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German Pages 349 [357] Year 2007
Springer-Lehrbuch
Dieter Ahlert · Peter Kenning
Handelsmarketing Grundlagen der marktorientierten Führung von Handelsbetrieben
Mit 113 Abbildungen und 21 Tabellen
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Professor Dr. Dieter Ahlert Priv.-Doz. Dr. Peter Kenning Institut für Handelsmanagement der Universität Münster Am Stadtgraben 13–15 48143 Münster [email protected] [email protected]
ISBN 978-3-540-40871-0 Springer Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg SPIN 10956823
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Gedruckt auf säurefreiem Papier
Vorwort
Warum gibt es Handel, und wozu? Ist er produktiv? Lässt sich seine Existenz rechtfertigen? Und: Ist es für BWL-Studenten und spätere Manager(innen) überhaupt ratsam, sich mit dem Handel zu befassen? Diese Fragen drängen sich auf, wenn man die Jahrhunderte währenden Diskriminierungen Revue passieren lässt, denen sich der Handel im Verlauf der Geschichte ausgesetzt sah. Besonders drastisch bringt der französische Frühsozialist Charles Fourier das Unbehagen der Bevölkerung und von Teilen der Fachwelt auf den Punkt: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bezeichnet er den Handel “als Partei der Lüge mit dem Rüstzeug Bankrott, Spekulation, Wucher und Betrug aller Art, die aus verbündeten Piraten und Schwärmen von Aasgeiern besteht, die die landwirtschaftliche Arbeit und die Manufakturen verschlingt und in jeder Hinsicht das gesamte Volk unterjocht.“ Immer wieder wurde gegen den Handel der Vorwurf erhoben, er produziere keine Sachgüter, vermehre nicht ihren Bestand und verbessere nicht ihren Gebrauchswert, behalte aber einen Teil des Warenwertes in Form der Handelsspanne ein. Der Handel trage deshalb nicht nur nichts zur Wohlstandsvermehrung einer Volkswirtschaft bei (z.B. Physiokraten: “Wo nichts ist, kann auch nichts herkommen“), sondern vermindere das Güterangebot auch noch durch die Entnahme von Warenwerten als Entgelt der Handelstätigkeit. Diese fehlgeleitete Einschätzung der Rolle des Handels kann heute erfreulicherweise als überwunden gelten. Der Handel überbrückt Knappheitsunterschiede und erhöht damit ohne jeden Zweifel das Gesamtnutzenniveau auf Seiten der Verbraucher. Damit verdient er seine Handelsspanne. Die nobelpreisträchtige Antwort der Nationalökonomie auf die Frage nach der Existenzberechtigung mutet fast wie eine Unverschämtheit an: „Der Handel ist existenzberechtigt, weil er existiert“. Doch bei näherem Nachdenken ist aus heutiger Sicht nicht die Antwort, sondern die Frage (nach der Existenzberechtigung) eine Unverschämtheit: Wer in einer funktionsfähigen Marktwirtschaft in Frage stellt, ob die handelnden Akteure berechtigt sind zu handeln, hat das Prinzip des „Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren“ nicht begriffen. Denn: Wer oder was unter Wettbewerb (über)lebt, ist ex definitionem existenzberechtigt. Nun wäre es in Zeiten des ‚Geiz ist geil’ und der Machtkonzentration im Handel maßlos übertrieben zu behaupten, die Ressentiments der Fachwelt gegenüber dem Handel hätten sich durchweg in begeisterte Zustimmung verwandelt. Denn Händler leisten mehr als nur die Überbrückung von Knappheitsunterschieden: Sie bündeln die zersplitterte Nachfragemacht der Verbraucher und tragen sie massiert
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Vorwort
an die Herstellerstufe heran. Mit der schlechten Nachricht konfrontiert, dass seine Markenerzeugnisse in den Augen der Verbraucher austauschbar geworden sind, sehnt sich manch ein Hersteller insgeheim nach ,dem alten Griechenland’ zurück. Dort wurden die Überbringer schlechter Nachrichten schon mal ,einen Kopf kürzer’ gemacht. Wettbewerbspolitisch gesehen handelt es sich indessen um einen durchaus erwünschten Ausleseprozess, der von der Verbraucherstufe ausgehend über die Handelsstufe auf die Herstellerstufe fortgewälzt wird. Solange auf der Handelsstufe intensiver Wettbewerb besteht, sind die Händler zwingend darauf angewiesen, jede nur denkbare Sonderkondition in Anspruch zu nehmen, um ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Sonderkonditionen in Form von Preisnachlässen oder so genannten Eintrittsgeldern gewährt werden. Die Nachfragemacht des Handels kann in dieser Situation als derivativ bezeichnet werden, da sie sich aus der Übermacht der Verbraucher ableitet. Ganz anders allerdings wäre die Situation zu beurteilen, wenn es einem hoch konzentrierten Handelssystem gelänge, in einem relevanten Markt den Regalplatz dermaßen zu verknappen, dass es eine Monopolstellung innehätte. Dabei ist zunächst an die Monopolstellung gegenüber dem Verbraucher zu denken, aus der sich dann die Unverzichtbarkeit des Handels für die Industrie herleitet. In diesem Falle würde das Handelssystem über eine originäre Machtbasis verfügen, die seine Existenzberechtigung tatsächlich in Frage stellt; denn diese setzt expressis verbis funktionierenden Wettbewerb voraus. Erheblich komplizierter wird die Beurteilung des Handels, wenn man nun noch bedenkt, dass der Handel eine weitere Rolle spielt: Nicht nur Knappheitsunterschiede zu beseitigen, sondern sie erst herbei zu führen, zählt zu seinen existenziellen Aufgaben. Und diesen Aufgaben, dem so genannten „Handelsmarketing“, ist das vorliegende Buch gewidmet. Die Intention des Marketing besteht - verkürzt ausgedrückt - darin, (partielle) Monopolstellungen in den Augen der Verbraucher zu erlangen, spezifische Zahlungsbereitschaften zu schaffen und sie dann abzuschöpfen. Das hatte schon Erich Gutenberg, der Lehrer des alphabetisch erst gereihten Autors dieses Buches und verehrtes Vorbild beider Autoren, mit der Metapher des akquisitorischen Potenzials zum Ausdruck gebracht. Die doppelt geknickte Preis-Absatz-Funktion, das Logo dieses Buches, bringt die Monopolisierungsintention des Handels optisch zur Geltung: Ob mit dem berüchtigten ’ich bin doch nicht blöd’ -Slogan oder der Positionierung als Konsumpalast, der Handel will sich unverzichtbar machen, er strebt nach originären Machtpositionen. Geliebt oder nicht geliebt, längst spielt der Handel die zentrale Rolle in der Volkswirtschaft, er kann heute als unersetzlich gelten. Eher könnte man schon fragen, ob Produktion (in Deutschland) überhaupt noch existenzfähig ist. Zahlreiche Industrieunternehmen der Konsumgüterwirtschaft, vielleicht sogar die meisten, sind heute, gemessen an der Wertschöpfungsstruktur, nicht mehr primär Hersteller (sie ’lassen herstellen’, vornehmlich im Ausland), sondern sie sind primär Händler. Vorbei sind die Zeiten, in denen es Sinn gemacht haben mag, BWLStudenten zu zukünftigen Vorständen von Industrie-Aktiengesellschaften ausbilden zu wollen. Es ist ihnen dringend zu raten, sich mit Handelsbetrieben und ins-
Vorwort
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besondere mit Unternehmensnetzwerken in Handel, Distribution und Dienstleistung intensiv zu beschäftigen. Dies ist freilich ein dornenreiches Unterfangen; denn Handelsmarketing ist weitaus komplexer als beispielsweise industrielles Marketing. Betrachten wir nur exemplarisch den geradezu gigantischen Informationsbedarf eines Warenhauskonzerns im Vergleich mit einem Keks- oder Schnapshersteller. Die Marketingmanager eines solchen Handelssystems müssen sich auf (fast) alle Konsumgüterbranchen verstehen und in allen möglichen Marktfeldern beschaffungs- und absatzseitig operieren, sich mit den Kaufverhaltenseigenschaften, Wertewandlungen, Modeströmungen, Lebensstiländerungen der gesamten Bevölkerung beschäftigen und ein Mehrfaches einschlägiger Rechtsnormen beachten. Eigentlich kann Handelsmarketing, das hat schon Bruno Tietz deutlich gemacht, auf weniger als zweitausend Seiten nicht ausgewogen und abgerundet dargestellt werden. Angesichts der begrenzten Seitenzahl des vorliegenden Buches bestand die ,hohe Kunst’ im Weglassen. Wir müssen Grundkenntnisse des Marketing voraussetzen, wie sie z.B. in der ´blauen Marketing-Bibel´ von Heribert Meffert vermittelt werden. Wir beschränken uns darauf, nur die Besonderheiten des Handelsmarketing herauszuarbeiten, und legen den Fokus auf das Absatzmarketing des stationären Konsumgüterhändlers. Das Buch greift auf das ,gesprochene Wort’ der Münsteraner Handelsvorlesungen in den letzten 30 Jahren zurück. In dieser Zeit hat sich ein Gedankengut gefestigt, dessen Originalquellen nicht mehr vollständig rekonstruierbar sind. Es kann auch nicht gelingen, alle Publikationen, die als einschlägig gelten können, zu zitieren. Wir bitten alle Autoren und Kollegen, auch ,aus dem eigenen Stall’, um Nachsicht, wenn ihr Gedankengut in der vorliegenden Fassung zunächst noch unberücksichtigt und unerwähnt bleibt. Umso dankbarer sind wir unseren Lesern für entsprechende Hinweise und Anregungen. Unter den gewichtigsten Zusendungen werden wir dann 50 auswählen, denen wir gern als Dank ein Freiexemplar der 2. Auflage dedizieren möchten. Die Entstehung dieses Buches verdankt der Leser den Münsteraner Studierenden des Faches Distribution und Handel! Insbesondere die Jahrgänge 1998-2004 äußerten in Evaluationen immer wieder den Wunsch nach einem „eigenen“ Lehrbuch, in dem die zahlreichen Facetten der Münsteraner Handelsforschung gebündelt nachgelesen werden können. Insofern ist dieses Buch eine Reaktion auf einen mit Hilfe der Marktforschung (hier: der Evaluation) identifizierten, in den letzten Jahren stärker werdenden Kundenwunsch. Gleichwohl ist das dem Buch zu Grunde liegende Material von sämtlichen Mitarbeitergenerationen am Lehrstuhl für BWL, inbes. Distribution und Handel erarbeitet worden. Die Autoren konnten insofern auf die kompetente Vorarbeit von Personen zurückgreifen, die längst von der akademischen in die betriebliche Arbeitswelt, häufig auch des Handels, gewechselt haben oder an anderen Hochschulen forschen und lehren. Insofern ließe sich eine lange Liste von Personen nennen, denen sich die Verfasser zu Dank verpflichtet fühlen. Besondere Erwähnung verdienen hier jedoch die Herren Prof. Dres. Rainer Olbrich und Hendrik Schröder sowie Herr Dr. Stefan Kollenbach die weite Teile des Curriculums zu ihren Lehrstuhlzeiten mitentwickelt haben. Unseren Dank verdienen auch Herr Dr. Heiner
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Vorwort
Evanschitzky sowie Herr Dipl.-Kfm Markus Blut für ihre ständige Diskussionsbereitschaft. Besonders hervorzuheben ist jedoch Frau Dr. Kristin Große-Bölting die unerlässliche Zuarbeiten geleistet und deswegen einen großen Anteil am Gelingen diese Buches hat. Frau Dr. Verena Vogel und Herr Dr. David Woisetschläger haben wichtigen Support für die Kapitel „Preispolitik“ bzw. „Kommunikationspolitik“ geleistet. Herrn cand. rer. pol. Lukas Weierts danken wir herzlich für die umfangreiche Unterstützung im Vorfeld der Veröffentlichung. Darüber hinaus schulden wir Frau Anne Feldhaus, Frau cand. rer. pol. Monique Reinhold, Frau cand. rer. pol Sonja Heidebur sowie Frau cand. rer. pol. Kristina Böcker unseren Dank dafür, dass sie das Manuskript akribisch von Rechtschreibfehlern bereinigt haben. Sollten dennoch einige Fehler im Buch verblieben sein, so tragen die Verfasser daran die alleinige Schuld! Herrn Dr. Werner Müller und Frau Manuela Ebert vom Springer-Verlag danken wir dafür, dass sie die stets sehr gute Zusammenarbeit der letzten Jahre erfolgreich fortgeführt und eine unglaublich rasche Drucklegung ermöglicht haben. Schließlich danken wir unseren Familien und Freunden für die stete Nachsicht, mit der sie unsere Arbeitswut an zahlreichen Sonn-, Feier- und Urlaubstagen in den Jahren 2004 bis 2006 ertragen haben. Ohne eure Nachsicht wäre dieses Buch sicher nie entstanden.
Münster, Januar 2007
Dieter Ahlert Peter Kenning
Inhaltsverzeichnis
1. Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing............1 1.1 Handel ohne Marketing?..............................................................................1 1.2 Die historische Entwicklung des Handelsmarketing....................................2 1.2.1 Wirtschaftliche Frühgeschichte...........................................................3 1.2.2 Mittelalterlicher Handel ......................................................................4 1.2.3 Übergang zur Neuzeit..........................................................................6 1.2.4 Die Industrialisierung..........................................................................6 1.2.5 Die Kriegszeit......................................................................................8 1.2.6 1950 bis heute ...................................................................................10 1.3 Die Rahmenbedingungen des Handelsmarketing im 21. Jahrhundert........13 1.3.1 Die Kunden .......................................................................................13 1.3.2 Der Wettbewerb ................................................................................15 1.3.3 Weitere Rahmenbedingungen ...........................................................19 1.4 Grundlegender Prozess zur Entwicklung und Optimierung der Marketingkonzeption ................................................................................20 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing ...........................................27 2.1 Defizite in der Marktforschung im Handel ................................................27 2.2 Aufgaben und Prozess der Marketingforschung im Handel ......................27 2.3 Träger der Marketingforschung im Handel................................................31 2.4 Zum gesonderten Informationsbedarf im Handel ......................................34 2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung ........................36 2.5.1 Umweltanalyse..................................................................................36 2.5.2 Die Wettbewerbsanalyse ...................................................................40 2.5.3 Stärken-/Schwächenanalyse ..............................................................41 2.5.4 Analyse des Absatzmarktes...............................................................43 2.5.5 Bestimmung des relevanten Marktes von Handelsbetrieben.............44 2.5.6 Bestimmung von Marktsegmenten....................................................48 2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel.......................50 2.6.1 Panel-Analysen .................................................................................50 2.6.2 Testmarktsysteme..............................................................................52 2.6.3 Das Verkaufsgespräch als Informationsquelle ..................................54 2.6.4 Beobachtungsmethoden im Handel...................................................55 2.6.5 Befragungsmethoden im Handel .......................................................57 2.6.6 Kundenzufriedenheitsstudien ............................................................60 2.6.7 Scannerdaten und Warenkorbanalysen..............................................69
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Inhaltsverzeichnis
3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing .................................................. 71 3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing ....................................... 71 3.1.1 Begriff, Bedeutung und Funktionen der strategischen Planung im Handel............................................................................................... 71 3.1.2 Zielkonzeptionen und Strategien....................................................... 73 3.1.3 Die Prozessphasen des strategischen Managements im Überblick .. 83 3.1.4 Strategische Erfolgsfaktoren, Erfolgspotenziale, Erfolgspositionen und Benchmarking – Begriffsabgrenzung......................................... 84 3.2 Das Grundverständnis strategischen Planens und Handelns in der Handelsunternehmung .............................................................................. 88 3.2.1 Strategisches und operatives Planen im Rahmen des evolutionären Managements .................................................................................... 89 3.2.2 Maßgrößen und Kriterien des strategischen Managements............... 92 3.2.3 Zur Frage des Marktbezugs des strategischen Managements ........... 94 3.2.4 Die Funktion von Planungsstäben..................................................... 94 3.2.5 Zur Frage der Partizipation an der strategischen Planung................. 95 3.2.6 Zur Frage des Timings der strategischen Planung ............................ 95 3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing ...................................... 97 3.3.1 Das Analyse-Instrumentarium im Überblick .................................... 97 3.3.2 Die GAP-Analyse als Instrument zur Identifikation von strategischen Handlungsbedarfen...................................................... 98 3.3.3 Die Portfolio-Technik als zentrales Koordinationsinstrument ........ 100 3.3.4 Positionierungsmanagement im Handel.......................................... 106 3.3.5 Erfolgsfaktorenforschung und Benchmarking im Handel............... 107 4 Die Betriebstypenpolitik ................................................................................ 111 4.1 Begriff und Grundlagen........................................................................... 111 4.2 Darstellung ausgewählter Betriebsformen ............................................... 114 4.3 Positionierung alternativer Betriebstypen und -formen ........................... 118 4.4 Betriebstypenwahl und -diffusion............................................................ 129 4.4.1 Theoretische Grundlagen der Betriebstypendiffusion..................... 129 4.4.2 Strategie der Betriebstypendiffusion in Handelssystemen .............. 135 4.5 Methoden zur Entwicklung neuer Betriebstypen..................................... 137 4.5.1 Entscheidungskriterien für die Verbreitung neuer Betriebstypen in Handelssystemen............................................................................. 139 4.5.2 Zusammenfassende Darstellung der zentralen Einflussgrößen ....... 140 5 Markenpolitik im Handel .............................................................................. 143 5.1 Grundlagen der Markenpolitik im Handel ............................................... 143 5.1.1 Systematisierung der Markenbegriffe ............................................. 143 5.1.2 Markenmanagement im Handel als Integrationsaufgabe ................ 145 5.1.3 Die Grunddisziplinen des Markenmanagements im Handel ........... 146 5.2 Handelsmarken ........................................................................................ 147 5.2.1 Der Handelsmarkenbegriff.............................................................. 147 5.2.2 Bedeutung von Handelsmarken ...................................................... 148 5.2.3 Klassifikation real beobachtbarer Handelsmarken.......................... 149
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5.2.4 Konstitutive Merkmale von Handelsmarken...................................152 5.2.5 Stufen der Handelsmarkenentwicklung...........................................154 5.3 Betriebstypenmarken ...............................................................................157 5.3.1 Der Betriebstypenmarkenbegriff.....................................................157 5.3.2 Die Bedeutung der Betriebstypenmarke..........................................158 5.3.3 Klassifikation real beobachtbarer Betriebstypenmarken .................159 5.3.4 Konstitutive Merkmale der Betriebstypenmarke.............................161 5.3.5 Die Rolle der Betriebstypenmarke bei der Kaufentscheidung der Konsumenten ..................................................................................164 5.4 Netzmarken..............................................................................................166 5.4.1 Zur grundlegenden Konzeption von Distributionsnetzen................166 5.4.2 Grundzüge einer Typologie von Distributionsnetzen......................167 5.4.3 Anforderungen an das Markenmanagement von Netzwerken.........172 6 Die Standortpolitik .........................................................................................175 6.1 Die Begriffe „Standort“ und „Standortpolitik“ ........................................175 6.2 Charakteristika und Entscheidungsbereiche der Standortpolitik im Überblick.................................................................................................176 6.3 Die Standortwahl .....................................................................................178 6.3.1 Träger und Anlässe der Standortwahl .............................................178 6.3.2 Begriff und Bedeutung von Standortfaktoren .................................179 6.3.3 Makro- und Mikro-Standortwahl ....................................................181 6.3.4 Informationsquellen der Makro- und Mikro-Standortwahl .............182 6.3.5 Bewertungs- und Auswahlverfahren der Makro- und MikroStandortwahl ...................................................................................183 6.4 Die Standortkontrolle...............................................................................190 6.5 Die Standortgestaltung.............................................................................192 7 Die Sortimentspolitik......................................................................................195 7.1 Bedeutung und Grundlagen der Sortimentspolitik...................................195 7.1.1 Bedeutung der Sortimentspolitik für das Handelmarketing ............195 7.1.2 Begriffe und Elemente der Sortimentspolitik..................................196 7.2 Sortimentspolitische Entscheidungsprobleme .........................................198 7.2.1 Ziele und Bestimmungsgrößen der Sortimentspolitik .....................198 7.2.2 Handlungsalternativen der Sortimentspolitik ..................................201 7.3 Sortimentssteuerung mit Hilfe des kundengetriebenen Category Managements ..........................................................................................203 7.3.1 Das ECR-Konzept im Überblick.....................................................204 7.3.2 Konventionelles Category Management zur Lösung komplexer Konsumprobleme? ..........................................................................205 7.3.3 Die Konzeption des kundengetriebenen Category Managements ...207 7.3.4 Prozess der kundenorientierten Sortimentssteuerung......................208 7.4 Spezielle Problemstellungen im Rahmen der Sortimentsplanung ...........210 7.4.1 Optimierung der Markenstruktur.....................................................210
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Inhaltsverzeichnis
7.4.2 Die Berücksichtigung von Verbundeffekten bei der Sortimentsplanung .......................................................................... 212 7.5 Sortimentskontrolle.................................................................................. 215 8 Die Personalpolitik ......................................................................................... 221 8.1 Bedeutung der Personalpolitik für das Handelsmarketing....................... 221 8.2 Wahl der Bedienungsform ....................................................................... 223 8.2.1 Selbstbedienungssysteme................................................................ 223 8.2.2 Persönlicher Verkauf....................................................................... 224 8.3 Personalplanung....................................................................................... 226 8.4 Entgeltpolitik ........................................................................................... 228 8.5 Personalführung....................................................................................... 230 9 Die Preispolitik ............................................................................................... 233 9.1 Preispolitische Entscheidungsprobleme im Handel................................. 233 9.1.1 Bedeutung der Preispolitik für das Handelsmarketing.................... 233 9.1.2 Begriffe und Elemente der Preispolitik ........................................... 234 9.2 Preistheoretische Grundlagen .................................................................. 238 9.2.1 Klassische Ansätze.......................................................................... 238 9.2.2 Klassische Preisfindungsmethoden der Handelspraxis ................... 245 9.2.3 Beschaffungsorientierte Methoden ................................................. 246 9.2.4 Kostenorientierte Methoden............................................................ 247 9.2.5 9.2.5 Preisbestimmung Monopol .................................................... 248 9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung ............................................................................................ 249 9.3.1 Kaufverhaltenstheoretische Grundlagen ......................................... 249 9.3.2 Begriffliche Grundlagen des Preiswissens ...................................... 252 9.3.3 Dimensionen des Preiswissens........................................................ 256 9.3.4 Der Inhalt des Preiswissens als zentrale Dimension ....................... 258 9.3.5 Ergänzende Instrumente der Preisforschung................................... 262 9.3.6 Ermittlung der Zahlungsbereitschaften mit Hilfe der ConjointAnalyse ........................................................................................... 263 9.4 Preispolitische Strategien......................................................................... 265 9.4.1 Niedrigpreisstrategien ..................................................................... 265 9.4.2 Preisbündelung................................................................................ 267 9.4.3 Preisdifferenzierung ........................................................................ 268 10 Die Präsentationspolitik............................................................................... 269 10.1 Bedeutung und Grundlagen der Präsentationspolitik............................. 269 10.2 Festlegung des grundlegenden Layouts ................................................. 271 10.3 Warenplatzierung................................................................................... 274 10.3.1 Raumzuteilung .............................................................................. 274 10.3.2 Regalzuteilung .............................................................................. 275 10.4 Warenpräsentation ................................................................................. 276 10.5 Gestaltung der Einkaufsatmosphäre ...................................................... 278
Inhaltsverzeichnis
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11 Die Kommunikationspolitik.........................................................................281 11.1 Begriffliche Abgrenzungen....................................................................281 11.2 Kommunikationsmaßnahmen und ihre Bedeutung im Einzelhandel .....284 11.3 Kommunikationseffizienz als wichtige Erfolgsdeterminante im Handel...............................................................................................288 11.3.1 Begriffliche Grundlagen der Werbeerfolgskontrolle.....................288 11.3.2 Forschungsgegenstand der Werbewirkungskontrolle....................289 12 Handelscontrolling .......................................................................................297 12.1 Begriff und Grundprobleme des Handelscontrolling .............................297 12.2 Kernfunktionen des Handelscontrollings...............................................299 12.2.1 Die Informationsversorgungsfunktion des Controllings ...............299 12.2.2 Die Kontrollfunktion als „harter Kern“ des Handelscontrollings..302 12.2.3 Die Beratungs- und Unterstützungsfunktion des Controllings ......303 12.3 Konzeptionelle Gestaltung des Handelscontrollings..............................304 12.3.1 Ziele des Handelscontrollings .......................................................304 12.3.2 Aufgaben des Handelscontrollings................................................304 12.3.3 Ausgewählte Instrumente des Handelscontrollings.......................305 12.3.4 Träger des Handelscontrollings.....................................................307 12.4 Strategisches Handelscontrolling...........................................................307 12.5 Organisation des Handelscontrollings ...................................................309 Literaturhinweise ..............................................................................................313 Glossar................................................................................................................339 Stichwortverzeichnis .........................................................................................345
Abkürzungsverzeichnis
Abb. AG ALDI AP Aufl. Asw BAG BBE BCG bspw. Bsp. C+C CPFR CRM DBW DEA EAN ECR EDI Eds. EHI et al. etc. f. FAZ ff. FfH GfK GWB HDE Hrsg. H&M IfHM i.d.R. IHK IJoR JoBR JoMR
Abbildung Aktiengesellschaft Albrechts Discount Arbeitspapier Auflage Absatzwirtschaft Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels e.V. Betriebsberatung des Einzelhandels Boston Consulting Group Beispielsweise Beispiel Cash und Carry Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment Customer Relationship Management Die Betriebswirtschaft Data-Envelopment-Analysis Europäische Artikel-Nummer Efficient Consumer Response Eletronic Data Interchange Editors EuroHandelsInstitut et alii et cetera Folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fortfolgende Forschungsstelle für den Handel Gesellschaft für Konsumforschung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hauptverband des deutschen Einzelhandels Herausgeber Hennes & Mauritz Institut für Handelsmanagement und Netzwerkmarketing in der Regel Industrie- und Handelskammer International Journal of Retailing Journal of Business Research Journal of Marketing Research
XVI Abkürzungsverzeichnis
JoM JoR LZ PLMA PoS RFID qm S. SB SCM SGE SPSS Tab. TW u.a.O. vgl. WiSt z. B. ZfB Zfbf
Journal of Marketing Journal of Retailing Lebensmittelzeitung Private Label Manufacturing Association Point-of-Sale Radio Frequency IDentification Quadratmeter Seite Selbstbedienung Supply Chain Management Strategische Geschäftseinheiten Statistical Package for the Social Sciences Tabelle Textilwirtschaft und andere Orte Vergleiche Wirtschaftswissenschaftliches Studium zum Beispiel Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung
1. Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
1.1 Handel ohne Marketing? Welches Lehrbuch beginnt nicht mit einem vermeintlich langweiligen „Grundlagen“-Kapitel? Oft werden in diesem Kapitel grundlegende Definitionen gepaukt, Überblicke gegeben und erste Zusammenhänge angedeutet. Der Leser fragt sich dabei regelmäßig, wofür dieses und jenes nun wieder gut sein möge und was das Ganze mit den eigentlich interessierenden realen Problemen zu tun habe. Unterschiede zwischen den Büchern finden sich meist nur in der Art und Weise, in der es den Autoren gelingt, dem Leser die Bedeutung des Kapitels näher zu bringen. In diesem Buch wird hierzu ein Trick verwendet werden. Dazu ist es jedoch notwendig, dass Sie, sehr verehrter Leser, sich zunächst versuchen vorzustellen, wie die Handelslandschaft wohl ohne Handelsmarketing aussehen könnte. Stellen Sie sich also eine Handelslandschaft vor, in der sämtliche Händler gleich sind…. …in den Katalogen oder Schaufenstern würden gleiche Artikel angeboten, die Inneneinrichtungen wären in etwa gleich, alle Handelsunternehmen sind gleich gut erreichbar, die Verkaufsflächen gleichgroß und die Serviceleistungen ähnlich. …das Personal wäre gleich gut oder schlecht geschult, gleich freundlich, gleich motiviert und würde in allen Geschäften die gleiche Kleidung tragen. …die Anzeigen in den Tageszeitungen wären allesamt schwarzweiß, manchmal rot; die Werbebeilagen, Plakate, Flyer und Prospekte wären im gleichen Format, hätten die gleiche Größe und würden mit ähnlichen Sprüchen in etwa gleiche Artikel bewerben (..) Welches Kriterium bliebe dem Kunden dann noch, sich zu entscheiden? Einzig und allein der Preis! Wir befänden uns mithin in einer Welt, die in vielen Teilen dem Modellrahmen der klassischen Mikroökonomie entspräche. Was würde das bedeuten? Zum einen würden wir wohl ein gutes Stück unserer emotionalen Kultur vermissen und uns vermutlich auf Dauer langweilen. Zum anderen würden in diesem monistischen Wettbewerb nur noch die größten, leistungsstärksten Händler auf dem Markt übrig bleiben. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die deutsche Handelslandschaft, so feiert die klassische, ökonomische Theorie offensichtlich freudige Urstände! Wohin man schaut, der Preis wird als zentrales Marketing-Instrument genutzt. Zahlreiche kleinere Händler bekommen zunehmend Probleme, im Preiskampf zu bestehen und suchen händeringend nach neuen Marketing-Konzepten. Warum aber sollen
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1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
gerade Marketingkonzepte helfen, den Preiskampf zu verhindern, wo doch der Preis ein zentrales Marketing-Instrument darstellt? Nun, der Grund dafür ist darin zu sehen, dass eine Kernaufgabe des Marketing darin zu sehen ist, die Differenzierung vom Wettbewerb zu schaffen. Dies kann aber nur dann wirtschaftlich gelingen, wenn die Bedürfnisse der Kunden differenziert sind. Verkürzt gesagt könnte man also behaupten, dass jede Bevölkerung die Handelslandschaft vorfindet, die sie verdient. Gibt es keine differenzierten Bedürfnisstrukturen, macht Differenzierung nur wenig Sinn. Die Marketingkonzeptionen von Handelsunternehmen sind daher Teil und gleichzeitig Gegenstand der kulturellen Entwicklung. Wenn man also verstehen will, warum es überhaupt so etwas wie „Handelsmarketing“ gibt, ist es sinnvoll, die Entwicklung dieses Phänomens vor dem Hintergrund der wirtschaftlich-kulturellen Entwicklung zu porträitieren. Dementsprechend soll im folgenden Kapitel zunächst skizziert werden, welche Bedeutung das Handelmarketing in den verschiedenen wirtschaftlichen Epochen gewinnen konnte und welche Marketingprobleme zu verschiedenen Zeitpunkten in seinem Mittelpunkt standen.
1.2 Die historische Entwicklung des Handelsmarketing Die Darstellung einer historischen Entwicklung des Handelsmarketing ist eng mit dem verbunden, was man unter diesem Begriff subsumieren möchte. Versteht man Handelsmarketing im weiten Sinne, so kann hierzu jeglicher organisierte Absatz von Waren zur Deckung von Verbraucherbedürfnisse gezählt werden. Insofern deckt sich die Geschichte des Handelsmarketing weitgehend mit der Geschichte des Handels, wie sie bspw. von MAYR (1901, S. 1) beschrieben wird. Gleichwohl bleibt es schwierig, einen Zeitpunkt zu benennen, an dem die Geschichte des Handelsmarketing begonnen haben soll. Um dieses Kapitel aber nicht ausufern zu lassen, soll auf eine Reflektion der ersten Phasen der Handelsgeschichte, die nach MAYR bereits 4000 v. Chr. beginnt, verzichtet werden. Stattdessen beginnt die vorliegende Betrachtung in der wirtschaftlichen Frühgeschichte und endet in der heutigen Zeit (vgl. Tab.1.1).
1.2 Die historische Entwicklung des Handelsmarketing 3
Periode Wirtschaftliche Frühgeschichte (vor 1100) Mittelalterlicher Handel (1100-1500) Übergang zur Neuzeit (1500-1850) Industrialisierung (1850 – 1914)
Wesentliche Entwicklungen im Handel • •
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Die Kriegszeit (1914-1948) 1950 bis heute
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Selbstversorgung stand im Vordergrund Ausbreitung des Handwerks Zunft- und Gewerbewesen Handwerkshandel Konkurrenz im städtischen Einzelhandel Arbeitsteilung im Handwerk nimmt zu Erste Fachgeschäfte in den Städten Ambulanter Handel Massensterben des Handwerkes Entfaltung des Fachhandels Warenhäuser, Kaufhäuser und Versandhandel entwickeln sich Idee der Filialbetriebe setzt sich durch Kooperation in Konsumgenossenschaften und Einkaufsgenossenschaften Überlebenskampf für den mittelständischen Handel Einheitspreisgeschäfte Aufstieg des Versandhandels Neue Betriebsformen und -typen (Discounter, Cash + Carry) Drogeriemärkte, Baumärkte, Mitnahmemöbel, Fachdiscounter sowie Tiefkühlheimdienst als neue Handelskonzepte Spürbarer Wettbewerb, erste Konzentrationsprozesse Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt
Tab. 1.1: Die Entwicklung des Einzelhandels
Aber auch in dieser verkürzten historischen Darstellung ist zu beachten, dass die hierzu notwendigen Absatzfunktionen nicht notwendigerweise in einem Handelsbetrieb institutionalisiert werden müssen. Vielmehr konnten diese auch von Städten, Regionen oder Staaten übernommen werden. Demzufolge ist die frühe Geschichte des institutionellen Handels eng mit der politischen Geschichte von Städten, Regionen oder Staaten verbunden.1 Eine Schicksalsgemeinschaft, die oft auch heute noch zu beobachten ist. 1.2.1 Wirtschaftliche Frühgeschichte Betrachtet man vor diesem Hintergrund die politischen Verhältnisse in der wirtschaftlichen Frühgeschichte, die etwa um 1100 endet, so dominiert hier noch das Prinzip der Klein- und Kleinstaaten. Dementsprechend herrscht in der Wirtschaft 1
Vgl. bpsw. den Überblick bei Schaube (1906), S. VIII sowie Mayr (1901), S. 57.
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1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
das Prinzip der Selbstversorgung vor.2 Gegenstände des täglichen Bedarfs werden fast ausnahmslos selbst angefertigt. Die meist geringen Überschüsse der Hauswirtschaft werden über den Naturaltausch veräußert. Erst nach und nach entsteht aus diesem Eigenhandel schließlich mit dem selbstständigen Beruf des Hausierers die wohl älteste Form des instutitionellen Einzelhandels. 3 Weitaus spektakulärer und angesehener war jedoch der sog. Fernhandel. Überwiegend wurde dieser von Kaufleuten, die als Großhändler vorzugsweise seltene Waren ein- und verkauften, betrieben. Für diese wurde der Begriff „Mercator“ verwendet. Die damaligen Herrscher schätzten die Dienste der Mercatoren und gewährten ihnen umfangreiche Privilegien. Gleichwohl waren die Handelsreisen in der damaligen Zeit außerordentlich beschwerlich und gefährlich. Zudem verlangten Städte und Gemeinden, die an den Handelsrouten (z. B. Chur an der Straße über den Septimer) angesiedelt waren, eine Vielzahl von Abgaben. Eine Möglichkeit, diese Abgaben zu vermeiden, waren die von der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit geschaffenen Märkte und Messen, die eine völlige Freizügigkeit des Handels erlaubten. Besonders bekannte Märkte waren die Eusebiusmesse von Vercelli, die Messen von Pavia sowie Ufermärkte, wie bspw. in Pisa und Cremona, auf denen die Waren bereits nach dem System der festen Preise angeboten wurden.4 Einer der Haupthandelsartikel zu jener Zeit war das Salz.5 Will man den Marketingaspekt im Zusammenhang mit dieser Zeit fokussieren, so lagen die zentralen marktlichen Probleme der Händler in dieser Epoche ganz überwiegend in der (sicheren) Beschaffung der zu veräußernden, wenig differenzierten Waren.6 Absatzprobleme werden in dieser Zeit lediglich dadurch verursacht worden sein, dass den potenziellen Abnehmern enge finanzielle Grenzen gesetzt waren und die Verderblichkeit bestimmter Artikel beschränkend auf die Distribution wirkte. 1.2.2 Mittelalterlicher Handel Im Mittelalter entstanden nach und nach kleine Handelsflecken auf der europäischen Landkarte, die aber nach wie vor weniger betrieblich als vielmehr städtisch geprägt waren. Einen Schwerpunkt bildeten dabei italienische Städte wie Florenz, Mailand, Pisa, Venedig und Genua, die zunächst nur über ein feines Netz verbunden waren. Erst nach und nach verdichtete sich dieses. Man baute Straßen und sicherte sie mit Patroullien; das Netz wurde engmaschiger und umfangreicher. Neue Handelszentren in Flandern und der Champagne entstanden und wurden durch Städte in Bayern (insbesondere Regensburg) und dem Rheinland (insbesondere Köln) ergänzt, bis schließlich durch die Entwicklung der Hansestädte eine feine und dichte Netzwerkstruktur entstanden war, die den Austausch von Waren zwischen den noch zahlreichen Nationen und Königreichen ermöglichte.
2 3 4 5 6
Vgl. Berekoven (1986), S. 13. Vgl. Mayr (1901), S. 57. Vgl. Schaube (1906), S. 74. Vgl. Schaube (1906), S. 74. Einen Einblick bietet bspw. Schaube (1906), S. 1.
1.2 Die historische Entwicklung des Handelsmarketing 5
Mit dieser Entwicklung ging die Entwicklung erster kleiner Personengesellschaften einher, häufig in der Form einer offenen Gesellschaft.7 Beliebt waren zudem die Stille und die Kommanditgesellschaft. Auch konnten bereits erste Kooperationen in Form von „Ringen“ und „Syndikaten“ beobachtet werden, deren Ziel primär in der Verknappung von Waren bestand, deren Preis dadurch in die Höhe getrieben wurde.8 Die Ausgestaltung dieser Handelsbetriebe konnte vielfältig sein. So gab es zum einen Handwerker, die ihr Einkommen durch die Übernahme von ergänzenden Handelsfunktionen aufbesserten (Handwerkshandel) und die wohl die ersten stationären Einzelhändler darstellen. Zum anderen zogen Hausierer (Huckler, Fragner, Korbträger) über das Land, um durch diesen ambulanten Handel den Warenaustausch zwischen den Dörfern und Städten zu ermöglichen. Manche Hausierer ließen sich in einer Stadt nieder und führten fortan als sog. Höker eine oft kümmerliche Existenz bei geringem Ansehen. Höker breiteten anfangs ihre Waren auf dem Boden aus. Später benutzten sie einfache Bretter als Verkaufstische. Die verderblichen Waren wurden dabei oft zugedeckt, was ihm den Namen des Krämers einbrachte („Kram“ bezeichnete im Mittelhochdeutschen ein aufgespanntes Tuch). Die Bedecktheit der Krämer hatte aber noch einen anderen Sinn: Sie sollte den Wettbewerb zwischen den Krämern entschärfen, wie die folgende Passage belegt (entnommen aus Berekoven, 1986):9 „Im Hintergrund (des Ladens, Anm. der Verf.) befanden sich die Regale mit Schnittwaren. Borten, Gürtel und ähnliche Waren wurden in Kisten aufbewahrt, die Gewürze in Gewürzkisten. Auf dem Ladentisch selbst durften nur Reis, Hirse, Backpflaumen, Lorbeer, Mandeln und Johannisbrot in offenen Säcken stehen. Es war nicht erlaubt, zu viel Ware zu zeigen, der Käufer sollte nicht zum Kauf gereizt oder gar einem anderen Zunftgenossen abgeworben werden. So verlangte es die Erfurter Krämerzunft um 1500“. Aus den Ständen der Krämer entwickelten sich im Laufe der Zeit ersten „Buden“, Verkaufsstände aus Holz, die vorwiegend auf Jahrmärkten aufgestellt wurden. Schließlich wurden die Krämer in Wohnhäusern ansässig, oft konzentriert in einer bestimmten Straße der Stadt. Erste Konkurrenzbeziehungen entwickelten sich, vor allem gegenüber auswärtigen und fliegenden Händlern. Jedoch wurden die innerstädtischen Händler durch umfangreiche Gesetze gegenüber auswärtigen Konkurrenten geschützt.10 Das Problem dieser Unternehmer war dabei ein gänzlich anderes als das der heutigen Handelskonzerne. Für sie war es weniger wichtig, mit Hilfe der Marktforschung geeignete Artikel für einen engen, wettbewerbsintensiven Absatzmarkt zu konzipieren als vielmehr überhaupt Waren beschaffen zu können, die nötig waren, um die Bevölkerung zu versorgen. Insofern war Handelsmarketing auch in dieser, Epoche – will man es in der heutigen Sprache ausdrücken – weniger absatzmarkt- als beschaffungsmarktbezogen auszugestalten. Demzufolge wundert es 7 8 9 10
Vgl. Mayr (1901), S. 75. Vgl. Mayr (1901), S. 75. Entnommen aus Berekoven (1986). Vgl. Berekoven (1986), S. 20.
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1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
auch wenig, dass die zu jener Zeit gehandelten Waren oftmals generisch waren. Im Wesentlichen handelte es sich um Rohstoffe wie Metalle, Holz, Gewürze und Stoffe, die wenig differenziert verkauft werden konnten. 1.2.3 Übergang zur Neuzeit Prägendes Merkmal dieser Epoche war die erstmalig zu beobachtende gezielte staatliche Wirtschaftslenkung und -förderung mit dem Ziel, durch Abschottung der Binnenmärkte und durch möglichst hohen Export den Reichtum des Landes bzw. des Landesherrn zu vermehren. Dies geschah durch eine Vielzahl von Maßnahmen wie Zölle, Steuern und sonstige Abgaben. In dieser Epoche vollzog sich nach und nach auch die Trennung zwischen Groß- und Kleinhandel. Zahlreiche Kaufleute gaben ihre kleinen Krämerläden auf und zogen als Grossit von Messe zu Messe, um so wichtige Distributionsfunktionen zu erfüllen. In den Städten entwickelten die verbleibenden Kaufleute ihre Läden oftmals zu Gemischtwarenhandlungen weiter, indem sie das schmale Sortiment um neue Artikel, die sie aus dem Fernhandel bezogen, erweiterten. In der Folge entstanden erste Kolonialwarenhändler, Schnittwarenhandlungen sowie Manufakturwarenhandlungen. Zudem ermöglichte die Erfindung der beweglichen Lettern durch Gutenberg die ersten Entwicklungen des Versandhandels.11 Neben dem stationären Handel spielte aber nach wie vor der ambulante Handel eine große Rolle für die Versorgung der Landbevölkerung. Die Bevölkerungsdichte war in vielen Regionen noch deutlich zu dünn, um einen eigenen sesshaften Dorfhandel zu ermöglichen. Im Handwerk nahm die Arbeitsteilung stetig zu. Erste Vorläufer der industriellen Fakturen, die so genannten „Manufakturen“ entwickelten sich. Die vielfach staatlich gegründeten Manufakturen sind z. T. bis heute noch bekannt. So entspringen die Berliner, Meißner, Nymphenburger und Fürstenberger Porzellanmanufakturen dieser Zeit.12 Wie in der voran gegangenen Epoche ist die zentrale Problemstellung des Handelsmarketing vor allem die Beschaffung von Waren. Hinsichtlich der Zusammenstellung von spezialisierten Sortimenten gewinnen erste Entscheidungen der Sortimentspolitik an Bedeutung. Weitergehende Profilierungsmaßnahmen gegenüber Wettbewerbern waren bisher nicht notwendig, da der Handel stark durch gesetzliche Regelungen eingegrenzt wurde. 1.2.4 Die Industrialisierung Die für das heutige Handelsmarketing relevanten Entwicklungen setzten im Wesentlichen im 19. Jahrhundert ein und sind eng mit der Industrialisierung sowie dem zunehmenden Bevölkerungswachstum verknüpft. In den wachsenden Städten wurden Waren zunehmend nicht im Auftrag, sondern für einen anonymen Massenmarkt gefertigt. Es entstand Konkurrenz zwischen den einzelnen Anbietern und 11 12
Vgl. Berekoven (1986), S. 25. Vgl. Berekoven (1986), S. 25.
1.2 Die historische Entwicklung des Handelsmarketing 7
erstmals waren aggressive Verkaufsmethoden und Reklame zum Absatz der Ware notwendig. In der Zeit der Industrialisierung wuchs der Einzelhandel stark. Es entstanden viele Branchen, Betriebs- und Organisationsformen, die das heutige Einzelhandelsbild noch immer prägen. Außerdem entwickelten sich Fachgeschäfte mit spezialisierten Sortimenten, die nicht nur nach Herkunftsorientierung, sondern auch nach bedarfsorientierten Gesichtspunkten gebildet wurden, z. B. Kurzwaren- oder Spielwarengeschäfte.13 Hinsichtlich des Qualitäts- und Preisniveaus wurden auch erste Differenzierungen vorgenommen – Luxusgeschäfte existierten neben Geschäften niedrigeren Genres. Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des Einzelhandels ist die Geschichte des Warenhauses. Fast alle Warenhäuser haben ihre Gründung in den Jahren zwischen 1832 und 1882 als kleines Textilgeschäft in der Provinz erlebt (z. B. Gebrüder Wertheim, Oskar und Hermann Tietz (Hertie), Leonhard Tietz (Kaufhof) und Theodor Althoff (Karstadt)). Ihr großer Aufschwung erfolgte dann um die Jahrhundertwende und zwar vor allem in Berlin.14 Um die notwendigen Kundenzahlen zu gewinnen, bedienten sich die Warenhäuser für die damalige Zeit einzigartiger Prinzipien: Jedermann konnte sich frei darin bewegen und wurde nur auf Wunsch vom Verkaufspersonal angesprochen. Der Kunde hatte somit einen weitgehend freien Zugriff auf die angebotenen Waren. Eine Vielzahl von historischen Dokumenten belegt, welchen tiefen Eindruck der erstmalige Besuch eines Warenhauses bei vielen Menschen jener Zeit hinterlassen hat.15
Abb. 1.1: Gründungsanzeigen von Karstadt und Wertheim
13 14 15
Vgl. Berekoven (1986), S. 29. Vgl. Berekoven (1986), S. 31. Vgl. z. B. Ladwig-Winters (1997), S. 36.
8
1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
Parallel zu der Entwicklung der Warenhäuser haben fast alle heute noch beobachtbaren Betriebsformen des Handels ihren Ursprung in dieser Epoche. Hierzu gehören Kaufhäuser, die vor allem als Textilkaufhaus bekannt waren, aber auch der Versandhandel, der seine Vorläufer in dieser Epoche hatte.16 In den so genannten Konsumgenossenschaften organisierten sich Arbeiter zur möglichst günstigen Warenbeschaffung und -verteilung, vor allem im Bereich der Nahrungs- und Genussmittel. Vor diesem Hitegrund entstand 1898 die EDEKA-Gruppe, als sich 21 Einkaufsvereine aus dem Deutschen Reich zur Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin zusammenschlossen. 13 solcher Genossenschaften vereinigten sich 1907 zum Verband deutscher kaufmännischer Genossenschaften mit angeschlossener GmbH als zentrale Warenbeschaffungsstelle. 1911 wurde aus der Abkürzung EdK (von Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler) der bis heute gültige Firmen- und Markenname EDEKA gebildet. Die Entstehung der Filialbetriebe ist ebenso dieser bewegten Epoche zuzuordnen. Die ehemaligen Kaffeehändler Kaiser und Tengelmann zählten zu den Pionieren der Filialbetriebe. Schon bald begannen die gegründeten Filialunternehmen mit einer Rückwärtsintegration von Industriebetrieben, um sich von der Markenartikelindustrie zu emanzipieren. Dies war gleichzeitig die Geburtsstunde der Handelsmarken. Die Idee der Markenbezeichnung für ein Filialsystem stammt aus dem Schuhwarenhandel. „Salamander“ war eine der ersten Betriebstypenmarken in Deutschland. 17 Hinsichtlich des Handelsmarketing haben sich in dieser Epoche grundlegende Änderungen vollzogen. Die Wettbewerbsverhältnisse und die Etablierung eines anonymen Massenmarktes führten zu neuen Betriebstypen und -formen des Handels und zum Einsatz neuer Handelsmarketinginstrumente.18 Vor allem die Entwicklung von Reklamemaßnahmen boomte. Industrieunternehmen nutzten diese zur Etablierung von Markenartikeln. Aber auch Warenhäuser und andere Handelsbetriebe entwickelten Maßnahmen zur Verkaufsförderung. 1.2.5 Die Kriegszeit Die Zeit während und nach dem Ersten Weltkrieg war gekennzeichnet von einer verheerenden Mangelversorgung mit Nahrungs- und Gebrauchsgütern, die oft einherging mit horrenden Preissteigerungen für knappe Güter. Erst im Dritten Reich erholte sich der Einzelhandel langsam. Während des Zweiten Weltkrieges wurde Warenrationierung durch Lebensmittelmarken betrieben, um Versorgungsschwierigkeiten vorzubeugen. Dies ist bis Ende des Krieges auch weitgehend gelungen, nach Kriegsende erfolgte jedoch der Zusammenbruch.19 16 17
18
19
Einen Überblick bietet Berekoven (1986), S. 39ff. Die Filialisierung beschränkte sich nicht nur auf den Nahrungs- und Genussmittelbereich. Auch Tabakwarenhändler, Gebrauchsgüterhändler und Schuhhändler folgten der Entwicklung. Vgl. Berekoven (1986), S. 46ff. Die Unterscheidung der Begriffe Betriebstyp und Betriebsform wird im vierten Kapitel erläutert. Im Wesentlichen ist der Unterschied darin zu sehen, dass Betriebsformen als abstrakter Begriff, Betriebstypen hingegen als deren konkrete Ausgestaltung verstanden werden. Vgl. Berekoven (1986), S. 55.
1.2 Die historische Entwicklung des Handelsmarketing 9
Die Entwicklung der verschiedenen Betriebsformen des Einzelhandels während der Kriegszeit verlief höchst unterschiedlich. Im mittelständischen Einzelhandel setzte sich nach Ende des Ersten Weltkrieges die begonnene Differenzierung und Spezialisierung der Geschäfte fort. Es bildeten sich Betriebstypen, die ganz klar auf bestimmte Käufersegmente hinsichtlich Preis und Bedarf abgestimmt waren. Die folgende Wirtschaftskrise ab etwa 1929 führte zu einer gesetzlichen Beschränkung der Expansions- und Gründungsmöglichkeiten, um eine ruinöse Konkurrenz zu vermeiden. Die im Zweiten Weltkrieg eingeführte Zwangsbewirtschaftung hatte eine Umfunktionierung des Einzelhandels zu einem Warenverteilungssystem zur Folge. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ein Trend aus den USA nach Deutschland gebracht: das Einheitspreisgeschäft.20 Pionier in den USA war die Kaufhauskette Woolworth. Hierbei handelte es sich um Geschäfte, die Waren des täglichen und kurzperiodischen Bedarfs (ähnlich einem Warenhaussortiment) mit einem neuen Preiskonzept verknüpften. Es gab eine niedrig angesetzte obere Preisgrenze, über die kein Produktpreis angesetzt wurde. Darunter gab es nur wenige Preisabstufungen. Das Geschäftsprinzip basierte auf Selbstbedienung und schnelldrehenden, wenig erklärungsbedürftigen Artikeln. Hinsichtlich der schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland etablierte sich diese neue discountierende Betriebsform schnell. Im Zweiten Weltkrieg brachen jedoch auch für diese Geschäfte harte Zeiten an, denn Warenverknappung und Anonymität im Vergleich zum „Kaufmann um die Ecke“ erschwerten das Geschäft. Nach Ende des Ersten Weltkrieges setzten die Warenhäuser den bereits vor Kriegsausbruch begonnenen Trading-up-Prozess fort. Eine starke qualitative und quantitative Warenhausexpansion erfolgte Mitte bis Ende der 20er Jahre. Um die zu der Zeit vorliegende Warenknappheit zu umgehen, wurden Produktionsstätten rückwärtsintegriert. In der folgenden Wirtschaftskrise erwies sich dieses Vorgehen jedoch als höchst verlustbringend.21 Die Wirtschaftskrise traf die Warenhäuser stark. In noch größere Bedrängnis kamen die großen Warenhäuser während des nationalsozialistischen Regimes, denn der überdurchschnittlich hohe Anteil von Juden bei den Beschäftigten führte zu Protesten und Hassparolen. Zudem galt der verhängte Expansionsstopp auch für diese Betriebsform. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der größte Teil der Verkaufsflächen der Warenhäuser zerstört. Beispielsweise blieben Kaufhof noch 6 % und Karstadt noch 13 % der Vorkriegsverkaufsfläche übrig.22 Durch das gut ausgebaute postalische Lieferungs- und Zahlungswesen konnte der Versandhandel Mitte der 20er Jahre in Deutschland Fuß fassen. Gute Preise und zugkräftige Artikel (oft aus dem Bereich der Textil- und Kurzwaren) wurden in den Katalogen angeboten. Zielgruppe war vor allem die schlecht versorgte Landbevölkerung. Noch heute bedeutende Versandhäuser wurden zu dieser Zeit gegründet: Klingel (1925), Baur (1925), Wenz (1926), Quelle (1927), Bader (1929) und Schöpflin (1929).23 Während des Krieges kam der Versandhandel aber
20 21 22 23
Vgl. Berekoven (1989), S. 59. Vgl. Berekoven (1989), S. 63. Vgl. Berekoven (1989), S. 66. Vgl. Berekoven (1989), S. 67.
10 1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
dann fast zum Erliegen. Nach Kriegsende war ein völliger Neuanfang notwendig, denn die vorhandenen Kundenkarteien waren durch den Krieg wertlos geworden. Nach dem Ersten Weltkrieg konnten die Konsumgenossenschaften zunächst weiter expandieren und zahlreiche neue Mitglieder gewinnen. Als nicht gewünschte Betriebsform verloren sie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges einen erheblichen Anteil ihrer Mitglieder und ihrer Verkaufsstellen. Trotzdem verfügten sie nach Kriegsende noch über das größte Filialnetz im Einzelhandel in Deutschland. Die Einzelhandels-Einkaufsgenossenschaften profitierten von den wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Die EDEKA verzeichnete hohe Mitgliederzuwächse. Allerdings wurde Mitte der 20er Jahre die REWE, ein direkter Konkurrent gegründet, der schnell wuchs. Parallel dazu wurden einige Handelsketten von Großhändlern gegründet, wie bspw. die SPAR. Diese Gruppe wurde 1932 von Adriaan van Well in den Niederlanden in Zoetermeer gegründet. Selbstständige Groß- und Einzelhändler schlossen sich damals zu einer freiwilligen Handelskette zusammen. Das erklärte Ziel dieses Zusammenschlusses war die „Konzentration der Kräfte“, die dem Druck einer immer stärker werdenden Konkurrenz entgegengestellt werden sollte. Vom Zusammenwirken dieser Kräfte sollten alle Mitglieder profitieren, um so ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern. Diese Idee findet sich auch im Namen wieder. Dieser leitet sich vom niederländischen Motto „Door Eendrachtig Samenwerken Profiteren Allen Regelmatig“ (dt.: „durch einträchtiges Zusammenwirken profitieren alle regelmäßig“), „De SPAR“ ab. Die Entwicklung der Filialbetriebe verlief, je nach Sortimentsschwerpunkt, unterschiedlich. Filialisten im Bereich von Luxusgütern (z. B. Tabakwaren) hatten während der Kriegszeit kaum eine Chance. Zudem gehörten Filialisten zu den unerwünschten Betriebsformen und wurden teilweise mit einem Expansionsstopp belegt. Einige Filialisten durften zur Aufrechterhaltung der Versorgungsstruktur weiter expandieren, z. B. die Firma Kaisers. Mit dem drohenden Zweiten Weltkrieg vollzogen die Kaffeefilialisten Tengelmann und Kaisers ihren Wandel zum Lebensmittelsortiment. Hinsichtlich des Handelsmarketing wurden während der Kriegszeit keine wesentlichen Neuerungen erzielt, denn das Versorgungsprinzip stand oftmals im Mittelpunkt. Wesentliche Entwicklungen waren vor allem die neuen discountierenden Betriebsformen sowie die Gründung zahlreicher Versandhandelsgeschäfte. 1.2.6 1950 bis heute Beginnend etwa mit den 50er Jahren des vorherigen Jahrhunderts beschleunigte sich die Entfaltung der Handelsbetriebe und -systeme dramatisch. Die zunehmende Differenzierung der Handelslandschaft trug der Notwendigkeit einer verbesserten Anpassung an die sich verändernden Konsumbedürfnisse der Bevölkerung Rechnung. Der zu diesem Zeitpunkt einsetzende Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt bedeutete die Geburtsstunde des Handelsmarketing. Als Käufermarkt wird dabei ein Markt bezeichnet, auf dem der Käufer eine überlegene Position inne hat. Die meisten Märkte sind heute Käufermärkte, da der Käufer auf ihnen aus einer Vielzahl von Anbietern auswählen kann. Dieses heute selbstverständlich anmutende Faktum hat sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet.
1.2 Die historische Entwicklung des Handelsmarketing 11
Etwa um 1970 hat sich das Marketingkonzept in der heute noch gültigen Form entwickelt. Nach dieser Denkweise gibt es für eine Unternehmung zwei Möglichkeiten, auf dem Absatzmarkt erfolgreich zu agieren: 1. Inside-Out: Die Unternehmung beeinflusst die Wünsche der Nachfrager im Sinne der Unternehmensleistung. In diesem Falle wäre das Angebot fix und die Nachfrage würde als variabel angesehen. Für dieses Verhalten hat sich auch die Bezeichnung „Aktionsaspekt“ des Marketings etablieren können. 2. Outside-In: Die Unternehmung richtet sich frühzeitig auf die Wünsche der Kunden ein, betrachtet diese als Datum und versucht, das jeweilige Leistungsangebot zu variieren. In diesem Fall spricht man vom „Philosophieaspekt“ des Marketings. Beide Wege schließen einander nicht aus, sondern beeinflussen sich gegenseitig. So können Veränderungen der Kundenwünsche im Zeitablauf dazu führen, dass nach dem Philosophieaspekt produzierte Leistungen nicht mehr ohne intensive kommunikative Beeinflussungen verkauft werden können. Auch können ursprünglich ohne Rücksicht auf die Kundenwünsche entwickelte Produkte reüssieren, so dass ursprünglich geplante Beeinflussungen nicht mehr in dem geplanten Maße notwendig sind. Das moderne Marketing findet daher regelmäßig im Wechselspiel zwischen diesen beiden Aspekten statt und kann als markorientierte Unternehmensführung verstanden werden (vgl. Abb.). Dieses moderne Marketingverständnis gewann in der Literatur zunächst im Konsumgüterbereich an Bedeutung. Erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts berücksichtigt das Schrifttum explizit den Begriff des Handelsmarketing.24 Bis dahin wurden Handelsbetriebe als reine Objekte industrieller Absatzstrategien aufgefasst. Heute werden Handelsbetriebe definiert als Unternehmen, die auf eigene Rechung mit Gewinnabsicht Waren einkaufen, um sie weitgehend unverarbeitet an Kunden zu verkaufen. Durch diese Gewinnerzielungsabsicht in Verbindung mit der wachsenden Bedeutung des Handels im Konsumgüterbereich und dem Wegfall der vertikalen Preisbindung am 1.1.1974 wurde zunehmend eine eigenständige marktorientierte Unternehmensführung im Handel unabdingbar. Erstmalig manifestierte sich diese Eigenständigkeit des Handels wohl in der Entwicklung und Etablierung von Eigenmarken, denen zunächst aber nur wenig Erfolg beschieden war. Neben dieser grundsätzlichen Emanzipation des Handels von der Absatzpolitik der Industrie erforderten handelsspezifische Besonderheiten, wie die hohe Bedeutung des Verkaufspersonals für den Unternehmenserfolg sowie die Standortgebundenheit, eine spezifische Auffächerung der Marketinginstrumente für den Handel. Diesem Aspekt trugen die Händler durch die Entwicklung neuer Betriebstypen Rechnung, die zumeist eine Substitution des Faktors Personal durch den Faktor Kapital anstrebten. So erzielten 1960 beispielsweise SB-Läden und Supermärkte eine Personalleistung pro Kopf von 98.000 DM und eine Raumleistung von 8230 DM/m². Das Verhältnis zwischen Personal und Raum betrug mithin 11,9. 1980 belief sich diese Relation bereits auf 28,4.25 24 25
Vgl. Olbrich (2000), S. 221. Vgl. Müller-Hagedorn (1999), S. 149.
12 1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
Parallel zu dieser Substitutionsentwicklung zogen die SB-Betriebe ihren Siegeszug an.26 Der Kern dieses Prinzips kann mit dem Satz „Shop as you please, pay as you leave“ knapp umschrieben werden. Diese recht schlichte Aussage entwickelte sich insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel zur Erfolgsformel. Generell ist in dieser Branche seit 1950 ein deutlicher Trend zu verstärkter Selbstbedienung zu erkennen. Lag der Umsatzanteil der SB-Geschäfte 1956 noch bei 4,4 %, so betrug er 1997 nahezu 100 %. Demzufolge suchen Handelsmanager regelmäßig nach weiteren Möglichkeiten der Personalsubstitution. Oftmals gehen diese mit technologischen Entwicklungen einher. Bekannte Beispiele sind die Einführung von Scannerkassen oder von Automaten jeder Art. Vermutlich auch durch diese starke Kostenorientierung haben sich investive Differenzierungsstrategien, die den Kern moderner Marketingkonzepte darstellen man denke beispielsweise an Red Bull - in der Handelspraxis nur zum Teil durchsetzen können. In vielen Handelsbetrieben hat sich daher auch der Wandel vom Absatz zum Marketing zeitlich stark verzögert und sehr heterogen vollzogen. Auf der einen Seite haben einige Handelspioniere wie OSCAR TIETZ27 oder GEORG WERTHEIM28 ohne den Begriff Marketing zu verwenden eine dem heutigen Verständnis sehr nahe kommende Führungsphilosophie verfolgt, wie beispielsweise die stark kundenbezogenen Gründungsanzeigen verdeutlichen (s. Insert). Auf der anderen Seite gibt es selbst heute noch stark einkaufsgetriebene, aktionslastig geführte Unternehmen, die ohne systematische Beobachtung des Absatzmarktes agieren. Marketing wird dort zum Teil gleichgesetzt mit Werbung und ist demzufolge als eine Funktion unter vielen verankert. Daneben gibt es aber auch Handelsunternehmen, die versuchen, beide Aspekte miteinander zu verbinden. Den Kern dieser Strategien bilden dabei oft organisationsübergreifende Konzepte, wie beispielsweise das ECR-Konzept29 oder das Collaborative Planning Forecasting und Replenishment („CPFR“). Diese Ansätze, die unter dem Rubrum der „Netzwerkorganisation“30 zusammengefasst werden können, bilden daher den aktuellen Untersuchungsgegenstand der handelsorientierten Marketingforschung. Zurück zur Ausgangsfrage: Warum sollen gerade Marketingkonzepte helfen, den Preiskampf zu verhindern, wo doch der Preis ein zentrales MarketingInstrument darstellt? Die historische Entwicklung der Handelslandschaft und des Handelsmarketing hat gezeigt, dass insbesondere in wirtschaftlich schlechten Zeiten der Fokus auf die Preisorientierung rückt. Als alleiniges Erfolgskriterium reicht Preisgünstigkeit jedoch nicht aus – bspw. gerieten die Einheitspreisgeschäfte in der Kriegszeit in Schwierigkeiten, trotz günstiger Preise. Vielmehr ist es wichtig, Trends, die oftmals aus dem wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Umfeld entstehen, zu antizipieren und alle Instrumente des Marketing darauf auszurichten. So hatte in der Vergangenheit auch die Sortimentspolitik, die Präsentationspolitik, die Kommunikationspolitik, die Verkaufspolitik oder vor al26 27 28 29 30
Vgl. hierzu und zum Folgenden: Müller-Hagedorn (1999), S. 150 f. Zur Geschichte des Hertie-Konzerns vgl. Köhler (1997). Zur Geschichte des Warenhaus-Unternehmens Wertheim vgl. Ladwig-Winters (1997). Vgl. hierzu Ahlert/Borchert (1998). Vgl. hierzu Ahlert/Evanschitzky (2003).
1.3 Die Rahmenbedingungen des Handelsmarketing im 21. Jahrhundert 13
lem der richtige Standort einen ausschlaggebenden Einfluss auf den Erfolg der Handelsunternehmung. Auf Grund der großen Bedeutung der äußeren Rahmenbedingungen für das Handelsmarketing sollen diese nun im folgenden Kapitel umfassend betrachtet werden.
1.3 Die Rahmenbedingungen des Handelsmarketing im 21. Jahrhundert Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Handel von verschiedenen Entwicklungen geprägt, die einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg von Marketingkonzeptionenn haben können. Es erscheint daher zweckmäßig, diese Entwicklungen kurz zu skizzieren. 1.3.1 Die Kunden Eine zweite wesentliche Determinante des Handelsmarketing stellen die Entwicklungen und Trends im Absatzmarkt dar. Nun ließe sich an dieser Stelle eine überwältigende Fülle von Materialien, Studien und Untersuchungen aufführen, die jeweils unterschiedliche oder auch gemeinsame Trends identifizieren und für diese mehr oder weniger geeignete Schlagwörter definieren. Auf die Synopse dieser oft kurzfristigen Strömungen soll aber an dieser Stelle bewusst verzichtet werden. Stattdessen sollen in Anlehnung an Tietz die folgenden eher langfristigen Entwicklungen genannt werden:31 1. Der veränderte Bildungsstand ist ein wesentlicher Faktor für die Nachfrageentwicklung. Zum einen intendiert er eine erhöhte Lernfähigkeit, ohne die z. B. die rasche Integration des E-Commerce in die Distributionslandschaft wohl kaum möglich gewesen wäre. Zum anderen steht dem Handel aber auch mit einem zunehmenden Anteil von Hochschulabsolventen eine größere Anzahl von Akademikern zur Verfügung. Schließlich sollte dem gestiegenen Bildungsniveau auch in der Kommunikation Rechnung getragen werden. 2. Als Hauptinteressengebiete der Kunden können zum einen das Reisen, zum anderen die Bereiche „Garten“ und „Wohnen“ identifiziert werden. So stiegen die anteiligen Konsumausgaben für die Wohnung von 20,6 % (1992) auf 24,9 % (2002). Demgegenüber sanken die Konsumausgaben für Textilien bzw. Lebensmittel im gleichen Zeitraum von 15,9 % auf 12,9 % bzw. von 17,6 % auf 16,1 %. 3. Der künftige Wohlstand wird wesentlich durch das Volumen und die Qualität der ererbten Sachgüter geprägt. Die Gewichte zwischen Vererbung und Selbstverdienen werden sich verschieben. 4. Hervorhebenswert ist ferner die zunehmende Individualität der Konsumentenansprüche, die darauf hinwirkt, dass Angebotssysteme maßgeschneiderte Problemlösungen offerieren müssen. 31
Vgl. Tietz (1993), S. 113.
14 1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
5. Routinekäufe werden vom Kunden mehr und mehr als Last empfunden. Dadurch entstehen Chancen für neue Formen der Handelsleistung wie z. B. Convenience-Shops o. ä. Ein Beispiel für den zuletzt genannten Trend bietet das Phänomen der so genannten komplexen Konsumgüter. Hierbei handelt es sich um Kombinationen materieller und immaterieller Güter für die Lösung umfassender Konsumprobleme des Verbrauchers: Waren unterschiedlicher Art, Dienstleistungen und Serviceleistungen, aber auch die Kauf- und Verwendungsberatung sind zu einem fein abgestimmten Angebotsmix für den anspruchsvollen Verbraucher zu „komponieren“. Der Verbraucher hat nur vordergründig Bedarf z. B. an Möbeln, Leuchten, Türschlössern, Bewegungsmeldern, Personalcomputern, Unterhaltungselektronik, Tonträgern oder Software, sondern er hat tatsächlich komplexe Einrichtungs-, Sicherungs- oder Multimediaprobleme. Über die Lösung der Grundprobleme hinaus sind zusätzliche Bedürfnisse des Verbrauchers, etwa das Streben nach emotionaler Bindung, kommunikativen Kontakten, Anerkennung und Selbstverwirklichung, Einkaufserlebnissen, ästhetischem Genuss usw. zu berücksichtigen. Beim Angebot komplexer Problemlösungen verschwimmen die Grenzen zwischen Produktion und Distribution. Eine Arbeitsteilung zwischen Herstellern und Händlern in der Weise, dass sich erstere lediglich um die optimale Marken- und letztere um die optimale Einkaufsstättenpositionierung zu kümmern brauchten, erweist sich im Systemwettbewerb kompletter Wertschöpfungsketten als überholt. Kundenorientiertes Wertschöpfungsprozess-Management bedeutet hier die Entwicklung und Umsetzung einer vertikal und horizontal integrierten Angebotskonzeption aller an der „Komposition des Angebotsmix“ teilnehmenden Organisationseinheiten. Es geht um die Positionierung des von Sachgüterherstellern, Dienstleistern und Einkaufsstätten gemeinsam angebotenen Problemlösungskomplexes im Wahrnehmungs- und Einstellungsraum der Verbraucher.
1.3 Die Rahmenbedingungen des Handelsmarketing im 21. Jahrhundert 15
Komplexe Konsumprobleme Waren Warenmehrerer mehrererBedarfsgruppen Bedarfsgruppen und undService Service
Komplexe KomplexeDienstleistungen Dienstleistungenmit mit hohem hohemAbstimmungsbedarf Abstimmungsbedarf
Ware Ware und undService Service
Einfache Einfache Dienstleistung Dienstleistung
Ware Ware
Service Service
Nur Nur
Ware Ware
Einfache Konsumprobleme
Abb. 1.2: Einfache versus komplexe Konsumprobleme
1.3.2 Der Wettbewerb Ein zweiter wichtiger Aspekt, der im Kontext der handelsbetrieblichen Rahmenbedingungen häufig genannt wird, ist der Wettbewerb. Aus globaler Sicht interessieren dabei weniger die Wettbewerbsentwicklungen der einzelnen Handelsunternehmen, sondern die mit gesamtwirtschaftlicher Relevanz. In diesem Zusammhang wird häufig die hohe Konzentration in der Konsumgüterdistribution diskutiert, die auf den ersten Blick betrachtet wettbewerbspolitisch bedenklich erscheinen könnte. So betrug etwa der kumulierte Marktanteil der zehn größten Lebensmittelhändler in Deutschland im Jahre 1980 26,3 %. 1990 hatte sich dieser Wert bereits auf 44,7 % erhöht. Im Jahr 2000 waren es 62,2 % und aktuelle Prognosen sagen für das Jahr 2010 einen Anteil der Top 5 im LEH von 81,6 % voraus.32 Angesichts dieser hohen Werte stellt sich die Frage, ob eine solche Konzentration wirtschaftspolitisch unbedenklich ist.33 Um diese Frage zu beantworten ist es sinnvoll zu verstehen, dass es die Verbraucher sind, die für den Strukturwandel in den Angebotssystemen ausschlaggebend sind. In der Marketingliteratur wird dieser Sachverhalt dadurch zum Ausdruck gebracht, dass in den meisten Konsumgüterfeldern eine sog. Käufermarktsituation vorherrsche: Das Machtübergewicht gegenüber der Industriestufe liege bei der „Verbraucherschaft als Ganzes“.
32 33
Vgl. Metro (2003), S. 12. Vgl. auch Bergmann (1988).
16 1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
Abb. 1.3: Die derivative Nachfragemacht des Handels
Im Investitionsgütermarkt kann das Machtübergewicht auf einzelne gewerbliche Verbraucher konzentriert sein: Hier kann es sogar vorkommen, dass ein Verbraucherbetrieb die Systemführerschaft übernimmt, wie dies z. B. im Verhältnis der Automobilhersteller zu ihren Zulieferern zu beobachten ist. Konzentrieren wir unsere weitere Betrachtung indessen auf den Konsumentenmarkt, in dem das Machtpotenzial auf eine Vielzahl von Privathaushalten verteilt ist: Hier ist es der hoch konzentrierte, professionell operierende Konsumgüterhandel, der die zersplitterten Machtpotenziale bündelt und in kompakter Form an die Industriestufe heranträgt. Soweit auf der Handelsstufe funktionsfähiger Wettbewerb herrscht, kann die von Seiten der Hersteller häufig beklagte Nachfragemacht des Handels als lediglich derivativ, d. h. aus der Übermacht der Verbraucher abgeleitet, interpretiert werden (vgl. Abb.) . Dass eine Handelsunternehmung durch „Monopolisierung des Regalplatzes“ ein originäres Machtübergewicht gegenüber der Industrie (und dann auch gegenüber dem Verbraucher) erlangt hätte, kann dagegen angesichts eines ungehemmten Flächenwachstums gegenwärtig nicht einmal in Ausnahmesituationen beobachtet werden. Angesichts der vielfältigen Umgehungsmöglichkeiten der Industrie, so etwa in Form der Disintermediation als Folge des E-Commerce34, steht dies auch nicht zu befürchten, obwohl die Konzentrationsentwicklungen im Handel unverkennbar sind.35 Neben dieser rein quantitativen Analyse der Entwicklungen im Konsumgüterhandel lassen sich aber auch qualitative Veränderungen der Wettbewerbsstrukturen ausmachen, die in der nachfolgenden Abbildung zusammenfassend dargestellt werden. Werden die Entwicklungsrichtungen - wie in der Abbildung geschehen als Gegensatzpaare angeordnet, so entsteht bei oberflächlicher Betrachtung der Anschein einer Unvereinbarkeit, der dazu beigetragen hat, dass vielfach von einer 34 35
Vgl. Toporowski (2000), S. 73ff. Vgl. Olbrich/Battenfeld (2004), S. 1734 ff.
1.3 Die Rahmenbedingungen des Handelsmarketing im 21. Jahrhundert 17
Polarisierung der Handelslandschaft gesprochen wird. Nach dieser Polarisierungsthese sind Erfolg versprechende Betriebstypen des Handels
• entweder in zentralistisch geführten Massenfilialsystemen des „discountierenden Versorgungshandels'“ • oder in dezentralistisch organisierten Systemen des „gehobenen Qualitäts- und Erlebnishandels“ zu suchen. Ein „stuck in the middle“ muss nach dieser These als verhängnisvoll qualifiziert werden. Dieser weit verbreiteten Auffassung soll die These entgegen gehalten werden, dass die zukunftsträchtigen Konzepte auch und insbesondere in der Kombination, also in „hybriden Betriebstypen des Konsumgüterhandels“ anzutreffen sind.
(1) Unternehmungskonzentration durch Fusionen und internes Wachstum (Aufbau und Ausbau zentral geführter Filialsysteme)
(6) Dezentralisierung und Entflechtung der Hierarchien (“lean management” im Handel)
(2) Tendenz zur Preis- und Versorgungsorientierung in discountierenden Betriebsformen mit Hilfe transaktionskostensparender, standardisierter Distributionsmethoden und -konzepte
(7) Tendenz zur Erlebnis-, Qualitäts-, Service- bzw. Problemlösungsorientierung der Angebotsprogramme in individuell konzipierten Geschäftsstätten des Einzelhandels
(3) Straffung der Filialsteuerung und Perfektionierung der operativen Systeme
(8) Übergang vom zentralistisch / synoptischen zum evolutionären Management (unter Einschluß des ganzheitlichen, vernetzten Denkens)
(4) Erhöhung der Systemwirtschaftlichkeit durch Nutzung fortschrittlicher, rechnergestützter Informations- und Kommunikationstechnologien
(9) Aufbau personaler Differenzierungspotentiale durch Steigerung von Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter
(5) Vertikale Integration zwischen Industrie und “nachfragemächtigem” Handel
(10)Emanzipation des Handels vom Markenartikel der Industrie
Abb. 1.4: Entwicklungstendenzen im Konsumgüterhandel
In welchen Formen diese neuen hybriden Betriebstypen und Unternehmungsnetze in Erscheinung treten, soll im Folgenden kurz skizziert werden. Dabei soll zeitgleich der dritte wettbewerbsbezogene Trend, die Netzwerkbildung, angesprochen werden. Als Ausgangspunkt wählen wir die klassische Arbeitsteilung in der Konsumgüterwirtschaft wie sie in der nachfolgenden Abbildung 1.5. skizziert wird (vgl. hierzu auch Kapitel 5). Um ein Angebot zur Lösung komplexer, individueller Konsumprobleme „aus einer Hand“ zu entwickeln, sind nun außer den Handelsbetrieben, die als Filialist (FL), Mitgliedsbetrieb (MB), Solitär (SOL) und Franchise-
18 1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
nehmerbetrieb (FN) organisiert werden können, Handwerksbetriebe (HW) und Dienstleistungsbetriebe (DL) in das Distributionsnetz aufzunehmen (vgl. Abb.). Weiterhin bieten diverse Distributionsdienstleister wie Logistik-, Finanzdienstleistungs-, Design-, Forschungs- und Entwicklungsbetriebe, Marktforschungs- und Werbeagenturen, etc. ihre Unterstützungsleistungen an. Um die Summe der Einzelleistungen im Hinblick auf das Konsumproblem des Kunden zu einem ganzheitlichen Angebotspaket zu „komponieren“, bedarf es der horizontalen und vertikalen Koordination. Im Kern handelt es sich also bei der Netzwerkbildung um eine besondere Koordinationsform, die zwischen der Koordination über den Markt einerseits, und der Koordination über Anweisung/Hierarchie andererseits angesiedelt ist und in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat.
Industrie
Hersteller Hersteller
Hersteller Hersteller
SystemZentrale
FranchiseFranchiseGeber Geber
GroßGroßHandel Handel
Versand/ e-commerce
Dienstleistung/ Handwerk Einzelhandel
Verbraucher
V
DL FIL
V
HW FIL
ImporImpor- Hersteller Hersteller teur teur
Hersteller Hersteller DistributionsDistributionsDienstleister Dienstleister
EinkaufsKonzern- GruppenEinkaufs- KonzernGruppenZentrale Kontor Zentrale Zentrale Zentrale Kontor
nicht stationär
V
DL
HW
stationär
MB
MB
SOL
Wenige WenigeNachfrager Nachfrager (gewerbliche (gewerblicheVerbraucher) Verbraucher)
SOL
EC
FN FN
EC
HW FN
EC
FN
DL EH
vertikale Koordination
Primär-Stufe
Sekundär-Stufe
Horizontale Koordination
Viele VieleNachfrager Nachfrager (Privathaushalte, (Privathaushalte,Konsumenten) Konsumenten)
Abb. 1.5: Unternehmensnetzwerke (Quelle: Ahlert/Kenning/Schneider, 2000) 1.3.3 Weitere Rahmenbedingungen Neben den Kunden, den Wettbewerbern und den im Rahmen der Netzwerkbildung bereits angesprochenen Lieferanten lassen sich weitere Faktoren identifizieren, die einen Einfluss auf das Handelsmarketing haben können. In erster Linie sind dies 1. Politisch-rechtliche Umweltfaktoren: Bei diesen Faktoren handelt es sich maßgeblich um Entwicklungen, die aus dem politischen Raum in den Handel hineingetragen werden. Bekannte Beispiele sind die Erhöhung der Umsatzsteuer, Regelungen zum Dosenpfand, die Liberalisierung der Ladenöffnungs-
1.4 Grundlegender Prozess zur Entwicklung und Optimierung der Marketingkonzeption 19
zeiten , Maßnahmen im Bereich des Kündigungsschutzes sowie die Vorschriften des GWB und des UWG.36 2. Ökonomische Umweltfaktoren: Hierbei handelt es sich in erster Linie um Kategorien wie das Wirtschaftswachstum oder Entwicklungen auf den Kapitalmärkten, die z. B. einen Einfluss auf das Konsumverhalten bzw. die Finanzierbarkeit und auch Durchsetzbarkeit bestimmter Maßnahmen des Handelsmarketing haben können. Zudem können hier die sich verändernden Strukturen der globalisierten Beschaffungs- und Absatzmärkte gezählt werden.37 3. Sozio-kulturelle Umweltfaktoren: Diese Faktoren beinhalten sowohl den Aspekt der zunehmenden Veralterung westlicher Gesellschaften (“SeniorenMarketing”, “Silver-Market”) als auch den vielfach zitierten Wertewandel z. B. in Richtung einer Hedonisierung und Individualisierung. 4. Technologische Faktoren: Diese Faktoren haben erfahrungsgemäß einen großen Einfluss auf den Handel, der sehr vielfältige Formen annehmen kann.38 Als Beispiel sei an die rasche Integration des Internets als neuen Vertriebsweg erinnert. Aber auch Schlagwörter wie RFID, Bluetooth und UMTS auf der Kundenseite sowie die Einführung neuer Warenwirtschaftssysteme innerhalb des Handelsbetriebs sind hier zu nennen. 39 Insgesamt lässt sich deutlich erkennen, dass das Handelsmarketing zu Beginn des 21. Jahrhunderts keineswegs eine leere Arena betreten kann, in der der Marketingmanager vollkommen frei agieren kann. Vielmehr gilt es eine Reihe von Rahmenbedinungen zu beachten, die einerseits seine Freiheitsgrade reduzieren können, andererseits aber auch oft ganz neue Chancen bieten und Perspektiven eröffnen.
1.4 Grundlegender Prozess zur Entwicklung und Optimierung der Marketingkonzeption Die bisherigen Ausführungen sollten verdeutlicht haben, dass Marketing eine wenn auch noch junge, so doch überaus wichtige Querschnittsfunktion im Handelsbetrieb darstellt. Die Erfüllung dieser Funktion ist allerdings deutlich komplexer als im industriellen Konsumgütermarketing. Um diese Komplexität in den Griff zu bekommen, hat sich eine prozessuale Strukturierung als vorteilhaft erwiesen. Demzufolge werden Marketingkonzepte zumeist in fünf Bestandteile untergliedert, die den folgenden Kapiteln als Rahmen dienen. Konkret sind dies die folgenden fünf Phasen: Ist-Analyse, Zielformulierung, Strategiewahl, Komposition des Marketing-Mix sowie Kontrolle.
36 37 38 39
Vgl. exemplarisch Schröder (1987); Schröder (1990); Horst (1992); Becker (1999). Vgl. Ahlert/Evanschitzky/Woisetschläger (2005) soiwe Zentes/Swoboda/Morschett (2004). Vgl. Toporowski (1997), S. 162ff. Vgl. Ebert (1986); Olbrich (1992); Fischer (1993).
20 1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
Ausgangspunkt der Marketingkonzeption bildet die exakte Analyse der handelsbetrieblichen Ist-Situation. In dieser Ist-Analyse sollten etwa die folgenden Fragen berücksichtigt werden: • • • • • • • • •
Wie groß ist das Marktpotenzial für bestimmte Betriebstypen? Welche zukünftigen Chancen haben bestimmte Betriebstypen? Wie gut bildet die aktuelle Sortimentsstruktur die tatsächlichen Bedürfnisse der Kundschaft ab? Ist die Standortstruktur auch künftig vorteilhaft? Wie werden sich die jeweiligen Standorte entwickeln? Ist die Preispolitik der Unternehmung marktgerecht? Wie ist das Preisimage der jeweiligen Unternehmung? Welche relevanten Wettbewerbsaktionen lassen sich erkennen? Welche politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen könnten sich ändern?
Die Liste relevanter Fragen ließe sich beliebig verlängern. Deutlich wird damit, dass Handelsbetriebe einen nicht unerheblichen Informationsbedarf haben, der gerade auch durch den Aspekt der Standortpolitik den der Industrie deutlich übersteigen kann. Insofern bildet die Marktforschung einen zentralen Baustein des Handelsmarketing. Welche Instrumente dem Handelsmarketing zur Deckung des Informationsbedarfs zur Verfügung stehen und wie diese institutionalisiert werden können, ist Thema des 2. Kapitels. Aufbauend auf der Ist-Analyse hat das Marketingmanagement die für den Handelsbetrieb adäquaten Ziele zu formulieren. An diese Zielformulierung werden verschiedene Ansprüche gerichtet. Zum einen muss ihr Ergebnis kompatibel zu den übergeordneten Unternehmenszielen (z. B. den Renditeerwartungen der Kapitalgeber) sein. Zum anderen muss sie aber auch formal exakt sein. Das Zielsystem des Handelsmarketing wird in Kapitel 2.2 thematisiert. Der Phase der Zielformulierung folgt die Strategische Planung. Der Begriff „Strategie“ wird in der Literatur auf vielfältigste Art verwendet. Oft werden Maßnahmen schon deswegen als strategisch bezeichnet, weil sie langfristig wirksam sind. Folgt man diesem Vorschlag, müsste jedoch bereits der Einkauf einer neuen Scannerkasse in einer Einkaufsstätte eine strategische Entscheidung darstellen, da diese oft über mehrere Jahre eingesetzt wird. Es ist klar, dass dies nicht der eigentlichen Begriffsbedeutung entspricht. Insofern taugt die Fristigkeit einer Maßnahme nur auf den ersten Blick als Qualifizierungskriterium. In diesem Rahmen soll eine Strategie vielmehr als abgestimmtes Maßnahmenbündel zur Schaffung neuer Wertschöpfungspotenziale verstanden werden, das eine hohe Relevanz für den Unternehmenserfolg hat. Insofern kann man eine Strategie auch als Marschroute vom Ist-Zustand zum Ziel – dem Soll-Zustand – definieren. Es ist damit klar, dass die Strategieformulierung ganz maßgeblich von der Phase der Zieldefinition beeinflusst wird. Die Grundzüge des Strategischen Marketings werden im 3. Kapitel dargestellt. Je nachdem, welche strategische Option die jeweilige Handelsunternehmung wählt, ergeben sich unterschiedliche konkrete Pläne. Um diese hohe Komplexität bewältigen zu können, werden die marktbezogenen Maßnahmen in Instrumentalbereiche unterteilt. Die Kombination der dem Handelsmarketing zur Erreichung der betrieblichen Ziele zur Verfügung stehenden Instrumente bezeichnet man auch
1.4 Grundlegender Prozess zur Entwicklung und Optimierung der Marketingkonzeption 21
als „Marketing-Mix“. Dieser Begriff wurde Ende der 40er Jahre von NEIL BORDON geprägt, der hier eine gewisse Affinität zum Kuchenbacken sah.40 Seitdem hat sich das Marketing zwar grundlegend verändert, der Begriff hat diese Veränderungen aber unbeschadet überstanden. Jahr
Autor(en)
Instrumentalbereiche
2002
Schröder
2001
Oehme
2001
Haller
2000
Birker/Voss
1999 1998
Barth MüllerHagedorn Schmitz/ Kölzer
Standort, Sortiment, Preis, Verkaufsraumgestaltung und Warenplatzierung, Kommunikationspolitik (intern und extern), Kundendienst, Handelsmarken Standort, Leistungsangebot, Preis, Vertriebsform, Kommunikation Sortiment, Kontrahierung, Distribution, Kommunikation, Standort Sortiment, Werbung, Warenpräsentation und Verkaufsraumgestaltung, Preis- und Konditionen, Kundenservice, Personal und Beratung, Standort Sortiment, Preis, Beeinflussung, Sonderangebote Standort, Sortiment, Preis, Werbung, Verkaufspersonal Ladengestaltung und Warenpräsentation Standort, Sortiment, Service, Preis, Bedienung, Werbung, Verkaufsförderung, Warenpräsentation und Ladengestaltung Sortiment, Handelsmarken, Qualität und Qualitätssicherung, Service, Preis, Werbung, Verkaufsförderung, Verkaufsraum und Warenpräsentation, Verkaufspersonal, Standort Standort, Sortiment, Produkt insb. Eigenmarken, Verkauf, Preis, Absatzfinanzierung, Werbung, Kundenservice, Beschwerden
1996
1995
Berekoven
1990
Hansen
Tab. 1.2: Übersicht über Strukturierungsansätze des Handelsmarketing
Wie schon zu Beginn des ersten Kapitels erwähnt, gibt es gravierende Unterschiede zwischen dem Marketing-Mix einer Industrieunternehmung und dem Handelsmarketing-Mix. Dies hat verschiedene Gründe, die sich aber zum großen Teil aus den Besonderheiten der Handelsfunktion ergeben. Der „klassische“ 4P-Ansatz (Price, Product, Place, Promotion) wird daher in der Handelsmarketing-Literatur regelmäßig modifiziert. Dabei hat sich jedoch bis dato kein common sense durchgesetzt (vgl. Tab.). Im Kern können die Bereiche Standort, Sortiment, Preis und Personal sowie Kommunikation und Warenpräsentation weitgehend unstrittig dem Handelsmarketing zugeordnet. Die Punkte Vertriebsform und Distribution scheinen nicht ganz überschneidungsfrei zu sein und werden je nach Akzentuierung des jeweiligen Verfassers anders gefasst. Im Folgenden sollen einige Aspekte aus dem Bereich Vertriebsform etwas enger unter dem Begriff „Betriebstypenpolitik“ diskutiert 40
Vgl. Birker/Voss (2000), S. 15.
22 1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
werden. Probleme der handelsbetrieblichen eher physischen „Distrubtion“ werden nicht eigenständig, sondern als Teilbereich der Sortimentspolitik – genauer der Sortimentssteuerung – subsumiert werden. Der Bereich Handelsmarken bzw. Markenmanagement wird lediglich von zwei Verfassern (Schröder und Berekoven) als eigenes Marketing-Instrument gesehen. Dies mag historische Gründe haben, erscheint heute angesichts der hohen Umsatzbedeutung von Handelsmarken in vielen Branchen aber nicht mehr angemessen. Die Positionierung des Betriebstyps als Marke wird von keinem Verfasser als eigenständiger Mix-Bereich thematisiert. Um der großen Bedeutung von Marken für den Erfolg des Handelsunternehmens gerecht zu werden, soll die Markenpolitik im vorliegenden Buch ergänzend zum bisherigen Schrifttum als eigenständiges Kapitel behandelt werden. Insgesamt ergibt sich damit der folgende Handelsmarketing-Mix: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Betriebstypenpolitik Markenpolitik Standortpolitik Sortimentspolitik Personalpolitik Preispolitik Präsentationspolitik Kommunikationspolitik.
Betriebstypen sind das eigentliche Produkt der Handelsunternehmung. Beispiele sind Boutiquen, Supermärkte oder Warenhäuser. Ein wesentlicher Gegenstand der Betriebstypenpoilitik ist die Planung, Realisation und Kontrolle sämtlicher betriebstypenbezogener Maßnahmen. Ihr Ziel besteht darin, marktgerechte Formate zu entwickeln, in die Fläche zu bringen und zu betreiben. Da das Auffinden, die Entwicklung und die Durchsetzung neuer Betriebstypen zu den schwersten Aufgaben im Handel gehört, wählen etablierte (Filial-) Unternehmen oft den Weg, als tragfähig erkannte neue Lösungen in ihr Konzept zu integrieren. Die wesentlichen Elemente der Betriebstypenpolitik werden im vierten Kapitel besprochen. Da der Betriebstyp oft die Ausprägungen der anderen Marketing-Mix-Instrumente prälimitiert wird es den anderen Instrumenten vorgestellt. Marken bieten dem Konsumenten die Möglichkeit, anstrengende Denkleistungen zu vereinfachen.41 Ist diese Vereinfachungsleistung besonders hoch, werden markenbezogene Entscheidungen weniger stark reflektiert. Ein Handelsbetrieb, der über eine starke Marke verfügt, kann daher sogar in preisintensiven Branchen Preiserhöhungen realisieren, da diese vom Kunden nicht bemerkt werden. Insofern versuchen diverse Handelsunternehmen durch Markenstrategien (z. B. durch die Erhöhung des Handelsmarkenanteils) dem Preiswettbewerb zumindest teilweise zu entkommen. Darüber hinaus erfüllen Marken andere betriebswirtschaftlich wichtig Funktionen. Die Optionen der Markenpolitik sollen im 5. Kapitel behandelt werden. Ein weiteres wichtiges Instrument des Handelsmarketing ist die Wahl des Standortes. Diverse Studien belegen den überragenden Einfluss der Standortpolitik für den handelsbetrieblichen Erfolg im stationären Groß- und Einzelhandel. 41
Vgl. hierzu Kenning et al. (2002).
1.4 Grundlegender Prozess zur Entwicklung und Optimierung der Marketingkonzeption 23
Als Standort einer Handelsunternehmung ist jener räumliche Ort anzusehen, an dem die Handelsunternehmung zum Zweck der Erreichung ihrer Ziele ihre Produktionsfaktoren kombiniert. In der Regel findet die Produktionsfaktorenkombination dabei im engen Kundenkontakt statt. Defizite bei der Standortpolitik sind oftmals kaum noch zu korrigieren. Eine systematische, zieladäquate Standortpolitik ist daher von überragender Bedeutung für den Erfolg der jeweiligen Handelsunternehmung und wird im 6. Kapitel dargestellt. Gegenstand des siebten Kapitels – der Sortimentspolitik – ist hingegen die Zusammenstellung des warenbezogenen Leistungsprogramms der jeweiligen Handelsunternehmung. Hier geht es also darum, aus Kundensicht attraktive Sortimente zusammen zu stellen und kontinuierlich zu prüfen. Ein überaus erfolgskritischer Bereich des Marketing-Mix im Handel ist die Personalpolitik. Marketingkonzepte, die diesen Faktor nicht beachten, laufen schnell Gefahr zu scheitern. Letztlich ist die erfolgreiche Umsetzung des Konzeptes maßgeblich von der Unterstützung des Personals vor Ort abhängig. Das zentrale Problem der Personalpolitik ist es, das Personal zu einem zielkonformen Verhalten zu motivieren. Dies ist auf Grund der Vielzahl individueller Zielvorstellungen und subjektiver Präferenzen extrem problematisch. Die Problemstellungen der Personalpolitik sollen im 8. Kapitel erläutert werden Die Preispolitik bildet einen Schwerpunkt im Marketingmix von Handelsbetrieben. Die zentrale Bedeutung resultiert zum einen aus dem hohen, unmittelbaren Einfluss, den sie auf die Erreichung der ökonomischen Ziele hat und zum anderen aus der Möglichkeit, den Preis als strategischen Parameter zu verwenden. Zudem ist der Preis für den Konsumenten in vielen Branchen auf Grund mangelnder Differenzierung zum zentralen Unterscheidungsmerkmal geworden. Es verwundert daher nicht, dass die Preisproblematik bei Umfragen immer wieder als ein zentraler Problembereich des Marketingmanagements erwähnt wird. Gleichwohl kann in vielen Handelsunternehmen nur schwerlich ein theoretisch fundierter Preisfindungsmechanismus erkannt werden.42 Die Preispolitik ist Thema des 9. Kapitels. Im Rahmen der Präsentationspolitik (Kapitel 10) wird definiert, wie der Kundenkontakt mit der Ware ausgestaltet werden soll. In diesen Instrumentalbereich fallen die Aufgaben der Ladengestaltung, der Warenordnung, der Kundenführung, etc. Gemeinsames Merkmal präsentationspolitischer Maßnahmen ist, dass das Ergebnis stets tangibel ist. Gegenstand des 11. Kapitels, der Kommunikationspolitik, ist die Planung und Gestaltung sämtlicher marktgerichteter Kommunikation. Ihr Ziel ist es, das Kaufverhalten im Sinne der Unternehmensziele positiv zu beeinflussen. Üblicherweise verwendet der Handel hierzu die klassischen Kommunikationsinstrumente Handzettel und Zeitungsanzeigen. Diese haben zumeist informierenden Charakter und betonen oft die Preiswürdigkeit der betreffenden Unternehmung. Es liegt auf der Hand, dass die hier genannten Instrumentalbereiche in hohem Maße interdependent sind: Wird z. B. im Rahmen der Sortimentspolitik eine neue Marke (z. B. mit einem Shop-System auf 50m² Verkaufsfläche) neu ins Sortiment aufgenommen, so ist durch die Vorgabe der Shop-Verträge beispielsweise die Prä-
42
Vgl. Kenning (2003), S. 85 ff.
24 1 Bedeutung und konzeptionelle Grundlagen des Handelsmarketing
sentationspolitik in ihren Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt.43 Ähnlich prädisponiert z. B. die Entscheidung, einen neuen Warenhaustypen im Markt zu etablieren, die Suche nach geeigneten Standorten usw. Letztlich ist es daher das Ziel des Marketing-Managers im Handel, die einzelnen Instrumente zielgreichtet miteinander zu kombinieren („Marketing-Mix“). Ein ganz wesentlicher Aspekt des Handelsmarketing, der zu Recht immer wieder betont wird, ist die Umsetzung des Marketing-Konzeptes in adäqaute, effiziente Prozesse. Die oft überragende Bedeutung des Prozessmanagements im operativen Handelsmarketing soll hier nicht verkannt werden. Oft ist die Entscheidung über den Erfolg eines Konzepts maßgeblich von seiner Integration in die betrieblichen Abläufe abhängig. Gleichwohl soll an dieser Stelle keine Fokussierung auf Aspekte des Prozessmanagement im Handel vorgenommen werden. Der interessierte Leser sei auf auf die entsprechend umfangreiche Literatur zu diesem Thema hingewiesen.44
Informatorische Grundlegung Umweltanalyse
Analyse des eigenen Unternehmen
Zielformulierung
Strategiewahl Preisführer
Qualitätsführer
Nischenanbieter
Definition des Marketing-Mix Sortiment
Betriebstyp
Preispolitik
Kommunikation
Präsentation
Standort
Personal
Kontrolle
Abb. 1.6: Aufbau des Marketing-Konzepts von Handelsbetrieben
Die letzte Phase des Marketing-Konzeptes bildet die Kontrolle. Gegenstand dieser Phase ist der systematische Abgleich von Soll- und Ist-Situationen vor dem Hintergrund der strategischen und operativen Maßnahmen. Konkret soll durch die Aufdeckung von Soll-Ist-Abweichungen erkannt werden, ob und wenn ja welche Schwächen das gewählte Marketingkonzept aufweist und wie diese behoben wer43 44
Zur Problematik von Shop-Konzepten vgl. Langenhorst (2000) sowie Vogel (2001). Siehe hierzu Mattmüller/Tunder (1999), S. 435ff., Becker, J./Schütte (2004) sowie insbesondere Ahlert/Borchert (2000).
1.4 Grundlegender Prozess zur Entwicklung und Optimierung der Marketingkonzeption 25
den können. Die Fähigkeit zur Kontrolle korrespondiert daher mit der Phase der Zielformulierung: Einerseits ist die Zielformulierung Vorausetzung der Kontrolle, andererseits bilden Kontrollinformationen die Basis der Zielformulierung in Folgeperioden. Die vorstehende Abbildung gibt noch einmal einen zusammenfassenden Überblick über den Aufbau eines Marketing-Konzepts von Handelsbetrieben.
2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
2.1 Defizite in der Marktforschung im Handel Dass der Handelsmarktforschung in der Literatur bisher nur wenig Platz eingeräumt worden ist, kann auch als Ausdruck der geringen Bedeutung gewertet werden, die ihr Handelsunternehmen lange Zeit beigemessen haben. In der Vergangenheit wurde Primärforschung, also die Erhebung von Originärdaten, vorwiegend von großen Handelsunternehmen betrieben. In der Regel unterhielten (und unterhalten) auch nur Großbetriebe, Handelskonzerne und die Zentrale der Verbundgruppen des Handels eigenständige Marktforschungsabteilungen. Den Klein- und Mittelbetrieben fehlten das Know-how und die finanziellen Ressourcen für eigenständige Marktforschungsaktivitäten. Generell ist das marktforscherische Aktivitätsniveau - im Vergleich zur Industrie - gering. Die Durchführung von Marktforschungsstudien wird häufig unter Verweis auf den unmittelbaren Kontakt zum Letztkäufer als nicht notwendig erachtetet: Man kenne seinen Markt und die Wünsche seiner Kunden, absatzseitige Marktforschung sei somit entbehrlich.1 Letztgenannte Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren und als Begründung für einen Verzicht auf Marktforschung nicht mehr haltbar: Die Marktkenntnis der Einzelhändler bezieht sich nur auf aktuelle Kunden; potenzielle Kunden sind aus der Betrachtung ausgeschlossen.2
2.2 Aufgaben und Prozess der Marketingforschung im Handel Grundlegend für den Erfolg des Handelsmarketing ist die adäquate Informationsversorgung. Hier geht es darum, Probleme zu erkennen, Handlungsbedarf zu identifizieren und Anregungen aus vorbildlichen Problemlösungen zu gewinnen. Die Marketingforschung ist grundlegender Bestandteil der Ist-Analyse im Rahmen der Marketingplanung. Sie ist die informatorische Ausgangsbasis für die Ziel- und Strategieformulierung. Nach dem Verständnis der American Marketing Association (AMA) wird unter Marketingforschung sinngemäß „the systematic gathering, recording, and analyzing of data about problems relating to the marketing of goods and services“ verstanden.3 Marketingforschung soll also alle im Zusammenhang mit der Absatzges1 2 3
Vgl. dazu Berekoven et al. (1999). Vgl. Berekoven (1990), S. 381. Vgl. Schäfer./Knoblich (1978), S. 14.
28 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
taltung eines Unternehmens auftretenden Informationsbedarfe decken. Diese beziehen sich nicht nur auf den Absatzmarkt, sondern auch auf relevante innerbetriebliche Sachverhalte (z. B. Personal- oder Logistikkosten).4 Im Gegensatz zur Marktforschung zählt die Beschaffungsseite nicht zum Betrachtungsfeld der Marketingforschung. Wie bereits angedeutet hat der Einzelhandel dem Informationsinstrument Marktforschung in der Vergangenheit bisher nur eine untergeordnete Rolle beigemessen. Im Vergleich zu Industrieunternehmen weist er ein geringes marktforscherisches Aktivitätsniveau auf. Dies lässt sich mit ‚typischen’ Mittelstandsproblemen erklären: „Es fehlt an Know-how, es fehlt das Geld, und nicht zuletzt mangelt es auch an Einsichten in die Notwendigkeit einer gezielten und systematischen Informationsbeschaffung.“5 Auch die Struktur des Handels ist Ursache für die unterdurchschnittliche Nutzung der Marktforschung. Unabhängig von der in den letzten Jahren sich vollziehenden Konzentrationsentwicklung war und ist die Handelslandschaft geprägt von Klein- und Mittelbetrieben, für die professionelle Marktforschungsstudien aus finanziellen Erwägungen nicht in Frage kommen. Marktforschung wird in der Regel nur von großen Handelssystemen (Filialsystem, Warenhauskonzerne, usw.) betrieben.6 Jedoch nicht nur auf Grund finanzieller Überlegungen wurde professionelle Marktforschung nicht oder nur in geringem Umfang betrieben. Vielmehr stellen viele Einzelhändler den Nutzen von Marktforschungsinformationen in Frage. Anhand der Funktionen der Marketingforschung lässt sich jedoch ihre außerordentliche Bedeutung für den Erfolg der Handelsunternehmung erläutern. Allgemein formuliert ist es Aufgabe der Marketingforschung, Informationen für Entscheidungsprozesse bereitzustellen. Sie hat somit gegenüber den Entscheidungsträgern eine Unterstützungsfunktion, die durch die in der Tabelle aufgeführten Funktionen konkretisiert wird.7
4 5 6 7
Vgl. Meffert (1992), S. 15. Berekoven (1995), S. 381. Vgl. Wyss (1991), S. 138. Vgl. Meffert (1992), S. 17.
2.2 Aufgaben und Prozess der Marketingforschung im Handel 29
Funktion
Erläuterung
Risikoerkennung
frühzeitige Aufdeckung und Abschätzung von Risiken Auslösung notwendiger Entscheidungsprozesse
Innovationsförderung
Erkennung und Antizipation von Chancen und Entwicklungen
Intelligenzverstärkung
Unterstützung der Unternehmensführung im Willensbildungsprozess durch Vermittlung von Methodenkenntnissen und marktrelevanten Zusammenhängen
Unsicherheitsreduzierung
Präzisierung und Objektivierung von Sachverhalten im Rahmen der Entscheidungsfindung
Planungsstrukturierung Informationsselektierung
Ausrichtung der Marketingplanung am Primat der Kundenorientierung Förderung des Verständnisses von Zielvorgaben, Unterstützung von Lernprozessen im Unternehmen Auswahl und Aufbereitung der für Ziel- und Maßnahmenentscheidungen relevanten Informationen
Tab. 2.1: Generelle Aufgaben der Marketingforschung
Ein Handelsunternehmen hat auf verschiedenen Ebenen Entscheidungen zu treffen, die jeweils marktforscherisch fundiert werden können. Wird ein warenbezogener Strukturierungsansatz gewählt, so lassen sich beispielhaft folgende Ebenen bilden: Ebene
Entscheidung
Artikel
Aufnahme eines neuen Artikels Elimination der Warengruppe xy Neustrukturierung des Sortiments Neueröffnung eines neuen Handelsbetriebes Neustrukturierung der Vertriebslinien
Warengruppe Sortiment Handelsbetrieb Handelssystem
Marketingforscherische Fragestellung Absatzpozential des Artikels xy Einflüsse der Warengruppe xy auf das Image des Handelsbetriebes Veränderungen in Einkaufs- und Verbrauchsgewohnheiten Kaufkraftanalyse am Standort xy Marktpotenzialanalyse für Betriebstyp xy
Tab. 2.2: Bezugsobjekte der Marktforschung im Handel
30 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Die Formulierung eines Entscheidungsproblems bzw. das Erkennen von Informationsbedarf im Handelsmarketing ist der Anstoß des so genannten Marktforschungsprozesses. In Anlehnung an HÜTTNER wird ein fünfphasiges Schema zu Grunde gelegt:8
Definition
• Erkennung und Bestimmung des Informationsbedarfs im Marketing
Rückkopplung
• Formulierung des Marktforschungsproblems
Design
• Festlegung des Erhebungskonzeptes (Informationsquellen, Erhebungsmethoden, Erhebungsdauer usw.)
Datengewinnung
• Durchführung der Erhebung (Feldphase)
Datenanalyse
• Aufbereitung und Analyse der erhobenen Daten
Doku mentation
• Interpretation, Präsentation, Dokumentation und Archivierung der Untersuchungsergebnisse
Abb. 2.1: Phasen des Marktforschungsprozesses („5 D’s der Marktforschung“), Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hüttner, M.: Marktforschung, S. 17
Die Informationsgewinnung erfolgt in zwei Schritten. Zur Erhebung von Daten als erstem Schritt stehen zwei Ansätze zur Verfügung. Primärforschung ist die Form der Datengewinnung, bei der mittels Befragung oder Beobachtung neues Datenmaterial generiert wird. Im Rahmen der Sekundärforschung wird auf Daten zurückgegriffen, die bereits unternehmensintern oder -extern vorhanden sind.9 Im zweiten Schritt der Informationsgewinnung, der Datenauswertung, werden die gewonnenen Daten geordnet, geprüft und analysiert sowie im Hinblick auf das zu Grunde liegende Entscheidungsproblem verdichtet. Durch die Datenauswertung kann der Informationsgehalt der ‚Rohdaten’ erhöht werden, indem z. B. in den Daten enthaltene Zusammenhänge aufgedeckt werden.10 In den folgenden Kapiteln sollen die grundlegenden Instrumente und Methoden der Marketingforschung im Handel dargestellt werden. Bei der Marketingfor-
8 9 10
Eine ähnliche Einteilung findet man bei Schröder (2002), S. 37 f. Vgl. Meffert (1992), S. 195 f. Vgl. Berekoven et al. (1999), S. 193.
2.3 Träger der Marketingforschung im Handel 31
schung im Handel gelten im Vergleich zu Industrieunternehmen einige besondere „Spielregeln“, die im Folgenden zunächst näher erläutert werden sollen.
2.3 Träger der Marketingforschung im Handel Auf Grund der besonderen Bedeutung von Handelsbetrieben im Rahmen des vertikalen Marketing hat nicht nur das Handelsmanagement ein Interesse an handelsbezogenen Daten, sondern auch andere Anspruchsgruppen, wie z. B. die Konsumgüterindustrie oder gewerbliche Marktforschungsorganisationen (vgl. Abb.). Zudem ist die Marketingforschung im Handel oft auch auf die Hilfe von Experten, z. B. Marktforschungsunternehmen, angewiesen, die dann ebenfalls als Träger der Marketingforschung im Handel in Betracht kommen. In erster Linie ist es natürlich der Handel selbst, der marktbezogene Informationen zur Steuerung seines eigenen Systems benötigt und sich daher für den Handel als Betrachtungsobjekt interessiert. Die Fragen, die in diesem Kontext zu erforschen sind, können auf Grund der Dynamik im Handel hier nicht abschließend beschrieben werden. Sie können aber grob in kundenbezogene, konkurrenzbezogene und unternehmensinterne Fragen unterteilt werden. Von besonderer Relevanz sind dabei die kundenbezogenen Daten und hier oft Fragen zum Kaufverhalten der Konsumenten, die zur Fundierung der Marketing-Entscheidung im Handel unabdingbar sind. Pars pro toto können die folgenden Fragen genannt werden:
• Wie hoch ist die einkaufsstättenindividuelle Kundenfrequenz? • Welches Image hat die Einkaufsstätte in den Köpfen den Kunden? • Welche Zahlungsbereitschaften kennzeichnen die Kundschaft? Wie kann diese positiv beeinflusst werden? • Wie hoch ist die Einkaufsstättentreue? • Welche Marktsegmente und Zielgruppen können unterschieden werden? • Wie hoch ist die Kaufkraft der Kunden? • Wie groß ist das Einzugsgebiet der Einkaufsstätte? • Welche Veränderungen in der Kundenstruktur lassen sich erkennen? • Mit welchen Medien können die Kunden auf die Leistungen der Handelsunternehmung hingewiesen werden? • Wie groß ist die Kundenzufriedenheit? • Wie hoch ist das Kundenvertrauen? • Wie wirken sich Veränderungen des Kundenlaufs aus? • Wie wirken sich Veränderungen des Sortiments aus? • Wie wirken sich Veränderungen der Preispolitik aus? • Welche Konsequenzen zeitigen Änderungen der Warenpräsentation? • Welche Folgen haben Veränderungen des Personalbestands? Darüber hinaus interessiert sich die Herstellerstufe für den Handelsbetrieb. Hier geht es zum einen um Fragen, die den Handel als Kunden erklären. Zum anderen benötigt die Industrie Informationen über die Kunden des Handels. Insofern ist der Handel als Betrachtungsobjekt für die Industrie von doppeltem Interesse. Relevan-
32 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
te Fragestellungen in Bezug auf den Handel als Kunden lauten beispielsweise wie folgt:
• Auf Grund welcher Informationen trifft der Händler seine Listungsentscheidungen? • Welche Konditionen wird der jeweilige Händler akzeptieren? • Wie setzt der Händler die Marketingkonzeption am PoS um? • Wie verhält sich der Händler in Krisenzeiten? • Welche IT-Ausstattung hat der Handel? • Wie hoch ist seine generelle Kooperationsbereitschaft (z. B. bei Preiserhöhungen?) • Über wie viel Fläche verfügt der Händler? • Welche Qualität hat seine Fläche? • Welche strategische Positionierung strebt er an? • Wie verhält der Händler sich in Jahresgesprächen? • Wie kann der Händler im Absatzkanal gebunden werden? • Welche Betreuungsleistung wünscht er? • Welche Umsatz- und Absatzbedeutung weist er auf? • Plant er eine Substitution unserer Marke durch Handelsmarken? Letztlich zielen diese Fragen darauf ab, handelsbezogene Entscheidungen der Industriestufe zu fundieren und so den Regalplatz zu sichern.11 Schließlich gibt es aber auch noch eine dritte Gruppe, die den Handel genauer beobachtet. In dieser Gruppe befinden sich bspw. administrative Gruppen (z. B. das Statistische Bundesamt), gewerbliche Marktforschungsunternehmen (z. B. GfK oder ACNielsen), wissenschaftliche Einrichtungen (z. B. das INSTITUT FÜR HANDELSFORSCHUNG in Köln oder das IFHM in Münster) und Medien (z. B. Zeitschriften wie die ABSATZWIRTSCHAFT, die LEBENSMITTELZEITUNG oder die TEXTILWIRTSCHAFT). Gemeinsames Merkmal dieser Gruppen ist, dass ihr Informationsinteresse in der Regel derivativ ist.
11
Vgl. hierzu ausführlich: Ahlert (1996).
2.3 Träger der Marketingforschung im Handel 33
Hersteller
Handel Handelals als Betrachtungsobjekt Betrachtungsobjekt
Handelsunternehmungen Auftragsforschung Marktforschungsinstitute
Marketingforschung des Handels
Sonstige
Sonstige Forschungseinrichtungen
Abb. 2.2: Träger der Marketingforschung im Handel
Als Träger der Marketingforschung des Handels kommen dementsprechend zwei Gruppen in Betracht: Zum einen die Handelsunternehmung selbst. Dort geschieht Markt- und Marketingforschung zumeist in internen Abteilungen, die jedoch nicht immer als Marketingforschung bezeichnet werden müssen. Oft handelt es sich um Stabsabteilungen in Großunternehmungen, die das Handelsmarketing mit Informationen versorgen. Eine besondere Bedeutung haben dabei in den letzten Jahren Informationen zu vorökonomischen Größen wie der Kundenzufriedenheit und/oder Kundenloyalität erfahren, die in regelmäßigen Abständen durch die Marktforschung erhoben und in ihrer Bedeutung für den Unternehmenserfolg analysiert werden. Daneben bieten aber auch die zahlreichen innerbetrieblichen Systeme (wie z.B. Warenwirtschaftssysteme) eine wichtige Informationsquelle der Marketingforschung im Handel. Zum anderen ist das Handelsmanagement im Rahmen einer Auftragsforschung gelegentlich auf externe Forschungseinrichtigen angewiesen. Dies geschieht zum Beispiel bei Projekten, die einen innovativen Charakter aufweisen und daher nicht mit den normalen Routinen bearbeitet werden können. Hier werden dann entweder Marktforschungsinstitute (z.B. die GfK), Unternehmensberatungen und/oder andere Forschungseinrichtungen hinzugezogen.
34 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
2.4 Zum gesonderten Informationsbedarf im Handel Im Vergleich zum Marketing einer Industrieunternehmung ist der Informationsbedarf von Handelsunternehmen, bedingt durch einige Besonderheiten des Handelsmanagements, deutlich höher. Die Unterschiede werden besonders deutlich, wenn man als Beispiel ein über alle Handelsstufen hinweg operierendes Filialsystem des Handels mit Mehrbranchen-Sortimenten und einer organisatorischen Trennung der Funktionen Einkauf und Verkauf wählt, wie es beispielsweise ein Warenhauskonzern darstellt.12 Erstens ist auf die Abhängigkeit aller Entscheidungen von standortspezifischen Besonderheiten in jeder einzelnen Betriebsstätte hinzuweisen. Die standortspezifischen Einflussgrößen kennzeichnen sich durch eine hohe Dynamik, die sich in sehr häufigen, ex ante schlecht prognostizierbaren Änderungen mit überwiegend relativ kleinen Änderungsraten äußert. Die Informationswirtschaft kann sich daher nicht darauf beschränken, alle zwei oder drei Jahre eine groß angelegte Standortanalyse zu veranstalten, sondern sie muss die kleinen, aber wichtigen Veränderungen am Standort fortlaufend überprüfen. Zweitens erwächst der betrachteten Unternehmung ein hoher Anpassungsbedarf aus der großen Umstellungsflexibilität, mit der die konkurrierenden Unternehmungen auf die zahlreichen Umweltveränderungen schnell reagieren können. In kaum einem Wirtschaftssektor ist die Flexibilität so groß wie im Einzelhandel. Ausschlaggebende Bedeutung hat daher die Schnelligkeit, mit der aktuelle Informationen bereitgestellt werden können, um rechtzeitig zu reagieren. Drittens kommt erschwerend hinzu, dass Marktauftrittskonzepte des Handels sich nicht durch gewerbliche Schutzrechte absichern lassen, so dass sie, wenn sie erfolgreich sind, jederzeit von der Konkurrenz ‚abgekupfert’ werden können. Kein Handelsunternehmer kann sich daher auf den ‘Lorbeeren genialer Einmallösungen’ ausruhen, sondern er muss sein Konzept ständig fortentwickeln. Das setzt voraus, unablässig aus den Erfahrungen des laufenden Marktexperimentes zu lernen. Aus den bisher aufgeführten Besonderheiten leitet sich der Anspruch her, ein verzweigtes Standort-Informations-System für sämtliche Betriebsstätten aufzubauen, das sowohl die Geschäftsführung ‘vor Ort’ als auch die Handelszentrale mit Entscheidungs- und Kontrollinformationen versorgt. In engem Zusammenhang damit steht das Konkurrenz-Informations-System, das nicht nur die Entwicklung der auf den Beschaffungsmärkten konkurrierenden Handelssysteme sowie deren globalen Marktauftritt auf den Absatzmärkten zentralseitig abzubilden hat. Vielmehr ist es auch mit der Vielzahl standortindividueller Einzelinformationen über die ‚vor Ort’ agierenden Konkurrenzbetriebe zu speisen, die z. B. durch regelmäßige Konkurrenzbegehungen gewonnen werden. Viertens hat der Einzelhändler mit einem breiten und tiefen Sortiment einen geradezu unermesslichen Informationsbedarf, denn er muss sich auf mehrere (im Extremfall eines klassischen Warenhauskonzerns auf fast alle) Konsumgüterbranchen verstehen und in allen Marktfeldern absatz- und beschaffungsseitig operieren. Dieses Informationsvolumen kann ohne technologische Unterstützung durch 12
Vgl. Ahlert/Kollenbach/Korte (1996), S. 18 f.
2.4 Zum gesonderten Informationsbedarf im Handel 35
ein rechnergestütztes Waren- und Lieferanten-Informations-System in Zukunft kaum noch bewältigt werden.13 Fünftens ist auf ein gegenüber dem industriellen Marketing Vielfaches an einschlägigen Rechtsrestriktionen hinzuweisen, die bei der Planung und Durchsetzung von Beschaffungs- und Absatzmaßnahmen im Handel zu beachten sind.14 Besonders komfortabel wäre es, wenn eine Datenbank mit den relevanten Rechtsinformationen zur Verfügung stünde, auf die man nach Bedarf zugreifen könnte. Sechstens hat das Handelsmanagement eine Vielfalt von Abstimmungproblemen zu meistern, und zwar • • • •
zwischen den Artikeln innerhalb der einzelnen Abteilungen, zwischen den verschiedenen Abteilungen innerhalb einer Betriebsstätte, zwischen der Zentrale und den Filialen sowie auch zwischen den verschiedenen Filialen, speziell wenn diese in Vertriebslinien aufgeteilt sind, und insbesondere • zwischen den Funktionen Einkauf und Verkauf.
Allein die letztgenannte Koordination zwischen dem in den Betriebsstätten dezentralisierten Verkauf und einer zentralen Einkaufsorganisation, die ein klassisches Problem der Handelswissenschaft und -praxis mit immer wieder neuen Lösungsversuchen organisatorischer Art15 und methodischer Art16 darstellt, prädestiniert das verzweigte Handelssystem für die Implementierung einer Controllingkonzeption. Denn das Management der Schnittstellen, die Bewältigung von Abstimmungsprozessen im Hinblick auf übergeordnete Ziele, kann als die Kernfunktion des koordinations- bzw. steuerungsorientierten Handelscontrollings bezeichnet werden.17 Siebtens ist auf spezifische Personalführungsprobleme zu verweisen, die mit der Eigenart insbesondere der Funktionen des Verkaufspersonals zusammenhängen. Die Interaktion mit dem Kunden – eine, wenn nicht die Schlüsselaufgabe des Handels ‚vor Ort’ – lässt sich schwer steuern, operationalisieren und kontrollieren. Quantitative Ergebnisse des kaufmännischen Rechnungswesens (wie Umsatz oder Deckungsbeitrag) bilden die Qualität des Verkäuferverhaltens, das auch auf langfristige Kundenbindung ausgerichtet ist, bekanntlich nur unzulänglich ab. Die Gestaltung eines aussagekräftigen Personal-Informations-Systems, das automatisch durch die Daten aus dem warenwirtschaftlichen Informationssystem gespeist, aber durch weitere qualitative Informationen laufend angereichert wird, bildet eine der besonderen Herausforderungen im Handel, wie sie in vergleichbarer Form allenfalls im Vertriebs-Außendienst einiger Industrieunternehmungen auftreten. Achtens kann in dem systematischen Lernen aus eigenen Erfahrungen einer der spezifischen Defizitbereiche des Handelsmanagements erkannt werden. Gemeint ist die Gewinnung und Auswertung von Erfahrungen außerhalb der sog. internen Modelle in den Köpfen der Handelsmanager aus den Betriebsstätten und Zentra13 14 15 16 17
Vgl. grundlegend: Ahlert (1997); S. 3 ff. sowie Becker/Schütte (2004), S. 30 f. Vgl. näheres bei Ahlert/Schröder (1996). Vgl. zum Überblick Hanhardt (1967). Vgl. zu den Limitplanungsmethoden Ebert (1986), S. 239 ff. Vgl. hierzu auch Burg (1995).
36 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
len, also das Lernen in extern dokumentierter, intersubjektiv überprüfbarer Form. Diese Gewinnung von substanziellem und strukturellem (‚theoretischem’) Wissen über das Entscheidungsfeld der Betriebsstätten und des gesamten Handelssystems bildet die Kernfunktion des lernorientierten Handelscontrollings. Neuntens ist eine Handelsunternehmung, die ein breites Konsumgütersortiment unter einem Dach anbietet, mit Kaufverhaltenseigenschaften, Wertewandlungen, Modeströmungen, Lebensstiländerungen, etc. der Kunden konfrontiert, die an den unterschiedlichen Standorten ihrer Betriebsstätten domizilieren. Ohne ein verzweigtes Kunden-Informations-System, das ebenfalls computergestützt funktionieren kann, wird kein Händler auf Dauer kundennahes, kundenindividuelles Marketing als Profilierungsinstrument gegenüber der Konkurrenz einsetzen können. Zehntens zeichnet sich das Handelsmarketing in Bezug auf die am Markt angebotene Leistung durch eine Besonderheit aus, die als doppeltes Leistungsprinzip bezeichnet werden kann. Mit diesem Begriff wird verdeutlicht, dass der Marketingmanager im Handel gegenüber seinem Kollegen in der Industrie stets zwei Leistungen am Markt positionieren muss. Zum einen hat er dafür Sorge zu tragen, dass die Sortimente marktfähig sind und der Kunde diese als attraktiv ansieht. Er muss insofern stets die Sortimentsleistung optimieren. Darüber hinaus trägt er aber auch für die Positionierung der jeweiligen Betriebstypen Sorge und muss insofern die Betriebstypenleistung verbessern. Aus dem doppelten Leistungsprinzip des Handels ergibt sich ein erhöhter Informationsbedarf, da sowohl betriebstypen- als auch sortimentsbezogene Daten erhoben werden müssen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass größere Handelsunternehmungen und erst recht verzweigte Systeme des Konsumgüterhandels einen besonders hohen und komplexen Informations- und Koordinationsbedarf aufweisen, um die - keineswegs ‚simplen’ - Aufgaben des strategischen Handelsmanagements zu meistern. Insofern sind die im Folgenden dargestellten Modelle idealtypisch.
2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung 2.5.1 Umweltanalyse Eine zentrale Determinante der Marketingplanung ist ihre Umwelt. Umwelt ist an dieser Stelle jedoch nicht im ökologischen Sinn zu verstehen, sondern gilt als Rubrum für sämtliche Determinanten des Handelsmarketing auf die das Handelsmanagement keinen mittel- oder unmittelbaren Einfluss nehmen kann. Ein klassisches Beispiel ist das Wetter. Weitere Kriterien sind die Kaufkraftentwicklung, die Werteentwicklung, etc. Allgemein lassen sich im Rahmen der Umweltanalyse die folgenden Umweltfaktoren differenzieren.18
18
Vgl. hierzu Olbrich (2000), S. 24.
2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung 37
2.5.1.1 Politisch-rechtliche Umweltfaktoren Politisch-rechtliche Rahmenfaktoren sind zum großen Teil auf Maßnahmen der Politik zurück zu führen. Im Handel lassen sich z. B. diverse einschlägige Rechtsnormen nennen, die einen maßgeblichen Einfluss auf das Handelsmarketing haben können. So wird die Standortwahl beispielsweise durch die Vorgaben der Baunutzungsverordnung (BauNVO) wesentlich beschränkt. Das Ladenschlussgesetz als zweites Beispiel hat einen gravierenden Einfluss auf die Handelsstruktur in ländlichen Regionen und auf die (Flächen)-Produktivität eines Handelsunternehmens.19 Drittens ließe sich das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) aufführen, dass als Generalnorm nicht nur aber auch die Entwicklung des Handels in weiten Teilen maßgeblich beeinflusst hat. Neben diesen Normen haben auch behördliche Entscheidungen einen wesentlichen Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung des Handelsmarketing. Besonders relevant sind hierbei regelmäßig die Entscheidungen des Bundeskartellamtes, die teilweise bis in Details der Preispolitik einwirken können. Politisch-behördliche Maßnahmen können aber auch eine befreiende Wirkung auf das Handelsmarketing nehmen. Dies ist zumindest immer dann der Fall, wenn Gesetze aufgehoben oder durch neuere Entscheidungen der Rechtsprechung wesentlich gelockert werden. Bekannte Beispiele sind der sog. „Dienstleistungsabend“ der 1997 eingeführt wurde, der Wegfall des Rabattgesetzes im Juli 2001 sowie die Regelungen zum Dosenpfand. In solchen Fällen besteht für reaktionsschnelle Handelbetriebe eine günstige Profilierungsmöglichkeit. Allerdings besteht zu diesen Zeiten oft auch die Gefahr, dass auf Grund fehlender Präzedenzfälle und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit „über das Ziel hinausgeschossen“ wird. Die sich daraus ergebenden Aufgaben im Rahmen der Umweltanalyse dieser Faktoren lassen sich in proaktive und reaktive Maßnahmen unterteilen. Proaktiven Charakter hat diese Informationsgrundlage insofern, als dass das Marketingmanagement fortlaufend rechtlich á jour bleiben sollte, um sich kurzfristig ergebende Profilierungsmöglichkeiten erkennen zu können. Eine Möglichkeit hierzu ist die Mitarbeit in diversen Verbänden, die einen engen Kontakt zur Politik haben (z. B. IHK oder Einzelhandelsverbände). Reaktiven Charakter hat die Analyse der politisch-rechtlichen Faktoren immer dann, wenn bereits geplante Marketingmaßnahmen auf ihre rechtliche Relevanz zu prüfen sind. 20 Generell leidet die Analyse der politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen darunter, dass nach wie vor kein wettbewerbspolitisches Leitbild erkennbar ist, mit dessen Hilfe der Handel sich auf die kommenden rechtlichen Entwicklungen einstellen könnte.21 2.5.1.2 Ökonomische Umweltfaktoren Zu den ökonomischen Faktoren zählen primär die konjunkturelle Entwicklung, die Veränderungen der Kaufkraft, die Entwicklung der Ausgaben für Konsum, etc. Die wertmäßige private Konsumgüternachfrage ist in den letzten fünfzehn Jahren 19 20 21
Vgl. Enke/Wolf (1999). Vgl. hierzu grundlegend Ahlert/Schröder (1996). Vgl. hierzu Ahlert/Schröder (1999), S. 288.
38 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
nur geringfügig gestiegen (vgl. Abb.). Ihr Anteil am gesamten privaten Verbrauch ist hingegen stark rückläufig, d. h. anteilsmäßig wird immer weniger Geld für den einzelhandelsrelevanten, privaten Konsum ausgegeben. So flossen 1990 noch 44,2% des privaten Verbrauchs in den Einzelhandel, 2004 waren es nur noch rund 30%. Mrd. Euro
Abb. 2.3: Entwicklung der privaten Konsumgüternachfrage in Deutschland von 1990-2004
Eine weitere, zunehmend wichtigere Facette der ökonomishen Umwelt, stellt das Gebiet der Internationalisierung im Handel dar.22 Gerade weil es für deutsche Handelsunternehmen immer schwerer wird, inländisches Wachstum zu erzielen, versuchen diese, durch eine grenzüberschreitende Expansion zu wachsen. Mit diesem Schritt sind aber zahlreiche Fragen und Probleme verbunden, wie z.B.:23 • Können die für Deutschland entwickelten standortpolitischen Instrumente und Methoden übernommen werden oder sind diese zu modifizieren? • Soll man die Führung der Unternehmen und Betriebe inländischen Managern übertragen oder sollte man eher auf Personal aus dem Zielland zurückgreifen? • Welche spezifischen, rechtlichen Rahmenbedngungen sind bei der Ausgestaltung des Marketing-Mix (z.B. Personal, Kommunikation oder Pricing) zu beachten? • Welche kulturellen Kontextfaktoren gilt es zu beachten? Wie ermittelt man die kulturelle bzw. psychologische Distanz zu bestimmten Zielländern?
22 23
Vgl. z.B. Rudolph/Knaus/Einhorn (2002). Vgl. auch Spannagel/Träger (2005).
2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung 39
• Kann in allen Ländern die gleiche Betriebstypenmarke verwendet werden, oder muss das Markenmanagement länderspezifisch ausgestaltet sein? • Welche Länder eignen sich besonders gut für einen Markteintritt? Wie kann man diese identifizieren? • Wie ist die Wettbewerbssituation in den Zielländern? Welche Betriebsformen kennt der Kunde, welche müsste er erlernen?24 • Wie kann die internationale Expansion finanziert werden? Welche spezifischen Finanzierungsformen stehen zur Verfügung? Um Informationen auf diesem Gebiet zu generieren, kann der Marketingmanager auf eine Vielzahl von Publikationen sowie auf die Angebote externer Dienstleister zurückgreifen, die über umfangreiches Datenmaterial verfügen. So bieten Firmen wie ACNielsen oder die Gesellschaft für Konsumforschung („GfK“) in Nürnberg umfangreiche Analysen an. Aber auch amtliche Statistiken wie z.B. der OECDStatistik können hilfreiche Informationen enthalten. 2.5.1.3 Sozio-kulturelle Umweltfaktoren Zu dieser Gruppe zählen überwiegend Verschiebungen in gesellschaftlichen Bereichen. Ein erster wichtiger Punkt, dem viele deutsche Handelsunternehmen bis dato kaum Rechnung tragen, ist die deutliche Veralterung der Gesellschaft. Im Jahr 2010 werden nach Berechnungen des Bundesamtes für Statistik gut 30 % aller Deutschen älter als 70 Jahre sein. Diese Veralterung spiegelt sich in den Schlagworten „Seniorenmarketing“ oder „Silver Market“ wider und dürfte künftig verstärkten Einfluss auf das Handelsmarketing nehmen. Auf der anderen Seite können Werteveränderungen insbesondere in jungen, attraktiven Zielgruppen einen maßgeblichen Einfluss auf den Erfolg des Handelsmarketing haben. So ließ sich in den letzten Jahren beispielsweise verstärkt ein Trend zu hedonistischem Verhalten erkennen, der im Handel durch die Herausbildung erlebnisorientierter Konzepte (z. B. CENTRO Oberhausen) seine Entsprechung fand.25 Mögliche Informationsquellen des Handelsmarketing stellen neben den bereits erwähnten externen Dienstleistern oft auch Stiftungen (z. B. die BertelsmannStiftung) sowie (Trend-) Forschungsinstitute zur Verfügung. Bekannte Beispiele sind der Handelsmonitor, der Popcorn-Report oder die Shell-Studie. 2.5.1.4 Technologische Umweltfaktoren Dieser Gruppe sind sämtliche Technologien zuzurechnen, die einen Einfluss auf das Handelsmarketing haben könnten. Die Richtung, die dieser Einfluss annehmen kann, ist nicht immer eindeutig zu bestimmen. Dies wird am Beispiel des Internets deutlich.26 Zunächst befürchteten hier viele Händler, dass diese Technologie eine dramatische Disintermediation implizieren könnte und somit für den Handel deutlich negativ zu beurteilen wäre. Nach und nach stellte sich jedoch heraus, dass das Internet als zusätzliches Instrument des Handelsmarketing, z. B. im Rahmen des 24 25 26
Vgl. hierzu auch Ahlert, D./Blut, M./Evanschtzky, H. (2006). Zur Bedeutung der Erlebnisorientierung für den Handel vgl. Ziehe (1997), S. 51. Vgl. Ahlert (2000), S. 3 ff.
40 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Direct-Mailing im Vertrieb oder im E-Procurement in der Beschaffung, genutzt werden konnte. Insofern ist auch bei den technologischen Umweltfaktoren nicht ad hoc erkennbar, welche Bedeutung sie für das Handelsmarketing haben werden. So ist aktuell in der Diskussion, welchen Nutzen die RFID-Technologie auf Dauer haben dürfte. Um dennoch rechtzeitig Informationen über relevante technologische Entwicklungen zu erhalten, kann der Marketingmanager auf eine Vielzahl von Informationsangeboten zurückgreifen. Eine wichtige Funktion erfüllen hier regelmäßig wiederkehrende Tagungen und Kongresse (z. B. EuroShop des EHI) und Organisationen (z. B. die Centrale für Coorganisation). 2.5.2 Die Wettbewerbsanalyse Im Unterschied zur Umweltanalyse besteht bei der Analyse der Wettbewerbsumwelt ein direkter Bezug zum Handelsunternehmen. Im Rahmen der Wettbewerbsanalyse lassen sich nach PORTER fünf Wettbewerbskräfte unterscheiden, die im Folgenden skizziert werden sollen:27 Die Verhandlungsstärke der Abnehmer ist eine erste wichtige Wettbewerbskraft, da die Abnehmer in der Lage sein können, bestimmte Anforderungen an den Händler zu stellen. Dies gilt insbesondere für Großhändler, die nur wenige große und damit mächtige Einzelhändler beliefern. Die Gefahr, die sich aus einer solchen Konstellation ergeben kann, ist, dass die Einzelhändler durch einen Zusammenschluss die Großhandelsstufe integrieren können, wie dies z. B. bei der Bildung von Verbundgruppen oft geschehen ist. Darüber hinaus können große zentralistische Systeme oft auch die Großhandelsstufe überspringen. So bilden beispielsweise die Metro, H&M oder Ikea solche integrierten Systeme. Auf der Einzelhandelsstufe sind die Nachfrager zumeist jedoch einzelne Konsumenten, deren Verhandlungsstärke grundsätzlich gering sein dürfte. Bedeutsamer für diese Stufe ist die Analyse der Verhandlungsstärke gegenüber den eigenen Lieferanten. Hier lassen sich immer neue Konstellationen beobachten, die von der deutlich spürbaren Kooperationstendenz (z. B. im Rahmen von ECRKonzepten) bis hin zu offen ausgetragenen Konflikten und Machtkämpfen führen können.28 Marketingrelevant sind in diesem Kontext beispielsweise Preiserhöhungen, die zu einer Schwächung der eigenen Wettbewerbsposition führen können. Eine stärkere Bedrohung geht von potenziellen Konkurrenten aus. Diese sind naturgemäß nicht immer zu erkennen. Ein bekanntes Beispiel für den deutschen Handel sind Tchibo oder Aldi, die, obwohl sie eigentlich als Lebensmittelhändler positioniert sind, mittlerweile zu den zehn größten Textileinzelhändlern zählen und damit einen großen Teil der Konsumausgaben in dieser Branche auf sich vereinen können. Ein Indiz für die Gefahr, die von potenziellen Konkurrenten ausgehen kann, ist die Leichtigkeit, mit der Markteintrittsbarrieren überwunden werden können. Beispielhaft für solche Markteintrittsbarrieren sind die Finanzierungskraft, die Verfügbarkeit von geeigneter Verkaufsfläche, der Zugang zu den Beschaffungsmärkten, Lagerkapazitäten sowie das logistische Know-how. Stellen 27 28
Vgl. hierzu auch Ehrmann (2005), S.21ff. Vgl. Borchert (2001), S. 20 f.
2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung 41
diese Dinge keine Barriere dar, ist der Eintritt potenzieller Konkurrenten in den eigenen Markt immer dann wahrscheinlich, (a) wenn die Durchschnittsrendite des Marktes dauerhaft überdurchschnittlich war und (b) der Wettbewerb funktionsfähig ist.29 Weiterhin kann eine Bedrohung durch substitutive Betriebsformen entstehen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die gleichen Funktionen erfüllen, wie der bereits etablierte Betriebstyp, diesem oft aber durch die Weiterentwicklung desselben überlegen sind. Diese Weiterentwicklung hat ihren Ursprung oft in den Hintergrundssystemen, z. B. in einer überlegenen Organisation der Beschaffung oder der Logistik. So sind beispielsweise die vertikal organisierten Konzepte im textilen Einzelhandel (H&M, Mango, Zara, Esprit) im Marktauftritt den etablierten Konzepten (SinnLeffers, Jean Pascale, etc.) ähnlich. Da sie aber durch intelligente Hintergrundorganisation deutlich schneller und flexibler auf kurzfristige, modische Entwicklungen reagieren können, verdrängen sie die etablierten Konzepte zunehmend. Das fünfte Kriterium zur Beurteilung der Wettbewerbssituation ist schließlich die Wettbewerbsschärfe oder -rivalität. Indikatoren für starke Rivalitäten sind Preiskämpfe in stagnierenden oder schrumpfenden Märkten. In dieser Situation versuchen einige Händler, sich durch eine weitere Leistungsdifferenzierung, z. B. durch Handelsmarkenkonzepte, dem Preiskampf zu entziehen. Der Erfolg solcher Versuche ist unterschiedlich und hängt nicht zuletzt auch von der Marketingperformance der jeweiligen Handelsunternehmung ab. Tendenziell ist er aber gerade bei Handelsunternehmen, deren Sortimente weitgehend aus preissensiblen Gütern des täglichen Bedarfs bestehen, beschränkt. Ziel der bis hierher dargestellten Wettbewerbsnalyse ist es zum einen, das tatsächliche Drohpotenzial der Konkurrenz zu erkennen, und zum anderen, geeignete Maßnahmen zum Schutz der eigenen Wettbewerbsposition ergreifen zu können 2.5.3 Stärken-/Schwächenanalyse Das gemeinsame Merkmal der bis hierhin vorgestellten Analyseansätze ist ihre Unabhängigkeit von der jeweiligen Unternehmenssituation. Demzufolge würden im Ergebnis kleine Handelsunternehmen in etwa zu gleichen Ergebnissen gelangen, wie dies bei größeren Unternehmen der Fall wäre. Diese Bezugslosigkeit wird durch die Stärken-/Schwächenanalyse aufgehoben. Ihr Merkmal ist es, dass die eigenen Ressourcen im Vergleich zu den stärksten Wettbewerbern bewertet werden. Hierzu sind mithin zwei Dinge notwendig: Neben der bereits skizzierten Wettbewerbsanalyse müssen Informationen zu den eigenen Ressourcen vorliegen, die dann durch den Vergleich als Stärke oder Schwäche kategorisiert werden können. Sinnvoll kann es sein, die im Rahmen dieser Analyse gewonnenen Erkenntnisse überblicksartig in einem Stärken-/Schwächenprofil darzustellen und dieses regelmäßig zu aktualisieren.
29
Vgl. hierzu Grossekettler (1991), S. 497 f.
42 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Abb. 2.4: Beispiel für eine SWOT-Analyse für die Betriebsform Warenhaus (in Anlehnung an Meffert, 2000, S. 68)
Kombiniert man die Stärken-/Schwächenanalyse mit den Ergebnissen der Umweltanalyse, so erhält man schließlich einen systematischen Überblick über die strategische Lage des Unternehmens. Für diesen zusammenführenden Analyseschritt hat sich der Begriff der SWOT-Analyse („Strength-Weakness-Opportunities-Threats“) etabliert. Die Ergebnisse der SWOT-Analyse sind naturgemäß mit Unsicherheit behaftet, da die Entwicklung bestimmter Trends geschätzt werden muss. Die SWOT-Analyse erfüllt daher eher eine grobe Frühwarnfunktion. In Abb. 2.4. wird das fiktive Ergebnis einer solchen Analyse für das Handelsunternehmen Karstadt dargestellt. Da das Karstadt-Warenhaus als Hauptumsatzträger des Konzerns über besonders breite Sortimente verfügt, dürfte die Entwicklung zum One-Stop-Shopping für das Unternehmen eher vorteilhaft sein (Feld 1). Dem entgegen stellt die geringe Internationalisierung des Konzern wohl eher ein Risiko dar (Feld 2). Eine Chance zur Verbesserung der Wettbewerbsposition böte sich dem Unternehmen z.B. dann, wenn es gelänge, das Personal besser zu entwickeln (Feld 3), während die sinkende Mobilität der Kunden vermutlich einen negativen Einfluss haben dürfte (Feld 4). Dieses Beispiel mag verdeutlichen, dass die SWOT-Analyse eine Möglichkeit bietet, die Ergebnisse einer internen, statischen Stärken/Schwächen-Analyse im Hinblick auf die beobachtbaren Entwicklungs-tendenzen außerhalb der Unternehmung zu würdigen.
2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung 43
2.5.4 Analyse des Absatzmarktes Bereits im einführenden ersten Kapitel wurde die hohe Bedeutung des Absatzmarktes für den Erfolg des Handelsmarketing betont. Es ist daher nur konsequent, dass die Analyse des Absatzmarktes eine bedeutsame Rolle im Marketing-Prozess innehat. Wichtige absatzmarktorientierte Größen, die auch eine Beurteilung der Attraktivität eines Absatzmarktes ermöglichen, sind: • • • •
Marktpotenzial Marktvolumen Marktwachstum und Marktanteil.
Diese Größen sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Das Marktpotenzial umfasst die in einem Markt maximal absetzbare Menge eines Gutes. Es handelt sich damit um eine potenzielle Größe, die oft aus anderen Größen, zumeist sozio-demographischen Größen abgeleitet wird. Besitzen in Deutschland bspw. 8 Millionen Menschen eine Gefriertruhe, und fasst diese im Schnitt 300 Liter Tiefkühlgut, so beträgt das mengenmäßige Marktpotenzial für Tiefkühlkost 2.4 Mrd. Liter Tiefkühlgut. Multipliziert man diese Menge mit dem Durchschnittspreis (z. B. 5,- €) für einen Liter Tiefkühlgut so erhält man das wertmäßige Marktpotenzial (hier 12 Mrd. €). Es liegt auf der Hand, dass die konkrete Angabe solcher Werte von zahlreichen Annahmen abhängig ist. Gleichwohl erfüllt diese Größe eine wichtige Orientierungsfunktion für das Handelsmarketing. Das Marktvolumen kennzeichnet die Menge, die tatsächlich in einem Markt abgesetzt werden kann. Im Beispiel könnte dies bedeuten, dass von den 12 Mrd. € Marktpotenzial nur 10 Mrd. € (tatsächlich waren es 2004 9,6 Mrd. €, Anm. des Verf.) realisiert werden können, etwa weil die Belieferung entlegener Kunden nicht rentabel betrieben werden kann. Insofern entsprechen sich die Werte Marktpotenzial und Marktvolumen immer dann, wenn die gesamte Nachfrage befriedigt werden konnte. Der Begriff Marktwachstum kennzeichnet die Entwicklung, die ein Markt aufweist bzw. aufweisen wird. Er kann sich sowohl auf das Markpotenzial als auch auf das Marktvolumen beziehen. Zudem kann das Marktwachstum analog zum Marktpotenzial sowohl als mengenmäßige als auch als wertmäßige Größe angegeben werden. Im Unterschied zu den beiden vorherigen Größen handelt es sich allerdings um eine relative Größe. Würde im genannten Beispiel die Anzahl der Truhen innerhalb eines Jahres um 800.000 Stk. ansteigen, so betrüge das Marktwachstum hier ceteris paribus 10%. Aus der Beobachtung des Marktwachstums kann der Marketingmanager wichtige Schlüsse auf die künftige Entwicklung eines Marktes ziehen. Verflacht es beispielsweise, so wird der Markt vermutlich bald stagnieren, was wiederum zu einer erhöhten Wettbewerbsrivalität führen kann. Sinkende Zuwachsraten sind daher oftmals die Vorboten von Preiskämpfen. In einer solchen Situation bietet der Marktanteil eine Orientierungshilfe, um die eigene Wettbewerbsstärke besser beurteilen zu können. Grundsätzlich sind Handelsbetriebe, die einen hohen Marktanteil aufweisen, wettbewerbsfähiger. Zumeist haben sie eine bessere Kostensituation (z. B. durch Vorteile auf dem Beschaffungsmarkt). Der Marktanteil ist dabei definiert als der Absatz oder Umsatz eines
44 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Händlers in Bezug zum Absatz oder Umsatz des Gesamtmarktes. Die Firma BO*FROST realisiert bspw. einen Umsatz von etwa 3 Mrd. €. Dies entspräche einem Marktanteil von etwa 30 %. Einen c.p. ähnlichen Aussagenwert liefert die Betrachtung des relativen Marktanteils. Hierbei wird der eigene Marktanteil in Relation zum stärksten Wettbewerber gesetzt. Bisweilen wird auch der Markanteil der größten drei Wettbewerber verwendet. Im Beispiel wäre vorstellbar, dass die Nr. 2 im Markt, die Firma EISMANN, einen Umsatz von 1 Mrd. € erwirtschaftet. Demnach betrüge der relative Marktanteil der Firma BO*FROST 3/1 = 3. Aus dieser Rechnung wird unmittelbar ersichtlich, dass nur der Marktführer einen relativen Marktanteil erzielen kann, der größer als 1 ist. 2.5.5 Bestimmung des relevanten Marktes von Handelsbetrieben Voraussetzung einer marktorientierten Führung von Handelsbetrieben ist eine klare Definition des Marktes. Im Handel hat diese Definition auch aus kartellrechtlichen Gründen eine besondere Bedeutung erfahren.30 Dem vorgelagert ist die Frage nach der Marktwahl zu beantworten. Der Begriff „Markt“ wird in diesem Kontext abstrakt verwendet, d. h. er bezeichnet nicht eine Region oder eine zu bestimmende Zielgruppe, sondern ist der gedachte Ort, an dem der Leistungsaustausch stattfindet. Im Handel ergibt sich aus dieser Definition in Kombination mit dem doppelten Leistungsprinzip die Besonderheit, dass sowohl die Betriebstypenleistung als auch die Sortimentsleistung auf Märkten gehandelt werden können. Diese müssen sich jedoch nicht zwangsläufig entsprechen. So ist es zum Beispiel denkbar, dass die Fachabteilung eines Warenhauses an einem bestimmten Standort mit dem Facheinzelhandel konkurriert, obwohl die Betriebstypen in anderen Sortimentsbereichen kaum Überschneidungen aufweisen. Insofern ist die Frage nach der Abgrenzung des relevanten Marktes für das Marketingmanagement im Handel von doppelter Relevanz. Zur Abgrenzung des relevanten Marktes haben sich in der Literatur drei verschiedene Verfahren herausgebildet, die in der nachfolgenden Tabelle überblicksartig zusammengestellt sind.31 Zentrales Merkmal produktbezogener Verfahren ist, dass der relevante Markt sämtliche Produkte umfasst, die sich physikalisch-technisch ähnlich sind. Demnach umfasst zum Beispiel der relevante Markt von Brauereien sämtliche Getränke, die nach dem Reinheitsgebot gebraut wurden und die auf Grund ihrer physikalischen-technischen Eigenschaften als Bier bezeichnet werden können. Da Handelsbetriebe mit der Betriebsform und dem Sortiment stets zwei Produkte am Markt bewegen, lassen sich die produktorientierten Verfahren analog in zwei Untergruppen unterteilen: Zum einen agieren demnach die Betreiber ähnlicher Betriebstypen auf dem gleichen Markt. So wären bspw. im Discountmarkt ALDI, LIDL, TAKKO und KIK zusammen zu fassen. Zum anderen agieren Handelsbetriebe mit physikalisch-technisch ähnlichen Sortimenten auf dem gleichen Markt. Insofern ergäbe sich beispielsweise ein Markt der Frischeanbieter oder ein Markt der 30 31
Vgl. Ahlert (1987). Vgl. vertiefend Ahlert (1987), S. 4ff.
2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung 45
Getränkeanbieter. Der Nachteil dieser Verfahren ist, dass sie sehr schnell komplexen Charakter annehmen können. In einem SB-Warenhaus werden oft mehrere zehntausend Artikel geführt. Eine Definition des relevanten Marktes auf dieser Ebene erscheint unmöglich und wenig sinnvoll. Die nächsthöhere Aggregationsstufe bilden die Warengruppen. Zwar ließen sich diese tendenziell als Gegenstand der Marktabgrenzung verwenden, gleichwohl stellt sich dann die Frage, wie der physikalisch-technische Charakter auf dieser Ebene (z. B. Getränke, Herrenbekleidung) bestimmt werden kann. Bei den anbieterorientierten Verfahren lassen sich diverse Unterformen erkennen. Das bekannteste Verfahren ist das Konzept der Kreuzpreiselastizität. Demnach befinden sich zwei Anbieter immer dann auf dem gleichen relevanten Markt, wenn eine Preiserhöhung (Preissenkung) des einen Anbieters eine positive (negative) Wirkung auf die Absatzmenge des anderen Anbieters hat. Dieser Ansatz ist nützlich, wenn es wenige Anbieter, wenige Verbundeffekte und eine hohe Informationstransparenz hinsichtlich der gesetzten Preise und erzielten Absatzmengen gibt. Dies ist im Handel aber eher selten der Fall. Zahlreiche Artikel sind Verbundartikel und Preiserhöhungen bei einzelnen Artikeln führen nicht immer umgehend zu einer Absatzverlagerung. Insofern ist das Konzept der Kreuzpreiselastizität für den Handel nur unter strengen Annahmen nützlich. Die fundamentale Kritik an den anbieterorientierten Ansätzen ist jedoch, dass sie den Aspekt der Kundenorientierung zu wenig beachten. Insofern impliziert ihre Verwendung stets die Gefahr, bei der Abgrenzung des relevanten Marktes den Kunden zu vergessen. Diese Kritik adressieren die nachfrager- bzw. kundenorientierten Ansätze. Sie überlassen dem Kunden die Abgrenzung des Marktes. Stark vereinfacht lautet die Maxime dieser Ansätze, dass alles was aus Sicht des Kunden zum relevanten Markt gehört, tatsächlich den relevanten Markt des Handelsbetriebs bildet. Voraussetzung für die Verwendung dieser Methode ist damit, dass der Marketingmanager im Handel einen hohen Informationsstand über seinen Kunden hat. Dies ist insbesondere bei kleineren Handelsbetrieben, die zumeist keine eigenen Kundeninformations-Systeme haben, oft nicht der Fall. Diese sind daher entweder auf sekundärstatistisches Material großer Marktforschungsorganisationen (wie TNS EMNID, GfK oder ACNielsen) oder auf andere publizierte Daten angewiesen und haben insofern einen gewissen Nachteil. Die höchste praktische Relevanz auch in wettbewerbsrechtlichen Verfahren (Marktbeherrschung, Fusionskontrolle, etc.) hat wohl das Konzept der subjektiven Austauschbarkeit erreichen können. Demnach besteht der relevante Markt aus sämtlichen Leistungen, die aus der subjektiven Sicht der Nachfrager als austauschbar angesehen werden. Analog wird auch der Begriff „Bedarfsmarktkonzept“ verwendet.
46 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Orientierung
Konzept
Aussage
Vertreter
Produktbezogene Ansätze
Konzept der physisch-technischen Ähnlichkeit
RM umfasst alle Leistungen, die sich nach Stoff, Verarbeitung, Form, technischer Gestaltung gleichen.
MARSHALL
Anbieterbezogene Ansätze
Konzept der Kreuzpreiselastizität
RM umfasst alle Leistungen, die sich durch eine hohe Kreuzpreiselastizität auszeichnen.
TRIFFIN
Konzept der Wirtschaftspläne
RM umfasst alle Leistungen, die ein Anbieter bei seinen Absatzplanungen berücksichtigt.
Konzept der funktionalen Ähnlichkeit
RM umfasst alle Leistungen, die das gleiche Grundbedürfnis bzw. die gleiche Funktion erfüllen.
ABBOTT/ ARNDT
Substitution-inuseAnsatz
RM umfasst alle Leistungen, die für den Verwender einer bestimmten Ge- und Verbrauchssituation den gleichen Nutzen stiften.
SRIVASTAVA/ ALPERT/ SHOCKER
Kaufverhaltensansätze
RM umfasst alle Leistungen, die auf der Grundlage des realen Kauf-/ Nutzungsverhaltens substituierbar erscheinen.
FRASER/ BRADFORD
Konzept der Kundentypendifferenzierung
RM umfasst alle Leistungen, die von den gleichen Kundentypen nachgefragt werden. RM umfasst alle Leistungen, die vom Verwender als subjektiv austauschbar angesehen werden.
KOTLER
Nachfragerbezogene Ansätze
Konzept der subjektiven Austauschbarkeit
Tab. 2.3: Konzepte zur Abgrenzung des relevanten Marktes
E. SCHNEIDER
DICHTL/ ANDRITZKY/ SCHOBERT; AHLERT
2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung 47
Aus Sicht des Handels ist hier aber eine Besonderheit zu vermerken, die mit dem Leistungsbegriff verbunden ist. Neben der Sachleitung erbringen Handelsunternehmen nämlich regelmäßig auch eine Dienstleitung, indem sie eine Handelsfuntion erfüllen. Diese Unterteilung zwischen Sach- und Dienstleitung hat sich gerade im Bereich der Fusionskontrolle als wesentlich herausgestellt.32 Letztlich sollte der Abgrenzung des relevanten Marktes von Handelsbetrieben daher das „normale Sortiment“ eines bestimmten Handelszweiges zugrunde gelegt werden. Problematisch ist dabei aber die Definition des „normalen Sortiments“, was im Einzelfall zu definieren ist. Zudem ist zu beachten, dass bei der zur Abgrenzung des relevanten Marktes wichtigen Definition der Wettbewerbintensität den Ausweichmöglichkeiten der Kunden eine besondere Bedeutung zukommt. Tendenziell kann man festhalten, dass eine hohe Beweglichkeit der Nachfrager mit einem hohen Wettbewergsgrad einhergeht.33 Um heraus zu finden, welche Anbieter dies sind, bieten sich verschiedene Verfahren an. Eine bekannte Methode ist das Verfahren der Aggregation. Bei diesem Verfahren stehen die Ausweichmöglichkeiten der Kunden im Mittelpunkt. Zur hier interessierenden Abgrenzung des relevanten Marktes geht man in den folgenden drei Schritten vor:34 1. Segmentierende Erfassung der aktuellen Kunden der jweiligen Handelsunternehmung. 2. Untersuchung der Ausweichmöglichkeiten der Mitglieder der jeweiligen Kundensegmente. 3. Klärung der Frage, welche latente Konkurrenz verhanden ist. Ein Ansatz zur Bestimmung der latenten Konkurrenz ist der sog. Second-Choice Ansatz.35 Dabei wird untersucht, welche Leistungen der Kunde dann beanspruchen würde, wenn der jeweilige Handelsbetrieb sie nicht anbieten würde. Entsprechend der Zweistufigkeit des handelsbetrieblichen Marktes lässt sich diese Frage sowohl auf die Betriebstypen- als auch auf die Sortimentsebene beziehen. Demzufolge kann man beispielsweise die Frage formulieren: „Wenn es dieses SB-Warenhaus nicht gäbe, wo würden Sie dann einkaufen?“ oder aber „Wenn es in diesem Warenhaus keine Herrenbekleidung gäbe, wo würden Sie diese dann einkaufen?“. Im Ergebnis bekommt das Marketingmanagement einen Überblick über die Wettbewerbssituation (a) auf der Betriebstypen- und (b) auf den Warengruppenebene, der bis auf die Standortebene herunter gebrochen werden kann. Da Positionierungsanalysen einen wichtigen Teil des strategischen Handelsmarketing darstellen, wird in dem entsprechenden Kapitel vertieft auf dieses Instrument eingegangen (vgl. Kap. 3).
32 33 34 35
Vgl. Ahlert (1987), S. 4. Vgl. Ahlert (1987), S. 6. Vgl. Ahlert (1987), S. 7. Vgl. Kenning (2001) sowie Ahlert (1987), S. 8.
48 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
2.5.6 Bestimmung von Marktsegmenten Im Normalfall umfasst der Absatzmarkt einer Handelsunternehmung sowohl auf der Betriebstypen- als auch auf der Sortimentsebene einen inhomogenen Personenkreis. Die Kunden sind oft individuell unterschiedlich und haben dementsprechend individuelle Präferenzen. Im Idealfall würde es dem Handelsunternehmen gelingen, jede Kundenpräferenz zu bedienen und so die gesamte Zahlungsbereitschaft eines Marktes abzugreifen. In der Regel ist dies aber nicht möglich, da die Individualisierung zu einer erhöhten Komplexität führt, die wiederum hohe Koordinationskosten impliziert. In Märkten, in denen beispielsweise durch innovative Technologien die Komplexität beherrscht werden kann, kann dieser Weg aber durchaus erfolgreich sein. In den meisten Fällen ist diese „Mass Customization“ jedoch nicht möglich. Als Mittelweg wird dann die Aufteilung des Marktes in mehrere Segmente vorgeschlagen. Das Ziel der Marktsegmentierung ist es, Teilmärkte zu identifizieren, die nach innen homogen und nach außen heterogen sind und so effizient bearbeitet werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, sind mehrere Voraussetzungen zu erfüllen. Im Einzelnen sind dies: • Separierbarkeit des Gesamtmarktes: Der Markt muss sich grundsätzlich in mehrere Teilmärkte unterteilen lassen. • Hohe interne Homogenität der Marktsegmente: Die jeweiligen Marktsegmente sollten nach innen hin ähnlich auf Absatzstimuli (z. B. Werbung, Produktinnovationen) reagieren. • Ausreichendes Marktsegmentpotenzial: Die jeweils abgegrenzten Marktsegmente müssen ein Potenzial aufweisen, das ihre gesonderte Bearbeitung rechtfertigt. • Existenz von Segmentierungskriterien: Es muss Größen geben, nach denen der Markt aufgeteilt werden kann. Diese Größen sollten zeitlich stabil, kaufverhaltensrelevant, wirtschaftlich beschaffbar und messbar sein.
In der Literatur werden diverse Segmentierungsphasen und -kriterien differenziert.36 Hinsichtlich der Kriterien lassen sich grundsätzlich drei unterschiedliche Typen unterscheiden, die nachfolgend erläutert werden. Merkmal der sozio-demographischen Segmentierungskriterien (z. B. Alter, Geschlecht) ist ihre einfache Erhebbarkeit. Zudem lassen sich diese Merkmale in Verkaufsgesprächen unmittelbar erkennen. Insofern verwundert es nicht, dass sie eine hohe Akzeptanz vorweisen können. Ihr Nachteil ist jedoch ihr zum Teil nur schwach ausgeprägter Kaufverhaltensbezug. Diesen Nachteil kompensieren die psychografischen Kriterien, wie z. B. der Lebensstil einer Person oder ihre Persönlichkeitsmerkmale. Ihr Nachteil ist indes, dass sie nicht offenkundig sind und daher der Verkäufer im Gespräch oft nicht darauf Bezug nehmen kann. Gleichwohl nutzen heute einige, auf Grund ihrer kar-
36
Einen Überblick bietet u. a. Müller-Hagedorn (2001), S. 50 ff; Zu den Phasen der Marktssegmentierung im Handel vgl. auch Rudolph (2005), S. 56 ff.
2.5 Allgemeine Instrumente der Informationsbedarfsdeckung 49
tenbasierten Kundeninformationssysteme (z. B. Payback) gut informierte Händler (z. B. Kaufhof, OBI) diese Segmentierungskriterien für Direct-Mailing-Aktionen. Zu den verhaltensbezogenen Kriterien zählen die Größen, die auf bestimmte Nutzungsanlässe (z. B. Urlaub, Kongressbesuche) abstellen. Der Vorteil dieser Kriterien ist, dass ein spezifisches, sich wiederholendes Konsumproblem fokussiert und zur Lösung dieses Problems ein spezifisches Leistungsbündel entwickelt werden kann. In der Praxis werden die genannten Segmentierungskriterien oft kombiniert. So findet man bei der KARSTADT WARENHAUS AG beispielsweise Warengruppenbezeichnungen wie „Personality“ oder „Living“, die eher verhaltensbezogen orientiert sind. Gleichwohl wird der Aufbau dieser Warengruppen auf die Standorte abgestimmt und die Marktsegmentierung damit um sozio-demographische Kriterien ergänzt. Die organisatorische Umsetzung der Marktsegmentierung findet durch die Bildung so genannter Strategischer Geschäftseinheiten statt. Diese bilden unabhängige Leistungs-/Markt-Kombinationen, die z. B. nach dem Betriebstyp abgegrenzt werden können. Je nach Umfang der jeweiligen Handelsunternehmung können sich zahlreiche SGE in einem Unternehmensportfolio befinden. Einen Überblick über die SGE der REWE-Gruppe gibt das folgende Insert.
Abb. 2.5: SGE der REWE-Gruppe
50 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel Zur Deckung seines Informationsbedarfs steht dem Marketingmanager im Handel zunächst einmal das gleiche Instrumentarium zur Verfügung, wie seinem Kollegen in der Industrie. Darüber hinaus hat er aber durch die größere Kundennähe weitere Instrumente, die er nutzen kann. Diese lassen sich in drei Gruppen unterteilen: Panel, Testmarktssysteme und PoS-Methoden.
Panel Panel
TestTestmarketingsysteme marketingsysteme
Beobachtung/ Beobachtung/ Befragung Befragungam amPOS POS POS-Beobachtung
Großhandelspanel
Storetest
Einzelhandelspanel
Lokaler bzw. regionaler Markttest
• • • •
Mini-Testmarkt
Handelsbefragung
Verbraucherpanel
Expertenpanel
Distribution Preis Platzierung Kontaktstrecke
Beobachtung der Handelswerbung Beobachtung am POS Befragung am POS
Scannerdaten
Abb. 2.6: Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel
2.6.1 Panel-Analysen Unter dem Begriff Panel subsumiert man Untersuchungen, die in zeitlich bestimmten, oft regelmäßigen Abständen bei einem gleich bleibenden Untersuchungskreis durchgeführt werden. Ihr Ziel besteht darin, Entwicklungen im Zeitablauf zu identifizieren.37 Je nachdem, aus welchen Personen bzw. Organisationen die Panelteilnehmer rekrutiert werden, unterscheidet man Großhandels-, Einzelhandels- und Verbraucherpanel (vgl. Abb.).
37
Vgl. Berekoven et al. (1999), S. 123 ff.
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 51
Panel • Teilerhebung • Wiederholung in regelmäßigen Abständen • identische Stichprobe • gleiches Thema
Verbraucherpanels • Haushaltspanels • Individualpanels • Großverbraucherpanels • Spezialpanels Handelspanels • Großhandelspanel -Liefer-GH -C&C-GH -Warehouse Shipment Service • Einzelhandelspanel -Lebensmittel-EH -Drogerien & Parfümerien -...
Abb. 2.7: Panel-Arten
Verbraucher- und Handelspanel unterscheiden sich vor allem durch die Art der Segmentierung. Bei Verbraucherpanels wird nach verbraucherbezogenen Daten segmentiert (z. B. Alter, Haushaltsgröße). Ziel ist es, das Verbraucherverhalten zu erfassen. Haushaltspanels dienen beispielsweise der Erfassung des Kaufverhaltens privater Haushalte bezüglich bestimmter Warengruppen. Dabei werden Daten erhoben wie Datum des Einkaufs, Einkaufsstätte (Name und Art des Geschäftes) und alle eingekauften Produkte (Art und Marke des Produktes, Packungsgröße, Menge, Preis). Im Gegensatz dazu erfassen Handelspanels das Handelsverhalten und werden nach handelsspezifischen Gesichtspunkten segmentiert (z. B. Geschäftsgröße, Betriebsform). Wesentliche Quellen für das Handelsmarketing sind Verbraucherpanels, die z. B. von der GESELLSCHAFT FÜR KONSUMFORSCHUNG („GfK“) in Nürnberg bereitgestellt werden. Sie liefern Abverkaufsdaten über alle vom Verbraucher aufgesuchten Einkaufsstätten und ermöglichen damit eine Abbildung des gesamten Einkaufsverhaltens.38 Die sozio-demographischen Daten der Panelteilnehmer umfassen u. a. den Wohnort, das Alter der haushaltsführenden Person, die Kinderzahl. Die Panelforschung ist mit einigen Problemen behaftet. Zu nennen sind vor allem:
• hohe Panelsterblichkeit, d. h. die Fluktuation der Panelteilnehmer (z. B. wegen eines Ortswechsels) • hohe Durchführungskosten • eingeschränkte Repräsentanz durch hohe Verweigerungsraten bei der Teilnahme am Panel und ungleiche Verteilung der Verweigerungsraten in der Bevölkerung 38
Vgl. Schröder (2003), S. 84.
52 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
• geringe Fallzahl, die detaillierte Analysen oftmals erschwert und unsichere Ergebnisse impliziert sowie • Paneleffekte: Veränderung des Kaufverhaltens (z. B. erhöhte Preissensibilität) oder Impuls durch den Berichtsbogen zum Kauf bestimmter, nicht notwendiger Produkte (Checklist-Effekt), Over- bzw. Underreporting. Andererseits eignet sich die Panelforschung gut, um die Wirkung zeitlich befristeter Maßnahmen zu ermitteln, da die Panelteilnehmer nach einer Eingewöhnungsphase ihre Teilnahmen an der Panelforschung habitualisieren. Insofern kann die Panelforschung gut im Rahmen evolutionärer Konzepte eingesetzt werden, die oft nach dem Trial-and-Error-Prinzip funktionieren.39 2.6.2 Testmarktsysteme Ein zweiter wichtiger Methodenkomplex, der mit der Panelforschung kombiniert werden kann, sind Testmarktsysteme. Hier unterscheidet man Storetests, lokale Markttests sowie Mini-Testmärkte. Beim Storetest ist das Testgebiet die einzelne Einkaufsstätte. In dieser wird für einen vorher bestimmten Zeitraum ein Parameter variiert (z. B. Test von Teilen des Eigenmarkensortiments) und dessen Wirkungsbeitrag auf die zu beobachtenden Zielgrößen (z. B. den Umsatz der Einkaufsstätte) erfasst.40 Wichtig ist bei solchen Tests, dass keine Verzerrungen, z. B. durch Aktivitäten der Wettbewerber oder saisonale Aspekte, erfolgen. Im Kern stellt sich daher dem Marketingforscher im Handel die Frage, an welchen Standorten und zu welchen Zeiten er möglichst aussagekräftige Testergebnisse erhalten kann. In der Praxis werden Storetests oft parallel an mehreren Standorten durchgeführt. Im Falle lokaler Verzerrungen kann man dann auf die Ergebnisse der verzerrungsfreien Standorte zurückgreifen. Die Vorteile von Storetests sind vor allem niedrige Kosten, Schnelligkeit und die Gewinnung von marktnahen Ergebnissen. Die Ergebnisse von Storetests sind jedoch auch mit einigen Nachteilen verbunden. Zu nennen sind: • fehlende Repräsentativität, • ausschließliche Erfassung von Abverkaufsdaten, käuferbezogene Informationen (z. B. Kaufintensität) sind nur durch zusätzliche Befragungen ermittelbar, • Beschränkung auf Erst- bzw. Versuchskäufe, • Möglichkeit zu bewussten Störmaßnahmen der Konkurrenz und • Test einer „Ladensituation“, Vernachlässigung ggfs. später einzusetzender Werbung.
Letztendlich sind Storetests ein gutes Mittel, um Tendenzaussagen über die Wirkung der variierten Parameter zu treffen. Bei lokalen Markttests werden die Tests auf einen ganzen Standort oder eine ganze Region ausgeweitet. Dabei wird die Wirkung einzelner Marketingmaßnahmen oder auch des gesamten Marketing-Mix unter weitgehend kontrollierten Be39 40
Vgl. Ahlert (1992), S. 40. Vgl. Theis (1999), S. 214.
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 53
dingungen überprüft. 41 In diesen künstlichen Experimenten sehen Einzelhändler eine einfache Möglichkeit, die Akzeptanz und den Erfolg von Maßnahmen, beispielsweise die Aufnahme eines neuen Sortimentsbereiches (Fahrradzubehör in einem Supermarkt), zu prüfen. Als Maßgröße werden dabei der Umsatz bzw. dessen Entwicklung herangezogen.42 Um aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, müssen die Testmärkte besonderen Anforderungen genügen: • Repräsentativität der Bevölkerungsstruktur und der Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Handelsstruktur, • mit dem Gesamtmarkt vergleichbare Mediastruktur, • räumliche Abgegrenztheit und Unabhängigkeit des Testgebietes, • Verfügbarkeit geeigneter Marktforschungseinrichtungen (z. B. Handels- und Verbraucherpanel), • Dauer: i. d. R. 6-12 Monate (Kriterium: Stabilisierung der Wiederkaufsrate).
Ein solcher Testmarkt befindet sich z. B. in Hassloch in der Pfalz.43 In diesem „Testort“ leben etwa 21.000 Menschen. Seit 1985 sind rund 3.000 der insgesamt 10.000 Haushalte an den Tests beteiligt. Solche lokalen Markttests sind das einzige Verfahren zur simultanen Überprüfung des gesamten Marketing-Mix. Mit Hilfe dieses methodisch sehr weit entwickelten Feldexperiments können repräsentative und marktreale Informationen gewonnen werden.
Abb. 2.8: Bericht über einen Markttest der Firma C&A
Kritisch ist jedoch anzumerken, dass derartige Tests einerseits systematisch und kontrolliert durchgeführt sowie andererseits dokumentiert werden müssen. Ein systematisches und kontrolliertes Vorgehen ist notwendig, um (extern) valide und auf andere Standorte übertragbare Ergebnisse zu erhalten. So lassen sich die Ergebnisse der Sortimentserweiterung am Teststandort nicht ohne weiteres auf einen anderen Supermarkt übertragen, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich ein 41 42 43
Vgl. Böhler ( ), S. 50. Vgl. Wyss (1991), 138. Vgl. Rehberger (2005), S. 28 ff.
54 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Fahrrad-Fachgeschäft befindet. Die Dokumentation derartiger Marktexperimente ist ebenso notwendig, um die gewonnenen Erkenntnisse in einem Handelssystem zu verbreiten, denn vielfach werden derartige Markttests nur intuitiv von den Entscheidungsträgern ausgewertet. Deren individueller Erfahrungsschatz wird zwar bereichert, ist aber so lange nicht allgemein zugänglich, wie die Handelsunternehmung auf ein systematisches Wissensmanagement verzichtet.44 Ein (elektronischer) Mini-Testmarkt ist ein Testverfahren zur Überprüfung der Marktchancen neuer oder veränderter Produkte und eine Alternative zum kostenintensiven lokalen Testmarkt. Es handelt sich dabei entweder um eine Kombination von Storetest und Haushaltspanel, bei der Abverkaufserfassung via Scanning erfasst werden und die Zuordnung der Verkäufe zu Haushalten über Identifikationskarten erfolgt. Die zweite Alternative ist die Weiterentwicklung zum elektronischen Mini-Testmarkt, z. B. Nielsen TELERIM (zwei Testorte, 1.000 bzw. 2.000 Testhaushalte) oder GfK BehaviorScan (ein Testort, 3.000 Testhaushalte). 2.6.3 Das Verkaufsgespräch als Informationsquelle Den direkten Kundenkontakt und die damit verbundenen persönlichen Gespräche zwischen Verkaufspersonal und Kunde werten viele Einzelhändler als eine weitere ausreichende und ergiebige Informationsquelle. Diese steht jedoch nur beratungsintensiven Handelsbetrieben (z. B. dem Automobilhandel) zur Verfügung. Dagegen ist beispielsweise im Lebensmitteleinzelhandel auf Grund der Selbstbedienung, die sich innerhalb der letzten 30 Jahre durchgesetzt hat, der direkte Kundenkontakt verloren gegangen. So lässt sich eher eine ‚Kundenentfremdung’ konstatieren. Selbst wenn die direkte Kommunikation mit dem Kunden noch vorhanden ist, kommt es auf das Verkaufspersonal an, diese Informationsquelle zu nutzen. Zum einen muss es die Fähigkeit und Qualifikation besitzen, systematisch relevante Informationen (z. B. Bedarf an neuen Serviceleistungen im Handel) zu erheben, zum anderen müssen die gewonnenen Erkenntnisse auch weitergeleitet werden.45 Ein unmittelbarer Kontakt zum Kunden existiert fast ausschließlich nur noch in Einzelhandelsbetrieben, die beratungsintensive Güter wie Möbel oder Schmuck anbieten. In Einzelhandelsbranchen wie dem Lebensmittelhandel, wo sich das Selbstbedienungsprinzip durchgesetzt hat, ist dagegen ein ‚Kundenentfremdungseffekt‘ zu konstatieren: Der Kundenkontakt und damit die Informationsbeziehung zum Kunden beschränkt sich weitgehend auf Bedienungsbereiche (z. B. Fleischtheke) und den Kassiervorgang.46 Bei gegebenem Kontakt ist es Aufgabe des Verkaufspersonals, relevante Informationen über Kunden zu generieren. Es ist jedoch davon auszugehen, dass großen Teilen des Verkaufspersonals die dazu notwendigen Kenntnisse fehlen. In den Einzelhandelsbetrieben werden heutzutage vielfach Teilzeit- und Aushilfskräfte eingesetzt, bei denen eine äußerst geringe Qualifikation vorhanden ist. Dar44
45 46
Zum Wissensmanagemnt im Handel vgl. Blaich (2004), Spelsiek (2004) sowie Ahlert et al. (2005). Vgl. zu den folgenden Ausführungen: Fischer (1993), S. 1 f. sowie Wyss (1991) , S. 138. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Fischer (1993) , S. 2 f.
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 55
aus ergeben sich zwei Konsequenzen: Erstens kann davon ausgegangen werden, dass nur wenige Verkaufsmitarbeiter bezüglich der Informationsquelle „Kunde“ sensibilisiert sind. Zweitens sind die vom Verkaufspersonal gewonnenen Informationen häufig nur sehr eingeschränkt verwendbar, da sie in der Regel nicht mit der erforderlichen Objektivität und Systematik erhoben werden. Sie eignen sich allenfalls für Maßnahmen ‚vor Ort‘, nicht aber zur Weiterleitung an die entsprechende Stelle in der Zentrale des Handelsunternehmens.47 2.6.4 Beobachtungsmethoden im Handel Neben den bereits vorgestellten Methodenbereichen steht dem Handelsmarketing schließlich mit dem PoS eine weitere wichtige Informationsquelle zur Verfügung. Marktforschung am PoS hat u. a. den Vorteil, dass der Proband in einer kaufentscheidungsnahen Situation befragt oder beobachtet werden kann, in der ihm bestimmte Sachverhalte präsenter sind, als in einer entscheidungsfernen Situation (z. B. in der Wohnung). Wichtige Informationen für das Handelsmarketing werden jedoch auch durch Beobachtungsstudien außerhalb des PoS gewonnen (z. B. Konkurrenzbeobachtung). Folgende Abbildung stellt die wesentlichen Ansätze für Beobachtungsstudien im Handel dar.
Einkaufsverhaltensbeobachtung z.B. Kundenfrequenz, Kundenlauf
Kundenbeobachtung
Verwendungsverhaltensbeobachtung z.B. Produkthandhabung, Servicenutzung Wahrnehmungsverhaltensbeobachtung z.B. Sonderplatzierungen
Passantenbeobachtung
Konkurrenzbeobachtung
Personalbeobachtung Werbeempfängerbeobachtung
z.B. Verkehrsmittelbenutzung, Passantenströme, Schaufensterwahrnehmung z.B. Standortqualität, Sortiment, Preise z.B. Arbeitsablauf, Zeiteinteilung, Beratungsqualifikation z.B. Werbeträgerwahrnehmung, Werbemittelwahrnehmung
Abb. 2.9: Ansatzpunkte für Beobachtungsstudien im Handel (Quelle: in Anlehnung an Theis, 1999, S. 185) 47
Vgl. dazu Wyss (1991), S. 138.
56 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Die Kundenbeobachtung zählt zu den wichtigsten Anwendungsbereichen der Beobachtung. Eine wesentliche Informationsquelle für die Ladenplanung bilden beispielsweise Kundenlaufstudien. Hierbei wird der Kunde vom Betreten bis zum Verlassen des Geschäftes beobachtet. Ziel ist es, den Kundenweg durch das Geschäft aufzudecken und dabei die Wirkung der Warenplatzierung und Präsentation zu ergründen. Die Dokumentation des Kundenlaufs kann bspw. mit Videogeräten erfolgen. Um das Verhalten der Kunden besser erklären zu können, kann es sinnvoll sein, den Kunden mit den Aufzeichnungen zu konfrotieren und zu seinem Verhalten zu interviewen.48 Ein weiterer, wichtiger Beobachtungsbereich ist die Konkurrenzbeobachtung. In der Praxis werden die relevanten Mitbewerber oft mehrmals im Monat z. B. hinsichtlich ihrer Sortiments-, Preis-, Präsentations-, und Werbegestaltung am PoS beobachtet. Hieraus werden Anregungen für die eigene Gestaltung des MarketingMix und Ansatzpunkte für Differenzierungsstrategien gewonnen. Hinsichtlich der Personalbeobachtung hat auch der Einsatz sog. Testkunden oder „Mystery Shopper“ eine hohe Bedeutung.49 Hier tritt ein Beobachter als Testkunde auf und prüft die Beratungsqualität des Personals. Diese Testkunden können wertvolle Informationen über die Servicequalität vor Ort geben, die oftmals deutlich teuere Befragungen im Bereich der Kundenzufriedenheit ergänzen und gelegentlich sogar ersetzen können. Hinsichtlich der Durchführungsmethode sind – bezogen auf das Untersuchungs-design – folgende Faktoren festzulegen:50 • Standardisierungsgrad der Befragung: − standardisierte Beobachtung mit festgelegtem Beobachtungsschema − nicht standardisierte Beobachtung • Erhebungssituation: − offene Beobachtung (beobachtete Personen kennen den Versuchszweck und wissen, welche Aufgabe erfüllt werden soll und dass sie beobachtet werden) − nicht durchschaubare Beobachtung (beobachtete Personen wissen, dass sie beobachtet werden und kennen ihre Aufgabe, der Zweck der Untersuchung entzieht sich ihrer Kenntnis) − quasi-biotische Beobachtung (die beobachteten Personen wissen lediglich, dass sie beobachtet werden) − biotische Beobachtung (Ahnungslosigkeit der beobachteten Personen) • Partizipationsgrad des Beobachters: − teilnehmende Beobachtung (Beobachter tritt als Kunde bzw. als Verkäufer auf) − nicht teilnehmende Beobachtung (Beobachter greift nicht in die Situation ein und steht in räumlicher Distanz zur Beobachtungssituation) • Technik der Datenerhebung: − visuelle Beobachtung
48 49 50
Vgl. Silberer (2005), S. 263ff. Vgl. Haas (2006). Vgl. Theis (1999), S. 183 ff.
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 57
− apparative Beobachtung (mechanische oder elektronische Aufnahmegeräte werden eingesetzt, z. B. Videokameras, Zählwerke zur Kundenzählung). Der Beobachtung am PoS sind jedoch enge Grenzen gesetzt, da nicht alle notwendigen Informationen beobachtbar sind. Beispielsweise werden das vergangene Kaufverhalten, Einstellungen sowie weitere psychografische Merkmale nicht erfasst. Zudem sind die Ergebnisse durch den Beobachter beeinflusst. Auch sind die Stichproben aus Kostengründen oft eher klein, was repräsentative Aussagen erschwert. Damit ist je nach Forschungsfrage zu beurteilen, ob eine Beobachtung zweckmäßig ist, oder ob sie kombiniert mit anderen Methoden anzuwenden ist. Wesentlicher Vorteil von Beobachtungen ist vor allem die Tatsache, dass sie keine Befragung der Probanden voraussetzt und sie die Möglichkeit der Erfassung unbewusster Verhaltensweisen ermöglicht.51 Eine wesentliche Weiterentwicklung hat das Instrument der Beobachtung im Zuge der Entwicklung sogenannter CRM-Programme erfahren. Diese oft kundenkartenbasierten Programme ermöglichen in Kombination mit (anderen) Daten (z. B. Scanningdaten) aus dem Warenwirtschaftssystem eine zusätzliche, gute Basis zur Erforschung des Kaufverhaltens.52 So werden hierdurch u. a. realitätsnahe Experimente möglich, die wertvolle Hinweise auf das tatsächliche Kaufverhalten liefern können. Bis dato werden diese Daten aber noch sehr unzureichend genutzt, was im Übrigen auch für Scanningdaten gilt.53 2.6.5 Befragungsmethoden im Handel Die Befragung ist wohl die bedeutendste Methode der Primärforschung im Handelsmarketing.54 Je nach Untersuchungsgegenstand werden Experten, Händler, Kunden oder Konsumenten befragt bzw. interviewt.55 Zu unterscheiden sind standardisierte, nicht standardisierte und teilstandardisierte Befragungen: Im Rahmen von standardisierten Befragungen werden die Probanden anhand eines fest vorgegebenen Fragebogens interviewt. Formulierung, Fragestellung sowie Antwortmöglichkeiten sind fest vorgegeben. Die Vorteile dieser Methode sind vor allem die gute Vergleichbarkeit der Ergebnisse sowie die leichte Auswertbarkeit für statistische Zwecke. Zudem hat der Interviewer kaum Einfluss auf die Beantwortung der Fragen. Demgegenüber steht jedoch der Nachteil, dass nicht alle möglichen Antworten im Fragebogen enthalten sind und die Probanden Antworten geben, die sie in einer offenen Befragung nicht gegeben hätten. Bei nicht standardisierten Befragungen wird lediglich das Thema des Gespräches vorgegeben. Das Tiefeninterview ist das bekannteste qualitative Intensivgespräch zwischen zwei Gesprächspartnern und gehört zu den nicht projektiven Erhebungsmethoden.56 Ähnliche Interviewformen wie Exploration, problemzentriertes Interview, unstrukturiertes Interview, fokussiertes Interview und Intensiv51 52 53 54 55 56
Vgl. Theis (1999), S. 198 f. Vgl. Helm/Ludl (2005), S. 1131ff. Vgl. Olbrich/Grünblatt (2004), S. 265 f. Vgl. Becker (1999), S. 24. Vgl. exemplarisch Wunderlich (2004), S. 183 f. Vgl. Gutjahr (1984).
58 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Interview unterscheiden sich hauptsächlich in dem Grad der Strukturiertheit des Fragenkataloges.57 Ziel des Tiefeninterviews ist es, vorbewusste, verborgene und nur schwer erfassbare Motive und Einstellungen zu ermitteln. Der Vorteil der Interviewmethode liegt in der Aufdeckung vollständiger Gedanken- und Assoziationsketten.58 Die Methode stellt jedoch an den Interviewer hohe Anforderungen. Der Interviewer muss ein starkes Einfühlungsvermögen für die Gesprächssituation besitzen, um im richtigen Moment nachzufragen und das Gespräch zu stimulieren.59 Im Rahmen von teilstandardisierten Befragungen liegt ein grober Gesprächsleitfaden vor, Reihenfolge und Formulierung der Fragen können aber fallweise variieren. Die im Handel oft angewendeten Fokusgruppen sind dieser Befragungskategorie zuzuordnen.60 Dabei werden je nach Fragestellung ausgewählte Konsumenten bzw. Kundengruppen im Rahmen einer Gruppendiskussion unter der Leitung eines Moderators zu bestimmten Themen parallel befragt. Die Vorteile dieser Methode liegen vor allem in der Nutzung gruppendynamischer Prozesse und der Verdrängung der Interviewsituation und damit dem Abbau von Widerständen, Hemmungen und Ängsten. Oft werden Meinungen und Einstellungen offen gelegt, die im Rahmen von standardisierten Interviews nicht expliziert werden. Zudem sind Fokusgruppen rasch zu organsisieren und relativ kostengünstig. Nachteilig wirken sich Störungen des Diskussionsverlaufes durch „dominante“ Probanden aus. Auch deswegen sind die Ergebnisse in starkem Maße von den Fähigkeiten des Moderators abhängig und werden durch sein Verhalten beeinflusst (z. B. durch die Betonung bestimmter Aspekte). Wie bei unstandardisierten Befragungen ist die Verdichtung qualitativer Aussagen problematisch. Zudem ist die Vergleichbarkeit verschiedener Gruppendiskussionen nur bei starker Strukturierung gegeben. Hinsichtlich der Datenerhebung lassen sich bei Befragungen vier Arten unterscheiden: telefonisch, schriftlich, mündlich und computergestützt. Die Vor- und Nachteile der Methoden können folgender Abbildung entnommen werden:
57 58 59 60
Vgl. Mayring (1999), S. 49. Vgl. Salcher (1995), S. 37. Vgl. Eggert (1999), S. 82 f. Vgl. Ahlert/Kenning/Petermann (2001), S. 279 f.
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 59
Computergestütze Befragung
Telefonische Befragung
Mündliche Befragung
Schriftliche Befragung
Vorteile
• Abdeckung eines großen räumlichen Gebietes • Relativ niedrige Kosten • Keine Beeinflussung durch den Interviewer • Hohe Erfolgsquote • Repräsentativität der Ergebnisse • Geringe Einschränkungen hinsichtlich des Fragebogensinhalts und -umfangs • Möglichkeit der Aufnahme zusätzlicher Informationen (z. B. Beobachtungen) • Relativ kontrollierbare Befragungssituation • Kurzfristig einsetzbar • Kosten sind geringer als bei mündlicher Befragung • Telefonnummern müssen bekannt sein
• Kostengünstige und schnelle Methode • Integrierte Plausibilitätskontrolle möglich • Datenaufbereitungsaufwand ist reduziert
Nachteile
• Postalische Adresse der zu Befragenden muss bekannt sein • Geringe Rücklaufquoten (i. d. R. 5-30 %) • Fragestellung ist stark limitiert • Repräsentativität kann nicht gewährleistet werden, wenn nicht die ausgewählten Personen den Fragebogen ausfüllen • Reihenfolge der Fragebeantwortung ist nicht kontrollierbar
• Hohe Kosten • Verzerrungsgefahren durch den Interviewer
• Auf Grund der Anonymität nur bestimmte Befragungsthemen möglich • Fragen mit umfangreichen Fragemöglichkeiten nicht möglich • Keine optischen Hilfen möglich • Hohe Investitionskosten • Fehlende Akzeptanz (persönliche Aufforderung zur Teilnahme erforderlich)
Tab. 2.4: Vor-und Nachteile alternativer Befragungsmethoden (Quelle: in Anlehnung an Meffert, 2000, S. 156)
Hinsichtlich der Art der Fragestellung ist zu entscheiden, ob eine direkte oder indirekte Befragung der Probanden erfolgen soll. Direkte Fragen zielen unmittelbar auf die Themenstellung. Sie sind geeignet, wenn Fragen gestellt werden, die keine Tabuthemen ansprechen, also wenn zu erwarten ist, dass der Proband ehrlich antworten wird. Bei indirekten Fragen werden die Sachverhalte durch psychologisch zweckmäßige Frageformulierungen umschrieben, um eine wahrheitsgemäße Antwort zu erhalten.
60 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Des Weiteren ist zwischen offenen und geschlossenen Fragestellungen zu unterschieden.61 Bei geschlossenen Fragen sind im Gegensatz zur offenen Frage feste Antwortkategorien vorgegeben. Vorteilhaft an einer geschlossenen Fragestellung ist die bessere Vergleichbarkeit der Antwortmöglichkeiten. Demgegenüber steht jedoch die Gefahr der Vernachlässigung wichtiger Antwortmöglichkeiten. Schließlich ist bei der Durchführung von Befragungen auch die Gestaltung des Fragebogens festzulegen. Inhaltlich sind vier Gruppen von Fragen zu unterscheiden: Einleitungs-, Kontakt-, und Eisbrecherfragen; Sachfragen zum Thema; Kontroll- und Plausibilitätsfragen und Fragen zur Person.62 Die Fragenformulierung sollte einfach, eindeutig und neutral erfolgen, damit gewährleistet ist, dass alle Versuchspersonen die Fragen verstehen. Zudem sollte der Fragebogen eine angemessene Länge haben, d. h. die Beantwortungszeit sollte 30 Minuten nicht überschreiten. 2.6.6 Kundenzufriedenheitsstudien 2.6.6.1 Bedeutung der Kundenzufriedenheitsmessung für das Handelsmarketing Eine besonders hohe Bedeutung für das Handelsmarketing haben Kundenzufriedenheitsstudien.63 So konnten z.B. Gomez et al in einer Studie von 250 Supermärkten im Zeitraum von 1998-2001 nachweisen, dass es einen positiven linearen Zusammenhang zwischen Veränderungen der Kundenzufriedenheit und der Flächenproduktivität gibt. Dieser Zusammenhang war besonders stark in eher schwachen Filialen. Dort resultierte aus einer Verbesserung der Kundenzufriedenheit um 0,16 Punkte eine Verbesserung der Flächenproduktivität um 1%.64 Auch wenn dieses Ergebniss nicht ohne Weitere verallgemeinert werden darf, so verdeutlicht es doch die Bedeutung der Kundenzufriedenheit für den handelsbetrieblichen Erfolg. Eine zentrale Bedeutung für das Zufriedenheitsmanagement hat der Grad der Kundenloyalität (Wiederkaufabsicht). Dieser wird maßgeblich durch das Ausmaß der Kundenzufriedenheit beeinflusst. Eine hohe Anzahl loyaler Kunden, die sich durch eine hohe Zufriedenheit mit den in Anspruch genommenen Leistungen und damit durch eine hohe Bindungsfestigkeit auszeichnen, verkörpert die Basis für dauerhaft hohe Umsatzpotenziale (steigende Kauffrequenz, Cross Selling Potenziale, höhere Preisbereitschaft).65
61 62 63 64 65
Vgl. Pepels (1995), S. 181. Vgl. Meffert (2000), S. 157. Ein Überblick über diverse Zufriedenheitsstudien findet sich bei Wunderlich (2004), S. 58 f. Vgl. Gómez/McLaughlin/Wittink (2004), S. 274, Vgl. Gomez/McLaughlin/Wittink (2004).
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 61
Erstkontakt
Kundenzufriedenheit
•Kauf •Inanspruchnahme einer Leistung
•Bewertung durch SollIst-Vergleich
Kundenloyalität •Akzeptanz •Vertrauen •Positive •Einstellung
Kundenbindung • Wiederkauf • CrossBuying • Weiterempfehlung
Ökonomischer Erfolg
Abb. 2.10: Erfolgskette der Kundenbindung (in Anlehnung an Homburg, 2003, S. 181)
Eine hohe Kundenzufriedenheit impliziert nach dieser Erfolgskette gleichzeitig dauerhaft hohe Kostensenkungspotenziale im Bereich der Kundenbetreuung, beispielsweise durch weniger Reklamationen, Garantie- und Beschwerdefälle, Senkung der Beschwerdeeinzelkosten usw. Erfahrungswerte aus dem Bekleidungseinzelhandel zeigen in diesem Zusammenhang, dass zur Pflege loyaler Kunden ein fünf- bis achtfach niedrigeres Marketingbudget erforderlich ist als zur Neukundengewinnung.66 Zudem scheinen auch die Bindungswirkungen, die von Kartenprogrammen ausgehen sollen, durch eine hohe Kundenzufriedenheit positiv beeinflusst zu werden.67 Diese Ertrags- und Kostenwirkungen führen im Ergebnis zu einer Steigerung der erwirtschafteten Deckungsbeiträge und zu einer Verbesserung der Gewinnsituation.68 Vor dem Hintergrund der erörterten Erfolgskette des KundenbindungsManagements lässt sich die Kundenzufriedenheit als Frühindikator der Absatzentwicklung kennzeichnen und ist als ein bekanntes Phänomen dem Bereich des Environmental Monitoring zuzuordnen. Mit diesen Überlegungen ist zusammenfassend festzuhalten, dass die Sicherung zukünftiger Wettbewerbspositionen maßgeblich von einem systematischen und vertikal integrierten KundenbindungsManagement mit dem Ziel der Schaffung und Erhaltung einer hohen Kundenzufriedenheit abhängen wird. Aus dieser Feststellung ergibt sich unmittelbar, dass die Messung des Erfolgsindikators Kundenzufriedenheit zur Basisaufgabe der Handelsmarktforschung heranwachsen muss. Dem Handelsmarketing stellt sich fortwährend die Aufgabe, Entscheidungsträger über das Ausmaß der Kundenzufriedenheit, die Gründe für Kundenzufriedenheit und die Ursachen einer Kundenunzufriedenheit zu informieren. Das Spektrum der relevanten Fragestellungen ist für Handelsunternehmen jedoch stets situativ bedingt, so dass kein allgemeingültiger Ansatz zu Erhebung der Kundenzufriedenheit existiert. Die Erfüllung dieser Forderung setzt die frühzeitige Identifikation einer kritischen Phase in einer Kundenbeziehung voraus. Ob klassische Erfolgskennzahlen wie z. B. der Unternehmungsumsatz oder der Marktanteil als Feedback-Größen des Absatzmarktes zur Beurteilung des Grades der produkt- und händlerbezoge66 67 68
Vgl. Müller (1994), S. 197. Vgl. Helm/Ludl (2005). Vgl. auch Reichheld/Sasser (1990), S. 105 ff.
62 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
nen Kundenzufriedenheit geeignet sind, ist in diesem Zusammenhang fraglich. Die Zweckmäßigkeit solcher Erfolgsgrößen erscheint umso problematischer, je länger sich die Wiederkaufzyklen für ein Produkt bzw. eine Händlerleistung darstellen (z. B. Automobile, HiFi-Geräte, Haushaltsgeräte, Abendgarderobe, etc.). Für den Einzelhandel bedeuten diese Überlegungen konkret, dass die traditionell an Absatzzahlen orientierte Beurteilung des Unternehmungserfolges allein nicht mehr zielführend sein kann. Für die Zufriedenheit des Konsumenten ist nicht nur die Verkaufsphase maßgeblich, vielmehr haben alle am Wertschöpfungsprozess beteiligten Stufen einen Einfluss auf die Zufriedenheitsbeurteilung des Kunden. Anhand des Wertschöpfungsprozesses im Handel soll verdeutlicht werden, dass in allen Phasen ein Beitrag zur Kundenzufriedenheit geleistet werden kann:
Einkauf - Gutes Preis-/ Leistungsverhältnis - Nachorder von Einzelteilen - Kontinuierlich neue Ware - Qualität der Ware - ...
Warenwirtschaft - Lieferzuverlässigkeit - Warenverfügbarkeit zum richtigen Zeitpunkt - Bei Filialsystem Beschaffung von ausverkauften Waren/Größen aus anderen Filialen - ...
Warendarbietung - Ansprechende Präsentation - Übersichtlichkeit der Präsentation - Angenehme Atmosphäre im Verkaufsraum - ...
Verkauf - Qualität der Beratung - Freundlichkeit des Personals - Unkomplizierte Abwicklung - ...
NachkaufPhase - Kulanz bei Reklamationen - Geldrückgabe bei Umtausch - Anbahnung von Wiederkaufkontakten (z.B. durch Werbung) - ...
Abb. 2.11: Kundenzufriedenheitsbeiträge der einzelnen Phasen im Verkaufsprozess, in Anlehnung an Simon, H./Homburg, C. (1998), S. 22
2.6.6.2 Methoden zur Messung der Kundenzufriedenheit Wie bereits erläutert, gibt es keinen allgemeingültigen Ansatz zur Erhebung der Kundenzufriedenheit. Je nach Fragestellung und individuellen Gegebenheiten ist das Erhebungsdesign auszuwählen. Zur Messung der Kundenzufriedenheit stehen verschiedene Ansätze zur Verfügung (vgl. Abb.). Grundsätzlich können objektive und subjektive Messansätze unterschieden werden. Die objektiven Messansätze stellen auf die Abbildung von Größen ab, die keiner subjektiv verzerrten Wahrnehmung von Personen unterliegen. Zu den objektiven Indikatoren zählen Absatz- und Umsatzzahlen, der Marktanteil sowie Wiederkauf- und Eroberungsraten als aggregierte Größen zur Erfassung des marktlichen Erfolges einer Unternehmung. Subjektive Messansätze hingegen implizieren die Befragung von Konsumenten.
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 63
Messung Messungder derZufriedenheit Zufriedenheit
Objektive ObjektiveVerfahren Verfahren
- -Marktanteil Marktanteil - -Gewinn Gewinn - -Häufigkeit Häufigkeitvon von
- -Umsatz Umsatz - - Wiederkaufraten Wiederkaufraten Garantiemängeln Garantiemängeln
Merkmalsbezogene MerkmalsbezogeneVerfahren Verfahren
Subjektive SubjektiveVerfahren Verfahren
Ereignisorientierte EreignisorientierteVerfahren Verfahren • • Sequentielle SequentielleEreignismethode Ereignismethode • • Critical CriticalIncident IncidentTechnique Technique
Direkte DirekteMessung Messung
Indirekte IndirekteMessung Messung
Abb. 2.12: Methoden der Zufriedenheitsmessung
Hinsichtlich der subjektiven Messverfahren können einerseits merkmalsorientierte Messungen durchgeführt werden. Sie basieren auf der Annahme, dass sich die Kundenzufriedenheit auf die einem Produkt oder einer Dienstleistung (hier: auf die Handelsleistung) inhärenten Eigenschaften zurückführen lässt. Merkmalsorientierte Messansätze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie keinen Bezug auf konkrete Konsumprobleme nehmen. Mit einem solchen Messansatz kann jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Leistungsmerkmalen in einer Konsumentenbefragung berücksichtigt werden.69 Der Nachteil dieses Messansatzes liegt in der Gefahr, dass nicht alle Leistungsmerkmale vollständig berücksichtigt werden.70 Ereignisorientierte Messungen der Konsumentenzufriedenheit basieren auf der Annahme, dass die von Konsumenten empfundene Zufriedenheit auf der Wahrnehmung und psychischen Verarbeitung von konkreten Ereignissen während des Konsumprozesses beruht.71 Bruhn bezeichnet diese sich auf Kundenereignisse bzw. -erlebnisse beziehende Messansätze zusammenfassend auch als Erlebnisforschung. Nicht die spezifischen, objektbezogenen Eigenschaften, sondern die wahrgenommenen Konsumerlebnisse bei der Nutzung eines Produktes oder bei der Inanspruchnahme einer Dienstleistung stehen bei diesem Messansatz im Mittelpunkt des Interesses. Zur Messung der Kundenzufriedenheit lassen sich je nach Methode verschiedene Ansatzpunkte bzw. Indikatoren nutzen (vgl. Abb.). Mit Blick auf die folgende Abb. wird deutlich, dass die in der Forschung einsetzbaren Messansätze nahezu das gesamte methodische Instrumentarium der empirischen Sozialforschung umfassen. Dabei können implizite und explizite Messungen unterschieden werden.72 69 70 71 72
Vgl. Stauss (1991), S. 351, Stauss/Hentschel (1990), S. 236 f. Vgl. Ahlert et al. (1996), S. 119. Vgl. Stauss/Hentschel (1992), S. 117 und Bruhn (1991), S. 39. Vgl. Standop/Hesse (1985), S. 3 ff.
64 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Während die impliziten Verfahren unter Rückgriff auf Indikatoren die Konsumentenzufriedenheit messen, erheben explizite Messverfahren die Kundenzufriedenheit direkt. Impliziten Messverfahren lassen auf indirektem Weg mittels Indikatoren Rückschlüsse über die Zufriedenheit von Konsumenten zu. Zu diesen Verfahrenzählt die systematische, retrospektive Erfassung von Beschwerden und des Beschwerdeverhaltens von Konsumenten. Ziel ist es, auf diesem Weg Aufschlüsse über die von Konsumenten wahrgenommenen Leistungsdefizite zu erhalten. objektorientierte Indikatoren
• • Messung • ohne Bezugnahme • auf Kun• den• probleme • •
Absatz Umsatz Marktanteil Wiederkaufraten Eroberungsraten Zurückgewinnungsraten Abwanderungsraten Qualitätskontrollen
subjektorientierte Indikatoren
• Konsumentenbefragungen (merkmalsorientierte Zufriedenheitsskalen) • Befragung des Kundenkontaktpersonals • Befragung von Reisenden und Händlern
• Konsumentenbefragungen • Häufigkeit von Messung mit Bezugnahme auf Kundenprobleme
Garantiemängeln • Reparaturhäufigkeit • Häufigkeit von Konsumentenbeschwerden (z. B. Beschwerdebriefe und telefonate) • Häufigkeit einer Beschwerderegelung
• • • • • •
(auf kritische Ereignisse bezogene Interviews) Beschwerdezufriedenheit Häufigkeit wahrgenommener Kundenprobleme Häufigkeit ungelöster Kundenprobleme Prozessanalyse der Beschwerdeführung Problem-Panels Häufigkeit von Beschwerden bei Drittinstitutionen
Tab. 2.5: Generelle Ansatzpunkte zur Messung der Kundenzufriedenheit (Quelle: In Anlehnung an Meffert/Bruhn 1981, S. 600)
In Forschung und Praxis sind sog. Zufriedenheitsskalen in den verschiedensten Konzeptionierungen am weitesten verbreitet.73 Sie beziehen sich entweder auf das gesamte Produkt (Gesamtzufriedenheit) oder auf eine dem multiattributiven Cha73
Vgl. Beeskow (1985), S. 204. Einen umfassenden Überblick über die Konzeptionierungen von Zufriedenheitsskalen geben Hanan/Karp (1989), S. 102ff.; insbes. S. 104, und Berekoven/Eckert/Ellenrieder (1991), S. 72.
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 65
rakter des Konstrukts entsprechend differenzierte Erfassung der Zufriedenheit mit einzelnen Produkt- oder Leistungsmerkmalen (attributspezifische Teilzufriedenheit). In folgender Abbildung ist beispielhaft eine solche Zufriedenheitsskala für den Einzelhandel dargestellt: Items Hilfsbereitschaft der Verkäufer Freundlichkeit der Verkäufer Anzahl der Verkäufer, die im Laden zur Bedienung zur Verfügung stehen Höflichkeit der Verkäufer Attraktivität der Ladeneinrichtung Aufteilung der Geschäftsfläche, insbesondere Lage der einzelnen Abteilungen Großzügigkeit des Raumzuschnitts Problemlosigkeit, die gewünschte Ware zu finden Sauberkeit der Geschäftsräume Zusammensetzung der verschiedenen Abteilungen zu einem Gesamtangebot Qualitätsniveau der im Geschäft geführten Ware Warenverfügbarkeit in den einzelnen Abteilungen Produktauswahl in den Abteilungen Modische Aktualität der Ware Kulanz bei Warenumtausch und Rücknahme gegen Auszahlung des Geldbetrages Kulanz bei der Regelung von Problemen, die beim Kauf entstehen können Zahlungsmöglichkeiten Standort des Geschäftes Öffnungszeiten des Geschäftes Andere Kunden im Geschäft „Value for money“ Preisniveau Sonderverkaufsaktionen Werbung
Faktoren
Personal
Ladeneinrichtung
Sortiment und Warenpräsentation
Servicegrad
Produkte und Dienstleistungen Andere Kunden Preis-LeistungsVerhältnis Sonderaktionen
Tab. 2.6: Zufriedenheitsskala nach Westbrook, Quelle: in Anlehnung an Westbrook, R. (1981), S. 77 ff.
Wenngleich die Zufriedenheitsskala das in der Forschung am weitesten verbreitete Messinstrument ist, so werden doch verschiedene Kritikpunkte gegen die Messung der Kundenzufriedenheit mittels Ratingskalen vorgebracht. Die in der empirischen
66 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
Forschung verwendeten Ratingskalen weisen streng genommen ein ordinales Skalenniveau auf, auf dem nur monotone Transformationen möglich sind. Hingegen ist es in der Forschung eine weit verbreitete Praxis, die Zufriedenheit von Konsumenten auf einer Ratingskala zu messen, auf der Zahlen in auf- oder absteigender Ordnung den Abstufungen der Skala zugeordnet werden. Dieses Vorgehen ermöglicht die Bildung von bestimmten statistischen Maßen (z. B. Mittelwerte, Streuungsmaße, Korrelationskoeffizienten) und ist damit die Voraussetzung sowohl für den Einsatz von parametrischen Analysemethoden als auch für die Berechnung von sog. Kundenzufriedenheitsindizes. Der Einsatz solcher Analysemethoden unterstellt jedoch, dass die benutzte Skala intervallskaliert ist. Dieses Vorgehen wird, wenn überhaupt, damit begründet, dass die Verwendung von rangskalierten Daten als intervallskalierte Daten keine praktisch erheblichen Unterschiede macht.74 Ob ein solches methodisches Vorgehen gerechtfertigt ist, hängt letztlich jedoch davon ab, ob die Probanden die Abstände zwischen den einzelnen Skalenstufen als gleich groß empfinden oder nicht.75 Neben dieser skalierungsbezogenen Kritik ist Andreasen der Auffassung, dass einfache Zufriedenheitsskalen tendenziell die tatsächlichen Güter- und Dienstleistungsprobleme nur unzureichend erfassen und lediglich Änderungen der Verbrauchermeinung über Preise und Inflation widerspiegeln können.76 Hieraus leitet sich die Forderung ab, die Messung der Zufriedenheit unter Bezugnahme auf konkrete Leistungsmerkmale und auf mögliche Probleme zu konzeptionieren. Dieser Punkt korrespondiert mit der Kritik an einer Zufriedenheitsmessung auf Ratingskalen, dass nicht ein Zufriedenheits-, sondern u. U. ein Einstellungskonstrukt gemessen wird. Valide Zufriedenheitsmessungen sind nur möglich, wenn es gelingt, die befragten Konsumenten in der Situation zu erreichen, in der es zur Zufriedenheit kommt, da sonst stabile Eindrücke gemessen werden.77 2.6.6.3 Kritische Beurteilung der Messmethoden und Gestaltungsmöglichkeiten des Zufriedenheitsmanagements Die hier vorgestellten Ansätze zur Messung der Kundenzufriedenheit werden in der Forschungsliteratur kritisch gewürdigt und zum Teil auch kontrovers diskutiert. Diese Kritik lässt sich mit den folgenden Argumenten zusammenfassen:
• Eine objektbezogene Messung ohne Bezugnahme auf Kundenprobleme, bspw. anhand von Umsatzzahlen oder des Marktanteils, weist zwei Mängel auf. Erstens zeigt sie nur mit einer zeitlichen Verzögerung (in Abhängigkeit von der Kauffrequenz bzw. Nutzungsphase insbes. bei Gebrauchsgütern mit starker zeitlicher Verzögerung) Wirkungen auf (time lag-Problem). Zweitens unterliegt die Veränderung dieser Indikatoren dem Einfluss weiterer Determinanten (insbes. dem Einfluss von Wettbewerbern), so dass der Blick für das hinter dem Kaufverhalten stehende Ausmaß an Zufriedenheit verschleiert wird. Ein Wiederkauf ist deshalb nicht notwendigerweise auf ein hohes Zufriedenheits-
74 75 76 77
Vgl. hierzu die Argumentation bei Labovitz (1970), S. 515 ff.; Allerbeck (1978), S. 199 ff. Vgl. Beeskow (1985), S. 204. Vgl. Andreasen (1982), S. 185. Vgl. Schütze (1992), S. 187f.
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 67
•
•
•
•
•
78 79 80
niveau zurückführbar. Käufe werden auch getätigt, wenn aus Konsumentensicht keine Alternativen vorliegen, eine hohe Marktintransparenz oder ein „information overload“ auf der Seite der Konsumenten vorliegt (Zurechnungsproblem). Zusammenfassend kann für diese Messansätze gesagt werden, dass sie nur relativ ungenaue Hinweise über das tatsächliche Ausmaß der (Un-) Zufriedenheit von Konsumenten liefern können. Diesbezüglich stellt die Verwendung von objektbezogenen Messansätzen unter Bezugnahme auf Kundenprobleme eine partielle Verbesserung dar, weil sich hieraus konkrete Ansatzpunkte für die Verbesserung von Unternehmungsleistungen ergeben können. So ermöglicht eine objektive Messung unter Bezugnahme auf Kundenprobleme, bspw. über die Auswertung von Beschwerden, die Gewinnung von konkreten Hinweisen zur Vermeidung von Dienstleistungsmängeln. Dieser Vorteil steht jedoch dem Nachteil dieser Messansätze gegenüber, dass aus ihnen nicht alle Kundenprobleme lückenlos hervorgehen können (Vollständigkeitsproblem). Die Kritik an den objektorientierten Messungen der Kundenzufriedenheit führt zu der Forderung, diese durch subjektbezogene Messungen zu ergänzen. So liefert insbesondere die subjektorientierte Messung unter Bezugnahme auf Kundenprobleme spezifische Erkenntnisse über das Ausmaß der Zufriedenheit von Konsumenten und über die Gründe, die zu der Kundenzufriedenheit führen. Vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Kritik regt Bruhn schließlich an, die einzelnen Ansätze zur Messung der Kundenzufriedenheit integrativ anzuwenden.78 Neben der Messung mittels objektiver Indikatoren, die von den meisten Unternehmungen erfasst werden, sollten auch subjektive Indikatoren zur Messung der Kundenzufriedenheit herangezogen werden, „um rechtzeitig Informationen über Zufriedenheitsänderungen bei den Konsumenten und damit Impulse für Marketinganpassungen zu erhalten.“79. Neben diesen grundsätzlichen Kritikpunkten besteht für die Messung der Kundenzufriedenheit jedoch ein spezifisches Validitätsproblem, welches sich darin ausdrückt, dass auf Grund der Situationsgebundenheit des Konstrukts die Zufriedenheit von Konsumenten immer nur retrospektiv gemessen werden kann. Da zwischen dem die (Un-) Zufriedenheit bestimmenden Konsumerlebnis und dem Zeitpunkt einer Zufriedenheitsbefragung stets ein mehr oder weniger langer Zeitraum liegt, in dem weitere Konsumerfahrungen gesammelt und neue Informationen aufgenommen werden, besteht das grundlegende Problem, „die ursprüngliche von der momentanen Zufriedenheitsausprägung messtechnisch abzugrenzen“.80 Die Anlage vieler empirischer Untersuchungen der Zufriedenheitsforschung ist als fragwürdig zu beurteilen. So werden Konsumenten häufig nach ihrem letzten Kauf gefragt, der je nach Kauffrequenz der Produktgruppe jedoch unterschiedlich lange zurückliegt, so dass Käufe aus unterschiedlichen historischen Epochen miteinander verglichen werden, obwohl die Wahrnehmungs- und Beurteilungsprozesse unterschiedlich weit fortgeschritten sind und die Probanden Bruhn (1982), S. 105. Bruhn (1987), S. 131. Kaas/Runow (1984), S. 453.
68 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
zudem unterschiedliche Erinnerungsleistungen zu vollbringen haben. Aus dieser grundsätzlichen Problematik leitet sich für die Zufriedenheitsmessung die zentrale Forderung ab, Zufriedenheitsmessungen nicht vereinzelt und unabhängig von verschiedenen Konsumprozessphasen durchzuführen (off processMessungen). Vielmehr ist eine kontinuierliche Zufriedenheitsmessung unter Bezugnahme auf alle Konsumprozessphasen anzustreben (on process-Messungen). In diesem Zusammenhang ist es von zentraler Bedeutung, dass bei einer Zufriedenheitsmessung im Längsschnitt die Zufriedenheit von Kunden mit einer sich entsprechenden Position im Konsumzyklus bzw. in der Nutzungsphase vergleichend analysiert wird. Mit Blick auf diese vergleichende Würdigung der vorliegenden Ansatzpunkte zur Messung der Kundenzufriedenheit lassen sich die folgenden Empfehlungen für die Konzeption eines Customer Satifaction Measurement (CSM) in der Handelspraxis ableiten:
• Die objektorientierten Ansatzpunkte ohne Problembezug sind für eine Beurteilung der Kundenzufriedenheit insgesamt als unzureichend zu kennzeichnen und daher als Ansatzpunkte für eine Zufriedenheitsmessung abzulehnen. • Der erreichbare Grad der zufriedenheitsbezogenen Informationen ist stets abhängig von der Kontinuität, mit der die diskutierten Ansatzpunkte zur Zufriedenheitsmessung zum Einsatz gelangen. In der Kontinuität einer Kundenzufriedenheitsmessung ist eine erste zentrale Anforderung an die Gestaltung einer zufriedenheitsbezogenen Marktforschung in der Handelspraxis zu sehen. • Es ist nicht möglich, die Kundenzufriedenheit vollständig durch einen einzigen Ansatzpunkt zu erfassen, der das Kriterium der Relevanz erfüllt. Die Forderung nach einer vollständigen Messung der Kundenzufriedenheit kann somit nur durch einen integrierten Einsatz mehrerer Ansatzpunkte erfüllt werden. Hierin kann eine zweite zentrale Anforderung an die Gestaltung einer zufriedenheitsbezogenen Marktforschung in der Handelspraxis gesehen werden. • Die aus diesen Überlegungen resultierende Forderung nach einer systematischen (kontinuierlichen und integrierten) Zufriedenheitsmessung führt schließlich zu dem Gedanken, ein Customer Satisfaction Measurement in der Handelspraxis modular aufzubauen.81 Dabei lassen sich die merkmalsorientierte, standardisierte und schriftlich durchgeführte Befragung der Kunden, die auf kritische Ereignisse bezogenen Kundeninterviews und die Messung der Beschwerdezufriedenheit zu einem Basismodul zusammenfassen, das durch den Einsatz weiterer Ansatzpunkte zur Messung der Marken- und Händlerzufriedenheit zu ergänzen ist (vgl. Abb). 82
81 82
Vgl. Korte (1995), S. 62. Vgl. Köster (2005).
2.6 Spezifische Methoden der Marketingforschung im Handel 69
Basismodul der Zufriedenheitsmessung Kundenbefragung • Merkmalsorientierte Zufriedenheit • auf kritische Ereignisse bezogene Zufriedenheit • Beschwerdezufriedenheit Ergänzende Module der Zufriedenheitsmessung Kunde • Häufigkeit der wahrgenommenen Probleme durch den Kunden • Häufigkeit ungelöster Kundenprobleme • Problemanalyse durch „Kundenkreise“
Filialen/Erfa-Gruppen • Häufigkeit der wahrgenommenen Probleme je Einkaufsstätte • Häufigkeit von Kundenproblemen im Vergleich
Hersteller • Befragung des Vertriebs • Häufigkeit von Mängeln einer Marke • Häufigkeit von Kundenbeschwerden über eine Marke
Abb. 2.13: Überblick über Module der Kundenzufriedenheitsmessung
2.6.7 Scannerdaten und Warenkorbanalyse Eine Besonderheit der Marktforschung im Handel bilden Scannerdaten. Geschah die Einführung von Scannerdatenkassen wohl ursprünglich aufgrund der damit verbundenen Rationalisierungsvorteile, entwickeln sich die beim Scanning gewonnenen Daten insbesondere in Großunternehmen der Konsumgüterwirtschaft mehr und mehr zu einer wichtigen Ressource. Die Basis für diese Entwicklung bildeten zunächst für den Handel bedeutsame Normierungsaufgaben. Hierbei ist neben der bundeseinheitlichen Betriebsnummer (BBN) zur Identifikation von Lieferant und Abnehmer insbesondere die bereits 1977 eingeführte EAN („Europäische Artikelnummer“) von Bedeutung. Mithilfe dieses Standards können einzelne Produkte identifiziert werden. Die EAN schafft damit die technische Voraussetzung für die teilautomatisierte Form des Kassiervorgangs. In Deutschland ist derzeit die Organisation Global Standards One („GS1“) die einzige autorisierte Stelle für die Einführung einer EAN. Handelsunternehmen können mit Hilfe der EAN beim Kassiervorgang jeden einzelnen Kaufakt erfassen und Aufschluss darüber erhalten, welcher Artikel wann, in welcher Verkaufsstelle, wie oft, zu welchem Preis verkauft wurde. Die so gewonnenen Daten werden als Scanningdaten bezeichnet. Auf ihrer Basis kann der Erfolg von bestimmten Marketingmaßnahmen (Handzettel, Promotions, Preisaktionen) bestimmt werden.83 Zudem besteht die Möglichkeit, den gesamten Warenkorb des Kunden abzuspeichern. Bei Warenkorbdaten handelt es sich um Rohdaten, die einer weiteren Aufbereitung bedürfen, um verwertbare Informationen zu gewinnen. Zudem ist es oft notwendig, die Daten nachzupflegen, da z.B. die gesammelten Preisinformationen in der Praxis häufig kaum gepflegt werden und somit fehlerhaft sein können. Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel für eine Warenkorbanalyse. Dabei ist auf der x-Achse der Anteil der Käufer abgetragen, 83
Vgl. hierzu auch Olbrich/Grünblatt (2006b), S. 121 ff.
70 2 Informationsgrundlagen des Handelsmarketing
der x-Achse der Anteil der Käufer abgetragen, die ein Produkt aus einer der drei analysierten Warengruppen gekauft haben. Auf der y-Achse wurde abgetragen, welchen durchschnittlichen Einkaufsbetrag die Käufer für diese Warengruppen ausgegeben haben. Mit Hilfe der Warenkorbanalyse kann dann beispielsweise die Frage beantwortet werden, ob Umsatzrückgänge in einer Warengruppe auf einen Käuferfrequenzverlust zurück zu führen sind. Daraus lassen sich dann Anhaltspunkte für die Sortimentspolitik ableiten.
Abb. 2.14: Beispiel Warenkorbanalyse
Eine weitere Möglichkeit, Scanningdaten für das Handelsmarketing zu nutzen, besteht darin, diese mit Kundenkarteninformationen zu verbinden. Kundenkarten erlauben die Zuordnung bestimmter Transaktionen zu einem bestimmten Kunden. Durch die Kombination von Kundenkarten und Scanningdaten wird es möglich, die Warenkörbe einem bestimmten Kunden zuzuordnen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Warenkörben identifizierter Kunden.84 Die so gewonnenen Daten können dann u.a. für die Marktsegmentierung, aber auch für Maßnahmen im Bereich des Customer Relationship Management betriebswirtschaftlich sinnvoll genutzt werden. In der handelsbetrieblichen Praxis werden die Potenziale der Scannerdatennutzung in erster Linie im Rahmen des Category Managements vermutet.85 Daneben spielen Scanningdaten eine wichtige Rolle bei der Koordination und Steuerung von EC- und Logistikprozessen.
84 85
Vgl. Olbrich/Grünblatt (2006b), S. 108 Vgl. Olbrich/Grünblatt (2006a), S. 70.
3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 3.1.1 Begriff, Bedeutung und Funktionen der strategischen Planung im Handel Handelsunternehmungen sind in eine Umwelt gebettet, die sich durch zunehmende Komplexität, d. h. Dynamik und Kompliziertheit auszeichnet. Die diskontinuierlichen Entwicklungen und strategischen Überraschungen weisen auf die Notwendigkeit einer langfristigen Orientierung hin, offenbaren jedoch zugleich die wesentlichen Probleme einer vorausschauenden Planung, deren Datenbasis im schnellen Wandel rasch veraltet.1 Die strategische Planung, die das Herzstück des strategischen Marketingmanagements darstellt, sollte deshalb einerseits durch Offenheit und Flexibilität gekennzeichnet sein: „Die eigentliche Herausforderung an die Unternehmungen besteht in der Bewältigung des Unerwarteten und nicht in der Extrapolation von Erfolgsrezepten der Vergangenheit“.2 Die Komplexität kann andererseits nur durch eine systemorientierte Vorgehensweise und die weitgehende Partizipation unterschiedlicher Instanzen und Bereiche systematisch erfasst und bewältigt werden. Unternehmungsplanung kann allgemein als Willensbildung mit der Festlegung von Zielen und der Formulierung von Handlungsalternativen verstanden werden, die auf Grund kreativ und systematisch gewonnener Informationen über den gesamten Kontext der Unternehmung erstellt werden und deren Umsetzbarkeit in die betriebliche Praxis gewährleistet ist.3 Strategische Planung bezieht sich auf die wesentlichen, für die Unternehmungsentwicklung besonders relevanten Aspekte, die eine längerfristige (mehrperiodische) Bedeutung erlangen. Strategische Planung ist allerdings nicht mit Langfristplanung gleichzusetzen; auch operative Planung kann als Langfristplanung erstellt werden. Strategische Planung hat vielmehr die Aufgabe, die Entscheidung über den Vorstoß in grundlegend neue Betätigungsfelder vorzubereiten (wobei das Ergebnis der strategischen Entscheidung auch der Verzicht auf einen solchen Vorstoß sein kann). Das strategische Management umfasst dann den gesamten Phasenzyklus der Planung und Umsetzung des strategischen Vorstoßes bis hin zur Kontrolle. Voraussetzung für den strategischen Vorstoß in neue Betätigungsfelder ist es in aller Regel, neue Erfolgspotenziale zur Zukunftssicherung des Handelsbetriebs zu schaffen und/oder vorhandene Erfolgspotenziale entsprechend auszubau1 2 3
Vgl. hierzu grundlegend Ehrmann (2005), S. 1ff. Vgl. Hinterhuber (1996), S. V. Vgl. hierzu und zum folgenden Ahlert/Olbrich (2001).
72 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
en. Ganz allgemein können Erfolgspotenziale als spezifische Quellen einer bestimmten Handelsunternehmung zur nachhaltigen Erzielung überdurchschnittlicher Erfolge definiert werden, die beispielsweise auf besonderen Kompetenzen, einem unverwechselbaren Profil oder Ähnlichem beruhen. Im Unterschied zur strategischen befasst sich die operative Planung mit Entscheidungen (gelegentlich auch langfristiger Art) in vorhandenen Betätigungsfeldern und versucht, aus den vorhandenen Erfolgspotenzialen den bestmöglichen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. In Anlehnung an PICOT/LANGE4 lassen sich die folgenden Aufgaben der strategischen Planung unterscheiden:
• Motivationsfunktion: Die Entscheidungs- und Handlungsträger sollen zu einem zielkonformen Verhalten motiviert werden. • Koordinations- und Integrationsfunktion: Die Planung soll die sachlich und zeitlich differenzierten Aktivitäten und Entscheidungen angesichts der engen Interdependenzen zielgerecht harmonisieren. • Leistungsfunktion: Es wird durch die Planung ein höherer Zielerreichungsgrad angestrebt. Zukünftige Leistungspotenziale werden eruiert und bewertet. • Innovationsfunktion: Planung soll die Entwicklung neuer Ideen zur Leistungsverwertung und die Unternehmungsentwicklung (Evolution) fördern. Zur Erfüllung dieser Funktionen gilt es, strategisches Planen aus dem extrapolierenden Denken zu lösen, das sich in einer exakten Fortschreibung der relevanten Größen von Umwelt und Unternehmung aus der Vergangenheit äußert, und zu einem den diskontinuierlich und schnell wandelnden Kontextfaktoren adäquaten „Querdenken“ weiterzuentwickeln. Durch evolutionäre Anpassung mit Hilfe von vorausschauender flexibler Planung gilt es, die sich durch sog. „schwache Signale“ abzeichnenden Veränderungen frühzeitig aufzuspüren und als Chance für eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation zu sehen. Das heißt auch, dass bisherige Erfolgsrezepte permanent in Frage gestellt werden. Wichtige Voraussetzungen zur Nutzung dieser Möglichkeiten sind die Befreiung von täglicher Routinearbeit für die Planungsträger und - damit zwingend verbunden - die permanente Handlungsorientierung: Bei Planungen sollten immer wieder Zäsuren eingebaut werden, die die bisherigen Planungsergebnisse in operative Handlungsanweisungen umsetzen lassen. Mit der Entlastung der Planungsträger soll die Gefahr des sog. Greshamschen Gesetzes der Planung (die tägliche Routine verdrängt die relevanten strategischen Entscheidungen) begrenzt werden. Zudem muss für eine horizontal und vertikal hierarchische Entlastung gesorgt werden, d. h. Stäbe sollten planungsunterstützende Aufgaben übernehmen und die untergeordneten Ebenen in die Entscheidungsprozesse integriert werden. Im Handel ist die Erfüllung dieser Forderung jedoch oft durch die vorherrschende Funkti-
4
Vgl. Picot/Lange (1978), S. 4 f.
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 73
onalorganisation bedroht, da diese Organisationsform oft dazu führt, dass das TopManagement mit operativen Fragen beschäftigt ist. Die strategische Planung kann die schwachen Signale des Marktes (Frühindikatoren) demzufolge nur dann auffangen, wenn leistungsfähige Informationssysteme installiert werden und eine breite, offene Suche nach neuen Betätigungsfeldern und relevanten Kontextveränderungen stattfindet. Nur eine dem Neuen aufgeschlossene Unternehmungskultur mit Anregung zum divergenten Denken und der Förderung der Kreativität und Mitsprache kann den gestiegenen Anforderungen gerecht werden. 3.1.2 Zielkonzeptionen und Strategien Als Strategie kann der an einer strategischen Zielkonzeption orientierte mehrperiodische Handlungsplan bezeichnet werden. Diese Definition trennt konsequent, wie im Schrifttum zum strategischen Management inzwischen üblich, zwischen • der strategischen Zielkonzeption (das ist der ‚Wunschort', zu der das strategische Management hinführen soll) und • der Strategie (das ist die ‚Route', die eingeschlagen werden soll, um vom Standort der Unternehmung zum Wunschort zu gelangen).
Diese Trennung zwischen Zielen und Strategien findet auf sämtlichen Stufen der Unternehmungsplanung statt. Im Einzelnen lassen sich die folgenden Bereiche unterscheiden: 1. Die Ziele unterer Ordnung leiten sich aus den Zielen der jeweils höheren Ordnung ab. Letztere orientierten sich wiederum an den Zielerreichungsmöglichkeiten der Ziele der unteren Ebene. 2. Der Schwerpunkt einer Strategie leitet sich aus den Zielen der gleichen Hierarchieebene sowie aus dem Schwerpunkt der Strategie nächst höherer Ordnung ab. 3. Die Strategien verschiedener Ebenen sind interdependent, weil die Strategien höherer Ordnung einerseits die Kanalisierungsfunktion wahrnehmen, andererseits aber erst durch die Strategien (und letztlich durch die jeweiligen Instrumentekombinationen) der niedrigeren Ebene konkretisiert werden. 4. Auf Grund des Zielerreichungscharakters einer Strategie nimmt eine konkretisierte Strategie mit dem nunmehr bewertbaren Zielerreichungsgrad Einfluss auf den Zielbildungsprozess. 5. Mehrere Strategien einer Hierarchieebene bedürfen der Abstimmung untereinander. Dies geschieht durch die Zusammenfassung in eine übergeordnete ‚Gesamt-Strategie'. 6. Wie noch ausführlich darzulegen sein wird, sind die Basisstrategien als eine feststehende Menge alternativer strategischer Grundausrichtungen des jeweiligen Funktionsbereiches zu verstehen, unter denen die Entscheidungsträger durch sachliche und/oder zeitliche Kombination ein unternehmungsspezifisches Lösungskonzept zusammenstellen können.
74 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
7. Die Instrumentalziele und -strategien dienen der konkreten Ausformung dieses grob skizzierten Lösungskonzeptes bezüglich der einzelnen Instrumentalbereiche. Das strategische Marketingmanagement erstreckt sich auf die gesamte Unternehmung und ihre verschiedenen Teilbereiche. Jeder Strategie können entsprechende Zielkonzeptionen zugeordnet werden (vgl. Abb.).
Rahmenstrategien • Unternehmungskultur und Philosophie • Leitbild - Strategien Unternehmungsbereichsstrategien • Geschäftsbereichsstrategien • • Funktionsbereichsstrategien •
Binnenstrategien Außenstrategien
MarketingStrategien
– Umwelt/Öffentlichkeitsstrategien – Marktstrategien
Marketing -Basisstrategien • Verbraucherorientiert • Konkurrenzorientiert • Lieferantenorientiert Marketing-Instrumentalstrategien • Markenpolitische Strategien • • Sortimentspolitische Strategien • • • Preispolitische Strategien • Standortpolitische Strategien
Kommunikationspolitische Strategien Präsentationspolitische Strategien Personalpolitische Strategien
Marketing - Kundenstrategien • Marktsegmentstrategien • Kundengruppenstrategien • Key Account - Strategien
Abb. 3.1: Hierarchie der Strategien
In der Regel kann der Prozess der strategischen Planung in verschiedene Schritte unterteilt werden, die im Folgenden dargestellt werden. 3.1.2.1 Planung des strategischen Rahmenplans Ausgangspunkt des strategischen Planungsprozesses ist der strategische Rahmenplan, mit dem der langfristige Kurs und die Stellung der Unternehmung in der Gesellschaft fixiert werden. Dazu ist festzulegen
• welcher Nutzen für aktuell und potenziell relevante Anspruchsgruppen bereitgestellt werden soll, • welche Grundorientierung im Hinblick auf risikobehaftete, innovative Veränderungsmöglichkeiten bei der zukünftigen Unternehmungsentwicklung dominieren soll,
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 75
• welche Standards in Bezug auf Qualität der Leistungserstellung und in Bezug auf die Erreichung finanzieller Wertziele gelten sollen und • welche Gewichtung sozialen und ökologischen Zielen im Rahmen der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmung zukommen soll. Der Rahmenplan kann Mitarbeitern und der Öffentlichkeit durch ein Unternehmungs-Leitbild vermittelt werden. Mit Hilfe eines Leitbildes sollen Freiheitsgrade der Unternehmungsentwicklung eingegrenzt, der Einsatz der (knappen) Unternehmungsressourcen kanalisiert und ein Fokus für die Unternehmungsaktivitäten zur Imagebildung innerhalb ihrer Bezugsgruppen gesetzt werden. 3.1.2.2 Ableitung der Unternehmensbereichsstrategien Aus dieser Grundorientierung leitet sich die strategische Unternehmungskonzeption ab, die in Abhängigkeit von der aufbauorganisatorischen Struktur in Unternehmungsbereichsstrategien zergliedert ist. In einer funktional gegliederten Organisation kann bereits auf höchster Ebene zwischen den Bereichen Marketing, Produktion unterschieden werden. In einer Geschäftsbereichsorganisation ist die weitere Zergliederung anders zu gestalten. Hier ist es denkbar, dass jeder Geschäftsbereich eine eigene Strategie verfolgt und demzufolge auch unterschiedliche Marketingtrategien verfolgt werden. Nach ihrer Grundausrichtung kann ferner zwischen Binnenstrategien und Außenstrategien (hier insbes. Marktstrategien) unterschieden werden. Die große Bedeutung der Binnenstrategien wurde erst in den letzten Jahren erkannt. Hier geht es um strategische Überlegungen in Bezug auf das ManagementInformations-System, die Organisationsstruktur und -entwicklung, die Humanressourcen und die Personalentwicklung sowie insbesondere um die interne Kommunikationsstruktur. Die Marktstrategien können noch so gut sein – ihre erfolgreiche Umsetzung setzt eine intakte Binnenstruktur und -kultur voraus. Unter den Marktstrategien sind im Rahmen der strategischen Marketingplanung in diesem Buch die absatz- (bei Handelsunternehmungen auch die beschaffungs-) marktbezogenen Strategien (= Marketingtrategien) von Interesse, während Strategien in Richtung auf Faktormärkte (Kapital-, Arbeits-, Rohstoffmärkte, etc.) im Folgenden vernachlässigt werden. 3.1.2.3 Planung der Marketingbasisstrategien Die grundsätzliche Marschroute, der die Unternehmung mit dem kombinierten Einsatz der absatzpolitischen Instrumente zu folgen beabsichtigt, kann als Marketing-Basis-Strategie bezeichnet werden. Die Basisstrategien können als ein geschlossenes System von grundsätzlichen Handlungsalternativen bezeichnet werden. Es bietet sich eine Untergliederung der Strategiealternativen nach den wichtigsten Geschäftspartnern bzw. Akteuren im Markt an, d. h. es kann zwischen verbraucher-, lieferanten- und konkurrenzorientierten Marketing-Basis-Strategien unterschieden werden. Aus der Sicht einer Großhandelsunternehmung wäre diese Unterteilung um einzelhandelsgerichtete Strategien zu ergänzen.
76 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Nach BECKER 5 lassen sich vier Hauptgruppen verbraucherorientierter Strategien unterscheiden: (1) Marktfeldstrategien (2) Marktstimulierungsstrategien (3) Marktparzellierungsstrategien (4) Marktarealstrategien. Die Marktfeldstrategien legen den Inhalt und die Ausrichtung des Leistungsprogramms fest. Sie betreffen die grundsätzlich möglichen Strategierichtungen für so genannte Produkt-Markt-Kombinationen (Marktfelder), die ursprünglich für das Produktmarketing entwickelt wurden. In der sog. Ansoff-Matrix werden Produkte und Märkte einander gegenübergestellt.6 Nach Ansoff können ausgehend vom angestammten Geschäft verschiedene Wege zur Ausweitung der Marktchancen begangen werden. Je weiter sich das Geschäft von der ursprünglichen Domäne entfernt, desto geringer werden die Synergieeffekte im Programm sein.7 Die vier Handlungsbereiche können wie folgt charakterisiert werden: 1. Die Marktdurchdringung wird als die „natürliche“ Strategierichtung der Unternehmung, die am latenten Potenzial des vorhandenen Marktfeldes anknüpft, bezeichnet. Die Ausschöpfung der vorhandenen Märkte mit den aktuellen Produkten wird durch eine Intensivierung der Produktverwendung bei aktuellen Kunden (Produktvariation, Werbeintensivierung, Distributionsgraderhöhung), Kundenakquisition (Abwerbung von den Wettbewerbern) und die Gewinnung bisheriger Nichtverwender angestrebt. 2. Erst wenn diese Maßnahmen keinen Erfolg versprechen, bieten sich weitere Marktfelder an. Durch Marktentwicklung versucht man dann, das vorhandene Produkt auch in anderen Märkten anzubieten. Diese „nahe liegende" Strategie wird durch die Entwicklung neuer geographischer Märkte, das Eindringen in Zusatzmärkte oder die Erschließung neuer Teilmärkte eingeleitet. 3. Mit der Produktentwicklung versucht man, „echte“ Marktneuheiten zu kreieren und diese denn in erster Linie auf den aktuellen Märkten anzubieten. Im stationären Einzelhandel wäre dies bspw. die Entwicklung eines neuen Betriebstyps. 4. Die Probleme stagnierender oder gar schrumpfender Märkte veranlassen viele Unternehmungen, in völlig neue Gebiete vorzustoßen. Durch die Diversifikation wird in den meisten Fällen eine Politik der Risikostreuung angestrebt. Dazu sind eine intensive Beschäftigung mit den Usancen der bisher unbekannten Märkte und ein Lernen bezüglich der spezifischen Technologien in der Fertigung der Neuprodukte erforderlich. Im Rahmen der Diversifikation begibt sich die Unternehmung in neue Geschäftsfelder und neue Märkte. Die Anwendung dieses Schemas auf eine Handelsunternehmung erfordert eine Anpassung der Produktdimensionen. Statt von Produktdimensionen sollte von Leistungen gesprochen werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Abgren5 6 7
Vgl. Becker (1998), S. 147 ff. Vgl. Ansoff (1966), S. 132. Zum Thema „Synergien im Handel“ vgl. auch Reinke (1996).
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 77
zungsschwierigkeiten hinsichtlich des Neuigkeitsgrades von Produkt und Markt besteht.8 Nachfolgende Abb. zeigt eine auf den Handel angepasste Ansoff-Matrix. Bisherige Kunden (-segmente)
Altes Sortiment Sortimentserweiterung Nicht selbstständige Dienstleistungen Selbstständige Dienstleistungen
Marktdurchdringung Leistungserweiterung
Neue Kunden (-segmente) in bisherigen Regionen Markterweiterung (bezogen auf Segmente) Diversifikation
Neue Kunden (-segmente) in neuen Regionen Markterweiterung (regional) Diversifikation
Neuer Service
Diversifikation
Diversifikation
Neue Dienstleistungen
Diversifikation
Diversifikation
Tab. 3.1: Ansoff-Matrix für den Handel (Quelle: Müller-Hagedorn, 2001, S. 61)
Die vier vorgestellten Strategiefelder sollten weniger alternativ als vielmehr kombinativ verwendet werden. Es gilt, unternehmungsindividuelle Kombinationsmöglichkeiten zu finden, die durch eine sinnvolle gegenseitige Ergänzung der Marktfelder gekennzeichnet sind. Die Marktstimulierungsstrategien lassen sich auf Porter zurückführen, der wohl als erster konsequent eine Trennung der akquisitorischen Ansatzmöglichkeiten in die Qualitätsführerschaft (Präferenz-Strategie) und die Preisführerschaft (PreisMengen-Strategie) formulierte.9 Die zu Grunde liegende, z. T. validierte These spricht von einem u-förmigen Zusammenhang zwischen Rendite (Return on Investment) und dem relativen Marktanteil: Kleinere Anbieter sind danach wegen höherer Flexibilität mit ihrer Fähigkeit, sich in lukrativen Marktnischen zu bewegen, genauso gut überlebensfähig wie große Unternehmungen, die wegen hoher Marktanteile Kostendegressionseffekte realisieren können. Es gilt also, entweder hochwertige und spezielle Angebote für bestimmte Zielgruppen zu entwickeln oder aber standardisierte und sehr preisattraktive Produkte anzubieten. Bei fehlender Prägnanz des Angebotes droht das so genannte ‚stuck in the middle`, d. h. der Profilverlust durch mangelnde Akzentuierung von besonderen Wettbewerbsvorteilen. Ausgehend von den spezifischen Situationsfaktoren und internen Ressourcen, bieten sich also entweder die Service- und Qualitätsorientierung oder aber die konsequente Kostenorientierung, jeweils bezogen auf Teil- oder Gesamtmärkte, an. Wenn halbherzig ein Trading Up, d. h. eine Niveauanhebung des Programms zur Verbesserung der Imageposition, beschlossen wurde, dann aber der Absatz auf Grund der höheren Preise schwindet, werden zusätzliche Aktionsangebote lanciert, die das gerade gewonnene Qualitätsimage gefährden und das Programm an 8 9
Vgl. Müller-Hagedorn (2001), S. 60. Vgl. Porter (1989), S. 35ff.
78 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Profil verlieren lassen. In vielen Märkten lässt sich eine Polarisierung der Nachfrage nachweisen. Für die Güter des täglichen Bedarfs mit geringem Prestigewert rückt der Preis in den Vordergrund, während bei hochwertigen Gütern mit sozialen Ausstrahlungseffekten und hoher Erklärungsbedürftigkeit auch höhere Preise bei hervorragender Qualität akzeptiert werden. Eine Misch- oder Doppelstrategie kann nur gelingen, wenn eine vollständige Differenzierung in Produktion und Marketing für differente Programme möglich erscheint. Hochwertige Produkte sind getrennt von Discountangeboten herzustellen (Qualitätsniveau kann nicht einheitlich hoch definiert werden) und zu vermarkten (separater Außendienst, spezielle Werbung), um die jeweiligen Konturen nicht zu verwischen. In der so genannten Porter-Matrix werden die beiden Strategierichtungen mit dem Grad der Marktabdeckung (vgl. dazu die Marktparzellierungsstrategien) kombiniert.10
Vorteil Qualität
Preis
Präferenzstrategie
Preis-MengenStrategie
Markt
Gesamtmarkt
„stuck in the middle Teilmarkt
„Nischenstrategien“
Abb. 3.2: Die Porter-Matrix
Die Präferenzstrategie (im Handel z. B. durch Erlebnisorientierung oder allgemeiner: Serviceorientierung) zielt auf die Ausweitung der preispolitischen Spielräume ab. Durch Heterogenisierung (psychologische Differenzierung), Emotionalisierung (emotionaler Zusatznutzen) oder das Angebot von realen Produktvorteilen (Unique Selling Proposition, USP) bemüht man sich um die Erhöhung des akquisitorischen Potenzials. Es werden also in erster Linie nichtpreisliche Aktionsparameter eingesetzt. Es gilt hier, Leistungswelten zu schaffen, die dem Konsumenten insbesondere emotionale Befriedigung seiner Bedürfnisse (insbes. seiner 10
Vgl. Porter (1989), S. 35ff.
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 79
Snob- und Prestigebedürfnisse) gewährleisten. Als eine konsequente Umsetzung dieser Strategie kann die Markenstrategie gelten, die auch Serviceelemente beinhalten sollte.11 Gerade für kleinere Handelsunternehmen kann es sinnvoll sein, die Erlösanteile der schwerer imitierbaren Serviceleistungen zu erhöhen und so der Austauschbarkeit entgegen zu wirken. Die Preis-Mengen-Strategie (auch Discountstrategie genannt) ist in erster Linie auf den Preiswettbewerb ausgerichtet. Hier wird weitestgehend auf den Einsatz präferenzpolitischer Maßnahmen verzichtet. Es lassen sich kaum Bindungen an bestimmte Angebote (Prädispositionen) bilden, da bei Auftreten von günstigeren Anbietern eine Abwanderung der preisorientierten Käufer wahrscheinlich ist. Neben der aktiven Kostenorientierung ist jedoch auch ein erzwungenes Trading Down durch Verfallserscheinungen am Markt möglich (Degenerationsphase im Lebenszyklus). Der jeweilige Anbieter ist dann angehalten zu entscheiden, ob im Discountmarkt gute Ergebnisse erzielbar sind und ob das ‚Billigimage` verträglich im Gesamtkonzept erscheint. Die Marktparzellierungsstrategien lassen sich in einer 4-Felder-Matrix wiedergeben. Zum einen kann zwischen einer differenzierten und einer undifferenzierten Form der Marktbearbeitung unterschieden werden, zum anderen ist eine Auswahl der Zielgruppen denkbar, die entweder zur totalen oder partialen Abdeckung des Marktes führt (vgl. Abb.).
Abdeckung des Marktes
totale Markterfassung
partielle Markterfassung
Kundenakquisition Gesamtmarkt einheitliche Marktbearbeitung
Gesamtmarkt Konzentriertes Marketing
Undifferenziertes Marketing
Gesamtmarkt differenzierte Marktbearbeitung
Differenziertes Marketing
Massenmarkt
Gesamtmarkt Selektiv Differnziertes Marketing
Segmentierung
Abb. 3.3: Matrix der Marktparzellierungsstrategien
Aus der Matrix ergeben sich die zwei Hauptstrategierichtungen (Massenmarktund Segmentierungsstrategie), die jeweils auf den Gesamtmarkt oder aber einzelne Marktgebiete begrenzt sein können. Bei der totalen Massenmarktstrategie wird der Gesamtmarkt als Einheit betrachtet, und die eventuell unterschiedlichen Ansprüche und Verhaltensweisen der Bedarfsträger werden vernachlässigt. Die Unternehmung ist bestrebt, eine größtmögliche Anzahl von Kunden (totale Marktabdeckung) durch ein einheitliches Marketingprogramm (undifferenzierte Akquisiti11
Vgl. Homburg/Hoyer/Fassnacht (2002), S. 86 ff.
80 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
on) anzusprechen. Die partiale Massenmarktstrategie ist darauf ausgerichtet, einen besonders profitablen Teilbereich des Massenmarktes durch ein spezifisch auf die hier angesiedelten Kunden ausgerichtetes, aber noch immer einheitliches Akquisitionsprogramm konzentriert zu bearbeiten. Die totale Segmentierungsstrategie kombiniert das Bestreben, den Gesamtmarkt zu beliefern (totale Marktabdeckung), mit der Aufspaltung in Segmente, in denen jeweils segmentspezifische Akquisitionsprogramme differenziert eingesetzt werden. Die partiale Segmentierungsstrategie verzichtet dagegen auf eine totale Marktabdeckung und beschränkt sich auf die besonders interessanten Marktsegmente, denen jeweils spezifische Marketingprogramme differenzierend angeboten werden. Die strategischen Basisformulierungen werden durch die geographische Fixierung (Marktarealstrategien) sinnvoll ergänzt. Ausgehend von der lokalen Ausrichtung auf den näheren Umkreis lässt sich bei Konsolidierung des Gesamtkonzeptes eine regionale bis nationale (bspw. das Bundesgebiet) Ausweitung erwägen. Denkbar sind zudem vorläufige Insellösungen in einigen Schwerpunktgebieten oder bei genügender Finanzkraft eine sofortige totale Markterfassung, um durch Abdeckung des Gesamtmarktes Imitationen der Konkurrenz zu erschweren. Eine mögliche multinationale Ausrichtung auf die Nachbarländer kann nach den ersten Erfahrungen im Auslandsgeschäft zur Internationalisierung (z. B. Joint Ventures, Franchising) und zum weltumspannenden (globalen) Marketing führen.12 Bei allen vier Komponenten der verbrauchergerichteten Marketing-Basisstrategie wird von der eigenen Domäne als Stärke bzw. Wettbewerbsvorteil der Unternehmung ausgegangen. Nur wenn die gesetzten Ziele nicht erreichbar erscheinen und die angestammten Märkte nicht auszureichen scheinen, gilt es, eine Ausweitung in weniger synergetische, neue Felder sachlicher und räumlicher Art anzustreben. Eine verbrauchergerichtete Basisstrategie ist nur dann vollständig formuliert, wenn sie über alle vier Komponenten definiert wird. Es erscheint evident, dass diese verbraucherorientierte Strategieausrichtung durch eine entsprechende Strategiewahl für das lieferanten- und konkurrenzorientierte Verhalten gestützt werden muss. In den Beziehungen zu den Konkurrenten sind häufig mehrere Verhaltensstrategien nebeneinander anzutreffen (Beispiel: Kampf gegen den Marktführer mittels einer Kooperation mit den übrigen Anbietern). Darüber hinaus können verschiedene Verhaltensstrategien gegenüber ein- und demselben Konkurrenten bestehen, zum einen bei dem gemeinsamen Agieren in unterschiedlichen Teilmärkten, zum anderen bezüglich des eigenen Marketing-Mix in einem dieser Teilmärkte (Beispiel: gemeinsame Marketingmaßnahmen, aber aggressiver Preiskampf, „Coopetition“). Die einzelnen Verhaltensstrategien sind entweder direkt durch konkurrenzorientierte Maßnahmen (z. B. kooperative Verkaufsförderungsaktionen) oder indirekt über verbrauchergerichtete Maßnahmen (z. B. aggressive vergleichende Werbung) bestimmbar. Die Kampfstrategie liegt vor, wenn die totale Verdrängung bis hin zur Vernichtung von Wettbewerbern beabsichtigt ist. Eine Kampfstrategie ist zwangsläufig mit einer Marktanteils-Wachstumsstrategie verbunden (diese Aussage gilt nicht umgekehrt). Mit einer Abgrenzungsstrategie beabsichtigt der Händler, ein eigenständiges Profil gegenüber den Absatzstrategien der Mitbewerber zu erreichen. Es 12
Vgl. hierzu auch Spannagel/Träger (2005).
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 81
wird versucht, Wettbewerbsvorteile im Vergleich zu den Konkurrenten zu erzielen und diese Wettbewerbsvorsprünge (möglicherweise nur hinsichtlich eines Kriteriums) den Konsumenten auch zu verdeutlichen. Ein Händler, der Mitbewerber im Rahmen einer Imitationsstrategie planmäßig nachahmt, verzichtet auf Profilierungseffekte und versucht stattdessen, an den Vorteilen, beispielsweise des Marktführers auf dem Gebiet der Sortimentsinnovationen oder der Marktforschung, zu partizipieren. Die Strategie der horizontalen Kooperation zwischen Händlern dient dazu, Tätigkeiten im Absatzbereich möglichst effizient durchzuführen. Voraussetzung hierfür ist die Wahl geeigneter Marktpartner. Einen Überblick über die alternativen Kooperationsmöglichkeiten zwischen Händlern vermittelt der folgende Katalog: 13 • • • • • •
Marktforschungskooperation Gemeinschaftswerbung Gemeinschaftsmarken Gemeinsame Gütezeichen Gemeinsamer Einkauf Kooperationen beim technischen Kundendienst, bei der Verkaufsförderung und der Managementschulung.
Bei der Ausweichstrategie soll die unmittelbare Auseinandersetzung mit bestimmten Konkurrenten vermieden werden. Der Händler richtet sein Wettbewerbsverhalten so aus, dass er keine unerwünschten Reaktionen – etwa des Marktführers – herausfordert. Diese Strategie kann einen vollständigen Rückzug aus einem Markt bedeuten. Die Ignorierungsstrategie kennzeichnet sich dadurch, dass der Hersteller sich weitgehend unabhängig von den Reaktionen seiner Konkurrenten fühlt und das Agieren seiner Wettbewerber duldet. Diese Strategiealternative wird regelmäßig nur einem eindeutigen Marktführer offen stehen. Die Auswahl der Lieferanten und das ihnen gegenüber praktizierte Verhalten hat eine große Bedeutung für den Unternehmenserfolg im Handel. Gerade die Beschaffung akttraktiver (Marken-)Artikel kann erheblich zur Profilierung einer Einkaufsstätte beitragen. Hinsichtlich der lieferantenorientierten Basisstrategien lassen sich folgende Strategieebenen unterscheiden: (1) Beschaffungswegestrategien (2) Lieferantenauswahlstrategien (3) Beschaffungsarealstrategien (4) Verhaltensstrategien. Mit der Beschaffungswegestrategie wird die Anzahl der zwischen Hersteller und Händler geschalteten Stufen, also die Länge des Beschaffungsweges, festgelegt. Bei der Direktbezugsstrategie hat der betrachtete Händler unmittelbaren Kontakt zum Hersteller. Kommen für die Beschaffung eines Produktes nur ganz bestimmte Hersteller in Frage, so lässt sich die Beschaffung leicht auch ohne Zwischenschaltung des Großhandels organisieren. Eine Beschaffungsmittlerstrategie liegt vor, wenn zwischen Hersteller und Händler noch mindestens eine zusätzliche Stufe 13
Vgl. Hoffmann (1979), S. 147.
82 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
eingeschaltet wird. Mit zunehmender Anzahl der zur Verfügung stehenden Lieferanten und mit zunehmendem Umfang des Sortiments wird eine Arbeitsteilung im Distributionssystem zweckmäßig. Bei der einstufigen Beschaffungsmittlerstrategie wird z. B. nur ein Spezial-Großhändler zwischengeschaltet. Zweistufig ist ein Beschaffungsweg beispielsweise, wenn zusätzlich der Sortiments-Großhandel Aufgaben innerhalb des Distributionssystems übernimmt. Im Rahmen der Lieferantenauswahlstrategie hat die Handelsunternehmung die Aufgabe, festzulegen, welche Hersteller grundsätzlich für die Belieferung zur Verfügung stehen sollen. Dabei kann der Kreis der potenziellen Lieferanten horizontal mehr oder weniger eingegrenzt werden.
• Die universelle Lieferanteneinschaltung bedeutet, dass grundsätzlich kein Hersteller als Bezugsquelle ausgeschlossen wird. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass Produkte aller anbietenden Hersteller angeboten werden. Vielmehr soll z. B. die Möglichkeit offen stehen, bei ähnlichen Produkten denjenigen Hersteller auszuwählen, der die jeweils günstigsten Konditionen anbietet. • Selektive Lieferanteneinschaltung liegt vor, wenn der Händler bestimmte Hersteller von der Belieferung ausschließt, oder nur solche Hersteller in den Kreis seiner Lieferanten aufnimmt, die bestimmte Merkmale erfüllen. So kann es z. B. zweckmäßig sein, zur Aufrechterhaltung eines hohen Qualitätsimages nur solche Hersteller auszuwählen, die ihre Produkte einer genauen Qualitätskontrolle unterziehen. Denkbar ist auch, dass der Handel solche Hersteller aus der Belieferung ausschließt, deren Namen in den Augen der Kunden einen schlechten Ruf haben und somit negative Ausstrahlungseffekte auf das Händlerimage befürchten lassen. • Von selektiver Lieferanteneinschaltung wird dann gesprochen, wenn neben der qualitativen Auswahl auch noch eine quantitative Eingrenzung des Lieferantenkreises vorgenommen wird. Im Extremfall kann das bedeuten, dass ein Teil des Sortiments ausschließlich von einem Hersteller bezogen wird. Im Mittelpunkt der Beschaffungsarealstrategien stehen Entscheidungen darüber, in welcher Weise der Kreis der Lieferanten nach geographischen Kriterien eingegrenzt wird. So kann der Händler ausschließlich Produkte lokaler, regionaler oder nationaler Produzenten in seinem Sortiment führen. Nicht immer ist aber eine nationale Beschränkung möglich oder zweckmäßig, sondern es können darüber hinaus multinational oder international Bezugsquellen erschlossen werden. Hinsichtlich der Verhaltensstrategien ergeben sich ähnliche Möglichkeiten wie gegenüber der Konkurrenz. Allerdings lässt sich in den letzten Jahren eine verstärkte Bedeutung diverser Kooperationsmodelle, insbesondere im Zuge der Diskussion um das ECR-Konzept, beobachten.14 3.1.2.4 Marketinginstrumentalstrategien Der (nur gedanklich isolierbare) Handlungsplan für den Einsatz des einzelnen Instrumentes, etwa der Werbung oder der Preisgestaltung, kann als MarketingInstrumental-Strategie bezeichnet werden. Die Basis-Strategie wird also in eine 14
Vgl. Brettschneider (1999) sowie Borchert (2001).
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 83
Reihe von instrumentbezogenen Teilstrategien aufgelöst und konkretisiert. Es versteht sich, dass bei der Längsschnittplanung der einzelnen Instrumentalstrategie die Interdependenzen zwischen den Instrumenten (Querschnittplanung des Marketing-Mix) nicht vernachlässigt werden dürfen. Insofern wurde eingangs von einem „nur gedanklich isolierbaren“ Handlungsplan für das einzelne Instrument gesprochen. Die Formulierung der Instrumentalstrategien dient als Orientierung für die spezifischen Entscheidungen der für den Instrumenteeinsatz Verantwortlichen – als konkrete Interpretation der basisstrategischen Grundorientierung – und soll eine rechtzeitige Revision nicht realisierbarer oder mangelhafter Basisstrategien einleiten. Zur Verdeutlichung soll exemplarisch die Ableitung einer Instrumentalstrategie vorgestellt werden: Aus der allgemeinen Marketing-Zielvorgabe und den Basisstrategien werden zunächst instrumentebezogene Ziele fixiert. Die Leitung einer bestimmten strategischen Geschäftseinheit hat sich entschlossen, innerhalb von fünf Jahren eine erhebliche Marktanteilsausweitung durch eine Imageverbesserung anzustreben. In der Basisstrategie hat man sich auf die strikte Qualitätsorientierung im Teilmarkt des anspruchsvollen Bedarfs geeinigt. Das Marketing ist national ausgerichtet und soll sich durch Gewinnung neuer Kunden im angestammten Betätigungsfeld beschränken. Die Zielvorgabe auf der Instrumenteebene könnte für die Kommunikationspolitik lauten: Erhöhung des Bekanntheitsgrades der Betriebstypenmarke bei den relevanten Zielgruppen um 20 % im Laufe der nächsten zwei Jahre. Dieses nach Inhalt, Ausmaß, Zeit- und Segmentbezug spezifizierte Ziel kann sodann in eine Kommunikationsstrategie übersetzt werden. Die Werbekampagne hat sich dann zwingend aus den Basisstrategien vorgegebenen Orientierungen anzupassen. In diesem Fall werden die Medien nach der Zielgruppenadäquanz ausgewählt und der Werbestil dem qualitativ hochwertigen Charakter der Leistung angepasst. Die Planer auf dieser Ebene haben zudem die Aufgabe, die Budgetvorgaben zu prüfen und auf Mängel der strategischen Orientierungen hinzuweisen. Eine weitere Konkretisierung erfährt die Strategieplanung, wenn die absatzpolitischen Aktivitäten konsequent auf bestimmte Kundengruppen bzw. Schlüsselkunden ausgerichtet werden. Es kann auch von Marketing-Kundenstrategien bzw. Marktsegment-Strategien gesprochen werden. 3.1.3 Die Prozessphasen des strategischen Managements im Überblick Das strategische Management, sei es im Bereich der Unternehmung als Ganzes oder speziell im Bereich des Marketing, geht über die Funktionen der strategischen Planung und Entscheidung (Willensbildung) hinaus und umfasst auch die Phasen der strategischen Willensdurchsetzung (Steuerung bzw. Personalführung) und der strategischen Kontrolle. Der Zusammenhang zwischen den Prozessphasen des strategischen Managements sowie eine weitere Aufgliederung der einzelnen Phasen sind in Abb. im Überblick dargestellt.
84 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Willensbildung (Planung/Entscheidung)
Kontrolle
Informationsgewinnung (Anregung/Analyse/Erfolgsforschung
Lernen/Dokumentieren
Anamnese Diagnose i kl
E N T W I C K L U N G
Abweichungsanalyse Vergleich Soll/Ist
Zielplanung
D E S
Generierung alternativer Maßnahmen und Strategien Transformation des Plans in kontrollfähige Größen
Wirkungsprognose Bewertung
• planmäßiges Verhalten
Planverabschiedung
• planmäßige Ergebnisse (z.B. Budgets) • Planungsprämissen
Willensdurchsetzung (Steuerung/Führung) Abweichungsanalyse
• Implementierung („Verkauf nach innen“)
Erfassung Interpretation
Planungsprämissen
Verhalten während der Ausführung
Ergebnisse nach Ausführung
Vergleich Soll/Ist
• Transformation des Plans in Führungsgrößen
• Anweisung/Motivation Delegation/Regelung • Ressourcen-Management
E N T S C H E I D U N G S F E L D M O D E L L S
V O R P L A N R E A L I S A T I O N
Ausführung
Phasen des Steuerungsbzw. Führungsprozesses
vor Ausführung (ex ante/feed forward)
nach Ausführung (ex post/feed back)
Abb. 3.4: Prozessphasen des strategischen Managements
Alle Prozessphasen weisen bei strategischer Ausrichtung erhebliche Besonderheiten gegenüber dem operativen Management auf. So steht bei der strategischen Kontrolle die Lernorientierung (Verbesserung des Entscheidungsfeldmodelles durch systematisches, dokumentiertes Lernen aus eigenen Erfahrungen) im Vordergrund des Interesses, während die operative Kontrolle eher eingriffsorientiert (Sicherstellung der planmäßigen Ausführung auf Grund rechtzeitiger Feedback-Informationen) gestaltet ist. Im Bereich der strategischen Willensdurchsetzung treten besondere Führungsprobleme im Zusammenhang mit der Implementierung der Strategien (‚Verkauf nach innen') auf, die insbesondere bei Handelsunternehmen erfolgskritisch sein können. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen die Besonderheiten im Bereich der strategischen Willensbildung, sowohl auf der Ebene der Unternehmung als Ganzes als auch und insbesondere auf der Ebene des Marketing. 3.1.4 Strategische Erfolgsfaktoren, Erfolgspotenziale, Erfolgspositionen und Benchmarking – Begriffsabgrenzung Wie einführend dargelegt, besteht die Aufgabe des strategischen Managements in der Schaffung, dem Ausbau und der ‚Bewirtschaftung' unternehmungsspezifischer Erfolgspotenziale. Erfolgspotenziale, Erfolgsfaktoren, Erfolgspositionen und Benchmarks sind zentrale Begriffe im Bereich des strategischen Managements, die es nachfolgend zu definieren und abzugrenzen gilt.
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 85
Die strategische Planung wird aus unterschiedlichen Informationsquellen gespeist. In Abb. wird ein Raum aufgespannt, in dem in vertikaler Richtung zwischen der Vorausschätzung von Informationen (Antizipation) und der nachträglichen Erfassung von Informationen (Ex-post-Reflexion) unterschieden wird, während in horizontaler Richtung danach differenziert wird, ob die Erfahrungen bzw. Vorausschätzungen selbst angestellt werden oder von anderen Personen bzw. Unternehmen stammen. Erwartung (Ex ante) Futurologie
Erforschung der strategischen Pläne anderer Unternehmungen
Eigene Prognosen
Erwartungsbildung im Rahmen der strategischen Planung Eigen
Fremd (unternehmungsübergreifend)
(innerhalb der Unternehmung)
Beobachtung erfolgreicher Konzepte von Kollegen bzw. Konkurrenten (externes Benchmarking)
Interne Erfolgsfaktorenforschung und Benchmarking • Systematisches Lernen aus natürlichen MarktExterne experi menten (im ZuErfolgsfaktorenforschung sammenhang mit dem z.B. PIMS-Studie strategischen Controlling) Marktforschungsinstitute • Gestaltung und Auswer(z.B. Scannerdatentung künstlicher Marktauswertungen) experimente Erfahrung (Ex post)
Abb. 3.5: Informationsquellen des strategischen Marketingmanagements
Es zeigt sich, dass die Erfolgsfaktorenforschung gleichbedeutend ist mit dem Lernen aus den Vergangenheitserfahrungen anderer Unternehmen und/oder des eigenen Unternehms.15 Strategische Erfolgsfaktoren werden aus der einzelfallübergreifenden Analyse von in der Vergangenheit abgelaufenen strategischen Managementprozessen gewonnen. In Abb. wird der Prozess der Erfolgsfaktorenforschung in sehr vereinfachter Form am Beispiel der PIMS-Studie verdeutlicht. PIMS heißt ‚Profit Impact of Market Strategy' und verkörpert eine umfassende Datensammlung aus ca. 250 Unternehmungen bzw. ca. 3000 strategischen Geschäftseinheiten unterschiedlicher Branchen und Länder. Aus den analysierten Daten werden Aussagen über die Ursachen des Erfolgs einer Unternehmung abgeleitet und Empfehlungen für die strategische Unternehmungsplanung gegeben.
15
Zur Erfolgsforschung vgl. allgemein Ahlert/Evanschitzky/Hesse (2005), S. 362 ff.
86 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Aus der Perspektive einer bestimmten Unternehmung handelt es sich bei der PIMS-Studie um externe Erfolgsfaktorenforschung. Soweit die Unternehmung über eine Mehrzahl vergleichbarer Betriebsstätten verfügt, wie es z. B. bei den Massenfilialsystemen und kooperativen Gruppen des Handels der Fall ist, kann sie eine interne Erfolgsfaktorenforschung organisieren. Denkbar ist auch, Erfolgsfaktoren aus dem systematischen Vergleich zwischen verschiedenen strategischen Geschäftseinheiten (Querschnittanalyse) oder zwischen mehreren in der Vergangenheit abgelaufenen Management-Prozesszyklen (Längsschnittanalyse) innerhalb derselben Unternehmung zu gewinnen. Die interne Erfolgsfaktorenforschung kann als ein Aufgabengebiet des sog. strategischen Controllings aufgefasst werden. Wie noch näher dargelegt wird, ist Erfolgsfaktorenforschung nicht mit Benchmarking gleichzusetzen. Benchmarking bedeutet das Lernen von vorbildlichen Einzelfällen. Benchmarks im Sinne von exzellenten Praktiken können ganze Unternehmungskonzeptionen, Teilkonzepte, Konzeptbausteine oder einzelne Prozesse sein. Benchmarking bedeutet also die systematische Analyse von ‚Gewinnern‘, während die Erfolgsfaktorenforschung herauszufinden trachtet, welche Merkmale ‚Gewinner‘ von ‚Verlierern‘ signifikant unterscheiden. In der Münsteraner Distributions- und Handelsforschung, die sich sehr intensiv mit diesen Fragen befasst hat, werden Erfolgsfaktorenforschung und Benchmarking zum Begriff der Strategischen Erfolgsforschung zusammengezogen.16
Räumliche Dimension
Sachliche Dimension Ebene: • Prozesse • Einzelbetrieb • Netzwerk • komplette Wertschöpfungskette
• standortspezifisch • regional • national • international
Zeitliche Dimension
Branche: • branchenintern • branchenübergreifend
• Querschnitt-Analyse • Längsschnitt-Analyse
Die Erforschung exzellenter Praktiken
Benchmarking Typ A
Erfolgsfaktorenforschung
Ganzheitliche Erforschung exzellenter Unternehmungs konzeptionen
Erhebung von Merkmalen durch die sich exzellente von nicht erfolgreichen Konzepten signifikant unterscheiden
Partialanalytische Erforschung exzellenter TeilKonzepte, Konzeptbausteine und Prozesse
Typologieexzellente Management-Konzepte
Typologie exzellente Konzeptbausteine und Prozesse
Typologie exzellente Unternehmungskonzeptionenund-konzeptlinien [mit zugriffsorientiertem Ausweis der Anwendungsvoraussetzungen ]
[mit hohem Fit in differenten situativen Kontexten]
Benchmarking Typ B
[mit situationsbezogenem Zugriff auf geeignete Baustein-Varianten]
Abb. 3.6: Formen der Erfolgsforschung
16
Vgl. Krönfeld (1995); Alves (1996); Eickhoff (1997) sowie Hesse (2004).
3.1 Grundzüge des strategischen Handelsmarketing 87
Bei der (strategischen) Erfolgsposition handelt es sich ganz allgemein um das Ergebnis, das eine bestimmte Unternehmung durch den Prozess der strategischen Erfolgsgestaltung erreicht hat. Der Ausdruck „Position“ deutet auf eine bestimmte Stellung in einem „Raum“ hin. Vereinfachend werden Positionierungen oft in zwei- oder dreidimensionalen Abbildungen dargestellt. Faktisch können aber nDimensionen das Kaufverhalten der Konsumenten beeinflussen und daher den potenziellen Positionierungsraum aufspannen. Wie noch dargelegt wird, können strategische Geschäftseinheiten bestimmte Positionen in der Portfolio-Matrix einnehmen, oder eine Einkaufsstätte hat im Verhältnis zur Konkurrenz eine bestimmte Position im psychologischen Merkmalsraum des sog. Positionierungsmodells. Es erscheint konsensfähig, den Begriff Erfolgsposition im engeren Sinne – sofern keine andersartigen Spezifizierungen vorgenommen werden – als Konstrukt des Positionierungsmodells zu verstehen: Eine besonders vorteilhafte Position hat die Unternehmung mit ihrem Produkt, ihrer Leistung, ihrer Einkaufsstätte, etc. erlangt, wenn ihr Realimage (Marken- bzw. Einkaufsstättenimage) in den Augen einer hinreichend großen Anzahl von Kunden näher an deren Idealvorstellungen liegt, als die Realimages der wichtigsten Konkurrenten. Das sog. Positionierungsmanagement kann daher als spezielle Ausprägung des strategischen Managements bezeichnet werden und umfasst die Summe aller Aktivitäten, um solche vorteilhaften Positionen zu erkennen und zu erreichen bzw. diese zu stabilisieren.17 Das strategische Erfolgspotenzial, oder besser die strategischen Erfolgspotenziale können als zentraler, wesensbestimmender und übergreifender Begriff des strategischen Managements charakterisiert werden. Gemeint sind damit die in einem bestimmten Unternehmen tatsächlich vorhandenen Voraussetzungen, die es diesem Unternehmen erlauben, langfristig überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen. Es handelt sich folglich um die spezifische Kompetenz, das unverwechselbare Unternehmensprofil, die Unique Selling Proposition (USP), den komparativen Konkurrenzvorteil (KKV) – oder wie immer diese Potenziale in der Literatur und Praxis bezeichnet werden. Fragt man allgemein nach den Quellen des zukünftigen Erfolges in einer bestimmten Unternehmung, so bietet sich die folgende Dreiteilung der Erfolgspotenziale an: 1. Der Erfolg der Vergangenheit: Es ist durchaus keine Banalität, wenn man sagt: „Erfolgsfaktor Nr. 1 ist der Erfolg!", denn die vorhandenen Ressourcen einer Unternehmung sind das Ergebnis des strategischen und insbesondere operativen Managements der Vergangenheit, und sie determinieren ganz wesentlich die Freiheitsgrade bzw. Restriktionen des strategischen Weges in zukünftig bedeutsame Marktfelder. Hohe Vergangenheitserfolge bilden aber keine Garantie für die gesicherte Existenz in der Zukunft, sondern können tatsächlich auch eine Gefahr für den künftigen Erfolg darstellen, wie bpsw. JENNER zeigt.18 2. Die gegenwärtige Erfolgsposition: Speziell im Bereich des strategischen Positionierungsmanagements ist bekannt, dass das Erreichen einer attraktiven Wunschposition (in der Einstellung der Kunden) ganz wesentlich von der 17 18
Vgl. Rudolph (1993); Kollenbach (1995) sowie Mihm (1998). Vgl. Jenner (2003), S. 203 ff.
88 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Ausgangsposition abhängig ist. Gravierende Umpositionierungen (z. B. vom Discounter zur Boutique) scheitern häufig an dem Glaubwürdigkeitsproblem. 3. Spezifische Bereitschafts- und Fähigkeitspotenziale zur strategischen Fortentwicklung: Hiermit sind die Größen angesprochen, die in Literatur und Praxis im engeren Sinne als Erfolgspotenziale bezeichnet werden. Grundsätzlich können in jedem unternehmerischen Bereich Erfolgspotenziale aufgebaut werden. Zu den unter (3) erwähnten Potenzialen und Ressourcen gehören einerseits die unmittelbar – als Bestandteile des Marktauftritts einer Unternehmung – an der Schnittstelle zum Markt wahrnehmbaren Größen (Absatzprogramm, Personalverhalten, Unternehmungskommunikation, visuelles Erscheinungsbild, etc.), andererseits Größen im Bereich des Systemhintergrundes, die mittelbar den Marktauftritt bestimmen.19 Im Mittelpunkt stehen dabei die Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit der mitgestaltenden, lenkenden oder ausführenden Aufgaben betrauten Individuen in der Unternehmung, also besondere Qualifikationen im Bereich der Human-Ressourcen. Wie stark es nun gelingt, das Erfolgspotenzial „HumanRessourcen“ zu nutzen und auszubauen, wird maßgeblich von der Form der Unternehmungsorganisation und -führung, der Management-Technologie, aber auch von infrastrukturellen Größen wie Kommunikatons- und Informationstechnologien bestimmt. Mithin können auch diese Größen Erfolgspotenziale der Unternehmung darstellen. Um der ohnehin in diesem Bereich vorherrschenden babylonischen Begriffsverwirrung nicht noch Vorschub zu leisten, wird auf die Verwendung weiterer Termini wie Erfolgsdimensionen, Erfolgsursachen bzw. –determinanten, etc. verzichtet.
3.2 Das Grundverständnis strategischen Planens und Handelns in der Handelsunternehmung Die strategische Unternehmungsführung hat in ihrer relativ kurzen Geschichte in Literatur und Praxis eine Vielzahl von Missverständnissen erfahren. Bereits 1985 kam JÖRG LINK diesbezüglich zu dem folgenden Ergebnis: „Seitdem strategische Planung zum Modethema geworden ist, wächst leider auch die Gefahr eines oberflächlichen und unfachmännischen Umganges mit den neuen Lehren. Wie groß das Wissensdefizit ist, zeigt beispielsweise eine Umfrage unter größeren deutschen Unternehmen: Eine überwältigende Mehrheit verneint die Aussage, strategische Entscheidungen könnten auch von Geschäfts-Bereichsleitungen getroffen werden."20
19 20
Vgl. hierzu auch Evanschitzky (2003), S. 122 ff. Link (1985), S. 248 ff.
3.2 Das Grundverständnis strategischen Planens und Handelns 89
Um dem Leser ein Grundverständnis strategischen Denkens zu vermitteln erscheint es zweckmäßig, an diesen weit verbreiteten Missverständnissen anzuknüpfen und die Wesensmerkmale des strategischen Managements heraus zu arbeiten.21 3.2.1 Strategisches und operatives Planen im Rahmen des evolutionären Managements Ein weit verbreitetes Missverständnis in der Diskussion des Strategiebegriffs ist, dass strategische Planung stets langfristigen Charakter hat. Diese weit verbreitete Ansicht läuft darauf hinaus, dass operative Planung kurzfristig sei und durch Ausdehnung des Planungshorizontes zur strategischen Planung würde. Tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen lang-, mittel- und kurzfristiger Planung so sinnvoll und aussagefähig wie die Einteilung der Säugetiere in lange, mittellange und kurze Tiere.22 Wie eingangs schon ausgeführt, unterscheidet sich strategische von operativer Planung dadurch, dass neue Erfolgspotenziale zur Zukunftssicherung der Unternehmung geschaffen und ausgebaut werden sollen, anstatt nur aus den vorhandenen Erfolgspotenzialen den bestmöglichen wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. In der Unternehmungspraxis kommt es auf eine sinnvolle Kombination dieser beiden Ansätze im Rahmen des evolutionären Managements an: Die Perfektionierung des vorhandenen Geschäftes setzt überhaupt erst die Ressourcen frei, um den Vorstoß in neue, risikobehaftete Gefilde wagen zu können. Dabei kann die bestmögliche Ausschöpfung der vorhandenen Potenziale durch operatives Management durchaus auch langfristig angelegt sein, während der strategische Vorstoß in neue Marktfelder in relativ kurzer Zeit erfolgen kann. Die dadurch neu geschaffenen Erfolgspotenziale sind dann wiederum bestmöglich zu nutzen, d. h. die strategischen Grobpläne sind in operative Detailpläne umzusetzen (vgl. Abb.).
21
Vgl. zu dieser Vorgehensweise Link (1985), S. 248 ff.
22
Vgl. Link (1985), S. 248.
90 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
KurzMittelLangfristplanung Zeitablauf Ist
Soll R
Standort
Ausgangsposition
o
u
t
Wunschort
e
Zielposition
Strategie
Externe Einflüsse
Interne Einflüsse
Planungsansätze
Synoptische Planung
Inkrementalistische Planung
Antizipative Festlegung der kompletten Route
Wahl des ersten Schrittes und „muddling through“ Evolutionäres Management
Schaffung der internen Voraussetzungen planmäßiger Evolution = Management der Erfolgspotentiale
Schaffung neuer Erfolgspotentiale
Ausschöpfung vorhandener Erfolgspotentiale
Strategisches Management
Operatives Management
Abb. 3.7: Das Management der strategischen Erfolgspotenziale
Im Planungszeitpunkt befindet sich die Unternehmung in einer bestimmten Ausgangssituation (‚Standort'; vorhandene Erfolgsposition). Strategisches Denken bedeutet, nach neuen Betätigungsfeldern zu suchen, für die bestimmte Wünsche und Anforderungen formuliert werden (‚Wunschort'; strategische Zielkonzeption). Nur in Ausnahmefällen verfügt die Unternehmung bereits im Planungszeitpunkt über hinreichend präzise Vorstellungen über die anzustrebende Situation und den optimalen Weg dorthin. Wird die Abfolge geplanter Einzelmaßnahmen, die durchgeführt werden müssen, um unter Einwirkung der externen und internen Einflussgrößen vom Standort zum Wunschort zu gelangen – also die ‚Route' – als Strategie bezeichnet, so können nun drei verschiedene Ansätze der Strategieplanung unterschieden werden.23
• Als synoptische Planung wird der Versuch bezeichnet, die komplette Route definitiv vorauszubestimmen. Dies ist nur bei einem sehr weit reichenden Informationsstand über den ‚Wunschort' und die Wirkungsweise der externen und internen Einflussgrößen möglich, über den gerade im Bereich des strategischen Managements in der Regel niemand verfügt. • Das andere Extrem besteht darin, sich auf die Wahl des ersten Schrittes zu beschränken, d. h. auf langfristige Planung bewusst zu verzichten. In dieser Poli-
23
Vgl. Bergmann (1988), S. 41ff.
3.2 Das Grundverständnis strategischen Planens und Handelns 91
tik des „muddling through“ (inkrementalistische Planung) ist wohl keine ernstzunehmende Alternative zu sehen. • Der geeignete ‚Kompromiss' kann in dem Ansatz des evolutionären Managements gesehen werden. Er geht von der Einsicht aus, dass Unternehmungen nur begrenzt steuerbar sind, weil 1. komplexe soziale Systeme (hier: Unternehmungen) auf Grund ihrer inneren Dynamik in einem gewissen Sinne ein Eigenleben entwickeln, das nicht ohne weiteres unter Kontrolle gebracht werden kann und 2. dynamische, ex ante nicht vorhersehbare Entwicklungen der Unternehmungsumwelt einen evolvierenden Kontext erzeugen, bei dem niemand die jeweils optimale Lösung (‚Wunschort' oder ‚Route') kennen kann, mithin noch keine Erfahrungen vorliegen. Aus der begrenzten Steuerbarkeit einer Unternehmung wird die Schlussfolgerung abgeleitet, dass eine synoptische Rationalität der strategischen Planung unangemessen ist. Vielmehr kann der Weg in eine existenzgesicherte Zukunft nur in Grundzügen geplant werden und die Schrittfolge im Rahmen der strategischen Planung nur soweit vorausgeplant werden, wie es der Informationsstand über zukünftige interne und externe Einflussfaktoren zulässt. Die grundsätzliche Marschrichtung kann dabei durch ein Unternehmungs-Leitbild in der Weise festgelegt werden, dass nicht erwünschte Richtungen ausgegrenzt werden. Die Aufgabe der Geschäftsführung besteht darin, die internen Voraussetzungen einer ‚geplanten’ Evolution zu schaffen. Es kommt darauf an, geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten, damit das System auf Grund der ihm innewohnenden Selbstorganisationsdynamik permanent in Richtung der unbekannten und sich ständig wandelnden Optimallösung evolvieren kann. Mit anderen Worten: Die Unternehmung ist mit Fähigkeiten auszustatten, die diese in die Lage versetzen, auf dem Weg vom Standort zum Wunschort die zielführende Strategie evolutorisch fortzuentwickeln und an den ebenfalls evolvierenden Kontext anzupassen. Dabei bleibt es häufig nicht aus, von Zeit zu Zeit auch die strategische Zielkonzeption zu revidieren. Das heißt: Auch der ‚Wunschort' ist keine feststehende, sondern eine sich dynamisch fortentwickelnde Kategorie strategischen Managements. Zu diesem Zweck werden unter anderem die folgenden Empfehlungen an das Handelsmanagement bereitgehalten, die hohe Anforderungen an die Führungskräfte stellen: • Verzicht auf zentrale Problemlösungen und Implementierung radikaler Lösungen nach der Bombenwurfstrategie „Top to Down“ und • Verzicht auf streng hierarchische Organisationsstrukturen mit detaillierten Anweisungssystemen bei relativ geringen Handlungsspielräumen des Personals in unteren Organisationseinheiten.
Stattdessen ist eine Strategie von „Versuch und Irrtum“ zu organisieren, die sich z. B. durch eine Projektorganisation in einer dezentralen, partizipativen Problembewältigung mit weiten Spielräumen zur eigenverantwortlichen Entscheidungsfindung eher realisieren lässt. Im Handel ist dies beispielsweise in den Firmen Karstadt und Tchibo zu beobachten, in denen oftmals der Führungskräftenachwuchs
92 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
die Aufgabe erhält, eigene Projekte zu entwickeln und nach Möglichkeit zu realisieren. Die Problemlösung wird dadurch nicht von außen aufgezwungen, sondern wächst unter aktiver Beteiligung des betroffenen Personals „von innen heraus“. Die Partizipation ist nicht nur deswegen nützlich, weil die Mitarbeiter vor Ort über intime Sachkenntnisse verfügen, die sie in den Prozess der strategischen Planung einbringen können. Vor allem kommt es darauf an, dass sich die Mitarbeiter mit dem gefundenen Konzept der gewählten Strategie persönlich identifizieren können. Um den unvermeidlich positiv oder negativ wirkenden Einflüssen aus dem unternehmungsinternen und -externen Bereich begegnen zu können, ist zudem eine permanente Anpassung durch ein lern- und koordinationsorientiertes Controllingsystem vorgesehen. Zusammenfassend bildet strategisches Management keine Alternative zum operativen Management, sondern beide sind zu einem ganzheitlichen Management der strategischen Erfolgspotenziale zu verknüpfen. In Zeiten der Instabilität des Kontextes kann die Anpassungsfähigkeit als wichtigstes Erfolgspotenzial angesehen werden: „Evolution beruht immer darauf, auf Vorhandenem aufzubauen, Bewährtes zu bewahren und vom jeweils erreichten Entwicklungsstand aus weitere Neuerungen auszuprobieren".24 Manager fungieren dabei nicht als ‚Macher' oder Kommandeure, sondern als Katalysatoren und Kultivateure eines selbstorganisierenden Systems in einem evolvierenden Kontext. 3.2.2 Maßgrößen und Kriterien des strategischen Managements Aufwand/Ertrag/Deckungsbeitrag/Return on Investment sind quantitative, statische Maßgrößen. Zur Beurteilung und Steuerung des operativen Verhaltens (Ausschöpfung vorhandener Erfolgspotenziale) sind sie hinlänglich geeignet. Warum aber sind diese Kennziffern nicht für strategische Entscheidungen geeignet? Erstens werden bei der Umrechnung des Totalerfolges einer Unternehmung in Periodenerfolge auch im modernen internen Rechnungswesen – erst recht im konventionellen Rechnungswesen – regelmäßig Fehler gemacht. Dies sei an einer Glosse verdeutlicht, der wir den Titel „Heiligenerzählung“ geben wollen: In die Filiale eines Warenhauskonzerns wird ein junger Filialleiter entsandt mit dem Auftrag, „den Laden auf Vordermann“ zu bringen. Die Konzernleitung ist mit der Entwicklung des Filialdeckungsbeitrages unzufrieden. Der Neue schafft es innerhalb von nur zwei Jahren, den Deckungsbeitrag hochzupushen, indem er den gesamten Aufwand für Einkaufsstättenprofilierung (sprich Imagewerbung, Gebäudeerhaltung, etc.) rigoros zusammenstreicht, das Bedienungspersonal radikal ausdünnt, unter Verzicht auf Vollständigkeit der Sortimente die Schnelldreher mit Sonderpreisaktionen forciert und die defizitäre Lebensmittelabteilung nach dem Store-in-the-Store Prinzip an eine Discountkette vermietet. Auf Grund der höchst beachtlichen Sanierungserfolge wird dieser Filialleiter in die zentrale Verkaufslei24
Malik/Probst (1981), S. 125.
3.2 Das Grundverständnis strategischen Planens und Handelns 93
tung berufen, der Return on Investment in dem sanierten Haus geht in der Folgezeit drastisch zurück, und unser Manager genießt fortan eine Legende: „Die Filiale hatte Schieflage, bevor ER kam, sie blühte auf unter IHM, und sie ging nieder, nachdem ER sie verließ". Die Verwendung der falschen Maßgrößen für die Beurteilung des Unternehmungserfolges und insbesondere die fehlerhafte Periodenabgrenzung kommen im Bereich des Marketing besonders bei Investitionen in das Image, so genannten Marktinvestitionen, darüber hinaus aber auch bei Investitionen in die HumanRessourcen vor. Gerade in diesen Bereichen liegen die Erfolgspotenziale, auf die das strategische Augenmerk besonders gerichtet sein sollte. Zweitens lässt sich der Erfolg strategischer Entscheidungen nicht in eindimensionalen, quantitativen Größen ausdrücken. Die strategische Zielkonzeption umschließt eine mehrdimensionale Beschreibung des „Wunschortes“, insbesondere auch mit qualitativen Maßgrößen wie z. B. • • • • •
Firmenimage, Marktadäquanz der Leistungen, Technologische Überlegenheit, Kreativität, Flexibilität, Verfügung über rechtliche Schutzpositionen (Vertragssysteme, Patente, Warenzeichen, etc.), • Know-how, Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter, etc. Drittens ist darauf hinzuweisen, dass der operative Bereich den Bereich harter wirtschaftlicher Fakten, der robusten Maßnahmen und der hohen Prognosesicherheit darstellt. Demgegenüber spielen sich strategische Entscheidungen im Bereich hoher struktureller und substanzieller Ungewissheit ab: Die Prognosen beruhen auf „schwachen Signalen“. Wird von dem aus der operativen Denkweise gespeisten „synoptischen Planungswahn“ Abstand genommen, muss man sich stets darüber im Klaren sein, dass niemand die optimale Route im Vorhinein kennt – und damit weiß auch niemand, wann man sie verlassen hat. Die Unternehmung ist mit den Potenzialen auszustatten, um sich evolutorisch den Weg zum Wunschort nicht nur durch alle vorausgesehenen, sondern auch durch die unerwartet eintreffenden Widerstände und Widrigkeiten zu bahnen. Dies setzt außer den erwähnten Fähigkeiten auch die Bereitschaft (Willigkeit) zum Aufbruch in unbekannte Felder voraus. Zusammenfassend ist darauf hinzuweisen, dass nicht Aufwand und Ertrag, sondern mehrdimensionale, qualitative Zielgrößen Maßstäbe der strategischen Planung sind. Dieser seit vielen Jahren postulierten Selbstverständlichkeit hat die anglo-amerikanische Managementliteratur inzwischen durch das Konzept der ‚Balanced Scorecard‘25 versucht gerecht zu werden.
25
Vgl. Kaplan/Norton (1997).
94 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
3.2.3 Zur Frage des Marktbezugs des strategischen Managements Wesentliches Kennzeichen der Marketingkonzeption ist die Formel: Führung der gesamten Unternehmung vom Markt her. Es liegt nun nahe, diese Orientierung auf die strategische Planung zu übertragen. Dies wäre aber verfehlt: Die Märkte sind nicht Ausgangspunkt, sondern Zwischenergebnis der strategischen Planung. Sind die Märkte erst einmal definiert, so ist ein wesentlicher Teil der strategischen Arbeit bereits getan. "Im Rahmen der strategischen Planung wird nämlich darüber entschieden, welche Märkte überhaupt als relevant/interessant für das Unternehmen angesehen werden können und wie sie von anderen Märkten abgegrenzt oder auch mit anderen Märkten zu einem Gesamtmarkt verschmolzen werden sollen... Man nennt die solchermaßen abgegrenzten, eigenständigen Märkte üblicherweise ‚Strategische Geschäftseinheiten'. Ausgewählt und bearbeitet werden nur jene ‚Strategischen Geschäftseinheiten', bei denen Chancen und Risiken in Verbindung mit den eigenen Stärken und Schwächen Aussicht auf eine gute Wettbewerbssituation bieten".26 3.2.4 Die Funktion von Planungsstäben Strategische Planung ist Bestandteil eines umfassenden Aufgabenkomplexes, nämlich des strategischen Managements. Strategisches Management umschließt die Phasen der • strategischen Willensbildung, • strategischen Willensdurchsetzung und der • strategischen Kontrolle.
Es ist offensichtlich, dass das strategische Management eine ureigene Aufgabe der Linieninstanzen ist und Stäbe hier allenfalls unterstützend tätig werden können. Dass es gerade bei schwierigen Aufgaben selbstverständliche Pflicht ist, dass ein ‚Kapitän’ die Schiffsführung und ein ‚Chirurg' das Skalpell nicht an Gehilfen übergibt, steht außer Frage. Strategische Planung gehört zum harten Kern jener Führungsaufgaben, die von den Linienmanagern jeweils höchstpersönlich und mit größtem Engagement wahrzunehmen sind. Stabsstellen leisten wichtige Vorarbeiten, bringen Methodenkenntnisse ein, können dafür sorgen, dass nach einer bestimmten Technologie geplant und dass die Teilpläne aufeinander abgestimmt werden (Koordinationsfunktion des strategieorientierten Controlling). Weder Stabsstellen noch neuerdings Controllingorganisationen sind berufen, die strategische Planung zu übernehmen. Ebenso wenig kann diese an externe Berater übertragen werden.
26
Link (1985), S. 250.
3.2 Das Grundverständnis strategischen Planens und Handelns 95
3.2.5 Zur Frage der Partizipation an der strategischen Planung In der Literatur zum strategischen Management wird regelmäßig die Forderung erhoben, dass strategische Planung den obersten Führungskräften vorzubehalten ist. Bei genauerem Hinsehen ist dieses Postulat aber zum Teil zu modifizieren. Zwar lassen sich für die Beschränkung der strategischen Planung auf die oberste Führungsebene unter anderem folgende Argumente ins Feld führen:
• ‚Frontoffiziere’ dürfen nicht mit strategischen Zweifeln belastet werden, wenn sie ihre Tagesarbeit erfolgreich erfüllen sollen. • Auf Grund der Betroffenheit der mittleren und unteren Führungskräfte durch strategische Entscheidungen können diese nicht in den strategischen Entscheidungsprozess einbezogen werden. • Wegen der Geheimhaltungsproblematik ist der Kreis der Beteiligten möglichst klein zu halten. • Je mehr Führungskräfte an der strategischen Planung beteiligt werden, desto größer ist der Zeitaufwand und desto weniger Zeit verbleibt für das wichtige operative Geschäft. Gleichwohl lassen sich aber die folgenden Gegenargumente nennen:
• Die Beteiligung der mittleren und unteren Führungskräfte an den strategischen Entscheidungen ist eine conditio sine qua non für die Lösung der anschließenden Umsetzungsprobleme. • Auf die intimen Sachkenntnisse und den Einfallsreichtum der Basis kann bei strategischen Entscheidungen nicht verzichtet werden. • Wenn man sich in Abkehr vom synoptischen Planungswahn dem Gedankengut des evolutorischen Managements verschrieben hat, ist die Beteiligung aller Führungskräfte an strategischen Entscheidungen eine unumstößliche Selbstverständlichkeit. • Es ist gerade das Wesen des Konzepts der strategischen Geschäftseinheiten, dass mittlere und untere Führungskräfte als Verantwortliche für diese strategischen Geschäftseinheiten an dem Prozess des strategischen Managements beteiligt sind. • Dem Einwand Betroffenheit und Geheimhaltung kann entgegengehalten werden, dass natürlich in höchst sensiblen Bereichen Ausnahmen von dem allgemeinen Partizipationsgebot zulässig sind. 3.2.6 Zur Frage des Timings der strategischen Planung Die strategische Planung ist Bestandteil des strategischen Managements, das durch den in der folgenden Abbildung dargestellten kumulativen Zirkel über die Zeitachse abgebildet werden kann.
96 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Erwartung Ex Ante
Informationsversorgung
Informationsversorgung
Planung/ Entscheidung
Planung/ Entscheidung
Willensdurchsetzung
Willensdurchsetzung
Zeit eingriffsorientiert
lernorientiert
Kontrolle
eingriffsorientiert
lernorientiert
Kontrolle
Ex Post Erfahrung
Abb. 3.8: Der Managementprozess in dynamischer Betrachtung
Wie die zweckmäßige Zeitstruktur (Timing) beschaffen ist, hängt von der Dynamik der Umwelt/der Märkte ab. Im Handel sind im Allgemeinen kleinere Intervalle notwendig als in der Industrie, und im stationären Einzelhandel kleinere als im Großhandel. Nur in Ausnahmefällen ist es denkbar, dass eine strategische Planung einmal jährlich sinnvoll sein kann. Vielmehr ist dieser Planungsrhythmus eher ein Indiz für den mangelnden Willen, den verabschiedeten Plan überhaupt durchzusetzen. Der Nutzen einer guten strategischen Planung besteht gerade darin, einen Weg zur Schaffung ausreichender Erfolgspotenziale zu weisen, dessen Ziel und Richtung eben nicht jedes Jahr mit hohen Kosten und großen Reibungsverlusten neu gesucht und ausgehandelt werden müssen. Im Übrigen widerspricht es dem Grundgedanken des evolutionären Managements, dem strategischen Denken eine starre Zeitstruktur zu verordnen. Im Folgenden sollen drei zentrale strategische Instrumente genauer betrachtet werden: Konkret sind dies die GAP-Analyse, die Portfoliotechnik, sowie handelsspezifischer das Positionierungsmodell sowie die Erfolgsforschung.
3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing 97
3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing 3.3.1 Das Analyse-Instrumentarium im Überblick Ergänzend zu den bisherigen eher grundlegenden Ausführungen zum Thema „Marketingforschung“ im zweiten Kapitel, vermittelt die Abbildung 3.9 einen Überblick über das umfangreiche Analyseinstrumentarium der strategischen Marketingforschung. Hier kann in der Phase der Datengewinnung zunächst die Primärforschung von der Sekundärforschung abgegrenzt werden indem nach der Datenherkunft (field vs. desk research) unterschieden wird. Aufbauend auf dieser Phase können verschiedene Methoden der Datenaufbereitung zur Anwendung kommen. Neben klassischen Häufigkeitsverteilungen, in denen zumeist Mittelwerte berechnet werden (z.B. durchschnittliche Kundenzufriedenheit) kommen in der Handelspraxis insbesondere Korrelations- und Regressionsanalysen zur Anwendung. Diese Verfahren sollen dabei helfen, Zusammenhänge zwischen bestimmten Zielgrößen des Marketings zu quantifizieren (z.B. Umsatzentwicklung und Kundenzufriedenheit). Den dritten Instrumentalbereich bilden dann die Methoden der Informationsverarbeitung. Hier lassen sich Prognosen und spezielle Analyseverfahren unterscheiden. Aufgrund ihrer besonderen praktischen Relevanz sollen letztere im Folgenden ausführlicher behandelt werden. Methoden der Datengewinnung - Erhebungsmethoden Primärforschung (field research) Befragung persönlich
schriftlich
telefonisch
Sekundärforschung (desk research) Beobachtung persönlich
extern
intern
maschinell
auf Basis einer - Vollerhebung - Teilerhebung mit experimentellem Design als - Laborexperiment - Feldexperiment
- Absatz- und Umsatzstatistik - Kostenrechnung - Berichtswesen - Kundenkartei - Berichte des Außendienstes - etc.
- Zeitschriften - Testberichte - Amtl. Statistiken - Vebände - Kataloge/ Prospekte der Konkurrenz - etc.
Methoden der statistischen Datenaufbereitung Skalierung Unvariate Methoden -Kreuztabulierung - Nominalskala - Ordinalskala - Intervallskala - Verhältnisskala
- Korrelationsanalyse - Regressionsanalyse
Dateninterpretation Multivariate Methoden ... zur Analyse von Abhängigkeiten - multiple Regressionsanalyse - multiple Varianzanalyse ... zur Analyse von Zusammenhängen - Faktoranalyse - multidimensionale Skalierung ... zur Klassifikation - Clusteranalyse - Diskriminanzanalyse
Prognosen -Trendextrapolation - exponenzielle Glättung -Analogiemethode - Expertenbefragung - Szenariotechnik
Methoden der Informationsverarbeitung spezielle Analyseverfahren - Gap- Analyse - Lebenszyklusanalyse - Portfolio-Methode - Positionierungs- Modell - Wertkettenanalyse
Abb. 3.9: Das Analyseinstrumentarium der strategischen Marketingforschung im Überblick
98 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
3.3.2 Die GAP-Analyse als Instrument zur Identifikation von strategischen Handlungsbedarfen Die GAP-Analyse ist ein traditionelles Instrument der Schwachstellenanalyse. Sie dient dazu, Planungsprobleme aufzuspüren und entsprechenden Handlungsbedarf rechtzeitig aufzuzeigen. Den Ausgangspunkt bildet eine prognostizierte Zielfunktion. Sie stellt die gewünschte Entwicklung der Erfolgsgröße (z. B. Umsatz oder Deckungsbeitrag) im Zeitablauf dar. Der Zielfunktion wird eine Basisfunktion gegenübergestellt (vgl. Abb.). Diese beschreibt den prognostizierten Verlauf der Erfolgsgröße unter der Annahme, dass keine weiteren Maßnahmen in den betrachteten Perioden geplant bzw. ergriffen werden. Die Basisfunktion wird durch das ihr zu Grunde liegende Lebenszykluskonzept charakteristisch geprägt. Der Übergang der Produkte/Märkte in die Reife- bzw. Sättigungsphase und der damit verbundene Umsatzrückgang führen zu einem Abflachen der Funktion und somit zu einer immer größer werdenden Diskrepanz zwischen Ziel- und Basisfunktion, welche als strategische Lücke oder GAP bezeichnet wird. Wurde ein Teil dieser Lücke bereits durch geplante Maßnahmen oder Projekte ausgefüllt, so wird dieser als „gedeckter“ Bereich gekennzeichnet. Zur Schließung der verbleibenden „ungedeckten“ Lücke stehen verschiedene strategische Ansätze zur Verfügung. Die Auswahl geeigneter Strategien zur Lückenfüllung erfolgt nach dem Gesetz der abnehmenden Synergie, d. h. es werden zunächst jene Strategien angewendet, die das größte Synergiepotenzial unter Ausnutzung gegenwärtiger Wettbewerbsvorteile und Stärken ausschöpfen. Wählt man z. B. die Produkt/Markt-Matrix nach ANSOFF als Ausgangspunkt, so wird in der ersten Stufe die Strategie der Konzentration gefahren. Die Unternehmung bleibt hier innerhalb des angestammten Tätigkeitsbereiches (aktueller Markt bzw. aktuelle Produkte) und kann daher mit geringem Aufwand ein Höchstmaß an Synergien nutzen. Reicht diese Strategie nicht zur Füllung der strategischen Lücke aus, so sind in weiteren Schritten gegebenenfalls die Strategien der Differenzierung, Innovation oder Diversifikation auf Eignung zu prüfen und entsprechend anzuwenden (vgl. Abb.). Das Synergiepotenzial nimmt dabei mit zunehmender Entfernung vom ursprünglichen Tätigkeitsbereich ab.
3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing 99
Umsatz pro Jahr
4. Diversifikation
3. Produktentwicklung
2. Marktentwicklung
1. Marktdurchdringung
3 Mrd. €
Ohne zusätzliche Maßnahmen
2004
Zeit
Abb. 3.10: Die GAP-Analyse
Diese einfache, deterministische Form der GAP-Analyse kann durch die Berücksichtigung von Erfolgswahrscheinlichkeiten geplanter Projekte stochastisch erweitert werden. Durch ergänzende qualitative Strukturanalysen der strategischen Lücken können Informationen bezüglich geeigneter Produkte zur Schließung der Lücke gewonnen werden. Die Vorteile der GAP-Analyse bestehen in der Beschränkung auf rein quantitative Daten, die zudem leicht rechenbar und durch EDV problemlos erfassbar sind. Sie erleichtert den für das „Management by objectives" unverzichtbaren Zielbildungsprozess insofern, als dass hierbei auf eine „rationale" Daten-Basis zurück gegriffen werden kann. Damit übt sie auch gleichzeitig eine Integrationsfunktion innerhalb des Planungssystems aus. Kritisch anzumerken ist insbesondere, dass die GAP-Analyse im Gegensatz zur Portfolio-Methode keine integrative Perspektive beinhaltet und somit eine gezielte Förderung einzelner Geschäftseinheiten unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs somit nicht möglich ist. Die zur Analyse benötigten elementaren Funktionen sind mit prognostischer Unsicherheit behaftet und können daher zu Fehlentscheidungen führen. Zusammenfassend besteht die Kernaufgabe des strategischen Managements darin, eine Vielzahl arbeitsteiliger Einheiten unter ständig wechselnden Umständen, die eine exakte, detaillierte Planung unmöglich machen, auf ein gemeinsames Ziel, den Aufbau von unternehmungsspezifischen Erfolgspotenzialen, hin zu koordinieren. Um diese Koordinationsaufgabe erfüllen zu können, hat sich mit der Portfolio-Methode quasi ein Standardinstrument heraus gebildet, das im Folgenden kurz dargestellt werden soll.
100 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
3.3.3 Die Portfolio-Technik als zentrales Koordinationsinstrument Diversifizierte Unternehmungen stehen vor dem Problem, gleichzeitig eine oftmals hohe Anzahl unterschiedlicher Betriebstypen und Vertriebslinien managen zu müssen. Dazu ist es notwendig, dass sich die Unternehmungsführung zunächst einen Überblick über die Tätigkeitsfelder verschafft. Das Handelsmanagement muss weiterhin über die Einführung neuer oder die Liquidation bereits vorhandener Geschäftsbereiche entscheiden und prüfen, ob die Status quo-Kombination der Geschäftsbereiche auch künftig die Existenz der Unternehmung sichern kann. Die Portfolio-Methode erfüllt in diesem Zusammenhang zwei Funktionen: Sie dient zum einen im Rahmen der Situationsanalyse als Analyse-Instrument und ermöglicht so einen umfassenden Überblick über die Tätigkeitsbereiche der Unternehmung. Zum anderen wird diese Methode im weiteren Verlauf des Planungsprozesses zur Ableitung strategischer Stoßrichtungen verwendet. Das Ziel besteht darin, für die gesamte Unternehmung eine ausgewogene sachliche und zeitliche Kombination der Geschäftsbereiche unter Berücksichtigung der Interdependenzen herbeizuführen und somit vorhandene und zukünftige Erfolgspotenziale zu sichern. Der Portfolio-Methode liegen drei Konzepte zu Grunde: • das Lebenszykluskonzept, • die PIMS-Studie und • das Erfahrungskurvenkonzept.
Das Lebenszykluskonzept ist Ausgangspunkt aller Überlegungen für die Anwendung der Portfolio-Methode. In Analogie zum Lebenszyklus biologischer Organismen wird hierbei unterstellt, dass auch der Umsatz- und Absatzverlauf dem „Gesetz des Werdens und Vergehens" folgt.27 Produkte werden entwickelt, auf den Markt gebracht, dort akzeptiert und vermehrt nachgefragt, um schließlich nach einiger Zeit wieder vom Markt verdrängt zu werden. Es ist allgemein üblich, diesen Zyklus in Einführungs-, Wachstums-, Reife-, Sättigungs- und Degenerationsphase einzuteilen (vgl. Abb.).
27
Vgl. Meffert (2000), S. 338f.
3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing 101
Einführungs- Wachstumsphase phase
Reifephase
Sättigungsphase
Degenerationsphase
Gesamtnachfrage (Mengeneinheiten pro Jahr)
0
×0
Jahre
Branchenretabilität (Gesamtkapitalrendite in %)
Jahre
Abb. 3.11: Das Lebenszykluskonzept
Aus finanzwirtschaftlicher Perspektive ergeben sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Phase folgende Besonderheiten: Produkte in der Einführungsphase zeichnen sich durch einen sehr hohen Investitionsbedarf aus und erwirtschaften nur geringe Deckungsbeiträge. Während die in der Wachstums- und Reifephase befindlichen Produkte durch einen zunehmenden Finanzüberschuss, einhergehend mit einem abnehmenden Investitionsbedarf, gekennzeichnet sind, verringern sich in der Sättigungsphase sowohl das benötigte Investitionsvolumen als auch die Höhe der erzielten Deckungsbeiträge. Merkmal der Degenerationsphase ist schließlich, dass die Nachfragemengen rückläufig sind und die Rentabilität der Branche gegen null läuft. Bei einer ausgeglichenen Kombination der Geschäftsfelder können die erwirtschafteten Finanzüberschüsse den Produkten mit hohem Investitionsbedarf in der Einführungs- und Wachstumsphase zugeführt werden. Die seit 1972 existierende PIMS-Studie des Strategic Planning Institute beinhaltet die Analyse finanzieller und strategischer Daten von über 3.000 Geschäftsfeldern der ca. 450 an der Untersuchung beteiligten Unternehmungen verschiedener Branchen.28 Ziel dieser Studie ist es, die Auswirkungen strategischer Schlüsseldimensionen auf die Rentabilität und das Umsatzwachstum zu analysieren sowie einen entsprechenden Nachweis für einen Zusammenhang zwischen Unternehmungsstrategie und -erfolg zu erbringen. Als strategische Erfolgsfaktoren ermittelt das Projekt vor allem das Marktwachstum (MW) und den relativen Marktanteil (RMA), hier verstanden als der Marktanteil der Unternehmung in Relation zum 28
Vgl. Buzzell/Bradley (1989).
102 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Marktanteil des stärksten Wettbewerbers. Sowohl der relative Marktanteil als auch das Marktwachstum korrelieren stark positiv mit der Rentabilität und dem Cashflow. Neben den o. g. Faktoren spielen die Unternehmungsgröße, die Produktqualität, das Know-how, die Produktionstechnologie und die Managementqualifikation eine entscheidende Rolle. Dem Erfahrungskurvenkonzept liegt die Annahme zu Grunde, dass bei einer Verdopplung der kumulierten Ausbringungsmenge die inflationsbereinigten Stückkosten um 20-30 % sinken (vgl. Abb.). Diese Kostensenkung lässt sich durch die im Zeitablauf gewonnenen Erfahrungen und den daraus resultierenden Verbesserungen erklären. So führen z. B. Analysen des Logistikprozesses und die anschließende Optimierungen zu einer Steigerung der Produktivität, die sich unmittelbar in einer Reduktion der Kosten niederschlagen kann.29 Der Erfahrungskurveneffekt tritt jedoch nur dann ein, wenn das Kostensenkungspotenzial erkannt wird und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.
Grenzkosten
100 erfahrungsdegressiv
80
1000
2000
Kumulierte Menge (ME)
Abb. 3.12: Der Erfahrungskurveneffekt
Aus dem Erfahrungskurvenkonzept lässt sich ebenfalls die Bedeutung des relativen Marktanteils und des Marktwachstums für den Unternehmungserfolg herleiten. Ein hoher relativer Marktanteil beinhaltet demnach ein entsprechend großes Kostensenkungspotenzial, welches bei hohem Marktwachstum auch relativ schnell ausgeschöpft werden kann. Die Bedeutung des RMA und des MW für den Unternehmungserfolg wird also sowohl empirisch durch die PIMS-Studie als auch theoretisch durch das Erfahrungskurvenkonzept bestätigt. Diese Erfolgsfaktoren bilden die Grundpfeiler für das von der BOSTON CONSULTING GROUP entwickelte Basismodell der PortfolioAnalyse. Durch dieses Verfahren soll ein ausgeglichenes Portfolio unter Berück-
29
Vgl. hierzu Thonemann/Berenbeck/Diederichs et al. (2003), S. 26f.
3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing 103
sichtigung von finanzwirtschaftlichen und risikopolitischen Aspekten geschaffen werden (vgl. Abb.).
Marktwachstum (%)
Question Mark
Star
Einführungsphase
Investitionen
Wachstumsphase
Deckungsbeitrag
Lebenszyklus I
II
Richtung des Cash-flow
Ø Dog
Cash Cow
Sättigungs-, Degenerationsphase
III 0
Ø
Reifephase
Durchschnittliches Marktwachstum aller bearbeiteten Marktsegmente
IV 0,5
Relativer Marktanteil =
1,0
2,0
4,0
Marktanteil der Unternehmung Marktanteil des stärksten Konkurrenten
Abb. 3.13: Schema der 4-Felder Matrix
Ausgehend von den Ergebnissen einer Ist-Analyse werden im ersten Schritt strategische Geschäftseinheiten (SGE) gebildet. In einem Handelskonzern (z.B. Tengelmann) könnten diese zum Beispiel mit den verschiedenen Betriebsformen und -typen korrespondieren (z.B. Plus, OBI, Kaisers). Die Abgrenzung der SGE ist eine zwingende Voraussetzung für die Durchführung der Portfolio-Methode30, da zu einem späteren Zeitpunkt eindeutige Strategien für jede SGE formuliert werden, die unabhängig von anderen SGE durchführbar sein müssen. Diese Voraussetzung ist im Handel nicht immer erfüllt. So bestehen in großen Handelssystemen oft zahlreiche Interdependenzen zwischen den Vertriebslinien (z.B. gemeinsamer Einkauf der Basissortimente). Neben dem formalen Kriterium der Unabhängigkeit sind die Funktion der Betriebsform aus Kundensicht und die Beschaffenheit der Märkte weitere Abgrenzungskriterien. Allgemein ist bei der Bildung von SGE einerseits darauf zu achten, dass diese nicht zu groß definiert werden dürfen, um eine Vermischung der Strukturen (Kompetenz, Verbundeffekte, Synergien) zu vermeiden. Andererseits besteht bei einer zu detaillierten Abgrenzung die Gefahr, dass bestehende Interdependenzen zwischen den SGE nicht berücksichtigt werden, der planerische Aufwand zu groß wird und der Überblick verloren geht. Im zweiten Schritt werden die so abgegrenzten SGE in einer sog. 4-FelderMatrix positioniert, an deren Achsen der relative Marktanteil (z.B. der Anteil von 30
Vgl. Roventa (1981).
104 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Plus am Gesamtumsatz der Discounter) und das geschätzte zukünftige Marktwachstum abgetragen werden. Durch die Positionierung werden die SGE den mit Questionmark, Star, Cash Cow oder Dog bezeichneten Strategiefeldern zugeordnet, für die jeweils folgende generelle Normstrategien abgeleitetet werden.
• Questionmark: Für die Geschäftsfelder mit geringem Marktanteil in einem schnell wachsenden Markt wird ein selektives Vorgehen empfohlen. Je nach Erfolgsaussicht wird eine Investitions- oder Desinvestitionsstrategie gewählt. • Star: Diese durch eine Investitionsstrategie zu fördernden Geschäftsfelder mit großen Wachstumschancen und hohen Kostenvorteilen stellen das eigentliche Erfolgspotenzial der Unternehmung dar. • Cash Cow: Für die Geschäftsfelder mit geringem Investitionsbedarf und hohem Finanzüberschuss wird eine Abschöpfungsstrategie angeraten, d. h. sie sollen möglichst lange in ihrer Position gehalten und „gemolken“ werden. Der Cashflow wird den finanzbedürftigen SGE zugeführt. • Dog: Für diese SGE ohne zukünftiges Erfolgspotenzial (geringe Wachstumschancen) und ohne Kostenvorteile (geringer relativer Marktanteil) wird eine Desinvestitionsstrategie vorgeschlagen. Die Umsetzung der generellen Normstrategie kann für einzelne SGE durch die Kennzeichnung gewünschter Zielorte im Portfolio visualisiert werden. In der 4-Felder-Matrix wird die Ableitung der Normstrategien nur auf die eindimensionalen und quantitativen Erfolgsfaktoren relativer Marktanteil und Marktwachstum zurückgeführt. Die damit verbundenen Nachteile und Gefahren bei der Strategieableitung führten in einer Weiterentwicklung des Basismodells zu einer verbesserten 9-Felder-Matrix, die es ermöglicht, eine Vielzahl von Einflussfaktoren zu berücksichtigen. An den Achsen der Matrix werden nun die mehrdimensionalen Parameter Marktattraktivität und relativer Wettbewerbsvorteil abgetragen, die sich aus der Aggregation verschiedener quantitativer und qualitativer Größen ergeben. Zur Ermittlung der Marktattraktivität werden beispielsweise das Marktwachstum und die Marktgröße, die Marktqualität, die Energie- und Rohstoffversorgung sowie die Umweltsituation analysiert. Die Dimension relative Wettbewerbsvorteile umfasst beispielsweise die relative Marktposition, die Kundenzufriedenheit und -bindung, die informationstechnologische Ausstattung, die Markenstärke sowie die relative Qualifikation der Führungskräfte und Mitarbeiter. Als geeignetes Aggregationsverfahren wird zumeist ein Scoring-Modell verwendet, in dem die qualitativen Merkmalsausprägungen bepunktet, gewichtet und anschließend zu einer einzigen Dimension aggregiert werden.31 Nach erfolgter Positionierung der SGE werden ebenfalls entsprechende Normstrategien abgeleitet, wobei die selektiven Strategien in Abhängigkeit von den Erfolgsaussichten zu gestalten sind. Ausgehend von einem Ist-Portfolio kann zusätzlich für einzelne SGE differenziert die gewünschte Stoßrichtung in einem Soll-Portfolio visualisiert werden.
31
Vgl. exemplarisch Meffert (2000), S. 399f.
3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing 105
Abb. 3.14: Grundschema der 9-Felder-Matrix (Quelle: Hinterhuber, 1996, S. 149) Die Portfolio-Methode besitzt gegenüber der GAP-Analyse den Vorteil des integrativen Planungsansatzes, d. h. es erfolgt eine ganzheitliche Betrachtung des Planungsproblems unter Berücksichtigung finanz- und erfolgswirtschaftlicher Perspektiven. Zudem können strategische Erfolgspotenziale und grobe Stoßrichtungen aufgezeigt werden. Kritisch ist neben einer allgemeinen Prämissenkritik (Lebenszyklus-, Erfahrungskurvenkonzept, PIMS-Studie) die hohe Sensitivität des Verfahrens anzumerken. Bereits geringfügige Änderungen bei der Abgrenzung der SGE, Auswahl der Achsenbezeichnung oder der Kriterien zur Matrix-Rasterung führen zu erheblichen Konsequenzen bei der Strategieauswahl. In diesem Zusammenhang ist auf eine zum Teil unvollständige und mit Unsicherheiten (z. B. MW-Prognose) behaftete Informationsbasis hinzuweisen. Insbesondere bei der 9-Felder-Matrix ist die Aggregation sehr unterschiedlicher Dimensionen zu einer Maßgröße mit einem entsprechenden Informationsverlust verbunden. Die streng formalisierten Handlungsempfehlungen geben keine Hinweise auf die konkrete Ausgestaltung der Strategien. Die Portfolio-Methode ist wohl der bekannteste und von Dozenten und Beratern am besten verkäufliche Teil der strategischen Planung, dennoch ist sie ein Splitter im Gesamtkomplex der Problemstellungen. Außerdem ist auf den folgenden Sachverhalt hinzuweisen: Die großen Probleme des strategischen Handelsmarketing treten weniger im Zusammenhang mit der Anwendung der PortfolioMethode auf, sondern bestehen darin, für die einzelnen Märkte bzw. strategischen Geschäftseinheiten konkrete Angebote zu konzipieren, die sich unter den bestehenden Wettbewerbsverhältnissen am Markt durchsetzen. Dies gilt insbesondere für Handelsbetriebe, die nur selten ein systematisches Innovationsmanagement
106 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
(z.B. auf der Ebene der Betriebstypen) betreiben. Von besonderer Bedeutung sind an dieser Stelle neben Marktkenntnissen auch Kreativität und Risikobereitschaft.32 3.3.4 Positionierungsmanagement im Handel Das Positionierungsmodell ist eine Methode der Informationsverarbeitung, die dem Zweck dient, strategische Stoßrichtungen zu konkretisieren. Ausgangspunkt ist ein bereits vorhandener Markt, auf dem verschiedene Anbieter eines bestimmten Leistungskomplexes (z. B. Produktgattung bzw. Handelsbetriebstyp) operieren. Das Positionierungsmodell ist ein spezifisches Abbild dieses Marktes, das durch eine segmentierende Erfassung der Abnehmer gekennzeichnet ist und dem Auffinden sog. Marktnischen dient. Auf der Grundlage dieses „Modells vom relevanten Markt“ können Ansatzpunkte für die Absatzpolitik abgeleitet werden. Das strategische Vorgehen gliedert sich also in die beiden Phasen Informationsgewinnung und -aufbereitung (Aufbau des Positionierungsmodells) und Ableitung von Konsequenzen für die Absatzpolitk (Positionierungsgestaltung). Grundlage des Positionierungsmodells ist die Erhebung von Informationen (z. B. durch Befragungen) über:
• die wichtigsten Beurteilungskriterien der aktuellen und potenziellen Abnehmer in Bezug auf den Handelsbetriebsform (z. B. Einkaufszentrum), • die Idealvorstellungen der Abnehmer von einer Einkaufsstätte dieser Gattung (Ermittlung von Idealimages) und • die Realvorstellungen der Abnehmer von den vorhandenen Handelsunternehmen (Ermittlung von Realimages).
Die erhobenen Beurteilungskriterien, die möglicherweise mittels der Faktorenanalyse auf eine begrenzte Anzahl von Dimensionen zu verdichten sind, werden herangezogen, um einen sog. psychologischen Merkmalsraum aufzuspannen.33 Im einfachsten Fall erhält man ein zwei-dimensionales Modell, das dann oft aus den beiden Achsen „Preis“ und „Qualität“ aufgespannt wird. Da diese beiden Kriterien aber zum einen oft korreliert sind und zum anderen heute für die Positionierung komplexer Angebotsleistungen als zu grob erscheinen, soll auf eine vertiefende Darstellung dieses (zu) einfachen Falls verzichtet werden. Stattdessen zeigt die folgende Abbildung die Positionierungen im deutschen Lebensmittelhandel in einem mehrdimensionalen Raum. Um diese zu ermitteln, werden die Kunden gebeten, bekannte Anbieter hinsichtlich vorgegebener Kriterien (z. B. „gutes Preisleistungsverhältnis“) zu bewerten.34 Mit Hilfe der metrisch skalierten Antworten können dann die Distanzen der jeweiligen Anbieter (a) zu den Items und (b) zum Wettbewerb ermittelt werden. Eine graphische Darstellung dieses Wahrnehmungsraumes wird mit einer Gruppe von Verfahren möglich, die als mehrdimensionale Skalierung (MDS) bezeichnet wird. Mit Hilfe der MDS können unterschiedliche 32 33 34
Link (1985), S. 250. Vgl. bspw. Backhaus et al. (2003). Müller-Hagedorn (2001), S. 101f. verwendet hierfür den Begriff der Korrespondenzanalyse.
3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing 107
Objekte (hier: Händler) so abgebildet werden, dass die geometrische Nähe der wahrgenommenen Ähnlichkeit im mehrdimensionalen Raum wiedergibt. Damit können strategische Gruppen, die ähnlich wie Marktsegmente nach innen homogen, nach außen aber heterogen erscheinen, identifiziert werden. Demnach besteht der Wettbewerb im LEH aus drei Gruppen, die man als „Preisorientierte“ als „Sortiments- und Erlebnisorientierte“ sowie als „Personalorientierte“ bezeichnen könnte. Die Idealposition könnte nun darin bestehen, diese drei Erfolgspositionen durch intelligente Konzepte (z.B. mit Hilfe von Selbstbedienungstechnologien) in einer Position zu integrieren.
....führt Eigenmarken mit einen guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
....bietet seine Waren besonders preisgünstig an.
Plus PennyMarkt
....hat freundliches Verkaufspersonal.
....gibt mir das Gefühl, dass der Kunde König ist.
Aldi Lidl
...bietet bei Bedarf eine gute Beratungsleistung.
andere Spar Edeka Rewe Kaisers HL-Markt Tengelmann ....achtet besonders auf die Frische der Produkte.
....vermittelt eine angenehme Einkaufsatmosphäre.
...macht den Einkauf zu einem Erlebnis. ...hat angenehme Ladenöffnungszeiten.
Globus ...hat eine großzügige, unbeengte Ladengestaltung.
Kaufland
Marktkauf
Real Wal*Mart
....bietet ein besonders umfangreiches Sortiment.
Abb. 3.15: Positionierungen im deutschen LEH (vgl. Müller-Hagedorn, 2001, S. 101)
3.3.5 Erfolgsfaktorenforschung und Benchmarking im Handel Die Erfolgsfaktorenforschung und das Benchmarking bilden zwei unterschiedliche Wege, um Informationen über vorbildliche Praktiken zu erlangen.35 Wie bereits angedeutet wurde, besteht das Anliegen der Erfolgsfaktorenforschung darin, durch einen einzelfallübergreifenden Vergleich von ‚Gewinnern‘ und ‚Verlierern’ diejenigen strategischen Erfolgsursachen (Erfolgsfaktoren) aufzudecken, deren Existenz es dem Handelsmarketing erlaubt, eine längerfristig erfolgreiche Stellung im Markt (Erfolgsposition) zu erreichen, zu erhalten oder auszubauen. Während die Erfolgsfaktorenforschung in industriellen Unternehmungen auf eine Tradition von über 30 Jahren zurückblicken kann (vgl. z. B. das PIMSProgramm), ist der Handel erst seit Mitte der 80er Jahre in den Mittelpunkt empirischer Untersuchungen gerückt.36 Dem praktisch-normativen Aussagegehalt der Erfolgsfaktorenforschung sind jedoch Grenzen gesetzt: 35 36
Vgl. hierzu und zum folgenden Ahlert/Schröder (2001). Vgl. bspw. Patt (1988) sowie Burmann (1995).
108 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Ein Ergebnis der Untersuchungen ist, dass die Flexibilität, mit der sich eine Unternehmung an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann, den zentralen Erfolgsfaktor bildet. Dabei sind einerseits Unternehmungen sehr erfolgreich, die eine hohe Kreativität besitzen und selbst neue Konzepte entwickeln. Andererseits sind auch solche Unternehmungen sehr erfolgreich, die über die Fähigkeit und die Bereitschaft verfügen, exzellente Konzepte aufzuspüren, diese auf ihre Übertragbarkeit hin zu überprüfen und ggfs. nachzuahmen. Mit der Erfolgsfaktorenforschung kann jedoch keine Antwort auf die Frage nach konkreten Informationen für ein vorbildorientiertes Management gegeben werden. Insbesondere auf Grund des Problems, dass die Erfolgsfaktorenforschung Daten über die miteinander verglichenen Unternehmungen einschließlich ihrer situativen Faktoren teilweise stark verdichtet, eignen sich die Ergebnisse nicht, um konkrete Gestaltungsempfehlungen auszusprechen. Der wesentliche Nutzen der Erfolgsfaktorenforschung besteht vielmehr darin, Anregungsinformationen zu liefern und thematische Suchfelder einzugrenzen, in denen Erfolgskonzepte aufzuspüren sind. Informationen über erfolgreiche Praktiken müssen somit auf einem anderen Weg gewonnen werden. Dieser Weg kann nur darin bestehen, konkrete Einzelfälle zu erheben, d. h. erfolgreiche Gesamt- oder Teilkonzepte zu identifizieren und zu analysieren. Vorbildorientiertes Management benötigt Informationen über konkrete erfolgreiche Praktiken, die Rahmenbedingungen ihrer bisherigen Anwendung und die Anwendungsbedingungen in der eigenen Unternehmung. Für den Vorgang der systematischen Suche und Auswertung von Informationen über erfolgreiche Praktiken und ihre Übertragungsvoraussetzungen wird auch der Begriff Benchmarking verwendet: Lernen von erfolgreichen Vorbildern oder Praktiken umfasst den Vorgang des Erwerbs von Erfahrungen und Wissen, um sich der Umwelt anzupassen. Durch die Ausrichtung auf konkrete Einzelfälle dominiert die unternehmungsindividuelle Sichtweise, die den geringsten Abstraktionsgrad bzw. die höchste Spezifität aufweist. Die konstitutiven Merkmale des Benchmarking lassen sich wie folgt zusammenfassen:37
• Verfolgung des Ziels einer Verbesserung der Wettbewerbssituation, • systematische Suche nach Vorbildern in der eigenen Unternehmung (internes Benchmarking), der eigenen Branche oder auch darüber hinaus (externes Benchmarking), • Identifikation von Erfolgsursachen und Übertragungsvoraussetzungen, • Verbindung von Bewährtem und Neuem (innovative Imitation), • Integration in einen Management-Prozess. Das Benchmarking orientiert sich an den zentralen Wettbewerbsparametern Kosten, Qualität und Zeit:
37
Vgl. zum Folgenden: Schröder, (1998).
3.3 Instrumente des strategischen Handelsmarketing 109
• Kosteneinsparungen durch den Verzicht auf die Entwicklung neuer Leistungen, • Qualitätsverbesserungen durch das Vermeiden der Entwicklung und Produktion unausgereifter Leistungen, • Zeiteinsparungen durch den Verzicht auf eigene Entwicklungen und Tests. Das Benchmarking kann sich auf unterschiedliche räumliche, sachliche und zeitliche Dimensionen beziehen. Hinsichtlich des Umfangs wird dabei die ganzheitliche Erforschung exzellenter Konzeptionen (Benchmarking Typ A) und die partialanalytische Erforschung exzellenter Teilkonzepte, Konzeptbausteine und Prozesse unterschieden (Benchmarking Typ B). Beide Typen ermöglichen eine zielorientierte Typologisierung exzellenter Vorbilder und stellen damit die Basis für die Übertragung in die eigene Unternehmung dar.
Phase 1
Grobe Eingrenzung des BenchmarkingFeldes
Phase 2
Festlegung konkreter BenchmarkingInhalte
Phase 3
Phase 4
Identifikation erfolgreicher Vergleichsunternehmungen
Erklärung der Unterschiede zwischen der Eigenen und der Vergleichsunternehmung
Phase 5
Definition von Verbesserungszielen und -programmen
Phase 6
Ständige Prüfung der Erfolgsstandards
Feedback
Abb. 3.16: Der Benchmarking-Prozess (Quelle: In Anlehnung an Ottenjann, 1995; S. 172)
Idealerweise wird das Benchmarking durch die Erfolgsfaktorenforschung begleitet. Diese bietet zusätzlich die Möglichkeit einer Identifikation derjenigen Merkmale, anhand derer sich exzellente Praktiken von weniger erfolgreichen unterscheiden. Hierdurch wird einerseits eine Konkretisierung von Gestaltungsempfehlungen für die eigene Unternehmung ermöglicht. Andererseits kann so aber auch eine Sammlung erfolgreicher Konzepte bzw. Konzeptbausteine mit einem hohen Abstraktionsniveau und einer entsprechenden Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Situationen initiiert werden.38 38
Ein anschauliches Beispiel hierfür bietet Eickhoff (1997).
110 3 Ziele und Strategien des Handelsmarketing
Als typische Fehler des Benchmarking in der Handelspraxis sind die folgenden Punkte zu nennen:39
• • • • • •
moralische und rechtliche Bedenken bzgl. des „Abkupferns anderer Ideen“, Ablehnung fremder Ideen, fehlende Bereitschaft zur Umorientierung, mangelnde interpersonale Kommunikation, Beschränkung auf 1:1-Kopien, strukturelle Hindernisse in der Unternehmungsorganisation.
Mit den genannten Instrumenten steht dem Handelsmarketing ein umfassendes Instrumentarium zum strategischen Management bereit. Gleichwohl ist die systematische Nutzung dieser Instrumente in der Handelspraxis bisher eher gering. Dies hat neben der hohen Belastung des Managements mit operativen Aufgaben sicherlich auch damit zu tun, dass die hohe Dynamik im Handel eine häufige Revision der strategischen Planung notwendig macht. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass Unternehmen, die ohne strategische Planung geführt werden, Gefahr laufen, strategische Fehlentscheidungen zu treffen, die gravierende Folgen haben können.
39
Zum Thema „Strategische Erfolgsforschung und Benchmarking in Handel und Distribution“ vgl. ausführlich Ahlert/Schröder, (1998).
4 Die Betriebstypenpolitik
4.1 Begriff und Grundlagen Betriebstypen sind ein wichtiges Produkt einer Handelsunternehmung.1 Sie prägen oft das Bild, das die Kunden von einem Handelsbetrieb haben. Eine planvolle Gestaltung der Betriebstypenpolitik ist daher eine wichtige Voraussetzung für den handelsbetrieblichen Erfolg. Gegenstand des strategischen Betriebstypenmanagements ist die Planung, Realisation und Kontrolle sämtlicher betriebstypenbezogener Maßnahmen. Durch die Entwicklung marktgerechter Formate sollen Erfolgspotenziale generiert werden. Da das Auffinden, die Entwicklung und die Durchsetzung neuer Betriebstypen zu den schwersten Aufgaben im Handel gehören, wählen viele etablierte (Filial-)Unternehmen den Weg, als tragfähig erkannte neue Lösungen in ihr Konzept zu integrieren. Organisatorisch wird dies oft durch eine mehr oder weniger eigenständige Projektorganisation abgebildet.2 Vom Begriff des „Betriebstypen“ ist die „Betriebsform“ abzugrenzen. Diese Abgrenzung bereitet in der Literatur nach wie vor Probleme.3 Die anhaltende Diskussion hat dazu geführt, dass einige Autoren vorschlagen, auf diese Begriffe zu verzichten und durch andere zu ersetzen.4 Diesem Vorschlag soll hier nicht gefolgt werden. Stattdessen sollen die beiden Begriffe in Anlehnung an Ahlert/Olbrich (2001, S. 11f.) wie folgt unterschieden werden: 1. Betriebsformen stellen unternehmensübergreifende Systematiken von Handelsbetrieben dar, die durch Klassifikation oder Typisierung entstehen können. 2. Betriebstypen stellen hingegen unternehmensindividuelle Systematiken von Betreibungskonzepten dar. Sie entstehen durch Typisierung der Betreibungskonzepte einer Unternehmung. Allgemeiner kann somit der Begriff „Betriebsform“ zur Kennzeichnung einer unternehmensübergreifenden handelsbetrieblichen Waren/Dienstleistungskombination genutzt werden. Insofern beschreibt er eher ein Abstraktum z. B. „das Warenhaus“, „den Discounter“, etc. Konkretisiert sich dieses Abstraktum in Form einer unternehmensindividuellen Systematik, kann man hierfür auch den Begriff „Betriebstyp“ verwenden. Unternehmensindividuelle, konkrete Ausprägungen der Betriebsform „Warenhaus“ sind beispielsweise „Kaufhof“ innerhalb der Metro AG oder „Karstadt“ innerhalb der KarstadtQuelle AG. 1 2 3 4
Einen Überblick über Betriebstypen im Handel bietet u. a. Tietz (1993), S. 29ff. Vgl. hierzu Vogel (2001). Vgl. bspw. Weinberg/Puper (2004), S. 43ff. sowie ausführlich Ahlert/Olbrich (2001). Vgl. beispielsweise Oehme (2000), S. 316.
112 4 Die Betriebstypenpolitik
Durch die Charakterisierung der Betriebsform als Waren-/Dienstleistungskombination werden die Interdependenzen zwischen diesem Bereich und der Sortimentspolitik deutlich. In diesem Kontext könnte man auch vom doppelten Leistungsprinzip des Handelsmarketing sprechen, da der Händler sich nicht nur Gedanken zur Waren- sondern auch zur Konfiguration der Dienstleistungskomponente machen muss. Schließlich sind Interdependenzen zu berücksichtigen, die sich beispielsweise aus den Anforderungen bestimmter Lieferanten ergeben können. So stellen die Produzenten hochwertiger Markenartikel oftmals Anforderungen an die Betriebstypen, in denen die Ware distribuiert werden kann. Einen Überblick über einige Elemente der Handelsleistung gibt die folgende Abbildung. Die Kernleistung des Handelsbetriebs besteht dabei in der Zusammenstellung attraktiver Sortimente. Diesem Punkt wird daher ein eigenes Unterkapitel gewidmet.
Kostenlose Lieferung Installation
Warenpräsentation
Beratungsleistung
Hotlines Markenname Andienungsform
Sortiment Service Erreichbarkeit
Garantieleistungen
Formale Leistung
Ladenlayout
Finanzierungsmöglichkeiten
Beschwerdemanagement
Kernleistung
Abb. 4.1: Elemente der Handelsleistung
Aus der obigen Abbildung wird ersichtlich, dass es nahezu unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten zwischen Ware und Dienstleistung gibt. Diese Komplexität ist aus wissenschaftlicher Sicht problematisch, da sie die Ableitung genereller, allgemeingültiger Aussagen tendenziell erschwert. Um dieses Problem zu lösen, hat die Handelswissenschaft frühzeitig damit begonnen, Instrumente und Kriterien zur Systematisierung zu entwickeln. Ein probater Ausgangspunkt der systematischen Darstellung von Betriebstypen ist die Klassifizierung von Handelsbetrieben. Hierzu sind verschiedene Ansätze in der Literatur vorgestellt worden. Einen Vorschlag von HANSEN zeigt die folgende Abbildung. Hansen unterteilt Handelsbetriebe zunächst in Binnen- und Außenhandelsbetriebe. Innerhalb der in diesem Kontext besonders interessierenden Binnenhandelsbetriebe werden nach dem Merkmal der Stufigkeit ein- und mehrstufige Betriebe unterschieden. Mehrstufige Betriebe sind dadurch gekennzeichnet, dass sie mindestens eine Großhandelsstufe und die Einzelhandelsstufe integriert haben.
4.1 Begriff und Grundlagen 113
Im Bereich der mehrstufigen Betriebe lassen sich nach der Art der Zusammenarbeit zwei Unterformen unterscheiden. Auf der einen Seite sind dies die Kooperationsformen, bei denen sich die Zusammenarbeit zwischen oder innerhalb der jeweiligen Stufen in einer freiwilligen Kooperationsbereitschaft zwischen selbstständigen Unternehmen manifestiert. Beispiele für solche kooperativen Betriebe oder Systeme sind die REWE-Handelsgruppe, die EDEKA, Garant Schuh oder Interfunk („Red ZAC“). Auf der anderen Seite stehen Konzentrationsformen. Hier erfolgt die Zusammenarbeit auf Basis hierarchischer Prinzipien. Die Mitglieder, z. B. die Geschäftsführer einzelner Filialen oder Tochterunternehmen, sind von den Weisungen einer Zentrale abhängig und vertraglich verpflichtet, diese zu befolgen. Beispiele für diese straff geführten Systeme sind die Metro oder der KarstadtKonzern.
Handelsbetriebe Binnenhandelsbetriebe
Mehrstufige Handelsbetriebe (Integrationsformen) Kooperationsformen
Außenhandelsbetriebe
Einstufige Handelsbetriebe (Betriebsformen)
Konzentrationsformen
Exporthandelsbetriebe
Großhandelsbetriebe (GH)
Importhandelsbetriebe
Einzelhandelsbetriebe
Klassifikationsmerkmale 1. Einkaufsgenossenschaften
1. Konsumgenossenschaften
2. Freiwillige Ketten
2. Filialunternehmen
3. Handelskooperative 4. Einkaufskontore/ -ringe
3. Filialisierte Großunternehmen wie z.B. Warenhausketten, Supermarktketten 4. Filialisierte Großunternehmen mit diversifiziertem Betriebs formenprogramm
1. Marktorientierung (Aufkauf-, Absatz-GH) 2. Sortimentsdimensionen (Sortiments-, Spezial-GH) 3. Warenarten (ProduktionsKonsumwaren-GH) u.a. 4. Funktionsausübung 4.1 Qualitätsfunktion (aussortierender, sortimentsbildender GH) 4.2 Qualitätsfunktion (distribuierender, kollektierender GH) 4.3 Zeitüberbrückungsfunktion (Strecken-GH, lagerhaltender GH) 4.4 Raumüberbrückungsfunktion (Liefer-GH, Loko-GH: z.B. cash and carry)
1. Boutique 2. Closed Shop 3. Discounthaus 4. Einheitspreisgeschäft 5. Fachgeschäft 6. Fachmarkt 7. Fahrverkauf 8. Gemeinschaftswarenhaus 9. Gemischtwarengeschäft 10. Haustürhändler 11. Kaufhaus 12. Kleinpreisgeschäft 13. Markengeschäft 14. Mega - Markt 15. Off - Price - Handel 16. Selbstbedienungsladen 17. Spezialgeschäft 18. Supermarkt 19. „Tante-Emma-Laden“
20. Tele-Shop 21. Verbrauchermarkt 22. Versandhaus 23. Warenhaus 24. Einkaufspassage (Betriebsformenkollektiv) 25. Einkaufszentrum (Betriebsformenkollekti) 26. Internetshop 27. Havariemärkte
Abb. 4.2: Systematik von Handelsbetrieben (Quelle: in Anlehnung an Hansen, 1990, S. 30)
Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Sind auf der einen Seite die Kooperativen Gruppen zumeist besser in der Lage, lokalen Erfordernissen Rechung zu tragen, fehlt ihnen oft die notwendige Systemeffizienz, die z. B. zur Erreichung der Kostenführerschaftsposition notwendig ist. Auf der anderen Seite haben die hochkonzentrierten Massenfilialisten einen Kostenvorteil, versagen aber regelmäßig bei dem Versuch, standortspezifische Differenzierungen umzusetzen. Aus Sicht des Handelsmarketing wäre daher eine Kombination der beiden Arten innerhalb eines Handelsbetriebs die ideale Konstellation. Tatsächlich lässt sich in den letzten Jahren eine starke Entwicklung in Richtung dieser idealen Position beobachten. Diese „hybriden Systeme“ bestehen zumeist aus zwei Teilsystemen. Auf
114 4 Die Betriebstypenpolitik
der einen Seite verfügt die Zentrale über eigene Regiebetriebe, in denen kostenorientiert experimentiert werden kann. Erfolgreiche Experimente werden dann im Dialog mit den Vertretern des kooperativen Teils – zumeist handelt es sich hierbei um Franchisenehmer – individualisiert umgesetzt. Hybride Systeme erfüllen damit im hohen Maße die Anforderungen des evolutionären Managements. Beispiele für solche Systeme sind der Media Markt oder OBI.
4.2 Darstellung ausgewählter Betriebsformen In der Literatur lassen sich zahlreiche Übersichten der verschiedenen Betriebsformen im Handel finden, in denen ein ganzer Katalog von Abgrenzungsmerkmalen genannt wird. Diese decken sich zwar nicht immer mit den durch den Kunden wahrgenommenen wesentlichen Merkmalen von Handelsbetrieben.5 Im Folgenden sollen aber gleichwohl die aus Sicht der Verfasser wichtigsten Betriebsformen kurz skizziert werden.6 Das Warenhaus ist ein Geschäft in City-Lage mit breitem Sortiment vor allem der Bereiche Bekleidung, Textilien, Haushaltswaren und Lebensmittel, die nach Warengruppen getrennt in Fachabteilungen in Bedienung oder Selbstbedienung angeboten werden. Bekannte Beispiele sind KARSTADT und KAUFHOF. Warenhäuser haben eine lange Tradition im deutschen Handel. Die Geschichte dieser Betriebsform reicht weit ins 19. Jahrhundert zurück und ist mit den Namen WERTHEIM, KARSTADT, HORTEN und TIETZ eng verbunden. Im Mittelpunkt der dieser Betriebsform zu Grunde liegenden Marketingkonzeption stehen regelmäßig drei Aspekte, die für ihre Zeit innovativ waren: 1. Zum einen verfügten Warenhäuser über ein branchenübergreifendes Sortiment. Der Kunde konnte daher bei einem Besuch diverse Bedürfnisse (Kleidung, Lebensmittel, etc.) decken. 2. Bedingt durch das umfangreiche Sortiment verfügten die Warenhäuser notwendigerweise über große Verkaufsflächen, die zumeist deutlich über 5.000 m² lagen und liegen. Dies hatte zur Folge, dass die Waren nicht nur angeboten ,sondern inszeniert werden konnten. Der geschäftliche Tauschvorgang schien nebenrangig geworden zu sein, der Besuch des Warenhauses war das eigentliche Erlebnis. Dieser Erlebnisreichtum hatte gerade in den Gründerjahren einen erheblichen akquisitorischen Effekt.7 3. Es waren die frühen Warenhausbetreiber, die als erste das Konzept der „Filialisierung“ entdeckten und für sich nutzten.
5 6
7
Vgl. hierzu Weinberg/Purper (2004), S. 43ff. Ergänzungen bieten u. a. Tietz (1993); Barth (1999), S. 87ff. und Müller-Hagedorn (2002). Einen guten Überblick findet man auch im Katalog E des Ausschusses für Definition zu Handel und Distribution (2006). Ein Zeitzeugenbericht zur Faszination des Warenhauses findet sich bei Ladwig-Winters (1997), S. 36.
4.2 Darstellung ausgewählter Betriebsformen 115
Nachdem sie mit einer durchaus kämpferischen Niedrigpreispolitik erfolgreich in den Markt eingedrungen waren, gingen sie zu einer Politik des Trading-up über. Sukzessive verbesserten sie die Ausstattung ihrer Verkaufsräume und die Warenpräsentation. Ein Beispiel hierfür zeigt das folgende Bild.
Abb. 4.3: Der Mittellichthof im Wertheim Haus Leipziger Straße in Berlin (Quelle: Ladwig-Winters, 1997, S. 39)
Über Jahrzehnte hinweg war diese Strategie erfolgreich, führte aber zu leicht steigenden Preisen, die Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts zu einer ersten Krise führten. So griffen auf der einen Seite die SB-Warenhäuser mit aggressiven Preisen die Warenhausposition an. Auf der anderen Seite versuchten Fachgeschäfte, die Position des Qualitätsführers zu verteidigen. Die Warenhäuser reagierten zunächst mit einem Trading-down, konnten die Position des Kostenführers aber
116 4 Die Betriebstypenpolitik
nicht mehr zurück gewinnen. In der Reaktion darauf versuchten die Warenhausstrategen ein erneutes Trading-up, verloren hierbei aber sukzessive Marktanteile – eine Entwicklung, die sich bis heute fortsetzt.8 Verbrauchermärkte sind großflächige Einzelhandelsbetriebe, die ein breites und tiefes Sortiment an Nahrungs- und Genussmitteln sowie an Ge- und Verbrauchsgütern des kurz- und mittelfristigen Bedarfs anbieten. Ihre Verkaufsfläche ist deutlich kleiner als die der Warenhäuser und liegt zumeist bei 1000-2500 qm. Verbrauchermärkte findet man überwiegend an autokundenorientierten Standorten entweder in Alleinlage oder in Einzelhandelszentren. Ein Beispiel sind die extraMärkte der Metro AG. Supermärkte sind SB-Lebensmittelgeschäfte mit einer Verkaufsfläche zwischen 400 und 1.000 qm. Bekannte Beispiele sind die REWE- und EDEKA-Märkte. Der Supermarkt, der sich überwiegend in Handelsbetrieben der Lebensmittelbranche findet, weist zwei konstitutive Marketing-Mix-Elemente auf. Zum einen fokussiert er auf das Konzept der Selbstbedienung, zum anderen weist er gegenüber dem seinerzeit populären, klassischen Tante-Emma-Laden ein erheblich erweitertes Sortiment auf. Insofern gelang es ihm rasch, den Tante-Emma-Laden zu verdrängen. Die schwache Stelle des Supermarktes ist sein heterogenes Sortiment, das auf einer begrenzten Fläche – zumeist handelt es sich hierbei um maximal 1.200 m² – angeboten werden muss. Insbesondere der für die Profilierung wichtige Frischebereich kann auf dieser Fläche nur sehr begrenzt dargestellt und effizient bewirtschaftet werden. Insofern ist der Supermarkt stets vom Discounter bedroht. Die ersten Discounter entstanden im Lebensmitteleinzelhandel.9 Das Konzept hat sich jedoch auf andere Branchen ausweiten können. Prominentester Vertreter dieser Betriebsform ist die Unternehmensgruppe Aldi, die in der Vergangenheit den Versuchungen eines Trading-ups widerstehen konnte und so stets eine kostengünstige Struktur beibehalten konnte. Im Mittelpunkt der Marketing-Konzeption des Discounters stehen drei charakteristische Merkmale: 1. Durch den Einkauf großer Mengen bei relativ wenigen Artikeln können sehr günstige Einstandspreise realisiert werden. 2. Durch die Minimierung der Handelsleistung, u. a. durch die Abwälzung wertschöpfender Tätigkeiten an den Kunden (z. B. Auspacken der Ware aus Kartons), können Handlungskosten gespart werden. 3. Beides zusammen ermöglicht dem Discounter, Dauer-Niedrigpreise anzubieten, die der Kunde auf Dauer lernt und zu einem positiven Preisimage führen. Hat sich dieses verfestigt, wird es für Nachahmer schwierig, den Kostenführer zu attackieren. Mit diesem Konzept hatten die Discounter großen Erfolg, der sich bis heute fortsetzen konnte und auch wohl fortsetzen wird.10 Fachmärkte kennzeichnen sich durch ein tiefes, aber schmales Sortiment, das sie zumeist in peripheren Lagen auf einer Fläche von mindestens 2.000 m² zu
8 9 10
Vgl. Enke/Arnold (2004), S. 49ff. Zum „Discounting“ vgl. grundlegend Haas (2000). Vgl. Diller/Haas/Hausruckinger (1997), S. 19ff.
4.2 Darstellung ausgewählter Betriebsformen 117
günstigen Preisen anbieten. Bekannte Beispiele sind Hagebau, OBI, Media Markt sowie Saturn. Konstituierend für diese Betriebsform sind die folgenden Merkmale. 1. Fachmärkte besetzen überwiegend verkehrsgünstige Standorte und suchen auf Grund ihres beschränkten Sortiments oft die Nähe von komplementäranbietenden SB-Warenhäusern. 2. Sie bieten ihr Sortiment in Selbstbedienung an. Dadurch können Personalkostenersparnisse realisiert und an die Kunden weitergegeben werden. 3. Voraussetzung hierfür ist die Fokussierung auf sachkundige Kunden, die über genügend Fachwissen verfügen und für die an sich erklärungsbedürftige Artikel sb-fähig geworden sind. Bisweilen profitieren Fachmärkte auch von Beratungsleistungen anderer Betriebsformen. Das Fachmarktkonzept ist bis heute sehr erfolgreich. Zahlreiche Fachhandelsunternehmen haben in diese Betriebsform diversifiziert.11 SB-Warenhäuser sind SB-Geschäfte in dezentraler Lage mit einer Verkaufsfläche von mehr als 5.000 qm, in denen ein warenhausähnliches Sortiment angeboten wird. Bekannte Beispiele sind REAL, KAUFLAND, HIT oder WAL*MART. Das Konzept dieser Betriebsform basiert auf zwei Pfeilern. Zum einen fokussieren SBWarenhäuser in der Standortpolitik auf verkehrsgünstige Standorte. Sie tragen damit dem Aspekt der steigenden Kundenmobilität Rechnung und profitieren davon. Zum anderen nutzen SB-Warenhäuser die zunehmende Bereitschaft der Kunden zur Selbstbedienung. Insofern realisiert diese Betriebsform in zwei MarketingInstrumentalbereichen erhebliche Kostensenkungspotenziale, die als niedrigere Verkaufspreise an den Kunden weitergegeben werden. Tankstellenshops haben in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Der Jahresumsatz dieser Betriebsform dürfte bei etwa 8 Mrd. € liegen. Bekannte Shops sind der Aral Store oder die Shell Shops. Das Sortiment ist zumeist convenience-orientiert und wird auf einer Verkaufsfläche von 70-100 m² angeboten. Größere Shops sind möglich, stellen aber eher die Ausnahme dar. Ein Grund für die starke Expansion dieser Betriebsform war sicherlich die lange Zeit restriktive Gesetzgebung im Bereich der Ladenöffnungszeiten. Dadurch bestand für Tankstellen zu bestimmten Zeiten ein Quasi-Monopol, das diese zur Verbesserung ihrer Ertragslage nutzten. Darüber hinaus nutzen die Shopbetreiber die Standortvorteile, die sich aus dem Tankstellenkonzept ergeben. In erster Linie handelt es sich hierbei um die gute und leichte Erreichbarkeit von Tankstellen und die stets ausreichende Parkplatzsituation. Gemeinsames Merkmal der genannten Betriebsformen ist die spezifische, zumeist kostenorientierte Rekonfiguration des Marketing-Mix. Insofern besteht die Herausforderung des Marketing-Managers im Handel darin, permanent nach neuen Betriebsformen zur Konstitution des Marketing-Mix zu suchen. Interessanterweise verläuft diese Suche in vielen Handelsbetrieben wenig systematisch. So werden zwar regelmäßig neue Konzepte entwickelt und im Markt getestet; die Ideenfindung ist aber zumeist eher induktiv und folgt keiner erkennbaren Systematik. An dieser Stelle besteht daher sowohl in der Praxis als auch in der Theorie noch erheblicher Forschungsbedarf. 11
Vgl. Oehme (2000), S. 341.
118 4 Die Betriebstypenpolitik
4.3 Positionierung alternativer Betriebstypen und -formen In der Praxis werden zur Positionierung die bereits erwähnten Positionierungsanalysen verwendet, die sich oft an den beiden PORTERschen Wettbewerbsstrategien orientieren. Ein Beispiel zeigt die folgende Abbildung.
Abb. 4.4: Positionierung von Betriebsformen (in Anlehnung an Meffert, 2000, S.1188)
Zunächst wird hierbei in die Kosten- und Qualitätsführerschaft unterteilt. Darüber hinaus wird unterschieden, ob ein System den Gesamtmarkt oder nur einen Teilmarkt abdeckt. Die Operationalisierung dieser zweiten Dimension erfolgt nach dem Umfang des angebotenen Sortiments. Fachmärkte, die regelmäßig nur Artikel eines Warenbereichs anbieten und dieses auf Grund ihrer Spezialisierung sehr günstig können, sind demnach in einer starken, weil einzigartigen Wettbewerbsposition. Warenhäuser hingegen, die sämtliche Warengruppen in mittlerer Qualität zu durchschnittlichen Preisen anbieten, sind hingegen in einer schwachen, nur wenig profilierten Wettbewerbsposition. Es verwundert daher nicht, dass diese Betriebsform in den letzten Jahren erheblich Marktanteile verloren hat.
4.3 Positionierung alternativer Betriebstypen und -formen 119
5,5% 2,0% 7,2% 11,9% 18,0%
5,5% 14,0%
5,6%
6,2%
20,8%
21,5%
Fachmärkte
5,9%
5,5%
Warenhäuser
Versandhandel
5,8% 17,5% 19,3%
20,5%
21,8% 21,2%
22,5%
55,4%
Filialisierte Fachgeschäfte Kleine und mittlere Fachgeschäfte
35,4% 27,2%
Verbrauchermärkte/ SB-Warenhäuser
23,8% Filialisierende Betriebsformen
1980
1995
2000
2005* * Geschätzter Wert
Abb. 4.5: Markanteilsentwicklung ausgewählter Betriebsformen
Neben dieser Bedeutungszunahme einiger Betriebsformen ließ sich in den letzten fünfzig Jahren eine deutliche Zersplitterung der Betriebsformenlandschaft beobachten. Diese hatte mindestens die beiden folgenden Gründe: 1. Bedingt durch diverse rechtliche Maßnahmen stieg der Autonomiegrad des Handelsmarketing sukzessive an. Das Verbot der vertikalen Preisbindung Anfang der 70er Jahre, der Wegfall des Rabattgesetztes sowie die stetig voran schreitende Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten trugen maßgeblich dazu bei, dass der Handel eigene Marketingkonzeptionen entwickeln und realisieren konnte. 2. Zum anderen ließ sich eine deutliche Professionalisierung des Handelsmarketing erkennen. Handelsbetriebe betreiben heute eigene Marktforschung und nutzen diese erfolgreich zur Umsetzung eigener Konzepte, z. B. im Rahmen erfolgreicher Eigenmarkenprogramme.12 Letztlich ist diese Zersplitterung Ausdruck des ständigen Bemühens, aber auch der Fähigkeit des Handels, sich den immer stärker differenzierenden Bedürfnissen der Kunden anzupassen. Insofern handelt es sich nicht um ein handelsspezifisches Phänomen. MEFFERT (2000, S. 207) zeigt beispielsweise, dass in der Automobilindustrie eine ähnliche Entwicklung beobachtet werden konnte. 12
Vgl. hierzu Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 243ff.
120 4 Die Betriebstypenpolitik
1950
1995
1. Klassische Fachgeschäfte 2. Warenhäuser 3. Versandhandel
1. Klassische Fachgeschäfte 2. Spezialgeschäfte 3. Katalogschauräume 4. SB-Warenhäuser 5. Kaufhäuser 6. Warenhäuser 7. Verbraucher-/Hypermärkte 8. Supermärkte 9. Fachmärkte 10. Factory Outlets 11. Versandhandel 12. Shopping-Center/-Malls 13. City-Center 14. Fachmarkt-Center 15. Discounter 16. Convenience Stores 17. Havariemärkte 18. Home-/Teleshopping 19. Second-hand-Märkte 20. Sonstige
Abb. 4.6: Zersplitterung der Betriebsformenlandschaft
Die Beobachtung der zunehmenden Zersplitterung der Betriebsformenlandschaft führt zu der Frage, welche Konzepte zur Erklärung dieser Entwicklung vorliegen. Diese Frage soll im folgenden Kapitel beantwortet werden.
4.4. Betriebstypenprofilierung vor dem Hintergrund eines zunehmenden Systemwettbewerbs im Konsumgüterhandel Unter Betriebstypenprofilierung13 wird die wettbewerbsorientierte Gestaltung eines Betriebstyps verstanden, um ihm aus der Perspektive des Verbrauchers ein marktadäquates Erscheinungsbild zu verleihen. Die Profilierung eines Betriebstyps kann durch ein Positionierungsmodell (vgl. hierzu Kapitel 4.3) veranschaulicht werden. Nachfolgend wird ein um unterschiedliche Präferenzstrukturen der Verbraucher erweitertes Positionierungs-modell aufgezeigt. Als Beispiel dient der Wettbewerb zwischen traditionellen Fachgeschäften und discountierenden Angebotsformen:14
13 14
Vgl. Heinemann 1989, S. 17 und die dort angegebene Literatur. Vgl. hierzu Ahlert/Olbrich (2001), S. 30ff.
4.4 Betriebstypenprofilierung 121
4.4.1. Das Leistungsvermögen unterschiedlicher Systemtypen des Konsumgüterhandels In Abbildung 4.7 ist ein zweidimensionaler Raum dargestellt, der von den beiden Wettbewerbsparametern Preisvorteil und Leistungsvorteil aufgespannt wird. Es soll in diesem vereinfachten Modell angenommen werden, dass der Verbraucher bei der Wahl seiner Einkaufsstätte nur zwischen den beiden Dimensionen Preis und Leistung abwägt. Die These von der Polarisierung der Handelslandschaft verleitet nun zu dem Schluss, dass zentralistisch geführte Massenfilialsysteme eher in der Lage sind, einen Preisvorteil zu erzielen und dezentralistisch organisierte Handelssysteme leichter einen Leistungsvorteil realisieren können. Weiterhin soll davon ausgegangen werden, dass alle Handelssysteme einen gewissen Gestaltungsspielraum besitzen, so dass sie ihre Betriebstypen innerhalb des zweidimensionalen Raums in bestimmten Grenzen gezielt ‚positionieren’ können. In Abbildung 4.7 sind beispielhaft die ‚Positionen’ zweier Betriebstypen unterschiedlicher Handelssysteme markiert. 4.4.1.1. Die Dimensionen des Positionierungsmodells Die Dimension ‚Preisvorteil’ bezieht sich nicht auf einzelne Produkte, sondern ist als vom Verbraucher wahrgenommene Preiskompetenz des Betriebstyps zu begreifen. Die Dimension ‚Leistungsvorteil’ ist eine aggregierte Größe. Sie setzt sich einerseits aus für den Verbraucher entscheidungsrelevanten Beurteilungskriterien hinsichtlich der angebotenen Produkte (z.B. Qualität) zusammen. Andererseits beinhaltet sie zusätzlich erbrachte Handelsleistungen wie z.B. Beratung, Ladengestaltung, Angebotsflexibilität und Serviceleistungen.
Preisvorteil hoch
Betriebstyp eines zentralistisch geführten Massenfilialsystems Betriebstyp eines dezentralistisch organisierten Handelssystems des Qualitäts- und Erlebnishandels
niedrig
niedrig
hoch
Leistungsvorteil
Abb. 4.7: Unterschiedliche Positionen von Betriebstypen im zweidimensionalen Raum ‚Preisvorteil/Leistungsvorteil’
122 4 Die Betriebstypenpolitik
4.4.1.2. Transformationskurven unterschiedlicher Systemtypen Für die Positionierung bzw. Profilierung eines Betriebstyps ergibt sich nun ein Entscheidungsproblem bezüglich des optimalen Einsatzes der innerhalb eines Handelssystems vorhandenen Ressourcen. Dabei soll davon ausgegangen werden, daß die gesamten Ressourcen ausschließlich auf die beiden Profilierungsdimensionen aufgeteilt werden. Unter der Voraussetzung einer in bestimmten Grenzen substitutionalen Beziehung zwischen Preisvorteil (Kostenorientierung) und Leistungsvorteil (Qualitäts- und Serviceorientierung) können die vorhandenen Mittel in unterschiedlichem Maße zur Erlangung eines Preis- bzw. Leistungsvorteils eingesetzt werden. Beschränkt wird dieser Positionierungsspielraum durch die Grenzen der jedem Handelssystem innewohnenden Leistungspotentiale und die extern gegebenen Rahmenbedingungen. So können bestimmte Positionen nur langfristig durch eine Erweiterung vorhandener Potenziale erreicht werden. Mit gegebenen Ressourcen ist jede Unternehmung in der Lage, verschiedene Kombinationen im zweidimensionalen Wettbewerbsraum zu realisieren, wobei effiziente Kombinationen dadurch gekennzeichnet sind, dass durch eine Reallokation der Ressourcen keine Verbesserung einer Wettbewerbsdimension ohne Nachteil für die andere Dimension erreicht werden könnte.15 Die Summe der Orte, die die unter gegebenen Bedingungen maximal zu erreichenden Leistungskombinationen beinhalten, kann als Transformationskurve bezeichnet werden. Sie hat für jeden Betriebstyp einen spezifischen, der Leistungsfähigkeit des Systemtyps entsprechenden Verlauf. Abbildung 4.8 stellt beispielhaft die Transformationskurven einer Discountfiliale, die einem discountierendem Massenfilialsystem angehört, und eines Fachgeschäfts, welches Mitglied einer Verbundgruppe ist, sowie die Kombinationen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt für die jeweiligen Betriebstypen realisiert worden sind, gegenüber.
Preisvorteil hoch
Transformationskurve Discounter
Transformationskurve Fachgeschäft
niedrig
Leistungsvorteil niedrig
hoch
Abb. 4.8: Transformationskurven von Discounter und Fachgeschäft 15
Vgl. zu diesem aus der Paretianischen Wohlfahrtsökonomie abgeleiteten Verständnis und zur weiteren Vorgehensweise Sohmen 1976, S. 30 ff.
4.4 Betriebstypenprofilierung 123
Die Transformationskurven sind gekrümmt. Dies erklärt sich aus der Annahme, dass der Einsatz jeder weiteren Einheit der insgesamt zur Verfügung stehenden Ressourcen hinsichtlich des Aufbaus von Preis- oder Leistungsvorteilen einen zwar positiven, aber sinkenden Grenznutzen in den Augen der Kunden besitzt. So wird der fortlaufende Aufbau einer Profilierungsdimension (z.B. Preisvorteil) gemessen in Einheiten der anderen Dimension (z.B. Leistungsvorteil) immer teurer. Die Steigung der Transformationskurve an einem Punkt, also das Austauschverhältnis zwischen Preis- und Leistungsvorteil, kann als Grenzrate der Transformation des Betriebstyps16 bezeichnet werden. Es existiert ein maximaler Preisvorteil (u.a. determiniert durch die Kosten des Wareneinstands), den der Betriebstyp zu überschreiten nicht in der Lage ist. Ebenso existiert ein maximaler Leistungsvorteil, der nicht übertroffen werden kann. An der Schnittstelle der Transformationskurve mit der Preis-Achse besitzt der Betriebstyp keinen Leistungsvorteil mehr gegenüber irgendeinem Konkurrenten. Dies würde bedeuten, daß er bei maximaler Preisorientierung die aus Kundensicht schlechteste Angebotsqualität aller Konkurrenten besitzen würde. An der Schnittstelle mit der Leistungs-Achse könnte die Einzelhandelsunternehmung keinen Preisvorteil aus Verbrauchersicht mehr realisieren. Es würde als das teuerste Geschäft wahrgenommen werden. Ob es ökonomisch sinnvoll ist, derartige Randpositionen zu realisieren, hängt von den Präferenzen der Verbraucher ab. 4.4.2. Betriebstypenprofilierung aus der Perspektive des Verbrauchers 4.4.2.1 Nutzenindifferenzkurven der Verbraucher Aus Sicht des Verbrauchers, der bestrebt ist, seinen Nutzen zu maximieren, ergibt sich ein ähnliches Entscheidungsproblem. Auch er hat bei der Wahl seiner Einkaufsstätte abzuwägen, ob er einem Betriebstyp mit größerem Preis- oder aber Leistungsvorteil den Vorzug geben soll. Unterstellt man auch hier eine substitutionale Beziehung zwischen Preis- und Leistungsvorteil, so ist der Verbraucher17 bezüglich bestimmter Vorteilskombinationen indifferent. Er ist also bereit, einen bestimmten Preisvorteil für die Erlangung eines Leistungsvorteils zu opfern, und kann durch günstigere Preise dazu bewegt werden, auf ein bestimmtes Maß an Leistung zu verzichten. Dementsprechend kann für den Verbraucher eine hypothetische Nutzenindifferenzkurve konstruiert werden, die aus solchen Vorteilskombinationen besteht, die dem Käufer dasselbe Nutzenniveau garantieren (vgl. Abbildung 4.9).18
16
17 18
Die Steigung der Transformationskurve an jedem Punkt kann durch den Quotienten dL/dP ausgedrückt werden, wobei L= Leistungsvorteil und P= Preisvorteil ist. Vgl. Schumann, Meyer, Ströbele (1999). Gemeint ist eine Gruppe von Verbrauchern, die ähnliche Präferenzen hinsichtlich der Vorteilskombinationen besitzen und somit zusammengefasst werden können. Vgl. zur Herleitung der Indifferenzkurven bei der Bestimmung des optimalen Konsumplans und zur weiteren Vorgehensweise Schumann, Meyer, Ströbele (1999).
124 4 Die Betriebstypenpolitik
Die Steigung der Nutzenindifferenzkurve (Nutzenfunktion mit gleichem Nutzenniveau) ergibt sich aus dem Verhältnis, zu dem der Verbraucher bereit ist, einen Leistungsvorteil durch Zahlung eines höheren Preises zu würdigen bzw. inwieweit für ihn ein Leistungsnachteil durch einen niedrigeren Preis kompensiert werden muss. Das Austauschverhältnis zwischen diesen beiden Vorteilsdimensionen an einem bestimmten Punkt der Indifferenzkurve kann als Grenzrate der Substitution der Verbraucher bezeichnet werden. Nach dem Gesetz der sinkenden Grenzrate der Substitution kann davon ausgegangen werden, dass jeder zusätzliche Leistungsvorteil dem Verbraucher einen weniger großen Verzicht auf einen Preisvorteil wert ist. Für ein Mindestniveau an Leistung ist er also bereit, relativ viel zu zahlen, für eine extrem hohe Leistung ist er nicht mehr bereit, viel zusätzlich zu opfern. Analog dazu kann ein noch so hoher Preisvorteil das Bedürfnis nach einem Minimum an Qualität bzw. Service nicht ersetzen. Durch die so getroffenen Verhaltensannahmen erklärt sich die Krümmung der Nutzenkurve. Da der nach Maximierung seines Nutzens strebende Verbraucher sowohl über eine verbesserte Leistung als auch über ein geringeres Preisniveau eine Steigerung seines Nutzens erfahren kann, realisiert er in allen Punkten, die rechts oberhalb einer Indifferenzkurve liegen, ein höheres Nutzenniveau. Es ergibt sich eine Schar von parallel laufenden Nutzenindifferenzkurven, die ein nach rechts oben hin steigendes Nutzenniveau aufweisen. 4.4.2.2 Wettbewerbsvorteile durch überlegene Profilierung In Abbildung 4.9 sind beispielhaft die Transformationskurven eines Discounters und eines Fachgeschäfts dargestellt. Durch Einkauf im Fachgeschäft (Tangentialpunkt B) kann der Verbraucher in dieser Situation einen höheren Nutzen realisieren als beim Discounter (Tangentialpunkt A). Das Fachgeschäft ist in dieser Situation also der überlegene Betriebstyp, der sich in den Augen der Verbraucher besser profilieren kann.
Preisvorteil hoch
Transformationskurve Discounter
Nutzenfunktionen Verbraucher (1 Reduzierung des Handlingaufwandes > Verbessertes Aktions-Knowhow > Schnelle Reaktion auf Verbraucherverhalten
205
Efficient Product Introductions
Optimierung der Produktneueinführung
> Bessere Testmöglichkeiten > Schnelle Reaktion auf Verbraucherverhalten > Absenkung der Floprate
Abb. 7.5: Überblick über die ECR-Basisstrategien
7.3.2 Konventionelles Category Management zur Lösung komplexer Konsumprobleme? Im Rahmen einer engen Begriffsfassung wird Category Management mit dem Bereich der kunden- und renditeorientierten Gestaltung der Warengruppe gleichgesetzt, während in der weiter gefassten Interpretation die gesamten „Demand-SideAktivitäten“ als Category Management bezeichnet werden.14 Als Ergebnis einer so verstandenen erfolgreichen Category Management-Kooperation verfügt z. B. der Lebensmittelhändler über ein nach den Regeln der Kunst optimiertes Wasch- und Putzmittelregal; Out of Stock-Situationen werden vermieden und der Warennachschub funktioniert elektronisch gesteuert in der Weise, dass überflüssige Lagerbestände vermieden und der Lagerumschlag maximiert werden.
14
Näheres dazu bei Ahlert/Borchert (2000), S. 80ff.
206
7 Die Sortimentspolitik
Efficient-Consumer-Response -Konzept
Efficient Replenishment
Nachfragegesteuerter Waren nachschub
Efficient Store Assortments
Efficient Promotion
Efficient Product Introductions
Kunden- und renditeorientier te Sortimentsgestaltung
Totale SystemEffizienz von handels - und konsumenten gerichteten Promotions
Optimierung der Neuproduktentwicklung und -einführung
Category Management (i.e.S.)
Supply-Side /
Demand-Side /
Logistik
Marketing Category Management (i.w.S.)
Abb. 7.6: Die Stellung des Category Management im ECR- Konzept (Quelle: Ahlert, 2003, S. 20
Für die Lösung einfacher Konsumprobleme (z. B. Kauf eines neuen Badreinigers) reicht die derart optimierte Sortimentsgestaltung aus. In der Realität hat der Konsument jedoch auch komplexe Konsumprobleme zu lösen, die über den einfachen Erwerb einer Handelsware hinausgehen. Als Beispiel sei ein Verbraucher genannt, der seine Wohnung einrichten möchte und Beratung beim Kauf der notwendigen Einrichtungsgegenstände, aber auch Hilfe beim Transport und Aufbauen der gekauften Möbelstücke benötigt. Über die Lösung der Grundprobleme hinaus sind somit heute oft zusätzliche Bedürfnisse des Verbrauchers, etwa das Streben nach emotionaler Bindung, kommunikativen Kontakten, Anerkennung und Selbstverwirklichung, Einkaufserlebnissen, ästhetischem Genuss usw. zu berücksichtigen. Beim Angebot komplexer Problemlösungen verschwimmen die Grenzen zwischen Produktion und Distribution. Eine Arbeitsteilung zwischen Herstellern und Händlern in der Weise, dass sich erstere lediglich um die optimale Marken- und letztere um die optimale Einkaufsstättenpositionierung zu kümmern brauchten, erweist sich im Systemwettbewerb als überholt. Kundenorientiertes Wertschöpfungsprozess-Management bedeutet hier die Entwicklung und Umsetzung einer vertikal und horizontal integrierten Angebotskonzeption aller an der Wertschöpfung teilnehmenden Organisationseinheiten. Es geht um die Positionierung des von Sachgüterherstellern,
7.3 Sortimentssteuerung mit Hilfe des kundengetriebenen Category Managements
207
Dienstleistern und Einkaufsstätten gemeinsam angebotenen Problemlösungskomplexes im Wahrnehmungs- und Einstellungsraum der Verbraucher.15 7.3.3 Die Konzeption des kundengetriebenen Category Managements Mit den vorstehenden Ausführungen sollte skizziert werden, was als „kundengetriebenes" Category Management bezeichnet werden kann. Es geht um die (Neu-) Gestaltung der kompletten Wertschöpfungskette mit dem Ziel, innovative Lösungskonzepte für die jeweils relevanten Kundenprobleme effizient zu vermarkten und dadurch dem Angebotssystem (und den beteiligten Akteuren) eine profitable Zukunft im Systemwettbewerb zu sichern. In der Gestaltung neuer bzw. der Restrukturierung vorhandener Wertschöpfungsprozesse besteht die systembildende Aufgabe des Category Managements. Die laufende Praktizierung und Steuerung des Wertschöpfungsprozesses kann als systemkoppelnde Aufgabe bezeichnet werden. Diese Unterscheidung erfolgt in Analogie zur Konzeption des Controllings.16 Als unstrittige Selbstverständlichkeit kann heute die Prozessorientierung angesehen werden, die in allen Erscheinungsformen des Category Managements anzutreffen ist: Einerseits kann der systembildende Gestaltungsvorgang, soweit er nach den Regeln des Business Process Reengineering abläuft, selbst als ein mehrstufiger Prozess interpretiert werden.17 Andererseits bildet die Umstellung von einer funktionalen, ressortorientierten Arbeitsweise der an der Wertschöpfungskette beteiligten Akteure auf eine Prozessorganisation ein geradezu zwingendes Ergebnis des Gestaltungsvorganges: Die systemkoppelnden Tätigkeiten des Category Management (-Teams) können als stufenübergreifendes Prozessmanagement interpretiert werden. Auf diesen Aspekt soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.18 Problematischer ist dagegen das konstitutive Merkmal der sog. Kundenorientierung. Diese nimmt jede in praxi realisierte Category Management-Organisation (wie selbstverständlich) für sich in Anspruch. Bei näherem Hinsehen wird die „Category" jedoch häufig mit „Warengruppe" gleichgesetzt. Mit der Optimierung von Warenregalen ist man aber, wie gezeigt, nicht selten weit davon entfernt, Kundenprobleme zu lösen; sie ist typischerweise das Anliegen eines von Lieferantenseite voran getriebenen Category Managements. Kundengetriebenes Category Management orientiert sich im Gegensatz dazu an den Bedarfskomplexen der Nachfrager. In Abhängigkeit von den zu lösenden Kundenproblemen können sich diese auf einzelne Sachgüter oder Dienstleistungen beschränken oder sich auf komplexe Leistungskombinationen erstrecken. Nicht immer sind die Hersteller, die sich im ‚Kampf um den knappen Regalplatz im Handel' behaupten, auch diejenigen, die vom Kunden präferiert werden.
15 16 17 18
Vgl. Ahlert (1996a), S. 96ff. Vgl. Horváth (1996), S. 117ff. und Ahlert (1998), S. 23ff. Vgl. zu den Phasen des Restrukturierungsprozesses Ahlert (1999), S. 333ff. Vgl. dazu ausführlich Ahlert/Borchert, (2000).
208
7 Die Sortimentspolitik
7.3.4 Prozess der kundenorientierten Sortimentssteuerung Ein weit verbreitetes Missverständnis besteht darin, Category Management mit einer bestimmten Methode zur Steuerung des Warenflusses, nämlich dem demandpull-Prinzip, zwingend gleichzusetzen. Zweifellos gibt es gewichtige Argumente dafür, das klassische Versorgungsprinzip des „Sell what you buy" (die Waren werden unter kurzfristigen Renditegesichtspunkten vom relativ marktfernen Einkauf in die Geschäftsstätten des Handels gedrückt) umzukehren und durch eine intensive Kooperation zwischen Industrie und Handel die Warensteuerung nach dem Prinzip „Buy what you sell" anzustreben (vgl. Abb.). Die Versorgungskette gestern: „Sell what you buy“ Produktion des Herstellers
Lager des Herstellers
Lager des Handels
Einzelhandel
Konsument
Push Zieldimensionen: Kurzfristigkeit
Umsatz
Konditionen
Neue Strategie mit ECR: „Buy what you sell“ Produktion des Herstellers
Lager des Herstellers
Lager des Handels
Einzelhandel
Konsument
Pull Zieldimensionen: Langfristigkeit
Rentabilität
Wertschöpfung
Abb. 7.7: Pull- versus Push-Prinzip (Quelle: Wagener, 2000, S. 210)
Im Kern ist dieser Ansatz dem Kanban-Prinzip in Industrieunternehmungen ähnlich. Letztlich bestimmt die nachfragende, nachgelagerte Marktstufe darüber, was wann in welcher Menge eingekauft bzw. produziert wird. Die positiven ökonomischen Konsequenzen sind u. a. geringere Lagerbestände und, damit verbunden, eine höhere Sortimentsrentabilität. Daneben wird die Reaktionszeit des Distributionssystems erheblich verkürzt.19 Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die „Buy what you sell"-Strategie nicht in jedem Fall die überlegene Form der Koordination darstellt. Dies beweisen in der Textilbranche die überdurchschnittlich erfolgreichen, vertikal integrierten Bekleidungsfilialisten wie Hennes & Mauritz oder GAP, die in die Produktionsstufe hinein dirigieren und auf Zwischendistribution verzichten. Das besondere Problem der Bekleidungsbranche – hochmodische Ware, die sich als trendgerecht erweist, noch in der laufenden Saison nachzuliefern – lösen diese Filialisten durch das Angebot ständig erneuerter, exklusiver Eigenprogramme, mit bis zu zwölf Kollektionen pro Jahr. Die Trendgerechtigkeit der ständig aktualisierten Ware wird vor allem durch eine weitgehend von Schnittstellen befreite 19
Vgl. Ahlert, (2000), S. 9ff.
7.3 Sortimentssteuerung mit Hilfe des kundengetriebenen Category Managements
209
Gestaltung der Kommunikationsprozesse zwischen Point-of-Sale und den Kollektionsentwicklern erreicht. Das Warenwirtschaftsmanagement folgt hier also nicht dem Anstoß durch einen Kunden (Pull-Prinzip), sondern funktioniert nach dem Push-Prinzip einer kontinuierlichen Versorgung der Filialen mit ständig neuer modischer Ware (vgl. Abb.).
EDI für Trendforschung
Abzeichnung von Trends
Wechselndes Impulse Angebot aktueller modischer Ware
Fließende Kollektionsentwicklung
PUSH
PUSH
Konsument
Handel
Konfektionär
Orientierung an modischem Angebot
Abb. 7.8: Push- Konzept für modische Ware (Continuous Merchandising) (Quelle: Horstmann, 1997, S. 143)
Das „Buy what you sell"-Prinzip, in der Textilbranche auch „Quick Response" genannt, ist dagegen für die Basics das offenbar überlegene Geschäftsmodell:
Kontinuierliche Nachlieferung von Basics
EDI Bestandskontrolle zur Ermittlung von Bestellungen
Angebot: Basic-Sortiment Point of Sales
Nachfrage nach Basics
PULL
PULL
Abruflager beim Konfektionär
Never out of Stock
Handel
Abb. 7.9: Pull- Konzept für Basics (Vendor Managed Inventory) (Quelle: Horstmann, 1997, S. 140)
Konsument
210
7 Die Sortimentspolitik
Für textile Anbieter, die hochmodische Ware und zugleich Basics führen, dürfte eine Kombination beider Sortimentssteuerungsprinzipien für die Wertschöpfungskette sinnvoll sein, also Push für modische Ware und ECR-Pull für Basics. Letztlich gilt für sämtliche Gestaltungsbereiche, so auch für die Wahl des geeigneten Steuerungsprinzips, dass eine a priori-Festlegung die radikale Restrukturierung der Wertschöpfungskette behindert. Die systembildende Aufgabe des Category Managements weist insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit dem „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" auf, als erst nach Abschluss des an den Kundenproblemen orientierten Gestaltungsvorganges feststeht, welches Prozessdesign das optimale Lösungskonzept eines bestimmten Angebotssystems kennzeichnet.
7.4 Spezielle Problemstellungen im Rahmen der Sortimentsplanung 7.4.1 Optimierung der Markenstruktur Ein Aspekt der Sortimentspolitik, der in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen hat, ist die Markenpolitik. Wie bereits in Kapitel fünf ausführlich erläutert, ist es die Aufgabe des Handelsmarketing, ein integriertes Markenmanagement zu betreiben, d. h. sämtliche geführten und eigenen Marken im Hinblick auf die Unternehmensziele zu koordinieren. Aufgabe der Sortimentsplanung ist es, einen optimalen Mix zwischen Handelsmarken, Herstellermarken und Dienstleistungsmarken zu finden, die mit der übergeordneten Betriebstypenmarke in Einklang stehen. Vor allem die Entscheidung, welche Anteile Herstellermarken und Handelsmarken am Sortiment haben sollen und inwieweit eine Substitution der Marken erforderlich ist, steht im Rahmen der Sortimentsplanung zur Disposition. Der Anteil geführter Handelmarken kann von 0 (Verzicht auf Handelsmarken) bis hin zu-100 % (Verzicht auf Herstellermarken) reichen. Prominentes Beispiel für einen hohen Handelsmarkenanteil ist die Aldi-Gruppe, deren Anteil mehr als 80 % beträgt. Kleinere Facheinzelhändler hingegen führen oft ausschließlich Herstellermarken. Die Substitutionsentscheidung ist durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet und damit mit einem hohen Informationsbedarf verbunden. Die folgende Abbildung vermittelt einen Überblick über die Vielzahl von Entscheidungen, die bei der Einführung einer Handelsmarke getroffen werden müssen. (vgl. Abb.).
7.4 Spezielle Problemstellungen im Rahmen der Sortimentsplanung
211
Anzahl der Handelsmarken eine mehrere Anzahl der unter einer Handelsmarke zu führenden Artikel mehrere Artikel mehreeine mehrere Artikel einer rer Warengruppen Warengruppe (Seg(Dachmarke) mentmarke) Anzahl der übernommenen Herstellerfunktionen keine, nur Vorgabe der einige alle Markierung Anzahl der zu substituierenden Herstellermarken keine eine mehrere Genre der zu substituierenden Herstellermarken niedrig mittel hoch Reichweite des Absatzmarktes der einzuführenden Handelsmarke regional national international Unternehmensinterne Reichweite der einzuführenden Handelsmarke eine Vertriebsschiene mehrere Vertriebsschiealle Vertriebsschienen nen Abb. 7.10: Entscheidungen bei der Einführung einer Handelsmarke (Quelle: Schröder, 2002, S. 253)
Eine zentrale Frage des Handelsmarketings ist dabei regelmäßig die Frage, ob die Substitution einer Herstellermarke durch eine Handelsmarke überhaupt sinnvoll ist. In der Praxis ist die Entscheidungsgrundlage für oder gegen die Substitution von Hersteller- durch Handelsmarken ist auf Grund der Schwierigkeit der Zieloperationalisierung oftmals unvollständig und auf wenige gut messbare Größen ausgerichtet. Oft verkürzt man die Entscheidung daher auf die Frage, welche Markenart die höhere Handelsspanne aufweisen kann. Um diese Frage zu benatworten wird oft ein Kostenvergleich verwendet (vgl. Abb.).20
20
Vgl. Schröder (2002), S. 254f.
212
7 Die Sortimentspolitik
[€]
Handelsmarke
Herstellermarke
VKP der Herstellermarke
Preisvorteil VKP der Handelsmarke
Handelsspanne
Herstellerspanne
Handelsspanne
Marketingkosten Marketingkosten "Handlingskosten"
"Handlingskosten"
Produktionskosten
Produktionskosten
Abb. 7.11: Kostenstruktur einer textilen Handels- und Herstellermarke im Vergleich
Diese Betrachtungsweise erfasst jedoch ausschließlich die Kostenwirkungen und damit nur einen Teil des Entscheidungsproblems. Nicht berücksichtigt wurde bisher das akquisitorische Potenzial, welches von der Herstellermarke ausgeht. Zu unterscheiden sind hierbei Umsatz- und Imagewirkungen durch die Substitution. Negative Umsatzwirkungen sind beispielsweise hinsichtlich möglicher, nicht mehr realisierbarer Verbundeffekte zu verzeichnen. Aber auch die Imagewirkung, die von Markenartikeln ausgeht, spielt eine wichtige Rolle. Vor allem auf die Sortimentskompetenz kann die Substitution von Herstellermarken negative Auswirkungen haben. Die Bedeutung einzelner Artikel und Warengruppen für das Sortimentsimage ist jedoch sehr aufwändig und kann nur mit Methoden der Primärforschung ermittelt werden (vgl. Kapitel 2.4). Wesentlich für die Alternativenbewertung ist vor allem, dass sämtliche entscheidungsrelevanten Kriterien in die Substitutionsbetrachtung mit einbezogen werden. Wenn eine genaue Quantifizierung nicht möglich ist, sollte zumindest die Wirkungsrichtung der Effekte berücksichtigt werden.21 7.4.2 Die Berücksichtigung von Verbundeffekten bei der Sortimentsplanung Das Ziel der nachfragerorientierten Sortimentsgestaltung wird durch das Vorliegen von Verbundeffekten erheblich erschwert. Verbundeffekte stellen die eigentliche Problematik und Komplexität der Sortimentsplanung dar.22 Der synergetische 21 22
Vgl. hierzu auch Müller-Hagedorn (2001), S. 198ff. sowie Schröder (2002), S. 263. Vgl. Barth (1999), S. 175f.
7.4 Spezielle Problemstellungen im Rahmen der Sortimentsplanung
213
Effekt, dass von der Eliminierung eines Artikels oder einer Warengruppe auch Umsatzwirkungen auf andere Produkte zu verzeichnen sind, wird als Sortimentsverbund bezeichnet. Für die Sortimentspolitik sind vor allem vier Ausprägungen des Sortimentsverbundes von Bedeutung: Das Phänomen, dass Nachfrager einzelne Kaufhandlungen miteinander verbinden, wird unter dem Begriff Nachfrageverbundenheit diskutiert. Zu unterscheiden sind dabei Kaufhandlungen, die zeitlich zusammen ausgeführt werden, und solche, die zeitlich aufeinander folgen. Bei zeitlich gleichzeitigen Kaufhandlungen beschafft der Konsument bestimmte Artikel aus Rationalitätsaspekten gleichzeitig. Aus der Perspektive der bedarfsorientierten Sortimentsgestaltung gilt es, den Einkaufsgewohnheiten des Konsumenten Rechnung zu tragen und die Breiten- und Tiefendimension des Sortimentes anzupassen. Zeitlich aufeinander folgende Kaufhandlungen sind eng verbunden mit der Kundentreue. Aus Gründen der kognitiven Vereinfachung sucht der Konsument bei bestimmten Konsumproblemen immer wieder die gleiche Einkaufsstätte auf. Von einem Bedarfsverbund wird gesprochen, wenn Artikel in einem komplementären Ge- und Verbrauchsverhältnis zueinander stehen. Beispiele für einen Bedarfsverbund sind Füller und Tintenpatronen sowie Nassrasierer und Rasierklingen. Der Bedarfsverbund betrifft die Breitenexpansion des Sortimentes und führt zu additiven Kaufmöglichkeiten. Der Auswahlverbund hingegen betrifft die Tiefenexpansion des Sortimentes. Artgleiche Artikel, die in einem substituiven Verhältnis zueinander stehen, schaffen alternative Kaufmöglichkeiten für den Konsumenten. Die Verbundeffekte resultieren aus Substitutionseffekten, Bedarfserweiterungseffekten und Partizipationseffekten über eine verbesserte Bedarfsentsprechung im Vergleich zum Wettbewerb.23 Im Rahmen des Kaufverbundes werden im Sortiment Artikel zusammengefasst, die in einer werblichen Aktion gemeinsam herausgestellt werden. Ziel ist es, geplante Käufe und Impulskäufe zu fördern. Neben den erwünschten Bedarfserweiterungseffekten durch Impulskäufe sind auch Substitutionseffekte und Partizipationseffekte (Abwerben von Kunden von Mitbewerbern) zu berücksichtigen. Um die skizzierten Verbundeffekte in der Sortimentsplanung zu nutzen und eine akquisitorische Umsetzung in absatzpolitische Maßnahmen durchzuführen, sind zunächst Sortimentsverbundanalysen durchzuführen. Ziel der Analysen ist es, positiven und negativen Ausstrahlungseffekte innerhalb des Sortimentes aufzudecken und Potenziale zu identifizieren, um neue Verbundeffekte zu schaffen. Die Ergebnisse der Analysen liefern nicht nur Hinweise für die bedarfsgerechte Sortimentsgestaltung, sondern geben auch Hinweise zur Gestaltung der Preis-, Präsentations-, und Werbepolitik. Die bisher bekannten Verfahren zur Analyse von Verbundeffekten sind trotz neuer technischer und statistischer Methoden mit zahlreichen Problemen behaftet. Eine direkte Messung ist auf Grund der zahlreichen Einflussfaktoren auf den Sortimentsverbund nicht möglich. Haushaltspanels, Kundenkarten und direkte Befragungen sind eine Möglichkeit, um Hinweise auf die Verbundbeziehungen im Sortiment zu erhalten (vgl. hierzu Kap. 2). Die in der Praxis am häufigsten angewen23
Vgl. Barth (1999), S. 177.
214
7 Die Sortimentspolitik
dete Methode ist jedoch die Warenkorbanalyse auf der Grundlage von Scannerdaten.24 Hierzu werden die erfassten Bondaten im Warenwirtschaftssystem des Handelsunternehmens gespeichert. Problematisch ist dabei die in vielen Betriebstypen immens große Datenmenge, die bewältigt werden muss. Je mehr Kaufakte und je umfangreicher das Sortiment des zu analysierenden Handelsunternehmens ist, desto größer ist die zu handelnde Datenmenge. Aus diesem Grund ist vorab zu entscheiden, ob die Analyse artikelgenau oder bezogen auf Warengruppen oder andere Sortimentseinheiten durchgeführt werden soll. Zu berücksichtigen ist vor der Analyse auch der Einsatz anderer absatzpolitischer Instrumente, da diese die Ergebnisse der Verbundanalyse beeinflussen. Auch Maßnahmen von Wettbewerbern können einen Einfluss auf die Analyseergebnisse haben. Dies gilt insbesondere, wenn die Datenbasis gering ist und sich auf die Daten nur weniger Standorte stützt. Letztgenannte Einflussfaktoren führen auch dazu, dass die zeitliche Konstanz der Ergebnisse der Verbundanalyse in Frage gestellt werden muss. Größere Unternehmen, z. B. Massenfilialsysteme, dürften hier auf Grund der größeren Streuung ihrer Outlets Vorteile haben. Dem steht aber das bereits geschilderte Problem der Datenspeicherung und -pflege gegenüber. Ein zentrales Problem der Sortimentsverbundmessung ist die Bestimmung des so genannten Verbundkoeffizienten.25 Je nach Skalenniveau stehen verschiedene Methoden zur Messung von Verbundbeziehungen zur Verfügung:26 Skalenniveau der Daten Intervallskaliert Intervallskaliert Nominalskaliert Nominalskaliert Nominalskaliert Nominalskaliert Nominalskaliert
Verfahren/Koeffizient
Ergebnis
Regressionsanalyse Korrelationsanalyse Assoziationskoeffizient Bedingte Wahrscheinlichkeiten Multivariate Logitmodelle Neuronale Netze Assoziationsregeln
Kreuz-(Preis-) Elastizität Kaufverbund Kaufverbund Kaufverbund Kaufverbund Kaufverbund Kaufverbund
Tab. 7.2: Methoden zur Messung von Verbundwirkungen (Quelle: Müller-Hagedorn, 2002, S. 190)
Nachteilig an diesen Methoden ist, dass sie lediglich in der Lage sind, den Kaufverbund zwischen verschiedenen Artikeln zu bestimmen. So können sie zwar Eliminationsentscheidungen und Rahmenentscheidungen stützen, eine Identifikation der künftigen Konsumentenwünsche im Sinne von Nachfrage- und Bedarfsverbünden ist aber nur eingeschränkt möglich.27 Komplementäre Primäruntersuchungen zu diesen Aspekten erscheinen daher sinnvoll. Zudem ist mit den o. g. Verfah24 25 26 27
Vgl. hierzu auch Fischer (1993). Vgl. Möhlenbruch (1994), S. 340. Zu den einzelnen Verfahren vgl. ausführlich Möhlenbruch, (1994), S. 342ff und MüllerHagedorn (2002), S. 189ff. Möhlenbruch (1992), S. 349.
7.5 Sortimentskontrolle
215
ren die vorherrschende Datenflut nicht zu bewältigen. Neuere Informationstechnologien wie das Data Mining lösen zumindest das Problem der Auswertung von großen Datenmengen.28
7.5 Sortimentskontrolle Durch regelmäßige und gezielte Sortimentskontrollen sollen Informationen über Sortimentslücken und schwer verkäufliche Warengruppen und Artikel gewonnen werden. Diese bilden dann die Grundlage sortimentspolitischer Entscheidungen. Die im Rahmen der Sortimentskontrolle verwendeten Instrumente sind oft unternehmensindiviudell unterschiedlich und dem Informationsbedarf des MarketingManagements angepasst. Insofern gibt es in der Praxis eine Vielzahl von Kennziffern und Methoden, die hier nicht vollständig und abschließend dargestellt werden können. Die wichtigsten Verfahren, die daher auch im Folgenden vorgestellt werden sollen, sind jedoch: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Die Fehl- oder Nichtverkaufskontrolle, die Bonanalyse, die Umsatzanalyse, die Lagerumschlagsgeschwindigkeit („LUG“), die Sortimentsstrukturanalyse, die Deckungsbeitragrechnung („DBR“) sowie die Direkte-Produkt-Rentabilität („DPR“).
Unter einem Fehlkauf bzw. Fehlbestand („out-of-stocks“) versteht man vom Kunden nachgefragte Artikel, die üblicherweise Bestandteil des Sortiments sind, im Moment der Nachfrage durch den Kunden physisch aber nicht vorhanden sind und daher nicht verkauft werden können. Als mögliche Gründe kommen verspätete Bestellung, Auslieferung oder Eingangsbearbeitung in Betracht. Die Methode zur Identifikation dieser out-of-stocks sind regelmäßige Testkundenbesuche, zum Beispiel in der Form des Mystery-Shoppings, oder aber regelmäßige Kundenbefragungen. Bei wiederholtem Auftreten von Out-of-Stock-Situationen ist eine Analyse der logistischen Prozesse notwendig, um negative psychografische (Kundenunzufriedenheit und -abwanderungen) und ökonomische (Umsatzverluste) Folgen zu vermeiden. Die Bonanalyse nutzt die Datenquelle „Kassenbon“, um sortimentspolitisch relevante Informationen zu beschaffen. So liefert die Bonanalyse beispielsweise Informationen darüber, welche Artikel besonders oft gekauft werden. In Kombination mit Kundenkartendaten werden so Einblicke in das individuelle Kaufverhalten möglich, die dann zum Beispiel für ein Kundenbeziehungsmanagement (vgl. hierzu auch Kapitel 8) genutzt werden können.29 Sortimentsverbünde können verschiedene Gründe haben, die nicht immer logisch erfasst werden können. Eine Auslistung verbundstarker Artikel kann zu einem überproportionalen Umsatz28 29
Vgl. Barth (1999), S. 180. Vgl. u. a. Mohme (1992).
216
7 Die Sortimentspolitik
rückgang führen. Insofern sollten die Entscheidungsträger im Bereich der Sortimentspolitik dieses Analyseinstrument nutzen. Problematisch ist jedoch, dass gerade in den Großbetriebsformen des Handels die Bonanalyse erhebliche Anforderungen an die Warenwirtschaft stellt, die eine regelmäßige, langfristige Auswertung oft erheblich erschweren. Die Umsatzanalyse kann in zwei Unterarten differenziert werden. Bei der Gesamtumsatzanalyse soll ein allgemeiner Überblick über die Sortimentsattraktivität gewonnen werden. Hierzu wird der gesamte Umsatz der Unternehmung regelmäßig mit dem des Vorjahres auf Basis der einzelnen Verkaufstage verglichen. Die Umsatzentwicklung „im Vergleich zum Vorjahr“ zeigt dann an, ob sich das Unternehmen positiv oder negativ entwickelt. Da diese Entwicklung aber nur zum Teil auf die Sortimentsentwicklung zurück zu führen ist, benötigt der Handelsmanager ferner sortimentsnähere Umsatzdaten. Hierzu verwendet man in der Praxis regelmäßig artikelgenau Teilumsatzanalysen. Eine beliebte Ausprägung sind die so genannten „Renner-Penner-Analysen“. „Renner“ sind dabei Artikel, die sich durch eine sehr hohe Anzahl an Abverkäufen in einem bestimmten zeitlichen Intervall (z. B. einem Monat) auszeichnen. „Penner“ hingegen sind Artikel, die besonders selten gekauft worden sind. Implizit werden bei Renner-Penner-Listen die Artikel nach ihrer Lagerumschlagsgeschwindigkeit („LUG“) beurteilt. Hier unterscheidet man wiederum zwei Formen: die mengen- und die wertmäßige Umschlagshäufigkeit. Die mengenmäßige Lagerumschlagsgeschwindigkeit ist definiert als Jahresabsatz eines Artikels/durchschnittlicher Lagerbestand des Artikels. Ein Artikel, von dem beispielsweise 200 Stück pro Jahr verkauft werden konnten und von dem im Jahresdurchschnitt 20 Stück vorrätig waren, würde demnach einen mengenmäßigen Lagerumschlag von 10 erreichen. Da der mengenmäßige Lagerumschlag immer auf einen Artikel bezogen bleiben muss, kann der Lagerumschlag einer Warengruppe immer nur wertmäßig erfolgen. Der wertmäßige Lagerumschlag ist dabei definiert als Wareneinsatz/durchschnittlicher Lagerbestand zu Bezugspreisen. Sowohl der Zähler als auch der Nenner dieses Quotienten wird dabei in der Dimension „Geldeinheiten“ ausgedrückt. Wären beispielsweise die oben genannten 200 Stück jeweils zu einem Einstandspreis von 100 GE bezogen worden, so betrüge der Wareneinsatz 20.000 GE. Der durchschnittliche Lagerbestand zu Bezugspreisen betrüge dann 2.000 GE. Der wertmäßige Lagerumschlag wäre demnach wiederum 10. Insofern entsprechen sich beide Werte immer dann, wenn nur ein Artikel in der interessierenden Warengruppe gelistet und keine preispolitischen Maßnahmen im Berichtszeitraum ergriffen wurden. Grundsätzlich gilt, dass ein Artikel umso attraktiver ist, je höher seine LUG ist, da hieraus eine geringe Kapitalbindung resultiert. Diese wiederum wirkt sich positiv auf die Liquidität der Unternehmung aus. Gleichzeitig kann die LUG aber selbst innerhalb einer Warengruppe stark schwanken. Frischmilch ist beispielsweise bereits nach einem Tag zu 90 % und nach drei Tagen vollständig abver-
7.5 Sortimentskontrolle
217
kauft, Butter hingegen erst nach zwölf Tagen. Eine Auslistung von Butter zu Gunsten von Milch würde aber vom Verbraucher nicht honoriert werden, da dieser von einem Lebensmittelhändler beide Artikel in einem Kaufakt beziehen möchte. Insofern sollte die jeweilige LUG immer im Vergleich zum Branchendurchschnitt bewertet werden und nur in sehr seltenen Ausnahmefällen als isoliertes Entscheidungskriterium heran gezogen werden. Trägt die LUG dem Aspekt der Kapitalknappheit Rechnung, so fokussiert die Sortimentsstrukturanalyse auf die Knappheit des Faktors Raum, dem die Sortimentspolitik Rechnung tragen muss. Um Hinweise darauf zu erhalten, welche Artikel und Warengruppen ein besonders gutes Raum/Leistungsverhältnis aufweisen, hat sich im Handel unter anderem die Anwendung so genannter Lorenzkurven etablieren können. Lorenzkurven zeigen an, welche Artikel oder Warengruppen unter- bzw. überdurchschnittlich viel Raum beanspruchen. Die folgende Abbildung zeigt das Beispiel einer Lorenzkurve eines Uhren- und Schmuckhändlers, der zudem noch eine Warengruppe Accessoires führt, in der z. B. Ersatzarmbänder für Uhren gelistet sind. Umsatz [%] 100 95 Schmuck
Accessoires
80
Uhren
45°
0
40
60
100 Beanspruchte Verkaufsfläche [%]
Abb. 7.12: Beispiel einer Lorenzkurve für drei Warengruppen
Die Analyse der Lorenzkurve zeigt, dass die Warengruppen Uhren und Schmuck eine relativ bessere Raumleistung erzielt, als die Warengruppe Accessoires. Letztere beansprucht 40 % der Verkaufsfläche, kann auf dieser Fläche aber lediglich 5 % des gesamten Umsatzes erwirtschaften. Die beste Raumleistung erzielt die Warengruppe Uhren. Hier werden 80 % des Umsatzes auf nur 40 % der verfügbaren Fläche erwirtschaftet. Insofern sollte der Händler erwägen, den Platz für Accessoires zu reduzieren und diesen mit Uhren zu belegen. Eine ganz zentrale Kennziffer ist der Deckungsbeitrag („DB“). Diese wird aus der Kostenrechnung, genauer aus der Kostenträgerrechnung, gewonnen. Als Kostenträger kommen im Handel u. a. die Filiale, die Warengruppe, aber auch der einzelne Artikel in Betracht. Die Deckungsbeitragsrechnung gibt betriebswirt-
218
7 Die Sortimentspolitik
schaftlich wichtige Aufschlüsse über den Erfolgsbeitrag des jeweiligen Kostenträgers. Im Rahmen der Sortimentspolitik interessiert insbesondere die Deckungsbeitragsrechung („DBR“) auf den Ebenen der Sortimentspyramide. Grundsätzlich ist der DB definiert als Deckungsspanne eines Artikels multipliziert mit seiner abgesetzten Menge. Die Deckungsspanne („DSP“) wiederum ist definiert als Verkaufspreis einer Einheit abzüglich der dieser Einheit zurechenbaren variablen Kosten. Jeder Verkaufspreis, der über den Kosten liegt, trägt somit zur Deckung der fixen Kosten bei. Ein Beispiel für eine einstufige DBR gibt die folgende Tabelle. In dem dort dargestellten Beispiel verfügt der Handelsbetrieb über zwei Warengruppen mit jeweils zwei Artikeln. Diese weisen allesamt eine positive Deckungsspanne auf. Unter normalen Bedingungen wäre somit kein Artikel von der Auslistung bedroht. Auch die Deckungsbeiträge der einzelnen Warengruppen wären positiv und lägen bei 2183,14 GE für die Warengruppe A und 3233,10 GE für die Warengruppe B. Der gesamte Betrieb würde demnach einen Deckungsbeitrag von 5416,24 GE erwirtschaften. Abzüglich der fixen Kosten, zum Beispiel für Mieten und Personal in Höhe von 2700 GE, würde der gesamte Betrieb ein Betriebsergebnis von 2716,24 Geldeinheiten erwirtschaften. Warengruppe A Verkaufspreis Kvariabel = DBArtikel Rang Absatzmenge = DBArtikel Rang = DBWarengruppe DBBetrieb - Kfix Betriebsergebnis
Artikel A1 14,99 6,43 8,56 2 119 1018,64 4 2183,14 5416,24 2700,2716,24
Artikel A2 29,99 16,29 13,70 1 85 1164,50 3
Warengruppe A Artikel B1 3,49 1,47 2,02 3 772 1559,41 2 3233,10
Artikel B2 1,99 0,65 1,34 4 1249 1673,66 1
Tab. 7.3: Quantitative Kennzahlen zur Beurteilung der Sortimentspolitik
Würde das Handelsmanagement nun einen Artikel angeboten bekommen, der nachweislich einen Deckungsbeitrag von mehr als 1018,64 GE pro Periode erzielen könnte, so würde Artikel A1 immer dann ausgelistet werden, wenn er (a) keine positiven Verbundeffekte zu anderen Artikel aufweisen kann und (b) der neu zu listende Artikel keine Substitutionseffekte zu im Sortiment verbleibenden Artikel aufweisen würde. Eine wichtige Ergänzungsrechung zur DBR bildet die Methode der Direkten Produkt-Rentabilität („DPR“). Durch sie soll ermittelt werden, welche Kosten den jeweiligen Artikeln zugerechnet werden können. Im Kern versucht diese Methode, das Gedankengut der Prozesskostenrechnung auf den Handel zu übertragen. Dieser Ansatz ist zwar in der Literatur heftig umstritten, wird aber in der Praxis oft
7.5 Sortimentskontrolle
219
verwendet, da die Gemeinkosten im Handel oftmals einen so hohen Prozentsatz an den Gesamtkosten haben, dass eine differenziertere Analyse der Gemeinkosten, die oft nur pauschal zugeschlagen werden, sinnvoll erscheint. Irreführend ist der Begriff deswegen, weil es sich nicht um eine „echte“ Rentabilität in dem Sinne handelt, als dass der Output in Relation zu einer Kapitalgröße berechnet wird. Zur Berechung der DPR werden die durch den Artikel verursachten Kosten prozessual erfasst und diesem zugerechnet. Hierbei werden zumeist zwei Bereiche unterschieden. Zum einen werden die anfallenden Kosten im Lagerbereich prozessual aufgegliedert und erfasst, zum anderen wird untersucht, welche Kosten der zu beurteilende Artikel im Betrieb verursacht. Auf Grund des hohen Informationsbedarfs der DPR empfiehlt es sich, diese Rechnung nur im konkreten Entscheidungsbedarf durchzuführen. Für eine fortlaufende, ständige Kontrolle ist sie trotz des erheblichen technischen Fortschritts im Handel durch z. B. die Einführung der EAN und nun auch RFID bis dato zu aufwändig. Die Zurechnung der so im Einzelfall erhobenen Daten erfolgt regelmäßig nach dem folgenden Schema:
+ -
Position
Beispiel in GE
Brutto-Verkaufspreis Umsatzsteuer Erlösschmälerungen (Rabatte, Boni, Skonti) Netto-Einkaufspreis Sonstige Lieferantenvergütungen Direkte Produktkosten Zentrallager: Disposition Warenannahme Einlagerung Kommissionierung Warenausgang Transport
116,16,3,39,2,20 3,58
Betrieb Disposition Warenannahme Einlagerung Transport zum Regal Auspacken, Einräumen Auszeichnen Kassieren Umtauschkosten =
Direkte Produktrentabilität
0,30 0,24 0,17 0,11 0,24 0,56 0,43 0,36 0,17 0,12 0,48 0,12 0,17 0,11 56,62
Ergebnisse der DPR-Methodik können und sollten mit anderen Kennzahlen wie z. B. der DBR oder der LUG kombiniert werden, um hieraus Handlungsempfehlungen herleiten zu können. Insgesamt kann sie das Kontrollinstrumentarium des Handelsmarketing somit sinnvoll ergänzen.
220
7 Die Sortimentspolitik
Insgesamt hat die Sortimentspolitik in den letzten Jahren einen wichtigen Schwerpunkt der Handelsmarketingforschung und -praxis gebildet. Neue Verfahren, wie beispielsweise das ECR oder das Category Management, hatten und haben einen wesentlichen Einfluss auf das Handelsmarketing und sich in einigen Handelsbetrieben durchsetzen können. Daneben haben rechtliche Veränderungen wie der Fall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, sowie nicht zuletzt auch die Diskussion und Gesetzgebung unter dem Rubrum „Pflichtpfand“ die Sortimentspolitik des Handels zum Teil gravierend beeinflusst. Es ist daher zu erwarten, dass dieser Bereich wegen seiner hohen Bedeutung für den handelsbetrieblichen Erfolg auch künftig einen zentralen Stellenwert im Marketing-Mix des Handels einnehmen wird.
8 Die Personalpolitik
8.1 Bedeutung der Personalpolitik für das Handelsmarketing Bei der im Marketing allgemein üblichen Vierteilung des marketingpolitischen Instrumentariums bildet die Personalpolitik oftmals keinen eigenständigen Bereich. Zum Teil wird sie im Bereich der Distributionspolitik, z. B. im Rahmen des Teilbereichs der Verkaufs- und Außendienstpolitik diskutiert. Explizit vertiefte Diskussionen sind jedoch eher die Ausnahme. Im praktizierten Handelsmarketing ist es hingegen üblich, dem Faktor Personal auf Grund seiner hohen Erfolgsrelevanz besonderes Augenmerk zu widmen.1 Geprägt wird die Personalstruktur des Handels maßgeblich durch die allgemeine Strukturveränderung im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer, zumeist personalextensiver Betriebsformen wie z. B. den Discountern. Zudem steht der Faktor Personal auch deswegen oft in der Diskussion, da die Personalkosten im Handelsbetrieb regelmäßig nach den Wareneinstandskosten den zweitgrößten Kostenblock darstellen. Die Entwicklung des Handels war daher unter dem vorherrschenden starken Kostendruck in den letzten Jahren oft durch eine Substitution des Faktors „Personal“ durch die Faktoren „Raum“ und „Kapital“ geprägt. Als ein Beispiel hierfür sei die rasante Entwicklung der Selbstbedienungsläden genannt. Eine wesentliche Determinante der Personalpolitik ist daher die gewählte Betriebsform. Innerhalb einer bestimmten Betriebsform hingegen ist der Personalbedarf weitgehend fremdbestimmt und wird maßgeblich durch den Kundenstrom definiert. Dies kann zu betriebswirtschaftlich problematischen Kapazitätsspitzen führen, die hohe Bereitstellungskosten nach sich ziehen können. Insofern werden Konzepte der Nachfragesteuerung diskutiert, die zu einer Verstetigung der Kundenströme führen sollen (z. B. Guten-Morgen-Rabatte) oder aber die Möglichkeit zusätzlicher Ladenöffnung (z.B. Midnightshopping) bieten. Eine Übersicht über die aus Sicht der Kunden präferierten Ladenöffnungszeiten im LEH vermittelt die folgende Abbildung. Diese zeigt zum einen die heterogenen Wünsche der Kunden, zum anderen, dass eine Verlängerung der Öffnungszeiten (z.B. vor 8 Uhr oder am Sonntag) seitens der Kunden durchaus erwünscht ist. Gleichwohl ist aus betriebsswirtstchaftlicher Sicht zu beachten, dass die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für längere Ladenöffnungszeiten derzeit eher schwach ausgeprägt ist.2
1 2
Vgl. bspw. Müller-Hagedorn (2002), S. 312ff. sowie Pepels (1995), S. 140ff. anders aber Schröder (2002). Vgl. Jedrowiak/Weber (2006), S. 37ff.
222
8 Die Personalpolitik
60
54
50 40
46 39
38 27
30 21
19
20
20 10
9
8
11 2
4
2 2
0 vor 8 Uhr
8 Uhr
Montags bis Freitags
9 Uhr Samstags
10 Uhr
nach 10 Uhr
Sonntags
Abb. 8.1: Präferierte Öffnungszeiten von Lebensmittelgeschäften an verschiedenen Wochentagen (Quelle: Jedrowiak/Weber, 2006, S. 43)
Besonders deutlich wird der strukturelle Wandel im Bereich der Personalpolitik, fast könnte man auch von einer „Entpersonalisierung“ sprechen, am Beispiel der Tante-Emma-Läden. Während 1950 noch mehr als die Hälfte der im Einzelhandel tätigen Personen Inhaber oder Familienangehörige des Inhabers waren, ist deren Anteil am Umsatz nunmehr deutlich unter 25 % gesunken.3 In der Folge mussten die Personalplaner im Handel verstärkt auf Angestellte, Auszubildende und zunehmend auch Aushilfskräfte zurückgreifen. Zwischenzeitlich sind die dadurch entstandenen Mängel so groß, dass diskutiert werden kann, ob das Personal nicht auch (wieder) verstärkt für die Betriebstypenprofilierung genutzt werden kann. Unabhängig von dieser Diskussion soll das vorliegend Kapitel die wesentlichen Gestaltungsbereiche der Personalpolitk skizzieren. Die Aspekte, die näher erläutert werden sollen, sind in folgender Abbildung dargestellt. Auf eine Darstellung vermeintlicher „Tricks“ zur Führung von Verkaufsgesprächen soll explizit verzichtet werden, da die Erfolgswirkung vieler dieser Maßnahmen nach wie vor wissenschaftlich nicht belegt werden konnte.
3
Vgl. Birker/Voss (2000), S. 111.
8.2 Wahl der Bedienungsform
223
Personalführungskonzeption
Vergütung der Mitarbeiter
Gestaltungsbereiche der Personalpolitik
Selektion und Schulung des Verkaufspersonals
Personalplanung
Organisiatorische Strukturierung
Abb. 8.2: Die Gestaltungsbereiche der Personalpolitik
Zunächst soll jedoch eine wichtige betriebswirtschaftliche Entscheidung näher erläutert werden, die eng mit der Personalpolitik verknüpft ist: die Wahl der Bedienungsform.
8.2 Wahl der Bedienungsform Die Wahl der Bedienungsform (auch: „Warenandienung“) hat großen Einfluss auf die Personalpolitik und Kostenstruktur des Unternehmens. Gleichzeitig stellt sie aber auch einen wichtigen Parameter des Handelsmarketing dar, der z. B. wesentliche Bedeutung für das im Rahmen der Markenbildung wichtige Markenvertrauen haben kann. Die Wahl der Bedienungsform ist daher oft strategischer Natur und sollte Gegenstand des strategischen Marketingmanagement sein. Je nachdem, für welche Bedienungsform sich das strategische Marketingmanagement entscheidet, werden völlig andere qualitative und quantitative Anforderungen an den Personalbedarf gestellt. Die zur Auswahl stehenden Alternativen sollen im Folgenden kurz skizziert werden. 8.2.1 Selbstbedienungssysteme In einem Selbstbedienungssystem erfolgt so gut wie keine Beratung durch das Verkaufspersonal. Die Ware wird vom Kunden ausgewählt und zur Kasse transportiert. Lediglich im Kassenbereich kommt der Kunde mit dem Personal in Be-
224
8 Die Personalpolitik
rührung. Dabei oblag es bisher dem Kassierer, die Warendaten ins Kassensystem einzugeben bzw. sie einzuscannen. Derzeitig werden Systeme im Lebensmittelhandel getestet, bei denen der Scannvorgang durch den Kunden, z. T. bereits direkt am Einkaufswagen, erfolgt („Self-Scanning“). In der Praxis findet man jedoch häufig Mischformen zwischen Selbstbedienungs- und Bedienungskonzepten. Im Lebensmittelbereich ist es üblich, zumindest die Wurst-/Fleisch-/ und Käsetheke mit Kundenbedienung auszustatten. Gleichwohl steigen auch in diesen Warengruppen die SB-Anteile deutlich. Ob ein Selbstbedienungssystem für einen Standort in Frage kommt, ist ein wichtiges Entscheidungsproblem. In einem bestehenden Handelssystem, und dies ist der Regelfall, steht der Marketingmanager aber nur sehr selten vor der Entscheidung eines vollständigen Systemwechsels. In der Regel hat er darüber zu entscheiden, inwieweit auf Bedienung zu Gunsten der Selbstbedienung verzichtet werden kann. Bei dieser Entscheidung sind folgende besondere Merkmale des Selbstbedienungssystemes zu berücksichtigen: • Der Verkaufsraum und die Einrichtung müssen so ausgestattet sein, dass der Kunde sich leicht orientieren kann. Dies geht mit erhöhten Ansprüchen an die Warenpräsentation und die Verpackungsgestaltung einher. • SB-Systeme sind vor allem für wenig erklärungsbedürftige Produkte und durch die Werbung bereits vorverkaufte Waren geeignet. • Mit dem Wechsel der Bedienungsform verändert sich auch die Betriebsform der Handelsunternehmung. • Der Personalaufwand ist niedriger als im Bedienungssystem. 8.2.2 Persönlicher Verkauf Im Rahmen des persönlichen Verkaufs sind reine Bedienungssysteme und Vorwahlsysteme zu unterscheiden. Vorwahlsysteme werden in verschiedenen Ausprägungen im Einzelhandel eingesetzt. Grundsätzlich hat der Käufer bei einem Vorwahlsystem die Möglichkeit, die Ware auch ohne den Verkäufer zu begutachten.4 Das Personal ist lediglich dafür zuständig, z. B. andere Größen zu holen oder Kassenzettel zu schreiben. Ein Beispiel dafür ist der Verkauf von Möbeln, die oft in Ausstellungsräumen präsentiert werden. Für die Übergabe der Ware wird dann aber regelmäßig das Verkaufspersonal eingesetzt. In einem reinen Bedienungssystem steht der persönliche Verkauf im Mittelpunkt des Aufgabengebietes des Verkaufspersonals. Unter den vielfältigen Verkaufsinstrumenten ist der persönliche Verkauf – von wenigen Ausnahme abgesehen, wie etwa dem Versandhandel oder dem SB-Handel – oft das letztlich ausschlaggebende Mittel der Kaufentscheidungsbeeinflussung durch das Handelsunternehmen.5 Er zählt zu den obligatorischen, d. h. nicht substituierbaren Instrumenten der Marktbearbeitung. Die zentrale Bedeutung des persönlichen Verkaufs hat vor allem folgende Grundlage: 4 5
Vgl. Müller-Hagedorn (2002), S. 314. Vgl. Ahlert (2004), S. 55f.
8.2 Wahl der Bedienungsform
225
Der persönliche Verkauf ist für die Erreichung kurzfristiger Umsatzziele ausschlaggebend. Eine gute Verkäuferin ist beispielsweise in der Lage, den Abteilungsumsatz in bestimmten Grenzen unmittelbar positiv zu beeinflussen. Kaum ein anderes Marketinginstrument der Marktkommunikation ist in dem Maße wie das persönliche Verkaufsgespräch geeignet, die langfristigen Marketingziele positiv (oder auch negativ) zu beeinflussen. Der Verkäufer stellt die Personifizierung der kompletten Angebotsleistung einer Unternehmung dar. Nicht selten bekommt die abstrakte Betriebstypenmarke durch ihn „ein Gesicht“. Dank der im Verkaufsgespräch stattfindenden Interaktion (zweiseitige Kommunikation) kann der Verkäufer sein Verhalten und seine Argumente auf die spezifischen Vorkenntnisse, Bedürfnisse und Konsumprobleme, aber auch Sprach-, Erlebens-, und Verhaltensgewohnheiten des Kunden individuell abstimmen. Der Verkäufer kann somit nachhaltig auf den Inhalt des Langzeitgedächtnisses (Lernprozesse) des Kunden einwirken und dessen Einstellungen gegenüber der kompletten Angebotsleistung grundlegend beeinflussen (Imagewirkung des persönlichen Verkaufs). Aus Sicht der Handelsunternehmung erfüllt der persönliche Verkauf somit folgende Funktionen: • Gewinnung von Informationen über den Kunden (dies bietet dem Unternehmen die Möglichkeit der Nutzung intimer Marktkenntnisse der Verkäufer bei der Konzeption und Fortentwicklung kundenorientierter Problemlösungen) • Erzielung von Kaufabschlüssen • Verkaufsunterstützung (Beratung, Warenpräsentation) • Einstellungs- und Imagebildung. Die erfolgreiche Wahrnehmung dieser Funktionen ist jedoch stark von der Motivation und den persönlichen Fähigkeiten des Verkäufers abhängig. In breit angelegten Studie zur Motivation des Verkaufspersonals in den USA auf der Ebene des „Store-Management“ attestieren Rhoads et al. (2002) dem Handel noch erhebliche Motivationsdefizite.6 Diesen Defiziten kann das Handelsmanagement nur begrenzt durch eine gewissenhafte Personalauswahl und Schulungssysteme entgegenwirken. Wirkungvoller kann die Motivation wohl durch Anreizlohnsysteme und durch den Führungsstil beeinflusst werden. Allerdings ist dieser Mechanismus noch nicht vollkommen erforscht. So gibt es bspw. Menschen, auf die eine Erhöhung der extrinsischen Anreize (z. B. Prämien) demotivierend wirkt (sog. „Crowding-out-Effekt“). Der größte Nachteil des Bedienungssystems ist sicherlich der mit dem persönlichen Verkauf verbundene hohe Personalkostenanteil. Eine wichtige Problemstellung, die sich aus den hohen Personalkosten des Bedienungssystems ergibt, ist zum einen die Frage, wo die optimale Personaleinsatzplanung liegt. So ist nicht davon auszugehen, dass ein linearer Zusammenhang zwischen der Anzahl der Verkäufer und der Anzahl der Kaufabschlüsse besteht.7 Zum anderen ist die Frage zu beantworten, wie das vorhandene Personal zeitlich bestmöglich eingesetzt wer-
6 7
Vgl. Rhoads et al. (2002) Vgl. Müller-Hagedorn (2002), S. 316f.
226
8 Die Personalpolitik
den kann. Hierzu sollen im folgenden Kapitel die Gründzüge der Personalplanung dargestellt werden.8
8.3 Personalplanung Ganz allgemein kann Planung als gedankliche Vorwegnahme künftiger Maßnahmen bezeichnet werden. Die Aufgabe der Personalplanung im Rahmen der Marketingplanung besteht somit darin, dem Handelsunternehmen die benötigten personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Damit ist die Personalplanung ein Teil der Unternehmensplanung und hat sich danach sowohl am Unternehmenszielsystem als auch an der Unternehmensstrategie zu orientieren. Obwohl theoretisch fragwürdig, geschieht dies in der Handelspraxis oft mit Hilfe von Kostenvorgaben, die sich am Umsatz orientieren. Ein Beispiel wäre die Vorgabe des TopManagements, im Jahr 2005 in allen Fillialen eines Handelssystems einen Personalkostenanteil am Umsatz von 10 % zu realisieren. Die Personalplanung im Handel wird zudem durch kurzfristig auftretende Faktoren, wie beispielsweise Wetterveränderungen, und durch starke Bedarfsspitzen (z. B. am Wochenende) bestimmt. Zudem übersteigen die wöchentlichen Ladenöffnungszeiten die wöchentliche Arbeitszeit deutlich. In der Folge sind meist nicht mehr als 60 % des Personals präsent.9 Zum Ausgleich von Bedarfsspitzen ist der Handel daher oft und in hohem Maße auf den Einsatz von Aushilfs- und Teilzeitkräften angewiesen. Dies ist vor allem bei Bedienungssystemen ein Problem, denn die erwartete Qualität des Verkaufpersonals kann bei Einsatz zahlreicher Aushilfen nicht immer gewährleistet werden. Hohe Fluktuation und mangelnde Ausbildung sind dafür die Gründe. Ausgangspunkt der Personalbedarfsplanung ist der gegenwärtige Bedarf an Arbeitskräften. Dieser wird unter Berücksichtigung dynamischer Größen (z. B. der Kaufkraftentwicklung) in die Zukunft extrapoliert. Daraus ergibt sich der Sollwert. Diesem Sollwert wird der Ist-Bestand gegenüber gestellt. Die positive oder negative Differenz zwischen den beiden Werten bildet den Personalbedarf. Soll-Bestand – Ist-Bestand = Personalbedarf Der so ermittelte, ggfs. positive, Personalbedarf bildet die Grundlage für den Personalbeschaffungsplan. Die Beschaffungsmaßnahmen können sich sowohl auf den innerbetrieblichen, als auch auf den außerbetrieblichen Arbeitsmarkt richten. Der innerbetriebliche Arbeitsmarkt wird durch interne Stellenausschreibungen angesprochen. Die innerbetriebliche Transparenz über offene Stellen in Verbindung mit der Chance, intern in attraktive Positionen aufrücken zu können, kann erhebliche Motivationen seitens der Mitarbeiter bewirken. Soweit im Betrieb ein Betriebsrat besteht, ist dieser gem. § 92 des Betriebsverfassungsgesetzes in die Personalplanung einzubeziehen. Gemäß § 93 BetrVerfG kann der Betriebsrat verlangen, dass bei der Besetzung bestimmter Arbeitsplätze zunächst eine innerbe8 9
Vgl. Tietz (1993), S. 619ff. sowie Barth (1999), S. 59f. Vgl. Birker/Voss (2000), S. 112.
8.3 Personalplanung
227
triebliche Ausschreibung zu erfolgen hat. Hiermit soll der innerbetriebliche Arbeitsmarkt aktiviert werden. § 93 besagt aber nicht, dass in jedem Fall der interne Bewerber dem externen vorzuziehen ist. Auf dem außerbetrieblichen Arbeitsmarkt erfolgt die Personalsuche in der Regel durch Stellenausschreibungen in Zeitungen oder Aushängen sowie über das Arbeitsamt. Bei der Akquisition von Führungskräften werden oft auch persönliche Kontakte oder aber sog. „Headhunter“ genutzt. Da zahlreiche deutsche Handelsunternehmen nach wie vor national agieren, ist der Personenkreis für Positionen im Top-Management so überschaubar, dass diese Positionen zum großen Teil von Personalberatern besetzt werden. Es verwundert daher nicht, dass Vakanzen im Top-Management oftmals mit bereits aus anderen Unternehmen bekannten Personen besetzt werden. Zur Personalbeschaffung gehört zudem die Auswahl der Bewerber und – bei positivem Ergebnis – der Abschluss eines Arbeitsvertrages, der nicht der Schriftform bedarf und auch mündlich geschlossen werden kann. Mit Aufnahme der Tätigkeiten innerhalb der Handelsunternehmung beginnen die Aufgaben des Personalentwicklungsplans. Das vorrangige Ziel dieses Planungsbereichs ist die Mitarbeiterqualifikation. Hierzu werden insbesondere die folgenden Maßnahmenbereiche genutzt: • Ausbildung • Fort- und Weiterbildung • Umschulung. Die optimale Zuordnung von Arbeitskräften mit bestimmten Eignungen, Motivationen, etc. zu Arbeitsplätzen (Stellen) mit bestimmten Anforderungen wird allgemein als Personaleinsatzplan bezeichnet. Das zentrale Problem der Personaleinsatzplanung ist die Abdeckung von Bedarfsspitzen bei gleichzeitiger Beachtung der Leerkosten. Die Relevanz dieses Problems verdeutlicht u. a. eine Studie von TIETZ10, der zeigt, dass die in einer Stunde erzielten Umsatzanteile zwischen 5,1 % (wochtentags, 9-10 Uhr) und 22,2 % (samstags, 10-11 Uhr) schwanken können. Um diese starken Schankungen planerisch zu bewältigen, werden Informationen zum künftigen Kundenaufkommen benötigt. In der Praxis wird hierzu oft auf die Auswertung von Kassendaten zurückgegriffen. Dieses Vorgehen ist jedoch problematisch, da an der Kasse nur diejenigen Kunden gezählt werden können, die ggfs. durch geeignete Beratung einen Kauf getätigt haben. Kunden, die auf Grund von fehlendem Personal keinen Kauf getätigt haben, werden hier nicht erfasst. In der Folge droht die Gefahr der Unterbesetzung. Aber auch der entgegengesetzte Effekt ist denkbar. Kunden, die keine Beratung wünschen, werden zwar angesprochen, lehnen die Beratung aber ab und suchen sich die zu kaufenden Artikel selbst. Diese Kaufakte wären somit auch ohne Beratung getätigt worden. Schreibt man diese - fälschlicherweise - dem jeweiligen Personalbestand zu, so droht die Gefahr der Überbesetzung. Im Fazit bieten Kassendaten allenfalls eine erste Orientierungshilfe für die handelsbetriebliche Personaleinsatzplanung.
10
Vgl. Tietz (1993), S. 621.
228
8 Die Personalpolitik
Sinnvoller wäre es hingegen, die Kundenfrequenz mit Hilfe von z. B. Zählern im Eingangsbereich der Einkaufsstätte zu erfassen und darauf aufbauend einkaufsstättenindividuell unterschiedliche Personal/Kunden-Relationen zu testen. Die Testergebnisse können dann die Basis für eine evolutionäre Optimierung bieten, die den standortspezifischen Besonderheiten der Kundschaft Rechnung trägt. Erste Versuche in diese Richtung werden derzeit unter anderem von der KARSTADT WARENHAUS AG vorangetrieben. Eine andere Möglichkeit der Harmonisierung von Personalbedarf und Personalnachfrage besteht darin, die Nachfrage dem kostenoptimalen Personalbestand anzupassen. Im Kern wird damit der Aktionsaspekt des Handelsmarketing angesprochen. Demnach hat Marketing auch die Aufgabe, den Absatzmarkt der Handelsunternehmung im Sinne der Unternehmensziele positiv zu beeinflussen. Bezogen auf die Personalplanung bedeutet dies, die Nachfrageströme so zu lenken, dass Belastungsspitzen harmonisiert werden können. In Innenstadtlagen bilden bspw. die Wochenenden regelmäßig Kapazitätsspitzen, da an diesen Tagen ortsfremde Kunden in die Städte gezogen werden. Konzepte der Nachfragesteuerung sollten daher versuchen, entweder diesen Strom auf andere Tage zu verlagern, oder aber die heimischen Kunden auf andere Wochentage (z. B. den langen Donnerstag) umzulenken. Inwiefern die ersten Versuche der Praxis mit diesem Instrument erfolgreich sein werden, bleibt jedoch abzuwarten.
8.4 Entgeltpolitik Die Entgeltpolitik ist ein wichtiges Mittel der Personalplanung.11 Insbesondere im beratungsintensiven Einzelhandel ist die Qualität des Verkaufspersonals oft von ausschlaggebender Bedeutung für den Kauf eines Artikels. Eine überdurchschnittliche Bezahlung kann u. a. für die Gewinnung besonders kompetenter Mitarbeiter ausschlaggebend sein. Zudem besteht im Rahmen der Entgeltpolitik die Möglichkeit, leistungsorientierte Anreize zu setzen und so die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zu steigern. Ziel der Entgeltpolitik ist neben der dargestellten Effizienzsteigerung auch, individuelle Leistungsunterschiede zu belohnen. Grundsätzlich können drei Formen der leistungsorientierten Entgeltdifferenzierung unterscheiden werden: • Entgeltdifferenzierung nach Leistungsverrichtung • Entgeltdifferenzierung nach dem Leistungsergebnis • Entgeltdifferenzierung nach Leistungspotenzialen.12 Die Entgeltdifferenzierung nach Leistungsverrichtung unterliegt dem Anforderungsprinzip. Das Arbeitsentgelt wird als Fixgehalt unter Annahme einer „Normalleistung“ gewährt. Eine echte Anreizwirkung wird nicht erreicht.
11 12
Vgl. hierzu grundlegend Lehmkühler (2000). Vgl. Barth, 1999, S. 62.
8.4 Entgeltpolitik
229
Die Vergütung der Mitarbeiter richtet sich bei der zweiten Form der Entgeltdifferenzierung nach ihrem Leistungsbeitrag bzw. nach der Erreichung bestimmter Zielvereinbarungen (z. B. Deckungsbeitrag, Kundenzufriednheits-Index). Die Vergütung ist somit variabel. Im Einzelhandel haben vor allem Prämiensysteme eine hohe Bedeutung. Neben einem fixen Gehaltsbestandteil erhält der Mitarbeiter eine leistungsabhängige Prämie. Zu unterscheiden sind dabei Prämien, die an die Leistung des Teams, z. B. einer Abteilung, gebunden sind, oder Einzelprämien. Mit einer Teamprämie erhöht sich das Gemeinschaftsgefühl und Missgunst und Neid werden vermieden. Allerdings besteht auch die Gefahr des Trittbrettfahrens. Die wohl größere Motivation ist jedoch mit einer Einzelprämie zu erzielen. Einzelprämien werden besonders im beratungsintensiven Einzelhandel eingesetzt. So erhalten die Mitarbeiter im Bekleidungseinzelhandel oft Umsatzprovisionen. Durch die Vergabe von Verkäufernummern werden die Umsätze beim Kassiervorgang den einzelnen Personen zugeordnet.
Parameter
Ausprägung der Parameter (Variablen)
P1 Aktivitäten des Reklamationsbearbeitungsprozesses
Aktivitäten des Verkaufsprozesses
Steuerungsobjekt P2 Bemessungsgrundlage
Umsatz
Deckungsbeitrag
Gewinn
Kundenzufriedenheitswert
Kundenbindung
Reklamationszufriedenheit
P3 Anreizart
Tarifliches Festgehalt
Provision
Prämie
Tantieme
Aktien/Anteile
P4 Anreizempfänger
Individuum
Team
P5 Bezugszeitraum
Tag
Woche
Monat
Jahr
Abb. 8.3: Morphologischer Kasten zur Systematisierung der Entgeltpolitik (Quelle: Lehmkühler, 2000, S. 186).
Lob
230
8 Die Personalpolitik
8.5 Personalführung Auf Grund der hohen Bedeutung des Faktors Personal für das Handelsmarketing stellt sich die Frage, wie die Mitarbeiter durch geeignete Mechanismen so angereizt werden können, dass sie einen möglichst hohen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten können. Die jeweils zu verwendenden Instrumente sind dabei davon abhängig, welche theoretischen Grundannahmen im Bereich der Motivationstheorien getroffen werden. Motivationstheorien sollen daher Aufschluss über die Antriebskräfte des Menschen geben, die zu einem bestimmten Verhalten und Handeln, etwa häufigem Absentismus oder der Leistung freiwilliger Überstunden, führen.13 Diesbezüglich wurden in den letzten Jahren überwiegend zwei Theorien vertiefend diskutiert: Inhalts- und Prozesstheorien.14 Inhaltstheorien betrachten die Motivation eines Menschen als statisch. Sie bieten eine Antwort auf die Frage, was motiviert. Beispiele hierfür sind die ZweiFaktoren-Theorie nach HERZBERG oder die E-R-G-Theorie nach ALDERFER. Prozesstheorien versuchen zu erklären, wie die Motivation des menschlichen Verhaltens entsteht. Sie beantworten die Frage, warum eine Person motiviert ist und weisen damit einen dynamischen Charakter auf. Ihre Grundidee beruht darauf, dass Menschen sich stets für den Weg entscheiden, der ihnen am erfolgsträchtigsten erscheint. Erfolg wird dabei als Zielerreichungsgrad verstanden. Entsprechend wird auch vom Weg-Ziel-Konzept gesprochen. Ein populärer Vertreter dieser Richtung ist VROOM. Er entwickelte die „VIE-Theorie“. Das Akronym steht dabei für Valenz-Instrumentalität-Erwartung. Die Valenz wird verstanden als die Wertigkeit des zu erreichenden Ziels. Ziele, die vom Mitarbeiter als besonders erstrebenswert angesehen werden, haben eine hohe Valenz. Instrumentalität bezeichnet den Mittel-Zweck-Zusammenhang zwischen den zu wählenden Handlungen und den jeweiligen Handlungsfolgen. Erwartung schließlich meint die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit, dass das vorgesehene Verhalten den Erfolg bringt. Aufbauend auf diesen theoretischen Ansätzen können unterschiedliche Anreizsysteme konzipiert werden. Dabei wird zunächst generell zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterschieden. Intrinsische Motivation liegt dann vor, wenn ein Verhalten SelbstzweckCharakter aufweist. Zu diesen Motiven zählen das Leistungsmotiv, das Machtmotiv, das Neugiermotiv, das Kompetenzmotiv sowie das Geselligkeitsmotiv. Extrinsische Motivation zieht ihre Kraft nicht aus der Tätigkeit an sich, sondern aus den mit der Tätigkeit angestrebten Zielen. Hier lassen sich die folgenden Motive unterscheiden: Geldmotiv, Sicherheitsmotiv und Prestigemotiv. Im Rahmen der Mitarbeiterführung bilden diese Motive mögliche Ansatzpunkte zur Ausgestaltung von Anreizsystemen, die letztlich den Zweck erfüllen sollen, dass der Mitarbeiter seine Arbeitskraft im Sinne der Unternehmensziele maximal einbringt.15 Eine Studie von Rhoads et al. zeigt vor diesem Hintegrund, dass die Marketingmanager, die in den Zentralen der Handelsunternehmen arbeiten, im Vergleich zu ihren Kollegen aus der Industrie in etwa gleich zufrieden mit ihrer 13 14 15
Vgl. Wagner (1996), S. 234. Vgl. hierzu und zum folgenden: Wagner (1996), S. 235ff. Zur Konzeption von Anreizsystemen im Einzelhandel vgl. Lehmkühler (1999).
8.5 Personalführung
231
Arbeit sind. Größere Defizite zeigt die Studie in Bezug auf das Personal „auf der Fläche“. So sind die befragten Marktleiter deutlich weniger zufrieden mit ihren Arbeitserfahrungen und verdienen zudem deutlich weniger Geld. Darüber hinaus empfinden sie ihre Arbeit als wenig abwechslungsreich und beklagen die geringen Freiheitsgrade. In der Folge ist ihr Commitment schwächer und ihre Wechselbereitschaft höher.
9 Die Preispolitik
9.1 Preispolitische Entscheidungsprobleme im Handel 9.1.1 Bedeutung der Preispolitik für das Handelsmarketing Der Preis stellt nach wie vor das zentrale Marketing-Instrument im deutschen Handel dar. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen zeichnet sich die Preispolitik durch eine erhebliche Wirkungsstärke aus. Zum anderen ist die Wirkungsgeschwindigkeit preispolitischer Maßnahmen außergewöhnlich hoch.1 Gefestigt wird diese zentrale Position des Preises derzeit u. a. durch die folgenden Entwicklungen: 1. Der wachsende Verdrängungswettbewerb auf Grund massiver Überkapazitäten im Handel und eines stagnierenden Marktvolumens in fast allen Konsumgütermärkten wird häufig ausschließlich über den Preis geführt.2 2. Parallel zur Erhöhung der Wettbewerbsintensität innerhalb der Branche entziehen zunehmend andere Branchen, insbesondere der Bereich „Mieten“ und „Energie“, dem Handel Kaufkraft. Diese Kaufkrafterosion führt dazu, dass deutsche Einzelhändler nur sehr niedrige Wachstumsraten realisieren können oder sogar rückläufige Umsätze hinnehmen müssen.3 3. Die zunehmende Austauschbarkeit der Sortimente und Betreibungskonzepte hat zur Folge, dass der Wettbewerb vorwiegend über den Preis erfolgt. Fast könnte man von einem „Preiskrieg“ sprechen.4 4. Angesichts dramatischer Umsatzverluste in nahezu allen Betriebsformen sind viele Händler zu kurzfristigen Aktionen gezwungen. Die einzige Ausnahme bilden die Discounter, die zusammen mit den Fachmärkten nunmehr einen Marktanteil von rund 30 % aufweisen.5 In Anbetracht dieser Entwicklungen und der traditionell hohen Bedeutung des Preises für die Einkaufsstättenwahlentscheidung der Konsumenten verwundert es wenig, dass der Preis sowohl für die Forschung6 als auch für die Praxis sowie die Medien eine interessante Größe darstellt. Fraglich ist jedoch nach wie vor, auf 1 2 3 4 5 6
Vgl. Meffert (2000), S. 482. Vgl. Meffert (2000), S. 483. Vgl. Kenning (2001), S. 62 sowie Petersen (2002), S. 10. Vgl. bspw. Gorgs (2000), S. 58; Weitz (2000), S. 15. Vgl. Petersen (2002), S. 10; o.V. ( 2002), S. 1; Steinhoff (2002), S. 43. Vgl. Diller (1978); Müller-Hagedorn (1983), S. 939ff.; Kenning (2003) sowie Ahlert/ Kenning/Vogel (2003).
234
9 Die Preispolitik
welche spezifischen Ursachen die besonders hohe Preissensibilität der Konsumenten im Handel zurück zu führen ist. Eine provokante These könnte lauten: Gerade auf Grund der hohen Betonung des Preises durch das Handelsmarketing und insbesondere durch dessen Hervorhebung in der Handelskommunikation bleibt dem Kunden bei austauschbaren Sortimenten und Betreibungskonzepten kein anderes Entscheidungskriterium als der Preis. Somit wäre es der Handel selbst, der den Kunden zu einem verschärften Preisbewusstsein erzogen hat. Unabhängig von der Gültigkeit dieser These sind die Folgen der zunehmenden Preissensibilität aus Handelssicht gravierend: Die Margen schrumpfen in vielen Handelsbranchen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie diejenigen Handelsunternehmen, die auf Grund fehlender Skaleneffekte auf Dauer nicht die Möglichkeit zur Kostenführerschaft haben, ihre Preise setzen können, um überlebensfähig zu bleiben. Darüber hinaus ist die Preispolitik im Handel durch das doppelte Leistungsprinzip erschwert. Immer wieder lässt sich beobachten, dass Handelsunternehmen zwar bei einzelnen Artikeln extrem günstig sind, der Betriebstyp insgesamt aber als wenig preisgünstig beurteilt wird. Insofern stellt sich dem Marketingmanager nicht nur die Frage nach dem richtigen Preis für den einzelnen Artikel, er muss zudem auch den richtigen Preis für die Betriebstypenleistung (z. B. die Erlebnisse im Kaufhaus) erkennen. 9.1.2 Begriffe und Elemente der Preispolitik Als Preis eines Absatzguts kann die Summe der Geldeinheiten bezeichnet werden, die von dessen Anbieter auf dem Markt gefordert wird (Preisforderung) oder die von einem Nachfrager für dieses Gut geboten wird (Preisgebot). Voraussetzung für das Zustandekommen eines Kaufabschlusses und damit eines realisierbaren Preises ist, dass Preisforderung und Preisgebot - z. B. durch Aushandeln - miteinander in Einklang gebracht werden können. Im Rahmen der Preispolitik werden Preise für die von der Handelsunternehmung angebotenen Waren festgelegt. Durch den Fall des Rabattgesetzes nehmen Maßnahmen der „indirekten“ Preispolitik bei der Preisgestaltung eine wichtige Rolle ein. Diese Maßnahmen beinhalten mehr oder weniger verdeckte Korrekturen der Hauptpreisforderung (Bruttopreise), um zu den eigentlichen Preisen (Nettopreisen) zu gelangen. Beispiele sind Rabatte (z. B. durch Kundenkarten), Zugaben sowie weitere fixierte Vereinbarungen mit der Erbringung der Gegenleistung (z. B. günstige Zahlungs- und Kreditbedingungen) und, in jüngster Zeit verstärkt, Coupons.
9.1 Preispolitische Entscheidungsprobleme im Handel
235
Abb. 9.1: Coupons als Maßnahme indirekter Preispolitik
Unabhängig von diesen konkreten Maßnahmen umfasst das Aktionsfeld der handelsbetrieblichen Preispolitik zwei Ebenen von Preisentscheidungen. Zum einen die Entscheidung über die Gestaltung von Einzelpreisen und zum anderen strategische Entscheidungen im Rahmen der Preispolitik. Eine Übersicht über diese beiden Ebenen und die entsprechenden Elemente vermittelt die folgende Tabelle.
236
9 Die Preispolitik
Gestaltung von Einzelpreisen Festlegung der Preishöhe Art der Preisvereinbarung: • individuelle Preisbildung (Aushandeln der Preise, Aushandeln der Abschläge auf feststehende Preise) • gestaffelte Preisbildung (eine Preisliste u. verschiedene Rabatte, verschiedene Preislisten) • einheitliche Preisbildung (feste Preise ohne Rabatte, feste Preise mit einheitlichen Rabatten) Preisfreiheit • ungebundene Preise (als Werksabgabepreis, als Wiederverkaufspreis) • empfohlene Preise (für die nachfolgende Abnehmerstufe, für weitere Abnehmerstufen: grds. Empfehlungsverbot gem. § 22 I GWB, Ausnahme bei Markenwaren gem. § 23 I, II GWB) • gebundene Preise (für die nachfolgende Abnehmerstufe, für weitere Abnehmerstufen: seit Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Jahre 1973 grds. gem. § 14 GWB verboten; nur noch in Ausnahmefällen zulässig: § 15 GWB Preisbindung für Verlagserzeugnisse, bzw. unverbindliche Preisempfehlung ) Zeitbezug der Preisforderung • Preissetzung ohne Gültigkeitsdauer • Preissetzung mit Gültigkeitsdauer (festgelegt bis zu einem bestimmten Termin: Festpreise, Subskriptionspreise, festgelegt für bestimmte Zeitspannen: Saisonpreise, Sonderangebote) Strategische preispolitische Entscheidungen Festlegung des Preisniveaus: • Hochpreispolitik • Niedrigpreispolitik Zeitpunktbezogene Preisstruktur • Preisstaffelung • Preisdifferenzierung (zeitlich horizontal) • „multi-unit-pricing“ Zeitraumbezogene Preisstrategie • Preisstrategien bei der Einführung neuer Produkte (Abschöpfungspreisstrategie, Penetrationspreisstrategie, Strategie befristeter Einführungspreise) • Preissequenzen bei eingeführten Produkten (Prinzip der Preiskonstanz, Prinzip der flexiblen Preise, „Timing“ von Preisänderungen) • Sonderpreisaktionen (Einzelsonderangebote, sortimentsbezogene Sonderangebote) Tab. 9.1: Aktionselemente der Preispolitik
Die Anlässe preispolitischer Entscheidungen können höchst unterschiedlich sein. Im Einzelhandel sind folgende Gründe häufig anzutreffen:
9.1 Preispolitische Entscheidungsprobleme im Handel
• • • • • • •
237
Listung neuer Produkte Erschließung neuer Märkte Veränderung der Kostenstruktur (Lohnerhöhung, Rohstoffpreise, etc.) Änderung der Sortimentsstruktur Konkurrenzreaktionen Veränderungen des Markt- bzw. Absatzvolumens Umwelteinflüsse.
Zur Bestimmung des optimalen Preises lassen sich in der Theorie grundsätzlich vier verschiedene Formen der Preisfindung unterscheiden.7 So richten Unternehmen ihre Preisentscheidung z. B. an • den Kosten (z. B. den Einkaufspreisen, den Personalkosten), • der Nachfrage (z. B. der Preissensibilität der Kundschaft, der Kaufkraft vor Ort, dem Zentralisationsgrad), • der Konkurrenz (z. B. der Wettbewerbsintensität, der Austauschbarkeit der Warensortimente) sowie • dem Warenrisiko (z. B. dem Modegrad der Ware oder dem Haltbarkeitsdatum) aus. In der Praxis finden sich auch regelmäßig Mischformen dieser vier Ansätze. Häufig werden dabei die (Einstands-) Kosten als Basis von Preisaufschlägen verwendet (sog. „Aufschlags- oder Zuschlagskalkulation“). Diesen werden verschiedene Aufschläge zugeordnet, wobei sich hinsichtlich der Gestaltung der jeweiligen Aufschlagssätze unterschiedliche Faustregeln etabliert haben.8 Der Handelsmanager prüft anschließend den so ermittelten Verkaufspreis ergänzend auf die Wettbewerbsstellung und die Kundenakzeptanz, wobei aber gerade letztere oftmals „aus dem Bauch heraus“ geschätzt wird. Die praktische Verbreitung der Kosten-Plus-Methode ist hoch: Nach einer Untersuchung von WIED-NEBBELING nutzen knapp 70 % der Unternehmungen die Kosten als Basis der Preisberechnung.9 Ein wesentlicher Grund für ihre praktische Beliebtheit mag in der einfachen Handhabung zu sehen sein. Diesem Vorteil stehen aber mindestens drei gravierende Nachteile gegenüber. Der erste Nachteil bezieht sich auf die fehlende Objektivität. Der so gefundene Preis ist nicht das Ergebnis eines systematischen Preisfindungsprozesses, sondern wird subjektiv-willkürlich gewählt. Verschiedene Personen können demnach unterschiedliche Preise setzen, die im Zeitablauf leicht veränderbar sind. Eine integrierte, strategisch-orientierte Preispolitik bleibt dem Zufall überlassen. Der zweite Nachteil der Kosten-Plus-Methode ist in der Gefahr zu sehen, dass sich die Handelsunternehmung aus dem Markt kalkulieren kann. Sinken bspw. auf Grund exogener Einflüsse die von der Handelsunternehmung abgesetzten Mengen, so dürfte dies ggfs. eine Verschlechterung der Einkaufspreise nach sich ziehen. Dies würde dazu führen, dass die Verkaufspreise erhöht werden, was ceteris paribus wiederum in sinkenden Absatzmengen usw. resultiert. 7 8 9
Vgl. Olbrich (2001), S. 129ff. Vgl. Simon (1992), S. 517. Vgl. Wied-Nebbeling (1985), S. 137.
238
9 Die Preispolitik
Der dritte und vermutlich schwerwiegendste Nachteil besteht darin, dass die tatsächliche Zahlungsbereitschaft der Kunden vernachlässigt wird. Mögliche Deckungsbeiträge werden unter Umständen nicht identifiziert. Die Rentabilität der gesamten Unternehmung sinkt. Dies dürfte gerade bei Artikeln, bei denen die Handelsunternehmung eine Alleinstellung inne hat (z. B. bei Handelsmarken), problematisch sein. Vorteilhafter wäre es daher, die Zahlungsbereitschaft des Kunden in den Preisfindungsprozess zu integrieren, wie dies bspw. beim Konzept des Target Pricing der Fall ist.10 Voraussetzung dafür ist aber eine profunde Kenntnis über die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten z. B. bei der Einführung neuer Produkte, oder aber über ihr Preiswissen bei etablierten Produkten.
9.2 Preistheoretische Grundlagen In der Preistheorie lassen sich derzeit mindestens zwei Strömungen identifzieren. Zum einen gibt es eine formal weit entwickelte, eher makroökonomisch orientierte Preistheorie, die mit klassischen Konzepten wie der Preis-Absatzfunktion oder Elastizitäten arbeitet. Zum anderen hat sich mit dem Konzept des Behavioral Pricing in den letzten Jahren eine eher verhaltenswissenschaftlich und auf das indiviuelle (Kauf-) Verhalten ausgerichtete Linie entwickeln können. In diesem Kapitel werden beide Aspekte behandelt. Entsprechend der historischen Entwicklung soll zunächst auf die „klassische Preistheorie eingegangen werden. Als Anschauungsbeispiel wird dabei auf den Lebensmitteleinzelhandel zurückgegriffen, der den Annahmen dieser Theorie am ehesten entspricht. 9.2.1 Klassische Ansätze Ein erstes wichtiges Kriterium der klassischen Preistheorie ist die Marktstruktur. Diese determiniert die zu Grunde liegende Preisabsatzfunktion und den sich für den Händler ergebenden preispolitischen Spielraum. Den deutschen Lebensmittelhandel charakterisieren manche Autoren als Polypol auf einem unvollkommenen Markt.11 Das bedeutet, dass viele Anbieter durch ihre Nähe zueinander in ausreichendem Wettbewerb stehen und auf viele Nachfrager treffen.12 Jedoch müssen auch die in letzter Zeit verstärkt auftretenden Konzentrationstendenzen im Handel sowie die Vertriebskanal- und Betriebstypenvielfalt der einzelnen Händler Berücksichtigung finden, so dass andererseits der Kontext eines Oligopols als Marktform in Frage kommt.13 Dieses zeichnet sich durch wenige Anbieter sowie viele Nachfrager aus, wobei im Gegensatz zum Polypol das Konkurrenzverhalten bei der Preisbildung einzubeziehen ist. Zwar sprechen in der aktuellen Situation viele Argumente für die Marktform des Oligopols, jedoch führt die Anwendung der „Vermutungsschwelle für oligopolistische Marktbeherrschung“ des Bundeskar10 11 12 13
Vgl. Meffert (2000) S. 527ff. Vgl. Monopolkommission (1994), S. 158; Meffert (2000), S. 523. Vgl. Wied-Nebbeling (1997), S. 7. Vgl. Möser (2002), S. 18; Pütthoff/Lenders (1999), S. 33; Olbrich (1996), S. 413ff.
9.2 Preistheoretische Grundlagen
239
tellamts zu einem Grenzergebnis.14 Demnach liegt ein Oligopol bei einem gemeinsamen Marktanteil von 50 % für maximal drei bzw. von zwei Dritteln für maximal fünf Unternehmen vor. Beide Grenzwerte werden derzeit (noch) unterschritten.15 Der letztere jedoch nur um ca. 3,6 %, da die fünf größten Lebensmittelhändler im Jahr 2000 63 % des Gesamtumsatzes auf sich vereinten. Es ist daher nicht möglich, eine der zwei Marktformen auszuschließen. Jedoch ist eher eine Tendenz zum Oligopol festzustellen. Sowohl diese Interpretationsspielräume als auch didaktische Gründe erklären die Vorgehensweise, wonach in den nächsten Unterkapiteln für beide potenziellen Marktformen die doppelt geknickte Preis-Absatzfunktion von GUTENBERG dargestellt wird. Sie ist theoretisch fundiert und empirisch mehrfach bestätigt worden.16 Diese Funktion charakterisiert sowohl im Oligopol als auch im Polypol drei unterschiedliche Bereiche. So differenziert man einen relativ unelastischen, steil laufenden mittleren Bereich sowie zwei relativ elastische und flache Randbereiche. Die Preiselastizität, definiert als η=
Relative Änderung der abgesetzten Menge Relative Preisänderung
kennzeichnet das Verhältnis der relativen Änderung der Nachfrage zu der sie auslösenden relativen Änderung des Preises.17 Sie stellt ein dimensionsloses Maß für den Einfluss des Preises auf den Absatz dar, das im „Normalfall“ negative Werte annimmt, da Preiserhöhungen - annahmegemäß! - mit sinkenden Absatzmengen einhergehen. In den elastischen Randbereichen lösen Preisvariationen starke Kundenveränderungen aus, wohingegen im mittleren Bereich nur geringfügige Nachfragevariationen zu beobachten sind. 9.2.1.1 Die polypolistische Gutenberg-Preisabsatzfunktion Das Modell ERICH GUTENBERGS basiert auf der Beobachtung, dass auf einem unvollkommenen Markt mit Produktdifferenzierung verschiedene Preislagen existieren, in die die Konsumenten gemäß ihrer Qualitätsvorstellungen unterschiedliche Artikel einordnen.18 Innerhalb einer Preislage verfügt der Anbieter über ein bestimmtes preisautonomes Intervall, das in der Marktform des Polypols bzw. synonym der monopolistischen Konkurrenz als Monopolistischer Bereich definiert ist.19 Vor Beginn der Preisvariation befindet sich der Anbieter annahmegemäß in diesem mittleren Teil der Preisabsatzfunktion. Ausgehend von dem in der folgenden Abbildung als p0 bezeichneten Preis führt eine Preiserhöhung auf p1 zu einer Kaufeinschränkung der Stammkundschaft (von x0 auf x1). Auf Grund des akquisi14 15 16 17 18 19
Vgl. Bundeskartellamt (2003), S. 4. Eigene Berechnung, basierend auf o.V. 2002c, S. III und S. 29. Vgl. Diller (2000), S. 86; Simon (1992), S. 106ff.; Gutenberg (1984), S. 272. Vgl. Simon (1992) S. 93. Vgl. Wied-Nebbeling (1997), S. 119. Vgl. auch im Folgenden Gutenberg (1984), S. 243ff.
240
9 Die Preispolitik
torischen Potenzials des Händlers kommt es jedoch nicht zu einer Abwanderungsbewegung der Stammkunden zur Konkurrenz.
Preis p
Oberer polypolistischer Bereich
p2 Monopolistischer Bereich
p1 p0 p3
Unterer polypolistischer Bereich
p4
x2
x*2
x1
x0
x3
x*4
x4
xmax
Menge x
Abb. 9.2: Polypolistische Gutenberg-Preisabsatzfunktion (Quelle: Gutenberg, 1984, S. ?)
Unter dem akquisitorischen Potenzial20 werden alle Faktoren zusammengefasst, die die Anziehungskraft des Unternehmens zum Ausdruck bringen. Dabei handelt es sich im Lebensmitteleinzelhandel beispielsweise um die Reputation des Händlers, seine Betriebstypen- und Handelsmarke(n), seine Liefer- und Zahlungsbedingungen, seinen Standort und Service sowie die Qualität und das Angebot der Waren. Je größer die Präferenzen seitens der Konsumenten für den Lebensmittelhändler sind, desto größer ist auch sein preispolitischer Spielraum. Der Händler kann, um die Zahlungsbereitschaft seiner Kundschaft vollständig abzuschöpfen, Preise innerhalb dieses Bereiches variieren, ohne bemerkbare Absatzeinbußen hinzunehmen. Denn durch die Individualisierung der angebotenen Leistung erschafft der Händler seinen eigenen „Firmenmarkt“21 und bindet die Stammkundschaft an das Unternehmen, sofern er das spezifische Preisintervall nicht überschreitet. Innerhalb des Preisintervalls ergeben sich zwar auch leichte mengenmäßige Nachfrageverschiebungen durch die latente Nachfragezunahme oder -abnahme der Stammkundschaft (vgl. die Abnahme der Stammkundschaft durch die Preiserhöhung von p0 auf p1), jedoch kommt es zu keinen Fluktuationen oder Zuwanderun-
20 21
Gutenberg (1984), S. 243. Gutenberg (1984), S. 243.
9.2 Preistheoretische Grundlagen
241
gen von Stammkunden konkurrierender Unternehmen. Die konkurrierenden Händler sehen somit keinen Anlass zu einer preispolitischen Reaktion. Eine weitere Preiserhöhung auf p2, d. h. außerhalb des monopolistischen Bereichs, führt zu einer sinkenden Nachfrage der Stammkunden. Nun ist der Preis nämlich so hoch, dass annahmegemäß das akquisitorische Potenzial des betrachteten Händlers nicht mehr ausreicht, den im Vergleich zur Konkurrenz sehr hohen Preis zu rechtfertigen. Die Stammkunden werden zum einen ihre Nachfrage einschränken, zum anderen werden sie teilweise zu Laufkunden, die zur Konkurrenz abwandern.22 Der Nachfragezufluss ist für jeden der vielen konkurrierenden Händler nahezu unbemerkbar. Konkurrenzreaktionen bleiben somit auch hier aus. Ähnliche Wirkungen prognostiziert das Modell von Gutenberg bei Preissenkungen. Eine Preisreduktion innerhalb des monopolistischen Bereichs, d. h. von p0 auf p3, führt lediglich zu einer erhöhten Nachfrage der Stammkunden. Eine Zuwanderung von der Konkurrenz ist auszuschließen, da auch diese über ein gewisses akquisitorisches Potenzial verfügt und dadurch ihre Stammkundschaft weiter bindet. Sie verzichtet somit auf Preisvariationen. Sinkt der Preis des betrachteten Händlers weiter auf p4, also außerhalb des monopolistischen Bereichs, so resultieren daraus einerseits eine erhöhte Nachfrage der Stammkunden und andererseits eine neu einsetzende Nachfrage der von der Konkurrenz zugewanderten Laufkunden. Begründet werden kann die Wanderung der Laufkundschaft durch den nun im Vergleich zu konkurrierenden Händlern so geringen Preis, dass deren akquisitorisches Potenzial nicht mehr zur Kundenbindung ausreicht. Allerdings bleiben auch in diesem Fall preispolitische Reaktionen der Konkurrenz aus. Angesichts der relativ geringen Mengenreduktionen jedes einzelnen Anbieters lohnen sich Preissenkungen nicht, da diese auch den Kunden gewährt werden müssten, die nicht abwandern. Abschließend lässt sich festhalten, dass im Polypol mit sehr vielen Anbietern preispolitische Maßnahmen eines Händlers innerhalb des monopolistischen Bereichs die Absatzmengen der einzelnen Konkurrenten weitgehend unbeeinflusst lassen. Außerhalb des monopolistischen Bereichs treten jedoch Käuferfluktuationen zur Konkurrenz (oberer polypolistischer Bereich) oder von der Konkurrenz (unterer polypolistischer Bereich) auf, wobei der Umfang der Fluktuationen progressiv zunimmt, je weiter sich die Preisänderung vom Ausgangspreis p0 entfernt.23 Die postulierte progressive Veränderung der Nachfrage konnte in einer Befragung im Polypol jedoch nicht bestätigt werden. Stattdessen kommt WIEDNEBBELING zu dem Ergebnis, dass bei einer 5 %-igen Preissenkung 21,7 % der Anbieter wesentliche Mengensteigerungen (dx > 5 %) erwarten würden, wohingegen bei einer 10 %-igen Preissenkung 33,5 % der Befragten diese antizipieren.24 Ähnlich verhält es sich mit Preissteigerungen: Bei einer 5 %-igen Preissteigerung sagen 36,1 % einen relativ großen Absatzrückgang (dx < 5 %) vorher, bei einer 10 %-igen Preissteigerung 54,2 %. Hier ist somit nur ein degressiver Verlauf zu beobachten.
22 23 24
Vgl. Schmalen (1995), S. 96. Vgl. Gutenberg (1984), S. 246. Vgl. Wied-Nebbeling (1985), S. 151f.
242
9 Die Preispolitik
Der in einem Polypol agierende Händler besitzt jedoch auch einen begrenzten Bereich, in dem er sich als Monopolist verhalten und somit die Preise ohne Stammkundenverlust variieren kann. Die Größe des monopolistischen Bereichs eines Anbieters hängt von verschiedenen Faktoren ab. Beeinflusst wird er einerseits von dem gesamten akquisitorischen Potenzial aller Anbieter:25 Bei einem stark ausgeprägten akquisitorischen Potenzial der Konkurrenz wird z. B. die bei einer Preissenkung auf p4 auftretende Käuferzuwanderung auf x4 nicht stattfinden, die Nachfrage würde folglich lediglich auf *x4 wachsen. Andererseits wird der monopolistische Bereich immer größer, • je unvollkommener die Preis- und Qualitätstransparenz ist, • je langsamer die Konsumenten auf Preisänderungen reagieren, • je ausgeprägter das kundenbindende akquisitorische Potenzial des Händlers bzw. je geringer die Substituierbarkeit der angebotenen Leistungen ist und • je unwesentlicher der Preis als kaufentscheidendes Kriterium wird bzw. je qualitäts- und servicebewusster die Nachfrager sind.26 Problematisch ist im Handel oftmals die Umkehrung der letzten zwei Aspekte, das relativ geringe akquisitorische Potenzial der Anbieter und die Fixierung der Konsumenten auf den Preis als wesentliches Kaufentscheidungskriterium schränken den preispolitischen Spielraum extrem ein. Die zwei Aspekte führen zu der Schlussfolgerung, dass der monopolistische Bereich in dieser Marktform eher schwach ausgeprägt ist und schon relativ geringe Preisänderungen einen sehr starken Einfluss auf die Nachfrage ausüben. Wie sich Preisänderungen auf den Lebensmittelhändler im Oligopol auswirken, wird im folgenden Kapitel dargestellt. 9.2.1.2 Die oligopolistische Gutenberg-Preisabsatzfunktion Auch im Oligopol führt Gutenberg eine doppelt-geknickte Preisabsatzfunktion an, wobei er diese nun jedoch im Hinblick auf die spezifische Marktstruktur interpretiert.27 Dabei werden sowohl die Reaktionskoeffizienten der Konkurrenten als auch die der Nachfrager berücksichtigt.28 Ausgangspunkt ist wieder das mittlere autonome Preisintervall, das von den gleichen Faktoren abhängt wie im Fall der polypolistischen Konkurrenz. GUTENBERG bezeichnet es in dieser Marktform als „reaktionsfreien Raum“.29 Die in diesem Bereich durchgeführten Preisvariationen führen zu den gleichen Ergebnissen wie im zuvor dargestellten Polypol (vgl. Abb.). Eine Preissteigerung von p0 auf p1 resultiert in einer Einschränkung der Nachfrage von x0 auf x1, wobei es auf Grund des akquisitorischen Potenzials des Händlers nicht zu einer Abwanderung zur Konkurrenz und zu preispolitischen Reaktionen derselbigen kommt. Bei einer Preissenkung auf p3 weitet nur die Stammkundschaft ihre Nachfrage auf 25 26 27 28 29
Vgl. Schmalen (1995), S. 97. Vgl. Diller (2000), S. 87; Gutenberg (1984), S. 252ff. Vgl. auch im Folgenden Gutenberg (1974), S. 290ff. Vgl. Albach (1973), S. 13. Vgl. Gutenberg (1984), S. 293.
9.2 Preistheoretische Grundlagen
243
x3 aus – eine Zuwanderung der Nachfrager der Konkurrenz unterbleibt wegen des dort vorausgesetzten akquisitorischen Potenzials. Innerhalb des reaktionsarmen Bereichs wandert folglich lediglich latente Nachfrage der Stammkunden ab oder zu.30
Preis p H Oberer oligopolistischer Bereich
p2 Reaktionsarmer Bereich
p1 p0 p3
Unterer oligopolistischer Bereich
p4
H‘ x2
x*2
x1
x0
x3
x*4
x4
Menge x
Abb. 9.3: Oligopolistische Gutenberg-Preisabsatzfunktion (Quelle: Schmalen, 1995, S. 106)
Wenn die Preisvariationen so groß werden, dass sie den reaktionsarmen Bereich verlassen und die obere oder untere Preisschwelle über- oder unterschreiten, resultieren daraus im Gegensatz zum Polypol Konkurrenzreaktionen.31 Diese entstehen auf Grund der Interdependenzen zwischen den Anbietern. Da es im Oligopol nur wenige sehr große Anbieter gibt, werden diese von preisinduzierten Käuferfluktuationen stark tangiert. Ein Nachfragerückgang ist somit für jeden einzelnen spürbar. Wegen der im reaktionsfreien Bereich fehlenden Kundenwanderungen spricht GUTENBERG jedoch nur von partieller Interdependenz, die sich auf die zwei Randbereiche der Preisabsatzfunktion bezieht.32 Im Folgenden wird dieses Verhalten anhand der schon erwähnten Preisvariationen erläutert. Bei einer Preiserhöhung auf p2 schränkt die Stammkundschaft zum einen ihren Bedarf ein, zum anderen wird sie teilweise zur Laufkundschaft, die zur Konkurrenz abwandert. Die Nachfrage geht auf Grund des im Vergleich zur Konkurrenz 30 31 32
Vgl. Wied-Nebbeling (1997), S. 193. Vgl. Gutenberg (1984), S. 293. Vgl. ebenda, S. 293.
244
9 Die Preispolitik
ungünstigen Preisniveaus kurzfristig folglich auf x2 zurück. Im Normalfall erfolgt nun aber eine Reaktion der Konkurrenz, weil diese die Nachfragesteigerung spürt und wegen ähnlicher Kosten- und Erlösstrukturen ebenfalls ihre Preise ohne Gewinneinbußen erhöhen kann.33 Das Resultat dieser Reaktionen ist für den Anbieter aus der Ausgangssituation eine Rückgewinnung abgewanderter Stammkunden die verkaufte Menge steigt wieder auf x*2. Im umgekehrten Fall einer Preissenkung auf p4, d. h. im Vergleich zu einem im Verhältnis zur Konkurrenz relativ günstigen Preis, steigt sowohl die Nachfrage der Stammkunden als auch die zuwandernde Anzahl an Laufkunden der Konkurrenz. Letztere wird nun jedoch auf Grund ihrer großen Anzahl den Nachfragerückgang spüren und zu Gegenmaßnahmen greifen. Indem sie ebenfalls ihre Preise senkt, strebt sie die Rückgewinnung ihrer ehemaligen, zum preisaggressiven Konkurrenten übergelaufenen Stammkunden an. Die dauerhafte Folge dieser Reaktion für den im Beispiel betrachteten Preisaggressor ist somit lediglich eine Nachfragesteigerung auf x*4 (und nicht mehr auf x4), wobei der Zuwachs ein Resultat der Nachfrage- und nicht der Kreuzpreiselastizität ist.34 Diese in der Realität im Oligopol zu beobachtenden Preissenkungsmaßnahmen, die auf Grund eines konkurrenzseitigen Preisdrucks entstehen, bezeichnen URBANY und DICKSON als „Price-Cutting Momentum“.35 Aldi und Lidl unterbieten beispielsweise ständig die jeweiligen Konkurrenzpreise36 – die im Lebensmittelhandel zu beobachtende Preisspirale nach unten kann somit durch dieses Phänomen erklärt werden. Aus der Veränderung der Konkurrenzpreise resultiert dazu noch eine für alle beteiligten Unternehmen neue Absatzsituation und damit eine neue Lage der Preisabsatzfunktionen.37 Die jeweiligen reaktionsfreien Zonen verlaufen dabei stets auf der Gleitkurve HH’, welche die konjekturale, d. h. nach Konkurrenzreaktion gültige Preisabsatzfunktion darstellt.38 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die hier vorgestellte Preisabsatzfunktion von GUTENBERG für das Polypol und Oligopol im deutschsprachigen Raum große Beachtung gefunden hat. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sie in der doppelt-geknickten Form lediglich eine Vereinfachung des kontinuierlichen Verlaufs darstellt, bei der sowohl die exakte Preisuntergrenze als auch -obergrenze des autonomen Intervalls nicht zu erkennen sind. Diese Preisgrenzen, die als ein Bestandteil des Preiswissens gelten, stellen die Verbindung zum preispsychologischen Konstrukt des Preiswissens dar, auf das später näher eingegangen wird. In der Praxis haben sich diese theoretischen, absatzmarktorientierten Ansätze nur bedingt durchsetzen können. Stattdessen ist die praktische Preispolitik im Handel oft hybrid. Zwar wird im Rahmen von Aktionspreisen die Wirkung der gesetzten Preise auf den Kunden antizipiert und demzufolge beispielsweise mit Lockvogelangeboten oder ähnlichen psychologischen Preisen gearbeitet. Außerhalb dieser Aktionspreispolitik wird hingegen eher mit beschaffungsmarktorien-
33 34 35 36 37 38
Vgl. Schmalen (1995), S.108. Vgl. Diller (2000), S. 88. Urbany/Dickson (1991b), S. 393. Vgl. Hanke 2002, S. 4; o.V. (2003f), o.S.; o.V. (2003g), o.S. Vgl. Gutenberg (1984), S. 298ff. Vgl. ebenda, S. 298; Diller 2000, S. 88.
9.2 Preistheoretische Grundlagen
245
tierten Methoden wie zum Beispiel der Zuschlagskalkulation gearbeitet. Im Folgenden sollen daher beide Methodengruppen dargestellt werden. 9.2.2 Klassische Preisfindungsmethoden der Handelspraxis Die klassischen Preisfindungsmethoden des Handels resultieren oft noch aus der Zeit vor der Einführung des in § 14 GWB kodifizierten Verbots der vertikalen Preisbindung. Die vertikale Preisbindung wurde zwar 1973 verboten, gleichwohl orientiert sich die Preispolitik im Handel außerhalb von Preisaktionen oft noch am Listenpreis der Hersteller. Dabei wird zumeist das folgende, klassische Schema der „progressiven“ Kalkulation verwendet:39
= + = + = + = + =
Listenpreis der Ware (Herstellerangabe) Konditionen (Rabatte, Boni, Skonti) Einkaufspreis der Ware Bezugskosten Einstandspreis der Ware Handlungskosten Selbstkostenpreis der Ware Gewinnaufschlag (Aufschlags- oder Abschlagssatz) Nettoverkaufspreis der Ware Umsatzsteuer Bruttoverkaufspreis („Ladenpreis“)
Der Listenpreis ist in der Regel die Preisforderung des Lieferanten. In der Praxis werden Listenpreise zunächst nur als erste Orientierungshilfe verwendet. Konkretisiert wird die Forderung des Lieferanten dann durch die Definition der zumeist handelsunternehmensspezifischen Konditionen, die insofern für die Industrie ein Differenzierungsinstrument darstellen. Die Differenzierung kann durch Rabatte, Boni und/oder Skonti erfolgen. Zumeist werden alle drei Parameter in Kombination verwendet. Insbesondere das zumeist anlassbezogene Instrument der Rabatte hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung wird zumeist von Handelsunternehmen vorangetrieben, die zu ganz bestimmten Anlässen besondere Konditionen seitens der Lieferanten verlangt haben. Eine Form ist zum Beispiel der so genannte „Hochzeitsrabatt“, der immer dann verlangt wird, wenn im Rahmen der aggressiven Wachstumsstrategie andere Handelsbetriebe übernommen werden. Einen weiteren Ansatzpunkt der Differenzierung sehen zahlreiche Herstellerbetriebe in den Bezugskosten. Diese umfassen zum Beispiel die Kosten für transportbedingte Warenmanipulationen oder die Kosten für den Transport selbst. Der Listenpreis abzüglich der gewährten Konditionen zuzüglich der zu zahlenden Bezugskosten ergibt dann den Einstandspreis. Dieser Preis hat, wie noch zu zeigen ist, im Rahmen der klassischen Preisfindung eine zentrale Rolle. Ergänzt um die Handlungskosten bildet er den Selbstkostenpreis der Ware. Die Handlungskosten sind dabei ein Sammelbegriff für sämtliche Kosten der 39
Vgl. hierzu um zum folgenden Oehme (2001), S. 254f.
246
9 Die Preispolitik
Handelsunternehmung, die der Ware zugerechnet werden können. Dies sind zum Beispiel die Kosten für notwendige Warenmanipulationen oder für den innerbetrieblichen Transport. In der Regel handelt es sich um ein Konglomerat aus Einzel- und Gemeinkosten. 9.2.3 Beschaffungsorientierte Methoden Bei den beschaffungsorientierten Preisfindungsmethoden bildet der Einkaufspreis die Basis der Preisfindung. Dieser wird um einen bestimmten Kalkulationsaufschlag ergänzt, der die geforderte Mindestrendite der Handelsunternehmung sichern soll. Je nachdem, wie der jeweilige Kalkulationssatz berechnet wird, unterscheidet man zwischen der Zuschlags- und der Abschlagskalkulation. Bei der Zuschlagskalkulation bildet der Einkaufspreis die Basis, zu der der Satz in Beziehung gesetzt wird, um dann den Verkaufspreis zu erhalten. Ein Zuschlagssatz von 100 % würde demzufolge bedeuten, dass der Einkaufspreis genau die Hälfte des Verkaufspreises darstellt (VK-EK/EK*100 % = Zuschlagssatz). Bei der Abschlagskalkulation wird hingegen gefragt, wie viel Prozent des Verkaufspreises zugeschlagen wurden. Demzufolge würde bspw. ein Artikel, der im EK 50,- € kosten würde und zu 100,- € angeboten wird, eine Abschlagskalkulation von 50 % aufweisen (VK-EK/VK*100 %= Abschlagskalkulation). In der Praxis finden beide Ausprägungen der beschaffungsorientierten Methode Anwendung. Dabei entsteht leicht der Eindruck, die geschickte Verhandlungsführung mit den Lieferanten könne den entscheidenden, positiven Ergebnisbeitrag leisten. Diese Idee ist auf Grund der geringeren Komplexität des Beschaffungsmarktes im Vergleich zum Absatzmarkt zwar verlockend, vernachlässigt aber, dass letztlich der Kunde die eingekaufte Ware auch abnehmen und refinanzieren muss. Gleichwohl weist die beschaffungsorientierte Methode mindestens die folgenden beiden Schwächen auf: 1. Die Zahlungsbereitschaften der Kunden werden vollkommen vernachlässigt. Basis der Preisfindung ist keine kundenbezogene Information, sondern eine Information des Beschaffungsmarktes. Insofern besteht die Gefahr, bei Artikeln, die von der Industrie fehlerhaft bepreist worden sind, diesen Fehler zu übernehmen. 2. Oftmals bietet die beschaffungsmarktorientierte Kalkulation kaum Ansatzpunkte für eine artikel- und standortbezogene Preisfindung. Saisonale oder regionale Unterschiede der Konsumpräferenzen werden bei dieser Methode nicht berücksichtigt. Gerade auf Grund dieser beiden Schwächen ist die beschaffungsorientierte Preisfindung mit einem modernen Marketingdenken kaum noch kombinierbar.40
40
Vgl. aber Oehme (2001), S. 273.
9.2 Preistheoretische Grundlagen
247
9.2.4 Kostenorientierte Methoden Kostenorientierte Verfahren basieren auf betriebsinternen Faktoren. Hier wird der preispolitische Spielraum intern durch die Analyse der Kostensituation des Handelsbetriebs gesucht. Die wesentlichste Position der Handlungskosten sind zumeist die Personalkosten (vgl. Tabelle). Dies gilt insbesondere für den Facheinzelhandel.41 Demzufolge versuchen Handelsmanager gerade dort, durch ein geeignetes Personalmanagement die Kostensituation zu verbessern.
Branche
Lebensmittel
Textilien
Möbel
Sportartikel
Personalkosten
9,8 %
17,1 %
16,4 %
12,6 %
Unternehmerlohn
3,9 %
4,4 %
0,6 %
4,3 %
Miete
3,0 %
5,8 %
5,0 %
5,0 %
Sachkosten für Geschäftsräume Kosten für Werbung Gewerbesteuer
1,3 %
1,5 %
1,2 %
1,1 %
0,7 %
2,9 %
4,1 %
2,7 %
0,1 %
0,3 %
0,2 %
0,2 %
Kfz-Kosten
0,4 %
0,7 %
0,8 %
0,9 %
Fremdkapitalzinsen
0,7 %
1,5 %
1,1 %
1,6 %
Eigenkapitalzinsen
0,6 %
0,6 %
0,2 %
0,5 %
Abschreibungen
1,1 %
1,6 %
1,3 %
1,0 %
Alle übrigen Kosten
2,3 %
3,3 %
3,1 %
3,2 %
Gesamtkosten
23,9 %
39,7 %
34,0 %
33,1 %
Tab. 9.1: Kostenarten und gesamte Handlungskosten in Prozent des Umsatzes im Jahre 1999 (Quelle: EHI, 2001, S. 212 u. 213)
41
Zur Bedeutung der Personalkosten im Handel vgl. auch Wenzlitschke (1997), S. 227.
248
9 Die Preispolitik
9.2.5 Preisbestimmung Monopol Auch wenn das Monopol nur eine geringe Relevanz für das praktische Handelsmarketing haben dürfte, ist es doch für das grundlegende Verständnis preispolitischer Entscheidungen von Bedeutung, die gewinnmaximale Preisforderung im Monopol zu diskutieren. Das klassische, von Cournot entwickelte Modell basiert auf der Annahme, dass sowohl die Nachfrage- als auch die Kostenfunktion bekannt sind. Zudem liegen keine finanziellen oder Kapazitätsbeschränkungen vor. In diesem Fall lässt sich die gewinnmaximale Preisforderung wie folgt algebraisch herleiten:
G ( x) = U ( x) − K ( x) → max!
Mit
G = Gewinn x = Menge U = Umsatz K = Kosten
Diese Funktion hat dort ihr Maximum, wo die erste Ableitung nach x gleich Null ist und die zweite Ableitung an dieser Stelle einen negativen Wert hat. Somit muss gelten:
U ´(x) − K´(x) = 0 sowie U ´´(x) − K´´(x) < 0 und damit
U ´(x) = K ´(x)
Mit anderen Worten liegt das Gewinnmaximum dann vor, wenn die Grenzkosten gleich den Grenzerlösen sind. Der didaktische Wert dieses Modells von Cournot liegt darin, dass mit ihm nachgewiesen werden kann, dass lediglich die Kenntnis der Grenzkosten, nicht jedoch die Höhe der Gesamtkosten zur Bestimmung des gewinnmaximalen Preises notwendig ist. Zwar ändert sich mit steigenden oder fallenden Gesamtkosten die absolute Höhe des Gewinns, für die Preispolitik ist dies aber unerheblich. Es lässt sich daher festhalten, dass die fixen Kosten für die betriebliche Preispolitik nicht von Bedeutung sind.Problematisch an der kostenorientierten Methode ist, dass eine zu stark kostengetriebene Preispolitik Gefahr läuft, sich aus dem Markt zu kalkulieren, wie das folgende Beispiel verdeutlichen soll (vgl. hierzu auch Tabelle). In einer Handelsunternehmung ist es dem Zentraleinkauf gelungen, einen Rahmenvertrag mit einem renommierten Markenartikelhersteller zu schließen. Dieser hat sich vertraglich verpflichtet, pro Periode maximal 400 Stück der begehrten Markenartikel zu liefern. Dafür verpflichtet sich die Handelsunternehmung, dem Industrieunternehmen pauschal 1500,- € zu zahlen, Zudem entstehen mengenunabhängige Handlungskosten von 1000,- €. In der ersten Periode möchte die
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung
249
Marketingabteilung ohne Kenntnis der Kundenpräferenzen zunächst einen Artikelpreis von 20,- € testen. Tatsächlich können zu diesem Preis lediglich 125 Stück verkauft werden. Da der Preis von 20,- € somit offensichtlich nicht gewinnbringend ist, entschließt sich die Marketingabteilung, in der nächsten Periode einen Preis von 30,- € zu verlangen und so eine positive Deckungsspanne zu realisieren. Tatsächlich können zu diesem Preis aber nur noch 50 Mengeneinheiten verkauft werden. Da sich die Kosten pro Artikel nun auf 50,- € erhöht haben, ist die Marketingabteilung neuerlich zur Preisanpassung, diesmal aber auf 75,- €, gezwungen. Zu diesem Preis kann nun kein Artikel mehr verkauft werden. Die Handelsunternehmung ist daher gezwungen, den Artikel auszulisten und der Industrieunternehmung hierfür eine Abfindung zu zahlen, die in etwa die vorher verlangten Werbekostenzuschüsse kompensiert. Hätte die Handelsunternehmung hingegen in genauerer Kenntnis der Zahlungsbereitschaften des Kunden einen Preis von 10,- € verlangt, so wären zu diesem Preis alle 400 Mengeneinheiten absetzbar gewesen. Die Unternehmung verliert daher einen Periodengewinn in Höhe von 1500,- €, da sie den falschen Ansatzpunkt für ihre Kalkulation verwendet hat. Periode 1
Artikelpreis (inkl. USt.) 20,- €
Verkaufte Menge 125
Kosten pro Artikel 2500: 125= 20,- €
Gesamtgewinn 0,- €
2
30,- €
50
2500 : 50= 50,- €
-1000,- €
3
75,- €
0
Alternative
10,- €
400
-2500,- € 2500: 400 =6,25 €
+1500,- €
Tab. 9.2: Beispiel zur Problematik kostenorientierter Preisfindung
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Kosteninformationen keine hinreichende Preisfindungsbasis im Handel darstellen.
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung 9.3.1 Kaufverhaltenstheoretische Grundlagen Vergegenwärtigt man sich noch einmal die im Rahmen der klassischen Preistheorie verwendeten Ansätze, so fällt auf, dass zahlreiche in diesem Buch genannten Faktoren – Standort, Marke, Betriebstyp, Personal – offensichtlich keine Bedeutung für die Preispolitik haben, da letztlich lediglich der Preis zu Veränderungen im Umsatz führen. Sollte mithin das Handelsmarketing ökonomisch sinnlos sein? Verstärkt wird dieser Verdacht auch dadurch, dass einige Handelsunternehmen
250
9 Die Preispolitik
(z. B. Zara) ganz ohne Marketingabteilung auskommen können und dennoch erfolgreich sind. Um diese bedeutsame Frage zu lösen, ist es zunächst erforderlich, sich das Gutenbergsche Modell genauer anzusehen. Tatsächlich erschließt sich die Bedeutung des Handelsmarketing durch ein Konstrukt, ohne das die Entstehung des für den handelsbetrieblichen Erfolg notwendigen Bereichs des monopolistischen Raums nicht möglich wäre. Konkret geht es um den Begriff der Präferenz. Präferenzen können ganz allgemein als die Neigung von Menschen verstanden werden, in Entscheidungssituationen eine Alternative A einer anderen Alternative B vorzuziehen. Wie aber entstehen die für das Marketing so wichtigen Präferenzen? Um diese Frage beantworten zu können, hat sich in der betriebswirtschaftlichen Forschung ein eigener Zweig herausgebildet, der versucht, betriebswirtschaftlich relevante Phänomene verhaltenswissenschaftlich zu erklären. Als „Hilfswissenschaft“ wird dabei in erster Linie die Psychologie verwendet. Der Begriff des Behavioral Pricing bezeichnet daher die Berücksichtigung psychologischer Erkenntnisse im Rahmen der (handels-) betrieblichen Preispolitik. Welche Wirkungsketten dabei unterstellt werden, verdeutlicht die folgende Abbildung.
Idealimage des Konsumenten
Preisabhängige Qualitätsbeurteilung Preisbereitschaft
Realimage I
Qualitätsvorstellungen
Kaufentscheidung
II
subj. Wahrgenommene Produktmerkmale (z.B. Design) Produktpreis Konkurrenzpreise
Kauffähigkeit Bedürfnisdruck Situative Faktoren
Preisvorstellung („Preisimage“)
angenommene Kosten und Mühen des Anbieters
Abb. 9.4: Auswirkungen der Preissetzung auf die Kaufentscheidung
Dass ein niedrigerer Preis nicht zwingend zu einem höheren Umsatz führt und umgekehrt kann somit auf die psychologische Wirkung des Preises zurückgeführt werden. Zu unterscheiden sind insgesamt acht verschiedene Phänomene der Preissetzung (vgl. Tab.).
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung
251
Mitläufer-Effekt (band wagon effect) Nachfrage ist nicht nur vom Preis abhängig, sondern auch von der Nachfrage der anderen Haushalte Snob-Effekt Seltenheit der Ware Wunsch nach Exklusivität Veblen Effekt Hoher Preis stiftet einen hohen Nutzen Protz/Geschenk-Motiv Indikator-Effekt Preisabhängige Qualitätsbeurteilung Spekulations-Effekt Verhalten in Erwartung von (weiteren) Preisänderungen in der Zukunft Psychologische Preise z. B. 7,89 →Ziffernfolge beeinflusst Preiswahrnehmung → Sparmotiv 10,12 → Eindruck scharfer Kalkulation Irradation des Preises auf das Preisimage Preisimage ändert sich bei Preisänderungen; bei Erhöhung des Preises steigt das Image Effekt der sinkenden Preisbereitschaft Abnehmende Neuigkeit; Preisbereitschaft sinkt bei niedrigen Preisen Tab. 9.3: Kaufverhaltensrelevante Effekte und Phänomene der Preissetzung
Als Ergänzung zu der anhand des Gutenberg-Modells dargestellten klassischen Preistheorie wird somit seit den 80er Jahren verstärkt die Preispsychologie betrachtet.42 Im Gegensatz zu den klassischen Preismodellen werden hier nicht nur direkte Preis-Reaktionszusammenhänge (S-R-Modell) dargestellt, sondern zusätzlich die im Organismus ablaufenden, nicht beobachtbaren, als intervenierende Variablen bezeichneten Konstrukte untersucht (S-O-R-Modell).43 Der Erklärungsgehalt der als Black-Box-Ansatz zu interpretierenden Preisabsatzfunktion wird somit gesteigert und verhaltenssteuernde, psychische Prozesse berücksichtigt.44
42 43 44
Vgl. Diller (1999), S. 6. Vgl. Müller/Mai (1986), S. 100. Vgl. Müller (1996), S. 23.
252
9 Die Preispolitik
Die verhaltenswissenschaftliche Preistheorie als S-O-R- Modell
S (Preis höhe , Rabatte, Preis aktion , Preis optik usw.)
Preisverhalten Aktivierungen
Kognitionen
O
R Intentionen
Preis - Preis - Preis - Preis - Preis - Preis - Preis wahr - wis - urteil bereit - präfe erleb - inte neh nis resse sen schaft renz mung
Preis - Preis zufrie - ver den - trauen heit
(Kauf und Absatz menge, Umsatz, Gewinn usw.)
Abb. 9.5: Das preispsychologische S-O-R-Modell
Eines der zentralen Konstrukte stellt das Preiswissen dar, das für die Verbraucher kein Selbstzweck ist, sondern bestimmten Einkaufskalkülen dient. Zu denken ist insbesondere an das „wirtschaftliche Versorgungsinteresse“45 das impliziert, dass Preisinformationen umso eher gespeichert werden, je nützlicher sie für die Kaufentscheidung sind. Auf Grund dieser Kaufentscheidungsrelevanz wird im Folgenden das Konstrukt Preiswissen genauer beleuchtet. 9.3.2 Begriffliche Grundlagen des Preiswissens Das Konstrukt Preiswissen bietet einen gewissen Unterhaltungswert. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an die populäre Quizshow „Der Preis ist heiß“ bzw. „The Price Is Right”, in der Kandidaten mit ihrem Preiswissen antreten. Preiswissen scheint die Menschen folglich zu faszinieren. Daher verwundert es nicht, dass dieses Konstrukt seit über 40 Jahren einen häufig untersuchten Teilbereich der verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung darstellt. Dabei ist ein mit den Jahren abnehmendes Preiswissen festgestellt worden, das auf den in der Einleitung angesprochenen verstärkten Preiswettbewerb mit sich ständig wandelnden Preisen, Inflationstendenzen und einer steigenden Anzahl an Produkten und Produktvarianten (durch unterschiedliche Gebindegrößen) zurück zu führen ist.46 In Anlehnung an DILLER sind im Rahmen der Preispsychologie drei Bereiche zu unterscheiden.47 So kann zwischen dem Preisinteresse, der Preiswahrnehmung und schließlich dem Preiswissen differenziert werden. Während das Preisinteresse als aktivierender Prozess gilt, handelt es sich bei den beiden anderen um kognitive, d. h. gedankliche Vorgänge, in denen das Individuum die Informationen auf-
45 46 47
Vgl. Diller (1987), S. 16. Vgl. McGoldrick/Marks (1986), S. 24. Vgl. Diller (1999), S. 22.
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung
253
nimmt, verarbeitet und speichert.48 Die folgende Abbildung illustriert das Zusammenspiel und die untereinander existenten Beziehungen dieser Konstrukte.
Preisinteresse
Preiswahrnehmung
Preiswissen
Suche nach Preisinformationen
Aufnahme der Preisinformationen
Speicherung und Verknüpfung der Preisinformationen
Abb. 9.6: Einordnung des Preiswissens in die Preispsychologie
Demnach bestimmt das Preisinteresse – definiert als Bedürfnis des Konsumenten, nach Preisinformationen zu suchen49 – die Preiswahrnehmung.50 Als Ausmaß, in dem Verbraucher Preisinformationen beim Einkauf sensorisch wahrnehmen und aufnehmen, wirkt die Preiswahrnehmung positiv auf das Preiswissen, von dem wiederum abhängt, welche Anstrengungen in Zukunft unternommen werden, weitere Preisinformationen einzuholen.51 Somit handelt es sich um einen Kreislauf, in dem die Konstrukte Preisinteresse und -wahrnehmung dem Preiswissen vorgelagert sind und anschließend von ihm wieder beeinflusst werden. Für die spätere empirische Analyse des Konstruktes Preiswissen ist noch die Preiswichtigkeit relevant, die in der Literatur jedoch nicht ausführlich dargestellt wird. Sie besteht aus zwei Komponenten: zum einen, ob der Preis bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt wird, zum anderen, in welchem Umfang er die Kaufentscheidung beeinflusst.52 Die Preiswichtigkeit liefert den Grundstein dafür, dass der in Abb. aufgezeigte Kreislauf anlaufen kann. Ist der Preis nämlich für die Kaufentscheidung
48 49 50 51 52
Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 50ff.; Diller (2000), S. 105. Vgl. ausführlich Diller (1982), S. 315ff.; Müller (2001a), S. 3. Vgl. Müller-Hagedorn (1983), S. 944. Vgl. Diller (1999), S. 128; Müller-Hagedorn (2002), S. 230. Vgl. Hay (1987), S. 7ff.
254
9 Die Preispolitik
nicht von Bedeutung, so werden Preisinformationen i. d. R. auch nicht gesucht, aufgenommen und gespeichert. In diesem Kontext stellt sich die Frage nach der Definition von Preiswissen. Unter Preiswissen subsumiert DILLER „jegliche Informationen aus dem (Langzeit-)Gedächtnis der Konsumenten, die für die Beurteilung der preisbezogenen Vorteilhaftigkeit beliebiger Entscheidungstatbestände des Konsumentenverhaltens subjektiv relevant sind“.53 Die vorhandenen Preisinformationen können dabei in dreierlei Hinsicht im Langzeitgedächtnis gespeichert werden: als „auditory verbal code“ (z. B. zwanzig), als „visual arabic“ (z. B. 20) oder den darauf aufbauendem „analogue magnitude code“ (z. B. ungefähr 20, zwischen 15 und 25).54 Die hier dargestellte Preiswissensdefinition basiert jedoch auf einem Wissensbegriff, der nur bedingt dem State of the Art des Wissensmanagements entspricht. Aktuelle Forschungen kommen zu dem Ergebnis, dass Wissen nicht mit Informationen gleichzusetzen ist, sondern dass es aus der Verknüpfung von Informationen, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen können, entsteht.55 Aus diesem Grund ist der Preiswissensbegriff um die Verknüpfung der Informationen zu erweitern. Er ist darüber hinaus kontext- und erfahrungsabhängig. Wie aus der folgenden Abbildung deutlich wird, existieren zwei Arten von verknüpften Preisinformationen, die in verschiedenen Gedächtniskategorien gespeichert werden. Konfrontation mit der Preisinformation (z.B. im Handzettel, auf der Ware) Preisinteresse Preiswahrnehmung Speicherung der Information
Expliziter Speicher
Impliziter Speicher
„Episodischer“ Speicher
„Verstandener“ Speicher
Abfrage durch die Erhebung der Preiskenntnis („scharf“)
„Gefühlter“ Speicher
Abfrage durch die Erhebung des Preisimages („unscharf“)
Preiswissen Abb. 9.7: Komponenten des Preiswissens (Quelle: Kenning, 2003, S. 91)
53 54 55
Diller (1988), S. 18. Vgl. Vanhuele/Drèze (2002), S. 73. Vgl. Kenning/Schütte/Blaich (2003), S. 29f. sowie Blaich (2004) und Spelsiek (2005).
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung
255
Dabei handelt es sich einerseits um das Preiswissen i. e. S., welches die exakten, zahlenmäßigen Gedächtnisinhalte umfasst, die das Individuum durch Erinnern explizieren kann. Im Folgenden wird auch von Preiskenntnis gesprochen. Eine Möglichkeit zur Messung der Preiskenntnis ist die direkte Abfrage („Bei den Produkte, die ich kaufe, bin ich über die Preise gut informiert“). In einer Studie von Müller-Hagedorn und Preißner, in der etwa 1000 Konsumenten befragt wurden, stimmten dieser Frage 68,4% der Befragten zu, nur 5,7% stimmten nicht zu. Offensichtlich waren die Kosnumenten der Meinung, über eine gute Preiskenntniss zu verfügen.56 Andererseits existiert häufig auch ein vager, ungenauer, ordinaloder nominalskalierter Teil des Preiswissens, den MONROE und LEE als im „implicit memory“ ansässig bezeichnen.57 In diesem Zusammenhang wird dieser Teil als Preisgefühl bezeichnet. Die Bedeutung dieses letzten Aspekts des Preiswissens liegt in der typischen Kaufsituation begründet. So handelt es sich insbesondere bei Käufen im Lebensmitteleinzelhandel um Aktionen, in denen Zeitdruck (ca. 12 Sekunden von der Suche im Regal bis zur Platzierung im Einkaufswagen)58 und ein Low Involvement vorherrschen.59 Eine solche Kaufentscheidung kann daher eher auf dem impliziten, automatisierten Wissen beruhen als auf dem expliziten Erinnern in Form der Preiskenntnis. Preiswissen in Form des Preisgefühls mag somit beim Konsumenten vorhanden sein, auch wenn sich der Konsument bei der Befragung nicht daran erinnert und keine konkrete, zahlenmäßige Auskunft geben kann. Dafür kann er z. B. angeben, ob ein Produkt im Verhältnis zu anderen Produkten dieses Bereichs zu teuer ist. Dieser Teil des Preiswissens leistet somit auch einen Beitrag zur Preisbeurteilung. Aus diesem Grund ist es vorteilhaft, bei der Messung des Preiswissens durch das Visualisieren der Artikel den Wiedererkennungseffekt zu steigern und nicht nur die Fähigkeit zur Erinnerung einzubeziehen.60 Ein besserer Ansatzpunkt zur Ermittlung des Preisgefühls kann die indirekte Abfrage durch das Preisimage sein. Dieses Konstrukt kann als subjektives Konglomerat von Wissen, aktuellen Wahrnehmungen, Gefühlen und Urteilen über das Preisniveau bestimmter Anbieter aufgefasst werden.61 Es besteht aus mehreren Dimensionen wie z. B. der Preisehrlichkeit, dem Preis-Leistungs-Niveau und der Preisgünstigkeit.62 Bei der Preisgünstigkeit handelt es sich um die aktuelle, artikelbezogene Günstigkeit eines Händlers in seiner Leistungsklasse, wobei der Leistungsumfang bzw. die Qualität außer Acht bleiben.63
56 57 58 59 60 61 62 63
Vgl. Müller-Hagedorn/Preißner (2006), S. 9 und 10. Vgl. ausführlich Monroe/Lee (1999), S. 214ff. Vgl. Schmitz/Kölzer (1996), S. 341; Le Boutillier et al. (1994), S. 36. Vgl. Monroe/Lee (1999), S. 216. Vgl. Conover (1986), S. 592. Vgl. Diller (1993), S. 2. Vgl. Diller (1993), S. 4. Vgl. Müller (2001b), S. 36.
256
9 Die Preispolitik
9.3.3 Dimensionen des Preiswissens Die Dimensionen des Preiswissens sind in der Literatur weitgehend unerforscht geblieben. Trotz intensiver Recherchen konnten bis auf die Differenzierung von DILLER aus den 80er Jahren keine ähnlich prägnanten Unterteilungen gefunden werden. Somit wird in dieser Studie der sechsteiligen Differenzierung von DILLER gefolgt, die in Abb. wiedergegeben ist.64 Zur besseren Verständlichkeit erfolgt eine Unterteilung in quantitative und qualitative Elemente.
Preiswissen
qualitativ
quantitativ • Genauigkeit
• Selbstsicherheit
• Umfang
• Verfügbarkeit • Form • Inhalt
Abb. 9.8: Dimensionen des Preiswissens
Das Konstrukt des Preiswissens umfasst einerseits quantitative Dimensionen, wie die Genauigkeit und den Umfang des Preiswissens. Die Genauigkeit bezieht sich auf die Präzision und die Aktualität des Preises. Hinsichtlich der Präzision stellt sich die Frage, wie exakt der Proband die Preise nennen kann. In diesem Zusammenhang finden sich in der Literatur unterschiedliche Abstufungen von Preiswissen.65 So definiert LENZEN beispielsweise Preiswissensintervalle von 5 %, 10 % bzw. 15 % um den tatsächlichen Preis. In seiner Arbeit kommt er zu dem Ergebnis, dass mit steigender Präzisierung des Preisintervalls das Ausmaß des Preiswissens i. e. S. stark abnimmt. Der zweite Aspekt der Genauigkeit, die Aktualität des Preiswissens, impliziert den Zeitaspekt. Hier soll geklärt werden, ob der Konsument auch aktuellere Preisänderungen wie Sonderangebote in sein Preiswissen einbezieht, oder ob er lediglich Wissen über die z. B. vor einem Jahr gültigen Preise besitzt, vielleicht sogar noch in der ursprünglichen Landeswährung. Neben der Genauigkeit beinhaltet das quantitative Element des Preiswissens den Umfang, d. h. das Maß für die Menge an vorhandenen Informationen. Problematisch ist jedoch die Operationalisierung dieser Dimension, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel, da das Preiswissen jedes einzelnen existenten Artikels zu analysieren wäre. So umfasst z. B. das Sortiment eines Verbrauchermarktes 64 65
Vgl. auch im Folgenden Diller (1988), S. 17ff. Vgl. z. B. Lenzen (1984), S. 170.
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung
257
durchschnittlich ca. 9.700 Artikel, die abgefragt werden müssten.66 Selbst beim Discounter ALDI, den ein relativ straffes Sortiment auszeichnet, erscheint es für den „Otto-Normal-Verbraucher“ unmöglich, die Preise der wenigen hundert Artikel zu kennen.67 Aus diesem Grund blieb der durchschnittliche Umfang des Preiswissens eines Konsumenten in der Wissenschaft weitgehend unerforscht. MÜLLER-HAGEDORN stellt jedoch die plausible These auf, dass die Konsumenten auf Grund der Gedächtnisüberlastung und der erwarteten Preisveralterung lediglich die Preise weniger Artikel kennen.68 Zusätzlich zu den bisher skizzierten quantitativen Elementen sollen im Folgenden vier qualitative Elemente dargestellt werden. Als erstes ist die Selbstsicherheit anzuführen, die zum Ausdruck bringt, wie verlässlich oder sicher sich der Konsument hinsichtlich seines Preiswissens ist.69 Die subjektiv vermutete Irrtumswahrscheinlichkeit über den Preis spielt hier eine große Rolle. Gerade bei den aktuell zu konstatierenden schnellen Preisvariationen ist zu vermuten, dass dieser Aspekt tendenziell schlecht ausgeprägt ist. Als ein weiteres Element gilt die Verfügbarkeit des Preiswissens, die auf der in der Informationsverarbeitungstheorie gebräuchlichen Differenzierung in interne und externe Informationssuche beruht.70 Hier stellt sich die Frage, ob der Proband sein Wissen intern im Gedächtnis gespeichert hat, oder ob er es extern, z. B. in Form von aufgeschriebenen Preislisten, Preisschildern am PoS oder durch Handzettel greifbar macht. Beide Aspekte schließen sich nicht aus. So wird häufig das am PoS generierte Preiswissen mit dem intern verfügbaren (z. B. Preisschwellen) kombiniert und so eine Kaufentscheidung getroffen.71 Die extern vorhandenen, vernetzten Preisinformationen zählen jedoch nicht zum Langzeitgedächtnis des Konsumenten und somit auch nicht zu der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Preiswissensdefinition. Darüber hinaus thematisiert DILLER die Abspeicherungsform des Preiswissens auf unterschiedlichen Skalenniveaus. Beispielsweise kann das Preiswissen eines Verbrauchers ordinal skaliert sein, was bedeuten würde, dass lediglich eine Rangordnung in der Form „Der Preis der Marke A ist niedriger als der der Marke B“ aufgestellt werden kann.72 Das Preiswissen auf einem metrischen Skalenniveau erlaubt dagegen präzise Aussagen über die Preishöhe. Die letzte Dimension bildet schließlich der Inhalt des Preiswissens, d. h. die Frage „Welche Preisinformationen hat der Konsument?“. Abschließend sei kurz darauf verwiesen, dass die einzelnen Dimensionen des Preiswissens auf Grund der Euroeinführung im Jahr 2002 noch relativ schlecht ausgeprägt sind. Erst im Laufe der Zeit wird sich durch häufige Wiederholungen („Kognitive Berieselung“) ein Lerneffekt einstellen. Das schlechte Preiswissen lässt sich durch Veralterungseffekte, die durch Preisvariationen oder eine neue Währungseinführung entstehen, erklären. Der Konsument kennt zwar die ehema66 67 68 69 70 71 72
Vgl. Möser (2002), S. 10. Vgl. Brandes (1998), S. 196. Vgl. Müller-Hagedorn (1983), S. 946. Vgl. Müller-Hagedorn (2002), S. 232. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 374. Vgl. Diller (1987), S. 9. Vgl. Diller (1988), S. 18
258
9 Die Preispolitik
ligen DM-Preise, aktuelle Euro-Einzelpreise verschiedener Produkte weiß er jedoch nicht, da die Erfahrung fehlt und eine gedankliche Umrechnung für jeden Artikel zu aufwändig ist. Stattdessen tritt in einer Übergangsphase eine Substitution von speziellen zu allgemeineren Preiskenntnissen auf.73 D. h., der Konsument beschränkt sich vorerst auf ausgewählte Preisschwellen oder Preisimages der Einkaufsstätten, anstatt beispielsweise Einzelpreise in Euro zu lernen. 9.3.4 Der Inhalt des Preiswissens als zentrale Dimension Der Inhalt des Preiswissens umfasst drei verschiedene, sehr vielfältige Aspekte. Er lässt sich formal in Einzelpreise und darauf aufbauende Preisverteilungen und Preisurteilsanker untergliedern.74 Einzelpreise gelten als „unmodifizierte interne Abbildungen externer Preise“.75 Wie der folgenden Abbildung zu entnehmen ist, können sie auf verschiedenen Ebenen vorkommen. Im einfachsten Fall bringen sie die Kenntnis des Konsumenten über die Höhe eines Artikel- oder Markenpreises zum Ausdruck, z. B. Niedrigpreis, Normalpreis, Hochpreis. Darüber hinaus vermag sich das Preiswissen jedoch auch auf ein höheres Abstraktionsniveau beziehen: Hier ist beispielsweise an das Preiswissen auf Warengruppen- und/oder Einkaufsstättenebene zu denken, wobei mit steigendem Aggregationsniveau, z. B. wegen der Artikelheterogenität in der Warengruppe, tendenziell eine größere Ungenauigkeit zu erwarten ist.
einer Marke, Warengruppe, Einkaufsstätte etc. Einzelpreise
mehrerer Marken, Warengruppen, Einkaufsstätten
über verschiedene Marken über verschiedene Bezugsmengen Preisverteilungen über verschiedene Einkaufsstätten Preiswissen über verschiede Zeitpunkte
absolut Preisbereitschaftsschwellen relativ Preisurteilsanker
Referenzpreise
Abb. 9.9: Inhalt des Preiswissens (Quelle: Diller, 1988, S. 20)
73 74 75
Vgl. Diller (1998), S. 13. Vgl. Diller (1988), S. 19. Vgl. Diller (1988), S. 19.
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung
259
Zur Analyse des Preiswissens empfiehlt es sich, möglichst viele Artikelpreise etc. zu evaluieren. Durch eine große Menge an Einzelpreisen wird es nämlich möglich, die Preise zueinander in Beziehung zu setzen und Hypothesen abzuleiten. So kann z. B. der Preiswissensvergleich verschiedener Artikel die Annahme stützen, dass bei bekannten Marken auf Grund einer geringeren Streuung das Preiswissen besser ausgeprägt ist, als bei den so genannten No-Name-Artikeln.76 Diese oder ähnliche Preisvergleiche (z. B. in Form von Differenzen, Quotienten und Rangfolgen) bilden schon den Übergang zu dem zweiten inhaltlichen Aspekt des Preiswissens, den Preisverteilungen. Preisverteilungen entstehen, da die Angebotspreise • • • •
unterschiedlicher Marken in unterschiedlichen Gebindegrößen und -arten in unterschiedlichen Einkaufsstätten zu verschiedenen Zeitpunkten stark variieren.77
So wird z. B. für Orangensaft in Abhängigkeit der präferierten Marke (z. B. Hitchcock, Albi, Granini, Dittmeyer, Vaihinger) je nach Gebindegröße und -art (0,75 l, 1 l, 1,5 l - Tetra Pak, Glas- oder Plastikflasche) in den verschiedenen Betriebstypenmarken (z. B. Lidl, Spar, Extra, Tengelmann) eventuell auch zu unterschiedlichen Einkaufszeiten (wochentags- oder saisonabhängig) jeweils ein anderer Preis gefordert. Bildet der Konsument nun aus diesen Kriterien einen vierdimensionalen, transparenten Raum, so könnte er aus dem Alternativenbündel das für ihn optimale herauskristallisieren. Dafür benötigt er jedoch Aussagen über alle für ihn diesbezüglich relevanten Preisverteilungen, welche in der Realität kaum aufzustellen sind. Preisverteilungen, die auf statistisch relevanten Analysen, wie beispielsweise Mittel- oder Modalwerten, Spannweiten und Rangfolgen beruhen, ermöglichen es dem Konsumenten jedoch ansatzweise, für ihn befriedigende Einkaufslösungen zu generieren. Wenn der Konsument nämlich weiß, dass z. B. Sonderangebote in dem speziellen Betriebstyp montags am häufigsten angeboten werden, kann er sein Einkaufsverhalten danach ausrichten. Ähnlich sieht es aus, wenn der Konsument fähig ist, Preisrangfolgen für ein bestimmtes Produkt in verschiedenen Geschäften zu nennen. Die Rangfolgenbildung entsteht dabei i. d. R. durch Generalisierung und einzelne Preiserfahrungen.78 Wie eine Untersuchung aus dem Jahr 1987 zeigt, ist dieser Preiswissensinhalt relativ gut ausgeprägt – er beträgt bei Schokolade beispielsweise 50 %.79 Neben den Kenntnissen der Preise in Form von Einzelpreisen und Preisverteilungen subsumiert man auch Kenntnisse zur Beurteilung von Preisen oder Preisniveaus unter den Inhalt des Preiswissens.80 Diese so genannten Preisurteilsanker entstehen durch die tägliche Konfrontation mit Preisen beim Kauf von Produkten 76 77 78 79 80
Vgl. Kenning/Hesse (2002), S. 47. Vgl. Diller (1988), S. 19. Vgl. Diller (1988), S. 21. Vgl. Diller (1987), S. 70f. Vgl. Diller (1988), S. 19.
260
9 Die Preispolitik
und ermöglichen dem Konsumenten eine Vorstellung über die am Markt geforderten Preise.81 Sie bauen auf den Einzelpreisen und Preisverteilungen auf, beinhalten jedoch zudem Reaktionsbereitschaften.82 Weicht der Verkaufspreis von diesen psychologischen Preisen ab, so nimmt die Nachfrage nach dem Produkt i. d. R. ab.83 Zu den Preisurteilsankern und somit auch zum Preiswissen zählen als erste Gruppe die Preisschwellen, welche auf die in den 60er Jahren durchgeführten Forschungsarbeiten von STOETZEL, ADAM und FOUILHÉ zurückgehen.84 Ihre Existenz ist bis heute umstritten.85 Falls sie jedoch vorhanden sind, haben sie für die Handelspraxis eine große Bedeutung, da der Konsument nach Vereinfachung und Entlastung strebt. Indem er sich Wissen über Preisschwellen aneignet, verzichtet er auf das aufwändige Lernen von vielen Einzelpreisen und konzentriert sich auf kategorielle Preisskalen mit wenigen Einstufungsklassen (z. B. günstig, normal, teuer).86 Konsumenten entwickeln dadurch regelmäßig eigene Vorstellungen über die maximale Preisobergrenze sowie Preisuntergrenze87, d. h. über die so genannten absoluten Preisschwellen.88 Ähnlich wie anhand des autonomen Preisintervalls bei GUTENBERG gezeigt wurde, erfolgt bei Überschreiten dieser Schwellen in beide Richtungen kein Kauf bzw. eine Abwanderung zur Konkurrenz. Denn zu günstige Preise führen zu Qualitätszweifeln, zu hohe Preise werden auf Grund der gegebenen Budgetrestriktion ebenfalls nicht akzeptiert.89 Zwischen den beiden absoluten Preisschwellen – HAY und KAAS sprechen auch von Reaktions- bzw. Akzeptanzschwellen90 – können bei Diskontinuitäten der Preisbewertungsfunktion weitere Preisschwellen auftreten, die so genannten relativen91 oder Wahrnehmungs- und Bewertungsschwellen.92 An einer relativen Schwelle ändert sich ein abgegebenes Preisurteil bei steigendem Preis sprunghaft von z. B. „teuer“ auf „sehr teuer“, d. h. die Bewertung verschlechtert sich. Das sich auf die Preisschwellen eines Artikels beziehende Preiswissen kann somit mehrere verschiedene Ausprägungen aufweisen, die sich jedoch jeweils durch die Euro-Einführung verändern können. Als Folge der Währungsumstellung antizipiert DILLER einerseits die Eliminierung schwacher Preisschwellen bestimmter Produkte und andererseits Verschiebungseffekte.93 Da der Konsument vereinfachend alle DM-Preise halbiert, würde ein Angebotspreis von 1,99 DM über die wahrscheinlich kritische Grenze von 1 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93
Vgl. Müller (1981), S. 45. Vgl. Meffert (2000), S. 496. Vgl. Monroe (1973), S. 70. Vgl. ausführlich Stoetzel (1954); Adam (1958); Fouilhé (1960), S. 163ff. Vgl. Gedenk/Sattler (1999), S. 33. Vgl. Diller (2000), S. 137f. Vgl. Müller (1981), S. 44. Vgl. Monroe (1990), S. 58ff. Vgl. Meffert (2000), S. 497. Vgl. Hay/Kaas (1984), S. 337f. Vgl. Diller (1993), S. 5. Vgl. Hay/Kaas (1984), S. 338f. Vgl. Diller (1998), S. 31ff.
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung
261
Euro rutschen (ca. 1,02 €). Die alte Preisschwelle wird sich somit tendenziell proportional nach unten verschieben (< 1 €). Die endgültige Validierung dieser Thesen hat jedoch noch zu erfolgen. Neben den Preisschwellen gelten Referenz- oder Ankerpreise als Bestandteil der Preisurteilsanker.94 Diese stellen gespeicherte Preisinformationen dar, die dem Konsumenten als Orientierungspunkte für das Kauf- und Urteilsverhalten bei der Verarbeitung von Preisinformationen dienen.95 Zur Fundierung der Referenz- bzw. Ankerpreise existieren vier verschiedene Theorien, die hier aber nicht vollständig vorgestellt werden sollen. Die bekannteste ist die Adaptions-Niveau-Theorie von HELSON, ferner das Weber-Fechner-Gesetz, die Assimilations-Kontrast-Theorie sowie die Prospect-Theorie.96 Referenzpreise können in externer Form als vom Hersteller empfohlene Preise, als ehemalige bzw. reguläre und auch als Wettbewerberpreise in der Werbung und am PoS auftreten.97 Obwohl die Konsumenten gegenüber diesen externen Vergleichsmaßstäben skeptisch sind, werden sie in ihrem Kaufverhalten von ihnen beeinflusst.98 Der Handel versucht somit, das von den externen Referenzpreisen ausgehende Potenzial zu seinen Gunsten zu nutzen, indem er wie z. B. Wal-Mart im Jahr 2000 Handzettel mit abgesenkten Preisen und dem Slogan „Warum für diese Produkte zu Aldi gehen? Wir sind günstiger!!!“ druckt.99 Neben den externen Referenzpreisen, deren Zugehörigkeit zu der inhaltlichen Dimension des Preiswissens auf Grund des geforderten Langzeitspeichercharakters problematisch ist, können gleichzeitig interne Referenzpreise existieren. Es handelt sich dabei um intern gespeicherte Preise, die ein Konsument mit von ihm beobachteten, aktuellen Preisen vergleicht.100 Das im „implicit memory“ zu Grunde liegende Preiswissen bildet die Basis für diese Referenzpreise.101 Empirisch konnte nachgewiesen werden, dass die internen Referenzpreise i. d. R. auf Preiserfahrungen aus der Vergangenheit basieren.102 Dieses Ergebnis schließt jedoch nicht die in der Literatur vorhandenen, verschiedenen Operationalisierunsansätze für diese Art von Preiswissen aus. Dabei ist z. B. zwischen dem historischen Preis, dem fairen Preis, dem zuletzt gezahlten Preis, dem erwarteten Preis, dem Normalpreis, dem Durchschnittspreis für ähnliche Produkte sowie dem am häufigsten verlangten Preis zu differenzieren.103 Welcher dieser Preise zur Beurteilung externer Preisinformationen am häufigsten herangezogen wird, ist nicht validiert. Es ist allerdings zu vermuten, dass jeder einzelne Konsument in verschiedenen Kaufsituationen und -zeiten individuelle Referenzpreise bildet, d. h. auch hier finden sich für einen Artikel viele Varianten des Preiswissens.104 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104
Vgl. Müller (2005) sowie Eschweiler (2006). Vgl. Hay (1987), S. 199. Vgl. zu den Theorien Wricke et al. (2000), S. 693ff. und die dort zitierten Originalquellen. Vgl. Biswas/Blair (1991), S. 1. Vgl. Biswas et al. (1993), S. 243. Vgl. Bundeskartellamt (2000), S. 2. Vgl. Hruschka et al. (2002), S. 426. Vgl. Monroe/Lee (1999), S. 208. Vgl. Kalyanaram/Winer (1995), S. G164f. Vgl. zu den verschiedenen Konzepten Wricke et al. (2000), S. 696; Schneider (1999), S. 48. Vgl. Jacobson/Obermiller (1990), S. 421; Biswas et al. (1993), S. 240f.
262
9 Die Preispolitik
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich das Preiswissen auf eine Vielzahl von Inhalten beziehen kann, die für die Preisbeurteilung einer Marke, einer Warengruppe oder einer Einkaufsstätte relevant sind. Eine isolierte Orientierung der handelsbetrieblichen Preispolitik am Preiswissen der Konsumenten würde daher vermutlich problematisch sein. Sinnvoller ist es daher, diese Information mit weiteren Informationen, die durch ergänzende Methoden gewonnen werden können, zu kombinieren. 9.3.5 Ergänzende Instrumente der Preisforschung Neben der Preiswissensforschung haben die Preisanalyse nach VAN WESTENDORP, und die Conjoint-Analyse Beachtung in der Literatur erfahren. Diese Methoden sollen daher im Folgenden kurz skizziert werden. Die Methode von VAN WESTENDORP (auch: „Preisbarometer“, „Price Sensitivity Barometer“) hat zum Ziel, die artikelspezifischen Preisunter- und -obergrenzen zu ermitteln.105 Die grundlegende Methodik hierzu ist die Befragung. Zunächst wird den Probanden ein bestimmter Artikel vorgestellt. Danach werden sie gebeten, ungestützt vier Preise für diesen Artikel zu benennen: 1. 2. 3. 4.
Einen Preis, der angemessen aber noch günstig ist Einen Preis, der relativ hoch aber noch vertretbar ist Einen Betrag, ab dem der Preis zu hoch wird Den Betrag, ab dem der Preis so niedrig ist, dass Zweifel an der Qualität entstünden.
Zur Auswertung werden die Ergebnisse kumuliert dargestellt (vgl. Abb.). Dabei ergeben die Antworten zu den Fragen 1 und 4 sinkende Kurvenverläufe. Frage 2 und Frage 3 hingegen führen zu steigenden Kurven. Die sich aus den fallenden bzw. steigenden Kurvenverläufen ergebenden Schnittpunkte werden dann wie folgt interpretiert: • Der Schnittpunkt aus den Kurven „relativ hoch“ und „zu billig“ bildet die Preisuntergrenze. Eine Preissenkung unterhalb dieser Grenze ist in jedem Fall unvorteilhaft, weil hierdurch der Anteil derjenigen, die das Angebot als preiswert erachten, über den Anteil derjenigen steigt, die den Preis als eher hoch empfinden. • Die Preisobergrenze ergibt sich aus dem Schnittpunkt der Kurven „gerade noch günstig“ und „zu teuer“. Eine Preiserhöhung über diese Grenze hinaus, führt dazu, dass der Anteil derjenigen, die das Angebot als zu teuer erachten, über den derjenigen steigt, die es als noch günstig erachten. Der Bereich zwischen der Preisober- und Preisuntergrenze wird als der akzeptable Bereich bezeichnet.
105
Vgl. hierzu und zum Folgenden: Wildner (2003), S. 6ff.
9.3 Der Ansatz des Behavioral Pricing: Preispsychologie als Mittel zur Preisfindung
263
Anteil der Befragten
100 80 akzeptabler Bereich
60
zu billig noch günstig relativ hoch zu teuer
40 20 0 0,5
1
Point of marginal cheapness
1,5
2
Preis in €
2,5
3
3,5
4
4,5
Point of marginal expensiveness
Abb. 9.10: Preisanalyse nach van Westendorp (Quelle:Wildner, 2003, S. 7)
Obwohl diese Methode sehr einfach zu handhaben ist, erscheint sie allenfalls als Heuristik nützlich zu sein, da sie eine Reihe theoretischer Schwächen aufweist. Diese resultieren primär aus ihren realitätsfernen Annahmen. So besteht ein großer Nachteil der Methode von VAN WESTENDORP in der zentralen Annahme, dass Probanden stets in der Lage und motiviert sind, ihr Wissen vollständig und ad hoc zu explizieren. Die im vorhergehenden Kapitel getroffenen Aussagen zur Vielschichtigkeit des Preiswissens belegen aber, dass diese Annahme zu stark vereinfachend ist. Zudem unterstellt VAN WESTENDORP, dass die Aussagen der Probanden in die Zukunft extrapoliert werden können. Damit nimmt er letztlich eine statische Wettbewerbsumwelt an, die ebenfalls wenig realistisch ist. Schließlich wird unterstellt, dass die nachgefragte Menge pro Proband gleich ist. Diese Annahme ist notwendig, um von der Verteilung der Probanden auf die nachgefragte Menge schließen zu können. Nachfragebündelungen (z. B. bei Einkäufen für Großfamilien) werden so jedoch nicht erfasst. 9.3.6 Ermittlung der Zahlungsbereitschaften mit Hilfe der Conjoint-Analyse Preiswissenstudien können helfen, bei bereits gelisteten Artikeln preispolitische Spielräume zu identifizieren. Bei neu zu listenden Artikeln empfiehlt es sich hingegen, die Conjoint-Analyse anzuwenden. Im Kern handelt es sich dabei um ein Instrument zur Messung von Teilnutzenwerten, das Hinweise auf den Teilnutzen
264
9 Die Preispolitik
unterschiedlicher Preise und somit auf die Zahlungsbereitschaften der Kunden liefern kann.106 Die Vorgehensweise bei der Conjoint-Analyse kann nach BACKHAUS ET AL. in die folgenden fünf Schritte unterteilt werden 1. 2. 3. 4. 5.
Auswahl der Eigenschaften und Eigenschaftsausprägungen Entwicklung des Erhebungsdesigns Bewertung der Stimuli Schätzung der Nutzenwerte Aggregation der Nutzenwerte.
Der Marketingmanager im Handel muss demzufolge zunächst die artikelspezifischen Eigenschaften und Eigenschaftsausprägungen definieren. Beispielsweise kann man zur Abschätzung der Zahlungsbereitschaft für einen Gebrauchtwagen die Eigenschaft „Leistung“ definieren, der dann die Ausprägung „75 kw“ zugeordnet werden kann. Im zweiten Schritt hat der Marketingmanager zunächst zu definieren, wie viele Stimuli abgefragt werden sollen. Hier wäre es beispielsweise denkbar, dass neben der Eigenschaft „Leistung“, die weiteren Eigenschaften „Marke“, „Verbrauch“ und „Höchstgeschwindigkeit“ und schließlich „Preis“ in die Erhebung integriert werden, um so insgesamt sechs Stimuli bewerten zu lassen. Im Rahmen der konkreten Bewertung können verschiedene Methoden Anwendung finden. Generell unterscheidet man zwischen der Profil- und der Zwei-Faktormethode. Bei der Profilmethode besteht der Stimulus aus der Kombination je einer Ausprägung mit einer Eigenschaft. Bei der Zwei-Faktor-Methode werden zur Bildung eines Stimulus jeweils nur zwei Eigenschaften herangezogen. Im dritten Schritt wird die Rangfolge der Stimuli ermittelt, die die Nutzenvorstellungen der Probanden widerspiegelt. Hierzu bieten sich diverse Methoden an. Oft wird diese Ranfolge als Rangreihung ermittelt. Dabei werden die Stimuli nach dem empfundenen Nutzen von den Testpersonen mit Rangwerten versehen. Zur Schätzung der jeweiligen Nutzenwerte werden auf Basis der so ermittelten Daten zunächst Teilnutzenwerte ermittelt. Aus diesen lässt sich dann zum einen der Gesamtnutzenwert für alle Stimuli ermitteln. Zum anderen können die relativen Wichtigkeiten der einzelnen Eigenschaften, u. a. des Preises, bestimmt werden. Dadurch kann letztlich der Teilnutzenwert unterschiedlicher Preise ermittelt und somit ein Indikator der Zahlungsbereitschaft gewonnen werden. Zumeist bietet das Handelsunternehmen seine Artikel einer größeren Gruppe von potenziellen Käufern an. Insofern sind die individuellen Preis-Teilnutzenwerte bzw. Zahlungsbereitschaften auf ein Gruppenniveau zu aggregieren. Diese Aggregation kann auf verschiedene Wege erfolgen. Zum einen ist es möglich, die auf Basis von Individualanalysen gewonnenen Daten zu aggrerieren. Zum anderen kann aber auch eine gemeinsame Conjoint-Analyse für eine Mehrzahl von Personen durchgeführt werden, die dann aggregierte Teilnutzenwerte liefert.
106
Vgl. hierzu und zum Folgenden: Backhaus et al. (2003) sowie Müller-Hagedorn/Sewing/ Toporowski (1993), S. 123-148
9.4 Preispolitische Strategien
265
9.4 Preispolitische Strategien 9.4.1 Niedrigpreisstrategien Der Betriebstyp des Einzelhandelsgeschäftes spiegelt oft schon die grundsätzliche preispolitische Positionierung wider. Vor allem Niedrigpreisstrategien spielen im Einzelhandel des 21. Jahrhunderts eine große Rolle. Vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen zur Entstehung von Betriebstypen („Wheel-ofRetailing“) scheint es einen engen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Handelslandschaft und der Preisstrategie einzelner Händler zu geben. Insbesondere Niedrigpreisstrategien können nach dem Ansatz von MCNAIR zu wesentlichen Veränderungen der Handelsbranche führen. Vor diesem Hintergrund gibt die folgende Abbildung einen Überblick über die einzelnen Optionen einer Niedrigpreisstrategie im Einzelhandel. Neuere Erkenntnisse zur Wirkung unterschiedlicher Preisstrategien im Handel legten Müller-Hagedorn und Preißner (2006) vor.
Niedrigpreise im Einzelhandel Untereinstandspreise
Lockpreise
defensiv
offensiv
Untereinstandspreis-Angebote von Artikeln, bei denen der historische Einstandspreis nicht mehr erzielbar ist mit ohne Herausstellung des „Sonder“Angebotscharakters
unter Einstandspreis
Politik der offensiven Untereinstandspreis-Angebote mit besonderer werbliche Unterstützung (UEPP) mit ohne Herausstellung des „Sonder“Angebotscharakters
unter Einstandspreis „Echte“ Sonderpreise Sortimentsbezogene Sonderpreise
über Einstandspreis Lockpreis-Angebote über Einstandspreis, jedoch unter dem gewinnoptimal erzielbaren Preis mit ohne Herausstellung des „Sonder“Angebotscharakters
über Einstandspreis
Sonderpreise im Rahmen von Lockvogelangeboten
Artikelbezogene Sonderpreise
Niedrigpreise i.R.d. Sortimentsverbundes
Discountpreise / Dauerniedrigpreise
Niedrigpreise im Einzelhandel Abb. 9.11: Systematik der Niedrigpreise im Einzelhandel
Sonderpreise (auch „Aktionspreise“) werden zeitlich befristet eingesetzt. Der „Sonder“-Angebotscharakter einzelner Artikel oder ganzer Sortimentsbereiche wird deutlich herausgestellt. D. h. Sonderangebotspolitik wird i. d. R. durch werbliche Maßnahmen unterstützt. Von echten Sonderpreisen wird gesprochen, wenn sich das Angebot auch ohne Lockwirkungen bzw. kalkulatorischen Ausgleich unter kaufmännischen Aspekten „rechnet“. Dies ist beispielsweise auch bei defensi-
266
9 Die Preispolitik
ven Untereinstandspreisen der Fall, da hier höhere Preisstellungen zu noch größeren Verlusten führen würden. Sonderpreise im Rahmen von Lockvogelangeboten führen auf den jeweiligen Artikel bezogen zu Erfolgsminderungen, rechnen sich aber über den kalkulatorischen Ausgleich. Ziel der Sonderangebotspolitik ist es, den Umsatz und auch den Bruttogewinn der beworbenen Sonderangebote zu steigern. Als sekundärer Effekt sollen Sonderangebote Kunden anlocken und auch dadurch den Absatz anderer Güter steigern. Es gibt empirische Hinweise darauf, dass diese Ziele erreicht werden werden. So zeigen Müller-Hagedorn und Preißner (2006, S. 15) in der bereits erwähnten Studie, dass • mehr als jeder zweite Konsument (57,7%) in Geschäften, die er aufsucht, um dort ein Sonderangebot zu kaufen, auch Produkte kauft, für die er den regulären Preis bezahlen muss; • nur jeder Vierte (24,9%) das Geschäft nur deswegen aufsucht, um ausschließlich Sonderangebote zu erwerben; • gut jeder dritte Konsument (34,1%) aufgrund von Sonderangeboten teure Marken kauft, die er sonst nicht kaufen würde; • nur jeder Vierte (23.6%) sich aufgrund von Sonderangeboten und Rabatten oft Vorräe anlegt; • über ein Viertel der Käufer (27,3%) seine Käufe bis zum nächsten Sonderangebot verschiebt; • demgegenüber fast jeder vierte Konsument (23,1%) sich durch Sonderangebote zu Käufen verleiten lässt, die er eigentlich nicht geplant hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass Sonderangebote positive Auswirkungen auf das Preisimage des Handelsbetriebs haben können. Die Wirkung von Sonderangeboten ist in zahlreichen empirischen Studien erforscht worden.107 Jüngere Studien belegen sogar, dass Sonderangebote sogar einen Absatzanstieg erzielen, auch wenn keine Preisreduzierung vorgenommen wurde. Untereinstandspreise werden als defensiv bezeichnet, wenn dadurch der Absatz der reduzierten Ware gefördert werden soll. Der erzielbare Preis liegt unter dem (historischen) Einstandspreis. Mögliche Gründe sind: • • • • •
abgesunkener Marktpreis/Absatzstockung modisch/technisch überalterte Ware beschädigte/verderbliche Ware liquiditätsbedingte Notverkäufe Aus-, Räumungs-, Saisonschluss-, Inventurverkäufe und dergleichen.
Bei offensiven Untereinstandspreisen wird die Preisforderung bewusst deutlich unter den erzielbaren Preis gesenkt, um den Umsatz des übrigen Sortiments zu steigern. Der Verkauf von Waren unter Einstandspreis ist heftig umstritten, da neben den positiven Effekten auf den Absatz des Anbieters auch Konsequenzen für
107
Vgl. Müller-Hagedorn (2002), S. 261ff. sowie ergänzend Müller-Hagedorn/Preißner (2006).
9.4 Preispolitische Strategien
267
Konkurrenten, Hersteller und Verbraucher verbunden sind. Vor allem für Markenartikel ist der Verkauf unter Einstandspreis sehr kritisch zu sehen. Lockpreise dienen der Kundengewinnung durch das Angebot einzelner Artikel erheblich unter dem gewinnoptimal erzielbaren Preis mit dem Ziel, den Umsatz des übrigen Sortiments zu steigern. Lockpreise sind also nicht zwingend Verlustpreise, aber in jedem Fall Verzichts-Preise bezogen auf den Lockartikel. Discountpreise oder auch Dauerniedrigpreisstrategien („DPNA“) beinhalten zeitlich unbefristete Niedrigpreise einzelner Artikel oder des gesamten Sortiments erheblich unter den marktüblichen Preisen. Prominente Beispiele des Einzelhandels sind die Drogeriekette DM, Deichmann oder auch Wal Mart. Ziel dieser Strategie ist es, ein preisgünstiges Image für den Betriebstyp aufzubauen und dem Kunden die Sicherheit zu geben, immer einen angemessenen Preis gezahlt zu haben. Damit einhergehen soll eine dauerhafte Senkung der empfundenen Unsicherheit des Kunden, die zum Beispiel positive Wirkungen auf das Vertrauen in die Betriebstypenmarke haben kann. Dieser Effekt konnte in empirischen Studien jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Wesentliche Vorteile der DPNAStrategie sind aber, dass sie einen positiven Beitrag auf die Beurteilung der Preisgünstigkeit des Betriebstyps leisten können.108 Von Niedrigpreisen im Rahmen des Sortimentsverbundes wird gesprochen, sofern enge, komplementäre Verbundbeziehungen im Sortiment auftreten (Beispiel: Nassrasierer/Rasierklingen). Es kann zweckmäßig sein, den Preis eines Artikels (im Beispiel: Nassrasierer) besonders niedrig zu stellen, um über dessen vermehrten Verkauf die Nachfrage nach dem gewinnbringenden Verbundartikel (im Beispiel: Rasierklingen) zu fördern. Es handelt sich weder um offensive Untereinstandspreispolitik noch um Lockpreispolitik, da der Anbieter an dem vermehrten Absatz der im Preis reduzierten Ware interessiert ist. 9.4.2 Preisbündelung Bei Preisbündelung werden die Preise nicht nur für einen einzelnen Artikel festgelegt, sondern mehrere Produkte werden zeitgleich zu einem Gesamtangebot zusammengestellt und mit einem eigenen Preis versehen. In der Praxis wird das Mittel der Preisbündelung häufig für Reisen, Topf-Sets oder auch bei HiFi-Anlagen und Multimedia angewendet. Die Summe der Einzelpreise liegt dabei wesentlich über dem geforderten Preis für das Komplettpaket. Die hohe Attraktivität des Set-Preises soll den Kunden dazu verleiten, Zusatzkäufe zu tätigen (z. B. statt des Kaufes von zwei einzelnen Töpfen für 89 € der Kauf eines vierteiligen Topf-Sets für 129 €). Um den Umsatz und den Gewinn des Handelsunternehmens zu steigern, ist jedoch eine Abschätzung der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für den einzelnen Artikel als auch der Zahlungsbereitschaft für das Komplettpaket erforderlich.
108
Vgl. Müller-Hagedorn/Preißner (2006), S. 19.
268
9 Die Preispolitik
9.4.3 Preisdifferenzierung Preisdifferenzierung dient dazu, unterschiedliche Zahlungsbereitschaften der Konsumenten zu nutzen und abzuschöpfen. Insgesamt können sechs verschiedene Arten der Preisdifferenzierung unterschieden werden: 1. Preisindividualisierung: Für jeden Kunden wird durch Verhandlung ein individueller Preis vereinbart. Insbesondere Internetanbieter und Preisagenturen bieten Möglichkeiten, die maximale Zahlungsbereitschaft des Konsumenten zu nutzen. Prominentestes Beispiel ist die Auktionsplattform EBAY. Kunden können bei EBAY Preisangebote abgeben und das höchste Preisangebot erhält den Zuschlag. Aber auch im stationären Einzelhandel besteht die Möglichkeit, durch Verhandeln einen individuellen Preis auszuhandeln. 2. Leistungsbezogene Preisdifferenzierung: Bei der leistungsbezogenen Preisdifferenzierung werden bestimmte Bestandteile der Leistung (meistens Dienstleistungen) auf Wunsch des Kunden aus dem Leistungspaket entnommen und führen zu einem niedrigeren Gesamt-Preis. Beispiele hierfür sind die so genannten „Abholpreise“ im Möbeleinzelhandel oder die „Cut and go“ Preise im Friseurgeschäft. 3. Mengenmäßige Preisdifferenzierung: Der Händler gewährt im Rahmen der mengenmäßigen Preisdifferenzierung bei Abnahme einer größeren Zahl eines Artikels einen niedrigeren Einzelpreis als bei Abnahme eines einzelnen. Beispielsweise werden beim Kauf von drei Paar Schuhen nur zwei berechnet. 4. Räumliche Preisdifferenzierung: Im Rahmen der räumlichen Preisdifferenzierung fordert der Händler an verschiedenen Standorten für identische Artikel unterschiedliche Preise. 5. Personelle Preisdifferenzierung: Für unterschiedliche Personengruppen werden bei der personellen Preisdifferenzierung unterschiedliche Preise verlangt (z. B. werden Kundenkarteninhabern oft niedrigere Preise gewährt, als anderen Kunden). 6. Zeitliche Preisdifferenzierung: Zeitliche Preisdifferenzierung bedeutet, dass die Preise im Zeitverlauf systematisch verändert werden. Als Beispiel kann der „Sonntagszuschlag“ für frische Brötchen in einer Bäckerei angeführt werden. Neben diesen Ansätzen lassen sich weitere kombinierte Ansätze nennen, die z.B. die zeitliche Preisdifferenzierung mit verhaltenswissenschaftlichen Kategorien des Behavioral Pricing Forschung (z.B. Referenzpreismodelle) kombinieren. Ein Beispiel für die erfolgreiche Anwendung solcher kombinierter Ansätze zeigen Natter et al. (2006).
10 Die Präsentationspolitik
10.1 Bedeutung und Grundlagen der Präsentationspolitik Die Art und Weise, wie und in welchem Umfeld ein Artikel präsentiert wird, hat oft einen signifikanten Einfluss auf die Ausgaben, die ein Kunde in einer Einkaufsstätte tätigt.1 Zudem beeinflusst die Präsentationspolitik maßgeblich die Beurteilung der Qualität eines Artikels.2 Insofern spielt die Präsentationspolitik, verstanden als Gesamtheit aller Maßnahmen zur Planung, Realisation und Kontrolle einer zielkonformen Warenpräsentation, eine wichtige Rolle im Marketing-Mix des Handelsbetriebs. Gleichwohl ist es praktisch nahezu unmöglich, eine optimale Warenpräsentation zu realisieren, da ständige Sortimentsänderungen, geänderte Arbeitsabläufe und Kundenansprüche oftmals eine permanente Variation des Verkaufsraums erfordern. Dies sollte z. B. immer dann geschehen, wenn modische Elemente obsolet wurden und zu ändern sind, oder aber technologische Weiterentwicklungen Änderungen des Ladenslayouts erforderlich machen. Die Gestaltung der Warenpräsentation und des Ladens spielen dabei insbesondere bei denjenigen Händlern einen große Rolle, deren Sortimente hohe Anteile von Spontankaufgütern beinhalten (z. B. Lebensmittel und Textilien).
Ladenlayout
Warenpräsentation
Warenplatzierung
Gestaltungsbereiche der Präsentationspolitik
Atmosphäre (Licht, Musik, Farben)
Abb. 10.1: Gestaltungsbereiche der Präsentationspolitik 1 2
Vgl. Zielke (2003). Vgl. Chebat/Michon (2003); S. 535 und 536.
Erscheinungsbild des Personals
270
10 Die Präsentationspolitik
Im Rahmen der Ladengestaltung sind primär die beiden folgenden Fragen zu klären: 1. Wie werden die Waren präsentiert (Warenpräsentation)? 2. Wo werden die Artikel und Warenträger platziert (Warenplatzierung)? Mit der ersten Frage werden Gestaltungsfragen beantwortet (z. B. Dekoration, Auswahl der Warenträger, Kundenführung, Beleuchtung, Beschallung). Die zweite Frage hingegen geht auf die Aufteilung der gesamten Verkaufsfläche und Regale ein.3 Beide Problemkreise spielen in der Praxis eine bedeutsame Rolle, da zum Beispiel Veränderungen der Kundenfrequenzen oftmals mit Problemen in der Präsentationspolitik begründet werden. Problematisch ist dabei jedoch oft die detaillierte Klärung der Frage, welche Konsequenzen Veränderungen der Präsentationspolitik auf die ökonomischen, handelsbetrieblichen Ziele haben werden. Die hier empirisch gewonnenen Ergebnisse sind oft nicht eindeutig: So zeigt bspw. Kinateder (1989), dass eine Orientierung der Warenpräsentation an den kognitiven Strukturen der Kunden diesen zwar das Zurechtfinden erleichert, aber keine Wirkung auf den Umsatz hat. In einer anderen Publikation weist Wittmann (o.J.) darauf hin, dass ca 20% der Arbeitszeit des Verkaufspersonals zur Beantwortung von Orientierungsfragen seitens des Kunden verwendet wird und nicht mehr für Verkaufsgespräche zur Verfügung steht. Trotz dieser Einzelbefunde fehlt es an systematischen Untersuchungen der Erlös- und Kostenwirkungen präsentationspolitischer Aspekte. Will man sich diesem Aspekt aber dennoch in einem Lehrbuch nähern, so ist es zweckmäßig, die Ziele der Präsentationspolitik instrumentalbereichsspezifisch zu formulieren. Ein Ziel kann beispielsweise sein, bestimmte Bedürfnisse beim Kunden zu wecken, seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Artikel oder Warengruppen zu lenken oder aber spontane Kaufentscheidungen auszulösen. Die Realisierung dieser Ziele ist dabei oft an Bestimmungsfaktoren gebunden, die in artikelund handelsbetriebliche Bestimmungsfaktoren unterteilt werden können. Artikelbezogene Bestimmungsfaktoren sind beispielsweise die Art und Beschaffenheit der jeweiligen Artikel. So ist die Präsentation von Tiefkühlkost an die Existenz geeigneter Warenträger gebunden (hier: Truhen oder Regale). Hochwertige Artikel der Unterhaltungsindustrie sind hingegen vor Diebstahl zu sichern, was wiederum der Anmutung der Warenpräsentation abträglich sein kann, etc. Die handelsbetrieblichen Bestimmungsfaktoren lassen sich in betriebsformen-, sortiments- und standortbezogene Faktoren unterteilen. Die Betriebsform bedingt die Präsentationspolitik in erster Linie durch die zur Verfügung stehenden Flächen. So lassen beispielsweise großflächige Betriebsformen andere Arten der Warenpräsentation zu als die typischerweise innerstädtischen kleinflächigen Formate, die oftmals mit hohen Mieten belastet werden. Darüber hinaus muss die Präsentationspolitik auch der strategischen Ausrichtung der Betriebsform entsprechen. Das Sortiment hat wiederum einen Einfluss auf die Präsentationspolitik, da bestimmte, hochwertige Artikel regelmäßig in einem anderen Umfeld präsentiert werden sollten als niedrigpreisige, geringwertige Artikel. Zudem bestimmen die Sortiments3
Vgl. Mattmüller/Günther (1993), S. 77ff.
10.2 Festlegung des grundlegenden Layouts
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tiefe und -breite auch den Raum, den man den jeweiligen Artikeln einräumen kann. Schließlich sind bestimmte Sortimentsteile nur dann überhaupt listungsfähig, wenn die vom Hersteller geforderten, präsentationsbezogenen Voraussetzungen erfüllt sind.4 Der Standort hat insofern einen Einfluss auf die Präsentationspolitik, als standortpolitische Vorgaben, die auch rechtlicher Natur sein können, die Freiheitsgrade der Präsentationspolitik beeinflussen können. Beispiele sind themenorientierte Aktionen im Rahmen des City-Marketing oder koordinierte Maßnahmen in Shopping-Centern, die von dem einzelnen Handelsbetrieb umgesetzt werden müssen.
10.2 Festlegung des grundlegenden Layouts Bei der Gestaltung des Ladenlayouts handelt es sich um eine Grundsatzentscheidung, die den Rahmen für die Entscheidungen über die Ladeneinrichtung, die Aufteilung in Funktionszonen und die Warenträgeranordungen sowie dem Kundenlauf festgelegt werden. Bei der Definition des Ladenlayouts sind bestimmte Grundregeln zu beachten: Zum einen muss sie einen störungsfreien Warendurchlauf und einen rationellen Betriebsablauf ermöglichen. Zum anderen muss der Kunde das Ladenlayout akzeptieren und verstehen können. Ist dies nicht der Fall, hat dies meist einen negativen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit, die wiederum einen Einfluss auf die Einkaufsstättenwahlentscheidung haben kann. Erfahrungsgemäß lassen sich unlogische Kundenläufe auf Dauer nicht aufrechterhalten und müssen dann durch Umbauten „repariert“ werden. Einen ersten, wichtigen Teilbereich des Ladenlayouts bilden die Entscheidungen über die Ladeneinrichtung. Hier benötigt der Händler oft die Hilfe von Spezialisten, zumeist Innenarchitekten. Die Entscheidungen über die Ladeneinrichtung beinhalten zahlreiche Komponenten. So sind hier z. B. die Warenträger auszuwählen, die Boden- und Deckengestaltung ist zu definieren, die Wandbekleidung muss entschieden werden, etc. Problematisch ist hierbei, dass viele Entscheidungen nicht betriebswirtschaftlich fundiert getroffen werden können, da die Entscheidungsfelder in hohem Maße Defekte aufweisen. Fundierte Informationen über die genaue Wirkung von Farben, Materialien und Formen fehlen oftmals. Insofern wird hier sehr oft mit Erfahrungswerten gearbeitet, die im Rahmen von Benchmarkingstudien erhoben werden. Es ist nicht unüblich, dass Marketingmanager des Handels Reisen in internationale Metropolen (insbesondere: London und New York) unternehmen, um neue Ladenbaukonzepte zu besuchen. Ob die dort erfolgreichen Konzepte dann jedoch auch vor Ort (z. B. in Münster) erfolgreich sind, kann letztlich nur durch intelligente und individualisierte Markttests eruiert werden. Ähnlich unbestimmt sind die Entscheidungen über Warenträger. Dieser Entscheidungsbereich ist jedoch oft durch funktionale Notwendigkeiten vorbestimmt. So erfordern z. B. frische Lebensmittel Warenträger, die bestimmte Funktionalitäten aufweisen (z. B. Kühlung). Diese Warenträger sind oft sehr kostenintensiv. 4
Zur Absatzkanalstratgie der präsentationsbezogenen Integration vgl. Ahlert (1996).
272
10 Die Präsentationspolitik
Viele Händler greifen daher auf Systemlösungen zurück, die meist variabel und funktionell sind. Bei der gesamten Ladengestaltung ist darauf zu achten, dass Design und Geschäftstyp harmonieren. Dadurch wird zum einen eine positive Einkaufsatmophäre geschaffen. Zudem sollte das Outlet im Einklang mit der Markenkonzeption stehen. Das Corporate Design, das der Markenphilosophie entspricht, ist daher eine wichtige Vorgabe für den Ladenbau. Neben diesen grundsätzlichen Entscheidungen über das Was? stellt sich die Frage, wo die jeweiligen Warenträger positioniert werden sollen. Aufgabe dieses Planungsschrittes ist es, die zur Verfügung stehende Verkaufsfläche in verschiedene Funktionszonen aufzuteilen. Die Aufteilung richtet sich üblicherweise nach den klassischen Warengruppen (z. B. Herrenkonfektion, Damenoberbekleidung). Aber auch andere Konzepte, wie zum Beispiel die von der KARSTADT WARENHAUS AG betriebene Orientierung an Lebensstilen (z. B. Living, Personality, Fashion) sind möglich. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist zu beachten, dass die Raumaufteilung in Funktionszonen immer dann optimal ist, wenn die Grenzerlöse der jeweiligen Zonen gleich sind, d. h. wenn eine Ausweitung, zum Beispiel der Herrenkonfektion, zu Lasten einer anderen Abteilung, z. B. der Damenoberbekleidung, nicht zu einer Erhöhung des Umsatzes führt. Ziel ist es damit, dass sämtliche Funktionen in etwa gleich hohe Flächenproduktivitäten erzielen. Das Kernproblem dieses Ansatzes ist, dass die zwischen den Abteilungen bestehenden Verbundwirkungen nur sehr schwer quantifiziert werden können. Dieses Problem hat dazu geführt, dass in der Praxis der Ausgleich der Grenzproduktivitäten zwar beachtet, keinesfalls aber als oberste Regel des Ladenlayouts verstanden wird.
Abb. 10.2: Ladenlayout eines aktuellen Albert Heijn-Marktes
10.2 Festlegung des grundlegenden Layouts
273
Die Aufteilung der Gesamtfläche kann in die folgenden, teilweise nicht eindeutig abgrenzbaren Flächen vollzogen werden: Warenfläche, Beratungszonen, Kundenflächen sowie sonstige Flächen (vgl. Abb.). 5 Auf der Warenfläche werden die Waren auf Paletten, Ständern, Regalen oder anderen Warenträgern präsentiert. Zu diesen Flächen gehören auch Sonderplatzierungen (z. B. für bestimmte Themen), auf denen das Angebot häufig variiert und die oft für Zweitplatzierungen genutzt werden (z. B. Süßwaren zu Weihnachten). Dieser dynamische Teil der Warenfläche ist deswegen bedeutsam, weil der Kunde nicht immer das Gleiche sehen will und der Händler hier über eine flexible Ressource verfügt, die er kurzfristig und regelmäßig zur Kundenakquise nutzen kann. Der Anteil dieser dynamischen Flächen sollte nicht zu groß sein, da der Kunde sonst Probleme bekommt, sich im Laden zu orientieren. Beratungszonen liegen außerhalb des Kundenstroms, um diesen nicht zu behindern. Ihr Flächenanteil hängt von der gewählten Betriebsform ab. Ist dieser sehr beratungsintensiv, sollte dies bei der Ladenplanung beachtet werden. Im Automobilhandel finden sich solche Zonen oft in den Büroräumen der Angestellten. Im Möbelhandel sind diese oft in den Verkaufsraum integriert. Schließlich ist die Kundenfläche dem Kunden vorbehalten, um die gewünschten Artikel zu erreichen. Kundengänge, Rolltreppen, Aufzüge, Ruhezonen, etc. zählen zu diesen Bereichen. Besondere Bedeutung hat die Gestaltung und Untersuchung der Kundengänge erfahren. Ein Instrument, um zu identifizieren, ob die Gestaltung der Kundengänge optimal ist, sind so genannte Kundenlaufsstudien.6 Hier wird untersucht, wie der normale Kundenlauf ist und ob dieser noch optimiert werden kann. Den größten Teil der sonstigen Flächen machen die Personal-, Kassen- und Thekenflächen aus. Den letzten grundlegenden Entscheidungsbereich in punkto Ladenlayout bildet die Frage nach der konkreten Anordnung der Warenträger. Ziel dieser Entscheidungen ist es zum einen, dem Kunden einen möglichst großen Teil des Sortiments zu zeigen, und zum anderen, die Verweildauer des Kunden nicht unnötig zu verlängern, da dies nachteilige Wirkungen auf die Kundenzufriedenheit haben kann. Insofern befindet sich der Ladenplaner stets im Trade-off zwischen kurzer und langer Verweildauer. Zudem muss er beachten, dass die wahrgenommene Orienitierung des Kunden einen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit haben kann. Es kann daher Sinn machen, zur Optimierung der Regalbelegungpläne den kognitiven Strukturen der Kunden Rechnung zu tragen.7 Generell sind bei der Anordnung der Warenträger zwei geometerische Grundmuster möglich, die auch kombiniert werden können (vgl. Abb.): die Längs- und die Querplatzierung. Bei Querverbindungen existieren sehr viele Warenträgerköpfe, was die Kunden zu Impulskäufen animieren kann. Andererseits ist das System unübersichtlich und kann daher negative Wirkungen auf die Kundenzufriedenheit haben. Dies gilt besonders für gelenkte Zwangläufe.8 Das Längssystem hingegen
5 6 7 8
Vgl. auch Schröder (2002), S. 133. Vgl. auch Schröder (2002), S. 142. Vgl. exemplarisch Kinateder (1989), S. 86ff. sowie Zielke (2001), S. 100ff. Vgl. Birker/Voss (2000), S. 56.
274
10 Die Präsentationspolitik
gewährleistet eine bessere Kundenbeobachtung, reduziert aber die Wahrscheinlichkeit von Impulskäufen.
W WAARREENNTTRRÄÄGGEERR W W AA RR EE NN TT RR ÄÄ GG EE RR
W W AA RR EE NN TT RR ÄÄ GG EE RR
W WAARREENNTTRRÄÄGGEERR Kundenlauf
W W AA RR EE NN TT RR ÄÄ GG EE RR
W WAARREENNTTRRÄÄGGEERR
W WAARREENNTTRRÄÄGGEERR
W WAARREENNTTRRÄÄGGEERR Längsplatzierung
Querplatzierung
Abb. 10.3: Längs- und Querplatzierung der Warenträger
10.3 Warenplatzierung 10.3.1 Raumzuteilung Die Warenplatzierung (oft auch „Warenpräsentation“)9 beschäftigt sich mit der Frage der quantitativen Raumaufteilung der Verkaufsflächen einschließlich der Regalflächen. In ihrem Kontext werden die Raumzuteilung und die Aufteilung der Regalkapazität diskutiert. Die Raumzuteilung regelt die Aufteilung der Verkaufsfläche auf Warengruppen und Artikel. Die informatorische Basis bilden oft empirische Kundenlaufstudien. Bei diesen Studien wird das Verhalten der Kunden am PoS beobachtet, um zu erfahren, welche Wege der Kunde normalerweise wählt. Im Ergebnis konnten solche Studien bis heute die folgenden Erkenntnisse liefern, die quasi den Charakter von Faustregeln haben:10 9 10
Vgl. Tietz (1993), S. 462ff. Vgl. hierzu Schröder (2002), S. 142f sowie Birker/Voss (2000), S. 56ff.
10.3 Warenplatzierung
275
1. Kunden screenen das Sortiment zunächst senkrecht und orientieren sich an Ankerartikeln, z. B. bekannten Markenartikeln.11 2. Kunden blicken und greifen in der Regel zuerst nach rechts, sie haben gewissermaßen einen „Rechtsdrall“. Immer wenn ein Bild erfasst wird, wandert der Blick von links nach rechts und bleibt rechts ein paar Sekunden haften. 3. Kunden sind bequem. Sie bevorzugen die kürzesten Wege und sparen Ecken und die Ladenmitte aus. 4. In den Eingangszonen laufen Kunden relativ schnell, da sie von der Straße ein schnelleres Tempo mitbringen. In mittleren Zonen, wenn sie sich an den Laden gewöhnt haben, reduzieren sie ihr Tempo, um dieses in der Nähe der Kassenzone wieder zu erhöhen. Aus diesen Beobachtungen lassen sich Zonen ableiten, denen der Kunde mehr oder weniger starke Aufmerksamkeit schenkt. Demzufolge unterscheidet man verkaufsstarke und verkaufsschwache Zonen. Zu den verkaufsstarken Zonen gehören erfahrungsgemäß die Zonen, die rechts vom Kundenlauf liegen, insbesondere die Außengänge, Kassenzonen, sofern der Kunde dort warten muss, und Orientierungspunkte im Laden (z. B. Gangkreuzungen). Verkaufsschwache Zonen sind hingegen Bereiche, die links vom Kundenlauf liegen, Mittelgänge des Verkaufsraums, die Eingangszone, weil sie schnell durchlaufen wird, sowie Ecken. Die Stärke der schwachen Zonen lässt sich durch geeignete Maßnahmen zum Teil erhöhen. So installieren Händler häufig am Eingang langsam öffnende Drehkreuze oder Eingangstüren, um die Kundengeschwindigkeit in der Einkaufszone zu reduzieren. Darüber hinaus werden in dieser Zone oft Stopper aufgebaut, die aus besonders interessanten Angeboten bestehen können. Auch hochfrequentierte Shops (im Lebensmittelbereich zum Beispiel TchiboShops), die vom Kunden bewusst aufgesucht werden, können diese StopperFunktion erfüllen. 10.3.2 Regalzuteilung Neben dieser Zonenbildung muss das Handelsmarketing im Rahmen der Präsentationspolitik entscheiden, wie der knappe Regalplatz aufgeteilt werden kann. Als Basis für diese Entscheidung dienen oft die vier Regalzonen, deren Wirkung in jüngster Zeit aber umstritten ist. Konkret unterscheidet man: 1. Reckzone (über 160cm): Diese Zone ist weniger verkaufsintensiv und sollte für leichtere Artikel vorgesehen werden. 2. Sichtzone (120 bis 160 cm): Artikel dieser Zone genießen die größte Aufmerksamkeit. Demzufolge ist diese Zone besonders verkaufsintensiv („eye-level is buy-level“). Plätze in der Sichtzone sind daher für Markenartikelhersteller von besonderem Interesse. Der Händler platziert hier häufig die Artikel mit den höchsten Deckungsspannen. 11
Vgl. Mewis (2004), S. 78.
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10 Die Präsentationspolitik
3. Greifzone (80 bis 120 cm): Auch diese Zone ist noch verkaufsintensiv. Oft werden hier Spezialitäten platziert, die gut kalkuliert sind und eine akquisitorische Wirkung haben. 4. Bückzone (bis 80 cm): Dieser Bereich ist weniger verkaufsstark. Hier sollten schwere, voluminöse Artikel (Windeln, Getränkekisten) platziert werden. Oft findet man hier auch ertragsschwache Artikel und No-Names. Die dargestellten Platzierungshilfen sagen jedoch noch nichts über die konkrete Platzierung im Regal aus. Diesbezüglich lassen sich verschiedene Platzierungsmöglichkeiten unterscheiden, von denen die folgenden drei wohl die wichtigsten darstellen und deswegen hier erwähnt werden sollen: 1. Herstellerblock: Hier sind sämtliche Artikel eines Herstellers, die gelistet sind, präsentiert (z. B. Milka). Der Hersteller präferiert diese Platzierung deswegen, weil sie ihm eine möglichst gute Darstellung seines Absatzprogramms ermöglicht. 2. Produktblock: Hierbei werden ähnliche Produkte ohne Rücksichtnahme auf die jeweiligen Hersteller zusammengestellt. Den Herstellern ist diese Platzierung oft nicht so angenehm, da sie den Kunden den Preisvergleich ermöglicht. 3. Kreuzblock: Der Kreuzblock besteht aus horizontal angeordneten Artikelgruppen (z. B. Hautpflegemitteln), innerhalb derer verschiedene vertikale Produzentenblöcke gebildet werden (z. B. Nivea, bebe). Diese Art der Regalaufteilung wird von den Kunden als besonders logisch empfunden.12 Die optimale Regalflächenaufteilung kann durch geeignete Softwareprogramme unterstützt werden. Bekannte Beispiele sind die Programme APOLLO und SPACEMAX.13 Mit Hilfe von Scannerdaten können so die Regalplatzierungen evolutionär optimiert werden.
10.4 Warenpräsentation Grundvoraussetzung einer ansprechenden Warenpräsentation ist, dass die Waren übersichtlich und in sauberer Umgebung präsentiert werden. Neben diesen beiden buchstäblichen „Hygienefaktoren“ können Präsentations- und Dekorationshilfen den Kunden zum Kauf motivieren. Das Ziel ist die wirkungsvolle Darstellung der angebotenen Artikel. Hierzu werden Displays, Thekenaufsteller, Deckenhänger und viele andere weitere Mittel verwendet. Weitere wichtige Aspekte im Bereich der Warenpräsentation sind die Farbwahl, die Entscheidung über die Lichttechnik, die Belüftung und Klimatisierung der Einkaufsstätte sowie Entscheidungen in Bezug auf die Präsentation im Schaufenster. Hinsichtlich des letzten Punktes unterscheidet man vier Gestaltungstypen:14 12 13 14
Vgl. Birker/Voss (2000), S. 59. Vgl. Schröder (2002), S. 154. Eine andere, themenorientierte Einteillung findet sich bei Schmitz/Kölzer (1996), S. 317ff.
10.4 Warenpräsentation
277
1. Fantasiefenster: Diese sind häufig themenorientiert gestaltet (z. B. „Alles für die Radtour“, „Alles für den italienischen Abend“, „Alles für den Schulanfang“). 2. Plakatfenster: Hier handelt es sich meist um reine Plakatwerbung, die evtl. durch eine kleine Artikelauswahl ergänzt werden kann. 3. Stapelfenster: Hier werden größere Warenmengen einer Warengruppe dargestellt (z. B. Herrenhemden, Schuhe) 4. Übersichtsfenster: Diese geben einen Überblick über das gesamte Sortiment des Händlers (z. B. bei Juwelieren). Bisher liegen nur wenige wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Schaufestern vor. 15 Man geht aber davon aus, dass sie kogntiv und emotional auf den Kunden wirken. Der kognitive Effekt basiert auf der Informationsfunktion und dürfte daher in einer frühen Phase des Kaufentscheidungsprozesses, in dem die Kunden gezielt nach Informationen suchen, wirken. So untersuchen Edwards und Shackley (1992), die Wirkung von Schaufenstern einer englischen Drogeriekette und kommen zum Ergebnis, dass das Design und die Größe des Fensters einen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben.16 Den emotionalen Aspekt untersuchen Fließ et al (2005) auf Basis eines S-O-R-Modells. Sie verwenden dazu die Pleasure-ArousalSkala und messen das Kaufverhalten über zwei Items. Insgesamt wurden 173 Personen in einer deutschen Großstadt befragt. Im Ergebnis können Fließ et al. (2005) einen signifikanten Zusammenhang zwischen den durch das Schaufenster vermittelten Emotionen und dem Kaufverhalten der Konsumenten ermitteln.17 Trotzt dieser vereinzelten Ansätze, sich dem Thema wissenschaftlich zu nähern, lässt sich festhalten, dass die Präsentationspolitik für das Handelsmarketing zwar ein wichtiges, aber relativ schlecht strukturierbares Entscheidungsfeld darstellt, in dem noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. Im Kern ist problematisch, dass die Wirkungen einzelner Maßnahmen auf die Erreichung des übergeordneten Unternehmensziels nur sehr schwer isoliert, valide und reliabel gemessen werden kann. Insofern ist der Marketingmanager hier oft auf die Anwendung der skizzierten Faustregeln und Heuristiken sowie auf die Zusammenarbeit mit Spezialisten (z. B. Ladenbauer, Innenarchitekten) angewiesen. Neue Impulse können hier aber durch das bereits skizzierte Category Management erwartet werden, das die Bereiche der Sortimentspolitik und Warenpräsentation miteinander verbindet.18 Aufbauend auf einer Arbeit von KINATEDER (1989) zeigt ZIELKE19, welche Ansprüche Kunden an die Warenpräsentation in einer Schreibwarenabteilung eines SB-Warenhauses haben. Darauf aufbauend skizziert er mögliche kognitive Strukturen, die dann als Grundlage der kundengerechten Sortimentsgliederung dienen können. Zur Ermittlung solcher kognitiver Strukturen stehen grundsätzlich zwei Methoden zur Verfügung: Sortierexperimente und Sequenzanalysen von Wortassoziatio15 16 17 18 19
Vgl. Fließ/Hogreve/Nonnenmacher (2005), S. 26. Vgl. Edwards/Shackley (1992). Vgl. Fließ/Hogreve/Nonnenmacher (2005), S. 29 und 30. Vgl. hierzu Zielke (2001), S. 100ff. Vgl. Zielke (2000), S. 100ff.
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10 Die Präsentationspolitik
nen. Beide Methoden haben Vor- und Nachteile. Das Wortassoziationsverfahren eignet sich nach ZIELKE besonders, wenn große Warenbereiche strukturiert werden sollen, die eine Vielzahl von Artikeln beinhalten. Innerhalb einer Artikelgruppe (z. B. Kugelschreiber) eignen sich dagegen in erster Linie Sortierverfahren, um zu erkennen mit welchen Kriterien (Marken, Preis, etc.) die Kunden die Artikel gliedern.
10.5 Gestaltung der Einkaufsatmosphäre Der Einfluss der Einkaufsatmosphäre ist Gegenstand zahlreicher empirischer Studien gewesen.20 Vor allem die so genannte Erlebnisorientierung steht im Mittelpunkt vieler Forschungsarbeiten. Überwiegendes Ziel der Untersuchungen ist es, den Einfluss unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten der Einkaufsatmosphäre auf die Erreichung der Unternehmensziele nachzuweisen. Die Aktionsparameter zur Gestaltung der Einkaufsatmosphäre sind: • • • • • •
Raumgestaltung Ladeneinrichtung Farbgestaltung Dekoration Beleuchtung Raumumfeld (z. B. Musik, Raumtemperatur, Gerüche).21
Ziel der Gestaltung des inneren Erscheinungsbildes ist es, den Konsumentenzielgruppen eine angenehme und kaufanreizende Umgebung zu vermitteln.22 Im Rahmen der Raumgestaltung wird über das grundsätzliche Ladenlayout entschieden (z. B. nach Feng Shui-Kriterien, oder ob runde oder strenge Formen benutzt werden sollen, etc.). Die Vorgaben der Raumgestaltung werden dann durch die Ladeneinrichtung (Regale, Warenträger, Ruhezonen, etc.) umgesetzt. Die dabei angewendete Farbgestaltung hat einen großen Einfluss auf die Atmosphäre der Einkaufsstätte. Beispielsweise wird „rot“ als eher stimulierend und aktiv wahrgenommen, wohingegen „grün“ oder „blau“ eine eher ruhige Atmosphäre ausstrahlen. Dementsprechend sind vor allem anregende Farben für die Gestaltung des Umfeldes von Impulsartikeln geeignet. Zur Dekoration zählen alle Gegenstände, die eine schmückende Funktion ausüben und nicht zum Sortiment gehören. Dekorationsgegenstände können einerseits wechselnde, themengebundene Einkaufserlebnisse schaffen und andererseits Bestandteil der allgemeinen Ladenatmosphäre sein (z. B. Pflanzen oder Bilder). Dekorationsgegenstände dienen vornehmlich dazu, die Einkaufsatmosphäre positiv zu unterstreichen.23 20 21 22 23
Vgl. Kotler (1973/74), Diller/Kusterer (1986), sowie Müller-Hagedorn (2001). Vgl. Berekoven (1995), S. 284. Vgl. Hansen (1990), S. 306. Vgl. Theis (1999), S. 677.
10.5 Gestaltung der Einkaufsatmosphäre
279
Hinsichtlich der Beleuchtung von Einkaufsstätten existieren mittlerweile zahlreiche Studien, die den Einfluss auf das Kaufverhalten untersuchen. Wesentliche Erkenntnisse dieser Studien sind vor allem, dass eine hellere Beleuchtung zu längeren und häufigeren Kundenkontakten mit der Ware führt als eine gedämpfte Beleuchtung.24
24
Vgl. Summers/Herbert (2001), S. 145ff. und die dort angegebene Literatur.
11 Die Kommunikationspolitik
11.1 Begriffliche Abgrenzungen Die zunehmende Wettbewerbsintensität, verbunden mit einer zunehmenden Bedeutung des Preises in vielen Handelsbranchen, hat dazu geführt, dass zahlreiche Handelsbetriebe nach alternativen Formen der Profilierung suchen. Einige dieser Alternativen – z. B. Service- oder Erlebinsorientierung sowie die (Handels-) Markenpolitik – wurden bereits in den vorhergehenden Kapiteln erwähnt. Dabei wurde aber oft implizit unterstellt, dass der Kunde diese Strategien wie von selbst wahrnimmt. Tatsächlich ist dies aber nicht immer der Fall. Das Handelsmarketing muss daher geeignete Wege finden, die Leistungsvorteile zu kommunizieren, damit ist der Instrumentalbereich der Kommunikationspolitik im Handel angesprochen. Als Kommunikation wird allgemein der Austausch von Informationen zwischen Personen bezeichnet. Dieser Prozess wechselseitiger Einwirkungen wird in anderen Zusammenhängen auch als Interaktion bezeichnet.1 Interaktion findet hauptsächlich in persönlicher Kommunikation statt. Die Massenkommunikation hingegen wendet sich an ein breites Publikum und erreicht den Empfänger indirekt über ein Medium.2 Das in der folgenden Abbildung skizzierte klassische Kommunikationsmodell von LASWELL verdeutlicht den Prozess der Massenkommunikation. Die Werbeidee des Senders wird zu einer Nachricht (bspw. einer Anzeige) verschlüsselt. Mittels eines Werbeträgers wird diese Nachricht zum Rezipienten übertragen und von diesem dekodiert, d. h. übersetzt und interpretiert.3
1 2 3
Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 487. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 491. Vgl. Schweiger/Schrattenecker (2001), S. 12-13.
282
11 Die Kommunikationspolitik
Klassisches Kommunikationsmodell von Lasswell
Sender
Message
Medium
Rezipient
Zielperson Umworbener Unternehmen
Werbemittel
Enkodierung
Werbeträger
Dekodierung
Abb. 11.1: Paradigma der Kommunikation (Quelle: In Anlehnung an Schweiger/Schrattenecker, 2001, S. 12)
Aufgabe der Kommunikationspolitik im Rahmen des Handelsmarketing ist die planmäßige Gestaltung und Übermittlung von Informationen an marktrelevante Adressaten, um diese zieladäquat im Sinne der Erfolgsziele der Unternehmung zu beeinflussen.4 Werbung hingegen lässt sich verstehen als versuchte Verhaltensbeeinflussung, die mittels bezahlter Kommunikationsmittel erfolgt, von einem erkennbaren Sender ausgeht und sich an ein breites Publikum richtet.5 Somit ist Werbung als Bestandteil der kommunikationspolitischen Maßnahmen der Unternehmung aufzufassen, dargestellt in der folgenden Abbildung.
4 5
Vgl. Bänsch (1995), Sp. 1187. Vgl. Kroeber-Riel (1995), Sp. 2692
11.1 Begriffliche Abgrenzungen
283
Kommunikationspolitische Maßnahmen
persönliche Kommunikation
unpersönliche Kommunikation
Persönlicher Verkauf
Werbung
Verkaufsförderung
Public Relations
Sonstige
Abb. 11.2: Gliederung der Kommunikationspolitik
Quelle: Behrens (1996, S. 5) Während Public Relations als Zielsetzung die Schaffung eines möglichst positiven Bildes der Unternehmung in der Öffentlichkeit hat, zielen Verkaufsförderung und Werbung direkt auf den Absatzerfolg.6 Die Abgrenzung zwischen Werbung und Verkaufsförderung hingegen ist weniger trennscharf. Während Verkaufsförderung zeitlich befristete Maßnahmen mit Aktionscharakter umfasst,7 zielt Werbung eher auf die langfristige Beeinflussung psychischer Größen.8 Die sonstigen Maßnahmen unpersönlicher Kommunikation umfassen bspw. das Sponsoring, Product Placement und das Event-Marketing. Auf Grund ihrer hohen praktischen Bedeutung werden im folgenden Abschnitt Maßnahmen der (Massen-) Werbung und der (unpersönlichen) endkundenbezogenen Verkaufsförderung des Einzelhandels vorgestellt.
6 7 8
Vgl. Behrens (1996), S. 5. Vgl. Gedenk (2002), zitiert nach Homburg/Krohmer (2003), S. 623. Vgl. Behrens (1996), S. 5.
284
11 Die Kommunikationspolitik
11.2 Kommunikationsmaßnahmen und ihre Bedeutung im Einzelhandel Standortgebundene Maßnahmen lassen sich in Maßnahmen in der Verkaufsstelle, auf der Ware und in der Außenwerbung unterteilen. Innerhalb der Verkaufsstelle wird im Schaufenster und Verkaufsraum geworben.9 So werben in hochfrequentierten City-Lagen bspw. im Textil-, aber auch im Schreibwaren- und Bürobedarfeinzelhandel fast alle Unternehmungen auch im Schaufenster.10 Im Verkaufsraum werben die Handelsunternehmen mit Lautsprechermitteilungen11, Informationstafeln und thematisch zum Produkt passend ausgestalteten Store-Designs.12 Darüber hinaus kann auch die Präsentation der Ware selbst als Werbemaßnahme aufgefasst werden. Produktanmutung, Erscheinungsbild des Marktes und damit schließlich das Kaufverhalten der Verbraucher werden durch unübersichtliche bzw. unordentliche Warenpräsentation vielfach negativ beeinflusst.13 Unter Außenwerbung lassen sich werbliche Aktivitäten subsumieren, die im Freien stattfinden wie bspw. Plakatanschlag und Verkehrsmittelwerbung.14 Besonders Plakate im City-Format erfreuen sich bei Handelsunternehmungen steigender Beliebtheit, bspw. bei KARSTADT, H&M und MEDIA MARKT.15 Insgesamt macht die Außenwerbung mit 467,3 Millionen Euro im Jahr 2001 jedoch nur etwa drei Prozent der gesamten Werbeumsätze aus, innerhalb der Ausgaben des Handels und Versands sogar weniger als ein Prozent.16 Standortungebundene Maßnahmen umfassen den Bereich der Online-Werbung, Direktwerbung und die so genannte „klassische Werbung“, unter der Werbung in Insertions-/Printmedien und elektronischen Medien (TV, Kino, Rundfunk) verstanden wird. Unter dem Begriff der Online-Werbung sollen im Folgenden Werbemaßnahmen auf Internet-Seiten und Werbung mittels E-Mail subsumiert werden. Die Werbung auf Internet-Seiten umfasst Seiten mit Produktinformationen, OnlineShops, Sponsoring und Banner-Werbung.17 Bei Werbung mittels E-Mail hat vor allem der Newsletter eine große Bedeutung. Newsletter übermitteln Informationen über neue Produkte, Ankündigungen von Sonderaktionen und Angeboten sowie Aufforderungen zur Teilnahme an Gewinnspielen und Umfragen.18 Unter Direktwerbung wird die direkte Übermittlung einer Werbebotschaft in Form eines selbstständigen Werbemittels ohne Hilfe eines anderen Werbeträgers verstanden.19 Über den Postweg oder über sonstige Austräger zugestellte Werbeprospekte werden vom Einzelhandel intensiv genutzt. Sie bieten jedoch keine 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. Müller-Hagedorn (2002), S. 272. Vgl. Tietz (1993), S. 438. Vgl. Müller-Hagedorn (2002), S. 272. Vgl. Schmitz/Kölzer (1996), S. 311-316; Frechen (1998), S. 139ff. Vgl. Fieder (2001), S. 45. Vgl. Berekoven (1995), S. 241f. Vgl. Berekoven (1995), S. 243. Vgl. o.V. (2003c), S. 4. Vgl. Fritz (2000), S. 121-123. Vgl. Matejcek (2002), S. 158. Vgl. Dallmer (2002), S. 8.
11.2 Kommunikationsmaßnahmen und ihre Bedeutung im Einzelhandel
285
Response-Möglichkeit. Daher kann auch kein Wissen über die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Kunden aufgebaut werden.20 Im Rahmen von CouponAnzeigen, Werbebriefen, Werbe- und Antwortkarten und Katalogen lassen sich unpersönliche Medien einsetzen, die durch das Angebot einer ResponseMöglichkeit direkte Werbemaßnahmen darstellen.21 Der Einsatz von Kundenkarten erlaubt eine bedürfnisgerechtere Ansprache der Zielgruppe, da die Stammdaten der Kartenbesitzer und ihrer Kaufhistorie verfügbar sind.22 Durch persönliche Ansprache lässt sich die Werbewirkung und Akzeptanz beim Kunden sowie die Kundenbindung erhöhen. Darüber hinaus können die Wettbewerber die Werbeaktivitäten nicht unmittelbar nachvollziehen und zielgruppengenau imitieren.23 Tendenziell ist der Streuverlust am niedrigsten, je persönlicher die Werbeaktivität ist.24 Die Werbung in elektronischen Medien wie Kino, Rundfunk und Fernsehen hat für Einzelhandelsunternehmungen nach der Print-Werbung die größte Bedeutung. 2001 entfielen auf diesen Bereich etwa 25 % der gesamten Netto-Werbeeinnahmen der erfassten Werbeträger.25 Während Hörfunk- und Kinowerbung zusammen nur 4 % des Werbeaufkommens ausmachen, ist die Fernsehwerbung in ihrer Bedeutung seit Jahren steigend.26 Auf Handelsorganisationen ohne Spezialversender entfielen 2001 jedoch lediglich 3 % des gesamten Werbeaufkommens, was sich primär mit dem starken Engagement der Konsumgüterhersteller in diesem Werbesegment begründen lässt.27 So sind unter den Top 10 der Werbetreibenden im Fernsehen auch keine Handelsunternehmen zu finden. Einzelne Handelsunternehmen wie MEDIA MARKT oder IKEA haben ihre TV-Werbeinvestitionen jedoch drastisch erhöht.28 Die höchste monetäre Bedeutung für die Kommunikationspolitik des Handels haben nach wie vor Printmedien wie Tageszeitungen, Anzeigenblätter oder Publikumszeitschriften. Hier weisen Handelsorganisationen die höchsten Ausgaben aller Branchen auf´.29 Unter den zehn Unternehmen mit den höchsten Werbeinvestitionen sind allein fünf Handelsorganisationen.
20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Vgl. Rensmann (2000), S. 14. Vgl. Meffert (2002), S. 47. Vgl. Mohme (1993), S. 60. Vgl. Mohme (1993), S. 61 und Olbrich (1997), S. 144. Vgl. Lammers (2000), S. 24. Vgl. o.V. ZAW (2002a), S. 17. Vgl. o.V. ZAW (2002a), S. 17 und 288. Vgl. o.V. ZAW (2002a), S. 289. Vgl. o.V. (2003c), S. 11-12. Vgl. o.V. (2003c), S. 9.
286
11 Die Kommunikationspolitik
Rang
Firma, Sitz
1
Lidl+Schwarz, Neckarsulm Media Markt + Saturn Verw., München Albrecht, Mülheim Daimler Chrysler, Stuttgart Adam Opel, Rüsselsheim Tengelmann, Mülheim C+A Mode + Co., Düsseldorf Volkswagen, Wolfsburg Dt. Renault, Brühl Dt. Sparkassen + Giroverband, Berlin
2 3 4 5 6 7 8 9 10
Werbeinvestitionen in Mio. € 142,9
Veränderung zum Vorjahr in % 27,1
130,5
-7,1
98,0
3,9
82,7
0,3
78,2
22,4
73,4
36,6
70,9
31,0
67,7
-25,3
66,2
0,4
63,3
3,5
Tab. 11.1: Die Top 10 Werbetreibenden 2001 bei Printwerbung, (Quelle: o.V. 2003c, S.11)
Neben der klassischen Anzeigenwerbung in Tageszeitungen, von denen im Jahr 2001 etwa 24 % im überregionalen Bereich von Handelsorganisationen geschaltet wurden,30 sind Anzeigenblätter sowie kostenlos verteilte Angebots-Handzettel und Beilagenwerbung intensiv vom Handel genutzte Kommunikationsinstrumente. Durch die Kombination der Beilage mit einem anderen Printmedium erreicht die Beilagenwerbung höhere Akzeptanzwerte als Postwurf-Handzettel und wird von drei Vierteln der Empfänger als nicht störend empfunden.31 Weitere Vorteile sind die im Vergleich zur klassischen Anzeige umfangreiche Präsentationsfläche, auf der das Angebot detailliert dargestellt werden kann, sowie die lose Bindung des Werbemittels, wodurch sich Aufmerksamkeits- und Handling-Vorteile ergeben.32
30 31 32
Vgl. o.V. (2002a), S. 239. Vgl. Berekoven (1995) S. 237. Vgl. Schmalen/Lang (1997), S. 403 u. 404.
11.2 Kommunikationsmaßnahmen und ihre Bedeutung im Einzelhandel
287
Vorteile der Beilagenwerbung
Lose Verbindung
Einem anderen Informationsmedium beigelegt
Aufmerksamkeitsvorteil
gute Streumöglichkeiten
Handling-Vorteile
Imagetransfer
•
Selektionsmöglichkeit
•
leichte Aufbewahrung
•
leichte Wiederholungsund Mehrfachnutzung
•
leichte Mitnahmemöglichkeiten
Umfangreiche Präsentationsfläche Darstellung eines umfangreichen Angebots Relativ geringe Belegungskosten Ausreichend Platz für Werbekostenzuschussfinanzierte Industriewerbung
Abb. 11.3: Vorteile des Kommunikationsinstruments Zeitungsbeilage (Quelle: In Anlehnung an Schmalen/Lang 1997, S. 404)
Da sich Prospekte auf Grund ihrer üblicherweise identischen Gestaltung nicht zur individuellen Einkaufsstättenprofilierung eignen, setzen insbesondere die großen Einzelhandelsketten und Warenhäuser auf dieses Werbemittel und stärken damit ihr Verdrängungspotenzial gegenüber den kleineren Konkurrenten.33 Angesichts der zunehmenden Informationsüberlastung der Konsumenten – so ermittelte KROEBER-RIEL, dass lediglich etwa zwei Prozent der angebotenen Informationen auch verarbeitet werden34 – und hoher Streuverluste ist jedoch fraglich, ob die vom Handel angestrebte ökonomische Wirkung in Form von höheren Abverkäufen durch Prospektwerbung erfolgreich ist. Mit dieser Frage verbunden ist die Forderung nach Instrumenten, mit denen die Kommunikationseffizienz gemessen und gesteigert werden kann.
33 34
Vgl. Barth/Theis (1991), S. 306. Vgl. Kroeber-Riel (1987), S. 259.
288
11 Die Kommunikationspolitik
11.3 Kommunikationseffizienz als wichtige Erfolgsdeterminante im Handel Nicht nur, aber auch auf Grund der Tatsache, dass im Jahr 2002 über 6 Milliarden Prospektbeilagen verbreitet wurden, stellt sich die Frage nach dem Stand der Erfolgs- bzw. Wirkungskontrolle von Werbemaßnahmen.35 Im nächsten Abschnitt wird daher eine Systematisierung der Ansätze der Werbeerfolgs- und Werbewirkungsforschung vorgenommen. Zunächst sollen jedoch kurz die relevanten Begrifflichkeiten erläutert werden. 11.3.1 Begriffliche Grundlagen der Werbeerfolgskontrolle Als Werbewirkung im weiteren Sinne kann jede Reaktion einer Zielperson auf Werbestimuli interpretiert werden.36 Als Werbewirkung im engeren Sinne werden psychische Größen angesehen, während für die in ökonomischen Dimensionen feststellbaren Folgen werblicher Maßnahmen der Begriff Werbeerfolg verwendet wird. Die psychischen Vorgänge werden hierbei als dem Werbeerfolg vorgelagert angesehen.37
Werbewirkung im weiteren Sinne Werbewirkung im engeren Sinne
• Werbebegegnung • emotionale Reaktionen • Informationsaufnahme, –verarbeitung und –speicherung • Akzeptanz der Botschaft • Verhaltensabsicht • Kaufverhalten (Finale Verhaltensreaktion)
Werbeerfolg • Absatz • Umsatz • Kostenreduktion • Gewinn
Abb. 11.4: Werbewirkung und Werbeerfolg, (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Mayer, 1990, S. 38 und Steffenhagen (1995, Sp. 2679)
35 36 37
Vgl. Clancy/Stone (2005), S. 18 Vgl. Steffenhagen (1995), Sp. 2679. Vgl. Mayer (1990), S. 38.
11.3 Kommunikationseffizienz als wichtige Erfolgsdeterminante im Handel
289
Bevor verschiedene Ansätze zur Messung der Werbewirkung vorgestellt werden, soll zunächst auf die Ziele der Maßnahmen eingegangen werden, da die Werbewirkung in Relation zum Zielerreichungsgrad beurteilt werden soll. Werbeziele lassen sich analog zu Werbewirkungen in ökonomische und psychologische Ziele kategorisieren. Aus ökonomischer Sicht haben Werbemaßnahmen Investitionscharakter, sind also hinsichtlich ihrer Effizienz zu hinterfragen.38 Somit fallen der in ökonomischen Größen erfassbare und der Werbung zurechenbare Werbegewinn, die Umsatzsteigerung oder auch die Steigerung des Marktanteils in Betracht.39 Unter Werbeeffizienz wird somit die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen (Input) unter Berücksichtigung der Zielerreichung (Output) verstanden. Vorökonomische Werbeziele umfassen die dem Kaufakt vorgelagerten psychischen Vorgänge, beispielsweise die Steigerung des Bekanntheitsgrades und/oder die Imageverbesserung.40 Des Weiteren sind die Verbesserung der Einstellung sowie die Beeinflussung der Kaufabsicht von Konsumenten wichtige psychologische Ziele.41 STEFFENHAGEN42 stellt in diesem Zusammenhang fest, dass den Praktikern die Definition spezifischer Werbeziele regelmäßig schwer fällt, und klassifiziert als mögliche psychologische Werbeziele seinerseits die Beeinflussung von Kenntnissen, Interessen, Einstellungen sowie Verhaltensabsichten.43 Mit der Kontrolle der Werbezielerreichung beschäftigt sich die Werbewirkungsforschung. Zentrale Probleme sind neben der Werbezieldefinition die Identifikation von funktional eindeutigen Zusammenhängen zwischen Maßnahmen und der Veränderung der Zielgröße.44 Im nächsten Abschnitt werden die verschiedenen Verfahren und Forschungsansätze vorgestellt. 11.3.2 Forschungsgegenstand der Werbewirkungskontrolle Die Ansätze der Werbewirkungsforschung lassen sich analog zur Unterteilung der Werbeziele in ökonomische und psychologische Werbewirkungsuntersuchungen gliedern. Ökonomische Werbeerfolgsuntersuchungen prüfen die Rentabilität der Werbeinvestitionen. In der Regel fokussieren sie den Einfluss der Werbung auf den Umsatz.45 In Marktreaktionsmodellen werden Werbemaßnahmen, Preise und Verkaufsförderungsmaßnahmen direkt mit den beobachtbaren Reaktionen im Markt wie Absatz, Umsatz sowie Marktanteil in Beziehung gesetzt.46 Im Einzelnen werden die Entwicklung des Umsatzes, das Verhältnis von Werbeaufwand und Wer38 39 40 41 42 43 44 45 46
Vgl. Nieschlag et al. (1997), S. 577. Vgl. Mayer (1990), S. 22. Vgl. Nieschlag et al. (1997), S. 579. Vgl. Aaker (1987), S. 87 u. 91. Vgl. Seffenhagen (1993), S. 287. Vgl. Steffenhagen (1993), S. 292. Vgl. Erichson/Maretzki (1993), S. 524. Vgl. Erichson/Maretzki (1993), S. 525. Vgl. Müller-Hagedorn (2002), S. 280.
290
11 Die Kommunikationspolitik
beertrag sowie mögliche Effekte der Kombination der Werbung mit anderen Instrumenten des Marketing-Mix betrachtet.47 Zur Verdeutlichung werden einige dieser Ansätze vorgestellt. Bei artikelbezogenen Werbemaßnahmen können bspw. umsatzbezogene Analysen durchgeführt werden. Grundsätzlich werden hierbei die Umsätze vor und nach der Werbeschaltung miteinander verglichen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Umsatz nur eingeschränkt als Erfolgsgröße dienen kann, da auch ohne die betreffende Werbemaßnahme Umsätze erzielt worden wären. Insofern interessieren primär die Umsatzveränderungen. Des Weiteren sind die zeitliche Abgrenzung der Wirkung und die Auswirkung auf nicht beworbene Produkte unklar. Daneben werden oft situative Faktoren wie bspw. die Wetterverhältnisse nicht berücksichtigt und es bestehen Abgrenzungsprobleme bei der Zurechnung des Werbeerfolgs gegenüber anderen eingesetzten Marketing-Mix-Instrumenten.48 GREILICH49 untersucht die Auswirkungen von 42 Tageszeitungs-Anzeigen eines Kaufhauses auf den Umsatz. Der ökonomische Erfolg der Werbemaßnahme ergibt sich aus der Differenz des Umsatzes der beworbenen Abteilung im Vergleich zum Gesamtumsatz der gesamten Verkaufsstelle. In der folgenden Abbildung ist die Vorgehensweise dieser umsatzbezogenen Werbeerfolgsanalyse dargestellt. Das Verfahren besteht aus fünf Schritten. Zunächst wird ermittelt, wie hoch der durchschnittliche Umsatz der Abteilung an den zwei der Insertion vorausgehenden Tagen war. In einem zweiten Schritt wird ermittelt, wie hoch die relative Umsatzveränderung innerhalb der Abteilung nach Erscheinen der Werbung ist. Im dritten und vierten Schritt werden die Berechnungen nach dem gleichen Prinzip für den Umsatz des gesamten Kaufhauses durchgeführt. Schließlich lässt sich im letzten Schritt bestimmen, ob die Umsatzveränderung in der beworbenen Abteilung günstiger ist als die Umsatzveränderung des gesamten Kaufhauses.
47 48 49
Vgl. Mayer (1990), S. 93f. Vgl. Müller-Hagedorn (2002), S. 282. Vgl. Greilich (1976), S. 14f.
11.3 Kommunikationseffizienz als wichtige Erfolgsdeterminante im Handel
291
Umsatzbezogene Messung des Werbeerfolges im Einzelhandel 6. Tag vor der Insertion
Abteilungsumsatz
arithmetisches Mittel:
xi = 100%
Gesamtumsatz Kaufhaus
Ökonomischer Erfolg
arithmetisches Mittel:
x j = 100%
xi − x j = ±0%
1. Tag vor der Insertion
Insertionstag
1. Tag nach der Insertion
auf die xi = 100% der Tage vor der Insertion bezogen:
xi =
5. Tag nach der Insertion
xn xi
auf die xi = 100% der Tage vor der Insertion bezogen:
xj =
xm xj
Differenz der Werte an den Insertionstagen:
xi − x j
xn xm
Gesamter InsertionsErfolg
xA =
∑x
xK =
∑x
i
6
j
6
xA − xK
= Abteilungsumsatz an Werbetagen = Gesamtumsatz des Kaufhauses an Werbetagen
Abb. 11.5: Umsatzbezogene Werbeerfolgsmessung, (Quelle: Greilich, 1976, S. 15)
AHLERT/WOISETSCHLÄGER50 haben diesen Zusammenhang anhand der Scannerund Werbedaten eines großen deutschen Warenhauskonzerns untersucht. Dabei zeigte sich, dass der Erfolgsbeitrag einzelner Prospektbeilagen differenziert zu bewerten ist. Es wurde unterschieden zwischen • Frequenzbringern, deren Erfolg vor allem auf Verbundeffekten im Sortiment beruhten, • Lagerfüllern, die geringe Abverkaufsquoten erzielten, deren Werbekosten jedoch gering waren, • Stars, die sowohl eine hohe Werbekostendeckung als auch eine hohe Abverkaufsquote erzielten, und • so genannten Problemfällen, die hohe Kosten und einen geringen Abverkauf erlangten.51 Neben der umsatzbezogenen Werbeerfolgskontrolle sind Untersuchungen des Zusammenhangs von Werbeaufwand und Werbeertrag bedeutend. Sie befassen sich mit dem Grundproblem des Zusammenhanges zwischen monetärem Aufwand und zurechenbarem Ertrag. Teilweise findet auch die bestehende Konkurrenzsituation am Markt besondere Berücksichtigung. In diesem Fall bildet der unternehmungsoder markenspezifische Anteil am Gesamtaufwand für Werbung (advertising share) und dessen Beziehung zu den jeweiligen Marktanteilen die Grundlage der Betrachtung.52 Die Erfahrungen aus empirischen Untersuchungen zeigen jedoch, dass 50 51 52
Vgl. Ahlert/Woisetschläger (2004), S. 65. Vgl. Ahlert/Woisetschläger (2004), S. 65. Vgl. Mayer (1990), S. 110.
292
11 Die Kommunikationspolitik
die Höhe der Werbeaufwendungen - für sich allein betrachtet - kaum eine Gewähr für eine im wirtschaftlichen Sinne erfolgreiche Werbekampagne bieten können.53 Anders stellt sich die Situation hingegen dar, wenn kommunikationspolitische Maßnahmen im Rahmen des integrierten Marketingmanagements mit anderen Maßnahmen, z. B. im Bereich der Sortiments- oder Preispolitik, verknüpft werden können. So kommen diverse Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Kombination von Werbung mit anderen Marketing-Instrumenten zu einer Steigerung der Umsätze führt.54 Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über Studien, die den positiven Effekt des integrierten Marketingmanagements belegen. Autor, Jahr
Produkt
Eskin, 1975
Nahrungsmittel
Eskin & Baron, 1977
Haushaltsreiniger, snack food, speciality food, Backwaren Wasch-/ Reinigungsmittel 10 Produkte im Konsumgüterbereich
Simon, 1983 Simon, 1992
Woodside & Waddle, 1975 Sunoo & Lin, 1978 McKinnon, Kelly & Robison, 1981
Kombinierte Instrumente Preis und Werbung Preis und Werbung
Wirkungszusammenhang Positiv
Preis und Werbung Preis und Werbung
keine größere Effektivität Positive Interaktionseffekte
Pulverkaffee
Preis und PoSWerbung
Positiv
keine Angaben
Promotion und Werbung
Positiv
6 Produkte
Preis und PoPWerbung
Positiv
Positiv
Tab. 11.1: Studien zur Kombination der Werbung mit anderen Instrumenten (Quelle: Mayer 1990, S. 130)
Im Gegensatz zu den auf dem S-R-Paradigma basierenden Ansätzen der ökonomischen Werbeerfolgsforschung basieren psychologische Werbewirkungsforschungen auf dem S-O-R-Modell oder komplexen Modellen der Informationsverarbeitung. Diese komplexen Wirkungsmodelle versuchen, die im Inneren des Beworbenen ablaufenden psychischen Vorgänge, die als Teilwirkungen der Werbung angesehen werden können, in strukturierter Form darzustellen. Zwischen den einzelnen Vorgängen werden Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen postuliert.55
53 54 55
Vgl. Mayer (1990), S. 112. Vgl. Mayer (1990), S. 126. Vgl. Schwaiger (1997), S. 29.
11.3 Kommunikationseffizienz als wichtige Erfolgsdeterminante im Handel
293
Die psychologischen Variablen und Konstrukte werden durch Annahmen (Hypothesen) oder auch auf Grund bereits vorhandenen faktischen Wissens in Modellen miteinander in Beziehung gesetzt.56 Umfassen Gedächtnismodelle die engere Aufgabenstellung der Abbildung von Wahrnehmungs- und Lernprozessen57, so bilden Hierarchie- bzw. Stufenmodelle psychologische Werbewirkungen eher umfassend ab. Stufenmodelle ordnen Werbeziele systematisch und unterstellen damit, dass eine Werbebotschaft, die das Kaufverhalten beeinflussen soll, zunächst vorgelagerte psychologische Teilwirkungen in einer bestimmten Reihenfolge auslösen muss.58 Sie basieren im Grunde auf der schon 1898 durch LEWIS bekannt gewordenen „AIDA-Regel“. Nach der Aktivierung von Aufmerksamkeit (attention) soll das Interesse (interest) des Beworbenen geweckt werden und einen Wunsch (desire) auslösen, welcher schließlich zur Handlung (action) führt (vgl. Tabelle). Autoren
AIDARegel nach Lewis, 1898 LavidgeSteiner 1961 Colley 1961 Fischerkoesen 1967 Seyffert 1952
56 57 58
Psychologische Zielgrößen
Stufe I Attention
Stufe II Interest
Stufe III Desire
Stufe IV
Stufe V
Awareness
Knowledge
Liking
Preference
Conviction
Awareness Bekanntheit Sinneswirkung
Comprehension Image
Conviction erwarteter Nutzen Vorstellungswirkung
Aufmerk samkeitswirkung
Vgl. Mayer (1990), S. 57. Vgl. Behrens (1996), S. 294. Vgl. Schwaiger (1997), S. 29.
Ökonomische Zielgrößen Stufe VI Action
Purchase Action
Präferenz
Gefühlswirkung
Handlung Gedächtniswirkung
Willenswirkung
294
11 Die Kommunikationspolitik
Autoren
Psychologische Zielgrößen
KroeberRiel 1982
Stufe I Aufmerksamkeit
Stufe II Kogn. Vorgänge
McGuire 1969
Aufmerksamkeit
Kenntnis
Dagmar Batra/ Myers/ Aaker 1996
Unaware
Aware Comprehension and Image
Stufe III Emotionale Vorgänge Einverständnis mit der Schlussfolgerung
Stufe IV Einstellung
Behalten der neuen Einstellung
Attitude
Stufe V Kaufabsicht
Ökonomische Zielgrößen Stufe VI Kauf
Verhalten auf Basis der neuen Einstellung Action
Tab. 11.2: Stufenmodelle der Werbewirkung
Des Weiteren lassen sich die Modelle in Total- und Partialmodelle unterteilen. Während Totalmodelle59 die ganze Komplexität einer Kaufentscheidung abbilden und für die praktische Anwendung zu komplex sind, beschränken sich Partialmodelle auf ein – jeweils für die Beeinflussungswirkung entscheidend erachtetes – zentrales Konstrukt.60 Eine Weiterentwicklung der Stufenmodelle stellt das Modell der Wirkungspfade von KROEBER-RIEL dar. Hier werden die Art der Werbung und das Involvement der Zielpersonen als Wirkungsdeterminanten berücksichtigt, um das Zustandekommen der Werbewirkung besser zu klären.61
59 60 61
Vgl. beispielsweise Engel/Blackwell/Miniard (1995), S. 153. Vgl. Schweiger/Schrattenecker (2001), S. 23. Vgl. Schweiger/Schrattenecker (2001), S. 152.
11.3 Kommunikationseffizienz als wichtige Erfolgsdeterminante im Handel
295
Wirkungskomponenten der Werbung Werbekontakt
schwache Aufmerksamkeit
starke Aufmerksamkeit
kognitive Vorgänge
emotionale Vorgänge
Einstellung
Kaufabsicht
Verhalten
Abb. 11.6: Modell der Wirkungspfade (Quelle: Kroeber-Riel/Weinberg, 1999, S. 588).
Die Verfahren der Werbewirkungskontrolle lassen sich nach BEREKOVEN nach den folgenden Kategorien systematisieren. So kann nach
ET AL.
• dem Untersuchungsanliegen in Pre- und Posttests, • der Untersuchungssituation in Labor- bzw. Studiotests und Felduntersuchungen, • der Art des zu testenden Werbemittels in Anzeigen-, Plakat-, TV-Spot-, Radiound Kinofilmtests, • dem Grad der Produktionsstufe des Werbemittels in Konzepttests und Tests fertig gestalteter Werbemittel, • den verwendeten Methoden in Verfahren, die auf Befragungen bzw. auf Beobachtungen basieren, und • dem Bewusstsein der Probanden in offene, nicht durchschaubare, quasibiotische und vollbiotische Tests. unterschieden werden.62 In der nachfolgenden Abbildung ist ein Überblick über auf Befragungen und Beobachtungen aufbauende Verfahren der Werbewirkungskontrolle dargestellt.
62
Vgl. Berekoven et al. (1999), S. 175f.
296
11 Die Kommunikationspolitik
Auf Befragungen aufbauend Ungestützter Recall • Folder-/Spottest • Studiotest • TV/Hörfunk-DAR • CEDAR • Wartezimmertest
Recall/Recognition • Recognition-Test • Impact-Test • gestützter Recall • Maskierungstests • Starch-Test
Verständnis prüfende Methoden • Lückentext etc.
Aufmerksamkeit
kognitive Kommunikation
Psychologische Marktforschung
Psychologische Marktforschung
• Assoziationsverfahren • Tiefeninterviews • Gruppendiskussion • Expertenbefragung • Apperzeptionstest • Personal Product Response etc.
Skalierungstechniken
emotionale Kommunikation
Compagnon Verfahren
Apparative Testverfahren
Programmanalysator
Psychobiologische Testverfahren
• Blickverlaufsregistrierung • Tachistoskopie
Magnitudeskalierung
• Elektroenzephalogramm • Pupillometrie • Stimmfrequenzanalyse • Thermographie etc.
• Likert, Thurstone • Sem. Differentiale und Profile • Multiattributmodelle • MDS
Beeinflussung
Pre-Post-Choice • Schwerin-Test • Schnellgreifbühne
Auf Beobachtung aufbauend
Abb. 11.7: Verfahren der Werbewirkungskontrolle (Quelle: Schwaiger , 1997, S. 40).
Eine weitere Möglichkeit der Werbewirkungskontrolle stellen Expertensysteme dar. Expertensysteme können als wissensbasierte Computerprogramme bezeichnet werden. Sie speichern und verarbeiten Wissen, um Probleme auf einem spezifischen Fachgebiet zu lösen.63 Expertensysteme umfassen zum einen eine Wissensbasis, in der Fakten wie „die Wahrscheinlichkeit, dass die Marke A wiedergekauft wird, ist 70 %“ und Erkenntnisse über das Zusammenwirken mehrerer Größen wie „spontanes Markengefallen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Marke wiedergekauft wird“ gespeichert sind.64 Zum anderen dient eine Inferenzkomponente dazu, Folgerungen aus dem gespeicherten Wissen zu ziehen, um das gestellte Problem zu lösen. Systeme wie ADEXPERT dienen zur Unterstützung der Gestaltung und Bewertung von Werbung.65 Das Expertensystem zur Werbewirkungsanalyse (ESWA) ist ein regelbasiertes System, welches dem Nutzer Fragen zur untersuchten Werbemaßnahme stellt und diese mit dem gespeicherten theoretischwissenschaftlichen Wissen zur Werbung abgleicht.66 Die Zielsetzung dieser Entwicklung lässt sich mit den Worten von JOHN MCCANN, zusammenfassen: „We don’t need information anymore, we need insights“.67
63 64 65 66 67
Vgl. Esch (1994), S. 12. Vgl. Esch (1994), S. 14. Vgl. Winter/Rossiter (1994), S. 81f. Vgl. Neibecker (1994), S. 97f. Vgl. Winters (1991), S. 74.
12 Handelscontrolling
12.1 Begriff und Grundprobleme des Handelscontrolling In der handelsbetrieblichen Praxis übernimmt das Controlling eine Vielzahl von Funktionen, die weit über den Bereich der Kontrolle hinausgehen.1 So sind insbesondere Informationsversorgungs-, Beratungs- und Koordinationsaufgaben zur Unterstützung des Handelsmanagements und -marketing zu erfüllen.2 Pragmatisch soll daher im Folgenden unter dem Begriff „Handelscontrolling“ die Gesamtheit aller Institutionen und Funktionen verstanden werden, die zur Unterstützung des Handelsmanagement, Informationsversorgungs-, Beratungs-, Kontroll- und Koordinationsaufgaben erfüllen. Die Erfüllung der genannten Aufgaben ist praktisch nicht unproblematisch. Ein zentrales Problem des praktischen Controllings besteht darin, dass im Aufgabenbereich der Kostenkontrolle häufig die notwendigen Kosteninformationen fehlen und/oder ein Zurechnungsproblem der Kosten auf die jeweilige Marketingaktivität besteht.3 Daneben ist es nur bedingt möglich, die jeweiligen Umsatzerlöse eindeutig bestimmten Marketing-Maßnahmen oder -Instrumenten zuzurechnen. So ist im Einzelfall die Frage, ob ein Handelsbetrieb Umsatzzuwächse verzeichnen kann, weil die Werbung effektiv ist oder aber weil bestimmte Sortimentsleistungen einen Nachfragesog ausgelöst haben, auch mit neueren Ansätzen wie der DataEnvelopment-Analysis („DEA“) kaum zu beantworten.4 Neben diesem zweifachen Zurechnungsproblem, sowohl in der Kosten- als auch in der Leistungsrechnung, besteht ein weiteres Problem des Controllings darin, dass nur selten vergleichende Aussagen intra- oder interorganisationaler Art getroffen werden können. Dies liegt in erster Linie darin begründet, dass das Handelsmarketing fortlaufend in veränderten Kontexten agieren muss. Die extrem hohe Dynamik der handelsbetrieblichen Umwelt – hier verstanden als Gesamtheit aller Geschehnisse, die zwar einen Einfluss auf das Handelsmarketing haben, von diesem aber nicht beeinflusst werden können – macht einen intraorganisationalen Vergleich des Periodenerfolgs mit vorherigen Perioden nur schwer möglich. Aber auch der interorganisationale Vergleich ist oftmals nicht möglich, da die handelsbetrieblichen Kennzahlen von Unternehmung zu Unternehmung unterschiedlich sein können. Allenfalls die Funktion von Richtwerten können beispielsweise die durch den Betriebsvergleich des Instituts für Handelsforschung an der Universität 1 2 3 4
Vgl. hierzu Günther (1989); Burg, (1995); Breitkopf, (1999), Becker/Winkelmann (2006) Vgl. hierzu Ahlert (1999), S. 7ff. Vgl. hierzu auch Battenfeld (1997). Einen guten Überblick über die DEA-Methode bieten Backhaus/Wilken (2003).
298
12 Handelscontrolling
Köln verfügbaren Daten erfüllen. Ein effizienzsteigerndes, externes, monokausales Benchmarking ist daher im Handelsmarketing oft nicht ohne Weiteres möglich. Eine Ausnahmesituation stellen jedoch die in der jüngsten Vergangenheit häufig zu beobachtenden Unternehmensfusionen und -integrationen dar, bei denen die beteiligten Unternehmen plötzlich Zugriff auf die marketingpezifischen Daten einer anderen, strukturell oftmals ähnlichen Unternehmung erlangen. Zudem bieten die bereits beschriebenen Netzwerkkonfigurationen eine Möglichkeit zum interorganisationalen Vergleich, und zwar immer dann, wenn eine Systemkopfsteuerung vorliegt, bei der der Systemkopf auf Grund des hohen Vertrauens der Netzwerkakteure auch sensible Daten netzwerkintern weiterleiten darf. Typische Probleme im Bereich der Informationsversorgungsfunktion ergeben sich immer dann, wenn vom Marketingmanagement Daten und Informationen gefordert werden, deren Erhebung an technischen Voraussetzungen scheitert. Besonders schwerwiegend ist dieses Problem, wenn für erstmalige Entscheidungen im Rahmen der Entscheidungsunterstützung Daten benötigt werden, die in der Vergangenheit nicht erhoben wurden. Das Handelscontrolling hat daher auch die Aufgabe, proaktiv tätig zu werden und den zukünftigen Informationsbedarf des Handelsmarketing weitgehend zu antizipieren. Geschieht dies nicht oder nur ungenügend, kann dies im Extremfall dazu führen, dass bei der Lösung erstmalig auftretender Probleme auf eine informatorische Grundlegung der Entscheidungsfindung weitgehend verzichtet werden muss. Schließlich ist im Beratungsbereich häufig der konkrete Beratungsbedarf des Handelsmarketing unklar. Daneben sind oftmals zwischen dem Marketingmanager und -controller Vertrauensprobleme beobachtbar, die sich zum Beispiel darin äußern, dass die vom Stab gelieferten Daten kritisch hinterfragt oder aber von der Linie „zur Kontrolle“ noch einmal erhoben werden. Die folgende Abbildung gibt noch einmal einen Überblick über die Grundprobleme im Bereich des Handelscontrollings.
Grundprobleme des Marketing-Controlling
Im Bereich Kontrolle
• fehlende Kontrollgrößen • Zurechnungsproblem in der Kostenrechnung • Zurechnungsproblem in der Leistungsrechnung
Im Bereich Informationsversorgung
Im Bereich Beratung/Unterstützung
• Unkenntnis über den genauen Informationsbedarf der Linie
• Unkenntnis über den Beratungsbedarf des Managements
• Technologische Probleme
• Misstrauen
• Mangel an Proaktivität
Abb. 12.1: Grundprobleme des Handelscontrolling
12.2 Kernfunktionen des Handelscontrollings
299
Vor dem Hintergrund der drei skizzierten Problembereiche soll dieses Kapitel einen Überblick über die Thematik des Handelscontrollings geben und Methoden zur Lösung der oben genannten Probleme aufzeigen. Hierzu sollen zunächst die Kernfunktionen des Handelscontrollings aufgezeigt werden. Im Anschluss daran wird skizziert, wie das Handelscontrolling im Handel konzeptualisiert werden kann. Neben diesen in erster Linie auf das operative Controlling bezogenen Ausführungen wird der zunehmenden Bedeutung des strategischen Managements dadurch Rechnung getragen, dass die Besonderheiten eines strategischen Handelscontrollings im Handel kurz dargestellt werden. Schließlich werden verschiedene Organisationsformen des Handelscontrollings aufgezeigt und kritisch gewürdigt. Abschließend wird ein Ausblick auf die zukünftige Entwicklung dieser Thematik gegeben.
12.2 Kernfunktionen des Handelscontrollings 12.2.1 Die Informationsversorgungsfunktion des Controllings Die zentrale Funktion des Marketingcontrollings ist die Versorgung des Marketingmanagements mit Informationen. Dadurch soll die Qualität von Entscheidungen im betrieblichen Kontext verbessert werden. Informationen sind das „Medium des Controlling“.5 Eine der Hauptaufgaben des Marketingcontrollings besteht daher darin, auf die Gestaltung der betrieblichen Informationswirtschaft aktiv Einfluss zu nehmen.6 Aus der Gestaltungsaufgabe ergibt sich ein erstes Abgrenzungskriterium gegenüber dem Marketingmanagement. Während das Management die Informationen nutzt und insofern als „Informationsadressat“ bezeichnet werden könnte, hat das Handelscontrolling die Aufgabe, Informationen zu sammeln, aufzubereiten und in geeigneter Form zusammenzustellen. Insofern wird das Controlling als „Informationsadressant“ tätig. Zu den Aufgaben des Handelscontrollings gehört es damit auch, Defizite in der Informationswirtschaft zu beseitigen, die in den Bereichen Informationssysteme (z. B. SAP R/3), Informationsübermittlung (z. B. Electronic Data Interchange) oder Informationsnutzung (z. B. Fehlinterpretationen durch das Management) angesiedelt sein können. Die Rolle des Handelscontrollings kann darin gesehen werden, die Diskrepanz zwischen der Informationsentstehung (z. B. im Management-Informations-System) und der Informationsverwendung (z. B. durch das Linienmanagement) zu überwinden. Um diese Rolle ausfüllen zu können, muss das Handelscontrolling im Zusammenhang mit der Informationsversorgungsfunktion sowohl systembildende als auch systemkoppelnde Aufgaben übernehmen. Objekt der systembildenden Aufgaben ist das Management-Informations-System. Ziel ist es, dieses benutzeradäquat zu gestalten und laufend zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss im Rahmen des Handelscontrollings ermittelt werden, wer (Informationsempfänger?), 5 6
Ahlert (1999), S. 8. Vgl. hierz auch Ahlert/Olbrich (1996).
300
12 Handelscontrolling
wann (Informationszeitpunkt?), welchen Informationsbedarf hat und wie dieser Informationsbedarf gedeckt werden kann (mit welchen Informationsversorgungsinstrumenten, Speicherungs- und Dokumentationsformen?) sowie mit welchen Instrumenten die Informationen erhoben werden können. Aufbauend darauf ist ein adäquates Informationssystem zu entwickeln. Stellt sich beispielsweise heraus, dass das Top-Management zur Vorbereitung von Jahresgesprächen wöchentliche Umsatzzahlen von einem ganz bestimmten Absatzmittler benötigt, so könnte die systembildende Aufgabe des Handelscontrollings darin bestehen, ein effizientes System zu entwickeln, das einkaufsstättenbezogene Daten auf Wochenbasis speichert und dokumentiert. In komplexen Umfeldern sollten die Systeme darüber hinaus auch ein Mindestmaß an Flexibilität aufweisen, da das Marketingmanagement oftmals in Situationen Entscheidungen fällen muss, für die neuartige Informationsbedürfnisse gedeckt werden müssen. Eine zu starke Fokussierung bei der Systembildung auf die zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Informationsbedürfnisse des Managements kann sich im Zeitablauf als suboptimal erweisen. Objekt der systemkoppelnden Aufgaben des Handelscontrollings ist das Marketingmanagement. Das Ziel dieser Aufgaben besteht darin, die laufende Informationsversorgung des Marketingmanagements zu gewährleisten. Hierzu gehört unter anderem die Schulung des Managements im Umgang mit neuen Systemen (zum Beispiel im Rahmen einer SAP-R/2 R/3-Migration). Regelmäßig erfolgt die Aufgabenbewältigung hierbei schrittweise, was am folgenden Beispiel verdeutlicht werden soll (vgl. Abb.). Das Marketingmanagement einer Handelsunternehmung erwägt, durch die Integration des Internetvertriebs zum Mehrkanalsystem zu evolvieren.7 Vor diesem Hintergrund wird das Marketingmanagement damit beauftragt, eine Antwort auf die Frage „Sollen wir das Internet als neuen Vertriebs- und Kommunikationsweg aufbauen?“ zu erarbeiten. Zur Lösung dieser Frage benötigt das Marketingmanagement unter anderem Informationen über die Kosten für den Aufbau und die Pflege eines eigenen Online-Shops. Das Handelscontrolling hat in diesem Fall die Aufgabe, zunächst den Informationsbedarf des Marketingmanagements zu ermitteln. Dies könnte zum Beispiel in einem gemeinsamen Workshop geschehen. Der erhobene Informationsbedarf führt dazu, dass seitens des Marketingcontrollings Informationsbedürfnisse aktiviert werden. Im Beispiel des Internets wäre die Frage, welche Anbieter es gibt, welche Preise jeweils verlangt werden, etc. Der Aktivierungsphase folgt dann die Ermittlung des vorhandenen Informationsstandes, also beispielsweise die Untersuchung, ob in der Unternehmung bereits Preislisten von Internet-Providern vorhanden sind. In der Regel werden an dieser Stelle Informationslücken festgestellt, die eine Erschließung von Informationsquellen notwendig machen. Im Beispiel könnten Fachzeitschriften wie die „Cybiz“ oder „Absatzwirtschaft“, aber auch das Internet selbst, adäquate Informationsquellen sein. Im nächsten Schritt sind die aus den jeweiligen Informationsquellen gewonnenen Informationen zu verknüpfen, zu verdichten und in einer für das Management geeigneten Form darzustellen. Im Beispiel könnte dies dadurch geschehen, dass die Preise unterschiedlicher Anbieter aufgelistet, um qualitative Merkmale (Service des Internet-Providers, Garantien, etc.) ergänzt und entsprechende Präsentationen 7
Vgl. hierzu Ahlert/Hesse/Jullens/Smend (2001) sowie Schramm-Klein (2003).
12.2 Kernfunktionen des Handelscontrollings
301
vorbereitet werden. Im Rahmen der Präsentationen wird dann der Informationsoutput an das Marketingmanagement verteilt und die sich anschließende Diskussion und Entscheidungsfindung vom Controlling dokumentiert. Die Dokumentation der jeweiligen Aufgabenabläufe ist wichtig, da sie die Basis für zukünftige Verbesserungen des Controllings bildet. Darüber hinaus ist die Dokumentation auch aus dem Grunde von Bedeutung, dass durch Personalwechsel häufig neue Mitarbeiter in die Aufgaben des Marketingcontrollings eingearbeitet werden müssen. Reibungsverluste bei der Integration dieser Mitarbeiter werden durch eine effiziente Dokumentation minimiert. Ein Beispiel hierfür ist die Führung eines Informationsversorgungshandbuches, das Angaben darüber enthält, in welcher Form das Marketingmanagement die Bereitstellung von Informationen wünscht. Daneben sollten im Dokumentationsbereich aber auch Angaben über die Installation des Informationsversorgungssystems (z. B. Welche technischen Verknüpfungen liegen vor, welche Speicherkapazitäten gibt es?) sowie über die Aktualisierung des Informationsversorgungssystems gemacht werden. Eine wichtige Aufgabe des Controllings ist somit der Aufbau und die Pflege eines geeigneten Wissensmanagements. Die nachfolgende Abbildung gibt noch einmal einen Überblick über die Aufgaben im Rahmen der Informationsversorgungsfunktion.
Systemkoppelnde Aufgaben
Systembildende Aufgaben
Abstimmung der laufenden Informationsversorgung
Informationsgewinnungsinstrumente
Speicherungs- und Dokumentationsformen
Informationsversorgungsinstrumente
Informationsbedarf (allgemein/grundlegend)
Informationszeitpunkt
Informationsempfänger
Gestaltung eines Informationssystems
1. Ermittlung des fallweisen, spezifischen Informationsbedarfs 2. Aktivierung von Informationsbedürfnissen
3. Ermittlung des vorhandenen Informationsstandes und Aufdeckung der Informationslücken 4. Ermittlung der Informationsquellen
Dokumentation Informationsversorgungshandbuch
5. Auswahl, Verknüpfung, Verdichtung und Darstellung der Informationen 6. Verteilung des Informationsoutputs
Installation des Informationsversorgungssystems 7. Speicherung und Dokumentation Aktualisiserung des Informationsversorgungssystems
Abb. 12.2: Systembildende und systemkoppelnde Aufgaben der Informationsversorgung (Quelle: Ahlert, 1999, S. 9)
302
12 Handelscontrolling
12.2.2 Die Kontrollfunktion als „harter Kern“ des Handelscontrollings Versteht man Kontrolle als Produktion von Abweichungsinformationen, so wird deutlich, warum die Kontrollfunktion den harten Kern des Controllings bilden muss. Grundsätzlich lassen sich Aufgaben im Bereich der Kontrolle nach zwei Kriterien systematisieren. Zum einen können nach dem Kriterium der Kontrollart die Ergebnis-, Verhaltens-, Prämissen- und Systemkontrolle unterschieden werden. Zum anderen kann nach dem Ansatzpunkt der Kontrolle die eingriffsorientierte Kontrolle von der lernorientierten Kontrolle abgegrenzt werden. Im Rahmen der Ergebniskontrolle wird überprüft, inwiefern die ursprünglich formulierten Ziele des Marketing (z. B. Erhöhung der Handelsmarkenanteile im Bereich Food um 5 %-Punkte bis Ende 2007) erreicht wurden. Die Ergebniskontrolle ist der klassische Bereich des Handelscontrollings, wobei sich hier auch die stärksten Abgrenzungsprobleme zum Marketingmanagement ergeben. Eine unsaubere Abgrenzung kann in der betrieblichen Praxis zu erheblichen Konflikten führen. Grundsätzlich sollte die Kontrollfunktion nach wie vor originär eine Aufgabe des Marketingmanagements bleiben. Die Aktivitäten des Controllings im Bereich der Ergebniskontrolle beschränken sich daher regelmäßig darauf, die durch das Management getroffenen Entscheidungen zu bestätigen, oder aber Änderungen anzuregen sowie die Soll-Ist-Vergleiche durchzuführen und dem Marketingmanagement als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Bei der Verhaltenskontrolle rückt das Verhalten der Marktteilnehmer in den Mittelpunkt des Interesses des Controllers. Klassischerweise sind hier Aufgaben wie die Kontrolle der Wettbewerber, aber auch die Beobachtung von Aktivitäten auf den Beschaffungs- und Absatzmärkten angesiedelt. Dabei spielt die Struktur des Absatzmarktes eine erhebliche Rolle: Grundsätzlich gilt, je differenzierter die Kundschaft ist und je mehr Marktsegmente durch eigene Betriebstypen bearbeitet werden, desto mehr Objekte sind Gegenstand der Verhaltenskontrolle. Im Rahmen der Prämissenkontrolle wird überprüft, inwiefern die Rahmendaten, unter denen eine marketingpolitische Entscheidung getroffen worden ist, noch aktuell sind. Ein Beispiel hierfür ist die Kontrolle einer Unternehmung der Bekleidungsindustrie, ob der technologische Fortschritt nicht zukünftig auch den Verkauf von Maßkonfektion über das Internet ermöglicht. Bei der Systemkontrolle steht schließlich die Überprüfung des Führungssystems bzw. der Führungsteilsysteme im Vordergrund. So wird hier bspw. untersucht, ob das Kontrollsystem der Unternehmung noch den betrieblichen Erfordernissen entspricht, oder ob eine Modifikation desselben notwendig ist.8 Die nachfolgende Abbildung gibt noch einmal einen Überblick über die Kontrollaufgaben des Controllings.
8
Vgl. Breitkopf (1999), S. 12.
12.2 Kernfunktionen des Handelscontrollings
Ansatzpunkte der
303
Eingriffsorientierte Kontrolle
Kontrolle Lernorientierte Überprüfung der
Überprüfung der
Überprüfung der
Kontroll-
aufgestellten
getroffenen
Willensdurch-
arten
Pläne
Entscheidungen
setzung
Bestätigung oder
Bestätigung oder
Bestätigung oder
Verbesserung des
Anregung zur
Anregung zur
Anregung zur
Entscheidungsfeld-
Änderung der auf
Änderung der
Änderung der
modells
zukünftige Peri-
getroffenen Ent-
gewählten
(Minderung der
oden gerichteten
scheidungen
Führungsmaß-
substantiellen und
Ergebniskontrolle
Verhaltenskontrolle
Prämissenkontrolle
Planungen
nahmen
Kontrolle
strukturellen Ungewissheit)
Systemkontrolle
Überprüfung des Planungs-, Ent-
Überprüfung des
Überprüfung des
scheidungs-, Organisations- und
Führungssystems
Lern- bzw. Informa-
Kontrollsystems
tionssystems
Abb. 12.3: Aufgaben der Kontrolle (Quelle: Ahlert, 1999, S. 20)
12.2.3 Die Beratungs- und Unterstützungsfunktion des Controllings Sofern dies vom Marketingmanagement gewünscht wird, kann das Controlling auch eine Beratungs- und Unterstützungsfunktion wahrnehmen, so zum Beispiel bei der Frage, ob die gewählte Filialstruktur effizient ist oder aber ob und wie die Effizienz des Verkaufspersonals, z. B. durch eine stärkere dezentrale Führung, erhöht werden kann.9 Das Controlling nimmt hier die Rolle eines „Sparringspartners“ für das Marketingmanagement wahr. Auch im Bereich der Beratungsfunktion kann die erwähnte Trennung in systembildende und sytemkoppelnde Aufgaben vorgenommen werden. Im Bereich der Systembildung wäre es dann die vordringliche Aufgabe des Controllings, Managementleitsysteme zu entwickeln und zu gestalten. Zu den systemkoppelnden Aufgaben zählt die permanente Betreuung des Managements, beispielsweise bei der Nutzung bestimmter EDV-Programme, die im Rahmen des Marketingmanagements bedeutsam sind (z. B. SAP R/3). Eine weitere unterstützende Aufgabe wäre darin zu sehen, dass das Controlling mithilft, die Aktivitäten des Marketingmanagements zu koordinieren.
9
Vgl. hierzu auch Siebenbrock (1992).
304
12 Handelscontrolling
12.3 Konzeptionelle Gestaltung des Handelscontrollings 12.3.1 Ziele des Handelscontrollings Um die bisherigen abstrakten Ausführungen zu präzisieren, soll im Folgenden die konzeptionelle Gestaltung des Marketingcontrollings skizziert werden. Mit dieser Konzeption werden Ziele, Aufgaben, Instrumente und schließlich Träger des Handelscontrollings festgelegt. Den Ausgangspunkt der Konzeption des Handelscontrollings bildet die Zielformulierung. Die Ziele lassen sich dabei grundsätzlich aus den allgemeinen Unternehmungszielen, wie bestimmten Rentabilitätszielen, ableiten (vgl. Kap. 3). Konkret könnte dies im Bereich des Marketingmanagements die Erreichung von betriebstypenbezogenen Zielrenditen sein. Primäres Ziel des Controllings ist in diesem Zusammenhang die Versorgung des Marketingmanagements mit Informationen (z. B. Betriebstypen-Umsätze), damit dieses die bereichsbezogenen Formal- und Sachziele realisieren kann. Durch die Verfolgung dieser Zielsetzung soll das Marketingcontrolling im Handelsbetrieb einen Beitrag zur Effizienzsteigerung leisten. Aus diesem Oberziel lassen sich weitere Subziele ableiten wie • die Entlastung des Marketingmanagements (durch Übernahme von delegierbaren Tätigkeiten), • die Erhöhung des Informationsstandes des Marketingmanagements (Versorgung mit relevantem Wissen), • die Qualifizierung der Führungskräfte (durch konzeptionelle und methodische Beratung) und • die Verbesserung der Marketingmanagementleistungen (durch effizienzsteigernde Abstimmungen der Managementaktivitäten). An diesen Subzielen wird noch einmal die fehlende Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenz des Controllings als zentrales Unterscheidungsmerkmal zum Marketing-Management deutlich, da die genannten Punkte lediglich Beratungscharakter haben. 12.3.2 Aufgaben des Handelscontrollings Aus den Controllingzielen lassen sich unmittelbar Controllingaufgaben ableiten. So kann zum Beispiel eine Entlastung des Marketingmanagements dadurch erreicht werden, dass das Controlling aussagefähigere Kennzahlen liefert, die eine zügige und fundierte Entscheidung ermöglichen. Die aus einer bestimmten Zielsetzung abgeleiteten Controllingaufgaben können zu einer eigenen Funktion im Sinne eines funktionalen Controllings zusammengefasst werden. Dabei wird der Umfang des funktionalen Controllings maß-
12.3 Konzeptionelle Gestaltung des Handelscontrolling
305
geblich durch das Marketing-Management unternehmensindividuell festgelegt. Theoretisch lassen sich hier folgende Aufgabentypen unterscheiden:10 1. Informationsversorgungsaufgaben: Diese bestehen zum Beispiel darin, mit Hilfe geeigneter Kontrollinstrumente (z. B. Personalkostenanalyse) Abweichungsinformationen zu produzieren. Daneben ist es aber auch die Aufgabe des Controllings, aus der Vielzahl von Informationen (z. B. im Bereich der Marktforschung oder der Beobachtung des Wettbewerbs) die für das Management relevanten Informationen herauszufiltern. Ein Beispiel wäre hier die Information über bedeutende Aktivitäten der Wettbewerber. 2. Abstimmungsaufgaben: Ziel dieser Aufgaben ist es, sicherzustellen, dass die notwendigen Koordinationsprozesse innerhalb eines Managementbereiches zwischen den verschiedenen Organisations- und Entscheidungseinheiten rechtzeitig, gewissenhaft und effizient stattfinden. 3. Beratungsaufgaben: Konstitutives Merkmal dieses Aufgabentyps ist es, dass die zu erfüllenden Aufgaben ganz überwiegend entscheidungsvorbereitenden Charakter aufweisen. Das Controlling wird hierbei zu einem persönlichen Serviceangebot für jeden Manager. 12.3.3 Ausgewählte Instrumente des Handelscontrollings Die Aufgabenerfüllung des Handelscontrollings erfordert den Einsatz von Kontrollinstrumenten. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um die gleichen Instrumente, die auch im Rahmen des Distributionsmanagements Verwendung finden, da die Kontrolle einen originären Aufgabenbereich des Marketingmanagements darstellt. In Anbetracht der hohen Bedeutung von Kontrollinstrumenten für die Informationsversorgung des Marketingmanagements sollen im Folgenden exemplarisch zwei Kontrollinstrumente ausführlicher dargestellt werden. Ein erstes wichtiges Kontrollinstrument ist die Umsatzkontrolle. Es werden grundsätzlich vier Arten unterschieden.11 1. Der Soll-Ist-Vergleich: Hier werden die tatsächlich realisierten Umsätze den Planumsätzen gegenüber gestellt. Treten Abweichungen auf, sollte eine Abweichungsanalyse erfolgen. 2. Der Zeitvergleich: Diese Methode ist in der Handelspraxis besonders beliebt. Bei ihr werden die Umsätze einer bestimmten Zeitspanne (z. B. Tag, Monat, Quartal) mit denjenigen vergangener Zeiträume verglichen. Zumeist wird hierbei das Vorjahr verwendet. Der Marketing-Controller prüft also, in welcher Relation der Umsatz z. B. am 30.12.2003 zu demjenigen am 30.12.2002 steht. 3. Der Betriebsvergleich: Hier werden die Umsätze verschiedener Betriebe bzw. Standorte zu gleichen Zeitpunkten verglichen. Betriebe, die sich in Relation zu anderen Betrieben besonders positiv entwickeln, können dann als potenzielle Benchmarks betrachtet werden.
10 11
Vgl. Ahlert (1999), S. 29 f. Vgl. Oehme (2000), S. 484ff.
306
12 Handelscontrolling
4. Der Marktanteilsvergleich: Hier wird der eigene Umsatz in Relation zur Entwicklung des jeweiligen Marktvolumens analysiert. Diese Analyse liefert wichtige Daten für das strategische Marketing. Ein betriebstypenübegreifendes Kontrollinstrument stellt die DistributionskostenAnalyse (DKA) dar. Diese gibt dem Marketingmanager Aufschluss über die relative Effizienz verschiedener Absatzkanäle bzw. Betriebstypen.12 Für die Zwecke einer DKA müssen die aus der Gewinn- und Verlustrechnung einer Unternehmung verfügbaren Daten umklassifiziert werden. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die DKA einer Unternehmung, die drei Betriebstypen vergleicht.
Umsatz Einstandskosten Bruttospanne Marketingkosten nach Betriebstyp - Lager/Logsitik - Auslieferung - Personal - Werbung - Verkaufsförderung - Beschwerdemanagement Gesamtkosten (Marketing) Nettogewinn (-verlust) Umsatzrendite
Warenhäuser 7.500 4.400 3.100
Discountmärkte 15.500 8.800 6.700
Supermärkte 12.000 6.800 5.200
Gesamt
730 325 245 235 145 35
1.643 650 940 1.095 580 175
1.277 525 1.415 1.020 725 140
3.650 1.500 2.600 2.350 1.450 350
1.715
5.083
5.102
11.900
1.385
1.617
98
3.100
18,5%
10,4%
0,8%
8,9%
35.000 20.000 15.000
Tab. 12.1: Ergebnis einer betriebstypenspezifischen Kostenstrukturanalyse (Quelle: In Anlehnung an Specht, 1998, S.267)
Darüber hinaus ist der Einsatz von Kontrollinstrumenten im Bereich des Handelscontrollings auch immer vom situativen Kontext abhängig, in dem das Marketingmanagement agiert. Es ist daher oftmals notwendig, dass das Handelscontrolling im Handel eigene Methoden und Instrumente entwickelt, die sich z. T. an bereits bestehende Verfahren anlehnen. Insbesondere das Konzept der Balanced Scorecard scheint in diesem Kontext vielfältige Einsatzmöglichkeiten zu bieten.13
12 13
Vgl. Specht (1998), S. 266. Vgl. hierzu Kaplan/Norton (1997).
12.4 Strategisches Handelscontrolling
307
12.3.4 Träger des Handelscontrollings Mit der Übertragung von Controllingaufgaben bzw. -funktionen an ausgewählte Personen oder organisatorische Einheiten werden die Träger des Handelscontrollings bestimmt. Dabei kann grundsätzlich auf unternehmensinterne bzw. -externe Personen zurückgegriffen werden. Zu beachten ist, dass auch das Marketingmanagement bestimmte Controllingfunktionen in Personalunion übernehmen kann. In diesem Fall kann man auch von einem Selbstcontrolling14 sprechen. Diese Form des Controllings ist insbesondere in Unternehmungen mit Prozessorganisationen verbreitet. Daneben können weitere Formen unterschieden werden. Institutionales Controlling bezeichnet in diesem Kontext die Unterstützung des Linienmanagements durch eine separate Institution. Hierbei lassen sich zwei Ausgestaltungsformen unterscheiden: internes und externes Controlling. Unternehmungsintern lassen sich grundsätzlich die folgenden beiden Gestaltungsvarianten unterscheiden: • Einrichtung einer eigenständigen Controllingstelle bzw. -abteilung oder • Übertragung der Controllingfunktionen an die Geschäftsführung oder Mitarbeiter der Unternehmung. Die Internalisierung kann dann vorteilhaft sein, wenn Unternehmungsinterna so sensibel sind, dass sie auf keinen Fall an Externe gelangen dürfen. Zu beachten ist aber, dass der Controllingbedarf des Marketingmanagements durch interne Organe gedeckt werden kann. Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, Controllingfunktionen zu externalisieren.15 Das externe Controlling bietet sich dabei gerade für die Unternehmungen an, in denen es an geeigneten Mitarbeitern fehlt, die notwendigen Controllingaufgaben übernehmen sowie entsprechende Controllingmethoden bzw. verfahren einführen und langfristig betreuen könnten. Vorteilhaft ist zudem, dass externe Controller über ein branchenübergreifendes Know-how verfügen und so ggfs. die Informationsversorgung des Distributionsmanagements verbessert werden kann.16 Einer Externalisierung des Controllings steht aber – neben der bereits genannten Geheimhaltungsproblematik – oftmals die Befürchtung entgegen, das Handelsunternehmen könnte sich vom externen Controller abhängig machen.
12.4 Strategisches Handelscontrolling Im Rahmen des Handelsmanagements steht oftmals die Ausschöpfung bestehender Erfolgspotenziale im Vordergrund. Insofern liegt auch der Schwerpunkt des Handelscontrollings im operativen Bereich. Gleichwohl ist die Erschließung neuer Erfolgspotenziale für den dauerhaften Fortbestand der Unternehmung von Bedeu14 15 16
Ahlert (1999), S. 36. Vgl. hierzu allgemein Breitkopf (1999). Vgl. Ahlert/Burg (1996), S. 444.
308
12 Handelscontrolling
tung und stellt deswegen eine der Kernaufgaben des strategischen Managements dar. Im Bereich des Marketingmanagements wäre diesem Bereich etwa der Aufbau eines neuen Betriebstypen oder aber die Erschließung neuer Standorte zuzuordnen. Im Zusammenhang mit den strategischen Entscheidungen, die an dieser Stelle durch das Marketingmanagement gefällt werden müssen, lassen sich für das strategische Marketingcontrolling theoretisch die folgenden phasenbezogenen Aufgaben unterscheiden:17 1. In der Planungsphase: Die Überprüfung und gegebenenfalls Modifikation einer noch zu planenden oder aber in der Planung begriffenen Strategie vor ihrer Umsetzung. Dabei dient die Prämissenkontrolle als informatorische Grundlage. 2. In der Realisationsphase: Die Perfektionierung und Änderung der Ziele sowie der Abbruch oder die Substitution einer in der Durchführung begriffenen Strategie. Die informatorische Grundlage ist hier neben der Prämissenkontrolle die Verhaltenskontrolle. 3. In der Kontrollphase: Die permanente Weiterentwicklung des strategischen Managementprozesses. Als zusätzliche Informationsgrundlage dient hierbei die Ergebnis- und die Systemkontrolle. Für die konkrete Konzeption eines strategischen Handelscontrollings ergeben sich daraus analog die folgenden drei Aufgabenbereiche: In der Planungsphase - zum Beispiel einer Absatzkanalstrategie - muss das strategische Handelscontrolling laufend überprüfen, ob die Annahmen, unter denen sich der Planungsprozess vollzieht, noch zutreffen. So obliegt dem strategischen Controlling beispielsweise bei der Konzeption des Vertriebsweges „Internet“ die Aufgabe zu überprüfen, ob die technologischen Planungsdaten noch aktuell sind oder aber ob sich die Kosten für einen eigenen Online-Shop seit Planungsbeginn bereits verändert haben. In der Realisationsphase hat das strategische Controlling bspw. die Aufgabe zu prüfen, ob die Erreichung bestimmter Ziele noch möglich ist oder aber ob die Strategie revidiert bzw. im Extremfall ganz abgebrochen werden muss. Im Beispiel des Aufbaus eines Internetvertriebs wäre unter anderem zu prüfen, ob das Verhalten der Wettbewerber nicht schon zu einer Marktkonzentration geführt hat, die eine vorher geplante Zielerreichung (z. B. Jahresumsatz im Internet im Jahr 2002: 10 Millionen Euro) unrealistisch erscheinen lässt. In der Kontrollphase hat das strategische Controlling schließlich die Aufgabe, einen Lernprozess zu initiieren. Dabei werden analog zum operativen Handelscontrolling die notwendigen Abweichungsinformationen durch Soll-Ist-Vergleiche erhoben. Im Beispiel des Internet-Vertriebs könnte dies bedeuten, dass im Rahmen des strategischen Controllings erkannt worden ist, dass das Handelsunternehmen insgesamt deutlich zu langsam auf neue technologische Entwicklungen reagiert. Eine Folge, die sich aus dieser Erkenntnis bspw. ergibt, wäre die Entwicklung eines Informationssystems, das die frühzeitige Identifikation relevanter technologischer Entwicklungen im Internet-Bereich ermöglicht. Konkret könnte dies bedeu17
Vgl. hierzu Ahlert/Olbrich (1996), S. 24.
12.5 Organisation des Handelscontrollings
309
ten, regelmäßige Messebesuche durchzuführen und Fachzeitschriften routinemäßig auszuwerten.
12.5 Organisation des Handelscontrollings Mit wachsender Unternehmungsgröße stellt sich die Frage, ob das Handelscontrolling von einer zentralen Abteilung oder von mehreren einzelnen Controllingstellen bzw. -abteilungen ausgeführt werden sollte. Die letztgenannte Alternative besteht insbesondere für Unternehmungen mit verschiedenen Geschäftsbereichen und Standorten. Hierbei ist vor allem an Konzernunternehmungen mit weit verstreuten Standorten bzw. heterogenen Unternehmungsgeschäftseinheiten zu denken. Denkbar wäre zum Beispiel, dass in einem Konzern ein zentrales Controlling die Koordination aller Unternehmungs- und Controllingbereiche übernimmt und dafür Sorge trägt, dass diese auf das Gesamtzielsystem der Unternehmung ausgerichtet werden. Die grundsätzlichen Problembereiche des Controllings wie die fachliche und personelle Koordination der Controller sowie deren Aus- und Weiterbildung, werden dann durch das „Zentralcontrolling“ gelöst. Daneben kann das Handelscontrolling aber auch dezentral organisiert werden, wobei sich zumindest die folgenden beiden Kategorien dezentraler Controller unterscheiden lassen: Zum einen die Divisionalcontroller, die z. B. nach Produktgruppen unterteilt sind und zum anderen die Regionalcontroller, die sich auf bestimmte Verkaufsregionen konzentrieren. Bei der Institutionalisierung des Handelscontrollings, also der Verankerung in der Aufbauorganisation, kann zwischen den folgenden vier Varianten gewählt werden, die verschiedene Vor- und Nachteile aufweisen: 1. Das Handelscontrolling kann Teil der Linienorganisation sein. 2. Das Handelscontrolling kann als eigenständiger Stab organisiert werden. 3. Das Handelscontrolling kann nach dem „dotted-line-Prinzip“ institutionalisiert werden. 4. Das Handelscontrolling kann eine eigene, separate Linienorganisation darstellen. Bei der ersten Variante ist das Controlling Teil der Linienorganisation (vgl. Abb.). Die Vorteile dieser Organisationsform liegen in der hohen Akzeptanz des Controllers, der selbst auch Teil des Linienmanagements ist. Dadurch wird ihm der Zugang zu formellen und informellen Quellen wesentlich erleichtert. An wichtigen Entscheidungen ist das Handelscontrolling automatisch beteiligt. Nachteilig ist jedoch, dass es dem Controlling unter Umständen an der notwendigen Distanz zur Linie fehlt und Beurteilungen und Berichte subjektiv ausfallen können.
310
12 Handelscontrolling
Unternehmensleitung MC
1.
2.
MC
MC
1.1. MC
1.2. MC
2.2.
2.1. MC
MC
Abb. 12.4: Handelscontrolling in der Linienorganisation (Quelle: In Anlehnung an Ahlert, 1999, S.56)
Bei der zweiten Variante bildet das Handelscontrolling einen eigenen, separaten Stab (vgl. Abb.). Vorteilhaft ist hier, dass diese Organisationsform eine Spezialisierung der Controllingmitarbeiter ermöglicht und so die Einführung neuerer, spezialisierter Controllingkonzepte, wie die derzeit stark diskutierte Balanced Scorecard, unternehmensweit erheblich erleichtert wird. Zudem ist die Controllingorganisation gegenüber der Linie weitgehend unabhängig, so dass die Objektivität von Berichten und Beurteilungen weitgehend gegeben ist. Dies führt zu einer höheren Akzeptanz in der Organisation. Gleichzeitig kann die Abkopplung von der Linie aber auch die Gefahr beinhalten, dass das Marketingmanagement auf untergeordneten Ebenen dem Controller als „Spion der Zentrale“ wichtige Informationen vorenthält, wenn es für die eigenen Interessen vorteilhaft ist.18 Dies führt im Extremfall zu einer totalen Informationsblockade durch die Linie. Schließlich ist denkbar, dass der Distributionscontroller nicht zur Entscheidungsunterstützung herangezogen wird. Dies ist insbesondere dann wahrscheinlich, wenn über neue, riskante Projekte entschieden werden soll und die Befürchtung besteht, dass das Controlling das Projekt „kaputtrechnet“.
18
Vgl. Ahlert/Burg (1996), S. 440f.
12.5 Organisation des Handelscontrollings
Unternehmensleitung
1.
1.1.
MC
MC
2.
MC
1.2.
MC
311
2.1.
MC
MC
2.2.
MC
Abb. 12.5: Handelscontrolling als separate Stäbe (Quelle: In Anlehnung an Ahlert, 1999, S.56)
Bei der dritten Variante erfolgt die Organisation des Handelscontrollings nach dem „dotted-line-Prinzip“ (vgl. Abb.). Hierbei werden die Controller der unteren Ebenen entweder fachlich dem obersten Controller und disziplinarisch dem Bereichsleiter, oder umgekehrt disziplinarisch dem Fachleiter und fachlich dem Bereichsleiter, untergeordnet. Von Vorteil ist diese Lösung deswegen, weil sie die Möglichkeit bietet, die Linienerfordernisse mit den Controllingnotwendigkeiten zu verbinden. Nachteilig ist, dass die Doppelunterstellung zu einem Dauerkonflikt führen kann, der die Funktionsfähigkeit des Controllings reduziert. Zudem besteht die Gefahr, dass der Controller weder von der Linie, noch vom obersten Controlling akzeptiert wird.
Unternehmensleitung
MC
2.
1.
MC
MC
1.2.
1.1. MC
2.1. MC
2.2. MC
Abb. 12.6: Handelscontrolling nach dem dotted-line-Prinzip (Quelle: In Anlehnung an Ahlert, 1999, S.56)
MC
312
12 Handelscontrolling
Bei der vierten Variante bildet das Controlling schließlich eine eigene Linienorganisation (vgl. Abb.). Hierbei ist der der Geschäftsleitung angegliederte Controller der fachliche und disziplinarische Vorgesetzte der untergeordneten Distributionscontroller. Vorteilhaft ist die klare Kompetenzregelung in Verbindung mit der fachlichen Kompetenz. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Gefahr einer „Organisation in der Organisation“ besteht, die eigene Interessen verfolgt und zudem nur schwer kontrolliert werden kann. Sinnvoll kann eine solche Organisationsform aber für diejenigen Unternehmungen sein, in denen der schnelle Informationsfluss von der Basis wichtig ist. Dies könnten zum Beispiel solche Unternehmungen sein, die in sehr dynamischen Märkten agieren.
MC
Unternehmensleitung
1.
2. MC
1.2.
1.1. MC
2.1. MC
MC
2.2. MC
MC
Abb. 12.7: Handelscontrolling als eigene Linienorganisation (Quelle: In Anlehnung an Ahlert, 1999, S.56)
Insgesamt weisen die vier genannten Bereiche spezifische Vor- und Nachteile auf. Es kann daher nicht eine Organisationsform als „Königsweg“ angesehen werden. Vielmehr hängt es vom betrieblichen Kontext ab, welche Organisationsform wann geeignet ist. So ist beispielsweise in einer offenen, weitgehend konfliktfreien Unternehmungskultur die Organisation des Handelscontrollings nach dem dottedline-Prinzip vorteilhaft, während in einer anderen, konfliktträchtigeren Kultur die Linienorganisation besser geeignet sein dürfte.
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Glossar
Artikelmarke
Auch Individual- oder Monomarke. Marke, die nur einen Artikel kennzeichnet.
Betriebstypen-marke
Auch Händler-, Haus- oder Firmenmarke. Die Betriebstypenmarke ist das Firmenzeichen des Betriebstyps. Handelsmarke und Betriebstypenmarke können identisch sein (Bsp. Bo-Frost).
C + C-Betrieb
Ein C + C = Cash + Carry-Betrieb ist ein Großhandelsbetrieb, der Wiederverkäufern und gewerblichen Verbrauchern Waren gegen Barzahlung (Cash) und zur Selbstabholung (Carry) anbietet.
Co-Branding
Markierung eines Artikels oder einer Leistung durch zwei Warenzeichen.
Convenience Store
Kleine SB-Lebensmittelgeschäfte (bis ca. 350 qm) mit breitem, aber flachem, „bequemlichkeitsorientierten“ Sortiment und zusätzlichen Service-Angeboten.
Dachmarke
Warenzeichen, das einen übergeordneten inhaltlichen Bezug zu anderen Warenzeichen aufweist.
Discountgeschäft
Lebensmittelgeschäft, das nach dem Discountprinzip arbeitet, d. h. begrenztes Sortiment, einfache Ladenausstattung und niedrige Preise.
Discounter
Lebensmittel-Einzelhandelsgeschäft für deren Absatzpolitik das Discount-Prinzip (Niedrigpreise, begrenztes Sortiment) maßgebend ist. Die Fläche spielt hier als Abgrenzungskriterium keine Rolle.
ECR-Kooperationen:
ECR-Partnerschaften sind Kooperationen zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Hersteller- und Handelsunternehmen zur Beseitigung von Ineffizienzen in der Herstellung sowie in der Distribution, mit dem Ziel, auf allen Stufen des Distributionssystems einen zusätzlichen Nutzen zu stiften
EDIFACT
EDI for Administration, Commerce and Transport. Datenaustauschstandard der Vereinten Nationen, der den digitalen, firmenübergreifenden Geschäftsverkehr international einheitlich organisiert.
340
Glossar
Fachmarkt
SB-Fachgeschäft, das für eine oder mehrere Warengruppen die Sortimentsbreite und -tiefe eines Fachgeschäftes mit den Angebotsformen des SB-Handels verbindet. Beispiele für FachmarktTypen: Getränkemarkt, Weinfachmarkt, Drogeriemarkt, Elektronikmarkt.
Eigenmarke
Auch Handelsmarke. (Interne) Bezeichnung für die eigene Handelsmarke aus der Sicht der jeweiligen Handelsunternehmung bzw. -organisation.
Einkaufskontore
Gemeinschaftliche Beschaffungsorgane des Großhandels auf dem Nahrungs- und Genussmittelsektor. Ursprüngliche Aufgabe war ausschließlich das Vermittlungsgeschäft, insbesondere durch den Abschluss sog. Empfehlungsabkommen zwischen den Einkaufskontoren und der Industrie; hierbei sammelten die Kontore die Bestellungen ihrer Gesellschafter und gaben sie zusammengefasst an die Hersteller weiter, welche die Gesellschafter unmittelbar belieferten.
Einkaufs-vereinigung des Einzelhandels
Zusammenschlüsse kleiner und mittlerer Einzelhändler zu in der Regel genossenschaftlich organisierten Verbänden, mit dem Ziel der Existenzsicherung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Durch den gemeinsamen Einkauf können kleinere Einzelhändler im Preiswettbewerb mit größeren Handelsunternehmungen besser bestehen.
Factory Outlet (Fabrikladen)
Mittel- bis großflächiger Einzelhandelsbetrieb mit einfacher Ausstattung, über den der Hersteller im Direktvertrieb insbesondere Ware zweiter Wahl, Überbestände und Retouren seines Produktionsprogramms oder Zukaufssortiments, meist in Selbstbedienung, an fabriknahen oder verkehrsorientierten Standorten absetzt.
Firmenmarke
Handelsmarke, die im Wortstamm Elemente der Firma führt.
Freiwillige Ketten
Formen der Kooperation, bei denen sich Groß- und Einzelhändler zur Stärkung ihrer Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zusammengeschlossen haben. Zwischen den Mitgliedern und der Systemzentrale bestehen keine gesellschaftsrechtlichen, sondern nur vertragsrechtliche Bindungen.
Franchisesysteme
Vertikal-kooperativ organisierte Handelssysteme rechtlich selbstständiger Unternehmungen mit einheitlichem Marktauftritt, arbeitsteiliger Organisation zwischen den Systempartnern und Weisungs- und Kontrollsystemen zur Sicherung eines systemkonformen Verhaltens. Die Franchise-Nehmer sind in eigenem Namen und auf eigene Rechnung tätig. Sie sind berechtigt, ein FranchisePaket gegen Entgelt zu nutzen.
Glossar
341
Gattungsmarke
In der Psyche des Konsumenten fest verankertes Vorstellungsbild von Produkten, die sich durch eine geringe Qualität und einen geringen Preis hervorheben.
Generics
siehe Gattungsmarke.
Großdiscounter
Discountgeschäft mit einer Fläche ab ca. 700 qm, das ein erweitertes Discount-Sortiment und in der Regel auch Frischwaren führt.
GroßverbraucherZustelldienst
Regelmäßige Belieferung von Großverbrauchern (z. B. Gastronomie, Großküchen und Kantinen, Sozialbereiche usw.) mit einem Spezialsortiment (z. B. Nahrungsmittel, Gastronomie- und Anstaltsbedarf).
Handelsmarke
Marken, mit denen eine Handelsunternehmung (Handel im institutionellen Sinne) ihre Waren kennzeichnet.
Handelsmarkenmanagement
Marktorientierte Führung von Handelsmarken auf Basis eines systematischen Planungs-, Realisations- und Entscheidungsprozesses.
Händlergeführte Dienstleistungs-marke
Marke, die sich im rechtlichen Eigentum einer Handelsunternehmung befindet und zur Kennzeichnung von Dienstleistungen verwendet wird.
Herstellermarke
Herstellermarken sind Marken, mit denen eine Industrieunternehmung ihre Waren kennzeichnet. Liegen immer dann vor, wenn zwischen den einzelnen Komponenten der Markenidentität Lücken klaffen.
Identitäts-Lücken
Industriemarke
siehe Herstellermarke.
Ingredient Branding
Markierung eines Produktes oder einer Leistung mit der Marke einer in der Wertschöpfungskette vorgelagerten Unternehmung. Wird häufig bei investiven Verbrauchsgütern verwendet.
Kampfmarke
Meist Industriemarke, die zur Abdeckung der Preis-Einstiegslage konzipiert wurde und daher extrem preisaggressiv gestaltet wird.
Klassische Handelsmarke
Handelsmarke, die preislich und qualitativ im mittleren Bereich angesiedelt ist.
Kleinverbrauchermarkt
SB-Geschäft mit Lebensmittelsortiment und einer Verkaufsfläche über 800 und unter 1.500 qm.
Label
Markierung eines Artikels mit einem Namen ohne Verkehrsgeltung.
Markenkollision
Eine Markenkollision liegt dann vor, wenn ein Markenname von verschiedenen Eignern geführt wird.
342
Glossar
Markenidentität
In sich widerspruchsfreie, geschlossene Ganzheit von Merkmalen einer Marke, die diese dauerhaft von anderen Marken unterscheidet.
Markenphilosophie
Kern des Markenselbstbildes, auf das die Komponenten des Selbstbildes ausgerichtet werden müssen.
Markentransfer
Erstmalige Kennzeichnung von Artikeln mit einer bereits bestehenden Marke.
No-Name
siehe Gattungsmarke.
Nonfood-DiscountGeschäft
Discountgeschäft, das schwerpunktmäßig oder ausschließlich Nonfood-Artikel führt.
NonfoodVerbrauchermarkt
Verbrauchermarkt, der schwerpunktmäßig oder ausschließlich Nonfood-Artikel führt.
Katalogschauraum (Catalog Showroom)
Kombination aus einer offenen Verkaufsstätte des Einzelhandels mit Versandhauswerbung, indem Muster der Waren, welche in einem Katalog beworben werden, den Interessenten gezeigt werden. Bei Kauf wird die Ware aus einem angegliederten Lager originalverpackt, in der Regel gegen Barzahlung, ausgehändigt. Geführt werden in den USA vorzugsweise Waren guter Qualität, meist Markenartikel aus dem Hartwarenbereich (z. B. Uhren, Schmuck u. a). Bei hoher Informationsintensität (teilweise auch Bedienung) wird ein vergleichsweise niedriger Verkaufspreis angestrebt.
Nonfood-Kaufhäuser
Kaufhäuser mit einem spezifischen Nonfood-Sortiment (z. B. Kinderbekleidung).
Kaufhaus
Geschäft mit warenhausähnlichem Sortiment geringer Breite und Tiefe und niedrigem Preisniveau.
Private Label
siehe Handelsmarke.
Rack Jobber (Regalgroßhändler)
Rack Jobber sind Unternehmungen, die Verkaufsraum bzw. Regalflächen in Einzelhandelsbetrieben oder C + C-Betrieben in eigener Regie mit einem eigenständigen Sortiment bestücken und es wirtschaftlich betreuen. Der Rack Jobber besorgt den Einkauf, die Anlieferung und bei Absatzschwierigkeiten den Austausch der Handelswaren, weiter die Ladenverkaufspreisauszeichnung, die Warenpräsentation und die Regalauffüllung. Der Handelsbetrieb erhält für das Inkasso und die Bereitstellung der Flächen und Warenträger eine umsatzabhängige Vergütung.
SB-Warenhaus
SB-Geschäft in dezentraler Lage mit einer Verkaufsfläche von mehr als 5.000 qm, in dem ein warenhausähnliches Sortiment angeboten wird.
Glossar
343
Segmentmarke
siehe Warengruppenmarke
Shopping Center (Einkaufszentrum)
Horizontale Zusammenarbeit von räumlich konzentrierten Einzelhandels-, Gastronomie- und anderen Dienstleistungsbetrieben zur Errichtung einer zentral geplanten, großflächigen Versorgungseinrichtung mit zentralem Center-Management, großzügigem Parkplatzangebot sowie einer Vielzahl von Fachgeschäften unterschiedlicher Branchen.
Sortimentsmarke Store Brand
Warenzeichen, das im gesamten Sortiment Verwendung findet. siehe Betriebstypenmarke
Streckengroß-handel
Streckengroßhandel liegt vor, wenn mehr als die Hälfte der Großhandelsumsätze auf Streckengeschäfte, also auf die Beförderung von Handelswaren vom Vorlieferanten ohne Einlagerung beim Großhändler zu dessen Abnehmer, entfällt.
Supermarkt
SB-Lebensmittelgeschäft mit einer Verkaufsfläche zwischen 400 und 1.000 qm.
Spezialgroßhandel
Großhandelsbetriebe mit einem tendenziell schmaleren und tieferen Sortiment.
Sortimentsgroßhandel
Großhandelsbetriebe mit einem tendenziell breiteren und flacheren Sortiment.
Technisches Kaufhaus
Kaufhaus mit tiefem Sortiment im Elektro-, Elektronik- und Technik-Bereich.
Textil-Kaufhaus
Kaufhaus mit den Sortimentsschwerpunkten Textilien und Sportartikel.
Verbrauchermarkt
SB-Geschäft mit Lebensmittelsortiment und einer Verkaufsfläche über 1.500 und unter 5.000 qm.
Verbrauchermarkt (klein)
Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft mit einer Verkaufsfläche zwischen 800 und 1.499 qm. Zumeist werden Non-Food-Partien ergänzend angeboten. Bekannte Beispiele: Extra, Minimal, HL
Verbrauchermarkt (groß)
Einzelhandelsgeschäft mit einer Verkaufsfläche zwischen 1.500 m² und 4.999 m², das ein breites, warenhausähnliches Sortiment des Lebensmittel- und Nichtlebensmittelbereichs in Selbstbedienung anbietet. Bekannte Beispiele: Große Extra-Märkte, große Minimal-Märkte
Warengruppen-marke Auch Segmentmarke. Warenzeichen, das innerhalb einer Warengruppe Verwendung findet.
344
Glossar
Warenhaus
Geschäft in City-Lage mit breitem Sortiment, vor allem der Bereiche Bekleidung, Textilien, Haushaltswaren und Lebensmittel, die nach Warengruppen getrennt in Fachabteilungen in Bedienung oder Selbstbedienung angeboten werden.
Zustellgroßhandel
Regelmäßige Belieferung von Geschäften selbstständiger Einzelhändler durch eine Großhandlung.
Stichwortverzeichnis
A Absatzmarkt, Entwicklungen und Trends im 13 akquisitorisches Potenzial 241 Ankerpreis 261 Ansoff-Matrix 76 Artikel 197 Artikelgruppe 197 Auditing 191 Außenwerbung 284 Auswahlverbund 213 Autonomiegrad 169 B Bedarfsmarktkonzept 46 Bedarfsverbund 213 Bedienungsform 223 Bedienungssystem, Reines 224 Benchmarking 86, 108 Beratungszone 273 Beschaffungsarealstrategien 82 Beschaffungswegestrategie 81 Betriebsform 111 Betriebstyp 111 Betriebstypenmarkenmanagement 144 Betriebstypenprofilierung 120 Bewertungsschwelle 260 Bezugskosten 245 Bindungsgrad 169 Bonanalyse 215 Boston Consulting Group 102 Breitenexpansion 201 Bruttoverkaufspreis 245
C City-Management 193 Co-Branding 147 Conjoint-Analyse 262 D Dauerniedrigpreisstrategien 267 Data-Envelopment-Analysis („DEA“) 297 Deckungsbeitrag (DB) 217 Deckungsbeitragsrechnung 217 Deckungsspanne 218 Direkte Produkt-Rentabilität (DPR) 218 Direktwerbung 284 Discounter 116 Discountpreis 267 Doppeltes Leistungsdefizit 36 Dotted-line-Prinzip 311 E ECR-Konzept 204 Efficient Product Introduction 204 Efficient Promotion 204 Efficient Replenishment 204 Efficient Store Assortment 204 Eigene Linienorganisation 312 Einstandspreis 245 Einzelpreis 258 Entgeltdifferenzierung nach Leistungsbeitrag 229 Entgeltdifferenzierung nach Leistungsverrichtung 228 Entgeltpolitik 228 Erfahrungskurvenkonzept 102 Erfolgsfaktorenforschung 85 Erfolgspotenzial 71 Ergebniskontrolle 302
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Stichwortverzeichnis
Evolutionäres Management 89 Expertensystem 296
Integriertes Marketingmanagement 292
F Fachmarkt 116 Fehlbestand 215 Fehlkauf 215 Fernhandel 4 Fokusgruppe 58
K Käufermarkt 10 Kaufverbund 213 Kernsortiment 187 Kommunikation 281 Kommunikationseffizienz 288 Kommunikationspolitik 282 Komplexe Konsumgüter 14 Kondition 245 Konzentration 15 Koordinationsmethode, Raum der 169 Kosten-Plus-Methode 237 Krämer 5 Kreismethode 189 Kundenfläche 273 Kundenlaufsstudie 272 Kundenloyalität 60 Kundenzufriedenheit 60 Kundenzufriedenheit, Messung der 62
G Gap-Analyse 98 Gesamtumsatzanalyse 216 Gewinnaufschlag 245 Grehamsches Gesetz der Planung 72 Grenzproduktivitäten, Ausgleich der 272 H Handelsmarke, Klassische 156 Handelsmarke, Premium- 156 Handelsmarken, Systematisierung von 151 Handelsmarkenmanagement 144 Handelsmarketing, Historische Entwicklung des 2 Handelspanel 51 Händlergeführte Dienstleistungsmarke 144 Händlergeführte Markenshops 144 Handlungskosten 245 Handwerkshandel 5 Hansestadt 4 Hausierer 4 Höker 5 hybrider Geschäftstyp 128 hybride Konsumenten 128 I Inhaltstheorie 230 Inside-Out 11 Institutionales Controlling 307 Integriertes Markenmanagement 145
L Ladeneinrichtung 271 Ladengestaltung 270 Lagerumschlagsgeschwindigkeit (LUG) 216 Law of Retail Gravitation 188 Lebenszykluskonzept 100 Lernorientiertes Handelscontrolling 36 Lieferantenauswahlstrategie 82 Linienorganisation 310 Listenpreis 245 Lockpreis 267 Lorenzkurve 217 M Marke 143 Markenmanagement im Handel 144 Marken-Portfolio-Management 146 Marken-Rechts-Management 146 Markenvertrauen 146 Marktfeldstrategie 76 Marktsegmentierung 48
Stichwortverzeichnis
Marktsimulierungsstrategie 77 Massenmarktstrategie 79 mehrdimensionale Skalierung (MDS) 107 Mercator 4 Modell der Wirkungspfade 294 Monopolistischer Bereich 239 Motivation, Extrinsische 230 Motivation, Intrinsische 230 Mystery Shopper 56 N Nachfrageverbundenheit 213 Netzwerkbildung 18 Newsletter 284 No Name 155 Normstrategien 104 O Online-Werbung 284 Outside-In 11 P Partialmodell 294 Personalbedarf 221 Personalbedarfsplanung 226 Personalbeschaffungsplan 226 Personaleinsatzplan 227 Personalentwicklungsplan 227 Personalplanung 226 Persönlicher Verkauf 224 PIMS-Studie 101 Planung, Inkrementalistische 91 Planung, Synoptische 190 Polarisierungsthese 17 Porter-Matrix 78 Positionierungsmanagement 87 Präferenzstrategie 78 Prämissenkontrolle 302 Präsentationspolitik 269 Preisbündelung 267 Preisdifferenzierung 268 Preisdifferenzierung, leistungsbezogen 268 Preisdifferenzierung, mengenmäßig 268
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Preisdifferenzierung, personell 268 Preisdifferenzierung, räumlich 268 Preisdifferenzierung, zeitlich 268 Preisgefühl 255 Preisgünstigkeit 255 Preisindividualisierung 268 Preislage 239 Preis-Mengen-Strategie 79 Preispolitischer Entscheidungen, Anlass 236 Preisrangfolge 259 Preisschwelle 260 Preisurteilsanker 260 Preisverteilung 260 Preiswissen 252 Printmedien 285 Probabilistischer Potenzialansatz 188 Prospekt 287 Prozesstheorie 230 Public Relations 283 R Randsortiment 197 Raumzuteilung 274 Reaktionsfreier Raum 242 Referenzpreis 261 Renner-Penner-Analyse 216 S SB-Warenhaus 117 Scanningdaten 69 Scoring-Modell 104 Segmentierungsstrategie 80 Selbstbedienungssystem 223 Selbstkostenpreis der Ware 245 Selbstversorgung, Prinzip der 4 Self-Scanning 224 Sonderpreis 265 S-O-R Modell 292 Sorte 196 Sortimentsart 197 Sortimentsbereinigung 202 Sortimentsbreite 197 Sortimentsdehnung 201 Sortimentsdimensionen 197 Sortimentshöhe 197
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Stichwortverzeichnis
Sortimentskontrolle 215 Sortimentspolitik 195 Sortimentspyramide 196 Sortimentsstrukturanalyse 217 Sortimentstiefe 197 Sortimentsvariation 201 Sortimentsverbund 213 Sortimentsverbundanalyse 213 Stab, eigener, separater 310 Stadtmarketing 175 Standortfaktor 179 Standortgestaltung 192 Standortkontrolle 190 Standortpolitik 175 Standortpolitik, Entscheidungsbereiche der 178 Standortwahl, Gebundene 178 Standortwahl, Makro- 182 Standortwahl, Mikro- 182 Standortwahl, Träger der 178 Standortwahl 178 Strategie 73 Strategische Geschäftseinheit (SGE) 49, 103 Strategische Planung 71 Strategisches Marketingcontrolling 308 Supermarkt 116 SWOT-Analyse 42 Systembildende Aufgaben 299 Systemkontrolle 302 Systemkoppelnde Aufgaben 300 Systemwettbewerb 135 T Tankstellenshop 117 Teilumsatzanalyse 216 Tiefenexpansion 201 Totalmodell 294 Trading-up 77, 203 Trading-down 203 Transformationskurve 122 U Umsatzanalyse 216 Umweltanalyse 37
Untereinstandspreis 266 Unternehmungsplanung 71 V Verbrauchermarkt 116 Verbraucherpanel 51 Verhaltenskontrolle 302 Verkaufsförderung 283 Vertikale Preisbindung 245 Virtuelle Unternehmung 171 Virtuelles Netz 170 Vorwahlsystem 224 W Wahrnehmungsschwelle 260 Warenbereich 197 Warengruppe 197 Warenhaus 114 Warenkorbanalyse 69 Warenkorbdaten 69 Warenträger, Anordnung der 273 Werbeerfolgsanalyse, umsatzbezogene 290 Werbewirkung 288 Werbewirkungsforschung 289 Werbeziel 289 Werbung 282 Werbung in elektronischen Medien 285 Z Zeitdistanzmethode 190 Zeitgleichermethode 190 Zufriedenheitsskala 64
Die Autoren
Univ.-Prof. Dr. Dieter Ahlert ist Ordinarius am Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Distribution und Handel der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster, Direktor des Instituts für Handelsmanagement und Netzwerkmarketing sowie Direktor des Marketing Centrums Münster. Hauptarbeitsgebiete: Handelsmanagement, Management von Franchisesystemen, Distributionspolitik, Markenmanagement. Ausgewählte Publikationen: Dienstleistungsnetzwerke, Heidelberg 2002 (zusammen mit Heiner Evanschitzky). Internet & Co. im Handel, 2. Aufl., Heidelberg 2001 (zusammen mit Jörg Becker, Peter Kenning und Reinhard Schütte). Markenmanagement im Handel, Wiesbaden 2000 (zusammen mit Peter Kenning und Dirk Schneider). Prozessmanagement im vertikalen Marketing, Heidelberg 1999 (zusammen mit Stefan Borchert). Integrierte Warenwirtschaftssysteme, 3. Aufl., Stuttgart 1997 (zusammen mit Rainer Olbrich). Distributionspolitik − das Management des Absatzkanals, 3. Aufl., Jena 1996. Strategisches Handelsmanagement, Stuttgart 1996 (zusammen mit Christian Korte und Stephan Kollenbach). Rechtliche Grundlagen des Marketingmanagements, 2. Aufl., Stuttgart u. a. O. (zusammen mit Hendrik Schröder). Dr. Peter Kenning studierte von 1993-1997 Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Parallel zum Studium absolvierte er von 1994-1997 das studienbegleitende Universitäre Traineeprogramm bei der Karstadt AG und arbeitete dort für mehrere Monate als freier Mitarbeiter der Einkaufsleitung Textil im Handelsmarkenbereich. 1997-2001 Promotion zum Dr. rer.pol. Seit Februar 2001 Habilitand am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dieter Ahlert an der Universität Münster. Ausgewählte Publikationen: Customer Trust Management, Wiesbaden 2002. Internet & Co. im Handel, 2. Aufl., Heidelberg 2001 (zusammen mit Dieter Ahlert, Jörg Becker und Reinhard Schütte). Markenmanagement im Handel, Wiesbaden 2000 (zusammen mit Dieter Ahlert und Dirk Schneider).