaft, die Be­ zirksknappschaften und die besonderen KK. wer­ den vom RAM. beaufsichtigt, doch soll er die Landesbehörden mit der Aufsicht über die beson­ deren KK. und Bezirksknappschaften betrauen. Die Anfsicht wird nach denselben Grundsätzen wie

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bei den Trägern der Arbeiterversicherung (§§ 30 bis 34 RVO.) geführt. Beschwerden über die Ge­ schäftsführung der Reichsknappschaft entscheidet der RAM., solche über die Bezirksknappschasten und besonderen KK. die Reichsknappschaft in erster und der RAM. in zweiter Instanz. V. Krankenversicherung. Im allgemei­ nen gelten die Vorschriften des zweiten Buches der RVO. (s. Krankenversicherung). Nach der RVO. richtet sich, ob und für welche Arbeit­ nehmer die Beschäftigung in einem knappschaftlich versicherten Betriebe die Versicherungs­ pflicht oder die Versicherungsberechtigung bei der Reichsknappschaft begründet ist. Doch kann die Satzung der Reichsknappschaft für die VersicherungsPflicht der Angestellten ein höheres Jahresentgelt als bei der KB. — zur Zeit 3600 RM — festsetzen (§ 16 RKG.). Unstän­ dige Arbeiter (s. d.) werden nicht versichert, ge­ hören also in die AOKK. oder LKK. Die Be­ freiung von der Krankenversicherungspflicht regelt sich nach der RVO., doch entscheidet über die Befreiung in den Fällen, in denen diese von dem eine Invalidenrente beziehenden oder dau­ ernd invaliden Bergmann mit Zustimmung des unterstützungspflichtigen Trägers der Armen­ fürsorge nachgesucht wird (§ 173 RVO.), die Bezirksknappschaft oder die besondere KK. an Stelle des Versicherungsamts. Die Arbeit­ geber haben jeden von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer, der gegen Krankheit versichert ist, nach näherer Bestimmung der Satzung und der Sondervorschriften an- und abzumelden. Die Versicherung bei einer Ersatzkasse (f. d.) ist gleich­ wertig, jedoch hat diese Anspruch aus den Bei­ tragsteil des Arbeitgebers bis zur Höhe von 4% des Grundlohns. Die Bersicherungspflicht kann durch die Satzung auf Angestellte mit einem höhe­ ren Jahreseinkommen als 3600 RM ausgedehnt werden, sofern die Versicherungspflichtigen Mit­ glieder der Angestelltenpensionskasse sind (§§ 15, 16 RKG.). Die KB. wird im Auftrage der Reichsknappschaft durch die Bezirksknappschaf­ ten gewährt, die der Regel nach für Arbeiter und Angestellten je eine Abteilung bilden müs­ sen. Daneben kommen die besonderen KK. in Betracht (§§ 17, 18 RKG.). Die baren Lei­ stungen werden nach einem Grundlohn be­ messen. Als solcher gilt der Regel nach der auf den Kalendertag entfallende Teil des wirklichen Arbeitsentgelts. An seine Stelle können Lohn­ stufen eingeführt werden. Der Grundlohn für Versicherungsberechtigte, der nicht nach den all­ gemeinen Grundsätzen berechnet werden kann, wird besonders festgestellt. Änderungen wirken auf die Barleistungen spätestens vom Beginn der fünften aus den Borstandsbeschluß folgenden Kalenderwoche, und zwar auch bei schwebenden Versicherungsfällen (§ 21 KVG.). Das Kranken­ geld beträgt 50% des Grundlohns für den Kalendertag. Für die Ehefrau und jedes Kind (s.d.) wird bis zum vollendeten 15. Lebensjahr ein Zuschlag in Höhe von 10% des Krankengeldes gewährt. Erhält das Kind nach^j Vollendung des 15. Lebensjahres Schul- oder Berufsaus­ bildung, so wird der Zuschlag gewährt, solange die Schul- oder Berufsausbildung dauert und der Versicherte das Kind überwiegend unter­ hält (§ 22 RKG.). Bei Gewährung von Kran-

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kenhauspflege beträgt das Hausgeld (s. Kran­ kenhilfe 4) die Hälfte des Krankengeldes, wenn nur ein Angehöriger vorhanden ist, den der Versicherte bisher ganz oder überwiegend aus seinem Arbeitsverdienst unterhalten hat. Bei jedem weiteren Angehörigen der bezeichneten Art steigt es um ein Zehntel des Krankengeldes bis zum Höchstbetrage des Mindestkrankengeldes (§ 22 RKG.). Versicherte die einer Bezirksknapp­ schaft oder besonderen KK.mindestens drei Monate angehören, erhalten auch für ihre Ehefrau und Kinder, soweit nicht diesen selbst ein Anspruch zu­ steht, freie ärztliche Behandlung und Kranken­ pflege (Familienkrankenpflege) in demselben Um­ fang wie die Versicherten selbst (§ 23 RKG.). Die Kosten der Arznei werden zur Hälfte erstattet; in Ausnahmefällen nach Bestimmung des Reichs­ ausschusses für Ärzte- und KK. ganz. Wei­ teres bestimmen die Sondervorschriften, die auch Mehrleistungen vorsehen können. Die Vor­ schriften der RVO.über die aushilfsweise Kranken­ pflege (§§ 219, 220, 222 RVO.) gelten ent­ sprechend (§ 25 RKG.). Uber die Beschwerden gegen die Anordnung der Verwaltung der Be­ zirksknappschaft oder der besonderen KK. wegen Versetzung des Weiterversicherten in eine höhere Lohnklasse (§ 313a RVO.) entscheidet der nach § 180 RKG. gebildete A. Soweit die Genehmi­ gung der Zustimmung des OVA. nach der RVO. erforderlich ist, ist der RAM. oder die von ihm be­ zeichnete Landesbehörde (§ 189 RKG.; V. vom 24. 12. 1923, ZfBHuS. 65, 52) zuständig. VI. Invalidenversicherung. Die Reichs­ knappschaft führt als Sonderanstalt (s. d.) die Ver­ sicherung nach Maßgabe des vierten Buches der RVO. durch. Ob und wieweit die Beschäfti­ gung in einem knappschaftlich versicherten Be­ triebe die Versicherungspflicht oder Versiche­ rungsberechtigung begründet, entscheidet sich nach der RVO. VII. Angestelltenversicherung. Die knappschaftliche Pensionsversicherung tritt an die Stelle der reichsgesetzlichen Av., so daß die Vorschriften des Avg. keine Anwendung finden. VIII. Pensionsversicherung. Sie ist die wesentlichste Besonderheit der R., die eine be­ achtenswerte Mehrleistung für die im Berg­ bau beschäftigten Personen ausmacht. Für die Durchführung der Versicherung sind eine Ar­ beiterpensionskasse und eine Angestellten­ pensionskasse gebildet, in die alle in knappschastlich versicherten Betrieben beschäftigte Ar­ beiter und Angestellten gehören. Vorübergehende Dienstleistungen unterliegen nicht der Versiche­ rung. Der RAM. bestimmt die Dienstleistungen, die als vorübergehend anzusehen sind (§ 21 RKG.; Bek. vom 22. 5. 1924, RGBl. I 560). Die Lei­ stungen der beiden Kassen sind verschieden. 1. Arbeiterpensionskasse, a) Lohnklassen als solche bestehen nach der Höhe des monatlichen Arbeitsverdienstes: Lohnklasse I bis zu 75 RM „ II von mehr als 75 bis 100 RM n III 100 „ 125 IV w 125 „ 150 n V 150 „ 175 n VI 175 „ 200 n VII n 200 RM n (§ 32 RKG.).

b) Pflichtleistungen sind die Invaliden­ pension fürKnappschaftsinvaliden, die W i t w e n Pension für Witwen verstorbener Mitglieder und von Knappschastsinvaliden, das Waisengeld für Kinder (s. d.) verstorbener Mitglieder und von Knappschaftsinvaliden, freie ärztliche Behand­ lung und Arznei für Knappschaftsinvaliden, ein Sterbegeld als Beihilfe für die Bestattung der Knappschaftsinvaliden, ihrer Ehefrauen und Kin­ der sowie der Empfänger von Witwenpension und Waisengeld (§ 34 RKG.). Jnvalidenpension erhält, wer das Alter von 65 Jahren vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist und wer zwar nicht dauernd berufsunfähig ist, aber nach Weg­ fall des Krankengeldes noch berufsunfähig ist, für die weitere Dauer der Berufsunfähigkeit (§ 35 RKG.). Auf Antrag wird diese auch dann als vorhanden angesehen, wenn der Antragsteller das 50. Lebensjahr vollendet, 300 Beitragsmonate zurückgelegt, während dieser Zeit mindestens 180 Beitragsmonate wesentliche bergmännische Arbeiten verrichtet hat und keine gleichwertige Lohnarbeit mehr verrichtet (Alterspension). Dabei gilt eine Lohnarbeit als gleichwertig, wenn sie nach deren Entgelt der höchstgelohnten Arbeit entspricht, die der Berechtigte während seiner Dienstzeit nicht nur vorübergehend verrichtet hat (§ 31 RKG.). Für die Versicherten im Stein­ kohlenbergbau können die Sondervorschriften be­ stimmen, daß Berufsunfähigkeit auf Antrag auch dann angenommen wird, wenn der Antragsteller das 55. Lebensjahr vollendet, 360 Beitragsmonate im Steinkohlenbergbau zurückgelegt hat und keine gleichwertige Lohnarbeit mehr verrichtet. Für Versicherte in Betrieben anderer Art kann auf Antrag des RKn. oder einer Bezirksknappschaft der RAM. mit Zustimmung des RR. für alle oder einzelne Gruppen der Versicherten bestim­ men, daß Berufsunsähigkeit auf Antrag auch dann als vorhanden angesehen wird, wenn der Antragsteller das 55. Lebensjahr vollendet, 360 Beitragsmonate in knappschaftlich versicher­ ten Betrieben zurückgelegt hat und keine gleich­ wertige Lohnarbeit mehr verrichtet (§37 RKG.). Solange Empfänger einer Alterspension noch regelmäßige Lohnarbeit verrichten, erhalten sie nur 75% der erdienten Pension (§39 RKG.). Die Jnvalidenpension besteht aus einem Grund­ betrag und aus Steigerungsbeträgen. Der Grund­ betrag ist gleichhoch mit dem Grundbetrage der Invalidenrente (s. Invalidenversicherung III 3). Der Steigerungsbetrag wird in Hundert­ teilen des Endbetrags jeder Lohnklasse gewährt, in welcher das Mitglied Beiträge entrichtet hat; als Endbetrag der Lohnklasse VII gilt der Betrag von 225 RM. Für die nachgewiesenen ersten 60 Beitragsmonate wird der Steigerungsbetrag auf V2%, für die weiteren 60 Beitragsmonate auf 1%, für die weiteren 180 Beitragsmonate auf 1,85% festgesetzt. Für bie übrigen Beitrags­ monate wird der Steigerungsbetrag auf x/2% fest­ gesetzt; die Satzung kann ihn bis auf 1% erhöhen, jedoch nicht vor dem 1. 1. 1930 (§ 38 RKG.). Die Empfänger der Jnvalidenpension erhalten für Kinder (s. d.) ein Kindergeld in Höhe des Kinderzuschusses der JB. (s. d. III3); § 40 RKG. Die Witwenpension beträgt sechs Zehntel, das Waisengeld zwei Zehntel der Jn­ validenpension. Die Gesamtbezüge der Hinter-

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bliebenen dürfen 80% des durchschnittlichen Ver­ dienstes der höchsten Lohngruppe, welcher der Versicherte angehört hat, nicht übersteigen, sonst werden sie gleichmäßig gekürzt. Heiratet eine Witwe, so ist sie mit dem dreifachen Jahresbetrag ihrer Pension abzufinden (§§ 41,81RKG.). Freie ärztliche Behandlung und Arznei erhalten Knappschaftsinvaliden von der Bezirksknapp­ schaft, in deren Bezirk sie wohnen, und zwar höchstens in dem Umfange, in welchem die Be­ zirksknappschaft sie den gegen Krankheit Ver­ sicherten gewährt, vorausgesetzt, daß sie einen An­ spruch darauf gegenüber einem Träger der Un­ fall- oder Krankenversicherung haben (§§ 43, 44 RKG.). Die Bestattungsbeihilfe ist an Knappschaftsinvaliden mindestens im dreifachen Betrage der monatlichen Jnvalidenpension ohne Kinderzuschuß, beim Tode einer Ehefrau oder Empfängerin einer Witwenpension 60%, beim Tode eines Kindes oder Empfängers eines Waisengeldes 20% des Mindestbetrags der Be­ stattungsbeihilfe eines Knappschaftsinvaliden zu zahlen. Die Satzung kann die Bestattungsbeihilfe erhöhen, auch feste Sätze vorschreiben (§ 42 RKG.). c) Die freiwilligen Leistungen werden durch die Satzung bestimmt; diese kann auch Richtlinien für die Gewährung aufstellen und die weitere Regelung den Sondervorschriften über­ lassen (§§ 45, 46 RKG.). Ein Heilverfahren kann die Bezirksknappschast in dem gleichen Umfange wie die LVA. (s. Invalidenversicherung!!!^) einleiten. Auch hier bestimmt die Satzung das Nähere; sie kann auch Richtlinien ausstellen (§ 47 RKG.). 2. Angestelltenpensionskasse. Die knappschastliche Pensionsversicherung der Angestellten tritt völlig an die Stelle der Av. (§§ 49, 50 RKG.). Aus ihren Antrag können von der Bersicherungspslicht befreit werden Personen, denen vom Reich, von einem Land oder von einem Ge­ meindeverband, einer Gemeinde oder einem Träger der Reichsversicherung Anwartschaft auf Ruhegeld und Hinterbliebenenrente im Mindest­ beträge der Leistungen nach den Sätzen der Ge­ haltsklasse v gewährleistet ist. Ob dies der Fall ist, entscheidet der RAM. (§ 52 RKG.). Zum frei­ willigen Eintritt in die Versicherung bei der Kasse sind bis zum vollendeten 40. Lebensjahr solche Angestellte in knappschaftlich versicherten Be­ trieben berechtigt, deren Jahresarbeitsverdienst den Betrag von 6000 RM übersteigt (§ 53 RKG. ; V. vom 23. 4. 1925, RGBl. I 51). a) Gehalts- und Beitragsklassen. Es be­ stehen nach Höhe des monatlichen Entgelts fol­ gende Gehaltsklassen: Gehaltsklasse A bis zu 50 RM „ Lvon mehr als 50 bis100 RM „ C „ „ „100 „ 200 „ „ v „ „ „200 „ 300 „ E „ „ „ 300 „ 400 „ F „ „ „ 400 RM (§ 54 Avg.). Für die freiwillige Versicherung gelten die Beitragsklassen G und H. b) Pflichtleistungen sind Ruhegeld für berufsunfähige Mitglieder, Witwenpension für Witwen verstorbener Mitglieder und Ruhe­ geldempfänger, Wyisengeld für Kinder ver­ storbener Mitglieder und Ruhegeldempsänger.

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Freie ärztliche Behandlung und Arznei für Ruhe­ geldempfänger, Sterbegeld als Beihilfe zur Be­ erdigung der Ruhegeldempfänger, ihrer Ehefrauen und Kinder sowie der Empfänger von Witwen­ pension und Waisengeld, soweit nicht Strebegeld der KB. und UV. gewährt wird. Ruhegeld erhält der Versicherte, der das Alter von 65 Jahren vollendet hat oder durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte zur Ausübung seines Berufs dauernd unfähig ist. Berufsunfähigkeit ist dann anzunehmen, wenn die Arbeitsfähigkeit des Ver­ sicherten auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Ruhegeld erhält auch der Versicherte, der nicht dauernd berufsunfähig ist, aber während 26Wochen ununterbrochen berufsunfähig gewesen ist. Für die weitere Dauer der Berufsunfähigkeit (§ 57 KBG.) wird auf Antrag Berufsunfähigkeit auH dann als vorhanden angesehen, wenn der An­ tragsteller das 50. Lebensjahr vollendet, 300 Bei­ tragsmonate zurückgelegt, während dieser Zeit mindestens 180 Monate wesentliche bergmännische Arbeiten verrichtet hat und keine gleichwertige Lohnarbeit mehr verrichtet (Altersruhegeld). Eine Kürzung dieses Ruhegeldes tritt für solche Empfänger ein, die noch in Betrieben beschäftigt sind (§ 58 RKG.). Für Angestellte im Stein­ kohlenbergbau gelten die gleichen Besonderheiten wie für Arbeiter im Steinkohlenbergbau (s. VII1 b). Das Ruhegeld setzt sich zusammen aus einem Grundbetrag in gleicher Höhe wie bei der Av. (s. d.) und aus Steigerungsbeträgen. Der Steigerungsbetrag wird in Hundertteilen des Endbetrags jeder Gehaltsklasse gewährt, in der das Mitglied Beiträge entrichtet hat. Für die nachgewiesenen ersten 60 Beitragsmonate wird der Steigerungsbetrag auf V2%, für die weiteren 60 Beitragsmonate auf 1%, für die weiteren 180 Beitragsmonate auf 1,85% festgesetzt. Für die übrigen Beitragsmonate wird der Steige­ rungsbetrag auf Va% festgesetzt, doch kann ihn die Satzung aber nicht vor dem 1. 1. 1930 aus 1% erhöhen. Das Ruhegeld muß immer so hoch wie das Ruhegeld nach der Av. sein (§ 60 RKG.). Dem Empfänger des Angestelltenruhegeldes wird ein Kinderzuschuß wie dem Empfänger der Jn­ validenpension (s. VII1 b) gezahlt (§ 61 RKG.). Die Witwenpension beträgt sechs Zehntel, das Waisengeld für jede Waise fünf Zehntel des Ruhe­ geldes. Der Höchstbetrag der Bezüge aller Hinter­ bliebenen darf 80% des durchschnittlichen Ver­ dienstes der höchsten Lohngruppe, der der Ver­ sicherte angehörte, nicht übersteigen; sie werden sonst gleichmäßig gekürzt. Die Bestattungsbeihil­ fen und die freie ärztliche Behandlung wird nach den gleichen Grundsätzen wie bei den Ar­ beitern gewährt. Soweit die Leistungen der Av. höher sind, bewendet es bei ihnen. Wegen der Wanderversicherten (s. d.) gelten entspre­ chende Vorschriften wie bei der JnB. (s. d.). 3. Gemeinsame Vorschriften. Die Lei­ stungen aus der Pensionsversicherung werden nach einer Wartezeit von 30 Beitragsmonaten gewährt. Sind weniger als 24 Beiträge auf Grund der Versicherungspslicht entrichtet, so be­ trägt die Wartezeit 60 Beitragsmonate. Im

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Falle der Selbstversicherung beträgt die Wartezeit 100 Beitragsmonate (§ 72 RKG.). Wegen An­ rechnung von Krankheiten und Kriegszeiten gilt das gleiche wie bei der JnV. (§§ 73—75 RKG.). Mitglieder der Pensionskasse, die, ohne berufs­ unfähig zu sein, aus der Versicherung ausscheiden, können durch Zahlung einer Anerkennungs­ gebühr das Recht auf die bis zum Tage des Aus­ tritts erworbenen Ansprüche aus der Pensions­ versicherung aufrechterhalten oder sich weiter­ versichern (§§ 76, 77 RKG.). Über den Be­ ginn des Anspruchs aus die Leistungen und über die Bezüge der Hinterbliebenen bei Verschollen­ heit des Versicherten, sowie über das Entziehen und Versagen der Pension und des Ruhegeldes enthält das RKG. in den §§ 80ff. nähere Vor­ schriften, die denen der JnV. (f. d. III5) gleichen. Auch für das Ruhen der Pension und des Ruhe­ geldes und über die Kapitalabfindung sind Vor­ schriften vorgesehen, die denjenigen für die In­ validenrente (s. Invalidenversicherung III 5) gleichen. S. wegen der schweizerischen Grenz­ bezirke B. vom 4. 7. 1927 (RGBl. I 174). Wie die LVA. kann die RKn. mit Genehmigung des RAM. Mittel auswenden, um allgemeine Maß­ nahmen zur Verhütung des Eintritts vorzeitiger Berufsunfähigkeit oder zur Hebung der gesund­ heitlichen Verhältnisse der versicherten Bevölke­ rung zu fördern oder durchzuführen (§ 100 RKG.). IX. Festsetzung der Leistungen. Die Leistungen der Reichsknappschaft werden aus Antrag festgestellt, den Minderjährige unter 16 Jahren selbständig stellen und verfolgen können, doch können Leistungen der Pensions­ versicherung auch von Amts wegen festgestellt werden. Die Feststellung erfolgt im Auftrag der Reichsknappschaft durch die Bezirksknapp­ schaften und die besonderen KK. (§ 191 RKG.). Bei Streit über Leistungen der KV. entscheidet ein Ausschuß, über Leistungen aus der Pen­ sionsversicherung entscheidet die Verwaltung der Bezirksknappschaft. Gegen den Bescheid kann der nach § 180 RKG. bestellte Ausschuß binnen einem Monat angerufen werden, der mit Stimmenmehrheit entscheidet. Streit über das Bersicherungsverhältnis oder die Beiträge zur KB. oder Pensionsversicherung entscheidet die Verwaltung der Bezirksknappschaft oder der be­ sonderen KK. Gegen den Bescheid der Ver­ waltung kann binnen einem Monat die Ent­ scheidung des Ausschusses angerufen werden (§§ 192—193 RKG.). Der Bescheid des Aus­ schusses kann binnen einem Monat mit der Be­ rufung beim KnappschaftsOBA. (s. Sozial­ versicherung II 3d) angefochten werden, gegen dessen Urteil, soweit nicht nach dem sechsten Buch oder nach anderen Vorschriften der RVO. über die Feststellung der Leistungen die Revision aus­ geschlossen ist, die Revision beim RVA. zuge­ lassen ist (s. Sozialversicherung II 3 a). Die laufenden Leistungen werden durch die Post ausgezahlt, mit Ausnahme der Krankenkassen­ leistungen und einmaliger Leistungen, die die Bezirksknappschaft oder die besonderen KK. auszahlen. X. Verhältnis zu Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Apotheken. Hier sind die entsprechenden Vorschriften der RVO.

(s. Krankenhilsc 1, 1) maßgebend. Auch bei den KnappschaftsOBA. werden Schiedsämter zur Entscheidung von Arztstreitigkeiten gebildet. An Stelle des Reichsschiedsamts (f. Kranken­ hilfe 1) tritt das Oberschiedsamt beim RVA. XI. Aufbringung und Verwaltung der Mittel. 1. Allgemeines. Die Mittel für die knappschastliche Versicherung werden von den Arbeitgebern und Versicherten aufgebracht. Zur JnV. gewährt das Reich auch hier den Zuschuß (s. Invalidenversicherung III). Die Bei­ träge werden nach näherer Vorschrift der Satzung und der Sondervorschriften durch die Bezirks­ knappschaften und die besonderen KK. erhoben. Zahlungspslichtig sind die Arbeitgeber, die den Versicherten die Beitragsanteile vom Lohn oder Gehalt abziehen (§§ 112—114 RKG.). 2. Zur knappschaftlichen KB. tragen die Arbeit­ geber zwei Fünftel und die Versicherten drei Fünftel der ganzen Monatsbeiträge. Versiche­ rungsberechtigte tragen die vollen Beiträge (§ 117 RKG.). Die Beiträge der Versicherten sind in einem Bruchteil des Arbeitslohns, Ge­ halts oder Grundlohns oder in einem festen Satze so zu bemessen, daß sie unter Hinzurechnung der Beiträge der Arbeitgeber und der sonstigen Einnahmen der KK. ausreichen, um die gesetz­ lichen und durch Sondervorschriften bestimmten Ausgaben zu decken und außerdem eine Rücklage anzusammeln (§ 119 RKG.). Werden die gesetz­ lichen Regelleistungen bei 10% des Grundlohns nicht gedeckt, so können die Beiträge nur aus übereinstimmenden Beschluß der Arbeitgeber und Versicherten erhöht werden (§ 122 RKG.). Bei besonderen KK. hat der Arbeitgeber Vorschüsse oder Zuschüsse zu geben (§§ 123, 124 RKG.). 3. Pensionsversicherung. Hier besteht eine Gemeinlast und eine Sonderlast. Die Deckungsmittel der Gcmeinlast werden von allen Vezirksknappschasten gemeinsam aufgebracht, während die Dcckungsmittel der Sonderlast von der einzelnen Bezirksknappschast aufzubringen sind. Zur Gemcinlast gehören die von der Reichs­ knappschaft festgesetzten Deckungsmittel für die Jnvalidenpension( ohne Alterspension) und Ruhe­ geld (ohne Altersruhegeld) in Höbe von 80% dieser Leistungen, für Witwenpension, Waisen­ geld und Bestattungsbeihilfen für die Rücklage der Gemeinlast und für die Verwaltungskosten der Reichsknappschast. Zur Sonderlast gehören die Deckungsmittel für die weiteren Leistungen an Jnvalidengeld und Ruhegeld einschließlich der Alterspension und des Altersruhegeldes, für freie ärztliche Behandlung und Arznei an Knappschastsinvalidrn und Ruhegeldempfänger, für freiwillige Leistungen und Heilverfahren, für Erstattung von Lohnausfall und für die Berwaltungskosten der Vezirksknappschasten. Die Mittel für die Sonderlast werden durch Zuschläge zu den Beiträgen für die Gemeinlast aufgebracht. Die Zuschläge setzt die Bezirksknappschast fest. Die Beiträge zur Pensionsversicherung sind zu zwei Fünftel von dem Arbeitgeber und zu drei Fünftel von den Versicherten zu tragen (§§ 130, 131 RKG.). Versicherungsberechtigte tragen die ganzen Beiträge. Durch die Beiträge und Zu­ schläge müssen alle Aufwendungen der Pensions­ versicherung gedeckt werden. Auch ist die An­ sammlung einer Rücklage erforderlich. Nach

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Reichskolonialamt — Reichsmarinestiftung Bedarf sind die Beiträge zu erhöhen oder die Leistungen zu mindern. Der RAM. bestimmt mit Zustimmung des RT. die Grenze, über die hinaus nur auf übereinstimmenden Beschluß der Arbeitgeber und Versicherten die Beiträge erhöht werden dürfen (§ 132, 133 RKG.). 4. Invalidenversicherung. Die Beiträge werden nach den Vorschriften der RVO. als Monatsbeiträge erhoben (§ 140 RKG.). 5. Rechnungsführung, Vermögen. Die Bezirksknappschaften besorgen die Rechnungs­ führung im Auftrage der Reichsknappschaft, ge­ trennt für die verschiedenen Zweige der Ver­ sicherung. Das Vermögen wird nach den Vor­ schriften der RVO. angelegt (f. Sozialversiche­ rung III). Die Verwaltung des Vermögens der KV. besorgen die Bezirksknappschaften und be­ sondere KK., im Auftrag der Reichsknappschaft selbständig. Das gleiche gilt von dem zur Deckung der Sonderlast durch Zuschläge angesammelten Vermögensteil. Sie übernehmen die Entrichtung der Beiträge. XII. Beziehungen zu anderen Ver­ sicherungsträgern und zu anderen Ver­ pflichteten. Die Vorschriften des fünften Buches der RVO. gelten für die Reichsknappschast als Träger der KB. und der JnV. Wird neben einer Rente aus der Pensionsversicherung eine Rente aus der JnV. oder Avg. gewährt, so ruht der Grundbetrag der Rente aus der Pensionsversicherung, soweit er den Grundbetrag der Rente aus der anderen Versicherung über­ steigt. Das gleiche gilt für die Steigerungs­ beträge der Pensionsversicherung, soweit sie nicht die auf Grund des G. vom 29. 3. 1928 (RGBl. I 116) zu gewährende Erhöhung der Steigerungsbeträge der Jnv. und Av. über­ steigen (§ 106 RKG.; G. vom 29. 3. 1928, RG­ Bl. I 116). Tritt neben das Kindergeld aus der Pensionsversicherung eine Kinderzulage oder ein Kinderzuschuß aus einer anderen Versicherung, so ruht das Kindergeld soweit es den Betrag der Kinderzulage oder des Kinderzuschusses nicht über­ steigt (§ 106 Abs. 3 RKG.). Die Beziehungen der Pensionsversicherung zur UV. regeln sich nach den für die JnV. maßgebenden Vorschriften der RVO. (§§ 1524, 1525 RKG.). Auch für das Verhältnis zu den FürsV. und zu anderen Ver­ pflichteten gelten die entsprechenden Vorschriften des fünften Buches der RVO. (§§ 1527,1531,1536 bis 1538, 1541—1543). Über Ersatzansprüche wird im Spruchverfahren nach der RVO. ent­ schieden. Die Zuständigkeit des VA. richtet sich bei Ersatzansprüchen gegen die Reichsknappschaft nach dem Sitze der Bezirksknappschaft oder be­ sonderen KK. Für das Rechtsmittel der Be­ rufung ist das Knappschafts O VA. und für die Revision der Knappschaftssenat des RBA. zu­ ständig. S. auch Haftpflicht V 2. F. H. Reutz-Hense, Reichsknappschaftsgesetz. ReichSkolonialamt s. Kolonialverwaltung. ReichSkommissar für Ablösung der Reichs­ anleihen alten Besitzes s. Anleiheablösung. Reichskommissar für Aus- und Einfuhrbe­ willigung s. Ausfuhr II. Reichskommissar für Handwerk und Klein­ gewerbe ist beim RWirtM. zur Wahrnehmung der

Interessen des Handwerks bestellt. Ihm ist ein A.

von sieben Mitgliedern und sieben Stellver­ tretern beigegeben. F. H. ReichSkommissar zur Überwachung veröffent­ lichen Ordnung, dem RMdJ. unterstellt, hat die

Reichsregierung über alle die innere Lage des Reichs berührenden Bestrebungen und Vorgänge zu unterrichten. Ly. ReichSkontrolle der Zölle

und

Steuern

s.

Reichszollverwaltung I. ReichS-Kredit-Gesellschaft A.-G. Sie ist her­ vorgegangen aus der zur Abwicklung der im Kriege gebildeten Kriegsgesellschaften und zur Durchführung anderer Finanzgeschäfte des Reichs gegründeten Reichskredit- und Kontrollstelle G. m. b. H. Das Aktienkapital der R. beträgt 40 Mill. RM und ist im Besitz der Viag (Vereinigte Industrie-Unternehmungen A.-G.) (s. d.). Die R. ist Konzernbank der in der Viag zusammen­ geschlossenen Unternehmungen und Bankanstalt des Reichs. Sie betreibt alle Geschäfte einer Kreditbank. Filialen besitzt sie nicht. v. B. Reichskriminalpolizei. Die Polizei ist Hoheits­ sache der Länder. Das ReichskriminalPolizeiG. vom 21. 7. 1922 (RGBl. I 593), erlassen unter dem Eindruck der Ermordung des Reichsministers Rathenau ist noch nicht in Kraft gesetzt. Es sollte dies erfolgen durch AusfB., welche die Reichs­ regierung mit Zustimmung des RR. zu erlassen hatte. Hierzu ist es bislang nicht gekommen. Das Gesetz bezweckt die Bekämpfung des Verbrecher­ tums, das sein Tätigkeitsfeld nicht auf bestimmte Orte oder Landesgebiete beschränkt, durch Or­ ganisation eines Reichskriminalpolizeiamtes, das mit den von den Länderregierungen zu errichten­ den Landeskriminalpolizeiämtern zusammenarbei­ ten soll. Das Reichskriminalpolizeiamt soll dem RMdJ. unterstehen und seinen Sitz in Berlin haben (s. Landeskriminalpolizei). Hg. ReichSlandbund s. Landwirtschaftliche Vereine II. ReichSmarine s. Wehrmacht. ReichSmarineamt war bis zur Staatsumwäl­ zung die oberste Behörde für die Verwaltung der kaiserlichen Marine und bestand selbständig neben dem Kriegsministerium. Jetzt werden die An­ gelegenheiten der Reichsmarine zugleich mit denen des Reichsheeres durch das Reichswehrmini­ sterium (s. d.) verwaltet. v. G. ReichSmarinestiftung. Die R. ist am 1.11.1859 von dem „Frauenverein zur Unterstützung hilfs­ bedürftiger Personen der Königlichen Marine" (vorher: „Frauenverein zur Erbauung eines preußischen Kriegsfahrzeuges") als milde Stiftung mit den Rechten einer juristischen Person unter dem Namen „Frauengabe" errichtet worden. Der Name wurde durch AKabO. vom 27. 9. 1867 in „Frauengabe Elberfeld", später in „Marine­ stiftung Frauengabe Berlin-Elberfeld" und am 14. 10. 1915 in „Reichsmarinestiftung" geändert. Die R. bezweckt, Personen, die der Marine an­ gehören, oder ihren Hinterbliebenen im Falle der Bedürftigkeit und Würdigkeit Unterstützungen zu gewähren, insbesondere wenn Dienstunfähigkeit oder Tod im Kriege, durch eine militärische Aktion, durch Schiffbruch oder durch die besonderen Ge­ fahren des Borddienstes, wie durch klimatische Einflüsse auf der Seereise, oder durch einen im Dienst erlittenen Unfall eingetreten ist. In der R. wurden alle privaten Wohltätigkeitsbestre-

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Reichsmietengesetz

Bungen für die Reichsmarine einheitlich zusam­ mengefaßt. Sie verfolgt ähnliche Ziele wie die „Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen" (s. d.). Es können ihr Mittel der Nationalstiftung überwiesen werden, bei deren Verwendung sie an die Bestimmungen der Satzung dieser Stiftung gebunden ist. Die N. wird von einem Vorstand verwaltet, dem u. a. zwei vom Chef der Marineverwaltung bestimmte Seeoffiziere und der Justitiar des Neichsmarineamts (jetzt: RWM., Marineleitung) angehören. Die Aufsicht führt der Chef der Marineverwaltung. v. G. ReichSmietengesetz. Zum Begriff eines Miet­ verhältnisses gehört rechtlich die Verpflichtung zur Zahlung eines Mietzinses. Eine Knapp­ heit an Wohnungen muß naturnotwendig einen Anreiz zur Steigerung des Mietzinses bei Ver­ meidung der Kündigung des Mietverhältnisses geben. Daher geschah auch das erste behörd­ liche Eingreifen in die Vertragsfreiheit der Miet­ parteien durch Schutz des Mieters gegen Kündigung, und zwar auch zwecks Zinssteige­ rung, indem durch Bek. des BR. vom 26. 7.1917 (RGBl. 659) eine besondere Schlichtungsstelle, das Mieteinigungsamt, angerufen werden konnte. Von besonderer Tragweite wurde die reichs­ gesetzliche Ermächtigung in der V. zum Schutze der Mieter vom 22. 6. 1919 (RGBl. 591), auf Grund von deren § 5 Preußen die Höchst­ mietenanordnung vom 9. 12. 1919 (GS. 187) zur Bannung der Gefahr einer hemmungslosen Miet­ zinssteigerung schuf. Durch diese B. wurde den Gemeinden über 2000 Einwohnern, bei denen das Borliegen außergewöhnlicher Mißstände in­ folge starken Wohnungsmangels anerkannt war, die Pflicht auferlegt, eine Höchstgrenze für Miet­ zinssteigerungen nach Anhörung eines paritätisch aus Hausbesitzern und Mietern zusammengesetzten Ausschuß festzusetzen. Eine Steigerung der Miete über die festgesetzte Höchstgrenze hinaus war unzu­ lässig, entsprechende Vereinbarungen waren un­ wirksam (vgl. insbesondere § 10 ebenda). Diese V. hat 2V2 S^re, bis zum Inkrafttreten des R. am 1. 7. 1922 (RGBl. I 273), das nach langwierigen Verhandlungen eine einheitliche Regelung für das Reich brachte, gegolten. Das R. ist im wesentlichen ein RahmenG., das den obersten Landesbehör­ den die praktische Durchführung überläßt. Das Reich hat sich jeglicher AusfB. enthalten und zu solchen im § 21 des R. die obersten Landesbehör­ den ermächtigt. Die Dauer des R. war ursprüng­ lich nur bis zum 1. 7. 1926 in seinem § 24 vor­ gesehen, ist aber bereits zweimal, zur Zeit bis zum 31. 12. 1927 (ReichsG. vom 30. 6. 1927, RGBl. 1131) verlängert worden. Im neuesten Entwurf der Reichsregierung ist seine Gültigkeit bis zum 1. 7.1929 vorgesehen. Das R. ist von dem Grund­ gedanken getragen, daß Mietsteigerungen vor­ nehmlich insoweit zuzulassen sind, als es die Stei­ gerung der für das Haus notwendigen Ausgaben erfordert. Unter diesem Gesichtspunkte gibt es den Parteien die Möglichkeit, etwaige Bindungen über die Höhe des Mietzinses bei Schwankungen wirtschaftlicher Verhältnisse zu beseitigen und da­ für einen veränderlichen, den besonderen Verhält­ nissen insbesondere auch Erfordernissen der Er­ haltung des Hauses anpassenden gleitenden Tarif, nämlich die „gesetzliche Miete" zu setzen. Wenn

auch grundsätzlich die Vertragsfreiheit bezüglich des Mietzinses aufrechterhalten, also theoretisch jedenfalls stets eine freie Miete zulässig ist, so hat jede Mietpartei das unverzichtbare Recht (§ 19 des R.), zu verlangen, daß an Stelle der „freien" die „gesetzliche" Miete tritt, die dadurch praktisch fast allgemein Tatsache geworden ist. Zur Miet­ zinsänderung, gleichgültig ob Steigerung oder Herabsetzung, ist eine Aufkündigung des Vertrags nicht mehr notwendig. Der Mietzins ist von dem sonstigen Vertragsverhältnis losgelöst und richtet sich nach der behördlichen Festsetzung. Gemäß der Novelle vom 10. 7. 1926 (RGBl. I 403) ist beim Verlangen einer gesetzlichen Miete von feiten des Mieters auch eine Einwirkung auf die Vertrags­ dauer begründet, indem dann der Vertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt, also — aller­ dings vom Gesetzgeber unbeabsichtigt — auch dem Mieter dadurch die Möglichkeit gibt, sich von einem ihm jetzt nicht mehr genehmen langfristigen Ver­ trag zu befreien (§ lAbs.l des R.). Der Mietzins ist auf der sog. „Friedensmiete" aufgebaut. Dies ist die Miete, die am 1. 7. 1914 vereinbart war. Bon dieser Friedensmiete waren nach dem N. die Kosten für den Betrieb und für die Instandhaltung des Hauses, sowie für besondere Nebenleistungen, wie Zentralheizung, abzuziehen. Der dann ver­ bleibende Betrag war die sog. „Grundmiete" (§ 2, 1 des R.), die im wesentlichen als feststehend gilt. Zur letzteren kamen dann bestimmte Zu­ schläge für die Zinssteigerung einer Vorkriegs­ belastung, für die Betriebskosten und die Kosten der Instandhaltung. Diese Zuschläge waren je nach den wirtschaftlichen Verhältnissen tunlichst monatlich wechselnd sestzusetzen. In der Zeit der gewaltigen Schwankungen der Wirtschaft, ins­ besondere infolge der Geldentwertung, war fü Preußen eine zentrale Festsetzung in Rücksicht aus die Verschiedenheit der Verhältnisse in seinen ein­ zelnen Bezirken und Gemeinden nicht möglich. Die preuß. AusfB. zum R. vom 12. 6. 1922 und 4. 8. 1923 beschränkten sich deshalb auf Durchsührungsvorschriften, insbesondere zwecks Berech­ nung der Zuschläge, für welche bis Juli 1923 fast allmonatlich wechselnde Höchstsätze vom MfB. fest­ gesetzt wurden, gegen deren Überschreitung die kommunale Aufsichtsbehörde grundsätzlich Ein­ spruch einzulegen hatte. Um der Marktlage einiger­ maßen Rechnung zu tragen, wurde allgemein die Höhe der Zuschläge der Steigerung des Maurer­ stundenlohns angepaßt. Für die in den AusfB. begrenzten Betriebskosten — vgl. die jetzt noch gültige begriffliche Bestimmung der Betriebs­ kosten unter B X 1—10 in der Preuß. B. vom 4. 8. 1923 — wurde daneben eine allgemeine Umlage zugelassen. Erst mit der Einführung sta­ biler Währungsverhältnisse konnte im Januar 1924 in Preußen eine einheitliche, für das gesamte Staatsgebiet geltende Mietzinsregelung getroffen werden. Nachdem ferner durch § 27, 1 der 3. StNotV. vom 14. 2. 1924 (RGBl. I 74) und 8 2 des G. über den Geldentwertungsausgleich bei bebauten Grundstücken vom 1. 6. 1926 (RG­ Bl. I 251) die Landesregierungen ermächtigt waren, die Mietzinsbildung — aber auch nur diese, andere Bestimmungen des R. sind zwingend in Kraft geblieben — abweichend vom R. unter Angleichung an die Entwicklung der allgemeinen Wirtschaftslage zu regeln, ist in Preußen die

Reichsmietengesetz

Grundmiete aufgehoben und wird die gesetzliche Miete auf der Grundlage der „reinen Friedens­ miete" gebildet. Diese ist im wesentlichen die alte Friedensmiete, als Goldmiete vermindert um prozentuale Abzüge für Nebenleistungen, wie Heizungskosten u. a. Maßgebend sind für Preußen heute noch die V. über die Mietzins­ bildung vom 17. 4. 1924 bzw. 11. 6. 1924 (GS. 474 ff. bzw. 553) und über die Höhe der Mieten die V. vom 25. 6. 1924 (GS. 570). Damit ist grundsätzlich eine Gesamtgoldmiete be­ stimmt, in der die Kosten für Zinsendienst, Verwaltungs-, Betriebs- und Instandsetzungskosten, jetzt auch die Hauszinssteuer, unter Ausschaltung des Umlagesystems ein für allemal eingerechnet sind. Nur für gewisse Nebenleistungen, wie Warmwasserversorgung, Zentralheizung, Fahr­ stuhlbetrieb u. a., die nur in einzelnen Häusern, nicht allgemein vorhanden sind, ist notwendiger­ weise das Umlagesystem beibehalten. Dafür sind gewisse feste Prozentsätze, z. B. bei Sammel­ heizung 7% und bei Warmwasserversorgung 3% der Friedensmiete abzurechnen (§ 3 der preuß. V. vom 17. 4. 1924). Eine weitere Umlagemöglich­ keit besteht bedingt auch für das Wassergeld. Nach der preuß. B. vom 25. 6. 1924 ist der Vermieter berechtigt, das Wassergeld voll umzulegen; er ist jedoch alsdann verpflichtet, die gesetzliche Miete um 3% kürzen. Die gesetzliche Miete, die am 1. 7.1926 100% der Friedensmiete erreicht hatte, beträgt seit dem 1. 10. 1927 in Gemäßheit der ReichsV. über Festsetzung einer Mindesthöhe der gesetzlichen Miete vom 11. 3. 1927 (RGBl. I 72) und der V. der Preuß. Landesregierung vom 26. 3. 1927 (GS. 36), auch für Preußen 120%. Das Reich hatte nämlich entgegen seiner ursprüng­ lichen Gepflogenheit, die Festsetzung der Höhe der gesetzlichen Miete den obersten Landesbehör­ den zu überlassen, in dem G. über den Geldent­ wertungsausgleich bei bebauten Grundstücken vom 1. 6. 1926 (RGBl. I 251) zunächst eine Sperre dahin verhängt, daß bis zum 31. 3. 1927 die ge­ setzliche Miete 100% nicht überschreiten durfte (vgl. auch RE. des KG. vom 19. 11. 1926, 17 Y 96/26). Nunmehr hat das Reich den entgegengesetzten Standpunkt in seiner V. über die Festsetzung einer Mindestmiete vom 11. 3. 1927 eingenommen und von Reichs wegen die Festsetzung einer Mindestmiete den Ländern auferlegt, und zwar ab 1. 4. 1927 110% und ab 1.10.1927 120% der Friedensmiete. Uber diesen Satz ist Preußen mit den meisten Ländern nicht hinausgegangen. In diesem gesetzlichen Mietsatz ist zur Zeit ein Satz von etwa 48% für Hauszinssteuer enthalten, der auch am 1. 10. d. I. keine Veränderung erfahren hat, da die dann eintretende Erhöhung dem Hausbesitzer ganz zufällt für Berwaltungs- und Instand­ setzungskosten und vor allem für die ab 1. 1. 1928 sich von 3 auf 5% erhöhenden Zinsen für aufgewertete Hypotheken. Diese Zinsfußer­ höhung beträgt auf die Miete umgerechnet un­ gefähr 8% der Friedensmiete. In der Fest­ setzung der gesetzlichen Miete werden die darin enthaltenen Einzelsätze jetzt nicht mehr detailliert, mit Ausnahme des Anteils für laufende Jnstandssetzungsarbeiten, der zur Zeit mit 17% der Friedensmiete in Ansatz gebracht ist. Das ist begründet in § 11 der V. vom 17. 4. 1924 (GS.

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474), der die Gemeindebehörde zur Sicherung der notwendigen Reparaturen, soweit sie gemäß §§ 3 und 5 des R. laufende Instandsetzungskosten sind, gegenüber dem Vermieter ermächtigt und verpflichtet. Die Gemeinde kann im Falle des Ver­ zugs mit notwendigen Reparaturen auf Antrag des Mieters oder der Mietervertretung (vgl. § 17 R. und §§ 11,19 der preuß. B. vom 17. 4. 1924), der in § 10 der V. vom 17. 4. 1924 noch ein Kon­ trollrecht eingeräumt ist, entweder: a) diese Repa­ ratur selbst vornehmen und die dafür erforder­ lichen Kosten in Höhe des in der gesetzlichen Miete enthaltenen Bestandteils für laufende Instand­ setzungen einziehen — als praktisch zweckmäßig am meisten gehandhabt — oder b) den Antrag­ steller zur Selbstvornahme ermächtigen oder c) die Vornahme unter Strafandrohung bis 1000 RM verlangen. Als laufende Jnstandsetzungsarbeiten gelten insbesondere Reparaturen an Gas- und Wasserleitungen, Kanalisation, Erneuerung und Anstrich von Fußböden, Wänden, Decken, Türen, schlechthin die Ausbesserung von kleineren Schä­ den aller Art. Es gehören an sich dazu auch die sog. Schönheitsreparaturen; das sind laufende In­ standsetzungen, die zur Erhaltung und Bewohn­ barkeit der Gebäude nicht notwendig sind, son­ dern nur der Verschönerung dienen, wie das Tapezieren und Anstreichen oder Kalken der Wände und Decken, das Streichen der Fußböden und der Fenster und das Streichen der Türen (§ 7 der preuß. V. vom 17.4. 1924). Für diese Schönheitsreparaturen ist der § 11 a. a. O. nicht anwendbar (vgl. RundErl. des MfV. vom 24. 4. 1925 II 6 Ziff. 528). Dagegen hat in Preußen der Mieter das Recht, die Miete gemäß § 7 obiger B. um den für Schönheitsreparaturen in der gesetzlichen Miete enthaltenen Betrag, der auch jetzt noch aus 4% festgesetzt ist, zu kürzen. Im Falle der Nichtaussührung einmal übernommener Schönheitsreparaturen durch den Mieter ist der Vermieter berechtigt, diese wieder selbst vorzu­ nehmen und zu verlangen, daß der Mieter vom nächsten Zahlungstermin ab den vollen, für lau­ fende Jnstandsetzungsarbeiten bestimmten Teil der Miete zahlt, d. h. die nunmehr vollgesetzliche Miete. Unter Umständen kann die Ausführung notwendiger Jnstandsetzungsarbeiten über diese Vorschriften des R. hinaus im öffentlichen In­ teresse erzwungen werden auf Grund § 10II17 ALR. und Art. 6 § 3 des preuß. WohnungsG. vom 28. 3. 1918 (GS. 23). S. Näheres unter Baupolizei und unter Wohnungsaufsicht. Wenn auch die Berechnung der gesetzlichen Miete im allgemeinen jetzt einfach ist, so ergeben sich dennoch häufig Schwierigkeiten bei Meinungs­ verschiedenheiten der Parteien über die Grund­ lage der Berechnung, der Friedensmiete. Uber ihre Höhe hat zwar der Vermieter dem Mieter auf Verlangen Auskunft zu geben, insbesondere den diesbezüglichen Mietvertrag dem Mieter vor­ zulegen. War eine Friedensmiete nicht ver­ einbart oder weicht sie aus besonderen Gründen z. B. infolge von engem verwandtschaftlichen Verhältnis in außerordentlichem Umfange von dem damaligen ortsüblichen Mietzins ab oder sind die Räume seitdem erheblich baulich ver­ ändert worden, oder dienen sie jetzt wesent­ lichen anderen Zwecken, oder läßt sich endlich die Friedensmiete nicht mehr feststellen, so

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Reichsmilitärgericht — Reichsministerium für die besetzten Gebiete

kann jede der beiden Parteien das Mieteini­ gungsamt um Feststellung der Friedensmiete ersuchen, das als dafür ausschließlich zuständig gemäß § 2, 4 des R. mit konstitutiver, also nicht lediglich deklarativer Wirkung als Friedensmiete den ortsüblichen Mietzins, d. i. der Mietzins, der für die am 1. 7. 1914 beginnende Zeit für Räume gleicher Art und Lage regelmäßig vereinbart wurde, neu festzusetzen hat. Dabei ist nach Rechtsprechung des KG. auch der Veränderung der Gegend Rechnung zu tragen. Eine erweiterte Berücksichtigung baulicher Veränderung ist durch die gemäß Novelle vom 10. 7. 1926 (RGBl. 403) eingeführte „Zusatzmiete" im § 13 a des R. er­ folgt. Danach kann der Vermieter die zur an­ gemessenen Verzinsung und Tilgung des zweck­ mäßig aufgewandten angemessenen Kapitals er­ forderlichen Beträge nach dem Verhältnis der Friedensmieten auf die Mieter umlegen, für die der Gebrauchswert der gemieteten Räume er­ höht wird. Wird der Gebrauchswert in verschie­ denem Umfang erhöht, so hat die Umlegung nach dem Verhältnis der Erhöhung zu erfolgen. Im Streitfall entscheidet das Mieteinigungsamt. Die oberste Landesbehörde ist noch ermächtigt, eine Zusatzmiete sestzusetzen, soweit die baulichen Ver­ änderungen auf Grund behördlicher Anordnung im öffentlichen Interesse vorgenommen worden sind. Für Preußen ist das nicht geschehen. End­ lich ist in 8 2 der preuß. V. vom 17. 4. 1924 ange­ ordnet, daß bei Übernahme von nach BGB. einer der Parteien nicht obliegenden Nebenleistungen und Verpflichtungen vor dem 1. 7. 1924, falls dieser Umstand auf die Festsetzung der Höhe des Mietzinses damals von Einfluß war, diese Neben­ eistungen und Verpflichtungen in Geld zu ver­ anschlagen und bei Bemessung der Friedesmiete zu berücksichtigen sind. Im Streitfall entscheidet auch hier das Mieteinigungsamt; jedoch kann ge­ mäß Abs. 4 a. a. O. auch die Gemeindebehörde für solche Leistungen usw. einen Hundertsatz der Friedensmiete allgemein bestimmen. Besondere Bestimmungen enthält das RG. ini § 10 für gewerbliche Räume, indem für solche allge­ mein höhere Zuschläge als für Wohnräume be­ sonders festgesetzt werden können. Preußen hat davon keinen Gebrauch gemacht. Diese Sonderbestimmung ist auch im wesentlichen in Preußen überholt durch die preuß. LockerungsV. vom 11. 11. 1926 (GS. 300), nach der für alle Räume, die nicht Wohnräume sind (vgl. § 6 dieser V.) auch das R. aufgehoben ist. Ähnlich verhält es sich bezüglich der Untermiete, für die das R. nach der preuß. V. vom 12. 12. 1924 (GS. 760) nur noch gilt, sofern es sich um mö­ blierte Zimmer handelt, die eine selbständige Wohnung nicht darstellen (s. Näheres unter Zimmervermieten). Die Kosten der Heiz­ stoffe für Sammelheizung und Warmwasserver­ sorgung sind auch heute noch gesondert von der gesetzlichen Miete zu berechnen und von den Mie­ tern zu tragen (§§ 12,13 des R. und§ 19 der preuß. V. vom 17.4.1924). Ihre Berechnung soll grund­ sätzlich nach Quadratmetern der beheizten Fläche erfolgen; jedoch kann die Gemeindebehörde einen anderen Maßstab festsetzen (§ 15 der B. vom 17. 4. 1924; s. auch RE. des KG. vom 25. 6. 1927 — 17 Y 44/27). Infolge der durch die In­ flation hervorgerufenen Schwierigkeiten konnte

auf Antrag die Sammelheizung und Warmwasser­ versorgung ganz oder teilweise eingestellt werden; deshalb läßt § 16 der gedachten V. für Preußen auf Anruf einer der Mietsparteien die Wieder­ inbetriebsetzung durch das Mieteinigungsamt ganz oder teilweise zu, das gleichzeitig über die dadurch verursachten Kosten entscheiden kann. Die Unter­ haltung dieser Einrichtung hat nach wie vor der Vermieter, unbeschadet seines Umlagerechts für die Kosten der Heizstoffe. Die Bestimmungen des R. betreffend Mietervertretung, insbesondere auch Mieterverzeichnis und große Instandsetzungen, sind durch die eben geschilderte Art der nunmehr einheitlichen Mietzinsberechnung überholt; die Mietervertretung, über die § 19 der B. vom 17. 4. 1924 noch rechtsgültige Bestimmungen trifft, hat praktische Bedeutung nur noch bei der Mitwirkung der Mietervertretung in Häusern mit Sammel­ heizung und Warmwasserversorgung. G. A. Ebel, Reichsrnietengesetz 1922; Hertel, Gesetzliche Miete, Bd. 2, 1927; Ruth, Das Mietrecht der Wohnund Geschäftsräume 1926.

ReichSmilitärgericht s. Militärgerichte III. Reichsminister s. Reichsregierung. ReichZministerium deS Innern. Die Zuständig­ keit umfaßt alle, nicht besonderen Reichsministe­ rien oder sonstigen Dienststellen überwiesene Ver­ waltungsgeschäfte des Reiches, insbesondere Ver­ fassung, Gesundheitswesen, Staatsangehörigkeit, Fremdenpolizei, Bildung und Schule, Sicherheit und Ordnung. Angegliedert: Reichsbeauftragter für das Wahlprüsungsverfahren, Zentralstelle für Gliederung des Deutschen Reiches, Reichskunstwart, Zentralausgleichstelle (für die Wartestands­ beamten der ehemaligen Wehrmacht). Es ressortieren vom Ministerium: Reichswahlleiter, Ge­ setzsammlungsamt, Bundesamt für das Heimat­ wesen, Reichsdisziplinarbehörden, Reichsgesund­ heitsamt, Physikalisch-Technische Reichsanstalt, Chemisch-Technische Reichsanstalt, Reichsamt für Landesaufnahme, Reichsarchiv, Reichsstelle für das Auswanderungswesen, Reichskommissare für dasAuswanderungswescn,Filmprüfstellen,Reichs ­ kommissar für Überwachung der öffentlichen Ord­ nung, Zentralnachweis für Kriegerverluste und Kriegergräber, Reichsanstalt für Erdbebenfor­ schung, Kommissar der freiwilligen Krankenpflege, Deutsches Archiv für Jugendwohlfahrt, Zentral­ direktion der monumenta Germaniae historica, Minderheitsamt für Oberschlesien, Kaiser-Wil­ helm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaf­ ten, Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, Reichszentrale für naturwissenschaftliche Bericht­ erstattung, Rathenau-Stiftung. Im Bereich des RMdJ. werden außer dem RMBl. (wegen RG­ Bl. s. das.) herausgegeben: die Anstellungsnachrichten für Versorgungsanwärter das Reichs­ handbuch, das Reichsgesundheitsblatt, die Arbeiten aus dem Reichsgesundheitsamt, das Nachrichten­ blatt für Auswanderungswesen, die Statistik des Deutschen Reichs und die Vierteljahrshefte zu derselben. (S. auch Reichsbehörden und -regierung.) Ly. ReichSministerium für die besetzten Ge­ biete. Es wurde durch Erl. des Reichspr. vom 24. 8. 1923 über die Errichtung des R. f. d. b. G. (RGBl. I 832) ins Leben gerufen. Ihm obliegt die Bearbeitung aller das besetzte Gebiet be­ treffenden Angelegenheiten politischer, wirtschaft-

Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft — Reichspräsident

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Mittel; 6. Reichsausschuß für Bodenkalkung, er­ richtet zufolge Erl. vom 26. 11. 1923 zur gutacht­ lichen Mitwirkung in allen Fragen der Boden­ kalkung; 7. Reichsausschuß für Technik und Land­ wirtschaft seit Oktober 1920 als Beirat in Fragen der technischen Durchdringung der Landwirtschaft und ihrer Versorgung mit technischen Hilfsmitteln; 8. Reichsausschuß für Moorkultur und Ödland­ erschließung, errichtet durch Erl. vom 30. 6. 1921 zur sachverständigen Mitwirkung in den das Reich berührenden Fragen der Urbarmachung von Moor- und Odländereien; 9. Reichsausschuß für Ernährungsforschung zur gutachtlichen Mitwir­ kung in allen auf ernährungswissenschaftlichem Gebiet liegenden Fragen; 10. Beirat für Weinbau und Weinhandel, errichtet durch Erl. vom 5. 12. 1919; 11. Beirat für Obst- und Gemüsebau, Erl. vom 1. 2. 1924; 12. Reichsforstwirtschaftsrat, errichtet 1919 als ständiger forstlicher Beirat und Gutachterorgan für sämtliche Reichs- und Landes­ behörden; 13. Reichsausschuß für Holzhandel, Säge- und Papierholzindustrie, Beirat und Gut­ achterorgan des R.; 14. Reichskuratorium für milchwirtschastliche Forschungsanstalten. An dem R. Nachgeordnete Stellen sind zu nennen: 1. die Biologische Reichsanstalt für Land- und Forst­ wirtschaft (s. d.); 2. das Forschungsinstitut für Agrar- und Siedlungswesen mit der Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung auf dem bezeichneten Gebiete sowie zur Ergänzung der Lehrpläne der Hochschulen zu der Ausbildung höherer Beamten der landwirtschaftlichen Verwaltung und des Siedlungswesens. Pr. ReichSmonopolamt, Reichsmonopolverwal­ tung s. Branntweinmonopol CIII. R eichSoberhandeldgericht. Bei derNeuordnung der Gerichtsorganisation in Preußen im Jahre 1849 wurde als oberste Instanz das Obertribunal eingerichtet, mit welchem später auch die besonde­ ren letzten Jnstanzgerichte für das Gebiet des Rheinischen Rechts und der späteren Neuerwer­ bungen verbunden wurden. Von 1874—1879 war das Obertribunal letzte ordentliche Gerichts­ instanz für ganz Preußen. Seine Zuständigkeit war aber schon durch das auf Grund des BundesG. vom 12. 6. 1869 eingerichtete (Bundes- später) Reich oberhandelsgericht beschränkt worden. Die­ ses war letzte Instanz in Handelssachen (im Sinne des § 13 des G.), für Entschädigungsansprüche nach dem G. über die Abgaben von der Flößerei vom 1. 6. 1870, für Ansprüche aus dem Gebiete des Urheberrechts, aus dem G. über die Haftpflicht der Eisenbahnen vom 7.6.1871, aus dem G. über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. 3. 1873, aus der Strandungsordnung vom 17. 5. 1874, aus dem BankG. vom 14. 3. 1875. Mit Einführung der ReichsjustizG. (1. 10. 1879) ist an seine Stelle das RG. getreten. Bt. ReichSpostministerium s. Postbehörden. Reichspräsident. Als zweites aus unmittel­ baren Wahlen des Volkes hervorgehendes Organ stellt die RB. neben den RT. den R. (Art. 41 bis 51 RB.). Er wird im Falle der Verhinderung oder einer vorzeitigen Erledigung der Präsident­ schaft bis zur Durchführung der Neuwahl durch den RK. vertreten; dauert die Verhinderung vor­ aussichtlich längere Zeit, so wird die Vertretung durch SonderG. geregelt (Art. 51 RV.; nach dem Tode des ersten R. wurde auf Grund des G. vom 29 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. ii.

kicher und finanzieller Art. Ihm unterstellt ist der Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete in Koblenz und die Reichsvermögens­ verwaltung in Koblenz nebst ihren Unterbehör­ den. Der erste Nheinminister war der derzeitige OP. der Rheinprovinz Fuchs. Zur Zeit wird das Rheinministerium vom NK. Marx mitver­ waltet. R. Reichsministerium für Ernährung und Land­ wirtschaft. Die durch Erl. des Reichspr. vom 30. 3.1920 (RGBl. 379) erfolgte Errichtung eines besonderen Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erfüllte den in der National­ versammlung wiederholt, insbesondere bei der Beratung des Haushaltplans für das Jahr 1919 von fast allen Parteien geäußerten Wunsch, daß zu einer umfassenderen Förderung der landwirt­ schaftlichen Erzeugung der Landwirtschaft in der Organisation der obersten Zentralbehörden eine selbständige Stellung eingeräumt werde. In ihm vereinigten sich die Befugnisse des durch Erl. vom 5. 9. 1919 (RGBl. 1519) mit dem RWirtM. ver­ schmolzenen früheren Reichsernährungsministe­ riums mit den Aufgaben, die teils dem früheren Reichsamt des Innern gestellt waren, teils sich aus der Dringlichkeit einer verstärkten Produk­ tionsförderung ergaben und nur unter ziel­ bewußter Führung und Beteiligung des Reichs erfolgreich gelöst werden können. Die Geschäfte des R. werden in zwei Abteilungen bearbeitet. Der Aufgabenkreis der Abt. I umfaßt: Allgemeine Fragen der landwirtschaftlichen Erzeugung und der Ernährung, Preisbildung, Kartelle, Getreide, Kartoffeln, Zucker, Gärungsgewerbe, Hefe, Branntwein, Obst, Wein, Tierzucht, Fleisch, Fett, Molkereiwesen, Düngemittel, Pflanzen­ schutz, Schädlingsbekämpfung, Agrarstatistik, land­ wirtschaftliche Steuerfragen, landwirtschaftliches Arbeiterwesen, Forst- und Holzwirtschast. Zum Aufgabenkreis der Abt. II gehören: Zoll- und Handelsvertragspolitik,land wirtschaftliche Berufs­ vertretung, landwirtschaftliches Genossenschafts­ und Kreditwesen, ländliches Meliorations- und Siedlungswesen, besetztes Gebiet, Durchführung des Friedensvertrags, Futtermittel, Fischerei. Eine größere Anzahl Kommissionen, Ausschüsse und Beiräte bestehen für einzelne Angelegen­ heiten. 1. Die deutsche wissenschaftliche Kom. für Meeresforschung mit der Aufgabe, im Inter­ esse der praktischen Seefischerei Meeresunter­ suchungen in den nordeuropäischen Meeren, ins­ besondere der Nord- und Ostsee, anzustellen; 2. Sachverständigenrat für Futtermittel zufolge Erl. vom 14. 7. 1919 als ständiges Gutachter­ organ in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung; 3. Gutachterkommission für Mischfutter, errichtet auf Grund der V. über Mischsutter vom 8. 4. 1920 (RGBl. 491) als Gutachterorgan bei den nach dieser V. zu erlassenden Entscheidungen; 4. Wissen­ schaftliche Sonderkommission für Mischsutter, er­ richtet aus Grund der unter 3 bezeichneten B. als Gutachterorgan, falls Zweifel bestehen, ob es sich um Tierheilmittel oder Mischsutter handelt; 5. Reichsausschuß für die Förderung sachgemäßer Düngerverwendung (Reichsdüngerausschuß) zur Anregung wissenschaftlicher und praktischer Ver­ suche und anderer Maßnahmen sowie Sammlung und Bearbeitung der durch die Versuche ge­ wonnenen Ergebnisse; Verteilung vorhandener

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Reichspräsident

10. 3.1925 der Präsident des RG. mit der Stell­ vertretung des N. betraut.) Durch dieses Organ unterscheidet sich die RV. von den das Direktorial­ system vorsehenden Verfassungen (Schweiz, Preußen usw.), welche keinen Staatspräsidenten als besonderes Organ kennen, und von der Fran­ zösischen Verfassung, nach welcher der Präsident durch die aus Senat und Deputiertenkammer bestehende Nationalversammlung gewählt wird, also ein parlamentarisches Organ darstellt. Auf der anderen Seite unterscheidet sich die Stellung des R. ganz wesentlich von derjenigen des nord­ amerikanischen Präsidenten, welcher zwar auch aus Bolkswahlen hervorgeht (aus indirekten, wo­ bei die einzelnen Staaten die Art der Wahl­ männerwahlen selbständig regeln), aber in der Ausübung der Regierungsgewalt parlamentarisch völlig unabhängig ist und somit gewissermaßen einen alle vier Jahre neu zu wählenden konsti­ tutionellen Monarchen darstellt. Die deutsche RV. hat dagegen die Montesqieusche Lehre von der Trennung der drei Gewalten: Gesetzgebung, Regierung, Rechtsprechung, nicht voll zur Durch­ führung gebracht. Der R. hat zwar, wie früher der Kaiser, die Vertretung des Reiches nach außen (mit Einschränkungen bezüglich der Kriegserklä­ rung und des Abschlusses zwischenstaatlicher Ver­ träge), die Organisations- und Dienstgewalt, den Oberbefehl über die Reichswehr, die Ernennung der Beamten usw. Aber seine sämtlichen Ne­ gierungshandlungen, auch die Auflösung des RT. und die Herbeiführung eines Volksentscheides über ein vom RT. beschlossenes G., das er nicht ver­ künden will, bedürfen der Gegenzeichnung eines der sämtlich dem RT. verantwortlichen Minister, er kann auf Antrag des RT. wegen Verletzung der RB. oder der G. angeklagt und einer Volks­ abstimmung über seine Absetzung unterworfen werden. Wahl des R. (Art. 41 RV. und G. vom 4. 5. 1920, RGBl. 849, in der Fassung des G. vom 6. 3. 1924, RGBl. I 168; Neichsstimmordnung vom 14. 3. 1924, RGBl. I 173, in der Fassung der V. vom 17. 3. 1925, RGBl. I 21). Wählbar ist jeder mindestens 35jährige Deutsche. Die Wahl erfolgt auf sieben Jahre in geheimer un­ mittelbarer Abstimmung durch alle zum RT. Wahlberechtigten mit absoluter Mehrheit. Ge­ gebenenfalls findet eine zweite Wahl (nicht Stich­ wahl) statt, bei welcher die einfache Mehrheit und, bei Stimmengleichheit, das vom Reichswahlleiter gezogene Los entscheidet. Wiederwahl ist zu­ lässig. Den Wahltag setzt der RT. fest. Das Wahlergebnis unterliegt der Nachprüfung durch das Wahlprüsungsgericht. Der gewählte R. hat vor dem RT. bei Übernahme seines Amtes den in seinem Wortlaut durch Art. 42 RV. vor­ geschriebenen Eid zu leisten. Er darf nicht Mit­ glied des RT. sein und muß gegebenenfalls sein Mandat niederlegen. Zuständigkeit: A. Er vertritt das Reich völkerrechtlich, beglaubigt und empfängt die Ge­ sandten und schließt im Namen des Reiches Bündnisse und Verträge mit auswärtigen Mäch­ ten, wozu es der Zustimmung des RT. bedarf, wenn Gegenstände der Reichsgesetzgebung be­ troffen werden; Kriegserklärung und Friedens­ schluß erfolgen durch ReichsG. (Art. 45 RV.). B. Er hat den Oberbefehl über die gesamte Wehr­

macht; unter ihm übt der RWM. gemäß dem NeichswehrG. (s. d.) die Befehlsgewalt aus. C. Er ernennt und entläßt die Neichsbeamten und Offiziere, soweit nicht durch G. oder kraft Delegation des N. etwas anderes bestimmt ist (s. Beamte), v. Er übt das Begnadigungs­ recht (s. d.) aus, soweit es dem Reiche zusteht. Reichsamnestien bedürfen eines besonderen NcichsG. (Art. 49 RV.). E. Er kann nach Art. 48 RV. ein Land, das die ihm nach der RV. oder den ReichsG. obliegenden Pflichten nicht erfüllt, dazu mit Hilfe der Wehrmacht anhalten. Voraus­ setzung ist Verletzung der bezeichneten Pflichten durch Nichterfüllung oder positiven Verstoß (Kompetenzüberschreitung) seitens einer Landes­ regierung oder einer Landesstelle, für welche die Landesregierung einzustehen hat, und, dem Sinne des Art. 48 RV. nach, ein vergeblicher Ver­ such der gerichtlichen Entscheidung über die zwischen Reichs- und Landesregierung bestehenden Meinungsverschiedenheiten betreffend das Be­ stehen und die Verletzung einer Pflicht- Aus der im Eide übernommenen Pflicht zur Wahrung der RV. und ReichsG. wird die P s l i ch t zur Einleitung der Exekution beim Versagen anderer Druckmittel gefolgert. Ziel der Maßnahmen ist die Verwirk­ lichung der versäumten Pflicht; sie dürfen keinen Strafcharakter tragen und richten sich gegen die Landesregierung, nicht gegen die Einwohner (Staatsgerichtshos in RGZ. 104, 427; Beispiel: Exekution gegen Freistaat Sachsen durch B. vom 29.10.1923, RGBl. 1995; Giese, RV. 1926, Anm. 2, 3 zu Art. 48). Wegen der Freiheit in der Wahl der Mittel und der Verantwortung gegenüber dem RT. gelten die Ausführungen bei F (s. u.) gleichmäßig. F. Ebenfalls auf Grund des Art. 48 RV. hat der R. das Recht, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung ge­ stört oder gefährdet ist, die zu ihrer Wieder­ herstellung nötigen Maßnahmen zu treffen, ge­ gebenenfalls unter Einsetzung der bewaffneten Macht. Auch kann er in einem solchen Falle vor­ übergehend die in Art. 114, 115, 117, 118, 123, 124 u. 153 RV. festgesetzten Grundrechte (Frei­ heit der Person, Unverletzlichkeit der Wohnung, Brief- und Postgeheimnis, Preß- und Zensur­ freiheit, Versammlungsfreiheit, Bereinssreiheit, Gewährleistung des Eigentums) ganz oder teil­ weise außer Kraft setzen (Verhängung des Aus­ nahmezustandes). Welche Maßnahmen im Einzelfall zu ergreifen sind, darüber hat, da das zur Ausführung des Art. 48 RV. vorgesehene ReichsG. noch nicht ergangen und das preuß. G. vom 4. 6. 1851 betr. den Belagerungszustand, das nach Art. 68 der alten RB. vorläufig auch für das Reich maßgebend war, mit Aushebung der alten RV. bis auf einige in dem G. vom 30. 11. 1919 (RGBl. 1941) aufrechterhaltene Strafbestimmungen in Fortfall gekommen ist, der R. nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden. In Frage kommen: a) der Erlaß von V. mit Gesetzeskraft durch den R. oder durch von ihm dazu ermächtigte Stellen (ein Notverordnungs­ recht wie in Preußen besteht für das Reich an sich nicht), b) die Übertragung der vollziehenden Gewalt auf die Militärbehörden und die Ein­ setzung von Sondergerichten (zu unterscheiden von den einen Einzelsall betreffenden, durch Art. 105 RV. verbotenen Ausnahmegerichten), Kriegs-

Reichspräsident

und Standgerichten (die durch Art. 105 RV. zu­ gelassen sind). Sämtliche auf Grund des Art. 48 NV. getroffenen Maßnahmen des R. bedürfen der Gegenzeichnung (s. unten), sind dem RT. unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und auf dessen Verlangen außer Kraft zu setzen. Bei Gefahr im Verzüge können die in Art. 48 Abs. 2 RV. vorgesehenen Maßnahmen (Außer­ kraftsetzung der Art. 114ff.; s. oben) einstweilig auch von einer Landesregierung für ihr Gebiet ge­ troffen werden. Sie sind aus Verlangen des R. oder des RT. außer Kraft zu setzen. Das preuß. Notverordnungsrecht (Art. 55 der preuß. Ver­ fassung) kann zu diesem Zwecke in Anwen­ dung gebracht werden; es geht aber darüber hinaus (s. Gesetze, Preußische). G. Er er­ nennt den RK. und auf dessen Vorschlag die Reichsminister. H. Er kann die vorzeitige Be­ rufung des RT. verlangen und ihn auflösen, jedoch nur einmal wegen desselben Anlasses (Art. 24 u. 25 RV.). I. Wegen der Mitwirkung des R. bei der Gesetzgebung s. Gesetze (ReichsG.). K. Außerdem sind dem R. durch die RV. und die G. eine Reihe von weniger wichtigen Ver­ waltungsmaßnahmen übertragen. Verantwortlichkeit. Alle Anordnungen und Vf. des R., auch solche auf dem Gebiete der Wehr­ macht, bedürfen der Gegenzeichnung des RK. oder des zuständigen Reichsministers, die dadurch an Stelle des R. dem RT. gegenüber die Verant­ wortung übernehmen (Art. 50 RV.). Der R., der RK. und die Reichsminister können auf einen von mindestens 100 Mitgliedern des RT. unter­ zeichneten Antrag, dem die für Verfassungs­ änderungen erforderliche Mehrheit zustimmen muß, vor dem Staatsgerichtshof des Reiches (s. d.) wegen schuldhafter Verletzung der RV. oder eines ReichsG. angeklagt werden (Art. 59 RV.). Auch abgesehen von einem solchen Verschulden kann der RT. mit Zweidrittelmehrheit die Herbei­ führung eines Volksentscheides über die Absetzung des R. beschließen. Dadurch ist der R. vorläufig an der weiteren Ausübung seines Amtes behindert. Für die Volksabstimmung genügt einfache Mehr­ heit. Wegen der Abstimmung gelten die Vor­ schriften über den Volksentscheid (s. Gesetze, ReichsG.). Ergibt die Abstimmung keine Mehr­ heit für die Absetzung, so gilt sie gleichzeitig als Neuwahl (auf sieben Jahre) und hat die Auflösung des RT. zur Folge (Art. 43 RV.). Persönliche Rechte des R. Er kann ohne Zustimmung des RT. strafrechtlich nicht verfolgt werden. Er soll nicht zum Schöffen oder Ge­ schworenen berufen werden. Er ist als Zeuge in seiner Wohnung zu vernehmen, wird im Strafprozeß zur Hauptverhandlung nicht geladen und braucht im Zivilprozeß nicht persönlich an Gerichtsstelle zu erscheinen. Er kann das Zeugnis verweigern, soweit einem Beamten die Genehmi­ gung zur Zeugenaussage wegen Gefährdung des Wohles des Reiches oder eines Landes versagt werden würde. Gleiche Vorrechte stehen den Lan­ despräsidenten zu (§34 GVG.; §§49,54 StPO.; §§ 375, 376 ZPO.). Das Gehalt des R. wird durch den Haushaltsplan festgesetzt. Zur Zeit beträgt es 60000 RM und 120000 RM Aufwands­ entschädigung. Nach bem G. vom 31. 12. 1922 (RGBl. 1923 I 23), abgeändert durch G. vom 3. 6. 1925 (RGBl. I 81), erhält derR. als Ruhe­

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gehalt beim Ausscheiden aus dem Dienst wegen Ablauf der Wahlperiode, wegen Dienstunfähig­ keit oder wegen politischer Gründe: a) ein Gnaden­ vierteljahr, b) ein Übergangsgeld von drei Viertel seiner Bezüge für ein weiteres Jahr, c) alsdann einen Ehrensold von der Hälfte der Bezüge. Die Dienstaufwandsentschädigung bleibt in allen Fällen ohne Berücksichtigung. Die Witwe eines im Dienste oder im Genuß des Ruhegehalts befindlichen N. erhält ein Witwengeld von der Hälfte der Höhe des Ehrensoldes, die ehe­ lichen und legitimierten Kinder das sich daraus nach den Grundsätzen des BeamtenhinterbliebenenG. ergebende Waisengeld. Dazu treten die Kinder- und Teuerungszuschläge wie bei den Beamtenhinterbliebenen. Ferner steht den be­ zeichneten Hinterbliebenen vor dem Genuß der genannten Bezüge das Gnadenvierteljahr zu. Das Bureau des R. besteht aus einem Mini­ sterialdirektor mit dem Titel Staatssekretär, Re­ ferenten und sonstigen Beamten. Ly. ReichSprüfungsinsPektoren. Sie haben dar­ über zu wachen, daß die Vorschriften über die Prüfung der Seeschifser, der Seesteuerleute und der Seedampfschiffsmaschinisten befolgt und über­ all gleichmäßige Anforderungen an die Prüf­ linge gestellt werden. Die R. werden nach An­ hörung des Reichsratsausschusses für Handel und Verkehr berufen. Der P. für die Schiffer- und Steuermannsprüsungen wird vom Reichspr. er­ nannt; die Prüfungsinspektoren für die Maschinistenprüsungen bestellt der RK. F. H. Reichsrat. Der R. (Art. 60—65 RV.) ist zur Vertretung der Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches bestimmt. Er ist nicht wie der frühere BR. der Repräsentant der Bundesstaaten als Träger der Souveränität des Reiches und gleichzeitig der obersten Reichsgewalt (neben dem Kaiser). Wenn auch durch Art. 179 verbunden mit §§ 2—5 des ÜbergangsG. vom 4. 3.1919 (RGBl. 285) die nach den noch aufrecht­ erhaltenen früheren G. dem BR. zustehenden Befugnisse auf den R. übergegangen sind, so handelt es sich dabei doch nur um die Mitwirkung des BR. bei der Ausführung der ReichsG. und den Reichsverwaltungsgeschäften, nicht um seine durch die Staatsumwälzung beseitigten Obliegen­ heiten staatsrechtlicher Natur. Der R. ist auch im Gegensatz zu dem in dem ersten Entwurf der RV. vorgesehenen Staatenhaus keine Erste Kam­ mer (Preuß, Begründung des Berfassungsent­ wurfs) und deshalb bei der Gesetzgebung so gut wie ausgeschaltet. Er ist kein Organ der Länder, sondern des Reiches (Giese zu RV., IV. Abschnitt). Zusammensetzung. Auf je 700000 Ein­ wohner der einzelnen Länder entfällt eine Stimme, wobei ein Überschuß von mindestens 350000 als volle 700000 gerechnet wird. Die Stimmenzahl wird nach jeder allgemeinen Volks­ zählung (im Reiche) durch den R. neu festgestellt. Kein Land darf mehr als zwei Fünftel aller Stimmen, und jedes Land muß wenigstens eine Stimme erhalten. Die Vorschrift in Art. 61 Abs. 2 RV., betr. die Beteiligung Deutschöster­ reichs, ist durch den den Anschluß verbietenden Art. 80 des Friedensvertrags (s. d.) vorläufig bedeutungslos. In den Ausschüssen des R. führt jedes Land nur eine Stimme. Die Zahl der Vertreter beträgt zur Zeit: Preußen 27, Bayern 29*

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Reichsrayonkommission — Reichsregierung

11, Sachsen 7, Württemberg 4, Baden 3, Thü­ ringen, Hessen und Hamburg je 2, die übrigen Länder je 1. Die Mitgliedschaft wird durch Ver­ treter der betreffenden Landesregierung (nicht des LT.) ausgeübt, doch wird laut Art. 63 RB. die Hälfte der preußischen Stimmen nach Maßgabe eines preuß. G. von den Provinzialverwaltungen gestellt. Dazu ist das Preuß. AG. vom 3. 6.1921 (GS. 379) nebst ErgänzungsG. vom 25. 2.1926 (GS. 163) sAA. MBl. 1921,186] ergangen. Rach diesem wird die Wahl durch die Provinzialaus­ schüsse bzw. den Berliner Magistrat bewirkt. Wähl­ bar sind alle mindestens 25jährigen Reichsange­ hörigen, die seit einem Jahre ihren Wohnsitz in der betreffenden Provinz haben. Die Gründe der Nichtwählbarkeit sind dieselben wie bei der Land­ tagswahl. Die Form ist die geheime Verhältnis­ wahl, bei welcher die einfacheMehrheit entscheidet; gegebenenfalls findet Nachwahl zwischen den beiden besten Kandidaten statt, und falls dieselbe Stimmengleichheit ergibt, entscheidet das durch den Vorsitzenden zu ziehende Los. Nach Neuwahl der Wahlkörper findet auch Neuwahl der Provinzial­ vertreter zum R. statt; bei Ausscheiden eines ge­ wählten .Stellvertreters ist Ersatzwahl vorzu­ nehmen. Ändert sich die Zahl der Wahlkörper oder der auf Preußen entfallenden Stimmen, so wird das Nähere durch G. bestimmt. Dement­ sprechend hat das ErgänzungsG. vom 25. 2. 1926 (GS. 163) die Preußen neu zugefallene 27. Stimme der Staatsregierung zugeteilt. Die Entschädigung der Provinzialbevollmächtigten ist durch B. vom 7. 11. 1922 (GS. 441), abgeändert durch V. vom 28. 9. 1923 (GS. 448), geregelt. Zuständigkeit, a) Initiative bei der Gesetz­ gebung, b) Zustimmung zu Gesetzesvorlagen der Reg. (Art. 69 RB.), c) Zustimmung zum Etatgesetz, soweit der RT. die Vorschläge der Regierung erhöht oder erweitert (Art. 85), d) Einspruch gegen die vom RT. beschlossenen G. (Art. 74 RV.), e) Verlangen eines Volksentscheides, wenn der RT. trotz Einspruchs des R. eine Ver­ fassungsänderung beschlossen hat (Art. 75 RB.), f) Zustimmung zu B. der Reichsregierung, wenn die Ausführung der ReichsG. den Ländern zu­ steht (Art. 77 RB.) und zu Bahnverordnungen (Art. 91 RV.), g) Zustimmung zur Errichtung von Beiräten für die Eisenbahn- und Wasser­ straßenverwaltung (Art. 93, 98). Ferner ist der R. nach Art. 67 RB. allgemein über die Führung der Reichsgeschäfte auf dem laufenden zu halten, und sollen von den Reichsministerien zu Be­ ratungen über wichtige Gegenstände die zustän­ digen Reichsratsausschüsse zugezogen werden. Verhandlungen. Der Geschäftsgang wird durch die vom R. selbst gemäß Art. 66 RB. er­ lassene Geschäftsordnung vom 14. 12. 1921 (ZBl. 976) geregelt. Die Einberufung muß auf Antrag von einem Drittel der Mitglieder durch die Reichs­ regierung erfolgen (Art. 64 RB.). Den Vorsitz in der Vollsitzung und in den Ausschüssen führt ein Mitglied der Reg., und zwar nach § 13 der Geschäftsordnung der Reichsregierung der RMdJ. Die Reichsminister haben die gleiche Ver­ pflichtung bzw. Berechtigung zum Erscheinen in den Sitzungen des R. und seiner Ausschüsse wie beim RT. (Art. 65 RV.; s. auch Reichsregie­ rung). Die Reg. und jedes Mitglied des R. sind zur Stellung von Anträgen befugt. Die Voll­

sitzungen sind, falls nicht bezüglich einzelner Be­ ratungsgegenstände etwas anderes beschlossen wird, öffentlich. Nach § 11 der Geschäftsordnung werden elf Ausschüsse, die aber lediglich beratende Zuständigkeit haben, gebildet. In denselben führt kein Land mehr als eine Stimme (Art. 62 RB.); ein Anspruch auf Vertretung steht keinem Lande zu. Eine Beschlußfähigkeitsziffer ist für die Voll­ sitzungen überhaupt nicht, für die Ausschüsse durch § 37 der Geschäftsordnung eine solche von min­ destens der Hälfte der Mitglieder vorgeschrieben. Bei Abstimmungen entscheidet die einfache Mehr­ heit, bei solchen „aus" Abänderung der RB. ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich (Art. 66, 76 NB.). Der Vorsitzende gibt bei Stimmengleichheit nicht den Ausschlag, so daß in diesem Falle Ablehnung an­ zunehmen ist (Giese). Eine Vorschrift wegen ein­ heitlicher Stimmabgabe fehlt. Für die Länder­ bevollmächtigten ist sie dadurch gesichert, daß ge­ bräuchlicherweise die Stimmabgabe seitens des „stimmführenden" Mitgliedes erfolgt. Das gilt nicht für die preuß. Stimmen, da die Hälfte der preuß. Stimmen von den Provinzialverwal­ tungen gestellt wird. Nach § 8 des G. vom 3. 6. 1921 (GS. 379) führt in den Ausschüssen ein vom StM. bestimmtes Mitglied die preuß. Stimme; doch kann jedes gewählte Mitglied vorherige Beratung mit dem StM. verlangen. In den Vollsitzungen haben die gewählten Mit­ glieder freies Stimmrecht (nach Anschütz, RV. 1926, Anm. 7 zu Art. 63 nur gegenüber der Staatsregierung, nicht gegenüber etwaigen In­ struktionen ihrer Wahlkörper; opp Giese zu Art. 63 RV. und Art. 53 BU.); doch soll zwecks möglichst einheitlicher Stimmabgabe eine vorherige gemein­ same Beratung der Tagesordnung durch die er­ nannten und gewählten Mitglieder stattfinden. Ly. Reichsrayonkommission. Die R. wurde früher durch den Kaiser berufen und war dem Reichs­ schatzamt unterstellt. Die R. ist eine Reichs­ behörde, in welcher die deutschen Staaten, in deren Gebieten Festungen liegen, vertreten sind und deren Vorsitzender der Chef des Stabes der Heeresleitung des RWM. ist. Ihr Sitz ist in Berlin (§ 31 RayonG. vom 21. 12. 1871, RG­ Bl. 459). Ihre Geschäfte sind in der Rhein­ provinz auf die Reichsvermögensverwaltung in Koblenz übergegangen (Bek. vom 19. 5. 1925, RGBl. I 73). Die R. entscheidet über Einsprüche gegen Anordnungen und Entscheidungen der Kommandanturen in Rayonangelegenheiten, so­ wie über die Beschränkungen , denen die Be­ nutzung des Grundeigentums innerhalb der Rayons der ständigen Befestigungen unterliegt, und zwar endgültig. S. Rayongesetz und Reichsbehörden. F. W. F. Reichsregierung. Die R., das sog. Reichs­ kabinett (Art. 52—69 RV.) besteht aus dem RK. und den Reichsministern. Sie werden, und zwar die Minister auf Vorschlag des RK., vom Reichspr. ernannt und entlassen. Der Reichskanzler führt den Vorsitz in der R. und leitet die Geschäfte nach der von ihr beschlossenen, vom Reichspr. genehmigten Geschäftsordnung vom 3. 5. 1924 RMBl. 173. Daneben ist noch eine nicht veröffentlichte „Gemeinschaftliche Geschäfts­ ordnung der Reichsministerien" vom 2. 9. 1926 (s. RMBl. 1926 S. 997, 998) erlassen). Gemäß

Reichsschiedsamt für Arzte und Krankenkassen — Reichsschuld § 7 der Geschäftsordnung kann der Reichspr. einen der Minister als Vizekanzler zum Stell­ vertreter des RK. bestellen. Der Geschäftsbe­ reich der einzelnen Reichsministerien wird, soweit erforderlich, durch V. des Reichspr. in den Grund­ zügen festgestellt (8 8 der Geschäftsordnung). Der RK. bestimmt die Richtlinien der Politik, inner­ halb deren jeder Minister seinen Geschäftszweig selbständig verwaltet, so daß z. B. der RJustM., nicht der RK., amtlicher Vorgesetzter des Ober­ reichsanwalts und der Mitglieder des Staats­ gerichtshofs zum Schutze der Republik ist (Giese zu Art. 56 RB.). Ebensowenig wie der RK. bildet die R. im ganzen eine Beschwerdeinstanz gegenüber den von den einzelnen Ministern inner­ halb ihrer Zuständigkeit getroffenen Maßnahmen. Der kollegialen Beschlußfassung der R. unter­ liegen: a) alle Gesetzentwürfe (auch der Haus­ haltplan ist nach Art. 85 Abs. 2 RB. ein solcher) und dementsprechend auch die Stellungnahme zu den nicht von der Reg. ausgehenden Gesetzes­ entwürfen; b) Angelegenheiten, für welche es durch die RB. (z. B. Art. 15, betr. Aufsicht über die Länder, Art. 66 betr. Anträge im RR., Art. 77, betr. Erlaß allgemeiner Ausführungsvorschriften usw.) oder G. vorgeschrieben ist; c) Meinungs­ verschiedenheiten über Fragen, die den Geschäfts­ bereich mehrerer Minister berühren. Die R. ist beschlußfähig, wenn einschließlich des Vorsitzen­ den die Hälfte der Minister anwesend bzw. durch den betreffenden Staatssekretär oder einen schrift­ lich besonders bevollmächtigten Beamten ver­ treten ist (§§ 30, 31 der Geschäftsordnung). Die Beschlußfassung erfolgt mit Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit gibt der Vorsitzende denAusschlag (Art. 58 RV.). Gegen Beschlüsse von finan­ zieller Bedeutung, abgesehen von den in §§ 20,21 der Reichshaushaltordnung erwähnten, kann der RFM. Widerspruch erheben, wenn sie ohne oder gegen seine Stimme gefaßt sind; sie können zur Ausführung gebracht werden, wenn sie bei einer neuen Sitzung in Gegenwart des RFM. mit Zu­ stimmung des RK. von der Mehheit der Minister wiederholt werden (§ 32 der Geschäftsordnung). Die Gegenzeichnung der G. und V. geschieht durch den federführenden Minister; erstere können auch durch den RK. oder einen anderen Minister gegengezeichnet werden, wenn sie die Gesetzes­ vorlage mitgezeichnet haben (§ 25 der Geschäfts­ ordnung). Die laufenden Geschäfte der R. werden durch die Reichskanzlei bearbeitet; sie besteht aus einem Staatssekretär, einem Ministerialdirektor, dem Pressechef der R. und der erforderlichen Anzahl von Referenten und sonstigen Beamten. Parlamentarische Verantwortlichkeit der R. Gegenüber dem RT. ist der RK. für die von ihm zu bestimmende Gesamtpolitik der Reg. verantwortlich, ebenso jeder einzelne Minister selbständig für seinen Geschäftszweig. Der RK. und jeder einzelne Minister müssen zurücktreten, falls ihnen der RT. durch ausdrücklichen Beschluß das Vertrauen entzieht (Art. 56, 54 RB.). Der Reichspr., der RK. und die Minister können auf einen von mindestens 100 Reichstagsmilgliedern unterzeichneten Antrag durch Beschluß des RT., dem die für Abänderung der RV. erforderliche Mehrheit zugestimmt haben muß, vor dem Staats­ gerichtshof für das Deutsche Reich wegen schuld-

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Hafter Verletzung der RV. oder der ReichsG. angeklagt werden (Art. 59 RB.; s. Staats­ gerichtshof für das Deutsche Reich). Der RT-, der RR. und ihre Ausschüsse können die Anwesenheit des RK. und jedes Reichsministers verlangen, die ihrerseits wieder, ebenso wie ihre Beauftragten, Zutritt zu allen Sitzungen des RT., des RR. oder ihrer Ausschüsse haben und auch außerhalb der Tagesordnung gehört werden müssen. Die Länder dürfen im RT. durch Bevollmächtigte während der Beratung ihren Standpunkt darlegen lassen. Sämtliche Regierungsvertreter unterstehen der Ordnungs­ gewalt des Vorsitzenden (Art. 33, 65 RV.; §§ 96, 97 der Geschäftsordnung). Wegen Beantwortung von Interpellationen und Anfragen s. bei Interpellationen. Mitglieder der R. sollen nicht zu Schöffen und Geschworenen berufen werden (§ 34 GBG.) und genießen besondere Vorrechte bei der gerichtlichen Zeugenvernehmung (§ 382 ZPO.; § 50 StPO.). Das gleiche gilt für Mitglieder des RR., einer Landesregierung und des StR. eines Landes. Die Minister erhalten als Gehalt nach dem RBesG.: RK. Gruppe 1, die Minister Gruppe 2 der BesO. B, die Minister Klasse B 2 der Einzel­ gehälter. Das Ruhegehalt ist noch nicht geregelt; einstweilen wird § 35 RBG. angewendet. Danach besteht ein Anspruch aus Ruhegehalt nur insoweit, als das Ministeramt zwei Jahre bekleidet oder im ganzen (unter Hinzurechnung früherer sonstiger Beamtentätigkeit) eine Dienstzeit von mindestens 10 Jahren erfüllt ist? Ly. ReichSschiedSamt für Arzte und Krankenkaffen s. Arzte VI. ReichSschiffSvermeffungSamk in Berlin be­ aufsichtigt die Vermessung der Seeschiffe und die Eichung der Binnenschiffe auf der Elbe, der Weser, den Wasserstraßen östlich der Elbe und dem Dortmund-Ems-Kanal. Außerdem fertigt es die Maßbriefe für die in Preußen und Lübeck vermessenen Seeschiffe, soweit sie im Schiffs­ register eingetragen worden sind, aus. F. H. ReichSschnld. Nach Art. 73 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. 4. 1871 konnte „in Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme von Anleihen erfolgen". Die aus der Zeit des Nord­ deutschen Bundes stammenden und infolge des Krieges gegen Frankreich aufgenommenen An­ leiheschulden wurden aus den Mitteln der fran­ zösischen Kriegsentschädigung bis zum Bahre 1873 getilgt. Die erste Anleihe, und zwar in Höhe von 43 Mill. Mt hat das Reich im Jahre 1877 auf Grund von Krediten aus den Jahren 1875 und 1876 ausgenommen. Bis dahin brauchten die Kredite nicht in Anspruch genommen zu werden, da die Ausgaben aus verfügbaren Beständen der Reichshauptkasse gedeckt werden konnten. Vom Jahre 1877 ab schwoll die Verschuldung schnell an. Im Jahre 1889 war die erste Milliarde Mark überschritten, im Jahre 1894 die zweite, im Jahre 1903 die dritte und im Jahre 1907 die vierte. Bei Kriegsbeginn im Jahre 1914 betrug die Anleiheschuld ungefähr 5 Milliarden M>. Das schnelle Anwachsen der Anleiheschuld, namentlich bis zum Jahre 1907, ist auf zwei Mängel der Neichsfinanzverfassung zurückzuführen. Erstens fehlte es an einer festen Begrenzung des im

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Meichsschuld

Art. 73 vorgesehenen Begriffs eines außerordent­ lichen Bedürfnisses. Unter dem Druck der schwie­ rigen Finanzlage des Reichs wurde infolgedessen der Begriff des außerordentlichen Bedürfnisses stark erweitert, und es wurden bisweilen selbst zur Finanzierung des ordentlichen Etats sog. „Zuschußanleihen" ausgenommen. Als zweites Moment für das schnelle Steigen der R. ist das Fehlen eines Zwanges zur Tilgung anzusehen. Im Jahre 1900 ersuchte der RT. die verbündeten Reg., feste Grundsätze darüber aufzustellen, welche Ausgaben auf Anleihe übernommen werden dürften. Die Finanzverwaltung kam den Wün­ schen nach und legte in der Denkschrift zum Etat für 1901 die Grundsätze für die Übernahme der Reichsausgaben aus Anleihen fest. Da in der Folge die Deckungsgrundsätze von 1901 nur un­ vollständig Anwendung fanden, faßte der RT. bei der Beratung des Etats für 1906 erneut eine Resolution, in der die verbündeten Reg. ersucht wurden, die Bedürfnisse des außerordentlichen Etats schärfer zu begrenzen und künftig bei Etats­ aufstellungen hiernach zu verfahren. Dem gab die Reg. in der Denkschrift zum Etat für 1907 Folge. Was die Schuldentilgung betrifft, so wurde durch das G., betr. die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der R., vom 3. 7. 1906 (RGBl. 620) eine jährliche Tilgung der R. von mindestens 3/5% vorgeschrieben, wo­ bei eine Absetzung vom Anleihesoll einer Tilgung gleichzuachten war. Eine höhere Tilgung ver­ langte das G., betr. Änderungen im Finanzwesen, vom 15. 7. 1909 (RGBl. 743). Die Bestim­ mungen, welche für Tilgung der zu werbenden Zwecken bereits aufgenommenen Anleihen galten, blieben in Kraft. Im übrigen aber waren die bis zum 30. 9. 1910 begebenen Anleihen jährlich mit mindestens 1% des an jenem Tage noch vorhandenen („validierenden") Schuldkapitals, die vom 1. 10. 1910 ab begebenen Anleihebeträge dagegen, wenn zu werbenden Zwecken bestimmt, mit mindestens 1,9%, im übrigen mit mindestens 3%, nicht des validierenden, sondern des be­ willigten Betrags zu tilgen, in allen drei Fällen unter Hinzurechnung der ersparten Zinsen, als welche 3V2% der zur Tilgung aufgewendeten Summen anzusehen waren. Die zur Schulden­ tilgung erforderlichen Beträge waren alljährlich durch das ReichshaushaltG. bereitzustellen. Ab­ schreibungen vom Anleihesoll und Anrechnungen auf offene Kredite bis zur Höhe der zur Schulden­ tilgung zur Verfügung stehenden Beträge waren einer Tilgung gleichzuachten. Im Jahre 1900 wurde das Reichsschuldenwesen durch die Reichs­ schuldenordnung vom 19. 3. 1900 zusammen­ fassend gesetzlich geregelt. Die Reichsschulden­ ordnung übertrug dem RK. die freie Bestim­ mung darüber, zu welcher Zeit, durch welche Stelle und in welchem Betrage Schuldverschrei­ bungen auf Grund der jeweiligen Anleiheermäch­ tigungen ausgegeben werden sollten. Das gleiche galt von der Bestimmung des Zinssatzes, der Kündigungsbedingungen und des Kurses, zu dem die Anleihen begeben wurden. Die Verwaltung der R. (auch Ausfertigung der Reichsschuld­ urkunden) wurde von der Preußischen Haupt­ verwaltung der Staatsschulden unter der Bezeich­ nung „Reichsfchuldenverwaltung" geführt, und zwar nach den Vorschriften des preuß. G., betr.

die Verwaltung des Staatsschuldenwesens und Bildung einer Staatsschuldenkommission, vom 24. 2. 1850 (GS. 57) in der Änderung der G. vom 29. 1. 1879 (GS. 10), vom 4. 6. 1919 (GS. 134), vom 11. 12. 1920 (GS. 1921, 102) und vom 10. 3. 1922 (GS. 51), mit der Maß­ gabe, daß die obere Leitung, soweit für eine solche Raum war, nicht dem preußischen FM., sondern dem RK. zustand, und daß die in dem preußischen G. vorgesehene fortlaufende Aufsicht von einer Reichsschuldenkommission ausgeübt wurde. Im Jahre 1904 wurde eine Ergänzung der Reichsschuldenordnung vorgenommen, wo­ durch der RK. ermächtigt wurde, auch zum Zwecke der Einlösung von Schatzanweisungen neue Schuldverschreibungen oder Schatzanweisungen auszugeben (G. vom 22. 2. 1904, RGBl. 66). Die im Jahre 1877 begebene Anleihe von 43 Mill. M> war mit einem Zinsfuß von 4% ausgestattet und wurde dem Publikum mit 94,60% angeboten. In den folgenden Jahren stieg der Börsenkurs der Reichsanleihen, und dem­ gemäß konnten die späteren Anleihebegebungen zu günstigerem Preise stattfinden. Im Jahre 1880 wurde der Paristand überschritten; im Jahre 1886 stieg der Kurs auf annähernd 106%. Infolge­ dessen ging man im Jahre 1886 zum 3y2%igen Anleihetyp über, der nunmehr bis in das Jahr 1890 hinein ausschließlich zur Anwendung ge­ langte. Der erzielte Verkaufspreis für bte3y2%ige Anleihe war im ersten Jahr ein wenig über 100%, im Jahre 1889 war der Kurs auf etwa 1023/4% gestiegen. Zu gleicher Zeit erreichte die 4%ige Anleihe einen Kurs von etwa 108%. Das Jahr 1889 bildete aber den Höhepunkt der Kurs­ bewegung der 4%igen und der 31/2%igen An­ leihen. Da der Markt der 31/2%igett Anleihen als überlastet galt, wurde im Jahre 1890 ein erster Versuch mit dem 3%igeit Rententyp ge­ macht. Der Verkauf an das Publikum erfolgte zum Kurse von 87%. Von 1890—1895 wurden 91/2%ige unb 3%jge Anleihen nebeneinander ausgegeben, und die 3%ige Anleihe überschritt zeitweise die Parigrenze. Das gab Anlaß dazu, dem Gedanken einer Ermäßigung der Zinsenlast des Reiches durch Herabsetzung des Zinsfußes der 4%igen Anleihe, von der damals 450 Mill. M im Umlauf waren, näherzutreten. Das G. vom 8. 3. 1897 bestimmte die Konversion der 4%igen Anleihe auf 31/2% mit Wirkung vom 1. 10. des­ selben Jahres ab. Die Operation ging glatt vonstatten. Der Gedanke einer weiteren Herabsetzung des Zinsfußes der Reichsanleihe auf 3% wurde nicht zur Tat. Es war indes bezeichnend, daß das Reich sich in dem KonversionsG. des Rechtes einer weiteren Zinsherabsetzung für die nunmehr 31/2%ige konvertierte Anleihe nur bis zum 1. 4. 1905 begab. In den auf die Konversion folgen­ den Jahren war die Verfassung des Anleihe­ marktes keineswegs günstig. Der Kurs der 3%igen Anleihe sank bis zum Jahre 1900 auf ungefähr 853/4%, so daß diesem Umstande bei der Begebung weiterer Anleihen Rechnung ge­ tragen werden mußte. Die Wirtschaftskrisis des Jahres 1900 ließ es angezeigt erscheinen, zum ersten Male zur Ausnahme einer Anleihe im Aus­ lande zu schreiten. Es wurden im Zusammenhang mit der deutschen China-Expedition 80 Mill. M 4%ige Schatzanweisungen in New Jork begeben.

Reichsschuld Die Umlaufzeit dieser Schatzanweisungen war verschieden; für die am längsten lausenden betrug sie ungefähr fünf Jahre. Im Jahre 1901—1903 konnten wieder 3 % ige Anleihen begeben werden, aber bald war die Kursbewegung von neuem rückläufig, so daß im Jahre 1904 der Weg einer Ausgabe von SV-^igen Schatzanweisungen mit einer Laufzeit von vier Jahren beschritten wurde. In den Jahren 1905 und 1906 wurden größere Beträge 3V2%iger Schuldverschreibungen be­ geben. Im März 1907 war der Kurs der 3%igen Anleihe nur noch etwa 85%, der der 31/2%igen etwa 961/2%. Da das Reich aber Geldbedarf hatte, so wurde die Frage der Rückkehr zum 4%igen Anleihetyp erörtert. Man suchte dies zunächst dadurch zu umgehen, daß man zu dem Verfahren der Ausgabe von 4%igen Schatz­ anweisungen mit fünfjähriger Laufzeit schritt. Im darauffolgenden Jahre wurde aber eine 4%ige Anleihe von 250 Mill. X aufgelegt, die für zehn Jahre unkündbar war. In den auf 1908 folgenden Jahren bis zum Kriegsbeginn kehrte man wiederholt mit ähnlicher Kündigungs­ beschränkung zum 4%igen Anleihetyp zurück. Die annähernd 5 Milliarden Mark betragende Anleiheschuld, die beim Beginn des Krieges vor­ handen war, setzte sich, nachdem in den vorher­ gehenden Jahren Tilgungen nicht nur durch Ab­ setzung vom Anleihesoll, sondern auch auf Grund der jeweiligen G., betr. die Feststellung des Reichshaushaltetats, zum Zwecke einer größeren Stetigkeit der Kurse, durch Ankauf stattgefunden hatten, ungefähr folgendermaßen zusammen; 1137,8 Mill. X 4%ige, 1983,1 Mill. X 31/2%ige, 1639,3 Mill. X 3%ige Schuldverschreibungen und 220 Mill. X 4%ige Schatzanweisungen. Von den Schuldverschreibungen waren 1491 Mill. X in das Reichsschuldbuch (s. d.) eingetragen. Die Kurse, zu denen die vorstehenden Schuldver­ schreibungen begeben worden sind, betrugen im Durchschnitt für die 4% ige R. 100,19%, für die 31/2%ige 99,89% und für die 3%ige 88,46%, so daß der Zinsfuß, zu dem die Reichskasse den empfangenen Erlös zu verzinsen hatte, sich für die 4%ige R. auf 3,99%, für die 31/2%ige auf 3,50% und für die 3% ige auf 3,39% berechnete. Im September 1914 wurde die erste Kriegs­ anleihe in Form von 5%igen Schuldverschrei­ bungen und 5%igen Schatzanweisungen zur Zeichnung aufgelegt. Der Betrag der Schuld­ verschreibungen wurde nicht begrenzt, der der Schatzanweisungen auf eine Milliarde Mark fest­ gesetzt. Die Schuldverschreibungen wurden bis zum 1. 10. 1924 unkündbar gestellt, die Schatz­ anweisungen sollten durch Auslosung bis späte­ stens 1.10.1920 getilgt werden. Der Zeichnungs­ preis betrug für Stücke der Reichsanleihe, die mit einer Sperre von einem halben Jahr in das Reichsschuldbuch eingetragen wurden, 97,30%, für die übrigen Stücke der Schuldverschreibungen und für die Schatzanweisungen 971/2%. Von den Schuldverschreibungen konnten 3491,8 Mill. X untergebracht werden, wovon 1213,2 Mill. X für das Reichsschuldbuch gezeichnet wurden. Ferner wurde die 1 Milliarde X Schatzanweisungen placiert. Zum Zwecke der Verwertung in den Vereinigten Staaten von Amerika wurden 5%ige Reichsschatzanweisungen in Dollarwährung aus­ gefertigt. Ende Februar und Anfang März 1915

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wurde eine zweite Kriegsanleihe zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt. Die Schuldverschreibungen wurden wiederum bis zum 1. 10. 1924 unkünd­ bar gestellt; die Tilgung der Schatzanweisungen sollte bis spätestens 1. 7. 1922 erfolgen. Der Zeichnungspreis war für die Stücke der Schuld­ verschreibungen, die mit einer Sperre bis zum 15. 4. 1916 in das Reichsschuldbuch eingetragen wurden, 98,30, im übrigen 98V2%- 8m Gegen­ satz zu der ersten Kriegsanleihe war bei der zweiten auch der Betrag der Schatzanweisungen nicht begrenzt. Das Ergebnis war 8330,2 Mill. X Schuldverschreibungen (darunter 1682,1 Mill. X Reichsschuldbuch) und 776,1 Mill. X Schatz­ anweisungen. Die dritte Kriegsanleihe, die im September 1915 herauskam und nur aus 5%igen bis 1924 unkündbaren Schuldverschreibungen be­ stand — Zeichnungspreis 98,80 bzw. 99% —, er­ brachte 12161,6 Mill. X, darunter 2174,2 Mill. X für das Reichsschuldbuch. Im Jahre 1916 kamen zwei weitere Kriegsanleihen heraus, die vierte und fünfte, und zwar in 5%igen Schuldver­ schreibungen und in 41/2%igen Schatzanwei­ sungen. Die Bedingungen, unter denen die Aus­ gabe der Schatzanweisungen erfolgte, zeigen, daß man schon damals glaubte, durch besondere Modalitäten einen Anreiz zum Erwerb schaffen zu müssen. Es war vorgesehen, daß die Tilgung der Schatzanweisungen durch Auslosung in der Zeit von 1923—1932 erfolgen sollte. Die Inhaber der ausgelosten Stücke sollten statt der Barzahlung neue 41/2%ige bis 1932 unkündbare Schuld­ verschreibungen fordern können. Der Ausgabe­ kurs betrug für die Schatzanweisungen 95 %, für die Schuldverschreibungen, die wieder denen der früheren Kriegsanleihe entsprachen, 98,30 bzw. 98,50% bei der vierten Kriegsanleihe, 97,80 bzw. 98% bei der fünften Kriegsanleihe. Das Zeich­ nungsergebnis war bei der vierten Kriegsanleihe 9194,1 Mill. X Schuldverschreibungen (darunter 2028 Mill. X Schuldbuch), 1571,9 Mill. X Schatz­ anweisungen; bei der fünften Kriegsanleihe 9622, 4 Mill. X Schuldverschreibungen (darunter 2197,8 Mill. X Schuldbuch) und 1074,3 Mill. X Schatzanweisungen. Irr den Jahren 1917/18 fand dieAusgabe der sechsten und siebentenKriegsanleihe. statt, wiederum eingeteilt in 5%ige Schuldverschreibungen und 41/2%ige Schatz­ anweisungen. Für die Verzinsung und die Til­ gung der Schatzanweisungen waren jährlich 5% des ursprünglichen Nennbetrags unter Hinzu­ rechnung der ersparten Zinsen aufzuwenden. Auf dieser Grundlage ergab sich eine Tilgung der Schatzweisungen in rund 50 Jahren, wobei die Auslosungen im Jahre 1918 begannen. Die aus­ gelosten Gruppen waren mit 110 X für je 100 X Nennwert zurückzuzahlen. Die nicht ausgelosten Schatzanweisungen sollten seitens des Reiches bis zum 1. 7. 1927 unkündbar sein. Frühestens zu diesem Zeitpunkte konnte das Reich sie zum Nenn­ wert kündigen, jedoch sollten die Inhaber als­ dann statt der Barzahlung 4%ige, bei der ferneren Auslosung mit 115 X für je 100 X Nennwert rückzahlbare, im übrigen den gleichen Tilgungs­ bedingungen unterliegende Schatzanweisungen fordern können. Frühestens zehn Jahre nach der ersten Kündigung sollte das Reich wieder berech­ tigt sein, die dann noch unverlosten Schatz anweisungen zur Rückzahlung zum Nennwert zu

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Reichsschuld

kündigen, jedoch sollten alsdann die Inhaber statt der Barzahlung 31/2%tge, mit 120 X für je 100 X Nennwert rückzahlbare, im übrigen den gleichen Tilgungsbedingungen unterliegende Schatzanweisungen fordern können. Eine weitere Kündigung sollte nicht zulässig sein. Am 1. 7. 1967 sollten die bis dahin etwa nicht ausgelosten Schatzanweisungen mit dem alsdann bei der Rück­ zahlung der ausgelosten Schatzanweisungen maß­ gebenden Betrage (110%, 115% oder 120%) zurückgezahlt werden. Die sechste Kriegsanleihe ergab 11747,2 Mill. X Schuldverschreibungen (darunter 2574,6 Mill. X Reichsschuldbuch) und 1357,6 Mill. X Schatzanweisungen. Die siebente Kriegsanleihe brachte auf die Schuldverschrei­ bungen Zeichnungen in Höhe von 11304,9 Mill. X (darunter 2510,9 Mill. X Reichsschuldbuch) und auf die Schatzanweisungen Zeichnungen in Höhe von 1253,3 Mill. X. Schließlich wurden im Jahre 1918 die achte und neunte Kriegsanleihe zur Zeich­ nung aufgelegt. Die Schuldverschreibungen dieser Kriegsanleihen entsprachen den früher ausge­ gebenen. Die gleichzeitig aufgelegten 4*/2%igen auslosbaren Schatzanweisungen glichen im wesent­ lichen den bei der sechsten und siebenten Kriegs­ anleihe ausgegebenen 41/2%igen Schatzanwei­ sungen. Es wurden bei der achten Kriegsanleihe 13532,3 Mill. X Schuldverschreibungen und 1468,1 Mill. X Schatzanweisungen, bei der neunten Kriegsanleihe Schuldverschreibungen im Betrage von 9194 Mill. X und Schatzanwei­ sungen im Betrage von 1184,6 Mill. X gezeichnet. Nach Kriegsbeendigung war die Anleiheschuld des Reichs (verzinsliche Schuldverschreibungen, verzinsliche Schatzanweisungen) auf mehr als 90 Milliarden X angeschwollen. Die Anleihe­ denkschrift für 1919 weist nach dem Stande vom 30.9.1919 74795,5 Mill.X 5%ige, 1126,2 Mill.X 4%ige, 1964,2 Mill. X 3V2%ige und 1622,5 Mill. X 3%ige Schuldverschreibungen, ferner 2096 Mill. X 5%ige und 8878,3 Mill. X 41/2%ige Schatzanweisungen nach. Daneben waren in außerordentlich großem Umfange auf Grund von Anleihekrediten unverzinsliche Schatzanweisungen begeben worden (vgl. Schwebende Schulden). Bei der Vermehrung der Anleiheschuld ist zu berücksichtigen, daß auf die Kriegösteuern 5%ige Schuldverschreibungen und 5%ige und 41/2%ige Reichsschatzanweisungen in Zahlung gegeben wer­ den konnten. Ferner wurde entsprechend der bei der Auflegung der achten und neunten Kriegs­ anleihe gemachten Zusicherung auch beim Verkauf von Heeresgut Kriegsanleihe in Zahlung ge­ nommen. Ohne diese Möglichkeiten wäre die Anleiheschuld nach Kriegsende noch größer ge­ wesen. Die neue Verfassung vom 11. 8. 1919 bestimmt in Art. 87: „Im Wege des Kredits dürfen Geld­ mittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicherheitsleistung zu Lasten des Reichs dürfen nur auf Grund eines ReichsG. erfolgen." Die Reichsschuldenordnung vom 19. 3. 1900 (RGBl. 129) blieb zunächst in Kraft. Die Kurshaltung der Kriegsanleihen be­ reitete schon während des Krieges angesichts der immer mehr anschwellenden Kapitalmasse ernste Schwierigkeiten. Diese steigerten sich in erheb­

lichem Maße, als bei Kriegsende die politischen und wirtschaftlichen Folgen des Zusammenbruchs zutage traten. Es kam darauf an, ein zu starkes Absinken des Kurses zu verhindern. Das Reich war hierzu finanziell nicht in der Lage. Die Kursregulierung auf dem Kriegsanleihemarkt wurde daher mit Wirkung vom 1. 9. 1919 ab einem unter Leitung der Reichsbank stehenden Konsortium der Banken, Bankiers, Sparkassen usw., die seinerzeit die Zeichnungen auf die Kriegs­ anleihen vermittelt hatten, übertragen. Dem Konsortium sollte insbesondere auch die Wieder­ unterbringung der aufgenommenen Bestände ob­ liegen. Als Organ des Konsortiums bei der Durchführung seiner Zwecke diente eine Aktien­ gesellschaft (Reichsanleihe-Aktiengesellschast). Das Grundkapital dieser Gesellschaftbetrug 400Mill.X, woran das Reich mit rund 28 Mill. X beteiligt war. Neben dem Grundkapital stand der Aktien­ gesellschaft noch ein Garantiekapital, ebenfalls in Höhe von 400 Mill. X, zur Verfügung, auf das aber nicht zurückgegriffen worden ist. Der Höchst­ betrag der aufzunehmendenKriegsanleihebestände war auf 5, später 10 Milliarden X festgesetzt. Die für die Aufnahme erforderlichen Mittel waren in Höhe von 10% (später 5%) durch die Aktien­ gesellschaft bar aufzubringen, während die weiter erforderlichen Mittel durch Beleihung der aus­ genommenen Kriegsanleihebestände bei der Reichsdarlehnskasse beschafft wurden, die die Kriegsanleihe mit 90% (später 95%) des Börsen­ kurses belieh. Das Reich garantierte den Mit­ gliedern des Konsortiums eine 5%ige Verzinsung des Aktienkapitals. Das Konsortium wurde auf die Dauer von fünf Jahren gebildet. Dement­ sprechend hat es sich zum 1. 9. 1924 aufgelöst, wobei satzungsgemäß die Aktien gegen ent­ sprechende Vergütung auf das Reich übertragen wurden. Die Reichsanleihe-Aktiengesellschaft hat in der Zeit vom 1. 9. 1919 bis zum 15. 10. 1923, an welchem Tage sie diese börsenmäßige Tätigkeit einstellte, nach und nach insgesamt 31,4 Milliar­ den X Kriegsanleihe am Markte ausgenommen und hiervon 30,8 Milliarden X wieder ab­ gesetzt. Durch die Tätigkeit der ReichsanleiheAktiengesellschaft wurde erreicht, daß der Kurs der Kriegsanleihen nicht unter 77,50% gesunken ist. Obgleich nach dem Kriege der außerordentliche Geldbedarf, der durch Anleihen gedeckt werden sollte, sehr groß war, bot sich nach Lage der Verhältnisse, insbesondere angesichts der fort­ schreitenden Geldentwertung, keine Möglichkeit, eine festverzinsliche Anleihe auszunehmen. Der Geldbedarf mußte vielmehr kurzfristig durch Aus­ gabe unverzinslicher Schatzanweisungen (s. den Art. „Schwebende Schulden") gedeckt werden, die mit einer Laufzeit von drei Monaten an die Reichsbank begeben, zum kleineren Teil auch mit dreimonatiger oder längerer Lauffrist an das Publikum abgesetzt wurden. Ein Versuch, lang­ fristige Mittel hereinzubekommen, wurde im Jahre 1919 unternommen, indem eine mit be­ sonderem Anreiz ausgestattete lotterieähnliche Anleihe — die sog. Spar-Prämienanleihe von 1919 — aufgelegt wurde. Der Plan dieser An­ leihe, die in Stücken von 1000 X ausgegeben wurde, sah vor, daß jährlich zwei Gewinn­ auslosungen und eine Tilgungsauslosung statt­ finden sollten. Die Gewinne beliefen sich auf

Reichsschuld 1000 X, 2000 X, 3000 X, 5000 X, lOOOO^X, 25000 X, 50000 X, 100000 X, 150000'X, 200000 X, 300000 X, 500000 X und 1000000 X Die Tilgung hatte innerhalb von 80 Jahren zu erfolgen. Bei der Tilgung war für das Stück zu 1000 X ein Zuschlag von 50 X für jedes ver­ flossene Jahr und für jedes zweite getilgte Stück ein mit den Jahren wachsender Bonus von 1000 bis 4000 X zu zahlen. Bei der Zeichnung mußten für je 1000 X Nennwert der Anleihe 500 X in bar und 500 X in 5%iget Reichsanleihe zum Nennwert eingezahlt werden. Bon Beginn des 20. Jahres ab sollte den Besitzern das Recht zu­ stehen, mit einjähriger Kündigungsfrist die Rück­ zahlung zum Tilgungswert, d. h. zum Nennwert samt den zustehenden Zuschlägen von 50 X für jedes verflossene Jahr, zu verlangen. Mit der Anleihe war eine Reihe von Steuerbegünsti­ gungen verbunden. Die Emission der Anleihe war nicht von wesentlichem Erfolg begleitet. Während sie in fünf Serien zu je 1 Milliarde X aufgelegt wurde, mußte sie mit vier Serien, also mit 4 Milliarden X Nennbetrag abgeschlossen werden. Gezeichnet wurden insgesamt 3,6 Mil­ liarden X. Der Rest von rund 400 Mill. X wurde später an der Börse verkauft. (Bei der Beurteilung des Ergebnisses ist zu berücksichtigen, daß die Mark damals schon eine erhebliche Ent­ wertung erfahren hatte.) In der Folgezeit wuchs die kurzfristige Schuld des Reichs schnell an. Sie stieg von 42 Milliarden X bei Kriegsende bis Ende September 1919 auf 75 Milliarden X, bis Ende September 1920 auf 138 Milliarden X, bis Ende September 1921 auf 210 Milliarden X und bis Ende März 1922 auf 272 Milliar­ den X. Da der Geldmarkt für Markanleihen verschlossen blieb, schritt das Reich im Jahre 1922 dazu, im Wege des Zwanges einen Teil der zur Bestreitung der außerordentlichen Ausgaben erforderlichen Mittel langfristig hereinzubringen. Durch das G. vom 20. 7. 1922 (RGBl. I 601) wurde eine Zwangsanleihe aufgelegt, die eine Steuerpflicht auf das Vermögen mit dem Er­ werbe einer tilgbaren Reichsanleihe vereinigte. Die Anleihe war bis zum 31. 10. 1925 unverzins­ lich und sollte vom 1.11.1925 bis zum 31.10.1930 mit 4% und vom 1. 11. 1930 mit 5% jährlich verzinst werden. Zur Tilgung, die durch Rück­ kauf zum Börsenkurs oder durch Auslosung zum Nennwert erfolgen sollte, waren vom 1. 11. 1925 an jährlich mindestens V2% vom Nennwert des ursprünglichen Betrages zuzüglich der durch die Tilgung ersparten Zinsen aufzuwenden. Der Zeichnungspreis betrug während einer Voraus­ zahlungsfrist je nach dem Zeitpunkt der Ein­ zahlung zwischen 94 und 104%, nach Beginn der Zeichnungspslicht 106%. Die Zeichnungen auf die Zwangsanleihe haben sich insgesamt auf 309 Milliarden X belaufen. Das Jahr 1922 brachte ferner den Übergang von Staatsschulden der Länder Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Hessen und Mecklenburg-Schwerin auf das Reich. Der Staatsvertrag von 1920, durch den die Eisen­ bahnen der vorbezeichneten Länder sowie von Württemberg und Oldenburg auf das Reich über­ gegangen waren, sah hinsichtlich der Bezahlung des Kaufpreises vor, daß das Reich auf Verlangen der Länder in Anrechnung aus die reichsseitig zu zahlenden Abfindungen Schuldenverpflichtungen

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der Länder zu übernehmen hatte. Von diesem Recht machten die Länder mit Ausnahme von Württemberg und Oldenburg Gebrauch. Es gingen, abgesehen von kurzfristigen Schulden (z. B. Preußen 14,6 Milliarden X), insgesamt 15,2 Milliarden X langfristige Schulden auf das Reich über, und zwar 10,5 Milliarden X preußi­ sche, 2,4 Milliarden X bayerische, 1 Milliarde X sächsische, 0,7 Milliarden X badische, 0,5 Milliar­ den X hessische und 0,1 Milliarden X mecklenburg-schwerinsche Staatsanleihen. Aus der Zeit der sinkenden Markwährung rühren auch Schatzanweisungen her, die zur Ent­ schädigung von Liquidationsverlusten usw. aus­ gegeben worden sind. Es handelt sich hierbei, neben unverzinslichen auf lange Frist gestellten Schatzanweisungen um die mit Zinsscheinen ver­ sehenen L-Schatzanweisungen von 1923 und 1924. Diese Schatzanweisungen waren mit einer vier­ jährigen Laufzeit versehen und sollten nach dem jeweiligen Reichsbanksatz, jedoch mindestens mit 8%, höchstens mit 15% für das Jahr, verzinst werden. Ausgegeben wurden insgesamt 4 Bil­ lionen X der Ausgabe 1923 und 768 Bil­ lionen X der Ausgabe 1924. Im März 1923 wurden zum Zwecke der Beschaffung von Devisen, die zur Stützung der Währung dienen sollten, Schatzanweisungen, die auf Dollar der Vereinig­ ten Staaten von Amerika lauteten, ausgegeben. Die Schatzanweisungen waren am 15. 4. 1926 mit einem Aufgeld von 20% zurückzuzahlen, was einer etwa 6%igen Verzinsung entsprach. Die Rückzahlung hatte nach Wahl des Reichs in Schecks auf New Dork oder in Gold, den Dollar zu 1,5046 g Feingold gerechnet, zu erfolgen. Für die Anleihe übernahm die Reichsbank die selbst­ schuldnerische Haftung. Der Zeichnungspreis be­ trug 100% und war in Devisen (amerikanischer, schweizerischer, holländischer, nordischer, spani­ scher, argentinischer und japanischer Währung) einzuzahlen. Abgesetzt wurden Schatzanweisungen im Betrage von 46 Millionen Dollar. Im Herbst 1923 wurden zwei weitere wertbeständige An­ leihen aufgelegt. Beide Anleihen bestanden in Schatzanweisungen, die aus Mark Gold lauteten, wobei 4,20 Mark Gold einem Dollar der Ber­ einigten Staaten gleichgesetzt wurden. Die eine dieser Anleihen, die sog. Goldanleihe von 1923, hatte neben der Ausbringung von Mitteln für den außerordentlichen Bedarf auch den Zweck, in der Zeit des völligen Verfalls der Markwährung ein wertbeständiges Zahlungsmittel zu schaffen. Zu diesem Zweck wurden von dieser Anleihe kleine Abschnitte über 0,42, 1,05, 2,10, 4,20 8,40 und 21 Mark Gold ausgegeben, die keine Zinsscheine besaßen. Die Schatzanweisungen, die am 2. 9.1935 fällig werden, sind mit 6% verzins­ lich. Die kleinen Wertabschnitte ohne Zinsscheine werden bei Fälligkeit mit einem Aufgeld von 70% eingelöst. Abgesetzt wurden 491 Mill. X Gold von diesen Schatzanweisungen, wovon 295 Mill. X Gold auf kleine Abschnitte entfielen. Die zweite wertbeständige Anleihe von 1923, die ebenfalls in 6%igen Schatzanweisungen bestand, diente insbesondere zur Schaffung von Sicher­ heiten für wertbeständiges Notgeld, das zu jener Zeit angesichts des völligen Verfalls der Mark von Gemeinden und Gemeindeverbänden im großen Umfange ausgegeben wurde. Zum Ber-

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Neichsschuld

kauf gelangten von diesen Schatzanweisungen, die hat. Die Zahlung der 600 Mill. Rentenmark am 1. 12. 1932 fällig werden, 184 Mill. M Gold. erfolgt in der Weise, daß die 60 Mill. Renten­ Auch für die Bezahlung von Entschädigungs­ mark, die das Reich auf Grund des LiquidationsG. leistungen mit Schuldverschreibungen des Reichs an den Tilgungsfonds zu leisten hat, angerechnet mußte zu jener Zeit die Umstellung auf einen werden. Die Rentenbank hat auf die Zahlung wertbeständigen Typ erfolgen. Diesem Erforder­ der restlichen 600 Mill. Rentenmark sowie auf nis entsprachen die sog. R-Schatzanweisungen von die Verzinsung der Schuld — die V. über die 1923 und die sog. L-Schatzanweisungen von 1924. Errichtung der Deutschen Rentenbank sah eine Die L-Schatzanweisungen, die auf Goldmark solche Verzinsung der Schuld vor — verzichtet. (1 Goldmark — 1/279o kg Feingold nach dem Dafür hat das Reich die Leistungen übernommen, Londoner Goldpreis) lauten, werden im Lause die die Rentenbank der Reichsbank für die Be­ von rund 40 Jahren durch Auslosung getilgt. Die teiligung der Reichsbank an den Zinsen der Annuität beträgt vom 1. 12. 1923 bis 1932 5%, Rentenbankdarlehen schuldet. Auf diese Leistun­ alsdann 6% jährlich. Innerhalb der Annuität gen werden die an den Tilgungsfonds abgeführten steigt die Verzinsung von 2 auf 3, 4 und 5%, Anteile des Reichs am Reichsbankgewinn ange­ während bic Tilgung gleichzeitig von 3 auf 2 rechnet. Eine aus der Überlassung von Devisen und 1% herabgeht. Die L-Schatzanweisungen an das Reich entstandene Schuld des Reichs bei lauteten auf Goldmark (1 Goldmark — 10/42 Dol­ der Reichsbank ist nach der Stabilisierung ver­ lar) und waren auf eine zweijährige Laufzeit ab­ tragsmäßig geregelt worden. Von der Gesamt­ gestellt. Die Verzinsung welche 10% für das schuld im Betrage von 235510013 RM bleiben Jahr betrug war nicht durch Zinsscheine zahl­ 100000000 RM als eine gegen das Reich unkünd­ bar gemacht sondern wurde in das durch die bare Schuld bestehen, die 50 Jahre lang mit Schatzanweisungen verbriefte Kapital eingerech­ 2% zu verzinsen ist und zur Rückzahlung fällig net. Zur Ausgabe gelangten von den L-Schatz- wird, sobald die Reichsbank in Liquidation tritt anweisungen rund 11 Mill. Goldmark und von oder das Reich die Reichsbank aufhebt, frühestens den R-Schatzanweisungen rund 350 Mill. Gold­ am 1. 10. 1974, während 135510013 RM vom mark. Die Verwendung der kleinen Stücke der 1. 1. 1925 an in 15 gleichen, am 1. 1. jeden Goldanleihe als eine Art von Zahlungsmittel er­ Jahres fällig werdenden Raten zu tilgen sind. forderte die ständige Erhaltung des Parikurses Der jeweils ausstehende Betrag dieses Teils dieser Schatzanweisungen. Es war daher nötig, der Schuld ist mit 3% jährlich zu verzinsen. erhebliche Bestände an der Börse für Reichs­ Im Herbst 1924 nahm das Reich aus Grund der rechnung wieder aufzunehmen. Am Schlüsse des Londoner Konferenz zum Zwecke der Bezahlung Kalenderjahres 1926 waren von diesen Schatz­ von Reparationsleistungen, aber auch zur Be­ anweisungen nur noch rund 19 Mill. M Gold schaffung von Devisen und Gold als Stütze der im Verkehr. Die 6%igen Schatzanweisungen, neu geschaffenen Reichsmarkwährung eine Aus­ die als Grundlage für die Ausgabe des Notgeldes ländsanleihe auf. Der Nominalbetrag der Angedient hatten und bei Ausruf des Notgeldes leihe war dadurch bestimmt, daß 800 Mill. Gold­ flüssig gemacht werden mußten, kamen aus diesem mark für Reparationszwecke aufgebracht werden Anlaß in kurzer Frist auf den Markt. Um den sollten. Die aufkommenden Devisen flössen der Parikurs aufrecht zu erhalten, mußte das An­ Reichsbank (,. d.) zu, die den Markgegenwert an gebot vom Reich ausgenommen werden. Es sind den Generalagenten für Reparationszahlungen nur noch 1,3 Mill. M Gold von diesen Schatz­ abführte. Außer in den an den Londoner Ab­ anweisungen im Umlauf. Die Stabilisierung der machungen beteiligten Ländern — England, Währung am 15. 11. 1923 beendete die Ausgabe Frankreich, Italien, Belgien und den Bereinigten kurzfristiger Mark-Schatzanweisungen. Die aus­ Staaten von Amerika — wurde die Anleihe in gegebenen Schatzanweisungen erreichten an diesem den Niederlanden, Schweden und der Schweiz Tage die Höhe von 191580465 Billionen M. Zur aufgelegt. Die führenden Banken waren: die Durchführung der Währungsstabilisierung stellte Bank of England, Lazard Freres & Co. in Paris, die durch V. vom 15. 10. 1923 (RGBl. I 963) die Banca d'Italia in Rom, die Societe Natio­ geschaffene Deutsche Rentenbank dem Reiche ein nale de Credit ä l'Jndustrie in Brüssel, I. P. Darlehn von 1200 Mill. Rentenmark zur Ver­ Morgan & Co. in New Jork, Hope & Co. und die fügung, das einerseits zur Einlösung der kurz­ Neederlandsche Handels-Maatschappij in Amster­ fristigen unverzinslichen Schatzanweisungen des dam, die Stockholms Enskilda Bank in Stockholm, Reichs, andererseits dazu diente, um die Wieder­ die Schweizerische Kreditanstalt in Zürich und die herstellung des Gleichgewichts zwischen Ein­ Reichsbank in Berlin. Es übernahmen die Ver­ nahmen und Ausgaben des Reichs anzubahnen. einigten Staaten von Amerika 110 Mill. Dollar, Durch das G. über die Liquidierung des Umlaufs England 12 Mill. Pfd. Sterl., Frankreich 3 Mill. an Rentenbankscheinen vom 30. 8. 1924 (RGBl. Pfd. Sterl., Belgien 1,5 Mill. Pfd. Sterl., Holland II 252) wurde das Reich verpflichtet, sich an der 2,5 Mill. Pfd. Sterl., die Schweiz 2,36 Mill. Einlösung der für das Rentenbankdarlehn in Pfd. Sterl. und 15 Mill, schweiz. Franken, Italien Umlauf gesetzten Rentenbankscheine zu beteiligen. 100 Mill. Lire und Schweden 25,2 Mill, schwed. Alljährlich sind 60 Mill. Rentenmark und der Kronen. Zur Aufbringung des durch diese Aus­ dem Reich auf Grund des § 37 BankG. zu­ landsanteile nicht gedeckten Teilbetrags der stehende Anteil am Gewinn der Reichsbank dem 800 Mill. Goldmark wurde eine deutsche Tranche für die Einlösung der Rentenbankscheine gebil­ der Anleihe in Höhe von 320000 Pfd. Sterl. aus­ deten Tilgungsfonds zuzuführen. Die Ausein­ gegeben. Die Anleihe ist mit 7% jährlich ver­ andersetzung zwischen Reich und Rentenbank hin­ zinslich und in 25 Jahren bis zum 15. 10. 1949 sichtlich des Darlehns ist in der Weise erfolgt, zu tilgen. Die amerikanischen Anteile werden daß das Reich 600 Mill. Rentenmark zu zahlen zum Kurse von 105%, die übrigen Anteile zum

Reichsschuldenverwaltung; Reichsschuldenausschuß Nennwert zurückgezahlt. Für die Tilgung des amerikanischen Anteils sind 25 gleiche Jahres­ raten vorgesehen, während bei der Tilgung aller übrigen Anteile die ersparten Zinsen eine Kumu­ lierung der Tilgungsquoten herbeisühren auf der Grundlage, daß die Jahresleistungen für Tilgung und Verzinsung dauernd die gleichen bleiben. Die Tilgungen erfolgen auf dem Wege der Auslosung. Die für die Einlösung verfügbaren Geldbeträge können auch zum Ankauf von Stücken der An­ leihe unter Pari verwendet werden. Der Zinsen­ dienst und die Kapitaltilgung der Anleihe sind durch das Vermögen und die Einkünfte des Deutschen Reichs sowie durch ein Pfandrecht an den von Deutschland zu leistenden Reparations­ zahlungen und an den für Reparationsleistungen verpfändeten Einnahmen aus den Zöllen und den Abgaben auf Tabak, Bier und Zucker sowie aus dem Spiritusmonopol gesichert. Die europäischen Anteile der Anleihe wurden zum Preise von 87x/2%, der amerikanische Anteil zu 87% an die Übernahmebanken begeben, die ihrerseits die Stücke zum Preise von 92% zur Zeichnung auf­ legten. Die Umstellung aus die neue Währung machte die gesetzliche Regelung der Ansprüche der Gläubiger des Reichs aus den alten Markanleihen erforderlich. Diese Regelung erfolgte durch das G. über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. 7. 1925 (RGBl. I 137). Danach werden die Markanleihen mit Ausnahme der Zwangsanleihe und der nicht für Abgeltung von Kriegsschäden ausgegebenen unverzinslichen Schatzanweisungen des Reichs in Schuldverschreibungen der Anleihe­ ablösungsschuld umgetauscht, für die bis zur Er­ füllung aller Reparationsverpflichtungen eine Verzinsung nicht gefordert werden kann. Anleihealtbejitzer, d. s. Gläubiger, die die Markanleihen nachweislich vor dem 1. 7. 1920 erworben und ununterbrochen besessen haben, erhalten neben der Ablösungsschuld ein Auslosungsrecht im gleichen Nennbeträge. Bis zur Höhe des Gesamt­ betrags der Auslosungsrechte wird die Anleiheablösungsschuld im Wege der Auslosung in 30 Jahren getilgt. Ein gezogenes Auslosungs­ recht wird durch Barzahlung des Fünffachen seines Nennbetrages ausgelost. Der Einlösungs­ betrag wird mit 4y2% jährlich vom 1. 1. 1926 bis zum Ende des Jahres, in dem das Aus­ losungsrecht gezogen wird, verzinst. Die Zinsen werden bei der Einlösung gezahlt. Bon dieser Ablösung wurden, abgesehen von den nur einen geringen Wert darstellenden, für Entschädigungs­ zwecke ausgegebenen Schatzanweisungen rund 70 Milliarden alte Markanleihen und rund 3,9 Milliarden M der Sparprämienanleihe be­ troffen. Nach den vorliegenden Angaben werden für rund 38 Milliarden M Altbesitzrechte geltend gemacht. Durch G. vom 13. 2.1924 (RGBl. 195) ist die Reichsschuldenordnung vom 19. 3. 1900 durch eine neue ersetzt worden. Neben einer zeit­ gemäßen Neuregelung der für das Eingehen von Schuldverpflichtungen des Reichs in Betracht kommenden Bestimmungen hat die neue Reichs­ schuldenordnung die Schaffung einer eigenen Reichsbehörde für die Verwaltung der Reichs­ anleihen vorgesehen. Zum 1. 4. 1924 wurde die Reichsschuldenverwaltung unter Übernahme der Beamten und Einrichtungen der Preußischen Hauptverwaltung der Staatsschulden zu einer

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Behörde des Reichs. In umgekehrter Weise wie bisher nimmt die Reichsschuldenverwaltung auch die Verwaltung der preußischen Staatsschulden mit wahr. Die Kassenlage des Reichs gestattete in den Jahren 1925 und 1926, von der Begebung einer Anleihe abzusehen und auch kurzfristige Schulden nur in geringem Maße aufzunehmen. Der Anfang des Jahres 1927 bot für die Flüssig­ machung der durch den Reichshaushalt eröffneten Kredite die erforderliche Voraussetzung. Es wurde eine auf Reichsmark lautende Anleihe im Be­ trage von 500 Mill. RM aufgelegt. Die Ver­ zinsung ist auf 5% festgesetzt, später (vgl. den Artikel Conventierung) für die Zeit bis zum Jahre 1934 auf 6% erhöht worden. Die Anleihe ist bis zum Jahre 1934 untilgbar und wird vom 1. 2. 1934 an durch Auslosung in 25 Jahren ge­ tilgt. Jährlich sind rund 2,1% des ursprüng­ lichen Nennbetrags der Anleihe unter Hinzurech­ nung der durch die Tilgung ersparten Zinsen zur Tilgung aufzuwenden. Eine verstärkte Tilgung oder eine Gesamtkündigung der Anleihe ist bis Ende Januar 1937 ausgeschlossen. Bon dem Gesamtbeträge der Anleihe sind 300 Mill. RM durch ein Anleihekonsortium (das sog. Reichs­ anleihekonsortium) zum Preise von 90,50% über­ nommen und zum Zeichnungspreise von 92% zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt und unter­ gebracht worden. No.

Neichsschuldenverwaltung; Reichsschulden­ ausschutz. I. Bis zum Erl. der Reichsschulden­

ordnung vom 13. 2. 1924 (RGBl. I 95) wurden die Reichsschulden, nachdem eine im Jahre 1867 eingebrachte Gesetzesvorlage über die Errichtung einer Bundesschuldenverwaltung gescheitert war, von der preuß. Hauptverwaltung der Staats­ schulden (s. Preußische Staatsschuldenver­ waltung) unter der Bezeichnung Reichsschulden­ verwaltung verwaltet. Dies war durch § 9 der alten Reichsschuldenordnung vom 19. 3. 1900 (RGBl. 129) allgemein angeordnet, während vorher jedes AnleiheG. die Verwaltung der be­ willigten Anleihe der preuß. Hauptverwaltung der Staatsschulden übertragen hatte. Das An­ wachsen der Reichsschuld in und nach dem Kriege gegenüber einer nur unbedeutenden Zunahme der preuß. Schuld gab Veranlassung, in der neuen Reichsschuldenordnung zugleich mit der Revision der materiellen Vorschriften über die Verwal­ tung der Reichsschuld die Organisation dieser Ver­ waltung dahin zu ändern, daß eine besondere Reichsbehörde, die Neichsschuldenverwaltung, ge­ schaffen wurde. II. Die staatsrechtliche Stellung und innere Ausgestaltung dieser Behörde, der nicht nur die technische Seite des Schuldenverwaltungsdienstes, also insbesondere die Ausfertigung der Schuld­ urkunden, die Ausgabe neuer Zinsbogen, die Ver­ zinsung und Tilgung der Schuld obliegt, sondern die, indem ihr diese Aufgaben zu eigener Verant­ wortung und mit Gebundenheit an die G. über­ tragen sind, dafür einzustehen hat, daß ihre Schuld­ verbriefungen sich im Rahmen der gesetzlichen An­ leihebewilligungen halten und daß die Reichsschuld den G. und Vertragsbedingungen entsprechend verzinst und getilgt wird, fand in der Reichs­ schuldenordnung ihre Regelung in enger Anleh­ nung an das preuß. G. betr. die Verwaltung des Staatsschuldenwesens und Bildung einer Staats-

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Reichschulgesetz

schuldenkommission vom 24. 2. 1850 (GS. 57). Die R., der die Reichsschuldenkasse, die Kon­ trolle der Reichspapiere und das Reichsschuldbuch­ bureau als besondere Abteilungen unterstellt sind, ist hiernach eine von der allgemeinen Finanz­ verwaltung abgesonderte Reichsbehörde mit un­ bedingter und selbständiger Verantwortlichkeit für die wichtigsten mit der Verwaltung der Reichs­ schuld zusammenhängenden Geschäfte, insbeson­ dere für die ordnungsmäßige Ausstellung und Ausreichung der Schuldurkunden, die gesetz­ mäßige Führung des Reichsschuldbuchs, für eine den G. und Vertragsbedingungen entsprechende Verzinsung und Tilgung der Reichsschuld und für die gehörige Verwahrung, Entwertung und Vernichtung der eingelösten, zurückerworbenen oder in eine Buchschuld umgewandelten Schuld­ urkunden. Im übrigen untersteht sie der oberen Leitung des RFM. Sie bildet ein mit Stimmen­ mehrheit entscheidendes Kollegium, bestehend aus dem Präsidenten, seinem Stellvertreter und den sonstigen Mitgliedern, neben denen ständige und nichtständige Hilfsarbeiter beschäftigt werden können. Dem Kollegium werden die erforder­ lichen Beamten beigegeben. Die Mitglieder und ständigen Hilfsarbeiter werden vom Reichspr., erstere nach Zustimmung des RR., auf Lebenszeit ernannt, die nichtständigen Hilfsarbeiter werden vom Präsidenten der R. berufen, der auch die übrigen Beamten ernennt. Oberste Reichsbehörde, vorgesetzte Dienstbehörde und Dienstvorgesetzter im Sinne des ReichsbeamtenG. ist hinsichtlich der Mitglieder und ständigen Hilfsarbeiter der RFM., hinsichtlich der übrigen Beamten der Präsident der R. Zur Ausübung der wichtigsten Befugnisse disziplinärer Natur gegenüber Mit­ gliedern bedarf der RFM. der Zustimmung des RR. Mitglieder und Hilfsarbeiter werden durch einen besonderen Eid auf die gesetzmäßige und unbeeinflußte Führung der der R. in selbstän­ diger und unbedingter Verantwortung über­ tragenen Geschäfte verpflichtet. III. Folgende Aufgaben sind der N. durch be­ sondere G. zugewiesen: a) durch das ReichspostfinanzG. vom 18. 3. 1924 (RGBl. I 287) die Verwaltung der Schulden der deutschen Reichs­ post; b) durch § 8 Abs. 9 der Satzung der Deutschen Reichsbahngesellschast (RGBl. II 272) die Mit­ unterzeichnung der von der Reichsbahn ausgegegebenen Reparationsschuldverschreibungen ; c) durch § 25 der 1. Durchführungsbestimmungen zum G. über die Jndustriebelastung vom 28. 10. 1924 (RGBl. II421) die Vertretung der deutschen Reg. bei der Abgabe der Garantieerklärung be­ züglich der von der Industriebau! ausgegebenen Jndustrieobligationen; d) durch das ÄnleiheablösungsG. vom 16. 7. 1925 (RGBl. I 137) und die hierzu ergangenen DurchführungsV. die Gewährung und Auszahlung der Vorzugs- und Wohlfahrtsrente. Auf Grund § 39 der Reichs­ schuldenordnung und § 23 der preuß. (Staate* schuldenordnung vom 12. 3. 1924 ist der R. auch die Verwaltung der preuß. Staats­ schulden widerruflich übertragen, die sie unter der Bezeichnung „Preußische Staatsschulden­ verwaltung" führt. IV. Über die der R. unter eigener Verwaltung übertragenen Geschäfte übt ein durch die Reichs­ schuldenordnung eingesetzter, aus je sechs Mit­

gliedern des RR. und des RT. und dem Präsi­ denten des Rechnungshofs als Vorsitzenden be­ stehender Reichsschuldenausschuß die Aussicht aus, der dem RR. und dem RT. über seineTätigkeit und über die seiner Aufsicht unterstellte Verwal­ tung derReichsschuld jährlich zu berichtenhat. Hier­ zu hat ihm die R. ihre Geschäftsübersichten und die Monats- und Jahresabschlüsse der Reichsschul­ denkasse zu übersenden und ihm Auskunft über ihre Verwaltung, den Bestand der Verzinsung und die Tilgung der Reichsschuld zu geben. Er hat selbst, erforderlichenfalls unter Heranziehung von Be­ amten des Rechnungshofs, jährlich mindestens eine außerordentliche Prüfung der Geld- und Wert­ papierbestände der R. vorzunehmen. Erb. Erbes, Die neue^Reichs^chuldenverwaltung im Bant­ archiv, 1924.

Reichsschulgesetz. Unter „Reichsschulgesetz" versteht man vornehmlich das im Art. 146 RV. vorgesehene ReichsG. Art. 146 RV. bestimmt im Abs. 1: „Das öffentliche Schulwesen ist orga­ nisch auszugestalten. Auf einer für alle gemein­ samen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen aus . .." Abs. 2 lautet: „In­ nerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten BSch. ihres Bekennt­ nisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb, auch im Sinne des Abs. 1, nicht beeinträchtigt wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten ist möglichst zu berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines ReichsG." Art. 174 a. a. O. schreibt vor: „Bis zum Erlaß des in Art. 146 Abs. 2 vorgesehenen ReichsG. bleibt es bei der bestehenden Rechtslage. Das G. hat Gebiete des Reichs, in denen eine nach Be­ kenntnissen nicht getrennte Sch. gesetzlich besteht, besonders zu berücksichtigen." Auf Grund dieser Vorschriften legte der RMdJ. Koch unter dem 22. 4. 1921 dem NT. den von dem Staatssekretär Schulz herrührenden „Entwurf eines G. zur Ausführung des Art. 146 Abs. 2 RV." vor (RT., Aktenstück 1883, Verhandl. I. Wahlperiode 1920 Bd. 336 S. 1613). Begründung s. S. 1616. Der Gesetzentwurf war gegliedert in 1. Gemeinschafts­ schule, 2. Bekenntnisschulen, 3. bekenntnisfreie Sch.; a) weltliche, b) Weltanschauungsschulen. Hierzu Poetzsch, in DIZ. 21, 422; Troitzsch im PrVBl. 42, 470. In der 156. und 157. Sitzung vom 23. und 24.1.1922 wurde die erste Beratung des Entwurfs vorgenommen. Er wurde am zwei­ ten Tage dem 30. Ausschuß (Bildungswesen) über­ wiesen und ist unerledigt geblieben. Im Herbst 1925 gelangte ein neuer Entwuurf an die Öffent­ lichkeit, der sog. Entwurf Schiele-Gürich (abge­ druckt bei Schulz [f. unten) 140); bis zur Vorlage an den RT. ist er nicht gediehen. Schließlich wurde im Juli 1927 von dem RMdJ. v. Keudell der Entwurf eines ReichsschulG. der Öffentlichkeit unterbreitet. Er trug die Überschrift: Entwurf eines G. zur Ausführung der Art. 146 Abs. 2 und 149 der RV. und enthielt folgende For­ men der deutschen Volksschule; a) die nach Bekenntnissen nicht getrennte BSch. (Gemein­ schaftsschule), b) die Bekenntnisschule, c) die bekenntnisfreie Schule (weltliche oder Welt­ anschauungsschule) sowie Vorschriften über Ein­ richtung und Umwandlung der Schulforrnen, Schulaufsicht und Schulverwaltung, Religicms-

Reichsschulkommission — Reichsstelle für Wertpapiere

unterricht in den Volksschulen, Rechtsmittel und Übergangs- und Schlußbestimmungen. Der Ent­ wurf ist Gegenstand lebhafter Auseinander­ setzungen in der Öffentlichkeit, insbesondere in der Presse, gewesen. Das preuß. StM. äußerte sich eingehend zu dem Entwurf (Anträge des Preuß. StM. vom 20.9. 1927, abgedruckt bei Landö, Aktenstücke, s. unten); es schlug dabei für das G. den — bereits allgemein angenomme­ nen — Namen „ReichsvolksschulG." vor. Bei der Beratung im RR. wurde ein positives Ergebnis nicht erzielt; in der Form, die der Ausschuß des RR. dem Entwürfe gegeben hatte, wurde er ab­ gelehnt. Unter dem 14. 10. 1927 wurde der Entwurf unverändert dem RT. vorgelegt (dritte Wahlperiode 1924/27 Drucksache Nr. 3654). Er wurde von diesem dem Bildungsausschuß über­ wiesen und unterlag dort eingehender Beratung. Die sachlichen Hauptprobleme (Ausdruck des Abg. Runkel) waren 1. die Frage, ob die Gemeinschafts­ schule die „Regelschule" sein soll; 2. die Frage des geordneten Schulbetriebes; 3. die Einsichtnahme durch die Religionsgesellschaften; 4. die besondere Berücksichtigung der Simultanschulländer; 5. die Kostenfrage. Das ReichsvolksschulG. ist nach den Beschlüssen der Koalitionsparteien vom 15.2. 1928 einstweilen als gescheitert anzusehen. Gr. Schulz, Der Leidensweg des Reichsschulgesetzes, Berlin 1926; Lands, Rechtsfragen des Reichsschulgefetzes im PrVBl. 48, 463; derselbe, Aktenstücke zum Reichs­ volksschulgesetz, Berlin 1927; Der Reichsschulgesetzentwurf, erläutert und gewürdigt (Verlag evang. Preßverband), Berlin-Steglitz 1927.

ReichSschulkommission s. Schulen II. ReichSschulkonferenz s. Höhere Lehranstal­ ten, Geschichte und Aufbau C I. ReichSsparkommissar. Die Stelle ist auf Grund der Beschlüsse der Reichsregierung vom 27. 11. 1922 und vom 3. 12.1923 geschaffen worden. Sie wird nebenamtlich vom Präsidenten des Rechnungshofes, welchem zu diesem Zweck eine Anzahl Hilfsbeamter kommissarisch beigeordnet ist, versehen. Der R. hat in Gemeinschaft mit dem RFM. den gesamten Haushalt und die Haus­ haltsführungen der einzelnen Reichsministerien auf die Möglichkeit von Ersparnissen fortlaufend zu prüfen und der Reichsregierung entsprechende Vorschläge, insbesondere über Vereinfachung der Verwaltung, Verminderung des Personals usw. zu machen. Nach Einstellung des Personalabbaus (s. d.) ist seine Tätigkeit, die mangels gesetzlicher Zuständigkeit immer nur beratender Natur ge­ wesen ist, zwar wesentlich eingeschränkt, aber bezüglich sachlicher Maßnahmen und gegenüber beabsichtigter Neuschaffung von Stellen nicht ganz bedeutungslos geworden. Richtlinien für die Tätigkeit des R.: RMBl. 27, 141. Aus den gleichen Ersparnisrücksichten ist durch Vf. des Reichspr. vom 18. 12. 1923 die Verwaltungs­ abbaukommission ins Leben gerufen, um eine Vereinfachung der Verwaltung herbeizuführen. Die Präsidenten der LFA. sind als Beauftragte der Kommission tätig. Ly. Reichdstädtebund s. Kommunale Spitzen­ verbände. Reichsstelle für Wertpapiere (s. auch Devisen­ beschaffungsstelle). Nach Beendigung des Krieges war es infolge der damals herrschenden Lebensmittelnot eine der ersten Aufgaben der Reg., die Ernährung der Bevölkerung sicher­

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zustellen. Die Beschaffung von Lebensmitteln im Auslande gegen Markzahlung war infolge der Entwertung der Mark sehr erschwert, wenn nicht unmöglich. Der Bezahlung in Gold oder Edel­ valuten standen die Bestimmungen der Wasfenstillstandsbedingungen bzw. des Trierer Finanz­ abkommens entgegen. Ein Ausweg wurde durch das Brüsseler Lebensmittelabkommen vom 14. 3. 1919 gefunden. Danach konnte Deutschland Nah­ rungsmittel und Rohstoffe einführen und die Be­ zahlung durch den Verkauf ausländischer Wert­ papiere oder durch die Inanspruchnahme von Krediten auf Grund von ausländischen Wert­ papieren bewirken. Die gemäß der V. des RFM. vom 26. 3. 1919 (RGBl. 333) errichtete R. für ausländische Wertpapiere wurde mit der Durch­ führung des Abkommens betraut; und zwar hatte die R. folgende Aufgaben: 1. Einsammlung der beschlagnahmten Wertpapiere, 2. Entgegennahme der Anmeldungen von zunächst noch nicht zur Ablieferung ausgerufenen Wertpapieren, 3. Be­ arbeitung der Freigabeanträge, 4. Überwachung von Ausfuhrbestimmungen durch Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen, 5. Festsetzung und Aus­ schüttung der bei der Ablieferung der Wertpapiere zu leistenden Abschlagszahlungen, 6. Verwertung der Wertpapiere, 7. Festsetzung weiterer Ab­ schlagszahlungen und der Restquoten. Zum Zwecke der Durchführung der Beschlagnahme­ bestimmungen wurden unter Hinzuziehung der größeren Bankinstitute in Berlin und Köln Zentralsammelstellen eingerichtet, die mit der Entgegennahme der Wertpapiere und Ausschüt­ tung der Abschlagszahlungen betraut wurden. Durch dieses Verfahren wurde die Einsammlung und Verrechnung der sehr erheblichen Wertpapier­ bestände — innerhalb des ersten Jahres wurden ungefähr 500 Millionen Goldmark nominal ab­ geliefert — erleichtert. Die Verwertung stieß für einen Teil der Wertpapiere auf mancherlei Schwierigkeiten. Bei zwei argentinischen An­ leihen mußten Prozesse angestrengt werden, um die Verpflichtung des Schuldners zur Einlösung in hochwertigen Valuten festzustellen. Erst im Sommer 1921 war die Veräußerung der Wert­ papierbestände zu einem erheblichen Teil durch­ geführt; es blieben übrig die beiden obenerwähn­ ten argentinischen Anleihen, ferner serbische, portugiesische und chinesische Anleihen, für die der Dienst von den in Frage kommenden Reg. gesperrt war. Im Oktober 1921 erfolgte die Rest­ zahlung an die Einreicher der verwerteten An­ leihen; den Einreichern der noch nicht oder nur zumTeil veräußerten Wertpapiergattungen wurde eine Endabrechnung durch Vergleich angeboten. Ungefähr zwei Drittel der Ablieferer machten von diesem Angebot Gebrauch. Der günstige Ausgang der beiden in Argentinien angestrengten Prozesse gab in den Jahren 1922 bzw. 1924 die Möglich­ keit, auch für diese beiden Anleihen die Rest­ zahlungen zu leisten. Die chinesischen Eisenbahn­ anleihen mußten auf Grund des deutsch-chine­ sischen Friedensvertrags an China abgeliefert werden; die Endentschädigung für diese Wert­ papiergattungen wurde auf Grund des LiquidationsschädenG. geleistet. Eine ähnliche Re­ gelung fand für die Ablieferer der sog. I. Rang Portugiesen von 1889 statt. Die serbischen An­ leihen und portugiesischen Beira-Beixa-Obli-

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Reichsstelle für Wertpapiere

gationen wurden an die Einreicher, soweit sie von dem Angebot der vorzeitigen Endabrechnung keinen Gebrauch gemacht hatten, zurückgegeben. Zu dem ursprünglichen Arbeitsgebiet, der Durch­ führung des Brüsseler Lebensmittelabkommens, trat im Frühjahr 1920 nach Ratifizierung des Versailler Vertrags die Einsammlung und Ent­ schädigung der auf Grund des Versailler Vertrags beschlagnahmten Werte. Eingesammelt wurden auf Grund des Art. 298/10 u. a. französische, belgische, englische, griechische, portugiesische, kana­ dische, südafrikanische, siamesische, neuseeländische und australische Werte, die an die einzelnen Reg. abgeliefert wurden. Nach Art. 260 des Versailler Vertrags wurden beschlagnahmt in der Haupt­ sache russische und östereichisch-ungarische Wert­ papiere, die an die Reparationskommission ab­ geführt wurden. Der Erlös aus diesen abgeliefer­ ten Werten war nach Liquidierung durch die ehe­ mals feindlichen Staaten bzw. durch die Repa­ rationskommission dem Reiche vertragsmäßig auf Liquidations- resp. Reparationskonto gutzuschrei­ ben; die Ablieferer waren durch das Deutsche Reich zu entschädigen. Da für die Festsetzung der Entschädigungsbeträge, denen in der Haupt­ sache die Friedenskurse zugrunde gelegt wurden, besondere fachliche Kenntnisse erforderlich waren, wurden die Entschädigungen für Wertpapiere der R. übertragen. Zwecks Festsetzung der einzelnen Entschädigungsbeträge wurde die Errichtung einer umfangreichen Kursabteilung erforderlich, in der die Vorkriegskurse für sämtliche in Frage kommen­ den Wertpapiere ermittelt wurden. Soweit die Feststellung von Friedenskursen nicht möglich war, wurden in der der Kursabteilung angegliederten Bewertungsabteilung aus Grund eingeholter Auskünfte (Bilanzen usw.) Schätzungkurse fest­ gesetzt. Auch die nach Art. 297 b im Auslande beschlagnahmten Wertpapiere waren bei der R. anzumelden und nach Beibringung der erforder­ lichen Beweisurkunden zu entschädigen. Die Ent­ schädigung regelte sich nach den Bestimmungen der Liquidationsentschädigungen. Die zahlreichen bei der R. einlaufenden An­ fragen über im Ausland während des Krieges verlorene Güter führten zur Bildung einer be­ sonderen Abteilung, dem „Referat für deutsches Vermögen im Auslande". Bon hier aus wurde durch Rückfragen bei den zuständigen ausländi­ schen Behörden die Nichtigkeit der Angaben der Reichsangehörigen sestgestellt und, sofern die Rück­ fragen zu einem Ergebnis führten, die Unterlagen an die zuständigen Entschädigungkammern weiter­ geleitet. Die Beschlagnahmebestimmungen für die Brüsseler Lebensmittelesfekten svwie für die V. V.-Werte führten zu einer Überwachung der Postausfuhr. Die an den Grenzstellen eingerich­ teten Postüberwachungsstellen hatten darauf zu achten, daß nur solche Wertpapiersendungen ins Ausland weitergeleitet wurden, für die eine Aus­ fuhrgenehmigung erteilt war. Diese Genehmi­ gung wurde von der Ausfuhrabteilung der R. lediglich für nicht beschlagnahmte Wertpapier­ gattungen mit der Maßgabe ausgestellt, daß der in hochwertiger ausländischer Währung erzielte Er­ lös an die Reichsbank gegen Papiermarkzahlung abgeführt wurde. Ein weiteres Arbeitsgebiet der R. ergab sich im Jahre 1922 aus der Durch­ führung des Art. 203 des Vertrags von St.

Germain und Art. 186 des Vertrags von Trianon, die bestimmten, daß die nicht sicher­ gestellten Vorkriegsschulden Osterreich-Ungarns von den Nachfolgestaaten in einem bestimmten Verhältnis zu übernehmen waren. Es war er­ forderlich, daß sämtliche in deutschem Eigentum stehende Stücke angemeldet und eingesammelt wurden, wobei wiederum das Prinzip der Zentral­ sammelstellen zur Anwendung kam. Nachdem die Bestände gesammelt und gesichtet waren, wurden die einzelnen Stücke mit einem Stempelvermerk versehen und der von der Reparationskommission eingesetzten Caisse Commune als in Deutschland abgestempelt gemeldet. Die Stücke selbst wurden den Einreichern zurückgegeben. Die über die ab­ gestempelten Stücke von der R. zusammengestell­ ten Nummernverzeichnisse sowie deren Nachträge sind jeweils veröffentlicht worden. Die R. hat ferner jährlich die Steuerkurse für Auslands­ werte zusammengestellt; das hierfür erforderliche Kurszettelmaterial fast sämtlicher Börsen der Welt stand dem Archiv der R. zur Verfügung. Im August 1923 sah sich die Reichsregierung in­ folge des fortschreitenden Währungsverfalls ge­ zwungen, die in Deutschland noch vorhandenen Devisen und hochvalutarischen Wertpapiere aufzurusen. Der Ausruf erfolgte durch die V. des Reichspr. über die Ablieferung ausländischer Ver­ mögensgegenstände vom 25. 8. 1923 (RGBl. I 833). Die R. wurde durch § 19 der Durchführungsbestimmu ngen zu dieser V. vom 30. 8. 1923 (RGBl. I 837) mit der Verwertung der ihr durch die Zentralsammelstellen aufgegebenen Wertpapiere beauftragt. Der erzielte Erlös wurde von ihr an die Devisenbeschaffungsstelle, die mit der Prüfung des Eingangs der abgelieferten Ver­ mögenswerte beauftragt war, abgeführt. Der Wert der abgelieferten Wertpapiere belief sich auf rund 8 Mill. Goldmark. Es handelte sich hierbei in der Hauptsache um noch in Deutsch­ land verbliebene Anleihen der während des Krieges neutralen Länder (Schweden, Norwegen, Dänemark, die Schweiz, Holland, Argentinien usw.). Als Entschädigung wurden den Ablieferern Goldmarkquittungen ausgehändigt, die gegen Goldanleihe oder in bar eingelöst werden oder zur Errichtung eines wertbeständigen Steuer­ kontos oder eines wertbeständigen Kontos bei der Reichskreditgesellschaft Verwendung finden konn­ ten. Infolge der Sparmaßnahmen der Reichs­ regierung nach der Stabilisierung der Währung wurde die R. auf Grund der V. des Reichspr. vom 13. 3. 1924 (RGBl. I 286) am 31. 3.1924 aufgelöst. Die Aufgabengebiete wurden wie folgt verteilt: a) die Liquidierung des Brüsseler Lebens­ mittelgeschäfts und der Goldwertabgabe sowie das Abstempelungsverfahren Osterreich-Ungarn, die Bearbeitung von Steuerkursen und die Auf­ gaben der Ausfuhrabteilung wurden der Devisen­ beschaffungs stelle G. m. b. H. zugeteilt; b) das Entschädigungsv erfahren für die Versailler Ver­ tragseffekten wurde dem Reichsentschädigungs­ amt für Kriegsschäden angegliedert; c) das „Refe­ rat für das deutsche Vermögen im Auslande" ging an das Reichsausgleichsamt über. Zu der weiteren Abwicklung der Geschäfte durch die Ab­ teilung Wertpapiere der Devisenbeschaffungsstelle G. m. b. H. ist folgendes zu bemerken: Die Haupt­ tätigkeit der Abteilung Wertpapiere bestand in

Reichsstempelsteuer — Reichstag der Verwertung der Nestbestände aus dem Brüsse­ ler Lebensmittelabkommen. In Ausführung des deutsch-chinesischen Friedensvertrags hat, wie oben bemerkt, die Abteilung Wertpapiere im Sommer 1924 die chinesischen Eisenbahnanleihen in London abgeliefert. Nach Durchführung dieser Ablieferung hob die chinesische Reg. die Sperre des Dienstes der chinesischen Anleihen deutscher Emission auf. Es war nunmehr möglich, mit dem Einzug der vorfälligen Zinsscheine und der Ver­ wertung der Bestände in chinesischer Reorgani­ sationsanleihe zu beginnen. Der Einzug der Zins­ scheine und verlosten Stücke ist restlos durch­ geführt. Ein erheblicher Teil der unverlosten Stücke konnte im Auslande verkauft werden. Auf Grund der erzielten Erlöse wurden in Anlehnung an die jeweiligen Kurse die Einreicher von noch nicht endgültig abgerechneten Stücken auf An­ trag vergleichsweise entschädigt. Ungefähr 90% der noch offenen Ansprüche wurden auf diese Weise abgegolten. Die der Devisenbeschaffungs­ stelle G. m. b. H. ebenfalls angegliederte Ausfuhr­ abteilung hat ihre Tätigkeit zunächst in gleicher Weise wie bei der R. fortgesetzt. Mit fortschreiten­ der Befestigung der Währung erübrigte sich eine weitere Überwachung der Ausfuhr von Wert­ papieren; die Ausfuhrbeschränkungen wurden auf­ gehoben. Das Abstempelungsversahren der öster­ reichisch-ungarischen Vorkriegsrenten wurde gleich­ falls durch die Abteilung Wertpapiere fortgesetzt. Die bisher geltenden Richtlinien für die nachträg­ liche Abstempelung mußten erheblich verschärft werden, da sich infolge Nachahmung des deutschen Stempels bzw.Entfernung ausländischer Stempel­ vermerke auf den Stücken erhebliche Unzuträg­ lichkeiten ergaben. Nachdem die Abteilung Wert­ papiere die Abstempelung der österreichisch-unga­ rischen Vorkriegsrenten an die Neichskreditgesellschast A.-G. abgegeben hat, liegt ihr noch das Entschädigungsverfahren für die noch nicht ab­ gegoltenen Ablieferer der chinesischen Reorgani­ sationsanleihe und die Verwertung der in das Eigentum des Reichs übergegangenen Wert­ papiere ob. No. NeichSstemPelsteuer s. Kapitalverkehrsteuern. Neichssteuern s. Steuern. Reichssteuerwesen s. Steuern und Reichs­ finanzverwaltung. Reichstag. Einteilung; I.Allgemeines. II. Wahl­ recht. III. Persönliche Rechte der Reichstagsmit­ glieder. IV. Tätigkeit des RT. V. Ausschüsse. VI. BefriedigungsG. I. Allgemeines. Der RT., der Repräsentant des Volkes als Träger der Souveränität nach Art. 1 RV. und damit das wichtigste und oberste Organ des deutschen Volkes (Giese zu RV. Abschn. II), besteht aus den vom Volke gewählten Abgeordneten. Er verkörpert das unitarische Prinzip vollkommener als der frühere RT., weil bei Bildung der Wahlkreise auf die Landesgrenzen keine Rücksicht mehr genommen wird (Giese zu Art. 20 RV.). Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge der Wähler nicht gebunden (Art. 21 RV.). Die Hauptaufgabe des RT. ist seine Mitwirkung bei der Reichs­ gesetzgebung und die Beschlußfassung des Reichs­ haushaltsplans. Daneben übt er eine dauernde Kontrolle über die Reichsregierung aus und kann

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zu diesem Zwecke die Minister zur Verantwortung ziehen (f. Reichsregierung). II. Wahlrecht. Die Wahl der Reichstagsmit­ glieder erfolgt durch allgemeine, unmittelbare und geheime Abstimmung aller am Wahltage über 20 Jahre alten reichsangehörigen Männer und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl an einem Sonntage oder öffentlichen Ruhetage auf die Dauer von vier Jahren (Art. 22, 23 RV.). Die näheren Vorschriften enthalten das RTWahlG. vom 27. 1. 1920 in neuer Fassung vom 6. 3. 1924 (RGBl. I 159), abgeändert durch G. vom 13. 3. 1924 (RGBl. I 173), und die Reichs­ stimmordnung vom 14. 3. 1924 (RGBl. 1173), abgeändert durch V. vom 3. 11. 1924 (RGBl. 1 726), 17. 3. 1925 (RGBl. I 21) und 14. 5. 1926 (RGBl. I 224). Diese Vorschriften gelten gleichmäßig für die Wahl des Reichspr. und die Abstimmung bei Volksentscheiden, über die Absetzung des Reichspr. und über Neugliede­ rung. Voraussetzung des aktiven Stimmrechts ist Neichsangehörigkeit und Vollendung des 20. Lebensjahres bis einschließlich des Abstim­ mungstages. Ausgeschlossen ist das Stimmrecht bei Entmündigung, vorläufiger Vormundschaft oder Pflegschaft wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen und bei Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte. Das Stimmrecht ruht bei Zugehörigkeit zur Wehrmacht. Verhinderung in der Ausübung des Stimmrechts findet statt bei Anstaltsunter­ bringung wegen Geisteskrankheit, Straf- und Untersuchungshaft und bei Polizeigewahrsam (außer bei Schutzhaft). Zur Ausübung des Stimm­ rechts ist Eintragung in die Wählerliste oder Wahl­ kartei oder Besitz eines Stimmscheins erforderlich (s. unten). Wählbar ist jeder 25 Jahre alte, in einem Wahlvorschlag benannte Stimmberech­ tigte, welcher seit einem Jahre Reichsangehöriger ist. Das durch Wahl erlangte Mandat geht ver­ loren durch: a) Verzicht, b) nachträglichen Ver­ lust des Wahlrechts, c) strafrechtliche Aberkennung der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, d) Ungültigkeitserklärung der Wahl durch das Wahlprüsungsgericht (s. unten), e) nachträg­ liche Änderung des Wahlergebnisses (§§ 1—5 WahlG.). Sämtliche Stimmberechtigte einer Ge­ meinde sind vom Gemeindevorsteher in die, ge­ gebenenfalls nach Geschlechtern oder nach Straßen getrennt angelegte, alphabetische Liste oder Wahl­ kartei einzutragen (§§ 5—8 StimmO.). Als Wohnort gilt dabei der Ort des Wohnsitzes oder gewöhnlichen, d. h. nicht nur wenige Wochen um­ fassenden, Aufenthalts (§ 163 StimmO.). Die Listen (Karteien) sind während der vom ReichsMdJ. bestimmten Zeit auszulegen imb kann während derselben von jedem Stimmberech­ tigten gegen die Richtigkeit der Liste (Kartei) Einspruch bei der Gemeindebehörde, und gegen dessen Zurückweisung Beschwerde an die in § 165 StimmO. und Anl. 20 zu derselben bezeichnete Behörde (in Preußen LR. bzw. Magistrat) ein­ gelegt werden, welche endgültig entscheidet. Stimmscheine (bei Reichstagswahlen Wahl­ scheine) erhalten 1., eingetragene Stimmberech­ tigte, welche a) am Abstimmungstage aus zwin­ genden Gründen außerhalb sein müssen, b) nach Ablauf der Einspruchsfrist den Wohnsitz verlegt haben, c) wegen körperlicher Gebrechen gezwun­ gen sind, einen bequemer gelegenenAbstimmungs-

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raum aufzusuchen, 2., nicht eingetragene Stimm­ berechtigte, wenn a) ohne Verschulden die Frist zur Erhebung des Einspruchs wegen Nichtein­ tragung versäumt ist, b) der Grund für Ruhen des Stimmrechts nach Ablauf der Einspruchsfrist fort­ gefallen ist, c) ein Auslandsdeutscher erst nach Ab­ lauf der Einspruchsfrist seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt hat. Über die Erteilung von Stimmscheinen, die bei eingetragenen Wählern in der Liste zu vermerken ist, entscheidet die Ge­ meindebehörde. Gegen Versagung findet das gleiche Einspruchs- und Beschwerdeverfahren wie hinsichtlich der Eintragung statt. Für Stimm­ scheinerteilung an Seeleute und für die Form des Stimmscheines bei der Reichspräsidentenwahl gelten besondere Bestimmungen. Inhaber von Stimmscheinen müssen in allen Stimmbezirken, sonstige Stimmberechtigte dürfen nur in dem Be­ zirke, in welchem sie eingetragen sind, zur Ab­ stimmung zugelassen werden (§ 14 WahlG.; §§ 9 bis 17 StimmO.). Das Reichsgebiet ist in Wahl­ kreise und (für etwaige Verbindung von Wahl­ vorschlägen, s. unten) Wahlkreisverbände einge­ teilt, die in der Anlage zum Wahlgesetz aufgesührt find. Die Kreis- und Verbandswahlleiter werden vom RP. (für Berlin; OP.) bzw. OP. bzw. von der Landesregierung ernannt, je nachdem der Kreis bzw. Verband über den Bereich eines RegBez. bzw. einer Provinz hinausgeht oder nicht. Für die Bezirke, welche verschiedene Länder um­ fassen, erfolgt die Ernennung nach Anhörung der betreffenden Landesregierungen, soweit sie nicht in § 24 StimmO. besoüwrs geregelt ist. Bei Ab­ stimmungen betreffend Neugliederung ernennt der ReichsMdJ. nach Benehmen mit der Landes­ regierung die Abstimmungsleiter (§ 25 a. a. O.). Der ReichsMdJ. bestellt einen Reichswahlleiter. Die Wahlleiter haben aus den Wahlberechtigten ihres Bezirks Wahlausschüsse zu bilden (§§ 23 bis 33 StimmO.). Die Abstimmungsbezirke und Abstimmungsräume werden vom LR. (Magistrat) bestimmt, der auch die Abstimmungsvorsteher zu ernennen hat. Wird eine Gemeinde in mehrere Abstimmungsbezirke geteilt, so soll keiner mehr als 2500 Stimmberechtigte umfassen; für Kran­ kenhäuser und Pflegeanstalten können besondere Wahlbezirke gebildet werden. Den Wahltag setzt bei Reichstagswahlen der Reichspr., bei Wahl des letzteren der RT., bei Volksentscheiden die Reichs­ regierung, und bei Abstimmung über Neugliede­ rung sowie bei Wiederholungs- oder Nachwahlen der ReichsMdJ. fest (§ 46 StimmO.). Es gibt Kreis- und Reichswahlvorschläge; dieselben sind spätestens am 17. bzw. 14. Tage vor der Wahl dem Kreis- bzw. Reichstagswahlleiter einzu­ reichen. Innerhalb eines Wahlkreisverbandes können die Kreiswahlvorschläge mit der Wirkung miteinander verbunden werden, daß die Rest­ stimmen der einzelnen verbundenen Wahlvorschläge zusammengerechnet werden. Mit gleicher Wirkung können die Kreiswahlvorschläge einem Reichswahlvorschlage angeschlossen werden. Die Verbindungserklärungen sind spätestens 12 Tage vor der Wahl dem Berbandswahlleiter, die An­ schlußerklärungen spätestens 8 Tage vor der Wahl dem Kreiswahlleiter einzureichen (§ 48a a. a. O.). Jeder Reichswahlvorschlag muß von 20 Wählern beliebiger Wahlkreise, jeder Kreis­ wahlvorschlag von 500 Wählern des betreffenden

Wahlkreises unterzeichnet sein; es genügen 20, wenn glaubhaft nachgewiesen wird, daß min­ destens 500 Wähler Anhänger des betreffenden Vorschlages oder eines mit ihm verbundenen oder demselben Neichswahlvorschlag angeschlosscnen Vorschlages sind (§ 49 a. a. £).). Bei den Bor­ schlägen für die Wahl des Reichspr. sind 20000 Unterschriften erforderlich; wenn die Vorschläge von Gruppen ausgehen, auf deren Reichswahl­ vorschlag einschließlich der angeschlossenen Vor­ schläge bei der letzten Reichtstagswahl glaub­ hafter Weise mindestens 500000 Stimmen ent­ fallen sind, oder wenn bei einem zweiten Wahl­ gang der Vorschlag des ersten wiederholt wird, so genügen 20 Unterschriften (V. vom 17. 3. 1925, RGBl. I 21). In den mit der Partei­ bezeichnung zu versehenden Wahlvorschlägen sind die Bewerber in der für die Zuteilung der Sitze maßgebenden Reihenfolge mit Namen und Wohnort aufzuführen. Mit dem Wahlvor­ schlage sind die Einverständniserklärungen der Bewerber, eine behördliche Bescheinigung über die Erfüllung der einzelnen Voraussetzungen für die Wählbarkeit, sowie ebensolche Bescheini­ gungen, daß die Unterzeichner in die Liste (Kartei­ eingetragen oder mit Stimmscheinen versehen sind, vorzulegen. Außerdem ist in jedem Wahl­ vorschlage ein Vertrauensmann und sein Ver­ treter namhaft zu machen; anderenfalls gelten als solche die beiden ersten Unterzeichner. Die Leiter der Wahlausschüsse haben auf Beseitigung etwaiger Mänael durch die Vertrauensmänner hinzuwirken. Über die Zulassung der Wahlvor­ schläge bzw. ihrer Verbindung entscheiden die be­ treffenden Wahlausschüsse in öffentlicher Sitzung. Bewerber, die nicht wählbar sind oder deren Per­ son nicht feststeht, oder die auf mehreren Vor­ schlägen desselben Wahlkreises oder auf mehreren Reichswahlvorschlägen genannt find, oder bei denen die Zustimmungserklärung oder eine der erforderlichen Bescheinigungen fehlt, sind zu streichen. Nach Feststellung der Wahlvorschläge können Mängel nicht mehr beseitigt werden (§§ 49 bis 59 a. a. O.). Die zugelassenen Reichswahl­ vorschläge werden spätestens am 11. Tage vor der Wahl vom Reichswahlleiter, die zugelassenen Kreiswahlvorschläge nebst den Berbindungs- und Anschlußerklärungen spätestens am vierten Tage vor der Wahl durch den Kreiswahlleiter ver­ öffentlicht. Die Abstimmungsbezirke, die Ab­ stimmungsräume, die Abstimmungsvorsteher und die Art der Stimmabgabe sind gleichzeitig mit dem Abstimmungstermin durch den Gemeinde­ vorstand drei Tage vor der Wahl ortsüblich bekanntzumachen. Die Abstimmungszeit dauert im Sommerhalbjahr von 8—5 Uhr, sonst von 9—6 Uhr; in Stimmbezirken unter 1000 Ein­ wohnern kann sie der LR. auf 10—5 Uhr fest­ setzen. Der Abstimmungsleiter (Wahlvorsteher) beruft aus den Stimmberechtigten seines Be­ zirks 3—6 Beisitzer und einen Schriftführer (letzteren gegebenenfalls aus einem anderen Be­ zirke) als Wahlvorstand (§ 10 WahlG.). Es können auch mehrere Abstimmungstische in dem­ selben Raume eingerichtet werden; sie müssen dann aber jeder einen getrennten Abstimmungs­ vorstand haben. Die Stimmzettel werden amt­ lich geliefert und enthalten bei der Reichstags­ wahl sämtliche zugelassenen Kreiswahlvorschläge;

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Weise wird bezüglich der Reststimmen, welche hiernach noch aus den verbundenen Kreiswahl­ vorschlägen als überschüssig verbleiben oder welche sich bei den nicht untereinander verbundenen, aber einem Reichswahlvorschlage angeschlossenen Kreis­ wahlvorschlägen ergeben haben, verfahren; dabei wird jedoch ein noch verbleibender Rest von mehr als 30000 wie volle 60000 Stimmen gerechnet (§§ 31, 32 WahlG.; §§ 143,144 StimmO.). Ein für mehrere Wahlkreise Gewählter hat dem Reichswahlleiter binnen einer Woche zu er­ klären, welche Wahl er annimmt (8139 StimmO.) Auf Reichswahlvorschläge dürfen nicht mehr Sitze zugeteilt werden, als auf die angeschlossenen Kreiswahlvorschläge zusammengerechnet (§ 32 WahlG.). Bei der Reichspräsidentenwahl wer­ den die in einem Wahlkreis für einen nicht vor­ geschlagenen Bewerber abgegebenen Stimmen, wenn sie weniger als 1000 betragen, als zer­ splittert gerechnet (§ 135 StimmO. in Fassung der V. vom 17. 3. 1925, RGBl. I 21). Der Reichswahlleiter hat das vom Reichswahlaus­ schuß in öffentlicher Sitzung festzustellende Ge­ samtabstimmungsergebnis im Reichsanzeiger zu veröffentlichen. Besonderes Wahlverfahren für Seeleute: Wenn dieselben vor der Abstim­ mung aus einem deutschen Seehafen ausfahren und spätestens am fünften Tage nach der Ab­ stimmung in einen deutschen Seehafen zurück­ kehren, können sie ihr Stimmrecht zwischen dem zehnten Tage (bei der Präsidentenwahl dem achten Tage) vor und dem fünften Tage nach der Abstimmung in einer der hierfür bezeichneten Hafenstädte mit Stimmschein ausüben (§§ 12, lila WahlG. in der Fassung der B. vom 3. 11. 1924, RGBl. I 726, und 17. 3. 1925, RGBl. I 21). Wegen der Sonderbestimmungen für Volksbegehren und Volksentscheide s. Gesetze, ReichsG., desgleichen für Abstimmungen über Neugliederung Reichsgebiet. Bei der Reichs­ präsidentenwahl muß, wenn der Reichswahl­ ausschuß übereinstimmend mit ReichsMdJ. fest­ stellt, daß keiner der Bewerber mehr als die Hälfte aller gültigen Stimmen erhalten hat, wenn das Wahlprüfungsgericht (s. unten) die Wahl für ungültig erklärt, oder wenn der Gewählte ab­ lehnt, eine neue Wahl angeordnet werden, und zwar in ersteren beiden Fällen durch RT., im letzten durch ReichsMdJ.(§§147—151 StimmO.). Über die Gültigkeit der Abstimmung und über etwaige Einsprüche hat in jedem Falle das Wahlprüsungsgericht (Art. 31 RB.) nach Maßgabe der Wahlprüfungsordnung vom 8. 10. 1920 (RGBl. 1773) zu entscheiden (§ 153 a. a. O.), ebenso über den etwaigen Verlust der Mitglied­ schaft. Es besteht aus Mitgliedern des RT., die dieser für die Wahlperiode wählt und aus solchen des Reichsverwaltungsgerichts (bis auf weiteres nach Art. 166 RV. des RG.), die der Reichspr. auf Vorschlag des Präsidiums dieses Gerichts er­ nennt. Das Wahlgericht entscheidet in der Be­ setzung von drei Reichstags- und zwei Reichs­ gerichtsmitgliedern auf Grund öffentlicher münd­ licher Verhandlung. Die Vorbereitung der Ver­ handlungen erfolgt durch einen vom Reichspr. zu ernennenden Reichsbeauftragten. Das Ver­ fahren in der Verhandlung richtet sich nach den Vorschriften der ZPO. bzw. des GVG. Zu der­ selben werden diejenigen, deren Wahl angefoch30 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. II.

der Wähler hat auf denselben durch Kreuzung usw. seine Stimmabgabe kenntlich zu machen (§§ 44, 117 StimmO.). und ihn in den amtlich gestempel­ ten Umschlag zu legen. Es ist eine besondere Ein­ richtung (besonderer Raum, Schirm usw.) vorzusehen, durch welche der Abstimmende bei dieser Tätigkeit gegen Beobachtung durch Dritte ge­ schützt wird. Der Wahlvorsteher hat den ihm von dem Abstimmenden übergebenen Umschlag in eine Wahlurne von vorgeschriebener Beschaffenheit zu werfen. Auf Erfordern hat sich der Wähler über seine Person auszuweisen; ein etwaiger Stimm­ schein ist ihm abzunehmen. Die erfolgte Stimm­ abgabe ist in der Liste (Kartei) und in einer Gegen­ liste zu vermerken. Nach Ablauf der festgesetzten Abstimmungszeit sind nur noch die zu diesem Zeitpunkt im Wahllokal anwesenden Stimm­ berechtigten zur Abstimmung zuzulassen. Nach Schluß der Abstimmung sind die abgegebenen Umschläge uneröffnet zählen und etwaige Ab­ weichungen von der sich aus den Listen ergeben­ den Zahl der an der Abstimmung beteiligt Ge­ wesenen aufzuklären. Alsdann hat der Abstim­ mungsvorsteher die Stimmzettel einzeln zu ver­ lesen. Uber die etwaige Ungültigkeit der Stimm­ zettel hat der Wahlvorstand zu entscheiden; bei Stimmengleichheit gibt der Wahlvorsteher den Ausschlag. Ungültig sind Stimmzettel, wenn sie 1. in keinem amtlich abgestempelten oder in einem gekennzeichneten Umschläge abgegeben sind, 2. unbefugt hergestellt sind, 3. den Willen des Abstimmenden nicht zweifellos erkennen lassen, 4. bei einem Volksentscheid über Mei­ nungsverschiedenheiten zwischen RT. und RR. beide Fragen mit „ja" oder beide mit „nein" beantworten, 5. mit Vermerken oder Vorbehal­ ten versehen sind oder wenn ihnen ein durch den Umschlag fühlbarer Gegenstand beigefügt ist. Mehrere gleichlautende Zettel desselben Um­ schlages gelten als eine Stimme; lauten sie ver­ schieden, so sind sie ungültig (§§ 120—123). Uber die gültig abgegebenen Stimmen wird eine Liste und Gegenliste geführt. Bei Reichspräsidenten­ wahlen gelten die für einen Bewerber, welcher nicht mindestens zehn Stimmen erhalten hat, abgegebenen Stimmen als zersplittert. Das Ab­ stimmungsergebnis ist durch Vermittlung der Ge­ meinde- und unteren Verwaltungsbehörde sofort dem Kreiswahlleiter mitzuteilen. Aus den auf dem gleichen Wege vorgelegten Niederschriften über die Abstimmungshandlung, welchen die für ungültig erklärten Stimmzettel beizufügen sind, stellt der Kreiswahlausschuß in öffentlicher Sitzung das endgültige Ergebnis fest und verteilt die Ab­ geordnetensitze auf die einzelnen Kreiswahlvor­ schläge, wobei auf je 60000 Stimmen ein Sitz entfällt. Enthält ein Vorschlag weniger Bewerber als ihm Sitze zufallen würden, so gehen die übrigen Sitze auf die verbundenen Wahlvor­ schläge, bei deren Erschöpfung auf den zuge­ hörigen Reichswahlvorschlag über (§ 34 WahlG.). Der Reichswahlausschuß zählt die Neststimmen der verbundenen Kreiswahlvorschläge zusammen und teilt für je 60000 derselben, wenn auf mindestens einen der verbundenen Vorschläge 30000 Stim­ men entfallen sind, einen weiteren Sitz zu. Die Verteilung dieser Sitze unter den verbundenen Vorschlägen erfolgt nach der Höhe der Rest­ stimmen, gegebenenfalls durch Loos. In gleicher

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ten ist, oder gegen deren Wahl sich sonst Bedenken ergeben haben, die Einsprucherheber und der RMdJ. geladen. Die Entscheidung ist end­ gültig und bedarf der schriftlichen Begründung. Wegen der ergangenen wichtigeren Entscheidun­ gen des Wahlprüfungsgerichts s. PrVBl. 42 S. 205, 337; 43, 599; 46, 223; 47 S. 526, 550. Erklärt das Wahlprüfungsgericht die Abstimmung für ungültig, was auch nur hinsichtlich einzelner Abstimmungsbezirke geschehen kann, so ordnet der RMdJ. die Wiederholung der Abstimmung an. Ist seit der ersten Abstimmung noch kein Jahr ver­ gangen, so bleiben die bisherigen Anordnungen bett, die Abstimmungsbezirke usw. in Kraft. Ist die ordnungsmäßige Abstimmung in einzelnen Stimmbezirken verhindert worden, so kann der RMdJ. aus Antrag des Wahlkreisausschusses mit Zustimmung des Reichswahlausschusses schon vor der 'Entscheidung des Wahlprüsungsgerichts die Wiederholung der Abstimmung anordnen (§§ 155—159 StimmO.). Lehnt ein Abge­ ordneter die Wahl ab oder scheidet er aus einem anderen Grunde aus, so hat der Reichs­ wahlleiter den Ersatzmann festzustellen (§ 154 StimmO.). Mit jeder Reichsabstimmung können andere Abstimmungen verbunden werden. Die betreffende Landesregierung hat für die einwand­ freie Feststellung des Reichswahlergebnisses Sorge zu tragen. Die Verbindung mit Kommunal­ wahlen bedarf ihrer Zustimmung (§§ 161, 162 a. a. O.). Jeder Stimmberechtigte ist zur Über­ nahme von Ehrenämtern bei der Abstimmung verpflichtet, widrigenfalls er durch den Wahlvor­ steher bzw. Wahlleiter in Ordnungsstrafe genom­ men werden kann. Das Reich vergütet die den Gemeinden entstandenen Unkosten einer Reichs­ abstimmung in einem Pauschsatz, durch den unge­ fähr vier Fünftel derselben gedeckt werden sollen; bei Verbindung mit anderen Wahlen trägt das Reich nur einen entsprechenden Bruchteil. III. Persönliche Rechte der Reichstags­ mitglieder. Sie genießen Immunität wegen ihrer Abstimmung und wegen der in Ausübung ihres Berufs getanen Äußerungen (Art. 36 RV.). Kein Mitglied darf während der Sitzungsperiode ohne Genehmigung des Hauses wegen einer straf­ baren Handlung in Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, sofern die Festnahme nicht bei Ausübung der Tat oder spätestens am folgenden Tage geschehen ist. Die gleiche Genehmigung ist zu jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit (z. B. Zivilhaft zur Erzwingung des Offenbarungseides), welche die Ausübung des Abgeordnetenberufes beeinträchtigt, erforderlich. Auf Verlangen des Hauses wird jedes Strafver­ fahren und jede Haft gegen einen Abgeordneten während der Sitzungsperiode unterbrochen (Art. 37 RV.). Bezüglich der ihnen in ihrer Abgeord­ neteneigenschaft anvertrauten Tatsachen haben sie das Zeugnisverweigerungsrecht und genießen die Vorrechte, welche den mit diesem Rechte ver­ sehenen Personen wegen der Beschlagnahme zu­ stehen (§§ 54, 56, 95 StPO.; § 376 ZPO.). Eine Durchsuchung oder Beschlagnahme in den Räu­ men des Hauses darf nur mit Zustimmung des Präsidenten erfolgen (Art. 38 RV.). Die Ab­ geordneten können Vernehmung als Zeugen bzw. Sachverständige am Tagungsort verlangen, wenn sie sich dort aufhalten (§§ 382, 408 ZPO.; §§ 50,

76 StPO.) und die Berufung zum Schöffen und Geschworenen ablehnen (§ 35 GVG.). Beamte und Wehrmachtsangehörige bedürfen zur Aus­ übung ihrer Abgeordnetenmandate keines Urlaubs und haben Anspruch auf solchen zur Vorbereitung ihrer Wahl (Art. 39 RV.; s. bei Beamten). Angestellten und Arbeitern ist nach Art. 160 RV. die zur Wahrnehmung öffentlicher Ehrenämter nötige freie Zeit zu gewähren, soweit dadurch der Betrieb nicht erheblich geschädigt wird. S. o. V. vom 29. 12. 1920 (MBl. 1921, 3); wegen Dienst­ befreiung von Beamten, Angestellten und Ar­ beitern zwecks Übernahme öffentlicher Ehren­ ämter. Die Vorschriften der RV., bezüglich der Abgeordnetenvorrechte gelten nach derselben auch für die Abgeordneten der LT. die gericht­ lichen Vorrechte auch für den RR., den Reichs­ wirtschaftsrat und die Staatsräte der Län­ der. Die Reichstagsabgeordneten haben für die Zeit ihrer Zugehörigkeit zum RT. und die folgenden acht Tage, bei Auflösung des RT. bis zum achten Tage einschließlich nach Neu­ wahl freie Fahrt auf allen deutschen Eisenbah­ nen. Sie erhalten eine Entschädigung von 25% des Grundgehalts eines Reichsministers. Bei mehr als eintägiger Unterbrechung der R.-T.Sitzungen wird für die Teilnahme an Ausschuß­ sitzungen ein Tagegeld von y30 der Aufwands­ entschädigung gewährt. Für jeden Tag, an wel­ chem der Abgeordnete eine stattfindende Sitzung versäumt, wird y30 abgezogen. Krankheit und Teilnahme an einer Ausschußsitzung gelten als Entschuldigungsgründe, Nichtbeteiligung an einer mündlichen Abstimmung trotz Anwesenheit gilt als Fernbleiben. Doppelmandatare dürfen von anderen politischen Körperschaften Vergütung nur beziehen, soweit ihnen RT.-Diäten nicht zu­ stehen, oder wenn der RT. länger als eine Woche keine Vollsitzung abhält (Art. 40 RV.; G. vom 25. 4. 1927, RGBl. II 329). Die Vorschriften in Art. 36, 37, 38 Abs. 1 und 39 Abs. 1 gelten für den RT.-Präsidenten, seine Stellvertreter und die ständigen Mitglieder und ersten Stellvertreter der beiden ständigen Ausschüsse (Art. 35) auch für die Zeit zwischen zwei Sitzungs- oder Wahlperioden. Entsprechendes gilt für die LT. Die in Art. 37 RV. vorgesehene Mitwirkung des Hauses (Ge­ nehmigung zur Verhaftung, Verlangen der Haft­ aufhebung usw.) wird dabei durch den ständigen A. des RT. (den vom LT. bestimmten A.) wahr­ genommen. Die Vorschriften des Art. 40 RV. betr. Freifahrt und Entschädigung der RT.Mitglieder gelten für die vorbezeichneten Per­ sonen auch während der Zeit zwischen zwei Wahl­ perioden (Art. 40 RV. nach G. vom 22. 5. 1926, RGBl. I 243). IV. Tätigkeit des Reichstags. Die Wahl­ periode beträgt vier Jahre. Spätestens 60 Tage nach ihrem Ablauf muß die Neuwahl stattfinden. Der RT. tritt spätestens am 30. Tage nach einer Neuwahl, sonst am ersten Mittwoch jedes Novem­ bers zusammen, wenn nicht der Reichspr. oder mindestens ein Drittel der Mitglieder eine frühere Einberufung verlangen. Der NT. bestimmt selbst den Schluß einer Tagung und den Tag des Wiederzusammentritts (Art. 23, 24 RV.). Der Schluß der Tagung (anderwärts in der RV. auch als Schluß der Sitzungsperiode bezeichnet) hat zu Folge, daß gleichzeitig die Tätigkeit des Vorstan-

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des (s. unten) (mit Ausnahme des Präsidenten „wahrheitsgetreu" anzusehen ist, richtet sich nach und seiner Stellvertreter: Art. 27 RB.) und der dem Einzelfalle (RGSt. 15, 32; 18, 207). Wegen Ausschüsse beendet wird, die unerledigten Vor­ Anwesenheit der Minister und sonstigen Regie­ lagen als endgültig erledigt gelten und die Vor­ rungsvertreter s. Reichsregierung. Die Rede­ schriften des Art. 37, betr. die persönliche Unver­ dauer beträgt eine Stunde; für bestimmte Bera­ letzlichkeit der Mitglieder (Schutz gegen Verhaf­ tungsgegenstände kann die Rededauer verlängert tung usw.), ihre Wirksamkeit verlieren (Ausnahme oder auf Vorschlag des Ältestenrats weiter verkürzt für die ständigen Ausschüsse s. bei III). Diese Dis­ werden. Ist ein Redner in derselben Rede drei­ kontinuität wird durch die im Gegensatz zu früher mal zur Sache oder zur Ordnung gerufen und jetzt regelmäßige „Vertagung" vermieden. Der beim zweitenmal auf die Folgen des dritten Ord­ Reichspr. kann den RT. auflösen, jedoch aus dem nungsrufes hingewiesen worden, so kann ihm das gleichen Anlaß nur einmal (Art. 26 NB.) Die Auf­ Haus auf Antrag des Präsidenten das Wort ent­ lösungsverfügung bedarf als ein Regierungsakt der ziehen. Bei gröblicher Verletzung der Ordnung Gegenzeichnung (s. Reichspräsident). Eine An­ kann ihn der Präsident von der Sitzung aus­ gabe von Gründen ist nicht vorgeschrieben; ebenso­ schließen. Weigert er sich, den Saal zu verlassen, wenig besteht eine Instanz zur Feststellung, ob „ein so erfolgt Ausschluß auf acht, und bei wiederholter gleicher Anlaß" vorliegt. Mit der Auflösung er­ Weigerung gegenüber Anordnungen des Präsi­ reicht die Legislaturperiode ihr Ende und erfolgt denten auf 20 Sitzungstage. Gegen den Ord­ die Neuwahl spätestens am 60. Tage nach der nungsruf und gegen die Ausschließung steht dem Auflösung aus vier Jahre. Der RT. gibt sich Betroffenen Einspruch an das Plenum zu, das selbst eine Geschäftsordnung (Art. 26). Die ohne Besprechung beschließt (§§ 87ff. GeschO.). letzte Geschäftsordnung ist am 12. 22. 1922 Anträge aus dem Hause müssen von mindestens erlassen (Bek. des RMdJ. vom 17. 2. 1923, 15 Mitgliedern unterstützt werden (§ 49 a. a. O.). RGBl. II 101) und vom derzeitigen RT. über­ Beschlüsse des RT. werden mit einfacher Stim­ nommen. Ihre Ergänzung findet sie zum Teil menmehrheit gefaßt, sofern die RV. kein anderes in der Gemeinschaftlichen Geschäftsordnung der Stimmenverhältnis vorschreibt, wie dies in Reichsminister (s. Neichsregierung). Zum Be­ Art. 18, 29, 34, 35, 43, 59, 72, 74, 76 geschehen ginn jeder Tagung wählt der RT. den aus dem ist. Für die vom RT. vorzunehmenden Wahlen Präsidenten, dessen Stellvertretern und mehreren kann die Geschäftsordnung Ausnahmen Anlassen Schriftführern bestehenden Vorstand (§ 14 (§ 17 GeschO.). Die Beschlußfähigkeit wird durch GeschO.). Für die Wahlen desselben genügt ein­ die Geschäftsordnung geregelt (Art. 32 RB.). fache Stimmenmehrheit. Die Zahl der Stell­ Nach § 98 Geschäftsordnung ist der NT. bei An­ vertreter des Präsidenten (Vizepräsidenten) be­ wesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder trägt zur Zeit vier. Die Obliegenheiten des Vor­ beschlußfähig, d. h. der gesetzlichen, nicht der tat­ standes sind teils in der RV. (Art. 24, 27, 28, 38), sächlichen Mitgliederzahl. Für Ministeranklagen teils in der Geschäftsordnung geordnet. Ebenso und für Abänderungen der RB. verlangt die RB. wie zwischen zwei Tagungen führen der Präsi­ selbst (Art. 59, 76) Anwesenheit und Zustimmung dent und sein Stellvertreter ihre Geschäfte auch von zwei Drittel der Mitgliederzahl. Bei Zweifel zwischen zwei Wahlperioden weiter (Art. 27 RV.). über die Beschlußfähigkeit, die der Sitzungsvor­ Der Reichstagspräsident übt das Hausrecht und stand (der diensttuende Präsident und die beiden die Polizeigewalt im Reichstagsgebäude aus und diensttuenden Schriftführer) teilt, findet Karten­ kann zu letzterem Zwecke gegebenenfalls die Hilfe­ abstimmung statt (§ 99 a. a. O.>. Bei Ermittlung leistung der Ortspolizei requirieren. Wegen der der Abstimmungsmehrheiten werden Mitglieder, Sitzungspolizei f. §§ 89—94 GeschO. Nach dem die sich der Stimme enthalten, nicht mitgezählt. sog. BefriedigungsG. vom 8. 5. 1920 (s. bei VI) Bleibt das Ergebnis der Abstimmung, die regel­ kann der Reichstagspräsident über das Betreten mäßig durch Aufstehen erfolgt, auch bei Gegen­ des Reichstagsgebäudes und den Verkehr in dem­ probe zweifelhaft, so findet persönliche Auszäh­ selben Anordnungen erlassen, deren vorsätzliche lung im Wege des sog. Hammelsprunges (s. Land­ Übertretung Geld- oder Gefängnisstrafe unter­ tag) oder, auf Antrag von 50 Mitgliedern, Karten­ liegt. Demgemäß ist die Vf. vom 18. 6. 1921 abstimmung statt (§§ 104,105 a. a. O.). Wegen Be­ (ZBl. 646) ergangen. Der Reichstagspräsident handlung der Interpellationen und kleinen An­ stellt die Beamten, die nach § 156 RBG. die fragen s. Interpellationen. Eingaben von Rechte und Pflichten der Reichsbeamten haben Nichtmitgliedern werden dem betreffenden Aus­ und die Lohnangestellten des RT. an und leitet schüsse überwiesen, welcher schriftlich berichtet und die ganze wirtschaftliche Verwaltung des Hauses einen Antrag wegen der Beschlußfassung stellt, nach Maßgabe des Haushaltsplanes, wobei er das die lauten kann auf 1. Überweisung an die Reg. Reich in allen Rechtsgeschäften und Rechts­ zur Berücksichtigung, Erwägung, Kenntnisnahme streitigkeiten vertritt (Art. 28 RV.: § 19 Ge­ oder als Material, 2. Übergang zur Tagesord­ schO.). Der unter dem Vorsitz des Präsidenten nung, 3. Erklärung als ungeeignet zur Beratung, tagende Ältestenrat besteht aus 21 Mitgliedern 4. Erklärung als erledigt durch Beschluß über einen (§ 10 GeschO.). Die Fraktionen müssen min­ anderen Gegenstand. Der Emgeber erhält Nach­ destens 15 Mitglieder haben (§7 a, a. O.). Die richt von dem Beschlusse (§§ 63—66 GeschO.). Reichstagsverhandlungen sind öffentlich; auf An­ V. Ausschüsse. Nach § 26 Geschäftsordnung trag von 50 Mitgliedern kann mit zwei Drittel bildet der RT. Ausschüsse für: 1. Wahrnehmung Mehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. der Rechte der Volksvertretung, 2. auswärtige An­ Das gilt nicht für die Verhandlungen der Aus­ gelegenheiten, 3. Geschäftsordnung, 4. Petitionen, schüsse (s. unten). Wahrheitsgetreue Berichte über 5. Reichshaushalt, 6. Steuerfragen, 7. Rechnun­ die Sitzungen des RT. (oder eines LT.) und der gen, 8. Volkswirtschaft, 9. soziale Angelegen­ Ausschüsse sind straffrei (Art. L30 RB.). Was als heiten, 10. Bevölkerungspolitik, 11. Wohnungs-

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Reichs- und Staatskommissar in Dortmund — Reichsverkehrsmimstenum

Wesen, 12. Bildungswesen, 13. Rechtspflege, 14. Beamtenangelegenheiten, 15. Verkehrsange­ legenheiten. Der RT. hat ferner das Recht, und auf Antrag von ein Fünftel seiner Mitglieder, die Pflicht, Untersuchungsausschüsse (Art. 34 RV.) einzusetzen, die in öffentlicher Sitzung Be­ weise erheben. Das Verfahren und die Mit­ gliederzahl wird durch die Geschäftsordnung geregelt. Die Öffentlichkeit kann mit zwei Drittel Mehrheit ausgeschlossen werden. Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen um Beweiserhebung nachzukommen und die verlangten Akten vorzulegen. Auf die Er­ hebungen der Ausschüsse und der ersuchten Be­ hörden finden die Vorschriften der StPO. An­ wendung (nach Giese, RV. Anm. 5. zu Art. 34 nur bezüglich der Beweiserhebung durch Ver­ nehmung von Zeugen und Sachverständigen, nicht bezüglich Beschlagnahme, Durchsuchung und Verhaftung); das Brief-, Post-, Telegraphen-und Fernsprechgeheimnis bleibt unberührt. Auch Be­ amte und Abgeordnete unterliegen dem Zeugnis­ zwang. Obligatorisch ist nach Art. 35 RV. die Einrichtung des ständigen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, der auch au­ ßerhalb der Tagung des RT. und nach Beendigung der Wahlperiode oder nach Auflösung des RT. tätig werden kann und eines gleichfalls ständigen Ausschusses zur Wahrung der Reichstags­ rechte gegenüber der Reichsregierung während der gleichen Zeit. Beide Ausschüsse haben die gleichen Rechte wie die Untersuchungsausschüsse. VI. Befriedigungsgesetz vom 8. 5. 1920 (RGBl. 909); AusfV. vom 17. 5. 1920 (RGBl. 973). Innerhalb des in der AusfV. beschriebenen Bannkreises des Reichstagsgebäudes dürfen keine Versammlungen und Umzüge stattfinden. Zu­ widerhandlungen unterliegen den Strafbestim­ mungen bett. Auf laus. Die Aufforderung zu ZnWiderhandlungen wird mit Gefängnis bestraft. Wegen der Zuwiderhandlungen gegen Anord­ nungen des Reichstagspräsidenten über den Ver­ kehr im Reichstagsgebäude s. oben. Die Vor­ schriften gelten in gleicher Weise bezüglich der Landtagsgebäude und der Anordnungen des Landtagspräsidenten. Ly.

Reichs- und StaatSkonuniffar in Dortmund. Dieser ist durch gemeinsamen Erl. der Reichs­ regierung und der preuß. Regierung vom 11. 6. 1920 (GS. 346) für die Provinz Westfalen und für den unbesetzten Teil des RegBez. Düsseldorf eingesetzt zur Durchführung des Einigungs- und Schiedsverfahren, zur Sicherung des Wirtschafts­ lebens gegen alle Störungen, Beratung der Ar­ beitgeberund Arbeitnehmervertretungen bei Abschluß von Tarifverträgen, Behandlung aller Fragen, die sich auf die Steigerung der Erzeugung, insbesondere der Kohlenförderung, durch Über­ schichten, bessere Ernährung, Vermehrung der Arbeiter usw. beziehen, die Förderung der Ar­ beiterwohlfahrtsbestrebungen und Beratung der Betriebsräte. F. H.

ReichSverband für Zucht und Prüfung deut­ schen Warmbluts (RB.). Der RV. ist eine Jnteressentenvertretung der Warmblutzüchter Deutschlands. Er ist vom preuß. MfL. betraut mit der Aufsicht über die von den Warmblut(Halbblut-) Pferdezucht-, Renn- und Reiter­ vereinen veranstalteten Leistungsprüsungen für

Warmblutpserde (s. auch Pferderennen; To­ talisator). Der RV. hat zur Regelung dieser Leistungsprüfungen die „Turnier-Ordnung" so­ wie die „Trabrenn-Bestimmungen für inländische Halbblutpferde ohne Traberblut", letztere ge­ nehmigt durch den preuß. MfL. und den JuM. unter dem 5. 12. 1921, erlassen. Das amtliche Organ des RV. ist der „Kalender für Warm­ blutprüfungen". Der R. hat seine Geschäfts­ stelle in Berlin. Ri.

ReichSverband landwirtschaftlicher HauSfrauenvereine s. Landwirtschaftliche Ver­ eine III. ReichSverband landwirtschaftlicher Kleinund Mittelbetriebe s. Landwirtschaftliche Vereine II.

Reichsverfassung s. Verfassung des Deut­ schen Reichs.

Reichsverkehrsministerium. Das R. wurde unter gleichzeitiger Vereinigung des Reichsamts für die Reichseisenbahnen und des Reichsamts für Luft- und Krastfahrwesen zufolge Vs. des Reichspr. vom 21. 6. 1919 mit der Zweckbestim­ mung der Zentralisierung des Verkehrs errichtet. Dem RVM. ist durch Art. 89ff. RV. die Ver­ waltung der dem allgemeinen Verkehr dienenden Eisenbahnen und durch Art. 97—101 die Verwal­ tung der dem allgemeinen Verkehr dienenden Wasserstraßen zugewiesen worden. Gliederung: I. Abteilungen für Wasserstraßen, Luftund Krastfahrwesen, und zwar WI Wasser­ bautechnische Abteilung; WII Berwaltungsabteilung (Organisations-, Rechts- und Verwaltungs­ angelegenheiten, Haushalts- und Personalsachen, Krastfahrwesen und sonstiger Straßenverkehr); Wlla Verkehrsabteilung (Seeschiffahrtsange­ legenheiten, Seezeichen-und Lotsenwesen, Reichs­ oberseeamt, Technische Kommission für die See­ schiffahrt, Angelegenheiten der Binnenschiffahrt, Abgaben- und Tarifwesen, Strom- und Schifsfahrtspolizei, Reichswasserschutz); WIII Wasser­ kraft-, Maschinen- und Elektrizitätsabteilung; L Abteilung für Luftfahrwesen (Gesetzgebung, internationaler Luftverkehr, Luftverkehrslinien, Flughäfen usw.). II. Eisenbahnabteilungen, und zwar E I Verwaltungsabteilung; E II Tech­ nische Abteilung. Nachdem die Verwaltung der Reichseisenbahnen durch B. der Neichsregierung vom 12. 2. 1924 einem selbständigen Unter­ nehmen Deutsche Reichsb ahn übertragen wor­ den ist (NeichsbahnG. vom 30. 8. 1924, RGBl. II272), sind dem RVM. als Aufgaben verblieben: Aufsicht gegenüber der Deutschen Reichsbahn­ gesellschaft, Verwaltung des Reichsbahnver­ mögens, Vertretung der Reichsbahnbelange gegen­ über den Parlamenten und dem Ausland, Aus­ übung der Eisenbahnhoheitsrechte, Eisenbahn­ gesetzgebung, Aufsicht über die privaten Eisen­ bahnen des allgemeinen Verkehrs. — Dem R. unterstellte Behörden: Deutsche Seewarte in Hamburg; Reichskanalamt in Kiel (Unterbehör­ den: Wasserstraßenverkehrsamt Kiel, Wasser­ straßenämter Brunsbüttelkoog und Holtenau, Wasserstraßenmaschinenamt Rendsburg mit Werft Saatsee); Neckarbaudirektion in Stuttgart; Lei­ tung des Reichswasserschutzes in Berlin W 9, Linkstr. 44; Reichskommissariat für Seeschiffs­ vermessung in Berlin W Wilhelmstr. 91; Zen­ tralstelle für Flugsicherung in Berlin W 9,

Reichsvermögen — Reichsvcrmögcnsverwaltung

Schellingstr. 2.— Amtliche Veröffentlichungen des R.; Reichsverkehrsblatt für Reichswasserstraßen sowie Luft- und Kraftfahrwesen (Karl Heymanns Verlag, Berlin W 8); Karte der deutschen Schif­ fahrtsstraßen (Gea-Berlag, Berlin W 35); Nach­ richten für Luftfahrer (Postbezug). E. Reichsvermögen. Das Vermögen des Deut­ schen Reiches zerfällt, wie das jeden Staates, in Verwaltungsvermögen, das unmittelbar dem Zwecke der Verwaltung dient, und in Finanz­ vermögen, das dazu bestimmt ist, Einnahmen ab­ zuwerfen. Zum Berwaltungsvermögen gehören vor allem Dienstgebäude und Dienstgrundstücke nebst Einrichtungsgegenständen; sie spielen eine besonders große Rolle beim Reichswehrfiskus, dessen Liegenschaftsbesitz aber zum Teil nach dem ReichseigentumsG. vom 25. 5. 1873 (s. d.) wieder an die Länder heimfallen kann. Eine Besonder­ heit besteht bei den Reichsfinanzbehörden, die zum Teil nicht in reichseigenen Gebäuden unter­ gebracht sind, sondern die Gebäude benutzen, die bei Übergang der Landessinanzverwaltung an das Reich von jenen benutzt wurden; diese Ge­ bäude sind nach dem sog. Weimarer Abkommen vom 30. 8. 1919 im Eigentum der Länder ge­ blieben, das Reich zahlt für die Benutzung eine Jahresvergütung, über deren Höhe (2x/4% des Wertes) mit Preußen und einer Reihe anderer Länder Vereinbarungen getroffen worden sind. Zum Finanzvermögen gehören folgende Ver­ mögenskomplexe; 1. Die Reichspost, die nach dem ReichspostfinanzG. getrennt von dem übrigen Vermögen verwaltet wird, wobei eine Verpflichtung besteht, dem Reiche bestimmte Überschüsse abzuliefern. 2. Die Reichsbahn, an der dem Reich das Eigentum zusteht, deren Betrieb aber der Reichsbahngesellschaft überlassen ist, deren Stammaktien im Vermögen des Reiches stehen. Sie sind in­ folge der Reparationslasten der Reichsbahn bis­ her dividendenlos (vgl. auch zu 7). 3. Der Liegenschaftsbesitz der Wasserstraßen­ verwaltung, die durch das ReichsG. vom 25. 7. 1921 (RGBl. 961) auf das Reich über­ gegangen ist. 4. Der (sog. neutrale, d. h. keinem bestimmten Ressort dienende) Liegenschaften- und Forst­ besitz, der zum Teil aus den, im Kriege außer­ ordentlich vermehrten, nach Verminderung der Wehrmacht für diese nicht mehr brauchbaren Grund- und Gebäudebesitz des früheren Heeres entstanden ist und jetzt von der Reichsfinanzver­ waltung (s. d.) verwaltet wird. 5. Die in der sog. „Viag", der Vereinigten JndustrieunternehmungenA.-G., zusammengefaß­ ten Erwerbsunternehmungen, die zum Teil aus früheren Heeresbetrieben, zum Teil aus Kriegs­ gesellschaften entstanden ist und deren Aktien dem Reiche gehören. Es ist eine Dachgesellschaft, die von ihren Untergesellschaften die Aktien ganz oder teilweise besitzt, wobei diese Untergesellschaften vielfach wieder Unterbeteiligungen von anderen Unternehmungen haben. Die wesentlichsten Teile dieser großen Vermögens- und Betriebsmasse sind die elektrischen Unternehmungen in Mittel- und Süddeutschland (Elektrowerk, Bayerische Kraft­ werke), die Stickstoffwerke (Mitteldeutsche Stick­ stoffwerke), das Aluminiumwerk (Vereinigte Alu­ miniumwerke Lautawerk, Jnnwerk), die Jn-

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dustriewerke in Spandau und als Bankunterneh­ men die Reichskreditgesellschaft. Die Viag hat ein Aktienkapital von 120 Mill. RM. Außerhalb der Viag steht der Werftbetrieb der Deutschen Werke, Kiel. Vgl. auch Viag, Elektrizitäts­ wirtschaft, öffentliche. 6. Eine größere Zahl von — zum Teil maß­ geblichen — Beteiligungen an Unternehmungen außerhalb der Viag, die zum Teil aus früheren Kriegsgesellschaften hervorgegangen sind (wie die Reichsgetreidestelle, jetzt in Liquidation), zum Teil den Zwecken bestimmter Reichsressorts dienen, wie z. B. dem RVM. (Neckar A.-G., RheinMain-Donau A.-G., Teltow-Kanal A.-G., eine Reihe von Kraftverkehrsgesellschaften, Flughasenund Luftverkehrsgesellschaften), dem RAM. (Deutsche Bau- und Bodenbank), dem RfE. (Deutsche Bodenkultur A.-G.). Hierher gehören auch die Devisenbeschaffungsstelle G. m. b. H., jetzt in Liquidation und die zur Stützung der Kurse von Reichsanleihen gebildete Reichs­ anleihe A.-G. 7. Der Besitz an Vorzugsaktien der Reichs­ bahngesellschaft in Höhe von 731 Mill. RM. 8. Eine große Reihe von Forderungen aus Kreditaktionen des Reiches, so für den Klein­ wohnungsbau, für Siedlungen, für die Behebung der Winzernot, für Produktive Erwerbslosen­ fürsorge usw. 9. Der Betriebsmittelfonds. Er betrug Ende 1925 252 Mill. RM, wurde 1927 mit 160 Mill. RM für die Bilanzierung des ordentlichen Etats ver­ wendet; der Rest mit 62 Mill. RM soll 1928 zur Verminderung des Anleihebedarfs eingesetzt wer­ den, so daß dann ein Betriebsmittelfonds nicht mehr vorhanden ist. Ptz. NeichSvcrmögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete in Koblenz. Die R. ist durch Erl. des Reichspr. vom 17. 10. 1919 Nr. 7104 (RGBl. 1919, Nr. 204), betr. die Zu­ ständigkeit des Reichsschatzministeriums, ins Leben gerufen worden. Ihr Wirkungskreis erstreckt sich aus das gesamte besetzte rheinische Gebiet ein­ schließlich der Brückenköpfe Köln, Koblenz, Mainz und Kehl. Das sog. Sanktionsgebiet (Düsseldorf, Duisburg) und das Ruhreinbruchsgebiet gehörten nicht zu ihrem Geschäftsbereich. Sie untersteht dem Reichsministerium für die besetzten Gebiete. Die Hauptverwaltung unter der Leitung eines Präsidenten hat ihren Sitz in Koblenz. Ihr unter­ stehen zur Zeit noch neun Reichsvermögensämter, nämlich Aachen, Wiesbaden, Düren, Koblenz, Trier, Kreuznach, Mainz, Kaiserslautern und Landau und 21 Reichsvermögensstellen. Die Aufgaben der R. sind folgende: Auf Grund der Art. 8—12 des Rheinlandabkommens kann die Besatzung vom Deutschen Reich festumschriebene Leistungen hauptsächlich auf dem Gebiete der Unterbringung der Besatzungsarmeen verlangen, ferner im Wege der Requisition von den Gemein­ den und der Bevölkerung des besetzten Gebietes die Lieferung von Naturalleistungen und die Er­ bringung von Dienstleistungen für Zwecke des Unterhalts der Besatzungsarmeen fordern. Als Aussührungsbehörde des Reiches zur Durchfüh­ rung der dem Reich obliegenden Leistungen für die Besatzungsarmeen und die Interalliierte Rheinlandkommission obliegt demnach der R. die Unterbringung der Besatzung in vorhandenen Ka-

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Reichsversicherungsamt — Reichsversicherungsordnung

fernen und sonstigen reichseigenen Bauten, sowie die Bereitstellung der ehemaligen militärischen Schieß- und Übungsplätze und sonstiger militäri­ scher Anlagen, ferner die Errichtung neuer Bauten und militärischer Anlagen, soweit die Besatzung diese fordert, z. B. von Kasernen, Flugplätzen, Truppenübungsplätzen und Wohnbauten. End­ lich obliegen der R. alle sonstigen Versorgungs­ maßnahmen für die Besatzung, z. B. die Beliefe­ rung mit Feuerungs- und Beleuchtungsmate­ rialien usw. Zur Verhütung von Requisitionen und zur Entlastung der Bevölkerung des besetzten Gebietes obliegt der R. ferner die Ausmöblierung beschlagnahmter Privatwohnungen, die Errich­ tung von Wohnungsbauten, auch soweit Anforde­ rungen der Besatzung nicht vorliegen, die durch die Besatzung gesteigerte Wohnungsnot des be­ setzten Gebietes diese Maßnahme jedoch erfordert. Die R. ist ferner sehr wesentlich beteiligt bei der Durchführung der Entschädigungsverfahren aus Grund des BesatzungsleistungsG., des BesatzungspersonenschädenG. und im Berwaltungshilfsversahren (s. unter „Entschädigungsrecht" und unter „Entschädigungsverfahren"). Endlich obliegt der R. a) die Verwaltung und Verwertung der im besetzten Gebiete vorhandenen früheren militärischen Bauten, Anlagen und Grundstücke; b) die Verwaltung und Verwertung von neu­ errichteten angeforderten und freiwilligen Bauten, Anlagen und Grundstücken; c) die Mitwirkung im Bewertungsverfahren in Durchführung des Pa­ riser Abkommens vom 5. 5. 1925 zum Zwecke der Anrechnung aller aus Art. 8—12 des Rheinland­ abkommens entspringenden Besatzungslasten auf die Jahresleistungen des Sachverständigenplanes (s. unter „Besatzungskosten"). R. ReichSversicherungSamt s. Sozialversiche­

rung II4. Reichsversicherungsanstalt für

Angestellte.

Im Bereiche der Av. ist die R. Träger der Ver­ sicherung; sie hat die Eigenschaft einer öffentlichen Behörde und untersteht der Aufsicht des RAM. Ihre Organe sind das Direktorium, der Verwaltungsrat und die Vertrauensmänner (§§ 93—96 Avg.). a) Das Direktorium führt die laufende Verwaltung und vertritt die R. ge­ richtlich und außergerichtlich. Es besteht aus einem Präsidenten, seinem Stellvertreter und weiteren beamteten Mitgliedern sowie aus je drei Vertretern der Versicherten und ihrer Ar­ beitgeber (ehrenamtliche Mitglieder). Die Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder muß größer sein als die Zahl der beamteten. Sind zu einer Sitzung des Direktoriums nicht alle ehrenamtlichen Mit­ glieder erschienen, so scheiden in der Abstimmung die beamteten Mitglieder in entsprechender An­ zahl aus. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. Die beamteten Mitglieder werden auf Vorschlag des RR. vom Reichspr. auf Lebenszeit ernannt, doch kann für die ersten drei Jahre der Widerruf Vorbehalten werden. Der Besoldungs- und Pensionsetat wird für das Direktorium durch den Reichshaus­ halt festgesetzt, doch trägt die Anstalt die Kosten. Die nichtbeamteten Mitglieder werden auf fünf Jahre vom Verwaltungsrat gewählt. Die übri­ gen Beamten ernennt das Direktorium, das eine Dienstordnung für diese Beamten erläßt (§§ 98 bis 103 Avg.). b) Der Verwaltungsrat hat

das Direktorium bei Vorbereitung von Beschlüssen gutachtlich zu beraten, insbesondere den Voran­ schlag festzustellen und die Jahresrechnung ab­ zunehmen. Der Verwaltungsrat besteht aus dem Präsidenten des Direktoriums oder seinem Stell­ vertreter und mindestens je zwölf Vertretern der Arbeitgeber und der versicherten Angestellten, die von den Vertrauensmännern gewählt werden. Die Wahlzeit dauert fünf Jahre. Wählbar sind nur volljährige Deutsche, die weder die Fähig­ keit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren haben noch in der Verfügung über ihr Vermögen durch gerichtliche Anordnung beschränkt sind (§§ 104—117 Avg.). S. die Wahlordnung vom 17.6.1924 (RGBl. I 649); c) Vertrauens­ männer. Diese haben die Aufgabe, die Beisitzer für die Ausschüsse der Av. bei den VA., die Bei­ sitzer für die Kammer der Av. bei den OVA., die Beisitzer für die Senate für Av. bei dem RVA. und die Mitglieder für den Berwaltungsrat zu wählen und Tatsachen mitzuteilen, die nach ihrer Ansicht für die RfA. von Wichtigkeit sind. Sie sind zur Hälfte Arbeitgeber und zur Hälfte ver­ sicherte Angestellte; ihre Zahl beträgt für den Bezirk einer uV. sechs. Wahlberechtigt sind voll­ jährige Deutsche, die zu den versicherten Ange­ stellten oder ihren Arbeitgebern im Bezirk der uV. gehören und zum Berwaltungsrat wählbar sind. Wählbar sind nur solche Personen im Bezirk der uV. (in Städten über 10000 Einwohner der Gemeindevorstand, im übrigen der Landrat, in Hannover in Städten mit Ausnahme der im § 27 Abs. 2 HannKrO. benannten der Gemeindevor­ stand, sonst Landrat; Bek. vom 30.7.1912, HMBl. 411), welche zum Verwaltungsrat wählbar sind (§§ 118—130 Avg.). S. Wahlordnung vom 8. 9. 1927 (RGBl. I 329) und G. vom 8. 4. 1927 (RGBl. I 95). F. H. ReichSversicherungSordnung vom 19. 6. 1911 (RGBl. 509). Sie bildet eine Zusammenfassung der für die KB., UV., Jnv. einschl. der Hinter­ bliebenenversicherung sich beziehenden gesetzlichen Vorschriften unter Schaffung einheitlicher In­ stanzen für die Erledigung der Streitigkeiten und Beschwerden aus der Arbeiterversicherung (s. Sozialversicherung II). Sie zerfällt in 6 Bücher, von denen das 1. die für alle Versicherungszweige maßgebenden Normen und Begriffe und die Vor­ schriften über die Organisation der Spruch- und Beschwerdeinstanzen (Versicherungsämter, Ober­ versicherungsämter, RVA., Landesversicherungs­ ämter) enthält. Das 2. Buch behandelt die KV., das 3. Buch die UV. (1. Teil Gewerbe­ unfallversicherung, 2. Teil Landwirtschaftliche Un­ fallversicherung, 3. Teil Seeunfallversicherung), das 4. Buch die JnvV. einschl. der Hinterblie­ benenversicherung, das 5. Buch die Beziehungen der einzelnen Versicherungszweige zueinander und zu anderen Verpflichteten, und das 6. Buch das Verfahren. Das EGRVO. enthält* die für die Durchführung der Vorschriften der R. erfor­ derlichen Übergangsvorschriften. Da durch die zahlreichen Änderungen und Ergänzungen wäh­ rend des Krieges und in der Nachkriegszeit der Inhalt der R. ganz unübersichtlich geworden war, so wurde durch G. über Änderungen der R. vom 19. 7. 1923 (RGBl. I 686) das RAM. zur Bek. des maßgebenden Wortlauts ermächtigt. Daraufhin erging die Bek. vom 15. 12. 1924

Reichsversorgungsgesetz

(RGBl. I 779). Nachdem namentlich durch das 2. G. über Änderungen in der UV. vom 14.7.1925 (RGBl. I 97) tiefgreifende Änderungen aus dem Gebiete der UV. vorgenommen worden waren, wurde durch Bet. des RK. vom 4. 1. 1926 (RGBl. I 9) der Wortlaut des 3., 5. und 6. Buches der RVO. neu veröffentlicht. Inzwischen ist das 2. Buch der RVO. durch die G. vom 26. 3. 22, 5. und 9. 7. 1926 (RGBl. 1 179, 243, 407) geändert worden. F. H. Kommentar von Hanow, Hoffmann, Krohn, L e h m a n n und R a b e lin g. Die übrigen Kommentare find veraltet.

NeichSversorgungsgesetz. I. Das G. über die Versorgung der Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen bei Dienstbeschä­ digung (R.) regelt die Versorgung der früheren Angehörigen der deutschen Wehrmacht und ihrer Hinterbliebenen wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen von Dienstbeschädigungen (s. Reichsversorgungswesen). Es ist erst­ malig unter dem 12. 5. 1920 (RGBl. 989) er­ gangen und mit den in den Jahren 1923, 1924, 1925 und 1927 eingetretenen Änderungen unter dem 31. 12. 1927 (RGBl. I 515) neu bekannt­ gemacht. Bindende Vorschriften der Reichsregie­ rung (gemäß § 114) sind: die V. zur Durchführung des § 7 vom 3. 7. 1922 (RGBl. I 547) und die B. zur Durchführung des § 25 Abs. 3 und des § 28 vom 1. 9. 1920 (RGBl. 1633), geändert durch B. vom 21. 12. 1927 (RGBl. I 491). AusfB. des RAM. vom 16. 11. 1920 (RGBl. 1907), Bollzugsvorschriften des RAM. vom 6. 7. 1923 (RVBl. S. 263 Nr. 545), vom 21. 12. 1923 (RVBl. S. 462 Nr. 986), vom 12. 8. 1925 (RVBl. S. 55 Nr. 115), vom 15. 7.1926 (RVBl. S. 52 Nr. 80) und vom 23. 12. 1927 (RVBl. S. 84 Nr. 104). Das G. findet entsprechende Anwendung auf Personen, die sich, in der Ab­ sicht Militärdienst zu leisten, auf dem Wege zum Bestimmungsort oder nach der Ent­ lassung auf dem Heimwege befinden, auf Per­ sonen, die zur Feststellung ihrer Kriegsbrauchbar­ keit einer militärischen Anordnung folgen, auf Beamte der Zivilverwaltung, die zur Unter­ stützung militärischer Maßnahmen verwendet sind, ferner auf das Personal der freiwilligen Kranken­ pflege, Personen, die auf Ersuchen eines militäri­ schen Befehlshabers freiwillig Dienst geleistet haben, Personen, die der Wehrmacht durch privat­ rechtlichen Dienstvertrag zur Dienstleistung ver­ pflichtet sind, und Schiffsjungen auf in Dienst gestellten Schiffen (§ 96). II. Begriff der Dienstbeschädigung. Unter „Dienstbeschädigung" versteht das G. „die gesundheitschädigende Einwirkung, die durch militärische Dienstverrichtungen oder durch einen während der Ausübung des Militärdienstes er­ littenen Unfall oder durch die dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist." Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Dienstbeschädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammen­ hangs. Dem Militärdienst und den ihm eigen­ tümlichen Verhältnissen werden Arbeiten, zu denen Angehörige der deutschen Wehrmacht in unverschuldeter Kriegsgefangenschaft verwendet werden, und die dieser Kriegsgefangenschaft eigentümlichen Verhältnisse gleichgestellt. Die

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Angaben des Beschädigten, die sich aus Vorgänge bei der Gefangennahme und in der Kriegsge­ fangenschaft beziehen, sind dabei maßgebend, so­ weit nicht die Umstände des Falles entgegenstehen. Nicht als Dienstbeschädigung gilt eine vom Be­ schädigten absichtlich herbeigeführte gesrmdheitschädigende Einwirkung (§ 2). III. Art und Umfang der Versorgung. Auf folgende Arten der Versorgung besteht ein Rechtsanspruch: 1. Heilbehandlung, Krankengeld und Hausgeld, 2. soziale Fürsorge, 3. Rente, 4. Beamtenschein, 5. Sterbegeld und Gebührnisse für das Sterbevierteljahr, 6. Hinterbliebenen­ rente, 7. Zusatzrente. Außer diesen auf dem R. beruhenden Ansprüchen haben versorgungsberech­ tigte Personen aus dem Grunde der Dienstbeschä­ digung keine Schadensersatzansprüche gegen das Reich, ausgenommen die Ansprüche aus dem ReichshaftpslichtG. vom 7. 6. 1871 (RGBl. 207). Gesetzliche Ansprüche der Versorgungsberechtigten auf Schadensersatz gegen Dritte gehen im Um­ fang der durch das G. begründeten Pflichten auf das Reich über (§ 86). — Ohne einen im Spruch­ verfahren verfolgbaren Rechtsanspruch einzu­ räumen (als sog. Kannbezüge), gewährt das Reich noch Witwen-, Waisen- und Elternbeihilfen sowie Ubergangsgeld zur Erleichterung des Übergangs in das Erwerbsleben. IV. Heilbehandlung, Krankengeld und Hausgeld. Heilbehandlung wird gewährt, um eine durch Dienstbeschädigung verursachte und den Rentenanspruch begründende Gesundheits­ störung oder Beeinträchtigung der Erwerbsfähig­ keit zu beseitigen oder wesentlich zu bessern, eine Verschlimmerung zu verhüten oder körperliche Beschwerden zu beheben (§ 4). Sie umfaßt ärzt­ liche Behandlung, Versorgung mit Arznei und anderen Heilmitteln, an deren Stelle Kur und Verpflegung in einer Heilanstalt (Heilanstalts­ pflege) oder in einem Badeorte (Badekur) ge­ währt werden kann — sowie die Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen der Dienstbeschädigung zu erleichtern. Blinde er­ halten einen Führerhund (§ 5). Hilfe und War­ tung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder andere Pflegekräfte (Hauspslege) kann einem Beschädigten mit seiner Zustimmung gewährt werden, wenn die Aufnahme in eine Heilanstalt nicht ausführbar ist (§ 6). Uber Art und Be­ schaffenheit sowie über Gewährung, Instand­ setzung und Ersatz der — vom Reiche zu liefern­ den — Körperersatzstücke und anderen Hilfs­ mittel trifft der § 7 und die B. vom 3. 7. 1922 nähere Bestimmungen, ebenso über Beschaffung und Ersatz von Führerhunden, zu deren Unter­ halt bestimmte, nach Ortsklassen abgestufte Jahres­ beträge gezahlt werden. — Die Heilbehandlung, einschließlich Heilanstaltspslege und Hauspflege, wird durch die KK. gewährt, und zwar durch die­ jenige KK. der Reichsversicherung oder Knappschaftskrankenkasse (RKn.) oder Ersatzkasse, die dazu nach Gesetz oder Satzung verpflichtet ist, wo eine solche Verpflichtung nicht besteht, durch die allgemeine Ortskrankenkasse oder, mangels einer solchen, durch die Landkranken­ kasse des Wohnorts. Die Heilbehandlung ist so lange fortzusetzen, als sie eine Besserung des Ge-

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sundheitszustandes oder eine Steigerung der Er­ werbsfähigkeit erwarten läßt, oder besondere Heilmaßnahmen zur Verhütung einer Verschlim­ merung oder Behebung körperlicher Beschwerden erforderlich sind. Streitigkeiten zwischen den Bersorgungsberechtigten und den KK. werden in dem in der RVO. vorgesehenen Spruchverfahren, also durch das VA., OVA. und (bei revisionsfähigen Entscheidungen durch das) RVA. entschieden. Sind die KK. zur Gewährung ärztlicher Behand­ lung nur nach dem RVG. verpflichtet, so bedürfen die zwischen ihnen und Ärzten zur Sicherstellung der ärztlichen Behandlung getroffenen Verein­ barungen, ebenso wie entsprechende Verein­ barungen zur Sicherstellung der Heilanstalts­ pflege und der Versorgung mit Arznei und klei­ neren Heilmitteln, der Zustimmung des RAM. Auf diese Weise ist zwischen den Hauptverbänden der KK. und den Spitzenverbänden der Ärzte und Zahnärzte ein „Ärztlicher" und ein „Zahn­ ärztlicher Reichstarif für des Versor­ gungswesen" vereinbart und vom RAM. ge­ nehmigt worden, abgedruckt RVBl. 1926, S. 37 Nr. 70, S. 42 Nr. 71 u. 1927 S. 14 Nr. 31. Das Reich kann die Heilbehandlung an Stelle der KK. selbst durchführen (§ 8). Öffentliche Krankenund Pflegeanstalten können durch die Landes­ regierungen verpflichtet werdem, einen bestimm­ ten Teil ihrer Betten gegen angemessene Ver­ gütung für die Heilbehandlung und Pflege der Beschädigten zur Verfügung zu stellen (§ 9). — Krankengeld und, während einer Heilanstalts­ pflege, Hausgeld an die Angehörigen, Zusatz­ rente und eine besondere Unterstützung werden, wenn nicht eine KK. leistungspflichtig ist, in einer im Gesetz des Näheren bestimmten Höhe und Be­ grenzung vom Reiche gewährt, soweit das Ein­ kommen des Beschädigten durch die Erkrankung gemindert ist (§§ 12, 13). Für Heilbehandlung und Krankengeld, zu deren Gewährung die KK. nicht nur nach dem N. verpflichtet sind, wird ihnen — bis zum 1. April 1933 — durch Zah­ lung eines nach Teilbeträgen des satzungs­ mäßigen Krankengeldes bemessenen Pauschquan­ tums vom Reiche Ersatz "geleistet, soweit der Zusammenhang der Krankheit mit einer Dienst­ beschädigung vor dem Beginne der Heilbehand­ lung anerkannt war (§ 14). Bei Gewährung von Heilbehandlung einschließlich Heilanstalts­ pflege und Hauspslege nur auf Grund des R. werden den KK. die entstandenen Kosten und der entsprechende Anteil an den Verwaltungs­ kosten bei rechtzeitiger Anmeldung (14 Tage nach dem Beginn der Heilbehandlung oder der ersten Anweisung des Krankengeldes) voll ersetzt (§§ 15, 16). Streitigkeiten über Ersatzansprüche zwischen Reich und KK. werden vom VA. und OVA. im Spruchversahren entschieden (§ 17). — Für den Fall, daß die den KK. nur nach dem R. obliegenden Heilbehandlungen mangels Zu­ standekommens von Vereinbarungen mit einer ausreichenden Zahl von Ärzten ernstlich gefährdet werden, können die KK. — mit ähnlichen Maß­ gaben, wie sie für den gleichen Falt in der RVO. (§ 370) vorgesehen sind — vom HauptversA. er­ mächtigt werden, statt der Heilbehandlung Geld­ beträge zu gewähren (§ 10). Heilanstaltspflege kann unter Umständen, wie nach der RVO. (§ 184), auch ohne Zustimmung des Beschädigten

gewährt werden (§ 11). Wenn zu erwarten ist, daß der Gesundheitszustand eines Beschädigten durch eine neue Heilbehandlung eine Besserung erfährt, kann die Versorgungsbehörde jederzeit eine solche eintreten lassen. Befolgt der Be­ schädigte eine die Heilbehandlung betreffende An­ ordnung ohne gesetzlichen oder sonst triftigen Gmnd nicht und wird seine Erwerbsfähigkeit dadurch un­ günstig beeinflußt, so kann ihm — ebenso wie dem Unfallverletzten nach § 606 RVO. — die Rente auf Zeit ganz oder teilweise versagt werden, wenn er auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist. Zur Duldung von Operationen, die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrt­ heit bedeuten, kann er nicht gezwungen werden (§§ 18, 19). — Wegen der Durchführung von Kuren nach dem R. vgl. die Richtlinien vom 31. 5. 1922 (RVBl. 277 Nr. 522) und das Ver­ zeichnis der Kurorte und Lungenheilanstalten (RVBl. 1927 S. 31). V. Soziale Fürsorge. Der Beschädigte hat Anspruch auf unentgeltliche berufliche Allsbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung der Er­ werbsfähigkeit, insoweit er durch die Dienst­ beschädigung in der Ausübung seines Berufs oder in der Fortsetzung einer begonnenen Ausbildung wesentlich beeinträchtigt ist. Unter der Voraus­ setzung der Eignung und der eifrigen Arbeit des Beschädigten wird die Berufsausbildung bis zur Erreichung ihres Zieles innerhalb der Höchstdauer eines Jahres gewährt; sie soll aber in geeigneten Fällen über diesen Zeitpunkt hinaus ausgedehnt werden. Uber den Anspruch hat der Landessürsorgeverband(an Stelle der früher zuständigen Haupt­ fürsorgestelle für Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge) zu entscheiden (§ 21). Die Bezirksfürsorgeverbände (früher die Fürsorge­ stellen der Kriegsbeschädigten- und Kriegshin­ terbliebenenfürsorge) sind außerdem verpflich­ tet, den Beschädigten und den Hinterbliebenen bei der Wahl eines geeigneten Berufs, bei der Berufsausbildung und bei der Unterbringung so­ wie Erhaltung im Erwerbsleben beizustehen und behilflich zu sein, die Folgen einer erlittenen Dienstbeschädigung oder des Verlustes des Er­ nährers nach Möglichkeit zu überwinden oder zu mildern (§ 22). Uber die Heilsürsorge für be­ dürftige nichtversicherte Kriegshinterbliebene kön­ nen die Bezirkssürsorgeverbände mit den KK. Vereinbarungen dahin schließen, daß diese gegen Ersatz der entstandenen Kosten und eines ent­ sprechenden Anteils an den Verwaltungskosten Sachleistungen der Krankenversicherung gewährenDie Verträge bedürfen der Zustimmung des OVA. und des Landesfürsorgeverbandes (§ 23). VI. Rente, a) Anspruch auf Rente hat der Beschädigte, solange seine Erwerbsfähig­ keit infolge einer Dienstbeschädigung um wenig­ stens 25% gemindert, oder seine körperliche Unversehrtheit schwer beeinträchtigt ist. Die Erwerbsfähigkeit gilt insoweit als gemindert, als der Beschädigte infolge der Beschädigung nicht mehr oder nur unter Aufwendung außergewöhn­ licher Tatkraft fähig ist, sich Erwerb durch eine Arbeit zu verschaffen, die ihm unter Berücksich­ tigung seiner Lebensverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten billigerweise zugemutet werden kann. Die Berdienstverhältnisse sollen keinen Maßstab dafür bilden. Wer in seiner körperlichen Unver-

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sehrtheit schwer beeinträchtigt ist, erhält ohne Rücksicht auf den Grad der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit eine Rente nach den in der V. vom 21. 12. 1927 (RGBl. I 491) Ziff. I fest­ gestellten Sätzen, z. B. 50% beim Verlust eines Beines oder eines Armes, 40% beim Ver­ lust eines Unterschenkels, 30% beim Verlust eines Fußes oder von drei oder mehr Fingern aus­ schließlich des Daumens an der Gebrauchshand, 25% beim Verlust des Daumens allein oder beider Ohrmuscheln, jedoch werden mehr als 50%, auch wenn mehrere Schäden zusammentreffen, nicht gewährt. Neben der Rente für Minderung der Erwerbsfähigkeit wird die Versehrtheitsrente nicht gewährt, vielmehr nur die für den Be­ schädigten günstigere Rente (§§ 24, 25). b) Für die Bemessung der Rente ist maß­ gebend: die Minderung der Erwerbsfähigkeit, der Beruf, der Familienstand und der Wohnsitz des Beschädigten. oc. Die Rente besteht aus Grundrente und Schwerbeschädigtenzulage und beträgt bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit Grundrente

Schwer­

beschädigten162 RM um 30% zutage 216 40% 270 50% und 36 RM 324 60% 42 „ 378 n 70% 54 „ 432 72 80% 108 ;; 486 90% bei Erwerbsunfähigkeit 540 168 „ Die Grundrente ist bei völliger Erwerbsunfähig­ keit also doppelt so hoch als bei einer Erwerbs­ minderung von 50% und paßt sich dement­ sprechend an die übrigen Grade der Minde­ rung der Erwerbsfähigkeit zahlenmäßig an; die Schwerbeschädigtenzulage, die bei einer Minde­ rung der Erwerbsfähigkeit von 50% beginnt, steigt in wesentlich höherem Maße mit zunehmender Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit. Die Min­ derung der Erwerbsfähigkeit ist grundsätzlich in Stufen von 10zu 10% ausgedrückt. Eine bis 5% geringere Minderung der Erwerbsfähigkeit wird von den höheren Hundertsätzen mitumfaßt. Wer in seiner Erwerbsfähigkeit um mehr als 90% be­ einträchtigt ist, gilt als erwerbsunfähig (§ 27). ß. Der Beruf des Beschädigten findet Berück­ sichtigung durch die Ausgleichszulage (§ 28). Diese beträgt, als einfache Ausgleichszulage, 35%, und als erhöhte Ausgleichszulage 70% der Gebührnisse an Grundrente und Schwerbeschä­ digtenzulage. Die einfache Ausgleichszulage wird gewährt, wenn der Beschädigte vor dem Eintritt in den Militärdienst oder als Angehöriger der Wehrmacht einen Beruf ausgeübt hat, der erheb­ liche Kenntnisse und Fertigkeiten erfordert — die erhöhte Zulage, wenn der Beruf erhebliche Kennt­ nisse und Fertigkeiten und ein besonderes Man von Leistung und Verantwortung erfordert. Die Ausgleichszulage wird auch gewährt, wenn nur die Beschädigung den Beschädigten hindert, einen Beruf auszuüben, den er sonst nach seinen Lebens­ verhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten hätte erreichen können und nach dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen voraussichtlich auch ausgeübt hätte, oder wenn er unter Auf­ wendung außergewöhnlicher Tatkraft einen sol­ chen Beruf erreicht hat. Nach der V. vom 1. 9.

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1920 Ziss. II erhalten die einfache Ausgleichs­ zulage z. B. selbständige Landwirte, Gewerbe­ treibende und Handwerksmeister, Betriebsbeamte, Werkmeister und andere Angestellte in einer ähn­ lich gehobenen oder höheren Stellung, Bank­ beamte, Bilchhalter, Handlungsgehilfen, Bühnenund Orchestermitglieder, Techniker, Kranken­ pfleger, Gesellen, Facharbeiter, sonstige gelernte Arbeiter und ihnen nach Kenntnissen und Fähig­ keiten gleichstehende angelernte Arbeiter und An­ gestellte, Beamte des Reichs, der Länder und der Gemeinden, Lehrer und Erzieher, Berufsoffiziere bis zum Hauptmann, Berussunteroffiziere und Berufssoldaten, die nach mindestens sechsjähriger Dienstzeit die Eignung zum Unteroffizier besitzen und Unterosfiziersdienst geleistet haben — die er­ höhte Ausgleichszulage z. B. Leiter und Ver­ walter größerer Betriebe in Landwirtschaft, Han­ del und Gewerbe, Industrie und Bergbau sowie größerer Verbände, ferner Arzte, Zahnärzte, Tier­ ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Künstler und Schriftsteller von Ruf, Angestellte in leitender oder sonst besonders verantwortlicher Stellung in größeren Betrieben, Werkmeister und Arbeiter, deren Tätigkeit außergewöhnlich hoch zu bewerten ist (z. B. Gießmeister einer großen Tiegelgußstahl­ gießerei), Beamte und Lehrer in leitender oder sonst besonders verantwortlicher Stellung, No­ tare, Geistliche, Berufsoffiziere vom Hauptmann aufwärts; den Angehörigen dieser Berufsgruppen wird gleichgestellt, wer eine staatliche Prüfung bestanden hat, zu deren Ablegung der wenigstens dreijährige Besuch einer Hochschule erforderlich ist. — Grundrente und Ausgleichszulage, soweit sie einem Beschädigten bei voller Erwerbsun­ fähigkeit gewährt werden, gelten als „Boll­ rente". Blinde erhalten ohne Rücksicht auf eine etwa vorhandene Erwerbsfähigkeit stets die Rente eines Erwerbsunfähigen. Y- Eine Frauenzulage in Höhe von 10% der Gebührnisse erhält jeder verheiratete Beschädigte, dessen Erwerbsfähigkeit infolge Dienstbeschädi­ gung nm mindestens 50% gemindert ist (Schwer­ beschädigter). Kinderzulagen in Höhe von 20% der Gebührnisse werden gewährt für jedes ehe­ liche Kind bis zur Vollendung des 18. Lebens­ jahres. Den ehelichen Kindern sind gleichgestellt: die für ehelich erklärten Kinder, die an Kindes Statt angenommenen, die Stiefkinder, die Pflegekinder, wenn sie vor Anerkennung der Folgen der Dienstbeschädigung von dem Be­ schädigten unentgeltlich unterhalten worden sind, und die unehelichen Kinder, wenn sie vor dem gleichen Zeitpunkt erzeugt worden sind und die Vaterschaft des Beschädigten glaubhaft gemacht ist. Für uneheliche Kinder, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, und für Sties- und Pflegekinder wird Kinderzulage nur gewährt, solange sie von dem Beschädigten unentgeltlich unterhalten wer­ den. Auch über das 18. Lebensjahr hinaus wird die Kinderzulage gewährt, solange ein Kind in­ folge körperlicher oder geistiger Gebrechen außer­ stande ist, sich selbst zu unterhalten, und wenn die Berufsausbildung des Kindes noch nicht beendet ist, in letzterem Falle bis zur Vollendung des 21. Jahres (§§ 29, 30). 8. Hat ein Rentenempfänger seinen Wohnsitz im Deutschen Reiche, so erhält er zu seinen Ver­ sorgungsgebührnissen eine Ortszulage. Diese

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beträgt an einem Orte der Sonderklasse 30%, der Ortsklasse A 25, B 22, C 18 und D 14% der Gebührnisse. Für die Einstufung der Orte ist das für die Besoldung der Reichsbeamten gel­ tende Ortsklassenverzeichnis maßgebend. Bei Wohnsitz im Auslande kann eine Ortszulage gewährt werden (§ 51). c) Solange ein Beschädigter infolge Dienst­ beschädigung so hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann, wird eine Pflegezulage von 600 RM jährlich ge­ währt. Ist die Gesundheitsstörung so schwer, daß sie dauerndes Krankenlager oder außergewöhnliche Pflege erfordert, so ist diese Zulage je nach Lage des Falles unter Berücksichtigung der für die Pflege erforderlichen Aufwendungen auf 900, 1200 oder 1500 RM zu erhöhen. Blinde erhalten in der Regel die Pflegezulage von 1200 RM (§ 31). VII. Beamtenschein. Anspruch auf die Er­ teilung eines Beamtenscheins neben der Rente haben Schwerbeschädigte (Versorgungsberech­ tigte, deren Erwerbsfähigkeit infolge Dienst­ beschädigung um mindestens 50% gemindert ist), wenn sie nachweislich außerstande sind, ihren vor dem Eintritt in den Militärdienst zuletzt aus­ geübten oder einen anderen Beruf, der ihnen unter Berücksichtigung ihrer Lebensverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten billigerweise zuge­ mutet werden kann, in wettbewerbsfähiger Weise aufzunehmen, und wenn sie nach ihrem gesamten Verhalten zum Beamten geeignet erscheinen. Zu versagen ist der Beamtenschein bei Geisteskrank­ heit, schwerem Siechtum oder anderen schweren Gebrechen (§ 33). Der Inhaber eines Beamten­ scheins erlangt die Anwartschaft auf gewisse Stellen bei Behörden, Anstalten oder Instituten nach Grundsätzen, die die Neichsregierung mit Zustimmung des RR. erläßt (sog. Anstellungs­ grundsätze; s. Versorgungsanwärter). VIII. Sterbegeld und Gebührnisse für das Sterbevierteljahr. Sterbegeld wird beim Tode eines Rentenempfängers und in Höhe eines Drittels auch beim Tode von Hinterbliebe? nen gewährt. Es richtet sich nach dem Wohnort des Verstorbenen und beträgt für die Orte der Sonderklasse 210 RM, für Ortsklasse A 195 RM, für die Ortsklassen B und C 180 RM und für die Ortsklasse D 165 RM. Ist der Tod nicht die Folge einer Dienstbeschädigung, so wird nur ein Drittel der Beträge gewährt. Der Tod gilt jedoch stets als Folge einer Dienstbeschädigung, wenn ein Rentenempfänger an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Dienstbeschädigung an­ erkannt war und für das er bis zum Tode Rente bezogen hat. Hinsichtlich der Personen, an die das Sterbegeld auszuzahlen ist, sowie der An­ rechnung eines auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften zu zahlenden Sterbegeldes gelten ähnliche Bestimmungen wie für das von den KK. nach §§ 201 ss. RBO. zu zahlende Sterbe­ geld (§§ 34, 50a). — Für die auf den Sterbe­ monat eines Rentenempfängers folgenden drei Monate werden die Berjorgungsgebührnisse (Rente nebst Zulagen) noch an die zum Empfang des Sterbegeldes berechtigten Familienangehöri­ gen fortgezahlt. Sind bezugsberechtigte Ange­ hörige nicht vorhanden, so bestimmt die Ver­ sorgungsbehörde, ob und an wen die Gebührnisse für das Sterbevierteljahr zu zahlen find (§ 35).

IX. Hinterbliebenenrente. Hinterbliebe­ nenrenten werden gewährt, wenn der Tod des Versorgungsberechtigten die Folge einer Dienst­ beschädigung ist. Es handelt sich um Witwen-, Witwer-, Waisen- und Elternrenten. a) Witwenrente erhält die Witwe eines Ver­ storbenen, und im Falle der Scheidung oder der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft die frühere Ehefrau, wenn der Verstorbene allein für schuldig erklärt oder die Ehe wegen Geisteskrankheit des Verstorbenen geschieden war. Die Witwen­ rente beträgt 50% der Vollrente, die dem Ver­ storbenen im Falle der Erwerbsunfähigkeit bei Lebzeiten zustehen würde. Sie erhöht sich auf 60%, solange die Witwe erwerbsunfähig ist oder sobald sie das 50. Lebensjahr vollendet hat. Er­ werbsunfähigkeit liegt vor bei einer Verminde­ rung der Erwerbsfähigkeit um mehr als ein Drittel nach den für den Begriff der Invalidität in der RBO. (§ 1258 Abs. 2) aufgestellten Merk­ malen. Im Falle der Wiederverheiratung mit einem Deutschen erhält die Witwe an Stelle der Witwenrente eine Abfindung in Höhe des drei­ fachen Jahresbetrages der ihr bei Erwerbsun­ fähigkeit zustehenden Witwenrente; bei Wieder­ verheiratung mit einem Ausländer oder Staaten­ losen kann eine solche Abfindung gewährt werden (§§ 37-39). b) Waisenrente erhalten die ehelichen Kinder des Verstorbenen und die ihnen gleichgestellten Kinder (vgl. oben unter VI b 8), und zwar bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Ist ein Kind bei Vollendung des 18. Lebensjahres in­ folge körperlicher oder geistiger Gebrechen außer­ stande, sich selbst zu unterhalten, so wird die Waisenrente so lange gwährt, als dieser Zustand dauert. Ferner kann die Waisenrente bis zum vollendeten 21. Lebensjahre gewährt werden, wenn das Kind bei Vollendung des 18. Lebens­ jahres die Berufsausbildung noch nicht beendet hat. Die Waisenrente betrügt für jedes Kind, dessen Vater oder Mutter noch lebt, 25%, und für jedes Kind, dessen Eltern nicht mehr leben, 40% der Vollrente des Verstorbenen (§ 41). c) Elternrente erhalten der Vater, die Mut­ ter, der Großvater und die Großmutter, ferner Adoptiveltern, wenn sie den Verstorbenen vor der Dienstbefchädigung an Kindes Statt ange­ nommen, und Sties- und Pflegeeltern, wenn sie ihn vor der Dienstbeschädigung unentgeltlich unterhalten haben, Großeltern jedoch nur, wenn keine anspruchsberechtigten Eltern vorhanden sind (§§ 43, 44, 47). Die Elternrente wird nur für die Dauer der Bedürftigkeit und nur dann gewährt, wenn der Verstorbene der Ernährer ge­ wesen ist oder nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst geworden wäre. Letztere Voraus­ setzungen brauchen jedoch nicht immer voll erfüllt zu sein. Bedürftig ist nur, wer erwerbsunfähig ist (nach den für die rentenberechtigte Witwe aufgestellten Merkmalen; vgl. oben IXa) oder als Mutter das 50. oder als Vater das 60. Lebensjahr vollendet und keinen Unterhalts­ anspruch gegenüber Personen hat, die imstande sind, ausreichend für ihn zu sorgen. Außer­ dem darf das Einkommen der Eltern die im § 45 angegebenen Beträge nicht über­ steigen. Eine erwerbsfähige Mutter, die noch für den Unterhalt und die Erziehung von Kin-

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dern zu sorgen hat, wird der erwerbsunfähigen gleichgestellt. Die Elternrente beträgt für die Eltern zusammen 50%, für den Vater oder die Mutter allein 30% der Vollrente des Ver­ storbenen und erhöht sich, wenn mehrere Söhne infolge einer Dienstbeschädigung gestorben sind, für jeden weiteren Sohn um ein Fünftel ihres Betrages (§ 46 Abs. 1, 2). Die Elternrente für Großeltern darf 70% der Vollrente des Ver­ storbenen nicht übersteigen (§ 48). 6) Witw errente. In Fällen, in denen Frauen aus Grund des R. Versorgungsansprüche haben, z. B. wenn sie zum Personal der freiwilligen Krankenpflege gehören oder als Beamtinnen zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet werden, erwirbt der Ehemann einen Anspruch auf Witwerrente, wenn seine Ehefrau infolge einer Beschädigung im Dienste verstorben ist. Voraus­ setzung ist, daß der Ehemann erwerbsunfähig war und die Ehefrau seinen Lebensunterhalt wesent­ lich aus ihrem Arbeitsverdienste bestritten hat. Die Witwerrente beträgt 60% der Vollrente, die der verstorbenen Ehefrau im Falle der Er­ werbsunfähigkeit bei Lebzeiten zustehen würde, und wird für die Dauer der Bedürftigkeit ge­ währt (§ 97). e) Zu allen Hinterbliebenenrenten wird die Ortszulage nach den oben (VI b 8) angegebenen Grundsätzen gewährt. X. Teuerungszulage. Die Bersorgungsgebührnisse sollen an die jeweilige Wirtschafts­ lage angepaßt werden, und zwar nach den Ände­ rungen der Bezüge der Beamten und gleichzeitig mit ihnen. Zu diesem Zwecke setzt der RAM. im Benehmen mit dem RFM. als Teuerungszulage einen Hundertsatz der Gebührnisse fest. Zu den durch das G. vom 21. 12. 1927 festgesetzten Renten- und Zusatzrentensätzen wird eine Renten­ erhöhung (bis dahin 22%) nicht gewährt. Bei einer Änderung der Grundgehälter der Beamten sollen auch die Grundbeträge der Versorgungsgebührmsse entsprechend geändert werden (§87). XI. Zusatzrente. Eine Zusatzrente wird nur im Falle des Bedürfnisses gewährt, und zwar an Empfänger von Beschädigtenrente, Hinterblie­ benenrente, Hausgeld, Übergangsgeld, Witwenund Waisenbeihilfe; ausgenommen sind Be­ schädigte, deren Erwerbsfähigkeit um weniger als 50% gemindert ist (Leichtbeschädigte), und Witwen, die eine Witwenrente von 50% der Bollrente beziehen, wenn sie für kein Kind sorgen oder das 45. Lebensjahr noch nichtvollendet haben (§ 88). Das Gesetz gibt (im § 89) die Jahres­ beträge der Zusatzrente an. Sie beträgt danach z. B. für Schwerbeschädigte je nach dem Grade der Erwerbsminderung 144, 300 und 504 IM, für rentenberechtigte Witwen 408 und 450 RM. für einen Empfänger von Hausgeld oder von Übergangsgeld 300 RM, für eine rentenberechtigte elternlose Waise 180 RM, für einen Empfänger von Waisenbeihilse 96 RM. Die Beträge sollen durch den RAM. im Einvernehmen mit dem RFM. den Veränderungen der Wirtschaftslage in An­ lehnung an die Teuerungsmaßnahmen für die Reichsbeamten angepaßt werden. Vgl. Zweite Zusammenstellung der Bestimmungen über die Zusatzrente RVBl. 1925, 59 Nr. 116 (§ 93). Ihrem vollen Betrage nach wird die Zusatzrente

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nur gewährt, wenn das regelmäßige Einkommen, das der Versorgungsberechtigte neben den Ver­ sorgungsgebührnissen bezieht, bestimmte Höchst­ grenzen nicht übersteigt (§ 90). Die Zusatzrente kann versagt oder entzogen werden, wenn Ver­ sorgungsberechtigte, die nach ihrer Arbeitsfähig­ keit in der Lage sind, einem Erwerbe nachzu­ gehen, die Übernahme einer ihnen nachgewiesenen, trotz ihres Leidens geeigneten und ihren Lebens­ verhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten ent­ sprechenden Arbeit ablehnen oder ihren Arbeits­ platz wiederholt ohne berechtigten Grund ver­ loren haben (§ 91). Die Feststellung und Aus­ zahlung der Zusatzrenten liegt den Landes- und Bezirksfürsorgeverbänden (an Stelle der früher zuständigen Hauptfürsorgestellen und Fürsorge­ stellen der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge) ob. Der Landesfürsorgever­ band entscheidet auf Beschwerde endgültig (§ 94). AusfB. des RAM. vom 21. 12. 1927 (RVBl. S. 88 Nr. 105). XII. Kannleistungen, a) Witwen-, Wai­ sen- und Elternbeihilfe. Ist der Tod nicht die Folge einer Dienstbeschädigung, so kann im Falle der Bedürftigkeit Witwen eine Witwen­ beihilfe bis zur Höhe von zwei Dritteln, Witwen von Pflegezulagenempfängern bis zum vollen Betrage der Witwenrente, und eine Waisen­ beihilfe den Kindern eines Rentenempfängers bis zu zwei Dritteln, Kindern von Pflegezulage­ empfängern bis zum vollen Betrage der Waisen­ rente gewährt werden (§§ 40,42). Eine Eltern­ beihilfe (bis zum Betrage der Elternrente) kann gewährt werden, wenn die für die Elternrente vorgesehene Einkommensgrenze überschritten ist oder die unterhaltspflichtigen Personen nur unter besonderen Schwierigkeiten ausreichend für die Eltern sorgen können, ferner (bis zu zwei Drittel der Elternrente) wenn die Voraus­ setzung, daß der Verstorbene der Ernäher ge­ wesen ist oder geworden wäre, nicht voll erfüllt ist (§§ 45 Abs. 3 u. 4, 46 Abs. 3). b) Übergangsgeld kann nichtversorgungs­ berechtigten Angehörigen der Wehrmacht, deren Erwerbsfähigkeit beim Ausscheiden aus dem Militärdienst infolge einer Gesundheitsstörung gemindert ist, zur Erleichterung des Übergangs in das Erwerbsleben längstens bis zum Ablauf von drei Jahren nach dem Ausscheiden im Falle der Bedürftigkeit gewährt werden, und zwar im Betrage bis zu zwei Dritteln der Vollrente und der Schwerbeschädigtenzulage. An Stelle des Über­ gangsgeldes kann Heilbehandlung einschließlich Krankengeld, Hausgeld und Unterstützung gewährt werden (§ 32). — Bei Prüfung der Bedürftig­ keit, die am besten unter Mitwirkung der Für­ sorgestellen (Fürsorgeverbände) vorgenommen wird, ist nicht engherzig zu verfahren und der Besonderheit des einzelnen Falles gebührend Rech­ nung zu tragen (§§ 32 Ziff. 5, 40 Ziff. 5 und 42 AusfB.). XIII. Kapitalabfindung kann Personen, die Anspruch auf Versorgungsansprüche haben, ge­ währt werden zum Erwerb oder zur wirt­ schaftlichen Stärkung eigenen Grundbe­ sitzes, oder wenn ein Bersorgungsberechtigter zum Erwerb eigenen Grundbesitzes einem gemeinnützi­ gen Bau- oder Siedlungsunternehmen beitreten will (§ 72).Voraussetzung ist, daß der Bersorgungs-

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Reichsversorgungsgesetz

berechtigte das 21. Lebensjahr vollendet und —in der Regel — das 55. noch nicht zurückgelegt hat, daß der Versorgungsanspruch anerkannt und nach Art des Versorgungsgrundes nicht zu erwarten ist, daß die Bersorgungsgebührnisse später ganz wegfatten, schließlich daß für eine nützliche Ver­ wendung des Geldes Gewähr besteht (§ 73). Der Abfindung durch Zahlung eines Kapitals unter­ liegt zwei Drittel der Grundrente, Schwer­ beschädigtenzulage und Ausgleichszulage nebst der Ortszulage, bei Witwen der Witwenrente nebst Ortszulage, soweit diese Gebührnisse vor­ aussichtlich dauernd zu zahlen sind. Die Ab­ findung kann auf einen Teilbetrag dieser Gebühr­ nisse beschränkt werden (§ 74). Die Abfindungs­ summe wird nach dem Lebensalter des Antrag­ stellers berechnet und beträgt das im Gesetz be­ stimmte Vielfache der in Betracht gezogenen Ver­ sorgungsgebührnisse, z. B. beim 21. Lebensjahre das 18^/2fache, beim 39. Lebensjahre das 14fache, beim 55. Lebensjahre das 8^4fache (§§ 75, 76). Die bestimmungsgemäße Verwendung des Ka­ pitals ist durch Vorschriften gesichert, auf Grund deren die Behörde die Weiterveräußerung des Grundstücks oder des an ihm bestehenden Rechts und seine Belastung verhindern kann oder der Abgefundene verpflichtet wird, die Abfindungs­ summe ganz oder teilweise zurückzuzahlen (§§ 77 bis 79). Zur Zurückzahlung der Abfindungs­ summe innerhalb bestimmter Grenzen ist auch die abgefundene Witwe, die eine weitere Ehe schließt, verpflichtet (§ 82). Gegen Rückzahlung der Abfindungssumme können dem Abgefundenen auf seinen Antrag die durch die Kapitalabfindung erloschenen Gebührnisse wieder bewilligt werden (§ 80). Kapitalabfindungen wurden bereits vor dem Inkrafttreten des R. auf Grund der im wesentlichen gleichen Vorschriften des G. über Kapitalabfindung an Stelle von Kriegsversorgung (Kapitalabfindungsgesetz) vom 3. 7. 1916 (RG­ Bl. 680), des G. zur Ergänzung des KapitalabfindungsG. vom 26. 7. 1918 (RGBl. 993) und des KapitalabfindungsG. für Offiziere vom 26. 7. 1918 (RGBl. 994) gewährt. Solche Kapital­ abfindungen bleiben bestehen, und die Beträge, für die sie bewilligt worden sind, werden auf die nach dem R. festzustellenden Gebührnisse ange­ rechnet (§ 85; AusfB. des RAM. vom 13.12.1920 RGBl. 2146). XIV. Beginn, Änderung, Aushören der Versorgung, Ruhen des Rechts auf Ver­ sorgung, Zahlung, Übertragung, Ver­ pfändung und Pfändung der Versorgungs­ gebührnisse. Die Versorgungsansprüche müssen zur Vermeidung des Ausschlusses innerhalb zweier Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Militär­ dienst, bei Versorgungsansprüchen von Hinter­ bliebenen nach dem Tode des Beschädigten, an­ gemeldet werden. Aus bestimmten, im § 53 des G. angegebenen Gründen ist die Anmeldung auch nach Ablauf dieser Frist noch wirksam (§§ 52 bis 54). Über den Beginn der Versorgung treffen die §§ 55 u. 56 nähere Bestimmungen. Die Ver­ sorgungsgebührnisse werden mit bestimmten, in § 57 genannten Maßgaben neu festgestellt, wenn in den Verhältnissen, die für ihre Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Ver­ änderung eintritt. Die Rente kann entzogen wer­ den, wenn ein Rentenempfänger ohne^tristigen

Grund einer schriftlichen Aufforderung zum Er­ scheinen zu einer ärztlichen Untersuchung nicht nachkommt oder sich weigert, die zur Durch­ führung des Verfahrens von ihm geforderten Angaben zu machen, obwohl er aus diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist (§ 58). Die Gründe für das Ruhen der Versorgung sind: Wiederverwendung im aktiven Militärdienste, Fehlen der Reichsangehörigkeit, die Erhebung der öffentlichen Klage und die rechtskräftige Ver­ urteilung zu Zuchthausstrafe wegen bestimmter strafbarer Handlungen (Hochverrat, Landesver­ rat, Kriegsverrat, Verrat militärischer Geheim­ nisse) sowie die Verbüßung einer Freiheitsstrafe von wenigstens drei Monaten oder die Unter­ bringung in einem Arbeitshaus oder in einer Besserungsanstalt (§ 61). Teilweise ruhen die Bersorgungsgebührnisse bei Bezug eines Ein­ kommens von bestimmter Höhe aus öffentlichen Mitteln und bei Bezug einer Unfallrente der Reichsunfallversicherung infolge einer und der­ selben Gesundheitsstörung oder von Versorgungsgebührnissen gleicher Höhe aus einem anderen Militärversorgungsgesetze oder einer Pension aus einem Beamtenverhältnisse zur Wehrmacht (§§ 62 bis 65). Gezahlt werden die Versorgungsgebühr­ nisse in der Regel monatlich im voraus, das Haus­ geld mit Ablauf jeder Woche (8 67). Eine Über­ tragung, Verpfändung und Pfändung des An­ spruchs aus Bersorgungsgebührnisse ist nur zu­ lässig wegen eines Darlehens oder Vorschusses seitens einer Fürsorgestelle (eines Fürsorgever­ bandes), einer Gemeinde, eines Armenverbande§ oder einer gemeinnützigen Einrichtung (z. B. des Zentralkomitees des Preuß. Landesvereins vom Roten Kreuz in Berlin), der die Genehmigung zu Gewährung von Darlehen und Vorschüssen von der Landeszentralbehörde (dem MsB. durch Erl. vom 12. 8. 1921, RVBl. 556 Nr. 1089) er­ teilt ist, wegen eines Anspruchs aus Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht, wegen eines Anspruchs des Reichs auf Rückzahlung zu Unrecht empfangener Bersorgungsgebührnisse, einer KK. auf Rückzahlung zu Unrecht empfangenen Kran­ ken- und Hausgeldes und wegen eines Anspruchs einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Rück­ zahlung einer nach gesetzlicher Verpflichtung ge­ zahlten Leistung, und zwar vor der Anweisung der Gebührnisse unbegrenzt, nach ihrer Anwei­ sung nur bis zum halben Betrage der angewiese­ nen Gebührnisse. Abgesehen hiervon können Ansprüche auf Bersorgungsgebührnisse mit Ge­ nehmigung des Landesfürsorgeverbandes ganz oder zum Teil auf andere übertragen werden (§§ 68, 69). XV. Härteausgleich. Sofern in einzelnen Fällen aus den Vorschriften des Gesetzes sich besondere Härten ergeben, kann der RAM. im Einvernehmen mit dem RFM. einen Ausgleich gewähren (§ 113). Zufolge Beschlusses des RT. vom 5. 4. 1927 soll auf diese^ Weise Kriegsteil­ nehmern geholfen werden, die in zeitlichem Zu­ sammenhang mit dem Kriegsdienst einer schweren Geisteskrankheit oder einem sonstigen schweren mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen Leiden verfallen sind, sowie ihren Hinterbliebenen, auch wenn der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Leiden und dem Militärdienst nicht aus­ reichend erwiesen ist. Vgl. Erl. des RAM. vom

Neichsversorgungswesen

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30. 4. und vom 4. 8. 1927 (RBBl. 19 Nr. 50 und gesetz und Militärhinterbliebenengesetz). 59 Nr. 76). v. G. Für die Offiziere der alten Wehrmacht gilt das Arendts, Das Reichsversorgungsgesetz, 1926. Offizierpensionsgesetz (s. d.) vom 31. 5. ReichSversorgungswesen. I. Unter Reichsver­ 1906 (RGBl. 565) und für deren Hinterbliebene sorgung versteht man die Versorgung der Militär­ das Militärhinterbliebenengesetz vom 17. 5.1907 personen beim Vorliegen von Dienstbeschädigung (RGBl. 214) mit den seit Kriegsbeginn einge­ oder Dienstunfähigkeit und die Versorgung der tretenen Änderungen und Ergänzungen, insbe­ Hinterbliebenen gefallener oder an den Folgen sondere durch das Pensionsergänzungsgesetz vom einer Dienstbeschädigung verstorbener oder renten­ 21. 12. 1920 (RGBl. 2109). — Die Versorgung öder pensionsberechtigter Militärpersonen. Diese der Angehörigen der neuen Wehrmacht und Versorgung war bis zum Kriege im wesentlichen ihrer Hinterbliebenen ist weiterhin durch das nach dem MannschastsversorgungsG. vom 31. 5. Wehrmachtversorgungsgesetz (s. d.) vom 1906 (RGBl. 953), dem OffizierpensionsG. vom 4. 8. 1921 (RGBl. 993) in der Fassung der 31. 5. 1906 (RGBl. 565) und dem Militürhinter- Bek. vom 19. 9. 1925 (RGBl. I 349) und spätere bliebenenG. vom 17. 5. 1907 (RGBl. 214) ge­ Ergänzungen geregelt. III. Eine für alle auf Dienstbeschädigung regelt. Während des Krieges ergingen die KapitalabfindungsG. vom 3. 7. 1916 (RGBl. 680) beruhende Versorgungsgebührnisse — nicht für und 26. 7. 1918 (RGBl. 993 u. 994) und das G. die Pensionen der ehemaligen Offiziere des über die Fürsorge für Kriegsgefangene vom Friedensstandes, Deckoffiziere der Marine und 15. 8. 1917 (RGBl. 725). Eine durchgreifende Beamten der Wehrmacht — geltende Vor­ Neugestaltung des Versorgungswesens wurde schrift enthält der § 98 des ReichsversorgungsG. nach dem Kriegsende in Angriff genommen. Danach dürfen die Versorgungsgebührnisse nach Das Gesetz über die Versorgung der dem ReichsversorgungsG. oder einem anderen Militärpersonen und ihrer Hinterbliebe­ MilitärversorgungsG. (Renten, Jnvaliden-Pennen bei Dienstbeschädigung (Reichsver­ sionen, Verstümmelungs- oder andere Zulagen, sorgungsgesetz; s. d.) vom 12. 5. 1920 (RG­ Kriegswitwen- oder Waisengeld, Kriegseltern­ Bl. 989) weicht von den früheren Gesetzen in geld) bei der Bemessung des Arbeitsentgelts grundsätzlichen Punkten ab. Zum ersten Male in nicht zum Nachteil des Beschäftigten berücksichtigt der deutschen Versorgungsgesetzgebung wird hier werden; insbesondere ist es unzulässig, die Ver­ ein Anspruch auf Heilbehandlung gesetzlich fest­ sorgungsgebührnisse ganz oder teilweise auf das gelegt und so die Wiederherstellung oder Besserung Entgelt anzurechnen. Bei Verstoß gegen diese einer durch den Militärdienst verursachten oder Vorschrift können die in §§ 15ff. der V. über verschlimmerten Gesundheitsstörung als die erste Tarifverträge usw. vom 23. 12. 1918 (RG­ und wichtigste Aufgabe der staatlichen Versorgung Bl. 1456) vorgesehenen Schlichtungsausschüsse, dargestellt. Weiterhin bringt das Gesetz eine vom 1. 7.1927 (Inkrafttreten des Arbeitsgerichtsgleichmäßige Regelung für Offiziere und Mann­ G. vom 23. 12. 1926, RGBl. I 507) ab die Ar­ schaften ohne Unterscheidung nach Dienstgrad oder beitsgerichte angerusen werden (§ 99 Reichsver­ Rang, und der Unterschied zwischen Dienst­ sorgungsG.; § 116 ArbeitsgerichtsG.). beschädigung und Kriegsdienstbeschädigung sowie IV. Für das Verfahren in Versor­ zwischen der allgemeinen Versorgung und der gungssachen ist in dem mit dem 1. 2. 1922 Kriegsversorgung ist fallen gelassen. Soweit mög­ in Kraft getretenen sog. Verfahrensgesetz lich, ist die Versorgung der Beschädigten und ihrer vom 10. 1. 1922 (RGBl. 59) eine neue Hinterbliebenen vereinigt. Das Reichsversor- Grundlage geschaffen. Dieses G. enthält die gungsG. regelt die auf einer Dienstbeschädigung maßgebenden Vorschriften über die Versor­ beruhenden Versorgungsansprüche der Ange­ gungsbehörden (s. d.) und über das Berhörigen der deutschen Wehrmacht, d. h. sowohl sorgungsverfahren (s. d.). Die früheren Ver­ des früheren Heeres, der früheren Marine und sorgungsgesetze enthielten neben den materiellen der früheren Schutztruppen als auch der vor­ Vorschriften über die Versorgungsgebührnisse läufigen Reichswehr, der vorläufigen Reichs­ auch die Vorschriften über das Verfahren. Die marine und sonstiger Ubergangsverbände sowie Versorgungsansprüche wurden danach von den des neuen Reichsheeres und der neuen Reichs­ Militärbehörden festgestellt. Es konnte bei den marine. Es gilt mit Wirkung vom 1. April 1920 nächsthöheren Behörden, an letzter Stelle bei der ab, findet aber auch auf die Personen Anwendung, obersten Militärverwaltungsbehörde des Kon­ deren Versorgungsanspruch sich auf eine nach dem tingents Einspruch erhoben werden. Gegen deren 31. Juli 1914 und vor dem 1. April 1920 beendete Entscheidung war binnen sechs Monaten der Dienstleistung gründet, also vor allem aus die ordentliche Rechtsweg bei ausschließlicher Zu­ Kriegsteilnehmer. ständigkeit des Landgerichts zulässig. Die Ent­ II. Für die Versorgung der vor dem 1. Au­ scheidungen der obersten Militärverwaltungs­ gust 1914 aus der Wehrmacht ausgeschiedenen behörde, innerhalb deren ein aus drei Offizieren Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen — oder Beamten der Heeresverwaltung gebildetes mit Ausnahme der mit Ruhegehalt verabschie­ Kollegium entschied, waren für das Gericht maß­ deten Berufsoffiziere, -deckoffiziere und Beamten gebend hinsichtlich der Fragen, ob eine Gesund­ der Wehrmacht sowie deren Hinterbliebenen — heitsstörung als eine Dienstbeschädigung und eine gelten das sog. Altrentnergesetz (s. d.) vom Dienstbeschädigung als durch den Krieg herbei­ 18. 7. 1921 in der Fassung der Bek. vom 22.12. geführt anzusehen war, bei Offizieren auch, ob 1927 (RGBl. 1631) und einige durch die Vorschrif­ und in welchem Grade Dienstunfähigkeit als vor­ ten dieses G.noch aufrechterhaltene Bestimmungen liegend und eine Aufhebung oder Minderung früherer Militärpensions- und Militärhinter­ der Erwerbsfähigkeit als durch den Krieg herbei­ bliebenengesetze (s. Mannschaftsversorgungs­ geführt anzusehen war. Am 1. Oktober 1919 ging

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Reichswährung — Reichswirtschaftsgcricht

die Zuständigkeit hinsichtlich des Verwaltungs­ verfahrens in Versorgungssachen auf das RAM. und die ihm Nachgeordneten Versorgungsdienststellen über (B. vom 5. 10. 1919, RGBl. 1784), und durch das G. vom 15. 5. 1920 über die Ver­ sorgungsbehörden (RGBl. 1063) wurden in den Versorgungsämtern und Hauptversor­ gungsämtern neue, im Verfahrensgesetz aufrechterhaltene Verwaltungsbehörden geschaffen. Für die Bearbeitung der Angelegenheiten der Beamten der ehemaligen Wehrmacht ist zum Teil der RMdJ. zuständig (B. vom 3. 11. 1927, RVBl. S. 78 Nr. 100). Für das Spruch­ verfahren wurden durch die V. über Änderung des Verfahrens in Militärversorgungssachen vom 1. 2. 1919 (RGBl. 149) in den Militärversor­ gungsgerichten und dem Reichsmilitärversorgungsgericht Sondergerichte geschaffen. Die Or­ ganisation dieser, nunmehr als Versorgungsge­ richte und Reichsversorgungsgericht bezeichneten Spruchbehörden und das Verfahren vor ihnen ist, zugleich mit dem Verfahren vor den Ver­ waltungsbehörden der Reichsversorgung, im Ver­ fahrensgesetz geregelt. V. Ehemalige Angehörige der Unterklassen des Soldatenstandes einschließlich der Militärverwal­ tung, ferner ehemalige Offiziere, Sanitätsoffi­ ziere, Veterinäroffiziere und Beamte des Be­ urlaubtenstandes sowie deren Hinterbliebenen können, wenn sie keine Ansprüche auf soziale Für­ sorge nach dem ReichsversorgungsG. (s. d. unter V) oder auf Grund anderer Reichsgesetze haben, Unterstützungen aus dem sog. Unterstützungs­ altfonds (Kap. XII 2 Tit. 3 der fortdauernden Ausgaben des Haushalts des allgemeinen Pen­ sionsfonds) nach Maßgabe der Grundsätze vom 23.2.1925 (RVBl. 14) erhalten, desgl. ehemalige Unteroffiziere und Mannschaften der neuen Wehr­ macht und ihre Hinterbliebenen aus einem aus Kap. XII a. a. O. neugebildeten Unterstützungs­ fonds nach Maßgabe der Grundsätze vom 15. 10. 1925 (RVBl. 95). v. G. ReichSwiihrung s. Währung. Reichswappen s. Landeshoheit. ReichSwasserschutz s. Schiffahrtspolizei. ReichSwasserstratzenverwaltung. Die Verwal­ tung der Reichswasserstraßen (s. Wasserlauf erster Ordnung) wird in der obersten Instanz vom RBM., in der mittleren und unteren Instanz vorläufig durch Länderbehörden auf Kosten des Reichs und unter Leitung des RDM. geführt (s. Reichsverkehrsministerium und Bau­ verwaltung). E. Reichswehr s. Wehrmacht. ReichSwehrministerium. Das R. ist oberste Reichsbehörde, errichtet auf Grund des Erl. vom 21. 3. 1919 (RGBl. 327). Zu seinem Geschäfts­ bereich gehören die Angelegenheiten des Heeres sowie der Marine. Dem Reichswehrminister ist durch die B. des Reichspr. vom 20. 8. 1919 (RGBl. 1475), die die Bildung des R. bis zum 1. 10. 1919 anordnete, die Ausübung des Ober­ befehls über die Wehrmacht des Deutschen Reiches übertragen worden, soweit der Reichspr. nicht unmittelbare Befehle erteilt. Die Heeresverwal­ tungen der Einzelstaaten haben mit dem Inkraft­ treten der Verfassung ihre Selbständigkeit ver­ loren und sind auf das Reich übergegangen (Erl. des RWM. vom 14. 9. 1919, HVBl. 107). In

das R. sollen, ebenso wie zu allen der Wehrmacht gemeinsam dienenden Einrichtungen, Angehörige der Wehrmacht aus allen Teilen des Reichs herangezogen werden (§ 14 Abs. 1 WehrG.). Das R. zerfällt seinem Aufgabenkreise entsprechend in zwei Hauptabteilungen, Heeresleitung und Marineleitung. Zur Abteilung „Heeresleitung" gehören, je mit einer Anzahl von Unterabtei­ lungen, I. das Heerespersonalamt, II. Truppen­ amt, III. Heeresverwaltungsamt, IV. Heereswaffenamt, ferner V. die Heeresinspektion des Erziehungs- und Bildungswesens, VI. Inspektion der Infanterie, VII. Inspektion der Kavallerie, VIEL Inspektion der Artillerie, IX. Inspektion der Pioniere und der Festungen, X. Inspektion der Verkehrstruppen, XI. Inspektion der Nach­ richtentruppen, XII. Heeres-Sanitätsinspektion, XIII. Veterinärinspektion. Zum Geschäftsbe­ reich der Heeresleitung gehören die Militärbe­ hörden (s. d.), ferner die evangelische und die katholische Feldpropstei (s. Militärseelsorge), die Heeresanwaltschaften (s. Militärgerichts­ barkeit III), die deutsche Heeresbücherei (s. Militärbildungswesen III), die Remonteämter und Remontierungskommissionen (s. b.) und der wissenschaftliche Senat für das Heeres­ sanitätswesen, die Gruppensanitätsdepots und die Standort- und Lagerlazarette (s. Militärsanitätswesen). Die Abteilung „Marineleitung" um­ faßt das Marinekommandoamt mit der Marine­ wehrabteilung, Flottenabteilung und Marineaus­ bildungsabteilung, das allgemeine Marineamt mit der Werftabteilung, Abteilung für Werftverwaltungsangelegenheiten, Marinewaffenabteilung, Nautische Abteilung und Seetransportabteilung, sowie das Marineverwaltungsamt mit Unterab­ teilungen. Zum Geschäftsbereich der Marineleitung gehören die Kommandos der Marinestationen (s.d.) der Ostsee in Kiel und der Nordsee in Wilhelms­ haven, die Inspektionen des Bildungswesens der Marine, des Torpedo- und Minenwesens und der Marineartillerie, Marinedepotinspektionen, Kom­ mandanturen, das Marinearsenal in Kiel, die Marinewerft Wilhelmshaven, die Marineinten­ danturen und die Sanitätsämter in Kiel und in Wilhelmshaven sowie verschiedene örtliche Ver­ waltungsbehörden. Wegen der Organisation der Marinebauverwaltung vgl. MVBl. 1925, 154 Nr. 186. S. im übrigen Handbuch für das Deutsche Reich 1926 S. 191—205. Zur Ver­ öffentlichung der V. des R. dienen das HVBl. und das MVBl. v. G. ReichswirtfchaftSgericht ist nach § 2 der V. vom 21. 5. 1920 (RGBl. 1167), abgeändert durch V. vom 30. 7. 1921 (RGBl. 1046), V. vom 13. 2. 1924 (RGBl. 1155) und G. vom 31.3.1928 (RGBl. I 135) für die ihm durch G. über­ tragenen Entscheidungen zuständig, und zwar insbesondere durch die G., die zur Erfüllung der dem Reiche im Versailler Vertrag auserlegten Verpflichtungen erlassen worden sind. Ferner steht ihm zu a) die Entscheidung über die Recht­ mäßigkeit der Verfallerklärung von Waren, die unter Verletzung der Einfuhrverbote eingesührt worden sind, sowie die Festsetzung einer »ange­ messenen Entschädigung für verfallen erMrte Waren, soweit eine Entschädigung gesetzlich zu­ lässig ist, b) die Entscheidung über Beschwerden gegen Maßnahmen der Verwaltung, die bei

Reichswirtschaftsministerium — Reichswirtschastsrat (Vorläufiger)

Regelung des Verkehrs mit unedlen Metallen getroffen worden sind, c) die Entscheidung über Berufung gegen Schiedssprüche, die die Ab­ änderung solcher Abmachungen betreffen, die zur Lieferung von elektrischer Arbeit, Gas und Lei­ tungswasser verpflichten und die Festsetzung des Umfangs der durch die Postverwaltung einzelner Luftsahrtunternehmen zur Beförderung von Postsendungen auserlegten Verpflichtung und der hierfür zu leistenden Vergütung. Das R. ent­ scheidet endlich über Beschwerden gegen Entschei­ dungen der auf Grund des ReichsunruheschädenG. errichteten A. Eine Zusammenstellung der Zu­ ständigkeit findet sich bei Reißiger, Die Zuständig­ keit des R. 1924. S. auch Kartellgericht. F. H. ReichSwirtschastsrninisterium bearbeitet die wirtschaftspolitischen Angelegenheiten des Reiches, soweit sie nicht anderen Ministerien übertragen sind. Insbesondere fallen ihm die Mittelstands­ fragen, die Angelegenheiten des Handwerks, des Einzelhandels, des Gewerbes und der gewerb­ lichen Genossenschaften zu, ferner Angelegenheiten der wirtschaftlichen Berufsvertretung, das Kartell­ wesen, die Ermittlung der Selbstkosten, die Preis­ politik, die Konjunkturfragen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sozialpolitik, die Verbraucher­ und Konsumgenossenschaften, die Hilfskasse für gewerbliche Unternehmungen, das private Ver­ sicherungswesen, das Maß- und Gewichtswesen, die Wohnungsfragen, Geld-, Bank- und Börsen­ wesen, die allgemeinen Fragen des Geldmarktes und des Kreditbedürfnisses der Wirtschaft, die all­ gemeinen Aufwertungsfragen, die finanziellen Be­ ziehungen zum Ausland, die Steuersragen, die Statistik, die Wirtschastsfragen des Versailler Ver­ trags und der ergänzenden internationalenVereinbarungen, die Schweizer Goldhypotheken, Wirt­ schastsfragen des besetzten rheinischen Gebiets und des Saargebiets, das Nachrichtenwesen und die Pässe, die Handels- und Zollpolitik und die See­ schiffahrt. Dem R. unterstehen das Statistische Reichsamt, das Reichsschiffsvermessungsamt, das Reichsaussichtsamt für Privatversicherung, das Reichswirtschaftsgericht, das Kartellgericht, das Reichsoberseeamt, die Reichskommissare bei den Seeämtern, die Reichsprüfungsinspektoren, die technische Kommission für Seeschiffs- und Fachaus­ schüsse für das seemännische Fachschulwesen, der Börsenausschuß, die Berufungskammer in Börsen­ ehrengerichtssachen, Berufungskommission für das Ordnungsstrafverfahren wegen verbotenen Bör­ senterminhandels, der Reichskommissar für Ausund Einfuhrbewilligung (Abwicklungsstelle), der Reichskommissar für die Kohlenverteilung und der Reichskommissar für das Handwerk und das Kleingewerbe. F. H. Reichswirtschaftsrat (Vorläufiger). Während bei der Kodifizierung der RV. das politische Räte­ system abgelehnt wurde, ist dem Rätegedanken insoweit Rechnung getragen, als Art. 165 RB. ein „wirtschaftliches Rätesystem" vorgesehen hat. Danach sollen die Arbeiter und Angestellten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen eine gesetzliche Vertretung in Betriebs­ und Bezirksarbeiterräten und einem Reichsarbei­ terrat erhalten und gleichzeitig die Bezirksarbeiter­ räte und der Reichsarbeiterrat mit den Ver­ tretungen der Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise zu Bezirkswirtschaftsräten und einem

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Reichswirtschaftsrat zusammentreten, um bei der Erfüllung der gesamten wirtschaftlichen Aufgaben und bei der Ausführung der SozialisierungsG., wie sie in Art. 155 u. 156 RV. in Aussicht gestellt waren, mitzuwirken. Insbesondere ist der R. in sozial- und wirtschaftspolitischen Angelegenheiten in gewissem Umfang als gesetzgebender Faktor mit eingeschaltet. Da sich einerseits Reg. und RT. alsbald nach Erlaß der Verfassung durch die Aus­ führung des Friedensvertrags, die Überführung der Kriegs- in die Friedenswirtschaft, die Über­ nahme der Eisenbahnen auf das Reich, die Ver­ einheitlichung des Steuersystems usw. vor schwie­ rige wirtschasts- und sozialpolitische Ausgaben ge­ stellt sahen, bei deren Lösung man auf die in Art. 165 RV. vorgesehene berufsständische Be­ ratung nicht verzichten zu können glaubte, an­ dererseits die in Art. 165 Abs. 6 RV. vorbehaltene reichsgesetzliche Organisation der Arbeiter- und Wirtschaftsräte wegen der dabei unter Umständen zu erwartenden langwierigen parlamentarischen Kämpfe nicht so bald möglich erschien, entschloß man sich, neben dem Erlaß eines Betriebsräte^ (vom 4. 2. 1920, RGBl. 259), welches den Ar­ beitern und Angestellten die Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber dem Unternehmer des ein­ zelnen Betriebs sicherte, auf dem damals zulässi­ gen vereinfachten Gesetzgebungswege durch eine vom RR. mit Zustimmung eines A. der National­ versammlung zu erlassende V. einen v. R. als ein von der Reg. unabhängiges und mit den we­ sentlichen, in Art 165 RV. für den R. vorgesehenen Befugnissen ausgestattetes Gutachterorgan ins Leben zu rufen. Das ist durch die B. vom 4. 5. 1920 (RGBl. 858) geschehen. II. Mitgliedschaft. Der v. N. besteht aus 326 Mitgliedern. Von diesen werden 302 pari­ tätisch von den Arbeitgeber- und Arbeitnehmer­ vertretungen der einzelnen Berufsgruppen ge­ wählt (nämlich je 68 aus der Industrie und der Land- [SoTfH Wirtschaft, 44 aus dem Handel einschließlich Bank- und Versicherungsunterneh­ mungen, 36 aus dem Handwerk, 34 aus dem Ver­ kehrswesen, 30 aus der Verbraucherschaft, 16 Ver­ treter der Beamtenschaft und der freien Berufe, 6 Vertreter der Gärtnerei und der Fischerei). Außerdem bestellt der RR. 12 im Wirtschaftsleben der einzelnen Landesteile besonders erfahrene Vertreter und die Reichsregierung 12 weitere, nach freiem Ermessen ausgewählte Mitglieder. Wenn nicht binnen einer Woche nach Mitteilung über die geschehene Benennung dem RWirtM. eine Annahmeerklärung zugeht, so gilt das als Ablehnung. Persönliche Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist die Wählbarkeit nach den Vor­ schriften der Wahlverordnung zur verfassung­ gebenden deutschen Nationalversammlung; die Zugehörigkeit zum RT. schließt die Mitgliedschaft nicht aus (Art. 3). Die Mitgliedschaft endet durch Auslösung des R., Tod, Niederlegung, Verlust der Voraussetzungen für die Mitgliedschaft(Art. 4). Die Mitglieder stimmen nach ihrer freien Über­ zeugung, haben in gleicher Weise wie die Mit­ glieder des RT. das Recht der Immunität wegen der bei Ausübung ihrer Mitgliedsfunktionen getanenen Äußerungen und das Zeugnisverweige­ rungsrecht; als Beamte oder Wehrmachtsange­ hörige bedürfen sie zur Teilnahme an den Sitzungen keines Urlaubs. Wegen der Diäten usw.

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Reichszentrale für Heimatdienst — Reichszollverwaltung

f. unten bei V. Prüfung der Mitgliedschaft durch besonderes Wahlprüfungsgericht, dessen Vorsitz der Vorsitzende des Reichswirtschaftsgerichts führt und zu dem der R. zwei Senatspräsidenten des­ selben Gerichts sowie vier seiner eigenen Mit­ glieder als Beisitzer bestellt. III. Zuständigkeit des R. Sozialpolitische und wirtschaftspolitischeGesetzentwürse von grund­ legender Bedeutung sollen vor ihrer Einbringung dem R. vorgelegt werden. Der R. hat hinsichtlich derartiger G. selbst das Initiativrecht; stimmt die Reichsregierung einer solchen Vorlage nicht zu, so hat sie dieselbe trotzdem, unter Darlegung ihres abweichenden Standpunktes, dem NT. vorzu­ legen (Art. 165 RB. und Art. 11 der V.);das dem R. weiter in Art. 165 RV. eingeräumte Recht, seine Vorlagen vor dem RT. durch eines seiner Mitglieder vertreten zu lassen, steht nur dem end­ gültigen N. zu. Der R. kann verlangen, daß die Reichsregierung von ihrem Befragungsrecht über wirtschaftliche Verhältnisse Gebrauch macht und das Ergebnis dem R. mitteilt. Auf Grund der §§ 93 u. 94 des BetriebsräteG., verbunden mit der AusfAnw. zu demselben vom 24. 2. 1920 (RGBl. 259), hat der v. R. endlich auch Streitig­ keiten in den in § 93 a. a. O. aufge führt en An­ gelegenheiten (Errichtung, Zuständigkeit und Ge­ schäftsführung der Betriebsvertretung und -Ver­ sammlung usw.) zu entscheiden, wenn das Unter­ nehmen sich über mehrere Länder erstreckt, oder hinsichtlich der Arbeiterverdienstverhältnisse der Reichsaufsicht unterstellt ist. IV. Verhandlungen. Der v. R. wählt einen Vorsitzenden und sonstige Vorstandsmitglieder nach Maßgabe der von ihm selbst zu beschließenden Geschäftsordnung. Die Sitzungen, des v. R. sind öffentlich; auf Antrag von 20 Mitgliedern kann mit Zweidrittelmehrheit der Ausschluß der Öffent­ lichkeit beschlossen werden. Die Ausschußsitzungen sind nicht öffentlich, falls nicht mit Zweidrittel­ mehrheit die Öffentlichkeit beschlossen wird (Art. 9). Der v. R. kann die Anwesenheit von Vertretern der Reichsregierung verlangen, die ihrerseits auch ohne solches Verlangen zur Ent­ sendung von Vertretern, berechtigt ist. Auch die Länder können zur Vertretung ihres Stand­ punktes Bevollmächtigte entsenden. Neben die in der V. vorgesehenen beiden ständigen Haupt­ ausschüsse, den sozial- und den wirtschafts­ politischen, ist auf Grund Beschlusses der Voll­ versammlung vom 16. 12. 1920 als dritter stän­ diger Hauptausschuß der finanzpolitische getreten. Außerdem wurden ständige Sonderausschüsse zu Behandlung einzelner besonderenAngelegenheiten und vorübergehende Arbeitsausschüsse zur Vor­ beratung für die Arbeiten der Haupt- und Sonder­ ausschüsse gebildet. Da die Vollversammlung sich wegen ihrer großen Mitgliederzahl als zu schwer­ fällig für die dem v. R. hauptsächlich obliegenden Gutachten erwies, hatte sich die Praxis heraus­ gebildet, daß der Vorstand die Gutachten der A. ohne Befragung der Vollversammlung als Gut­ achten des v. R. an die Reichsregierung weiter­ leitete. Aus diesem Grunde und in Rücksicht auf die allgemeinen Sparmaßnahmen ist im De­ zember 1923 zwischen der Reichsregierung und dem Vorstande des v. R. vereinbart worden, daß Vollversammlungen nur nach Fühlungnahme mit der Reichsregierung, und Sitzungen der A., ab­

gesehen von den drei ständigen A., dem Sonder­ ausschuß für Siedlungs- und Wohnungswesen und den in SonderG. vorgesehenen A. nur mit Zustimmung der Reichsregierung einberufen wer­ den, während die vorbereitenden Unterausschüsse nur dann zusammentreten, wenn es das zuständige Reichsministerium und der Vorstand als notwen­ dig ansehen. Zur Beratung von gesetzlichen Initiativanträgen bedürfen die A. der Genehmi­ gung des Vorstandes, die nur nach vorheriger Fühlungnahme mit der Reichsregierung erteilt, und die versagt wird, wenn die Reichsregierung erklärt, daß aus Durchführung gesetzgeberischer Maßnahmen der fraglichen Art in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann. Vollversammlungen haben seit 1923 nicht mehr stattgefunden. V. Gebührnisse. V. vom 28. 6. 1920 (RG­ Bl. 1335), abgeändert durch B. vom 1. 12. 1921 (RGBl. 1493), 3. 1. 1923 (RGBl. II 39), 10. 1. und 10. 9. 1924 (RGBl. II 36, 369); die laut V. vom 15.10. 1924 (RGBl. II 419) am 31. 12. 1924 ablaufende Gültigkeit der letzten V. ist durch den nicht veröffentlichten Erl. vom 10. 9. 1924 bis auf weiteres verlängert. Die Mitglieder erhalten für jeden Tag, an welchem sie an einer Sitzung des Plenums, eines A. oder einer mit Zustimmung des Vorsitzenden anberaumten Sitzung ihrer Ab­ teilung (Gruppe) teilnehmen, ein Tagegeld von 30 RM, soweit sie in Berlin wohnen von 10 bis 15 RM. Die Aufwandsentschädigung wird auch für sitzungsfreie Tage gewährt, wenn die Unter­ brechung höchstens drei Tage dauert. Sie darf im ganzen im Monat ein bestimmtes Verhält­ nis zu den Gebührnissen der Reichstagsmitglieder nicht übersteigen. Der Vorsitzende erhält für jeden begonnenen Monat seiner Tätigkeit eine Entschädigung in Höhe des 20fachen (falls 'er in Berlin wohnt, des 15 fachen) Betrags des Tage­ geldsatzes der Mitglieder. Der Anspruch auf Ent­ schädigung entfällt, soweit das Mitglied bzw. der Vorsitzende gleichzeitig Mitglied des RT. ist. Die Reisekosten werden erstattet und daneben für jeden Reisetag eine Entschädigung in Höhe der Aufwandsentschädigung gewährt. Die Mitglieder des Vorstandes und der wirtschasts-, sozial- und finanzpolitischen A. haben Freisahrtrecht aus allen deutschen Bahnen. Ly.

Reichszentrale für Heimatdienst, Berlin W 35, Potsdamer Str. 11, untersteht dem RK. und hat die Ausgabe, außenpolitische, wirtschaftspolitische, soziale und kulturelle Fragen vom Standpunkt des Staatsganzen aufzuklären. F. H.

ReichSzollverwaltung. I. Allgemeines und Geschichtliches. Die Organisation der R. stammt im wesentlichen aus der Zeit des Zollver­ eins (s. d.), also aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Wenn auch die einzelnen zu diesem gehörigen deutschen Staaten den Zoll und später auch die, wie dieser, ein eine gemeinschaftliche Kasse fließenden Verbrauchsteuern selbständig verwalteten und erhoben, so geschah dies doch auf Grund einheitlicher G. Dies bedingte eine in den Grundzügen einheitlich organisierte Verwal­ tung. Doch bestanden zunächst noch allerhand Ver­ schiedenheiten. Zu deren Beseitigung wurde in Art. 19 des Zollvereinigungsvertrages vom 8. 7. 1867 (s. Zollverein) die Verabredung getroffen, daß —mit Ausnahme des thüringischen Bereinsge-

Reichszollverwaltung

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in der R. nehmen die Zollfahndungsstellen (s. d.) ein. S. im übrigen Reichsfinanz­ verwaltung II 1, 2, 3, 4d, V 1, 2. III. Die Dienstobliegenheiten und Befug­ nisse der einzelnen Behörden ergeben sich in erster Linie aus der AO., den betreffenden AbgabeG. (vgl. z. B. die §§ 128 u. 131 VZG.) und den dazu er­ gangenen AusfB., zum Teil aus besonderen Ge­ schäftsanweisungen. Als solche sind zu nennen: Geschäftsordnung für die LFÄ. vom 18. 8. 1924 (RFMBl. 1924, 73), Geschäftsanweisung für die Hauptzollämter und die ihnen Nachgeordneten Dienststellen vom 17. 9.1924 (a. a. O. 81), Dienst­ anweisung für die Zollinspektionen vom 17. 9. 1924 (a. a. O. 96), Dienstanweisung für die Zoll­ aufsichtsstellen vom 17. 9. 1924 (a. a. O. 107). Für die Zollfahndungsstellen ist eine Dienstanwei­ sung bisher noch nicht erlassen. Die Organisation der Hauptzollämter und Zollämter, sowie deren Berwaltungsbefugnisse sind aus dem vom RFM. herausgegebenen Amterverzeichnis der Ver­ waltung der Zölle und Berbrauchsteuern und der Branntweinmonopolverwaltung (RZollBl. 1927, 251; f. auch ZfZuB. 1927, 369) und dessen früher im RFMBl., seit 1926 im RZollBl. veröffent­ lichten Nachträgen zu ersehen. Vgl. im übrigen Steueraufsicht. IV. Die Eigenart der R., die bei ihren Be­ amten eine erhebliche Kenntnis technischer Ge­ biete (im Zollverkehr die gesamte Warenkunde, bei den Verbrauchsteuern die Einzelheiten der steuerpflichtigen Betriebe, wie Brauereien, Bren­ nereien, Zuckerfabriken usw.) erfordert, aber auch Einsicht in weite Teile des Rechts bedingt (neben den zum Teil recht verwickelten Zoll- und Steuer­ gesetzen kommen namentlich die Vorschriften des Strafrechts und Strafverfahrens in Betracht), macht eine dauernde Unterweisung der Beamten nötig. Diesem Zweck dienen außer dem bei den Hauptzollämtern und Zollinspektionen stattfin­ denden regelmäßigen Dienstunterricht Lehrgänge, die bei den Lehranstalten der LFA. unter Leitung eines Ausbildungsdezernenten abgehal­ ten werden. Die Lehranstalten sind je nach Bedarf mit einigen oberen Zollbeamten besetzt, die neben dem Ausbildungsdezernenten und anderen Mit­ gliedern des LFA. den Unterricht erteilen. Sie haben daneben noch die Aufgabe, die im Zolltarifverkehr vorkommenden Warenuntersuchungen vorzunehmen und sind zu diesem Zweck mit einer Warensammlung und einem chemischen Labora­ torium verbunden. Außerdem bestehen bei den LFÄ. Berlin, Dresden, Hamburg, Köln und München Technische Prüfungs- und Lehr­ anstalten der Reichszollverwaltung als selbständige Dienststellen des betreffenden LFA. Sie sind mit einem Oberregierungsrat als Vor­ steher, einem leitenden Chemiker, einem Zoll­ direktor, sonstigen zolltechnisch vorgebildeten Be­ amten und den erforderlichen Bureaubeamten besetzt. Ihnen liegen neben der Prüfung und Begutachtung von zoll- und steuertechnischen Fragen und der Untersuchung von Waren mit den Hilfsmitteln der wissenschaftlichen Chemie, soweit nicht für diese Aufgaben die Lehranstalten und die Zollstellen zuständig sind, die technische, wirtschaftskundliche und verwaltungsrechtliche Aus­ bildung von Zollbeamten ob (vgl. Geschäfts­ ordnung vom 14. 7. 1926, RFMBl. 69). 31 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Stuft II.

bietes, für das gewisse Abweichungen zugelassen wurden — in jedem Bereinsstaate für die Leitung des Dienstes der schon im wesentlichen überein­ stimmend eingerichteten Lokalbehörden (Zollämter, Steuerämter, Hauptzoll- und Haupt­ steuerämter) eine oder nach Bedarf mehrere Zoll­ direktionen (Direktivbehörden) zu bilden waren, die dem einschlägigen Ministerium des betreffen­ den Staates zu unterstellen waren (in Preußen die Provinzialsteuerdirektionen, später Oberzoll­ direktionen genannt). In Übereinstimmung hier­ mit bestimmten die heute noch in Geltung be­ findlichen §§ 128 und 131 des BZG., daß als Erhebungs- und Abfertigungsstellen im Grenzbe­ zirk Hauptzollämter und Nebenzollämter (1. und 2. Klasse), im Innern des Bereinsgebiets aber Hauptzoll- oder Hauptsteuerämter und Zoll- oder Steuerämter mit bestimmten Befugnissen be­ stehen sollten. Um die Gleichmäßigkeit der Er­ hebung und Verwaltung der Abgaben in den ein­ zelnen Staaten zu sichern, bestand die sog. Bereinskontrolle (später Reichskontrolle) der Zölle und Steuern. Bei jeder Direktivbehörde befand sich ein Zollvereinsbevollmächtigter (seit der Gründung des deutschen Reichs Reichs­ bevollmächtigter genannt) für Zölle und Steuern, der unterstützt von einem oder mehre­ ren den Hauptzollämtern beigeordneten Sta­ tionskontrolleuren diese Kontrolle ausübte. Seit der Reichsfinanzreform des Jahres 1919 ist die R. in der Reichsfinanzverwaltung aufge­ gangen. Damit haben die Oberzolldirektionen aufgehört zu bestehen; die zweiten (Zoll-)Abteilungen der LFA. sind an ihre Stelle getreten. Die Reichskonirolle ist, da die Verwaltung und Erhebung der Zölle und Verbrauchsteuern jetzt durch Reichsbehörden erfolgt, die ihre Anwei­ sungen einheitlich vom RFM. erhalten, als ent­ behrlich weggefallen. Dagegen ist die Einrich­ tung der Hauptzollämter, obwohl diese in der AO. und in anderen G. als F. A. bezeichnet wer­ den, und die der Nachgeordneten Dienststellen in der Hauptsache dieselbe geblieben. II. Gegenwärtige Einrichtung der R. An der Spitze der R. steht das RFM., dessen Abt. II die Zölle und Verbrauchssteuern bearbeitet. Unter ihm stehen die LFA. Ihnen nachgeordnet sind die Hauptzollämter, die je nach ihrer Be­ deutung von einem Zollrat oder Zolldirektor ge­ leitet werden und mit der erforderlichen Zahl von oberen Beamten (Zollamtmännern, Oberzoll­ inspektoren, Zollinspektoren) sowie Oberzoll­ sekretären, Zollsekretären, Zollassistenten usw. besetzt sind. Sie sind übergeordnet einmal den Zollämtern, die als untere Amtsstellen für die Erhebung auftreten und je nach ihrer Bedeutung mit einem oder mehreren Beamten verschiedenen Dienstgrades besetzt sind, und für den Aufsichts­ dienst den Zollinspektionen, die von Zoll­ inspektoren oder Oberzollinspektoren geleitet werden und Vorgesetzte derZollaufsichtsstellen sind. Diese, an der Grenze dichter angeordnet und stärker (mit Zollbetriebsassistenten, Zollassistenten und anderen Beamten des einfachen mittleren Dienstes besetzt, üben unter Leitung des Zoll­ inspektors (Oberzollinspektors) den Zoll- und Steueraufsichtsdienst aus. Die Zollämter und in der Regel auch die Hauptzollämter sind mit einer Zollkasse versehen. Eine besondere Stellung

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Reifeprüfung — Reise- (Fahr-) Kosten

V. Beamte, die im Grenzaufsichtsdienst, in der Zollabfertigung an der Grenze oder im Begleitungs- und Bewachungsdienst tätig sind, führen den Dienst in der Regel in Dienstkleidung (Uniform) aus. Im übrigen ist das Tragen von Dienstkleidung, soweit solche vorgesehen ist, ge­ stattet, aber im allgemeinen nicht üblich. Vgl. hierzu Bekleidungsordnung vom 28. 7. 1926 (RFMBl. 85), aus der die Einzelheiten der Dienstkleidung zu ersehen sind. Zur Erleichterung der Beschaffung der Dienstkleidung dient die im Jahre 1923 eingerichtete Kleiderkasse, zu der die zum Tragen von Dienstkleidung Verpflich­ teten ohne weiteres gehören und der die dazu Berechtigten beitreten können. Sie hat ihren Sitz in Berlin und ist für die einzelnen Bezirke in Ver­ waltungsstellen gegliedert (Kleiderkassenordnung vom 26. 9. 1925, RFMBl. 145 mit Änderung RFMBl. 1926, 35). VI. Die Grenzaufsichtsbeamten sind bewaff­ net (§ 19 VZG.) und zum Gebrauch ihrer Waffen auf Grund des G. vom 2. 7. 1921 (RGBl. 935) berechtigt, zu dessen Ausführung der RFM. eine Dienstanweisung v. 16.7.1921 erlassen hat. Sdt. Reifeprüfung s. Höhere Lehranstalten, Schulen 3. ReihenhauSbau s. Bauweise V. Reinhaltung der Gewässer s. Abwässer, Unterhaltung der Wasserläufe zweiter und^dritter Ordnung. Reinigung der öffentlichen Wege s. öffent­ liche Wege XII. Reinigungsanstalten. R., in denen Benzin oder ähnliche leicht entzündliche Reinigungs­ mittel verwendet werden, und Betriebe, in denen die in diesen Anstalten verwendeten Reinigungs­ mittel zu erneuter Verwendung gereinigt werden, sind nach Maßgabe des Erl. vom 3. 8. 1903 (HMBl. 277) besonderen, aus Grund des § 120e Abb 2 GewO, erlassenen polizeilichen Vorschriften unter­ worfen. Zu den genehmigungspflichtigen An­ lagen gehören sie nicht. Wegen der Sonntags­ ruhe in chemischen Wäschereien und Schön­ färbereien für Kleidungsstücke s. Sonntagsruhe im Gewerbebetriebe IV. In chemischen Waschanstalten ist die Beschäftigung von Kindern nach § 4 KinderschutzG. verboten. F. H. Reisebedarf (Zollbehandlung) s. ZollII6b9 und II10 c 3.

Reisegepäck

(im Eisenbahnzollverkehr)

s.

Zoll II 10 a4.

Reisegerät (Zollbehandlung) s. Zoll II6b8. Reise- (Fahr-) Kosten, über die Vergütungen, Die den Beamten für solche Geschäfte ihres Amtes zu gewähren sind, die ihnen außerhalb ihres Wohnortes oder, wenn ihnen ein bestimmter Bezirk zugewiesen ist, in dem sie die vorfallenden Geschäfte ihres Amtes zu verrichten haben, außer­ halb dieses Bezirks übertragen werden, sind all­ gemeine gesetzliche Bestimmungen erlassen wor­ den, durch welche die Höhe der den einzelnen Be­ amtenklassen zu zahlenden R. festgestellt ist. I. Die R. der preuß. unmittelbaren Staats­ beamten regelt das G. vom 3. 1. 1923 (GS. 3; AusfAnw. Beilage zu Nr. 2 FMBl. 1923; erg. PrBesBl. 1924, 363; das. 1925, 80; abgeändert nach den neuen Besoldungsordnungen durch Erl. vom 24.1. 1928 (PrBesBl. 28). Das G. gewährt als R. Tage- und Übernachtungsgelder unh Fahr­

kosten. Die Tage- und Übernachtungsgelder, welche ein Entgelt für die Mehrkosten des Auf­ enthalts außerhalb des Wohnorts bilden sollen, stufen sich, wie folgt, ab: I. Gehaltsgruppen A 7—12, II. Gehaltsgruppen A 4b—6, III. Ge­ haltsgruppen Ale—4 a, einige Beamte der Gruppe A 4b mit bestimmten Zulagen und die Gruppen B 11 n. 12, IV. Gehaltsgruppen Ala bis lb und B 4—10, V. Gehaltsgruppen B 1—3. Beamte der früheren Gehaltsgruppen A 6—9, welche nach dieser Neueinteilung niedriger ein­ gestuft sind, bleiben in der früheren Stufe. Die Tagegelder betragen für diese fünf Stufen (in Klammern jedesmal die Sätze für die durch FM. als solche zu bestimmenden be­ sonders teuren Orte, s. FMBl. 1923, 43; PrBesG. 1926, 42): 1.4x/2 (7), II. 7(9), 11110(12), IV. 12 (14), V. 14(16) RM; die Übernachtungs­ gelder- I. 3,50 (4,50), II. 5,25 (6), III. 7,50 (9), IV. 9 (10), V. 11 (12) RM. Bei einer Dienst­ reise, welche an ein und demselben Tage an­ getreten und beendigt wird, und im ganzen nicht mehr als 3 (8) Stunden in Anspruch nimmt, er­ mäßigt sich das Tagegeld auf x/s (Vz)- Erstreckt sich die Dienstreise auf zwei oder mehr Tage, so ist für die Hin- bzw. Rückreise je ein besonderer Tagegeldsatz zu gewähren, wenn erstere vor sechs Uhr nachmittags des dem Dienstgeschäft vor­ hergehenden Tages begonnen, oder letztere nach zwölf Uhr mittags des dem Dienstgeschäft fol­ genden Tages beendigt ist. Bei Dienstreisen, welche zwar zwei Tage erfordern, aber inner­ halb 24 Stunden beendigt werden, wird nur das Eineinhalbfache des Tagegeldsatzes gewährt. An Fahrkosten einschließlich der Kosten der Gepäck­ beförderung werden bei Dienstreisen, die auf Eisen­ bahnen, Schiffen oder ähnlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden, die wirklich entstandenen Auslagen für deren Nachweis im allgemeinen die pflichtmäßige Bescheinigung des Beamten ge­ nügt, ersetzt (§ 4 Abs. 6 G., Ziff. 53 AusfAnw.). Dasselbe gilt für die Kosten des Ab- und Zugangs. Es dürfen benutzen die Beamten der Stufen I: Bahnklasse III und Schisfsklasse II, der Stufen II und III Bahnklasse II und Schisfsklasse I, der Stufen IV und V Bahn- und Schiffsklasse I. Wegen Benutzung von Kleinbahnen s. Ziff. 7 AusfAnw., wegen Zahlung von Übernachtungs­ geldern bei Nachtreisen und wegen Schlafwagen­ benutzung {. §3 des G. und Ziff. 39,40 AusfAnw., wegen Benutzung von Kraft- und Luftfahrzeugverbindungen s. Erl. vom 16. 8. 1923 (PrBes­ Bl. 24, das. 1925,145). Für Reisen, die nicht mit Eisenbahn, Schiff usw. zurückgelegt werden, d. h. für Landwegstrecken, wird eine Vergütung von 0,20 RM je angefangenes Kilometer gewährt. Die Fahrkosten werden für Hin- u. Rückreife besonders berechnet. Hat jedoch ein Beamter Dienstgeschäfte an verschiedenen Orten unmittelbar nacheinander verrichtet, so ist der von Ort zu Ort wirklich zurückgelegte Weg ungeteilt der Berechnung der Fahrkosten zugrunde zu legen (Z 6 a. a. O.). Für Geschäfte am Wohnorte des Beamten werden weder Tagegelder noch Fahrkosten gezahlt, je doch unter Umständen die baren Auslagen erstattet; dasselbe gilt von Geschäften außerhalb des Wohn­ ortes in geringerer Entfernung als 2 km von demselben (§ 7). Der Berechnung der Fahrkosten ist nach Ziff. 4 der AusfB. in der Regel der tat-

Reise- (Fahr-) Kosten

sächlich eingeschlagene Weg zugrunde zu legen, wenn auch der für die Staatskasse bezüglich der Höhe der Tagegelder möglichst günstige, unter Berücksichtigung der bestehenden Reiseverbin­ dungen und der Verkehrssitte, gewählt werden soll. Haben höhere als die bestimmungsgemäßen Fahrkosten aufgewendet werden müssen, so sind diese zu erstatten. Für Dienstreisen, die einen außergewöhnlichen Aufwand erfordern (z. B. solche außerhalb des Reichsgebiets), kann der Ver­ waltungschef einen Zuschuß oder eine Pauschvergütung bewilligen (§ 6 des G.). Über Fest­ setzung der R. für Reisen innerhalb eines dem Beamten überwiesenen Amtsbezirks s. § 8 des G. und unten bei II. über Reisen mit unentgeltlich gestellten Verkehrsmitteln, bei denen grundsätzlich die Fahrkosten fortfallen, trifft Ziff. 48 Abs. 4 AusfAnw., über die Benutzung eigener Kraft­ wagen und Kraftfahrräder Erl. 20. 10. 1926 (PrBesBl. 179), über die Benutzung der Dienstkraft­ wagen durch OP. und RP. Erl. vom 6. 2. 1925 (Ebenau S. 60), über Verbindung von Dienstund Urlaubsreisen Ziff. 19 AusfAnw. nähere Be­ stimmung. Der Beamte ist verpflichtet, die Reisen während des Sommerhalbjahrs (1.4. bis 30. 9.) in der Zeit von 6 Uhr, sonst von 7 Uhr morgens an an­ zutreten. Hat Hinreise und Geschäftstätigkeit acht oder mehr Stunden gedauert, so braucht die Rück­ oder Weiterreise nicht am gleichen Tage aus­ geführt zu werden, wenn sie mehr als zwei Stunden in Anspruch nimmt (Ziff. 11). Den in bet Ausbildung begriffenen Beamten können, wenn sie staatliche Unterhaltungszuschüsse be­ ziehen, wegen der zur Ausbildung notwendigen Reisen R. nach Stufe I bewilligt werden (§ 1 des G.; Ziff. 30, 59 AusfAnw.; PrBesBl. 1926, 205). Wegen der Entschädigung für die Reisen zum Eintritt in den Staatsdienst s. Erl. vom 3.10. 1924 (PrBesBl. 323), wegen der R. bei Ver­ setzungen s. Umzugskosten I, 2. Der FM., welchem auch der Erlaß der AussB. übertragen ist, kann die Tagegeldsätze bei Abänderung der Grundgehälter ebenfalls abändern, und auch sonst Ausgleichszuschläge zu denselben festsetzen, sowie die Höhe der Übernachtungsgelder, der Fahr­ kosten und der R. nach nahegelegenen Orten und nach dem Auslande abweichend regeln (§ 15 des G.). Dienstreisen im Auslandsgrenzverkehr; PrBesBl. 1925, 175; Auslandsreisen; das. 1926, S. 80, 102. II. Besondere Vorschriften für einzelne Beamtenkategorien (vgl. Ebenau, Reise­ kostenbestimmungen für Staatsbeamte). Fuhrkostenentschädigung der LR.: Erl. vom 22. 7.1925 (PrBesBl. 172); R. der den LR. beigegebenen Assessoren MBl. 1925,416; für Kreisdeputierte Erl. vom 7. 7. 1923 (MBl. 714); Distriktskommissare Erl. vom 22. 6. 1923 (Ebenau 109); Schutzpolizei­ beamte Erl. vom 19. 5. 1925 (Dienstvorschrift Nr. 27; s. MBl. 1925, 616); Landjäger Dienst­ vorschrift Nr. 17; MBl. 1928, 56; Kreiskassen­ verwaltung Erl. vom 15. 3. 1923 (FMBl. 157); Ortsbaubeamte (Hochbau) Erl. vom 17. 2. 1923 (Ebenau 78) und 8. 8. 1925 (PrBesBl. 185); Gewerbeaufsichtsbeamte Erl. vom 5. 3. 1923 (HMBl. 115); Medizinalbeamte Erl. vom 3. 12. 1923 (Ebenau 141); Tierärzte Erl. vom 3. und 28. 4. 1923, 4. 2. und 25. 8. 1924 (Ebenau 127ff.); Kultur- und Kulturbau­

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ämter Erl. vom 21. 12. 1923 (LMBl. 1056); Katasterlandmesser Erl. vom 17. 1., 24. 2., 13. 7. 1923 (FMBl. 28, 122, 430), 26. 8. 1925 (PrBes­ Bl. 189; Dienstaufwand der Forstbeamten Erl. vom 1. 4. 1923 (LMBl. 349), R. derselben 17. 2. und 7. 12. 1923 (LMBl. 164, 1047), Wald­ touren derselben Erl. vom 6. 4. und 15. 10. 1923 (LMBl. 355, 915); Eichbeamte Erl. vom 29. 9. 1923 (Ebenau 85), 17. 11. 1924 und 23. 12. 1925 (nicht veröffentlicht); Justizbeamte JMBl. 1923, 47, 91, 93, JMBl. 1925, 96, 148, 162; Berg­ verwaltung Erl. 8. und 11. 4., 23. 5. und 29. 6. 1923 (Ebenau 80, 83), 10. 4. und 5. 7. 1923, 10. 2. 1925, 5. 1. 1926 (nicht veröffentlicht). III. Beschäftigungstagegelder (Ziff. 60sf. AusfAnw.) erhallen die vorübergehend, aber län­ ger als vier Wochen außerhalb ihres dienstlichen Wohnsitzes (in Entfernung von mindestens 2 km) beschäftigten Beamten, und zwar für die ersten zwei Wochen die vollen Tage- und Übernachtungs­ gelder, für die Folgezeit Teilbeträge nach Bestim­ mungen des FM., die am 5. 3. 1923 (FMBl. 136) ergangen sind. Bei Urlaub werden für die drei ersten Tage die Beschäftigungstagegelder weiter gezahlt, für die Folgezeit nur der für Beibehaltung der Wohnung tatsächlich erforderliche Aufwand. Bezieht ein versetzter Beamter gemäß Ziff. 68 AusfAnw. Wohnungsbeihilfe . Der Zusammen­ bruch und die in Wechselwirkung mit der Begebung der Schatzanweisungen an die Reichsbank stehende Inflation hatte ein weiteres Anwachsen der schw. Sch. zur Folge; ihren Höchststand erreichte die schw. Sch. am 15.11.1923 mit 191,58 Trillionen M, von denen sich an diesem Tage 189,8 Trillionen M> bei der Reichsbank befanden, während es bis zum Jahre 1921 der Reichsbank gelungen war, Vis zu 55% der vom Reich bei ihr diskontierten Schatz­ anweisungen am offenen Geldmärkte unterzu­ bringen. Für die Ausnahme von schw. Sch. sind die Bestimmungen der Reichsschuldenordnung vom 13. 2.1924 (RGBl. 195ff.) maßgebend. Sie sieht für diesen Zweck die Ausgabe von Schatz­ anweisungen, die Eingehung von Wechselverbind­ lichkeiten und die Aufnahme von Darlehen gegen Schuldschein vor, die jedoch nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen dürfen. Soweit nicht das Kreditgesetz besondere Vorschriften darüber ent­ hält, bestimmt der RFM. die, Art der Eingehung

Schweden — Schweineseuche und Schweinepest der Schuldverbindlichkeiten. Die Ausstellung der Schuldurkunden liegt der Reichsschuldenverwal­ tung ob. Die vom Reich ausgestellten Wechsel und Orderpapiere sind von der Wechselsteuer befreit. Im Gegensatz zu den Bestimmungen des früheren BankG. gestattete das BankG. vom 30. 8. 1924 (RGBl. II 235) der Reichsbank die Diskontierung von Schatzwechseln des Reichs überhaupt nicht mehr. Erst durch das G. zur Änderung des BankG. vom 8. 7. 1926 (RGBl. II 355) bekam die Reichs­ bank die Möglichkeit, vom Reiche begebene Schatz­ wechsel, welche nach spätestens drei Monaten fällig sind und aus denen außer dem Reich noch ein weiterer als zahlungsfähig bekannter Verpflich­ teter hastet, zu diskontieren, zu kaufen und zu verkaufen, sowie mit einem Abschlag von min­ destens 5% des Kurswertes zu lombardieren. Eine unmittelbare Diskontierung von Reichs­ schatzwechseln oder unverzinslichen Schatzscheinen bei der Reichsbank ist damit ausgeschlossen. Das Reich muß sich mit seinen Kreditansprüchen zu­ nächst an den Geldmarkt wenden. Es besteht lediglich die Möglichkeit, daß die Reichsbank die dem Verkehr übergebenen Schatzwechsel usw. im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel rediskontiert. Außerdem darf die Reichsbank dem Reich Betriebskredite auf höchstens drei Monate und bis zum Höchstbetrage von 100 Millionen RM gewähren; am Ende des Geschäftsjahres darf je­ doch keine Verschuldung des Reiches bei der Bank vorhanden sein. Durch das Etatsgesetz wird der RFM. jeweils zur Aufnahme von schw. Sch. in bestimmter Höhe, z. B. im Voranschlag von 1927 in Höhe von 400 Millionen RM ermächtigt. Neben der Ausnutzung dieser Ermächtigung besteht die Möglichkeit, die durch Anleihegesetze bewilligten und jeweils noch nicht ausgenutzten Kredite zunächst in die Form der schw. Sch. zu kleiden. Nach den Bestimmungen der Neichsschuldenordnung dürfen jedoch die zur vorübergehenden Verstärkung der Betriebsmittel bestimmten Schatzanweisungen, Wechsel und Darlehen nicht später als sechs Mo­ nate nach Ablauf des Rechnungsjahres, für das die Verstärkung zugelassen ist, fällig werden. Im ersten Jahre nach der Stabilisierung betrug der Höchstbetrag der schw. Sch. 254 Millionen RM. Die Kassenlage gestaltete sich jedoch in den folgen­ den Jahren zunächst günstig, sodaß das Reich, abge­ sehen f öon einer vorübergehenden Inanspruch­ nahme desBetriebskredits bei der Reichsbank im Oktober 1926 in Höhe von 12,5 Millionen RM, bis zum Frühjahr 1927, in dem es ein Darlehen bei der Reichspost in Höhe von 100 Millionen RM auf­ nahm, von der Eingehung schw. Sch. Abstand nehmen konnte. III. Preußen (s. auch Staatsanleihen). Seit 1797 finden wir in Preußen die unverzins­ lichen Tresorscheine, seit 1824 die Kassenanwei­ sungen, auch Kassenscheine genannt; beide stellten jedoch lediglich ein Staatspapiergeld dar. Unver­ zinsliche Schatzanweisungen wurden zum ersten Male auf Grund des G. vom 28. 9. 1866 (GS. 607) zur Deckung von Kriegsausgaben ausge­ geben. Verzinsliche preußische Schatzanweisun­ gen finden wir zum ersten Male im Jahre 1904. Die während des Weltkrieges infolge der Sper­ rung des Anleihemarktes für alle Anleihen außer den Kriegsanleihen von Preußen begebenen kurz­ fristigen Schatzanweisungen können als schw. Sch.

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im engeren Sinne kaum angesehen werden. Die Aufnahme von schw. Sch. ist durch die StaatsschuldenO. vom 12. 3. 1924 (GS. 132) geregelt. In ähnlicher Weise wie beim Reich können schw. Sch. in der Form von Schatzanweisungen, durch Eingehung von Wechselverbindlichkeiten oder Auf­ nahme von Darlehen gegen Schuldschein unter der Voraussetzung einer hierfür durch Gesetz er­ teilten Ermächtigung eingegangen werden. Die Aufnahme schw. Sch. wird durch das Haushalts­ gesetz bestimmt; in dem Voranschlag für 1927 waren hierfür 200 Millionen RM vorgesehen. Die zur vorübergehenden Verstärkung der Be­ triebsmittel der Generalstaatskasse bestimmten Schatzanweisungen, Wechsel und Darlehen dürfen nach den Bestimmungen der Staatsschuldenord­ nung nicht später als neun Monate (beim Reich sechs Monate) nach Ablauf des Rechnungsjahres, für das die Verstärkung zugelassen ist, fällig wer­ den. Den Zeitpunkt der Aufnahme schw. Sch. sowie die Bedingungen bestimmt der FM. Die Ausstellung der Schuldurkunden erfolgt durch die Staatsschuldenverwaltung. Für die Begebung der Schatzanweisungen steht die Preuß. Staats­ bank (s. d.) zur Verfügung, welche die Lombardierungs- und Rediskontierungsverpflichtung hier­ für jeweils übernimmt. No. Eugen Richter, Das preußische Staatsschuldenwesen und die preußischen Staatspapiere, Breslau 1869; Sattler, Das Schuldenwesen des preußischen Staates und des Deut­ schen Reichs, Stuttgart 1893; K. Th. Eheberg, Finanz­ wissenschaft, Leipzig 1911; Ru d. Will, Die schwebenden Schulden der europäischen Großstaaten, Tübingen 1921; ferner s. Artikel Anleihen und Staatsanleihen; Jubiläums­ schrift der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) 1772 bis 1922, Berlin; Salings Börsenpapiere, 1. Teil, Berlin 1925; Schacht, Die Stabilisierung der Mark, Berlin 1926.

Schweden. Diplomatische Vertretung des Rei­ ches: Gesandtschaft Stockholm. Berusskonsularbehörde: Konsulat Gothenburg. Nichtsignatar­ macht des Versailler Vertrages, Mitglied des Völkerbundes seit 9. 3.1920. Deutsch-schwedischer Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 14. 5. 1926 (RGBl. II384) mit Niederlassungs- und konsulari­ schen Bestimmungen. Auslieferungsvertrag vom 19. 1. 1878 (RGBl. 110). Deutsch-schwedische Streitfälle unterliegen dem Verfahren des Schieds­ gerichts- und Vergleichsvetrages vom 29. 8. 1924 (RGBl. II863). Außerdem hat S. die Fakultativ­ klausel zu dem Ständigen Internationalen Ge­ richtshof angenommen. Fro. Schwefeläther s. Athyläther. Schwefelkohlenstoff. Über die Herstellung, Lagerung und fabrikatorische Verwendung von S. sind im Interesse des Arbeiterschutzes durch Erl. vom 27. 2. 1910 (HMBl. 71) Grundsätze aufgestellt, die den Maßnahmen auf Grund der §§ 120a bis 120g GewO, zugrunde zu legen sind. F. H. Schweinehandel s. Viehhandel. Schweinemästereien s. Biehmästereien. Schweineseuche und Schweinepest. Die S. u. S. sind lange Zeit mit dem Rotlauf der Schweine (s. d.) unter dem Sammelbegriff „Schweinerot­ lauf" als einheitliche Krankheit angesehen und dementsprechend veterinärpolizeilich behandelt worden. Später ist die Verschiedenheit aller dieser Seuchen wissenschaftlich nachgewiesen, wenn auch S. u. S. immer noch veterinärpolizeilich im wesentlichen nach gleichen Grundsätzen be­ kämpft werden. Die Schweineseuche äußert

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Schweine und Schweinefleisch — Schweiz

sich in der Regel in der Form einer ansteckenden Entzündung der Brustorgane, während die Schweinepest gewöhnlich in der Form einer ansteckenden Darmentzündung auftritt. Der An­ zeigepflicht (f. Viehseuchen V) sind beide Seuchen zugleich mit dem Rotlauf unterworfen, die Schweine seuche jedoch nur dann, wenn sie mit erheblichen Störungen des Allgemeinbefin­ dens der erkrankten Tiere verbunden ist. Chro­ nische Schweineseuche fällt nicht darunter. Bei den veterinärpolizeilichen Maßregeln zur Unter­ drückung der Seuchen, deren Übertragung von Tier zu Tier oder durch Zwischenträger statt­ finden kann, wird der Hauptwert auf die Ab­ sperrung der verseuchten und verdächtigen Be­ stände, daneben aber auch aus eine weitgehende Beaufsichtigung des Verkehrs mit Schweinen und des Schweinehandels, namentlich des Hausier­ handels gelegt, der sehr häufig zur Verbreitung der Seuchen beiträgt (s. Viehhandel II). Auch die großen Schweinezüchtereien sind nicht selten die Quelle der Seuchenverschleppung und haben deshalb seitens der Beterinärpolizei besondere Beachtung gefunden. Ein ähnlich wirksames Immunisierungsverfahren wie bei dem Rotlauf (f. d.) ist für die S. u. S. noch nicht bekannt. Versuche zur Immunisierung gegen die Schweine­ seuche mittels eines sog. polyvalenten Schweine­ seuchenserums (Bakterienpräparat aus einer größeren Zahl von Bakterienstämmen) haben keinen durchschlagenden Erfolg gehabt. Eine Immunisierung mit Schweinepestserum scheint zwar auf wissenschaftlich einwandfreier Grund­ lage zu beruhen und wird in zunehmendem Maße angewendet, ohne daß die Erfolge immer be­ friedigten. Die Behring-Werke in Marburg haben im Jahre 1923 in Eystrup, Prov. Han­ nover, eine besondere Anstalt zur Bekämpfung der Birusschweinepest eingerichtet. Die Anstalt hat sich zur Aufgabe gesetzt, hochwertige Impf­ stoffe gegen Virusschweinepest herzustellen, auch an der weiteren Erforschung dieser Seuche und anderer Schweinekrankheiten mitzuwirken (s. auch Impfstoffe gegen Viehseuchen und Viehseuchenerreger). Bemerkens­ wert ist, daß die Schweineseuche, die früher meist akut auftrat, später ihren Charakter ge­ ändert hat und gewöhnlich chronisch, dement­ sprechend auch milder verläuft. Deshalb wurden die früher vorgesehenen scharfen Bekämpfungs­ maßregeln auch von landwirtschaftlicher Seite vielfach und wohl nicht mit Unrecht als zu hart angefochten, und zwar um so mehr, als die Seuchen trotz strenger Bekämpfungsmaßregeln eine ganz außerordentliche Verbreitung unter den Schweinebeständen erlangt hatten. Es muß zu­ gestanden werden, daß die frühere veterinär­ polizeiliche Bekämpfungsmethode nicht den ge­ wünschten Erfolg gehabt hat. Die Bekämpfung der Schweineseuche ist daher auf die mit erheb­ licher Störung des Allgemeinbefindens einher­ gehenden Fälle beschränkt und damit die chronische Form im wesentlichen sich selbst überlassen; ferner sind die Sperrmaßregeln gegen früher milder gefaßt, insbesondere ist die Ausfuhr gesunder schlachtreifer Schweine aus Ställen, die wegen des Herrschens der Schweineseuche gesperrt sind, gestattet (vgl. §§ 10,18—30 VG.;§8 89,259—276 VAVG.; § 24 AB. A; § 26 AB. B; BEAB. zu

§§ 77, 267, 274 VAVG.; ferner Erl. vom 11. 11. 1913, 22. 11. 1918, 12. 10. 1921, und 7. 6.1927, MBlMfL. 1913, 368; 1919, 11; 1921, 359; 1927, 547; wegen der Abkürzungen s. Vieh­ seuchen II). Wegen Verwertung der Häute von Schweinen, die an S. u. S. gefallen sind, s. Erl. vom 8. 10. 1917 (MBlMfL. 292). Bei der Fleischbeschau (s. d.) wird das Fleisch schweineseuche- und schweinepestkranker Tiere, das als Träger des Krankheitserregers zur Verbreitung der Seuchen beitragen kann, entweder (bei den schwereren Fällen) als gänz­ lich genußuntauglich unschädlich beseitigt oder doch als bedingt tauglich beanstandet und durch Kochen, Dämpfen oder Pökeln seiner Schädlich­ keit entkleidet. Nur bei Schweineseuche, die schleichend ohne Störung des Allgemeinbefindens verlaufen ist, ferner wenn sich von beiden Seuchen nur noch Überbleibsel zeigen, beschränkt man sich auf die Verwerfung der veränderten Organe (§ 33 Abs. 1 Ziff. 10, § 35 Ziff. 12 § 37 unter III Ziff. 3, § 38 Abs. 1 unter II b Ziff. 2 der AusfB. A zum FleischbeschauG-, ZBl. 1922, 485). Nach einem Erl. des MfL. vom 8. 3. 1924 soll bei der Fleischbeschau in einem mit Schweinepest verseuchten Bestände jedes Schwein als pestkrank angesehen werden, das bei Lebzeiten eine erhöhte Körpertemperatur zeigt und nach dem Schlachten bestimmte Merkmale aufweist. Die Maßnahme soll der rechtzeitigen Aufdeckung von Seuchen­ herden dienen. Zu demselben Zwecke ist in neuerer Zeit in verschiedenen RegBez. der Fleischbeschau­ zwang für Schweine auf Grund des § 3 Fleisch­ beschauG. auf Hausschlachtungen ausgedehnt« worden. — In den Jahren 1920, 1921, 1922, 1923 wurden in Preußen 1185, 1732, 2937, 2454 Gemeinden mit 1655, 4299, 6297, 5088 Gehöften von den Seuchen betroffen. Erkrankt waren 7246, 21676, 31456, 25888 Schweine. Davon fielen 3477, 7333, 11651, 8112, wurden getötet 1896, 9831,15320,14371 Stück.— S. auch Impfstoffe gegen Viehseuchen. Backh. Schweine und Schweinefleisch s. Fleisch­ beschau und Trichinenschau. Schweiz. Diplomatische Vertretung des Rei­ ches : Gesandtschaft Bern. Berufskonsulate: Gene­ ralkonsulat Zürich, Konsulate in Basel, Genf, St. Gallen. Nichtsignatarmacht des Versailler Vertrags. Mitglied des Völkerbundes seit 6. 3. bzw. 16. 5. 1920. Deutsch-schweizerischer Han­ delsvertrag vom 14. 7. 1926 (RGBl. II 675). Der deutsch-schweizerische Niedtzrlassungsvertrag vom 13. 11. 1909 (RGBl. 1911, 887) ist von der Schweiz gekündigt, wird jedoch in beiderseitigem Einvernehmen mit einigen Einschränkungen noch angewandt. Auslieferungsvertrag vom 24. 1. 1874 (RGBl. 113), wird aus Grund gegenseitiger Verständigung über die Auslegung des Vertrags auf Hehlerei und Begünstigung angewandt; ferner auf Grund von Gegenseitigkeitserklärungen ausgedehnt auf: vorsätzliche Körperverletzung, Kuppelei, Vornahme unzüchtiger Handlungen an Personen unter 14 Jahren und an dem Täter zur Pflege, Erziehung oder Obhut anvertrauten Personen, sowie an Frauenspersonen unter An­ wendung von Gewalt, Schändung, Blutschande, Aufbewahrung von Sprengstoffen, Lebensmittel­ fälschung, Vernichtung von Urkunden, Verstrickungsbruch, Sachbeschädigung, fahrlässiger

Schwemmkanalisation — Schwerbeschädigtenfürsorge

Tötung, Mißbrauch von Sprengstoffen (RGBl. 1927 II 17). Außerdem hat sich die Schweiz bereit erklärt, gegebenenfalls auch wegen anderer als der oben erwähnten Sittlichkeitsvergehen oder -verbrechen auszuliefern, wenn die Straftaten in dem Schweizerischen Auslieferungsgesetz aufgeführt sind. Deutsch-schweizerische Streitfälle unterliegen dem Verfahren des deutsch-schweize­ rischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrags vom 3. 12. 1921 (RGBl. 19221217). Außerdem hat die Schweiz die Fakultativklausel zu dem Ständigen Internationalen Gerichtshof ange­ nommen. Fro. Schwemmkanalifation s. Kanalisation. Schwerbeschädigtenfnrsorge. I. Die S. ist eine besondere Art der öffentlichen Für­ sorge (s. Fürsorge, öffentliche), die zum Ziele hat, Personen mit schweren körperlichen Schäden eine Betätigung im Wirtschaftsleben zu ermög­ lichen, indem sie ihnen „Arbeitsplätze" verschafft, und zwar durch Begründung der Verpflichtung der Arbeitgeber, Arbeitsplätze für Schwerbeschä­ digte freizuhalten, mit ihnen zu besetzen und besetzt zu halten (Kündigungsbeschränkungen). Das erste G. über die Beschäftigung Schwer­ beschädigter vom 6. 4. 1920 (RGBl. 458) wurde unterm 23. 12. 1922 (RGBl. I 972) in wesent­ lichen Punkten geändert und in der jetzt gelten­ den Fassung unterm 12. 1. 1923 (RGBl. I 57) bekanntgemacht. Die Vorschriften der §§ 18 u. 26 sind durch § 114 des ArbGG. vom 23. 12. 1926 (RGBl. I 507) geändert worden, die der §§ 1, 21 u. 22 durch Art. 21 Ziss. VII der PAV. vom 30. 10. 1923 (RGBl. I 999) und das G. vom 8. 7. 1926 (RGBl. I 398), die des § 23 durch § 246 des G. über Arbeitsvermittlung und Arbeits­ losenversicherung vom 16. 7. 1927 (RGBl. 1187). AusfV. der Reichsregierung v. 13.2.1924 (RGBl. 173). Die nach dem G. den Hauptfürsorgestellen der Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebenenfürforge übertragenen Ausgaben sind durch die preuß. AusfV. vom 17.4. und 20.6.1924 (GS. 210 u. 557) den Verwaltungsorganen der Landesfürsorgever­ bände übertragen mit der Befugnis, die bisher zulässigen Übertragungen auf die BFürsV. vor­ zunehmen (§ 10 Abs. 2 a. a. £).; AussB. vom 31. 5. 1924 II 3, VMBl. 250). II. Voraussetzungen der S. Schwer­ beschädigte sind Personen, die infolge einer Dienstbeschädigung oder durch Unfall oder beide Ereignisse um wenigstens 50% in ihrer Erwerbs­ fähigkeit beschränkt sind und auf Grund des ReichsversorgungsG., der vorangehenden MilitärversorgungsG. oder von G., die das ReichsversorgungG. für anwendbar erklären, oder auf Grund der reichsgesetzlichen UB., des UnfallfürsorgeG. vom 18. 6. 1901 oder entsprechender landesrechtlicher Vorschriften Anspruch auf eine Pension oder aus eine der Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit ent­ sprechende Rente haben. Auch ohne Borliegen dieser Voraussetzungen muß die S. einem Blin­ den zuteil werden, der sich einen geeigneten Arbeitsplatz nicht zu verschaffen oder zu erhalten vermag. Ferner kann die S. zuteil werden Schwererwerbsbeschränkten, das sind Per­ sonen, die um wenigstens 50% in ihrer Erwerbs­ fähigkeit beschränkt sind, ohne daß die übrigen oben angegebenen Voraussetzungen vorliegen,und Minderbeschädigte, d. s. Kriegs- und Unfall-

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beschädigte, bei denen die Minderung der Er­ werbsfähigkeit weniger als 50, aber mindestens 30% beträgt. Den Schwerbeschädigten gleich­ zustellen sind Kriegsbeschädigte, für die eine Rente noch nicht rechtskräftig festgesetzt ist, wenn bestimmt anzunehmen ist, daß ihre Erwerbs­ beschränkung auf 50% oder mehr bemessen wer­ den wird (§§ 3, 8, 20 des G.). Voraussetzung für die S. ist ferner die deutsche Reichsangehörig­ keit; jedoch kann der RAM. mit Zustimmung des RR. die S. auch Nichtdeutschen zuteil werden lassen (§ 3 letzter Absatz). III. Gegenstand der Fürsorge. Die Arbeit­ geber, zu denen auch die Körperschaften, Stif­ tungen und Anstalten des öffentlichen Rechts ge­ hören, sind verpflichtet, bei Besetzung von Arbeits­ plätzen und Beamtenstellen unter bestimmten Voraussetzungen Schwerbeschädigte, die für die betreffenden Arbeitsplätze und Beamten­ stellen geeignet sind, anderen Bewerbern vor­ zuziehen. Die besonderen Vorschriften und Grundsätze über die Besetzung von Beamten­ stellen sind so zu gestalten, daß sie die Einstellung Schwerbeschädigter erleichtern (§§ 1, 2). Nach der AusfV. der Neichsregierung (§§ 1, 2) muß bei einer Verfügung über 20 bis einschließlich 50 Arbeitsplätze wenigstens ein Schwerbeschädig­ ter, bei Verfügung über mehr Arbeitsplätze auf je 50 weitere Arbeitsplätze wenigstens ein weiterer Schwerbeschädigter beschäftigt werden. Ein Über­ schuß von 20 ist dabei vollen 50 gleichzurechnen. Mehrere Betriebe, die ein Arbeitgeber im Bezirke der gleichen Hauptfürsorgestelle oder in den Be­ zirken benachbarter Hauptfürsorgestellen hat, werden zusammengerechnet. Verfügt eine öfsentlichrechtliche Körperschaft über weniger als 20 Plätze, oder ein privater Arbeitgeber über ins­ gesamt 20 oder mehr Arbeitsplätze im Deutschen Reiche, so kann ein Arbeitsplatz für Schwer­ beschädigte Vorbehalten werden, wenn dieser Platz sich für Schwerbeschädigte eignet und die Ein­ stellung für den Arbeitgeber keine besondere Härte bedeutet. Als Arbeitsplätze sind alle Stellen zu zählen, auf denen Arbeiter und Angestellte im Sinne der §§ 11 u. 12 des BRG. vom 4. 2. 1920 beschäftigt werden (§ 5 Abs. 2 des G.). Arbeit­ geber können ihren Verpflichtungen zur Beschäf­ tigung Schwerbeschädigter mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle auch dadurch genügen, daß sie Schwerbeschädigten Siedlungsstellen zu Eigentum oder Pacht überlassen, die den Schwerbeschädigten und ihren Familien den angemessenen Lebens­ unterhalt ermöglichen (§ 9). Unter gewissen, in § 6 Abs. 2 angegebenen Voraussetzungen und Bedingungen können private Arbeitgeber von ihren Verpflichtungen befreit werden. Die Hauptsürsorgestellen können anordnen, daß private Arbeitgeber Arbeitsplätze bestimmter Art oder einzelne bestimmte Arbeitsplätze, die sich für Schwerbeschädigte vorzugsweise eignen, frei halten. Freiwerdende Plätze dieser Art sind der Hauptsürsorgestelle binnen drei Tagen anzuzeigen und dürfen erst wieder besetzt werden, wenn die Hauptfürsorgestelle binnen zehn Tagen nach Ab­ sendung der Anzeige dem Arbeitgeber keine geeigneten Schwerbeschädigten genannt hat, es sei denn, daß die Besetzung im Interesse des Betriebs nicht aufgeschoben werden konnte (§ 6 Abs. 4 u. 5),

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Schwerbeschädigtenfürsorge

IV. Durchführung der S. Hat ein Arbeit­ geber die vorgeschriebene Anzahl von Schwer­ beschädigten nicht eingestellt, so kann die Haupt­ fürsorgestelle eine angemessene Frist zur Nach­ holung bestimmen und erklären, daß sie nach fruchtlosem Ablauf der Frist die einzustellenden Schwerbeschädigten selbst bezeichnen werde. Hat der Arbeitgeber dann innerhalb der gesetzten Frist die Schwerbeschädigten nicht eingestellt, so be­ stimmt die Hauptfürsorgestelle die Schwerbeschä­ digten und den Zeitpunkt ihrer Einstellung. Mit Zustellung ihres Beschlusses an den Arbeit­ geber gilt zwischen ihm und dem Schwerbeschädig­ ten ein Arbeitsvertrag als abgeschlossen. Seinen Inhalt bestimmt die Hauptfürsorgestelle nach den geltenden Tarifverträgen, Betriebsvereinbarun­ gen oder Arbeitsordnungen oder, soweit solche nicht bestehen, nach Arbeitsverträgen, die sonst üblicherweise mit Schwerbeschädigten abgeschlos­ sen werden (§ 7). Die Arbeitgeber sind ver­ pflichtet, der Hauptfürsorgestelle die nötigen Auskünfte zu erteilen und ihr Einblick in die Betriebe im Benehmen mit den Organen der Gewerbe- oder Bergaufsicht und innerhalb der diesen gezogenen Grenzen zu gewähren, soweit es im Interesse der Schwerbeschädigten erforder­ lich ist und Betriebsgeheimnisse dadurch nicht ge­ fährdet werden. Um die dauernde Unterbringung der Schwerbeschädigten sicherzustellen, kann der Arbeitgeber angehalten werden, die Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerät­ schaften so einzurichten und zu unterhalten und den Betrieb so zu regeln, daß eine tunlichst große Zahl von Schwerbeschädigten dort Beschäftigung finden kann, es sei denn, daß die Durchführung der Maßnahmen den Betrieb ernstlich schädigen würde oder mit unverhältnismäßigen Aufwen­ dungen verbunden wäre, oder daß staatliche oder berufsgenossenschaftliche Arbeiterschutzvorschristen entgegenstehen (§ 10). Soweit die S. nicht durch freie Entschließung der Arbeitgeber erfüllt wird, liegt ihre Durchführung gegenüber privaten Be­ trieben den Hauptsürsorgestellen (Verwal­ tungsorganen der Landesfürsorgeverbände) im Einvernehmen mit den berufenen Vertretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, den Organen der Gewerbe- oder Bergaufsicht und den ArbN., gegenüber Körperschaften, Stiftungen und An­ stalten des öffentlichen Rechts den Trägern der Dienstaufficht über diese im Benehmen mit den Hauptfürsorgestellen ob. Streitfälle werden im letzteren Falle auf Anrufen der Hauptfürsorge­ stelle von der obersten Reichs- oder Landes­ behörde entschieden, je nachdem es sich um eine Dienststelle des Reichs oder eine andere Körper­ schaft usw. des öffentlichen Rechts handelt. Bei der Durchführung sollen die Schwerbeschädigten tunlichst ihrem alten Berus erhalten und unver­ hältnismäßig starke Belastungen einzelner Berufs­ gruppen oder einzelner Arbeitgeber vermieden werden (§ 11). Um die Durchführung der S. hat sich die nach dem BRG. bestehende Ver­ tretung der Arbeitnehmer zu bemühen. Wenn in einem Betriebe wenigstens fünf schwerbeschädigte Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend beschäftigt find, haben sie für diese Aufgabe einen Ver­ trauensmann zu bestellen, der tunlichst ein Schwerbeschädigter sein soll. Der Arbeitgeber bestellt alsdann einen Beauftragten, der mit dem

Vertrauensmann der Arbeitnehmer im Interesse der Schwerbeschädigten zusammenzuwirken hat (§ 12). Ein privater Arbeitgeber, der vorsätzlich oder in grober Fahrlässigkeit gegen die Vor­ schriften des SchwerbeschädigtenG. verstößt, ist auf Antrag der Hauptfürsorgestelle vom Schöffen­ gericht für jeden einzelnen Fall des Verstoßes mit einer Buße von 3 bis 10000 RM zu belegen (§ 18 des G. in der Fassung des § 114 ArbGG. und V. über Bermögensstrafen und Bußen vom 6. 2. 1924, RGBl. I 44). Für das Verfahren gelten die Vorschriften der StPO.; auf Antrag des Amtsanwalts kann die Buße durch schriftlichen Strafbefehl des Amtsrichters festgesetzt werden. Eine Buße kann nicht festgesetzt werden, wenn der Arbeitgeber nachweist, daß er im Durchschnitt der letzten drei Monate vor dem Verstoße wenig­ stens 10% seiner Arbeitsplätze mit Schwer­ beschädigten oder ihnrn gleichstehenden Personen besetzt hat. Bußen sind vom Gericht an die Haupt­ fürsorgestelle abzuführen und von dieser für Zwecke der S. zu verwenden (§ 5 AusfB.). Ein Schwerbeschädigter, der ohne berechtigten Grund einen Arbeitsplatz zurückweist oder verläßt oder sonst durch sein Verhalten die Durchführung des G. schuldhaft vereitelt, kann der Vorteile des G. für zeitweilig verlustig erklärt werden (§ 19). V. Kündigungsschutz. Schwerbeschädigte gegenießen einen besonderen, in den §§ 13—17 des G. geregelten Schutz gegen Entlassung durch den Arbeitgeber. Es kann ihnen nämlich wirksam nur mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle mit einer Frist von vier Wochen, die erst vom Tage der Absendung des Antrags ab läuft, gekündigt werden. Die Zustimmung der Hauptfür­ sorge stelle gilt als erteilt, wenn sie nicht bis zum Ablauf des 14. Tages nach der Zustellung des Antrags verweigert wird. Die Zustimmung darf nicht verweigert werden, wenn ein anderer angemessener Arbeitsplatz für den Schwerbeschä­ digten gesichert ist, wenn auf den freiwerdenden Arbeitsplatz ein anderer Schwerbeschädigter ein­ gestellt wird, der in ähnlichem Umfang wie der bisherige erwerbsbeschränkt ist, und — nach nähe­ rer Maßgabe der §§ 15 u. 16 — wenn Betriebe des Reichs, der Länder und anderer Körper­ schaften des öffentlichen Rechts aufgelöst oder nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden müssen oder private Betriebe oder selb­ ständige Betriebsabteilungen solcher nicht nur vorübergehend vollständig eingestellt oder wesent­ lich eingeschränkt werden. Eine Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ist nicht erforderlich, wenn ein Schwerbeschädigter ausdrücklich nur zur vorübergehendenAushilfe, für einen vorübergehenden Zweck oder versuchsweise angenommen ist, es sei denn, daß das Arbeitsverhältnis über drei Monate gedauert hat (§ 17). Die gesetzlichen Bestim­ mungen über die fristlose Kündigung werden nicht berührt, ausgenommen in zwei Fällen: Die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle muß ein­ geholt werden, wenn es sich um eine Krankheit handelt, die eine Folge der Kriegsbeschädigung ist (Z 13 Abs. 2). Schwerbeschädigte, denen ledig­ lich aus Anlaß eines Streiks oder einer Aus­ sperrung fristlos gekündigt worden ist, müssen nach Beendigung des Streiks oder der Aus­ sperrung wieder eingestellt werden (§ 13 Abs. 3). Entscheidungen über die Erteilung der Zustim-

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Schwestern — Seefahrt

mung zu Kündigungen gegenüber den bei privaten Arbeitgebern beschäftigten Schwerbeschädigten können den Fürsorgestellen (BFürsV.) übertragen werden; auf Beschwerde entscheidet die Hauptsürsorgestelle (§ 4 AusfV.). VI. Verfahren. Gegen die Anordnungen und Entscheidungen, die die Hauptfürsorgestelle trifft, kann Beschwerde bei dem sog. Schwer­ beschädigtenausschuß erhoben werden, der bei jeder Hauptfürsorgestelle zu bilden ist und aus deren Leiter oder seinem Vertreter als Vorsitzen­ den und vier Mitgliedern besteht. Von diesen müssen zwei Arbeitgeber, zwei schwerkriegsbeschädigte Arbeitnehmer sein. Betrifst die Ent­ scheidung lediglich Unfallbeschädigte oder andere Erwerbsbeschränkte, so tritt an die Stelle des einen schwerkriegsbeschädigten Arbeitnehmers ein Arbeitnehmer aus der Zahl der Unfallbeschädig­ ten oder anderen Erwerbsbeschränkten. Solche Schwerbeschädigtenausschüsse können auch bei den Fürsorgestellen gebildet werden. Das Nähere be­ stimmt der § 22 in der Fassung des Art. 21 Ziff. VII der PAV. vom 30. 10. 1923 (RGBl. I 999). Betrifft die Entscheidung der Haupt­ fürsorgestelle die Kündigung eines bei einer Be­ hörde beschäftigten Schwerbeschädigten, so ent­ scheidet aus Beschwerde die zuständige oberste Reichs- oder Landesbehörde, betrifft sie die Kündigung in einem privaten Betriebe, so ent­ scheidet auf die binnen einer Woche einzulegende Beschwerde des Arbeitgebers oder des Schwer­ beschädigten der Schwerbeschädigtenausschuß end­ gültig (§ 21). Zuständig zur Entscheidung grund­ sätzlicher Fragen der S. aus Anrufen der Schwer­ beschädigtenausschüsse bei den Hauptfürsorge­ stellen ist ein bei der Hauptstelle der Reichs­ anstalt für Arbeitsvermittlung und Ar­ beitslosenversicherung oderbei einer anderen vom RAM. bestimmten Behörde errichteter Schwerbeschädigtenausschuß, der aus einem Vorsitzenden und zehn Mitgliedern besteht, nämlich je zwei Vertretern der schwerkriegs­ beschädigten Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zwei Vertretern der Hauptfürsorgestellen, einem Vertreter der Berufsgenossenschaften, einem Vertreter der schwer Unfallbeschädigten oder anderer Erwerbsbeschrünkter und zwei Per­ sönlichkeiten, welche die Befähigung zum Richter­ amt oder zum höheren Verwaltungsdienst besitzen. Die Entscheidung dieses Ausschusses muß ange­ rufen werden, wenn der Vorsitzende oder wenig­ stens drei Mitglieder des Schwerbeschädigten­ ausschusses einer Hauptfürsorgestelle es verlangen (§ 23 in der Fassung des. § 246 des G. vom 16. 7. 1927, RGBl. I 187). Wegen Übertragung von Aufgaben der Arbeitsfürsorge für Schwer­ beschädigte auf die Reichsanstalt für Arbeitsver­ mittlung und Arbeitslosenfürsorge s. V. des RAM. vom 2.11.1927 (RVBl. S. 78 Nr. 99). v. G. Schwestern s. Wohlfahrtspflege V, Dia­ konie I und Katholische geistliche Orden. Schwimmunterricht. Aus die gewerbsmäßige Erteilung von S. finden, da der S. nicht Gegen­ stand des öffentlichen Unterrichts ist (f. Privats chulen), alle Vorschriften der GewO. An­ wendung. Die Eröffnung des Betriebs ist nach § 35 Abs. 7 a. a. O. der OPB. anzuzeigen. Der Gewerbebetrieb kann untersagt werden (s. Unter­ sagung von Gewerbebetrieben). Die OPB.

haben den Betrieb der Schwimmlehrer zu über­ wachen (Ziff. 10, 60—62 der AusfAnw. z. GewO, vom 1. 5. 1904, HMBl. 123). In der Pr. Hochschule für Leibesübungen werden Schwimmeister und Schwimmeisterinnen, die zur Leitung und Beaufsichtigung des Schwimmund Badebetriebs in öffentlichen und privaten Schwimm- und Badeanstalten befähigt sind, ge­ prüft (HMBl. 1927, 301). F. H. Schwindsucht s. Tuberkulose. Schwurgerichte s. Landgerichte. Seeämter s. Schiffsunfälle.

Seedampfschifssmaschinisten (Schifssingenieure) sind Personen, die zur Leitung der Maschinen von Dampfschiffen jeder Art und Größe in allen Fahrten befähigt sind. Sie müssen sich über den Besitz der erforderlichen Kenntnisse nach § 31 GewO, durch ein Befähigungszeugnis des RP. ausweisen (Ziff. 38 der AusfAnw. z. GewO, vom 1. 5. 1904, HMBl. 123). Die Vor­ schriften über den Befähigungsnachweis der S. finden sich in der V. vom 25. 7. 1925 (RGBl. II 724). über Zuständigkeit der RP. für die Aus­ stellung der Befähigungszeugnisse s. AusfAnw. vom 9. 9. 1925 (HMBl. 210). Die Form der Prüfungs- und Befähigungszeugnisse ist in der Bek. vom 3. 9. 1925 (RMBl. 995) festgesetzt. Schiffsingenieur- und Seemaschinistenschulen gibt es in Stettin, Flensburg und Wesermünde. F. H. Seefahrt. Der Begriff S. ist wichtig für den Begriff des Kauffahrteischiffs (s. d.), er ist durch den BR. auf Grund des § 25 des FlaggenG. vom 22. 6. 1899 (RGBl. 319) festgesetzt worden (Bek. vom 10. 11. 1899, ZBl. 380). Danach ist als S. anzusehen die Fahrt bei Memel außer­ halb. der Mündung des Kurischen Haffs, bei Pillau außerhalb des Pillauer Tiefs, bei Neu­ fahrwasser außerhalb der Mündung der Weichsel, in der Putziger Wiek außerhalb Newa und Heister­ nest, bei Dievenow, Swinemünde und Peene­ münde außerhalb der Mündung der Dievenow und Swine, sowie außerhalb der nördlichen Spitze der Insel Usedom und Rüden, bei Rügen östlich außerhalb der Insel Rüden und dem Thiessower Höst, westlich außerhalb Wittower Posthaus und der nördlichen Spitze von Hiddens-Oe, sowie außerhalb des Bock bei Barhöft, bei Wismar außerhalb Jackelsbergs-Riff, Hcmnibalgrund, Schweinskötel und Lieps sowie außerhalb Tarne­ witz, auf der Kieler Föhrde außerhalb Stein, bet Labö und Bülk auf der Eckern-Föhrde außerhalb Nienhof und Bocknis, bei Flensburg, Sonderburg und Apenrade außerhalb Birknakke und Kekenis Leuchtturm sowie außerhalb Tundtost-Nakke und Kundshoved, bei Hadersleben außerhalb Raadhoved, Insel Aarö, Insel Linderum und Orbyhage, bei Husum außerhalb Nordstrand, auf der Eider außerhalb des Vollerwiek und Hundeknoll, aus der Elbe außerhalb der westlichen Spitze des hohen Ufers (Dieksand) und der Kugelbake bet Döse, auf der Weser außerhalb Cappel und Lang­ warden, auf der Jade außerhalb Langwarden und Schillingshörn, auf der Ems außerhalb der westlichen Spitze der Westermarsch (Utlandshörn) und Ostpolter Siel. Seefahrtschulen bestehen in Stettin, Flensburg, Altona, Wesermünde unb Leer. Im Sinne der Seeunfallversicherung ge­ hört zur S. auch die Fahrt auf Buchten, Haffen

Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. ii.

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Seefahrtsbuch — Seeleute

und Watten der See, nicht aber auf anderen mit schen Hafen mit Diensten an Bord für Rechnung der See in Verbindung stehenden Gewässern des Reeders beschäftigt sind. Versicherung bei (§ 1047 RVO.). F. H. einer Ersatzkasse befreit nicht von der Zugehörig­ Seefahrtdbuch. Niemand (männliche und keit zur Seekrankenkasse. Versicherungsberechtigte weibliche Personen) darf im Reichsgebiete als in Betrieben der Seeschiffahrt, die zur SeeSchiffsmann (s. Schiffsmannschaft) in Dienst berussgenossenschaft gehören, können sich nur bei treten, bevor er von einem Seemannsamt (s. d.) der Seekrankenkasse versichern. Als Grundlohn ein S. ausgefertigt erhalten hat. Einem Deut­ gilt der dreißigste Teil des für UV. festgesetzten schen, der das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet monatlichen Jahresarbeitsverdienstes und für hat, darf ein S. nicht ausgestellt werden. Minder­ auf Fahrzeugen beschäftigte S. der dreißigste Teil jährige bedürfen der Zustimmung des gesetzlichen des für die UV. festgesetzten Durchschnittssatzes Vertreters. Das Formular des S. ist durch den für Beköstigung. Der Anspruch auf Krankenhilfe BR. festgestellt (s. Bek. vom 20. 3.1903, ZBl. 120, ruht, solange durch die SeemannsO. oder das abgeändert durch V. vom 23. 6.1925, HMBl.189). HGB. Vorsorge getroffen, insbesondere auf der Das Seemannsamt hat in das S. die An- und Reise oder im Auslande. Für Ehegatten und Abmusterung einzutragen. Während der Dauer Kinder und sonstige von der Satzung bestimmte des Dienstverhältnisses bleibt das S. im Gewahr­ Angehörige, die der Versicherte ganz oder sam des Kapitäns (s. Schiffer). Dieser hat vor überwiegend unterhält und mit ihm in häus­ der Abmusterung dem abzumusternden Schiffs­ licher Gemeinschaft leben, ist Krankenhilfe zu ge­ mann im S. die bisherigen Rang- und Dienst­ währen, wenn sie darauf nicht anderweit einen verhältnisse und die Dauer der Dienstzeit zu be­ gesetzlichen Anspruch haben. Die Gewährung der scheinigen, auf Verlangen auch ein Führungs­ Leistungen besorgt im Auftrag oder für Rech­ zeugnis zu erteilen. Das Zeugnis darf in das nung der Seekrankenkasse die AOKK. oder, wo S. nicht eingetragen werden, dasselbe ist kosten- diese fehlt, die LKK. Die Seekrankenkasse kann und stempelfrei. Enthält die Bescheinigung im deswegen Verträge schließen. Maßgebend für S. Angaben, deren Richtigkeit der Schifssmann den Umfang der Leistungen ist die Satzung der bestreitet, so hat das Seemannsamt auf dessen Seekrankenkasse. In den Organen haben die Antrag den Sachverhalt zu untersuchen und das Reedervertreter zwei Fünftel und die VerErgebnis der Untersuchung dem Schifssmann zu sichertenvertreter drei Fünftel der Stimmen. bescheinigen. Uber die ausgesertigten S. führt Dementsprechend ist auch das Beitragsverhältnis das Seemannsamt eine Nachweisung nach vor­ geregelt. Die Höhe des Beitragssatzes setzt die geschriebenem Muster (§§ 7ff. der Seemanns­ Satzung der Seekrankenkasse fest, die auch die ordnung vom 2. 6. 1902; RGBl. 175, Dienst­ Beitragsentrichtung regelt und dsn Umfang der anweisung für die preuß. Musterungsbehörden Leistungen, für die die allgemeinen Vorschriften vom 21. 3. 1903, HMBl. 95). S. auch Arbeits­ der RVO. maßgebend sind, bestimmt. Für die zeugnis IV. F. H. übrigen S. gelten die Vorschriften des zweiten Seefischerei-Jollordrmng s. Zoll 116 5 3. Buchs der RVO. unverändert (§§ 476—493b Seegrenzschlachthäuser s. Einfuhr. RVO. in der Fassung des G. vom 16. 12. 1927 Seehandlung s. Preuß. Staatsbank. (RGBl. I 337). Die einschlägigen Vorschriften Seekasse s. Sonderanstalt. dies HGB. und der SeemannsO. sind durch Seekrankenkasse s. Seeleute II. dieses G. entsprechend geändert. Seeleute. I. Begriff. S. sind diejenigen Per­ III. Unfallversicherung. 1. Umfang der sonen, welche zur Schiffsbesatzung eines Seefahr­ Versicherung. Diese umfaßt alle Personen, zeuges gehören. Nach § 481 HGB. und § 163 welche auf deutschen Seefahrzeugen als Schiffer, Abs. 2 RVO. gehören zur Schifssbesatzung der Schiffsleute, Maschinisten, Aufwärter oder in an­ Schiffer (Kapitän), die Schiffsoffiziere, Schiffs­ derer Eigenschaft zur Schiffsbesatzung gehören mannschaft (s. d.) und alle übrigen zum Dienst (Seeleute), Schiffer jedoch nur, sofern sie gegen auf dem Schiffe während der Fahrt für Rechnung Entgelt beschäftigt werden; 2. ohne'zur Schiffs­ des Reeders geheuerten Personen, ohne Rücksicht besatzung zu gehören, auf deutschen Seefahr­ ob sie angemustert sind oder nicht, mit Ausnahme zeugen in inländischen Häfen oder auf inlän­ der Lotsen. S. sind auf allen Gebieten der Reichs­ dischen Kanälen oder Flüssen beschäftigt werden, versicherung mit Ausnahme der Reichsknapp- wenn sie nicht anderweit auf Grund der Vor­ schaftsversicherung (s. d.) versicherungspflichtig. schriften der Reichsversicherung gegen Unfall ver­ II. Krankenversicherung. S. unterliegen sichert sind; 3. in inländischen Betrieben schwim­ der KB. (§§ 476 ff. RVO.). Wegen der ver­ mender Docks und ähnlicher Einrichtungen sowie sicherungsfreien Dienstleistungen s. V. vom 16.12. in inländischen Betrieben für die Ausübung des 1919 (RGBl. I 343). Träger der Versicherung Lotsendienstes, für Retten oder Bergen von Per­ ist die besondere Abteilung der Seekafse (s. unter sonen oder Sachen bei Schiffbrüchen, für Be­ IV), die den Namen „Seekrankenkasse" führt. wachen, Beleuchten oder Bnstandhalten der dem Die Organe der Seekasse verwalten die See­ Seeverkehre dienenden Gewässer beschäftigt sind; krankenkasse nach deren Satzung, die von der 4. auf Fischereifahrzeugen innerhalb der von der Generalversammlung der Seekasse mit einfacher Reichsregierung bestimmten Grenze (Bek. vom Stimmenmehrheit beschlossen und vom RAM. 1. 7. 1908, ZBl. 259) beschäftigt sind (§§ 1046 bis genehmigt wird. In der Seekrankenkasse werden 1048 RVO.). Personen in Seeschiffahrts- und versichert die S., die zugleich bei der Seeberufs­ anderen Betrieben der vorbezeichneten Art, die genossenschaft gegen Unfall versichert sind, und wesentliche Bestandteile eines der UV. sonst unter­ S. von Beruf, die nicht für eine Fahrt angemustert liegenden Betriebs sind, sind nicht nach Maßgabe sind, für die Zeit, während der sie vorübergehend des SUVG. versichert (§ 1051 RVO.). Die Un­ auf einem deutschen Seefahrzeug in einem deut­ ternehmer von Kleinbetrieben der Seeschiffahrt,

Seeleute

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Seefischerei- und Küstenfischerei sind versiche­ Kommunalverbände werden die Dauer der Be­ rungspflichtig, wenn sie zur Besatzung des Fahr­ schäftigung und die Verschiedenheit des orts­ zeugs gehören und bei dem Betriebe regelmäßig üblichen Tagelohns berücksichtigt (Bek. vom 13. 7. keinen oder nicht mehr als zwei Lohnarbeiter be­ 1905, AN. 484). Innerhalb der weiteren Ge­ schäftigen (§ 1058 RBO.). Die Satzung kann die meindeverbände werden die Beiträge zur Hälfte Bersicherungspflicht sonst auf Reeder erstrecken, wie die sonstigen Lasten aufgebracht, die andere die zur Besatzung des Fahrzeugs gehören. Andere Hälfte wird durch Vermittlung der Kreise von Unternehmer der versicherten Betriebe und selb­ den Unternehmern eingezogen, sofern nicht die ständige Lotsen können sich selbst versichern (§§ 550, Kreise die Beitragsleistung auf eigene Kosten 1061 RBO.). Die Versicherung gilt für die Zeit übernehmen. Gegen die Heranziehung zu Bei­ vom Beginne bis zur Beendigung des Dienstver­ trägen steht dem Unternehmer die Beschwerde an hältnisses einschließlich der Beförderung vom das OVA. zu (§§ 1195—1197 RBO.). Lande zum Fahrzeug und vom Fahrzeug zum 4. Leistungen. Die S. hat bei Unfällen Lande (8 1053 RBO.). Die Versicherung er­ dieselben Entschädigungen wie die übrigen BG. streckt sich auch auf Unfälle, welche die Versicher­ zu gewähren (s. Unfallversicherung III). Zu ten auf einem deutschen Seefahrzeug, auf wel­ beachten ist jedoch, daß die Pflicht des Reeders chem sie beschäftigt sind, ohne zur Besatzung des­ zur Gewährung der Krankenfürsorge nach dem selben zu gehören, bei dem Betrieb erleiden, so­ HGB. und der Seemannsordnung an sich bestehen wie auf Unfälle deutscher Seeleute bei freier Zu­ bleibt, daß sie aber, ebenso wie die Verpflich­ rückbeförderung oder Mitnahme auf deutschen tung zur Gewährung zur entsprechenden Kranken­ Seefahrzeugen. Die Versicherung erstreckt sich fürsorge an nicht krankenversicherte Beschäftigte, auf häusliche und andere Dienste, zu denen Ver­ endigt, sobald die Seeberufsgenossenschaft dem sicherte, die hauptsächlich im Betriebe sind, von Reeder mitteilt, daß sie mit ihren Leistungen be­ dem Unternehmer oder seinem Beauftragten her- ginnt. Die Seeberussgenossenschaft kann die ungezogen werden und auf Dienstleistungen Ver­ Leistungen des Reeders auf ihre Leistungen an­ sicherter bei Retten oder Bergen von Menschen rechnen nach Maßgabe der Bestimmungen des oder Sachen (§ 1057 RBO.). Ausgeschlossen von RBA. vom 10. 12. 1925 (Berussgenossenschaft der Versicherung sind Unfälle, die der Versicherte 1926, 2). Die Seeberufsgenossenschaft kann dem erleidet, während er sich pflichtwidrig vom Bord Verletzten an Stelle der Heilanstaltspslege freie entfernt hält oder in eigener Sache an Land be­ Kur und Verpflegung an Bord eines Fahrzeugs urlaubt ist (§ 1056 RBO.). gewähren. Als Jahresarbeitsverdienst gilt der ^Organisation. Für die Durchführung der S. zwölffache Betrag der Heuer und ein Durchschnitts­ besteht eine Seeberufsgenossenschaft in Ham­ satz als Geldwert der auf dem Seefahrzeug ge­ burg, deren Verwaltung nach den für die Be­ währten Kost. Diesen setzt ein Ausschuß fest, dessen rufsgenossenschaft (f. d.) maßgebenden Vorschrif­ Vorsitzenden der RAM. ernennt und dessen Fest­ ten erfolgt. Bei der Seeberussgenossenschaft ist setzung das RVA.zu genehmigen hat (§§ 1066a bis eine Zweiganstalt eingerichtet, deren Träger 1071 RBO.). S. Best, des RVA. vom 2. 7. und die Seeberufsgenossenschaft ist. Hier werden ver­ 16.9.1925 (Reichsanzeiger Nr. 155,22). Bei den in sichert die Kleinbetriebe der Seeschiffahrt, der der Sonderanstalt versicherten Betrieben wird den Seefischerei und der Küstenfischerei. Ein Klein­ Entschädigungen der Ortslohn (s. d.) am Betriebs­ betrieb der Seeschiffahrt liegt vor, wenn das See­ sitze zugrunde gelegt; als Sterbegeld wird, sofern fahrzeug nicht mehr als 50 Raummeter Gesamt­ die Bestattung zu Land erfolgt, der zwanzigfache raum enthält und weder Zubehör eines großen Betrag des Ortslohns gewährt (§§ 1080—1097 Fahrzeugs noch zur Fortbewegung durch Dampf RVO.). Uber das Ruhen der Renten findet sich oder andere Maschinenkräfte eingerichtet ist, oder eine von der Gewerbeunsallversicherung zum Teil wenn der RAM. es bestimmt (§ 1120 RVO.). abweichende Regelung im § 1116 RVO. Wegen Bei der Zweiganstalt sind auch die Unternehmer der Gewährung der Hinterbliebenenrente bei der Kleinbetriebe der Seeschiffahrt, Seefischerei Untergang des Fahrzeugs oder Verschollenheits­ und Küstenfischerei, welche versicherungspflichtig erklärung s. §§ 1099, 1100, 1546 Abs. 2, 1586, sind (f. unter I) und welche sich selbstversichert 1590 RVO. haben, versichert. Wenn die von der Genossen­ 5. Unfalluntersuchung. Die Anzeige des schaftsversammlung erlassene Nebensatzung nichts Unfalls ist bei den in der Sonderanstalt versicher­ anderes bestimmt, verwalten die Genossenschafts­ ten Betrieben an die OPB. im Inlande zu organe die Zweiganstalt (§§ 1189, 1194 RBO.). richten, in deren Bezirke sich der Unfall ereignete Die Einnahmen und Ausgaben sind gesondert zu oder der erste Aufenthalt nach demselben ge­ verrechnen und die Bestände gesondert zu ver­ nommen wird. Die Untersuchung erfolgt durch wahren (§ 1190 RVO.). die OPB., der Anzeige erstattet ist, sofern nicht 3. Beiträge. Für die Aufbringung der auf Antrag Beteiligter der RP. eine andere Mittel bestehen von den sonstigen Vorschriften OPB. damit beauftragt (§ 1766 RVO.). Im

erbrachte. Infolge der steigenden Zinssätze am Geldmarkt wurde im Jahre 1908 der bisherige niedere Typ verlassen und die sog. Staffelanleihe herausgebracht, deren Zinsfuß für 10 Jahre 4%, für weitere 5 Jahre 33/4% und alsdann 3V2% betragen sollte. Das Anhalten der hohen Zins­ sätze veranlaßte Preußen jedoch vom Jahre 1909 ab den 4%igen Typus bei der Aufnahme neuer Anleihen zu bevorzugen. Der Hauptanteil an dem Anwachsen der preußischen Staatsschulden ent­ fällt auf die preußischen Eisenbahnen. Preußen hat darauf verzichtet, eine besondere Eisenbahn­ schuld zu begründen. Der Anteil der Eisenbahn­ schuld an der Gesamtschuld ist jedoch errechnet worden. Es entfielen z. B. zu Beginn des Etats­

jahres 1906 von 7,37 Milliarden Mark Gesamt­ schulden 6,1 Milliarden Mark auf Eisenbahn­ schulden, 1914 von 10,355 Milliarden Mark 7,7 Milliarden Mark aus Eisenbahnschulden. Die gesamte verzinsliche Anleiheschuld Preußens be­ trug zu Beginn des Etatsjahres 1914 9,38 Milliarden Mark, von denen 186,1 Mill. M> nach der Staffelanleihe, 1719,2 zu 4%, 6078,4 zu 372% und 1400 Mill. zu 3% zu verzinsen waren. Der Ausbruch und die lange Dauer des Weltkrieges stellte an die Finanzwirtschaft Preu­ ßens außerordentliche Anforderungen. Der An­ leihemarkt war jedoch dem Reiche für die Kriegs­ anleihe Vorbehalten worden, und so mußten die erforderlichen Mittel durch Begebung kurzfristiger Schatzanweisungen beschafft werden. Die auf Grund der AnleiheG. emittierten Schulden zeigen am Ende der Etatsjahre folgende Zunahmen an verzinslichen und unverzinslichen Schatzanweisun­ gen: 1915:1,395 Milliarden Mark, 19161,687Mil­ liarden Mark, 1917: 1,467 Milliarden Mark, 1918: 1,378 Milliarden Mark. In steigendem Maße wur­ den jedoch die erforderlichen Mittel durch Ausgabe von unverzinslichen Schatzanweisungen zur vor­ übergehenden Verstärkung des Betriebsfonds der Generalstaatskafse auf Grund der HaushaltungsG. gedeckt. Erst vom Jahre 1917 ab sind solche für Anleihezwecke ausgegebenen Haushalts-Schatz­ anweisungen in die dem Haushalt der Staatsschuldenverwaltung beigefügte Übersicht der Staatsschuld ausgenommen worden. Der Umsatz an unverzinslichen Schatzanweisungen bezifferte sich 1914 auf 1,2, 1915 auf 4i/2, 1916 auf 6V2, 1917 auf 7,3, 1918 auf 16,3 Milliarden Mark. Von entscheidender Bedeutung für die preußi­ sche Staatsschuld gestaltete sich der Staatsvertrag zwischen Preußen und dem Deutschen Reich über die Übertragung der preußischen Staatsbahnen auf das Reich vom 29. 4. 1920 (RGBl. 773; vgl. das preuß. G. vom 16. 11. 1920, GS. 73), der den Übergang sämtlicher fundierten und schweben­ den Schulden Preußens im Nennbeträge von 10,5 Milliarden Mark fundierter und 14,6 Mil­ liarden Mark schwebender Schulden, insgesamt 25,1 Milliarden Mark, hierunter 12,2 Milliarden Mark Eisenbahnschulden, auf das Reich bestimmte. Preußen wurde mit diesem Zeitpunkt völlig schuldenfrei. Die in den Jnflationsjahren 1920 bis 1923 eingegangenen Markschulden sind ohne Vergleichswert und können daher außer Betracht bleiben. Die am 1. 4. 1920 auf das Reich über­ gegangenen auf Mark der früheren Reichswäh­ rung lautenden vormals preußischen Staatsschul­ den wurden nach den Bestimmungen des G. über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. 7.1925 (RGBl. I 137) in die Ablösungsschuld des Reichs umgetauscht. Die nach dem 1. 4. 1920 ent­ standenen, auf Mark der früheren Reichswährung lautenden neuen preußischen Staatsschulden wur­ den durch Barzahlung in Reichsmark unter Zu­ grundelegung des Goldwertes der dem Lande Preußen aus den Anleihen zugeflossenen Beträge abgelöst. Nicht berührt von dieser Regelung wurden die von Preußen im Jahre 1923 auf­ genommenen sog. Sachwertanleihen, nämlich die 5%ige preußische wertbeständige Kaliwertanleihe von 1923 und die 5%ige wertbeständige Roggen­ wertanleihe von 1923. (Bei der Zerrüttung der Markwährung war Preußen, um eine willige

Staatsanleihen

Aufnahme seiner Anleihe im Publikum zu finden, gezwungen, dem Beispiel anderer deutscher Schuldnerstaaten zu folgen und eine Anleihe mit Naturalwährung den Anleihegläubigern anzu­ bieten.) Im Jahre 1926 hat Preußen zwecks Schonung des für die Aufnahme einer größeren Anleihe zum damaligen Zeitpunkte noch nicht genügend gekräftigten inneren Marktes einen seit dem Jahre 1822 — damals war durch die See­ handlung eine 5%ige Anleihe von 3,5 Mill. Pfd. Sterl. beim Hause Rothschild in London zum Kurse von 84% ausgenommen worden — nicht mehr beschrittenen Weg der Anleiheaufnahme im Auslande wieder betreten, indem es seinen An­ leihebedarf neben der Ausgabe von 6^/2%igen Schatzanweisungen im Jnlande durch Auslegung einer 61/2%igen Dollaranleihe von 20 Mill. Dol­ lar zu 95% in Neuyork deckte. Das Schuld­ kapital stellte sich nach dem Haushalt für das Rechnungsjahr 1927 wie folgt: 1. 5%ige Kali­ schatzanweisungen = 232785000 kg Kali (7 RM für 100 kg) — 16294950 Goldmark; 2. 5%ige Rogenschatzanweisungen — 562351 Ztr. Roggen (10 RM für 1 Ztr.) = 5623510 Goldmark; 3. 6^%ige Goldmarkschatzanweisungen Folge I von 1926, fällig am 1. 3. 1929, 30000000 Gold­ mark; 4. 61/2%tge Goldmarkschatzanweisungen Folge II von 1926, fällig am 1. 10. 1930, 70000000 Goldmark; 5. 6V2%ige Goldanleihe von 1926 über 20000000 Dollar (zu 4,20 RM), tilgbar bis 1951, 84000000 Goldmark; zusammen 205918460 Goldmark. Auf den Kops der Be­ völkerung entfielen in den Etatjahren an Staats­ an Staats­ schulden schuldzinsen 1906 197,72 X 6,78 X 1913 239,32 „ 8,85 „ 1919 397,15 „ 19,73 „ 1925 4,41 RM 0,29 RM Für die Aufnahme von preußischen Staats­ schulden ist Art. 65 BU. maßgebend, der sich mit Art. 87 NV. deckt. Nach ihm dürfen im Wege des Kredits Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicher­ heitsleistung zu Lasten des Staates dürfen nur durch G. erfolgen. Das Anleihe G. spricht üblicher­ weise nur die Ermächtigung des StM. zur Ver­ ausgabung eines bestimmten Betrags aus und ermächtigt zugleich den FM., die erforderlichen Mittel im Wege des Kredits flüssig zu machen, wobei häufig ein Mindestsatz für die Tilgung vor­ geschrieben wird. Die Aufnahme schwebender Schulden wird durch das HaushaltsG. bestimmt. Im übrigen ist für die Aufnahme von Anleihen die Staatsschuldenordnung vom 12. 3. 1924 (GS. 132) maßgebend, nach der die Ausstellung der Schuldverschreibungen und Schatzanweisungen nebst den dazu gehörigen Zins-, Renten- und Er­ neuerungsscheinen durch die Staatsschuldenver­ waltung zu erfolgen hat. Wann, in welchen Be­ trägen und unter welchen Bedingungen Schuld­ verschreibungen oder Schatzanweisungen aus­ zugeben sind, bestimmt der FM., soweit nicht das KreditG. Vorschriften darüber enthält. Für Schuldverbindlichkeiten kann er jedoch nur mit Zustimmung des StM. an Gegenständen, die zum Vermögen des Staates gehören, Sicher-

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heiten bestellen. Die Aufnahme von Anleihen kann auch durch Eintragung in das Staatsschuld­ buch (s. d.) erfolgen. Die größeren Anleihen des Staates werden ebenso wie größere Beträge von langfristigen verzinslichen Schahanweisungen regelmäßig an das unter Führung der Preußischen Staatsbank (Seehandlung; s. d.) stehende sog. Preußenkonsortium begeben, das sich aus den angesehensten deutschen Bankfirmen zusammen­ setzt. Bei den Verhandlungen mit dem Konsor­ tium wird die preußische Finanzverwaltung durch die Seehandlung vertreten. Kleinere Anleihen werden auch ohne Beteiligung eines Konsortiums für Rechnung der Finanzverwaltung durch die Seehandlung allein im Wege der öffentlichen Subskription immittelbar an die Zeichner begeben. Im engsten Zusammenhänge mit der Begebung der S. steht die Jnterventionstätigkeit, die die Seehandlung an der Börse auf dem Markte der preußischen Staatspapiere zur Kursregulierung ausübt. Das KonsolidationsG. vom 19. 12. 1869 ersetzte für die konsolidierte Schuld die Zwangs­ tilgung durch das freie Tilgungssystem. Die Tilgung sollte nur erfolgen, „sobald oder soweit etatmäßige Überschüsse der Staatseinnahmen über die Staatsausgaben sich ergeben, und soweit über dieselben im Staatshaushaltetat nicht ander­ weit verfügt würde". Die freie Tilgung an Stelle der alten starren Tilgungspläne hatte bei dem raschen Anwachsen der Staatsschulden mancherlei Bedenken erregt. Die Sicherung der fortlaufen­ den Tilgung der neuen Eisenbahnschulden sollte zunächst durch das sog. EisenbahngarantieG. vom 27. 3. 1882 erreicht werden, nach dem die über die Verzinsung des Anlagekapitals der Staats­ bahnen hinausgehenden Überschüsse aus der Staatsbahnverwaltung in erster Linie zur Tilgung der Eisenbahnschulden verwendet werden sollten. Dieses G. hat aber sein Ziel nicht erreicht, es wurde daher schon 1884 zwischen Reg. und LT. eine Vereinbarung, allerdings ohne Gesetzeskraft, getroffen, wonach in den jährlichen Etat unter die fortdauernden Ausgaben neben den immer geringer werdenden planmäßigen Tilgungs­ beträgen als außerordentliche Tilgung jährlich ein bestimmter Posten eingestellt werden sollte. Erst das G-, betr. die Tilgung von Staatsschulden, vom 8. 3. 1897 (GS. 43) ist zur Zwangstilgung zurückgekehrt. Es sind in jedem Etatjahr min­ destens 3/s% der sich jeweils nach dem Staats­ haushaltetat ergebenden Staatskapitalschuld zu tilgen. In die 3/5% wird eingerechnet die plan­ mäßige oder durch besondere G. vorgeschriebene Tilgung von Staatsschulden. Neben dieser ordent­ lichen Tilgung von 3/5% schreibt das G. eine außerordentliche, mit der gesamten, sich nach den Jahresrechnungen ergebenden Überschüssen des Staatshaushalts vor. Eine Verrechnung auf be­ willigte Anleihen ist einer Tilgung gleichzuachten. In dem letzten Etatjahre vor dem Kriege z. B. wurden für die gesamte Tilgung 61,31 Mill. X verwendet, während 59,41 Mill.X gesetzlich vorge­ schrieben waren; es wurden hiervon 13,56 Mill. X zur Einlösung und zum Ankauf von Schuld­ verschreibungen verwendet, während 47,75 Mill. X auf offene Kredite verrechnet wurden. Bei den seit der Stabilisierung bis Ende 1926 aufgenom­ menen Anleihen ist eine l,9%ige Tilgung in den AnleiheG. vorgeschrieben, womit jedoch eine ver41*

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Staatsanwaltschaft

traglich höhere Tilgung nicht ausgeschlossen ist. Bei der Ausländsanleihe von 20 Mill. Dollar vom Jahre 1926 sind 5 Jahre tilgungsfrei, als­ dann sind in den nächsten 20 Jahren 50% in festen Annuitäten zu tilgen, während die restlichen 60% am Schlüsse der Laufzeit der Anleihe im Jahre 1951 zu tilgen sind. Die Tilgung der Schuldverschreibungen erfolgt allgemein durch freihändigen Ankauf am Markte oder durch Aus­ losung bzw. Kündigung. Die Verwaltung der preußischen Staats­ schuld wird auf Grund der preußischen Staats­ schuldenordnung vom 12. 3. 1924 (GS. 132) von der Reichsschuldenverwaltung unter dem Namen „Preußische Staatsschuldenverwaltung" (s. d.) geführt. Die fortlaufende Aufsicht über alle der Staatsschuldenverwaltung mit selbständiger un­ bedingter Verantwortlichkeit übertragenen Ge­ schäfte wird durch den Staatsschuldenausschuß ausgeübt. No. Richter, Das preußische Staatsschuldenwesen und die preußischen Staatspapiere, Breslau 1869; v. Hoff­ mann, Die preußische Hauptverwaltung der Staats­ schulden vom Jahre 1820—1895, Berlin 1895; (Sattler, Das Schuldenwesen des preußischen Staates und des Deutschen Reichs, Stuttgart 1893; v.H e ckel, Die neuere Entwicklung der preußischen Staatsschulden, Bankarchiv 1911; Moll, Die preußische Hauptverwaltung der Staatsschulden 1820—1920, Berlin 1920; Berichte der Staatsschuldenkommission über die Verwaltung des Staats­ schuldenwesens.

Staatsanwaltschaft. I. Bei jedem Gerichte soll eine S. bestehen. Ihr Amt wird ausgeübt 1. bei dem RG. durch einen Oberreichsanwalt und mehrere Reichsanwälte; 2. bei den OLG., den LG. und den Schwurgerichten durch einen oder mehrere Staatsanwälte; 3. bei den Amtsgerichten und den Schöffengerichten durch einen oder meh­ rere Staatsanwälte oder Amtsanwälte (§ 142 GVG.). Besteht die S. eines Gerichts aus meh­ reren Beamten, so handeln die dem ersten Be­ amten beigeordneten Personen als dessen Ver­ treter (§ 144). Die ersten Beamten der S. bei den OLG. und den LG. sind befugt, bei allen Gerichten ihres Bezirks die Amtsvemchtungeil der S. selbst zu übernehmen oder mit deren Wahrnehmung einen anderen als den zunächst zuständigen Beamten zu beauftragen. Die S. ist in ihren Amtsverrichtungen von den Gerichten unabhängig. Die Staatsanwälte dürfen richter­ liche Geschäfte nicht wahrnehmen. Auch darf ihnen eine Dienstaufsicht über die Richter nicht übertragen werden. Ihnen fehlt in ihren dienst­ lichen Verrichtungen die Unabhängigkeit des rich­ terlichen Amtes. Nach § 146 GVG. haben viel­ mehr die Beamten der S. den dienstlichen An­ weisungen ihrer Vorgesetzten nachzukommen, in denjenigen Sachen, für welche das RG. in erster und letzter Instanz zuständig ist, auch den An­ weisungen des Oberreichsanwalts. Mit der einst­ weiligen Wahrnehmung von Geschäften der S. bei den OLG. und den LG. können nur zum Richteramte befähigte Personen beauftragt wer­ den (§§ 66, 67 AGGVG.). Wegen des Rechts der Aufsicht und Leitung s. § 147 GVG. und § 78 AGGVG. i. d. F. vom 14. 2.1923 (GS. 42). II. Die örtliche Zuständigkeit der Be­ amten der S. entspricht der des Gerichts, für welches sie bestellt sind. Ein unzuständiger Be­ amter der S. hat sich bei Gefahr im Verzüge den innerhalb seines Bezirks vorzunehmenden Amts­

handlungen zu unterziehen. Die sachliche Zu­ ständigkeit erstreckt sich: A. vor allem auf die Strafsachen (Strafverfolgung und Strafvoll­ streckung). Für diese hat die S. zunächst das sog. Anklagemonopol (vgl. jedoch in Steuerstrafsachen § 424 StPO, und § 437 AO. und in Privatklage­ sachen §§ 374f. StPO.). Sodann erfolgt die Strafvollstreckung in allen denjenigen Sachen, in welchen nicht der Amtsrichter, das Jugendgericht oder das RG. in erster Instanz erkannt hat, durch die S. des LG. (§ 451 StPO., Allg. Vf. vom 20. 7. 1925, JMBl. 265). Die S. entscheidet ferner über Strafaufschub, Strafteilung und Strafunterbrechung (s. Begnadigung IV). Die technische Durchführung des Strafvollzugs nach Einlieferung in die Gefangenanstalt ist beson­ deren Strafvollzugsbehörden übertragen. Das nach der V. vom 8. 3. 26 (RGBl. I 157) und AussV. vom 14. 4. 1926 (JMBl. 138) über die rechtskräftigen Verurteilungen in Strafsachen zu führende Strafregister ist bei den S. der LG. für die in ihrem Bezirk geborenen Personen durch einen Justizobersekretär zu führen. Die BeBehörden und Stellen, denen Mitteilung über den Inhalt der Strafregister zu erteilen ist, sind im JMBl. 1925, 152 veröffentlicht. B. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten hat die S. mitzuwirken 1. in Ehesachen (§§ 607, 632, 634 ZPO.); 2. in Rechtsstreiligkeiten, welche die Fest­ stellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Eltern- oder Kindesverhältnisses zum Gegenstände haben (§§ 640, 641, 607 ZPO.); 3. in Entmün­ digungssachen (§§ 646, 652, 656, 659, 663, 664, 666, 675, 678, 679, 680 Abs. 4, 684 Abs. 3, 686 Abs. 3 ZPO.; Allg. Vf. vom 28. 11. 1899, JMBl. 388); 4. in Todeserklärungssachen (§ 974 Abs. 2 ZPO.); 5. nach § 7 des G. vom 5. 4. 1909 zur Ausführung des Abkommens über den Zivil­ prozeß vom 17. 7. 1905 (RGBl. 1909, 430) und der AusfV. zum deutsch-polnischen Vertrage über den Rechtsverkehr vom 29. 4. 1926 (RGBl. II 249). C. In den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat die S. nur wenige einzelne Obliegenheiten, so z. B. die Be­ nachrichtigung des Jugendamts und des Vor­ mundschaftsgerichts von den zu ihrer amtlichen Kenntnis gelangenden Fällen, in denen Minder­ jährige unter 20 Jahren der Verwahrlosung ver­ fallen oder einer im strafunmündigen Alter be­ gangenen strafbaren Handlung verdächtig sind. Die S. hat ein Beschwerderecht gegen die Ge­ nehmigung der Entlassung von Minderjährigen aus der Staatsangehörigkeit seitens des Vor­ mundschaftsgerichts (§ 19 Abs. 1 des G. vom 22.7.1913, RGBl. 583; Allg. Vf. vom 1.10. 1917, JMBl. 325). D. Die S. hat endlich noch eine Zuständigkeit in Angelegenheiten, für welche besondere Gerichte zugelassen sind, in Disziplinarsachen, in bezug auf die Rechtsanwalt­ schaft und in Angelegenheiten der Justizverwal­ tung. III. Die ersten Beamten der S. bei den Oberlandesgerichten und dem LG. I Berlin führen den Amtstitel Generalstaatsanwalt, die ersten Beamten der S. bei den Landgerichten den Amtstitel Oberstaatsanwalt, die übrigen Be­ amten der S. bei den OLG. den Amtstitel Ober­ staatsanwalt bzw. Erster Staatsanwalt, bei den LG. den Amtstitel Erster Staatsanwalt oder

Staatsanzeiger — Staatsbauten

Staatsanwaltschaftsrat; die Abteilungsleiter bei dem LG. I Berlin sind Oberstaatsanwälte, ebenso der Leiter der Amtsanwaltschaft bei dem Amts­ gericht Berlin-Mitte, über die Unterzeichnung von Vf. und Schriftstücken sind besondere Be­ stimmungen getroffen. Der Oberreichsanwalt und die Neichsanwälte werden aus Vorschlag des RR. vom Reichspr., die übrigen Staatsanwälte vom JuM. namens des StM. ernannt. Der Oberreichs­ anwalt, die Reichsanwälte, die General-, Ober­ staatsanwälte und die Staatsanwälte sind nicht­ richterliche Beamte. Sie unterliegen daher hin­ sichtlich der Disziplin, der Versetzbarkeit usw. den für die übrigen Reichs- und Staatsbeamten gel­ tenden Vorschriften. Zu den Ämtern derselben können nur zum Richteramte befähigte Beamte ernannt werden (§ 148 GVG.; § 61 AGGBG). Der Oberreichsanwalt und die Reichsanwälte können durch Vf. des Reichspr., Beamte der S. bei den übrigen Gerichten durch Vf. des StM. jederzeit mit Gewährung des gesetzlichen Warte­ geldes einstweilig in den Ruhestand versetzt wer­ den (§ 149 Abs. 2 GVG.; V. vom 26. 2. 1919, GS. S. 33, 56). IV. Die Bureaubeamten der S. sind Justizobersekretäre (Inspektoren, Oberinspek­ toren), Justizsekretäre und Justizbureauassistenten. Für sie gelten die gleichen Grundsätze, wie für die Bureaubeamten der Gerichte. Ein Teil der Geschäfte der S. ist ihnen als Rechtspfleger über­ tragen (V. vom 28. 5. 1923, JMB. 401, i. d. F. vom 19. 7. 1924, JMBl. 281; vgl. auch JMBl. 1925 S. 50, 275,286, 426; 1926 S. 155,159). Die Bureaubea mten sind zum Entwurf von Vs. usw. verpflichtet (Allg. Vs. vom 9.11. 1910 i. d. F. vom 9. 4. 1924, JMBl. 156). Wegen Entlastung der Bureaubeamten durch Justizbureauassistenten, Kanzleibeamte und -angestellte vgl. Allg. Vf. vom 9. 4. 1924 (JMBl. 156). Die Geschäftsordnung für die Sekretariate der S. vom 12. 11. 1906 (JMBl. 484) in der ab 1.1.1926 geltenden Form ist im R. v. Deckerschen Verlag erschienen. Bt. StaatSanzeiger s. Reichsanzeiger. Staatsarchive. Ursprünglich mit dem Kgl. Hausarchiv verbunden, sind die S. mittels landes­ herrlichem Erl. vom 20. 3.1852 von ersterem ab­ getrennt und dem Präsidenten des StM. unter­ stellt worden. Sie unterstehen jetzt der Aufsicht des Ministerpräsidenten als des Chefs der Archiv­ verwaltung und der Leitung des Generaldirektors der S. Es bestehen Provinzialarchive in sämt­ lichen Provinzial-Hauptstädten, mit Ausnahme der Prov. Hessen-Nassau, und außerdem in Osna­ brück, Aurich, Marburg, Wiesbaden, Wetzlar und Sigmaringen. Für Brandenburg ist das Geheime S. zugleich Provinzialarchiv. Für die Benutzung der Provinzialarchive ist das Reglement vom 28. 5. 1856 (MBl. 177), ergänzt durch den Erl. vom 23. 5. 1857 (MBl. 121), ergangen. Außer­ dem kommt die Dienstanweisung für die Beamten der S. in den Provinzen vom 21.1.1904 (MBl. 34) in Betracht. Lt. StaatSbauten sind diejenigen Bauten, welche der Staat ausführt. Zu den S. werden nach Maß­ gabe der ergangenen Bestimmungen auch Jnteressentenbauten, das heißt solche Bauten ge­ rechnet, bei denen der Staat mit Zuschüssen be­ teiligt ist. S. sind in erster Linie Hoch- oder Wasser­ bauten. Wegebauten werden hauptsächlich von

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den Gemeindeverbänden und Gemeinden, Eisen­ bahnbauten von der deutschen Reichsbahngesell­ schaft, Reichswasserstraßenbauten vom Reiche (RVM.) ausgesührt. I. Die Bearbeitung der staatlichen Bauange­ legenheiten, insbesondere die Vorbereitung der­ selben, liegt den Ortsbaubeamten der Hochbau­ verwaltung, der Wasserbauverwaltung und der Landwirtschaftlichen Wasserbauverwaltung ob. Den Baubeamten der Hochbauverwaltung unter­ stehen auch die Hochbauten der anderen Verwal­ tungszweige mit Ausnahme derjenigen der Wasserbauverwaltungen. Die Mitwirkung der Baubeamten der Hochbauverwaltung erstreckt sich auch auf Bauten staatlichen Patronats, auf Stiftsbauten sowie auf alle Kirchen-, Pfarr- und Schulbauten, zu denen aus Staatsmitteln Bei­ hilfen gewährt werden. Die bauamtliche Mit­ wirkung hat in der Regel nur einzutreten, wenn die vom Staate aufzuwendenden Kosten 500 RM nicht übersteigen. Wenn jedoch bauliche Ände­ rungen in Frage kommen, welche die Bauart der Gebäude berühren, so unterliegen solche ohne Rücksicht auf die Kostenhöhe der Vorprüfung, Be­ aufsichtigung und Abnahme durch den Ortsbau­ beamten. Die staatlichen Gebäude sind zur Fest­ stellung der erforderlichen Instandsetzungen in regelmäßigen Zeitabschnitten zu untersuchen (vgl. Erl. vom 9. 5. 1925, BVZBl. 248, im übrigen Abschn. 10 der Dienstanw. für die Ortsbau­ beamten der Hochbauverwaltung vom 1.12.1910, Verlag von W. Ernst & Sohn, Berlin). Wegen der Bauart der Staatsgebäude mit Rücksicht auf Verkehrs- und Feuersicherheit vgl. Best, vom 19. 9. 1910, BVZBl. 545 und vom 12. 3. 1925, BVZBl. 159. Hinsichtlich der Veranschlagung der Baukosten s. Kostenanschläge. Wegen der Mitwirkung der Ortsbaubeamten der Wasserbau­ verwaltung bei Jnteressentenbauten, d. h. Bauten, bei denen die Interessenten allein oder unter Be­ teiligung des Staates die Kosten tragen, vgl. Allg. Bf. Nr. 5 der Wasserbauverwaltung, Ab­ schnitt XV, Abs. 3 und Abschn. XXIII Abs. 1 am Schlüsse. Die Mitwirkung der Ortsbaubeam­ ten der Landwirtschaftlichen Wasserbauverwal­ tung bei Jnteressentenbauten ist durch Erl. des MfL. vom 23. 6. 1922, IBIIb 3925 und vom 1. 6. 1923, IBIIb 10961 geregelt. II. Die zu den Bauten der drei Bauverwal­ tungszweige erforderlichen Geldmittel werden ge­ wöhnlich durch den Etat, gelegentlich und zwar insonderheit bei den Wasserbauverwaltungen durch besonderes G. bewilligt. In der Regel werden bereitgestellt die Mittel 1. für Neubauten unb Hauptinstandsetzungen von Dienstgebäuden bis zum Betrage von 15000 RM, sowie der sonstigen Neu- und Jnstandsetzungsbauten bis zum Be­ trage von 30 000 RM durch den ordentlichen Haus­ halt (bei den Unterhaltungsfonds); 2. für um­ fangreichere Bauten und Beschaffungen durch den außerordentlichen Haushalt; 3. für Bauten von besonderer Bedeutung und außergewöhnlicher Kostenhöhe durch AnleiheG. (vgl. Allg. Vf. Nr. 4 für die Wasserbauverwaltung). Die Abgrenzung zwischen den Bauten nach 2 und 3 ist fließend und von der jeweiligen finanziellen Lage des Staates abhängig. Die im Staatshaushalt vorgesehenen Summen werden den Provinzialbehörden durch die Kassenetats oder durch besondere Überweisung

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Staatsbeihilfen für private mit tlere Schulen — Staatsgebiet

zur Verfügung gestellt. Die Verwendung der tragschließenden Arbeitnehmervereinigungen fest­ Fonds zu öffentlichen Bauten und Anlagen hat gestellt. Der den Arbeitern gewährte Lohn ist gemäß § 20 Abs. 5 der Reg.-Jnstr. vom 23.10.1817 abgestuft nach dem Lebensalter, der Beschäf­ haushälterisch, unter Vermeidung aller über­ tigungsart, dem Beschäftigungsort und zum Teil flüssigen und unnötigen Ausgaben zu erfolgen. nach der Beschäftigungsdauer und ist entweder Mer die wirtschaftliche Verwendung der Bau­ Stunden- oder Wochen- oder Monatslohn. Prä­ mittel und die Vermeidung jeglichen Aufwandes mien- und Gedingeverfahren zur Feststellung des bei der Herstellung und Ausstattung staatlicher Lohnes können im Interesse größtmöglicher Bauanlagen sind durch Erl. vom 1. 8. 1908 Wirtschaftlichkeit eingeführt werden. Die Lohnzah­ (MBl. 169) nähere Bestimmungen getroffen. lung an die Arbeiter erfolgt durch Baukassen, Nach § 48 der Reg.-Jnstr. hat der Regierungs­ die vielfach den staatlichen Kreis,- Forst- usw. baurat (jetzt Oberregierungs- und -baurat oder Kassen angegliedert sind. Die formelle Behand­ Regierungs- und Baurat) die Aufsicht über das lung des Kassen- und Rechnungswesens bei den gesamte Bauwesen (seiner Fachrichtung) im Reg- auf Rechnung des Staates auszuführenden Hoch­ Bez. zu führen und für die tüchtige und zweck­ bauten ist durch die Allg. Vf. vom 28. 3. 1910 mäßige Ausführung der öffentlichen Bauten unter (MBl. 120) geregelt, während für die staatlichen möglichster Kostenersparung Sorge zu tragen. Wasserbauten die Allg. Vf. Nr. 13 der Wasserbau­ Für den Bereich der Strombauverwaltungen, verwaltung ergangen ist. Br. Wasserbau- und Wasserstraßendirektionen liegt Staatsbeihilfen für private mittlere Schulen dem Strom- bzw. Wasserbaudirektor die Aufgabe s. Privatschulen A. des Regierungsbaurats ob (Allg. Vf. vom 22. 1. Staatsbetriebe. Für S. gelten in bezug auf 1889, MBl. 24). Zur Leitung umfangreicher die Versicherungsgesetzgebung im wesentlichen Bauausführungen werden dem Ortsbaubeamten dieselben Vorschriften wie für Reichsbetriebe Negierungsbauräte, Negierungsbaumeister, Re­ (s. d.). Uber die Wahrnehmung der Befugnisse gierungsbauführer und technische Bureaubeamte und Obliegenheiten der Polizeibehörden, der zugeteilt, auch besondere Baubureaus oder Bau­ höheren Verwaltungsbehörden und unteren Ver­ abteilungeneingerichtet. Im Bereiche der Wasser­ waltungsbehörden im Rahmen des Tit. VII der bauverwaltung werden zur Vorbereitung und GewO, sind in dem Erl. vom 2. 4. 1892 (MBl. Durchführung größerer Bauvorhaben Vorarbei­ 139) sowie in den Erl. vom 25. 5. und 15. 6. 1892 ten-, Neubau-, Kanalbau- usw. Ämter einge­ (MBl. 230), vom 16. 5. 1898 (MBl. 125), vom 12. 8. 1907 (HMBl. 326) und vom 24. 6. richtet. III. Die Entwürfe für S., soweit sie Hoch­ 1924 (HMBl. 193) nähere Bestimmungen ge­ bauten betreffen, sind, sobald die Bauausführung troffen. F. H. gesichert ist, unverzüglich der Baupolizeibehörde Staatsbürgerliche Rechte s. Grundrechte. vorzulegen (Dienstanw. von 1910 §174). Die StaatSforsten s. Domänen sowie Forsten. ortsgültigen baupolizeilichen Vorschriften sowie Staatsforstverwaltrmg, Geschäftsjahr. Die St. die von den Baugewerksberufsgenossenschaften er­ unterscheidet für ihre Buchführung und für die lassenen Unfallverhütungsvorschriften sind auch Verrechnung der Forsterzeugnisse zwei verschie­ für fiskalische Bauten — des Staates wie des dene Geschäftsjahre; das Rechnungsjahr und Reiches — maßgebend, sofern nicht die örtlich das Forstwirtschastsjahr. Das Rechnungsjahr maßgebende Bauordnung (vgl. Bauten I) Aus­ läuft vom 1. April bis 31. März und das Forst­ wirtschaftsjahr, eingeführt durch Erl. d. FM. vom nahmen gestattet. IV. Die Ausführung der Bauten wird in 19. 4.1831, vom 1. Oktober bis 30. September. der Regel nach den verschiedenen Gewerbs- und Nach dem Forstwirtschaftsjahr werden alle Handwerkszweigen verdungen. In der Wasser­ wesentlichen sächlichen Betriebsausgaben ver­ bauverwaltung erfolgt die Ausführung jedoch rechnet, z. B. die Ausgaben für den Holzein­ vielfach im Eigenbetriebe der Verwaltung (in schlag und die Forstkulturen, während die Ein­ Regie), namentlich bei Arbeiten, die sich bei der nahmen aus dem Holzverkauf und dem Verkauf Ausführung durch Unternehmer nicht genug über­ der sonstigen Forsterzeugnisse nach dem Rech­ wachen lassen oder mit einem Risiko verbunden nungsjahre verrechnet werden. Demgemäß be­ sind, dessen Höhe von vornherein schwer zu über­ ginnt das Forstwirtschastsjahr immer 6 Monate sehen ist. Im allgemeinen gehören zu diesen vor dem Rechnungsjahr gleicher Benennung, Bauten die Unterhaltung von Strombauwerken, also das Forstwirtschaftsjahr 1927 umfaßt den des Fahrwassers sowie sonstige Arbeiten, für die Zeitraum vom 1. Oktober 1926 bis 30. September zu jeder Zeit ein geübter Stamm von Arbeitern 1927, während das Rechnungsjahr 1927 vom Ger. zur Verfügung stehen muß, wie dies namentlich 1. April 1927 bis 31. März 1928 läuft. Staatsgebiet. I. Geschichtliche Entwick­ bei Baggerungen und dem eng mit ihnen ver­ bundenen Bauhofsbetriebe sowie bei Neu- und lung. St. ist die reale Grundlage des Staates, Unterhaltungsbauten an der offenen See der Fall der räumliche Bereich, innerhalb dessen und auf ist. Falls die Bauten im Eigenbetriebe ausgeführt welchem der Staat seine Herrschaft ausübt. Eine werden, so erfolgt die Regelung der Arbeits- und Umgrenzung ^>es St. ist in der VU. nicht ent­ Lohnverhältnisse zwischen der bauausführenden halten. Mittelbar ist seine gesetzliche Feststellung Verwaltung und den Arbeitern durch zwischen dadurch gegeben, daß nach Art. 1 der VU. vom den zuständigen Ministerien und den beteiligten 31. 1. 1850 das St. als durch alle Landesteile Arbeitnehmerverbänden vereinbarte Tarifver­ der Monarchie in ihrem damaligen Umfange ge­ träge. Bei den Streckenunterhaltungsarbeitern bildet bezeichnet worden ist, und daß alle seit der Wasserbauverwaltung wird der Lohn zwischen Inkrafttreten dieser VU. während der Gültig­ der zuständigen Provinzialbehörde und den ört­ keit derselben erfolgten Veränderungen gemäß lich maßgebenden Bezirksvertretungen der ver- Art. 2 a. a. O. durch besondere G. veröffentlicht

Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich

sind. Danach sind dem St. nach Erlaß der VU. vom 31.1.1850 bis zur Revolution hinzugetreten: 1. die Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen (G. vom 12. 3. 1850, GS. 289); 2. das Jadegebiet (G. vom 23. 3. 1873, GS. 119); 3. das Königreich Hannover, das Kur­ fürstentum Hessen, das Herzogtum Nassau und die freie Stadt Frankfurt a. M. (G. vom 20. 9. 1866, GS. 555); 4. die Herzogtümer Schleswig und Holstein (G. vom 24. 12. 1866, GS. 875); 5. verschiedene vormals bayr. und großh. Hess. Gebietsteile (G. vom 24. 12. 1866, GS. 876); 6. das Herzogtum Lauenburg (G. vom 23. 6. 1876, GS. 169); 7. die Insel Helgoland (G. vom 18. 2. 1891, GS. 11); außerdem sind unbedeutendere Gebietsveränderungen, auf die Art. 2 VU. ebenfalls Anwendung findet (vgl. u. a. GS. 1869, 540 und 1873, 119), durch eine Anzahl von Grenzregulierungs- und ähnlichen Rezessen erfolgt, bei welchen auch die Mehrzahl der bis dahin bestandenen gemeinschaftlichen Herrschaftsverhältnisse mit anderen Staaten (sog. Kondominate) zur Erledigung gekommen ist. Auf Grund des Versailler Vertrags sind folgende Preuß. Gebietsteile — ohne besonderes preuß. G., das auch nach der früheren RB. bei Friedens­ schlüssen nicht nötig gewesen wäre — abgetreten worden: 1. an Polen 4614239,93 ha (nämlich aus den Prov. Ostpreußen 50137,58, West­ preußen 1586450,22, Posen 2604184,35, Ober­ schlesien 321342,08, Niederschlesien 51156,28, Pommern 964,22 und Brandenburg 5,20 ha), 2. an das Memelgebiet (Litauen) 265666,85 ha aus Ostpreußen, 3. an Danzig 191421,54 ha aus Westpreußen, 4. an Dänemark 399269,38 ha aus Schleswig-Holstein, 5. an Belgien 103 548,67 ha aus der Rheinprovinz, 6. an die Tschechoslowakei 31588,58 ha aus Oberschlesien. Der Gesamt­ verlust des preußischen St. betrag hiernach 5 605 734,95 ha, nach der Volkszählung vom 1. 12. 1910 mit 4 601636 Einwohnern (vgl. Preuß. Staatshandbuch 1927, 42). Bei der auf Grund der Sondervorschrift des Art. 167 Abs. 2 RV. in der Fassung des G. vom 27. 11. 1920 (RegBl. 1987) am 3. 9. 1922 erfolgten Abstim­ mung wurde die Bildung eines selbständigen Landes Oberschlesien aus den bei Preußen ver­ bliebenen oberschlesischen Gebietsteile abgelehnt. II. Veränderungen des St. im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts. 1. Gegenüber dem Äluslande. Nach Art. 78 RV. werden Ver­ einbarungen mit fremden Staaten über Grenz­ veränderungen nach Zustimmung des beteiligten Landes abgeschlossen und erfolgt die Grenzver­ änderung, soweit es sich nicht um eine bloße Grenz­ berichtigung in unbewohnten Gebietsteilen han­ delt, durch Reichsgesetz (s. Reichsgebiet II). Die gedachte Zustimmung muß nach Art. 1 VU. in der Form eines Gesetzes geschehen. Der Fall, daß diese Zustimmung versagt wird, ist weder in der RB. noch in der VU. vorgesehen. Einer Zu­ stimmung bedarf es nicht, wenn die Grenzver­ änderung den Bestandteil eines Friedensvertrags bildet, da dessen Abschluß nach Art. 45 Abs. 2 RV. durch einfaches ReichsG. geschieht. 2. Innerhalb des Deutschen Reiches (s. Reichs­ gebiet III). Der gemäß Art. 18 RV. als Volks­ begehren gestellte Antrag auf Bildung eines selb­ ständigen Landes Hannover ist bei der am 18. 5.

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1924 vorgenommenen Borabstimmung abgelehnt worden. Gemäß Art. 18 Abs. 2 RV. ist unter Zustimmung der Länder Preußen und WaldeckPyrmont der Gebietsteil Pyrmont durch ReichsG. vom 24. 3. 1922 (RGBl. 1281) in Preußen einverleibt worden; das preuß. G. vom 22.2.1922 (GS. 37) hatte für diesen Fall bereits die not­ wendige landesgesetzliche Regelung (Zuteilung zum Kreise Hameln, Inkraftsetzung der preuß, G. usw.) getroffen (s. auch bei Waldeck). Ly. Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich. Er ist gemäß Art. 108 RV. durch G. vom 9. 7. 1921 (RGBl. 905) ins Leben gerufen; er ist weder Strafinstanz noch Ausnahmegericht, sondern ein Verfassungsgericht, vor dem bestimmte staats­ rechtliche Streitsachen streitig verhandelt und richterlich entschieden werden (Giese, RV. zu Art. 108). In Wirklichkeit handelt es sich um zwei, nach der Art der Zuständigkeit unterschiedene, aber nach einheitlichen Gesichtspunkten gebildete und im gleichen Verfahren entscheidende Gerichts­ höfe. Diese getrennten Aufgaben sind: A. Die Entscheidung über die vom RT. gemäß Art. 59 RV. gegen den Reichspr., den RK. oder einen Reichsminister erhobene Anklage wegen schuldhafter Verletzung der RV. oder eines ReichsG. Der Antrag auf Anklageerhebung muß von mindestens 100 Mitgliedern des RT. unterzeichnet sein und bedarf der Zustimmung der für Ver­ fassungsänderungen (nach Art. 76 RV.) erforder­ lichen Mehrheit, d. h. der Anwesenheit von min­ destens zwei Drittel der gesetzlichen Mitglieder­ zahl und der Zustimmung von mindestens zwei Drittel der Anwesenden (also im ganzen der Zu­ stimmung von vier Neuntel der gesetzlichen Mit­ gliederzahl). Für diesen Zweck wird der S. beim NG. gebildet und besteht aus dem Präsidenten des­ selben, je einem Mitgliede des PrOVG., des Bayerischen und des Hanseatischen obersten Land­ gerichts einem Rechtsanwalt und zehn weiteren, mit ebensoviel Stellvertretern nach dem Zu­ sammentritt jedes neuen RT. je zur Hälfte von diesem und dem NR. gewählten Mitgliedern. Die­ selben müssen deutsche Reichsangehörige und min­ destens 30Jahre alt sein und dürfen nicht demRT., RR., Reichswirtschaftsrat, einem Landtage, einem Staatsrate, der Reichsregierung oder einer Lan­ desregierung angehören. Der Neichstagspräsident hat die Anklageschrift, welche die angeblich verletzte Rechtsnorm und die anklagebegründen­ den Tatsachen bezeichnen muß, dem Präsidenten des S. zu übersenden. Den Anklagevertreter er­ nennt der RT. Im übrigen entspricht das Ver­ fahren demjenigen der StPO. Das zu ver­ öffentlichende Urteil kann den Angeklagten seines Amtes für verlustig erklären. Eine etwaige Be­ gnadigung bedarf der Zustimmung des RT. (§ 13 des G. vom 9. 7. 1921). Auf Grund eines LandesG. kann dem S. auch die Entscheidung über gleichartige Anklagen gegen den Staats­ präsidenten oder gegen ein parlamentarisch ver­ antwortliches Mitglied einer Landesregierung übertragen werden. B. Der S. ist ferner zur Ent­ scheidung über Verfassungsstreitsachen fol­ gender Art berufen (Art. 15, 18, 19, 81, 170, 171 RV.): 1. Meinungsverschiedenheiten wegen Ausführung der ReichsG. zwischen Reich und Ländern (Art. 15 RV.; s. ReichsG., Ausführung); 2. vermögensrechtliche Auseinandersetzung bei

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Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik — Staatslotterie

Vereinigung oder Neubildung von Ländern; 3. Verfassungsstreitigkeiten in den Ländern, in welchen kein Gericht zu deren Entscheidung be­ steht, und Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen den Ländern oder zwischen dem Reich und einem Lande (Art. 19 RV.). In letzterer Be­ ziehung ist die Vorschrist weitgehender als die­ jenige des Art. 15 RV. (s. o.) und die durch Art. 13 RV. begründete Zuständigkeit des RG. zur theoretischen Entscheidung über Vereinbar­ keit des Landes- und Reichsrechts; 4. Umfang der aus das Reich mit den Eisenbahnen über­ gegangenen Staatshoheits- und Enteignungs­ rechte; Streitigkeiten über die Auslegung der ReichsbahnG. vom 30. 8. 1924 gehören nicht hierzu (Art. 90 RV.); 5. Vermögensrechtliche Auseinandersetzung wegen Übergangs der Eisen­ bahnen, der bayrischen und Württembergischen Postverwaltung, der Wasserstraßen und der See­ zeichen auf das Reich (Art. 170, 171 RV.); 6. Uber Meinungsverschiedenheiten, die bei Übereignung dieser oder ähnlicher Einrichtungen auf das Reich entstehen, wenn die Zuständigkeit des S. in den Staatsverträgen vorgesehen ist. In den Fällen zu 1 und 3 kann auch durch (ein­ faches) ReichsG. die Entscheidung einem anderen Gericht überttagen werden. Der S. wird in den Fällen 1—3 gebildet aus dem Präsidenten und drei Mitgliedern des Reichsverwaltungsgerichts (bis zu dessen Begründung durch den Präsidenten des RG. und je ein Mitglied des preußischen, bay­ rischen und sächsischen OVG.) und durch drei Mitglieder des RG., in den Fällen 4—6 durch den Präsidenten des Reichsverwaltungsgerichts (vorläufig des RG.), je ein Mitglied desselben (vorläufig des Pr.OVG.) und des RG. und durch vier, nebst ebensoviel Stellvertretern, je zur Hälfte vom RT. und RR. gewählte Mitglieder. Auf Antrag einer Partei muß mündliche Ver­ handlung stattfinden. Gegen die Entscheidung ist weder ein Rechtsmittel noch der Antrag auf Wiederaufnahme gegeben (Geschäftsordnung für den S. vom 20. 9. 1921, RGBl. 1535; Ver­ fahrensordnung ZBl. 1922, 61). Staatsgerichtshof für Preußen. Er ist nach Art. 58, 87 VU. zur Entscheidung über Ministeranklagen (s. Staatsministerium) und Verfassungsstreitigkeiten berufen. Da aber das in Art. 58 VU. in Aussicht gestellte besondere G. über seine Einrichtung noch nicht erlassen ist, hat die Vorschrift wegen der Ministeranklage vor­ läufig keine praktische Bedeutung, während für Verfassungsstreitigkeiten bis zum Erlaß des G. der S. für das Deutsche Reich zuständig ist. Ly. StaatSgerichtShof zum Schutz der Republik s. Republikschutzgesetz. StaatShandbuch, nach dem genauen Titel „Handbuch über den Preußischen Staat" ist eine alljährlich erscheinende, im Staatsministerium amtlich bearbeitete Zusammenstellung der Mit­ glieder des LT., StR., der staatlichen Behörden und Beamten, der gesetzlichen Berufsvertretungen, der Provinzial- (Bezirks-) Verwaltungen (nicht der Provinziallandtage) und der kirchlichen Be­ hörden. Ly. StaatSkommissar für Wohlfahrtspflege s. Sammlungen für Wohlfahrtszwecke. StaatSlotterie. I. S. ist eine Lotterie, die vom Staate veranstaltet wird;s. Lotterienl. S.sollen

eine Einnahmequelle für den Staat sein. Die Ein­ nahme des Staates besteht entweder in einer ge­ wöhnlich in Stempelform vom Lotteriespiel er­ hobenen Steuer oder in einem Abzug von den Ein­ sätzen, so daß nur der verbleibende Teil der Ein­ sätze als Spielkapital zur Ausspielung gelangt, oder endlich in einem Abzug von den Gewinnen, so daß nur ein Teil des Spielkapitals tatsächlich in den Gewinnen den Spielern wieder zugute kommt. Die letzte Art der Erhebung der Staats­ einnahme verdient den Vorzug, weil sie nur die Gewinner und nach dem Maßstabe ihrer Gewinne trifft. In Deutschland erhob früher das Reich von Staats- wie Privatlotterien eine Stempelabgabe, — seit dem G. vom 14. 6. 1900 (RGBl. 275) — 20% vom planmäßigen Preise der Lose abzüglich der Stempelabgabe, also, wenn letztere auf den Losepreis geschlagen ist, von 162/3% desselben. Die Stempelabgabe ist seit dem Rennwett- und LotterieG. vom 8. 4. 1922 (RGBl. 393) durch eine Reichssteuer von gleicher Höhe ersetzt worden (s. Lotterien 4). Die Einnahme der Lotterie­ staaten selbst, das sind jetzt außer Preußen nur noch Sachsen und Hamburg, besteht bei allen in einem prozentualen Gewinnabzug. Daß die Staaten sich mit der Veranstaltung von Glücks­ spielen befassen, wird damit gerechtfertigt, daß der Spieltrieb nun einmal unausrottbar sei und sich trotz aller Strafgesetze Befriedigung suche; deshalb sei es das richtigste, wenn der Staat unter Bestrafung bedenklicherer Wege der Befriedigung einen möglichst unbedenklichen selbst organisiere und zugleich dazu benutze, eine sonst durch Steuern der Allgemeinheit zu beschaffende Einnahme von den Spielern, die durch ihre Beteiligung am Spiel den Besitz für notwendige Bedürfnisse nicht erforderlicher Mittel, also ihre wirtschaft­ liche Leistungsfähigkeit bekunden, oder von den Gewinnern, deren wirtschaftliche Leistungs­ fähigkeit durch den Gewinn eine außergewöhn­ liche Steigerung erfährt, einzuziehen. Man kann daher die Einnahmen des Staates aus der S. als eine Art von Luxussteuer oder, wenn sie in Gewinnabzügen besteht, als Steuer von unverdientem Vermögenszuwachs bezeichnen; OVG. 33, 82 nennt sie „eine Form der Besteue­ rung durch Ausübung der Staatshoheit (Mono­ pol)". Der Aufgabe, ein möglichst unschädliches Mittel zur Befriedigung des Spieltriebes zu bieten, wird am besten gerecht eine die Anregung der Spielleidenschast durch Anpreisung usw. ver­ meidende Klassenlotterie mit verhältnismäßig hohen Einsätzen und möglichst vielen Gewinnen von mittlerer Höhe. Das Wesen der Klassen­ lotterie besteht darin, daß die Ausspielung in mehreren zeitlich getrennten Abschnitten (Klassen, Ziehungen) erfolgt, wobei die zahlreichsten und höchsten Gewinne erst in der letzten Klasse aus­ gespielt werden. Die Beteiligung an jeder Klasse setzt die Entrichtung des Einsatzes für diese und die Vorklassen, nur die Beteiligung an der letzten, also die Entrichtung des Gesamtpreises des Loses für alle Klassen voraus. Von diesem Gesamtpreis wird nämlich für jede Klasse nur eine bestimmte Quote erhoben, entweder für jede Klasse die gleiche (Preußen, Sachsen), oder für die einzelnen Klassen verschiedene (Hamburg). An jeder Klasse nehmen dieselben Losnummern, soweit sie nicht in den Vorklassen mit Gewinnen

Staatslotterie gezogen sind, teil. Der Spieler eines nicht gezogenen Vorklassenloses ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, zur nächsten Klasse gegen Zahlung des Einsatzes für diese ein (Erneuerungs-) Los derselben Nummer zu entnehmen. Die Beteili­ gung an einer späteren Klasse, ohne in der Vor­ klasse das Los gleicher Nummer gespielt zu haben, kann, soweit Lose verfügbar sind, durch Erwerb eines (Kauf-) Loses gegen Entrichtung nicht nur des Einsatzes für die abzuspielende, sondern auch für die abgespielten Klassen erfolgen. Auch in Preußen ist den Spielern, deren Lose bereits gezogen sind, die weitere Beteiligung an den fol­ genden Klassen nur noch in dieser Weise möglich. Die frühere Einrichtung der sog. „Freilose" be­ steht nicht mehr. Die Ziehung erfolgt in der Weise, daß vor derjenigen der ersten Klasse sämt­ liche Losnummern in ein Rad geschüttet werden, aus dem dann bei jeder Klassenziehung so viele Nummern gezogen werden, als die Klasse plan­ mäßig Gewinne zählt; die Höhe des Gewinnes angebende Zettel werden für jede Klasse in ein zweites Rad geschüttet und aus diesem, das somit am Ende jeder Klassenziehung leer ist, gezogen. Nimmt die S. einen so großen Umfang an, daß die Ziehung jedes einzelnen Gewinnes einen zu langen Zeitraum beanspruchen würde, so emp­ fiehlt sich das „Zweiseriensystem"; dasselbe be­ steht darin, daß die Gewinne jeder Höhe in einer durch 2 teilbaren Zahl ausgebracht werden und entweder die Lose in zwei Serien mit gleichen Nummern geteilt werden oder bei Durchnume­ rierung die korrespondierenden, d. h. durch die Hälfte der Gesamtzahl der Losnummern ge­ trennten Nummern dieselben Gewinne erhalten, also z. B. bei 400 000 Losen Nr. 1500 und 201 500, mithin in dem einen wie in dem anderen Fall mit jedem Nummerzettel zwei Gewinne gezogen werden. In derselben Weise läßt sich natürlich auch ein Drei- oder Mehrseriensystem durchführen. Eine andere Form der S., die noch in Österreich und Italien besteht, ist das Zahlen­ lotto. Bei diesem besetzt der Spieler eine oder mehrere Zahlen einer bestimmten Zahlenreihe, gewöhnlich 1 bis 90; von dieser Zahlenreihe werden eine bestimmte Anzahl Zahlen, gewöhnlich fünf, gezogen, und die auf diese Gewinnzahlen entfallenden Gewinne bestehen in einem Viel­ fachen des Einsatzes. Der Einsatz wird entweder absolut oder innerhalb eines gewissen Mindestund Höchstbetrags oder auch noch unter Fest­ setzung der zulässigen Abstufungen in das Be­ lieben des Spielers gestellt. Hierin und in der Niedrigkeit des geringsten zulässigen Einsatzes liegt besonders die Gefahr des Lottos. II. Nachdem 1703 in Preußen zuerst Klassen­ lotterien Eingang gefunden hatten, überließ der Staat die Veranstaltung von Lotterien Privaten und behielt sich nur deren Genehmigung und eine von Fall zu Fall bestimmte Abgabe für wohltätige Zwecke vor. 1763 wurden die Lotterien mono­ polisiert (so auch § 547 I 11; §§ 248ff. II 20 ALR.) und ein staatliches Zahlenlotto, 1767 daneben eine Klassenlotterie eingeführt; beide wurden verpachtet und erst 1794 (Lotterieedikt vom 20. 6.) in Eigenbetrieb genommen. Das Zahlenlotto wurde durch das zweite Lotterie­ edikt vom 28. 5. 1810 (GS. 712) abgeschafft; vorübergehend trat an seine Stelle eine „Quinen-

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lotterie", eine Art des Lottos, die aber bald be­ seitigt wurde. Die 1810 suspendierte Klassen­ lotterie trat 1813 wieder ins Leben. Einzige S. war die „Preußische Klassenlotterie" seit 1832. Zu ihrem Schutz wurde unterm 29. 7. 1885 ein Strafgesetz (GS. 317) gegen das Spiel und den Vertrieb von Losen nichtzugelassener Lotterien erlassen, das aber, weil es sich wegen der geringen Höhe der Strafen für den Losevertrieb und in­ folge der Anwendung des Ärundsatzes des fort­ gesetzten Deliktes als wirkungslos erwies, durch das G., betr. das Spielen in außerpreußischen Lotterien, vom 29. 8. 1904 (GS. 255) ersetzt ist; nach diesem sind die Strafen für den Vertrieb und das Anbieten von Losen nichtzugelassener Lotterien wesentlich erhöht, und es ist jede ein­ zelne Vertriebshandlung für eine besondere Straf­ tat erklärt. Die hierdurch bewirkte bzw. in Aus­ sicht stehende wirksame Ausschließung der bisher Preußen überschwemmenden fremden Lose hat alsbald dazu geführt, daß die anderen deutschen Lotteriestaaten an Preußen mit dem Wunsche nach Verhandlungen wegen einer Lotteriegemein­ schaft herantraten. Diese Verhandlungen haben zunächst mit Mecklenburg-Schwerin, Lübeck, den zur hessisch-thüringischen S. vereinigten Staaten Hessen, Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, SchwarzburgSondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß ältere Linie, Schaumburg-Lippe und Lippe sowie mit Braunschweig zum Abschluß der Staatsver­ träge vom 28. 11. 1904, 7. 12. 1904, 17. 6. 1905 und 18. 5. 1906 (GS. 1905 S. 199, 212; 1906 S. 134, 415) geführt. Nach diesen Verträgen haben diese Staaten ihre eigenen S. eingehen lassen und ihr Gebiet unter Einführung von den preußischen entsprechenden Strafbestimmun­ gen ausschließlich der preußischen S. geöffnet; hierfür sind ihnen von Preußen nachstehende Jahresraten zugesichert: Mecklenburg-Schwerin 400000 X, Lübeck 200000 X, den hessisch-thü­ ringischen Staaten in den ersten fünf Jahren 1630000 X, dann 163/m3 des einschließlich dieser Rente verbleibenden Überschusses der preußischen Lotterieverwaltung, aber höchstens 1630000 X, Braunschweig für die ersten fünf Jahre 475000 X, später ®/199 des einschließlich seiner Rente, also für Preußen und Braunschweig, verbleibenden, d. i. 9/190 des Preußen verbleibenden "Überschusses, aber nicht mehr als 450000 X. Unter gewissen Voraussetzungen erhöhen oder vermindern sich einzelne Renten. Weiter sind mit MecklenburgStrelitz, das zwar keine eigene S. besaß, von dem aus aber, weil es den Handel mit fremden Losen frei gestattete und dadurch zum Mittelpunkt eines Preußen mit Anpreisungen solcher Lose über­ schwemmenden Losehandels geworden war, die Wirksamkeit der preußischen Lotterie erschwert wurde, unterm 3. 12. 1904 (GS. 1905, 202), mit Reuß j. L., das bis 31. 12. 1906 an die säch­ sische Lotterie angeschlossen war, unterm 30. 5. 1905 (GS. 1906, 129), mit Oldenburg, das bei sich die hessisch-thüringische Lotterie zugelassen hatte, unterm 9. 12. 1905 (GS. 1906, 145), mit Bremen, das die braunschweigische und hambur­ gische Lotterie zugelassen hatte, unterm 18. 5. 1906 (GS. 424), mit Waldeck, wo bisher keine S. zugelassen war, unterm 22. 4. 1907 (GS. 1908, 1) Staatsverträge abgeschlossen, nach denen

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Staatslotterie

auch in diesen Staaten gegen Jahresrenten aus­ schließlich die preußische Lotterie zugelassen und durch Strafbestimmungen geschützt wird. Die Jahresrenten betragen für Mecklenburg-Strelitz 67000, für Reuß j. L. 65000, für Waldeck 15000 X, für Oldenburg für jedes von dort aus in beiden Lotterien des Jahres abgesetzte Los 40 X, mindestens aber 100000 X, für Bremen für jedes von dort aus in beiden Jahreslotterien abgesetzte Los bis zur Zahl von 2500 Losen 40 X, für jedes darüber hinaus abgesetzte 20 X. Die Verträge sind auf verschiedene Dauer abge­ schlossen, alle aber mit der Klausel des Fort­ laufens für einen bestimmten Zeitraum, wenn sie nicht gewisse längere Zeit zuvor gekündigt werden; in einzelnen ist die Zulässigkeit der Kündigung außerdem von bestimmten Voraussetzungen ab­ hängig gemacht. Die Bestrebungen nach Her­ stellung einer Lotteriegemeinschaft fanden ihren Abschluß mit dem zwischen Preußen und den drei süddeutschen Staaten vereinbarten Staatsvertrage vom 29. 7. 1911 (GS. 1912, 117), durch den sich Bayern, Württemberg und Baden der preußischen Klassenlotterie angeschlossen haben. Diese führt seitdem die Bezeichnung „PreußischSüddeutsche Klassenlotterie". Die süddeutschen Staaten verpflichten sich, für die Dauer des Ver­ trags für Rechnung ihrer Staatskassen weder eine eigene Lotterie einzurichten noch sich an einer anderen Lotterie zu beteiligen. Sie unterwerfen sich ferner im Interesse des Geschäftsganges der Preußisch-Süddeutschen Klassenlotterie für ihren Gebietsumfang gewissen Einschränkungen hin­ sichtlich der Genehmigung, Zulassung und Durch­ führung anderer öffentlicher Lotterien und über­ nehmen die Verpflichtung, einen mit den preußi­ schen Strafvorschriften im wesentlichen überein­ stimmenden Lotterieschutz zu schaffen. Für ihre Beteiligung an der Preußisch-Süddeutschen Klas­ senlotterie erhalten die süddeutschen Staaten einen Anteil am Ertrage. Dieser sollte in den ersten fünf Jahren der Vertragsdauer für Bayern 2215000 X, für Württemberg 785000 X und für Baden 690000 X betragen. Wegen der Herabsetzung der Anteile und ihrer Berechnung für die späteren Jahre siehe im einzelnen Art. 6 des Staatsvertrags vom 29. 7. 1911. Nach dem letzten Verwaltungsbericht der Preußischen Ge­ nerallotteriedirektion für das Geschäftsjahr 1926 haben in diesem die Bertragsstaaten nach Maßgabe der bestehenden Verträge Renten in folgender Höhe erhalten: Bayern 933191,84 RM, Würt­ temberg 482424, 62 RM, Baden 389253,66 RM, Hessen-Thüringen einschließlich des auf den früheren Staat Reuß j. L. entfallenden An­ teils 1725000 RM, Braunschweig 450000 RM, Bremen 96542,94 RM, Mecklenburg-Schwerin 169498,32RM, Mecklenburg-Strelitz38423,36RM, Lübeck 133012,16 RM, Oldenburg 105076,40 RM, Waldeck 15027,80 RM, Saargebiet 34404,63 RM, Danzig 19145,70RM, insgesamt 4591001,43 RM. Für den preußischen Staat ergab sich in dem glei­ chen Jahre als Geschäftsgewinn der Lotteriever­ waltung ein Reinertrag von 13963202,97 RM. Wegen einer Neuregelung der Lotteriegemein­ schaft mit den süddeutschen Staaten sind gegen­ wärtig Verhandlungen im Gange. Über die Vor­ geschichte, Tendenz und Inhalt der im einzelnen vielfache Verschiedenheiten aufweisenden und et­

was komplizierten Verträge sowie über die Not­ wendigkeit derartig verschiedener und verwickelter Regelung vgl.Strutz, „Die preußischen Lottericverträge" im Finanzarchiv (24.Jahrg. S. 449ff.). Mit den beiden der Preußisch-Süddeutschen Lotterie­ gemeinschaft nicht angehörenden Ländern Sachsen und Hamburg bestehen jetzt Abkommen, die Diese Länder verpflichten, nicht mehr als ein Fünftel bzw. ein Zehntel von der Anzahl der preußisch­ süddeutschen Lose auszugeben, wogegen den Ätterien auch dieser Länder in Preußen der Absatz unter Wahrung der Gegenseitigkeit gestattet ist. Nicht sowohl dem Absätze der S., den sie sogar erschwerten, als vielmehr dem Schutze des Publi­ kums gegen Ausbeutung und Anreiz zum Lotte­ riespiel dienten die G. vom 18. 8. 1891 (GS. 353) und 19. 4. 1894 (GS. 73), von denen jedes den Privathandel mit Losen der Staatslotterie, dieses den Handel mit geringeren als den genehmigten Anteilen oder Abschnitten von Losen zu Privat­ lotterien unter Strafe stellte. Beide G. sind später unter Erweiterung der strafrechtlichen Be­ stimmungen durch das G., betr. die Losgcsellschaften, die Veräußerung von Jnhaberpapieren mit Prämien und den Handel mit Lotteriewsen vom 19. 7. 1911 (GS. 175) aufgehoben worden. III. Die Verwaltung der Preußisch-Süd­ deutschen Klassenlotterie liegt in den Händen der Preußischen Generallotteriedirektion in Ber­ lin W 56, Markgrafenstr. 39. An ihrer Spitze steht der Präsident der Generallotteriedirektion dem mehrere Lotteriedirektoren als Mitglieder der Generallotteriedirektion sowie ferner ein technischer Leiter und die erforderliche Zahl von Beamten im Bureau-, Kassen-, Kanzlei- und Amtsgehilfendienst beigegeben sind. Auf Grund des Art. 1 des Staatsvertrags mit den süddeut­ schen Ländern vom 29. 7. 1911 haben diese das Recht, zu der Generallotteriedirektion ein ge­ meinschaftliches Mitglied zu stellen. Die Generallotteriedirektion hat die Stellung einer höheren Provinzialbehörde. Sie ist unmittelbar dem FM. unterstellt. Der Generallotteriedirektion zur Seite steht neuerdings ein Berwaltungsrat, der sich aus Mitgliedern des Landtags und einem Ver­ treter der Organisation der Lotterieeinnehmer zusammensetzt (Z 6 der Dienstanweisung des FM. vom 23. 4. 1924). Die Kassengeschäfte besorgt die Generallotteriekasse. Auf Grund einer all­ jährlich wiederkehrenden Vorschrift finden auch im Rechnungsjahr 1927 auf die Lotterieverwal­ tung die Vorschriften des § 6 des G., betr. den Staatshaushalt vom 11. 5. 1898 (GS. 77), ent­ sprechende Anwendung (§ 5 des G. über die Fest­ stellung des Haushaltsplans für das Rechnungs­ jahr 1927 vom 1. 6. 1927 (GS. 85). Danach er­ scheint die Lotterieverwaltung im Haupthaus­ haltsplan nur mit ihrem nach Abzug der Verwaltungskosten verbleibenden Überschuß. Mit dem Sonderhaushaltsplan ist dem Landtag der Ver­ waltungsbericht und der Hauptabschluß des letzten Geschäftsjahres mitzuteilen. Nach dem G. vom 10. 3. 1924 (GS. 127) ist vom 1. 1. 1924 ab das Geschäfts- und Rechnungsjahr der Preußischen Generallotteriedirektion das Kalenderjahr. Es finden in jedem Kalenderjahre zwei Lotterien mit je fünf — bis 1903 nur vier — Klassen statt. Die Zahl der Lose ist, hauptsächlich wegen des Hinzu­ tritts anderer Staaten, allmählich auf 750000

Staatslotterie — Staatsministerium Stammlose erhöht, die in zwei Abteilungen von je 375000 Losen ausgegeben werden. In jeder der vier ersten Klassen werden 18000 Gewinne, in der Schlußklasse 235000 Gewinne, insgesamt 307000 Gewinne und zwei Prämien gezogen. Der Preis eines ganzen Loses ist für jede Klasse 24 RM, für alle fünf Klassen mithin 120 RM. Die Lose werden in Ganzen, Halben, Vierteln und Achteln ausgegeben. Das Spielkapital be­ trägt zur Zeit für eine Lotterie (31./257.) 58289540 RM. Der höchste Gewinn (das „Große Los") beträgt in der Schlußklasse 500000 RM, in den Vorklassen 100000 RM, der niedrigste in Klasse I 60, II 90, III120, IV 150 und V 150 RM. Wenn am letzten Ziehungstag der Schlußklasse der Hauptgewinn von 500000 RM noch im Ge­ winnrade sich befindet, so wird derjenigen Nummer, auf die der Hauptgewinn fällt, in jeder der Abteilungen I und II eine der zwei Prämien von 500000 RM zugeschlagen. Ist an diesem Tage der Hauptgewinn von 500000 RM nicht mehr im Rade, so wird derjenigen Nummer, auf die der zuerst gezogene Gewinn von mindestens 1000 RM fällt, in jeder der Abteilungen I und II eine der zwei Prämien von 500000 RM zugeschlagen. Ist am letzten Ziehungstage der Schlußklasse auch ein Gewinn von mindestens 1000 RM nicht mehr im Rade, so werden die zwei Prämien derjenigen Nummer der Abteilungen I und II zugeschlagen, die überhaupt zuletzt gezogen wird. Im günstig­ sten Falle können demnach insgesamt auf ein Doppellos 2 Mill. RM und auf ein ganzes Los 1 Mill. RM entfallen. Der Gewinnabzug be­ trägt 20%. Die Ziehung erfolgt ebenso wie die Einlegung der Losnummern und Gewinnzettel in die Ziehungsräder unter Leitung besonderer Kommissarien und unter Aufnahme von Proto­ kollen durch besonders bestellte Protokollführer. Die Kommissarien und Protokollführer ernennt der Präsident der Generallotteriedirektion unter Genehmigung des FM. aus der Zahl der Be­ amten der preuß. Bau- und Finanzdirektion. Zum Ziehen selbst wurden bis vor 20 Jahren Waisenknaben verwendet, jetzt geschieht auch dies durch die Ziehungskommissare selbst, da sich bei dem früheren Verfahren mit der Erweiterung der Lotterien Unzuträglichkeiten herausgestellt hatten. Uber die Gültigkeit der Ziehung entscheidet der Präsident der Generallotteriedirektion und aus Beschwerde endgültig der FM. IV. Lotterieeinnehmer sind in der preuß. Lotterieverwaltung die Bevollmächtigten der Generallotteriedirektion für den Verkehr der Lotterieverwaltung mit den Spielern der S. in Ansehung des Verkaufs und der Erneuerung der Lose, der Auszahlung der Gewinne usw. Sie sind nicht Beamte, sondern nur Bevollmächtigte der Lotterieverwaltung. Die Gesamtzahl der Lotterieeinnehmer beläuft sich zur Zeit auf rund 1100. Die Annahme der Lotterieeinnehmer sowie jede Bestimmung über Zahl und Nummern der von ihnen zu vertreibenden Lose erfolgt auf ^derzeitigen Widerruf und ausschließlich durch die und unter alleiniger Verantwortung der Generallotteriedirektion, die Annahme in Form einer von dieser ausgefertigten, von deren Prä­ sidenten bestätigten Bestallung. Einem Beschluß des Landtags zufolge sollen bei Vergebung der Lotterieeinnahmen bedürftige schwerkriegsbeschä­

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digte Offiziere und Mannschaften ohne Unterschied ihres militärischen Ranges, sofern sie zur Verwal­ tung einer Lotteriekollekte befähigt sind, vorzugs­ weise berücksichtigt werden. Soweit es sich um Lotterieeinnehmer in den vertragsmäßig der preu­ ßischen Lotterie angeschlossenen anderen Ländern handelt, ist deren Reg. durch die bezüglichen Staatsverträge (vgl. oben III) ein Vorschlagsrecht eingeräumt und die vorzugsweise Berücksichtigung der Kollekteure der bisher dort bestandenen bzw. zugelassenen S. zugesagt. Die Bestallung ist bei Wegfall einer der für die Annahme erforderlichen Bedingungen zurückzunehmen; sie erlischt beim Todesfall des Lotterieeinnehmers mit der Maß­ gabe, daß den Erben die Abwicklung der laufen­ den, unter Umständen auch noch der folgenden Lotterie übertragen werden kann. Der Lotterie­ einnehmer haftet unbedingt für seine Geschäfts­ führung, insbesondere also auch für seine Ge­ hilfen. Es ist ihm gestattet, Mittelspersonen an­ zunehmen, welche für ihn und auf seine Gefahr Lose verkaufen oder Bestellungen auf Lose und gegebenenfalls auch Zahlungen entgegennehmen sowie die Aushändigung der Lose und alle Mit­ teilungen bewirken. Der Lotterieeinnehmer haftet für diese Mittelspersonen, die er der General­ lotteriedirektion namhaft zu machen und auf deren Anordnung zu entlassen hat. An Stelle der früher geforderten Einzelkaution genügt jetzt bei den dem Zentralverband angehörenden Lotte­ rieeinnehmern die Entrichtung von Beiträgen an einen dem Staate haftenden gemeinschaftlichen Sicherheitsfonds. Verboten sind dem Lotterie­ einnehmer: 1. Abgabe von Losen über oder unter dem planmäßigen Preise; 2. Einleitung oder ge­ schäftliche Kenntnisnahme von Gesellschafts­ spielen (Vereinigung zu gemeinschaftlichem Spiel). Die Lotterieeinnehmer unterliegen Revisionen seitens der Generallotteriedirektion. Die Lot­ terieeinnehmer sind berechtigt, nicht abgesetzte Lose und Losabschnitte, welche sie nicht fest über­ nehmen zu wollen erklärt haben, innerhalb be­ stimmter Frist an die Generallotteriedirektion zurückzugeben. Ihre Bezüge, aus denen sie alle Unkosten zu bestreiten haben, bestehen in einer Schreibgebühr von 16 2/3% des Lospreises. Die Verhältnisse und Obliegenheiten der Lotterie­ einnehmer sind durch eine von der General­ lotteriedirektion erlassene Geschäftsanweisung vom 9. 3. 1906 geregelt. Ordnungswidrigkeiten der Lotterieeinnehmer werden je nach ihrer Schwere mit Zurechtweisungen, Ordnungsstrafen, Kürzungen in der Zahl der zu vertreibenden Lose oder Entziehung der Lotterieeinnahme geahndet; daneben aber statt einer Ordnungsstrafe haben sie gegebenenfalls die Kosten der zur Feststellung der Ordnungswidrigkeit vorgenommenen ört­ lichen Revisionen zu tragen. Der Gewerbesteuer unterliegen die Lotterieeinnehmer nicht, da sie der begrifflich zum Gewerbebetriebe gehörenden Selbständigkeit ermangeln (OVG. 26, 128; OVGSt. 4, 432). Sche. Staatsministerium. Das S. (auch Pr. Ka­ binett genannt) ist die oberste vollziehende und leitende Behörde des Staates (Art. 7 VU.). Es besteht aus dem vom LT. ohne Aussprache ge­ wählten Ministerpräsidenten als Vorsitzenden und den von ihn ernannten einzelnen Ministern (Art. 44, 45 VU.).

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Staatsministerium

I. Zuständigkeit. A. Vertretung nach außen. Nach § 78 Abs. 2 RB. können die Länder in den der Landesgesetzgebung überlassenen Angelegen­ heiten Verträge mit auswärtigen Ländern ab­ schließen, die aber der zuvorigen Genehmigung des Reiches bedürfen. Verträge mit dem päpst­ lichen Stuhl unterliegen nicht dieser Beschränkung (Giese zu Art. 78 NV.). Staatsverträge, welche sich aus Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, auch solche mit anderen deutschen Ländern, be­ dürfen nach Art. 29 VU. der Genehmigung des LT. B. Inder Gesetzgebung: Initiative, Verkündung, Erlaß von Notverordnungen und der Ausführungsverordnugen (s. Gesetze, preuß.). C. Er­ nennung der unmittelbaren Staatsbeamten (Art. 52 VU.). Sie kann delegiert werden. Bis zum Er­ laß des in Art. 72 VU. vorgesehenen G., bett, bie Provinzialautonomie, bedarf es zur Ernennung der Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Vorsitzenden der Provinzialschulkollegien und der Landeskulturamtspräsidenten des Einvernehmens des betreffenden Provinzialausschusses (Art. 86). D. Ernennung der nicht von den Provinzen zu bestellenden preußischen Reichsratsmitglieder. Wegen Abgabe der Stimmen s. Reichsrat. E. Ausübung des Begnadigungsrechts (soweit es nicht, wie bei Entscheidungen der Gerichte des Reiches, dem Reich zusteht). Zugunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurteilten Mi­ nisters kann das Recht nur mit Zustimmung des LT. ausgeübt werden. Allgemeine Straferlasse und die Niederschlagung einer bestimmten Art gerichtlich anhängiger Strafsachen bedürfen eines besonderen G. (Art. 54 VU.). F. Ausübung der früher dem König laut G., V. und Verträgen zustehenden sonstigen Rechte, soweit die betreffen­ den G. usw. nicht aufgehoben oder abgeändert sind (Art. 82 VU.). Wegen der kirchenregimentlichen Rechte des S. s. bei Staatsaufsicht. G. Die Abgrenzung der Zuständigkeit für die ein­ zelnen Minister, soweit sie nicht gesetzlich fest­ gelegt ist. Derartige Beschlüsse sind dem LT. vorzulegen und aus dessen Verlangen aufzuheben bzw. abzuändern (Art. 74 VU.). Eine besondere Geschäftsordnung des S. ist im Gegensatz zu Art. 55 RV. in der VU. nicht vorgesehen und bisher nicht ergangen, als solche sind die Grundsätze für die Erledigung von Geschäften des S. vom 16.12. 1921 anzusehen. H. Falls das HaushaltsG. nicht rechtzeitig zustande kommt, hat das S. die zur Fortführung der Geschäfte nötigen Ausgaben an­ zuweisen (Art. 64 VU.; Näheres s. bei preuß. Finanzverwaltung). Neben diesen verfassungsgemäß festgestellten Aufgaben sind dem S. auch durch die einzelnen G. eine Reihe be­ stimmter Staatsverwaltungsaufgaben übertra­ gen, z. B. durch das DisziplinarG. vom 21.7.1852, das BesoldungsG. usw. Wegen der dem StM. an­ gegliederten Behörden und wegen Einteilung der Ministerien und deren Zuständigkeit s. bei Behördenorganisationundbei den einzelnen Verwaltungszweigen. II. Die Verhandlungen im S. erfolgen auf kollegialer Grundlage. Wenn auch das S. über Meinungsverschiedenheiten zwischen ver­ schiedenen Ministern zu beschließen hat (Art. 47 Abs. 3), so ist es doch keine übergeordnete Instanz der einzelnen Minister und findet gegen deren Entscheidung eine Beschwerde an das S. nicht

statt (Huber, VU. Anm. 36 zu Abschn. V). Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik und ist dafür dem LT. verant­ wortlich; innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Minister seinen Geschäftsbereich selbständig mit eigener Verantwortlichkeit gegenüber dem LT. (Art. 46). Wegen Verantwortlichkeit s. u. III; wegen Mitwirkung des Ministerpräsidenten bei Auflösung des LT. s. bei Landtag. III. Verantwortlichkeit. Der LT., der StR. und ihre Ausschüsse können die Anwesen­ heit jedes Ministers verlangen; andererseits haben die Minister oder die von ihnen bestellten Be­ auftragten Zutrittsrecht zu allen Sitzungen des LF., des StR. und ihrer Ausschüsse und kön­ nen jederzeit, auch außerhalb der Tagesordnung das Wort ergreifen, unterstehen aber der Ord­ nungsgewalt des Vorsitzenden (Art. 24 und Art. 39 VU.; s. unter Landtag und Staatsrat). Das S. und jeder einzelne Minister bedürfen des Vertrauens des LT. Falls kein rechtswirksames Volksbegehren auf Landtagsauslösung vorliegt, kann auf Antrag von 30 Abgeordneten mit Zu­ stimmung der Hälfte der derzeitigen Mitglieder in namentlicher Abstimmung ein Mißtrauens­ votum gegen das S. im ganzen oder gegen ein­ zelne Mitglieder beschlossen werden, woraus die Betreffenden zurücktreten müssen, der Minister­ präsident jedoch nur, wenn die von ihm auf Grund des Mißtrauensvotums beantragte Aus­ lösung des LT. von dem dafür zuständigen Aus­ schuß (s. Landtag unter Auflösung) abgelehnt wird. Die gleichen Vorschriften gelten, wenn das S. oder ein einzelner Minister die Vertrauens­ frage stellen (Art. 57). Wegen Ministeranklage s. u. IV. IV. Die einzelnen Minister. Ob sie Be­ amte sind, ist bestritten (Huber, VU. zu Abschn. V). Es gelten aber für sie vorläufig alle aus Beamte bezüglichen Vorschriften, soweit sich dies mit den besonderen Verfassungsbestimmungen betreffend die Minister verträgt, also z. B. nicht Art. 77 bis 80 VU. (Giese zu Art. 44). Sie bedürfen deshalb zur Ausübung eines Nebenamtes oder Nebenberufs einer besonderen Genehmigung des S. Sie haben nach Art. 59 VU. beim Amts­ antritt den besonderen Ministereid zu leisten (gegebenenfalls neben dem allgemeinen Staats­ dienereid) und können nach Art. 58 VU. auf Antrag von mindestens 100 Abgeordneten, dem die für Verfassungsänderungen vorgeschriebene Mehrheit (Anwesenheit von zwei Drittel der ge­ setzlichen Mitgliederzahl und Zustimmung von mindestens zwei Drittel der Anwesenden) zu­ stimmen muß, vor dem Preuß. Staatsgerichtshof wegen schuldhafter Verletzung der Verfassung oder der G. angeklagt werden. Das in Art. 58 Abs. 2 wegen Errichtung des Staatsgerichts­ hofes vorgesehene G. ist noch nicht ergangen. Die Vorschrift wegen der Ministeranklage ist deshalb vorläufig ohne praktische Bedeutung. Jeder Minister kann jederzeit zurücktreten. Tritt das Gesamtministerium zurück, so führen die bis­ herigen Minister die Geschäfte bis zur Übernahme durch ihre Nachfolger weiter (Art. 59). Nach Art. 48 haben die Minister, zu denen auch der Ministerpräsident gehört, Anspruch aus Besol­ dung (laut Besoldungsgesetz Ministerpräsident Gruppe B 1, andere Minister B 2) Ruhegehalt

Staatsrat und Hinterbliebenenfürsorge. Dazu ist das G. betr. die Versorgung der Staats­ minister vom 13. 6. 1924 (GS. 547), abg. durch § 29 BesG. vom 17. 12. 1927 (GS. 223) ergangen. Im Falle des Rücktritts behält ein Minister seine Dienstbezüge, abgesehen von der Aufwandsentschädigung, noch für den auf die Amtsniederlegung folgenden Monat und, falls er länger als vier Monate im Amte war, für die folgenden drei Monate bzw. wenn er längere Zeit das Am versehen hat, noch für einen längeren Zeitraum ein Übergangs­ geld; dasselbe beträgt in den ersten sechs Monaten 80% des Ministergehalts ohne Aufwandsentschä­ digung und fällt stufenweise auf 45%. Ruht das Übergangsgeld wegen erneuter Tätigkeit als Staatsminister, so verlängert sich die Bezugs­ dauer für das wegen dieser abermaligen Tätig­ keit gewährten Übergangsgeld um die Zeit des Ruhens des erstbezogenen Übergangsgeldes, aber nicht über die überhaupt zulässige Höchstdauer hin­ aus (§ 4 in Fassung des § 29 des BesG.). Hat ein Minister während mindestens vier Jahren oder eine Legislaturperiode hindurch den Minister­ posten versehen, so erhält er im Anschluß an das Übergangsgeld ein auf derselben Grundlage be­ rechnetes Ruhegehalt, je nach der Amtsdauer, von 25—40%. Bekleidete ein Minister vor Amts­ übernahme eilt Amt im Reichs-, unmittelbaren oder mittelbaren Staatsdienst oder einer öffent­ lich-rechtlichen Körperschaft Preußens, so erhält er beim Ausscheiden als Minister bis zur Wieder­ anstellung ein Wartegeld von 80% des Dienst­ einkommens der Gruppe B 8 der festen Gehälter. Die Hinterbliebenenbezüge richten sich nach den für Hinterbliebene von Staatsbeamten gelten­ den Vorschriften. Als Mitglieder der Reg. ge­ nießen die Minister die gleichen Vorrechte bezüg­ lich Berufung zum Schöffenamt und hinsichtlich der Zeugenvernehmung (§34 GBG.; Z 382 ZPO.; § 50 StPO.) wie die Mitglieder der Reichs­ regierung (s. d.). Ly. Literatur s. bei Giese-Volkrnann, Preußische Berfassung; Huber, Preußische Verfassung.

StaatSrat. I. Verfassungsrechtliche Stel­ lung. Der S. ist zur Vertretung der Provinzen bei der Gesetzgebung und Verwaltung berufen (Art. 31 VU.). Er soll aber gleichzeitig ein ge­ wisses Gegengewicht gegen die Allmacht des LT. bilden. Er ist keine erste Kammer und kein dem LT. gleichberechtigter Faktor (Giese-Bolkmann, VU. 1926). II. Zusammensetzung. Jede Provinz ent­ sendet für je eine halbe Million Einwohner, wobei ein Rest von über eine Viertelmillion als volle 500000 gerechnet wird, einen Vertreter, min­ destens aber drei; Hohenzollern hat einen Ver­ treter. Die Zahl der Provinzialvertreter wird nach jeder Volkszählung und bei Veränderung der Provinzialgrenzen durch das Staatsministe­ rium neu aufgestellt (Art. 32 VU.). Nach den V. vom 31. 12. 1925 und 13. 2. 1926 (GS 1926 S. 7, 51) beträgt zur Zeit die Vertreterzahl für Rheinprovinz 14, Westfalen 10, Berlin 8, Sach­ sen 7, Niederschlesien und Hannover je 6, Ost­ preußen, Brandenburg und Hessen-Nassau je 5, Pommern 4, Grenzmark, Posen-Westpreußen und Schleswig-Holstein je 3 und Hohenzollern 1. Die Wahl erfolgt in Berlin durch die Stadt­

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verordnetenversammlung, in Hohenzollern durch den Kommunallandtag, im übrigen durch die Provinziallandtage nach dem Wahl.G für dieselben und die Kreistage vom 7. 10. 1925 (GS. 123), je­ doch muß, außer in Hohenzollern, nach Art. 33 VU. Verhältniswahl stattfinden und der Wahlberech­ tigte das 25. Lebensjahr vollendet haben, auch seit einem Jahre seinen Wohnsitz in der Provinz haben. Über die Gültigkeit der Wahlen beschließt nach dem gemäß § 28 a. a. O. in dieser Beziehung noch allgemein geltenden G., betr. die Wahlen zum S. vom 16.12.1920 (GS. 8/90) der S. selbst, wogegen Klage beim OVG. stattfindet. Die Neu­ wahl erfolgt nach jeder Neuwahl der Provinzial­ landtage (in Berlin der Stadtverordnetenver­ sammlung). Niemand darf gleichzeitig Mitglied des LT. und des S. sein (Art. 33 VU.). III. Zuständigkeit. Der S. kann gegen die vom LT. beschlossenen G. binnen zwei Wochen nach Schlußabstimmung beim SM- Einspruch einlegen, der binnen zwei weiteren Wochen zu begründen ist. Wiederholt daraufhin der LT. den Beschluß mit Zweidrittelmehrheit, so ist der Ein­ spruch damit erledigt. Anderenfalls ist der Land­ tagsbeschluß hinfällig, wenn er nicht durch einen vom LT. herbeigeführten Volksentscheid bestätigt wird. Vom LT. beschlossene Ausgaben, welche über den vom StM. vorgeschlagenen oder be­ willigten Betrag hinausgehen, bedürfen der Zu­ stimmung des S. Wird diese abgelehnt, so gilt der Beschluß nur in der bezeichneten Beschränkung. Ein Volksentscheid ist unzulässig. Alle Gesetzes­ vorlagen des StM. hat der S. zu begutachten; er kann seine abweichende Ansicht dem LT. schriftlich darlegen. Er kann durch das StM. selbst Gesetzesvorlagen machen und Volksent­ scheid über Auflösung des LT. beschl eßen. Vor Erlaß von Ausführungsvorschriften zu Reichs­ und LandesG. oder von allgemeinen organisa­ torischen Anordnungen des StM. ist der S. oder dessen zuständiger Ausschuß zu hören und über alle Staatsgeschäfte aus dem laufenden zu halten (Art. 40, 42 VU.). IV. Verhandlungen. Der S. wählt seinen Vorsitzenden (Präsidenten) und seine Schrift­ führer und gibt sich selbst eine Geschäftsordnung. Letztere ist am 1. 7. 1921 erlassen. Der S. ist bei Bedarf, außerdem auf Verlangen von einem Fünftel der Mitglieder, der sämtlichen Mitglieder einer Provinz oder des StM. durch den Vor­ sitzenden einzuberufen. Für die Beschlußfähig­ keit ist Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder erforderlich. Bei Abstimmungen ent­ scheidet die einfache Mehrheit (also auch bei Ver­ fassungsänderungen). Die Abstimmungen wegen Einspruchs gegen G. und wegen Herbeiführung eines Volksentscheids über Auflösung des LT. (Art. 42 Abs. 1 und Art. 14 VU.) müssen schrift­ lich erfolgen. Die Mitglieder stimmen nach ihrer freien Überzeugung und dürfen wegen ihrer Ab­ stimmung oder wegen ihrer Äußerungen bei Aus­ übung ihrer Mitgliedschaft weder strafrechtlich noch sonst zur Verantwortung gezogen werden (Art. 35 VU.). Die Vollsitzungen des S. sind öffentlich. Die Öffentlichkeit kann mit Zwei­ drittelmehrheit nach geheimer Beratung für ein­ zelne Gegenstände ausgeschlossen werden. Wegen der Teilnahme von Mitgliedern der Staatsregierung an den Sitzungen des S. und seiner Aus-

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Staatsrecht — Staatsschuldbuch, Reichsschuldbuch

schüsse (Art. 39 VU.) s. bei Staatsministerium. Die Vorschriften wegen Urlaubs der Beamten usw. zur Teilnahme an den Landtagssitzungen gelten in gleicher Weise für Staatsratsmitglieder (Art. 36 VU.). Gemäß Art. 41 VU. erhalten die Staatsratsmitglieder Reisekosten und Aufwands­ entschädigung. Letztere beträgt nach dem AusführungsG. vom 25. 7. 1922 (GS. 197), ab­ geändert durch G. vom 28. 9. 1923 (GS. 447) und vom 10. 11. 1925 (GS. 160) je Tag das Eineinhalbfache der Tagesentschädigung der Land­ tagsausschußmitglieder; der Vorsitzende erhält außerdem monatlich zwei Drittel der Aufwands­ entschädigung des Landtagspräsidenten. Ly. Staatsrecht im weiteren Sinne ist gleich­ bedeutend mit öffentlichem Rechte, im engeren Sinne ist es derjenige Teil des öffentlichen Rechts nach Ausscheidung des Straf-, Prozeß-, Kirchenund Völkerrechts, der sich auf den Staat und die Rechtsverhältnisse seiner Mitglieder bezieht (s. Öffentliches Recht). Man unterscheidet all­ gemeines (philosophisches, natürliches) und be­ sonderes (positives) S., je nachdem seine Grund­ sätze begrifflich aus dem Wesen des Staates her­ geleitet oder nach dem Rechte eines einzelnen Staates dargestellt werden, und äußeres und inneres S., je nachdem es sich um die äußeren Verhältnisse des Staates und dessen Stellung zu anderen Staaten oder um die inneren Staats­ angelegenheiten handelt. Für das Deutsche Reich kommt außerdem noch die Scheidung in Reichsund in Landesstaatsrecht in Betracht. In neuerer Zeit pflegt man von dem S. das Verwaltungs­ recht als etwas Besonderes auszuscheiden (s. Berwaltungsrecht), so daß für das dann als Ver­ fassungsrecht bezeichnete S. die Behandlung der Staatsgewalt, ihrer Einrichtung und ihrer Be­ fugnisse (Monarch, Volksvertretung, Behörden, öffentliche Verbände usw.), der Tätigkeit der Staatsorgane und des Verhältnisses der Unter­ tanen zum Staate bleibt. Das S. ist, wie in an­ deren Ländern, so auch in Deutschland seit langem Gegenstand eifriger wissenschaftlicher Pflege ge­ wesen (aus früherer Zeit; Pufendorf, Leibniz, Cocceji, Thomasius, I. I. Moser,Pütter, Zachariä, Zöpsl, Bluntschli u. a.). Literaturverzeichnis s. bei Finger, Das Staasrccht des Deutschen Reiches 1923, S. 566 ff. Ly.

Staattzrenten s. Dotationen. Staattzschuldbuch, Reichtzschnldbuch dienen der Verbriefung der preußischen Staatsschuld und der Reichsschuld. I. Die ursprüngliche und noch heute die Regel bildende Verbriefungsart für die Anleihen Preu­ ßens und des Reichs ist nicht, wie beispielsweise für die englische Staatsschuld, die Eintragung in einem öffentlichen Buch, sondern die Schuldver­ schreibung auf den Inhaber. Erst durch das preuß. G., betr. das Staatsschuldbuch, vom 20. 7. 1883 (GS.120) und das ReichsG., betr.das Reichsschuld­ buch, vom 31. 5. 1891 (RGBl. 321) trat die Ein­ tragung im Staats- bzw. Reichsschuldbuch als Form der Verbriefung neben die Jnhaberschuldverschreibung insofern, als den Gläubigern be­ stimmter preußischer und Reichsanleihen die Mög­ lichkeit geboten wurde, ihre Jnhaberschuldverschreibungen in eine Buchschuld umwandeln zu lassen. Die Vorteile der Bucheintragung liegen für den Gläubiger in der Sicherung gegen Dieb­

stahl, Verlust und Vernichtung und in der Ein­ fachheit und Billigkeit der Verwaltung. Anderer­ seits hat die Buchschuld den Nachteil, daß die leichte Veräußerlichkeit des Jnhaberpapiers fehlt; denn wenn auch die Buchschuld als solche ver­ äußert und verpfändet werden kann, so ist sie doch vom Handel an der Börse ausgeschlossen; will der Gläubiger sie an der Börse veräußern, so muß er sie zunächst in Jnhaberpapiere umwandeln lassen. Die Schuldbucheintragung bedeutet wegen dieser beschränkten Veräußerlichkeit in gewisser Hinsicht eine Immobilisierung der Schuld, weshalb sie von der Finanzverwaltung, die in der Festlegung eines möglichst großen Teils der öffentlichen Schuld im Schuldbuch ein Mittel zur Stabilisierung des An­ leihekurses sieht, gefördert wird, indem häufig die Schuldbuchzeichner einen geringeren als den ge­ wöhnlichen Emissionskurs zu zahlen haben. Den vorgenannten G. lag das auch in der Folge­ zeit beibehaltene sog. reine Schuldbuchsystem zu­ grunde, nach welchem die Eintragung im Schuld­ buch an die Stelle des mit der Eintragung wertlos werdenden und deshalb zu vernichtenden Wert­ papiers tritt und allein das Forderungsrecht re­ präsentiert, während bei dem von verschiedenen Stadtgemeinden für ihre Stadtanleihen ange­ wandten Depotsystem die für den Berechtigten in Verwahrung genommene Schuldverschreibung der Wertträger bleibt, so daß der Eintragung im Schuldbuch nur die Bedeutung einer Registrierung zukommt. II. Zur Zeit ist das Schuldbuchwesen Preußens und des Reichs geregelt durch das StaatsschuldbuchG. vom 22. 5. 1910 in der Fassung der Bek. des FM. vom 27. 5.1910 (GS. 55) und im ReichsschuldbuchG. vom 6. 5. 1910 in der Fassung der Bek. des RK. vom 31. 5. 1910 (RGBl. 840), so­ wie durch die vom Preuß. FM. bzw. vom BR. erlassenen Ausführungsbestimmungen. Nach ihnen kann eine Schuldbuchforderung begründet wer­ den: a) — wie bereits nach den G. von 1883 und 1891 — durch Einlieferung von zum Umlauf brauchbaren Schuldverschreibungen, b) mit Er­ mächtigung des FM. durch Bareinzahlung des vom FM. festzusetzenden Kaufpreises für Schuldver­ schreibungen in Höhe ihres Nennwerts auf Grund einer Bescheinigung über die Einzahlung. Die Ermächtigung, die sich im Rahmen des bewilligten Kredits halten muß, ist bisher für die im Schuld­ buch eintragbaren Anleihen allgemein erteilt und als Kaufpreis, wenn die Einzahlung im Zu­ sammenhang mit der Begebung einer im Schuld­ buch eintragbaren Anleihe erfolgte, der Emissions­ kurs, und zwar meist ein besonderer, sonst der Berliner Börsenkurs des Einzahlungstags fest­ gesetzt worden. Die Bescheinigung wird von der Kasse der Preußischen Staatsbank bzw. der Reichsbankhauptkasse ausgestellt. Einzahlungen sind jedoch auch bei anderen öffentlichen Kassen (Regierungshauptkassen, Kreiskassen, Reichsbank­ anstalten) zulässig, werden aber von diesen an die Staatsbank bzw. Neichsbank weitergeleitet. Nicht alle Anleihen, sondern nur soweit sie in Schuld­ verschreibungen verbrieft sind, die auf den In­ haber lauten und keiner vertraglichen Tilgungs­ pflicht unterliegen, also nur die sog. ewigen Ren­ ten, können im Schuldbuch eingetragen werden. Die Führung des preußischen Schuldbuchs liegt der preußischen Schuldenverwaltung (s. d.),

Staatsschuldbuch, Reichsschuldbuch des Reichsschuldbuchs der Reichsschuldenverwal­ tung (s. d.) ob. Die Schuldbucheintragung ge­ schieht mit dem Zinssatz der eingelieferten Schuld­ verschreibungen bzw. der Schuldverschreibungen, deren Kaufpreis bar eingezahlt worden ist. Für die zu verschiedenen Zinssätzen erfolgenden Ein­ tragungen werden getrennte Bücher geführt. Mit der Eintragung erlöschen die Rechte des Inhabers an den eingelieferten Schuldverschreibungen und im Falle der Begründung der Buchschuld durch Bareinzahlung die Rechte des Einzahlers aus der Bescheinigung. Zugleich mit der Eintragung der Buchschuld kann der Antragsteller, später der ein­ getragene Gläubiger, eine zweite Person ein­ tragen lassen, die nach dem Tode des Gläubigers der Schuldenverwaltung gegenüber die Gläubiger­ rechte auszuüben befugt ist. Als Gläubiger können eingetragen werden: natürliche und juristische Personen, Handelsfirmen und Vermögensmassen, deren Verwaltung von einer öffentlichen Behörde oder unter deren Aufsicht geführt wird (z. B. Fideikommisse) oder deren Verwalter ihre Ver­ fügungsbefugnis durch eine gerichtliche oder notarielle Urkunde nachweisen (z. B. Erbschafts­ massen bei Ernennung eines Testamentsvoll­ streckers). Die Schuldbuchforderungen können übertragen, verpfändet und mit einem Nieß­ brauch belastet, die Verfügung über sie kann zu­ gunsten anderer Personen oder Behörden be­ schränkt werden. Dem Fiskus gegenüber werden jedoch solche Änderungen nur wirksam, wenn sie im Schuldbuch eingetragen sind. Antragsberech­ tigt zu Konten natürlicher Personen sind der Gläubiger, sein gesetzlicher Vertreter oder Bevoll­ mächtigter, der Konkursverwalter, der Erbe, der Nachlaßverwalter, bei fortgesetzter Gütergemein­ schaft der überlebende Ehegatte und nach dem Tode des Gläubigers die zweite Person; zu Kon­ ten juristischer Personen und Firmen der Vorstand bzw. der Zeichnungsberechtigte; zu Konten von Vermögensmassen die die Verwaltung oder Auf­ sicht führende Behörde bzw. der Verwalter. Nur diesen antragsberechtigten Personen darf über den Inhalt des Schuldbuchs Auskunft erteilt werden. Pfändungen und gerichtliche Beschlagnahmen so­ wie durch einstweilige Vf. angeordnete Be­ schränkungen sind von Amts wegen auf dem durch sie betroffenen Konto zu vermerken. Bei der Löschung eines Kontos werden Schuldver­ schreibungen mit dem gleichen Nennwert und dem Zinssatz der Schuldbuchforderung ausgereicht. Für Anträge ist öffentliche Beglaubigung oder Auf­ nahme eines Protokolls durch gewisse Stellen (Schuldbuchbureau, Reichsbankanstalten, öffent­ liche Sparkassen, Kassen der FA. u. a.) vorge­ schrieben, doch kann in besonderen Fällen hiervon abgesehen werden. Dasselbe gilt für die Er­ teilung von Vollmachten in Schuldbuchangelegen­ heiten. Rechtsnachfolger von Todes wegen haben sich durch einen Erbschein oder durch eine be­ sondere, nur zur Verwendung in Schuldbuch­ sachen dienende gerichtliche Verfügungsbescheini­ gung auszuweisen. Hiervon kann abgesehen wer­ den bei Vorlage einer in einer öffentlichen Ur­ kunde enthaltenen Vf. von Todes wegen und des Protokolls über ihre Eröffnung. Uber jede Eintragung erhält der Antragsteller und der Berechtigte eine Benachrichtigung. Die Zinsen werden entweder in bar durch die Staatsschulden-

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kasse bzw. die Reichsschuldenkasse in Berlin, durch die Post (Postanweisung, Postscheckgutschrift) oder durch Reichsbankgiroüberweisung, und zwar an den Gläubiger selbst oder an den auf seinen An­ trag eingetragenen Zinsenempfänger (Bank, Sparkasse), gezahlt. Während nach den ursprüng­ lichen SchuldbuchG. für die wichtigsten Berwaltungshandlungen Gebühren zu entrichten waren, besteht nach den G. von 1910 nurmehr für die Löschung der Schuldbuchforderungen zwecks Ausreichung von Schuldverschreibungen eine Ge­ bührenpflicht; die Sätze dieser Gebühren sind jedoch nicht der neuen Währung angepaßt, so daß zur Zeit Gebühren überhaupt nicht berechnet wer­ den. Abgesehen von § 372 BGB. kann unter ge­ wissen Voraussetzungen von Amts wegen die Löschung eines Kontos und die Hinterlegung der an seiner Stelle ausgefertigten Schuldverschrei­ bungen bei der Hinterlegungsstelle in Berlin er­ folgen, insbesondere bei Pfändungen und Be­ schlagnahmen der Schuldbuchforderung, bei Kon­ kurs des Gläubigers oder wenn die Zinsen zehn Jahre hintereinander nicht abgehoben sind. Am 31. 7. 1914 enthielt das preußische Staatsschuld­ buch 82 950 Konten mit 3 702 936 450 M — 38,69 % der fundierten Schuld, das Reichsschuldbuch 30146 Konten mit 1473965800 M = 30,38% der fundierten Schuld. Am 30. 4. 1923 enthielt das preußische Staatsschuldbuch 64588 Konten mit 2196096000 M = 24,29% der fundierten Schuld, das Reichsschuldbuch 1091745 Konten mit 10192142000 M — 21,59 % der fundierten Schuld. III. Der Übergang der preußischen fundierten Schuld auf das Reich aus Anlaß der Verreichlichung der Staatseisenbahn brachte für die Ver­ waltung des preußischen Staatsschuldbuchs keine wesentliche Veränderung, denn nach der V. zum Vollzüge des G. zur Ausführung des Staats­ vertrages über den Übergang der Staatseisen­ bahn auf das Reich vom 18. 8. 1922 (RGBl. II 741) verblieb die Verwaltung des Staats­ schuldbuchs, das lediglich den Zusatz „jetzt Reichsschuldbuch" erhielt, der Preußischen Staatsschuldenverwaltung, die sie nach den bisherigen Vorschriften, d. h. dem preußischen SchuldbuchG. und seinen Ausführungsbestimmungen, weiter­ zuführen hatte, und zwar ohne Vereinigung preußischer Konten mit Reichskonten desselben Gläubigers. Dagegen fällt mit dem G. über die Ablösung der öffentlichen Anleihen vom 16. 7. 1925 (RGBl. I 137) und seinen Durchführungs­ bestimmungen das preußische Schuldbuch in seinem ganzen Bestände weg, indem seine Kon­ ten, gegebenenfalls unter Bereinigung mit Reichsschuldbuchkonten desselben Gläubigers, in Reichsschuldbuchkonten der Anleiheablösungs­ schuld, umzuwandeln sind. Derselben Umwand­ lung unterliegen auch die Konten des Reichsschuld­ buchs, das nach Beendigung des Umtauschverfah­ rens und bis zur Emission neuer im Schuldbuch eintragbarer Reichsanleihen nur aus Konten der Anleiheablösungsschuld bestehen wird. Dies neue Reichsschuldbuch, das auch die Konten der Schuld­ bücher der außerpreußischen Länder, soweit ihre Markanleihen bei der Verreichlichung der Staats­ eisenbahnen auf das Reich übergegangen waren oder gemäß § 2 Zifs. 3 des AnleiheablösungsG. zu Markanleihen erklärt worden sind, umfaßt, wird

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Staatssekretär - - Staatsverträge

von der Reichsschuldenverwaltung geführt. In Ausdehnung des bisherigen Grundsatzes, daß nur Markanleihen, die keiner vertraglichen Tilgungs­ pflicht unterliegen, im Schuldbuch eingetragen werden können, ist die Eintragbarkeit der An­ leiheablösungsschuld und der Auslosungsrechte durch die §§ 4 Abs. 3, 17 Abs. 2 des AnleiheablösungsG. besonders angeordnet. Von ins­ gesamt etwa 760000 Konten (Reichs- und Länder­ konten) mit etwa 9V4 Milliarden Papiermark waren am 28. 2. 1927 644129 Konten in 212961537.50 RM Anleiheablösungsschuld und 206840787.50 RM Auslosungsrechte umgetauscht. IV. Eine Neufassung des ReichsschuldbuchG. befindet sich in Arbeit mit dem Ziel, den Kreis der im Schuldbuch eintragbaren Anleihen auch aus Tilgungsanleihen mit längerer Umlaufssrist auszudehnen, die Formalien des Antrags, der Vollmacht und des Erbnachweises zu erleichtern und jede Gebühr in Wegfall zu bringen. Voraus­ sichtlich wird auch das preußische SchuldbuchG. diesen Änderungen angepaßt werden. Erb. b. Schanz, Staatsschuldbuch int Handwörterbuch der Staatswissenschaften.

Staatssekretär war früher die Amtsbezeichnung für die Chefs der dem RK. unterstellten obersten Reichsbehörden, welche die nicht vorhandenen Reichs-Fachminister ersetzten. Jetzt ist es die Amtsbezeichnung für die obersten leitenden Be­ amten in den einzelnen Ministerien, welche früher den Titel Unterstaatssekretär führten. Sie sind die geborenen Stellvertreter der Minister. Ly. Staatdvertrage. I. Allgemeines. S. sind Abreden völkerrechtlicher Art, in welchen der Staat einem oder mehreren fremden Staaten gegenüber vertragsmäßig cie Erfüllung bestimmter Pflichten übernimmt. Nach außen hin — dem fremden Staate gegenüber — erhalten S. ihre verbindliche Kraft, wenn sie von dem hierzu legitimierten Organe des Staates in den völkerrechtlich üblichen Formen vollzogen (ratifiziert) und die Ratifika­ tionen gegenseitig ausgetauscht sind; nach innen — den Staatsangehörigen gegenüber — wenn sie, soweit dies verfassungsmäßig notwendig ist, die Zustimmung der dazu berufenen Körper­ schaften erlangt haben und gehörig verkündet sind. Die. Konsequenz dieser, vielfach bestrittenen Auffassung (s. unten bei II u. III) führt dahin, daß sich das zum Vertragsabschluß legitimierte Organ des Staates in denjenigen Fällen, in wel­ chen es zu dem Vertrage der Zustimmung anderer Faktoren bedarf, dieser Zustimmung in der Regel vor endgültigem Abschluß des Vertrags versichern wird, und daß, wenn dies unterblieben ist und die Zustimmung auch nicht nachträglich erteilt wird, der fremde Staat trotzdem aus Vollziehung des Vertrags, gegebenenfalls unter Anwendung von Gewaltmaßregeln, dringen kann (s. Druck­ sachen des AH. Session 1868 Nr. 236, Gutachten von Gneist). II. Geltende Vorschriften der RV. Nach Art. 45 schließt der Reichspr. Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten na­ mens des Reiches ab. Friedensschlüsse erfolgen nur durch besonderes ReichsG. Die Zustimmung des RT. ist ebenso zu Bündnissen und Verträgen notwendig, welche sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen. Abgesehen von Frie­ densschlüssen entspricht diese Kompetenz des

Reichspr., die er nach herrschender Ansicht (s. Anschütz RV. 1926, 161 Anm. 2) delegieren kann, im wesentlichen derjenigen des früheren Kaisers nach Art. 11 der früheren NB. Jedoch bestehen Unterschiede insofern, als nach der jetzigen RV. einmal die Zustimmung des RT. nicht nur für Verträge, sondern auch für Bündnisse, die sich aus Gegenstände der Reichsgesetzgebung be­ ziehen, erforderlich ist, und als ferner die Zu­ stimmung des RT., wie bei der Berfassungs­ beratung von der Regierungsseile ausdrücklich erklärt worden ist, nicht nur für die staats-, son­ dern auch für die völkerrechtliche Bindung des Reiches die Voraussetzung bildet. Die gleiche Auf­ fassung vertreten verschiedene Kommentatoren der RV., z. B. Anschütz a. a. O. 161 Anm. 2; Giese 1926,160; Anm. 8, während andere Schrift­ steller, z. B. Stier-Somlo, Staatsrecht 1924, 611, die Unvereinbarkeit dieser Auslegung mit völ­ kerrechtlichen Grundsätzen betonen. Ob für die gegebenenfalls erforderliche Zustimmung des RT. die auf ReichsG. bezüglichen Formvorschriften gelten, insbesondere wegen etwaigen Einspruchs des RR. die Publikation und Herbeiführung eines Volksentscheids, ist bestritten; die Publikation ist im Gegensatz zur VU., s. unten bei III, nicht aus­ drücklich vorgeschrieben. Nach Art. 78 können die Länder in Angelegenheiten, welche der Landes­ gesetzgebung zustehen, mit auswärtigen Staaten un­ ter Zustimmung des Reiches Verträge abschließen. (Wegen der Verträge über Änderung der Reichs­ grenzen s. Reichsgebiet.) Diese, wenn auch ge­ genüber der früheren RV. erheblich eingeschränkte Kompetenz ist ein Beweis für die staatsrechtliche Selbständigkeit der Staaten und gegen die An­ nahme, daß das Deutsche Reich einen Einheits­ staat darstellt (s. Reichsverfassung). Auch die zur sog. Gesetzgebungskompetenz gehörigen An­ gelegenheiten können, soweit und solange das Reich von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Ge­ brauch gemacht hat oder Gebrauch macht, Gegen­ stand der Länderverträge sein. Unbeschränkt ist die Vertragsfreiheit gegenüber dem päpstlichen Stuhl, da dieser nicht als „auswärtiges Land" gilt. Die etwa notwendige Zustimmung des Reiches zu internationalen Verträgen der Länder hat völkerrechtlich dieselbe Bedeutung, wie die in Art. 45 Abs. 3 vorgesehene Zustimmung des NT. zu Verträgen des Reiches (s. oben). Welche Stelle zur Erteilung der Zustimmung des Reiches gemäß Art. 78 zuständig ist, erscheint mangels einer besonderen Vorschrift zweifelhaft. Nach Giese (a. a. O. 236 Anm. 4) ist es die Reichs­ regierung, nach Anschütz (a. a. O. 238 Anm- 6) und Finger (Staatsrecht 1923 II 444) der Reichspr., da es sich um einen Akt der vollziehen­ den Gewalt handle und auf diesem Gebiet die Zuständigkeit der Reichsregierung gemäß Art.. 57 nur dann in Frage komme, wenn es gesetzlich besonders vorgeschrieben sei. Die gleichen Vor­ schriften wie für die Verträge mit ausländischen Staaten gelten auch für die zwischen dem Reich und seinen einzelnen Ländern abgeschlosfernen Verträge, z. B. bezüglich Übergangs der Eissen­ bahnen, Wasserstraßen und der bayrischen nmb Württembergischen Postverwaltung aus das Rench. III. Geltende Vorschriften der 23 U. Nach Art. 49 vertritt das StM. den Staat mach außen und nach Art. 82 sind alle Befugniisse,

Staatswerft — Äädteordnungen

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lassen, auch wenn weder dieser noch eins der gewählten Mitglieder die gedachte Befähigung besitzt (MErl. vom 18. 3. 1877, MBl. 114). — In Stadtkreisen, in denen (wie in der Rheinprovinz) der Bürgermeister allein den Gemeinde­ vorstand bildet, werden die außer dem Vor­ sitzenden zu bestellenden Mitglieder von der Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversamm­ lung). Die Wahl erfolgt nach den Vorschriften des G. vom 25. 7. 1922 (GS. 195) für die Dauer der Wahlperiode der Stadtverordnetenversamm­ lung (§ 6). Für jedes Mitglied sind zwei Stell­ vertreter zu wählen (§ 1). Die Prüfung und An­ fechtung der Wahl erfolgt gemäß §§ 2, 5 a. a. O. Im übrigen gelten hinsichtlich der Wählbarkeit, der Wahl, der Einführung und der Vereidigung der Mitglieder sowie des Verlustes ihrer Stellen unter einstweiliger Enthebung von denselben die für un­ besoldete Magistratsmitglieder (in Städten mit kollegialischer Magistratsverfassung) bestehenden gesetzlichen Vorschriften (§ 38 LVG.). Daher können diejenigen Personen, welche (wie die Stadtverordneten) nicht Mitglieder des Magistrats (s. d. III) sein können, auch nicht zu Mitgliedern des S. gewählt werden (vgl. OVG. 17, 79). Da in der Rheinprovinz sämtliche Magistrats­ mitglieder der Bestätigung bedürfen (§ 71 RheinStO.), so ist eine solche auch für die gewählten Mitglieder des S. erforderlich. Zu den nicht wählbaren Mitgliedern gehören nach dem MErl. vom 31. 5. 1888 (s. v. Bitter, Die GemeindeverfassunG. der Rheinprovinz, Anm. zu § 28 StO.) auch die Beigeordneten, weil sie gesetzlich Stell­ vertreter des Vorsitzenden sind. — Die gewähl­ ten Mitglieder des S. können aus Gründen — welche die Entfernung eines Beamten aus seinem Amte rechtfertigen (§ 2 DisziplinarG.), im Wege des Disziplinarverfahrens ihrer Stellen enthoben werden (§ 39 LVG.). — Der S. ist beschluß­ fähig, wenn mit Einschluß des Vorsitzenden drei Mitglieder anwesend sind; die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei An­ wesenheit einer geraden Zahl von Mitgliedern nimmt das dem Lebensalter nach jüngste gewählte Mitglied an der Abstimmung nicht teil, dem Berichterstatter steht in allen Fällen Stimmrecht zu. Für die Dienstaussicht, die Geschästsleitung, den Eintritt einer anderen Behörde im Falle der Beteiligung der Stadtgemeinde bei der Ange­ legenheit, sowie für die Tätigkeit des S. als Beschlußbehörde und die Ausübung der Berwaltungsgerichtsbarkeit durch ihn sind, abgesehen von der beschränkten sachlichen Zuständigkeit des S., für ihn dieselben Vorschriften maßgebend wie für den KrA. (s. Kreisausschuß; Magistrat). Für den S. des Stadtkreises Berlin können durch OrtsG. nach Bedürfnis Abteilungen für einzelne Ortsteile oder Geschäftszweige gebildet werden unter Wahrnehmung der Geschäfte durch Mit­ glieder der Bezirksämter (§ 40 des G. vom 27. 4. 1920, GS. 123). v. B. Stadtbanken s. Kommunale Banken. Städteordnungen. I. In Preußen fand das Städterecht eine weitgehende Neuordnung durch die unter Leitung des Freiherrn v. Stein ent­ worfene, die Bürger zu einer ausgedehnten Teil­ nahme an der Verwaltung städtischer Angelegen­ heiten berufende StO. vom 19. 11. 1808. Sie bildete den Ausgangspunkt für die kommunale 42 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. ii,

welche auf Grund der früheren G., B. und Ver­ träge dem König zustanden, auf das StM. über­ gegangen. Es ist also zur Abänderung bestehen­ der und zum Abschluß neuer Staatsverträge be­ fugt. Jedoch bedürfen nach Art. 29 solche Ver­ träge der Genehmigung des LT., welche sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen. Die staats- und völkerrechtliche Bedeutung dieser Ein­ schränkung ist die gleiche, wie hinsichtlich der nach Art. 45 RV. gegebenenfalls erforderlichen Zu­ stimmung des RT. zu Verträgen des Reiches. Gegenstände der Gesetzgebung im Sinne des Art. 29 BU. sind auch diejenigen Angelegen­ heiten, über welche die Länder nach Art. 78 RV. mit Zustimmung des Reiches Staatsverträge ab­ schließen können, weil das Reich von der ihm zu­ stehenden Gesetzgebungskompetenz noch keinen Gebrauch gemacht hat. Es ist also möglich, daß der LT. die Genehmigung zu einem Staatsvertrage erteilt, das Reich aber seine Zustimmung versagt. Wegen der Form der Genehmigung des LT. bestehen die gleichen Zweifel wie bezüglich der Zustimmung des RT. zu Reichsverträgen im Falle des Art. 45 Abs. 3 RV. bezüglichen Vor­ schriften (Giese, BU. 1926,193). Die nach Art. 18 und 78 RV. erforderliche Zustimmung des Landes Preußen zu Verträgen des Reiches über Gebiets­ änderungen kann nach Art. 1 VU. nur durch Gesetz erteilt werden (s. Staatsgebiet). Die Verkündllng der vom LT. genehmigten Verträge in der GS. ist in Art. 6 VU. ausdrücklich vorge­ schrieben. Ly. Staatswerft ist die amtliche Bezeichnung für die der Wasserbauverwaltung angehörigen Bau­ höfe in Stettin-Bredow, Emden, Herne, Magde­ burg-Rothensee, Minden, Stralsund, Swinemünde, Harburg und Pillau (Erl. des MfL. vom 31. 10. 1924, AbwW. 6169). E. Staatszuschüsse zur Lehrerbesoldung s. Lehrer an Volksschulen 5 (Diensteinkommen) bei VII und §§ 41, 47 BDG. Stadtälteste. Nach § 34 Abs. 2 StO. f. d. ö. Pr., § 37 HessNassStO. kann Magistratsmilgliedern nach neunjähriger Amtszeit die Bezeichnung S. verliehen werden. v. E. Stadtausschuß. An die Stelle des KrA. tritt in den Stadtkreisen der S., jedoch nur für die­ jenigen Angelegenheiten, deren Entscheidung ihm durch besondere gesetzliche Vorschriften übertragen ist (§ 4 LAG.; OVG. 37, 206). Er besteht in den Städten mit Magistratsverfassung (f. Magistrate I) aus dem Bürgermeister bzw. dessen gesetzlichem Stellvertreter als Vorsitzenden: und vier von dem Magistrat oder dem kollegialischen Gemeindevorstand aus seiner Mitte für die. Dauer des Hauptamts gewählten Mitgliedern. Für den Fall der Behinderung des Bürger-^ Meisters und seines gesetzlichen Stellvertreters wählt der S. den Vorsitzenden aus seiner Mitte.; Der so Gewählte bedarf der Bestätigung des RP., im Stadtkreise Berlin durch den OP. Der Vorsitzende oder ein Mitglied des S. muß die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienste besitzen (§ 37 LVG.). Fürdie Rechtsgültigkeit der Beschlüsse und Entscheidüngen des S. bedarf es der Teilnahme eines, derart befähigten Mitgliedes nicht, der im Besitze; der Qualifikation befindliche Bürgermeister kann^ sich im Vorsitze durch den Beigeordneten vertreten:

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Etädtetag, Deutscher — Stadtgemeinden

Selbstverwaltung (s. d.). Die Einwohner waren entweder Bürger oder Schutzverwandte. Die Bürger sollten durch die von ihnen gewählten Stadtverordneten vertreten werden, die an Instruktionen ihrer Wähler nicht gebunden waren. Zum Vertreter und Verwalter der städtischen An­ gelegenheiten wurde der Magistrat bestellt. Den Stadtverordneten sollte keine Verwaltung, son­ dern nur eine Beschlußfassung über städtische An­ gelegenheiten und die Kontrolle der Verwaltung, sowie die Bewilligung der Geldmittel zustehen. Die Staatsaufsicht war auf genau bezeichnete An­ gelegenheiten beschränkt. Über die städtische Finanzverwaltung waren die Stadtverordneten unbeschränkte Herren. — Die Einengung des staatlichen Aufsichtsrechts war der hauptsächlichste Grund für die Revision der StO., aus der die StO. vom 17. 3. 1831 hervorging, welche sta­ tutarische Bestimmungen über die Verfassung der Städte zuließ, aber die städtische Vermögensver­ waltung unter staatliche Aufsicht stellte. Eine im Jahre 1850 für Stadt und Land erlassene GemO. wurde 1853 wieder aufgehoben. II. Gegenwärtig bestehen in den verschie­ denen Landesteilen folgende StO. mit den­ jenigen Änderungen, welche die Steuergesetz­ gebung, das KAG., das KommunalbeamtenG. und die infolge der Staatsumwälzung erlassenen Vorschriften der Staats- und Gemeindeverfassung, insbesondere das GemeindewahlG. vom 12. 2. 1924 (GS. 99) herbeigeführt haben: 1. Die StO. vom 30. 5. 1853 (GS. 261) für die ö. Pr. (Ostpreußen, Grenzmark Posen Westmark, Pommern, Brandenburg, Nieder­ schlesien, Oberschlesien und Sachsen). Land­ gemeinden kann die Annahme der StO. und Stadtgemeinden die Annahme der LGO. aus ihren Antrag nach Anhörung des Kreistags und Provinziallandtags durch B. des StM. gestattet werden (§ 1 LGO.). — Für die Städte in Neu­ vorpommern und Rügen ist ein besonderes G. vom 31. 5. 1853 (GS. 291) ergangen, wonach sie ihre bisherigen Verfassungen behielten, diese aber den neueren Verhältnissen durch Erlaß eines besonderen Stadtrezesses für jede einzelne Stadt angepaßt werden sollten, welcher der Be­ stätigung des Königs bedurfte, und für den in diesem G. (§5) einige Grundbestimmungen fest­ gesetzt worden sind. 2. Die StO. für Westfalen vom 19. 3. 1856 (GS. 237). Sie ist für diejenigen Städte Westfalens erlassen, in denen bei Verkündigung der GemO. vom 11. 3. 1850 die rev. StO. von 1831 galt und enthielt im wesentlichen dieselben Vorschriften wie die der StO. für die ö. Pr. Eine Abweichung besteht hinsichtlich der Organisation der städtischen Behörden hauptsächlich darin, daß die Verfassung ohne kollegialischen Gemeinde­ vorstand in allen Städten (nicht nur in den unter 2500 Einw.) eingeführt werden kann (§ 72 StO.). 3. Die StO. für die Rheinprovinz vom 15. 5. 1856 (GS. 406) beruht auf der Bürger­ meisterverfassung (s. Stadtgemeinden); aus­ nahmsweise kann ein kollegialischer Magistrat ein­ gerichtet werden (§ 66). Städte, die nach der GemO. für die Rheinprovinz vom 23. 7. 1845 (GS. 523) verwaltet werden, gelten als Land­ gemeinden. 4. Das GemeindeverfassungsG. für die

Stadt Frankfurt a. M. (einschließlich Sachsen­ hausen (vom 25. 3. 1867 (GS. 401) entspricht in der Hauptsache ebenfalls der StO. für die ö. Pr. Wegen der Ernennung des Bürger­ meisters s. d. 5. Die StO. für SchlHolst. vom 1-L 5. 1869 (GS. 589). Sie gilt für die Städte und Flecken der genannten Provinz und ist gleichfalls der StO. für die ö. Pr. nachgebildet. Jedcch ist für jede Stadt ein besonderes Ortsstatut abzu­ fassen (§ 11 StO.), durch welches gewisse, gesetz­ lich bestimmte Verhältnisse zu ordnen sind. Für die Städte und Flecken im Kreise Herzogtum Lauenburg hat die StO. für SchlHolst. Abände­ rungen durch G. vom 16.12.1870 (Offiz. Wochen­ blatt 521) erfahren. 6. Die StO. für die Prov. Hannover vom 24. 6. 1858 (HannGS. I 141). Sie findet Anwendung auf alle selbständigen Städte (s. Stadtgemeinden) und darf auch auf die bis dahin „amtssässigen" Städte, die mehr als 1500 Einw. haben, ausgedehnt werden. Städte und Flecken, aus welche die StO. vom 24. 6.1858 nicht Anwendung findet, gelten rechtlich als Land­ gemeinden. Ihre Verfassung kann jedoch durch ein vom MdI. zu genehmigendes Statut ab­ weichend von der Landgemeindeverfassung und ähnlich der Verfassung der Stadtgemeinden ge­ regelt werden (§ 2 LGO.; §§ 61—63 AusfBek. z. LGO.). 7. Die StO. für die Prov. Hessen-Nas­ sau vom 4. 8. 1897 (GS. 254). Sie findet in den Städten des RegBez. Kassel und in den im § 22 WestfKrO. bezeichneten Stadtgemeinden des RegBez. Wiesbaden Anwendung. Außer diesen Städten gibt es im RegBez. Wiesbaden noch einige Orte, welche zwar als Stadt bezeichnet werden, aber rechtlich die Eigenschaft einer Land­ gemeinde haben. Auch diese StO. ist im wesent­ lichen der StO. für die ö. Pr. nachgebildet. 8. Die Hohenzollernsche GemO. vom 2. 7. 1900 (GS. 189). Sie findet auf alle Stadtund Landgemeinden der hohenzollernschen Lande Anwendung. Ihre Bestimmungen entsprechen im wesentlichen denen der neueren Landgemeinde­ ordnungen. v. E. Oertel, StO. für die östlichen Provinzen, 1901, 1905; Kappelinann, desgl., 1911; Led e rm a n n, desgl., 1902; Harnisch, Die StO. für die Provinz Westfalen, 1901; Steffenhagcn, StO. für die Rheinprovinz, 1887; Ger st meyer, StO. für Schleswig-Holstein, 1900; Brüning, Die preußische Verwaltungsgesehgebung für die Provinz Hannover, 1906; Antoni, StO. für die Provinz Hessen-Nassau, 1897; sowie vonBrauchitfch, Berwnltungsgesetze III und die Ergänzungsbände; ferner Leidig, Preußisches Stadtrecht, 1891; Schön, Das Recht der Kommunalvcrbände in Preußen, 1897, 1888; Stier-Somlo, Handbuch der Kommunalverfassung und des Berwaltungsrechts, 1919; Helfritz, Grundriß des preußischen Kommunalrechts, 1927

Städtetag,

Deutscher

s.

Kommunale

Spitzenverbände.

Stadtgemeinden. I. Begriff und Organe. Das ALR. (§§ 86, 87 II ^bezeichnete als S. diejenigen Gemeinden, deren Einwohner sich mit der Verarbeitimg oder Verfeinerung von Natur­ erzeugnissen und mit dem Handel beschäftigen. Die S. sind Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts, die nach den Vorschriften der Städte­ ordnungen (s. d.) verwaltet werden. Ausnahms­ weise haben Ortschaften, welche den Städtenamen tragen, die Landgemeindeversassung. Als rechts-,

Stadtgememben

willens- und handlungsfähige juristische Per­ sonen tritt ihr Wille in den Willenserklärungen ihrer gesetzlichen Organe in Erscheinung. Diese Organe sind die Stadtvertretung (in den ö. Pr. Stadtverordnetenversammlung, in Hannover Bür­ gervorsteherkollegium, in Hohenzollern Gemeinde­ vertretung oder Bürgerausschuß genannt) und der Stadtvorstand (Magistrat, Bürgermeister). Der Stadtvorstand ist gleichzeitig die Obrigkeit der Stadt und der Verwalter der städtischen Ge­ meindeangelegenheiten. Beschlüsse und Hand­ lungen innerhalb seiner Zuständigkeit gelten als Willensäußerungen und Handlungen der Stadt­ gemeinde (s. Magistrat). Als Organ des Ma­ gistrats können Deputationen und Kommissionen (s. d.) gebildet werden. Die Beamten der Stadt sind besoldete Berufsbeamte (s. Gemeinde­ beamte) oder gewählte Ehrenbeamte (s. Ge­ meindeämter). II. Geschichtliche Entwicklung. S. sind in Deutschland, wenn man von den alten rö­ mischen Wohnplätzen in den Grenzgebieten am Rhein und an der Donau absieht, erst im Mittel­ alter entstanden. Sie haben sich aus Ansiedlungen entwickelt, denen das Marktrecht durch den König verliehen worden war. Mit diesem Recht war eine besondere Gerichtsbarkeit verbunden, die vom Kö­ nige durch seine Beamten (Burggraf, Schult­ heiß) ausgeübt wurde. Der Königsbann schützte vor Verletzung des Marktfriedens. Die Marktorte wurden bald der Mittelpunkt des Verkehrs, Han­ dels und Gewerbebetriebs. Sie erhielten infolge­ dessen zum Schutz der dort angesammelten Güter Befestigungen durch Mauern und im Laufe der Zeit immer größere Privilegien, Freiheiten und hiermit eine ständig wachsende Unabhängig­ keit von der Landesherrschast. In späterer Zeit sind auch von weltlichen und geistlichen Landes­ herren und Grundherren bestehende Ansiedlungen zu S. erhoben und neue S. gegründet worden. Ihre Verfassung beruhte aus dem Rechte, mit dem sie bewidmet wurden. Aus diesem Recht und den eigenen Satzungen der Städtebewohner (Willeküren) entwickelten sich für die einzelnen S. besondere Stadtrechte, wie das Soester, Dortmunder, Münstersche, Lübische und Magde­ burgische, die dann bei Gründung neuer S., na­ mentlich im 12. und 13. Jahrh, während der Ko­ lonisation des slawischen Ostens, auf diese mittels Verleihung von Handfesten (Urkunden) über­ tragen wurden. Ursprünglich stand an der Spitze der S. der vom Landesherrn oder Grundherrn ernannte Schultheiß (in bischöflichen S. ein Vogt), der die Gerichtsbarkeit in der S. unter Mitwirkung von Gemeindegliedern (eines Schöf­ fenkollegiums) verwaltete. Vom 12. Jahrh, ab bestand in den S. ein von den Bürgern ge­ wählter Rat, der die Verwaltung der S. zu­ sammen mit dem Schultheiß leitete, der allmählich durch einen gewählten Bürgermeister ersetzt wurde. Gleichzeitig wuchsen die Machtbefugnisse des Rates gegenüber den Bürgern durch Zuwahl aus den ratssähigen Geschlechtern(Patrizierfamilien). Im 14. und 15. Jahrh, gelang es den Zünften, Anteil an der Stadtverwaltung zu gewinnen. Der Rat übte durch Erlaß von Ordnungen, Sta­ tuten usw. eine gesetzgebende Gewalt aus, be­ wirkte die Besteuerung der Bürger, verwaltete das Kriegswesen der S., die Polizei und Ge­

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richtsbarkeit. Am Ende des Mittelalters bildeten infolge dieser Entwicklung die S. im Deutschen Reich nahezu selbständige kleine Staaten. Die Mißwirtschaft, die sich in ihnen dusbildete, führte im 16. Jahrh, zum Einschreiten der Landesherren, die sich bemühten, die S. ihrer Landeshoheit zu unterwerfen. Eine solche Änderung im Städte­ wesen setzte in Brandenburg namentlich der Große Kurfürst mittels Einführung der Akzise (einer indirekten Steuer auf Lebensmittel) und der Errichtung landesherrlicher Garnisonen in den S. durch. Die mit der Verwaltung der Akzise be­ auftragten landesherrlichen Kommissare wurden später durch die Steuerräte ersetzt, auf die dann unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. die eigentliche Leitung der ganzen Stadtverwaltung überging. Sie wurde in ihrem ganzen Umfange unter eine die alte Selbstverwaltung völlig be­ seitigende Staatsaufsicht gestellt. Auf diesem Standpunkt befand sich auch noch das Städterecht des ALR. für die preuß. Staaten von 1794. Hier­ nach mußte das Stadtrecht vom Könige besonders verliehen werden. Die Einwohner der S. waren entweder Bürger, die das Bürgerrecht besaßen, oder Eximierte, die infolge ihres Amtes oder besonderer Privilegien von der städtischen Gerichstbarkeit befreit waren, oder Schutzver­ wandte, die keiner jener beiden Klassen an­ gehörten. Die jetzige Verfassung der S. beruht auf den Städteordnungen (s. d.). III. Arten. Nach der Beschaffung des Stadt­ vorstandes zerfallen die preuß. Städte in solche mit einem kollegialischen Stadtvorstande (Ma­ gistratsverfassung) und solche, in welchen der Stadtvorstand durch den Bürgermeister allein ge­ bildet wird, dem eine Anzahl an seine Weisungen gebundener Hilfsarbeiter zur Seite steht (Bürgermeisterversassung). Erstere gilt in den ö. Pr. sowie in Westfalen, Hannover,SchlHolst., Frankfurt a.M. und Hessen-Nassau, in der Rheinprovinz bildet das Bürgermeistersystem die Regel. Nach §§ 166 f. II 8 ALR. wurden die Städte in Jmmediat- und Mediatstädte unterschieden, von denen die letzteren außer der Staatsaufsicht noch derjenigen eines Grundherrn unterstanden. Die StO. von 1808 un­ terschied mittlere, kleinere und große Städte. Die Unterscheidung nach der Einwohnerzahl ist auch jetzt noch bedeutsam. S. mit nicht mehr als 2500 Einwohnern können nach § 72 StO. f. d. ö. Pr. das Bürgermeistersystem einführen, wobei der Bürgermeister durch gewählte Schöffen unterstützt und vertreten wird. Eine besondere Rechtsstellung haben die kreisangehörigen S. über 10000 Ein­ wohner, denen gegenüber die Kreisinstanz in mehrfacher Beziehung ausgeschaltet ist (s. §§ 4, 127 LVG., VerwArch. 19, 337, OVG. 79, 26). Ihnen entsprechen die selbständigen Städte der Prov. Hannover, d. h. diejenigen S., welche bei der Hann. StO. die Landesangelegenheiten felbErlaß ständig verwalteten. Größere Städte kön­ nen Stadtbezirke bilden (s. Bezirksvorsteher); Stadtkreise s. Kreise. „Vorstand" im Sinne des Kommunalrechts ist kein rechtlicher Begriff; die Bedeutung von Vorschriften für B. in Polv. usw. ist Sache der tatsächlichen Prüfung im Einzel­ falle. IV. Die von den S. verwalteten Angelegen­ heiten sind solche der Selbstverwaltung, d. h. die selbständige Verwaltung der den S. gesetzlich oblie-

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Städtische Polizei — Stadtschaften

genden oder von ihnen freiwillig übernommenen Angelegenheiten durch eigene Organe, und ferner Auftragsangelegenheiten, nämlich der Verwal­ tung von staatlichen Angelegenheiten zwar durch eigene Organe der Selbstverwaltungskörper, aber als Organe des Staates (Art. 72 VU.). V. Die Einnahmen und Ausgaben der S. setzen sich zusammen aus den Einkünften aus dem Gemeindevermögen (s. d.) und aus öffentlichen Abgaben, sowie den Überweisungen aus Reichs­ steuern und aus Dotationen. Die Ausgaben der Stadtgemeinden sind entweder Leistungen aus Grund gesetzlicher Verpflichtung oder zur Er­ füllung freiwillig übernommener Aufgaben. Sie sind persönliche (Beamtengehälter usw.) oder sachliche (z. B. Schullehrmittel). VI. Die Aussicht des Staates über die Städte wird nach § 7 ZG. vom RP., in zweiter und letzter Instanz vom OP. ausgeübt. Daneben hat der BezA. bestimmte Aufsichtsbefugnisse — Ge­ nehmigung von Statuten und sonstiger Be­ schlüsse — (§ 16 Abs. 3 ZG.). v. E. Städtische Polizei s. Gemeindepolizei und Polizeibehörden I a.

Städtisches Kassen- und Rechnungswesen, a) Im Bereiche der StO. f. d. ö. Pr. gehört die städtische Kassenverwaltung einschließlich des Er­ lasses der sie im einzelnen regelnden Instruk­ tionen zu der Zuständigkeit des Magistrats bzw. in den gemäß § 72 ohne kollegialischen Gemeinde­ vorstand bestehenden Stadtgemeinden zum Ge­ schäftskreise des Bürgermeisters. Er weist die Stadtkasse an, bestimmte Beträge zu verein­ nahmen und zu verausgaben, und ist für die Rechtmäßigkeit dieser Anweisungen verantwort­ lich. Die Kassenbeamten haben lediglich seine Anordnungen auszuführen. Das Recht zur An­ weisung des Empfanges von Einnahmen und zur Zahlungsleistung kann an einzelne Magistrats­ mitglieder, Berwaltungsdeputationen oder an­ dere städtische Organe delegiert werden. Zah­ lungen ohne Anweisung der zuständigen Stelle sind unzulässig und von dem zahlenden Beamten zu vertreten. Der Stadtverordnetenversammlung steht eine Einwirkung auf die Kassenführung nicht zu. Im einzelnen ist die Verwaltung des Kassenund Rechnungswesens Sache des Kämmerers (s. d.). Zur Besorgung der Kassengeschäfte und der Buchführung sind dem Gemeindeeinnehmer (s. d.) die nach dem Umfange der Kassenverwal­ tung erforderlichen Kassierer, Buchhalter, Kassen­ boten und sonstigen Hilfskräfte beizugeben. Zur Beaufsichtigung der Kassen und zur Aufrechterhal­ tung der Ordnung in der Kassenverwaltung dienen die regelmäßigen und die außerordentlichen Kasfenrevisionen, welche für alle staatlichen und kom­ munalen Kassen jedes Ortes genau zur gleichen Zeit (Tag und Stunde) stattfinden sollen. Ist für die obere Kontrolle der Kasse ein besonderes Kassenkuratorium (s. Deputationen, städti­ sche, IV) eingesetzt, so hat dieses die regelmäßigen Kassenrevisionen vorzunehmen. Der Stadtver­ ordnetenversammlung ist von jeder regelmäßigen Kassenrevision Kenntnis zu geben, damit sie in der Lage ist, eins oder mehrere Mitglieder zur Teilnahme abzuordnen. Bei außerordentlichen Kassenrevisionen ist der Vorsitzende oder ein von ihm ein für allemal bezeichnetes Mitglied der Stadtverordnetenversammlung zuzuziehen. Die

Stadtverordnetenversammlung erscheint im Hin­ blick auf das ihr allein zustehende Recht der Finanzkontrolle befugt, jederzeit die Vornahme einer außerordentlichen Kassenrevision zu fordern (§§ 56 Zisf. 4, 59, 73). Im übrigen übt sie ihr Aufsichtsrecht gelegentlich der ihr nach § 69 zu­ stehenden Prüfung und Dechargierung der Jahres­ rechnung. b) Im wesentlichen gleichartige Vorschristen bestehen für die Prov. Westfalen, Rhein­ provinz, Frankfurt a. M., SchlHolst., Hes­ sen-Nassau, Hohenzollern (§§ 56 Zifs. 4, 59, 72, 73 WestfStO.; §§ 53 Zisf. 4, 66, 74 RheinStO.; §§ 63 Zisf. 4, 66, 73 Franks. GemVG.; § 60 Ziff. 3, 81, 83, 94 Ziff. 5 SchlHolstStO; § 61 Ziff. 4, 83, 84 HesiNassStO.; § 68 Zifs. 4 HohenzollGemO.). c) In der Prov. Hannover wird die Kasjenund Rechnungsführung nach §§ 120, 121 HannStO. unter der unmittelbaren Leitung des Bür­ germeisters von dem Kämmerer (s. d.) besorgt. Die Aufsichtsführung ist Sache des Magistrats, der für Vernachlässigungen haftbar gemacht wer­ den kann. Außer den regelmäßigen Kassenunter­ suchungen muß mindestens einmal jährlich eine unerwartete stattsinden. Die Mitwirkung der Bürgervorsteher ist nur für die regelmäßigen Kassenuntersuchungen vorgeschrieben (§ 122). S. auch Gemeindehaushall; Gemeindekassen- und Rechnungswesen; Gemeinde­ rechnungen. v. E. Stadtkassierer ist die Bezeichnung für den in den Städten der Prov.SchlHolst. zur Verwaltung der Stadtkasse und des städtischen Hebewesens be­ stimmten Beamten (s. das Weitere § 75 SchlHolstStO.). v. E. Stadträte. In Frankfurt a. M. haben die Magistratsmitglieder die Bezeichnung S., in Hohenzollern unterscheidet diese Amtsbezeichnung die Mitglieder des kollegialischen Gemeinderats in den Städten von denjenigen in den Landge­ meinden (Schöffen). In den alten Provinzen, sowie in SchlHolst. und Hessen-Nassau wird die Bezeichnung S. von den Magistratsmitglie­ dern in größeren Städten geführt. S. Magi­ strate II. v. E. Stadtrezesse. Nach dem G., betr. dis Ver­ fassung der Städte in Neuvorpommern und Rügen, vom 31. 5. 1853 (GS. 291) ist die Ver­ fassung jeder diesem Landesteil angehörigen Stadt durch einen vom König bestätigten S. geregelt worden. v. E. Stadtschaften. I. Begriff, Entwicklung. Als S. werden unter analoger Verwendung des Begriffs Landschaft öffentlichrechtliche Kredit­ anstalten bezeichnet, die durch Vereinigung von Eigentümern bebauter oder in der Bebauung begriffener Hausgrundstücke oder Erbbauberech­ tigter zu dem Zwecke gebildet werden, den Mit­ gliedern durch Hypotheken oder Grundschulden gesicherte Tilgungsdarlehen zu gewähren und sich die Mittel hierzu durch Ausgabe von Pfandbriefen zu beschaffen. Der Gedanke, nach dem Vorbild der Landschaften zur Verbesserung des städtischen Realkreditwesens unter genossenschaftsähnlicher Zusammenfassung der Hausbesitzer besondere gemeinnützige Realkreditanstalten zu gründen, wurde zuerst von den Hausbesitzerverbänden ver­ folgt. Durch das G. zur Förderung der S. vom

Stadtschasten 8. 6. 1918 (GS. 97) wurde die Staatsregierung ermächtigt, zur Förderung der Gründung von S. einen Betrag von 10 Mill. M zur Verfügung zu stellen. Gefordert wird in 8 4 Abs. 2, daß jedes Mitglied für die Verbindlichkeiten der S. bis zu einem Betrage von 5% des auf seinem Grund­ stück eingetragenen Darlehns haftet. An sich ist es nach diesem G. nicht erforderlich, daß die Gründung der S. durch Gemeinden oder Ge­ meindeverbände erfolgt und von ihrer Haftung getragen wird, tatsächlich sind jedoch die preußi­ schen S. ausnahmslos von den Provinzen bzw. der Stadt Berlin gegründet worden. Die Haftung des Gründungsverbandes wird regelmäßig bei der Verleihung der Körperschaftsrechte bzw. bei der Genehmigung von Satzungsänderungen ge­ fordert. Auch das durch Erl. vom 8. 5. 1868 (GS. 450) ins Leben gerufene Berliner Pfand­ briefamt (Berliner Stadtschaft) — die älteste der vorhandenen S. —ist nachträglich mit der Haftung der Stadt Berlin ausgestattet worden. Dem Vor­ bild des Berliner Pfandbriefamts folgend, grün­ dete die Provinz Brandenburg im Jahre 1912 ein Pfandbriefamt, das im Jahre 1918 in die S. der Prov. Brandenburg umgewandelt wurde. Es folgten die Gründungen weiterer S., und zwar im Jahre 1918 für Hannover, 1919 für Ostpreußen, 1920 für Pommern, 1925 für die Grenzmark, 1926 für Oberschlesien und Sachsen, 1927 für Niederschlesien. Für Berlin wurde als besondere Anstalt zur Gewährung zweitstelliger Hypotheken im Jahre 1923 der Berliner Hypo­ thekenbankverein, ebenfalls in der Form einer, auf der Haftung der Stadt Berlin beruhender Sgegründet. Sämtliche S., mit Ausnahme der beiden Berliner Anstalten, haben sich in der im Jahre 1922 gegründeten Zentralstadtschaft (s. V) zusammengeschlossen. Wegen des Geschäfts­ gebiets der S. der Provinz Brandenburg und des Berliner Pfandbriefamts s. § 37 des G. vom 27. 4. 1920 (GS. 123). II. Organisation. Die S. sind öffentlichrechtliche, zufolge staatlicher Verleihung rechts­ fähige Kreditanstalten. Ihre Verfassung wird durch Satzung geregelt. Ihre Organisation unter­ scheidet sich von derjenigen der Landschaften insofern grundsätzlich, als der kommunale Hastungsträger ausschlaggebend die Verwaltung be­ herrscht, während die Mitwirkung der Grund­ besitzer selbst in den Hintergrund tritt. Nach der Satzung des Berliner Pfandbriefamts wählen die Mitglieder die Hauptversammlung, aus der ein A. unter Leitung des Magistratskommissars ge­ bildet wird, während die Vorstandsmitglieder vom Magistrat auf Vorschlag des A. als städtische Beamte bestellt werden. Bei den provinziellen S. wählt der Provinziallandtag aus der Zahl der Mitglieder (Hausbesitzer) den Verwaltungsrat, und der Provinzialausschuß — ohne Mitwirkung der Hausbesitzer — die Vorstandspersonen. Die Provinz hat daneben noch einen besonderen Ver­ treter in dem Amt des Provinzialkommissars, der vom Provinzialausschuß zur Beaufsichtigung der Geschäftsführung gewählt wird und den Vorsitz im Verwaltungsrat führt. Die Oberaufsicht führen Provinzialausschuß und -landtag. Die Beamten sind zum großen Teil Provinzialbeamte und wer­ den im Rahmen des Provinzialetats angestellt und besoldet. Der Provinziallandtag beschließt über

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Voranschlag und Rechnung der S. Die Beteili­ gung der Mitglieder (Hauseigentümer) beschränkt sich im wesentlichen auf die Verpflichtung zur Annahme des Amtes als Mitglied des Berwaltungsrates sowie auf die Haftung für alle Ver­ bindlichkeiten der S. in Höhe Doti 5%, bei zweit­ stelligen Hypotheken von 10% der entnommenen Darlehen. Die Mitgliedschaft, zu der grundsätz­ lich alle Hauseigentümer und Erbbauberechtigte berechtigt sind, erlischt mit der Tilgung des Dar­ lehens, der Veräußerung des Grundstücks, der Ausschließung infolge Kündigung des Darlehens bei nicht pünktlicher Zinszahlung, Vermögens­ verfall oder ähnlichen Fällen und dem Tode. Bei zweitstelligen Beleihungen ist eine Kündigung aus Gründen der Sicherheit zulässig. Die Berwaltungskosten sind aus den Betriebsüberschüssen zu decken. Vorschußweise hat der Provinzialverband dafür aufzukommen. Ein eigenes Grundkapital besitzen die S. nicht. III. Die Beleihungen erfolgen in der Form hypothekarisch gesicherter, für die S. regelmäßig unkündbarer Tilgungsdarlehen nach Maßgabe der Satzung. Für die Berliner S. ist die Trennung nach erststelligen und zweiten Hypotheken durch­ geführt; das Berliner Pfandbriefamt beleiht zur ersten Stelle, der Hypothekenbankverein zweit­ stellig. Die übrigen S. sind gleichzeitig zur Ge­ währung erster und zweiter Hypotheken berech­ tigt. Tatsächlich wird das zweitstellige Beleihungs­ geschäft jedoch bisher von ihnen nicht betrieben. Die Darlehen sind regelmäßig zu tilgen. Der Darlehensnehmer hat außer den Zinsen einen laufenden festen Zuschlag von 1% — bei einer zweiten Hypothek von 272% zu zahlen —, der nach Abzug eines zur Bestreitung der Verwal­ tungskosten und zur Bildung einer Rücklage be­ stimmten Teiles in eine Tilgungsmasse fließt. In Höhe des Guthabens an der Tilgungsmasse, das sich durch die auslaufenden Zinsen erhöht, gilt die Kapitalschuld als getilgt. Eine Haftung der Tilgungsmasse für Ausfälle besteht nur insofern, als nach Erschöpfung der Sonderrücklage die er­ forderlichen Zuschüsse der Mitglieder aus der Tilgungsmasse entnommen werden können. Die Beleihungsgrenze betrug nach den Satzungen 60% des Wertes für erste Hypotheken, 75 % — bei Kleinwohnungsbauten 80% — für zweite Hypo­ theken. Die Wertermittlung erfolgt nach einer Schätzungsordnung, die der staatlichen Genehmi­ gung bedarf. Von einer förmlichen Abschätzung kann abgesehen werden, wenn das Darlehen ein in der Schätzungsordnung festzusetzendes Viel­ fache des Gebäudesteuer-Nutzungswertes nicht überschreitet. Für die Beleihungen seit der Wäh­ rungsreform sind einschränkende Grundsätze maß­ gebend. Vorkriegsbauten werden in der Regel bis zu 25% des Friedenswertes, Nachkriegsbauten bis zu 40% des Bau- und Bodenwertes beliehen. Sofern eine Gemeinde (Gemeindeverband) die Bürgschaft übernimmt, werden Neubauten bis zu 60% beliehen. Doch sind diese Beleihungsgrenzen nicht als dauernd gültig zu betrachten, da sie von der Gestattung der Mietspreise und der Höhe der Zinssätze abhängen. Die Gewährung der Dar­ lehen erfolgt in Pfandbriefen. Jedoch hat der Darlehnsnehmer auf Verlangen der S. ihr bzw. der Zentralstadtschaft den Verkauf der Pfandbriefe gegen Erstattung der Unkosten zu überlassen, den

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Stadtsekretär (in Hannover) -

sie alsdann auf Rechnung des Darlehnsnehmers vornimmt. IV. Die Mittel zur Gewährung der Darlehen werden durch Ausgabe von Stadtschaftsbriesen (Pfandbriefen) beschafft. Der Gesamtumlauf an Pfandbriefen muß stets durch Hypotheken von mindestens gleicher Höhe und gleichem Zins­ satz gedeckt sein. Ersatzdeckung muß in bar oder in Schuldverschreibungen des Reiches oder der Länder erfolgen. Die Tilgung der Pfandbriefe erfolgt durch Auslosung oder Rückkauf. Grund­ sätzlich können die Pfandbriefe nur behufs satzungs­ mäßiger Tilgung der Darlehen gekündigt werden. Bei der Ausgabe der Goldpfandbriefe haben die Zentralstadtschaft und die Berliner S. auf das Recht der Aufkündigung auf die Dauer von fünf Jahren verzichtet. Die der Zentralstadtschaft an­ geschlossenen S. haben auf das Recht zur Emission neuer eigener Pfandbriefe verzichtet. V. Zentralstadtschaft. Im Jahre 1922 wurde von den S. der Provinzen Brandenburg, Ostpreußen undPommern die Preußische Zentral­ stadtschaft gegründet, die durch Verleihung die Eigenschaft einer Anstaltt des öffentlichen Rechts erlangt hat. Zweck der Zentralstadtschaft ist die Förderung der Mitgliedsanstalten durch die Aus­ gabe und den Vertrieb eines gemeinsamen Pfand­ briefes. Die später begründeten provinziellen S. sind der Zentralstadtschaft beigetreten, so daß nun­ mehr die Kapitalbeschaffung für sämtliche provin­ zielle S. einheitlich durch die Zentralstadtschaft er­ folgt. Alleiniges Organ der Zentralstadtschaft ist die Direktion, die aus je einem Vertreter der ange­ schlossenen S. besteht. Den Inhabern der Zen­ tralstadtschaftsbriefe haftet in erster Linie die Zentralstadtschaft, der wiederum die einzelnen S., bzw. ihre Garantieträger, die Provinzen, bis zur Höhe der auf ihre Rechnung ausgegebenen Pfand­ briefe gesamtschuldnerisch haften. Die Tätigkeit der Zentralstadtschaft beschränkt sich aus die Ausgabe und den Absatz der Pfandbriefe und die damit verbundenen Geschäfte (Kursregulimmg/ Auslosung, Rückkauf usw.). Die Durchführung der Beleihungen ist Sache der Einzelstadtschasten. Der Verkauf der Pfandbriefe erfolgt für Rechnung der Darlehnsnehmer. Die Beleihungsgrenze bestimmt sich nach der Satzung der betr. Einzel­ stadtschaft. Der Gesamtbetrag an umlaufenden Pfandbriefen muß den obenerwähnten Grund­ sätzen entsprechend gedeckt sein. Im übrigen ent­ sprechen die Grundsätze über die Darlehnsgewährung denjenigen der Einzelstadtschasten. VI. Die zur Zeit umlaufenden Pfandbriefe der Zentralstadtschaften und der Berliner S. lauten, abgesehen von den Papiermarkpfandbriefen auf Goldmark, d. h. den Gegenwert bestimmter Men­ gen Feingold. Der Gesamtumlauf an Goldmark­ pfandbriefen betrug am 31.12.1927 bei der Zen­ tralstadtschaft 143 671840 Goldmark, bei dem Ber­ liner Pfandbriefamt 50580 000 Goldmark und bei den Berliner Hypothekenbankverein 12184 000 Goldmark. VII. Von den S. hat nur diejenige der Provinz Brandenburg das Recht, neben dem Grundkredit­ geschäft auch sonstige Bankgeschäfte zu betreiben, insbesondere Darlehen aufzunehmen, Depositen­ gelder anzunehmen und verfügbares Geld durch Ankauf von Zentralstadtschaftsbriefen, von Wech­ seln und Wertpapieren nach den für die Reichs-

Stadtverordnetenversammlung bank geltenden Grundsätzen sowie durch Beleihung von Wertpapieren nutzbar zu machen. Zur Über­ wachung dieser Tätigkeit ist ein besonderer Kredit­ ausschuß gebildet. Die Berliner S. haben sich zur Abwicklung der mit dem Pfandbriefgeschäft in Zu­ sammenhang stehenden Bankgeschäfte eine be­ sondere Aktienbank unter der Firma Berliner Stadtschastsbank A.-G. angegliedert. VIII. Die Staatsaufsicht über die S. führt der OP., in oberster Instanz der MfV. (Staatsministerialbeschluß vom 7. 11. 1919, GS. 175). Der Provinzialkommissar der Brandenburgischen S. ist zugleich Staatskommissar für die Zen­ tralstadtschaft. Die S. sind dem Verbände deutscher öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten an­ geschlossen (s. d. und Pfandbriefe, Grund­ kreditanstalten. v. B. Heinicke, Die Preußischen Stadtschaften 1928.

(in Hannover). Nach § 41 Abs. 1 HannStO. sind den Magistraten im Be­ darfsfälle S. beizuordnen, die regelmäßig nach § 45 auf Lebenszeit anzustellen sind und eine feste Besoldung erhalten. Die Besetzung des Amtes erfolgt durch Wahl seitens der städtischen Kollegien nach den für die Wahl der Magistratsmitglieder gellenden Vorschriften (§§ 51, 53, 56, 39). S. auch Magistrate IV. Der S. ist zu vereidigen, sowie von der Aufsichtsbehörde zu bestätigen, wenn dem S. durch das Ortsstatut Stimmrecht im Magistratskollegium beigelegt ist (§§ 39, 56, 58 Abs. 3). Für Nebenämter, den Betrieb an­ derer Erwerbszweige und das Wohnen außerhalb der Stadt ist die Genehmigung der städtischen Kollegien erforderlich. v. E. Stadtvermbgen s. Gemeindevermögen, Gemeindegliedervermögen v. I. Stadtverordnetenversammlung. I. Gestaltun g. a) Der § 108 der StO. vom 19.11.1808 er­ mächtigte die S. zur Vertretung der Bürger und zur Besorgung aller Gemeindeangelegenheiten. Im Sinne dieser Vorschrift weist der § 35 StO. f. d- ö. Pr. der S. die Beschlußfassung über alle Ge­ meindeangelegenheiten zu, soweit dieselben nicht ausschließlich dem Magistrat überwiesen sind, während ihr § 37 die Kontrolle der gesamten Stadt­ verwaltung überträgt. Die S.ist keine juristische Person,aber einepolitischeKörPerschast, welchevielfach behördliche Verrichtungen vornimmt. Die §§ 17, 33,128 ZG. bezeichnen sie geradezu als Behörde. Nach OVG. 41, 34 steht ihr als Trägerin öffent­ lichrechtlicher Funktionen das. Petitionsrecht zu, auch genießt sie strafrechtlichen Schutz gegenüber Ehrenkränkungen. Nach RGSt. 33,66 findet § 197 StGB., der die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Beleidigung einer politischen Körperschaft nicht von der Antragstellung des Beleidigten ab­ hängig macht, sondern nur ihre Ermächtigung zu der Strafverfolgung fordert, auch auf die S. Anwendung. Die Mitglieder der S. sind als solche weder unmittelbare noch mittelbare Be­ amte (RGSt. 12, 91; 32, 66; OVG. 25, 417; 39, 444; PrVBl. 22, 411; 23, 611; 25, 302; 28, 869). b) Die Gestaltung der Stadtverfassungen in Westfalen, Hessen-Nassau, Frankfurta.M. und Hohenzollern entspricht im wesentlichen derjenigen in den ö. Pr. In den Städten der Rheinprovinz ohne kollegialischen Gemeindevor­ stand steht der Bürgermeister, in dessen Person

Stadtfekretiir

^Versammlung

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sich die gesamte Verwaltung vereinigt, gleichzeitig in Kenntnis zu setzen, auch dann, wenn im voraus als Vorsitzender an der Spitze der S. Seine nicht regelmäßige Sitzungstage bestimmt sind. Die durch das Vorhandensein eines Magistratskolle­ Sitzungen sollen (vgl. OVG. 63, 115) nicht in giums beschränkte Machtstellung erhält durch diese Wirtshäusern oder Schenken abgehalten werden organische und unmittelbare Verbindung mit der (§§ 39—41, 45 StO. f. d. ö. Pr.; §§ 39-^1, 45 kontrollierenden Gemeindevertretung ein sach­ WestfStO.; §§ 38—39, 42 RheinStO.). gemäßes Gegengewicht. b) In Hessen-Nassau muß die Einladung c) In SchlHolst. und in Hannover beruht 48 Stunden vor dem Beginne der Sitzung er­ die städtische Gemeindeverfassung auf wesentlich folgen; diese soll nicht in Wirtshäusern oder anderen Grundlagen. Hier bildet die gemein­ Schenken stattfinden; für Frankfurt a. M. fehlt schaftliche Beratung und Beschlußfassung der bei­ jede Vorschrift über den Versammlungsraum, in den städtischen Kollegien die Regel, der Magistrat Hohenzollern ist die Abhaltung der Sitzungen ist in allen städtischen Angelegenheiten die ein­ in Schenken und Wirtshäusern nur ausnahms­ zige ausführende und verwaltende Behörde und weise gestattet (§§ 42-^4, 48 HessNassStO.; nur insoweit an die Zustimmung der Stadtver­ §§ 49—51 GemBG.; §§ 74, 75 HohenzGemO.). ordneten (in Hannover (Bürgervorsteher) ge­ c) In SchlHolst. versammelt sich das Stadt­ bunden, als G. und Ortsstatut dies ausdrücklich verordnetenkollegium der Regel nach nur ge­ meinschaftlich mit dem Magistrat auf die Zusam­ vorschreiben. II. Zusammensetzung, a) Die Mitglieder­ menberufung durch den Bürgermeister. Wünscht zahl der S. muß mindestens elf betragen. Die es eine solche gemeinschaftliche Versammlung, so Grundzahl kann durch Ortssatzung erhöht werden hat der Bürgermeister sie auf eine ihm von dem bis zu 15000 Einw. für jede angefangenen 1000, Stadtverordnetenvorsteher schriftlich zu machende bei mehr als 15000 bis zu 30000 Einw. für jede Anzeige zu veranstalten. In der Regel sind hierzu angefangenen 2000, bei mehr als 30000 bis zu die Mitglieder beider Kollegien drei Tage vorher 60000 Einw. für jede angefangenen 3000, bei unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen. mehr als 60000 bis zu 300000 Einw. für jede Die Einladung nebst Vorlagen ist gleichzeitig zur angefangenen 10000; bei mehr als 300000 Einw. Einsicht für die Stadtverordneten in deren Ver­ für jede angefangenen 15000 um je einen Stadt­ sammlungszimmer auszulegen. Bei einer schleu­ verordneten, aber nicht über 100 hinaus (§ 4 des nigen Zusammenberufung in Notfällen ist hierauf G. vom 12. 2. 1924, GS. 99). In Berlin besteht in der Einladung ausdrücklich hinzuweisen. Der die S. aus 225 Mitgliedern (§ 8 des G. vom Stadtverordnetenvorsteher kann auch besondere 27. 4. 1920, GS. 123). Für die Feststellung der Sitzungen der S. veranlassen und muß dies, wenn Einwohnerzahl ist das Ergebnis der letzten Volks­ wenigstens ein Drittel der Stadtverordneten zählung maßgebend (§ 162 ZG.; OVG. 26, 109; schriftlich hierauf anträgt. Die Sitzungen müssen 79, 26). In Betracht kommt nur die ortsanwe­ stets in dem dazu ein für allemal bestimmten sende Zivilbevölkerung. Macht die Zu- oder Ab­ Amtslokale gehalten werden (§§ 50, 54 Schlnahme der Seelenzahl eine Vermehrung oder HolstStO.). Verminderung der Zahl der Stadtverordneten d) In Hannover versammeln sich die Bürger­ notwendig, um diese mit den ortsstatutarischen vorsteher auf Einladung des Magistrats oder aus oder gesetzlichen Vorschriften in Einklang zu eigenem Antriebe. Versammlungen der ersten bringen, so hat der Magistrat (Bürgermeister) das Art finden entweder an allgemein festgesetzten Erforderliche für die nächsten regelmäßigen Stadt­ Tagen oder infolge besonderer Ladung statt. verordnetenwahlen zu veranlassen, ohne daß es Diese erfolgt durch Mitteilung an den Wortführer, der vorgängigen Fassung eines Gemeindebeschlus­ die, von Eilfällen abgesehen, zeitig vor dem Verses bedarf. Voraussetzung für diese Maßnahme sammlungstage geschehen und die Beratungs­ ist die amtliche Bekanntmachung des endgültigen gegenstände angeben muß. Versammlungen der Ergebnisses der Volkszählung (OVG. 55, 41). Stadtverordneten aus eigenem Anlasse beruft der Wegen der Wahlfähigkeit von Verwandten s. Ma­ Wortführer durch Umlaufschreiben, so oft er es gistrat III, wegen der Wahlen zu S. s. Ge­ ür notwendig hält oder wenigstens drei Bürger­ vorsteher es beantragen (§§ 101, 104, 105 Hannmeindewahlrecht. III. Versammlungen und Beschlüsse. StO.). 2. Die Sitzungen der S. sind öffentlich, doch 1. a) Von den Prov. SchlHolst. und Hannover abgesehen, bildet in allen Landesteilen die ge- kann die Öffentlichkeit durch besonderen in ge­ gesonderte Beratung der beiden städtischen Kol­ heimer Sitzung zu fassenden Beschluß ausgelegien die Regel. Der Vorsitzende beruft die S., chlossen werden. Die S. ist beschlußfähig, wenn so oft es die Geschäfte erfordern, durch Stadt­ auf ordnungsmäßige Einladung aller Stadtver­ verordnetenbeschluß können in den alten Provin­ ordneten mehr als die Hälfte der vorgeschriebenen zen im voraus regelmäßige Sitzungstage fest­ Zahl erschienen ist. Diese Vorschrift tritt außer gesetzt werden. Die Zusammenberufung der S. Wirksamkeit, wenn die Stadtverordneten zum muß erfolgen, wenn ein Viertel der Stadtver­ zweitenmal zur Verhandlung über denselben ordneten oder der Magistrat dies beantragt. Die Gegenstand berufen sind. Bei der zweiten ZuArt und Weise der Zusammenberufung setzt die 'ammenberufung muß hierauf ausdrücklich hin­ S. ein für allemal fest, sie erfolgt unter Angabe gewiesen werden. In Hannover geht das Kol­ der Berhandlungsgegenstände wenigstens zwei legium, falls bei der zweiten Zusammenberufung freie Tage vorher. In Eilfällen kann von der alle Mitglieder entbleiben, für den vorliegenden Beobachtung dieser Förmlichkeiten abgesehen wer­ Fall der Mitwirkung bei der betreffenden An­ den. Der kollegialische Gemeindevorstand ist bei gelegenheit verlustig (§§ 42, 45 StO. f. d. ö. Pr.; dem Ergehen der Einladung unter Übersendung §§ 42, 45 WestfStO.; §§ 40, 42 RheinStO.; der Tagesordnung (s. d.) von dem Sitzungstage §§ 45, 48 HessNassStO.; §§ 52, 55 GemVG.;

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Stadtverordnetenversammlung

§§ 76, 79 HohenzollGO.; §§ 55, 56 SchlHolstStO.; §§ 102, 109, 110 HannStO.). 3. a) Die S. mit kollegialischem Gemeinde­ vorstande erwählt alljährlich, in Hessen-Nassau alle zwei Jahre, aus ihrer Mitte einen Vorsitzen­ den — Stadtverordnetenvorsteher — und einen Schriftführer, sowie je einen Stellvertreter. Die Stelle des Schriftführers kann ein von den Stadt­ verordneten nicht aus ihrer Mitte gewählter, vom Bürgermeister in öffentlicher Sitzung hierfür ver­ eideter Protokollführer vertreten. Dieser und die etwaigen Beisitzer bilden den Vorstand oder das Bureau der S. Die Wahl der Vorstandsmitglie­ der regelt sich nach den für die Wahl der Ma­ gistratsmitglieder maßgebenden Vorschriften. Die Abtretenden sind wieder wählbar. In den Städten ohne kollegialischen Gemeindevorstand ist der Bür­ germeister stimmberechtigter Vorsitzender der S. Der Vorsitzende eröffnet, leitet und schließt die Versammlungen, er ist berechtigt, Zuhörer ent­ fernen zu lassen, die öffentlich Beifall oder Miß­ fallen bekunden oder sonst stören. Die weitere Umgrenzung der Befugnisse des Vorsitzenden ist Sache der Geschäftsordnungen. Die S. ist be­ fugt, ihren Geschäftsgang durch den Erlaß einer Geschäftsordnung zu regeln, welche in den ö. Pr., Westfalen, Hessen-Nassau und Frankfurt a. M. der Zustimmung des Magistrats bedarf. Zu­ widerhandlungen der Mitglieder gegen die zur Aufrechterhaltung der Ordnung erlassenen Vor­ schriften können mit Geldstrafe geahndet werden, die in den alten Provinzen, SchlHolst., HessenNassau und Frankfurt a. M. den Betrag von 15 RM nicht übersteigen dürfen. Im Wieder­ holungsfälle kann die Ausschließung aus der S. für bestimmte Zeit oder für die Dauer der Wahl­ periode verhängt werden. Die Straffestsetzung erfolgt durch Bersammlungsbeschluß, für den eine Genehmigung nicht vorgeschrieben ist. Dem Ver­ urteilten wie dem Magistrate (Bürgermeister) steht dagegen die Klage im VwStr. zu (§§ 38, 46, 48 StO. f. d. ö. Pr.; §§38,46, 47 WestStO.; §§ 43, 44 RheinStO.; §§ 41, 49, 51 HessNassStO.; §§ 48, 56, 58 GemVG.; §§ 1, 10,11 ZG.). b) In Hohenzollern führt der Bürger­ meister den Vorsitz mit vollem Stimmrechte. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß wegen unentschuldigten Ausbleibens oder ord­ nungswidrigen Benehmens in der Versammlung gegen das betreffende Mitglied eine Geldstrafe von 1—3 RM festgesetzt und daß irrt Wieder­ holungsfälle Ausschließung aus der Versammlung bis auf die Dauer eines Jahres verhängt werden darf (§§ 68 Abs. 2, 80, 82 HohenzollGO.). c) In SchlHolst. werden der Vorsteher — Bürgerworthalter — und die übrigen Vorstands­ mitglieder der S. nach absoluter Stimmenmehr­ heit der Anwesenden gewählt, bei Stimmengleich­ heit ungeachtet zweimaliger Abstimmung ent­ scheidet das Los. Die Wahl soll nach Einführung der neu gewählten Mitglieder der S. erfolgen. Geschäftsordnungen für die gemeinschaftlichen Beratungen der beiden städtischen Kollegien oder für die der S. können, erstere durch Gemeinde­ beschluß, letztere durch die S. allein festgestellt werden (§§ 48, 55, 56 Abs. 2, 57 SchlHolstStO.). d) In Hannover erwählen die Bürgervor­ steher beim Antritte neuer Bürgervorsteher gemäß § 87 HannStO. durch absolute Stimmenmehrheit

aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden — Wort­ führer —, einen Schriftführer und einen Stell­ vertreter für jeden derselben. Der Magistrat macht die ihm anzuzeigenden Namen der Gewählten öffentlich bekannt. Ohne Entschuldigung aus einer — vom Magistrat oder aus eigenem An­ triebe — angesetzten Versammlung ausbleibende Bürgervorsteher können mit einer Geldbuße be­ legt werden, die Entscheidung, ob und in welcher Höhe dies geschehen soll, steht dem Bürgervor­ steherkollegium zu, gegen dessen Beschluß die Klage im VwStr. gegeben ist. Die Strafe der zeitweiligen Ausschließung ist nicht zugelassen. Zuhörer, welche den zur Erhaltung und Ruhe erlassenen Anordnungen des Vorsitzenden nicht Folge geben, können entfernt und die Sitzung bis zur Durchführung dieser Maßregel geschlossen werden (§§ 100, 103 Abs. 1, 109 HannStO.; §§ 10, 11 ZG.). 4. Die S. kann zur Vorbereitung von Be­ ratungsgegenständen A. aus ihrer Mitte nieder­ setzen (s. Deputationen, städtische IV). 5. a) Der Magistrat hat das Recht, Abgeord­ nete zu den Sitzungen der S. zu entsenden und muß jederzeit gehört werden, die S. hat an­ derseits einen Anspruch auf die Teilnahme von Magistratsvertretern an ihren Sitzungen (§ 38 Abs. 3 StO. f. d. ö. Pr.; § 38 Abs. 3 WestfStO.; § 72 Abs. 2 RheinStO.; § 41 Abs. 3 HessNassStO.; § 49 Abs. 1 GemVG.). b) In SchlHolst.und Hannover ist der Ma­ gistrat bei den besonderen Sitzungen der S. nicht vertreten, erhält aber Anzeige von ihrer Anbe­ raumung und in der erstgenannten Provinz spä­ testens binnen drei Tagen Nachricht von dem Er­ gebnisse der Verhandlung unter Mitteilung einer beglaubigten Protokollabschrift. In den gemein­ schaftlichen Versammlungen der beiden Kollegien leitet das Vorsitzende Mitglied des Magistrats die Verhandlungen (§§ 51 Abs. 1, 54, 55 SchlHolst­ StO.; §§* 105 Abs. 3, 106 HannStO.). 6. a) Die Beschlüsse der S. werden nach Stim­ menmehrheit gefaßt, bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. An­ wesende, welche sich der Abstimmung'enthalten, werden für die Frage der Beschlußfähigkeit mit­ gezählt. Abstimmung durch Aufstehen, Händeerheben u. dgl. ist nicht ausgeschlossen, geheime nur zugelassen, soweit das G. dies vorsieht (PrVBl. 14, 147; 15, 427). Persönlich beteiligte Stadtverordnete dürfen an der Beschlußfassung nicht teilnehmen. Als in diesem Sinne beteiligt gelten nur diejenigen, deren Interesse in der zur Verhandlung stehenden Angelegenheit mit dem­ jenigen der Gemeinde in Widerspruch steht. Ob dies der Fall ist, ist Sache der tatsächlichen Aüfung in jedem Einzelfalle (PrVBl. 29, 54). Hat die persönliche Beteiligung einer Mehrzahl von Stadtverordneten die Beschlußunfähigkeit der S. zur Folge, so muß der Magistrat und, falls auch dieser behindert ist, der BezA. für die Wahrung des Gemeindeinteresses unter eventueller Be­ stellung eines Vertreters der Stadtgemeinde sor­ gen. Die Beurkundung der Beschlüsse erfolgt durch Eintragung in ein Protokollbuch unter An­ gabe der Anwesenden und Unterzeichnung durch den Vorsitzenden und wenigstens drei — in Hohenzollern zwei —- Mitglieder. Die Beschlüsse sind dem Magistrate zu übersenden (§§ 43, 44, 47

Stadtverordnetenversammlung

StO. f. d. ö. Pr.; §§ 43, 44, 47 WestfStO.; §§ 36, 41, 44, 73 RheinStO-; §§ 53, 54, 57 GemVG.; §§ 77, 78, 81 HohezollGO.; §§ 17 Abs. 1 Ziff. 2, 161 ZG.). b) In SchlHolst. führt bei den gemeinsamen Versammlungen beider Kollegien der Bürger­ meister bzw. dessen Stellvertreter dasDirektorium. Die Beurkundung der auf Grund gemeinschaft­ licher Beratung und Beschlußfassung ergangenen Beschlüsse erfolgt noch vorgängiger Verlesung und Genehmigung durch die Unterschrift des Bürger­ meisters, des Stadtverordnetenvorstehers bzw. ihrer Stellvertreter und des Protokollführers. Nicht in das Protokollbuch eingetragene Beschlüsse entbehren der Gültigkeit. Bei der Abstimmung votiert, falls das Ortsstatut nichts anderes be­ stimmt, der Magistrat nach der S., jedes Kollegium stimmt besonders ab, bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Ein rechtswirksamer Gemeindebeschluß kommt zu­ stande, wenn die Mehrheit in dem einen sich mit der Mehrheit in dem anderen Kollegium zu einem übereinstimmenden Beschlusse vereinigt (§§ 51,52 SchlHolstStO.; § 17 Abs. 1 Ziff. 2 ZG.). Für die besonderen Sitzungen der S. enthalten die §§ 51, 54, 55 entsprechende Vorschriften. c) In der Prov. Hannover beruft der Wort­ führer auf Veranlassung des Magistrats die ge­ meinschaftlichen Versammlungen. Erfolgt die Zusammenberusung wegen Beschlußunfähigkeit zum zweiten Male, so sind die Bürgervorsteher durch den Magistrat einzeln zu laden. Das Vor­ sitzende Mitglied des Magistrats leitet die Ver­ handlung, das Protokoll wird magistratsseitig geführt. Der Abstimmungsmodus entspricht dem­ jenigen in SchlHolst. Vor der Abstimmung kann auf Anordnung des Vorsitzenden oder des Wortührers oder dreier Bürgervorsteher eine abge­ sonderte Beratung beider Kollegien eintreten. Anträge der Bürgervorsteher erfolgen durch Über­ reichung der protokollierten Beschlüsse oder durch Erklärung zum Magistratsprotokoll (§§ 106 bis 108 HannStO.; § 17 Abs. 1 Ziff. 2 ZG.). IV. Rechtliche Stellung der Stadtver­ ordneten. Die Mitglieder der S. sind nicht Be­ vollmächtigte ihrer Wähler, sondern Vertreter der ganzen Stadtgemeinde und an keine Aufträge oder Instruktionen gebunden. Sie sind weder mittelbare noch unmittelbare Beamte und nur insoweit zur Verschwiegenheit verpflichtet, als die S. im Einzelfalle Geheimhaltung beschlossen hat. Sie werden bei ihrer Einführung durch Hand­ schlag zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Obliegenheuiten verpflichtet (§ 19 des G. vom 18.7. 1919, GS. 118). Sie unterliegen hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Mitglieder der S. keinem Disziplinar­ verfahren (§ 20 Abs. 3 ZG.) und können auch nicht auf Grund ihrer Beschlüsse von der Stadt­ gemeinde wegen privatrechtlicher Schädigung er­ satzpflichtig gemacht werden. Hinsichtlich ihrer in den Versammlungen der Stadtverordneten ge­ haltenen Reden genießen sie den Schutz des § 193 StBG. Sie beziehen weder Gehälter noch Re­ munerationen, doch ist die Vergütung barer Aus­ lagen zulässig, welche für sie aus der Ausrichtung von Aufträgen entstehen (§ 64 StO. f. d. ö. Pr.; § 64 WestfStO,; § 58 RheinStO.; §§ 38 Abs. 2, 53 Abs. 5, 91 Abs. 2 HessNassStO.; §§ 45 Abs. 2,

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71 Abs. 2 GemBG.; § 72 Abs. 3 HohenzollGO.; § 80 HannStO.). V. Zuständigkeit, a) In den ö. Pr., Westfalen, Rheinprovinz, Hessen-Nassau, Frankfurt a. M. und Hohenzollern beschließt die S. über alle Stadtangelegenheiten, soweit sie nicht ausschließlich dem Magistrate (Bürger­ meister) überwiesen sind (OVG. 50 S. 4 u. 8; PrBBl. 28, 257). Zur Beschlußfassung über andere Angelegenheiten ermächtigt sie nur eine Anordnung der Aufsichtsbehörde, der gegenüber sie zur Abgabe erforderter Gutachten verpflichtet ist. Sie überwacht die gesamte Stadtverwaltung insbesondere auch das Finanzwesen, und ist be­ rechtigt, sich von der Ausführung ihrer Beschlüsse und der ordnungsmäßigen Vereinnahmung und Verwendung der Gemeindeeinnahmen durch Akteneinsicht und Teilnahme an den Gemeinde­ revisionen zu überzeugen. (S. Städtisches Kassen- und Rechnungswesen.) Der Stadt­ vorstand hat der S. alljährlich vor der ihr obliegen­ den Ausstellung des Haushaltsplans (s. Ge­ meindehaushalt) einen Verwaltungsbericht (s. Magistrate V) zu erstatten. Das Kontroll­ recht der S. bezieht sich nicht nur auf der Ver­ gangenheit angehörige Verwaltungsakte, sondern auch auf die laufende Verwaltung. Sie ist dem Magistrate nicht übergeordnet, sondern mit und neben ihm als Willensorgan der Stadtgemeinde zur Tätigkeit berufen. Die Kontrollmaßregeln dürfen nur informatorischer Art sein, eine Be­ teiligung der S. an der dem Magistrate vorbehal­ tenen ausführenden Verwaltung findet nicht statt und die S. darf ihre Beschlüsse in keinem Falle selbst zur Ausführung bringen. Sie hat kein Recht, förmliche Untersuchungen vorzunehmen und ihr nicht angehörige Personen — beispielsweise als Sachverständige — für ihre Jnformationsgewinnung heranzuziehen (OVG. 45, 42). Zur Aus­ führung der auf ihre Geschäftsführung bezüglichen Beschlüsse ist die S. überall selbst zuständig, sie kann auch Beschwerde über den Stadtvorstand bei der Aufsichtsbehörde erheben und bei Meinungsver­ schiedenheiten die Entscheidung des BezA. an­ rufen (OVG. 52, 23). Zur Wahrnehmung ihrer Rechte im BwStr. gibt ihr § 21 Abs. 2 ZG. das Recht der Bestellung eines besonderen Ver­ treters. Wird die S. gegen Magistratsmitglieder aus Anlaß ihrer Amtsführung klagbar, so bestellt ihr auf ihren Antrag der RP., in Berlin der OP. einen Anwalt für die Prozeßführung. Für die im BwStr. als Partei beteiligte S. kann der Stadtverordnetenvorsteher auch ohne besonderen Auftrag Rechtsmittel einlegen und es genügt, daß die Versammlung dies nachträglich, wenn auch erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, genehmigt (OVG. 55, 41). Hinsichtlich der nach der LGO. verwalteten westfälischen Städte s. OVG. 54, 325 (§§ 10, 35, 37, 44 Abs. 2, 61 StO. f. d. ö. Pr.; §§ 10, 44 Abs. 2, 35, 37, 61 WestfStO.; §§ 9, 34, 35, 41 Abs. 2, 45, 56, 67 RheinStO.; §§ 12, 38, 39 Abs. 2, 47 Abs. 2, 52 Abs. 2, 53, 66, 84 Hess­ NassStO.; §§ 2, 45-47, 54 Abs. 2, 68 GemVG.; §§ 20, 72, 73, 83, 92, 94 HohenzollGO.). b) In SchlHolst. hat der Magistrat die städti­ schen Gemeindeangelegenheiten unter der gesetz­ lich geordneten Mitwirkung des Stadverordnetenkollegiums zu verwalten. Alle inneren Ge­ meindeangelegenheiten und Gegenstände der

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Stadtwappen — Standesämter und Standesbeamte

Stadtökonomie erfordern, soweit sie nicht durch die StO. oder in einem Ortsstatute dem Ma­ gistrat allein überwiesen sind, die mitwirkende Beschlußfassung der S. in der Weise, daß beide Kollegien gemeinschaftlich beraten und beschließen (s. vorstehend III 6b und §§ 1, 50—53, 60, 63, 64, 85, 87 SchlHolstStO.). c) In Hannover wird die Stadt durch den Magistrat verwaltet und durch ihn sowie die Bürgervorsteher (s. oben Ic) vertreten. Das Bürgervorsteherkollegium steht nur im Geschäfts­ verkehre zum Magistrat, ist jedoch zur Beschwerde­ führung über ihn und einzelne Magistratsmitglie­ der in Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung befugt und vertritt dem Magistrate gegenüber die Stadtgemeinde in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens. Inwieweit der Magistrat bei der Leitung dieser Angelegenheiten an die Zustim­ mung der Bürgervorsteher gebunden ist, bestim­ men die StO. und das Ortsstatut. Wenn der Magistrat seiner Entscheidung unterliegende Ge­ genstände der Gemeindeverwaltung dem Bürger­ vorsteherkollegium zur Beratung vorlegt, so wird hierdurch dessen Zuständigkeit für diesen Einzel­ fall begründet. Dies ist unzulässig, wenn die Entscheidung dem Magistrate durch eine beson­ dere Gesetzesbestimmung zugewiesen ist. Die Be­ ratung und Beschlußfassung der beiden Stadt­ verordnetenkollegien erfolgt der Regel nach ge­ meinsam (s. vorstehend III 6c und §§ 5, 72, 80, 95—98, 118, 119, 123 HannStO.). S. auch Be­ anstandungen; Gemeindesteuerbeschlüsse; Magistrate; Meinungsverschiedenheiten; Petitionsrecht; Stadtverordneten wählen. VI. Auflösung. Eine S. kann durch V. des StM. aufgelöst werden. In diesem Falle ist binnen sechs, in SchlHolst. binnen drei Monaten vom Tage des Erlasses der Auflösungsverordnung ab gerechnet, mit der Neuwahl vorzugehen. Bis zur Einführung der neugewählten Stadtverord­ neten versieht der BezA., in SchlHolst der Ma­ gistrat die Geschäfte der S. Die StO. für die Prov. Hannover sieht eine Auflösung nicht vor § 74 StO. f. d. ö. Pr.; § 81 WestfStO.; § 86 RheinStO.; § 65 SchlHolstStO.; § 82 GemVO.; § 90 HessNassStO.). Hinsichtlich Hohenzollern, wo eine besondere Städteverfassung nicht besteht, s. Landgemeindevertretung. v. E. Vgl. u. a. die Literaturbei„Städteordnungen", sowie Jebens, Die Stadtverordneten, 2. Aufl., Berlin 19°5 und Die Instruktion für die Stadtmagistrate vom 25.Mar 1835, Berlin 1901; Preuß, Das städtische Amts­ recht in Preußen, Berlin 1902.

Stadtwappen. Viele Städte führen von alters her Wappen. Während Familienwappen seit dem 12. Jahrh., Landeswappen seit dem 13. Jahrh, geführt werden, beginnt die Führung von S. erst im. 15. Jahrh. Sie sind den Städten teils vom Kaiser oder Landesherrn verliehen, teils eigen­ mächtig angenommen worden. Den rheinischen Städten ist die Wiederannahme ihrer alten S. durch KabO. vom 22. 12. 1817 gestattet worden (ABl. d. Reg. zu Düsseldorf vom 10. 2. 1818). Soll die Feststellung oder Neueinführung eines S. erfolgen, so ist der Entwurf nach seiner An­ nahme durch die städtischen Körperschaften von der Stadtverwaltung an die vorgesetzte Aufsichts­ behörde (den RP.) und von dieser, wenn keine Einwendungen zu erheben sind, durch den OP. an den MdI. mittels Berichts einzureichen. —

Durch § 4 des G. vom 12. 5. 1894 (RGBl. 441) ist die Eintragung in die Zeichenrolle für solche Warenzeichen untersagt, welche Wappen eines in­ ländischen Ortes, eines inländischen Gemeinde­ oder weiteren Kommunalverbandes enthalten. Die Stadtgemeinde ist befugt, bei unerlaubter Benutzung von S. eine Klage auf Untersagung der Benutzung im Zivilprozesse zu erheben (RGZ. 2, 147; 5, 173). v. E. Staffelzölle s. Zoll I. Stallschweizer. Ihre Ausbildung ist durch den Erl. vom 20. 5. 1927 (MBlMfL. 504) geregelt. Die Leitsätze betreffen die Prüfung von Stall­ schweizerlehrlingen und von Oberschweizern. Biehpflege- und Melkerschulen, in denen die prak­ tische und theoretische Ausbildung der Stall­ schweizer erfolgt, bestehen in Ramien in Ost­ preußen, Bokelholm in SchlHolst., Kellen bei Cleve in der Rheinprovinz und in Echem in Hannover. In mehreren anderen Provinzen sind Viehpflege- und Melkerschulen im Entstehen be­ griffen. Gat. Stallsperre s. Sperre (veterinärpolizei­ liche). Stammgüter s. Familiengüter. Standesämter und Standesbeamte. I. Die Standesbeamten sind die vom Staate bestellten Beamten, durch welche ausschließlich die Be­ urkundung der Geburten, Heiraten und Sterbe­ fälle mittels Eintragung in die dazu bestimmten Register erfolgt (§ 1 PStG, vom 6. 2. 1875, RGBl. 23). Standesamtsbezirke werden durch die höhere Verwaltungsbehörde (RP., in Berlin OP.) aus einer oder mehreren Gemeinden ge­ bildet, größere Gemeinden können in mehrere Bezirke geteilt werden. Für jeden Standesamts­ bezirk ist ein Standesbeamter und mindestens ein Stellvertreter zu bestellen. Auch weibliche Per­ sonen können dazu bestellt werden, nicht aber Geistliche — mit Ausnahme emeritierter (Erl. vom 19. 8. 1874, MBl. 196) — und andere Religions­ diener. Amtshandlungen außerhalb des Bezirks sind rechtsungültig. Die Bestellung erfolgt durch die höhere Verwaltungsbehörde (§ 3), d. i- in Preußen durch den RP., im Stadtkreise Berlin den OP. (Vf. vom 23. 2. 1910, MBl. 53). In den Standesamisbezirken, welche den Bezirk einer Gemeinde nicht überschreiten, hat indessen der Vorsteher der Gemeinde (Bürgermeister, Schult­ heiß, Ortsvorsteher oder deren gesetzlicher Stell­ vertreter) die Geschäfte des Standesbeamten ohne besondere Ernennung von Amts wegen wahr­ zunehmen, sofern durch die höhere Verwaltungs-, behörde nicht ein besonderer Beamter für die­ selben bestellt ist. Der Vorsteher ist jedoch befugt, diese Geschäfte mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde anderen Gemeindebearnten widerruflich zu übertragen. Die Gemeinde­ behörde, d. i. diejenige, welche überhaupt über die Errichtung neuer Gemeindeämter zu beschließen hat (Zisf. 5 der Bek. vom 17.10.1899, MBl. 189), kann aber auch die Anstellung besonderer StanLesbeamten beschließen, die dann durch den Ge­ meindevorstand, d. i. in Gemeinden mit kollegialischem Gemeindevorstande den Magistrat (St.adtrat, Gemeinderat usw.), in anderen Gemeinden den Bürgermeister (Gemeindevorsteher, O)rtsvorsteher, Schultheiß usw., Ziff. 6 der Bek. wom 17. 10. 1899), unter Genehmigung der höheren

Standesämter und Standesbeamte Verwaltungsbehörde ernannt werden. In gleicher Weise erfolgt die Bestellung der Stellvertreter. Die durch den Gemeindevorstand ernannten be­ sonderen Standesbeamten und deren Stellver­ treter sind Gemeindebeamte (§ 4). Die durch die höhere Verwaltungsbehörde erfolgte Bestellung und Genehmigung zur Bestellung ist jederzeit widerruflich (§ 5). Ist ein Standesamtsbezirk aus mehreren Gemeinden gebildet, so werden der Standesbeamte und dessen Stellvertreter stets von der höheren Verwaltungsbehörde be­ stellt. Ein jeder Vorsteher oder anderer Beamter einer dieser Gemeinden ist verpflichtet, das Amt des Standesbeamten oder des Stellvertreters zu übernehmen (§ 6). Dieselbe Verpflichtung haben die besoldeten Vorsteher der aus mehreren Ge­ meinden eines Kreises zusammengesetzten Ver­ waltungsbezirke (kommissarische Amtsvorsteher, Amtmänner, Hardesvogte, Kirchspielvogte usw.; § 6 Abs. 3 PStG.; § 3 Abs. 5 des G. vom 9. 3. 1874, GS. 95). Auf unbesoldete Amtsvorsteher erstreckt sich diese Verpflichtung nicht. Wenn sich jemand trotz der für ihn bestehenden Verpflich­ tung weigert, das Amt zu übernehmen, so können, abgesehen von einem etwa einzuleitenden Diszi­ plinarverfahren, die Standesamtsgeschäfte auf seine Kosten einem Dritten übertragen und die Kosten im Wege des Verwaltungszwangsver­ fahrens eingezogen werden (Erl. vom 3. 8. 1874, MBl. 165). Die Standesbeamten und ihre Ver­ treter sind zu beeidigen, wenn sie nicht bereits in einer anderen Eigenschaft einen Diensteid geleistet haben (Erl. vom 3. 6. 1874, MBl. 161). Ein Beigeordneter, der in Vertretung des Bürger­ meisters — sei es auch dauernd — die Standes­ amtsgeschäfte verwaltet, ist verpflichtet, den vom Bürgermeister für diese Verwaltung getroffenen Anordnungen Folge zu leisten, wenn sie mit den gesetzlichen und sonstigen Bestimmungen in Ein­ klang stehen; er macht sich eines Dienstvergehens schuldig, wenn er sich dessen weigert (OVG. 50, 433). Das Standesamt besteht aus dem Standesbeamten, einem oder mehreren Stell­ vertretern und den sonst noch bei ihm beschäftigten Personen (Schreibern, Boten). Die etwa er­ forderliche Entschädigung der von den Gemeinden bestellten Standesbeamten und die sächlichen Kosten der Standesämter fallen der Gemeinde zur Last. Besteht der Standesamtsbezirk aus mehreren Gemeinden, so haben die Gemeinden, die den Standesbeamten nicht gestellt haben, einen Kostenbeitrag zu leisten (§ 7 Abs. 2). Be­ stellt die höhere Verwaltungsbehörde andere Personen, so fällt die etwa zu gewährende Ent­ schädigung der Staatskasse zur Last (§ 7). Die Register und die Vordrucke zu allen Register­ auszügen sowie zu den Geburts-, Heirats- und Todesscheinen werden jedoch den Gemeinden stets von der Zentralbehörde des Landes kosten­ frei geliefert. In Preußen ist die Lieferung dem OP. übertragen (Erl. vom 8. 6. 1874, MBl. 141). Die gemäß 8 4 von den Gemeinden bestellten Standesbeamten haben keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung. Die im Falle des § 7 Abs. 2 zu leistende Entschädigung wird durch die uV. (in Stadtgemeinden durch die Gemeindever­ tretung, in Landgemeinden durch den KrA.) fest­ gesetzt, in beiden Fällen ist Beschwerde binnen zwei Wochen an den BezA., dessen Beschluß end­

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gültig ist, zulässig (§ 154 Abs. 3, für Berlin § 161 Abs. 1 ZG.). Das gleiche gilt für die sächlichen Kosten (OVG. 19, 414). Die Entschädigung anderer, von der Verwaltungsbehörde bestellter Personen setzt der RP. fest (V. vom 11. 12. 1924, MBl. 1187); wegen der Höhe der Sätze vgl. Erl. vom 7. 5., 31. 8. 1874 (MBl. 225 u. 226) und vom 30. 10. 1924 (PrBesBl. 337). Gebühren und Geldstrafen fallen den Gemeinden zu, die die sächlichen Kosten tragen (§ 70). Die Standes­ beamten, sowohl die kommunalen wie die staat­ lichen, welche eine Entschädigung beziehen, haben nach Maßgabe derPensionsG. Anspruch auf Ruhe­ gehalt, außer wenn vor dem Erwerben dieses Anspruchs ein Widerruf gemäß § 5 des G. statt­ gefunden hat (vgl. Art. IV Ziff. 2 der AusfAnw. vom 12. 10. 1899 zum KommunalbeamtenG., MBl. 192). Im vorstehenden Sinne sowie über­ haupt im Sinne des PStG, werden den Ge­ meinden die außerhalb der Gemeinden stehenden Gutsbezirke, den Gemeindevorstehern die Vor­ steher dieser Bezirke gleichgeachtet (§ 10). Nach § 4 Abs. 1 des G. über die Haftung des Staates und anderer Verbände fürAmtspflichtverletzungen von Beamten bei Ausübung der öffentlichen Ge­ walt vom 1.8.1909 (GS. 691) trifft bei Amts­ pflichtverletzungen von Standesbeamten die Ver­ antwortlichkeit den Staat, nicht den Kommunal­ verband. Die Vf. vom 1L 8. 1910 (MBl. 247) weist die Standesbeamten auf das vom All­ gemeinen Deutschen Sprachverein aufgestellte Verzeichnis der in Deutschland gebräuchlichen Vornamen hin. Die Gebühren regelt § 16 in der Fassung der V. vom 14. 2. 1924 (RGBl. I 116) und § 77 des PrGKG. vom28.10.1922 (GS.363) in der Fassung der V. vom 18.12.1923 (GS. 556). II. Die Aufsicht über die Amtsführung der Standesbeamten wird von der uV., in höherer Instanz von der höheren Verwaltungs­ behörde geübt, in Preußen für die Landgemein­ den und Gutsbezirke von dem LR. als Vorsitzen­ den des KrA., in höherer Instanz von dem RP. und dem MdI., für die Stadtgemeinden von dem RP., in höherer Instanz von dem OP. und dem MdI., für den Stadtkreis Berlin von dem OP. und in höherer Instanz von dem MdI. (§ 154 Abs. 1 ZG.). Die Aufsichtsbehörde ist befugt, gegen den Standesbeamten Warnungen, Ver­ weise und Geldstrafen zu verhängen. Letztere dürfen für jeden einzelnen Fall den Betrag von 1000 RM nicht übersteigen. Der LR. als Vor­ sitzender des KrA. genießt bei den Geschäften der Standesamtsaufsicht die dem Landessiskus nach § 8 Ziff. 1 PrGKG. zustehende Gebührenfreiheit (KGJ. 39 B 17). Lehnt der Standesbeamte die Vornahme einer Amtshandlung ab, so kann er dazu auf Antrag der Beteiligten durch das Amts­ gericht, in dessen Bezirk er seinen Amtssitz hat (§ 69 FGG.), angehalten werden. Das Ver­ fahren und die Beschwerdeführung regeln sich nach dem FGG., insbesondere nach dessen §§ 19, 27,28, 70und 99 (§ 11 PStG.; vgl. auch Art. 7, 8 PrFGG.). Uber den Umfang der Nachprüfungs­ pflicht des wegen Ablehnung einer Amtshand­ lung des Standesbeamten angerufenen Gerichts s. KGJ. 37 A 101. Dem Standesbeamten selbst steht gegen die Anweisung des Gerichts zur Vor­ nahme einer von ihm abgelehnten Amtshandlung kein Beschwerderecht zu (KGJ. 27Al). Uber

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Ständiger Beirat für das Beterinärwescn — Ständiger Internationaler Gerichtshof

das Beschwerderecht der Aufsichtsbehörde für die Standesämter im Berichtigungsverfahren s. RGZ. 60, 196 und über das der Aufsichtsbehörde gegen die Anweisung an den Standesbeamten zur Vornahme einer Amtshandlung KGJ. 39 A 33. III. DemErsuchen eines Standesbeamten sind andere Standesbeamte sowie Gemeinde- und Ortspolizeibehörden Folge zu leisten verpflichtet (§ 26 der Bundesratsvorschriften vom 25. 3.1899, RGBl. 225). Der Standesbeamte darf sein Amt in Angelegenheiten ausüben, die seine Ehefrau oder Personen betreffen, mit denen er verwandt oder verschwägert ist (§ 27 das.). Dagegen muß der Stellvertreter eintreten, wenn es sich um die Beurkundung einer eigenen Anzeige, die Ent­ gegennahme einer eigenen Erklärung oder die Anordnung des eigenen Aufgebots des Standes­ beamten handelt. Die Einsicht, nicht auch all­ gemeine Durchsicht der standesamtlichen Register und der Anspruch auf Erteilung von beglaubigten Auszügen und Scheinen daraus steht gegen Zahlung der tarifgemäßen Gebühren und Aus­ lagen jedermann zu (§ 16 PStG.). IV. Eine amtliche Handlung, die eine bloß zum Standesbeamten bestimmte Person vor ihrer endgültigen Bestellung oder nach Ablauf der Zeit, für die sie zum Standesbeamten bestellt ist, vor­ genommen hat, ist rechtsungültig, ausgenommen eine Eheschließung vor jemandem, der, ohne Standesbeamter zu sein, das Amt eines solchen öffentlich ausübt, d. i. in einer jedermann wahr­ nehmbaren Weise und in der Art der von einem amtlich bestellten Standesbeamten erfolgenden Amtsausübung, es sei denn, daß die Verlobten — nicht nur einer von ihnen — den Mangel der amtlichen Befugnis bei der Eheschließung kannten (§ 1319 BGB.). V. Wer der gesetzlichen Pflicht zur Anzeige bei einem Standesbeamten nicht nachkommt, macht sich strafbar (§ 68 Abs. 1 u. 2 PStG.; vgl. hierzu die Vf. vom 22. 10. 1924, MBl. 1034). Die Standesbeamten sind außerdem befugt, die gesetzlich zu Anzeigen oder zu sonstigen Hand­ lungen bei ihnen Verpflichteten nach fruchtloser schriftlicher Androhung unter Fristsetzung durch Geldstrafen bis zu 1000 RM anzuhalten (§ 68 Abs. 3 PStG.), jedoch ohne das Recht, die Strafen in Haft umzuwandeln (Erl. vom 24.10. 1875, MBl. 268, und vom 31. 10. 1877, MBl. 1878, 2), und ohne andere Zwangsmittel an­ wenden zu dürfen, dies auch dann nicht, wenn sie zugleich Polizeibeamte sind. Dagegen Auf­ sichtsbeschwerde (§ 11 Abs. 1 PStG.). Voll­ streckung durch Ersuchen der Gemeindebehörde. Sie selbst machen sich strafbar, wenn sie unter — auch nur fahrlässiger — Außerachtlassung der im PStG, und im BGB. gegebenen Vorschriften eine Eheschließung vollziehen (§ 69 des G.; Art. 46 Ziff. IV EGBGB.). VI. Ist ein vor dem Standesamt Erschienener stumm oder sonst am Sprechen verhindert oder taub und eine schriftliche Verständigung mit ihm nicht möglich, oder ist er der deutschen Sprache und der Standesbeamte der Sprache, in der sich der Erschienene erklärt, nicht mächtig, so soll ein Dolmetscher hinzugezogen werden; die näheren Bestimmungen hierüber und über die Bestellung und Gebühren der Dolmetscher ent­ halten die §§ 10, 11 der Ausführungsvorschriften

vom 25. 3. 1899 und der Erl., betr. die Einspurig von Dolmetschern bei den Standesämtern, vom 30. 12. 1874 (MBl. 1875, 2) und 3. 3. 1900 (MBl. 130), die Zirk. vom 8. 6. und 23. 9. 1874 (MBl. 141 u. 195) und der Erl., betr. die Ge­ bühren für einen zugezogenen Taubstummen­ lehrer, vom 15. 12. 1879 (MBl. 1880, 26). VII. Uber die Wahrnehmung der Verrichtung des Standesbeamten in bezug auf solche Militärpersonen, welche ihr Standquartier nicht innerhalb des Deutschen Reichs haben oder es nach eingetretener Mobilmachung verlrssen haben, oder welche sich auf den in Dienst ge­ stellten Schiffen oder anderen Fahrzeugen der Marine befinden, ist in den V. vom 4. 11. 1875 (RGBl. 313), vom 20. 1. 1879 (RGBl. 5) und vom 20. 2. 1906 (RGBl. 359) Bestimmung ge­ troffen (§ 71 PStG.). Uber die standesamtliche Behandlung von Todesfällen und Geburten auf Luftschiffen s. Grünwald im ArchOffR. 24,477. — Die bisherigen Sonderrechte der vormaligen Landesherren, Mitglieder der landesherrlichen Fa­ milien sowie der vormaligen Fürstlichen Familie Hohenzollern sind fortgefallen (Art. 109 Abs. 3 RB.; G. vom 23. 6. 1920, GS. 367; s. Adel). Die Verwahrung der bei dem bisherigen Mini­ sterium des Kgl. Hauses geführten Standesregister ist auf den JuM. übergegangen, der auch für die Erteilung von Ausfertigungen zuständig ist (B. vom 3. 11. 1919, GS. 180; V. vom 19. 4. 1920, JMBl. 163; V. vom 4. 6. 1926, GS. 182). VIII. Die Standesämter sind nach § 27 des RErbStG. vom 22. 8. 1925 (RGBl. I 320), §§ 3, 6, 7 der AusfB. vom 13. 7. 1926 (RMBl. 745) verpflichtet, den FA. periodisch Auszüge aus dem Sterberegister aus vorgeschriebenen Vordrucken zu übersenden, die sämtliche in dem abgelaufenen Zeitabschnitte vorgekommenen Sterbefälle zu ent­ halten haben (Totenlisten). Die früher für militärische Zwecke vorgeschriebenen Geburtslisten sind zulgleich mit der allgemeinen Wehrpflicht fortgefallen. Bt. Amtliches Handbuch für Standesbeamten, herausgege­ ben vom M. d. I., Verlag des Reichsbundes der Standes­ beamten, Berlin, Gitfchinerstr. 109.

Ständiger Beirat für daS Beterinärwesen s. Landesveterinäramt. Ständiger Internationaler Gerichtshof. Art. 14 der Völkerbundssatzung sieht die Errichtung eines St. I. G. vor, der über alle ihm von den Parteien unterbreiteten internationalen Streit­ fragen befinden und über jede ihm vom Völker­ bundsrat oder der Bundesversammlung vorge­ legte Streitfrage oder sonstige Angelegenheit gut­ achtliche Äußerungen erstatten soll. Das Statut des St. I. G. (RGBl. 1926 II 228) ist, nachdem ein Entwurf von einer Konferenz von zehn her­ vorragenden Rechtsgelehrten aufgestellt war, am 13. 12. 1920 von der Bundesversammlung geneh­ migt worden; im Februar 1922wurde der St.J. G. eröffnet. Das Statut des St.J.G.ist nur für dieje­ nigen Staaten verbindlich, die das dazugehörige Zeichnungsprotokoll endgültig angenommen ha­ ben. Hierzu gehören gegenwärtig 40 Staaten, dar­ unter alle Großmächte mit Ausnahme der Ver­ einigten Staaten von Amerika und der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken. Deutschland hat das Protokoll nach seinem Eintritt in den Völker­ bund am 10.12. 1926 unterzeichnet; die Hinter-

Stärke- und StärkesnupfabrikeN

legung der deutschen Ratifikationsurkunde ist am 11. 3. 1927 erfolgt (RGBl. 1927 II227). Der St. I. G. steht für diejenigen Staaten ohne weiteres offen, die das Zeichnungsprotokoll angenommen haben, für die anderen nur unter der Voraus­ setzung, daß sie eine im voraus festgelegte Erklä­ rung unterzeichnen, wonach sie sich der Recht­ sprechung des St.J. G. unterwerfen und die auf sie entfallenden Kosten des Verfahrens tragen wollen. Selbst über diejenigen Staaten, die das Zeichnungsprotokoll angenommen haben, übt der St.J.G. keine obligatorische Gerichtsbarkeit aus; er kann, soweit nicht etwa besondere ver­ tragliche Abmachungen bestehen, von einem Staat gegen den anderen nur dann angerufen werden, wenn letzterer sich mit der Anrufung in Form eines Schiedsvertrages (Kompromiß) einver­ standen erklärt hat. Neben dem Zeichnungs­ protokoll ist jedoch noch die Zeichnung einer so­ genannten Fakultativklausel für diejenigen Staa­ ten vorgesehen, die bereit sind, sich gegenüber allen anderen Staaten, die das gleiche tun, der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit des St.J.G. zu unterwerfen. Bon den Unterzeichnern der Fakultativklausel kann daher jeder gegen den anderen den Gerichtshof in einer Streitfrage an­ rufen, ohne daß der Abschluß eines besonderen Schiedsvertrages nötig wäre. An die Fakultativ­ klausel sind gegenwärtig 16 Staaten gebunden, dar­ unter Deutschland, das die Klausel als erste Groß­ macht am 23. 9.1927 unterzeichnet und am 29. 2. 1928 ratifiziert hat (RGBl. 1928 II S. 19, 48). Der St.J. G. besteht aus elf ordentlichen und vier Hilfsrichtern, die von dem Rat und der Bun­ desversammlung jeweils auf neun Jahre gewählt sind; er wählt sich selbst seinen Präsidenten für jeweils drei Jahre. Die Mitglieder des St.J. G., von denen der jeweilige Präsident ständig seinen Sitz im Haag hat, dürfen keine amtliche Stellung haben und keine politische Funktion ausüben. Der St.J. G. tagt im Regelfall in der Besetzung von mindestens neun Richtern; für Arbeits- und Berkehrsfragen sind besondere Kammern mit fünf Richtern und vier Sachverständigen vorge­ sehen. Außerdem kann auf Antrag der Parteien ein summarisches Verfahren vor einer mit drei Richtern besetzten Kammer stattfinden. Der St.J. G. wird im Streitverfahren auf Anruf sei­ tens einer der Parteien und in dem Verfahren zur Erstattung von gutachtlichen Äußerungen auf Beschluß des Rats oder der Bundesversammlung tätig. In beiden Fällen wird er, wenn eine der an einer vorliegenden Streitfrage beteiligten Parteien keinen Richter ihrer Staatsangehörig­ keit in dem Richterkollegium hat, ad hoc durch Zuziehung einer von der betreffenden Partei zu ernennenden Persönlichkeit ihrer Staatsange­ hörigkeit ergänzt. Die obligatorische Gerichtsbar­ keit des St. I. G. gegenüber denjenigen Staaten, die die Fakultativklausel angenommen haben, be­ zieht sich auf: a) die Auslegung eines Vertrags, b) alle Fragen des Völkerrechts, c) das Bestehen einer Tatsache, die, wenn festgestellt, die Ver­ letzung einer internationalen Verpflichtung be­ deuten würde, d) Art und Umfang der wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten Entschädigung. Der StJG. ent­ scheidet abgesehen von dem Falle, daß ihm die Parteien im gemeinsamen Einvernehmen die

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Befugnis zugelegt haben, ex aequo et bono zu erkennen, ausschließlich nach Rechtsregeln. Er wendet an: 1. die internationalen Abkommen allgemeiner oder besonderer Art, in denen von den im Streit befangenen Staaten ausdrücklich anerkannte Normen aufgestellt sind, 2. das inter­ nationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemein als Recht anerkannten Übung, 3. die von den zivilisierten Staaten anerkannten allge­ meinen Rechtsgrundsätze, 4. die richterlichen Entscheidungen und die Lehren der anerkannten Autoren als Hilfsmittel zur Feststellung der Rechtsnormen. Hierbei ist jedoch in dem Statut besonders hervorgehoben, daß sogenannte Prä­ zedenzfälle keine bindende Wirkung haben. In jeder Streitsache findet ein vorbereitendes schrift­ liches Verfahren, sowie nach dessen Abschluß eine mündliche öffentliche Verhandlung statt. Die Entscheidung (arret) wird mit Gründen versehen; die Minderheit der Richter ist berechtigt, ein eigenes Votum beizufügen. Zwischenentschei­ dungen über präjudizielle Fragen sind zulässig. Die Entscheidung ist endgültig und ohne Rechts­ mittel; auf Antrag kann der St.J.G. über Mei­ nungsverschiedenheiten über die Auslegung einer von ihm getroffenen Entscheidung befinden. Ein Revisionsverfahren gegen eine vorliegende Ent­ scheidung ist nur zulässig, wenn neue Tatsachen vorliegen, die dem St.J.G. bei seiner Entscheidung nicht bekannt waren und ihm ohne Verschulden von der Partei vor dieser nicht vorgetragen worden sind. In dem Verfahren zwecks Erstattung einer gutachtlichen Äußerung auf Beschluß des Rats oder der Bundesversammlung findet zunächst eine Erörterung der Angelegenheit durch den Gerichtshof statt und hierauf wird das Gutachten (avis) in einer Vollsitzung verkündet; auch hier haben die diskutierenden Richter das Recht, ein besonderes Votum beizufügen. — Der St.J. G. ist bis jetzt in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen tätig geworden, wobei die gutachtlichen Äußerungen gegenüber den Entscheidungen in Streitverfahren überwiegen. In einer Reihe der Fälle waren deutsche Interessen beteiligt; zu erwähnen sind namentlich der Ansiedlerstreit mit Polen, sowie die Frage der Liquidationen in Oberschlesien. Die Entscheidungen und Gutach­ ten des St.J. G. werden in einer von diesem selbst herausgegebenen Sammlung fortlaufend in fran­ zösischer und englischer Sprache veröffentlicht. Eine deutsche Veröffentlichung der Entscheidungen und Gutachten, die für die Entwicklung des Völ­ kerrechts von größter Bedeutung sind, ist in Vor­ bereitung. Fro. Schicking-Wetzberg, Die Satzung bundes 1924. Erläuterung zu Art. 14.

des Völker­

Stärke- und Stärkesirupfabriken sind nach § 16 GewO, genehmigungspflichtige Anlagen (s. Ge­ werbliche Anlagen I), Stärkefabriken jedoch nur insoweit, als sie Stärke aus Getreide oder Reis herstellen; Kartoffelstärkesabriken sind also nicht genehmigungspflichtig. In Stärkesirup­ fabriken wird die in Wasser zerteilte Stärke mit Säure gekocht. S. a. Zisf. 13, 14 der TechnAnl.; Zisf. 16 der AusfAnw. z. GewO, vom 1. «5. 1904 (HMBl. 123). S. u. S., welche landwirt­ schaftliche Nebenbetriebe (s. d.) sind, unterliegen nicht den Vorschriften des Tit. VII der GewO, und der Gewerbeaufsicht. F. H.

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Stärkezucker — Statistik

Reisstärkefabriken genießen für die Enthülsung des von ihnen bezogenen Rohreises die gleiche Zollbegünstigung wie die Reisschälmühlen '(s. d.). Außerdem ist ihnen noch gestattet, den geschälten Reis im zollfreien Beredelungsverkehr (s. d.) 511 Reisstärke zu verarbeiten. Die näheren Bestim­ mungen enthält das „Zollregulativ für R." (ZBl. 1891, 180, abgedruckt mit Nachträgen in dem bei Reisschälmühlen bezeichneten Werk Teil III Nr. XXIII). Sdt. Stärkezucker, dessen Besteuerung, s. Zucker­ steuer II, Ille. Sdt. Stationskontrolleure s. Reichszollverwal­ tung I. Sdt. Statische Prüfstellen. Zur Prüfung der stati­ schen Berechnungen größerer Bauvorhaben sind st. P. errichtet,, und zwar für jede Provinz eine oder zwei, so in Berlin, Königsberg, Frankfurt a. d. O., Stettin, Oppeln, Beuthen, Breslau, Hildesheim, Kiel, Frankfurt a. M., Biele­ feld, Dortmund, Essen und Köln. Außerdem hat der Staat eine staatliche st. P. in Berlin ein­ gerichtet, die dem Präsidenten der Bau- und Finanzdirektion (f. b.) unterstellt ist. Die Ge­ schäftsordnung der staatlichen st. P. vom 8. 6. 1925 ist in dem VMBl. 280 veröffentlicht. Für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der staatlichen st.^P. in Berlin ist vom MfV. und FM. unter dem 13. 11. 1923 eine besondere Gebührenord­ nung erlassen (abgedruckt VMBl. 505). Neuer­ dings können als st. P. von den RP. besondere Prüfingenieure zugelassen werden, an die der Bauherr sich wendet, um seinen Bauentwurf vor­ prüfen zu lassen. Die von den Prüfingenieuren vorgeprüften statischen Berechnungen sind von den Baupolizeibehörden der für den Bezirk be­ stehenden städtischen (s. 0) st. P. zur Nachprüfung zuzuleiten; jedoch können die RP. an Stelle der gemeindlichen st. P. solche Baupolizeibehörden des Bezirks, die eigene zur Nachprüfung geeignete Statiker angestellt haben, mit dieser Nachprüfung betrauen. Für Bauanträge auf Errichtung der nach den §§ 16ff. GewO, genehmigungspflich­ tigen gewerblichen Anlagen sowie für Bau­ anträge, für welche die Baugenehmigung durch staatliche Organe (LP., Distriktskommissare) er­ teilt wird, können Bauherren oder ihre Beauf­ tragten (ausführende Firmen oder beratende Ingenieure) stets mit der Vorlage an die Bau­ polizeibehörde eine von Prüfingenieuren geprüfte statische Berechnung vorlegen. In diesem Falle sind die statischen Berechnungen von den Hoch­ bauämtern bzw. LR. (Distriktskommissaren) der bei der Bau- und Finanzdirektion eingerichteten staatlichen st. P. zur Nachprüfung zuzuleiten. Für die statische Prüfung durch Prüfingenieure ist die vom MfV. unter dem 3.12.1926 erlassene Anwei­ sung maßgebend(VMBl. 1130—1132). F.W.F. Statistik. I. Allgemeines. S. ist die zahlen­ mäßige Erfassung und Darstellung allgemeiner tatsächlicher Verhältnisse und Vorgänge innerhalb größerer Gebiete. Sie ist Technik, insoweit es darauf ankommt, das Zahlenmaterial auf mög­ lichst einfachem Wege in möglichst zuverlässiger Weise zu erhalten; Wissenschaft, insoweit es sich darum handelt, das erhaltene Zahlenmaterial zu sichten, auf seine Richtigkeit zu prüfen, nach den verschiedenen in Betracht kommenden Gesichts­ punkten zusammenzustellen und aus den Zu-

sammenstellungen die Schlüsse und Folgerungen in bezug auf die tatsächlich vorhandenen Zustände zu ziehen. Die Durchführung statistischer Er­ hebungen fällt den Behörden zu, und zwar ent­ weder den ordentlichen Behörden oder besonders dafür eingerichteten Stellen (Statistische Ämter und Bureaus des Reiches, der Einzelstaaten, der Städte). Die Art der Erhebung ist eine verschie­ dene. Sie erfolgt entweder, wie die Sparkassen­ statistik, die Einkommensteuerstatistik usw., auf Grund tabellarischer, von den unteren Behörden nach einem bestimmten Schema angefertigter Zu­ sammenstellungen oder auf Grund von für jeden einzelnen Zählsall ausgesüllter Zählkarten, welche demnächst sämtlich von der Zentralstelle auf­ gearbeitet werden (sog. zentralisierte oder Zählkartenmethode im Gegensatz zur tabel­ larischen Methode). Die Begründung des Deutschen Reiches und die dadurch gesteigerten Anforderungen an die Reichsstatistik haben zu einer gewissen Abgrenzung des statistischen Ar­ beitsgebiets zwischen den verschiedenen, hierbei beteiligten Faktoren geführt. Man unterscheidet (nach Rümelin) danach zwischen zentraler und partikularer S., je nachdem die Erhebungen, wie die S. des Warenverkehrs, der Zölle, Ver­ brauchsabgaben usw., ausschließlich für die Zwecke des Reiches und von seinen Organen, oder, wie die zahlreichen Einzelerhebungen im Interesse der Landesverwaltung, ausschließlich für die Zwecke des einzelnen Staates und von dessen Organen ausgesührt werden. Dazwischen steht die sog. föderierte S., d. h. diejenige, welche zwar für Zwecke des Reiches erfolgt, deren Ausführung indessen nach einheitlichen Grundsätzen durch die Landesorgane bewirkt wird, welche letzteren ihrer­ seits an das Reich nur bestimmte übersichten zu liefern haben, ohne im übrigen in der Ausdehnung der Erhebung beschränkt zu sein. Eine fortlaufende S. findet statt über: a) Anbauflächen, Saaten­ stand usw. nach B. vom 3. 5. 1911 (ZBl. 1:80); b) Brandschäden nach Erl. vom 26. 4. 1924 (MBl. 493); c) Luftverkehr nach Erl. vom 9. 2. 1925 (MBl. 191); d) Sparkassenverkehr nach Erl. vorn 12.11. 1924 (MBl. 1109), 27. 2. und 20. 11. 1925 (MBl. 263,1205); e) Warenverkehr mit dem Aus­ lande (s. d.) nach G. vom 7. 2.1906 (RGBl. 109) mit Nachträgen und G. vom 18. 7.1922 (RGBl. I 671); Regelmäßig wiederkehrende Erhebumgen sind die Volks- und die Viehzählungen, die Bercufsstatistik usw. (s. unten bei VI). Statistische Behör­ den sind für das Reich das Statistische Amt,, für Preußen das Statistische Landesamt und die Statistische Zentralkommission. II. Statistisches Amt. Es ist im Jahre 1872 an Stelle des früheren, mit der Zusammenstellung der Ergebnisse des Handelsverkehrs im Zollverein befaßt gewesenen Zentralbureaus des Zollvereins zu dem Zwecke eingesetzt worden und hat a) das auf Anordnung der Reichsregierung zu liefernde Material zu sammeln, zu prüfen, technisch und wissenschaftlich zu bearbeiten und die Ergebmisse geeignetenfalls zu veröffentlichen; b) auf An­ ordnung statistische Nachweisungen aufzusteellen und über statistische Fragen gutachtlich zu berichten (vgl. Denkschrift, betr. den Etat des Statistischen Amts in den Drucks, des RT. 1872 Nr. 8). Die früher vom Statistischen Amt unter Mitwirkung eines besonderen Beirats bearbeiteten Angelegen-

Statistik heiten der Arbeiterstatistik sind jetzt auf die Reichs­ arbeitsverwaltung übergegangen. Das Statistische Amt ist dem Reichswirtschaftsministerium unter­ stellt; es besteht aus einem Präsidenten, mehreren Abteilungsleitern und der erforderlichen Anzahl von Räten. Von den umfassenden Veröffent­ lichungen des Statistischen Amts sind hervor­ zuheben; die Statistik des Deutschen Reichs, die Bierteljahrsheste zur Statistik des Deutschen Reiches und das Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich. III. Statistisches Landesamt. Das Preuß. Statistische Landesamt, welche Bezeich­ nung dem früheren Statistischen Bureau anläß­ lich seiner Jubelfeier im Jahre 1905 (AOrder vom 24. 4. 1905, GS. 232) beigelegt worden ist, ist durch KabO. vom 28. 5. 1805 ins Leben gerufen worden und seit dem Jahre 1848 nach mehrfachem Wechsel durch KabO. vom 10. 7. 1848 (GS. 337) dem MdI. endgültig unterstellt. Die Aufgabe des Statistischen Bureaus wird in einer Denk­ schrift seines damaligen Leiters vom 21. 2. 1809 dahin bezeichnet; „Materialien zur Kenntnis des Preuß. Staates mit möglichster Vollständigkeit zu sammeln und dergestalt zu ordnen, daß sämtliche Oberbehörden daraus jederzeit mit Leichtigkeit eine klare Übersicht der gegenwärtigen Staats­ kräfte und der Wirkungen, welche einzelne Be­ gebenheiten und Anordnungen auf die Vermeh­ rung oder Verminderung derselben äußern, er­ halten können." Das Statistische Landesamt hat nicht nur diese, vorwiegend die Zwecke und Be­ dürfnisse der staatlichen Verwaltung ins Auge fassende Aufgabe in stets wachsendem Umfange erfüllt, sondern hat sich zugleich zu einem wissen­ schaftlichen Institute entwickelt, dessen umfassende Veröffentlichungen — darunter als periodische Veröffentlichung die Zeitschrift des Statistischen Landesamts, die Statistische Korrespondenz, die medizinalstatistischen Mitteilungen und das Sta­ tistische Jahrbuch für den Preuß. Staat — nicht nur für die Verwaltungin allenihren Zweigen, sondern auch für die ; Wissenschaft und für jeden Berus zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel geworden sind. Von den Veröffentlichungen ist außer den bereits genannten noch die in zwanglosen Heften heraus­ gegebene „Preußische Statistik" (amtliches Quel­ lenwerk) sowie die jährliche Bearbeitung der Ka­ lendermaterialien hervorzuheben. An der Spitze des dem MdI. unterstellten Statistischen Landes­ amts steht ein Präsident, dem ein Vizepräsident als Stellvertreter sowie eine entsprechende An­ zahl von Mitgliedern und Hilfsarbeitern bei­ gegeben sind. Mit dem Statistischen Landesamt verbunden ist das Statistische Seminar, welches dazu dient, jüngere Beamte der allgemeinen Staatsverwaltung in einjährigen Kursen mit den Aufgaben und der Technik der S. vertraut zu machen, um auf diesem Wege zwischen dem Statistischen Landesamt und den Provinzial­ verwaltungsbehörden einen näheren Kontakt her­ zustellen. Das früher mit dem Statistischen Lan­ desamt verbundene Meteorologische Institut ist im Jahre 1886 zu einer selbständigen Be­ hörde umgewandelt worden. Uber das Verhält­ nis des preuß. Statistischen Landesamts zu dem Statistischen Amt des Reichs s. unter I. IV. Statistische Zentralkommission. Die preuß. Statistische Zentralkommission ist 1861 be­

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gründet und 1870 reorganisiert worden (MBl. 1870, 89ff.). Sie setzt sich aus einem vom MdI. ernannten Vorsitzenden, Vertretern der verschie­ denen Ressorts, dem Direktor und einem Mitgliede des Statistischen Landesamts, mehreren vom LT. gewählten Mitgliedern sowie besonders berufenen statistischen Sachverständigen zusam­ men. Sie soll der Staatsverwaltung als Beirat dienen, um die statistischen Erhebungen nach allen Richtungen hin möglichst gleichmäßig und zweck­ entsprechend zu gestalten. Demgemäß soll keine größere statistische Erhebung ohne vorherige An­ hörung der Zentralkommission veranstaltet wer­ den. Da indessen gerade die größeren Erhebungen in der Mehrzahl vom Reich ausgehen, ist die Wirk­ samkeit der Zentralkommission nur eine be­ schränkte. Augenblicklich hat die Statistische Zen­ tralkommission, für welche keine neuen Mitglieder ernannt bzw. gewählt sind, ihre Tätigkeit ein­ gestellt (s. Bemerkung im Staatshandbuch). V. Statistische Gebühr s. Warenverkehr mit dem Auslande unter III. VI. Bevölkerung und Bevölkerungs­ statistik. 1. Die Feststellung der Bevölkerungs­ ziffer spielt in der Gesetzgebung und Verwaltung eine wichtige Rolle, da auf den verschiedensten Gebieten des staatlichen Lebens die Gestaltung der Rechtsverhältnisse und rechtlichen Beziehunge n von der Einwohnerzahl abhängig gemacht ist. Seit langem werden daher Volkszählungen veranstaltet, und zwar seit Anfang der fiebriger Jahre des 19. Jahrh, nach feststehender Übung in regel­ mäßigen, fünfjährigen Zwischenräumen am 1. (2.) Dez. des Zähljahres. Die Anordnung der Volkszählungen erfolgt durch die Reichsregierung nach einheitlichen, für das ganze Reich maßgeben­ den Grundsätzen, die Ausführung durch die Einzel­ staaten, welchen die Form der Erhebung und die Erweiterung des Kreises der bei der Erhebung zu stellenden Fragen freisteht. Zur Bevölkerungs­ statistik gehört auch die S. der Bewegung der Be­ völkerung durch Geburten, Eheschließungen und Todesfälle. Sie wird in Preußen auf Grund von Zählkarten, welche die Standesämter über jeden von ihnen registrierten Geburts-, Eheschließungs­ und Sterbefall auszufüllen haben, alljährlich von dem Statistischen Landesamt bearbeitet, welches letztere sodann dem Reiche für die Reichsstatistik die erforderlichen Übersichten übermittelt. Wegen Berechnung der Einwohnerzahl, soweit dieselbe bei Zuständigkeiten usw. in Betracht kommt, ist die durch die jedesmalige letzte Volkszählung er­ mittelte Zahl der ortsanwesenden Zivilbevölke­ rung maßgebend (§ 162 ZG.; §§ 3, 34 des WahlG. für die Provinziallandtage und Kreistage vom 7. 10. 1925, GS. 123; §4 KrO. f. d. ö. Pr. und analog in den anderen KrO.). Das gleiche gilt, soweit die Zahl der Mitglieder einer politischen Körperschaft (RR. nach Art. 61 RB., StR. nach Art. 32 BU.) von der Einwohnerzahl abhängt. 2. Die ortsanwesende Bevölkerung des Deut­ schen Reiches betrug am 16. 6. 1925 in Preußen (ohne Saargebiet, wo nicht gezählt worden ist) 38 182 304, im Deutschen Reich 63 338 753. Da­ nach betrug die Zunahme gegenüber 1919 (1910) in Preußen5, 42% (9,72%), im Deutschen Reich 5,36% (7,87%), während sie von 1919 zu 1910 3,14 bzw. 2,38% betragen hatte. Die Bevölkerungs­ dichtigkeit beträgt je Quadratkilometer in Preußen

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Statistische Gebühr, Statistische Marken — Stauanlagen

130,9, in Deutschland 133,49; sie betrug 1910 119,99 bzw. 123,31. Der Geburtenüberschuß be­ trug 1908 879562, 1924 in Preußen 325667, im Reich 511745, d. h. 8,6°/00 bzw. 8,2°/^ gegenüber 14,4 o/og irn Durchschnitt der Jahre 1901/08. Im allgemeinen nimmt die Zahl der Sterbefälle (1881 26,9; 1908 19; 1920 15,9; 1924 12,9) ab, ebenso aber auch die Zahl der Geburten (1881 38,5; 1908 33; 1920 26,7; 1924 21,1) aus tausend), während die Eheschließungen im gan­ zen konstant bleiben (1881 7,5; 1908 7,9; 1920 14 5; 1924 7 1). VII. Berufs- und Betriebsstatistik. Im Jahre 1907 ist für den Umfang des Deutschen Reiches eine Berufs- und Betriebszählung vor­ genommen worden (G. vom 25. 3. 1907, RGBl. 87). Nach dem Ergebnis (Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1926, 15) waren im Deutschen Reiche tätig in Land- und Forstwirt­ schaft 9 883 257, Industrie, einschl. Bergbau und Baugewerbe 11256 254, Handel und Verkehr 3 477 626, persönlichen Diensten (wechselnde Lohnarbeit) 471 695, öffentlichen Diensten und freien Berufen 1 738 530, während als Berufs­ lose (Rentner, Pensionäre) 3 404 983 Personen gezählt sind. Ly. VIII. Wegen der S. des Warenverkehrs mit dem Auslande s. d.

Statistische

Gebühr,

Statistische Marken,

s. Warenverkehr mit dem Auslande

III.

Statistisches LandeSamt, Statistisches ReichSamt f. Statistik. Statistisches Warenverzeichnis s. Waren­ verkehr mit dem Auslande II. Statistische Zentralkommission s. Statistik. Stauanlagen. Die Vorschriften über S. finden sich in den §§ 92—105 des WG. vom 7. 4. 1913 (GS. 53), deren allgemeine Bestimmungen auch für die beim Inkrafttreten des WG. bereits be­ stehenden S. Anwendung finden (RG. in ZfA. 4, 161). S. sind Einrichtungen im Wasserlaufe, die den Zweck haben, durch Hemmung des Wasser­ abflusses den Wasserspiegel zu heben oder eine Ansammlung von Wasser herbeizuführen, und zwar nicht nur für vorübergehende Zwecke. Sie müssen also eine Erhöhung des Wasserspiegels oder eine Ansammlung von Wasser bezwecken, und sind daher stets künstliche Anlagen, es genügt nicht, daß diese dazu bestimmt sind, das durch andere Anlagen gestaute und angesammelte Wasser abzuleiten (OBG. in ZfA. 7, 307), oder daß sie z. B. als Einlaßschleuse lediglich den Ab­ fluß des Wassers regeln und verhindern, daß in einen Ableitungsgraben zuviel Wasser abfließt (OBG. in ZfA. 5, 119). Der Zweck der S. kann dahin gehen, die Ableitung des Wassers zu be­ fördern (z. B. durch eine Bewässerungsanlage) oder das Gefälle zu verstärken oder eine Ausspeicherung von Wasser herbeizuführen; damit kann der Inhalt des Staurechts oder vielmehr der Berechtigung, die es gewährt, ein durchaus verschiedener sein. Es enthält nicht notwendig die Befugnis, den Ablauf des Wassers nach Belieben zu regeln, es kann sich auch darin erschöpfen, daß es den Stau­ berechtigten lediglich in den Stand setzt, den Wasserspiegel zu heben; in diesem Falle hat der Stauberechtigte das Wasser, so wie es ihm zu­ fließt, weiterfließen zu lassen und darf den Abfluß nicht willkürlich unterbrechen. Das trifft z. B.

bei Anlagen für Schiffahrtszwecke oder zur Er­ höhung des Grundwasserstandes zu (OVG. in ZfA. 8, 235). Mit dem Staurecht ist daher nicht schon die Befugnis verbunden, das angestaute Wasser abzuleiten (OVG. in ZfA. 8, 33), sie kann es allerdings sein, wenn die S. lediglich der Ab­ leitung des Wassers dient (OVG. in ZfA. 5, 29; 8, 309). Ebensowenig begreift das Staurecht den Anspruch auf Zuleitung einer bestimmten Wasser­ menge in sich (LWA. 2, 1 und in ZfA. 4, 92; OVG. in ZfA. 5, 218). Zur S. gehören alle Einrichtungen, die auf den Wasserabfluß von Be­ deutung sind (OVG. in ZfA. 7, 142), also nicht allein die einzelnen Vorrichtungen zum Stau (einschließich der Schützen, deren Offnen und Schließen den Wasserabfluß regelt), sondern die Anlage in ihrer Gesamtheit, d. h. das Stauwerk und das ganze System von Wasserläufen, denen das Stauwerk dient, nebst den zur Ausdehnung der Stauwirkung ausgeführten Anschlußanlagen. Auch Einrichtungen eines Wassertriebwerks selbst, welche die Stauhöhe beeinflussen, müssen zu der S. gerechnet werden (OVG. 49, 263; KG. in ZfA. 5, 54). Auch RGZ. 49, 85 rechnet nicht nur das eigentliche Triebwerk, sondern auch den Obergraben, der das Wasser zu ihm heranführt, und den Untergraben, der es wieder ableitet, zu der S. — S., die nur vorübergehenden Zwecken dienen, können vom Eigentümer eines Wasser­ laufs als Ausfluß seines Eigentumsrechts errichtet werden, weil sie eine durch § 40 Zifs. 2 u. 3 zu­ gelassene Benutzung des Wasserlaufs darstetten, er muß sich dabei nur innerhalb der gesetzlichen Benutzungsbeschränkungen (§§ 41—46) halten. Der Regel nach werden sie nach § 22 der wasser­ polizeilichen Genehmigung bedürfen; ist diese nicht erteilt, so kann die Beseitigung der S.^mnd für den^durch ihre Errichtung verursachten Schaden Ersatz verlangt werden (RG. in ZfA. 7, 240). Für die übrigen S. gilt folgendes. Das Stau­ recht steht grundsätzlich dem Eigentümer des Wasserlaufs zu (ß 40 Abs. 2 Ziff. 3, §§ 41—45). Anderen als dem Eigentümer steht es nur zu, wenn es schon früher bestand und beim Inkraft­ treten des WG. durch dessen §§379, 380 aufrecht­ erhalten ist. Aufrechterhalten sind die Staurechte, soweit sie auf besonderem Titel beruhten, in vollem Umfange; falls die frühere Gesetzgebung sie allgemein gewährte, nur dann, wenn recht­ mäßige Anlagen zu ihrer Ausübung bestanden, die bereits vor dem 1. 1. 1913 errichtet oder: in Angriff genommen waren, wobei die am 1.1.1(.912 bereits länger als zehn Jahre widerspruchslos bestehenden die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich haben. In diesem Falle richtet sich der Umfang des Staurechts nach der Art seiner Aus­ übung durch die vorhandenen S. War es durch Ersitzung erworben, so bestimmt die Art der Aus­ übung während der Ersitzungszeit seinen Umfamg; in unbeschränktem Umfang kann es nicht erworlben sein (OBG. in ZfA. 8, 317). Durch Verzicht auf die Ausübung würde das Recht als solches nwch nicht untergegangen sein (OVG. in ZfA. 6, 307). Ist früher ein Recht gewerbepolizeilich genehnnigt worden, so hat das frühere LWA. (2, 63; 3, 1.12; 4, 112 und ZfA. 1, 51) angenommen, daß rniit dem Erlöschen dieser Genehmigung das mcaterielle Staurecht nicht untergehe. Das OVG. hat in seinem Beschluß vom 4. 3. 1926 (ZfA. 8, 43)

Stauanlagen die Richtigkeit dieser Entscheidung dahingestellt sein lassen. Eine völlige Umgestaltung der S. würde das Staurecht zum Erlöschen bringen (OVG. in ZfA. 5, 11). Nad) dem Inkrafttreten des WG. können Staurechte durch Verleihung und auch im Ausbauverfahren erworben werden. Handelt es sich um S. für gewerbliche Anlagen, so ist daneben noch die gewerbepolizeiliche Ge­ nehmigung erforderlich (s. Stauanlagen für Wassertriebwerke). Bei einem Erwerb durch Vertrag, der an sich zulässig ist, würde der Eigen­ tümer das Staurecht immer nur in dem Umfange übertragen können, in dem es ihm selbstgesetzlich zusteht. Andere mögliche Erwerbsarten haben praktisch keine große Bedeutung. Jede auf Grund der Verleihung oder mit gewerbepolizeilicher Ge­ nehmigung errichtete S. muß mit einer Stau­ marke versehen sein, auf der die innezuhaltenden Stauhöhen deutlich angegeben sind. Ihre Setzung ist in Abweichung von dem früheren Rechts­ zustande auch bei den der gewerbepolizeilichen Genehmigung unterliegenden S. ausschließlich Sache der Wasserpolizeibehörde. Die Wasser­ polizeibehörde ist also nicht befugt, einem Stau­ berechtigten die Auflage zu machen, einen MerkPfahl einzurichten, wenn auch die Stauhöhe fest­ steht (OVG. in ZfA. 6,151). Gegen die Setzung der Staumarke ist nur Aufsichtsbeschwerde zu­ lässig. Auch bei den früher schon vorhanden ge­ wesenen und den nach Inkrafttreten des WG. errichteten S., bei denen es keiner Verleihung oder gewerbepolizeilichen Genehmigung bedurfte, ist eine Staumarke auf Antrag oder von Amts wegen zu setzen. Die Setzung der Staumarke bedeutet aber lediglich die Anbringung eines äußeren Merkzeichens für die bei der Verleihung oder bei der gewerbepolizeilichen Genehmigung festgestellte oder anderweit feststehende Stauhöhe; das Setzungsverfahren hat nicht auch die Fest­ setzung der Stauhöhe zum Gegenstände. Solange diese nicht feststeht, kann eine Staumarke nicht gesetzt werden. Bei den nicht auf Verleihung oder gewerbepolizeilicher Genehmigung beruhenden Staurechten kann vielleicht das Staurecht als solches unzweifelhaft bestehen und nur die Stau­ höhe, oder aber es kann beides zweifelhaft sein. In beiden Fällen gehört der Streit zur richter­ lichen Entscheidung. Liegen aber keine rechts­ verbindlichen und klaren Bestimmungen über die zulässige Stauhöhe vor, so daß diese also auch nicht richterlich festgestellt werden kann, so hat sie der KrA. nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 93 Abs. 2, § 105; OVG. in ZfA. 6, 151 und 6, 315); dieser kann auch während eines Rechts­ streits über die zulässige Stauhöhe den einzu­ haltenden Wasserstand vorläufig sestsetzen. Die Kosten der Setzung oder Versetzung einer Stau­ marke hat, abgesehen von den durch unbegründete Anträge oder Widersprüche entstandenen, der Stauberechtigte zu tragen. Für die Höhe der Kosten ist Nr. 83 des Tarifs zur Verwaltungs­ gebührenordnung vom 30. 12. 1926 (GS. 327) maßgebend. Die S. in ihrem vollem Umfange — s. oben — (also auch die Staumarke) ist, solange sie besteht — wegen ihrer Beseitigungs.weiter unten —, von dem Stauberechtigten und dem­ jenigen, der sie betreibt, in ordnungsmäßigem und einem eine (andere Berechtigte schädigende) Wasserverschwendung verhütenden Zustande zu

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erhalten. Diese Vorschrift setzt voraus, daß die Vorrichtungen, aus die sie sich bezieht, in der Verfügungsgewalt desselben Unternehmers stehen und insofern Teile eines einheitlichen Unter­ nehmens bilden (OVG. in ZfA. 7, 142). Die Unterhaltungspflicht ist der Eintragung in das Wasserbuch entzogen, weil die Unterhaltung der S. nicht zur Unterhaltung des Wasserlaufs gehört (LWA. 2, 96). Die Aufsicht über die ordnungs­ mäßige Unterhaltung der S. steht der Wasser­ polizeibehörde zu, der die §§ 375, 376 die nötige Strafbefugnis gewähren (vgl. auch KG. in ZfA. 5, 52). Ein Umbau der S. oder ihre Sicherung kann aus Kosten aller, die davon Vorteil haben, durch die Beteiligten verlangt werden, bei über­ wiegenden Nachteilen für das öffentliche Wohl auch von der Wasserpolizeibehörde, weml dadurch ihrer Beschädigung oder Zerstörung durch Hoch­ wasser und dadurch für andere entstehendem Schaden vorgebeugt werden kann. Es muß sich also um eine über den Rahmen der Unterhaltungs­ pflicht hinausgehende Verbesserung handeln und der gegen den Stauberechtigten gerichtete Antrag eines Beteiligten vorliegen (LWA. 1, 171). Im Streitfälle beschließt der BezA., gegen dessen Entscheidung binnen zwei Wochen Beschwerde beim OVG. und, soweit über die Entschädigung entschieden wurde, binnen drei Monaten der ordentliche Rechtsweg zulässig ist. Eine mit Stau­ marke versehene S. darf (in Abweichung von dem früheren Rechtszustande, wonach der Stauberech­ tigte zur Niederlegung einer S. jederzeit befugt war sOVG. in ZfA. 5, 133J) nur mit Genehmi­ gung der Wasserpolizeibehörde außer Betrieb gesetzt oder beseitigt werden, die nur versagt werden darf, wenn andere, die durch die Be­ seitigung geschädigt werden würden, sich dem Stauberechtigten gegenüber zum Ersatz der ihm aus der Beibehaltung der S. entstehenden Kosten und Nachteile verpflichten. Strafbefugnis in §§ 375 u. 376. Streit entscheidet der BezA., in höherer Instanz das OVG. (OVG. in ZfA. 6, 147). Bei S., die auf Grund eines verliehenen Rechts errichtet sind, kommen für ihre Beseitigung zunächst die Vorschriften des Berleihungsbeschlusses in Betracht, der nach § 73 Ziff. 7 in geeigneten Fällen angeben muß, ob und unter welchen Be­ dingungen die S. dauernd außer Betrieb gesetzt oder beseitigt werden darf. Nur soweit im Berleihungsbeschluß nichts anderes bestimmt ist, gelten vorbezeichnete Vorschriften. Eine besondere Be­ stimmung ist noch im Interesse der Landeskultur und der Schiffahrt in § 338 getroffen. Auf Antrag können, wenn die Beseitigung oder Be­ schränkung des Staurechts für die allgemeine Wirtschaft vorteilhafter ist als seine Aufrecht­ erhaltung, Staurechte jeder Art gegen Entschädi­ gung entzogen oder beschränkt werden (OVG. in ZfA. 7,47). Hierdurch ist die Möglichkeit gegeben, Triebwerke, die noch aus älterer Zeit herrühren, die Vorflut behindern und dadurch die landwirt­ schaftliche Verbesserung der angrenzenden Lände­ reien hindern, zu beseitigen. Bei S., die auf Verleihung oder sichergestelltem Rechte beruhen, kann eine Beseitigung erst eintreten, wenn das verliehene Recht nach § 84 zurückgenommen oder beschränkt ist. Sollte, was nicht ausgeschlossen ist, gleichzeitig über den Antrag auf Sicherstellung eines Rechts und Entziehung eines das sicher-

B ilter, Handwörterbuch der preuh. Verwaltung. 3. Aufl. II.

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Stauanlagen für Wassertriebwerke

zustellende Recht schädigenden Staurechts zu beschließen sein, so würde der BezA. zu? prüfen haben, welchem Anträge für das öffentliche Wohl größere Bedeutung zukommt, und über diesen wäre zuerst zu entscheiden (OVG. in ZfA. 5, 14). Der Beschluß, der einen Antrag auf Entziehung oder Beschränkung abweist, ist der materiellen Rechtskraft nicht fähig. Die gewerbepolizeiliche Genehmigung steht der Entziehung oder Be­ schränkung nicht entgegen (OVG. in ZfA. 7, 42). Ein plötzliches Ablassen des angestauten Wassers, das fremden Grundstücken oder Anlagen Gefahren oder Nachteile bringen könnte, ist verboten. Straf­ bestimmung in §§ 375, 376 Abs. 2. Für die Ein­ haltung des durch die Staumarke gekennzeich­ neten Wasserstandes hat der Stauberechtigte durch rechtzeitiges Offnen oder Schließen der beweg­ lichen Teile der S., Wegräumen von Hinder­ nissen (Treibzeug, Eis, Geschiebe usw.) zu sorgen. Die Überwachung der Innehaltung der Stau­ höhe steht der Wasserpolizeibehörde zu (Straf­ befugnis in §§ 375 ii. 376). Diese ist aber nicht befugt, die Einhaltung einer anderen Stauhöhe anzuordnen, weil sie annimmt, die durch die Staumarke gekennzeichnete Höhe stimme mit der wirklichen Rechtslage nicht überein. Streitigkeiten hierüber gehören vor die ordentlichen Gerichte (OVG. in ZfA. 5, 355). Bei drohendem Hoch­ wasser kann die Wasserpolizeibehörde eine früh­ zeitige Absenkung des Wasserstandes auch unter die zulässige Stauhöhe verlangen. Sie kann auch bestimmen, daß die Stauösfnungen geöffnet oder geschlossen werden, wenn dadurch die Unter­ haltung des Wasserlaufs erheblich erleichtert wird. Für etwaige hierdurch entstehende Betriebs­ störungen hat der Unterhaltungspflichtige Ent­ schädigung zu leisten. Steht zu befürchten, daß auch bei ordnungsmäßiger Ausübung des Stau­ rechts der Wasserstand über die zulässige Stauhöhe steigt und dadurch fremden Grundstücken Nachteile bringt, so muß sich der Stauberechtigte gefallen lassen, daß diese auf ihren Grundstücken Einrich­ tungen treffen, z. B. Gräben anlegen, durch die das die zulässige Stauhöhe übersteigende Wasser abgeleitet wird, selbst wenn dadurch das Über­ schußwasser seinem Betriebe verloren geht. Diese Vorschrift hat namentlich Bedeutung für feste Wehre, bei denen der Wasserstand nicht durch Handhabung beweglicher Vorrichtungen (Schütze, Schleusen) geregelt werden kann. Eine solche Schädigung kann z. B. einem oberhalb gelegenen Triebwerke dadurch entstehen, daß durch die Stauvorrichtung eines unterhalb gelegenen Trieb­ werks ein Rückstau bis in das Unterwasser des oberen Triebwerks herbeigeführt wird (OVG. in ZfA. 7, 218). Selbstverständlich hat die Vor­ schrift zur Voraussetzung, daß der Schaden durch eine rechtmäßige Ausübung eines bestehenden Staurechts und nicht durch unberechtigte Über­ schreitung verursacht wird (RG. in ZfA. 4, 161). Werden S. aus Grund von Verleihung errichtet, so kann der Unternehmer von den Eigentümern der gegenüberliegenden Ufergrundstücke ver­ langen, daß sie den Anschluß an diese gegen Ent­ schädigung gestatten (§§ 334, 335). S. auch Tal­ sperren, Verleihung, Zwangsrechte sowie Stauanlagen für Wassertriebwerke. Pr. Stauanlagen für Wafsertriebwerke. Die S. sind genehmigungspflichtige gewerbliche An-

lagen (s. d.), doch weicht das Verfahren in eiligen. Punkten von dem Genehmigungsverfahren bei den übrigen gewerblichen Anlagen ab. Im Lorbereitungsverfahren werden nur der Wasserbau­ beamte und der Meliorationsbeamte gehört. Handelt es sich um die Genehmigung für ein zum Betrieb auf Bergwerken oder Aufbereitungs­ anstalten oder zum Betrieb von Schürfarbeiten be­ stimmtes Wassertriebwerk, so ist der Antrag beim Revierbeamten auzubringen (Ziff. 12 der TusfAnw. z. GewO.). Dem Antrag ist eine Zeichnung aller Stauvorrichtungen einschließlich der Gerinne und Wasserräder (Turbinen) sowie ein Nivelle­ ment beizufügen (Ziff. 13 a. a. O.). Zu den S. gehören alle Vorrichtungen, welche auf den Ab­ fluß des Wassers von Einfluß sind, insbesondere auch die Wasserräder (OVG. 43, 263 vom 13. 5. 1903, HMBl. 256). Die Schützen vor den Rädern, deren Offnen und Schließen den Abfluß des Wassers regelt, sind jedenfalls Bestandteile einer S. (OVG. vom 4. 12. 1897, PrBBl. 20, 34). Der Ober- und Untergraben, die das Wasser für das Triebwerk zu- und abführen, gehören zu S. Die Ersetzung eines Wasserrades durch eine Turbine ist eine wesentliche Änderung im Sinne des § 25 GewO. (OVG. vom 18. 5. 1903, HMBl. 256; OVG. 43, 263), ebenso die Zerstörung des Stauwehrs (OVG. 41, 280). über den Antrag auf Genehmigung beschließt der BezA. (§ 109 ZG.). Handelt es sich um ein Wassertriebwerk, das zum Betriebe von Berg­ werken, Aufbereitungsanstalten oder von Schürf­ arbeiten bestimmt ist, so beschließt der BezA. nach Benehmen mit dem OBA. (§ 59 des BergG. vom 24. 6. 1865, GS. 705, in der Fassung des G. vom 17. 6. 1907, GS. 119; § 110 Abs. 2 ZG.). Sofern bei S. Landeskulturinteressen in Betracht kommen, entscheidet über die Beschwerde (Rekurs) der HM. unter Zuziehung des MfL. Soweit für die S. das Wasserbenutzungsrecht noch nicht verliehen ist, ist das Verleihungs­ verfahren mit dem Genehmigungsverfahren zu verbinden. Die beiden Vek. sind miteinander zu vereinigen. Der BezA. hat über beide Anträge gleichzeitig zu verhandeln. Die beiden Anträge können gemeinsam in einem Schriftsatz gestellt werden. Die zugehörigen Beschreibungen, Lage­ pläne und Baupläne sind in drei Ausfertigungen einzureichen (III. AussAnw. z. Wg. vom 29. 4. 1914, Ziff. 29ff.; HMBl. 272). Ist eine Ver­ leihung nicht erforderlich, so ist in dem Genehmi­ gungsverfahren § 73 Ziff. 2, 3 Wg. anzuwenden (§ 105 Wg.). Auch bei gewerbepolizeilich ge­ nehmigten S. erfolgt die Anbringung der Stau­ werke nur durch die Wasserpolizeibehörde (OVG. vom 13. 7. 1925, GewArch. XXII 344). S. für sonstige genehmigungspflichtige gewerbliche Anlagen. Auch hier kann das Berleihungsverfahren mit dem Genehmigungsver­ fahren verbunden werden; beide Anträge sind beim BezA. einzureichen. Von den Beschreibun­ gen usw. sind so viel Ausfertigungen einzureichen, daß jeder zu ihrer Prüfung berufene Beamte eine Ausfertigung prüfen kann. Ist für die Entscheidung über den Genehmigungsantrag nicht der BezA. zuständig, so wird nach Abschluß des gemein­ samen Vorverfahrens in der Regel — sofern nicht der Unternehmer einen gegenteiligen Antrag stellt — zunächst das Verleihungsverfahren und

Stauer — Stehender Gewerbebetrieb

hinterher das Genehmigungsverfahren erledigt (AussAnw. z. Zisf. 36 WG. 2). ft. H. Stauer besorgen das kunstgemäße Beladen von Schiffen. Das Gewerbe kann frei betrieben wer­ den, doch ist eine Beeidigung (s. d.) und öffent­ liche Anstellung zulässig (§ 36 GewO.). ft. H. Steckbriefe können auf Grund eines Haftbe­ fehls (s. Freiheit, persönliche Ila) von dem Richter sowie von der Staatsanwaltschaft erlassen werden, wenn der zu Verhaftende flüchtig ist oder sich verborgen hält. Gegen festgenommene oder verhaftete Personen, welche aus dem Ge­ fängnisse entwichen sind oder sonst sich der Be­ wachung entziehen, ist die steckbriefliche Verfol­ gung statthaft, ohne daß ein Haftbefehl vorliegt. In diesem Falle sind auch die Polizeibehörden zur Erlassung der S. befugt. Der S. soll, soweit dies möglich, eine Beschreibung des Verfolgten enthalten und die ihm zur Last gelegten straf­ baren Handlungen sowie das Gefängnis bezeich­ nen, in welches die Ablieferung zu erfolgen hat (§ 131 StPO.). Die Veröffentlichung der S. erfolgt in der Regel in den Regierungsblättern, in wichtigeren Fällen auch durch die Fahndungs­ blätter (s. d.), das preuß. Zentralpolizeiblatt und durch die Tagespresse. Bei Steckbrieferneue­ rungen, die in den ABl. in einem besonderen Ab­ schnitte zusammenzustellen find, soll der Wort­ laut unter Berücksichtigung der eingetretenen Änderungen wiederholt werden, wenn der S. nicht im laufenden oder vorangegangenen Jahre abgedruckt war; im letzteren Falle ist auf die frühere Veröffentlichung zu verweisen (Erl. vom 3. 12. 1902, MBl. 230). Das Strafregister (s. d.) kann zur Ermittlung steckbrieflich verfolgter Per­ sonen, deren Geburtsort bekannt und im Bezirke einer preuß. Registerbehörde gelegen ist, durch Übersendung einer Steckbriefnachricht (rotes For­ mular D) herangezogen werden (JMErl. vom 6. 10. 1887, JMBl. 272). Bt. Stehender Gewerbebetrieb. I. Begriff. Der st. G. ist der Inbegriff derjenigen Gewerbe, welche nicht im Umherziehen betrieben werden (§ 15 der PrGewO. vom 17. 1. 1845, GS. 41; ebenso OTr. vom 2. 3. 1871, MBl. 151, JMBl. 119; RGSt. 9, 351; KGJ. 7, 208; 12, 303). Als stehend werden im allgemeinen diejenigen Ge­ werbe angesehen, welche am Orte der gewerb­ lichen Niederlassung (s. d.) in festen Verkaufs­ stätten betrieben werden. Es ist aber nirgends eine gewerbliche Niederlassung oder auch ein Wohnsitz vorgeschrieben; es genügt, daß der Ge­ werbetreibende einen Raum für den Gewerbe­ betrieb besitzt (RGSt. 11, 309; 28, 251). Eine Unterart des st. G. ist das Aufsuchen von Waren­ bestellungen und das Ankäufen von Waren durch Handlungsreisende (s. d.) und der ambulante Gewerbebetrieb (s. d.). Den Gegensatz zum st. G. bildet der Gewerbebetrieb im Umherziehen (s. d.). Eine unterschiedliche Behandlung zwischen Aus­ ländern und Inländern sindet beim st. G., ab­ gesehen vom ambulanten Gewerbebetriebe (s. d.), nicht statt. II. Anzeige. Wer den selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes anfängt, muß nach § 14 GewO, und Ziff. 7 der AussAnw. z. GewO, vom 1. 5. 1904 (HMBl. 123) dem Gemeinde­ vorstande des Ortes, wo solches geschieht — in Berlin der Bau-und Finanzdirektion — schriftlich

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oder mündlich zu Protokoll Anzeige erstatten. Selbständig betreibt derjenige ein Gewerbe, welcher auf eigene Rechnung und unter eigener Verantwortlichkeit eine gewerbliche Tätigkeit aus­ übt oder durch einen Stellvertreter oder Be­ diensteten ausüben läßt (RGSt. 9, 103). Haus­ gewerbetreibende (s. d.) gehören dazu. Ein neuer zur gesetzlichen Anzeige verpflichtender Gewerbe­ betrieb liegt auch dann vor, wenn wegen des nicht zur Versteuerung angezeigten Gewerbebetriebs eine Verurteilung ergangen ist und das Gewerbe demnächst, wenn auch in demselben Jahre, wie­ derum betrieben wird (KGJ. 6, 234). Wer ein Gewerbe ohne Auftrag und ohne Vorwissen eines anderen betreibt, haftet auch dann als selbständiger Gewerbetreibender, wenn er den aus dem Ge­ werbebetrieb erlangten Gewinn diesem anderen abgibt (KGJ. 8, 154). Auch derjenige, welcher zum Gewerbebetrieb im Umherziehen befugt ist, hat, wenn er ein stehendes Gewerbe anfängt, dies anzuzeigen. Die Verlegung des Gewerbe­ betriebs an einen anderen Ort ist gleichfalls als Anfang eines Gewerbebetriebs anzusehen und anzeigepflichtig (OVG. 9, 318). Über die An­ meldung ist eine Bescheinigung auszustellen (§ 15 Abs. 1 GewO.). Die Anmeldung ist auch bei Ge­ werbebetrieben erforderlich, für deren Beginn eine Approbation, Konzession, Erlaubnis usw. gefordert wird, oder für die noch eine besondere Anzeige bei der OPB. vorgeschrieben ist (vgl. KGJ. 10, 187; 16, 363). In diesen Fällen hat die OPB., an die der Gemeindevorstand die An­ zeige weiterzugeben hat, zu prüfen, ob der Ge­ werbetreibende den gesetzlichen Anforderungen genügt, und nötigenfalls die strafrechtliche Ver­ folgung und die Einstellung des Gewerbebetriebs durch Anwendung unmittelbaren Zwangs her­ beizuführen (Zisf. 8 der AussAnw. z. GewO, vom 1. 5. 1904, HMBl. 123; OVG. 5, 278; 8, 363; 9, 275; 13, 424; MBl. 1878, 125). S. auch RGSt. 32, 5; Erl. vom 25. 11. 1884 (MBl. 262). Gegen einen genehmigungspflichtigen Gewerbe­ betrieb kann die Polizei, weil keine Genehmigung zu ihm erteilt und er deshalb unerlaubt sei, auch dann einschreiten, wenn wegen des gleichen Tat­ bestandes ein strafgerichtliches Verfahren ein­ geleitet und darin die Erteilung der Genehmigung angenommen worden ist (OVG. 32, 290). Mit der Schließung einer gewerblichen Anlage, die nicht genehmigt ist oder der Genehmigung zu­ wider betrieben wird, soll in der Regel erst vor­ gegangen werden, wenn die Bestrafung erfolgt ist (s. Gewerbliche Anlagen 16). Neben dieser Anzeige beim Gemeindevorstande hat, wer Ver­ sicherungen für eine Mobiliar- oder JmmobiliarFeuerversicherungsanstalt als Agent oder Unter­ agent vermitteln will, bei Übernahme der Agentur, und derjenige, welcher dieses Geschäft wieder auf­ gibt, oder welchem die Versicherungsanstalt den Auftrag wieder entzieht, innerhalb der nächsten acht Tage der OPB. seines Wohnorts davon Anzeige zu machen. Buch- oder Steindrucker, Buch- und Kunsthändler, Antiquare, Leihbiblio­ thekare, Inhaber von Lesekabinetten, Verkäufer von Druckschriften, Zeitungen und Bildern haben bei der Eröffnung ihres Gewerbebetriebs das Lokal desselben sowie jeden späteren Wechsel des letzteren spätestens am Tage seines Eintritts der OPB. ihres Wohnorts anzugeben. Über die An43*

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Stehender Gewerbebetrieb

zeige ist eine Bescheinigung auszustellen. Bei einem Kolportagebuchhändler gilt nicht allein der Ort, wo er seine Bücher, Zeitungen usw. ver­ kauft, sondern auch der Ort, wo er sie ausbewahrt und von wo er sie nach dem Verkaussorte sendet, als Lokal des Gewerbebetriebs (KGJ. 1, 182). Auch die zum Vertriebe von Druckwerken ver­ wendeten Automaten sind buchhändlerische Berkaufsstätten und unterliegen daher der beson­ deren Anzeigepslicht (Erl. vom 8. 7. 1891, MBl. 150). Zu einer besonderen Anzeige bei der OPB. sind zum Teil noch verpflichtet Personen, welche ein Gewerbe ausüben wollen, dessen Be­ trieb untersagt werden kann (s. Untersagung von Gewerbebetrieben). Losehändler haben nur diese Anzeige, zu erstatten, da § 14 GewO, nach 8 6 a. a. O. auf sie keine Anwendung findet. Die durch die Steuergesetze vorgeschriebenen An­ zeigen haben die im gewerbepolizeilichen Inter­ esse erfolgenden Anzeigen nicht überflüssig ge­ macht (Ziff. 7 AusfAnw. z. GewO.). III. Beschränkungen. Abgesehen von den Beschränkungen, die der Zulassung zum Ge­ werbebetrieb und der Ausübung der Gewerbe überhaupt durch die GewO, oder durch die ReichsG. auferlegt sind oder die nach Vorschrift der GewO, durch LandesG. auferlegt werden können .); der Handel damit ist anmeldepflichtig, im übrigen aber mit gewissen Einschränkungen (z. B. Verpflichtung der Abgabe nur in den von der Reichsmonopolverwaltung ge­ lieferten Und zugelassenen Behältnissen von 50, 20,10, 5 und 1 Litern, Einhaltung der ausgedruckten Verkaufspreise, Anbringung eines Aushangs in den Verkaufsräumen) frei. Unzuverlässigen Personen kann der Handel untersagt werden (§§ 90—94 a. a. O.). Vgl. auch Kleinhandel mit Bier, Branntwein oder Spiritus III. Weit enschneidender sind die Bestimmungen über die unvollständige V. Auch hier be­ stimmt das Reichsmonopolamt die Vergällungs­ mittel und die Art der B., aber sie ordnet auch an, zu welchen Zwecken, unter Um­ ständen auch von welchen Gewerbegruppen und Personen der vergällte Branntwein verwendet werden darf. Die betreffenden Bestimmungen werden, wenn von allgemeinerem Interesse, im ZBl. und RZollBl. veröffentlicht (§ 95 a. a. O.). Eingehende Vorschriften regeln die Ausführung der V. sowie die Lagerung und Verwendung des vergällten Branntweins (§§ 96—106 a. a. O.). Der Handel ist nur mit Genehmigung und unter bestimmten Beschränkungen und Überwachungs­ maßregeln zulässig (§§ 107—109 a. a. £).). Die V. von Branntwein zur Essigbereitung (mit Essig) ist besonders geregelt (Z 114 a. a. O.). Für gewisse Zwecke (Riech- und Schönheitsmittel, Essenzen für alkoholfreie Getränke usw.) tritt an die Stelle der V. die Unbrauchbarmachung zum Genuß durch bestimmte Zusatzstoffe oder die ständige amtliche Überwachung (§ 116 a. a. O.). Die Ausscheidung der Vergällungsmittel oder Zusatzstoffe und die Beifügung von Stoffen, die deren Wirksamkeit vermindern, ist unter Strafe gestellt, die Wiedergewinnung des Branntweins aus vergälltem oder genußunbrauchbar gemach­ tem Branntwein und seine erneute Verwendung nur unter bestimmten Aufsichtsmaßregeln und nach erneuter V. zulässig (§§ 80 u. 81 a. a. £).). S. auch Unbrauchbarmachung. Sdt. Bergebung von Lieferungen s. Verdingun­ gen. Bergehen s. Verbrechen. BergeltungSzSNe f. Kampfzölle. Bergefellschaftung s. Sozialisierung. BergleichSordnung s. Konkurs V. Vergnügungssteuer. I. 1. Die V., früher Lust­ barkeitssteuer genannt, war von jeher und ist auch heute noch vorzugsweise eine Gemeindesteuer und zwar eine indirekte. Was sich geändert hat, ist seit der Reichsfinanzreform von 1919/20 die rechtliche Grundlage. § 14 FAG. bestimmt in Abs. 1 u. 2: „Die Gemeinden sind verpflichtet, eine V. zu erheben. Der RR. wird ermächtigt, Bestimmungen über die V. zu erlassen, in denen Art und Umfang der Steuerpflicht, die Mindest­ steuersätze und die sonstigen steuerlichen Befug­ nisse der Gemeinden geregelt werden. Im Rahmen dieser Bestimmungen können die Länder Abweichungen sestsetzen und zulassen. Die Be­ stimmungen des RR. und der Landesregierungen haben in den Gemeinden Geltung als Steuer­ ordnung, soweit die Gemeinden nicht mit Ge­ nehmigung der Landesregierung oder der von ihr beauftragten Behörden besondere Steuer­

ordnungen im Rahmen der Bestimmungen des RR. erlassen." Bestimmend für die Ausgestaltung der Steuer ist also in erster Linie das Reichsrecht und nur ergänzend oder innerhalb des reichs­ rechtlichen „Rahmens" auch abändernd das Lan­ des- und Ortsrecht. Der RR. hat sich mit dem Gegenstände mehrfach befaßt. Seine ersten Be­ stimmungen datieren vom 7.6.1921 (RGBl. 158), die heutige Fassung beruht auf der Bek. vom 12. 6.1926 (RGBl. 1262). Auf das Erläuterungs­ buch von Markull (2. Aufl., Berlin 1927) wird hier vorweg und ein für allemal verwiesen. 2. „Art und Umfang der Steuerpflicht" zu bestimmen, hat der Reichsgesetzgeber dem RR. überlassen. Entsprechend umschreiben die Be­ stimmungen in Art. II § 1 Abs. 2 den Kreis der Veranstaltungen, die „als steuerpflichtige Ver­ gnügungen" in ihrem Sinne „gelten" sollen, und bezeichnen in 8 2 eine Reihe von steuerfreien Veranstaltungen. Ganz allgemein heißt es zudem in 8 1 Abs. 3: „Die Annahme einer Vergnügung im Sinne dieser Steuerordnung wird nicht da­ durch ausgeschlossen, daß die Veranstaltung gleich­ zeitig auch noch erbauenden, belehrenden oder anderen nicht als Vergnügungen anzusehenden Zwecken dient, oder daß der Unternehmer nicht die Absicht hat, eine Vergnügung zu veranstalten." Von der älteren Rechtsprechung weicht das inso­ fern ab, als diese die Einstellung des Unter­ nehmers — im Gegensatz zu der der Teilnehmer — für derart wesentlich erachtet hatte, daß sie als Vergnügungen nur solche Veranstaltungen gelten ließ, „die nach der Absicht des Veranstalters dazu bestimmt und auch geeignet waren, zu ergötzen und zu unterhalten". Gleichwohl hält das preuß. OVG- nicht bloß an dieser seiner früheren Auf­ fassung, sondern nach wie vor auch an der Mei­ nung fest, daß steuerpflichtig im Einzelsalle nur immer eine Veranstaltung sein könne, die „ihrem Wesen nach" eine Vergnügung sei — ein Stand­ punkt, den übrigens auch das KG., der bayer. Verwaltungsgerichtshof und neuestens das sächs. OVG. (Entsch. vom 25.11.1926, PrVBl. 48,419) vertreten. Demgegenüber muß immer wieder darauf hingewiesen werden, wie nach der offen­ baren, im Wortlaut deutlich zum Ausdruck kom­ menden Absicht der Bestimmungen („gelten als") derartige begriffliche Untersuchungen im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtseinheit nach aller Möglichkeit eben gerade ausgeschlossen werden sollten. Entgegen jener Rechtsprechung wird daher bis auf weiteres daran festzuhalten sein, daß sämtliche Veranstaltungen, die in Art. II § 1 Abs. 2 der Bestimmungen als steuerpflichtig be­ zeichnet werden, unter allen Umständen, d. h. auch dann als steuerpflichtig anzusehen sind, wenn sie im Einzelfalle etwa sich „dem Wesen nach" in den aus irgendeine Weise ermittelten allgemeinen Begriff der Vergnügung nicht einordnen lassen. Noch ungeklärt ist auch die weitere damit zu­ sammenhängende Frage, ob und in welcher Form das Ortsrecht derartige Veranstaltungen etwa ge­ mäß 8 13 PrKAG. zu einer besonderen, der V. parallel auszugestaltendenindirektenSteuerheranziehen dürfe. Die neueste Entsch. des OVG. (vom 16. 11. 1926, PrVBl. 48, 385) beschäftigt sich zwar eingehend mit der Frage, läßt aber im Er­ gebnis die wünschenswerte Bestimmtheit doch vermissen.

Verhältnis-^ Proportional-)Wahl

3. Der Maßstab der V. ist ein dreifacher, näm­ lich a) bei der Kartensteuer das Entgelt, d. h. die gesamte Vergütung, die für die Zulassung zu der Veranstaltung von dem einzelnen Teilnehmer gefordert und entrichtet wird; b) bei der Pauschsteuer eine Anzahl von äußeren Merkmalen der Veranstaltung selbst, d. h. entweder a) die gesamte Roheinnahme oder ß) ein Vielfaches des Höchst­ einzelpreises oder y) die Zahl der Mitwirkenden oder schließlich 8) die Größe des benutzten Raumes; c) der Bruttoertrag der in Art. II § 22 bezeichneten, künstlerisch hochstehenden Veranstal­ tungen. Die Kartensteuer ist grundsätzlich als Nettosteuer, d. h. nach dem auf der Karte ange­ gebenen Preise ausschließlich der Steuer zu be­ rechnen, doch kann sie nach Ortsrecht auch als Bruttosteuer, d. h. einschließlich ihrer selbst be­ rechnet werden. Die allgemeinen Sätze der Kartensteuer sind in Art. II § 8 genannt; sie bewegen sich zwischen 10 und 25%. Für Vor­ führungen von Bildstreifen beträgt die Steuer 15% und ermäßigt sich je nach der Länge der vorgeführten Lehr- oder Kulturfilme auf 12 bis 7%. Steuerpflichtig ist der Unternehmer der Veranstaltung, daneben haftet als Gesamtschuld­ ner der Inhaber der benutzten Räume oder Grundstücke. 4. Mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde können die Gemeinden besondere Steuerord­ nungen erlassen, in denen sie von der allgemeinen Steuerordnung des Art. II der Bestimmungen im Rahmen eingehender Vorschriften abweichen dürfen, die in Art. III der Bestimmungen ent­ halten sind. Das gilt vor allem für die Steuer­ sätze. Die allgemeinen Sätze der Kartensteuer und ebenso die verschiedenen Einzelsätze der Pauschsteuer sind grundsätzliche Mindestsätze, d. h. sie dürfen jedenfalls in den jeweils untersten Gruppe nicht unterschritten werden. Auch die Lichtspiel­ steuer und die Steuer für künstlerisch hochstehende Veranstaltungen sind an bestimmte Mindestsätze gebunden, doch haben die Bestimmungen für diese beiden Sondersteuern zugleich auch Höchstsätze vorgeschrieben; bei ihnen ist die Bewegungsfrei­ heit der Gemeinden also auf den Raum zwischen Mindest- und Höchstsatz beschränkt. Will die ört­ liche Steuerordnung Abweichungen vorsehen, die in Art. III nicht zugelassen sind, so bedarf der Beschluß zu seiner Gültigkeit sowohl der Genehmi­ gung der Landesaufsichtsbehörde wie der Zustim­ mung des RFM. oder der von ihm beauftragten Behörde. Nach § 14 Abs. 3 FAG. können die Länder bestimmen, daß die B. statt von den Ge­ meinden von dem Lande oder von den Gemeinde­ verbänden zu erheben ist. Für die Geltung des Art. II als Rahmen und etwaige Abweichungen davon gelten dann die gleichen Grundsätze wie für das Ortsrecht der Gemeinden. Die Entscheidung über die Verteilung des Aufkommens der Steuer zwischen Gemeinden, Gemeindeverbänden und Land ist gleichfalls der Landesgesetzgebung über­ lassen. II. Im Jahre 1925 hat die V. in den drei Hansestädten zusammen 5,1, in den übrigen Ge­ meinden des Reichs zusammen 78,4, im ganzen also 83,5 Millionen erbracht. In Hundertsätzen des gesamten Steuerbedarfs macht das für die Hansestädte 3,07, für die übrigen Gemeinden 2,47% aus. Die Sätze der Kartensteuer sind in

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den örtlichen Steuerordnungen verschieden hoch bemessen. Sie steigen im Höchstsatz bis auf 40,50, 60, 75, vereinzelt sogar für bestimmte Veranstal­ tungen bis auf 100% des Preises oder Entgelts. Zusammenstellungen über die Sätze der Licht­ spieltheater in einer Reihe von Städten finden sich in Nr. 2 und 5 der Mitteilungen des Deutschen Städtetages von 1925. Mark. VerhältniS-(Proportional-)Wahl. I.Die B. hat den Zweck, die von einem Wahlkörper zu Wäh­ lenden auf die innerhalb des Wahlkörpers be­ stehenden oder anläßlich der Wahl sich bildenden Parteien, Gruppen oder andere Vereinigungen nach dem Verhältnis ihrer an der Wahl teil­ nehmenden Mitglieder zur Gesamtstimmenzahl des betreffenden Wahlkörpers zu verteilen. Wenn z. B. von 2000 Wählern eines Wahlkörpers zehn Personen zu wählen sind und innerhalb dieser 2000 Wähler zwei Parteien mit 1200 und 800 Stimmen hervortreten, so gelten von den 1200 Stimmen sechs Personen und von den 800 Stim­ men vier Personen als gewählt, während bei einer Mehrheitswahl alle zehn Personen von den 1200 Stimmen gewählt sein würden. Die Ver­ hältniswahl, welche zum ersten Male in Deutsch­ land bei den Wahlen der Beisitzer zu den Gewerbe­ gerichten durch § 15 des G. vom 29. 9. 1901 (RGBl. 353) zugelassen und für politische Wahlen für einzelne dicht bevölkerte Wahlkreise durch G. vom 24. 8. 1918 (RGBl. 1079) an­ geordnet war, ist in der Regel eine Listenwahl. Bei dieser geben die Wähler ihre Stimmen nicht für einzelne Kandidaten, sondern für eine Mehr­ zahl von solchen ab, die auf den vorher von den einzelnen Parteien einzureichenden Vorschlags­ listen namhaft gemacht ist. Man unterscheidet dabei zwischen freien und gebundenen Listen; bei letzteren ist das Panaschieren, d. h. die Stimm­ abgabe für Bewerber, welche auf verschiedenen Listen vorgeschlagen sind, verboten. Für die ver­ hältnismäßige Zuteilung der Wahlstimmen auf die einzelnen Kandidaten bzw. Kandidatenlisten kommen vier verschiedene Systeme zur Anwen­ dung: 1. Das Haresche System: Die Summe sämt­ licher abgegebenen Stimmen wird durch die Zahl der zu wählenden Abgeordneten geteilt. Ge­ wählt ist, wer den Quotienten erreicht; die hier­ nach nicht verteilten Sitze werden auf die Vor­ schlagslisten nach der Höhe der Reststimmen ver­ teilt. Dieses Verfahren kommt bei den Landes­ wahlen in Württemberg und Sachsen zur An­ wendung. 2. Bei dem System Hagenbach-Bischoff, wel­ ches sonst auf derselben Grundlage wie das Haresche aufgebaut ist, wird die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen durch die um 1 vermehrte Zahl der zu Wählenden geteilt. Die Restmandate entfallen auf diejenigen Vorschläge, welche bei Teilung ihrer Stimmenzahl durch die um 1 ver­ mehrte Zahl der ihnen bereits zugeteilten Sitze den größten Quotienten aufweisen. Das Ver­ fahren gilt in Bayern und Lübeck. 3. Das d'Hondtsche System: Die auf die ein­ zelnen Vorschlagslisten abgegebenen Gesamtstimmenzahlen werden nacheinander durch 1, 2, 3,4 usw. geteilt. Nach der sich hieraus ergebenden Reihenfolge der höchsten Quotienten werden die Mandate verteilt. Das Verfahren gilt in Hessen,

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Verjährung auf dem Gebiete des Wegerechts — Verkehrsabgaben

Mecklenburg-Strelitz,Braunschweig, beiden Lippe, Hamburg, Bremen. Ebenso galt es für die Wah­ len zur Verfassunggebenden deutschen National­ persammlung. Die hierbei gemachten Erfah­ rungen — die unberücksichtigt bleibenden Reste bewirken eine ungleiche Beteiligung der Parteien an den Mandaten, so daß z. B. das Zentrum schon aus 65 616, die USPD, aber erst auf 105 331 einen Sitz erhalten hatte — veranlaßten, daß man in dem endgültigen ReichswahlG. das d'Hondtsche System ersetzte durch 4. das automatische System, welches bereits dem badischen Wahlrecht zugrunde lag. Die Zahl der Mandate steht nicht von vornherein fest, sondern richtet sich nach der Wahlbeteiligung. Dagegen ist die für jedes Mandat erforderliche Stimmenzahl festgelegt (im Reich 60000, in Preußen 40000). Die Zahl der Abgeordneten er­ gibt sich daraus, wie oft dieser Quotient in der für dieeinzelnenBorschlagslisten bzw.die verbundenen Listen abgegebenen Gesamtstimmenzahl aufgeht. Dieses Verfahren gilt außer im Reich und in Baden noch in Preußen, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Thüringen, Anhalt. Für die kommu­ nalen Wahlen wird in der Regel das d'Hondtsche Verfahren angewendet; für die Kreistagswahlen ist durch G. vom 1.10. 1925 (GS. 123) das Haresche System, für die Provinziallandtagswah­ len durch dasselbe G. ein auf diesem System aufgebautes besonderes.Verfahren vorgeschrieben. Ly. II. In der neueren Gesetzgebung ist die V. für alle öffentlichen Wahlen und für alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften vorgeschrieben. So werden nach Art. 22 der RV. die Abgeordneten nach den Grundsätzen der V. gewählt. Das gleiche gilt für die Mitglieder des Landtags nach dem LandeswahlG. in der Fassung des G. vom 28. 10. 1924 (GS. 67) und für die Mitglieder des Staatsrats nach Art. 33 der Preuß. Ver­ fassung. Zu allen Organen des Trägers der Kranken-, Unfall-, Invaliden-, Angestellten- und Reichsknappschaftsversicherung werden die Bei­ sitzer nach den Grundsätzen der V. gewählt (§§ 15, 1351 RBO., §§ 108, 124, 136, 152, 161 AVG., §§ 146,156,160,165,167, 180 RKG. Das gleiche gilt für die Wahl der Beisitzer des VA. und OVA. sowie der nichtständigen Mitglieder der RVA. (§§ 45, 73, 75, 89 RVO., §§ 136, 152, 161 AVG., §§ 199, 203 RKG.). F. H. Verjährung auf dem Gebiete deS WegerechtS s. Wege (öffentliche) IV, VII. Verjährung von Steuern und Abgaben. 1. We­ gen der Verjährung der Reichssteuern s. Steuerecht C III. 2. Bei den preußischen Steuern finden aus die Verjährung der Gewerbesteuer die Vor­ schriften der AO. sinngemäß Anwendung (§ 19 der GewerbesteuerB.). Im übrigen unter­ liegen der „Verjährung" im Sinne des preuß. Rechts.Steuern und Abgaben erst dann, wenn sie zur Hebung gestellt sind. Die Grundver­ mögenssteuer, die Hauszinssteuer, die Wander­ gewerbesteuer und die Wanderlagersteuer ver­ jähren in vier Jahren, von dem Ablaufe des Jahres an gerechnet, in . welches ihr Zahlungs­ termin fällt. Die Verjährung wird unterbrochen durch Zahlungsaufforderung, Vf. der Zwangs­ beitreibung und Stundung. Nach Ablauf des Jahres, in welchem die letzte Aufforderung

zugestellt, die Zwangsbeitreibung verfügt oder die bewilligte Frist abgelaufen ist, beginnt eine neue vierjährige Verjährungsfrist (§ 8 des G. über die Verjährungsfristen bei öffentlichen Ab­ gaben vom 18. 6. 1840, GS. 140). Diese Be­ stimmungen gelten auch für die in § 2 des G. aufgeführten Gebühren, ferner gemäß § 88 KAG^ für Gemeindeabgaben und Kosten, gemäß §§ 16, 31 Abs. 2 des KrProvAbgG. vom 21. 4. 1906 für Kreis-, Provinzial- und Bezirksabgaben, endlich gemäß verschiedenen Bestimmungen der KirchensteuerG. für die Kirchensteuern; für die Verjährung von Steueransprüchen der Syna­ gogengemeinden gelten jedoch die Vorschriften der AO. (G. vom 9. 4. 1923, GS. 88). Wegen Verjährung der preuß. Stempelsteuern s. Art. Stempelsteuern. Hog. Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegen­ ständen s. Blei- und zinkhaltigeGegenständ e. Verkehr mit Biehseuchenerregern s. Biehseuchenerreger. Berkehrsabgaben. I. Allgemeines. Zu den V. gehören Ablagegebühren, Brücken-, Chaussee-, Fährgelder, Flößerei-, Hafen-, Schiffahrt- und Wegeabgaben. Es wird daher auf das über diese Abgaben Gesagte hingewiesen. B. wurden schon im fränkischen Reiche fast an allen Handelsstraßen — sowohl vom Land- wie vom Wasserverkehr — als Ersatz für die Herstellung und Unterhaltung der Verkehrswege unter der Bezeichnung „Zölle" erhoben. Der Ausdruck „Regal" wurde erst vom 12. Jahrh, ab angewandt. Mit dem Übergänge von der Natural- zur Geldwirtschaft im 13. Jahrh, wurden die Zolleinnahmen in erster Linie als Finanzquelle in Anspruch genommen. Es er­ folgte demgemäß eine wesentliche Vermehrung und Erhöhung der Zölle, wobei man die Landund Flußzölle möglichst gleichzustellen suchte. Das Streben nach möglichst hohen Einnahmen führte zugleich zur Beschränkung der Unter­ haltungsarbeiten; sie wurden nur so weit ge­ leistet, als es im Interesse der Zolleinnahmen unbedingt geboten war. Wiederholt unternom­ mene Versuche, eine Herabsetzung und Ein­ schränkung der Zölle herbeizuführen, ergaben keinen durchgreifenden Erfolg. Die Landesherren wie die aufblühenden Städte suchten sich der Regalien zu bemächtigen, um dadurch in den Besitz einer ausgiebigen Finanzquelle zu gelangen. Der Finanzzoll erlangte dabei den Charakter des Schutzzolles. Der Zoll wurde danach an allen Verkehrsstraßen, insbesondere an Stadttoren, auf Brücken und vor allem auf den Flüssen erhoben. Diese Entwicklung der B. erlitt erst im 19. Jahrh, nach Durchführung des Außenzollsystems eine durchgreifende Wandlung. Das ALR. faßt die B. noch unter den Begriff „Zollgerechtigkeit" zusammen. Es bestimmt im § 88 II 15: „Das Recht, von denjenigen, welche sich der Häfen, Ströme, Wege, Brücken und Fähren bedienen, eine gewisse bestimmte Abgabe zu fordern, wird die Zollgerechtigkeit genannt." § 89: „Der eigent­ liche Zoll wird von Sachen und Waren, Brücken-, Führ- und Wegegeld aber nur von den Personen, dem Vieh und den Fuhrwerken, welche die Brücke, die Fähre oder den Weg passieren, entrichtet." — über die Verleihung und Erwerbung der Zoll­ gerechtigkeit bestimmt das ALR. weiter, daß Zoll,

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Brücken- und Wegegeld niemand erheben darf, als dem das Recht dazu vom Staate verliehen oder aufgetragen worden (§ 90 a. a. £).). Nur allein bet Staat kann die Zollabgaben, das Hafen-, Wege- und Brückengeld bestimmen und den Tarif darüber vorschreiben (§ 91). Es macht in der Art des Rechtes keinen Unterschied, ob die Abgabe im Tarif nach Geld oder auf einen ge­ wissen Teil der zollbaren Waren bestimmt ist (§ 92). Ohne einen vom Staate vorgeschriebenen Tarif kann weder Zoll, noch Wege- oder Brücken­ geld gefordert werden (§ 93). — Die Bestimmungen des ALR. haben, als dem Verfassungs­ recht angehörend, im ganzen Bereich des preußi­ schen Landes Wirksamkeit. Sie sind trotz des durch die preußische Gesetzgebung, die Zollvereinsver­ träge und die RB. gänzlich geänderten Charak­ ters der betreffenden Abgaben in der Praxis auch den Kommunen gegenüber ausrechterhalten (s. § 6 KAG. vom 14.7.1893, GS. 152, und § 1 KrProvAbgG. vom 23. 4. 1906, GS. 159). II. Hebeberechtigung bei Verkehrsanla­ gen und Verleihung des Rechtes auf Erhebung der B. Nach 8138, II15 ALR. ist jeder Pri­ vatinhaber einer zur Unterhaltung von Wegean­ lagen staatlich verliehenen Brücken-, Führ- oder Wegegeldberechtigung öffentlichrechtlich(OBG. 11, 214; 16, 300; 28, 240) verpflichtet, die Straßen, Wege, Fähren oder Brücken innerhalb des ihm an­ gewiesenen Distrikts, d. h. hinsichtlich des Objekts, auf das sich die H. bezieht (OVG. 28,233; 35,279), auf eigene Kosten in sicherem und tauglichem Zu­ stande zu erhalten. Als Inhaber gilt, sofern die H. mit einem Grundstücke verbunden ist, der je­ weilige Eigentümer (OVG. 26, 226). Sie ist Gegenstand des Privateigentums und in der Regel nach den Vorschriften des Privatrechts frei übertragbar (OVG. 23, 794). Die Verleihung erfolgt durch den Staat, und zwar bei Chausseen nach dem AE. vom 28. 1. 1908 (MBl. 61) und MErl. vom 10. 3. 1908 (MBl. 60) durch die RP., bei sonstigen Wegen auf Grund AE. vom 4. 9. 1882 (GS. 360) und 31. 12. 1894 (GS. 1895, 43) sowie der dazu ergangenen MErl. vom 18. 12. 1882, 31. 5. 1883 und 30. 3. 1895 (MBl. 1883 S. 2, 140 und 1895, 127), durch die RP. (§§ 90 bis 93, II15 ALR.). Hinsichtlich der Schiffbrücken und Fähren im örtlichen Bereich der Strombau­ verwaltungen durch die mit deren Leitung be­ trauten OP. Die Erhebung erfolgt auf Grund vorgeschriebenen Tarifs. Die Einnahmen dürfen die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Her­ stellung der Verkehrsanstalt erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Die Hebeberechtigung bildet einen sog. besonderen öffentlichrechtlichen Titel der Wegeunterhaltung (§§ 27ff. Wo. für Sachsen vom 11. 7. 1891, GS. 316; §§ 27ff. Wo. für Westpreußen vom 27. 9. 1905, GS. 357; §§ 26ff. Wo. für Posen vom 15. 7. 1907, GS. 243; Wo. für Ostpreußen vom 10. 7. 1911, GS. 99). Wenn Heberechte staatlich verliehen sind, ist mit ihnen regelmäßig die Wegebaulast verknüpft. Soweit aus der Verleihung nichts anderes erhellt, ist sie der ordentlichen Wegebaulast gleichzustellen (vgl. auch OVG. 11, 204). Sie hat räumlich und sachlich den Umfang, der bei der Verleihung bestimmt ist (OVG. 35, 276). Sie geht jeder sonst nach dem G. bestehenden Wege­ baulast vor (OVG. 44, 252; 46, 287). Mehrere

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Beliehene haften der Wegepolizeibehörde für die Erfüllung der Wegebaulast solidarisch (OVG. 36, 256). Der Hebungsberechtigte kann sich nicht durch einseitigen Verzicht der Wegebaulast ent­ ledigen (OVG. 16, 298; sowie 28, 230; 30, 253; 33, 296). Er wird von ihr frei, wenn nicht nur die Hebung tatsächlich eingestellt, sondern die H. von der zuständigen Stelle gerichtlich aufgehoben ist (OVG. 44, 248). Die oben angeführten Be­ stimmungen der Wo. bezwecken, den Übergang der Wegebaulast von dem Hebungsberechtigten auf den ordentlichen Wegebaupflichtigen im In­ teresse der Rechtssicherheit und behufs besserer Sicherung der Wegeunterhaltung zu erleichtern und zu fördern. In dieser Richtung bewegen sich auch die Abänderungen des § 29 letzter Satz Wo. für Sachsen durch Art. 1 des G. vom 8. 6. 1908 (GS. 157) und des § 28 letzter Satz Wo. für Westpreußen durch das G. vom 8. 6. 1908 (GS. 165), wonach bei der Abschätzung der Hebungsrechte, nicht wie bisher der der Ab­ schätzung vorausgegangene fünfzehnjährige, son­ dern nur der sechsjährige Zeitraum zugrunde zu legen ist. Dem entspricht § 27 letzter Satz Wo. für Posen (s. Verkehrsabgaben, Wegebau­ last I). Durch AE. vom 4. 9. 1882 (GS. 360) ist angeordnet, daß die Verleihung des Rechtes auf Erhebung von V. — mit Ausnahme der Erhebung von Chausseegeld nach dem Tarif vom 29. 2. 1840 — und die Feststellung der Tarife über solche durch den MdöA., dessen Be­ fugnisse nach der Auflösung des MdöA. je nach der ressortmäßigen Zugehörigkeit des Verkehrs­ mittels oder der Verkehrsanlage von dem MfL. oder dem HM. ausgeübt werden (s. Ministe­ rium der öffentlichen Arbeiten) und den FM., bezüglich der Hafenabgaben unter Mit­ wirkung des HM. erfolgt. Zugleich sind die Minister ermächtigt, diese Befugnis auf die ihnen Nachgeordneten Behörden zu übertragen. Die daraufhin in den Erl. der beteiligten Minister vom 18. 12. 1882 und 31. 5. 1883 (MBl. 1883, 2, 140) den Provinzialbehörden beigelegte Be­ fugnis ist durch den MErl. vom 25. 6. 1909 (MBl. 172) hinsichtlich der Tariffestsetzung für Schisfahrtabgaben neu geregelt worden. Uber die für die Feststellung dieser Abgaben bestehende Zuständigkeit s. Schiffahrtabgaben. Ver­ blieben ist den RP., dem MErl. vom 18. 12. 1882 gemäß, die Verleihung des Rechtes auf Erhebung von Brückengeld, Fährgeld und Wegegeld und die Feststellung der Tarife darüber. Eine Mit­ wirkung der Oberzolldirektionen findet bei diesen Tarisfeststellungen nicht mehr statt (Erl. vom 10. 5. 1910). Wegen des Chausseegeldtarifs und der Verleihung des Rechtes zur Chausfeegelderhebung s. unter Chausseegeld IV. Nachdem infolge des AE. vom 31. 12. 1894 (GS. 1895, 43) die Verwaltung der B. auf die allgemeinen Bau­ verwaltung übergegangen, ist durch den Erl. vom 30. 3. 1895 (MBl. 127) für den Bereich der Strombauverwaltungen (s. d.) den OP. die Be­ fugnis zur Tariffeststellung usw. an Stelle der RP. übertragen worden. Diese Befugnis kann sich gemäß AE. vom 23. 3. 1903 auch auf die im Bereich der Strombauverwaltungen belegenen Brücken erstrecken. Gemäß § 397 des WasserG. vom 7.4. 1912 bleiben die Vorschriften, bett. B., durch dieses unberührt.

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III. Verpachtung fiskalischer Verkehrs­ soweit nicht für einzelne Fälle etwas Abweichen­ anstalten. Die Verpachtung der fiskalischen des bestimmt ist (MErl. vom 1.12.1908). Wegen Verkehrsanstalten unterliegt der ministeriellen der Befreiung der Post von V. s. § 16 des PostG. Genehmigung mit Rücksicht aus die Bestimmungen vom 28. 10. 1871 (RGBl. 347). V. Veröffentlichung der Tarife. Die im § 21 Ziff. 3 RegJnstr. vom 23. 10. 1817. Nach den Erl. vom 11. 6. 1902 (MBl. 136) und Tarife wurden früher durch die GS. veröffent­ vom 4. 11. 1910 (MBl. 327) bedarf es jedoch der licht. Seit dem Erl. des G. vom 10. 4. 1872 Einholung der Genehmigung nur 1. wenn eine (GS. 357) wird die Verleihung des Rechtes zur längere Pachtzeit als sechs Jahre vorgesehen ist Erhebung von Chaussee- und Wegegeld durch die und der jährliche Pachtbetrag 100 KN übersteigt; Regierungsamtsblätter (s. Amtsblätter) be­ 2. a) bei freihändiger erstmaliger Verpachtung, kanntgemacht, und seit der im Jahre 1882 er­ wenn der jährliche Nutzungswert den Betrag von folgten Übertragung der Tariffestsetzung auf die 1000 KN übersteigt, b) bei freihändiger Wieder­ Ministerien und Provinzialbehörden werden auch verpachtung, wenn der jährliche Pachtzins den die Tarife für sonstige Verkehrsanstalten durch die Betrag von 1000 KN übersteigt und eine Ver­ Regierungsamtsblätter veröffentlicht. Die von minderung des Pachtzinses oder eine sonstige der Reichswasserstraßenverwaltung festgesetzten wesentliche Veränderung der seitherigen Pacht­ Reichstarife für V. werden auch nachrichtlich im bedingungen zum Nachteile des Staates eintritt, RVBl. bekanntgegeben. VI. Die Einziehung von V. erfolgt bei staat­ c) bei öffentlicher Wiederverpachtung, wenn der seitherige Pachtzins den Betrag von 5000 KN lichen und kommunalen Verkehrseinrichtungen für das Jahr übersteigt und eine Verminderung im Verwaltungswege (s. Gebühren und Ge­ des Pachtzinses um mehr als 20% oder eine mein de anst alt en), bei sonstigen Verkehrsein­ sonstige wesentliche Veränderung der seitherigen richtungen gemäß §§ 132—137 II 15 ALR. im Pachtbedingungen zum Nachteile des Staates ordentlichen Rechtswege. Die Hinterziehung eintritt. Wegen Feststellung der Einnahmen und und Uberhebung bildet den Gegenstand des Ausgaben der verpachteten Fähranstalten s. den G. vom 2. 5. 1900 (GS. 123). Die wesentlichen Bestimmungen dieses G., durch welches sämtliche MErl. vom 29. 2. 1908 (MBl. 59). IV. Kommunale V. Nach § 5 KAG. vom ältere Bestimmungen, insbesondere das G. vom 14. 7. 1893 (GS. 152) sind die bestehenden Be­ 20. 3. 1837 (GS. 57), aufgehoben werden, sind stimmungen über die V. nicht berührt worden; folgende: § 1. Wer es unternimmt, Abgaben, sie finden daher auch auf die von den Gemeinden welche für die Benutzung von Wasserstraßen, im öffentlichen Interesse unterhaltenen Chausseen, Häfen, Ladeplätzen, Brücken, Fähren, Wegen und Wege, Brücken, Fähren, Häfen und anderen der­ sonstigen Verkehrsanlagen nach den von der zu­ artigen Verkehrsanstalten Anwendung. Ein öffent­ ständigen Behörde erlassenen Tarifen zu ent­ liches Interesse liegt vor, wenn auch nur ein tat­ richten sind, ganz oder teilweise zu hinterziehen, sächlicher Zwang zur Benutzung der Anstalten wird mit Geldstrafe im 4—20fachen Betrage der besteht. Nach dem Erl. vom 11. 6. 1896 (MBl. hinterzogenen Abgabe, mindestens aber von 1 KM 129) sind die Gemeinden nicht befugt, von den bestraft. § 2. Abgesehen von den Fällen des § 1 in den Tarifen vorgesehenen Sätzen nach oben werden Zuwiderhandlungen gegen die in den oder unten abzuweichen (s. auch RGZ. N. F. Tarifen und AussB. getroffenen Anordnungen 33, 283). Auch die bisherigen Befreiungsvor- über die Erhebung der V. und die Sicherung ten, namentlich diejenigen des § 104 II 15 ihres Eingangs mit Geldstrafen bis zu 160 KM ., des Chausseegeldtarifs vom 20.2.1840 und bestraft. § 3. Wer wissentlich bei Erhebung von der Normalfährtarise sind im allgemeinen V. in Beträge einzieht, die der Zahlende überhaupt Geltung verblieben. Es kann jedoch die Be­ nicht oder nur in geringerer Höhe schuldet, wird freiung des Reichs- und Landessiskus insbesondere — sofern nicht nach allgemeinen Strafgesetzen von den als Entgelt für besondere Leistungen zu eine höhere Strafe verwirkt ist — mit einer Geld­ entrichtenden Gebühren unter Umständen auf strafe im 10—20fachen Betrage des zuviel Er­ solche Fahrzeuge, Transporte usw. beschränkt hobenen, mindestens aber von 10 KN bestraft. werden, welche Aufsichts-, Strombau- und ähn­ Wird die Zuwiderhandlung aus Fahrlässigkeit lichen, zugleich die betreffenden kommunalen begangen, so verfällt der Zuwiderhandelnde in Verkehrsanstalten fördernden Zwecken, nicht aber eine Geldstrafe im 5—20 fachen Betrage des zu­ anderweiten fiskalischen Interessen dienen. In­ viel Erhobenen, mindestens aber von 5 KN § 4. wieweit Hafenbahnen als Bestandteile des Hafen­ Die itn § 3, 1 bestimmte Strafe trifft auch die betriebs anzusehen sind, richtet sich nach den Be­ Privatberechtigten und die Vorstände nicht össentstimmungen des Erl. vom 26. 6.1894 (MBl. 122). lichrechtlicher juristischer Personen, welche die mit Hinsichtlich der zulässigen Abgabenhöhe ist im Erl. Strafe bedrohten Handlungen von ihren Ein­ vom 11. 6. 1896 des weiteren ausgesührt, daß die nehmern, sowie diese Einnehmer, welche solche Gesamtbruttoeinnahmen einer Verkehrsanstalt die von ihren Gehilfen wissentlich geschehen lassen. Summe folgender Ausgabeposten nicht über­ § 8. Bei Zuwiderhandlungen gegen die Straf­ steigen dürfen; 1. Kosten der Abgabenerhebung, vorschriften sind die Verwaltungsbehörden zur Betriebs-, Verwaltungs- und Unterhaltungs­ Untersuchung und Entscheidung im Verwaltungs­ kosten; 2. Verzinsung des Anlagekapitals; 3. An­ wege zuständig. § 9. Auf das Verwaltungsstrassammlung eines Fonds für größere Reparaturen. verfahren finden die Vorschriften des G., betr. Außerdem kann unter Umständen 4. die Deckung das Verwaltungsstrasverfahren, vom 26. 7. 1897 einer Tilgungsquote und 5. die Ansammlung (GS. 237) mit den im G. vom 2. 5. 1900 ge­ eines Erneuerungsfonds für die seinerzeit er­ gebenen Maßnahmen Anwendung. Für die forderlich werdende Neuherstellung angesetzt wer­ Hinterziehung und Überhebung von Schisfahrt­ den. Der Zinsfuß ist mit 4 v. H- einzustellen, abgaben sind durch Art. IV des ReichsG. vom

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Verkehrsbänder — Verleihung der Rechtsfähigkeit 24. 12. 1911 (RGBl. 1196) neue Bestimmungen erlassen. Das G. vom 2. 5. 1900 hat somit nur noch für die sonstigen V. Geltung (s. B erwal­ tungsstrafverfahren und Zollstrafverfah­ ren). Zu dem vorstehenden G. hat der MdöA. unterm 12. 9. 1900 (MBl. 274) Ausführungs­ vorschriften erlassen. Danach sind zur Bestrafung der Zuwiderhandlungen die Verwaltungsbehör­ den nicht neben, sondern vor den Gerichten berufen. Die unmittelbare Aufsicht über die Er­ hebung staatlicher und privater V. ist Sache der die Anlagen, für deren Benutzung die Abgaben erhoben werden, beaufsichtigenden Ortsbau­ beamten. Bezüglich der Aktien- und der Privat­ chausseen ist jedoch nachträglich durch die Erl. vom 10. 7. 1901 (MBl. 203) und vom 31. 12. 1902 (MBl. 1903, 12), sowie bezüglich der Brücken über Privatflüsse durch Erl. vom 16. 8. 1905 (MBl. 141) bestimmt worden, daß die LR. die Aufsichtstätigkeit und die Verwaltungsstrasbefugnisse auszuüben haben. Den beaufsichtigenden Beamten steht die Strafbefugnis zu, soweit nicht die im Einzelfalle festzusetzende Strafe den Be­ trag von 300 RM übersteigt. In den Fällen, in welchen eine höhere Strafe festgesetzt werden muß, hat die vorgesetzte Dienstbehörde die Ent­ scheidungsbefugnis, also im Bereich der Strom­ bauverwaltungen usw. der OP., im Landes­ polizeibezirk Berlin der PolPräs., im übrigen der RP. Bei kommunalen B. sind die Vorstände der Gemeinden oder Gemeindeverbände und bei Straffestsetzungen über 300 RM die unmittelbar vorgesetzten Gemeindeaussichtsbehörden (LR., RP. usw.) zuständig. Hinsichtlich städtischer Schiff­ fahrt-, Fahr- und Hasenabgaben greift die Zu­ ständigkeit der RP. auch dann Platz, wenn die Anstalten im Bereich einer Strombauverwaltung usw. liegen. Beschwerdeinstanz für Straf­ festsetzungen über 300 RM ist der MdöA. (s. d.). VII. Verjährung von V. Nach dem G. vom 18. 6. 1840 (GS. 140) findet ein Anspruch auf Zurückzahlung zuviel erhobener B. nur statt, wenn derselbe binnen Jahresfrist, vom Tage der Bezahlung ab gerechnet, angemeldet und be­ gründet wird (vgl. Art. 8 § 1 Ziff. 5 und Art. 9 AGBGB. sowie §§ 87, 88 KAG. vom 14. 7. 1893, GS. 152). S. auch Brückengeld; Chaussee­ geld; Fährgeld; Flößerei und Flößerei­ abgaben; Hafenabgaben; Kanalabgaben; Schiffahrtabgaben; Wegegeld. Utp. BerkehrSbänder s. Siedlungsverband für den Ruhrkohlenbezirk IV. BerkehrSgewerbe s. Straßengewerbe IV. BerkehrS-Kredit-Bank A.-G., Deutsche. Sie wurde im Jahre 1923 durch das RBM. zur Durchführung des Frachtstundungsverfahrens ge­ gründet. Ihr Aufgabenkreis wurde später auf andere Zweige des Bankverkehrs ausgedehnt, ins­ besondere auf die Verwertung der Gelder der im Jahre 1924 gegründeten Reichsbahngesell­ schaft. Das Aktienkapital beträgt 4 Mill. RM, wovon 75% im Besitze der Reichsbahngesellschaft sind. v. B. Berkehrsteuern s. Steuern, ferner Beförde­ rungssteuer. Verklarung (Seeprotest) ist die Aussage des Schiffers und der Schiffsmannschaft über Un­ fälle einer Reise, sie mögen den Verlust oder die Beschädigung des Schiffes oder der Ladung,

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das Einlaufen in einen Nothafen oder einen sonstigen Nachteil zur Folge haben. Sie ist eine Beweisaufnahme zum ewigen Gedächtnis gegen­ über dem Reeder, den Versicherern und den Be­ frachtern. Sie muß sobald als möglich bei dem Amtsgericht, im Auslande bei den Konsuln ab­ gelegt werden (§§ 522—525 HGB.; § 145 FGG. und § 36 des G., bett, die Organisation der Bundeskonsulate, vom 8. 11. 1867, BGBl. 137). Wird ein Binnenschiff (s. Binnenschiffahrt) oder seine Ladung von einem Unfälle betroffen, so ist der Schiffer berechtigt und auf Verlangen des Schiffseigners oder eines Ladungsinter­ essenten verpflichtet, vor dem Amtsgerichte des Ortes, an dem die Reise endet oder wo das Schiff vorher längere Zeit liegt, B. abzulegen (§§ 11—14 BinnenschiffahrtsG.). F. H. Verkoppelung ist der Ausdruck der Hann. Ge­ setzgebung fürUm- oderZusammenlegungen. S. Gemeinheitsteilungen (Einleitung), Um­ legung ländlicher Grundstücke, Ausein­ andersetzungsverfahren in der Provinz Hannover. Pr. Verlagsrecht s. Urheberrecht. Verlegung öffentlicher Weges. Wege, öffent­ liche XIV. Verleihung der Rechtsfähigkeit. Während die Rechtsfähigkeit der natürlichen Personen stets und sofort von selbst mit der Vollendung der Geburt beginnt (§ 1 BGB.), ist die der juristischen Personen nur teilweise ohne weiteres kraft Rechtssatzes mit der Erfüllung der all­ gemeinen gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen einer juristischen Person der betreffen­ den Art im einzelnen Falle vorhanden, sondern an eine staatliche Verleihung geknüpft. Eine solche Verleihung ist insbesondere nach § 22 BGB. für Vereine, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, zur Erlangung der Rechtsfähigkeit notwendig, soweit nicht reichs­ gesetzliche Vorschriften etwas anderes bestimmen, wie z. B. für Aktiengesellschaften, Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschaften, I., KK. und Berufs­ genossenschaften. Die Verleihung steht dem Lande zu, in dessen Gebiete der Verein seinen Sitz hat. Einem Vereine, der seinen Sitz nicht in einem deut­ schen Lande hat, kann in Ermangelung besonderer reichsgesetzlicher Vorschriften Rechtsfähigkeit durch Beschluß des RR. verliehen werden (§ 23 BGB.; Art. 10 EGBGB.; Art. 179 RV.). Die Verleihung kann eine allgemeine sein, so sind allen bestehenden landespolizeilich genehmigten Versicherungsgesell­ schaften auf Gegenseitigkeit, welche -in Preußen ihren Sitz haben, mit Einschluß der in Liquidation befindlichen, die Rechte juristischer Personen ver­ liehen worden (AE. vom 27. 12. 1899, GS. 1900, 2), oder sie ist eine besondere. Sie er­ folgt in Preußen durch die zuständigen Minister (Art. 1 der V. vom 16. 11. 1899, GS. 562; Vf. vom 25. 11. 1899, MBl. 230, welche Vf. Normalsatzungen für Vereine erwähnt). Wegen der Veröffentlichung der Erlangung der Rechts­ fähigkeit eines Vereins oder einer Stiftung s. die Vf. vom 19. 11. 1907 (MBl. 373). Von der B. d. R. ist ferner z. B. im Art. 7 § 1 Abs. 3 AG­ BGB. vom 20. 9. 1899 (GS. 177) die Rede, wo unter den Sparkassen, die durch staatliche Verleihung Rechtsfähigkeit erlangt haben, außer denen, welchen gemäß § 22 BGB. die Rechts-

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Verleihung von Wasserbenutzungsrechten

fähigkeit verliehen ist, auch noch die öffentlichen Sparkassen, die in Gemäßheit des § 52 ZG. ge­ nehmigt worden, zu verstehen sind. Nach § 169 Art. I des G. vom 19. 6.1906 (GS. 199) erlangen die Knappschaftsvereine und die besonderen KK. innerhalb von solchen die Rechtsfähigkeit durch die Bestätigung ihrer Satzung. Bei Stiftungen entspricht der V. d. R. die zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung erforderliche Ge­ nehmigung. Bt.

Verleihung

von WasserbenutzungSrechten.

Einleitung. Das WG. vom 7.4. 1913 hat die bei seinem Inkrafttreten am 1. 5. 1914 bestehenden Wasserbenutzungsrechte in weitgehendem Maße aufrechterhalten (s. Wasserrecht unter III; nach diesem Zeitpunkte können Wasserbenutzungsrechte nur noch nach seinen Vorschriften erworben wer­ den, insbesondere ist seitdem der Erwerb durch Verjährung ausgeschlossen. Zwar ist der Erwerb solcher Rechte auch noch durch privatrechtliche Vereinbarungen möglich (LWA. 1 S. 63, 64); diese haben immer nur Wirkung zwischen den Parteien und gewähren daher im allgemeinen den dadurch Berechtigten nicht die nötige, na­ mentlich nicht die dauernde Sicherheit. Diese zu schaffen, ist mit ein Hauptzweck der durch das WG. neu geschaffenen Rechtseinrichrung der Ver­ leihung (8§46—85 WG.). Durch diese können Wasserbenutzungsrechte der verschiedensten Art neu begründet werden. Das WG. geht dabei davon aus, daß die Gewässer ihrem gesamten Wesen nach den Zwecken der Allgemeinheit zu dienen bestimmt sind, und daß der Staat kraft seines Hoheitsrechts über ihre Benutzung zu verfügen befugt ist. Diese Verfügung übt er im Wege der Verleihung aus, und zwar durch eine besondere Verleihungsbehörde (als welche der BezA. be­ rufen ist), die in einem besonderen Verfahren über die Verleihungsanträge zu beschließen hat und hierbei sowohl das öffentliche Interesse als auch das des einzelnen an der Ausnutzung des Wassers zu schützen in der Lage ist. Diese Be­ hörde kann also Benutzungsrechte neu verleihen. Ein von ihr verliehenes Recht ist ein Privatrecht, das im Rechtswege verfolgbar ist; die Ansprüche aus ihm werden in derselben Weise wie die aus dem Eigentum sich ergebenden geschützt. Der Be­ rechtigte ist nicht nur gegen die Eingriffe von Be­ hörden und Privatpersonen, sondern auch in der Dauer seines Rechts gesichert, und zwar so weit, daß er darauf ein Unternehmen wirtschaftlich be­ gründen und dieses betreiben kann. Insbesondere kann wegen nachteiliger Wirkungen des ver­ liehenen Rechts nicht die Unterlassung der Aus­ übung oder die Beseitigung der aus seiner Grund­ lage errichteten Anlagen, sondern nur die Her­ stellung schadenverhütender Anlagen oder Scha­ denersatz verlangt werden (LWA. 1, 85, 133; 2, 64; 4, 6). Das Recht kann sowohl als subjek­ tiv-persönliches, d. h. einer bestimmten Person zustehendes, wie auch als subjektiv-dingliches, d. h. als ein solches verliehen werden, das mit dem Eigentum an einem Grundstück verbunden ist und dann dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks zustehl. I. Verleihung von Rechten an Wasser­ läufen. 1. Materielles Recht. Die dem Er­ werb durch Verleihung zugänglichen Rechte sind im WG. im einzelnen festgelegt. Bei den Wasser­

läufen sind es die gleichen, die dem Eigentümer eines Wasserlaufs als Ausfluß seines Eigentums zustehen (s. Wasserrecht unter A3), ferner das Recht, Häfen und Stichkanäle anzulegen, letztere soweit sie nicht selbständige Wasserstraßen bilden, ebenso das Recht, Anlegestellen mit baulichen Vorrichtungen von größerer Bedeutung herzu­ stellen (LWA. 1. 149; 3, 89) und endlich daS Recht, kommunale oder gemeinnützige Bade­ anstalten anzulegen. Soweit sich der Eigentümer im Rahmen der ihm als solchem auf Grund des WG. zustehenden Rechte hält, bedarf er keiner Verleihung, will er aber darüber hinausgehen oder will er sich von den Fesseln befreien, durch die das WG. seine Benutzungsrechte eingeschränkt hat oder will ein Nichteigentümer Wasserbenutzungs­ rechte erwerben, so bedarf es dazu der Verleidung. Andere als die vorbezeichneten Rechte sind von dem Erwerb durch Verleihung ausgeschlossen. So kann z. B. das Recht auf einen bestimmten Wasser­ zufluß nicht verliehen werden (OVG. in ZfA. 5, 218). Ein solches Recht kann nur besonders erworben sein oder werden (LWA 3 S. 50, 51, 54, 58; 4, 23). Ferner ist die Verleihung ausge­ schlossen, wenn die beanspruchten Rechte sich aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergeben. Hierzu gehören die aus dem Eigentum am Wasserlaufe sich ergebenden Befugnisse (LWA. 1 S. 15, 115); die beim Inkrafttreten des WG. bereits vorhanden gewesenen und durch das WG. (88 379, 380; s. Wasserrecht unter III) aufrechterhaltenen Rechte; die für ein Ausbauversahren oder zur Verbesserung der Vorslut gegebenen Rechte (8 145 Abs. 3; 8 333 Abs. 1); Rechte, die sich auf Grund anderer G., z. B. des EnteignungsG. ergeben, soweit sie dinglich und nicht nur per­ sönlich sind (LWA. 3, 33) und endlich die aus dem Gemeingebrauch folgenden Rechte (s. Wasser­ recht unter A 3 b). Voraussetzung für jede Ver­ leihung ist, daß es sich um ein Unternehmen handelt, dem ein bestimmter Plan zugrunde liegt, der eine zuverlässige Beurteilung des ganzen Unternehmens, namentlich seiner Einwirkung auf die Wasserabflußverhältnisse ermöglicht (LWA. 4, 91). Dagegen ist nicht nötig, daß der Antrag­ steller Eigentümer des Grundstücks ist, auf dem des Unternehmen betrieben werden soll (falls nicht Verbindung des Rechts mit dem Eigentum an diesem Grundstück in Allssicht genommen ist), auch Mieter und Pächter können die Verleihung beantragen, ja sogar diejenigen, die überhaupt noch kein Versügungsrecht über den Grund und Boden haben, der zur Ausnutzung des Rechts erforderlich ist (LWA. 1, 71; 3, 57). Dabei ist hervorzuheben, daß das verliehene Recht nicht auch das Recht gewährt, Anlagen aus fremden Grundstücken auszuführen und zu unterhalten, oder gar das Recht, von den Eigentümern der zur Ausnutzung des verliehenen Rechts erforder­ lichen Grundstücke deren Abtretung, wenn auch gegen Entschädigung, zu verlangen. Es ist Sache des Unternehmers, sich das Recht zur Herstellung der außerhalb des Wasserlaufs erforderlichen An­ lagen auf fremden Grundstücken durch Verein­ barungen mit den Grundeigentümern (Kauf, Bestellung einer Dienstbarkeit u. dgl. m.) oder durch Enteignung (wenn deren allgemeine Vor­ aussetzungen vorliegen sollten) zu beschaffen. Das Berleihungsverfahren hat mit der Beschaffung

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des Grund und Bodens nichts zu tun (LWA. 1,71; teressen zu erteilend Die zu schützenden Interessen 2, 73; 4, 5, auch 2, 15; 3, 76 und ZfA. 4, 17). sind entweder die des öffentlichen Wohles oder Ob einem Anträge aus Verleihung entsprochen die einzelner Privatpersonen. Kommen erstere werden soll oder nicht, steht nicht im freien in Betracht, so sind die widerstreitenden Interessen Ermessen der Verleihungsbehörde; der Antrag­ gegeneinander abzuwägen; überwiegen die Rück­ steller hat ein Recht auf Verleihung, sie kann ihm sichten des öffentlichen Wohles, so ist die Ver­ nur aus den im G. bezeichneten Gründen ver­ leihung zu versagen oder nur unter Bedingungen sagt werden (LWA. 1 S. 23, 75; 4 S. 46, 67). zu erteilen, durch die jene Rücksichten gewahrt Eingeschränkt ist dieses Recht sowohl durch all­ werden. Was unter öffentlichem Wohle zu ver­ gemeine gesetzliche Vorschriften, als auch durch stehen ist, kann nicht allgemeingültig bestimmt Rücksichten, die sich aus den Umständen des ein­ werden, hängt vielmehr von den Verhältnissen zelnen Falles ergeben können. Allgemeine ge­ des einzelnen Falles ab, wobei zu beachten ist, setzliche Einschränkungen bestehen insofern, als daß das WG. eine weitgehende wirtschaftliche die Verleihung zwar auf die Dauer ausgesprochen Ausnutzung der Wasserläufe ermöglichen will werden kann, aber auch auf bestimmte Zeit be­ (LWA. 1, 97; 4, 36; ZfA. 4, 30). Versorgung schränkt werden darf. Hierüber entscheidet das von Gemeinden mit Trinkwasser (LWA. 1 Ermessen der Verleihungsbehörde (LWA 1 S. 5, 68, 23; 3 S. 15, 19, 23; 4, 33; ZfA. 4, 70). S. 80, 84). Die Praxis des früheren LWA. und Beschaffung von Wirtschafts- und Jndustriewasser jetzt das OVG. geht dahin, daß bei Verleihungen, (LWA. 1 S. 5, 9,23, 32; ZfA. 4, 70) oder Wasser die die Befriedigung eines dauernden Bedürf­ zur landwirtschaftlichen Bodenbenutzung (LWA. 1 nisses bezwecken, namentlich Unternehmungen, S. 23,32; 4,7), Förderung eines für eine Gegend die dem öffentlichen Wohle dienen, z. B. städti­ bedeutsamen gewerblichen Unternehmens (LWA. schen Kanalisationsanlagen, kommunalen Wasser­ 1 S. 97, 100, 133; ZfA. 4, 46), Förderung der versorgungen usw., das Recht dauernd verliehen öffentlichen Gesundheitspflege (Geruchsbelästi­ wird (LWA. 4, 17; ZfA. 4, 70). In anderen gung, Übertragung ansteckender Krankheiten; Fällen wird die Zeit so bemessen, daß der Be­ LWA. 1, 15; 3, 64) sind u. a. als Gegenstände rechtigte sein Unternehmen wirtschaftlich be­ des öffentlichen Wohles anerkannt worden. Im gründen und betreiben und die darauf zu ver­ allgemeinen Interesse liegt auch, daß Rechte nicht wendenden Mittel während der Verleihungs­ gleichsam auf Vorrat, sondern nur für Unter­ dauer abschreiben kann (LWA. 1, 84; 4, 36; nehmungen verliehen werden dürfen, deren Aus­ OVG. in ZfA. 8, 35). So sind 5, 20, 30, 35, führung für die nächste Zeit gesichert ist (LWA. 4 40 und 50 Jahre für angemessen erachtet worden, S. 26, 33; ZfA. 4, 25). Besonderen Schutz ge­ je nach der Art des Unternehmens (LWA. 1 nießen die großenTalsperren (s. d.) und die sog. S. 24, 78, 80, 85, 87; 3 S. 19, 57; 4 S. 17, 36, besternten Wasserläufe. (Es sind das die natür­ 42, 81; ZfA. 4, 62; 6, 210). Wird die Verleihung lichen Wasserläufe erster Ordnung, die in der nur auf Zeit erteilt, so kann nach ihrem Ablauf Anlage zum WG. mit^einem besonderen Zeichen der Unternehmer die Verlängerung der Ver­ — einem Sternchen — versehen sind). Wenn leihung mit den inzwischen erforderlich gewor­ bei diesen die Wasserpolizeibehörde einer Ver­ denen Veränderungen beanspruchen, soweit nicht leihung widerspricht, weil der beabsichtigten Be­ überwiegende Rücksichten des öffentlichen Wohles nutzung überwiegende Rücksichten des öffentlichen oder Rücksichten von überwiegender wirtschaft­ Wohles entgegenständen, so steht den zuständigen licher Bedeutung entgegenstehen, eine Vorschrift, Ministern insofern ein absolutes Vetorecht zu, als die dem Unternehmer große Sicherheit gewährt die Verleihung nur mit ihrer Zustimmung oder (LWA. 1, 52). Eine weitere gesetzliche Ein­ unter den von ihnen aus solchen Rücksichten gestell­ schränkung besteht insofern, als im Interesse der ten Bedingungen erteilt werden darf. Zuständig Reinhaltung der Wasserläufe zwingend vorge­ sind bei den auf das Reich übergegangenen Wasser­ schrieben ist (LWA. 1, 15; 4, 17), daß die Ver­ straßen der RVM. und die preuß. MfL. und HM. leihung, wenn von der beabsichtigten Benutzung (MErl. vom 6.5.1923, MBMfL. 482), im übrigen eine Verunreinigung des Wasserlaufs zu er­ der HM. und der MfL. (§ 49 Abs. 4). Bei Seen, warten ist, nur unter Vorbehalt erhöhter An­ aus denen nur natürliche Wasserläufe zweiter forderungen in bezug aus Reinigung der Abwässer und dritter Ordnung absließen, bei künstlichen erteilt werden darf. Endlich besteht auch noch die Wasserläufen und bei den durch Talsperren ge­ gesetzliche Einschränkung, daß auf Anweisung der bildeten Sammelbecken ist die Verleihung zu ver­ zuständigen Minister die Verleihung an einen sagen, wenn der Eigentümer widerspricht. Dieser Unternehmer zu versagen ist, der nicht die deutsche kann daher die Zurücknahme seines Widerspruchs Reichsangehörigkeit besitzt. Neben diese all­ von beliebigen Bedingungen abhängig machen gemeinen gesetzlichen Einschränkungen treten die (LWA. in ZfA. 4, 25; OVG. in ZfA. 6, 216; aus den Umständen des einzelnen Falles sich 7, 218). Auch der Gemeingebrauch sowie der ergebenden. Dem Anspruch auf Verleihung steht Schutz landschaftlich hervorragender Gegenden das Recht auf Schutz der Rechte derjenigen soll durch Auferlegung geeigneter Bedingungen gegenüber, die durch die Ausübung des begehrten tunlichst gesichert werden. Ist zu erwarten, Rechts betroffen werden. Ausgabe der Ver­ daß durch Ausübung des beantragten Rechts leihungsbehörde ist es, im einzelnen Falle zu andere betroffen werden, so ist zu unterscheiden, prüfen, ob und wie ein Ausgleich der wider­ ob ein zu befürchtender Schaden durch Her­ streitenden Interessen möglich ist, diesen durch stellung besonderer Anlagen verhütet werden Auferlegung geeigneter Bedingungen herbeizu­ kann oder nicht. Im ersteren Fall ist die Ver­ führen und wenn das nicht geschehen kann, die leihung nur unter der Bedingung zu erteilen, Verleihung zu versagen oder nur gegen die daß derartige schadenverhütende Einrichtungen Verpflichtung zur Entschädigung verletzter In­ getroffen werden; im letzteren Fall ist die Ver-

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leihung zu versagen, wenn der durch den zu er­ das es erbeten wird. Für die Vorbereitung des wartenden Schaden Betroffene widerspricht. Unternehmens kommt § 5 des EnteignungsG. Trotz eines solchen Widerspruchs kann jedoch die vom 11. 6. 1874 (GS. 221) entsprechend zur Verleihung erteilt werden, wenn das Unter­ Anwendung (§ 63). Die AusfAnw. III vom nehmen anders nicht zweckmäßig oder doch nur 29. 4.1914 (MBlMfL. 139) gibt im einzelnen an, mit erheblichen Mehrkosten ausgeführt werden welche Zeichnungen und Erläuterungen dem An­ könnte, wenn ferner der aus dem Unternehmen träge beizufügen sind. Sind die Unterlagen für zu erwartende Nutzen den Schaden des Wider­ den Antrag nicht ausreichend, so wird die Ver­ sprechenden erheblich übersteigt (LWA. 4, 8) leihungsbehörde den Versuch machen müssen, die und endlich in dem Falle, daß dem Widersprechen­ Mängel zu beseitigen (LWA. 3 S. 35, 72; ZfA. den ein auf besonderem Titel beruhendes Recht 4, 70); genaue Angaben sind um so mehr erzur Benutzung des Wasserlaufs zusteht, außer­ orderlich, als der Umfang des Antrags für das dem Gründe des öffentlichen Wohles vorliegen Verfahren in allen Instanzen maßgebend und (LWA. 1, 96; 4 S. 28, 63; ZfA. 4, 81). Welche eine Ausdehnung jedenfalls in der Beschwerde­ der gesetzlich zulässigen (OVG. in ZfA. 5, 218) instanz unzulässig ist (LWA. 1, 78). Ergibt die Bedingungen, zu denen die Auferlegung eines alsbald — alle Anträge auf Verleihung sind Entgelts für die Benutzung des Wasserlaufs nicht schleunig zu behandeln (§ 64 Abs. 2 Wg.) — vor­ gehört (§ 54), die Verleihungsbehörde dem Unter­ zunehmende Prüfung des Antrags, daß er offen­ nehmer zum Schutze der öffentlichen und der pri­ bar unzulässig ist, so kann er ohne weiteres durch vaten Interessen auferlegen will, hängt von Beschluß zurückgewiesen werden; anderenfalls ihrem pflichtmäßigen Ermessen unter Würdigung muß ein besonderes Vorverfahren eingeleitet der Umstände des einzelnen Falles ab. Be­ werden, durch das die tatsächlichen und rechtlichen dingungen sind aber nur nach Maßgabe der ge­ Verhältnisse geklärt und ermittelt werden soll, ob setzlichen Vorschriften zulässig (OVG. in ZfA. Versagungsgründe vorliegen oder Schutzeinrich­ 5, 218; 7, 320). An Weisungen übergeordneter tungen oder Entschädigungen vorzusehen sind Instanzen ist die Berleihungsbehörde hierbei — (LWA. 4, 54). Zu dem Zweck ist der Antrag dem abgesehen von den großen Talsperren und den zuständigen Wasser- oder Kulturbaubeamten, gebesternten Wasserläufen — nicht gebunden. So­ gebenenfalls dem Bergrevierbeamten, dem Meweit Schaden aus der Ausübung eines beantrag­ dizinalbeamten und dem Veterinärbeamten zu­ ten Rechts zu befürchten steht, sollen grundsätzlich zuleiten und sodann seine öffentliche Bekannt­ solche Einrichtungen dem Unternehmer aufge­ machung zu veranlassen, und zwar durch den geben werden, daß dem Schaden vorgebeugt BezA. selbst (LWA 3, 79; 4 S. 1, 79; OVG. wird; nur wenn diese mit dem Unternehmen in ZfA 5, 241). Diese hat den Ort anzugeben, nicht vereinbar oder wirtschaftlich nicht gerecht­ wo der Antrag und seine Unterlagen eingesehen fertigt sein würden, tritt die Verpflichtung des werden können und die Verwarnung zu ent­ Unternehmers zum Schadenersatz ein. Unter halten, daß Widersprüche oder Ansprüche auf Umständen kann der Eigentümer eines fremden Herstellung und Unterhaltung von Einrichtungen Grundstücks, das durch die Ausführung des Unter­ oder auf Entschädigung (§ 66) sowie Anträge nehmens schwer beschädigt wird, verlangen, daß auf Verleihung von Rechten, durch welche die der Unternehmer dieses Grundstück erwirbt (§ 53). von dem ersten Antragsteller beabsichtigte Be­ Zu erwähnen ist noch, daß, wenn gleichzeitig nutzung beeinträchtigt werden würde (§ 67 Abs. 2), mehrere Berleihungsanträge gestellt werden, die die nicht binnen einer zu bestimmenden Frist von auch bei Teilung der verfügbaren Wassermenge zwei bis sechs Wochen angemeldte werden, später oder bei Festsetzung verschiedener Benutzungs­ keine Berücksichtigung mehr finden können (OVG. zeiten oder geeigneter Betriebseinrichtungen nicht in ZfA. 6, 304; 7, 51). Widersprüche sowie An­ nebeneinander bestehen können, das WG. eine sprüche können sowohl von den zur Vertretung bestimmte Reihenfolge vorgeschrieben hat, in der öffentlicher Interessen berufenen Behörden als sie zu berücksichtigen sind (§ 61; LWA. 4, 54; auch von Privaten erhoben werden. Die recht­ ZfA. 4 S. 46, 52; 5, 317; 6 S. 213, 308). zeitig erhobenen sind durch die Verleihungs­ 2. Verfahren. Das Verfahren in Ber- behörde oder einen von ihr beauftragten Beamten leihungssachen ist durch das WG. nicht erschöpfend mit den Beteiligten mündlich zu erörtern. Nach geregelt; es setzt vielmehr die Vorschriften des Abschluß dieser Erörterungen sind die Akten der LVG. über das Beschlußverfahren als grund­ Verleihungsbehörde vorzulegen, die in dem damit legend voraus (LWA. 1 S. 139, 103, 128) . Für einsetzenden Hauptverfahren zu prüfen hat, ob das Verfahren vor dem wasserwirtschaftlichen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ver­ Senat des OVG. hat die V. vom 12. 3. 1924 leihung vorliegen, wobei sie auch an Stelle der (GS. 130) mehrere Vorschriften des LVG. aus­ sonst zuständigen Polizeibehörden (Bau-, Feuer-, drücklich für anwendbar erklärt. Berleihungs­ Wasser-, Sicherheits-, Berg-, Verkehrs-, Gesundbehörde ist der BezA.; zuständig ist die Behörde, heits- und Veterinärpolizei) zu prüfen hat, ob zu dessen Bezirk die Strecke des Wasserlaufs ge­ die beabsichtigte Benutzung des Wasser aufs den hört, an der das Recht, dessen Verleihung be­ polizeilichen Vorschriften entspricht. Nötigenfalls antragt wird, unmittelbar ausgeübt (Wasser ent­ ist durch Verhandlungen mit dem Antragsteller auf nommen, eingeleitet, angestaut usw.) wird (OVG. eine Ergänzung mangelhafter Unterlagen und in ZfA. 6, 208). Die eingehenden Anträge sind Klarstellung zweifelhafter Fragen hinzuwirken im „Beschlußverfahren" zu erledigen. Der Antrag, (LWA. 3, 73). Werden Widersprüche und An­ den ein jeder stellen kann, der ein Benutzungsrecht sprüche auf besondere privatrechtliche Titel (Er­ erwerben will, hat bestimmt zu erklären, welches sitzung, Verträge, Rezeß usw.) gestützt, so ist nicht Wasserbenutzungsrecht verliehen werden soll, und der BezA., sondern das ordentliche Gericht zur Ent­ hat das Unternehmen genau zu bezeichnen, für scheidung der darüber etwa entstehenden Streitig-

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keilen zuständig, an welche diese daher zu verweisen nicht erhoben werden (LWA. 3, 9), Dagegen sind, salls sie sich nicht als offenbar unzulässig kann die Wasserpolizeibehörde aus überwiegenden darstellen (LWA. 3 S. 41, 43). Bis zur Er­ Rücksichten des öffentlichen Wohles jedenfalls ledigung des Streites kann der BezA. die Entschei­ noch Widerspruch erheben, wenn der Unter­ dung über den Berleihungsantrag aussetzen und nehmer Beschwerde eingelegt halte (LWA. in muß das sogar, wenn das Bestehen des Titels ZfA. 4, 31). Beschwerden über das Verfahren glaubhaft gemacht wird und bei Anerkennung leitende Verfügungen sind zulässig (OVG. in des Titels die Verleihung zu versagen wäre; ZsA. 5 S. 14, 317). Soweit die Entscheidung doch kann dem Unternehmer eine Frist bestimmt die von dem Unternehmer zu leistende Entschä­ werden, innerhalb deren er die Klage auf Fest­ digung betrifft, kann der Beschluß nur mit der stellung seines vermeintlichen Rechts zu erheben binnen zwei Wochen bei den ordentlichen Ge­ hat (LWA. in ZsA. 3, 131). Bei ungebührlicher richten zu erhebenden Klage angefochten werden. Verzögerung der Prozeßführung kann das Ver­ Bei Versäumung der Frist zur Anbringung der leihungsverfahren fortgesetzt werden. Ist es zur Beschwerde ist Wiedereinsetzung in den vorigen Entscheidung reif, so hat der BezA. über den An­ Stand zulässig, nicht aber bei Versäumung der trag durch Beschluß zu befinden, der mit Gründen zur Erhebung von Widerspruch oder Ansprüchen versehen sein muß, wenn die Verleihung nicht dem gesetzten Frist (vgl. auch OVG. in ZfA. 8, 227); Anträge gemäß oder unter Zurückweisung von eine Ausnahme macht nur nach § 82 Abs. 1 Widersprüchen oder Ansprüchen erteilt wird (LWA. Satz 4 die Versäumung der Widerspruchsfrist 1,11; ZsA. 4,17). Auch Vorbescheid des Vorsitzen­ bei Entschädigungsansprüchen. Eine Wieder­ den, gegen den binnen zwei Wochen Antrag aufnahme des Verfahrens im Wege der Nichauf Beschlußfassung durch das Kollegium oder tigkeits- oder Nestitutionsklage gegen die Be­ Beschwerde beim OVG. gegeben ist, ist zulässig schlüsse des OVG. ist nicht zugelassen (LWA. (LWA. 1, 103; 4, 81). Der Beschluß wird aus 3, 211). Bon der Rechtskraft des Verleihungs­ Grund der Akten erlassen, ein Antrag auf münd­ beschlusses ist den Beteiligten Mitteilung zu liche Verhandlung kann ohne Angabe von Grün­ machen und sodann die Eintragung des ver­ den gestellt werden (LWA. 3, 29). Da für den liehenen Rechts in das Wasserbuch zu veranlassen. Inhalt und Umfang des verliehenen Rechts Der Regel nach ist auch dem Unternehmer eine Berallein der Inhalt des Verleihungsbeschlusses maß­ leihungsurkunde auszufertigen, die den Parteien gebend ist, der den Plan des Unternehmens zur und im Streitfall den entscheidenden Behörden Grundlage hat, das daher auch in ihm zu b> Klarheit über das endgültig verliehene Recht zeichnen ist (OVG. in ZfA. 5, 19), so ist seine nach Inhalt und Umfang verschaffen soll. Ihre sorgfältige und erschöpfende Fassung von größter Ausstellung ist aber ein reiner Verwaltungsakt Bedeutung. In § 72 WG. ist daher im einzelnen (LWA. 4, 81). Mit der Ausführung des ver­ ausgeführt, was er zu enthalten hat. Wird durch liehenen Rechts darf der Regel nach erst nach ihn der Unternehmer zum Erwerb eines geschä­ völliger Erledigung der Entschädigungssrage be­ digten Grundstücks nach § 53 verpflichtet, so hat gonnen werden, doch kann unter Umständen durch die Berleihungsbehörde unverzüglich eine entspre­ den Verleihungsbeschluß eine frühere Ausführung chende Eintragung im Grundbuch zu veranlassen ungeordnet werden. Die Aussicht über Einhaltung (§§74, 78). Der Beschluß ist dem Unternehmer der gestellten Verleihungsbedingungen steht nicht und Behörden und Personen, die Widersprüche der Verleihungsbehörde, sondern ausschließlich oder Ansprüche erhoben haben, zuzustellen der Wasserpolizeibehörde zu. Stellen sich nach (LWA. 1,132). Diesen steht binnen zwei Wochen der Ausführung unvorhergesehene Schäden her­ nach der Zustellung Beschwerde an das OVG. aus, so kann nicht Unterlassung der Ausführung, zu, soweit es sich nicht um die von dem Unter­ sondern nur noch die Herstellung schadenver­ nehmer zu leistende Entschädigung handelt. Aus hütender Einrichtungen oder Entschädigung ver­ ihre Einlegung und Behandlung finden die langt werden, aber nur, wenn die nachteiligen Vorschriften des LBG. Anwendung (LWA. Wirkungen nicht schon vor der in der öffentlichen 1 S. 103, 139; B. vom 13. 3. 1924, GS. 130; Bekanntmachung gesetzten Frist erkannt werden OVG. in ZfA. 5, 317). Demgemäß ist sie bei konnten. Nach Ablauf von drei Jahren von dem dem BezA. einzulegen, dessen Vorsitzender sie Zeitpunkt an, in dem der Geschädigte von dem bei Fristversäumnis durch begründeten Bescheid Eintritt der schädigenden Wirkung Kenntnis er­ zucückweisen kann (dagegen binnen zwei Wochen hielt, kann seinem Anspruch der Einwand der Beschwerde beim OVG. zulässig). Andernfalls Verjährung entgegengehalten werden. Nach Ab­ ist sie zunächst der etwa vorhandenen Gegen­ lauf von 30 Jahren nach dem Ende des Jahres, partei zur schriftlichen Erklärung binnen zwei in dem mit Ausführung des verliehenen Rechts Wochen zuzufertigen. Anschlußbeschwerde ist zu­ begonnen wurde, können Ansprüche überhaupt lässig (LWA. 1, 126; 3, 213; ZfA. 4, 63; § 5 der nicht mehr geltend gemacht werden. Eine ZurückV. vom 12. 3. 1924). Aus Gründen des öffent­ nah me der Verleihung ist nur in den gesetzlich belichen Interesses steht auch dem Vorsitzenden des bestimmten Fällen und nur durch Beschluß der BezA. die Beschwerde zu. Für die Erledigung Berleihungsbehörde, und zwar gegen oder ohne der Beschwerde beim OVG. ist dessen wasser­ Entschädigung möglich. Hervorzuheben ist noch, wirtschaftlicher Senat zuständig, der nach der daß in den Fällen, in denen es zur Ausführung B. vom 12. 3. 1924 zu verfahren, insbesondere eines Unternehmens außer der wasserrechtlichen die §§ 52, 60, 115, 118, 119, 120, 122, 124, 125 Verleihung auch noch der gewerbepolizeilichen LBG. sinngemäß anzuwenden hat. Etwaige Genehmigung bedarf, beide Verfahren in eine wesentliche Mängel des Verfahrens sind von gewisse Vereinigung gebracht werden können, Amts wegen zu prüfen (LWA. 3, 79), weiter­ weil ja für beide Verfahren der BezA. zuständig gehende Ansprüche als vor dem BezA. können ist. Bei der Beschlußfassung müssen aber beide Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. II.

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Vermißte und r nbekannte Tote

Verfahren gesondert werden, weil zur Anfech­ Antrags auf Verleihung wird eine Gebühr von tung verschiedene Instanzen (OVG. oder HM.) einem Zehntel bis zur Hälfte der Gebühr, bei Zu­ in Betracht kommen. Das Nähere ordnet Ausf- rücknahme, wenn mit Ausführung oder sachlicher Anw. III in ihren §§ 29—36 (LWA. I, 133; Vorbereitung des Antrags bereits begonnen ist, ein Zehntel bis ein Viertel der Gebühr, min­ 3 S. 33, 64; 4, 92). II. Verleihung von Rechten an Ge­ destens jedoch 0,50 RM erhoben; bei nicht anzu­ wässern, die nicht zu den Wasserläufen rechnender Unkenntnis der Verhältnisse oder gehören. Wie die Wasserläufe, unterliegen auch Unwissenheit kann Gebührensreiheit gewährt die Gewässer, die nicht zu den Wasserläufen ge­ werden. Auch im übrigen sind die Vorschriften hören, der Verfügungsgewalt des Eigentümers, der Berwaltungsgebührenordnung vom 30. 12. aber ebenso, wie jene, nicht unbeschränkt. Im Art. 1926 (GS. 327), insbesondere ihrer Tarisnummer Pr. Wasserrecht sind unter B die Beschränkungen, 16, maßgebend. S. Wasserrecht. Vermißte und unbekannte Tote. Die Ermitt­ denen er durch das G. unterworfen ist, im ein­ zelnen aufgeführt. Will er sich von diesen, soweit lung Vermißter und die Feststellung unbekannter sie sich auf Seen, die Gewinnung unterirdischen Toter ist geregelt durch folgende Runderlasse: Wassers, den Aufstau eines Grundwasserstromes vom 27. 10.1925 (MBl. 1154), vom 5. 6.1926 oder die Einbringung verunreinigender Stoffe in (MBl. 557), vom 15. 6. 1926 (MBl. 591), vom den Boden beziehen (§§199—202), befreien, oder 11. 7. 1926 (MBl. 685), vom 20. 4. 1927 (MBl. Die Ermittlung Vermißter und die will ein Nichteigentümer Benutzungsrechte an 461). jenen Gewässern erwerben, so ist das im Wege Feststellung unbekannter Toter gehört in erster zu den Obliegenheiten der OPB. der Verleihung möglich, für Nichteigentümer aber Linie stets nur dann, wenn der Eigentümer nicht nur Die Landeskriminalpolizeistellen (s. Landes­ nicht widerspricht, sondern zustimmt (LWA. 3,77; kriminalpolizei) haben durch ihre Vollzugs­ ZfA. 4,16). Auf die Verleihung finden die sämt­ organe die OPB. im Bedarfsfälle bei der Auf­ lichen materiellen und Bersahrensvorschriften An­ klärungsarbeit zu unterstützen. Um ein möglichst wendung, die auch für die Verleihung von Be­ gleichmäßiges Nachrichtennetz über das Land zu nutzungsrechten an Wasserläufen gelten. Aus­ ziehen, dienen einzelne Landeskriminalpolizei­ geschlossen sind nur die Vorschriften, wonach, stellen als Nachrichtensammelstellen für einen be­ wenn fremde Grundstücke oder Anlagen der Ge­ grenzten Landesteil. Da fast in allen Provinzen fahr der Beschädigung durch Ausübung des ver­ eine solche Nachrichtensammelstelle eingerichtet liehenen Rechts in weitgehendem Maße ausgesetzt worden ist, werden sie als Provinzialnachrichten­ sind, der Eigentümer verlangen kann, daß der sammelstellen bezeichnet. Die zentrale Nachrich­ Unternehmer das Eigentum an ihnen erwirbt tensammelstelle für das ganze preußische Landes­ (§§53, 74, 78/ 203), und ferner die Vorschrift, gebiet befindet sich im Landeskriminalpolizeiamt wonach ein Entgelt dem Unternehmer nicht auf­ in Berlin. erlegt werden darf (§ 54). Für die Verleihung I. Bei jeder Bermißtenanzeige ist von der eines Wassergewinnungsrechts ist abweichend be­ OPB. eine Niederschrift anzufertigen, wobei auf stimmt, daß, soweit Entschädigung für nachteilige genaue Beantwortung aller in dem zu benutzen­ Wirkungen gewährt werden muß, der entstehende den Vordruck aufgeworfenen Fragen zu achten Schaden nur zu ersetzen ist, soweit die Billigkeit ist, die so gestellt sind,daß eine möglichst zutreffende den Umständen nach eine Entschädigung erfordert Beschreibung der vermißten Person erreicht wird. (§ 203 Abs. 1, 2); durch diese Vorschrift ist dem Nach Aufnahme der Anzeige sind unverzüglich § 50 die Geltung entzogen, so daß z. B. überall örtliche Nachforschungen anzustellen, die vor allem da, wo ein Unternehmen, für das die Verleihung in der Ermittlung, Befragung oder Vernehmung des Rechts zur Zutageförderung unterirdischen von Auskunftspersonen, z. B. Verwandten, Be­ Wassers nachgesucht wird, dem öffentlichen Wohle kannten, Berufs- und Bereinsgenossen usw. be­ dient (Wasserversorgung einer Stadt), der An­ stehen, sowie in der Durchsicht etwa zurückgebliebe­ spruch der Widersprechenden auf Versagung der ner Sachen und der Wohnräume nach Spuren, Verleihung — andersjfals bei Wasserläufen — ferner im Ausspüren etwaiger Zufluchtsorte und schlechthin ausgeschlossen ist und nur ein Anspruch beim Bekanntwerden eines vermutlichen Auf­ auf schadenverhütende Einrichtungen oder Scha­ enthaltsorts in der sofortigen Benachrichtigung densersatz in Betracht kommt (LWA. in ZfA. der zuständigen OPB. unter genauer Angabe der vollständigen Personalien sowie der Personen4, 70; OVG. in ZfA. 7, 126). III. Kosten. Die Kosten des Verleihungs­ und Bekleidungsbeschreibung. Neben den ört­ verfahrens fallen dem Unternehmer zur Last; lichen polizeilichen Nachforschungen empfiehlt sich die durch unbegründete Ansprüche oder Wider­ in geeigneten Fällen die Veröffentlichung der sprüche erwachsenen Kosten können jedoch dem­ Vermißtenanzeige in der Presse. Sobald die ört­ jenigen, der sie erhoben hat, auferlegt werden lichen Ermittlungen als ergebnislos abgeschlossen (§§ 75, 86). Ein Recht, den Ersatz ihrer baren find, spätestens aber nach Ablauf einer Woche seit Auslagen zu fordern, haben die Beteiligten nicht. Aufnahme der Anzeige, hat die OPB. der zu­ Für den Verleihungsbeschluß wird eine Gebühr ständigen Landeskriminalpolizeistelle Nachricht zu von zwei Zehnteln des Wertes des Gegenstandes, geben. Wird jedoch das Verschwinden der Person mindestens jedoch 10 RM erhoben, dagegen ist mit dem Vorliegen eines Verbrechens in Zu­ die Verleihungsurkunde — in Abweichung von sammenhang gebracht, so ist die Landeskriminal­ § 80 WG. — nicht mehr stempelpflichtig. Wird polizeistelle schon vor Abschluß der örtlichen Er­ die übergeordnete Instanz angegangen, so ist auch mittlungen zu benachrichtigen. In diesem Falle deren Entscheidung gebührenpflichtig; die Ge­ ist auch alsbald der zuständigen Staatsanwalt­ bühr erhöht sich dann um die Hälfte, mindestens schaft Nachricht zu geben. Die Landeskriminal ­ jedoch je um 0,50 RM. Auch für Ablehnung des polizeistelle hat die bei ihr eingehenden Vermißten-

Bermögensteuer nachrichten auf die Vollständigkeit der Eintra­ gungen zu prüfen und unverzüglich an die zustän­ dige Provinzial-Nachrichtensammelstelle weiterzusenden und gleichzeitig einen Suchvermerk im Strafregister bei der Staatsanwaltschaft des Ge­ burtsortes des Vermißten zu hinterlegen. Bei der Nachrichtensammelstelle werden die Angaben der eingehenden Bermißtennachrichten in einer Kartei gesammelt. Neu eingehende Karten sind zur Fest­ stellung der Persönlichkeit des Vermißten mit dem bei der Nachrichtensammelstelle über unbekannte Leichen vorhandenen Kartenmaterial zu ver­ gleichen. Führt die Vergleichung zur Feststellung des Vermißten, so ist der anzeigenden Polizei­ behörde sofort Mitteilung zu machen. Anderen­ falls ist die neue Karte in die Vermißtensamm­ lung einzulegen und dem Landeskriminalpolizei­ amt von der erfolglosen Vergleichung Mitteilung zu machen. Das Landeskriminalpolizeiamt ver­ fährt bei Eingang dieser Nachricht in ähnlicher Weise wie die Provinzial-Nachrichtensammelstelle. II. Verfahren bei der Feststellung unbekannter Toter. Beim Auffinden eines unbekannten Toten hat die OPB. im Benehmen mit der gemäß § 159 StPO, alsbald zu benachrichtigenden Justiz­ behörde (Amtsrichter oder Staatsanwaltschaft) alle Maßnahmen zu ergreifen, die eine Fest­ stellung der Persönlichkeit ermöglichen. Hierzu gehören vor allem: bei noch gut erhaltenen Leichen die sofortige Ausnahme brauchbarer Lichtbilder; Aufnahme brauchbarer Fingerabdrücke; Anferti­ gung einer Niederschrift, in der vorgeschriebene Fragen über Personen- und Kleidungsbeschrei ­ bung genau und eingehend zu beantworten sind; die Beschreibung der beim Toten gefundenen Gegenstände muß so genau sein, daß ein Wieder­ erkennen lediglich nach der Beschreibung, ohne besondere Inaugenscheinnahme möglich ist. Ge­ gebenenfalls sind von den Gegenständen Licht­ bilder zu fertigen. Außerdem hat eine Entnahme von Proben aller Bekleidungsstücke und ihre Aus­ heftung auf einer besonderen Kleiderkarle zu er­ folgen. Die Bekleidungsstücke selbst sind nach Möglichkeit für die Dauer eines Jahres aufzu­ bewahren. Die Veröffentlichung einer Mitteilung über das Auffinden der unbekannten Leiche in der Presse unter Angabe aller sachdienlichen Um­ stände versteht sich von selbst. Vom Aufsinden jedes unbekannten Toten hat die OPB. unter Beifügung der Kleiderkarte und des Finger­ abdruckbogens der zuständigen Landeskriminal­ polizeistelle Nachricht zu geben. Mit dieser Nach­ richt wird wie unter I verfahren. III. Die Ermittlung Vermißter und die Fest­ stellung unbekannter Toter ist von allen Polizei­ behörden mit größter Sorgfalt und unter mög­ lichster Beschleunigung vorzunehmen. Gegenüber den Angehörigen von Vermißten ist unter Berück­ sichtigung ihrer natürlichen Erregung ein beson­ deres Maß höflichen Entgegenkommens zu ver­ langen. Werden Vermißtenanzeigen bei einer unzuständigen Dienststelle angebracht, so sind sie nicht etwa ohne weiteres unter Berufung auf die Unzuständigkeit abzuweisen, vielmehr sind die Anzeigenden über die zuständige Stelle und die zu ergreifenden Schritte zu belehren. Die Ausschrei­ bung Vermißter und unbekannter Toter erfolgte im Deutschen Fahndungsblatt, nunmehr im Deut­ schen Kriminalpolizeiblatt (s. Leichen). Hg.

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Bermögensteuer. I. a) Begriffliches. Zu den V. im weitesten Sinne können die Steuern gerechnet werden, die nach der Höhe des besteuer­ ten Vermögens bemessen werden. Dabei sind solche Steuern zu unterscheiden, bei denen nur ein Teil des einem Steuerpflichtigen gehörigen Vermögens die Besteuerungsgrundlage bildet, und solche, die nach der Höhe des gesamten Ver­ mögens des Steuerpflichtigen erhoben werden. Die Teilvermögensteuern, die ohne Rücksicht aus die Schulden und die Höhe des übrigen Vermögens bemessen werden (wie z. B. die Grundsteuer und die Gewerbekapitalsteuer), berücksichtigen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflich­ tigen nicht;^man bezeichnet sie aus diesem Grunde als Realsteüern oder Objektsteuern. Die B., die nach dem gesamten Vermögen des Steuerpflich­ tigen bemessen wird, kann man unter dem Ge­ sichtspunkte, daß sich die wirtschaftliche Leistungs­ fähigkeit des Steuerpflichtigen — abgesehen von der Höhe des Einkommens — auch in der Höhe seines Gesamtvermögens^ ausdrückt, zu den Per­ sonalsteuern rechnen. Unter den V. in diesem Sinne ist zwischen einmaligen und laufenden zu unterscheiden. b) Geschichtliches. Bis zum 31. 3. 1920, dem Inkrafttreten des LandessteuerG. vom 30. 3. 1920 (RGBl. 402), wurden laufende B. im Deutschen Reich von den Ländern erhoben; sie wurden mit Rücksicht darauf, daß sie als Er­ gänzung der Einkommensteuern gedacht waren, zumeist als „Ergänzungssteuern" bezeichnet. Ein­ malige V. wurden in Deutschland auf Grund des G. über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag vom 3. 7. 1913 (RGBl. 505) und des G. über das Reichsnotopfer vom 31.12.1919 (RGBl. 2189) erhoben. Stichtag für den Wehr­ beitrag war der 31. 12. 1913, für das Reichsnot­ opfer der 31. 12. 1919. Beide Steuern wurden zugunsten des Reiches erhoben, das übrigens auch in der Zwischenzeit bereits zur Erhebung von Vermögenzuwachssteuern übergegangen war (Besitzsteuer vom 3. 7. 1913, RGBl. 524; Kriegssteuer vom 21. 6. 1916, RGBl. 561; Kriegsabgabe vom Vermögenszuwachs vom 10. 9. 1919, RGBl. 1579). Eine laufende V. zugunsten des Reiches ist durch das G. vom 8. 4. 1922 (RGBl. I 335) geschaffen worden. Diese B. sollte nach dem Stichtage vom vorausge­ gangenen 31. Dezember für je drei Jahre ver­ anlagt werden. Die erste Veranlagung erfolgte auf Grund des 31. 12. 1922 für die Zeit vom 1. 1. 1923 ab. Mit Rücksicht auf den in den Jahren 1922 und 1923 eingetretenen Währungs­ verfall und die Ende 1923 gelungene Stabilisie­ rung mußte die V. für das Jahr 1924 auf Gold­ mark umgestellt werden. Die hierzu notwendigen Vorschriften, die insbesondere die Bewertung und den Tarif betrafen, wurden in Art. II der 2. StNotB. vom 19. 12. 1923 (RGBl. I 1205) und den Durchführungsbestimmungen hierzu vom 8. 3.1924 (RMBl. 103) erlassen. Diese im Verordnungswege getroffene Regelung stellte lediglich eine Zwischenlösung für das Jahr 1924 dar. Die endgültige Regelung erfolgte durch das G. vom 10. 8. 1925 (RGBl. I 233). Dieses G. bildet ein Glied der großen Reichssinanzreform vom Jahre 1925. Es steht daher in engstem Zusammenhang mit dem REinkStG., dem Körp-

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Bermögensteuer

StG. und dem ReichsbewertungsG., die sämtlich am gleichen Tage erlassen sind. II. Steuerpflicht. Wie bei allen Personal­ steuern ist auch für die V. zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht zu unterscheiden. Die unbeschränkte Bermögensteuerpflicht na­ türlicher Personen (§ 2 Ziff. 1 VermStG.) stimmt völlig mit der unbeschränkten Einkommen­ steuerpflicht. überein. Unbeschränkt vermögen­ steuerpflichtig sind die natürlichen Personen, so­ lange sie im Deutschen Reiche ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Als gewöhnlich gilt ein Aufenthalt von mehr als sechs Monaten; übersteigt der Aufenthalt diesen Zeit­ raum, so erstreckt sich die Steuerpslicht auch auf die ersten sechs Monate. Ferner sind die deutschen Beamten, die ihren dienstlichen Wohnsitz im Aus­ land haben, unbeschränkt vermögensteuerpflichtig. Die Staatsangehörigkeit hat für die Frage der Steuerpflicht keine Bedeutung. Wie für die na­ türlichen Personen der Wohnsitz oder der ge­ wöhnliche Aufenthalt über die Frage der un­ beschränkten Steuerpslicht entscheidet, so hängt die unbeschränkte Vermögensteuerpflicht juristi­ scher Personen (§ 2 Ziff. 2 VermStG.) davon ab, ob der Sitz oder der Ort der Leitung im In­ land liegt. Alle juristischen Personen des bürger­ lichen Rechts sind unter der Voraussetzung, daß ihr Sitz oder ihre Leitung sich im Jnlande be­ findet, unbeschränkt steuerpflichtig. Gegenüber der für die Körperschaftsteuer getroffenen Rege­ lung hinsichtlich der subjektiven Steuerpflicht be­ stehen insbesondere zwei wichtige Unterschiede. Einmal sind bei der V. die offenen Handels­ gesellschaften und Kommanditgesellschaften selbst steuerpflichtig; das Einkommen dieser Gesell­ schaften wird jedoch nicht bei ihnen selbst besteuert, sondern anteilig bei der Veranlagung der Gesell­ schafter zur Einkommensteuer herangezogen. Wie die Regelung für die Besteuerung des Einkom­ mens aus diesen Gesellschaften ist, war sie auch bisher für die Heranziehung zur V., indem auch hier früher nicht die Gesellschaften selbst veran­ lagt wurden, sondern ihr Vermögen anteilig den einzelnen Gesellschaftern zugerechnet wurde. Das neue VermStG. besteuert die offenen Handels­ gesellschaften und Kommanditgesellschaften selbst, verzichtet aber mit Rücksicht hierauf auf die Heranziehung der Anteile an den Gesell­ schaften bei den Gesellschaftern. Der zweite wichtige Unterschied hinsichtlich der Regelung der subjektiven Steuerpflicht bei der V. von der der Körperschaftsteuer besteht in der Behandlung der öffentlichen Betriebe und Verwaltungen. Wäh­ rend die öffentlichen Betriebe und Verwal­ tungen — abgesehen von solchen, die der Aus­ übung der öffentlichen Gewalt, lebenswichtigen Bedürfnissen der Bevölkerung (Versorgungs­ betriebe), gemeinnützigen, mildtätigen oder kirch­ lichen Zwecken dienen — körperschaftsteuerpslichtig sind, unterliegen von ihnen der V. lediglich die Kreditanstalten des öffentlichen Rechts. Hin­ sichtlich der beschränkten Vermögensteuerpflicht ist die frühere Regelung aufrechterhalten worden. Hiernach unterliegen alle natürlichen und ju­ ristischen Personen, die nicht unbeschränkt steuer­ pflichtig sind, der B. mit ihrem inländischen land­ wirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen, gärtnerischen Vermögen, Betriebsvermögen und Grundver­

mögen (§ 3 VermStG.). Zu beachten ist, daß die beschränkte Einkommen- (Körperschaft-) Steuerpflicht erheblich weiter reicht, da auch die Einkünfte aus Hypotheken, die durch inländischen Grundbesitz gesichert sind, Dividenden aus in­ ländischen Aktien, Zinsen aus inländischen An­ leihen usw. der beschränkten Einkommensteuer­ pflicht unterliegen. Aus wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Gründen sind eine Reihe von Befreiungsvorschriften in das G. ausgenom­ men worden (§ 4 VermStG.). Hiernach sind z. B. die Reichsbank, die Staatsbanken und die öffentlichen oder dem öffentlichen Verkehr dienen­ den Sparkassen, die sich auf die Pflege des eigent­ lichen Sparkassenverkehrs beschränken, Personen­ vereinigungen, die ausschließlich kirchlichen, ge­ meinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen, Berufsverbände ohne wirtschaftlichen Geschäfts­ betrieb usw. von der V. befreit. Daß auch die in Gesellschaftsform betriebenen Unternehmungen, deren Erträge ausschließlich dem Reich, den Län­ dern oder den Gemeinden zufließen — abgesehen von den Kreditunternehmungen — von der V. befreit sind, entspricht der für die subjektive Steuerpflicht getroffenen Regelung, nach der die öffentlichen Betriebe und Verwaltungen der V. nicht unterliegen. III. Steuerpflichtiges Vermögen. Die Frage, welche Gegenstände zum steuerpflichtigen Vermögen zu rechnen sind und wie diese zu be­ werten sind, ist im Reichsbewertungsgesetz (RBewG.) geregelt. Das RBewG. will zwar in erster Linie die Bewertung des Vermögens regeln, das sowohl zur V. des Reiches als auch zu den Realsteuern der Länder herangezogen wird; unter diesem Gesichtspunkt wären Vor­ schriften über die Bewertung des Kapitalvermö­ gens und der Schulden usw. und die Berechnung des Gesamtvermögens für das RBewG. ent­ behrlich gewesen. Um jedoch das VermStG. von diesen Vorschriften zu entlasten und das RBewG. selbst zu einer vollständigen Sammlung des Be­ wertungsrechts zu gestalten, sind auch diese Vor­ schriften in das RBewG. ausgenommen worden. Mit Rücksicht darauf sieht das RBewG. für un­ beschränkt Vermögensteuerpflichtige die Fest­ stellung des Wertes für das gesamte Vermögen, für beschränkt Vermögensteuerpflichtige die Fest­ stellung des Wertes für das gesamte inländische landwirtschaftliche usw. Vermögen, Betriebs­ vermögen und Grundvermögen (gesamtes Jnlandsvermögen) vor (§ 45 Abs. 1, § 3 Ziff. 2 RBewG.). Das VermStG. enthält lediglich Vor­ schriften, die den notwendigen Anschluß der Bermögensteuerveranlagung an die im RBewG. ge­ regelte Einheilsbewertung sichern. Das Ver­ mögen ist daher bei der Veranlagung zur B. mit dem Wert anzusetzen, der auf Grund des RBewG. bei unbeschränkt Steuerpflichtigen für das ge­ samte Vermögen, bei beschränkt Steuerpflichtigen für das gesamte Jnlandsvermögen festgestellt ist (§ 5 VermStG.). IV. Tarif, a) Steuersätze. Der Steuersatz für die V. ist grundsätzlich ein einheitlicher und beträgt 5%o des für das Vermögen festgestellten Wertes; für die kleineren Vermögen ist jedoch eine Degression und für die größeren eine Pro­ gression vorgesehen. Das G. vom 10. 8. 1925 entfielt eine Degression auf 4, 3 und 2%0. Diese

Vermögensteuer

Vorschrift des VermStG., die überhaupt nicht zur Anwendung gelangt ist, ist durch § 19 des G. über Steuermilderungen zur Erleichterung der Wirtschaftslage vom 31. 3. 1926 (RGBl. I 185) mit Rückwirkung vom 1. 1. 1925 ab im Sinne einer Erweiterung der Degression abgeändert worden. Hiernach ist der gegenwärtige Vermö­ gensteuertarif folgender (§ 7 VermStG.): Die V. beträgt bei Vermögen bis zu über

10000 RM RM 20 000 10000 aber nicht über 30 000 20 000 30 000 50 000 250 000 50000 500 000 250 000 1000 000 500 000 2 500 000 1000000 5000000 2500000 5000 000

1 2 3 4 5 5,5 6 6,5 7 7,5

o/oo

Zu beachten ist hierbei, daß das Vermögen, das der Ertragsbesteuerung durch Länder und Ge­ meinden unterliegt (also das landwirtschaftliche usw. Vermögen, das Grundvermögen und das Betriebsvermögen), nicht höher als mit dem Nor­ malsatz von 5°/oo zu besteuern ist. Bei einem Steuerpflichtigen mit einem Gesamtvermögen von 2000000 RM, das sich aus einem Betriebs­ vermögen im Werte von 1800000 RM und einem Kapitalvermögen im Werte von 200000 RM zu­ sammensetzt, würden dem erhöhten Steuersatz von 6,5%o lediglich die 200000 RM, die auf das Kapitalvermögen entfallen, unterliegen, während die 1800000 RM, die auf das Betriebsvermögen entfallen, nur mit 5%o besteuert werden. Für die Vermögensteuerveranlagung für die Kalender­ jahre 1925 und 1926 galt die Progression auf 5,5—7,5%0 überhaupt nicht, so daß also für diese beiden Jahre der Normalsatz von 5%o in jedem Falle zugleich auch den höchsten Tarifsatz dar­ stellte (§ 24 VermStG.). b) Freigrenzen. Die V. wird bei unbe­ schränkt Steuerpflichtigen nicht erhoben, wenn das abgerundete Vermögen 5000 RM nicht über­ steigt; dies gilt sowohl für die natürlichen als auch für die juristischen Personen. Für die natür­ lichen unbeschränkt steuerpflichtigen Personen sind aus sozialen Gründen unter gewissen Voraus­ setzungen erhöhte Freigrenzen vorgesehen. Be­ trägt nämlich das letzte Jahreseinkommen des Steuerpflichtigen nicht mehr als 3000 RM (bei Pflichtigen mit zwei Kindern: 4000 RM, mit drei oder vier Kindern: 5000 RM, mit mehr als vier Kindern: 6000 RM), so wird die V. dann nicht erhoben, wenn das Vermögen 10000 RM nicht übersteigt. Die Freigrenze erhöht sich bei Steuer­ pflichtigen, die über 60 Jahre alt oder erwerbs­ unfähig oder nicht nur vorübergehend erwerbs­ behindert sind, auf 20000 RM, wenn das letzte Jahreseinkommen 5000 RM nicht überstiegen hat, und auf 30000 RM, wenn das letzte Jahresein­ kommen 4000 RM nicht überstiegen hat. V. Veranlagung und Erhebung. Die allgemeine Veranlagung der V. (Hauptveran­ lagung) wird in denselben Zeitabständen vor­ genommen, in denen der Einheitswert für das Gesamtvermögen auf Grund des RBewG. fest­ gestellt wird (§ 11 VermStG.). Sind also z. B. die für das Gesamtvermögen festgestellten Ein­ heitswerte für drei Jahre maßgebend, so erfolgt auch die Hauptveranlagung zur V. für drei Jahre. Eine Neuveranlagung innerhalb dieses Zeit­

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raums wird in den Fällen vorgenommen, in denen nach § 75 Abs. 1 RBewG. eine Neufest­ stellung des Einheitswerts für das Gesamtvecmögen erfolgt (also BermögensvPlünderungen um mehr als ein Fünftel oder um mehr als 100000 RM infolge besonderer Umstände). Die Neuveranlagung hat Wirkung für die Zeit vom Beginn des Kalendermonats, der dem die Neu­ feststellung begründenden Ereignis. unmittelbar folgt, bis zum Schlüsse des laufenden Haupt­ veranlagungszeitraums. Eine Nachveranlagung wird in den Fällen vorgenommen, in denen nach § 76 Abs. 2 RBewG. eine Nachfeststellung des Einheitswerts für das Gesamtvermögen erfolgt, d. h. in den Fällen, in denen ein Pflichtiger inner­ halb eines Hauptveranlagungszeitraums in die unbeschränkte oder beschränkte Steuerpslicht ein­ tritt. Erlischt die Steuerpslicht (z. B. bei natür­ lichen Personen durch Tod oder Wegzug in das Ausland, bei juristischen Personen durch Auf­ lösung), so wird die Steuer nur bis zum Schlüsse des Kalendermonats erhoben, in dem die Steuer­ pflicht wegfällt (§§ 12, 13 VermStG.). Die B. wird mit je einem Viertel ihres Jahresbetrags am 15. 2., 15. 5., 15. 8. und 15. 11. fällig. Für Steuerpflichtige, deren Vermögen hauptsächlich aus landwirtschaftlichem Vermögen besteht, ist jedoch mit Rücksicht darauf, daß die Ernte am 15. 8. in den meisten Fällen noch nicht verkauft ist, die Bestimmung getroffen, daß sie statt am 15. 8. und 15. 11. je ein Viertel, am 15. 11. die Hälfte des Jahresbetrags zu zahlen haben. Bis zur Zustellung eines Vermögensteuerbescheids für einen neuen Hauptveranlagungszeitraum sind Vorauszahlungen auf Grund des zuletzt zugestell­ ten Bescheids zu leisten. Diese Vorauszahlungen werden nach Empfang des neuen Bescheids ab­ gerechnet (§ 15 VermStG.). Für Steuerpflich­ tige, die durch Zuzug aus dem Ausland unbe­ schränkt steuerpflichtig werden, ist für die B. (§ 20 VermStG.)— ebenso wie für die Ein­ kommensteuer (§ 47 REinkStG.) — die Möglich­ keit vorgesehen, daß der NFM. für die Dauer von fünf Jahren von der Heranziehung des Ver­ mögens oder einzelner Bermögensgegenstände, insbesondere von der Heranziehung des auslän­ dischen landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Vermögens, Betriebsvermö­ gens oder Grundvermögens ganz oder teilweise absehen läßt oder auch die Steuer im Einverneh­ men mit dem Pflichtigen in einem Pauschbetrage festsetzt. VI. Bisherige Veranlagungen. Die B. wurde zum ersten Male nach dem Stande vom 1. 1. 1925 für das Jahr 1925 veranlagt. Da­ durch, daß der mit dem 1. 1. 1925 beginnende Hauptfeststellungszeitraum für die Feststellung der Einheitswerte nach dem RBewG, durch § 21 des SteuermilderungsG. vom 31. 3. 1926 (RG­ Bl. 1185) aus das Kalenderjahr 1926 ausgedehnt worden ist, hätte sich an sich automatisch auch die Vermögensteuerveranlagung auf das Kalender­ jahr 1926 verlängern müssen (§ 11 VermStG.). Die V. für das Kalenderjahr 1926 ist auch tat­ sächlich nicht besonders veranlagt worden; durch § 20 des SteuermilderungsG. ist jedoch bestimmt worden, daß sie zur Abgeltung der seit dem 1. 1. 1925 eingetretenen durchschnittlichen Min­ derung der Vermögenswerte nur in Höhe von

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Vermögensverwaltung, kirchliche — Verordnungen

drei Vierteln des Jahressteuerbetrags für das Kalenderjahr 1925 erhoben wird. Auf den 1. 1. 1927 hat eine allgemeine neue Veranlagung der V. für das Kalenderjahr 1927 stattgefunden. Nach dem vorläufigen statistischen Ergebnis der Vermögensteuerveranlagung 1925 wurden rund 2,5 Millionen natürliche Steuerpflichtige und rund 115000 nicht natürliche Steuerpflichtige veranlagt, nach einem Vermögen von insgesamt rund 98 Milliarden RM. Im Rechnungsjahr 1925 sind 270 Millionen RM (Voranschlag 350 Mil­ lionen RM) aufgekommen, für 1926 betrug der Voranschlag 400 Millionen RM. Im § 23 des SteuermilderungsG. war bestimmt, daß, wenn die V. für das Kalenderjahr 1926 weniger als 400 Millionen RM beträgt, die erste nach dieser Feststellung fällige Vorauszahlung auf die V. sich entsprechend erhöht. Aufgekommen sind nur rund 360 Mllionen RM. Ein Gesetzentwurf ge­ mäß dem § 23 des SteuermilderungsG. liegt zur Zeit dem RR. vor. Ob und in welcher Form er G. werden wird, läßt sich zur Zeit nicht über­ setzen. Für 1927 beträgt der Voranschlag 470 Mil­ lionen RM, in den ersten acht Monaten sind rund 297 Millionen RM aufgekommen. Zum 1.1.1928 findet eine neue Feststellung der Einheitswerte statt; da mit höheren Werten zu rechnen ist, ist die B. für 1928 im Etat mit 520^Millionen RM veranschlagt worden. Za. Gaede-LYncke, Die Vermögensteuer, 4. Aufl., Hof- und Waisenhausbuchdruckerei, 1926; Zimmer­ mann, Die Bermvgensteuer, Verlag I. Heß, 1925; vgl. auch Schrifttum zum Reichsbewertungsgesetz.

Vermögensverwaltung, kirchliche, s. Kirchenund^Staatskirchenrecht B III, CII 3. BermögenzuwachSsteuer. Der Gedanke einer Besteuerung des während eines bestimmten Zeit­ raums entstandenen Zuwachses an Besitz ist zuerst (nach dem Vorgang von Gemeindesteuerord­ nungen) für den Wertzuwachs, der sich bei Grund­ stücksveräußerungen seit der Zeit des Erwerbs er­ gibt, im ReichswertzuwachssteuerG. von 1911 (s. Wertzuwachssteuer) angewandt worden. Das BesitzsteuerG. von 1913 brachte dann eine allgemeine Zuwachsbesteuerung für das gesamte Vermögen in dreijährigen Zeitabschnitten, dessen erster mit der Feststellung der Vermögenswerte für die Zwecke des Wehrbeitrags begann. Auf dieser Besteuerung baute während des Krieges die deutsche Form der Kriegsgewinnbesteuerung auf, deren Schlußstein die Kriegsabgabe vom Ver­ mögenszuwachs von 1919 bildete. Das VermögenszuwachssteuerG. vom 8. 4. 1922 brachte dann wieder eine lausende B. in dreijährigen Zeitabständen. Es wurde aber mit Inflation und Stabilisierung undurchführbar, und §26des BermStG. vom 10. 8. 1925 bestimmt, daß die V. bis zum 31. 12. 1928 außer Hebung gesetzt sei. Bei einer Neuerhebung nach diesem Zeitpunkt würde es einer gesetzlichen Neuregelung bedür­ fen, weil das an sich nicht ausdrücklich aufge­ hobene G. von 1922 mit nicht mehr anwend­ baren, durch die Inflation bedingten Zahlen­ größen rechnet. Ptz. Bernietungdanstalten. Fabriken, in denen Dampfkessel (s. Dampfkesselfabriken) oder andere Blechgefäße durch Vernieten hergestellt werden, und Fabriken, in denen Röhren aus Blech durch Vernieten hergestellt werden, sind genehmigungspflichtige Anlagen (s. Gewerb­

liche Anlagen I). S. auch Ziff. 31, 35 TechnAnl. (s. d.). Sie gehören zu den geräuschvollen Anlagen (s. d.). Die nicht fabrikmäßig betrie­ benen Arbeitsstätten, in denen Gegenstände aus Blech durch Vernieten hergestellt werden, unter­ liegen der Genehmigungspflicht nicht (RTDrucks. 1884 Ziff. 24). F. H. Verordnungen. I. V. sind in die Öffentlich­ keit tretende Willensäußerungen der Staats­ gewalt und ihrer Organe. Nach außen hin er­ scheinen B. als Akte der vollziehenden Gewalt. Ihrem Wesen nach sind sie verschieden, je nachdem sie sich, wie bei Anweisungen an die Behörden, bei Regelung organisatorischer Einrichtungen usw., auf tatsächliche Anordnungen beschränken, oder aber ganz oder zum Teil Rechtsnormen, d. h. Behörden und Untertanen bindende Vorschriften enthalten. Nur B. der ersteren Art gehören dem Gebiete der eigentlichen Verwaltung, V. der an­ deren Art inhaltlich demjenigen der Gesetzgebung an; die letzteren B. unterscheiden sich von den G. als solchen dadurch, daß diese unter Zustimmung der Volksvertretung in den verfassungsmäßigen Formen zustande kommen müssen, während für das Zustandekommen der V. andere Voraus­ setzungen maßgebend sind. Da das G. die alleinige Quelle der objektiven Rechtsschaffung bildet, so müssen V. mit rechtlichem Inhalte, sowohl in bezug auf die Stelle, von der sie ausgehen, wie auch betreffs ihres Inhalts im G. ihre Grund­ lage und Berechtigung finden; sie dürfen ferner mit bestehenden G. nicht im Widerspruch stehen, und endlich müssen sie veröffentlicht werden, wo­ bei die Art der Veröffentlichung, soweit nicht die Rechtsgültigkeit der V., wie bei Polv., ausdrück­ lich hiervon abhängig gemacht ist, nicht ent­ scheidend ist. Treffen diese Voraussetzungen zu, so stehen die B. dem G. gleich (s. Gesetze und Reichsgesetze VII). II. Die preuß. Verfassung ermächtigt in Art. 51 auch das StM. nur zum Erlaß von Ver­ waltungsB. Wenn auch die Befugnisse, die nach den früheren G., V. und Verträgen dem König zustanden, gemäß Art. 82 VU. auf das StM. übergegangen sind, so fällt doch das auf der früheren Verfassung beruhende Recht des Königs zum Erlaß von RechtsB. nicht hierunter, da diese Verfassung durch Art. 81 VU. aufgehoben ist. Abgesehen von der durch besondere preußische und ReichsG. erteilten besonderen Ermächtigung zum Erlaß von RechtsB. besteht nach der VU. ein solches Recht nur für den in Art. 55 behandelten Ausnahmefall der Notverordnung (s. Preu­ ßische Gesetze unter Besondere G. und Aus­ führung d. G.). III. Für das Reich bestehen nach Art. 77 RV. die gleichen Grundsätze wie für Preußen. Ein besonderes Notverordnungsrecht kennt die RV. nicht. Ein solches war vorübergehend durch das ErmächtigungsG. vom 8.12.1923 (RGBl. 11179) eingeführt. Dagegen gibt der sog. Diktaturpara­ graph (Art. 48 RV.) dem Reichspr. unter ge­ wissen Umständen die Befugnis zum Erlaß vor­ übergehender RechtsB. (s. Reichspräsident und im übrigen Reichsgesetze). IV. Wegen der Polizeiverordnungen s. d. V. Wegen Verkündung der V. s. Reichs­ gesetzblatt und Gesetzsammlung.

Berpackungszwang (und Bezeichnungszwang) — Versagung gewerblicher Genehmigungen

Berpackungszwang (und BezeichnungSzwang) bei der Tabaksteuer s. d. II10 u. 11, bei der Zündwarensteuer s. d. Ilf 2; s. auch Bier­ steuer II11. Versagung gewerblicher Genehmigungen. In allen Fällen, in denen zur Ausübung eines Ge­ werbes eine behördliche Genehmigung (Appro­ bation, Erlaubnis, Befähigungszeugnis, Konzes­ sion usw.) erforderlich ist, kann ihre Erteilung ver­ sagt werden. Die Gründe, aus denen die Ver­ sagung zulässig ist oder erfolgen muß, sind, soweit es sich nicht um eine der Landesgesetzgebung zur Regelung überlassene Materie handelt, in der GewO, oder in dem betreffenden ReichsG. ange­ geben. Gegen den versagenden Bescheid ist in der Regel binnen zwei Wochen der Rekurs nach Maßgabe der §§ 20, 21 GewO, zugelassen, in Preußen in der Regel das VwStr. 1. Gewerbliche Anlagen (s. d.). Die Ge­ nehmigung ist zu versagen, wenn die zu erwar­ tenden Nachteile, Gefahren oder Belästigungen dasjenige Maß überschreiten, dessen Duldung so­ wohl den Nachbarn als auch dein Publikum im Interesse der für die allgemeine Wohlfahrt un­ entbehrlichen Industrie angesonnen werden kann (§ 18 GewO.; TechnAnl. [f. d. I). Beschwerde an den HM., soweit Landeskulturinteressen in Frage stehen, zugleich an den MsL. (§ 113 ZG.). 2. Dampfkessel (s. d.). Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Anlage gegen die bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften oder gegen die Bestimmungen des BR. über die Anlegung von Dampfkesseln verstößt (Z24GewO.). Die Beschwerde geht an den HM. (§ 113 ZG.). 3. Apotheker (s. d.), Ärzte (s. d.). Die Approbation ist zu versagen, wenn der Nach­ suchende den vom BR. vorgeschriebenen Nach­ weis seiner Befähigung nicht erbringen kann (§ 29 GewO.). Ein Rechtsmittel ist nicht vorgesehen. 4. Privatkrankenanstalten,Privatentbindungs-, Privatirrenanstalten (s. Kranken­ anstalten; Entbindungsanstalten; Irren­ pflege). Die Konzession muß versagt werden a) wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuver­ lässigkeit des Unternehmers in Beziehung auf die Leitung oder Verwaltung der Anstalt dartun; b) wenn nach den von dem Unternehmer ein­ zureichenden Beschreibungen und Plänen die baulichen und die sonstigen technischen Einrich­ tungen der Anstalt den gesundheitspolizeilichen Anforderungen nicht entsprechen; c) wenn die Anstalt nur in einem Teil eines auch von anderen Personen bewohnten Gebäudes untergebracht werden soll und durch ihren Betrieb für die Mit­ bewohner dieses Gebäudes erhebliche Nachteile oder Gefahren Hervorrufen kann; d) wenn die Anstalt zur Aufnahme von Personen mit an­ steckenden Krankheiten oder von Geisteskranken bestimmt ist und durch ihre örtliche Lage für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grund­ stücke erhebliche Nachteile oder Gefahren Hervor­ rufen kann (§ 30 Abs. 1 GewO.). Gegen den versagenden Bescheid ist innerhalb zwei Wochen Antrag auf mündliche Verhandlung im VwStr. zugelassen (§ 115 ZG.). 5. Hebammen (s. d.). Das Prüfungszeugnis ist zu versagen, wenn die Prüfung nicht be­ standen ist. Die Prüfung ist durch die Landes­ gesetzgebung (Vorschriften vom 23. 3. 1920,

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VMBl. 187, abgeändert durch Erl. vom 4. 2. 1924, VMBl. 80) geregelt (§ 30 Abs. 2 GewO.). Das Verfahren bei Versagung regelt sich nach der Prüfungsordnung. 6. Hufschmiede (s. Hufbeschlaggewerbe). Die Voraussetzungen, unter denen das Prüfungs­ zeugnis zu versagen ist, bestimmt die Landes­ gesetzgebung (§ 30a GewO.). Das vorgeschriebene Rekursverfahren ist in Preußen nicht geregelt. 7. Seeschiffer, Seesteuerleute (s. d.), Maschinisten (s. d.) auf Seedampfschiffen er­ halten das erforderliche Befähigungszeugnis nur, wenn sie die von der Reichsregierung mit Zu­ stimmung des RR. vorgeschriebenen Prüfungen bestanden haben. Der Befähigungsnachweis für Lotsen (s. d.) ist reichsgesetzlich nicht geregelt (§ 31 GewO.). Ein Rechtsmittel ist nicht vorgesehen. 8. Schauspielunternehmer (s. d.) sTheaterdirektoren). Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn ein Bedürfnis nicht vorliegt oder wenn der Nach­ suchende den Besitz der zu dem Unternehmen nötigen Mittel nicht nachzuweisen vermag oder wenn die Behörde auf Grund von Tatsachen die Überzeugung gewinnt, daß derselbe die zu dem beabsichtigten Gewerbebetriebe erforderliche Zu­ verlässigkeit insbesondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht nicht besitzt (§ 32 Abs. 2 GewO., Bek. vom 3.5.1917, RGBl. 681). Gegen den versagenden Bescheid ist Antrag auf münd­ liche Verhandlung im VwStr. zulässig (§ 115 ZG.). 9. Gast-, Schankwirtschaft (s. d.), Klein­ handel mit Branntwein oder Spiritus (s. Kleinhandel!). Diese Erlaubnis ist nur dann zu versagen, wenn gegen den Nachsuchenden Tat­ sachen vorliegen, welche die Annahme recht­ fertigen, daß er das Gewerbe zur Förderung der Böllerei, des verbotenen Spieles, der Hehlerei oder der Unsittlichkeit mißbrauchen werde oder wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Beschaffenheit oder Lage der polizeilichen Anforderungen nicht genügt. Außer­ dem kann sie versagt werden, wenn ein Bedürfnis nicht vorliegt (§ 33 GewO.). Gegen den ver­ sagenden Bescheid ist der Antrag auf mündliche Verhandlung im VwStr. zugelassen (8 114 ZG.). 10. Tingeltangel (s. d.). Die Erlaubnis ist nur dann zu versagen, wenn gegen den Nach­ suchenden Tatsachen vorliegen, welche die An­ nahme rechtfertigen, daß die beabsichtigten Ver­ anstaltungen den G. oder guten Sitten zuwider­ lausen werden, oder wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Be­ schaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforde­ rungen nicht genügt oder wenn der den Verhält­ nissen des Gemeindebezirks entsprechenden An­ zahl von Personen die Erlaubnis bereits erteilt rst (§ 33a GewO.). Gegen den versagenden Be­ scheid ist der Antrag aus mündliche Verhandlung im VwStr. zulässig (§ 1 der V. vom 31.12.1883, GS. 1884, 7). 11. Darbieten von Lustbarkeiten ohne höheres Kunstinteresse (s. d.) von Haus zu Haus usw. Die Erteilung der Erlaubnis ist in das Er­ messen der OPB. gestellt (§ 33b GewO.). Rechtsmittel sind in der GewO, nicht vorge­ schrieben, in Preußen sind dieselben Rechtsmittel wie bei polizeilichen Bf. zulässig. 12. Die Abhaltung von Tanzlustbarkeiten ist in Preußen nicht geregelt (§ 33c GewO.).

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Versailler Vertrag

13. Pfandleiher und Pfandvermittler (f. d.). Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn Tat­ sachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in bezug auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb dartun (§ 34 Abs. 1 GewO.). Gegen den versagenden Bescheid ist der Antrag aus mündliche Verhandlung im VwStr. zu­ lässig (§ 114 ZG.; § 2 der B. vom 30. Juli 1902, GS. 308). 14. Gifthändler (f. Gifte). Die Genehmi­ gung ist zu versagen, wenn der Nachsuchende in Beziehung auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb nicht zuverlässig ist (§ 49 der PrGewO. vom 17. 1. 1845; Erl. vom 10. 11. 1897 und vom 19. 10. 1901). Gegen den versagenden Bescheid ist Antrag aus mündliche Verhandlung im Vw­ Str. zugelassen (§ 114 ZG.). 15. Markscheider (s. d.), bestimmte Ver­ sagungsgründe bestehen nicht. Gegen die Ver­ sagung der Konzession durch das OBA. ist der Rekurs an den HM. zugelassen (§ 190 Abs. 3, § 191 BergG. vom 24. 6. 1865, GS. 705). ' 16. Beeidigte und öffentlich angestellte Personen (s. Beeidigung und öffentliche Anstellung von Gewerbetreibenden). Die Anstellung kann wegen mangelnden Bedürfnisses und nach Maßgabe der über die Beeidigung und öffentliche Anstellung erlassenen Vorschriften ver­ sagt werden (§ 36 GewO.). Rechtsmittel sind nicht vorgeschrieben, es greifen die Rechtsmittel über polizeiliche Vf. Platz. 17. Straßengewerbe (s. d.). Die Regelung ist in das Ermessen der OPB. gestellt (§ 37 GewO.). 18. Bezirks sch ornsteinfeger (s. d.). Die An­ stellung ist zu versagen, wenn der Nachsuchende den an die Person des Bezirksschornsteinfegers zu stellenden Anforderungen nicht entspricht. Hier­ über bestimmt das vom RP. zu erlassende Re­ gulativ das Nähere (§ 39 GewO.). 19. Stellenvermittler ((. d.). Die Erlaub­ nis ist zu versagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in bezug auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb oder auf seine persönlichen Verhältnisse dartun, oder wenn ein Bedürfnis nach Stellenvermittlern nicht vorliegt (§ 2 StellenvermittlerG. vom 2. 6. 1910, RGBl. 860). Gegen den versagenden Be­ scheid ist das BwStr. zugelassen (§ 10 a. a. O.; V. vom 25. 7. 1910, GS. 155). 20. Handel mit unedlen Metallen. Die Er­ laubnis ist zu versagen, wenn Tatsachen die An­ nahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit nicht besitzt. Zuständig ist in Gemeinden mit staatlicher Polizeiverwaltung die staatliche Polizeibehörde, im übrigen in Land­ kreisen der LR. und in Stadtkreisen der erste Bürgermeister. Die Beschwerde ist an den BezA. (G. über den Verkehr mit unedlen Metallen vom 23. 7. 1926, RGBl. I 415; AusfAnw. vom 21. 6. 1923, HMBl. 217, abgeändert durch Erl. vom 11. 8. 1923, HMBl. 207). 21. Handel mit Milch. Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn der Antragsteller die für den Handel mit Milch erforderliche Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit nicht besitzt, wenn die zum Milch­ handel bestimmten Räume, Anstalten und Ein­ richtungen polizeilichen Vorschriften nicht ent-

sprechen, wenn anzunehmen ist, daß der Antrag­ steller nicht eine von dem Gemeindevorstand nach den örtlichen Bedürfnissen festzusetzende Mindest­ menge an Vollmilch oder Magermilch oder Sahne in den Verkehr bringt. Gegen die Versagung der Erlaubnis durch die beim Gemeindevorstand er­ richtete Stelle ist die Beschwerde an den RP., in Berlin an den OP. zulässig, der endgültig ent­ scheidet (G. zur Regelung des Verkehrs mit Milch vom 25.12.1926, RGBl. I 528; AusfAnw. vom 8. 1. 1927, MBlMfL. 35). F. H. Versailler Vertrag. Bald nachdem am 11. No­ vember 1918 der Waffenstillstand unterzeichnet worden war, traten die Vertreter der alliierten und assoziierten Mächte (die Vereinigten Staa­ ten von Amerika galten nur als „assoziierte Macht") in Paris zusammen, um über die Friedensbedingungen für die zusammengebroche­ nen Mittelmächte zu beraten. In den Bespre­ chungen bildete sich bald die Praxis heraus, daß die Vertreter der Großmächte ein engeres Gremium bildeten, das die wichtigsten Entschei­ dungen faßte, die die Plenarversammlung ohne wesentliche Änderungen anzunehmen pflegte (Rat der „großen Vier": Wilson, Lloyd George, Clemenceau, Orlando). Die an dramatischen Ereignissen reichen Beratungen zogen sich fünf Monate hin. Erst am 7. Mai 1919 wurden in Versailles einer deutschen Delegation unter Führung des Grafen Brockdorf-Rantzau die Friedensbedingungen überreicht. Eine münd­ liche Verhandlung über diese wurde nicht zuge­ lassen, sondern nur eine schriftliche Äußerung des deutschen Standpunkts. Auf eine darauf angefertigte deutsche Denkschrift zu den Frie­ densbedingungen, die in wesentlichen Punkten Abänderungen verlangte, erteilten die alliierten und assoziierten Mächte eine in verletzendem Ton gehaltene, mit Ausnahme einiger Nebenpunkte ablehnende Antwort und forderten sofortige Unterzeichnung des Vertrags. Diese fand am 28. Juni 1919 zu Versailles statt, nachdem die Nationalversammlung in Weimar der Zeichnung zugestimmt hatte. Die deutschen Zeichnungs­ bevollmächtigten waren der Reichsaußenminister Hermann Müller und der Reichsjustizminister Dr. Bell. Es folgten Beratungen der National­ versammlung in Weimar über die Frage der Ratifikation des Vertrags; das Zustimmungs­ gesetz wurde am 9. Juli mit 208 gegen 115 Stim­ men angenommen und hierauf nach Zustimmung des Staatenausschusses vom Reichspr. mit dem Wortlaut des Vertrags verkündet (RGBl. 1919, 687). Am 10. Januar 1920 wurde in Paris das erste Protokoll über die Niederlegung der Ratifikationsurkunden seitens Deutschlands, Eng­ lands, Frankreichs, Italiens, Japans und einer Reihe kleinerer Mächte errichtet. Mit diesem Tage gilt der Versailler Vertrag nach seiner Schluß­ bestimmung als in Kraft getreten. Die Ratifika­ tionsurkunden der anderen Signatarstaaten wur­ den in der Folgezeit hinterlegt. Nicht ratifiziert haben den Vertrag die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie Ecuador und Hedschas, während China (wegen der Bestimmungen über Schantung) schon die Unterzeichnung ablehnte und im Jahre 1921 besondere Vereinbarungen mit Deutschland über die Wiederherstellung des Frie­ dens abschloß (RGBl. 1921, 829). Mit den Ver-

Versailler Vertrag einigten Staaten kam im Jahre 1921 ein'besonderer Friedensvertrag zustande (RGBl. 1921,1318). Demnach sind als endgültige Signatarstaaten des V. B. außer Deutschland zu betrachten: Das Britische Reich, Frankreich, Italien und Japan (diese Mächte sind in der Urkunde zusammen mit den Bereinigten Staaten, die nicht ratifiziert haben, als „alliierte und assoziierte Hauptmächte" bezeichnet), sowie ferner; Belgien, Bolivien, Bra­ silien, Cuba, Griechenland, Guatemala, Haiti, Honduras, Liberia, Nicaragua, Panama, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, der serbisch-kroa­ tisch-slowenische Staat, Siam, die Tschechoslowa­ kei und Uruguay. Nach Unterzeichnung des B. B. wurden auch die nach dessen Muster abgefaßten Friedensverträge mit den Verbündeten Deutsch­ lands unterzeichnet, nämlich mit Österreich der Vertrag von St. Germain, mit Ungarn der Ver­ trag von Trianon, mit Bulgarien der Vertrag von Neuilly und mit der Türkei der Vertrag von Sevres. Davon sind die ersten vier Verträge ratifiziert worden und in Kraft getreten, während der Vertrag von Sevres von der Türkei nicht rati­ fiziert wurde; er wurde im Jahre 1923 durch den für letztere günstigeren Vertrag von Lausanne ersetzt. Der V. V. enthält ebenso wie die anderen Pariser Friedensverträge als ersten Teil die Satzung des Völkerbundes, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann (s. Völkerbund). Der Rest des umfangreichen Dokumentes, das 440 Artikel nebst zahlreichen Anlagen umfaßt, enthält Bedingungen von einer Schärfe und Rücksichts­ losigkeit, wie sie wohl niemals einem Volke in einem Friedensvertrag auferlegt worden sind. Er ist auch in verschiedenen Teilen für Deutsch­ land erheblich ungünstiger als die vom Präsiden­ ten Wilson vor Abschluß des Waffenstillstandes feierlich verkündeten 14 Punkte, die das Pro­ gramm für den Friedensschluß sein sollten und die die Grundlage für den Abschluß des Waffen­ stillstandes gewesen waren. Trotzdem muß der Versailler Vertrag als völkerrechtlich gültiger Akt betrachtet werden, nachdem wir ihn — wenn auch in einer furchtbaren Zwangslage — unterzeichnet und ratifiziert haben. Er ist von Deutschland denn auch in allen Teilen seither zur Ausführung ge­ bracht worden. Nur in einigen Punkten, wie z. B. bei der Auslieferung der Kriegsschuldigen, haben die Alliierten auf die Durchführung verzichtet. Außerdem sind auf verschiedenen in dem Vertrag behandelten Gebieten, so namentlich auf den der Reparationen, im Lauf der Zeit weitere Verein­ barungen geschlossen worden, so daß der Wortlaut des Vertrags den tatsächlichen Stand verschiede­ ner Fragen nicht mehr erkennen läßt. Bon dem Inhalt des Vertrags können nur die wichtigsten Teile hier in großen Zügen behandelt werden. Es sind dies: Territoriale Bestimmungen, die Entwaffnung Deutschlands, die Reparations­ frage, die Regelung der wirtschaftlichen Beziehun­ gen, des Verkehrs- und Arbeitsrechts, sowie schließlich die Bürgschaften für die Durchführung (Rheinlandbesetzung). — Die territorialen Be­ stimmungen enthalten vor allem die Gebiets­ abtretungen. Bedingungslos fällt Elsah-Lothringen an Frankreich, der größte Teile der Provinz Posen und Teile von Westpreußen (s. Korridor) an Polen, das Hultschiner Gebiet (s. d.) an die Tschechoslowakei, Eupen-Malmedy an Belgien

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mit einer nachträglichen, nicht ernst zu nehmenden „Volksbefragung" (Eintragung der gegen Belgien stimmenden Einwohner in bei den belgischen Be­ hörden ausgelegte Listen!). Das Memelgebiet wird an die alliierten und assoziierten Haupt­ mächte abgetreten, die es später an Litauen über­ tragen (s. Memelgebiet). Danzig wird aus dem Reichsverband losgelöst und zur „Freien Stadt" unter dem Schutz des Völkerbundes erklärt, der gegenüber Polen bestimmte Rechte eingeräumt werden (s. Danzig). Volksabstimmungen wer­ den vorgesehen für Oberschlesien, Nordschleswig und einen östlich an den Korridor grenzenden Teil Preußens. In dem letztgenannten Gebiet hat die Volksabstimmung eine überwältigende Mehrheit für Deutschland erbracht; trotzdem muß­ ten kleine Grenzdristrikte, insbesondere fünf an der Weichsel gelegene Ortschaften an Polen ab­ getreten werden. Die Abstimmung in Nord­ schleswig führte zur Abtretung des nördlichen Teils des Abstimmungsgebietes an Dänemark. Die Ab­ stimmung in Oberschlesien, die trotz schärfster Ter­ rorisierung der Bevölkerung durch polnische „Auf­ ständische" unter Korfanty und trotz einer franzö­ sischen Abstimmungsbesatzung unter General Le Rond eine Mehrheit von 60% zugunsten Deutsch­ lands erbrachte, hatte im weiteren Verlaus eine Teilung des Gebiets zwischen Deutschland und Polen zur Folge (s. Oberschlesien, Ober­ schlesienabkommen). Das Saargebiet, dessen Kohlengruben Frankreich zu Eigentum übertragen wurden, wird für die Dauer von 15 Jahren unter die Verwaltung des Völkerbundes gestellt; nach Ablauf dieser Zeit soll die Bevölkerung durch Abstimmung entscheiden, ob das Gebiet an Deutschland oder an Frankreich fallen oder unter der Verwaltung des Völkerbundes bleiben soll (s. Saargebiet). Die deutschen Schutzgebiete werden an die alliierten und assoziierten Haupt­ mächte übertragen und später auf Grund des Art. 22 der Völkerbundssatzung als Mandats­ gebiete aus einzelne alliierte Mächte verteilt (s. Mandatsgebiete). Das linke User des Rheins und eine Zone von 50 km Breite rechts des Stromes werden ohne zeitliche Beschränkung ent­ militarisiert. Deutschland verpflichtet sich, in die­ sem Gebiete keine Befestigungen zu halten, sowie weder ständig noch vorübergehend Streitkräfte zu unterhalten (Art. 42—14; vgl. auch LocarnoVerträge). Die Vorschriften über die Entwaffnung Deutsch­ lands (Teil V) treffen eingehend Bestimmung über die Streitkräfte, die Festungen, das Kriegs­ material, die Deutschland zu halten gestattet sein soll. Das deutsche Heer darf nur 100000 Mann betragen, deren Gliederung und Bewaffnung bis ins einzelne vorgeschrieben ist; die deutsche Flotte darf nur aus 6 Schlachtschiffen, 6 kleinen Kreuzern, 12 Zerstörern, 12 Torpedobooten bestehen; keine Unterseeboote, keine militärischen Flugzeuge, keine schwere Artillerie. Die Durchführung der Ent­ waffnung wird von interalliierten Heeres-, Marineund Luftfahrtsausschüssen überwacht, die in Deutschland ihren Sitz haben. Die Entwaffnungs­ bestimmungen sind jetzt nach Überwindung un­ endlicher Schwierigkeiten mit den interalliierten Ausschüssen und der Botschafterkonferenz, die die gemeinsamen Interessen der Alliierten in den Entwasfnungsfragen vertrat, bis auf die Abwicklung

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Versailler Vertrag

weniger unbedeutender Restpunkte durchgeführt; am 31. Januar 1927 haben die überwachungsausschüsse zu bestehen aufgehört (s. Entwaffnung). Der Reparationsabschnitt des B. V. (Teil VIII) enthält die für die Gegenwart wichtigste, weil noch nicht endgültig geregelte' Materie. In Art. 231 (Kriegsschuldartikel!) erkennt Deutschland an, daß „Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Reg. und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten auf­ gezwungenen Kriegs erlitten haben". Die Höhe der Reparationsschuld wird in dem Vertrag nicht fest­ gesetzt, sondern es werden nur die Kategorien von Schäden festgelegt, die einen Anspruch auf Repa­ ration begründen sollen. Darunter sind auch die Militärpensionen aufgeführt, obwohl auf Grund von Wilsons 14 Punkten nur von den der Zivil­ bevölkerung entstandenen Schäden die Rede sein konnte. Zur Festsetzung der Schuld und Über­ wachung der Ausführung des Tilgungsplans wird die nur aus Vertretern der Alliierten bestehende Reparationskommission gebildet. Wegen der Einzelheiten dieser komplizierten Materie und ihrer Weiterentwicklung durch das Londoner Ulti­ matum und den Dawes-Plan s. Reparationen. Der Abschnitt über die wirtschaftlichen Bestim­ mungen (Teil X) bringt eine Reihe einseitiger Verpflichtungen Deutschlands auf handelspoli­ tischem Gebiet,wie die einseitige Meistbegünstigung für Wareneinfuhr zugunsten der Alliierten für die Dauer von fünf Jahren, nach deren Ablauf Deutschland, abgesehen von einigen untergeord­ neten Punkten, wie z. B. hinsichtlich der Zulassung von Konsuln (Art. 279) seine handelspolitische Bertragsfreiheit wiedererlangt hat (Art. 280). Er bestimmt ferner diejenigen Kollektivverträge wirtschaftlicher oder technischer Art, die zwischen Deutschland und den Alliierten weiter gelten sollen (Art. 282); bei den zweiseitigen Ab­ kommen erhalten die Alliierten das Recht, Deutsch­ land binnen einer Frist von sechs Monaten zu erklären, welche Abkommen weiter in Kraft blei­ ben sollen (Art. 289). Eine Reihe solcher Erklä­ rungen ist daraufhin von verschiedenen alliierten Staaten abgegeben und im RGBl, veröffentlicht worden. Von größter Bedeutung für die deutsche Wirtschaft sind die Bestimmungen über die Be­ handlung der privaten Forderungen und des Privateigentums. Erstere werden auf eine binnen Monatsfrist zu erfolgende Erklärung jedes alliier­ ten Staates hin diesem gegenüber in einem be­ sonderen Verfahren (Ausgleichsverfahren) mit Hilfe amtlicher „Ausgleichsämter" geregelt (vgl. ReicksausgleichsG. RGBl. 1923 I 1135). Das Verfahren beruht auf dem Grundgedanken, daß die deutschen Schulden und Forderungen gegen­ über dem betreffenden alliierten Lande im Wege des Clearing unter Zugrundelegung der Umrech­ nungskurse bei Kriegsausbruch in der Währung des betreffenden alliierten Landes gegeneinander verrechnet werden; der dabei zugunsten Deutsch­ lands verbleibende Saldo soll von dem betreffen­ den alliierten Lande zurückbehalten und auf die Reparationsschuld Deutschlands verrechnet wer­ den; den zu Lasten Deutschlands verbleibenden Saldo sollte dieses nach der — später allerdings vertraglich abgeänderten — Vorschrift des B. B.

monatlich bar bezahlen. Dem Ausgleichsver­ fahren, über das verschiedene ergänzende Ab­ kommen abgeschlossen worden sind, haben sich das Britische Reich (außer Südafrika), Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland, Siam angeschlos­ sen. Bei einer Reihe dieser Länder ist das Aus­ gleichsverfahren gegenwärtig bereits erledigt, bei anderen schwebt es noch. — In Abschn. 4 des Teils X haben sich die Alliierten Vorbehalten, sämtliche privaten deutschen Güter, Rechte und Interessen innerhalb ihrer Gebiete, Kolonien, Besitzungen und Protektoratsländer einschließlich der auf Grund des V. V. an sie abgetretenen Ge­ biete zurückzubehalten und zu liquidieren. Der Erlös der Liquidationen sollte nach Abzug gewisser auf ihnen ruhenden Belastungen Deutschland auf seine Reparationsschuld gutgeschrieben werden. Dafür hatte es Deutschland zu übernehmen, seine durch die Wegnahme ihres Privateigentums ge­ schädigten Staatsangehörigen zu entschädigen. Nur die neugegründeten Staaten wie Polen und diejenigen, die keinen Anteil an den Reparationen haben, ind verpflichtet, die Liquidationserlöse an die früheren Eigentümer auszuzahlen (Art. 297h). und diese haben, wenn der Liquidationswert durch Maßnahmen des liquidierenden Staates unbillig beeinträchtigt worden ist, das Recht, vor den Ge­ mischten Schiedsgerichtshöfen (s. d.) eine Zusatz­ entschädigung einzuklagen. Von dem Recht der Liquidation hat eine große Anzahl von Staaten, vor allem England, Frankreich, Italien, Gebrauch gemacht. Manche Staaten, insbesondere süd- und mittelamerikanische, haben hiervon abgesehen; bei anderen ist es gelungen, den Eigentümern wenigstens einen Teil ihrer Werte zu retten. Trotz­ dem ist der Schaden, der durch die jeder völker­ rechtlichen Überlieferung Hohn sprechenden Ein­ ziehung privaten Vermögens zur Deckung von Schuldverpflichtungen eines anderen Staates der deutschen Wirtschaft entstanden ist, ungeheuer (s. Liquidationsschädengesetz). Teil XII regelt die Verkehrsfragen. Er enthält für Deutschland die einseitige Verpflichtung, den freien Durchgang für Schiffs-, Eisenbahn- und Postverkehr zu gewähren, sowie den Grundsatz der Zugängigkeit der großen deutschen Wasser­ straßen (Elbe, Oder, Memel, Donau, Rhein, Kieler Kanal) für den internationalen Verkehr nebst Vorschriften über die internationalen Strom­ kommissionen für Elbe, Oder, Donau und Rhein. Ein großer Teil dieser Materie ist inzwischen durch die internationalen Verkehrsabkommen von Genf und Barcelona auf allgemeinerer Grundlage weiter entwickelt worden. (S. auch Wasserläufe erster Ordnung II). Es folgen im Teile XII die Bestimmungen über das internationale Arbeits­ recht. Die Organisation ist derart ausgestaltet, daß die Mitglieder des Völkerbundes zusammen einen arbeitsrechtlichen Verband bilden, dessen ständiges Organ das Internationale Arbeitsamt in Genf ist. Im übrigen sind nur Vorschriften, über das Verfahren und allgemeine programma­ tische Grundsätze für den Inhalt des materiellen Arbeitsrechts festgelegt (Art. 427); vgl. interna­ tionaler Arbeitsschutz. Unter dem Titel Bürgschaften für die Durch­ führung (Teil XIV) ist die Besetzung des Rhein­ landes vorgesehen. Um die Ausführung des B. B. sicherzustellen, sollen die Gebiete westlich des

Versammlungen

Rheins einschließlich der Brückenköpfe von Köln, Koblenz, Mainz und Kehl während eines Zeit­ raums von 15 Jahren besetzt bleiben. Wenn die Bedingungen des Vertrags getreulich erfüllt wer­ den, soll nach fünf Jahren die nördliche Zone mit dem Brückenkopf von Köln, nach weiteren fünf Jahren die mittlere Zone mit dem Brückenkopf von Koblenz und nach Ablauf der ganzen Be­ satzungsperiode von 15 Jahren das Restgebiet einschließlich des Brückenkopfes von Kehl geräumt werden. Erachten zu diesem Zeitpunkt die alliier­ ten und assoziierten Reg. die Sicherheit gegen einen nicht provozierten Angriff Deutschlands nicht als ausreichend, so darf die Zurückziehung der Truppen in dem zur Erlangung der Sicher­ heit für nötig gehaltenen Maße aufgeschoben werden. Außerdem ist vorgesehen, daß, falls die Reparationskommission eine Weigerung Deutsch­ lands feststellt, seine Reparationsverpflichtungen zu erfüllen, die drei Zonen sofort ganz oder zum Teil wieder besetzt werden können. Andererseits sollen nach Art. 431 die Besatzungstruppen sofort zurückgezogen werden, wenn Deutschland vor Ab­ lauf der 15 Jahre allen ihm aus dem B. B. er­ wachsenen Verpflichtungen Genüge leistet. Die Kölner Zone ist inzwischen, wenn auch erheblich nach dem vertragsmäßig festgelegten Termin, geräumt worden; die vorzeitige Räumung des danach noch besetzten Gebietes bildet zur Zeit eines der wesentlichsten zwischen Deutschland und Frank­ reich stehenden Probleme. Die Einzelheiten für die Durchführung der Besetzung sind in dem gleichzeitig mit dem B. B. unterzeichneten Rhein­ landabkommen geregelt, dessen Vertragspartner — nach Ablehnung der Ratifikation durch die Bereinigten Staaten — Deutschland einerseits und Belgien, das Britische Reich, sowie Frank­ reich andererseits sind (näheres s. Besetztes Gebiet). Fro. Versammlungen. I. Begriff. Die gesetz­ lichen Vorschriften des Versammlungsrechts (s. Vereins- und Versammlungsrecht) enthal­ ten keine Bestimmungen des Begriffs der V. Dieser Begriff muß daher aus dem Sprach­ gebrauch und der Rechtsprechung festgestellt wer­ den. Hiernach ist unter B. zu verstehen eine ge­ plante (nicht zufällige) Zusammenkunft einer größeren Anzahl von Personen zur Erreichung eines gemeinschaftlichen (nicht bloß gleichen) Zweckes (vgl. RGSt. 21, 71; JKG. 13, 362; OVG. 20,437; Bf. vom 10.10.1923, MBl. 1024). Ohne entscheidende Bedeutung ist der Ort oder Raum, in welchem die Zusammenkunft statt­ findet. Welcher Mindestzahl von Personen es zu einer B. bedarf, muß nach der Lage des Einzel­ falles entschieden werden (vgl. JKG. 11, 303). — Von Zusammenkünften anderer Art unterscheidet sich die B. durch ihren Zweck. Während durch andere Zusammenkünfte nur persönliche Inter­ essen jedes einzelnen der zusammengekommenen Personen befriedigt werden sollen, bezweckt die V. die Verfolgung eines den Zusammentretenden gemeinsamen Zweckes, eine Einwirkung auf die Allgemeinheit (OVG. 54, 252), und zwar eine (mittelbare oder unmittelbare) Einwirkung auf den Willen der Versammelten, um ihr künftiges Verhalten auf dem den Gegenstand der Er­ örterung bildenden Gebiete zu bestimmen. Daher sind Zusammenkünfte zum Zwecke der Unter­

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haltung, Erheiterung, Belehrung oder des Kunst­ genusses (Gesellschaftsspiele, Bälle, Schaustel­ lungen, Vorstellungen, Aufführungen und son­ stige Lustbarkeiten, gemeinschaftliche Übungen im Gesang, Turnen u. dgl., wissenschaftliche Bor­ träge, gemeinsame Unterrichtsstunden, Vor­ lesungen, Filmaufführungen, Theaterpublikum usw. keine Versammlungen im Sinne des BereinsG. (vgl. hierzu RGSt. 38, 184), OVG. 54, 252; 56, 299; 66, 273; JKG. 36 C 54; OVG. vom 27. 9. 1923 in DIZ. 23, 738). Dagegen ist es nicht erforderlich, daß den Gegenstand der gemeinschaftlichen Tätigkeit der Zusammen­ gekommenen eine öffentliche Angelegenheit bil­ det. — Die Tätigkeit einer V. besteht in ihren „Verhandlungen". Hierunter ist nicht nur ein mündlicher Ausdruck von Gedanken durch einen Redner oder eine wechselseitige Erörterung von Gedanken durch mehrere Redner zu verstehen, sondern jede Art der Kundgebung von Gedanken, also auch eine solche in schriftlicher Form oder durch bildliche oder mimische Darstellungen (sog. stumme V.). — Der bei der Einladung angegebene Zweck der Zusammenkunft ist nicht unter allen Umständen entscheidend; es kommt vielmehr auf deren tatsächliche Gestaltung an. Auch mit Lust­ barkeiten, angeblich wissenschaftlichen Vorträgen u. dgl. kann ein weiterer Zweck unter Umgehung des G. verbunden sein, der die Zusammenkunft zu einer V. im Sinne des Vereins G. macht. Zusammenkünfte, die nach Vorstehendem keine B. sind, genießen nicht die Privilegien und unter­ liegen nicht den Beschränkungen des sog. Ver­ sammlungsrechts, und zwar auch dann nicht, wenn sie sich nicht auf einen geschlossenen Per­ sonenkreis beschränken, sondern jedermann zu­ gänglich sind (s. geschlossene Gesellschaften). Auch der Aufruf der Bolksbeauftragten vom 12. 11. 1918 (RGBl. 1303) bezieht sich nur auf V. im oben angegebenen, gesetzestechnischen Sinn. Zu beachten ist, daß für die Zusammenkünfte, die keine B. im angegebenen Sinne sind, immerhin das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gemäß Art. 118 RV. gilt. — B. unter freiem Himmel. Unter „freiem Himmel" findet eine B. dann statt, wenn der Versammlungsraum kein geschlossener ist (vgl. OVG. 46, 439; 56 S. 308 u. 318; JKG. 18, 301; RGSt. 4, 425). „Eine B., die in einem geschlossenen Raume veranstaltet wird, ist nicht schon deshalb als eine V. unter freiem Himmel anzusehen, weil außerhalb des Versammlungsraums befindliche Personen an der Erörterung teilnehmen, oder weil die B. in einen mit dem Versammlungsräume zusammenhängen­ den umfriedeten Hof oder Garten verlegt ist" (§ 8 VereinsG., der als Auslegungsregel auch heute noch zu beachten ist). Der Zusammenhang muß räumlich und wirtschaftlich, die V. muß in einen geschlossenen Raum einberufen und dort zu­ nächst zusammengetreten sein (vgl. OVG. 55,277; 56, 308). — Aufzüge und Umzüge stehen den B. unter freiem Himmel gleich (OVG. 66, 279; Delius PrBBl. 41, 389; 44, 59; KG. IW. 21, 1092; a. A. Campe DIZ. 1920, 386; OLG. Dresden IW. 21, 1470). — Unter Aufzügen ver­ steht man eine zu einem bestimmten Zweck ver­ einigte Menschenmenge, die sich in der Öffent­ lichkeit als zusammengehöriges Ganze fortbewegt und die öffentliche Aufmerksamkeit erregt (RGSt.

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44, 370). Auch eine geschlossene Gesellschaft kann einen Auszug veranstalten (Kiesow-Zweigert a. a. O. S. 184, 185; Olshausen Kommentar z. StGB. 1927, § 107a Anm. 2 C). — Leichen­ begängnisse sind Aufzüge. — Der Begriff Kundgebung spielt im RepublikschutzG. und § 107 a eine Rolle. Eine Kundgebung kann eine V. in oben angegebenem Sinne sein. Der Be­ griff ist aber weiter als der Begriff der V. (KiesowZweigert a. a. O. 185; Olshausen Kommentar z. StGB. 1927, § 107a Anm. 2c; Ebermayer Kommentar z. BGB. 1926, § 107a Anm. 5). — Öffentliche B. Öffentliche V. sind solche V., zu denen entweder jedermann oder einem nicht individuell begrenzten Personenkreise der Zutritt freisteht. Unerheblich ist es, ob einzelne Personen oder Personenklassen vom Zutritt ausgeschlossen sind, ob die Zulassung an gewisse allgemeine Voraussetzungen, wie Zugehörigkeit zu einer be­ stimmten Partei oder Bevölkerungsklasse, Wohn­ sitz in einem bestimmten Bezirk u. dgl. geknüpft ist, ob ein Eintrittsgeld erhoben wird und ob die V. an einem öffentlichen Orte stattfindet. — Ob die von einem Verein veranstaltete V. als eine öffentliche anzusehen ist, hängt von den tat­ sächlichen Umständen des Einzelsalles ab. Sie ist stets eine öffentliche, wenn sie nicht lediglich für die Mitglieder des Vereins, sondern für einen nicht individuell abgegrenzten Personenkreis be­ stimmt ist. Jedoch macht die Zulassung einzelner Gäste zu einer Vereinsversammlung diese noch nicht zu einer öffentlichen (s. Geschlossene Ge­ sellschaften). Die V. eines Vereins ist auch nicht schon deshalb eine öffentliche, weil der Verein eine große Zahl von Mitgliedern zählt, sofern nur die Aufnahme in den Verein von einer Entschließung des Vereins oder seines Vorstandes abhängig ist und ein fester Zusammenhang zwischen den Mitgliedern besteht (OVG. 54, 281; 56, 332). Dagegen ist sie eine öffentliche, wenn die räumliche Ausdehnung des Vereinsgebiets und die Zahl der Vereinsmitglieder so groß, der Er­ werb und Verlust der Mitgliedschaft so formlos und die Verbindung der Mitglieder des Vereins so lose ist, daß diese einen geschlossenen, bestimmt abgegrenzten Kreis untereinander verbundener Personen nicht bilden (vgl. RGSt. 21, 256). Das Bestehen eines solchen geschlossenen Kreises kann nicht schon aus der lediglich durch die Gleichheit der äußeren Arbeitsverhältnisse bedingten Ge­ meinschaft der sich versammelnden Fabrikarbeiter oder aus der Gemeinsamkeit der von ihnen ver­ folgten wirtschaftlichen Zwecke hergeleitet werden (RGSt. 44, 132; OVG. 63 S. 285, 289). Die V. eines Vereins ist auch dann eine öffentliche, wenn der Verein lediglich in der Absicht gebildet ist, das G. dadurch zu umgehen, daß der Anschein erweckt wird, als ob die B. nicht jedermann, sondern nur den in den Verein eingetretenen Personen zugänglich ist (OVG. 57, 337). Der Begriff „öffentliche V." ist in dem in Kraft ge­ bliebenen § 13 BereinsG. angewandt. — Die Unterscheidung zwischen politischen und nicht­ politischen B. ist heute ohne Bedeutung, da § 10 BereinsG. seine Gültigkeit verloren hat (s. Bereins- und Versammlungsrecht). Der Entwurf zum neuen BereinsG. führt die Unter­ scheidung zwischen politischen und nichtpolitischen V. aber wieder ein. Politisch ist eine V., wenn

in ihr politische Angelegenheiten erörtert werden sollen. Der Begriff der politischen Angelegen-, heilen ist hier derselbe wie bei politischen Vereinen (s. Vereine III). Eine V. ist nur dann eine politische, wenn die Erörterung politischer An­ gelegenheiten ihr Zweck ist (OVG. 38, 409), und nicht schon deshalb, weil sie von einem politischen Verein veranstaltet ist (OVG. 49, 419), oder weil bei einer V. oder zu einer Zusammenkunft,' die zu einem anderen Zweck veranlaßt worden ist, gelegentlich eine politische Erörterung, z. B. in Form einer Tischrede, stattsindet (JKG. 17,423). Eine ursprüngliche nichtpolitische V. wird jedoch zu einer politischen umgestaltet, wenn ihre Ver­ handlungen mit Willen des Veranstalters oder Leiters oder unter dessen Duldung das un*; politische Gebiet verlassen und auf das politische übergehen (OVG. 23, 407; JKG. 27 C 62). Die Erörterung braucht nicht unbedingt mittels ge­ sprochener Worte zu erfolgen; sie kann auch durch Hinweis auf geschriebene oder gedruckte Worte oder durch Handlungen (mimische Darstellungen) vor sich gehen; jedoch muß sie eine bestimmte. Angelegenheit, tne auseinandergesetzt und be­ urteilt wird, zum Gegenstände haben (OVG. 38, 420; JKG. 17, 421, 25 C 25, 31 C 25; RGSt. 38, 184). — Der Begriff kirchliche und reli­ giöse V. spielt zur Zeit keine Rolle (s. Ver­ eins-und Versammlungsrechtl d). Art.123 RV. ist so auszulegen, daß er V. aller Art um­ faßt, so daß die kirchlichen und religiösen V. den anderen gleichstehen. Es dürfte jedoch als zu­ lässig erachtet werden, in dem neuen BereinsG. die Unterscheidung zwischen religiösen und nicht­ religiösen V. wieder einzuführen, selbstverständ­ lich unter der Voraussetzung, daß die betreffenden Vorschriften dem Art. 123 RV. nicht wider­ sprechen (anderes gilt für Vereine, s. unter V). II. Recht aus V. a) In Art. 123 RV. ist den Reichsangehörigen die Versammlungsfreiheit als Grundrecht garantiert. Art. 123 RV. ent­ hält materielles Recht. Andere als die in Art. 123 RV. vorgesehenen Beschränkungen der Versamm­ lungsfreiheit können, soweit sie nicht in sonstigen Vorschriften der RV. (z. B. in Art. 48, 178 II2) ihren Grund haben, nur durch verfassungsändern­ des G. vorgeschrieben werden. Mit verfassungs­ ändernder Mehrheit wurde das die Versamm­ lungsfreiheit einschränkende G. zum Schutze der Republik sowie das BannmeilenG. (unten V c) beschlossen. — Die das Bersammlungsrecht be­ treffenden G., welche vor dem Inkrafttreten der RV. bestanden, sind in Kraft geblieben, soweit sie nicht den Vorschriften des Art. 123 RV. wider­ sprechen. Hiernach hat heute noch das BereinsG. vom 19. 4. 1908 und Ziff. 2 des Ausrufs der Volksbeauftragten teilweise Geltung behalten. Wieviel, oder besser gesagt wie wenig von dem durch den Aufruf der Volksbeauftragten und durch Art. 123 RV. zertrümmerten BereinsG. heute noch übrig geblieben ist, darüber s. unter Vereins- und Versammlungsrecht Id. Welche Vorschriften sonst noch aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RV. in Geltung geblieben sind, und welche Vorschriften aus anderen Teilen der RV. sowie aus der Gesetzgebung nach dem Inkrafttreten der RV. das Versammlungsrecht betreffen, s. ebendort unter I a. b) Nur den Reichsangehörigen ist Ver-

Versammlungen sammlungsfreiheit garantiert. Dies war schon nach § 1 BereinsG. so (vgl. Ziff. 1 der.AusfAnw. vom 13. 5. 1908, MBl. 14). Ausländern gegenMer kann die Polizei im Rahmen ihrer allge­ meinen polizeilichen Befugnis (§§ 10II, 17) ein­ schreiten (OBG. 53, 265). Es entspricht jedoch dem Geist der RB., auch den Ausländern Ver­ sammlungsfreiheit in weitgehendstem Maße zu gewähren, namentlich wenn die Gegenseitigkeit verbürgt ist (Brecht a. a. O. S. 9). Bei gemischten V. darf wegen der Teilnahme einiger Ausländer den Inländern das Bersammlungsrecht nicht be­ schränkt werden; in diesem Falle hat sich das Ein­ schreiten der Polizei gegen die Ausländer zu richten. Wenn sich allerdings in einer B. über­ wiegend Ausländer befinden, werden die In­ länder das schlechtere Recht der Ausländer gegen sich gelten lassen müssen, d. h. sich unter Um­ ständen eine Auflösung der B. gefallen lassen müssen (Delius Polizei 1927, 195). c) Während § 1 BereinsG. das Versammlungs­ recht ausdrücklich davon abhängig macht, daß der Zweck der Verfassung nicht den Strafgesetzen zuwiderläuft, fehlt eine derartige Klausel in Art. 123 RV. Nichtsdestoweniger beansprucht dieser Satz auch heute noch Geltung, da er selbst­ verständlich ist. — Auf den Zweck kommt es an, nicht auf das Verhalten einzelner Mitglieder; wenn nur einzelne Mitglieder sich strasgesetzwidrig verhalten, darf nur gegen sie eingeschritten wer­ den. Ein Präventivverbot ist nur zulässig, wenn der strafbare Zweck nachgewiesen ist; die bloße Gefahr oder Befürchtung genügt nicht (vgl. RGSt. 56, 186). — Es kommen alle Strafrechts­ normen, auch die in Polv. enthaltenen, in Be­ tracht. Die Versammlungsteilnehmer sind nicht deshalb, weil sie an einer V. teilnehmen, von sonstigen gesetzlichen oder polizeilichen Vorschrif­ ten, die nicht das Versammlungsrecht betreffen und allgemeiner Art sind, befreit. Hier ist insbe­ sondere hervorzuheben, daß auch die Teilnehmer einer B. oder eines Auszuges den Berkehrsvorschriften unterliegen (JKG. 38 C 40; OBG. 26, 401; 42, 419; RGSt. 40, 302; 47, 389; 56, 186). d) Art. 123 Abs. I RB. setzt voraus, daß sich die Versammlungsteilnehmerunbewaffnetversammeln. Diese Vorschrift deckt sich nur bis zu einem gewissen Grade mit der Vorschrift des § 11 BereinsG. Letztere bezieht sich nur auf öffent­ liche B., während Art. 123 I RB. sich auf alle V. erstreckt. — Nach § 11 BereinsG. in Verbindung mit § 14 Ziff. 4 des BereinsG. durfte die Polizei zur Auflösung einer B. erst schreiten, wenn die Bewaffneten trotz Aufforderung nicht entfernt wurden; heute gilt die Vorschrift des § 14 Ziff. 4 des BereinsG. nicht mehr (bestritten; s. Ver­ eins- und Bersammlungsrecht Ib); gegen die Bewaffneten kann daher die Polizei heute so­ fort vorgehen, da diese sich nicht in Ausübung der ihnen gemäß Art. 123 verbrieften Versamm­ lungsfreiheit befinden. — Wenn nur einzelne Be­ waffnete in der Versammlung anwesend sind, darf die Polizei, da sie lediglich die „nötige" An­ stalt zu treffen hat, nicht sofort die ganze V. auf­ lösen, sondern muß erst versuchen, die Bewaff­ neten zu entfernen; wenn dies nicht gelingt oder von vornherein unmöglich erscheint, darf sie zwecks Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes die Versammlung auflösen. Der Begriff „be­

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waffnet" ist itt weitestem Sinne auszulegen; hier­ unter ist jeder Gegenstand zu verstehen, der „nach dem Willen des Trägers im Einzelfalle dazu be­ stimmt ist, sei es im Angriff, sei es in der Ver­ teidigung, Verletzungen zuzufügen; bewaffnet ist jeder, der einen Gegenstand der vorbezeich­ neten Art oder Bestimmung bei sich trägt und sich dessen bewußt ist" (RGSt. 8, 87, 44, 141; OVG. 20, 440; 66, 323). Als Waffen gelten nicht Kostümstücke, die nur zur Dekoration mit­ geführt werden (z. B. die Rapiere der Studenten­ vereine). Im Einzelfalle kann die Polizei das Tragen von Waffen gestatten (z. B. Schützen­ vereinen). Laut KabO. vom 22. 2. 1842 haben die Kriegervereine bei Begräbnissen eines Kriegs­ teilnehmers das Recht zum Wasfentragen und zur Beschießung des Grabes (s.Kriegervereine). — Personen, welche bewaffnet erscheinen, sind strafbar gemäß § 19 Ziff. 2 BereinsG. Durch B. vom 6. 2. 1924 (RGBl. I S. 44) ist das Strafmaß auf 10000 RM erhöht worden. — Auch Per­ sonen, die einen Waffenschein besitzen, dürfen zu einer V. nicht mit Waffen erscheinen, jedoch wohl Personen, die vermöge öffentlichen Berufs zum Waffentragen befugt sind. e) Die B. muß friedlich sein. Bei der Frage, ob eine V. unfriedlich ist, kann es sich nicht um die Verletzung rein privatrechtlicher Interessen han­ deln, da die Polizei grundsätzlich nicht befugt ist, zum Schutze dieser Interessen einzuschreiten. Es kommt vielmehr auf die Störungen des „öffent­ lichen" Friedens an. Unfriedlich ist eine V. jeden­ falls dann, wenn der Zweck der V. gegen die Strafgesetze verstößt. Eine B. kann auch dadurch zu einer unfriedlichen werden, daß durch den In­ halt der gepflogenen Erörterungen der öffent­ liche Frieden bedroht wird (vgl. Brecht a. a. O. S. 6, der insofern heute noch § 14 Ziff. 5 Ver­ einst. gelten lassen will). Wenn es zu Schläge­ reien kommt und eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben aller oder einiger Teilnehmer be­ steht, ist die V. zweifellos unfriedlich. Scharfe Redensarten, erregte Zwischenrufe, Aufregung der Versammelten allein machen jedoch die B. nicht zu einer unfriedlichen. — Unbewaffnete Saalordner sind gestattet. Ein bewaffneter Saal­ schutz macht jedoch die B. zu einer unfriedlichen (Vf. des MdI. vom 22. 3. 1923 und 29. 3. 1924. MBl.311 u.349). — Die Versammlungsteilnehmer selbst dürfen nicht unfriedlich sein; Störungen von dritter Seite kommen für die Beantwortung der Frage, ob die V. friedlich oder unfriedlich ist, nicht in Betracht (OBG. 60, 324, 332). (Über polizeiliche Maßnahmen bei Störungen von dritter Seite s. unter IV.) f) Eine vorherige Genehmigungspflicht, die früher gemäß § 7 BereinsG. für B. unter freiem Himmel und Aufzüge auf öffentlichen Straßen und Plätzen bestanden hat, gibt es heute nicht mehr, auch nicht für Aufzüge (KGJ. 53, 403; IW. 21, 1092; RGSt. 56, 182; OVG. 78, 279). g) Eine besondere Regelung besteht gemäß Art. 123 Abs. IIRB. für die V. unter freiem Himmel. Daß Aufzüge und Umzüge diesen gleichgestellt sind, ist bereits oben unter I ge­ sagt. — Die B. unter freiem Himmel können durch ReichsG. anzeigepflichtig gemacht werden. — S. Art. 124 II. im Gegensatz zu 8 7 BereinsG.,

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der nur von „öffentlichen" V. unter freiem Himmel handelt, schlechthin von „Versammlungen unter freiem Himmel" spricht, kann nach Art. 123 Abs. II auch für die nichtöffentlichen V. unter freiem Himmel, Umzüge und Aufzüge, z. B. für Wanderungen geschlossener Gesellschaften (Wan­ derklubs, Jugendvereine), die Anzeigepflicht ein­ geführt werden. Somit schafft Art. 123 Abs. II die Möglichkeit einer größeren Beschränkung, als sie nach § 7 BereinsG. früher bestanden hat. — Das in Art. 123 Abs. II vorgesehene ReichsG. ist noch nicht ergangen. Die von Campe (DIZ. 1920, 386) und von Giese (IW. 1921, S. 1092) vertretene Ansicht, daß die Anzeigepflicht jetzt schon bestehe, ohne daß es eines neuen ReichsG. hierzu bedürfe, ist abzulehnen. h) V. unter freiem Himmel können bei un­ mittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit (nicht Ordnung!) verboten werden. Verbotene V. müssen nötigenfalls verhindert bzw. aufgelöst werden. Unzweifelhaft ist diese Be­ stimmung des Art. 123 II schon jetzt anwendbar; denn die Worte „das Gesetz" beziehen sich nur auf die Einführung der Anzeigepflicht. — Es muß eine „unmittelbare" Gefahr vorliegen, während bisher gemäß § 7 BereinsG. schon die Befürch­ tung einer Gefahr genügte. Die Polizei kann Be­ dingungen stellen, unter denen sie von dem Erlaß eines Verbots Abstand nehmen will (vgl. Bf. des MdI. vom 15. 7. 1922,MBl. 663). — Es kommt die Sicherheit von Personen und Sachen in Be­ tracht. Hierzu gehört auch die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs. — Die durch Bedrohung von dritter Seite entstehende Gefahr muß die Polizei zu beheben suchen; nur wenn ihre Kräfte hierzu nicht ausreichen, ist sie befugt, wegen der von dritter Seite hervorgerusenen Gefahr die V. zu verbieten (OBG. 66, 273, 279; 78, 264). III. Aufsichtsrecht. § 13 BereinsG. besteht nach überwiegender Ansicht heute noch zu Recht (s.unter Vereins-und Versammlungs­ recht Id). Die Wiederholung dieser Vorschrift in dem neuen Entwurf ist vorgesehen. — Gemäß § 13 BereinsG. dürfen Aufsichtsbeamte nur in eine öffentliche B. entsandt werden. Es müssen nicht notwendig Beamte entsandt werden, auch Privatpersonen können beauftragt werden. Be­ amte dürfen in Zivil erscheinen. Die Beauftrag­ ten haben sich unter Kundgebung ihrer Eigen­ schaft dem Leiter oder, solange dieser nicht be­ stellt ist, dem Veranstalter der V. zu erkennen zu geben. Eine Nichtbeachtung dieser Vorschrift kann nur durch Beschwerde im Aussichtswege verfolgt werden (OVG. 56,299). Den Beauftragten muß ein angemessener Platz in der B. eingeräumt werden. Als angemessen gilt ein Platz dann, wenn es den Beauftragten möglich ist, die V. zu über­ schauen und den Redner zu hören (vgl. hierzu AusfBf. vom 13. 5. 1908 Ziff. 15). Es dürfen nicht mehr als zwei Beauftragte entsandt werden, wobei die Anwesenheit anderer nichtbe­ auftragter Polizeibeamten in der V. außer Be­ tracht bleibt. — Für die Polizeibehörde besteht keine Verpflichtung, sondern nur eine Befugnis zur Überwachung der öffentlichen V. — Zustän­ dig ist die örtliche Polizeibehörde. Der LR. darf nur dann Beauftragte selbst entsenden, wenn die Entsendung mittels Anweisung an den Amtsvor­ steher nicht rechtzeitig möglich war (OVG. 59,

302; 66, 328). Die Staatsanwaltschaft hat weder das Recht, selbst teilzunehmen, noch die Polizei anzuweisen (Delius, Vereins- und Versamm­ lungsrecht; S. 358). Außer dem Aufsichtsrecht, welches der § 13 BereinsG. gewährt, hat die Polizei bei allen, d. h. auch bei nichtöffentlichen V., die Befugnis, in die B. wider deren Willen einzudringen, wenn nach sonstigen gesetzlichen Vorschriften (wie z. B. zum Zwecke der Durch­ suchung auf Grund der Vorschriften der StPO., zur Verhütung strafbarer Handlungen auf Grund des § 10, II, 17, oder zur Hilfe in Notfällen auf Grund des § 9 des G. zum Schutze der persön­ lichen Freiheit vom 12. 2. 1850) diese Maßnahme geboten ist. — Der Veranstalter oder Leiter einer B., welcher den Beauftragten die Einräumung eines angemessenen Platzes verweigert, macht sich nach § 18 Ziff. 3 BereinsG. strafbar. IV. Bersammlungsschutz. Mit der Gewäh­ rung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hat der Staat gleichzeitig auch die Verpflichtung übernommen, die Staatsbürger in der Ausübung ihres Grundrechts zu schützen (OVG. 60, 332; OLG. Dresden vom 14. 11. 1923, 2. O. 99/23). Deshalb muß, wie bereits oben erwähnt, die Polizei bei von Störung dritter Seite prinzipiell gegen die Störer vorgehen und darf zur Auf­ lösung der V. wegen „unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit" erst dann schreiten, wenn ihre Kräfte zur Beseitigung der von dritter Seite entstandenen Störungen versagen oder nicht aus­ reichen. Die Polizei hat alle gebotenen Maßnah­ men zu treffen und nötigenfalls rechtzeitig die Gestellung der erforderlichen Polizeikräfte bei LR., RP. und OP. anzuregen (vgl. Vf. des MdI. vom 9.12.1922, MBl. 1195; V. vom 22. 3. 1923, MBl. 311; V. vom 29. 3. und 25. 10. 1924, MBl. 349, 1035). — Die Vf. vom 9. 12.1922 be­ sagt, daß den V. politischer Parteien ohne weite­ res Schutz gewährt werden soll, da die Verant­ wortung dafür, daß sie friedlich und unbewaffnet veranstaltet werden, ihnen überlassen werden könne. Bei unbestimmten politischen Gruppen müßte sich dagegen die Polizei erst die Überzeu­ gung verschaffen, daß sie friedlich und unbewaff­ net sich versammeln. — Die Versammelten haben an sich das Recht, sich selbst zu schützen. Soweit sie durch unbewaffnete Saalordner die Ordnung aufrecht zu erhalten suchen, ist hiergegen nichts einzuwenden. Ein bewaffneter und zu aggressi­ ven Zwecken bestimmter Saalschutz macht jedoch die V. zu einer unfriedlichen (vgl. Vf. des MdI. vom 22. 3. 1923, MBl. 311, und 29. 3. 1924, MBl. 349). In der erstgenannten Vf. heißt es: „Die Sicherung von Versammlungen, die Aus­ übung von Straßen- und Postendienst, die Abwehr hochverräterischer Unternehmungen ist ausschließ­ lich Sache der Polizei kraft des ihr anvertrauten öffentlichen Amtes. Vereinigungen, deren Zweck die Erfüllung derartiger Aufgaben ist, laufen den Strafgesetzen zuwider, da § 132 StGB, die Amts­ anmaßung mit Strafe bedroht. Das gleiche gilt für Vereinigungen, die zu dem Zwecke gebildet sind, in Versammlungen, gleichviel welcher Rich­ tungen, die freie Meinungsäußerung der Ver­ sammlungsteilnehmer zu stören oder zu unter­ drücken. Hier geben die §§ 240, 124, 125 StGB, die Unterlage." — Zum Schutze des Versamm­ lungsrechts ist durch G. vom 23. 5. 1923 (RGBl.

Versammlungen I, 296; Vf. des MdI. vom 3. 8. 1923, MBl. 847) die Vorschrift des § 107a in das StGB, einge­ fügt worden. Nach dieser Vorschrift wird der­ jenige, welcher nichtverbotene V., Auszüge oder Kundgebungen mit Gewalt oder durch Bedro­ hung mit einem Verbrechen verhindert oder sprengt, oder Gewalttätigkeiten in der Absicht begeht, die genannten Veranstaltungen zu spren­ gen, mit Gefängnis und mit Geldstrafe bedroht» Als Gewalttätigkeiten im Sinne § 107a StGB, sind körperliche Eingriffe in den ruhigen Verlauf der B. zu betrachten, auch z. B. Ausdrehen des Lichts, nicht dagegen Zwischenrufe; doch kann ein dauern­ der gewaltsamer Lärm in Verbindung mit ge­ waltsamem Widerstande gegen das Hausrecht als Gewaltätigkeit gelten. Eine Verhinderung der V. kann auch darin bestehen, daß der Redner ge­ hindert wird, die V. zu besuchen (Brecht a. a. O. S. 26, Ohlshausen Kommentar z. StGB. 1927, § 107a Anm. 4, Ebermayer Kommentar z. StGB. 1925, § 107 a Anm. 6). — Für den Schutz des Ver­ sammlungsrechts kommensernernoch die Strafvorschriften betr. Widerstandsleistung, Hausfriedens­ bruch, Landfriedensbruchs, Nötigung, Bedrohung § 113, 123, 125, 240, 241 u. a. m. in Betracht. V. Nach § 10 VereinsG. muß eine öffentliche politische V. einen Leiter haben. Da selbstver­ ständlich jede V. ordnungshalber einer Leiter be­ nötigt, könnte man insoweit die Vorschrift des § 10 VereinsG. als eine reine Ordnungsvorschrift betrachten und in ihr keine Beschränkung der Ver­ sammlungsfreiheit erblicken. Berücksichtigt man aber, daß gemäß Satz4des §10ber Versammlungs­ leiter die völlig freie Befugnis hat, eine B. für aufgelöst zu erklären mit der aus § 18 Ziff. 4 sich ergebenden Folge, daß diejenigen Personen, welche sich nach der Auflösungserklärung nicht so­ fort entfernen, strafbar sind, so erscheint § 10 doch als eine Beschränkung der Versammlungsfrei­ heit. Der Versammlungsleiter ist in der Lage, durch die Auflösungserklärung den Anwesenden das Versammlungsrecht zu entziehen und sie wegen weiteren Verweilens straffällig zu machen. Demnach muß § 10 VereinsG. als durch den Auf­ ruf der Volksbeauftragten aufgehoben gelten (Delius PrVBl. 41, 381; 43, 87; 44, 59; Jellinek IW. 1924 S. 642; a. M. Brecht a. a. O. S. 19; Kiesow-Zweigert a. a. O. S. 180). Unstreitig stehen der Wiedereinführung einer dem § 10 VereinsG. entsprechenden Vorschrift in das neue VereinsG» die Vorschriften der RB. nicht ent­ gegen. Der Entwurf zum neuen VereinsG. sieht auch eine entsprechende Bestimmung vor. — Die Bersammlungsleitung hat heute noch insofern ihre Bedeutung, als der Leiter bzw. Veranstalter der V. das Hausrecht inne hat und derjenige, welcher sich seinen berechtigten Anordnungen nicht fügt, gegebenenfalls sich eines Hausfriedens­ bruchs schuldig macht. VI. Besondere Vorschriften, a) Aus Grund des Art. 48 RB. kann das Versammlungsrecht durch den Reichspr. und bei Gefahr im Verzüge subsidiär und einstweilig auch durch die Landes­ regierungen außer Kraft gesetzt werden (Näheres unter Belagerungszustand). Von dieser Be­ fugnis hat der Reichspr» des öfteren Gebrauch ge­ macht. Zur Zeit ist von den auf Grund des Art. 48 RB. erlassenen B. keine mehr in Kraft, welche das Versammlungsrecht beschränkt.

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b) Auf Grund des G., betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. 6. 1900 (RGBl. 306) kann die Versammlungsfreiheit be­ einträchtigt werden, indem gemäß § 15 Ziff. 3 für bestimmte Ortschaften und Bezirke die Ansamm­ lung größerer Menschenmengen verboten oder be­ schränkt wird. Hierin liegt keine eigentliche Be­ schränkung der Versammlungsfreiheit, da die Maß­ nahmen der Behörde sich nicht gegen die Ver­ sammlungsfreiheit an sich richten, sondern zum Schutz der Bevölkerung erlassen werden. c) Nach dem G. über die Befriedung der Gebäude des RT. und der LT. vom 8. 5. 1920 (RGBl. 909); BannmeilenG.) dürfen inner­ halb eines Bannkreises des Reichstagsgebäudes und der Landtagsgebäude keine V. unter freiem Himmel und Umzüge stattfinden. Dieses G. ge­ währt den gesetzgebenden Körperschaften Schutz und Sicherung gegen Beeinflussungen von der Straße. Der Bannkreis ist für den RT. durch V. vom 17. 5. 1920 (RGBl. 973) bestimmt worden. Preußen hat von einer Abgrenzung des Bann­ kreises abgesehen, da der für den RT. bestimmte Bannkreis auch die Umgebung des preußischen Landtagsgebäudes mit umfaßt. Das G. enthält unzweifelhaft eine wesentliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit; es mußte daher, wie ge­ schehen, mit verfassungändernder Mehrheit be­ schlossen werden. Zuwiderhandlungen gegen das G. sind strafbar gemäß § 116 StGB. Die Auf­ forderung zur Veranstaltung einer nach dem BannmeilenG. verbotenen V. ist mit Gefängnis strafbar. d) Auf Grund des G. zum Schutze der Re­ publik vom 21. 7. 1922 (RGBl. I, 585) können B., Umzüge und Kundgebungen verboten wer­ den, wenn sie Ziele haben, deren Verfolgung nach §§ 1—8 des G. unter Strafe gestellt ist. Es genügt schon, wenn bestimmte Tatsachen die „Be­ sorgnis" rechtfertigen. Das Verbot kann nur darauf gegründet werden, daß Verstöße von den Versammlungsteilnehmern selbst befürchtet wer­ den (vgl. StGH. vom 19. 9. 1922, StR. 273/22; a. M. Kiesow-Zweigert a. a. 0.187). Gemäß § 17 ist nicht die OPB., sondern die Landeszentralbe­ hörde, in Preußen der MdI. und der OP. bzw. der PolPräs. von Berlin (§17; Ausf.Vf. vom 28.7.1922, MBl. 735, vom 19.20.1922, GS. 312, und vom 22. 1. 1923, MBl. 95). Ausgenommen sind die Wahlversammlungen (§ 15). Das Be­ schwerdeverfahren ist besonders geregelt (Näheres s. unter RepublikschutzG.). e) Die landesrechtlichen Vorschriften zum Schutze der Feier der Sonn- und Festtage bestehen heute noch zu Recht (s. unter Vereins­ und Versammlungsrecht Ib). In Betracht kommen die KabO. vom 7. 2. 1837 (GS. 19) und das G. vom 9. 5. 1892 (GS. 107) sowie § 24 Abs. 4 VereinsG. Nach letzgenannter Vorschrift dürfen an gewöhnlichen Sonntagen nur bis zur Beendigung des Hauptgottesdienstes, an Fest­ tagen auch darüber hinaus Beschränkungen auf­ erlegt werden. Es ist selbstverständlich, daß nur solche Beschränkungen vorgeschrieben werden dürfen, welche dazu dienen, eine unmittelbare Störung des Gottesdienstes zu verhüten (JKG. 3 Erg.-Bd. S. 323); s. Festtage). f) Art. 123 RB. gewährt „allen Deutschen", somit auch den Jugendlichen, das Recht, sich

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Versammlungsräume — Versäumnisurteile

zu versammeln. Richtiger Ansicht nach sind die Beschränkungen, welche früher gemäß § 17 Ver­ einst. den Jugendlichen bezüglich der Beteili­ gung an politischen V. auferlegt waren, schon durch den Aufruf der Volksbeauftragten aufge­ hoben worden. Der Wiedereinführung einer Be­ schränkung für Jugendliche steht jedoch die RV. nicht entgegen (a. A. Brecht a. a. O. S. 6 u. 23, Delius Pr. VBl. 43,87). Die Reichsregierung ver­ tritt den Standpunkt, daß eine Beschränkung für Jugendliche nach der RV. zulässig ist, indem sie eine diesbezügliche Vorschrift in den Entwurf des neuen VereinsG. wieder ausgenommen hat. Der praktische Wert einer solchen Vorschrift darf aller­ dings nicht hoch eingeschätzt werden, da die Alters­ feststellung schwierig ist. g) Außerhalb des eigentlichen Versammlungs­ rechts liegen die Beschränkungen, welche den Be­ amten auf Grund ihrer amtlichen Stellung auf­ erlegt sind. Der Aufruf der Volksbeauftragten hat betreffend das Versammlungsrecht der Be­ amten nur die Schranken aufgehoben, welche polizeilicher Natur waren. Die disziplinarischen Verpflichtungen der Beamten sind bestehen ge­ blieben (vgl. § 10 des RBG. und insbesondere die durch das G. über die Pflichten der Beam­ ten zum Schutz der Republik vom 21. 7. 1922 (RGBl. I 590) eingefügten §§ 10a u. b des RBG.). Hiernach ist es den Beamten untersagt, in der Öffentlichkeit gehässig oder aufreizend staatsfeindliche Bestrebungen zu fördern oder sol­ che Bestrebungen durch Verleumdung, Be­ schimpfung oder Verächtlichmachung der Repu­ blik und der Regierungsmitglieder zu unter­ stützen. Weitergehende Verpflichtungen, welche sich aus den besonderen Aufgaben des dem Be­ amten übertragenen Amtes oder den Umständen des Falles innerhalb oder außerhalb des Dienstes ergeben, bleiben unberührt. Letztere Vorschrift ist besonders für politische Beamte und für Poli­ zeibeamte von Bedeutung. Den preuß. Beamten sind dieselben Verpflichtungen durch die G. vom 4. 8. 1922 und 31. 7. 1922 (GS. 207 u. 208), auferlegt worden (vgl. auch Vf. vom 8. 12. 1921 MBl. 391 und vom 23. 7.1924, MBl. 785, sowie RGSt. 56, 412, 419; OLG. Rostock vom 25. 9. 1925; Reger 46, 377). h) Den Soldaten ist die Teilnahme an poli­ tischen V. gemäß § 36 Abs. 2 des WehrG. vom 23. 3. 1921 (RGBl. 329) schlechthin verboten. Gemäß Vf. vom 23. 7. 1924 (MBl. 785) hat der RWM. durch Vs. vom 14. 5. 1924 den Stahl­ helm, den Jungdeutschen Orden, Werwolf, die Bereinigten Vaterländischen Verbände als poli­ tisch im Sinne des § 36 des WehrG. bezeichnet. — Gemäß § 37 des WehrG. ist den Soldaten auch die Beteiligung an nichtpolitischen V. in gewissem Maße beschränkt. i) Abzeichen. Die frühere Rechtsprechung hielt Polv., welche Beschränkungen bezüglich des Tragens von Abzeichen bei B., Aufzügen und Umzügen enthielten, in weitgehendstem Maße für zulässig. Heute würde es dem im Art. 118 RV. ausgesprochenen Grundsatz der freien Meinungs­ äußerung widersprechen, wenn bezüglich des Tragens von Abzeichen allgemeine Verbote er­ lassen würden. Es kann jedoch heute in gewissen Abzeichen, welche bei einer Versammlung oder bei einem Umzug gezeigt werden, eine unmittel-

bare Gefahr für die öffentliche Sicherheit er­ blickt und hierauf das Verbot einer V. unter freiem Himmel gemäß Art. 123 Abs. II gestützt werden (vgl. Vs. vom 15. 2. 1922, MBl. 663; OVG. 78, 261). (Bezüglich des verbotenen Uni­ formtragens vgl. § 360 Ziff. 8 StGB.; Vs. des Reichspr. vom 30.8.1921, RGBl. 1251). (Rechts­ gültigkeit bestritten; Bf. des MdI. vom 4. 2.1926, MBl. 119, und vom 11. 1. 1927, MBl. 55). Wenn der „Zweck" einer V. in dem verbotenen Uni­ formtragen erblickt werden kann, darf die V. ge­ mäß § 1 VereinsG. aufgelöst werden. — Das Tragen von Stahlhelmen wurde verboten durch Bf. des MdI. vom 5. 3. 1924, MBl. 244. k) Von landesrechtlichen Vorschriften haben heute außer den Vorschriften betr. die Heilig­ haltung der Sonn- und Feiertage keine mehr Gültigkeit. VII. Verfahren. Da die meisten Strafvor­ schriften des VereinsG. kraftlos geworden sind (gültig sind nur noch die Vorschriften der §§ 4 u. 11 bzw. § 18 Ziff. 3 und 19 Ziff. 2), ist heute derjenige, welcher sich an einer unfriedlichen B. oder an einer gemäß Art. 123 Abs. 2 verbotenen B. beteiligt, nicht ohne weiteres kriminell strafbar. Strafbar sind jedoch die „bewaffneten" Ver­ sammlungsteilnehmer auf Grund der in Kraft gebliebenen §§ 11, 19 Ziff. 2 VereinsG. — Die Polizei muß gegebenenfalls den dem Art. 123 RV. entsprechenden Rechtszustand durch Verbote und im Wege unmittelbaren Zwanges herstellen. — Wie bereits erwähnt (vgl. Vereins-und Ver­ sa mm l u n g s r e ch t Id), hat die Polizei die Auflösungsbesugnis nicht unter den in § 14 VereinsG. angegebenen Voraussetzungen. Sie muß zu­ nächst gegen die einzelnen Personen einschreiten, welche sich rechtswidrig verhalten, und darf erst zur Auflösung schreiten, wenn diese das „nötige" Mittel ist, um den Rechtszustand herzustellen. — Ein Präventivverbot ist nur dann zulässig, wenn es im voraus erwiesen ist, daß es sich um eine un­ zulässige B. handelt. — Verbotene V. können verhindert und ausgelöst werden. — Gegen das Verbot und die Durchführung des Verbotes sind die Rechtsmittel gemäß §§ 127 ff. VereinsG. ge­ geben (OVG. 60, 321). Hg. Literatur s. unter Vereins- und Versammlungsrecht.

Versammlungsräume s. Theatergebäude. BersaumniSurteile. I. Die Nichtbeachtung einer gerichtlichen Auflage oder Ladung oder auch schon die bloße Unterlassung einer vorzu­ nehmenden Prozeßtätigkeit hat vielfach den Aus­ schluß (die Präklusion) der Partei mit der be­ treffenden prozessualen Handlung oder die An­ nahme eines Zugeständnisses der in Frage stehen­ den Behauptungen der Gegenpartei und falls diese den Klaganspruch rechtfertigen, die Ver­ urteilung des Säumigen zur Folge. II. Für den Zivilprozeß ist das Versäumnis­ verfahren in den §§ 330ff. ZPO. geregelt. Gegen das B. steht dem Säumigen der Einspruch zu, der zur Verhandlung vor derselben Instanz führt. In Ehesachen und ehelichen Kindschastsklagen ist ein V. gegen den Beklagten unzulässig (§§ 618 Abs. 5, 640). Die Vorschriften über das V. finden auch in der Berufungs- und der Revisionsinstanz mit einer gewissen Besonderheit entsprechende Anwendung (§§ 542, 566). Die StPO, kennt nur ganz ausnahmsweise ein Der-

Verschluß (im Zoll- und Steuerverkehr) — Versetzung (einstweilige) in den Ruhestand fahren ohne Anwesenheit des Angeklagten; auch hierbei ist aber so zu verhandeln, als ob er an­ wesend wäre (88 232, 233, 276—295, 387). Auch im Verfahren der freiwilligen Ge­ richtsbarkeit ist Versäumnis nur ausnahms­ weise von Bedeutung (Auseinandersetzung von Miterben 8 91, Ordnungsstrafverfahren in Han­ delssachen 8 134 GG). III. Im Berwaltungsstreitverfahren sind nach dessen Grundlagen gleichfalls ein V. und ein eigentliches Versäumnisverfahren nicht mög­ lich (vgl. OBG. 60, 111; 71, 118). Erscheinen oder verhandeln beide Parteien oder eine von ihnen nicht in der mündlichen Verhandlung, so ist nach Lage der Sache zu entscheiden; es können hierbei jedoch die von der Gegenpartei vorge­ brachten Tatsachen für zugestanden erachtet werden (8 79 LBG.). Dies gilt auch dann, wenn das Gericht zur Aufklärung des Sachverhält­ nisses das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet hatte (8 68 Abs. 2). Es darf also selbst in dem letzteren Falle nicht ohne weiteres zuungunsten des Ausgebliebenen entschieden, sondern nur die erstrebte Aufklärung als nicht geglückt angesehen werden. Tap.

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Berschnittw ein. Roter Traubenwein und frischer Most zu solchem, in gewisser Beschaffen­ heit in Fässern oder Kesselwagen eingehend, unter­ liegen, wenn sie unter zollamtlicher Aufsicht zum Verschneiden verwendet werden, als Verschnitt­ weine einem ermäßigten Zollsatz. Bestimmend hierfür ist die Absicht, hierdurch die Verwertung der verschnittbedürftigen inländischen Weine zu fördern. Näheres wegen der Zollbehandlung s. Abschnitt II der Weinzollordnung (vgl. Zoll II 101). Sdt. Verschuldungsgrenze s. Entschuldung. Bersendeschein (irrt Zollverkehr) s. Trans­ portkontrolle.

Versetzung (einstweilige) in den Ruhestand.

Die Möglichkeit einer solchen bestand in Preußen schon immer für den Fall einer Behördenumge­ staltung (V. vom 14. 6. u. 24.10. 1848, GS. 153, 338; 88 147ff. LVG. und AGFGG.), sowie hin­ sichtlich bestimmter, im DisziplinarG. vom 21. 7. 1852 und, hinsichtlich der neuen Provinzen, in der V. vom 23. 9. 1867 (GS. 1619) bezeichneter Beamtenkategorien ohne weiteres. Die Materie ist jetzt einheitlich geregelt durch die V. vom 26. 2. 1919 (GS. 33), abgeändert durch 8 14 des G. vom 7. 5. 1920 (GS. 191), G. vom 31. 12. 1922, 8 19 Verschluß (im Zoll- und Steuerverkehr). des G. vom 12. 5. und Art. II des G. vom 12. 7. Zum Zwecke der Festhaltung der Menge oder der 1923 (GS. 1923,1, 167 u. 305), 8 83 der B. vom Identität der Waren werden diese im Zollverkehr 8. 2. 1924 (GS. 89), § 28 des G. vom 25. 3. 1926 vielfach unter amtlichen B. gesetzt. Der V. er­ (GS. 105) und 829 Zisf. 1 des G. vom 23. 12. scheint entweder als Raum- oder Kollo Ver­ 1927 (GS. 294). Die Abänderungen beruhen schluß (Packstückverschluß). Beim Raumverschluß zum Teil aus dem G., bett. Pflicht der Beamten werden die Räume (Lagerräume, Eisenbahn­ zum Schutz der Republik, vom 21. 7.1922 (RGBl. wagen, Schiffe usw.), in denen sich die Packstücke 1590), nach welchem durch Reichs- oder Lanoder unverpackten Waren befinden, beim Pack­ desG. Beamte von der Besoldungsgruppe A stückverschluß die Packstücke (Säcke, Kisten, Fässer XIWetzt A 2d) aufwärts, welche sich in leitender usw.) unter V. gesetzt; im Lagerverkehr (s. Nie­ Stellung befinden, oder mit politischen Aufgaben derlagen) kommt ausschließlich der Raumver­ oder besonders mit dem Schutz der Republik be­ schluß zur Verwendung. Der V. wird bewirkt traut sind, jederzeit in einstweiligen Ruhestand durch Kunstschlösser, Bleie oder Siegel (8 94 versetzt werden können. (Wegen der Voraussetzung VZG.). Die Verschlußanlage kann nicht verhin­ s. unten bei II hinsichtlich der gleichartigen Reichs­ dern, daß die verschlossene Ware ganz oder teil­ vorschriften). Die Versetzung gilt nicht für die dem weise entnommen wird, sie soll nur die Tatsache DisziplinarG. für Richter unterstehenden Be­ der Entnahme erkenntlich machen. Zu diesem amten; Richter können nur bei einer Änderung der Zwecke soll der B. so angelegt werden, daß eine Gerichtsorganisation und unter Belassung ihres Entnahme von Waren ohne sichtbare Spuren zu vollen Gehalts von ihrem Amt entfernt werden hinterlassen nicht möglich ist. Die Tatsache der (Art. 104 RB.r Art. 79 KU.; 8 8 GBG.). Ebenso Verschlußverletzung wird im Zollverkehr nach gilt die V. nicht für Kommunalbeamte. Im 8 151 VZG. mit einer Geldbuße bis zu 900 M ge­ übrigen unterliegen der B. i. d. R.: 1. alle un­ ahndet; von der Strafe befreit nur der Nachweis, mittelbaren Staatsbeamten, welche infolge Um­ daß die Verletzung durch einen unverschuldeten bildung der Behörden nicht weiter verwendet Zufall entstanden sei. Wegen der sonstigen Folgen werden können (8 1); 2. jederzeit die Staats­ der Verschlußverletzung s. 8 96 VZG. Auch bei sekretäre, Ministerialdirektoren, Ministerialdiri­ den übrigen Verbrauchsteuern spielt der B. genten, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten (Steuerverschluß) eine Rolle. Er dient zum Vorsteher staatlicher Polizeibehörden, Landräte, Schutze der noch unversteuerten steuerpflichtigen Beamte der Staatsanwaltschaft, die Gesandten, Ware gegen Zugriffe Unbefugter, und zwar so­ diplomatischen Agenten (8 3 Abs. 1); 3. im Inter­ wohl in der Erzeugungsstätte als auch bei der Ver­ esse der Festigung der verfassungsmäßigen repu­ sendung der Ware unter Steuerkontrolle. Mit­ blikanischen Staatssorm ferner die Ministerial­ untersteht dieErzeugungsstätte selbst unter-Steuer- dirigenten, die Vizepräsidenten bei den OP. und verschluß. Auch die Verschließung von Betriebs­ RP. und der Vizepolizeipräsident von Berlin. geräten behufs Verhinderung unbefugter Be­ Die weitergehenden Vorschriften der Personal­ nutzung oder dgl. findet sich. Die Verletzung des abbauverordnung sind nach Einstellung des Perso­ V. ist auch hier mit Strafe, unter Umstän­ nalabbaues (s. d.) jetzt beseitigt. D. V. i. d. R. den mit der Hinterziehungsstrafe bedroht. Nähe­ erfolgt im Falle 1 durch ben Berwaltungschef, res s. in den Art. über die einzelnen Verbrauch­ im Falle 2 durch das StM. Der Beamte braucht steuern. Sdt. vorher nicht gehört zu werden und steht ihm der Berschlußbrennereien s. Branntweinmono­ Rechtsweg gegen die Maßnahme nicht offen pol C VI1 a. (8 5 G. vom 24. 5. 1861, GS. 241). 59 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. II.

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Versetzungen im Interesse des Dienstes — Versicherungsagenten

Das Wartegeld beträgt 80% des ruhegehalts­ fähigen Diensteinkommens unter Abzug von 2 % für jedes an einer 25 jährigen Dienstzeit fehlende Jahr, aber mindestens50% des Diensteinkvmmens und höchstens 80 % der höchsten Dienstaltersstufe der Gruppe Ala. Hat der Beamte bei V. i. e. R. bereits ein höheres Ruhegehalt erdient, so erhält er dieses als Wartegeld (§ 3a in der Fassung des § 83 der V. vom 8. 2. 1924, des § 28 des G. vom 25. 3. 1926 und des § 29 Zisf. 1 des G. vom 23. 12. 1927). Jeder Empfänger von Warlegeld ist bei Strafe seines Verlustes verpflichtet, ein seiner Berufsausbildung entsprechendes Amt von gleichem Rang und Einkommen, wie das früher von ihm bekleidete, dauernd oder zeitweilig im Reichs- oder Staatsdienst zu übernehmen; die gleiche Verpflichtung kann durch das StM. auf Kommunalämter ausgedehnt werden (§§ 6—8b in der Fassung des G. vom 25. 3.1926, GS. 105). Sonstige Fälle des Wartegeldverlustes: Verlust der Staatsangehörigkeit, Wohnsitznahme außer­ halb Deutschlands ohne Genehmigung des SIM. und Ausscheiden aus dem Staatsdienst (§ 9). Bei den auf Widerruf oder Kündigung angestellten Beamten endigt das Recht auf Wartegeld mit dem Zeitpunkt, zu dem frühestens ein Widerruf oder eine Kündigung zulässig gewesen wäre. Doch kann für die Folgezeit ein Wartegeld bis zur Höhe des gesetzmäßigen Ruhegehalts vom Verwaltungs­ chef zusammen mit dem FM. bewilligt werden (§ 2 in der Fassung des Art. II des G. vom 12. 7. 1923 und des § 28 des G. vom 25. 3. 1926). Das Wartegeld ruht, soweit das Diensteinkommen aus der Wiederbeschäftigung unter Hinzurechnung des Warlegeldes das frühere Diensteinkommen über­ steigt. Hat der Beamte wegen seiner vorüber­ gehenden Wiederbeschäftigung ein höheres Dienst­ einkommen als früher, so wird dieses letztere bei erneuter V. i. d. R. der Berechnung des Wartegeldes zugrunde gelegt. Das Woh­ nungsgeld wird nach Ortsgruppe B gewährt; im übrigen bezieht der Wartegeldempfänger dieselben Zulagen wie der aktive Beamte. Wartegeldempfänger behalten als solche Be­ amteneigenschaft und bleiben infolgedessen auch dem DisziplinarG. sowie den übrigen, das Be­ amtenverhältnis betreffenden G. unterworfen. Die KabO. vom 13. 7. 1837 und § 19 der preuß. GewO, vom 17. 1. 1845, betr. Verbot des Ge­ werbebetriebs durch Beamte, findet jedoch aus Beamte im einstweiligen Ruhestande keine An­ wendung (§§ 12, 13 des G. vom 25. 3. 1926, GS. 105). Ebenso bedürfen sie innerhalb Preu­ ßens keines Urlaubs und können nicht suspendiert werden. Das Wartegeld hat die rechtliche Natur der Besoldung und steht unter den für diese gelten­ den Rechtsgrundsätzen. Als Disziplinarstrafe kann die einstweilige V. i. d. R. nach § 46 des DisziplinarG. vom 21. 7.1852 vom StM. gegen unmittelbare Staatsbeamte verhängt werden, wenn die Ent­ scheidung oder das Gutachten des Disziplinarhofs aus Freisprechung, Warnung oder Verweis lautet (s. Disziplinarrecht GII). Jede dritte frei­ gewordene und besetzbare Stelle der Besoldungs­ gruppen Ala—12 ist mit einem geeigneten, ins­ besondere mit einem vorgemerkten Wartestands­ beamten zu besetzen. Das gilt auch sür die künftig nach § 1 der B. vom 26. 2. 1919 in den Warte­ stand versetzten Beamten. Ausnahmen sind nur

aus zwingenden Gründen mit Genehmigung des FM. zulässig. Wartestandsbeamte, welche in Stellen mit geringerem als ihrem früheren Dienst­ einkommen planmäßig wieder angestellt werden, erhalten die nach dem BesoldungsG. vom 17. 12. 1927 zu berechnenden Bezüge ihrerfrüherenDienststelle (§ 4 des EtatsG. vom 28. 4.1928, GS. 109). II. Hinsichtlich der Reichsbeamten bestimmt der § 24 RBG., daß jeder Reichsbeamte unter Bewilligung des gesetzlichen Wartegeldes einst­ weilig in den Ruhestand versetzt werden kann, wenn das von ihm verwaltete Amt infolge einer Umbildung der Reichsbehörden aufhört. V. i. d. R. kann außerdem nach § 25 das. und Art. III des G. vom 21. 7. 1922 (RGBl. I 590; vgl. oben) er­ folgen bei Leitern von Reichsbehörden und ihren Stellvertretern von der Gruppe A XIII (jetzt A 1) ab, bei Ministerialräten in Dirigentenstel­ lung, sowie bei den mit Aufgaben zum Schutze der Republik besonders betrauten Beamten von Gruppe A XII (jetzt A 2b) ab aufwärts; zu den letzteren gehören nach der Anl. zum G.: der Reichskommissar der öffentlichen Ordnung und seine Beamten, die Beamten (auch außerplan­ mäßige) des Bureaus des Reichspr., der Reichs­ kanzlei, der Abteilungen für Politik, Verfassung und öffentliche Ordnung im RMdJ., der Beamten der Presseabteilung der Reichsregierung, die Zivil­ amtschefs und die Referenten (auch außerplan­ mäßige) des RWM., die Ministerialbureaudirektoren des Bureaus des Reichspr., der Reichs­ kanzlei, des RMdJ. und des RWM. Bei der B. i. e. R. bildet ein besonderes republikfeindliches Verhalten nicht die Voraussetzung, sondern es ge­ nügt die pflichtmäßige Überzeugung der Zentral­ behörde, daß die V. im Interesse der republikani­ schen Staatsform liegt (RG. III vom 25.3.1927 in IW. 1927, 2198). Zu diesen Beamten treten nach § 149GVG. der Oberreichsanwalt und die Reichs­ anwälte. Ausgenommen von der V. i. d. R. sind die Mitglieder des RG., des RFH., des Reichs­ rechnungshofes, des BAH. und die richterlichen Militärjustizbeamten. Im übrigen sind die Vor­ schriften wegen der Wirkungen der B. i. d. R. und die Höhe des Wactegeldes, nachdem die §§ 23 bis 25 RBG. durch G. vom 27. 10. 1923 (RGBl. I 999), V. vom 28. 1. 1924 (RGBl. I 39), G. vom 4. 8. 1925 (RGBl. I 181) und G. vom 15. 7. 1926 (RGBl. I 409) abgeändert und die weitergehenden Bestimmungen wegen V. i. d. R. zwecks Personalabbaues (s. d.) wieder beseitigt sind, die gleichen als in Preußen. Nach § 13 des EtatsG. vom 31. 3. 1928 (RGBl. II 209) sind bei Einstellung von Beamten und Beamtenanwärtern (neben Versorgungsanwärtern und Schwer­ beschädigten) in erster Linie geeignete Wartesiandsbeamte des Reichs zu berücksichtigen. Ly. Versetzungen im Interesse des Dienstes s. Dienstversetzung. Versicherungen an Eides Statt s. Eides Statt. Versicherungsagenten. Die privaten Versiche­ rungsunternehmungen betreiben ihren Geschäfts­ verkehr regelmäßig mit Unterstützung von stündig angenommenen Mittelspersonen, die sich die Vorbereitung und den Abschluß neuer Versiche­ rungsverträge angelegen sein lassen und den ge­ schäftlichen Verkehr zwischen Versicherer und Ver­ sicherten vermitteln. Diese Mittelspersonen sind,

Bersicherungsämter — Bersicherungsgenossenschaft der Privatfahrzeug- und Reittierbesitzer

sofern sie ihre Tätigkeit als selbständiges Gewerbe ausüben, die B. Ihre Stellung zum Versicherer richtet sich in erster Linie nach dem zwischen beiden geschlossenen Vertrag, im übrigen sind für ihre privatrechtliche Stellung die Vorschriften der §§ 43—48 VVG., daneben auch die Vor­ schriften des HGB. über Handlungsagenten (§§ 84—92) maßgebend. Das VVG. unter­ scheidet in Übereinstimmung mit der Praxis zwi­ schen Abschlußagenten (§ 45) und bloßen Vermittlungsagenten (§ 43). Jene sind vornehmlich in der Feuerversicherung und den verwandten Sachversicherungszweigen üblich, nicht dagegen in der Lebensversicherung. Unerheblich für die Bertretungsmacht ist, welchen Titel der Agent führt. Die früheren Vorschriften für Feuer­ versicherungsagenten betreffend Buchführung und polizeiliche Kontrolle sind in Preußen durch G. vom 13. 12. 1923 (GS. 551) aufgehoben. Einer gewerbepolizeilichen Erlaubnis bedürfen die V. nach der GewO, nicht. Sie haben aber bei Über­ nahme der Agentur und binnen acht Tagen nach deren Aufgabe der OPB. des Wohnorts Anzeige zu machen (§ 14 Abs. 2 GewO.). Sie unter­ liegen bezüglich ihrer Geschäftsführung der Auf­ sicht der zuständigen Versicherungsaufsichts­ behörde (§ 65 Abs. 2 VAG.). Der Abschluß von Versicherungsverträgen oder die geschäftsmäßige Vermittlung solcher Verträge für eine im In­ land zum Geschäftsbetriebe nicht befugte Unter­ nehmung macht den Vertreter, Bevollmächtigten oder Vermittler strafbar (§ 108 VTG.). Nach Art. 2 der V. vom 5. 2. 1919 (RGBl. 176) unter­ liegt der Geschäftsbetrieb der V. den Vor­ schriften über die Sonntagsruhe im Handels­ gewerbe. Pf. uBersicherungdämter s. Sozialversicherung

Versicherungsansprüche, Auswertung von, s. Nachtrag. BersicherungSaussichtsgesetz (BAG.). Die ge­ werbliche und wirtschaftspolizeiliche Behandlung der Privatversicherung ist durch das G. über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. 5. 1901 (RGBl. 139, VAG.) geregelt. Oberster Grundsatz des VAG. ist Staatsaufsicht mit Konzessionspflicht. Die Aufsichtsbefugnisse des Reiches und der Länder sind in der Weise geteilt, daß Unternehmungen, deren Geschäfts­ betrieb sich innerhalb der Grenzen eines Landes hält, der Landesaufsicht unterstehen (§ 2). In Preußen sind nach der AusfB. vom 30. 6. 1901 (GS. 141) die RP., in Berlin der PolPräs. zuständig. Doch kann nach V. vom 12. 12. 1910 (GS. 321) die Aufsicht über Unternehmungen, die den Umfang eines Land- oder Stadtkreises nicht überschreiten, auf den LR. bzw. den Bürger­ meister übertragen werden. Alle übrigen Unter­ nehmungen sind der Reichsaufsicht unterstellt, die durch das Reichsaufsichtsamt für Privat­ versicherung (s. d.) ausgeübt wird. Der Aus­ sicht unterliegen nur Privatunternehmungen, also nicht die Einrichtungen der Sozialversicherung. Auch nicht die nach Landesrecht errichteten öffent­ lichen Anstalten (§ 119), noch die auf Grund der GewO, von I. oder JV. errichteten Unter­ stützungskassen, sowie auch nicht die Knapp­ schaftskassen (§ 122). Aufsichtsfrei sind ferner die Unterstützungsvereine ohne Rechts­

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anspruch (s. d.) und die nicht als Gegenseitig­ keitsvereine errichteten Unternehmungen, welche die Versicherung gegen Kursverluste, die Trans­ port- oder die Rückversicherung betreiben (§ 116). Aufsichtsbehördliche Genehmigung ist nicht nur für die Aufnahme des Geschäftsbetriebs (§ 4), sondern auch für jede Geschäftsplanänderung (§ 13), na­ mentlich für die Übertragung des Versicherungs­ bestandes (§ 14) und den Erwerb von Grund­ stücken (§ 54) erforderlich. Der Aufsichtsbehörde obliegt ferner die Prüfung darüber, nach welchen Grundsätzen die Verwaltung des Gesellschafts­ vermögens einzurichten und Rechnung zu legen ist (§ 54ff.), insbesondere die Nachprüfung der Anlegung des Prämienreservefonds (§§ 59—63). Die Aufsichtsbehörde ist befugt, Anordnungen zu treffen, um den Geschäftsbetrieb mit den gesetz­ lichen Vorschriften und dem Geschäftsplan im Einklang zu erhalten (§ 64), sie kann bis zur Kon­ zessionsentziehung vorschreiten (§ 65) und mit Ausschluß aller anderen Beteiligten den Konkurs beantragen (§ 68). Ein ohne die vorgeschriebene Erlaubnis aufgenommener Versicherungsbetrieb unterliegt strafrechtlicher Ahndung (§ 108). Gegen eine auf Grund des § 73 vom Reichsaufsichtsamt getroffene Entscheidung ist nach §§ 74, 75 der Rekurs zulässig, über den alsdann ein verstärktes Beschlußkollegium entscheidet. Bei den der Lan­ desaufsicht unterstehendenUnternehmungen findet in den Fällen des § 73 gemäß § 84 und der preuß. AusfV. vom 30. 6. 1901 gegen die Ent­ scheidung die Klage beim OVG. statt. Das VAG. ist abgeändert durch G. vom 20. 12. 1911 (RGBl. 985) im § 122, durch G. vom 24.10.1917 (RGBl. 973) im § 1, durch V. vom 29. 4. 1920 (RGBl. 1433) in §§ 11 u. 61, durch G. vom 30. 12. 1921 (RGBl. 1922 I 42) im § 59, durch G. vom 19. 7. 1923 (RGBl. 684) in §§ 10, 14, 28, 36, 55a, 57, 59, 61, 64, 67 a, 69, 73, 106, 108, 119 und durch G. vom 15. 7. 1926 (RGBl. I 411) im § 81. Die Befugnisse, die nach dem VAG. dem Kaiser zustanden, sind aus den Reichspr. übergegangen. An die Stelle des BR. ist der RR. getreten. Die dem RK. zustehenden Befugnisse werden auf dem Gebiet des Versiche­ rungswesens durch den RWirtM. ausgeübt (G. vom 4. 3. 1919, RGBl. 285 und RB. Art. 179). Pf. Koenige - Petersen, de Gruyter, Berlin 1927.

Privatversicherungsgesetz,

BersicherungSbehörden s. Sozialversiche­ rung II.

Versicherungsbeirat s. Reichsaussichtsamt für Privatversicherung. Bersicherungsgenossenschaft der Privatfahrzeug- und Reittierbesitzer. Nach § 629 Abs. 2 kann der RR. für die Tätigkeiten bei nicht ge­ werbsmäßigem Halten von Reittieren und Fahr­ zeugen (§ 537 Ziff. 6, 7 RBO.), die an sich den bei den Fuhrwerks- und Binnenschiffahrts­ berufsgenossenschaften zu bildenden Zweiganstal­ ten (s. d.) zugewiesen sind, eigene B. als Träger der UV. errichten. Von dieser Befugnis hat der RR. Gebrauch gemacht und eine einzige V. für das ganze Gebiet des Deutschen Reichs errichtet, deren Verfassung durch Bek. vom 10. 10. 1912 (ZBl. 787; AN. 925) geregelt ist. Sie führt auf dem ihr zugewiesenen Gebiet neben der BG. (s. d.) die UV. durch. Ihr Sitz ist Berlin und

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Versicherungspolice — Versicherungssteuer

umfaßt das Halten von Reittieren sowie von Luft- und Landfahrzeugen, soweit diese durch tierische oder elementare Kraft bewegt werden sowie das Halten von Fahrzeugen aus Binnen­ gewässern. Die Reittier- und Fahrzeughaltung der Forstbeamten, die im Interesse des Forst­ dienstes liegt, ist dem Forstbetriebe zuzurechnen (AN. 13, 640). Fuhrwerke, die im Gewerbe­ betrieb Verwendung finden oder gewerbsmäßig verwendet werden, gehören nicht in die V. (AN. 14, 541). Die Versicherung geht auf Kosten der Unternehmer gegen Prämien nach einem Prä­ mientarif. Aus Antrag eines Unternehmers kann für den Entgelt, nach dem die Prämien zu be­ rechnen sind, ein Pauschbetrag nach der durch­ schnittlichen Zahl der jährlichen Arbeitstage fest­ gesetzt werden. Zugleich muß festgesetzt werden, wann die Prämien einzuzahlen sind. Die Un­ ternehmer, die nicht nach einem Pauschbetrag veranlagt werden, haben halbjährlich dem Ge­ nossenschaftsvorstand den Nachweis über die ver­ wendeten Arbeitstage und den gezahlten Entgelt in)der durch Bek. des NBA. vom 23.12.1912 (AN. 1123) festgesetzten Form einzureichen (§§ 838, 839, 842; Bek. des NVA. vom 21. 8. 1922, AN. 367, abgeändert durch Bek. vom 2. 6. 1925, AN. 221). F. H. Versicherungspolice s. Versicherungsschein. BersicherungSrevisor s. Regierungs- und Versicherungsrat. Versicherungsschein ist nach § 3 BVG. die Urkunde über den Versicherungsvertrag. Der Versicherer ist nach § 3 „verpflichtet", dem Ver­ sicherungsnehmer einen B. auszuhändigen. Diese Bestimmung ist aber nicht zwingend, die Annahme des Antrags kann auch ohne nachfolgende Beur­ kundung mündlich erfolgen. Nach der zwingenden Bestimmung des § 81 BVG. muß in der Feuerversicherung die Annahme des Antrags, die in der Regel mit der Aushändigung des V. zusammenfällt, binnen zwei Wochen nach Antragstellung erfolgen. Der B. kann aus den Inhaber ausgestellt werden (§ 4 VVG.). In der Seeversicherung wird er auch an Order gestellt. Eine besondere Form des V. bildet die den Abschluß erleichternde Kuponpolice, die neben der Lebensversicherung auch in der Ein­ bruchdiebstahlsversicherung vorkommt. Vgl. auch Versicherungsagenten. Pf. Versicherungssteuer. I. Die Versicherungen wurden in Preußen bis zum 1. 10. 1913 in Form eines Urkundenstempels besteuert (TSt. 70 LStG.). TNr. 12 des RStempG. vom 3. 7. 1913 (RGBl. 639) führte statt der Stempel­ verwendung Barzahlung der Abgabe ein und schuf einheitliches Recht für die Besteuerung der Versicherungen im Deutschen Reich. Im Nahmen der Reichsfinanzreform von 1922 wurden auch die Versicherungen stärker zur Steuer heran­ gezogen. Nach eingehenden Erörterungen ver­ zichtete man auf Bersicherungsmonopol und Ver­ sicherungszwang und beschränkte sich auf den Ausbau der TNr. 12 RStempG. durch das VersStG. Die früheren Steuersätze wurden erhöht, die Befreiungen eingeschränkt. Das jetzt geltende Recht enthält das VersStG. vom 8. 4. 1922 (RGBl. 400) in Verbindung mit Art. IX der 2. StNotB. vom 19. 12. 1923 (RGBl. I 1223).

Vgl. ferner Verordnungen über die Umstellung der V. auf Goldrechnung vom 28.1.1924 (RGBl. I 38) und 30. 4. 1925 (RGBl. I 67); AusfB. ZBl. 1922, 287. Grundsätzlich sind nunmehr alle Versicherungen der Steuer unterworfen, soweit sie nicht ausdrücklich befreit sind. Im Etat 1927 (Entwurf) ist die V. mit 45 Mill. RM angesetzt. Vorauszuschicken ist, daß verstanden wird unter Versicherer der, der die Versicherung übernimmt (Versicherungsgesellschaft), unter Versicherungs­ nehmer der, der die Versicherung mit dem Ver­ sicherer abschließt, unter Versicherter der, zu dessen Gunsten die Versicherung genommen wird. Ver­ sicherungsnehmer und Versicherter brauchen nicht dieselbe Person zu sein, was z. B. bei Anwendung gewisser Befreiungsvorschriften von Bedeutung sein kann. II. Steuergegenstand sind Versicherungen, die im Inland befindliche Gegenstände betreffen oder mit Versicherungsnehmern abgeschlossen sind, die bei Zahlung des Versicherungsentgelts im Inland ihren Wohnsitz (Sitz) oder dauernden Auf­ enthalt haben (§ 1). Als Versicherung gilt auch die zwischen natürlichen oder juristischen Personen sowie Personenvereinigungen getroffene Verein­ barung, gewisse Verluste oder Schadensverbind­ lichkeiten gemeinsam zu tragen, die den Gegen­ stand einer Versicherung bilden können (§ 2 Abs. 1). Diese Vorschrift soll die sog. Selbst­ versicherung in gewissem Umfang der Steuer unterwerfen. Geschieht die Selbstversicherung in der Form, daß etwa mehrere Unternehmungen eine rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Gesell­ schaft gründen mit dem Zwecke, den Gesell­ schaftern in gewissen Schadensfällen Ersatz zu leisten, so ist eine Versicherung im Sinne des VersStG. anzunehmen, gleichgültig, ob die Gesell­ schafter feste Beiträge zahlen oder im Schadens­ fälle Umlagen erhoben werden und ob die neue Gesellschaft nach dem VersicherungsaufsichtsG. der Beaufsichtigung unterliegt oder nicht. Ge­ schieht die Selbstversicherung in der Art, daß z. B. ein Unternehmen sich nicht gegen Haftpflicht versichert, sondern den Betrag, den es etwa als Versicherungsprämie hätte zahlen müssen, in eine Rücklage überführt, so ist V. nicht zu erheben; diese Art der Selbstversicherung ist Nichtverficherung, und die etwaige Besteuerung der Rücklage ist Sache der direkten Steuer. Sog. Kautions­ und Bürgschastsversicherungen gelten nicht als Versicherungen im Sinne des VersStG. (§ 2 Abs. 2). Hierher gehören z. B. die Verträge der Hypothekenschutzbanken, durch die sie sich dem Grundstückseigentümer gegenüber verpflichten, für seine Hypothekenschuld zu bürgen. III. Steuermaßstab ist bei der Hauslebens­ versicherung (Versicherung baulicher Schäden in­ folge natürlicher Abnutzung und elementarer Er­ eignisse außer Feuersgefahr) und der Hagel­ versicherung die Versicherungssumme. Die Steuer beträgt jährlich 20 Pf. für je 1000 RM der Versicherungssumme oder einen Bruchteil dieses Betrags (§ 3 Abs. 1). Wegen des Steuer­ ersatzes für Zeiträume unter einem Jahr f. § 3 Abs. 2. Die übrigen Versicherungen werden nach dem Versicherungsentgelt (Prämie, Beitrag, Umlage u. dgl.) besteuert. Der Steuersatz (§§ 5, 6) beträgt in Prozenten des Versicherungs­ entgelts bei der

Versicherungssteuer

1. Einbruchsdiebstahlversicherung ... 10% 2. Glasversicherung....................................... 10% 3. Viehversicherung einschl. der Schlacht­ viehversicherung ................................... 2% 4. Transportversicherung (Waren-, Va­ loren-, Transportmittel- und sonstige Versicherungen mit Ausnahme der unter 5 genannten) .......................... 3% 5. Kasko- (Schisfsgefäß-), Schiffbaurisi­ ken-, Luftfahrzeugversicherung ... 2% 6. Lebensversicherung (Kapital- und Rentenversicherung auf den Todes­ oder Lebensfall), Kranken-, Jnvaliditäts-, Alters-, Witwen-, Waisen-, Aus­ steuer-, Militärdienst-, Sparversiche­ rung u. dgl................................................ 2% 7. Unfallversicherung................................... 5% 8. Unfallversicherung mit Prämienrück­ gewähr .................................................... 3% (Verordnung vom 21. 3. 1923, RGBl. I 216). 9. Haftpflichtversicherung. ...... 5% 10. Baurisikenversicherung mit Ausnahme der unter Ziff. 4 und 5 genannten . 3% 11. Feuerversicherung (Versicherung gegen Brand, Explosion oder Blitzgefahr u. dgl.)......................................................... 4% 12. Einheitsversicherung (einheitliche Ver­ sicherung beweglicher Sachen gegen eine Vielheit von Gefahren) .... 10% (§ 6 Abs. 1 Halbsatz 2.) 13. Andere als die vorstehend genannten Versicherungen....................................... 5% (§ 6 Abs. 1 Halbsatz 1.) § 7 Abs. 1 regelt die Besteuerung der kombi­ nierten Versicherungen, bei denen mehrere, verschiedenen Steuersätzen unterliegende Ver­ sicherungen in einem Versicherungsvertrag zufammengefaßt sind, z. B. kombinierte Feuer- und Einbruchsdiebstahlversicherung. Ist in solchem Falle die Prämie für jeden Versicherungszweig besonders angegeben — und zwar in dem Ver­ sicherungsvertrag, dem Versicherungsschein, nicht nur in den Registern des Versicherers (RFU. vom 18. 6. 1926, IIA 276, RStBl. 233) —, so ist für jeden Versicherungszweig der vorgeschrie­ bene Steuersatz besonders anzuwenden. Ist die angegebene Trennung nicht vorgenommen, so beträgt die Steuer 10% des ungetrennten Ver­ sicherungsentgelts. Von der Kombination mehre­ rer Versicherungen in einem Vertrage ist zu unterscheiden die Versicherung gegen eine Viel­ heit von Gefahren in Form einer selbständigen Versicherung eigener Art gegen ein einheitliches Versicherungsentgelt; hier wird meistens einer der Steuersätze unter Nr. 12 oder 13 anzuwenden sein. Versicherungen von Vieh gegen Feuersgefahr sind als Feuerversicherungen mit 4% zu versteuern, sofern sie nicht mit einer sonstigen Viehversicherung verbunden sind (§ 7 Abs. 2). Im Betriebe der Landwirtschaft und Gärtnerei genommene Versicherungen von Glasdeckungen über Bodenerzeugnissen gegen Hagelschaden sind als Hagelversicherungen, nicht als Glasversicherungen zu versteuern (§ 7 Abs. 3). Gelegentlich wird, insbesondere bei der sog. un­ beaufsichtigten Abonnentenversicherung, eine Versicherungsleistung neben einer anderen Leistung ohne ein gesondertes Versicherungs­

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entgelt vereinbart; in diesem Falle ist die Steuer nach der gewährten Versicherungsleistung unter Verdoppelung des zutreffenden Steuersatzes zu erheben (§7 Abs.4). Bei der beaufsichtigten Abon­ nentenversicherung, bei der ein Zeitschristen­ verlag mit einem Versicherer eine Versicherung zugunsten seiner Abonnenten abschließt und dem Versicherer ein vereinbartes Versicherungsentgelt zahlt, unterliegt dieses dem einfachen Steuersatz. IV. Bon der Steuer sind befreit (§ 8): 1. Lebensversicherungen, bei denen die Versiche­ rungssumme 500 RM oder die versicherte Jahres­ rente 60 RM nicht übersteigt. Steht die Rente bei Zahlung des Versicherungsentgelts noch nicht fest, so ist die Befreiung nicht anzuwenden. Bei mehreren von einem Versicherungsnehmer bei demselben Versicherer abgeschlossenen Versiche­ rungen sind die versicherten Beträge zusammen­ zuzählen; 2. Rückversicherungen; 3. die gesetz­ lichen Sozialversicherungen nach näherer Vor­ schrift des § 8 Ziff. 3; 4. Krankenversicherungen, wenn freie ärztliche Behandlung, Heilmittel u. dgl. gewährt werden und das Krankengeld 4 RM für den Tag nicht übersteigt; 5. Arbeitslosen- und Stellenlosigkeitsversicherungen; 6. Versicherungen von Vieh aus kleinen Viehhaltungen, wenn die Versicherungssumme den Wert von zwei Milchkühen mittlerer Art nicht übersteigt (§ lc der V. über Änderung der Befreiungsgrenzen im VersStG. vom 14. 6. 1923, RGBl. I 419); 7. Aufruhrversicherungen; 8. Versicherungen bei Pensions-, Witwen- und Waisenkassen auf Grund des Arbeitsvertrags. Bei Rentenversicherungen, bei denen die versicherte Jahresrente 600 RM nicht übersteigt, wird die Steuer erstattet (oder vor Zahlung erlassen: § 25 Abs. 3 AusfB.), so­ fern der Versicherungsnehmer über 60 Jahre alt oder erwerbsunfähig oder nicht bloß vorüber­ gehend verhindert ist, seinen Lebensunterhalt durch eigenen Erwerb zu bestreiten (§ 9). Wird infolge vorzeitigen Aushörens der Versicherung oder infolge Herabminderung der Versicherungs­ summe oder des Versicherungsentgelts dieses ganz oder zum Teil zurückvergütet, so ist auf Antrag die Steuer insoweit zu erstatten, als sie nicht zu erheben gewesen wäre, wenn der Eintritt der vorbezeichneten Umstände von vornherein fest­ gestanden hätte (§ 17). V. Die Steuerschuld entsteht mit der Zah­ lung des Versicherungsentgelts. Steuerschuld­ ner ist der Versicherungsnehmer. Er zahlt die Steuer, die als Teil des Versicherungsentgelts gilt (§ 12 Abs. 3), an den Versicherer oder dessen Bevollmächtigten. Diese haben die Steuer auf Grund von Steueraufstellungen (s. unten) an das FA. zu entrichten. Haben sie im Inland keinen Wohnsitz (Sitz), so hat der Versicherungs­ nehmer die Steuer zu entrichten (§ 15). Gewöhn­ lich wirft der Versicherer die Steuer neben dem Versicherungsentgelt besonders aus; dann ist die Steuer für die einzelne Versicherung auf 10 Pf. nach oben abzurunden. Bei Versicherungen, die nach dem Versicherungsentgelt und dem gleichen Satze zu versteuern sind, kann der Ver­ sicherer die Steuer in das Versicherungs­ entgelt einrechnen und sie alsdann von dem gesamten an ihn gezahlten Versicherungsentgelt nach der in § 16 der AusfB. angegebenen Formel in einer Summe berechnen. Für die Hagelver-

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Bersicherungsträger — Versrcherungsvereine ohne Rechtsanspruch

sicherung kann der RFM. gestatten, daß die Steuer nach der Gesamtversicherungssumme be­ rechnet wird (§ 13). In Fällen, in denen die Festsetzung der Steuer schwierig ist, kann Ab­ findungsversteuerung genehmigt werden (zu­ ständig bis 100 RM Steuer jährlich das FA., darüber das LFA.). Ausländische Werte sind nach den monatlich für die Umsatzsteuer bekannt­ gegebenen Umrechnungssätzen in Reichsmark um­ zurechnen (§ 1 Zifs. lb der V. vom 28. 1. 1924). VI. Die Versicherer haben dem FA. anzu­ zeigen, ob sie die Erfüllung der Steuerp flicht selbst übernehmen oder den zur Empfangnahme von Prämienzahlungen ermächtigten Personen (Bevollmächtigten) übertragen. Die Versicherer, ihre Bevollmächtigten und Personen, die gewerbs­ mäßig Versicherungen vermitteln, unterliegen der Steueraufsicht (§§ 31 ff. AusfB.). Die Ver­ sicherungsaufsichtsbehördenhaben die unter ihre Aufsicht gelangenden steuerpflichtigen Ver­ sicherer den für diese zuständigen FA. mitzu­ teilen. Die Versicherer oder seine Bevollmächtigten haben die im Lause eines Monats an sie ge­ zahlten Versicherungsentgelte in ein Versiche­ rungssteuerbuch einzutragen, dieses mit einer die Eintragungen zusammenfassenden Nach Wei­ sung dem FA. bis zum Schluß des folgenden Monats vorzulegen und zugleich den Steuer­ betrug zu zahlen. Das FA. setzt nach Prüfung die Steuer fest. Auf Antrag kann das FA. zu­ lassen, daß an Stelle des Versicherungsteuer­ buchs die von dem Versicherer geführten Bücher oder Listen (z. B. Bersicherungsverzeichnisse, Prämien-, Stornoregister) verwendet werden. Hierbei kann die Aufstellungszeit bis zu drei Monaten, bei der Hagelversicherung bis zu sechs Monaten verlängert werden. Auch kann zugelassen werden, daß die Steuer nach dem Sollbetrage des Versicherungsentgelts, bei der Hagelversicherung nach dem Sollbetrage der Versicherungssumme, bemessen und die Steuer für nicht eingegangene Zahlungen in einer der nächsten Aufstellungen abgesetzt wird (§ 12 AusfB.). Weniger üblich ist das jährliche Ab­ rechnungsverfahren (§ 13 AusfB.). Gegen die Steuerfestsetzung des FA. ist das Berufungs­ verfahren gemäß § 218 AO. gegeben. Wh. Erläuterte Handausgaben des Versicherungsteuergesehes von Dr. Zeine (Carl Heymanns Verlag), von Dr. Berliner (Verlag Bensheimer), Art. Besteuerung im Versicherungs­ lexikon von Manes; Mirre in Strutz, Handbuch des Steuerrechts iooi.

Bersicherungsträger. Unter V. werden die öffentlichen Körperschaften verstanden, denen die Durchführung der Vorschriften der Gesetze über die Sozialversicherung (s. d.) übertragen ist. Als Träger der Reichsversicherung bezeichnet § 3 RVO. für die Krankenversicherung die KK., für die Un­ fallversicherung die BG. und für die Invaliden­ versicherung die Bersicherungsanüalten. Diese Begriffsbestimmung ist, da sie zu einer Zeit ge­ faßt worden ist, als es weder eine Angestellienversicherung noch eine Reichsknappschaftsversiche­ rung oder eine Arbeitslosenversicherung gab, nicht erschöpfend; vielmehr kommt für die Angestellten­ versicherung die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte gemäß § 93 AVG., für die Reichs­ knappschaftsversicherung die Reichsknappschast ge­ mäß § 7 RKG. und für die Arbeitslosenversiche­ rung die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und

Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 ArbeitslosenVG. in Frage. KK. im Sinne der RVO., also V., sind nach § 225 RVO. die Ortskrankenkassen, die Landkrankenkassen, die Betriebskrankenkassen und Jnnungskrankenkassen, nicht aber die Reichs­ knappschaft, soweit ihr die Durchführung der Krankenversicherung obliegt, und die Seekranken­ kasse, der die Durchführung der Krankenversiche­ rung obliegt. Auch die Ersatzkassen (s. d.) gehören nicht zu den KK., obwohl die Mitgliedschast bei ihnen von der Zugehörigkeit zu den V. befreit. Für die Träger der Reichsversicherung im Sinn des § 3 RVO. sind in den §§ 4 bis 34 RVO. allgemeine Vorschriften vorgesehen, die sich auf die Rechtsfähigkeit, die Organe, die Ehrenämter, das Vermögen uud die Aufsicht beziehen. Für einzelne B. sind in den nachfolgenden Büchern der RVO. ergänzende oder abweichende Vorschrif­ ten vorgesehen, die bei Anwendung der Vorschriften in den 88 4 bis 34 RVO. zu berücksichtigen sind. Zu beachten ist jedoch, daß diese Vorschriften nur zum Teilauch für die V. außerhalb derRVO. gelten, weil dieRegelunv in den anderen Gesetzen der Sozialver­ sicherung nicht so erschöpfend ausgestaltet ist. F. H. Versicherungsunternehmungenj (private). Der Bersicherungsgedanke ist in Deutschland viele Jahr­ hunderte alt, aber erst zu Anfang des 19. Jahr­ hunderts von den größeren, zum Teil heute noch bestehenden V. nutzbar gemacht worden. Die Beaufsichtigung der B. erfolgt nach Maßgabe des Versicherungsaussichtsgesetzes (s. d.). Neu entstehende V. können nicht beliebige Gesell­ schaftsformen wählen, sie sind vielmehr gemäß 8 6 Abs. 2 VAG. gehalten, für den Betrieb der verschiedenen Arten der Lebensversicherung, der Unfall-, Haftpflicht-, Feuer- und Hagelversiche­ rung die Rechtsform des Bersicherungsvereins aus Gegenseitigkeit (s. d.) oder der Aktien­ gesellschaft anzunehmen. Für die übrigen Ver­ sicherungszweige sind keine besonderen Vorschrif­ ten erlassen. Nur bedürfen Unternehmungen, welche die Versicherung nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit betreiben wollen, ohne Rücksicht auf den Geschäftszweig der Rechtsform des Ber­ sicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (8 6 Abs. 1 BAG.). Aktien- und Gegenseitigkeitsprinzip, ur­ sprünglich sich schroff entgegenstehend, haben sich im Laufe der Jahre mehr und mehr genähert, in­ dem die Aktiengesellschaften, wenigstens in der Lebensversicherung, eine weitgehende Gewinn­ beteiligung der Versicherten eingesührt haben und bei den Gegenseitigkeitsvereinen auch Versiche­ rungen gegen feste Prämien abgeschlossen werden können. Für ausländische B. gelten dieselben Vorschriften wie für inländische, mit den aus 88 86—91 BAG. sich ergebenden Abweichungen. Sie müssen im Jnlande einen Hauptbevollmäch­ tigten bestellen, der sie sowohl den Behörden als den Versicherten gegenüber vertritt (88 86 Ziff. 3, 87—89). Die Aufsicht über letztere führt aus­ nahmslos das Reichsaussichtsamt für Privat­ versicherung (8 91). V. unterliegen nach der V. vom 5. 2.1919 (RGBl. 176) den Vorschriften über Sonntagsruhe im Handelsgewerbe (s. d.). Pf.

BersicherungSvereine ohne

Rechtsanspruch.

Nach der Vorschrift des 8 1 Abs. 2 BAG. sind als Versicherungsunternehmungen im Sinne dieses G. solche Personenvereinigungen nicht anzusehen, die ihren Mitgliedern Unterstützung gewähren,

Versicherungsvertragsgesetz (VVG.) — Versorgungsanwärter

ohne ihnen einen Rechtsanspruch darauf einzu­ räumen. Nach der Rechtsprechung der oberen Gerichte ist ein Rechtsanspruch im Sinne des VAG. nur gegeben, wenn den Mitgliedern nach der Verfassung des Vereins der ordentliche Rechtsweg oder zum mindesten ein Schiedsver­ fahren vor einem den Vorschriften der ZPO. ent­ sprechenden Schiedsgericht ossensteht. Ausschluß des Rechtsanspruchs ist aber selbst bei ausdrück­ licher Satzungsbestimmung nicht anzunehmen, wenn die übrigen Bestimmungen durch Aus­ drücke wie Berechtigte, Anspruchsberechtigte, Ver­ sicherung, Entschädigungsleistung u. a. dazu an­ getan sind, die Mitglieder in den Glauben zu versetzen, daß sie Rechtsanspruch auf die Lei­ stungen des Vereins erworben hätten. Ausschluß des Rechtsanspruchs zum Schein und dadurch verursachte Nichtigkeit (§ 117 BGB.) liegt nur dann vor, wenn Einigkeit zwischen Vorstand und Mitgliedern darüber besteht, daß ein Rechts­ anspruch trotz der entgegenstehendert Satzungs­ bestimmung tatsächlich gewährt werden soll. Pf. BersicherungsvertragSgesetz (BBG.). Die pri­ vatrechtliche Seite der Versicherung ist reichs­ gesetzlich erschöpfend geregelt durch das G. über den Versicherungsvertrag vom 30. 5. 1908 (RGBl. 263). Das G. enthält teils zwingende Vorschriften, teils solche, die nur mangels einer anderweitigen Abmachung der Parteien zur An­ wendung kommen. Zwingender Art sind nur die­ jenigen Vorschriften, die entweder das G. aus­ drücklich für verbindlich erklärt (z. B. §§ 6, 8, 16—29, 37—41), oder bei denen sich dieser Charakter unmittelbar aus dem Inhalte der Vor­ schrift ergibt (z. B. §§ 4, 13, 15). Das 194 Para­ graphen umfassende G. enthält zunächst Vor­ schriften für sämtliche Versicherungszweige, regelt dann die Schadenversicherung (Feuer-, Hagel-, Vieh-, Transport-, Haftpflichtversicherung), die Lebens- und die Unfallversicherung. Dazu Ein­ führungsgesetz von demselben Tage (RG­ Bl. 305). Keine Anwendung findet das BVG. auf die Seeversicherung und Rückversicherung (§ 186), auf die von I. und JV. errichteten Unterstützungskassen, aus Versicherungsverhält­ nisse bei Berufsgenossenschaften (§ 190), sowie aus die bei öffentlichen Anstalten kraft gesetz­ lichen Zwanges genommenen Versicherungen (§ 192 Abs. 1). Die im G. vorgesehenen Be­ schränkungen der Vertragsfreiheit bleiben außer Anwendung bei der Transportversicherung von Gütern, bei der Kreditversicherung, bei der lau­ fenden Versicherung (§ 187) und den Versiche­ rungen bei öffentlichen Anstalten, soweit sie nicht unter die Vorschrift des § 192 Abs. 1 fallen (das. Abs. 2). Ausnahmen gelten ferner hinsichtlich der kleineren Versicherungsvereine aus Gegenseitig­ keit und der kleinen Lebensversicherung (§ 189). Auf die beim Inkrafttreten des G. bestehen­ den Versicherungsverhältnisse findet das BBG. im allgemeinen keine Anwendung. Uber Ausnahmen hiervon s. Art. 4 u. 3 des EG. Ab geändert ist das VVG. durch das G. vom 20. 12. 1911 (RG­ Bl. 985) im § 190 und durch B. vom 12. 2. 1924 (RGBl. I 65) im § 39. Pf.

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und Schadensversicherung (s. Überversiche­ rung). Oberster Grundsatz jedes Privatversiche­ rungsbetriebes ist, daß die Gesamtheit der vom Versicherer zu leistenden Zahlungen in den berech­ neten Prämien dauernd ihre Deckung findet, und in der richtigen Bemessung dieser Gefahren, des sog. Wagnisses oder Risikos, liegt die eigentliche technische Schwierigkeit der Versicherung. Die Privatversicherung unterscheidet sich dadurch von den öffentlichen Bersicherungseinrichtungen, ins­ besondere den durch die soziale Fürsorgegesetz­ gebung des Reiches geschaffenen, bei denen eine individuelle Prüfung des Risikos entfällt und auch die Beitragslast nicht von den Versicherten allein getragen wird. Die Privatversicherung wird mit geringen Ausnahmen zur Zeit nur von Aktien­ gesellschaften und Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit betrieben (s. Versicherungs­ unternehmungen (private). Unter den ver­ schiedenen Versicherungszweigen stehen an her­ vorragender Stelle die Lebensversicherung und die Feuerversicherung (s. d.). Mit fort­ schreitender wirtschaftlicher Entwicklung bilden sich fortwährend neue Versicherungszweige, so in letzter Zeit u. a. die Hauslebensversicherung (s. d.). In öffentlichrechtlicher Beziehung ist das V. durch das VAG. (s. Versicherungsaufsichtsgesetz) einheitlich geregelt und als Reichsaussichtsbehörde das Reichsaussichtsamt für Privatversiche­ rung (s. d.) eingesetzt. Das VAG. steht, ent­ sprechend der bis dahin in Preußen herrschenden Auffassung, auf dem Standpunkte des Konzes­ sionsprinzips und eingehender staatlicher Beauf­ sichtigung der Unternehmungen. Auch die Be­ steuerung der Versicherungen und Versicherungs­ unternehmungen ist reichsgesetzlich geregelt (s. Versicherungssteuergesetz, Einkommen­ steuer, Vermögenssteuer u. a.). Die privat­ rechtlichen Beziehungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer richten sich jetzt im wesent­ lichen nach dem VVG. (s. Versicherungsver­ trags g es etz). Der Versicherungsgeber heißt Ver­ sicherer; der durch die Versicherung Geschützte, so­ fern er selbst Bertragsgegner des Versicherers ist, Versicherungsnehmer, andernfalls Versicherter. Als Urkunde über den abgeschlossenen Versiche­ rungsvertrag wird in der Regel ein Versiche­ rungsschein (s. d.) ausgestellt. Das für den Ge­ nuß des Versicherungsschutzes von dem einzelnen zu entrichtende Entgelt wird im allgemeinen Prämie genannt. Den Geschäftsverkehr zwischen Versicherer und Publikum vermitteln für gewöhn­ lich Versicherungsagenten (s. d.). Die Statistik des B. gehört zu den Aufgaben des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung. Pf.

BersorgungSanstalt der Deutschen ReichSpost s. Postbehörden.

Versorgungsanwärter. I. Diese Bezeichnung umfaßt diejenigen Personen, welche auf Grund einer Dienstzeit von bestimmter Dauer in der Wehrmacht oder der Schutzpolizei die Aussicht auf Anstellung in gewissen Beamtenstellen erlangen und dabei von der Erfüllung eines Teiles der Vorbedingungen für diese Stellen entbunden sind (früher als Militäranwärter bezeichnet). Sie er­ Hager-Bruck, Versicherungsbeitrag, Berlin 1926. halten einen Versorgungsschein, gewinnen Versicherungswesen (im allgemeinen). Die mit demselben aber kein Anrecht auf Anstellung Versicherung läßt sich ihrem Gegenstände nach und können es auch nicht im Zivilrechtswege in zwei Gruppen scheiden: Personenversicherung geltend machen (RGZ. 110, 268). Auf Grund

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Versorgungsanwärter

des § 11 des WehrrnachtversorgungsG. vom 4. 8. 1921 (RGBl. 993) in der Fassung vom 19. 9. 1925 (RGBl. I 349) sowie § 2 des (in­ zwischen aufgehobenen) SchutzpolizeibeamtenG. vom 17. 7. 1922 (RGBl. I 597) und §§ 33ff. des ReichsversorgungsG. vom 12. 5. 1922 (RGBl. 989), in der Fassung vom 31. 7. 1925 (RGBl. I 166) sind dieAnstellungsgrundsätze vom 26.7. 1922, in neuer Fassung veröffentlicht am 31. 7. 1926 (RGBl. I 435), ergangen; AusfAnw. vom 16. 7. 1923, in neuer Fassung veröffentlicht am 31.7.1926 (RGBl. 445); f. auch PrBesBl. 1926, 213. Diese Grundsätze sind an die Stelle der bis­ herigen Bestimmungen über die Besetzung der mittleren, Kanzlei- und Unterbeamtenstellen bei den Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden (ZBl. 1907, 309) getreten. Zu den Versorgungs­ anwärtern gehören die Inhaber; 1. des auf Grund des § 75 des MilitärpensionsG. vom 27. 6. 1871 (RGBl. 275), § 10 des ErgänzungsG. vom 4. 4. 1874 (RGBl. 25), §§ 15, 16 des MannschaftsversorgungsG. vom 31. 5. 1906 (RGBl. 593), § 30 des WehrmachtsversorgungsG. vom 4. 8. 1921 in der Fassung vom 19. 9. 1925 (RGBl. I 349), sowie des auf Grund des § 1 Abs. 4, 5, 7, 8 der früheren Anstellungsgrundsätze vom 20. 6. 1907 (ZBl. 309) erlangten Zivil­ versorgungsscheins, 2. des auf Grund der §§ 10, 64 des WehrrnachtversorgungsG. er­ langten Zivildienstscheins (ihn erhalten Unter­ offiziere und Mannschaften, welche a) nach min­ destens zwölfjähriger Dienstzeit wegen Ablauf des Vertrags, unzureichender Befähigung oder auf eigenen Wunsch ausscheiden, b) nach min­ destens vierjähriger Dienstzeit wegen körperlicher oder geistiger Dienstuntauglichkeit entlassen wer­ den); 3. des Polizeiversorgungsscheins, der auf Grund des § 2 des SchutzpolizeiG. vom 17. 7. 1922 (RGBl. I 597) und § 29 des G. vom 26. 2. 1926 (RGBl. I 149) betreffend Versorgung der Polizeibeamten des Reichswasserschutzes unter den gleichen Voraussetzungen wie der Zivildienst­ schein verliehen wird; das geschieht nach § 34 des preuß. SchutzpolizeiG. vom 16. 8. 1922 (GS. 251) an Polizeiwachtmeister, die a) nach Ablauf der vertragsmäßigen zwölfjährigen Dienst­ zeit, b) nach vierjähriger Dienstzeit wegen Polizei­ dienstunfähigkeit ausscheiden, sowie an versor­ gungsberechtigte ausscheidende Polizeioffiziere bis zur Besoldungsgruppe Ale einschließlich; 4. des Beamtenscheins, den nach § 33 ReichsversorgungsG. diejenigen aus dem Heeresdienst Ausscheiden­ den erhalten, welche infolge einer Dienstbeschä­ digung als Schwerverletzte anerkannt, ihren früheren Beruf wieder aufzunehmen verhindert und zu Beamten geeignet sind (§ 1 Grundsätze). Die Bestimmungen gelten, soweit es sich um die Besetzung von Beamten-, nicht aber um An­ gestelltenstellen (s. u.) handelt auch für a) die in § 17 des MannschaftsversorgungsG. behandelten Anstellungsanwärter; doch kommen für sie nur die besonders vorgesehenen Stellen in Betracht, und nur dann, wenn Versorgungsberechtigte der oben bezeichneten Art nicht vorhanden sind; b) ehemalige Militärpersonen, denen auf Grund des § 10 Ziff. 2 der früheren Anstellungsgrundsätze vom 20. 6. 1907 Aussicht aus Anstellung im Zivildienst verliehen ist (§§ 2, 5, 42ff der Grund­ sätze). Die den Versorgungsanwärtern vor­

behaltenen Stellen in der Hafen-, Strom- und in ähnlichen Verwaltungen sollen möglichst mit ehemaligen Marineangehörigen, diejenigen im staatlichen oder kommunalen Polizeidienst und der Landjägerei ausschließlich mit früheren An­ gehörigen der Schutzpolizei besetzt werden (§§ 40, 41 der Grundsätze). Sämtliche Vorschriften gelten auch für Offiziere bis einschließlich der Stellen mit Oberstengehalt (§ 61 der Grundsätze). Der bisherige besondere Anstellungsschein für Unter­ beamtenstellen ist fortgefallen (AusfAnw. zu § 2). Die Allsstellung der Versorgungsscheine geschieht durch die über den Versorgungsanspruch ent­ scheidende Behörde (Verzeichnis: AusfAnw. An­ lage 5). Zur Anstellung von V. sind alle Reichs-, Landes- und Kommunalbehörden, Privatbahnen und öffentliche Körperschaften außer Kranken­ kassen, Berufsgenossenschaften und Religions­ gesellschaften bzw. freireligiösen Verbänden ver­ pflichtet. Diese Verpflichtung umfaßt I. von den Beamtenstellen a) diejenigen der Besoldungs­ gruppen A 1—3 (jetzt A 10 teilweise — A 12) mit einfachen Dienstverrichtungen völlig, b) die Kanzlistenstellen zu 75%, c) die sonstigen Stellen der Gruppen A 1—7 (jetzt A 4a teilweise —A 12) zu 50%; ausgenommen sind die Versicherungsanstalt für Angestellte, die Gesandtschaften, Kon­ sulate, die Ministerien (nur hinsichtlich der zu c erwähnten Stellen), und hinsichtlich der Stellen aus Gruppe A 6—7 (jetzt A 4a—A 7), die Ge­ meinden, in welchen nur eine solche Stelle vor­ handen ist, ferner alle Lehrerstellen an öffent­ lichen Schulen und allgemein zugunsten von an­ deren Bewerbern die Fälle des § 44 der Grund­ sätze (§§ 4ff. der Grundsätze und AusfAnw. dazu); II. von den Angestelltenstellen die­ jenigen der Gruppen 3—5 des Reichstariss zu 50%, diejenigen der Gruppen 6 und 7 zu ein Drittel; Behörden mit nicht mehr als drei An­ gestellten und die nach I von der Anstellungs­ pflicht befreiten Körperschaften sind ausgenommen (§§ 68ff. der Grundsätze). II. Verfahren. 1. Die anstellungspflich­ tigen Behörden haben hinsichtlich der Beamten­ stellen Stellenverzeichnisse und Bewerberlisten zu führen. Die Anmeldungen zu derselben sind all­ jährlich zum 1. 12. zu erneuern. Die Festlegung der zu stellenden Anforderungen bedarf der Ge­ nehmigung der Aufsichtsbehörde. Im übrigen kann die Behörde die Vorlegung eines amtlichen Gesundheitsattestes und, nach erfolgter Ein­ tragung, die Ablegung einer Vorprüfung, bei deren Nichtbestehen der Bewerber gestrichen wird, oder an deren Stelle die Vorlegung bestimmter Zeugnisse (s. PrBesBl. 1927, 30) verlangen (§§ 13 bis 32 der Grundsätze). Offene Stellen, für welche kein Bewerber vorhanden ist, werden vom RMdT. in denAnstellungsnachrichten bekanntgegeben und können frei besetzt werden, wenn sich auch daraufhin binnen vier Wochen kein Bewerber mel­ det (§§33—35 a.a. O.). Abgesehen von dienstlichen Gründen, deren Vorliegen von der Aufsichts­ behörde anerkannt sein muß, ist bei der Mnberufung die Reihenfolge in den Bewerberlisten zu beachten. Die erste nach dem 1. 9. 1922 frei­ werdende, und darauf jede fünfte Stelle ist mit einem Schwerbeschädigten zu besetzen. Als solche gelten die Inhaber des Beamtenscheins (s. o.) und diejenigen Anwärter, welche mehr als 50%

Versorgungsbehörden der Vollrente beziehen. Landesangehörige sind bei der Anstellung zu bevorzuhen (§§ 20—28, 34—39 der Grundsätze). Die Besetzungsregeln sind ohne Rücksicht auf die Zahl der derzeitig vorhandenen Beamten oder Angestellten der einen oder anderen Art maßgebend. Die An­ wärter können zunächst auf Probe angestellt, oder vor der Anstellung zu einer Probedienstleistung einberufen werden. Diese Probezeit soll höchstens ein Jahr dauern; doch kann die Probedienst­ leistung bis aus drei Jahre verlängert werden, wenn bei anderen Anwärtern eine ein Jahr über­ steigende Ausbildungs- oder Vorbereitungszeit vorgeschrieben ist. Während der Anstellung auf Probe ist das volle Stelleneinkommen, während der Probedienstleistung eine Vergütung in Höhe von drei Viertel desselben zu gewähren (§§ 47ff.). Die Inhaber des Zivildienst- und des Polizei­ versorgungsscheins sind bezüglich der Festsetzung des Besoldungsdienstalters wie Militäranwärter zu behandeln (f. Besoldung). S. auch Bureau­ beamte, Kanzleibeamte, Unterbeamte. 2. Entsprechende Vorschriften gelten für die Annahme als Angestellter. Eine Probedienst­ leistung kann nicht verlangt werden. Die Aus­ schreibung freier Stellen kann auch in bestimmter einfacherer Form, und ihre freie Besetzung schon nach Ablauf von sieben Tagen nach erfolgter Be­ kanntmachung stattfinden, wenn keine Meldungen eingegangen sind. III. Versorgungsanwärter des Heeres, der Marine und der Polizei haben bei Einstellung (nicht bei Beförderung) von Reichsbahnbeamten für 15% der freien Plätze den Vorrang (§ 25 RBahnG. und I § 7 der Personalordnung der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft). Die „An­ stellungsgrundsätze" (RGBl. 1923 I 651) gelten bis auf weiteres auch für die Reichsbahn. Ly. Versorgungsbehörden. I. Die Organisation und Zuständigkeit der V. ist geregelt im G. über das Verfahren in Versorgungssachen (sog. Verfahrensgesetz) vom 10. 1. 1922 (RG­ Bl. 59), nach wiederholten Änderungen in der jetzt geltenden Fassung bekanntgemacht unterm 20. 3. 1928 (RGBl. I 71), AussB. des RAM. vom 30. 1. und 30. 10. 1922 (ZBl. 79 u. 1013), 19. 11. 1923 (RVBl. 439) und 23. 3. 1928 (RVBl. 41 u. 42), V. der Reichsregierung vom 27. 2. 1924 (RBesBl. 49); s. Reichsversorgungswesen. Die V. entscheiden über die nach den Versorgungs­ gesetzen zu gewährenden Gebührnisse, und zwar werden die Versorgungsgebührnisse im Berwaltungsverfahren von den Verwaltungs­ behörden der Reichsversorgung, nämlich den Versorgungsämtern und Hauptversorgungsäm­ tern, festgestellt. Diese Behörden haben also die Aufgaben, die in der Reichsversicherung den Versicherungsträgern obliegen; sie ver­ treten den Reichsfiskus im Versorgungsver­ fahren. Die Spruchbehörden der Reichsver­ sorgung, nämlich die VersG. und das RVG., sind dagegen gerichtliche Behörden. Ihre Mitglieder, die Vorsitzenden und Beisitzer der Kammern und Senate, sind „bei der Rechtsprechung unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen", insbesondere an Aufträge oder Anweisungen irgendwelcher Art nicht gebunden. In dem vor ihnen statt­ findenden Streitverfahren zwischen den Ver­ sorgungsberechtigten und dem Reichsfiskus sind

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die Verwaltungsbehörden der Reichsversorgung Partei. Streitigkeiten über die nach dem RVG. von den KK. zu gewährenden Leistungen werden in dem in der RVO. vorgesehenen Spruch­ verfahren vom VA., OVA. und RVA. ent­ schieden. Die oberste Leitung des Versorgungs­ wesens hat der Reichsarbeitsminister (§§ 1, 3, 37,90 VerfG.). Außer den Verwaltungsbehörden bestehen noch als „Versorgungsdienststellen" Versorgungskrankenhäuser, Versorgungskuranstal­ ten, orthopädische Versorgungsstellen und ver­ sorgungsärztliche Untersuchungsstellen (§ 1 AusfB.). Die bei den B. tätigen Personen haben über die vermöge ihrer dienstlichen Tätig­ keit ihnen bekannt gewordenen Angelegenhei­ ten, deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich oder dienstlich vorgeschrieben ist, Verschwiegenheit zu beobachten, insbeson­ dere hinsichtlich der gesundheitlichen und wirt­ schaftlichen Verhältnisse der Beteiligten, in Hin­ terbliebenenangelegenheiten auch des Verstor­ benen (§ 2). II. Die Verwaltungsbehörden derNeichsversorgung sind Neichsbehörden. Der NAM. bestimmt Sitz und Bezirk. Ihre Beamten sollen in Anbetracht der weittragenden sozialpolitischen Bedeutung des Bersorgungswesens für ihren Berus besonders vorgebildet sein (§ 4). Dienst­ anweisung für die Verwaltungsbehörden vom 25. 11. 1920 (RVBl. 1921, 9 Nr. 23). Richt­ linien des RAM. über den „Verkehr zwischen den Versorgungsdienststellen und Bersorgungsberechtigten" vom 16. 9. 1925 (RVBl. S. 92 Nr. 138). Die Hauptversorgungsämter sind dem NAM. unmittelbar unterstellt; ihnen unterstehen die Bersorgungsämter. An Orten, die nicht Sitz eines VersA. sind, können nach näherer An­ ordnung des RAM. Versorgungssprechtage ab­ gehalten werden. Die HauptversÄ. leiten das Versorgungswesen für ihren Bezirk und über­ wachen die Gleichmäßigkeit der Gesetzesanwen­ dung. Die VersÄ. erteilen in Angelegenheiten der Reichsversorgung Auskunft (§ 5). III. Spruchbehörden der Reichsver­ sorgung sind die VersG. und das RVG. a) Die Versorgungsgerichte sind bei den OVA. ein­ gerichtet. Sie teilen staatsrechtlich deren Stellung. Gemeinsame VersG. können für den Bezirk mehrerer benachbarter OVA. bei einem von ihnen durch die oberste Landesverwaltungsbehörde oder die beteiligten Landesregierungen errichtet wer­ den (§ 6). Die Dienstaufsicht über das VersG. führt die Dienstaussichtsbehörde für das OVA., in Preußen also der MfV. Der RAM. kann, un­ beschadet dieses Dienstaufsichtsrechts, mit dem VersG. unmittelbar in Verbindung treten, soweit dies zur ordnungsmäßigen Durchführung des Versorgungswesens erforderlich ist (§ 7). Der Vorsitzende des OVA., also der NP. (in Berlin der OP.), ist zugleich der Vorsitzende des VersG., der Direktor des OVA. sein ständiger Stellvertreter mit der Amtsbezeichnung „Direktor des Versorgungsgerichts". Die oberste Landes­ verwaltungsbehörde regelt die Vertretung des Direktors des VersG. und ordnet die Bildung von Kammern an; in Preußen sind diese Auf­ gaben den Vorsitzenden der VersG. übertragen (MErl. vom 10. 4. 1919, HMBl. 131). Nach Bedarf können Kammern außerhalb des Sitzes

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Versorgungsbehörden

des BersG. (sog. abgezweigte oder detachierte Kammern) eingerichtet oder Sitzungen (aus­ wärtige Termine) abgehalten werden. Jede Kammer besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, nämlich einer in der sozialen Für­ sorge erfahrenen und mit dem Versorgungswesen vertrauten Person und einem aus der Wehrmacht ausgeschiedenen Versorgungsberechtigten. In Hinterbliebenenangelegenheiten soll an die Stelle des letzteren eine versorgungsberechtigte Hinter­ bliebene treten. An Stelle des Beisitzers aus der sozialen Fürsorge kann ein „richterlicher Beamter", außer einem richterlichen Mitglied eines ordent­ lichen Gerichts also auch das richterliche Mitglied einer Arbeitsgerichtsbehörde, verwendet werden (§ 10). Den Vorsitz der Kammer führt der Vorsitzende oder der Direktor des VersG. oder ein vom Vorsitzenden dazu bestelltes anderes Mitglied des OVA. Die oberste Landesverwal­ tungsbehörde (der MsV.) kann im Einverständnis mit dem RAM. auch andere Personen, welche die Befähigung zum höheren Justiz- oder Ver­ waltungsdienst besitzen, auf bestimmte Zeit zu Vorsitzenden bestellen. Während dieser Zeit kann die Bestellung solcher Vorsitzender gegen ihren Willen nur widerrufen werden, wenn sie ihren Wohnort verlegen und ihre Heranziehung zu den Sitzungen dadurch wesentlich erschwert wird (§ 11). Die Beisitzer aus der sozialen Fürsorge werden auf Vorschlag der Landessürsorgeverbände (früher der Hauptfürsorgestellen der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenen­ fürsorge) vom MfB. im Einverständnis mit dem RAM. auf die Zeit von vier Jahren bestellt. Es kommen dafür vor allem die bei den genannten Hauptfürsorgestellen und den Fürsorgestellen tätigen Personen in Betracht. Sie sollen be­ fähigt sein, die Berichterstattung und die Abfassung der Urteile zu übernehmen (§ 12). Die Bei­ sitzer aus den Versorgungsberechtigten werden auf Vorschlag der im Bezirk des VersG. vertretenen Verbände von Versorgungsberech­ tigten von den Landesfürsorgeverbänden für je vier Kalenderjahre bestellt; sie sollen im Bezirke des VersG. und mindestens zur Hälfte am Sitzungsorte wohnen (§ 13). In den §§ 15—17 sind die Gründe angegeben, aus denen die Be­ stellung als Beisitzer aus den Bersorgungsberechtigten ausgeschlossen ist oder die Übernahme dieses Amtes abgelehnt werden, ferner eine Entbindung oder eine Enthebung vom Amte durch den Vor­ sitzenden des VersG. verfügt werden kann. Zu den Verhandlungen der Kammern werden diese Beisitzer in einer im voraus für jedes Kalender­ jahr festgesetzten Reihenfolge zugezogen (§ 18). Vor der ersten Verhandlung, an der die Beisitzer teilnehmen, werden sie vom Vorsitzenden der Kammer durch Handschlag auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten verpflichtet (§ 19). Die Ärzte, welche nach Bedarf zu den Verhandlungen als Sachverständige zugezogen werden sollen (Gerichtsärzte), werden, ähnlich wie die Gerichts­ ärzte des OVA. (§ 1686 RVO.), für je vier Ka­ lenderjahre von einer Kammer, die der Vorsitzende bestimmt, ausgewählt (§ 22). Die VersG. haben keinen eigenen Beamtenkörper, ihre Beamten und Angestellten gehören vielmehr sämtlich dem OVA. an und werden wie diese von der obersten Verwaltungsbehörde bestellt (§ 79 RVO.). —

Die Kosten der VersG. tragen die Länder (§ 8). Die Beisitzer erhalten Sitzungsgebühren. Für die Beisitzer aus der sozialen Fürsorge setzt nach § 20 Abs. 2 die oberste Landesbehörde im Beneh­ men mit dem RAM. die Sitzungsgebühren fest. Zufolge Erl. des MfV. vom 10. 8. 1926 er­ halten mit Wirkung vom 1. 4. 1926 ab die Be­ sitzer aus der sozialen Fürsorge einschließlich der richterlichen Beisitzer für die Teilnahme an einer Sitzung 6 RM und für die Vorbereitung der zur Sitzung bestimmten Sachen und für ihre weitere Bearbeitung auf Grund des Ergebnisses der Sitzung eine Vergütung bis zu je 7 RM, zusammen also 20 RM. Die nebenamtlichen Spruchkammer­ vorsitzenden (Personen mit der Befähigung zum höheren Justiz- oder Verwaltungsdienst) erhalten für jede Sitzung eine Gesamtvergütung bis zu 30 RM. Den Beisitzern aus den Versorgungs­ berechtigten wird der Airsfall an Arbeitsein­ kommen in angemessenem Umfange ersetzt. Außerdem erhalten sie Tagegelder wie Reichs­ beamte der Gruppe X bei Dienstreisen und, wenn sie auswärts wohnen, Nbernachtungsgelder und Ersatz der Fahrkosten. b) Das Reichsversorgungsgericht, die oberste Spruchbehörde in Versorgungssachen, ist, im Gegensatz zu den VersG. und zum früheren Reichsmilitärversorgungsgericht, eine selbständige Behörde. Der Präsident des RVA. ist zwar, so­ lange sich das RVG. und das RVA. an demselben Orte befinden, zugleich der Präsident des RVG. Dagegen werden der Vizepräsident des RVG., die Senatspräsidenten und die übrigen Mit­ glieder (Oberregierungsräte und Regierungsräte) vom Reichspr. auf Lebenszeit ernannt, und im Falle des Bedarfs können ständige Mitglieder des RVA. an das RVG. versetzt werden und umgekehrt. Die Mitglieder müssen die Be­ fähigung zum höheren Justiz- oder Verwaltungs­ dienst besitzen (§§ 23—25). Beim RVG. werden Senate, Hilsssenate und ein Großer Senat gebildet. Die Zahl der Hilfssenate darf nicht größer sein als die der ordentlichen Senate (§§ 26, 32). Jeder Senat besteht aus dem Vor­ sitzenden und vier Beisitzern. Den Vorsitz führt der Präsident, der Vizepräsident oder ein Senats­ präsident, im Behinderungssalle der dem Senat angehörende Oberregiernngsrat. Als Beisitzer wir­ ken mit: ein Mitglied des RVG., ein richterlicher Beamter, eine in der sozialen Fürsorge erfahrene, mit dem Versorgungswesen vertraute Person sowie ein aus der Wehrmacht ausgeschiedener Versor­ gungsberechtigter oder eine aus dem Kreise der Hinterbliebenen zu entnehmende Beisitzerin (§27). Die richterlichen Beamten werden vom RAM. in der Regel für die Dauer ihres Hauptamtes be­ rufen, die Beisitzer aus der sozialen Fürsorge vom RAM. für je vier Kalenderjahre bestellt. Die Beisitzer aus den Versorgungsberechtigten werden vom Reichsausschuß der Kriegsbeschädig­ ten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge nach An­ hörung von Verbänden Versorgungsberechtigter für je vier Kalenderjahre bestellt. Hinsichtlich Ausschluß, Ablehnung, Entbindung und Ent­ hebung vom Amte gelten dieselben Vorschriften wie beim VersG. (§§ 28—31). In den „bis auf weiteres" zugelassenen Hilfssenaten dürfen an Stelle von Mitgliedern des RVG. Personen, die die Befähigung zum höheren Justiz- oder Ver-

Versorgungsbetriebe — Versorgungsversahren

waltungsdienst haben, als Hilfsrichter zugezogen werden. Mit dem Vorsitz dürfen Oberregierungs­ räte und im aktiven Dienst oder im einstweiligen oder dauernden Ruhestande befindliche Reichs­ oder Landesbeamte, die zu Hilssrichtern ernannt sind, beauftragt werden, und zwar durch den RAM. auf Vorschlag des Präsidenten des RVG. (§ 32). Die Zuteilung der Vorsitzenden und die Verteilung der Sachen auf die Senate sowie die Heranziehung der Beisitzer zu den Sitzungen wird für bestimmte Zeiträume im voraus geregelt, und zwar durch das aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten, den beiden dienstältesten Senatspräsidenten sowie dem als Beisitzer milwirkenden dienstältesten Mit­ glied des RVG. bestehende „Präsidium" (§ 33). Der Große Senat besteht aus dem Vorsitzenden (dem Präsidenten oder Vizepräsidenten) und acht Beisitzern, nämlich zwei weiteren Mitgliedern des RVG., zwei richterlichen Beamten und je zwei Beisitzern aus der sozialen Fürsorge und aus den Versorgungsberechtigten. Der verweisende Senat entsendet, entsprechend dem in der RBO. (§ 1717 Abs. 2) vorgesehenen Verfahren, eines seiner Mitglieder an die Stelle eines anderen Mit­ gliedes derselben Gruppe (§ 34). Zur Erörterung wichtiger Angelegenheiten, insbesondere zweifel­ hafter Rechtsfragen, können auf Anordnung des Präsidenten oder Vizepräsidenten Gesamtsitzungen in der im § 35 angegebenen Zusammensetzung stattsinden. v. G. S. Versorgungsversahren.

Bersorgungdbetriebe sind öffentliche Betriebe und Verwaltungen, denen die Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten allgemeinen Be­ darfsgegenständen oder einem allgemeinen Be­ darf dienenden Leistungen obliegen. Der Begriff ist geprägt worden in dem Kampf um die Frage, ob die Unternehmungen der öffentlichen Verbände den gleichen Steuern unterliegen sollen, wie gleichartige private Unternehmungen, oder ob sie, wie das bisher stets der Fäll war, steuerfrei sein sollen. Bei der Reichssteuerreform 1925 wurde die Frage dahin gelöst, daß außer den öffentlichen Betrieben und Verwaltungen, die der Ausübung der öffentlichen Gewalt oder gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen, auch die (an sich dem Erwerb dienenden) öffentlichen Betriebe und Verwaltungen körperschaftsteuerfrei sein sollen, denen die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas oder Elektrizität obliegt oder die dem öffent­ lichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen. Es sind also nur die sonstigen Erwerbsunterneh­ mungen von Reich, Ländern und Gemeinden körperschaftsteuerpflichtig. Das Nähere s. unter Körperschaftsteuer. Bei der Bermögensteuer ist der Begriff der V. nicht verwendet, weil hier die öffentlichen Unternehmungen allgemein, mit einziger Ausnahme der öffentlichen Kreditanstal­ ten, von der Steuerpslicht ausgenommen ge­ blieben sind. Die Preuß. Gewerbesteuer kennt an sich keine dem KörpStG. entsprechende Be­ freiungsvorschrift; nach § 1 preuß. GewStG, sind vielmehr alle stehenden Gewerbe, gleich­ gültig, ob sie sich in Privater oder öffentlicher Hand befinden, gewerbesteuerpflichtig. Tatsächlich sind aber in Preußen die V. gewerbesteuerfrei, da ihnen nach § 2 durch eine weite Auslegung des Begriffs der Gemeinnützigkeit tatsächlich Steuer­ freiheit gewährt worden ist. Ptz.

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Versorgungsversahren. I. Das V., wie es jetzt im zweiten Teil (§§ 37ff.) des VersahrensG. vom 20. 3. 1928 (RGBl. 171) geregelt ist, umfaßt sowohl dos Verfahren bei der Festsetzung der Ver­ sorgungsgebührnisse und Anerkennung von Ge­ sundheitsstörungen als Folge einer Dienstbeschä­ digung durch die Verwaltungsbehörden der Reichsversorgung als das Verfahren bei der Ent­ scheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Fest­ setzungen und Anerkennungen durch die Spruch­ behörden der Reichsversorgung, denen diese Ent­ scheidung an Stelle der früher zuständigen ordent­ lichen Gerichte übertragen ist (s. Reichsver­ sorgungswesen und Bersorgungsbehörden). Die Vorschriften zerfallen demzufolge in solche, die das Spruchverfahren betreffen, und in allgemeine, für beide Verfahrensarten geltende. II. Allgemeine Vorschriften, a) Örtliche Zuständigkeit. Örtlich zuständig ist diejenige Versorgungsbehörde, in deren Bezirk der Ver­ sorgungsberechtigte zur Zeit der Stellung des An­ trags oder der Einlegung der Berufung wohnt. Bei Geltendmachung der Ansprüche Hinter­ bliebener ist der Wohnort der Witwe und, wenn eine solche nicht vorhanden ist, der letzte Wohnort des Verstorbenen oder Verschollenen maßgebend. In Fällen, in denen es eines Antrags nicht be­ darf, ist der Zeitpunkt der Einleitung des Ver­ fahrens maßgebend. Bei einem Wechsel des Wohn­ orts wird die Verwaltungsbehörde des neuen Wohnorts zuständig, sobald die Versorgungsakten an sie abgegeben sind. Es ist also auf eine mög­ lichst nahe räumliche Verbindung des Versorgungsberechtigten mit der Bersorgungsbehörde Bedacht genommen. In Zweifelsfällen trifft der RAM. Bestimmung; er kann auch Ausnahmen zulassen. Die AussB. zu §§ 38, 41 Abs. 1 regeln eine große Zahl von Einzelsällen. Bei Streit über die örtliche Zuständigkeit entscheidet (ent­ sprechend der Regelung im § 1640 RBO.) die übergeordnete Behörde (§§ 38—41). b) Ausschließung und Ablehnung der bei den Versorgungsbehörden mitwirkenden Personen. Die Gründe für einen Ausschluß von der Mitwirkung in Bersorgungssachen über­ haupt und für eine Ablehnung der Mitglieder der Spruchbehörden wegen Befangenheit sind die gleichen wie nach der ZPO. (§§ 41, 42) und der RBO. (§§ 1641, 1643). Ausgeschlossen ist je­ doch auch, wer infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Ausübung des Amtes nicht ge­ eignet ist. Auch das Verfahren bei Ablehnungs­ anträgen — Entscheidung durch die Kammer oder den Senat — sowie bei Beschlußunfähig­ keit der Spruchbehörden infolge Ablehnung von Mitgliedern — Bestimmung einer anderen Be­ hörde durch den RAM. — ist den Vorschriften in der ZPO. (§§ 45, 46) und der RBO. (§§ 1647 bis 1649, 1712) nachgebildet (§§ 42—45). c) Die Parteien und ihre Vertreter. Für Geschäftsunfähige oder beschränkt Geschäfts­ fähige muß ein Vormund oder Pfleger bestellt werden. Bis zur Bestellung eines solchen „gesetz­ lichen Vertreters" können die Versorgungs­ behörden einen „besonderen Vertreter" bestellen. Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, können, ebenso wie nach den Bestimmun­ gen der RBO., selbständig Anträge stellen und Rechtsmittel einlegen. Auch die Bestimmungen

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Versorgungsverfahren

über Bevollmächtigte, Beistände, Vertretung durch Ehegatten und Verwandte ohne Vollmacht ent­ sprechen den Vorschriften für das Verfahren nach der RVO. Der Reichsfiskus wird im Spruch­ verfahren durch die zuständige oberste Reichs­ behörde vertreten. Der RAM. hat die Ver­ tretung für seinen Geschäftsbereich den Haupt­ versorgungsämtern übertragen (§§ 46—49). d) Fristen. Die Bestimmungen über Beginn und Ende von Fristen entsprechen denen der RVO. (§§ 124, 125, 127). Dasselbe gilt von den Bestimmungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 131, 132 RVO.); nur ist die Möglichkeit der Wiedereinsetzung für das V. er­ weitert, indem sie beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch von Amts wegen gewährt werden kann und auf Antrag der Gegenpartei gewährt werden muß (§§ 51—54). e) Zustellungen können in jeder Form ge­ schehen, die den Nachweis der erfolgten Zu­ stellung und ihres Zeitpunktes ermöglicht. Post­ einlieferungsscheine begründen die Vermutung, daß die Zustellung in der ordnungsmäßigen Frist nach der Einlieferung erfolgt ist. Für die Zu­ stellung an Vertreter und Bevollmächtigte sowie für die Benennung von Zustellungsbevollmäch­ tigten bei Aufenthalt im Ausland gelten dieselben Bestimmungen wie für das Verfahren nach der RVO. (§§ 66—58). f) Akteneinsicht ist bereits im Verwaltungs­ verfahren zugelassen, „weil nur so den Beteilig­ ten die Mitwirkung bei der restlosen Aufklärung des Sachverhalts ermöglicht und etwaigem Miß­ trauen gegen die Ordnungsmäßigkeil des Ver­ fahrens und die Übereinstimmung der Begrün­ dung der Entscheidung mit dem Ergebnis der an­ gestellten Ermittlungen wirksam begegnet werden kann" (Begr. S. 35). Die Beteiligten und ihre Vertreter können Einsicht in die Akten nehmen und sich daraus Auszüge und Abschriften selbst fertigen oder gegen Erstattung der Kosten erteilen lassen. Anderen Personen kann die Einsicht mit Einwil­ ligung des Berechtigten, und ohne seine Ein­ willigung dann gestaltet werden, wenn ein recht­ liches Interesse glaubhaft gemacht wird. Ausge­ nommen von der Einsicht sind Entwürfe zu Ent­ scheidungen, Gutachten der Berichterstatter und Schriftstücke, welche Abstimmungen betreffen. Aus besonderen Gründen kann die Einsicht ver­ sagt oder beschränkt werden. Solche Gründe können (nach der Begr.) in der Natur des Leidens (Unheilbarkeit, drohende Geisteskrankheit, Ge­ schlechtskrankheiten usw.) liegen, deren Kenntnis den Beschädigten beunruhigen oder dem An­ denken der Verstorbenen schaden könnte. Ferner sollen ausdrücklich als „vertraulich" erstattete Gut­ achten, Auskünfte usw. von der Bekanntgabe aus­ geschlossen werden (§ 59). g) Beschwerde. Das VerfahrensG. kennt kein besonderes Beschlußverfahren neben dem Feststellungs- und Spruchverfahren; nur inner­ halb dieser Verfahren treffen die Versorgungs­ behörden oder deren Vorsitzende (oder die Leiter einer Beweisverhandlung) Entscheidungen durch Beschluß, z. B. wenn es sich handelt um die Ge­ währung der Akteneinsicht, die Festsetzung von Entschädigungen oder Gebühren des Versorgungs­ berechtigten oder der Zeugen und Sachverständi­ gen, um deren Pflicht zur Aussage und Eides­

leistung, um die Festsetzung von Ordnungsstrafen gegen Parteien, Zeugen usw. wegen Ungebühr und gegen säumige Beisitzer, um Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten in Urteilen. In solchen Fällen ist Beschwerde mit aufschiebender Wirkung binnen einem Monat zulässig. Die Stelle, welche die angefochtene Entscheidung erlassen hat, kann ihr abhelfen. Anderenfalls entscheidet die nächst­ höhere Behörde (in der Reihenfolge: VersA., Hauptversorgungsamt, VersG., Reichsversorgung­ gericht) und bei Beschwerden gegen Entscheidun­ gen des Vorsitzenden oder des Leiters einer Be­ weisverhandlung die Kammer oder der Senat (§§ 61—64). h) Rechtskraft und Wiederaufnahme des Verfahrens. Bescheide der Verwaltungsbehör­ den werden dem Reichsfiskus gegenüber mit der Zustellung rechtskräftig. Im übrigen sind die Entscheidungen der Bersorgungsbehörden inso­ weit rechtskräftig, als sie nicht mehr anfecht­ bar sind. Mit dieser Vorschrift ist das frühere Recht (§ 31 MannschaftsversorgungsG.) ge­ ändert, nach dem die Versorgungsgebührnisse von Amts wegen anders festgesetzt oder entzogen werden konnten, wenn die Militärbehörde zu der Überzeugung gelangte, daß die Voraussetzungen, unter denen die Gebührnisse bewilligt worden waren, den tatsächlichen Verhältnissen nicht ent­ sprochen haben. Bei unrichtigen Bescheiden kann jedoch ein Berichtigungsbescheid erlassen, und zu­ gunsten des Berechtigten kann jederzeit ein neuer Bescheid erteilt werden, in beiden Fällen mit Ge­ nehmigung des Hauptversorgungsamts (§§65,71). Die in § 66 aufgeführten Gründe für die Wieder­ aufnahme eines durch rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenen Verfahrens sind die in den §§ 1722 bis 1725 RVO. angegebenen Anfechtungsgründe (oder die Nichtigkeits- und Restitutionsgründe der §§ 579 u. 580 ZPO.); es kommen jedoch als weitere Gründe hinzu: Irreführung der Bersorgungsbehörden dadurch, daß Tatsachen die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch angegeben oder ver­ schwiegen worden sind (Ziff. 5) und Änderungen in der grundsätzlichen Rechtsprechung des RVG. (Ziff. 12). Über die Wiederaufnahme entscheidet die Stelle, welche die aufzuhebende Entscheidung erlassen hat. Die Vorschriften über die dabei zu beobachtenden Fristen und über das Verfahren (bei unzulässigen Anträgen Verfügung des Vor­ sitzenden, dagegen Anrufung der Kammer oder des Senats) entsprechen im wesentlichen denen der RVO. in den §§ 1727—1733 (§§ 68—70). i) Schutz- und Strafvorschriften. Gegen Beisitzer, die ohne genügende Entschuldigung nicht rechtzeitig zu den Sitzungen sich einsinden oder der Erfüllung ihrer Obliegenheiten in anderer Weise sich entziehen, sind Ordnungsstrafen (bis zu 30 RM, im Wiederholungsfälle bis zu 300 RM und Auferlegung der durch das ordnungswidrige Verhalten verursachten Kosten) vorgesehen (§148). Versorgungsberechtigte dürfen in der Ausübung ihres Amtes als Beisitzer der Spruchbehörden durch ihre Arbeitgeber nicht beschränkt oder in­ folge der Ausübung dieses Amtes benachteiligt werden, und zwar bei Geldstrafe bis zu 1000 RM oder Haftstrafe. Das Fernbleiben von der Arbeit aus Anlaß der Sitzungen der Spruchbehörden gibt, wenn es dem Arbeitgeber ohne schuldhaftes

Versorgungsverfahren Zögern milgeteilt worden ist, keinen Grund zur fristlosen Kündigung (§ 149). Die unbefugte Offenbarung der gesundheitlichen und wirtschaft­ lichen Verhältnisse eines am V. Beteiligten ist mit Geldstrafe bis zu 300 RM oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bedroht (§ 150). k) Sonstige Vorschriften. Die Geschäfts­ sprache vor den Bersorgungsbehörden ist die deutsche. Für die Verhandlungen mit der deut­ schen Sprache nicht mächtigen, mit tauben oder stummen Personen sowie die Zuziehung von Dolmetschern gelten die §§ 187—193 GVG. Der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten ist in Versorgungssachen ausgeschlossen, und zwar ent­ scheiden die Versorgungsbehörden auch über die Rückforderung zu Unrecht erhobener Bersorgungsgebührnisse sowie über den Anspruch des Reichs auf Zurückzahlung einer Kapitalabfindung. Ge­ bühren, außergerichtliche Kosten, Geldstrafen und zurückzuzahlende Kapitalabfindungen werden wie Gemeindeabgaben, also nach Maßgabe der lan­ desgesetzlichen Vorschriften, beigetrieben. Die öffentlichen Behörden sind den Versorgungsbe­ hörden zur Rechtshilfe verpflichtet, die Träger der Reichsversicherung zur Auskunfterteilung. Öffentliche Anstalten und Anstalten öffentlichrecht­ licher Körperschaften müssen den Versorgungs­ behörden auf Verlangen die bei ihnen geführten Krankenpapiere zur Einsichtnahme überlassen, wenn der Versorgungsberechtigte damit einver­ standen ist. Alle gerichtlichen und außergericht­ lichen Verhandlungen und Urkunden, Vollmach­ ten und amtlichen Bescheinigungen sowie Ein­ tragungen im Grundbuch, die zur Durchführung der Versorgungsgesetze erforderlich werden, sind gebühren- und stempelfrei (§§ 72—76). III. Verwaltungsverfahren. Für die Be­ arbeitung und Entscheidung der Versorgungs­ angelegenheiten sind die VersA. zuständig, so­ weit der RAM. nicht die Hauptversorgungsämter für zuständig erklärt. Dies ist geschehen z. B. für alle Angelegenheiten der Kapitalabfindung, für die Neufestsetzung der nach früheren Militär­ versorgungsgesetzen festgestellten Versorgungs­ gebührnisse (sog. Umanerkennung) in Hinter­ bliebenenangelegenheiten, für die Gewährung von Körperersatzstücken und orthopädischen und an­ deren Hilfsmitteln, die Gewährung von Bade­ kuren, die Abrechnung mit den KK. Auch kann der RAM. anordnen, daß Bescheide des VersA. der Zustimmung des HauptversA. bedürfen (§§ 77, 88). Die Anträge in Versorgungs­ angelegenheiten sind schriftlich oder mündlich unter Ausnahme einer Niederschrift beim VersA. zu stellen; Anträge, die bei einer anderen deut­ schen amtlichen Stelle oder einem Träger der Reichsversicherung gestellt werden, sind rechts­ wirksam und an die zuständige Stelle unverzüg­ lich abzugeben. Die zur Begründung eines Leistungsanspruchs erforderlichen Tatsachen und Beweismittel sind anzugeben. Die Verwaltungs­ behörden haben auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken (§§ 78, 79). Der Sachver­ halt ist von Amts wegen aufzuklären, und die Be­ teiligten sind verpflichtet, zur Aufklärung mitzu­ wirken, insbesondere auch über ihre Familien-, Vermögens- und Einkommensverhältnisse Aus­ kunft zu geben und auf Erfordern nach näherer Bestimmung des RAM. amtliche Bescheinigungen

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darüber beizubringen. Zur mündlichen Erörte­ rung der gestellten Anträge, zur ärztlichen Untersuchung und zur Vornahme sonstiger Feststellungen kann das persönliche Erscheinen des Bersorgungsberechtigten oder seine Be­ obachtung in einem Krankenhaus oder einer Heilanstalt angeordnet werden. Leistet er einer solchen Anordnung ohne wichtigen Grund keine Folge, so können aus diesem Verhalten — entsprechend der grundsätzlichen Rechtsprechung in der Sozialversicherung — ungünstige Schlüsse für den geltend gemachten Anspruch gezogen werden, wenn die Anordnung einen dahingehen­ den Vermerk enthält. Versorgungsberechtigten, die solchen Anordnungen Folge leisten oder zu den gedachten Zwecken ohne Aufforderung, aber unter der Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Um­ ständen erscheinen, werden entgangener Arbeits­ verdienst und bare Auslagen — nach Maßgabe der AusfB. zu § 82 vom 2. 11. 1927 und 23. 3. 1928 (RBBl. 77 u. 42) — ersetzt, es sei denn, daß die Anträge unbegründet wären und die An­ tragsteller sich auch nicht in einem entschuld­ baren Irrtum befunden haben. Zur Auf­ klärung des Sachverhalts kann die Ver­ waltungsbehörde Ermittlungen anstellen und Beweis erheben, insbesondere Zeugen und Sach­ verständige vernehmen, Gutachten und amtliche Auskünfte jeder Art einholen, den Augenschein einnehmen und Urkunden beschaffen, nötigen­ falls durch Ersuchen anderer Behörden, und zwar des zuständigen Amtsgerichts, wenn zur Herbei­ führung einer wahrheitsgemäßen Aussage eine eidliche Vernehmung notwendig erscheint oder wenn Zeugen oder Sachverständige einer Vor­ ladung nicht Folge leisten oder ihre Aussage ohne gesetzliche, d. h. die in der ZPO. vorgesehenen Gründe verweigern (§§ 80—85). Die Bescheide sind in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu begründen, schriftlich auszufertigen und den Be­ teiligten zuzustellen. Betrag und Beginn der Leistungen ist sestzustellen, auch die Art der Be­ rechnung ersichtlich zu machen. Der Bescheid muß eine Rechtsmittelbelehrung nebst Fristangabe ent­ halten, widrigenfalls die Rechtsmittelsrist nicht in Lauf gesetzt wird. Nicht anfechtbare Bescheide sollen den Vermerk enthalten, daß ein Rechts­ mittel nicht gegeben ist (§§ 86, 87). Schreib- und Rechenfehler sowie ähnliche offenbare Unrichtig­ keiten sind jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen zu berichtigen (§ 89). IV. Spruchversahren. a) Rechtsmittel sind die Berufung an das BersG., die für den Versorgungsberechtigten gegen die Bescheide der Verwaltungsbehörde, und der Rekurs an das RVG., der sowohl für den Bersorgungsberech­ tigten als den Reichsfiskus gegen die Urteile der BersG. gegeben ist. Die Rechtsmittelfrist beträgt einen Monat, bei Zustellung außerhalb Europas sechs Monate. Eine Berufung, und damit das Spruchverfahren überhaupt,ist nicht zulässig, wenn die Gewährung der Leistungen in das pflicht­ mäßige Ermessen der Verwaltungsbehörden ge­ stellt ist (bei den sog. Kannbezügen). Der Rekurs ist unzulässig, wenn der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit streitig ist, wenn es sich um eine Neufeststellung der Rente wegen Veränderung der Verhältnisse, ferner wenn es sich um Heil­ behandlung, Hausgeld oder Sterbegeld han-

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Versteigerer

beit (es sei denn, baß der ursächliche Zusammen­ hang des Schabens ober des Todes mit einer Dienstbeschädigung streitig ist) unb wenn lebiglich die Entscheidung über Gebühren ober außer­ gerichtliche Kosten angefochten wirb. Der Rekurs ist jedoch zulässig, wenn streitig ist, ob ein Leiben Folge einer Dienstbeschäbigung ist. Hat jeboch bas VersG. bas Leiben für nicht feststellbar er­ achtet, so ist der Rekurs ausgeschlossen, unb zwar auch bann, wenn es sich lebiglich um bie Aner­ kennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Dienstbeschäbigung (Feststellungsklage) handelt. Für Form und Inhalt der Rechtsmittel gelten im wesentlichen gleiche Bestimmungen wie für die Anträge bei den Verwaltungsbehörden der Reichs­ versorgung oder den Versicherungsbehörden (§§90 bis 95). Besonders geregelt ist im § 96 die auf­ schiebende Wirkung. b) Für die mündliche Verhandlung, ihre Vorbereitung, die Beratung, Ab­ stimmung und die Verkündung und Ab­ fassung der Urteile gelten gleiche Vorschrif­ ten wie für das Verfahren vor dem OVA. und dem RVA. in der Unfall- und Invalidenversiche­ rung nach dem 6. Buch der RBO. und den dazu ergangenen AusfB. (den V. über Geschäftsgang und Verfahren der OVA. und des RVA. vom 24. 12. 1911, RGBl. 1095 u. 1083), die zum Teil wörtlich in das VerfahrensG. ausgenommen sind (§§ 97—141); s. Sozialversicherung II. Das Verfahren vor den Spruchbehörden der Reichsver­ sorgung hat folgende Besonderheiten. Der Spruch­ kammervorsitzende des VersG. kann Beisitzer zu Berichterstattern bestellen; Beisitzer aus den Bersorgungsberechtigten sind jedoch zur Übernahme der Berichterstattung nicht verpflichtet. Die Be­ richterstatter haben sich vor der Verhandlung schriftlich zur Sache zu äußern (§ 100). Zum Erlaß von Vorentscheidungen und zur Anstellung von Ermittlungen und Erhebung von Beweis vor der mündlichen Verhandlung ist ihr Einverständ­ nis erforderlich. Vorentscheidungen sind gegen­ über unzulässigen und verspätet eingelegten Rechtsmitteln zugelassen; solche Rechtsmittel sind ohne mündliche Verhandlung durch eine mit Grün­ den versehene Verfügung des Vorsitzenden zu verwerfen. In geeignet erscheinenden Fällen kann auf diese Weise auch eine „unbegründete" Berufung zurückgewiesen werden, und der Rekurs muß durch Verfügung zurückgewiesen werden, wenn ihn der Vorsitzende in Übereinstimmung mit dem Berichterstatter für „offenbar ungerecht­ fertigt" hält. Gegen die Vorentscheidungen kann innerhalb eines Monats die Entscheibung der Kammer ober des Senats angerufen werben. Die Verfügung muß barauf Hinweisen (§ 101). Vertreter gemeinnütziger Rechtsauskunftsstellen unb gemeinnütziger ober wirtschaftlicher Orga­ nisationen können nicht zurückgewiesen wer­ den, wenn sie als Bevollmächtigte oder Bei­ stände auftreten (§ 109). Die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung kann außer aus Gründen des öffentlichen Wohls ober bet Sitt­ lichkeit auch „auf Antrag des Klägers aus beson­ deren Gründen" ausgeschlossen werden (§ 117). Die Urteile der VersG. müssen einen Hinweis auf die Zulässigkeit des Rekurses und die Frist, in der er einzulegen ist, enthalten, widrigenfalls die Rekursfrist nicht in Lauf gesetzt wird (§ 135 Abs. 3).

c) Gebührenpflicht für das Spruchverfah­ ren der Reichsversorgung besteht seit dem 1.4. 1928 nicht mehr (§ 142). d) Ein besonderes Verfahren greift beim Zu­ sammentreffen von Bersorgungsansprüchen und Ansprüchen aus der Unfallver­ sicherung Platz. In Fällen, in denen Dienst­ beschädigungen und Betriebsunfälle in derselben Person Zusammentreffen und Entschädigungen durch die beiderseitigen Spruchbehörden doppelt festgesetzt oder überhaupt abgelehnt werden könn­ ten, entscheidet entweder ein durch zwei nicht­ ständige Mitglieder des NVA. verstärkter Senat des RVG. oder ein durch zwei Beisitzer des RVG. verstärkter Spruchsenat des RVA. end­ gültig, ohne an vorangegangene, selbst rechts­ kräftige Entscheidungen in der Sache gebunden zu sein. Der verstärkte Senat des RVG. ist zu­ ständig, wenn zuletzt eine Versorgungsbehörde sich mit einer solchen Sache befaßt oder sie ent­ schieden hat, der verstärkte Spruchsenat des RVA., wenn zuletzt Träger oder Spruchbehörden der Unfallversicherung in dieser Weise tätig waren (§§ 146, 147, 151). v.G. Kaufmann u. Fuisting, Das G. über das Verfahren in Bersorgungsfachen, 1922; v. Olshausen u. SchulteHolthaufen, Verfahren in Bersorgungsfachen, 1926.

Versteigerer. B. ist, wer gewerbsmäßig Ver­ steigerungen fremder Sachen vornimmt. Perso­ nen, die Versteigerungen eigener Waren für eigene Rechnung in Ausübung ihres Handels­ gewerbes vornehmen, sind keine V., sondern Ver­ käufer an den Meistbietenden (KGJ. 28 C 36; OLG. Köln vom 25. 5. 1903, Reger ErgBd. 3, 239; a. M.: OLG. Celle vom 18. 1. 1904, GoltdArch. 52, 433; OLG. Kiel vom 2. 6. 1903, DIZ. 1903, 568). Auch Abwärtsversteigerer sind V. Der Gewerbebetrieb eines B. ist ein freier. Bei Eröffnung des Betriebs ist nach § 35 Abs. 6 GewO, eine besondere Anzeige bei der OPB. (Zifs- 7 der AussAnw. zur GewO, vom 1.5.1904, HMBl. 123) erforderlich. Der Gewerbebetrieb kann untersagt werden (s.UntersagungvonGewerbebetrieben).V. können beeidigt und öffent­ lich angestellt werden (s. Beeidigung und Öffentliche Anstellung). Nur die beeidigten und öffentlich angestellten V. sind befugt: a) ge­ werbsmäßig Immobilien zu versteigern (§ 35 GewO.), eine Befugnis, die durch § 313 BGB. wesentlich beeinträchtigt worden ist; b) öffentliche Versteigerungen im Sinne des § 383 Abs. 3 BGB. abzuhalten; c) öffentliche Verpachtungen an den Meistbietenden vorzunehmen (Zisf. 2 der Vor­ schriften v. 10.7.1902, HMBl. 279; Erl. v. 25.10. 1902, HMBl. 379; KG. vom 20.6.1907, GewArch. 7,95). Eine besondere Stellung nehmen die vereidigten und öffentlich angestellten B. in Ost­ sriesland, Harlingerland und im RegBez. Osna­ brück ein. Diese sind nicht beeidigte B. im Sinne des § 36 GewO., sondern Beamte, die zur Be­ urkundung von Grundstücksverkäufen gemäß Art. 142 EGBGB. in Verb, mit §§ 313, 873 Abs. 2 BGB. befugt sind (Art. 125 PrFGG.). Ihre dienstliche Stellung und das von ihnen zu beachtende Verfahren sind auf Grund des Art. 126 a. a. O. durch die Vorschriften vom 19. 7. 1902 (HMBl. 303), abgeändert durch Erl. vom 20. 7. 1921 (HMBl. 173), geregelt. S. auch GebührenO. vom 27. 7. 1925 (HMBl. 201). Für die

Versteigerungen

übrigen B. sind die aus Grund des § 38 GewO, erlassenen Vorschriften über den Umfang der Befugnisse und Verpflichtungen sowie über den Geschäftsbetrieb der B. vom 10. 7. 1902 (HMBl. 279) maßgebend. Für die V. in Markt­ hallen gelten die besonderen Vorschriften vom 11.7.1902 (HMBl. 293). Alle Personen, welche gewerbsmäßig Auktionen abhalten, unterliegen der ordentlichen'.Stempelrevision; s. Stempel­ steuer unter IIg. F. HVersteigerungen. I. Bewegliche Sachen. 1. Allgemeines. Die Gesetzgebung unterscheidet zwischen freiwilligen und öffentlichen (freiwillig­ öffentlichen) V. Freiwillige V. werden aus freier Entschließung des Verfügungsberechtigten ohne vom Gesetze vorgeschriebene Förmlich­ keiten abgehalten. Öffentliche V. sind V. in den Fällen, in denen das G. einen Berechtigten er­ mächtigt, bewegliche Sachen oder Wertpapiere zum Zwecke seiner Befriedigung oder für Rech­ nung eines anderen öffentlich zu versteigern. 2. Freiwillige V. können von jedermann vorgenommen werden; wer gemerbsmäßig solche V. abhält, ist Versteigerer (s. d.); er muß die Vorschriften im Abschn. I, II der Vorschriften vom 10. 7. 1902 (HMBl. 279), abgeändert durch Erl. vom 12. 12. 1927 (HMBl. 449), die rechtsgültig sind (OVG. 50, 376), befolgen. Dies gilt auch für Abwärtsversteigerungen (Erl. vom 13. 5. 1905, HGBl. 123). Nach § 56c GewO, ist das Ver­ steigern von Waren im Umherziehen verboten. Ausnahmen kann die OPB. bei leicht verderblichen Waren zulassen (Zisf. 73 der AusfAnw. zur GewO.). Eine besondere Art der freiwilligen B. ist die öffentliche Verpachtung eines Grundstücks, einer Fruchtnutzung, eines nutzbaren Rechts usw. an den Meistbietenden, d. i. die im Wege der V. sich vollziehende Begründung eines Pachtver­ hältnisses im Sinne des § 581 BGB. (Erl. vom 25. 10. 1902, HMBl. 379). Zur Vornahme dieser Verpachtungen sind nur die beeidigten und öffentlich angestellten Versteigerer (s. d.) befugt (Vorschriften Ziff. 2; KG. vom 20. 6. 1907, GewArch. 7, 95); das Verfahren ist in Abschn. III der Vorschriften geregelt. Einzelne Behörden und Beamte sind durch G. ermächtigt, freiwillige V. abzuhalten; Gerichtsvollzieher dürfen nach § 74 AGGVG. freiwillige V. von Mobilien, Früchten auf dem Halm und von Holz auf dem Stamme vornehmen und nach Art. 130IX PrFGG. öffentlich an den Meistbietenden verpachten (§ 126 Geschäftsanweisung vom 24. 3.1914, JMBl. 343). Die Amtsgerichte und Notare sind befugt, frei­ willige V. beweglicher Sachen vorzunehmen. Der JuM. kann die Amtsgerichte anweisen, V. nur unter bestimmten Voraussetzungen abzuhalten (Art. 31 PrFGG.). Das Verfahren ist nicht ge­ regelt. Im Gebiete des ALR. sind die Dors­ gerichte (s. d.) zuständig, öffentliche Verpach­ tungen an den Meistbietenden vorzunehmen, wenn sie hierzu vom Amtsgericht allgemein er­ mächtigt worden sind (Art. 109 PrFGG.). Das Verfahren ist in § 58 der Allg. Vf. vom 20. 12. 1899 (JMBl. 806) geregelt. Unter denselben Voraussetzungen können nach Art. 122—124 a. a. O. in Verb, mit V. vom 20. 12. 1899 (GS. 640) die Ortsgerichtein denOberlandesgerichtsbezirken Frankfurt und Kassel öffentliche Ver­ pachtungen an den Meistbietenden vornehmen.

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Das Verfahren ist in den §§ 46ff. des Erl. vom 28. 12. 1899 (JMBl. 889) geregelt. V. sind nach Zisf. 3 des Tarifs zum PrStempG. (GS. 1924, 627) stempelpflichtig. 3. Öffentliche B. Im Wege öffentlicher V. sind zunächst die im Wege der gerichtlichen Zwangs­ vollstreckung oder des Verwaltungszwangsver­ fahrens gepfändeten beweglichen Sachen zu ver­ steigern. Die V. sind durch einen Gerichtsvoll­ zieher oder Vollziehungsbeamten zu bewirken (§§ 814ff. ZPO.; §§ 26ff. V. vom 15. 11. 1899, GS. 545). Sonstige Fälle öffentlicher V. finden sich in den §§ 383, 489, 966, 979, 1003, 1219, 1235, 2042 BGB. und in den §§ 220, 290, 368, 371, 373, 376, 379, 388, 391, 397, 398, 407, 410, 417, 421, 440, 623 usw. HGB. Öffentliche V. dürfen nach § 383 Abs. 3 BGB. nur vorgenom­ men werden von beeidigten und öffentlich an­ gestellten Versteigerern (s. d.), Gerichts­ vollziehern oder zu V. befugten anderen Beamten. Dazu gehören die Dorfgerichte im Gebiete des ALR. nach Art. 109 FGG. vom 21. 9. 1899 (GS. 249), die Ortsgerichte in den Oberlandesgerichtsbezirken Kassel und Frankfurt a. M. nach Art. 122—124 a. a. O. in Verb, mit Allg. Vf. vom 20.12.1899 (GS. 640) sowie die öffentlichen Behörden und Verkehrs­ anstalten des Reiches, der Länder und der Ge­ meinden hinsichtlich der Fundsachen (s. d.) nach § 979 BGB. Das Verfahren bei Vornahme öffentlicher V. ist für die beeidigten und öffentlich angestellten Versteigerer in den Vorschriften vom 10. 7. 1902 Abschn. IV, V (HMBl. 279), für die beeidigten Versteigerer in Ostfriesland, Harlinger-land und im RegBez. Osnabrück in den Vor­ schriften vom 19. 7. 1902 Abschn. V, VI (HMBl. 303), für Gerichtsvollzieher in der Geschäftsan­ weisung vom 24. 3. 1914 (JMBl. 343), für Dorf­ gerichte in den §§ 34—57 der Erl. vom 20. 12. 1899 (JMBl. 806), für die Ortsgerichte in der Allg. Vf. vom 28.12.1899 (JMBl. 889) geregelt. Beurkundungen von B. der nicht zu den unbeweg­ lichen Sachen gehörigen Gegenstände durch öffent­ liche Beamte, sofern diese nicht als Vertreter der Korporation, in deren Dienst sie angestellt sind, handeln, sind mit x/a% des Gesamterlöses nach Abzug der Kosten zu versteuern (TSt. 9 Pr­ StempG.). Wegen der Haftung für den Stempel s. § 13c a. a. O. II. V. unbeweglicher Sachen. 1. Frei­ willige B. Zur Vornahme freiwilliger V. von Immobilien sind nach § 35 GewO, von den ge­ werbsmäßigen Versteigerern nur die auf Grund des § 36 GewO, beeidigten und öffentlich an­ gestellten befugt (s. Versteigerer). Die Be­ fugnis ist aber beeinträchtigt durch 8 313 BGB., wonach ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstücke zu übertragen, der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung bedarf und ohne eine solche erst durch Auflassung und Eintragung in das Grund­ buch Gültigkeit erlangt. Eine Sonderstellung nehmen hier die beeidigten Versteigerer in Ost­ friesland, Harlingerland und im RegBez. Osna­ brück ein, die als Beamte auf Grund des Art. 142 EGBGB. durch Art. 125 PrFGG. zur Beur­ kundung von Grundstücksversteigerungen ermäch­ tigt worden sind. Für diese ist das Verfahren in den Vorschriften vom 19. 7. 1902 Abschn. II

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Versteigerungskommissare — Verunglückte

(HMBl. 303; JMBl. 197) geregelt. Gerichts­ vollzieher dürfen Grundstücke nicht versteigern. Dagegen sind Amtsgerichte und Notare befugt, freiwillige V. unbeweglicher Sachen vorzunehmen. Das Verfahren ist für die Gerichte durch Abschn. V PrFGG. geregelt; für Notare fehlt eine solche Regelung. Den Gerichtsschreibern kann von den Amtsgerichten, die hierzu vom JuM. ermäch­ tigt worden sind, mit Zustimmung der Beteilig­ ten die Vornahme und Beurkundung einer frei­ willigen Grundstücksversteigerung, die außerhalb der Gerichtsstelle erfolgen soll, übertragen werden (Art. 38 Abs. 3 PrFGG.). Die Ortsgerichte in den Oberlandesgerichtsbezirken Kassel und Frank­ furt a. M. sind nach Art. 111, 122 a. a. O. zur Vornahme und Beurkundung freiwilliger öffent­ licher V. von Grundstücken befugt. Das Ver­ fahren ist in den §§ 69—83 der Allg. Vf. vom 28. 12. 1899 (JMBl. 889) geregelt. 2. Zwangsversteigerungen s. d. F. H. Bersteigerungtzkommisfare wurden früher die von den Behörden angestellten Versteigerer genannt. Man unterschied zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen B. Die gerichtlichen V. waren in erster Linie für die Versteigerungen im Auftrage der Gerichte zuständig und wurden von den Amtsgerichten angestellt; die Anstellung der außergerichtlichenV. erfolgte durch die Reg. (§ 121 des G. über die polizeilichen Verhältnisse der Ge­ werbe vom 7. 9.1811, GS. 263). Beide Arten der B. waren Beamte; das gleiche galt von den auf Grund des § 51 der PrGewO. vom 17. 1. 1845 (GS. 41) angestellten Versteigerern, die gleichfalls zurFührung desTitels,,KöniglicherB." berechtigt waren. Durch Ziff. 3 der Vorschriften über den Geschäftsbetrieb der Versteigerer vom 10. 7. 1902 (HMBl. 279) wurde den beeidigten und öffentlich angestellten Versteigerern die Bei­ legung der Bezeichnung „B." verboten. F. H. BerstümmelungSzulagen s. Offizierspenfionsgesetz Vb. Versuchsanstalt s. Forstliche Versuchsan­ stalt. Versuchsstationen,landwirtschaftliche,?.Land­ wirtschaftliche Versuchs- und Forschungs­ anstalten. Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasser­ versorgung usw. s. Abwässer. Vertilgung schädlicher Tiere s. Jagdpolizei, Schußgeld u. Schußprämien, Schädliche Tiere und Pflanzen. Vertragsbruch s. Kontraktbruch. Vertragsstrafe (Konventionalstrafe), ein Bestärkungsmittel bei Verträgen und schon im älteren deutschen Rechte als Schadengedinge von erheblicher Bedeutung, heißt die Geldsumme oder andere Leistung, die ein Schuldner seinem Gläu­ biger für den Fall verspricht, daß er seine Ver­ bindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise, z. B. nicht zur bestimmten Zeit, erfüllt (§§ 339 bis 345 BGB.). Sie ist verwirkt, wenn der Schuldner in Verzug (§§ 284, 285 BGB.) kommt, besteht aber die geschuldete Leistung in einem Unterlassen, mit der Zuwiderhandlung (§ 339). Hat der Schuldner die Strafe für den Fall der Nichterfüllung versprochen, so kann der Gläubiger zwischen der Strafe und der Erfüllung wählen, aber nicht beide nebeneinander fordern, jedoch, wenn ihm ein Schadensersatzanspruch wegen

Nichterfüllung zusteht, auch den die V. über­ steigenden Schaden geltend machen, es sei denn, daß die V. nicht in einer Geldsumme besteht (§§ 340, 342). Der Schuldner kann sich somit durch Entrichtung der Strafe nicht von der Er­ füllung befreien. Die Strafe, die für den Fall nicht gehöriger, besonders nicht rechtzeitiger Er­ füllung versprochen ist, kann neben der Erfüllung gefordert werden, aber nicht mehr nach deren vorbehaltloser Annahme (§ 341). Eine verwirkte unverhältnismäßig hohe Strafe kann auf Antrag (Klage, Widerklage, Einrede) des Schuldners, solange sie nicht entrichtet ist, durch Urteil auf den angemessenen Betrag herabgesetzt werden (§ 343). Dabei ist indessen jedes berechtigte In­ teresse, also auch das sog. Affektionsinteresse, zu berücksichtigen. Der Richter ist hierbei nicht darauf angewiesen, nur die Verhältnisse zur Zeit des Vertragsschlusses zu berücksichtigen (RGZ. 64, 291). Die Vereinbarung einer V. setzt stets eine Hauptverbindlichkeit voraus und ist deshalb un­ wirksam, wenn diese selbst nicht wirksam ver­ sprochen ist (§ 344). Es ist aber nicht erforderlich, daß die Hauptverbindlichkeit Bermögenswert hat. Gegenüber einer von einem Vollkaufmann im Betriebe seines Handelsgewerbes versprochenen B. greift das richterliche Ermäßigungsrecht nicht Platz (§§ 348, 351 HGB.). Eine V. kann im Konkurs als Konkursforderung geltend gemacht werden (RGZ. 59, 53). Für Streitigkeiten über eine V. wegen Nichtantritts eines Arbeits­ verhältnisses sind die Arbeitsgerichte (s. d.) zu­ ständig. Die allgemeinen Vertragsbedingungen für staatliche Verdingungen (s. d.) schließen sich hinsichtlich der V. den gesetzlichen Vorschriften mit geringen Abweichungen an. Auf Grund des Erl. vom 7. 3.1910 sind durch Erl. vom 30. 3.1910 (MBl. 100) die Behörden der allgemeinen Bau­ verwaltung ermächtigt, in ihrem Geschäftsbetriebe die von ihnen stimulierten V. bis auf 10% des vertragsmäßigen Betrags zu ermäßigen, wenn dem Staate ein Nachteil nicht erwachsen und die Fristbestimmung ohne Einfluß auf die Preis­ stellung gewesen ist, auch sonstige Gründe nicht für die Auferlegung einer höheren V. sprechen. In den übrigen Fällen ist an den HM. zu be­ richten. S. auch Strafen I und Konkurrenz­ klausel. F. H.

Vertretung der Schule nach außen s. Mittlere Schulen 8; Volksschulen 21 (sonstige innere Angelegenheiten); Erl. betr. Schulleitung und Konferenzrecht. Verunglückte. Bei Unglücksfällen oder gemei­ ner Gefahr oder Not ist aus Erfordern der Polizei­ behörde oder deren Stellvertreter jeder zur Hilfe­ leistung verpflichtet, sofern er der Aufforderung ohne erhebliche eigene Gefahr genügen kann (§ 360 Ziff. 10 StGB.). Diese Vorschrift gilt auch für Ärzte; für Kreisärzte ist die Verpflich­ tung zu ärztlicher Hilfeleistung in Notfällen all­ gemein ausgesprochen im § 106 ihrer Dienstan­ weisung vom 1. 9. 1909 (MMBl. 381). Ferner ist den Apothekern bei lebensgefährlichen Ver­ letzungen, Vergiftungen und anderen besonders eiligen Notfällen mangels rechtzeitiger ärztlicher Hilfe gestattet, selbständig die von ihnen für zu­ treffend erachteten Mittel abzugeben (s. § 37 der Apothekenbetriebsordnung vom 18. 2. 1902, MMBl. 63). Durch Edikt vom 15. 11. 1775

Verunreinigung der Gewässer — Verunstaltung von Ortschaften usw.

(Novum corpus constitutionum 1776, 250 IV; Reskript vom 20. 10. 1820, v. Kamptz 5, 147) wurden für Rettung anscheinend ertrunkener, er­ frorener, erstickter oder erdrosselter Personen Prämien bis zu 10 Talern ausgesetzt; diese Prä­ miierung ist bis heute in Kraft und in der Folge allgemein auf Rettung aus Lebensgefahr aus­ gedehnt ([. insbesondere Runderlaß des MdI. und der geistlichen Angelegenheiten vom 25. 2. 1837, bei Pistor, Gesundheitswesen in Preußen 1, 955; s. auch Erl. vom 2. 11. 1848, MBl. 346, und vom 21.5.1850, MBl. 127, nach welchem letzteren die Prämienforderung bei Vermeidung des An­ rechts binnen drei Monaten nach dem Vorfall bei der Orts- oder Kreisbehörde geltend gemacht werden soll, ferner Vf. vom 10.7.1922, MBl. 696, und besonders Erl. vom 25. 1. 1924, VMBl. 57). Wenn die Wiederbelebungsversuche unter Einsatz von Leben oder Gesundheit oder Gefährdung er­ heblicher wirtschaftlicher Interessen ausgeführt wurden oder sonst dem Ausübenden aus seiner Hilfstätigkeit Schaden erwachsen ist, kann der Minister auf Antrag Entschädigungen gewähren.— Für die Ordnung des Rettungs- und Krankenbeförderungswesens sind im Reichsgesundheitsrat Grundsätze beschlossen, die durch MErl. vom 20. 12. 1912 (M. 7990) mitgeteilt sind und auf deren Durchführung nach Möglichkeit hingewirkt werden soll, ohne daß sie in allen Einzelheiten und überall als bindend anzusehen sind. An­ weisungen über die Art der „Behandlung Ver­ unglückter bis zur Ankunft des Arztes" sind er­ schienen im amtlichen Auftrage bei Richard Schoetz, Berlin (Erl. vom 5. 2. 1903, MBl. 35), ferner vom deutschen Samariterverein zu Kiel die Tafeln „Anweisung zur Wiederbelebung an­ scheinend Ertrunkener." S. auch Rettungs­ medaille bei Orden. Hg. Verunreinigung der Gewässer s. Abwässer, Unterhaltung der Wasserläufe zweiter und dritter Ordnung und ihrer Ufer, Borflui.

Verunstaltung von Ortschaften und land­ schaftlich hervorragenden Gegenden. I. Schon seit dem ALR. ist es der Baupolizeibehörde zur Pflicht gemacht, eine Verunstaltung der Straßen und Plätze durch Bauten zu verhindern. Durch §§ 66 u. 71 18 ALR. war die grobe Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze durch Bauten und bauliche Veränderungen untersagt. Vgl. hierzu Fischer, „Der Begriff der Verunstaltung" PrBBl. 48, 121. Im übrigen galten nur in einzelnen engbegrenzten Gebieten besondere Vor­ schriften für den Schutz von Ortschaften gegen verunstaltende Bauausführungen (Vgl. z. B. für das Gebiet des vormaligen Herzogtums Nassau OVG. 35,387). Ferner bestimmte das G., betr. die Anlegung und Veränderung von Straßen usw., vom 2. 7. 1875 (ES 501) in § 3, daß bei Fest­ setzung der Fluchtlinien auch darauf zu halten sei, das eine Verunstaltung der Straßen und Plätze nicht eintrete. Die Landschaft erhielt erst durch das SonderG. vom 2. 6. 1902 fGS. 159) einen gewissen Schutz, und zwar zunächst nur gegen verunzierende Reklameschilder usw., noch nicht aber gegen unschöne Bauten. Die vorhandenen Lücken sind durch das G. gegen die Verunstal­ tung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. 7. 1907

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(GS. 260), AusfAnw. vom 4. 8. 1907 (MBl. 281) ausgefüllt worden. II. Das G. vom 15. 7. 1907 besteht aus drei Teilen. In dem ersten Teile wird die Geltung der landrechtlichen Grundsätze auf das ganze Land ausgedehnt, indem § 1 bestimmt wird, daß die baupolizeiliche Genehmigung von Bauten und baulichen Änderungen zu versagen ist, wenn da­ durch Straßen und Plätze der Ortschaft oder das Ortsbild gröblich verunstaltet werden. Die „gröb­ liche" Verunstaltung steht der „groben" (§ 71 I 8 ALR.) gleich (OVG. 55, 433; 55, 414). Sie wird nicht schon durch „unschön wirkende", sondern nur durch solche Bauten usw. hervor­ gerufen, die einen „positiv häßlichen", d. h. „jedes für ästhetische Gestaltung offene Auge verletzen­ den Zustand" schassen (OVG. 33, 404; 55, 424). Ein Ortsbild (Bild einer Ortschaft) ist gegeben, wo ein Bauwerk auf eine vvrhandene Gebäude­ gruppe und deren nächste Umgebung einwirken kann (OVG. 55, 434). Voraussetzung ist, daß das Bauwerk in der bebauten Ortslage oder in unmittelbarem Anschluß an sie, also nicht in der weiteren Umgebung (Landschaft), aufgeführt werden soll (OVG. 56, 439). Wegen der wei­ teren Rechtsprechung wird auf Baltz-Fischer, Baupolizeirecht (5) S.112—114 verwiesen. Wegen Anwendung des § 1 a. a. O. auf unschöne Dach­ eindeckungen vgl. Erl. des MdöA. vom 14. 8. 1908 (MBl. 187). III. Der zweite Teil des G. (§§ 2—7) be­ handelt die Plege weitergehender Interessen auf der Grundlage von Ortsstatuten. Die Polizei hat die Baugenehmigung zu versagen, soweit dies durch Ortsstatut — für Gutsbezirke nach 8 7 a. a. O. seitens des KrA. — vorgeschrieben ist. Auf diesem Wege kann sowohl die Eigenart des Orts- und Straßenbildes für einzelne be­ stimmt zu bezeichnende Straßen und Plätze von geschichtlicher und künstlerischer Bedeutung (vgl. AusfAnw. vom 4. 8. 1907 Abschn. II Ziff. 2 a) als auch die Eigenart einzelner Bauwerke von solcher Bedeutung sowie der Eindruck, den sie Hervorrufen (vgl. AusfAnw. Abschn. II Ziff. 2d), gegen Beeinträchtigung durch Bauten usw. geschützt werden (§ 2, 1 des G.). »Doch ist nach § 2, 2 a. a. O. unter gewissen Voraus­ setzungen von der Anwendung des Ortsstatuts abzusehen, insbesondere wenn die Kosten der auf Grund desselben geforderten Änderungen in keinem angemessenen Verhältnisse zu den dem Bauherrn zur Last fallenden Kosten der Bau­ ausführung stehen würden. — Soweit die An­ bringung von Reklameschuldern,Schaukästen, Auf­ schriften und Abbildungen nicht etwa schon der baupolizeilichen Genehmigung unterliegt, kann sie ihr durch Ortsstatut unterworfen werden. Sie ist alsdann nach den Grundsätzen der §§ 1 u. 2 a. a. O. zu behandeln (§ 3 a. a. O.; vgl. AusfAnw. Abschn. II Ziff. la). — Auch können durch Ortsstatut für die Bebauung bestimmter Flächen, wie Landhausviertel, Badeorte, Pracht­ straßen, besondere, über das sonst baupolizeilich zulässige Maß hinausgehende Anforderungen ge­ stellt werden (§ 4 a. a. O.), wegen Auslegung und Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift vgl. OVG. 55, 416, im übrigen AusfAnw. Abschn. II Ziff. 16. — Bor Erlaß der Ortsstatute nach §§ 2 u. 4 sowie rm Falle des § 2 a. a. O. regel-

B itter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. II.

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Verurteilte — Verwaltung und Verwaltungsbehörden

mäßig auch vor deren Anwendung sind Sach­ verständige (im letzteren Falle auch der Ge­ meindevorstand) zu hören (§§ 5 u. 6 a. a. O.). IV. Der dritte Teil des G. dient dem Schutze der Landschaft, welcher, soweit es sich um Reklamebilder und sonstige Aufschriften und Ab­ bildungen handelte, welche das Landschaftsbild zu verunzieren geeignet waren, bereits durch G. vom 2. 6. 1902 (GS. 159) angebahnt war. Nach § 8 des G. vom 15. 6. 1907 ist der NP. befugt, mit Zustimmung des BezA. für landschaftlich hervorragende Teile des RegBez. vorzuschreiben, daß die baupolizeiliche Genehmigung zur Aus­ führung von Bauten und baulichen Änderungen außerhalb der Ortschaften versagt werden kann, wenn dadurch das Landschaftsbild gröblich ver­ unstaltet werden würde und dies durch die Wahl eines anderen Bauplatzes oder eine andere Bau­ gestaltung oder die Verwendung anderen Bau­ materials vermieden werden kann (§ 8 Abs. 1 a. a. O.). Vor Versagung der Baugenehmigung sind Sachverständige und der Gemeindevorstand zu hören (§ 8, 2 a. a. O.; vgl. AusfAnw. Abschn. III). V. Als Ergänzung zu dem G. vom 15. 7. 1907 ist von den beteiligten Ministern unter dem 10. 1. 1908 (MBl. 43) eine Denkschrift, betr. Maßnahmen gegen bauliche Verunstaltung in Stadt und Land, veröffentlicht worden, in der die Gesichtspunkte dargelegt sind, nach denen außerhalb des Rahmens des genannten G. die Pflege heimatlicher Bauweise ge­ fördert und die Erhaltung der Eigenart von Orts­ und Straßenbildern gesichert werden kann (vgl. auch MErl. vom 29. 12. 1905, betr. Entwürfe zu Bauern- und einfachen Bürgerhäusern — MBl. 1906, 24 — und Erl. vom 14. 8. 1908 sMBl. 187] wegen der Zementdächer). VI. Das WohnungsG. vom 28. 3. 1918 (§ 1 Art. 4 Ziff. 4 und Art. 9) erweiterte den Schutz des Straßenbildes; es verlangt die Berücksich­ tigung des Interesses des Denkmal und Heimat­ schutzes. Der Denkmal- und Heimatschutz um­ faßt die Gesamtheit der Rechte, die den Behörden zum Schutze der Denkmäler und der Heimat zu­ stehen (s. Denkmalschutz). Der Heimatschutz im ursprünglichen Sinne ist eine Kulturbewegung, die, 1904 in stärkerem Umfange beginnend, sich auf die freiwillige Mitarbeit des Volkes stützte, dann aber bald auch durch die Behörden gefördert wurde. Der Heimatschutz, den die Baupolizei­ behörden zu fördern haben, erstreckt sich auf die baulichen Anlagen, und zwar nicht nur aus den Schutz der Baudenkmäler selbst gegen bauliche Änderungen an ihnen, sondern vor allen Dingen auf die Fernhaltung schädlicher Wirkungen, die neue Bauten auf alte Baudenkmäler oder ihre Umgebung oder auf das heimatliche Stadtbild oder die heimatliche Landschaft hervorrufen (Baltz-Fischer, Baupolizeirecht [5] 109sf.). F.W.F. Verurteilte (Entschädigung unschuldig V.) s. Entschädigung für Strafe und Unter­ suchungshaft. Verwahrloste Kinder s. Fürsorgeerziehung. Verwahrung (polizeiliche). In p. V. können Personen und Gegenstände genommen werden; die V. von Personen regelt sich nach den Vor­ schriften des Gesetzes zum Schutze der persönlichen

Freiheit (s. Freiheit, persönliche). Gemäß § 94 StPO, sind Gegenstände, welche als Beweis­ mittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen, von den Strafverfolgungsbehörden (Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft, Gericht) in V. zu nehmen, oder in anderer Weise sicherzustellen. Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme (s. d.). Beschlagnahme bedeutet nach allen in Betracht kommenden Vorschriften nichts anderes als eine durch behördlichen Zwang erfolgende Jngewahrsamnahme von Gegenständen behufs Sicherstellung (§ 94 StPO.). Das Rechtsver­ hältnis zwischen dem Berechtigten an der Sache und der Behörde ist hierbei nach öffentlichem Recht zu beurteilen. Danach erwächst für den Staat und seine Organe die Verpflichtung zur Obhut über die in Verwahrung genommenen Sachen und zu ihrer Rückgabe in unversehrtem Zustande, soweit dem nicht öffentliche Belange entgegen­ stehen. Mangels besonderer Vorschriften finden nach herrschender Rechtsprechung die beim privat­ rechtlichen Verwahrungsvertrag maßgebenden Grundsätze sinngemäße Anwendung (RG. 115, 423). Die früher vertretene Auffassung, wonach bei einem solchen Rechtsverhältnis neben den öfsentlichrechtlichen Beziehungen bürgerlichrecht­ liche herlaufen (RG. 48, 256; 51, 220; 67, 340; WarnRspr. 1908 Nr. 305), ist nach der neueren Rechtsprechung aufgegeben. Die Haftung regelt sich hierbei nicht etwa entsprechend der Vorschrift des § 690 BGB., sondern, weil die Verwahrung, wenn auch unentgeltlich, so doch jedenfalls nicht im ausschließlichen Interesse des Berechtigten, vielmehr im öffentlichen Interesse stattfindet, nach den gewöhnlichen Vorschriften der §§ 276, 278 BGB. (RG. 84, 339; 100, 221; 104, 243). Vgl. auch Fundsachen und Hinterlegung und Hinterlegungsordnung. Hg.

Verwaltung und Verwaltungsbehörden. Ver­ waltung im weitesten Sinne ist die gesamte Tätigkeit des Staates, durch welche dieser die Verwirklichung seiner Ziele anstrebt, im Gegen­ satze zur Verfassung, dem Aufbau der bereits geschaffenen, festgewordenen Formen, in denen sich das staatliche Leben vollzieht. In Anlehnung an die von Aristoteles begründete, von Montes­ quieu weitergebildete Lehre von der trias politica unterscheidet man innerhalb der Staatsverwal­ tung die Recht schaffende Gesetzgebung von der Recht anwendenden Vollziehung, welche ihrer­ seits die Justiz und die Verwaltung im engeren Sinne umfaßt. Streng durchzuführen ist diese begriffliche Scheidung in der Praxis nicht, da einzelne Äußerungen der vollziehenden, Recht an­ wendenden Gewalt — wie z. B. die Etatsauf­ stellung — versassungsgemäß den Formen der Gesetzgebung unterliegen, während durch bloße Verwaltungsakte Recht begründet werden kann. Die Scheidung der vollziehenden Gewalt in Justiz- und eigentliche Verwaltung hat sich erst spät durchgesetzt in langsamer historischer Ent­ wicklung, die auf den Grenzgebieten noch heute im Flusse ist. Sondert man aus Gebiet der Rechtspflege die der richterlichen Entscheidung zu­ gewiesene Anwendung bestehender Rechtssätze zur Sühne begangener Rechtsverletzungen wie zur

Verwaltungsabbaukomnusston — Verwaltungsdienst (Befähigung zum höheren V.) Klärung streitiger Ansprüche, sowie die Sicher­ stellung privater Rechte (die zum Teil, z. B. auf dem Gebiete des Wasserrechts, auch den Verwal­ tungsgerichten, s. u., übertragen ist) aus, so bleibt für die Verwaltung im engeren Sinne der übrige Teil staatlicher Betätigung, der im Rahmen der Verfassung und Gesetzgebung die Ordnung und Förderung der Lebensverhältnisse, die Sicher­ heit des Staates nach außen und innen und die Wohlfahrt der Staatsbürger als Ziel verfolgt. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß die Justiz nicht nur zur Regelung ihres eigenen Be­ hördenkörpers einer verwaltenden Tätigkeit — der Justizverwaltung — bedarf, sondern daß auch zahlreiche richterliche Funktionen selbst, wie die des Vormundschafts- oder Grundbuchrichters, der Verwaltung außerordentlich nahestehen, die Be­ amten der Staatsanwaltschaft trotz ihrer Einglie­ derung in die Justizverwaltung sogar reine Berwaltungsgeschäfte erledigen. Auf deranderenSeite bildet die Berwaltungsgerichtsbarkeit eine Einrich­ tung, welche den Zwecken der Verwaltung in den Formen und unter den Garantien der Rechtspflege dient. Das innere Wesen der Verwaltung wird man in der Freiheit der Form und des Entschlusses erblicken dürfen, welche den Vertretern des Staates in diesem Regierungszweige im Gegensatz zu der Formenstrenge der Gesetzgebung wie zu der ma­ teriellen Gebundenheit der Rechtspflege geblieben ist, aber ihr Gegengewicht in der verstärkten per­ sönlichen Verantwortung und in der Straffheit der Berwaltungsorganisation und, zum Teil, in der Rechtskontrolle durch die Verwaltungsgerichte findet. Die großen Gebiete der Staatsverwaltung sind die Vertretung der Interessen nach außen den fremden Staaten gegenüber, die Ordnung des Heereswesens, die Bestreitung des Staats­ haushalts und die innere Verwaltung. Die Ver­ waltungsbehörden gliedern sich dementsprechend in diplomatische und Militärbehörden, welche, mit geringen Ausnahmen in ersterer Beziehung, aus­ schließlich vom Reich ressortieren, sowie in die Finanzbehörden und in die Dienststellen der inneren Verwaltung, welch letztere fachlich und nach der Zuständigkeit einerseits des Reiches, an­ dererseits der Länder geschieden sind. S. Be­ hördenorganisation und Reichsbehörden. Die preußischen Behörden der inneren Verwaltung sind teils Spezialbehörden, welche denMinisterien für Finanzen, für geistliche und Unterrichtsan­ gelegenheiten, für Handel und Gewerbe, für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und für Volkswohlfahrt unterstellt sind, im übrigen Be­ hörden der Allgemeinen Landesverwaltung, die, wie die OP., RP., Reg., LR. und Polizei­ präsidenten (— Direktoren) die Vertretung der gesamten übrigen staatlichen Verwaltungsinter­ essen wahrzunehmen haben (§ 3 LVG., s. Preuß. Behördenorganisation); sie werden durch die Selbstverwaltung (s. d.) der Kommunalbe­ hörden ergänzt und unterstehen dem MdI. Ly. BerwaltungSabbaukommission s. Reichsbe­ hörden.

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vom 15.11.1923 (MBl.1131,1134; s. a. MBl.1924, 485, 634, 708, 811; 1925, 3, 177, 716; 1926, 65). I. Erwerb der Befähigung. Die Befähi­ gung zum höheren V. ist die Voraussetzung für die Berufung zu den Stellen des Abteilungs­ dirigenten und der Mitglieder einer Reg. sowie der dem OP. und RP. zugeordneten höheren Verwaltungsbeamten mit Ausnahme der Diri­ genten der Schulabteilung, welche auch aus den Reihen der Schulfachmänner genommen werden können, der Justitiare und technischen Beamten (s. hierzu Regierungen); ferner derjenigen Mit­ glieder des OVG. und der ernannten Mitglieder der BezA., welche nicht die Befähigung zum Richteramte besitzen müssen; endlich der LR. in Hohenzollern (§ 10). Die Bestellung zum Justitiar einer Verwaltungsbehörde setzt die Be­ fähigung zum höheren Justizdienste voraus (§ 12). Die Befähigung zum höheren B. wird erlangt durch die Ablegung zweier Prüfungen, denen ein mindestens dreijähriges Studium der Rechte und der Staatswissenschaften auf einer Universität vorangehen muß. Die erste Prüfung ist die Prüfung zum Gerichtsreferendar, die zweite Prüfung wird vor der Prüfungskommission für höhere Verwaltungsbeamte abgelegt, zwischen beiden Prüfungen ist ein Vorbereitungsdienst von mindestens drei Jahren zurückzulegen (§§ 1 bis 4; s. u.). Die Befähigung zum höheren V. kann von dem FM. und MdI. durch eine entsprechende Erklärung b ei gelegt werden an Personen, welche die Befähigung zum höheren Justizdienste erlangt haben sowie ausnahmsweise auch anderen Per­ sonen, die auf Grund ihrer Vorbildung und min­ destens dreijähriger Tätigkeit in einem öffent­ lichen Verwaltungsdienst für die Stellung eines höheren Verwaltungsbeamten besonders geeignet erscheinen (§ 13 in der Fassung des G. vom 8. 7. 1920; s. a. MBl. 1924, 897). II. Vorbereitung zum höheren V. Die in § 4 des G. vorgesehene einjährige Beschäf­ tigungszeit bei Gerichtsbehörden ist auf Grund des Abs. 2 desselben, durch das G. vom 8. 7. 1920 im allgemeinen auf sechs Monate herabgesetzt worden. Die Übernahme in die Vorbereitung zum V. erfolgt durch Ernennung zum Regierungsreferendar. Letztere geschieht durch den Präsidenten einer derjenigen Rg., welche zur Annahme von Regierungsreferen­ daren ermächtigt find (Königsberg, Gumbinnen, Schneidemühl, Stettin, Breslau, Oppeln, Pots­ dam, Frankfurt a. d. O., Magdeburg, Merseburg, Schleswig, Hannover, Osnabrück, Münster, Kassel, Düsseldorf, Köln, Trier). Die Höchstzahl der Anzunehmenden ist durch Erl. vom 23. 6. 1925 (MBl. 715) auf zehn für jede Reg. festgesetzt. Dem an den RP. einzureichenden, eigenhändig geschriebenen Gesuche des Gerichtsreferendars um Übernahme in die Verwaltung sind beizu­ fügen; 1. Geburtsurkunde; 2. Bescheinigungen der Universitätsbehörden, aus denen der Gang des Studiums der Rechts- und Staatswissenschäften ersichtlich ist, sowie Zeugnis über die Teilnahme an mindestens je einer Übung mit BerwaltrrngSakadennen s. Beamtenfort­ schriftlichen Arbeiten oder an einem Seminar bildung. für Staats- und Verwaltungsrecht und für Volks­ Verwaltungsdienst (Befähigung zum höheren wirtschaftslehre; 3. Zeugnis über Ablegung der V.); G. vom 10. 8. 1906 (GS. 378); abgeändert ersten juristischen Prüfung; 4. Bescheinigung über durch G. vom 8. 7. 1920 (GS. 388); AufsAnw. den Dienstantritt beim Amtsgericht und voraus-

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Verwaltungsdienst (Befähigung zum höheren V.)

sichtliche Dauer der (mindestens sechsmonatlichen) Beschäftigung; 6. ein eigenhändig geschriebener Lebenslauf in deutscher Sprache; 6. ein ärzt­ liches, auf Verlangen amtsärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand (§§ 1—3 der AusfAnw.). Das Höchstalter bei der Annahme ist 28 Jahre (MBl. 1926, 400). III. Der Vorbereitungsdienst bei den Ver­ waltungsbehörden dauert mindestens zwei Jahre und sechs Monate, davon mindestens zehn Mo­ nate bei einem Landratsamt, drei Monate bei einer staatlichen oder größeren kommunalen Poli­ zeibehörde und bei einem FA., zehn Monate bei der Reg. und gleichzeitig mindestens fünf Monate beim BezA.; die Art der Beschäftigung in den übrigen Monaten bestimmt der RP. Während der Beschäftigung bei der Reg. hat der Referendar 14 Tage auf der Regierungshauptkasse, während der Beschäftigung beim LR. acht Tage auf der Kreiskasse zu arbeiten; eine mehrmonatliche Be­ schäftigung bei einer städtischen Kommunalver­ waltung ist erwünscht. Fernbleiben vom Dienste wegen Krankheit kann bis zu 24 Wochen, Ur­ laub bis zu zwölf Wochen angerechnet werden (§ 4 der AusfAnw., PrBesBl. 1926, 205; Erl. vom 13. 7. 1894, MBl. 118, wegen Anzeige von längeren Beurlaubungen). Die Beschäftigung der Regierungsreserendare hat in den wichtigsten Dezernaten der Reg. zu erfolgen. Von allen Be­ amten, bei denen die Referendare beschäftigt werden, sind hierüber Zeugnisse auszustellen; dasjenige des LR. hat sich auch über ihren Ver­ kehr mit den Kreiseingesessenen zu erstrecken (§7 der AusfAnw.). IV. Die Leitung der Ausbildung der Re­ gierungsreferendare ist nach näherer Weisung des RP. in die Hände eines Regierungsmitglieds ge­ legt, welches ihre Tätigkeit zu überwachen und durch regelmäßige Abhaltung von Übungen und Kursen ihre praktische Schulung und wissenschaft­ liche Fortbildung auf dem Gebiete des Staats­ und Verwaltungsrechts, sowie der Volks- und Staatswirtschaftslehre zu fördern hat (8 5 a. a. O.). Um diese Beamten in möglichster Fühlung mit der Prüfungskommission zu erhalten, sollen sie von Zeit zu Zeit an den^mündlichen Prüfungen derselben teilnehmen (Erl. vom 16. 2. und 12. 3. 1907). Am Schlüsse des Vorbereitungs­ dienstes, für welchen bei jedem Referendar ein Beschäftigungsplan auszustellen ist, hat das die Ausbildung leitende Regierungsmitglied ein ein­ gehendes zusammenfassendes Zeugnis auszu­ stellen, welches von dem RP. zu begutachten, und mit den von den Dezernenten usw. ausgestellten Einzelzeugnissen, sowie einer von dem Referen­ dar anzufertigenden und von dem Leiter der Ausbildung zu zensierenden größeren schrift­ lichen Arbeit, welche der Referendar unter gleichzeitiger Entbindung von der praktischen Ausbildung während dieser Zeit binnen drei Wochen abliefern muß, die Grundlage für den Antrag auf Zulassung des Referendars zur zweiten Staatsprüfung bildet und mit demselben vorzu­ legen ist. Erachtet der RP. einen Regierungs­ referendar nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit zur Ablegung der Staatsprüfung noch nicht für genügend vorbereitet, so ist der Vorbereitungs­ dienst entsprechend zu verlängern und hiervon den Ressortministern unter Darlegung der Gründe

Anzeige zu erstatten (§§ 7—9 der AusfAnw.). Die Entlassung eines Referendars aus dem Dienst regelt sich nach § 84 des DisziplinarG. 21. 7.1852. Unterhaltungszuschüsse : PrBesBl. 1923, 57; dass. 1926, 166; Dienstreisen im Vorbereitungs­ dienst: § 3 des G. vom 3. 1. 1923 (GS. 3), Ziff. 30,59 AA. (FMBl. 1923, Anl. zu Nr. 2), PrBesBl. 1926, 205. V. Die zweite (große) Staatsprüfung wird vor der Prüfungskommission für höhere Verwal­ tungsbeamte (s. d.) abgelegt. Der Auftrag zur Prüfung wird auf Grund des Antrags des RP. der Prüfungskommission durch die Ressortminister erteilt, falls die Vorbereitung für ausreichend erachtet wird; evtl, wird eine Ergänzung der Vorbereitung angeordnet (§ 10 a. a. £).). Die Prüfung (§8 des G. vom 10. 8. 1906) besteht in der schriftlichen Prüfung, einem Vortrage und der mündlichen Prüfung. Sie erstreckt sich auf das in Preußen geltende öffentliche und Privat­ recht, insbesondere auf das Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie auf die Volks- und Staatswirtschaftslehre. Die schriftliche Prüfung umfaßt zwei (gegebenenfalls auf Anordnung des Präsidenten der Prüfungskommission, nur eine) an je einem Tage unter Benutzung der zur Verfügung gestellten Hilfsmittel in Klausur anzufertigende schriftliche Arbeiten. Auf dieselben folgt der in dem Prüfungstermin zu haltende Vortrag, für dessen Vorbereitung zwei Tage zur Verfügung stehen, und den Schluß bildet die mündliche Prüfung. Die Dauer der auf die einzelnen Teile der Prüfung zu verwendenden Zeit, die Zahl der zur mündlichen Prüfung gleichzeitig zuzulassenden Referendare und die die Prüfung vornehmenden Mitglieder der Prüfungskommission bestimmt der Präsident der letzteren. Die Prüfungskommission be­ steht aus dem Präsidenten und acht Mit­ gliedern. Sie werden von MdI. und FM. ernannt, der Präsident auf Vorschlag dieser Minister vom SM, An der Prüfung haben drei Mitglieder einschließlich des Vorsitzenden teilzu­ nehmen. Die Prüfung, welche „ausreichend", „vollkommen befriedigend", „gut" oder „mit Aus­ zeichnung" bestanden werden kann, kann nur im ganzen und nur einmal wiederholt werden. Zur nochmaligen Vorbereitung wird der Referendar auf sechs bis neun Monate an eine Reg. zurück­ verwiesen, kann aber dabei von der nochmaligen Anfertigung der großen schriftlichen Arbeit be­ freit werden. Bei zweimaligem Nichtbestehen er­ folgt Ausschluß des Referendars aus dem B. Wird die Prüfung bestanden (§§ 10, 12), so wird der Regierungsreferendar von dem MdI. und dem FM. zum Regierungsassessor ernannt (§ 9 des G. vom 10. 8. 1906). Die Prüfungsgebühr beträgt 115 RM (Erl. vom 16. 10. 1925, MBl. 1121). VI. Die Regierungsassessoren gehören im Bereiche der allgemeinen Verwaltung durchweg zu den gegen Grundvergütung beschäftigten nicht planmäßigen Beamten (s. Besoldung). Sie können aus ihrem Amte, da sie lebenslänglich angestellt sind, nur im Wege des förmlichen Disziplinarverfahrens entlassen werden. Sie sind pensionsberechtigt, erhalten aber als nichtplan­ mäßige Beamte keine Umzugskosten, sondern nur Tagegelder und Reisekosten, sowie Wohnungs-

Verwaltungsgerichte (Verwaltungsstreitverfahren)

beihilfen und Beschäftigungstagegelder (s. Um­ zugskosten). Wegen ihres Stimmrechts s. Re­ gierungen, Plenum der Regierung. Wegen der amtlichen Befugnisse der den LR. zugeteilten Regierungsassessoren s. bei Landrat, wegen der ihnen dabei zustehenden Reisekosten s. Reise­ kosten. Wegen Beurlaubung von Regierungs­ assessoren zu Gewerkschaften usw. s. Erl. vom 19. 1. 1922 (MBl. 107), 24. 1. und 6. 6. 1923 (MBl. 94, 657). Ly. Berwaltungtzgerichte (Verwaltungsstreitverfahren). I. Geschichte. Der sich im Beginn des 19. Jahrhunderts vollziehende Übergang vorn Polizei- zum Rechtsstaat brachte es mit sich, daß in die neu kodifizierten Verfassungsurkunden neben den der Volksvertretung eingeräumten politischen Kontrollrechten auch bestimmte Grund­ sätze zum Schutz der Bevölkerung gegen etwaige Willkürakte der Regierung (Grundrechte, s. d.) ausgenommen wurden. Dem fortschreitenden Rechtsempfinden genügte das auf die Dauer nicht mehr und es entwickelte sich allgemein der Wunsch nach der Möglichkeit für den einzelnen Staats­ bürger, gegenüber den ihn betreffenden Regie­ rungsakten die Entscheidung eines unabhängigen Gerichtshofes anzurufen. Denn ein noch so weit­ gehender Ausbau des Beschwerderechts vermochte doch die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, daß „schließlich die staatliche Exekutive sich selbst kontrollierte, Richter in eigener Sache war" (Drews in derFestrede zum Jubiläum des OVG.). Diesen Gerichtsschutz gegenüber Verwaltungs­ akten, und zwar nicht nur von solchen der Staats­ regierung, sondern auch der mit Obrigkeitsrecht ausgestatteten Selbstverwaltungskörper, bezeich­ net man in erster Linie als Verwaltungsgerichts­ barkeit. Ihre ersten Anfänge wird man darin zu suchen haben, daß die französische Gesetzgebung von 1800 die Angelegenheiten ber Administration pure und des Contentieux administratif von­ einander schied und die ersteren den Einzelbe­ amten beließ, die letzteren dagegen Kollegien (den Conseils de pr6fecture und den Conseils d’Etat) übertrug. Die weitere Entwicklung ist dann in Frankreich eigenartig geblieben. Es erstreckt sich insbesondere die Zuständigkeit der dortigen V. auf zahlreiche Sachen, bei denen der Staat ledig­ lich als FisUrs beteiligt ist, und die nach unseren Anschauungen vor die ordentlichen Gerichte ge­ hören, ferner auch auf manche Strafsachen, wäh­ rend sie für die Verwaltungssachen eng begrenzt ist. Allein dem Staatsrat ist in letzterer Beziehung eine umfassendere Zuständigkeit beigelegt. Ferner ist das Verfahren bloß teilweise geregelt. In England, das lediglich für die Einführung der Selbstverwaltung (s. d. und bei Behördenorga­ nisation) in Preußen als Vorbild gedient hat, hat es weder früher eine eigentliche Verwaltungs­ gerichtsbarkeit gegeben, noch gibt es jetzt eine folche. Vielmehr haben nur, während einerseits die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zum Teil nicht einmal für reine Privatrechtsstreitig­ keiten zwischen dem Staat als Fiskus und den einzelnen besteht, andererseits einmal die Frie­ densrichter auch über verschiedene Verwaltungs­ angelegenheiten zu entscheiden, wobei für diese friedensrichterliche Verwaltungsjustiz in gewissem Umfange eine richterliche Kontrollinstanz besteht, und üben ferner auf den Gebieten des Armen-,

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Gesundheits- und Wegewesens bestimmte Ver­ waltungsbehörden gleichfalls eine Rechtsprechung aus, jedoch ohne eine richterliche Kontrollinstanz. Von den übrigen außerdeutschen Ländern hat Österreich seit 1875 einen Verwaltungsgerichtshof als V. erster und letzter Instanz, zwar mit Zu­ ständigkeit für jede Verwaltungsmaßregel, durch die jemand in seinen subjektiven Rechten verletzt zu sein behauptet, auf der anderen Seite aber nur so, daß der Gerichtshof auf Grund des in der letzten Verwaltungsinstanz angenommenen Tat­ bestandes bloß über die Rechtsfrage zu befinden hat und immer lediglich kassieren kann, also nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit die Verwaltung dementspre­ chend anderweit zu entscheiden hat. In den außer­ preußischen deutschen Ländern finden wir, worauf Elbe („Verwaltungsgerichtsbarkeit nach den Ge­ setzen der deutschen Länder", Berlin 1927, Carl Heymanns Verlag) mit Recht hinweist, die An­ fänge eines V. in Württemberg, wo der seit 1819 geschaffene, allerdings nur aus Ministern und er­ nannten Räten bestehende Geheime Rat sich selbst bei der ihm verfassungsmäßig überwiesenen Ent­ scheidung über Beschwerdegegenstände ministe­ rieller Instanz auf die Nachprüfung der Rechts­ fragen beschränkte. Eine besondere Verwaltungs­ gerichtsbarkeit ist aber zuerst in Baden eingeführt worden. Gegenwärtig besteht sie, nachdem Ham­ burg die bisherige Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Verwaltungsrechtsstreitigkeiten auf besondere, allerdings mit den Gerichtsbehörden aufs engste verbundene Verwaltungsgerichte über­ tragen hat, in allen deutschen Ländern, außer Schaumburg-Lippe und Waldeck. Die Ausgestal­ tung ist dabei sehr verschieden, indem man teil­ weise mehr dem österreichischen System: bloß eine Kassationsinstanz, aber allgemeine Zuständig­ keit derselben, teilweise mehr dem nachstehend näher dargestellten preußischen System: Gliede­ rung in von unten herauf geordnete Instanzen mit einer Revisions- (nicht Kassations-) Instanz, dagegen Zuständigkeit nur für die einzelnen auf­ gezählten Sachen, gefolgt ist. In Preußen hatte bereits § 79 II 14 ALR. vorgeschrieben, daß je­ mand, welcher behauptete, aus besonderen Grün­ den von einer Abgabe befreit, oder mit derselben über Gebühr belastet zu fein, darüber „rechtlich gehört" werden sollte, und § 37 der B. vom 26.12. 1808 (Beilage zur Regierungsinstruktion vom 23. 10. 1817, GS. 282), welcher im übrigen jeden Prozeß über allgemeine Abgaben ausschloß, hatte diese Vorschrift ausdrücklich aufrechterhalten. Dieser gerichtliche Schutz gegen Verwaltungsakte fand dann eine Erweiterung durch das G. über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Vf. vom 11. 5. 1842 (GS. 192) und durch das G., betreffend Erweiterung des Rechtsweges vom 24. 5. 1861 (GS. 241), welches die Anrufung der Gerichte bei vermögensrecht­ lichen Streitigkeiten der Staatsbeamten, sowie in gewissem Umfange bei allgemein öffentlichen Abgaben, insbesondere bei der Stempelsteuer und in Beziehung auf Kirchen-, Pfarr-und Schul­ abgaben vorsah. Die Einführung einer besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit hat aber erst mit der KrO. vom 13. 12. 1872 (GS. 661) begonnen, welche neben der Einführung der Selbstverwal­ tung durch Übertragung bestimmter Staats-

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Berwaltungsgerichte (Ber waltungsstreitverfahren)

geschäfte an die KrA. gleichzeitig für eine Anzahl von Angelegenheiten ein kontradiktatorisches Verfflhren vor Verwaltungsgerichten einführte. Die Neuerung wurde fortgesetzt durch das G., be­ treffend die Verfassung der B. und das BwStr. vom 3. 7. 1875 (GS- 375), das sog. VerwaltungsgerichtsG., welches neben einer Neuorganisation der Bezirksverwaltungsgerichte eine für den ganzen Staat einheitliche Revisionsinstanz in dem OBG. ins Leben rief, und durch das G., betreffend die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Berwaltungsgerichtsbehörden vom 26. 7. 1876 (GS. 297), das sog. Zuständigkeitsgesetz, welches umfassend bestimmte, was nunmehr streitige Berwaltungssache sei. Es folgten das G. über die Organisation der allgemeinen Landes­ verwaltung vom 26. 7. 1880 (GS. 291), das sog. Organisationsgesetz, mit zahlreichen, die Ver­ waltungsrechtspflege betreffenden Bestimmungen und das G. zur Abänderung und Ergänzung des G-, betreffend die Verfassung der V. und das BwStr. vom 3. 7. 1875 (GS. 375) und Einfüh­ rung desselben in dem gesamten Umfang der Monarchie vom 2. 8. 1880 (GS. 315). Der Ab­ schluß fand durch das G. über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. 7. 1883 (GS. 195), das sog. Landesverwaltungsgesetz, statt, welches namentlich den bisherigen, durch §§ 62—86 ProvO. als besondere Unterinstanz des Provin­ zialrates geschaffenen, lediglich für Beschlußsachen zuständigen Bezirksrat und das Bezirksverwaltungsgericht zum BezA. vereinigte und die Ein­ heitlichkeit des Behördenorganismus in der Mittel­ instanz wiederherstellte und neben welches als neues Zuständigkeitsgesetz das G. über die Zu­ ständigkeit der Berwaltungs- und Berwaltungs­ gerichtsbehörden vom 1. 8. 1883 (GS. 237) trat. (Vgl. Zuständigkeitsgesetz.) Demnächst sind noch ergangen das G. zur Abänderung des § 29 des G. vom 3. 7. 1875 und 2. 8. 1880, vom 27. 5. 1888 (GS. 226), das G. betr. das Disziplinarver­ fahren bei dem OBG. vom 8. 5. 1889 (GS. 107) und das G. zur Abänderung der 21—30 des G. vom 3. 7. 1875 und 2. 8. 1880 vom 26. 3. 1893 (GS. 60). Das LVG. selbst ist abgeändert durch die G. bzw. B. vom 29. 9. 1923 (GS. 455) bzw. § 124; 18. 1. und 12. 3. 1924 (GS. 40, 130) bzw. §§ 106, 107, 54; 25. 5. 1926 (GS. 163) bzw. §§ 73, 103; sowie vorübergehend durch das G., betr. Vereinfachung der Verwaltung vom 13. 5. 1918 (GS. 53) bzw. §§ 64, 67, 75, 76, 93, 108. Letzteres G., welches für die Dauer des Krieges die formellen Anforderungen ver­ schiedener G. milderte, ist noch nach Friedens­ schluß mehrfach verlängert worden, zuletzt durch G. vom 10. 11. 1925 (GS. 157) bis sechs Jahre nach Friedensschluß, so daß es, da als Termin desselben für Preußen laut B. vom 29. 12. 1921 (GS. 22, 10) der 11. 11. 1927 zu gelten hat, am 11.11. 1927 feine Rechtsgültigkeit verlor. »Durch G. vom 3. 1. 1928 (GS. 1) ist es rückwirkend ab 11. 11. 1927 mit der Maßgabe wieder in Kraft gesetzt worden, daß die in der Zwischenzeit er­ gangenen Entscheidungen und Bf. rechtsgültig blieben, einerlei, ob sie auf das BereinsachungsG. oder auf die durch dieses G. außer Wirksamkeit gesetzten Vorschriften gestützt waren. Neben den im LVG. genannten V. haben als solche in gewissem Falle auch die Landeskultur­

behörden (G. vom 9. 6. 1919, GS. 101) und die Bergausschüsse (§ 194a BergG. in der Fassung durch G. vom 14. 7. 1905, GS. 103) zu fungieren, für deren Verfahren alsdann die Vorschriften des LVG. maßgebend sind. Dieser im Deutschen Reich bestehende Rechts­ zustand entspricht der Vorschrift in Art. 107 RB., nach welchem im Reich und den Ländern V. zum Schutze der Einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen müssen. Die Ausführung soll nach Maßgabe der G. erfolgen. Das Reich hat bisher weder selbst das in der RV. (Art. 31, 166) angezogene Neichsverwaltungsgericht ins Leben gerufen, noch Vor­ schriften über die Durchführung des Art. 107 in den Ländern erlassen. Dagegen bestehen auf Grund der vor und nach Erlaß der RV. erlassenen Reichsgesetze verschiedene Sonderreichsverwal­ tungsgerichte, welche teils als oberste Instanz gegenüber den zur Ausführung dieser G. be­ rufenen Landesinstanzen, teils selbständig wirk­ sam werden. Es sind dies: die Reichsrayonkommission, das Oberseeamt mit den Seeämtern, das BAH., das RBA. mit den OVA. und den VA. für Streitigkeiten der Arbeiter-, Angestellten- und Knappfchaftsversicherung, das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung, das Reichsverforgungsgericht nebst den Versorgungsgerichten, derReichssinanzhof und die Reichsfinanzgerichte, das Reichswirtschaftsgericht sowie, falls man Ver­ fassungsstreitigkeiten mit zu Verwaltungssachen rechnet, der Staatsgerichtshof. Die verwaltungs­ gerichtliche Tätigkeit des Staatsgerichtshofs zum Schutz der Republik ist mit dessen Auflösung durch G. vom 31. 3. 1926 (RGBl. I 190) auf das RG. übertragen worden. r| II. Begriff. Aus dem Ursprung der Berwaltungsgerichtsbarkeit, dem Schutz des einzelnen gegen Verwaltungsakte, ergaben sich auch die kennzeichnenden Merkmale, die gerichtliche Form des Verfahrens und die Abgrenzung feines Gel­ tungsgebietes. Die Ausübung der V. kann durch die ordentlichen Gerichte oder durch besondere V. erfolgen; letztere setzen sich entweder aus Mit­ gliedern der Verwaltungsbehörden, die in dieser Tätigkeit Unabhängigkeit genießen, und aus ordentlichen Richtern, oder aus Laienmitgliedern zusammen, oder sie werden ausschließlich aus Verwaltungsrichtern gebildet. Die erste Art der Organisation, welche in 8 4 des EG. zum GVG. vom 27. 1. 1877 (RGBl. 77) ausdrücklich als eine zulässige Maßnahme der Landesgesetzgebung be­ zeichnet und z. B. auch bis zum Jahre 1921 in Hamburg bestand (s. oben I), fand ihren Haupt­ befürworter in Bähr, während Gneist, dessen Werke vor allem die mit der Einführung der Selbstverwaltung verbundene Schaffung der Ver­ waltungsgerichtsbarkeit in Preußen zu danken ist, sich für die zweite Form einsetzte und den Haupt­ wert auf ein unabhängiges Gerichtsverfahren legte. Was die Abgrenzung der Berwaltungsgerichtsbarkeit gegenüber den sonstigen Gerichtsverfahren betrifft, so liegt es auf der Hand, daß sie mit dem Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit wenig gemein hat. Ihre Ver­ schiedenheit von dem Strafverfahren ferner ist wenigstens nach deutschen Anschauungen, un­ geachtet ihrer Ausdehnung auf Beamten-,

VerwaltungsgerichLe (Berwaltungsstreitverfahren)

Disziplinär- und Ordnungsstrafsachen und obwohl auch bei uns in neuerer Zeit für eine Übertragung der sog. Polizeidelikte an die V. eingetreten wird (s. Drews, Grundzüge einer Berwaltungsreform, Berlin 1919, Carl Heymanns Verlag), ebenfalls nicht zweifelhaft. Dagegen besteht Meinungs­ verschiedenheit darüber, worin der begriffliche Unterschied zwischen der Berwaltungsgerichtsbarkeit und dem Zivilprozeß zu suchen sei. Auf den Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Recht läßt sich kein entscheidendes Gewicht legen, da, wie einerseits im Zivilprozeß mehrfach An­ sprüche des öffentlichen Rechts den Gegenstand einer Entscheidung bilden, und häufig zwecks Entscheidung der streitigen Ansprüche des Privat­ rechts über Vorfragen des öffentlichen Rechts zu befinden ist, so andererseits die V. öfter über Ansprüche des Privatrechts als Jnzidentpunkte zu entscheiden haben. Abgesehen von Hamburg und Bremen, wo nicht nur bei Anfechtung be­ hördlicher Verfügungen, sondern auch bei „son­ stigen Streitigkeiten des öffentlichen Rechts" die Anrufung der B. zugelassen ist, fehlt es in Deutsch­ land an einem öffentlichrechtlichen Gegenstück zu der Vorschrift in § 13 GVG., wonach vor die ordentlichen Gerichte grundsätzlich alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gehören (Jellinek, Verwal­ tungsrecht, Berlin 1928, bei Julius Springer). Aus diesem Grunde hat auch Drews in den oben angeführten „Grundzügen einer Berwaltungs­ reform" die Beibehaltung des allerdings inzwi­ schen durch das G. vom 16. 11. 1920 (GS. 1921, 65) aufgehobenen Konflikts- und einen weiteren Ausbau des Kompetenzkonfliktverfah­ rens befürwortet. Gegenüber den reinen Berwaltungssachen ist die Grenze dadurch gezogen, daß als Verwaltungs­ gerichtsbarkeit nur für das BwStr. gilt (§ 7 LBG.), so daß auch das zum Teil unter Mitwirkung der V. stattfindende, mit besonderen Rechtskaute­ len ausgestattete formelle Beschluhverfahren(s. d.) ausgeschlossen wird, während vielfach im Anschluß an ein solches Beschlußversahren das BwStr. stattfindet oder wahlweise neben ihm hergeht. Der Streitcharakter der Verwaltungsgerichtsbar­ keit wird auch dadurch gekennzeichnet, daß die Entscheidungen der B. gleich den zivilprozessualen Urteilen materielle Rechtskraft nur im Verhältnis zu den im Streit befangen gewesenen Rechten und Personen äußern. Ob dagegen die V. in allen Instanzen die volle Jurisdiktionsfreiheit genießen oder sich unter Ausschaltung der reinen Tat- oder der Ermessungsfragen allein auf die Entscheidung der Rechtsfragen beschränken müs­ sen, ob die Wirksamkeit der B. das Vorliegen eines bestimmten Verwaltungsaktes verlangt oder die sog. Feststellungsklage zulässig ist (in Preußen bisher nur in verschwindendem Maße) und ob endlich die preußische Enumerationsmethode gilt, oder, wie in anderen Ländern, am weitgehend­ sten in Hamburg und Bremen (s. bei I), eine Generalklausel die Anrufung der B. in allen Fällen einer angeblichen Verletzung des öffent­ lichen Rechts ermöglicht, bildet kein Wesens­ merkmal der V. Bezüglich der Durchführung des BwStr. ist dessen Form am meisten in Preußen gewahrt, das sich, wie der Präsident des OBG., Drews, in der Festrede zum Jubiläum des OBG. hervor-

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hob, trotz seines ultrareaktionären Rufes schon in der Organisationsgesetzgebung der 70er Jahre zu der demokratischen Maßnahme verstand, bei Anfechtung behördlicher Verfügungen und Ent­ scheidungen der betreffenden Behörde die Rolle eines Beklagten zuzuweisen, während in anderen Ländern für diese Fälle ein Vertreter des öffent­ lichen Interesses bestellt wird, in Bayern ein Staatsanwalt, der, „am gleichen Tische wie die Richter sitzend, ; schon äußerlich den Abstand von einer gewöhnlichen Partei wahrt" (Jellinek 297). III. Das Verwaltungsstreitverfahren in Preußen ist in §§ 61—114 LVG. und in den gleichzeitig für das Beschlußverfahren geltenden §§ 50—60 LVG. geordnet. Es ist im wesentlichen der Zivilgerichtsbarkeit nachgebildet. Eine An­ zahl der für den Zivilprozeß geltenden Vorschrif­ ten ist teils schlechthin, teils entsprechend als auch im BwStr. anwendbar erklärt oder mehr oder weniger wörtlich wiederholt, und wegen der Kürze und Knappheit der maßgebenden Bestim­ mungen im Landesverwaltungsgesetz ist zu deren Auslegung und zur Ausfüllung der vorhandenen Lücken ein Zurückgreifen auf das Zivilprozeßrecht nicht zu vermeiden. Durch die Zulassung des VwStr. wird das Beschlußversahren ausgeschlos­ sen, wenn nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist (z. B. bei der sog. Wahlklage nach § 128 LVG.; s. Klage und Polizeiliche Verfügungen VI). Das BwStr. wird in drei Instanzen geübt. Von diesen ist die zweite eine Berufungsinstanz mit der Befugnis der Parteien zu neuen An­ führungen jeder Art sowie mit nochmaliger Ent­ scheidung der ganzen Streitsache. Dagegen ist die dritte eine auf die rechtliche Nachprüfung beschränkte und nur nach Aufhebung der Vorent­ scheidung bei Spruchreifheit eine Erledigung des Streits durch anderweitige Entscheidung ermög­ lichende Revisionsinstanz. Die drei Instanzen sind aber nicht in jeder Beziehung sämtlich, viel­ mehr ist mitunter sogar nur eine und vielfach sind bloß zwei, davon die zweite nicht selten auch nur als Revisionsinstanz eröffnet. B. sind die KrA. (Stadtausschüsse, Magistrate, kollegialischen Gemeindevorstände, Amtsausschüsse), die BezA., an deren Stelle gemäß § 26 des G. vom 5. 5. 1920 (GS. 286) für gewisse Angelegenheiten innerhalb des Siedlungsverbandes Ruhrkohlen­ bezirk der Verbandsrat tritt, die BergA. und das OBG. (im Falle des § 24 des G. vom 9. 6. 1919, GS. 101, das OLKA.), deren Mitglieder einschließ­ lich der, außer bei dem OVG., mitwirkenden Laien die Stellung von Richtern haben, auch der Ausschließung und Ablehnung wie solche unter­ liegen (s. die betr. Artikel). Die sachliche Zu­ ständigkeit der V., für die der Satz, daß sie nur vorhanden sind, soweit sie besonders vorgeschrie­ ben, noch ausdrücklich ausgesprochen worden ist (§ 7 Abs. 2, § 54 Abs. 2 LVG.), ist namentlich im ZG., außerdem aber noch in zahlreichen anderen G. und auf Grund eines G. erlassenen Verord­ nungen geregelt. Erlangt während eines vor dem KrA. schwebenden Verfahrens eine Land­ gemeinde Stadtrechte, so ist die Sache vom KrA. dem BezA. zur Entscheidung vorzulegen (OVG. 77, 277). Wo in den G. vom B. schlechthin die Rede ist, gilt als solches im Zweifel der BezA. (§ 7 Abs. 4). Grundsätzlich liegt dabei die sog. Enumerationsmethode zugrunde, d. h. die Ber-

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Verwaltungsgerichte (Verwaltungsstreitverfahren)

waltungsstreitsachen find im einzelnen als solche bezeichnet. Eine Abweichung hiervon besteht be­ sonders insofern, als ganz allgemein, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich anderes bestimmt, gegen­ über allen polizeilichen Verfügungen der Ortsund Kreisbehörden, sowie der RP. das VwStr. eröffnet ist, wenn sie rechts- oder sachwidrig sind §§ 127ff. LBG.). Die örtliche Zuständigkeit ist in den §§ 57—59 LBG. geregelt (s. Gerichts­ stand III). Eine Vereinbarung über den Ge­ richtsstand ist unzulässig (OVG. 71, 365). Das Verfahren hat die Form eines kontradiktorischen Parteiprozesses mit wirklichen Parteien wie im Zivilprozeß, für welche wie in diesem die Begriffe der Parteifähigkeit und der Prozeßfähigkeit in Betracht kommen, erhalten. Wo nicht von selbst zwei einander gegenüberstehende Parteien ge­ geben sind, wird die erforderliche Gegenpartei künstlich als sog. Kommissar zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses geschaffen. Außer den Parteien gibt es noch beigeladene dritte Per­ sonen, denen gegenüber die Entscheidung eben­ falls gültig ist, und deren Hinzuziehung wenn nicht allein, so doch wesentlich mit stattfindet, um dem Bedürfnisse nach allseitiger Aufklärung einer Sache sowie nach deren einheitlicher Entscheidung gegenüber einer Mehrheit von Personen genügen zu können. Die Parteien, worunter hierbei auch der Beigeladene zu verstehen ist, einschließlich der Behörden und Beamten, die Parteien sind, können sich durch Bevollmächtigte, namentlich Rechtsanwälte, bzw. nach G. vom 25. 5. 1926 (GS. 163) durch Verwaltungsrechtsräte (s. d.) vertreten lassen, ferner sich eines Beistandes bedienen. (Wegen der Vertretung von Behörden durch Kommissare s. Kommissar im Berwaltungsstreitverfahren.) Die Parteien haben dabei das Recht der freien Auswahl mit der Be­ schränkung, daß das Gericht Vertreter, welche, ohne Rechtsanwälte oder Verwaltungsrechtsräte zu sein, die Vertretung vor dem Gericht geschäfts­ mäßig betreiben, zurückweisen kann, welche An­ ordnung nicht anfechtbar ist (§ 73 Abs. 1 u, 2). Die Bevollmächtigung muß durch eine Vollmacht, die den Vorschriften des BGB. für eine solche genügt, nachgewiesen werden, und zwar nicht dem Gegner, sondern dem Gerichte. Der § 80 Abs. 2 ZPO. über die Beglaubigung der Voll­ macht gilt im VwStr. nicht entsprechend. Ge­ meindevorsteher, welche als solche legitimiert sind, bedürfen jedoch zur Vertretung ihrer Gemeinden einer besonderen Vollmacht nicht (§ 73 Abs. 3), welche Vorschrift besonders für die Fälle prak­ tisch bedeutsam ist, in denen nach dem bestehenden Gemeinderecht über den streitigen Gegenstand nicht sowohl der Gemeindevorsteher als solcher in Kraft seines Gemeindeamtes, sondern die Ge­ meinde selbst durch die Gemeindeversammlung bzw. wo eine solche besteht, die Gemeindever­ tretung zu verfügen hat (OVG. 6, 138; 55, 493). Sie sind auch ihrerseits befugt, allein und ohne Beobachtung der sonst für Vollmachten der Ge­ meinden geltenden Vorschriften einen anderen zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Ver. tretung der Gemeinde zu bevollmächtigen. An­ waltszwang gilt niemals. Ebenso sind die im Zivilprozesse für die sog. Prozeßagenten gelten­ den Besonderheiten dem Pr. VwStr. noch un­ bekannt. Auch ein Armenrecht wie im Zivilprozeß

gibt es nicht. Desgleichen nicht einen Partei­ betrieb, sondern lediglich den sog. Amtsbetrieb. In der Hauptsache ist das Verfahren schriftlich; doch findet regelmäßig eine mündliche öffentliche Verhandlung statt. Es gilt dafür die Untersuchungs- (Offizial-) Maxime, namentlich ist das B. befugt — geeignetenfalls schon vor Anberau­ mung der mündlichen Verhandlung — von Amts wegen Untersuchungen an Ort und Stelle zu veranlassen, Zeugen und Sachverständige zu laden und eidlich zu vernehmen, überhaupt den angetretenen oder nach dem Ermessen des Ge­ richts erforderlichen Beweis in vollem Umfang zu erheben (§ 76 LVG.). Die Untersuchungs­ maxime ist jedoch mehrfach zugunsten der Ver­ handlungsmaxime durchbrochen, besonders da­ durch, daß die Entscheidungen nur die zum Streit­ verfahren vorgeladenen Parteien und die darin erhobenen Ansprüche betreffen dürfen (§ 79 letzter Satz LVO.). Ebenso ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit eingeschränkt. Immer gilt, daß die Parteien vor der Entscheidung ihrer Streit­ sache ein Recht darauf haben, zu hören und ge­ hört zu werden; dies erleidet bei den sog. Vor­ bescheiden (s. unten) nur scheinbar eine Aus­ nahme. Die Eventualmaxime ist nicht anerkannt. Dagegen gilt, von einzelnen besonderen Vor­ schriften, welche die V. an anderweit getroffene Feststellungen binden, abgesehen, die Über­ zeugungstheorie, d. h. das Gericht hat nach seiner freien, aus dem ganzen Inbegriff der Verhand­ lungen und Beweise — Zeugen, Sachverständige, Urkunden, Augenschein, nicht jedoch Eid — ge­ schöpften Überzeugungen zu entscheiden (§ 79 erster Satz). Ein Versäumnisverfahren findet nur insofern statt, als beim Ausbleiben der betreffen­ den Partei oder in Ermangelung einer Erklärung derselben die von der Gegenpartei vorgebrachten Tatsachen für zugestanden erachtet werden können (§ 79 Satz 2). Neben der Offizialtätigkeit des Gerichts selbst ist auch noch sonst dafür Sorge ge­ tragen, daß das öffentliche Interesse an der rich­ tigen und gleichmäßigen Entscheidung zu seinem Rechte kommt. Das VwStr. ist niemals obliga­ torisch, setzt vielmehr die vom freien Willen ab­ hängige Erhebung einer Klage mit gewissen For­ men voraus (s. Klage), die regelmäßig bei dem zuständigen Gerichte — teilweise binnen einer bestimmten Frist (s. Fristen und Wiederein­ setzung in den vorigen Stand), beim Mangel einer anderweitigen gesetzlichen Vorschrift einer solchen von zwei Wochen, bei deren Versäumung das Klagerecht verlorengeht (§ 52 LVG.) — anzubringen ist. In gewissen Fällen wird die Klage durch den Antrag auf mündliche Verhand­ lung im VwStr. ersetzt, der alles enthalten muß, was für den Klageantrag, d. i. hier die Klage­ schrift, erfordert ist, soweit es sich nicht aus den Vorverhandlungen bei der Behörde ergibt (§ 69Abs. 2). Die als Rechtsmittel gegen polizeiliche Verfügungen (s. d. VI), in §§ 127, 128 LVG. zugelassenen Klagen können nur auf bestimmte Gesetze gestützt werden. Oster ist die Klage nicht sofort, sondern erst zulässig, nachdem die Behörde, um deren Vorgehen es sich handelt, durch ihre Anrusung (Einspruch oder Beschwerde, welches letztere Wort dann im uneigenllichen Sinne zu verstehen ist, z. B. §§ 46, 56, 66 ZG.) Gelegenheit und Anlaß zur nochmaligen Prüfung erhalten hat-

Verwaltungsgebühren Bei Anfechtung polizeilicher Verfügungen nach §§ 127ff. LVG. (s. oben) findet fie erst nach eigentlicher Beschwerde bei der höheren Behörde oder wahlweise mit einer solchen statt. Unter gewissen Voraussetzungen kann auf die Klage sofort durch einen, gegebenenfalls vom Vorsitzen­ den des KrA. bzw. BezA. namens des Kolle­ giums erlassenen Bescheid (sog. Vorbescheid) ent­ schieden werden, woraus die Partei entweder mündliche Verhandlung beantragen oder das gegen eine Entscheidung des Kollegiums zulässige Rechtsmittel einlegen kann (§ 64). Im anderen Falle ist eine Gegenerklärung vom Beklagten zu erfordern (§ 65), die wie alle Schriftsätze im VwStr. nicht bloß von vorbereitender, sondern von bestimmender Natur ist. Für die Klage und die Gegenerklärung sowie für die etwaigen sonstigen Schriftstücke gilt, daß die als Beweismittel in Bezug genommenen Urkunden im Original oder in Abschrift beizufügen und von ihnen und ihren Anlagen Duplikate einzureichen sind. Das Ge­ richt kann jedoch geeignetenfalls gestatten, daß statt der Einreichung von Duplikaten die Anlagen selbst zur Einsicht der eBteiligten in seinem Ge­ schäftslokal offengelegt werden (§ 66). Besteht auch nach dem Schriftwechsel oder nach dem Ab­ laufe der Frist für die Abgabe der Gegenerklärung die Möglichkeit eines Vorbescheides (gemäß § 67) nicht, oder erscheint es nicht angemessen, davon Gebrauch zu machen, so ist, falls nicht die Parteien ausdrücklich auf mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 80), eine solche anzuberaumen und sind die Parteien hierzu zu laden unter der Ver­ warnung, daß bei ihrem Ausbleiben nach Lage der Verhandlungen werde entschieden werden, je­ doch auch mit der Befugnis des Gerichts, zur Auf­ klärung des Sachverhältnisses das persönliche Er­ scheinen einer Partei anzuordnen. Dabei steht den Parteien frei, ihre Erklärungen, auch ohne dazu besonders ausgefordert zu sein, vor dem Termin schriftlich einzureichen und zu ergänzen. Das Duplikat solcher Erklärungen ist der Gegen­ partei zuzusertigen. Kann das nicht mehr vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung be­ wirkt werden, so ist ihr wesentlicher Inhalt in dieser Verhandlung mitzuteilen (§ 68 Abs. 3). Zu der mündlichen Verhandlung ist auch der ge­ mäß § 74 Abs. 3 für den Fall, daß das G. eine für die Parteirolle als Kläger oder Beklagter in Betracht kommende öffentliche Behörde nicht be­ zeichnet, vom Vorsitzenden des KrA. oder des BezA. oder vom Fachminister zu bestellende Kommissar zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses zu laden, da er im Gegensatz zu den sonst in diesem Paragraphen vorgesehenen Kom­ missaren (s. Kommissar im Verwaltungsstreitversahren) alle Rechte und Pflichten einer Partei hat. Wo nach dem Gesetz die Klage durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung im VwStr. ersetzt wird, erfolgt ohne weiteres die Vorladung der Parteien zu derselben (§ 69 Abs. 1), so daß in diesem Falle auch dann, wenn der An­ trag formell oder sachlich unzulässig erscheint, ein Vorbescheid nicht statthaft ist (OVG. 76, 477). Das Klagevorbringen kann in der mündlichen Verhandlung, über welche entweder von einem vereidigten Protokollführer oder von einem Mit­ glied des Gerichtshofes eine Niederschrift zu ver­ fassen ist (8 75 in Fassung des G. vom 13. 5.1918),

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ergänzt und berichtigt und die Klage abgeändert werden, sofern das Verteidigungsrecht des Geg­ ners dadurch nicht geschmälert oder keine erhebliche Verzögerung des Verfahrens herbeigesührt wird. Aus Grund der Verhandlung kann ein Beweis­ beschluß ergehen auf Erhebung des für notwendig, oder, hat schon vorher eine gegebenenfalls vom Vorsitzenden veranlaßte Beweisaufnahme statt­ gesunden, des noch weiter für notwendig erachte­ ten Beweises. Uber den Beweis im VwStr. enthält das LVG. nur die wenigen Vorschriften in den §§ 76—78 (s. Beweis). Für den Beweis­ beschluß ist kein besonderer Inhalt vorgeschrieben; der Natur der Sache nach muß er aber den Be­ weisgegenstand und die Beweismittel erkennen lassen. Nach seiner Erledigung ist eine weitere mündliche Verhandlung anzuberaumen. Ist kein Beweis mehr erforderlich, oder ist dieser in der mündlichen Verhandlung selbst erhoben worden, so ergeht das nicht bloß der sog. formellen, son­ dern auch der sog. materiellen Rechtskraft fällige Urteil. Dieses ist in Streitsachen, für welche § 21 GewO, maßgebend ist, stets (§ 157 Ziff. 1 LVG.), sonst der Regel nach in öffentlicher Sitzung zu verkünden; erfolgt die Verkündung nicht in öffentlicher Sitzung, so genügt die Zustellung. Eine mit Gründen versehene Ausfertigung des Urteils ist den Parteien und, sofern ein besonderer Kommissar zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses bestellt war (§ 74 Abs. 2), gleichzeitig auch diesem zuzustellen (§ 81). Die Rechtsmittel im VwStr., bei denen die Unzulässigkeit einer Reformatio in pejus besteht, sind die Berufung (§§ 82—92), die Revision (§§ 93—99) und die Beschwerde (§§ 110, 111). Außerdem gibt es noch die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die ergangenen rechtskräftig gewordenen Urteile (§ 100) und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung präklusivischer Fristen (§ 112) (s. die betr. Artikel). Bon den Kosten des VwStr. handeln die §§ 102—109, zu deren Ausführung die Gebührenordnung vom 24. 12. 1926 (MBl. 1927, 3) und der MErl. betr. Einziehung und Verrechnung der Gebühren (Kostenpauschsätze) und baren Auslagen des VwStr. vom 26. 7. 1927 (MBl. 782) ergangen sind. (S. Kosten, Auslagen, Kostenpauschsatz.) Die Gebühren der Verwaltungsrechtsräte und Rechtsanwälte richten sich nach den für die Rechtsanwaltsgebühren bei den ordentlichen Ge­ richten geltenden Vorschriften, d. h. nach der RGebührenO. vom 5. 7.1927 (RGBl. 1162) und der LGebührenO. vom 28. 10. 1922 (GS. 410). Wegen Wirkung eines Vergleichs, Anerkennt­ nisses und Verzichtes s. OVG. 25, 211; 43, 458; 48, 33; 54, 87; wegen der Kostenberechnung in diesen Fällen s. Erl. vom 24.12.1926 (MBl. 1927, 3 zu II). S. auch ^Gerichte und Gerichts­ behörden V. Ly. Ansch ütz, Justiz und Verwaltung in der „Knltur der Gegenwart" 2 Ausl., II. Teil; derselbe im „Handbuch der Politik" Sb. I; derselbe im Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, Ergänzungsband 1927; v. B ra uchitsch lDrews-Lassar) 1925; Drews js. o.); v. Elbe ls. o.); F l ein er, Institutionen 1920;Friedrichs, Verwaltungßrechtspflege 1920; Hätschel, Lehrbuch des deutschen und preußischen Verwaltungsrechts 1927; Jellinek ls. o.); Otto Mayer, Deutsches Verwal­ tungsrecht, 1924; Mer kl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927. Ausführliche Literaturangabe bei v. Elbe ls. o.).

Berwaltungsgebühren s. Gebühren L.

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Berwaltungsordnung höherer Lehranstalten — Verwaltungszwangsverfahren

Berwaltungsordrrrrrrg höherer Lehranstalten s. d. Verwaltung II 3. Berwaltungsrecht s. Staatsrecht. BerwaltungSrechtSräte. In teilweiser Ab­ änderung des § 73 Abs. 2 LBG., nach welchem die Berwaltungsgerichte solche Vertreter der Par­ teien, welche, ohne Rechtsanwälte zu sein, die Vertretung vor dem Gerichte geschäftsmäßig be­ treiben, zurückweisen können, ist das G., bett, die Vertretung vor den Verwaltungs­ gerichten, vom 25. 5. 1926 (GS. 163; s. auch Erl. vom 9. 7. 1926, MBl. 654) ergangen. Da­ nach muß zur berufsmäßigen Vertretung vor den Verwaltungsgerichten Hugelassen werden, wer die Befähigung zum preußischen höheren Ver­ waltungsdienst oder zum Richteramt'lerlangt hat, mindestens zwei Jahre hindurch in Preußen im Dienste des Staates, einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes oder in einer Kirchenverwal­ tung gestanden hat und in die bei dem OBG. zu führende Liste der B. eingetragen worden ist (§ jl). Über den Eintragungsantrag entscheidet ein Senat des OBG.; die Genehmigung kann durch den Vorsitzenden allein erfolgen. (Für die Zulassung ist eine Verwaltungsgebühr von 20 RM zu'erheben; Erl. vom 30. 6. 1926, MBl. 627.) Der Antrag muß ^abgelehnt werden, wenn der Antragsteller a) durch strafgerichtliches Urteil die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter dauernd verloren hat oder zur Zeit nicht besitzt, b) auf Grund des § 7 Ziff. 3 (wegen gröblicher Pflichtverletzung) in der Liste der B. gestrichen ist, c) gerichtlich in der Vermögensverwaltung beschränkt ist, d) durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche der geistigen oder körperlichen Kräfte zur Erfüllung seiner Pflichten dauernd unfähig ist, e) sich eines Verhaltens schuldig ge­ macht hat, das ihn der berufsmäßigen Rechts­ vertretung unwürdig gemacht hat (§ 3). Die Eintragung kann versagt werden, wenn der An­ tragsteller infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Ämter zeitweilig verloren hatte (§ 4)- Ein eingetragener B. ist nach seiner Anhörung in der Liste zu streichen, wenn ein Versagungsgrund nachträglich bekannt wird oder eintritt oder, wenn er in gröb­ licher Meise gegen die Pflichten eines B. ver­ stößt (§ 7). Beschlüsse wegen ^Versagung der Eintragung oder der Streichung bedürfen der Begründung (§§ 5, 8). Sie können binnen zwei Wochen im Wege der Beschwerde angefochten werden, über welche ein auf neun Mitglieder er­ weiterter Senat unter Vorsitz des Präsidenten des OVG. entscheidet. Dabei darf kein Mitglied .mitwirken, das bei dem angefochtenen Beschluß beteiligt war (§ 9). Nach erfolgter Eintragung ist der V. in öffentlicher Sitzung eines Verwal­ tungsgerichts zu vereidigen (§ 6). Ein V. darf nicht in einer Angelegenheit tätig werden, in welcher er selbst als Richter teilgenommen hat (§ 11). Die auf die Vertretung durch Rechts­ anwälte, bzw. ihre Gebühren im VwStr. bezüg­ lichen Vorschriften in §§ 73 und 103 LVG., § 37 des DisziplinarG. für nichtrichterliche Beamte vom 21. 7.1852 (GS.465) und in §§ 9 und 13 der B., betr. die Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden vom 1. 8. 1879