Handelsgesetzbuch: Band 2/2 §§ 89-104 [6. neu bearb. Aufl.] 9783110744385, 9783110744286

The renowned Staub commentary is the most comprehensive and important commentary on commercial law and numerous related

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Verzeichnis der Bearbeiter der 6. Auflage
Vorwort zur 6. Auflage
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
ERSTES BUCH. Handelsstand
SIEBENTER ABSCHNITT. Handelsvertreter
§ 89 [Kündigung des Vertrages]
§ 89a [Fristlose Kündigung]
§ 89b [Ausgleichsanspruch]. Part 1
§ 89b [Ausgleichsanspruch]. Part 2
§ 90a [Wettbewerbsabrede]
§ 91 [Vollmacht des Handelsvertreters]
§ 91a [Mangel der Vertretungsmacht]
§ 92 [Versicherungs- und Bausparkassenvertreter]
§ 92a [Mindestarbeitsbedingungen]
§ 92b [Handelsvertreter im Nebenberuf]
§ 92c [Handelsvertreter außerhalb der EG; Schifffahrtsvertreter]
ACHTER ABSCHNITT. Handelsmakler
Vorbemerkungen vor §§ 93 ff.
§ 93 [Begriff]
§ 94 [Schlussnote]
§ 95 [Vorbehaltene Bezeichnung]
§ 96 [Aufbewahrung von Proben]
§ 97 [Inkassovollmacht]
§ 98 [Haftung des Handelsmaklers]
§ 99 [Zahlung des Maklerlohns]
§ 100 [Tagebuch]
§ 101 [Auszüge aus dem Tagebuch]
§ 102 [Vorlegung im Rechtsstreit]
§ 103 [Ordnungswidrigkeiten]
§ 104 [Krämermakler]
Sachregister
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Handelsgesetzbuch: Band 2/2 §§ 89-104 [6. neu bearb. Aufl.]
 9783110744385, 9783110744286

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Großkommentare der Praxis

STAUB Handelsgesetzbuch

Großkommentar 6., neu bearbeitete Auflage begründet von Hermann Staub herausgegeben von Stefan Grundmann, Mathias Habersack, Carsten Schäfer Zweiter Band Teilband 2 §§ 89–104

Bearbeiter: §§ 89–92c: Raimond Emde §§ 93–104: Jan Thiessen

Bearbeitungsstand: Oktober 2020 Zitiervorschlag: Thiessen in Großkomm. HGB, 6A, § 97 Rn 9 oder GroßkommHGB/Thiessen § 97 Rn 9 Bandherausgeber: Professor Dr. Mathias Habersack, Ludwig-Maximilians-Universität München Sachregister: Christian Klie

ISBN 978-3-11-074428-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-074438-5 e-ISBN (E-PUB) 978-3-11-074440-8 Library of Congress Control Number: 2020951342 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: C. H. Beck, München www.degruyter.com

Verzeichnis der Bearbeiter der 6. Auflage Professor Dr. Jochen Axer, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, axis Rechtsanwälte, Köln Professor Dr. Jens-Hinrich Binder, LL.M. (London), Universität Tübingen Professor Dr. Benjamin B. von Bodungen, LL.M. (Auckland), GGS, Heilbronn Professor Dr. Jens Bülte, Universität Mannheim Professor Dr. Ulrich Burgard, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Professor em. Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris, Ludwig-Maximilians-Universität München † Professor Dr. Matthias Casper, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Professor Dr. Klaus-Dieter Drüen, Ludwig-Maximilians-Universität München Max Ehrl, Notarassessor, Geschäftsführer des Deutschen Notarvereins, Berlin Dr. Raimond Emde, Rechtsanwalt, GvW Graf von Westphalen, Hamburg Prof. Dr. Philipp S. Fischinger, Universität Mannheim Jun.-Prof. Dr. Stephan Gräf, Universität Konstanz Professor Dr. Hans Christoph Grigoleit, Ludwig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL.M. (Berkeley), Humboldt-Universität zu Berlin und European University Institute in Florenz Professor Dr. Mathias Habersack, Ludwig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Stephan Harbarth, LL.M. (Yale), Präsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Dr. h.c. mult. Peter Hommelhoff, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Professor Dr. Henning Jessen, LL.M. (Tulane), World Maritime University Malmö Professor Dr. Christian Kersting, LL.M. (Yale), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Professor Dr. Peter Kindler, Ludwig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Detlef Kleindiek, Universität Bielefeld Professor Dr. Jens Koch, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Dr. Ernst-Thomas Kraft, Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, Frankfurt am Main Daniela Mattheus, Rechtsanwältin, Präsidentin der FEA, Berlin Professor Dr. Andreas Maurer, LL.M. (Osgoode), Universität Mannheim Professor Dr. André Meyer, LL.M. Taxation, Universität Bayreuth Professor Dr. Florian Möslein, LL.M. (London), Phillips-Universität Marburg Professor Dr. Hartmut Oetker, Christian-Albrechts-Universität, Kiel Professor Dr. Karsten Otte, M.J.C. (Austin), außerplanmäßige Professur an der Universität Mannheim, Direktor bei der Bundesnetzagentur, Bonn PD Dr. Moritz Pöschke, LL.M. (Harvard), Universität zu Köln, Rechtsanwalt, Dipl.-Kfm. Professor Dr. Moritz Renner, Universität Mannheim Dr. Fabian Reuschle, Richter am Landgericht Stuttgart Professor Dr. Carsten Schäfer, Universität Mannheim Professor Dr. Patrick Schmidt, Rechtsanwalt, NJP Grotstollen, Duisburg Harald Schoen, LL.M., Referatsleiter BMJV Berlin Professor Dr. Martin Schwab, Universität Bielefeld Professor Dr. Jan Thiessen, Humboldt-Universität zu Berlin PD Dr. Chris Thomale, LL.M. (Yale), Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg PD Dr. Andreas Weber, Ludwig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Christoph Weber, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

V https://doi.org/10.1515/9783110744385-202

Vorwort zur 6. Auflage Die sechste Auflage des von Hermann Staub begründeten Großkommentars zum HGB hat noch einmal stärker als schon die fünfte Auflage ein breites, dynamisches, herausforderndes Gebiet zu erfassen. Zunehmend handelt es sich um Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, die handelsrechtlichen Normen und die wichtigsten handelsrechtlichen Akteure (einschließlich Banken und Transportwesen), das nationale Recht ebenso wie die internationalen Bezüge und die immer stärker dominierenden unionsrechtlichen Grundlagen und Vorgaben, und schließlich ein Handelsrecht der Liberalität und eines der Regulierung. Tempo und Intensität der Reformen haben – gerade auf der stärker regulierenden Seite – beständig und während der vergangenen zwei Dekaden nochmals verstärkt zugenommen. All diese Einflüsse bewirken tiefgreifende und stets fortschreitende Änderungen des Textes und der Systematik des HGB, die es in der Neuauflage aufzubereiten und in ihren praktischen Folgen zu würdigen gilt. Auch nach Ausgliederung des Aktienrechts 1937 blieb das Handelsgesetzbuch das Grundgesetz von Handel und Wirtschaft. Dem damit aufgerufenen Reichtum der Phänomene, Regelungskomplexe und Methoden stellt sich dieser Kommentar auch in der Neuauflage in besonderem Maße. Der Kommentar hat heute eine nahezu 130-jährige Tradition, die ersten sieben Auflagen besorgte Hermann Staub selbst in einer Dekade (bis zu seinem Tod). Aus diesem Erbe erwuchs der erste Großkommentar überhaupt, langsamer im Takt, vertieft. Anspruch und inhaltliche Konzeption blieben jedoch stets gleich: Der Kommentar soll in einer sowohl wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden als auch die Belange und Gepflogenheiten der Praxis berücksichtigenden Art und Weise über den Stand der Diskussion informieren und Entwicklungslinien aufzeigen. Die Neuauflage wird durch den Tod von Claus-Wilhelm Canaris überschattet, der am 5. März 2021 im Alter von 83 Jahren verstorben ist. Er war dem Kommentar seit der 3. Auflage verbunden, zunächst als Autor nicht nur, aber insbesondere des gerade durch seine Kommentierung nachhaltig geprägten „Bankvertragsrechts“, sodann – zusammen mit Wolfgang Schilling und Peter Ulmer – auch als Herausgeber der 4. Auflage und – zusammen mit Mathias Habersack und Carsten Schäfer – als Herausgeber der 5. Auflage. Auch in die Konzeption der 6. Auflage hatte sich Claus-Wilhelm Canaris noch eingebracht. Verlag und Herausgeber der 6. Auflage – neben Mathias Habersack und Carsten Schäfer nun auch Stefan Grundmann – danken Herrn Canaris an dieser Stelle sehr für sein Jahrzehnte währendes erfolgreiches Wirken für den „Staub“. Im Unterschied zur Vorauflage bleibt es zwar bei einer – erweiterten – Bandfolge, werden jedoch Neuauflagen auch einzelner Bände innerhalb der 6. Auflage – als Neubearbeitungen – möglich sein, um den Ansprüchen einer nochmals gestiegenen Dynamik im Handels- und Wirtschaftsrecht gerecht zu werden. Mit der Neuauflage des Staub soll also eingeführt werden, was für die dreizehnte Auflage des Staudinger längst bewährte Realität ist. Siebzehn Bände sind vorgesehen, und damit liegt die Gesamtzahl über derjenigen der Vorauflage, dem Anwachsen des Rechtsstoffes geschuldet. Der jetzt vorgelegte zweite Band umfasst das Handelsvertreterrecht und das Handelsmaklerrecht. Er erscheint in zwei Halbbänden; dem zunächst vorgelegten Band 2/1 mit der Kommentierung der §§ 84–88a HGB (nebst umfangreichen Vorbemerkungen zu § 84 HGB) folgt mit kurzem Abstand Band 2/2 mit der Kommentierung der §§ 89–104 HGB. Der Kreis der Bearbeiter hat gegenüber der Vorauflage keine Änderungen erfahren; die Kommentierung des Handelsvertreterrechts ist mithin von Raimond Emde besorgt worden, diejenige des Handelsmaklerrechts von Jan Thiessen. März 2021

VII https://doi.org/10.1515/9783110744385-203

Herausgeber und Verlag

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Bearbeiter der 6. Auflage V VII Vorwort zur 6. Auflage XI Abkürzungsverzeichnis XXIII Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur ERSTES BUCH Handelsstand SIEBENTER ABSCHNITT 1 Handelsvertreter 1 § 89 [Kündigung des Vertrages] 75 § 89a [Fristlose Kündigung] 174 § 89b [Ausgleichsanspruch] 669 § 90 [Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse] 689 § 90a [Wettbewerbsabrede] 741 § 91 [Vollmacht des Handelsvertreters] 750 § 91a [Mangel der Vertretungsmacht] 771 § 92 [Versicherungs- und Bausparkassenvertreter] 852 § 92a [Mindestarbeitsbedingungen] 874 § 92b [Handelsvertreter im Nebenberuf] § 92c [Handelsvertreter außerhalb der EG; Schifffahrtsvertreter] ACHTER ABSCHNITT 991 Handelsmakler 991 Vorbemerkungen vor §§ 93 ff. 1001 § 93 [Begriff] 1078 § 94 [Schlussnote] 1091 § 95 [Vorbehaltene Bezeichnung] 1104 § 96 [Aufbewahrung von Proben] 1109 § 97 [Inkassovollmacht] 1112 § 98 [Haftung des Handelsmaklers] 1119 § 99 [Zahlung des Maklerlohns] 1125 § 100 [Tagebuch] 1132 § 101 [Auszüge aus dem Tagebuch] 1135 § 102 [Vorlegung im Rechtsstreit] 1139 § 103 [Ordnungswidrigkeiten] 1143 § 104 [Krämermakler] Sachregister

IX

1147

897

Abkürzungsverzeichnis aA aaO abl. ABl. ablehn. Abs. Abschn. abw. AcP ADAC ADHGB aE AEUV a.F. AG AGB AGG AiB AIF AIFM AIFMD AktG Aktz. allg. allgM a.M. amtl. amtl. Begr. AnfG Anh. Anl. Anm. AnzV AO AöR AP ApothekenBetrO ApothekenG ArbG ArbGG AR-Blattei ArbR ArbstättVO ArbZG ArchBürgR Art. AUG Aufl. AV AWD AZR

anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt ablehnend Absatz Abschnitt abweichend Archiv für civilistische Praxis Allgemeiner Deutscher Automobil-Club Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch v. 1861 am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung 1. Amtsgericht 2. Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb Alternativer Investmentfonds Alternative Investment Fund Manager Alternative Investment Fund Managers Directive, Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds Aktiengesetz Aktenzeichen allgemein allgemeine Meinung andere(r) Meinung amtlich(e) Amtliche Begründung Anfechtungsgesetz Anhang Anleitung Anmerkung(en) Anzeigenverordnung: Verordnung über die Anzeigen und die Vorlage von Unterlagen nach dem Kreditwesengesetz 1. Amtsordnung (Schleswig Holstein) 2. Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Apothekenbetriebsordnung Apothekengesetz Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Arbeitsrecht Arbeitsstättenverordnung Arbeitszeitgesetz Archiv für Bürgerliches Recht Artikel Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auflage Ausführungsverordnung Allgemeiner Wirtschaftsdienst Gesetz über das Ausländerzentralregister

XI https://doi.org/10.1515/9783110744385-205

Abkürzungsverzeichnis

Baden-Württ. BaFin BAnz Basel I Basel II Basel III BauspG BayERVV BaWüNotZ BayObLG BayZ BAG BAO BAO BB BBG; BBAnkG BBiG BC Bd. BdB BDSG Bek. v. Begr. Beschl. BetrAVG BetrVG BeurkG BfA BFH BFHE BFuP BGB BGBl. BGH BGHR BGHZ BIZ BKartA BKR Bl. BMJ BNotO BoHdR BörsG BörsO BörsZulV BPatG BPatGE BR-Drucks. BRAGO

Baden-Württemberg Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesanzeiger Ausschuss für Bankenbestimmmungen und -überwachung: Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen (1988) Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht: Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, überarbeitete Rahmenvereinbarung (2004) Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht: Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähige Banken und Bankensysteme (2010) Gesetz über Bausparkassen Bayerische Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr und elektronische Verfahren (E-Rechtsverkehrsverordnung – ERVV) Baden-Württembergische Notarzeitung Bayerisches Oberlandesgericht Bayerische Zeitung Bundesarbeitsgericht Bundesabgabenordnung Bundesärzteordnung Der Betriebs-Berater Gesetz über die deutsche Bundesbank Berufsbildungsgesetz Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling Band Bundesverband deutscher Banken e. V. Bundesdatenschutzgesetz Bekanntmachung vom Begründung Beschluss Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) Betriebsverfassungsgesetz Beurkundungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofes Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeitschrift) Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofes Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Basel Bundeskartellamt Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Blatt Bundesministeriums der Justiz Bundesnotarordnung Bonner Handbuch der Rechnungslegung Börsengesetz Börsenordung Börsenzulassungs-Verordnung; Verordnung über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse Bundespatentgericht Entscheidungen des Bundespatentgerichts Bundesratsdrucksache Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte

XII

Abkürzungsverzeichnis

BRAK-Mitt BRRD BRRD-Richtlinie

Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bank Recovery and Resolution Directive Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapieren; ABl. EU L 173 v. 12.06.2014 BSpKG Gesetz über Bausparkassen BStBl Bundessteuerblatt BT Bundestag BT-Drucks., BT-Drs. Bundestags-Drucksache BuB Bankrecht und Bankpraxis, hrsg. v. Hellner/Steuer/Piekenbrock/Siegmann/Höche, LoseblattSammlung, Köln BUrlG Bundesurlaubsgesetz vom 8.1.1963 BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVK Bayerische Versicherungskammer BWNotZ Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise CaR CD CDH CDS cic CISG CRD IV

Credit at Risk Certificate of Deposit Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb e.V. Credit Default Swap(s) culpa in contrahendo United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, UN-Kaufrecht Capital Requirements Directive IV; Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. EU L 176 v. 27.06.2013 CRDIVAnpV Verordnung zur Anpassung von aufsichtsrechtlichen Verordnungen an das CRD IVUmsetzungsgesetz CRR Capital Requirements Regulation; Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) 6486/2012; ABl. EU L 321 v. 30.11.2013 CRR-Kreditinstitute Kreditinstitute, die (ggf. auch allein) das Einlagen- und das Kreditgeschäft betreiben (früher Einlagenkreditinstitute) DAR DAV DepG ders. DB DepG DGS d.h. dies. DIHT Dipl. Diss DJT DNotZ DR DSGV

XIII

Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein Depotgesetz; Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren derselbe Der Betrieb Depotgesetz; Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren Depot Guarantee Scheme (Einlagensicherungssystem) das heißt dieselbe(n) Deutscher Industrie- und Handelstag Diplom Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Notarzeitung Deutsches Recht Deutscher Sparkassen- und Giroverband

Abkürzungsverzeichnis

DStR

DV DVBl DVO DZWIR E EABG EBA EBE/BGH EBJS EDV EFG EFSF EFZG EG EGBGB EGHGB EGInsO EGVP EGVVG ehem. EHUG einh. Einl. EIOPA

e.K. Entsch. ErbStG E-Register ERJuKoG Erl. ESA ESFS ESM ESMA ESRB EStG ESZB et al. etc. EU EUFAAnpG

EuGH EuGHE EuG EuGVVO

1. Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) 2. Deutsche Steuerrundschau 3. Deutsches Strafecht 1. Durchführungsverordnung 2. Deutsche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht Entscheidung Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz European Banking Authority (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) Eildienst Bundesgerichtliche Entscheidungen Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte European Financial Stability Facility (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach Einführungsgesetz zum Versicherungsvertragsgesetz ehemalige Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister Einheitlich Einleitung European Insurance and Occupational Pensions Authority (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge) Eingetragener Kaufmann/Eingetragene Kauffrau Entscheidung schaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz elektronisches Register Gesetz über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation Erläuterung European Supervisory Authorities European System of Financial Supervision (Europäisches Finanzaufsichtssystem) European Stability Mechanism (Europäischer Stabilitätsmechanismus) European Securities and Markets Authority European Systemic Risk Board (Europäischer Ausschuss für Systemrisiken) Einkommenssteuergesetz Europäisches System der Zentralbanken Et alii (und andere) Et cetera Europäische Union Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Einrichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäisches Gericht Erster Instanz Verfahrensverordnung des Europäischen Gerichts Erster Instanz vom 1.3.2002

XIV

Abkürzungsverzeichnis

EuGVÜ

EuInsVO EuLF EuZVO EuZW EuroEG EWiR EWIV EWR EWS EV EzA EZB f FamFG FAZ FeiertagslohnzahlungsG ff FG FGG FGPrax FMFG

Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, vom 27.9.1968, seit dem 1.3.2002 weitgehend durch die EuGVVO ersetzt Europäische Insolvenzverordnung European Law Forum Europäische Zustellungsverordnung Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Euro- Einführungsgesetz Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum 1. Europäisches Währungssystem 2. Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht 1. Eigentumsvorbehalt 2. Einführungsverordnung Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Europäische Zentralbank folgende Familienverfahrensgesetz Frankfurter Allgemeine Zeitung Feiertagslohnzahlungsgesetz

FS FSB

fortfolgende Finanzgericht Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit Praxis der freiwolligen Gerichtsbarkeit Finanzmarktförderungsgesetz; Gesetz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung Finanzmarktstablisierungsfondsgesetz v. 17.10.2008 (BGBl. I S. 1982) Fußnote Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 16.07.2007 Festschrift Financial Stability Board (Rat für Finanzstabilität)

GBO GbR gem. GenG GewO GesRZ GG ggf. GK GmbH GmbHG GmbHR GenG GewO GewStG GoA GOÄ GOZ

Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß Genossenschaftsgesetz Gewerbeordnung Der Gesellschafter Grundgesetz gegebenenfalls Großkommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Genossenschaftsgesetz Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Geschäftsführung ohne Auftrag Gebührenordnung für Ärzte Gebührenordnung für Zahnärzte

FMSA FMStFG Fn FRUG

XV

Abkürzungsverzeichnis

GREStG GroMiKV

Großkreditrichtlinie GRUR GRUR-RR GSG GV GVG GVO GWB hA HAG Halbbd. HansGZ HandelsR Hdb. HdJ HGB HK HKO hL hM HOAI HRefG HRegGebV HRegGebNeuOG HRR Hrsg., hrsg. HRV Hs./Hs HSG HuRB HV HVR HVuHM HWK IAS IASB ICC idF idR idS IDW ie iE i.E. ieS IFRC

Grunderwerbsteuergesetz Großkredit- und Millionenkreditverordnung; Verordnung über die Erfassung, Bemessung, Gewichtung und Anzeige von Krediten im Bereich der Großkredit- und Millionenkreditvorschriften des Kreditwesengesetzes EG-Richtlinie für die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Rechtsprechungsreport Gerätesicherheitsgesetz Gebührenverzeichnis Gerichtsverfassungsgesetz Gerichtsvollzieherordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herrschende Ansicht 1. Heimarbeitsgesetz 2. Hessisches Ausführungsgesetz Halbband Hanseatische Gerichtszeitschrift Handelsrecht Handbuch Handbuch des Jahresabschlusses Handelsgesetzbuch Handelskammer Haager Landkriegsordnung herrschende Lehre herrschende Meinung Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in der Bekanntmachung vom 4.3.1991 Handelsrechtsreformgesetz vom 22.6.1998 Verordnung über Gebühren in Handels, Partnerschafts- und Genossenschaftsregistersachen Handelsregistergebührenverordnung) Handelsregistergebühren-Neuordnungsgesetz Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber, herausgegeben Verordnung über die Einrichtung und Führung des Handelsregisters Halbsatz Hochschulgesetz Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB Handelsvertreter Humanitäres Völkerrecht Der Handelsvertreter und Handelsmarker Handwerkskammer IASC Framework for the Preparation and Presentation of Financial Statements, International Accounting Standards International Accounting Standards Board 1. Intergovernmental Copyright Committee 2. International Chamber of Commerce in der Fassung in der Regel in diesem Sinne Institut der Wirtschaftsprüfer id est im Einzelnen im Ergebnis in engerem Sinne International Financial Reportings Committee

XVI

Abkürzungsverzeichnis

IFRS IFSt IHR iHv insbes. Ind.- u. Handelsk. InsO InsoBekV InvG InvStG IOSCO IPRax IPRsp. iRd iS iSd ISDA iSv i.V.m. i.w.S. IZPR

International Financial Reporting Standards Institut Finanzen und Steuern Internationales Handelsrecht in Höhe von insbesondere Industrie- und Handelskammer Insolvenzordnung Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet Investmentgesetz Investmentsteuergesetz International Organization of Securities Commissions Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die Deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts im Rahmen des im Sinne im Sinne des/der International Swaps and Derivatives Association, Inc. im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Das Internationale Zivilprozess

JA JbFSt jew. JMBl. JR JRPV JURA JuS JVKostO JW JZ

Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht jeweils Justizministerialblatt Juristische Rundschau Juristische Rundschau für Privatversicherung Juristische Ausbildung Juristische Schulung Justizverwaltungskostengesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

KAG KAGB Kapitaladäquanzrichtlinie Kart Kfm. KFR KfW Kfz KG KGaA KGJ

Kapitalanlagegesellschaft Kapitalanlagegesetzbuch Richtlinie 2006/49/EG v. 14.06.2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten, ABl. EU 177/201 v. 30.06.2006 Kartell Kaufmann Kommentierte Finanzrechtsprechung Kreditanstalt für Wiederaufbau Kraftfahrzeug 1. Kammergericht 2. Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und Kosten-, Stempel- und Strafsachen Kleines oder mittelständisches Unternehmen 1. Kassenordnung 2. Konkursordnung Kommissionsdokumente Königlich Kölner Steuerdialog Kostengesetz Kostenordnung kritisch Kündigungsschutzgesetz in der Bekanntmachung vom 25.8.1969

KMU KO KOM Königl. KÖSDI KostG KostO krit. KSchG

XVII

Abkürzungsverzeichnis

KTS KWG

Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen 1. Kommunalwahlgesetz 2. Kreditwesengesetz; Gesetz über das Kreditwesen

LAG LG lit. LM LS Ltd. LVA LZ

Landesarbeitsgericht Landgericht litera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, hrsg. v. Lindemaier 1. Landessatzung 2. Leitsatz Private Company Limited by Shares Landesversicherungsanstalt Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

m. M. MaRisk

Mio. MitbestG MittRhNotK MittBayNot MiZi mN MoMiG Mrd. MünchKomm MuW m.w.N. m.W.v.

mit. Meinung Mindestanforderungen an das Risikomanagement, Rundschreiben der BaFin 10/2012 (BA) v. 14.12.2012 Markengesetz Mindestanforderung an die Ausgestaltung von Sanierungsplänen, Rundschreiben der BaFin 3/2014 (BA) v. 25.04.2014 mit anderen Worten mit Besprechung meines Erachtens möglicherweise Markets in Financial Instruments Directive; Richtlinie 2004/39/EG v. 21.04.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. EG L 145/1 v. 30.4.2004 Richtlinie 2014/65/EU v. 15.05.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (Neufassung), ABl. EU L 173/349 v. 12.06.2014 Markets in Financial Instruments Regulation; Verordnung (EU) Nr. 600/2014 v. 15.05.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. EU L 173/84 v. 12.06.2014 Millionen Mitbestimmungsgesetz Mitteilungen Rheinische Notar-Kammer Mitteilungen der Bayerischen Notarkammer Mitteilungen in Zivilsachen mit Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Milliarde Münchener Kommentar Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen; mit weiteren Nennungen mit Wirkung vom

Nachw. NaStraG NdsRpfl. n.F. NJOZ NJW NJW-RR NotBZ Nr. NRW n.v.

Nachweise Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift, Rechtssprechungsreport Zeitschrift für die notarielle Beurkundungspraxis Nummer Nordrhein-Westfalen nicht veröffentlicht

MarkenG MaSan m.a.W. m. Bespr. m.E. mglw. MiFID

MiFID II MiFIR

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

NVwZ NWB NZA NZA-RR NZG NZI NZM

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NWB Steuer- und Wirtschaftsrecht (bis 2008: Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht) Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht, Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht

o. o.ä. ÖBA OFD OGA OGAW (ö)OGH OGHZ OHG OLG OLGR österr. OTC OWiG

oben oder ähnliches Österreichisches Bankarchiv (Zeitschrift) Oberfinanzdirektion Organismus für Gemeinsame Anlagen Organismus für Gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Oberster Gerichtshof (Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht OLG-Report: Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Österreichisches Over The Counter Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PartGG PfandBG; PfandbriefG PflegeVG PflegeVG PiR ppa. ProdHaftG PublG

Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Pfandbriefgesetz

PucheltsZ RabelsZ RAG RAG ARS

RBerG RdA Rdsch. RdW RefE RegBegr RegE RG RGSt RGZ RIW RJA RKS RL

XIX

Pflege-Versicherungsgesetz Pflege-Versicherungsgesetz NWB Internationale Rechnungslegung per procura (in Vollmacht) Produkthaftungsgesetz Publizitätsgesetz; Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen Zeitschrift für französisches Zivilrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Reichsarbeitsgericht, Arbeitsrechts-Sammlung (Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und des Reichsehrengerichts, der Landesarbeitsgerichte, Arbeitsgerichte und Ehrengerichte, 1928 ff) Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Rundschau Das Recht der Wirtschaft Referentenentwurf Regierungsbegründung Regierungsentwurf 1. Reichsgericht 2. Reichsgesetz Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts, zusammengestellt im Reichsjustizamt Rechtsprechung kaufmännischer Schiedsgerichte Richtlinie

Abkürzungsverzeichnis

RNotZ Rn ROHG ROHGE Rpfleger RPflG Rs. Rspr. RUF RuS RVO Rz

Rheinische Notar-Zeitschrift Randnummer Reichsoberhandelsgericht Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtssache Rechtsprechung Revolving Unterwriting Facility Recht und Schaden Rechtsverordnung Randziffer

s. S. s.a. SAE Sächs. ScheckG SE SEAG

siehe Seite siehe auch Sammlung arbeitsgerichtlicher Entscheidungen Sächsisch Scheckgesetz vom 14.8.1933 Societas Europaea – Europäische Gesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Sozialgericht Sozialgesetzbuch Systemically Important Financial Institutions Signaturgesetz Sammlung Sogenannt Solvabilitätsverordnung, Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und Finanzholding Gruppen Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren – Spruchverfahrensgesetz Single Resolution Mechanism, Einheitlicher Abwicklungsmechanismus Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften … im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus. ABl. EU 2014 L 225/1 Single Supervisory Mechanism, Einheitlicher Aufsichtsmechanismus Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15.10.2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, ABl. EU L 287 v. 29.10.2013 ständige Die steuerliche Betriebsprüfung ständige Rechtsprechung Die Steuerberatung Strafgesetzbuch Strafprozessordnung streitig Zeitschrift für das Steuerrecht und die Rechnungslegung der Unternehmen Steuer und Wirtschaft siehe unten

Sg SGB SIFI SigG Slg. sog. SolvV SpruchG SRM SRM-Verordnung

SSM SSM-Verordnung

st. StBp std. Rspr. Stgb StGB StPO str. StuB StuW s. u. TB-Merkmale TDG teilw. TransPuG TranspR

Tatbestandsmerkmale Gesetz über die Nutzung von Telediensten – Teledienstegesetz teilweise Transparenz- und Publizitätsgesetz; Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität Transportrecht

XX

Abkürzungsverzeichnis

TUG TVG Tz TzBfG Tz.

Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Tarifvertragsgesetz Teilziffer Teilzeit- und Befristungsgesetz Textziffer

u.a. u.ä. Ubg UG umf. UmwG unstr. Unterabs. UrhG Urt. URV usf. UWG u.U.

unter anderem; und andere und ähnliches Die Unternehmensbesteuerung Unternehmergesellschaft umfassend Umwandlungsgesetz unstrittig Unterabsatz Urheberrechtsgesetz Urteil Verordnung über das Unternehmensregister und so fort Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb unter Umständen

v. VAG VerBAV Verf. VerkprospG VersVerm Vertikal-GVO VertriebsR VGA Vgl. v.H. VO Vol. Voraufl. Vorb. VRS VvaG VVG VW VwVfG

von/vom Versicherungsaufsichtsgesetz Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Verfasser Verkaufsprospektgesetz Versicherungsvermittlung Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen Vertriebsrecht Bundesverband der Geschäftsstellenleiter und Assekuranz Vergleiche von Hundert Verordnung Volume Vorauflage Vorbemerkung Verkehrsrechts-Sammlung Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Gesetz über den Versicherungsvertrag Versicherungswirtschaft Verwaltungsverfahrensgesetz

WarnRprs

1. Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des RG abgedruckt ist, hrsg. v. Warnmeyer 2. Sammlung zivilrechtlicher Entscheidungen des Reichsgerichts hrsg. von Buchwald (Begründet von Warnmeyer) Wechselgesetz weitere(n) 1. Wassergesetz 2. Wechselgesetz 3. Wohnwirtschaftliche Gesetzgebung Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 1. Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) 2. Wohnwirtschaft und Mietrecht weitere Nachweise Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer. (Wirtschaftsprüferordnung)

WechselG weit. WG Wistra WM wN WpAIV WPg WpHG WPO

XXI

Abkürzungsverzeichnis

WpÜG WRP WuB WuW WuW-E WVK

Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungen zum Kartellrecht Wiener Vertragsrechtskonvention

Z z.B. ZBB ZBH ZBR ZErb ZEuP ZEV ZfA ZfBF ZfgK ZfIR ZfV ZGR ZHR ZIP ZInsO ZPO ZR ZRP ZS ZSR z.T. zust. ZustErgG zutr. ZVersWiss ZVglRWi(ss) zwh.

(in Zusammenhängen) Zeitschrift, Zeitung, Zentralblatt zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrechts- und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Immobilienrecht 1. Zeitschrift für Versicherungswesen 2. Zeitschrift für Verwaltung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zivilprozessordnung Zivilrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat 1. Zeitschrift für Schweizerisches Recht 2. Zeitschrift für Sozialrecht zum Teil zustimmend Zuständigkeitsergänzungsgesetz zutreffend Zeitschrift für Versicherungswissenschaft Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft zweifelhaft

XXII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Soweit andere als im nachfolgenden Verzeichnis angegebene Auflagen zitiert werden, sind diese mit einer hochgestellten Ziffer gekennzeichnet. Adler ADS

Das Handelsregister, seine Öffentlichkeit und sein öffentlicher Glaube, 1908 Adler/Düring/Schmaltz (Hrsg.),Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Stuttgart, 6. Aufl. 1995–2000 ADS International Adler/Düring/Schmaltz (Hrsg.), Rechnungslegung nach Internationalen Standards, Stuttgart, 7. Ergänzungslieferung August 2011 (Loseblatt) AnwKommBGB Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), Anwaltkommentar BGB, 5 Bd., Bonn, 2005 ff Assmann/Schneider/Mülbert/ Assmann/Schneider/Mülbert (Hrsg.), Wertpapierhandelsrecht – Kommentar – Bearbeiter WpHG, MAR, PRIIP, MiFIR, Leerverkaufs-VO, EMIR, Köln, 7. Aufl. 2019 Assmann/Schütze/Buck-Heeb/ Assmann/Schütze/Buck-Heeb (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, Bearbeiter München, 5. Aufl. 2020 Baetge et al./Bearbeiter Baetge/Kirsch/Thiele/ Bearbeiter Ballwieser et al./Bearbeiter Bamberger/Roth/Hau/Poseck BankR-HdB Bassenge/Roth FamFG/RPflG Bauer/Diller Wettbewerbsverbote Baumbach/Hefermehl/Casper WechselG u. ScheckG Baumbach/Hueck/Bearbeiter GmbHG Baumbach/Hopt/Bearbeiter Baumbach/Lauterbach/Albers/ Bearbeiter Baums Beck-HdR-Bearbeiter Beck IFRS-Hdb/Bearbeiter BeckRS Beck BilKomm-Bearbeiter BoHdR - Bearbeiter Bohl/Riese/Schlüter/ Bearbeiter Bohnert OWiG Bokelmann Firmenrecht Boos/Fischer/Schulte-Mattler/ Bearbeiter KWG

Baetge/Wollmert/Kirsch/Oser/Bischof (Hrsg.), Rechnungslegung nach IFRS, Stuttgart, 41. Ergänzungslieferung Juni 2020 (Loseblatt) Baetge/Kirsch/Thiele (Hrsg.) Bilanzrecht, Bonn/Berlin, 92. Ergänzungslieferung Juni 2020 (Loseblatt) Ballwieser/Beine/Hayn/Peemöller/Schruff/Weber (Hrsg.), Wiley IFRS-Handbuch 2010, Weinheim, 7. Aufl. 2011 Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 5 Bd., München, 4. Aufl. 2019 f. Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.) Bankrechts-Handbuch, 2 Bd., 5. Aufl. 2017 Bassenge/Roth, Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Rechtspflegergesetz, Kommentar, Heidelberg, 12. Aufl. 2009 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, München, 8. Aufl. 2019 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, Scheckgesetz, Recht der kartengestützten Zahlungen: WG, ScheckG, Kartengestützte Zahlungen, München, 24. Aufl. 2020 Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, München, 22. Aufl. 2019 Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, München, 39. Aufl. 2020 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Anders/Gehle, Zivilprozessordnung: ZPO, München, 78. Aufl. 2020 Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981 Böcking/Gros/Oser/Scheffler/Thormann (Hrsg.), Beck’sches Handbuch der Rechnungslegung, München 62. Aufl. 2020 (Loseblatt) Brune/Driesch/Schulz-Danso/Senger (Hrsg.), Beck’sches IFRS-Handbuch, München, 6. Aufl. 2020 Beck Rechtsprechung Grottel/Schmidt/Schubert/Störk (Hrsg.), Beck’scher Bilanz-Kommentar, München, 12. Aufl. 2020 s. Hofbauer/Kupsch s. Beck IFRS-Hdb Bohnert, OWiG, Kommentar zum Ordnungswidrigkeitenrecht, München, 3. Aufl. 2010 Bokelmann, Das Recht der Firmen- und Geschäftsbezeichnungen, Freiburg, 5. Aufl. 2000 Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Hrsg.), KWG, CRR-VO: Kommentar zu Kreditwesengesetz, VO (EU) Nr. 575/2013 (CRR) und Ausführungsvorschriften, 2 Bd., 5. Aufl. 2016

XXIII https://doi.org/10.1515/9783110744385-206

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Bork Braun/Bearbeiter InsO Brox/Henssler Brox/Walker Bruck/Möller Bürgers/Körber/Bearbeiter AktG Bumiller/Harders FamFG

Busse von Colbe/Ordelheide Konzernabschlüsse

Bork, Der Vergleich, Berlin 1988 Braun (Hrsg.), Insolvenzordnung: InsO, München, 8. Aufl. 2020 zitiert: Bearbeiter in: Braun, InsO Brox/Henssler, Handelsrecht mit Grundzügen des Wertpapierrechts, München, 23. Aufl. 2020 Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 44. Aufl. 2020 Baumann/Beckmann/Johannsen/Johannsen, (Hrsg.), Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Berlin, 9. Aufl. 2008 ff. Bürgers/Körber/Lieder (Hrsg.), Heidelberger Kommentar zum Aktiengesetz, Heidelberg, 5. Aufl. 2020 Bumiller/Harders/Schwamb, Kommentar zum Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, München, 12. Aufl. 2019 Busse von Colbe/Ordelheide, Konzernabschlüsse, 9. Aufl. 2009

Canaris Handelsrecht Canaris Vertrauenshaftung Christ/Müller-Helle

Canaris, Handelsrecht, München, 24. Aufl. 2006 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971 Christ/Müller-Helle Veröffentlichungspflichten nach dem neuen EHUG, Freiburg 2007

Deloitte iGAAP 2011 Derleder/Knops/Bamberger

Deloitte (Hrsg.), iGAAP 2011, London, 4. Aufl. 2010 Derleder/Knops/Bamberger, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Berlin/Heidelberg, 3. Aufl. 2017 Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 (unter Ausschluß d. Seerechts) auf d. Grundlage d. Bürgerl. Gesetzbuchs, Mannheim 1935

Düringer/Hachenburg

Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/Bearbeiter; EBJS Ehrenbergs Hdb Eidenmüller Emmerich/Habersack KonzernR Ensthaler Erman/Bearbeiter Ernst & Young International GAAP 2011 Fezer MarkenG FK-InsO/Bearbeiter Fleischhauer/Wochner Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht/Bearbeiter Fülbier/Aepfelbach/Langweg

Gesetzgebungsmaterialien zum ADHGB Geßler/Hefermehl v. Gierke/Sandrock Handelsund Wirtschaftsrecht

Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.), Handelsgesetzbuch: HGB, München, 2 Bd., 3. Aufl. 2014 f., 4. Aufl. 2020 Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, 5. Band, I. Abteilung, 1. Hälfte, 1. Lieferung, 1926 Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, München 2004 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, München, 11. Aufl. 2020 Ensthaler (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum Handelsgesetzbuch: HGB, 8. Aufl. 2015 Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Köln, 15. Aufl. 2017 Ernst & Young (Hrsg.), International GAAP 2011, Chichester 2011

Fezer, Markenrecht, Kommentar, München, 4. Aufl. 2009 Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, München, 9. Aufl. 2018 Fleischhauer/Wochner (Hrsg.), Handelsregisterrecht: Verfahren – Anmeldemuster – Erläuterungen, Berlin, 4. Aufl. 2019 Jaeger, u.a. (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 96. Ergänzungslieferung Juni 2020 (Loseblatt) Fülbier/Aepfelbach/Langweg, GWG – Kommentar zum Geldwäschegesetz, 5. Aufl. 2006 Lutz, Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches 1858 ff Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, 1973 ff v. Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht, Berlin, 9. Aufl. 1975

XXIV

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Goldmann Gortsos Single Supervisory Mechanism Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Bearbeiter Großkommentar AktG/ Bearbeiter Großkomm/Bearbeiter GroßkommUWG/Bearbeiter

Goldmann, Unternehmenskennzeichen, Berlin, 4. Aufl. 2019 Gortsos, The Single Supervisory Mechanism (SSM) – Legal aspects of the first pillar of the European Banking Union, 2015 Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union: EUV/AEUV, 70. Aufl. Mai 2020 (Loseblatt) Hirte/Mülbert/Roth (Hrsg.), Aktiengesetz Großkommentar, Berlin, 5. Aufl. 2015 ff. Staub, Handelsgesetzbuch: Großkommentar, Berlin, 5. Aufl. 2008 ff. Teplitzky/Pfeifer/Leistner (Hrsg.), Großkommentar zum UWG, Berlin, 2. Aufl. 2013 ff. Grüll/Janert, Die Konkurrenzklausel, Heidelberg, 5. Aufl. 1993

Grüll/Janert Die Konkurrenzklausel Grundmann EG-Schuldvertrags- Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht – das Europäische Recht der recht Unternehmensgeschäfte (nebst Texten und Materialien zur Rechtsangleichung), 1999 Grundmann Europäisches Ge- Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011 sellschaftsrecht Grundmann Treuhandvertrag Grundmann, Der Treuhandvertrag – insbesondere die werbende Treuhand, 1997 Habersack Hachenburg/Bearbeiter GmbHG Hahn ADHGB Handbuch des Außendienstrechts I Hartmann-Wendels/Pfingsten/ Weber Bankbetriebslehre HdJ-Bearbeiter

HdR-EA/Bearbeiter Heidel/Bearbeiter AktienR Herrmann/Heuer/Raupach/ Bearbeiter Hess/Binz/Wienberg Gesamtvollstreckungsordnung Hess/Weis/Wienberg InsO Heuser/Theile/Bearbeiter Heymann/Bearbeiter HGB

Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, München, 5. Aufl. 2019 Ulmer (Hrsg.), Hachenburg, GmbHG – Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommentar, Berlin, 3 Bd., 8. Aufl. 1992/1997 von Hahn, Das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 (mit Ausschluss des Seerechts) auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Braunschweig, 4. Aufl. 1894 s. Küstner/Thume I-III Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber, Bankbetriebslehre, 7. Aufl. 2019 Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann (Hrsg.), Handbuch des Jahresabschlusses (HdJ), Bilanzrecht nach HGB, EStG und IFRS, Köln, 74. Ergänzungslieferung April 2020 (Loseblatt) Küting/Weber (Hrsg.), Handbuch der Rechnungslegung – Einzelabschluss, Stuttgart, 28. Ergänzungslieferung Juni 2019 (Loseblatt) Heidel (Hrsg.), Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Kommentar, Baden-Baden, 5. Aufl. 2019 Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Köln, 298. Ergänzungslieferung Juli 2020 (Loseblatt) Hess/Binz/Wienberg, Gesamtvollstreckungsordnung, Neuwied, 4. Aufl. 1998

Hess/Weis/Wienberg (Hrsg.), Insolvenzordnung, Heidelberg, 2. Aufl. 2001 Heuser/Theile (Hrsg.), IFRS-Handbuch, Köln, 6. Aufl. 2019 Horn/Balzer/Borges/Herrmann (Hrsg.), Heymann, Handelsgesetzbuch (ohne Seerecht), Kommentar, 4 Bd., Berlin, 3. Aufl. 2019 f. HuRB Leffson/Rückle/Großfeld (Hrsg.), Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, Köln 1986 Hirte/Bücker Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, Berlin, 2. Aufl. 2006 HK-HGB/Bearbeiter Glanegger/Kirnberger/Kusterer u.a., Heidelberger Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Heidelberg, 7. Aufl. 2007 Hoeren/Sieber/Bearbeiter Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch Multimediarecht – Rechtsfragen des elektronischen Geschäftsverkehrs, München 52. Aufl. April 2020 (Loseblatt) Hofbauer/Kupsch/Bearbeiter Hofbauer/Kupsch, Rechnungslegung, hrsg. v. Kupsch/Scherrer/Grewe/Kirsch, 103. Ergänzungslieferung Stand Mai 2020 Hopt/Mössle/Bearbeiter Hopt/Mössle, Handels- und Gesellschaftsrecht, Band I: Handelsrecht, München, Handelsrecht 2. Aufl. 1999 Hueck/Canaris Recht der Wert- Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, München, 12. Aufl. 1986 papiere

XXV

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht A. Hueck OHG Hüffer/Koch AktG

Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band 2: Kollektives Arbeitsrecht, Berlin, 7. Aufl. 1967/1970 Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, Berlin, 4. Aufl. 1971 Hüffer/Koch, Aktiengesetz, München,14. Aufl. 2020

Ingerl/Rohnke

Ingerl/Rohnke, Markengesetz, Kommentar, München, 3. Aufl. 2010

Jansen/Bearbeiter

von Schuckmann/Sonnenfeld (Hrsg.), Großkommentar zum FGG, 3 Bd., Berlin, 3. Aufl. 2005 f.

Kallmeyer/Bearbeiter Kreidel/Krafka/Bearbeiter RegisterR Keidel/Bearbeiter FamFG Köhler BGB, Allgemeiner Teil Köhler/Bornkamm/Bearbeiter

Kallmeyer u.a., Umwandlungsgesetz, Köln, 7. Aufl. 2020 Krafka/Kühn RegisterR

Koller/Kindler/Roth/Drüen/ Bearbeiter KölnKomm-AktG/Bearbeiter KK-OWiG/Bearbeiter KPMG Insights into IFRS Krafka /Bearbeiter RegisterR Küstner/Thume/Bearbeiter Küstner/Thume I/Bearbeiter Küstner/Thume II/Bearbeiter

Küstner/Thume III/Bearbeiter Küting/Weber/Bearbeiter

Lackhoff Single Supervisory Mechanism Lettl Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff/Bearbeiter Lohmüller/Beustien/Josten

FamFG, Kommentar, München, 20. Aufl. 2020 Köhler, BGB Allgemeiner Teil, München, 44. Aufl. 2020 Köhler/Bornkamm/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: UWG, München, 38. Aufl. 2020 Koller/Kindler/Roth/Drüen, Handelsgesetzbuch: HGB, München, 9. Aufl. 2019 Zöllner/Noack (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Köln, 3. Aufl. 2004 ff Mitsch (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten: OWiG, München, 5. Aufl. 2018 KPMG (Hrsg.), Insights into IFRS, London, 9. Aufl. 2012/2013 Krafka/Kühn (Hrsg.), Registerrecht, München, 11. Aufl. 2019 Küstner/Thume, Handelsvertreterverträge, Frankfurt am Main, 2. Aufl. 2011 Küstner, Thume (Hrsg.), Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1: Das Recht des Handelsvertreters, Heidelberg, 5. Aufl. 2016 Küstner, Thume (Hrsg.), Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2: Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (Warenvertreter, Versicherungs- und Bausparkassenvertreter) , Heidelberg, 9. Aufl. 2014 Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 3: Besondere Vertriebsformen, Heidelberg, 4. Aufl. 2014 Küting/Weber (Hrsg.), Handbuch der Konzernrechnungslegung, Stuttgart, 2. Aufl. 1998 Lackhoff, Single Supervisory Mechanism – A Practitioner’s Guide, München/ Oxford/Baden-Baden 2017 Lettl, Handelsrecht, München, 4. Aufl. 2018 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann (Hrsg.), München, 4. Aufl. 2020 Lohmüller u.a., Handels- und Versicherungsvertreterrecht, 2. Aufl. 1970/71, Loseblatt Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), Haufe IFRS-Kommentar, Freiburg, 17. Aufl. 2019 Bayer/Vetter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, 2 Bd., Köln, 6. Aufl. 2019 Lutter/Hommelhoff u.a., GmbH-Gesetz, Köln, 20. Aufl. 2020

Lüdenbach/Hoffmann/ Bearbeiter Lutter/Bearbeiter UmwG Lutter/Hommelhoff/Bearbeiter GmbHG Luz/Neus/Schaber/Schneider/ Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber (Hrsg.), KWG und CRR: Kommentar Wagner/Weber KWG und zu KWG, CRR, SolvV, WuSolvV, GroMiKV, LiqV und weiteren aufsichtsrechtlichen CRR Vorschriften, 3. Aufl. 2015 Manigk Martinek Franchising Martinek/Bearbeiter

Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, Berlin 1907 Martinek, Franchising, Heidelberg 1987 Martinek/Semmler/Flohr (Hrsg.), Handbuch des Vertriebsrechts, München, 4. Aufl. 2016

XXVI

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Medicus AT Meilicke/von Westphalen PartGG Michalski/Bearbeiter GmbHG

MünchHdbGesR/Bearbeiter

MünchKommAktG/Bearbeiter MünchKommBGB/Bearbeiter MünchKommBilR/Bearbeiter MünchKommHGB/Bearbeiter MünchKommInsO/Bearbeiter MünchKommZPO/Bearbeiter Musielak/Voit/Bearbeiter ZPO

Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Heidelberg, 11. Aufl. 2016 Meilicke/Graf von Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff, Kommentar, Partnerschaftsgesellschaftsgesetz: PartGG, Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe, München, 3. Aufl. 2015 Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz), 2 Bd., München, 3. Aufl. 2017 Beuthien/Gummert/Schöpflin (hrsg. der 4. Aufl.), Gummert/Weipert (Hrsg. der 5. Aufl.),Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, div. Bd., München, 4. Aufl. 2014 ff., 5. Aufl. 2019 ff. Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, München, 4. Aufl. 2012 ff., 5. Aufl. 2019 ff. Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg. der 8. Aufl.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, München, 7. Aufl. 2015 ff., 8. Aufl. 2018 ff Hennrichs/Kleindiek/Watrin (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bilanzrecht, Band 1 IFRS, München September 2014 (Loseblatt) Schmidt, Karsten (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch: HGB, München, 4. Aufl. 2016 ff. Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3 Bd., München, 2. Aufl. 2007 f Rauscher/Wax/Wenzel (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4 Bd., München, 3. Aufl. 2007 ff Musielak/Voit (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO, München, 17. Aufl. 2020

Noack/Bearbeiter

Noack (Hrsg.), Das neue Gesetz über elektronische Handels- und Unternehmensregister – EHUG, 2007

Oetker Handelsrecht Oetker/Bearbeiter Oppenländer/Bearbeiter

Oetker, Handelsrecht, Heidelberg, 8. Aufl. 2019 Oetker, HGB, Kommentar, München, 6. Aufl. 2019 Oppenländer/Trölitzsch (Hrsg.), Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, München, 3. Aufl. 2020

Palandt/Bearbeiter Prölss/Martin/Bearbeiter VVG PWW/Bearbeiter

Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, München, 80. Aufl. 2021 Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz: VVG, München, 30. Aufl. 2018 Prütting/Wegen/Weinrich (Hrsg.), BGB Kommentar, Köln, 15. Aufl. 2020

Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften, München, 6. Aufl. 2015 Reithmann/Martiny/Bearbeiter Reithmann/Martiny (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Köln, 8. Aufl. 2015 RGRK-BGB/Bearbeiter Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Berlin, 12. Aufl. 1975–1999 RGRK-HGB/Bearbeiter Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Berlin, 1. Aufl. 1939 ff Richardi Wertpapierrecht Richardi, Wertpapierrecht, Heidelberg 1987 Ritter HGB Ritter, Kommentar zum HGB, 2. Aufl. 1932 Röhricht/Graf v. Westphalen/ Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas (Hrsg.), Handelsgesetzbuch: HGB, Kommentar Haas/Bearbeiter zu Handelsstand, Handelsgesellschaften, Handelsgeschäften und besonderen Handelsverträgen (ohne Bilanz-, Transport- und Seerecht), Köln, 5. Aufl. 2019 Roth/Altmeppen Roth/Altmeppen, GmbHG-Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommentar, München, 9. Aufl. 2019 Rowedder/Schmidt-Leithoff/ Rowedder/Schmidt-Leithoff (Hrsg.), Gesetz betreffend die Gesellschaften mit Bearbeiter GmbHG beschränkter Haftung: GmbHG, München, 6. Aufl. 2017 Schlegelberger/Bearbeiter K. Schmidt Gesellschaftsrecht

XXVII

Schlegelberger/Geßler, Handelsgesetzbuch Kommentar, München, 5. Aufl. 1973 Schmidt, Gesellschaftsrecht, Köln, 4. Aufl. 2002

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

K. Schmidt Handelsrecht K. Schmidt/Lutter AktG Scholz/Bearbeiter GmbHG

Schmidt, Handelsrecht, Köln, 6. Aufl. 2014 Schmidt,/Lutter, Kommentar zum Aktiengesetz, Köln, 4. Aufl. 2020 Scholz (Hrsg.), Kommentar zum GmbHG, 3 Bd., Köln, 11. Aufl. 2013 ff., 12. Aufl. 2017 ff. Schönke/Schröder/Bearbeiter Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch: StGB, Kommentar, München, StGB 30. Aufl. 2019 Schubert/Schmiedel/Krampe Schubert/Schmiedel/Krampe (Hrsg.), Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Frankfurt am Main 1988 Schultze/Wauschkuhn/ Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Kübler, Der Vertragshändlervertrag, Spenner/Dau Frankfurt am Main, 5. Aufl. 2015 Schwark/Zimmer/Bearbeiter Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, München, 5. Aufl. 2020 Soergel/Bearbeiter Soergel/Siebert (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Stuttgart, 13. Aufl. 2001 ff Spindler/Stilz/Bearbeiter AktG Spindler/Stilz (Hrsg.), Aktiengesetz, Kommentar, 2 Bd., München, 4. Aufl. 2019 Staub ADHGB Staub, Kommentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, Berlin, 5. Aufl. 1897 Staub/Bearbeiter Canaris/Habersack/Schäfer (Hrsg.), Staub, Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, HGB, Berlin, 5. Aufl. Berlin 2008 ff Staudinger/Bearbeiter J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung, Berlin 1993 ff Stolterfoht Stolterfoht, Handelsrecht, Berlin 1973 Straatmann/Ulmer traatmann/Ulmer, Handelsrechtliche Schiedsgerichts-Praxis (HSG), 1975 ff Straube/Bearbeiter Straube (Hrsg.), Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Wien, 3. Aufl. 2003 ff Ströbele/Hacker Ströbele/Hacker/Thiering (Hrsg.), Markengesetz, Kommentar, Köln; 12. Aufl. 2018 Stumpf/Jaletzke/Bearbeiter Stumpf/Jaletzke, Der Vertragshändlervertrag, Heidelberg, 3. Aufl. 1997 Stüsser Stüsser, Die Anfechtung der Vollmacht nach Bürgerlichem Recht und Handelsrecht, Berlin 1986 Thiele Finanzaufsicht Thiele/von Keitz/Brücks/ Bearbeiter Thomas/Putzo/Bearbeiter

Thiele, Finanzaufsicht – Der Staat und die Finanzmärkte, Tübingen 2014 Thiele/von Keitz/Brücks (Hrsg.), Internationales Bilanzrecht, Bonn/Berlin, 46. Ergänzungslieferung Mai 2020 (Loseblatt) Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung: ZPO, München, 41. Aufl. 2020

Uhlenbruck/Bearbeiter

Hirte/Vallender (Hrsg.), Uhlenbruck, Insolvenzordnung: InsO, Kommentar, München, 15 Aufl. 2019 f. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht Kommentar, Köln, 12. Aufl. 2016

Ulmer/Brandner/Hensen/ Bearbeiter AGB-Recht Ulmer/Habersack Ulmer/Habersack/Löbbe/ Bearbeiter GmbHG Ulmer/Schäfer

Ulmer/Habersack, Verbraucherkreditgesetz, München, 2. Aufl. 1995 Ulmer/Habersack/Löbbe (Hrsg.), GmbH-Gesetz, Kommentar, 3 Bd., Tübingen, 2. Aufl. 2016 Ulmer/Schäfer, Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft: GbR PartG, München, 7. Aufl. 2017

Vater et al./Bearbeiter IFRS Änderungskommentar 2009 von Godin/Wilhelmi von Wysocki et al./Bearbeiter

Vater/Ernst/Hayn/Knorr/Mißler (Hrsg.), IFRS Änderungskommentar 2009, Weinheim 2009 von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, Kommentar, Berlin, 4. Aufl. 1971 Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann (Hrsg.), Handbuch des Jahresabschlusses (HdJ), Bilanzrecht nach HGB, EStG und IFRS, Köln, 74. Ergänzungslieferung April 2020 (Loseblatt) Vortmann Aufklärungspflichten Vortmann, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken, 12. Aufl. 2018 Wessel/Zwernemann/Kögel Fir- Wessel/Zwernemann/Kögel, Firmengründung, Heidelberg, 7. Aufl. 2001 mengründung Zöller/Bearbeiter ZPO Zöllner Wertpapierrecht

Zöller, Zivilprozessordnung: ZPO, Kommentar, Köln, 33. Aufl. 2020 Zöllner, Wertpapierrecht, München, 14. Aufl. 1987

XXVIII

ERSTES BUCH Handelsstand SIEBENTER ABSCHNITT Handelsvertreter § 89 [Kündigung des Vertrages] (1)

1

Ist das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, so kann es im ersten Jahr der Vertragsdauer mit einer Frist von einem Monat, im zweiten Jahr mit einer Frist von zwei Monaten und im dritten bis fünften Jahr mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. 2Nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren kann das Vertragsverhältnis mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden. 3Die Kündigung ist nur für den Schluß eines Kalendermonats zulässig, sofern keine abweichende Vereinbarung getroffen ist. (2) 1Die Kündigungsfristen nach Absatz 1 Satz 1 und 2 können durch Vereinbarung verlängert werden; die Frist darf für den Unternehmer nicht kürzer sein als für den Handelsvertreter. 2Bei Vereinbarung einer kürzeren Frist für den Unternehmer gilt die für den Handelsvertreter vereinbarte Frist. (3) 1Ein für eine bestimmte Zeit eingegangenes Vertragsverhältnis, das nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit von beiden Teilen fortgesetzt wird, gilt als auf unbestimmte Zeit verlängert. 2Für die Bestimmung der Kündigungsfristen nach Absatz 1 Satz 1 und 2 ist die Gesamtdauer des Vertragsverhältnisses maßgeblich.

Schrifttum Becker-Schaffner Die Änderungskündigung aus materieller und prozessualer Sicht, BB 1991, 129; ders. Zugang der Kündigung, BB 1998, 422; Boldt Zur vorzeitigen Kündigung eines Handelsvertreterverhältnisses, BB 1962, 906; Duden Kündigung von Tankstellenverträgen nach § 624 BGB, NJW 1962, 1326; Füssel Teilkündigung eines Handelsvertretervertrags, DB 1972, 378; Hess Können befristete Arbeitsverhältnisse vor Ablauf der Frist durch eine ordentliche Kündigung gelöst werden, BB 1954, 747; Gores/Podann Kündigung eines Vertrages, MDR 2018, 1032; Höft Zur Anwendung des § 89 Abs. 3 HGB, VersR 1973, 600; Hoß/Lohr Befristete Arbeitsverhältnisse, MDR 1998, 313; Küstner Die kündigungsrechtliche Behandlung von Handelsvertreterverträgen mit Verlängerungsklausel, BB 1973, 1239; ders. Handelsvertretervertrag mit Verlängerungsklausel, BB 1975, 195; Leo Rechtsfragen zur Kündigung des Handelsvertretervertrags, DB 1961, 1518; Lohr Kündigung des Arbeitsvertrags – Zurückweisung wegen fehlender Vollmacht, MDR 2000, 620; Maier Kündigung des Handelsvertretervertrags wegen Alters oder Krankheit, BB 1978, 940; Pauly Hauptprobleme der Änderungskündigung, DB 1997, 2378; Preis/Stoffels Die Inhaltskontrolle der Verträge selbständiger und unselbständiger Handelsvertreter, ZHR 160 (1996), 442; Schmidt Die Änderungskündigung nach den neuen Vorschriften des KSchG NJW 1971, 684; Schnitzler Teilkündigung eines Handelsvertretervertrags, MDR 1959, 170; Schröder Änderung der Vertragsbedingungen und Ausgleichsanspruch im Handelsvertreterverhältnis, DB 1958, 975; ders. Handelsvertreterverhältnisse auf „Probe“, DB 1966, 2007; ders. Kündigung von Handelsvertreterverträgen mit Verlängerungsklausel, BB 1974, 298; ders. Handelsvertreterverträge auf bestimmte Zeit, Festschrift für Hefermehl 1976, 113; Schwytz Mindestkündigungsfristen bei Beendigung von Vertragshändlerverträgen, BB 1997, 2385; Ulmer Kündigungsschranken im Handels- und Gesellschaftsrecht, Festschrift für Möhring, 1975, 295; Weimar Kann die Kündigung eines Handelsvertretervertrags wegen Sittenverstoßes nichtig sein, MDR 1959, 986; v. Westphalen Vertragshändlerverträge außerhalb der EG-VO 1475/95 und des Instrumentariums der richterlichen Inhaltskontrolle von AGB-Klauseln, Freundesgabe für Jürgen Gündisch, 1999, S. 70 (zitiert FG Gündisch).

Übersicht 1

A.

Übersicht

B.

Genese und europarechtliche Präforma3 tion

C.

Zweck

4

1 https://doi.org/10.1515/9783110744385-001

D.

Endigungsgründe für das Handelsvertreterverhältnis 5

I.

Änderungskündigung

II.

Anfechtung

7

8

Emde

§ 89

1. Buch. Handelsstand

III.

Arbeitsunfähigkeit

9

IV.

Aufhebungsvertrag

10

V.

Auflösende und aufschiebende Bedin13 gung

VI.

Befristung

II.

Auf unbestimmte Zeit eingegangen/Vertrag mit 57 bestimmter Laufzeit

III. 1.

63 Absatz 3/Kettenverträge Abs. 3: Einverständlich unbefristet fortgesetztes 64 Vertragsverhältnis Einverständlich befristet fortgesetztes Vertrags66 verhältnis

2. 20 21

VII. Betriebsveräußerung oder -einstellung

VIII. Auflösung und Vollbeendigung einer Handels22 vertretergesellschaft IX.

X. 1.

2.

XI.

Höchstalter als vereinbarter Endzeit23 punkt

36

Mehrstufige Vertreterverhältnisse

XII. Probezeit

37

XIII. Teilkündigung

38

Maßgebliche Vertragsdauer

VI.

Kündigungserklärung („gekündigt wer76 den“) 77 Form 78 Inhalt 78 a) Klarheit b) Begründung der Kündigung und weitere In80 haltsanforderungen c) Folgen der mangelnden Wahrung der Wirk81 samkeitserfordernisse d) Umdeutung der ordentlichen in eine außer83 ordentliche Kündigung? e) Prozessuale Auslegung der Kündigungser84 klärung

44

XVI. Wegfall der Geschäftsgrundlage

VIII. Wirkung der Kündigung IX. 1. 2. 3.

Absätze 1 und 3

I. 1. 2.

47 Vertragsverhältnis Persönlicher Anwendungsbereich Sachlicher Anwendungsbereich 54 a) Überblick 55 b) Faktischer Vertrag Kündigung vor Vertragsbeginn

86

91 Freistellung des Mittlers 92 Freistellungserklärung 93 Zulässigkeit der Freistellung Wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündi94 gung Rechtsstellung des HV nach berechtigter Frei95 stellung 98 Unberechtigte Freistellung

X.

„Rücknahme“ und Anfechtung der Kündi99 gung

XI.

Fortsetzung eines beendeten Vertragsverhältnis100 ses

46

47

E.

75

VII. Regelmäßige Kündigungswirkung zum Schluss 85 eines Kalendermonats

5.

XV. Übertragung der Vertretung auf einen Nachfol45 ger

Emde

V.

4.

XIV. Tod des Handelsvertreters

3.

Fristen

1. 2.

Insolvenz des Mittlers oder des Unterneh24 mers 24 Insolvenz des Unternehmers a) Fortsetzung des Vermittler-Vertrages nach 25 Eröffnung des Insolvenzverfahrens b) Schicksal des Mittlervertrages im Insolvenz28 antragsverfahren aa) Fortbestehen im Insolvenzantragsver28 fahren 29 bb) Kündigung durch den Mittler 31 Insolvenz des Mittlers a) Fortbestand des Mittlervertrages in dessen 31 Insolvenz? 32 b) Kündigung des Mittler-Vertrages c) Verbraucherinsolvenzverfahren und Rest34 schuldbefreiung 35 d) Insolvenzschutz nach BetrAVG?

72

IV.

47 54

56

XII. Ausschluss und Begrenzung des Kündigungs101 rechts 102 1. Verwirkung, Verzicht 105 2. Schikane- oder Vergeltungskündigung 106 3. Kündigung zur Unzeit 107 4. § 19 GWB 5. Folgen erheblicher Investitionen – Investitions108 schutz und Investitionsersatzanspruch 118 6. Widersprüchliches Verhalten

2

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

XIII. Folgen der Vertragsbeendigung

119

VI.

§ 92c

§ 89

140

F.

Abs. 2 und sonstige abweichende Vereinba120 rungen

VII. Rechtsfolgen unzulässiger Vereinbarun141 gen

I.

Kündigungsausschluss oder Kündigungser120 schwernisse

G.

Keine „stille“ Kündigung ohne Kündigungs142 erklärung

II.

Absatz 2: Verlängerung und Verkürzung der Kündigungsfristen – zwingende Natur 133 des § 89

H.

Zulässige Länge von Vertriebsverträ143 gen

I.

Beweislast

III.

§ 89 Abs. 2 S. 1: Keine kürzere Kündigungsfrist 137 für den Unternehmer als für den HV

J.

Steuerrecht

K.

Ausländisches zwingendes Recht

IV.

Vereinbarungen zum Kündigungsendter138 min

V.

§ 92b

146 147 148

139

A. Übersicht § 89 regelt die ordentliche Kündigung des auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen oder in Anleh- 1 nung an § 625 BGB zunächst auf bestimmte Zeit fest abgeschlossenen und nach Ablauf dieser Zeit von beiden Parteien einvernehmlich fortgesetzten HV-Vertrages als weniger dramatisches Gegenstück zur außerordentlichen Kündigung des § 89a. Die vor der Novelle 1989 sogar noch kürzeren (Rn 3) Fristen des § 89 bildeten ursprünglich gegenüber den für Arbeiter und Angestellte nach §§ 621–623 BGB1 geltenden überwiegend eine Privilegierung, jedenfalls aber keine erhebliche Schlechterstellung. Heute bewirken sie im Vergleich zu den für Angestellte maßgeblichen Fristen eine Benachteiligung des meist als „Einpersonenunternehmen“ tätigen HV, die mit seiner oft durch wirtschaftliche Abhängigkeit begrenzten Selbständigkeit nur unzureichend erklärt werden kann. Ihre Kürze bedroht erheblich die wirtschaftliche Grundlage jedes HV, gleich ob es sich um einen großen oder kleinen HV handelt. Eine langfristige Planung ist mit diesen Fristen unmöglich, der Unternehmer kann mittels Kündigungsandrohung erheblichen Druck auf den auf den Vertrag angewiesenen Vertriebsmittler2 ausüben. Der Ausgleichsanspruch als „kleiner Kündigungsschutz“ bietet nur geringe Linderung, zumal seine TB-Voraussetzungen nicht immer gegeben sein müssen. Wohl daraus resultiert(e) das Bestreben der Rspr. oder der bis 2013 gültigen Kfz-GVO 1400/02, die Kündigungsfristen in investitionsintensiven Branchen – etwa im Kfz-Vertriebsrecht – zu verlängern. Bei HV-ähnlichen Dauerschuldverhältnissen mit Investitionsbedarf sieht der BGH heute eine Kündigungsfrist zwischen sechs Monaten3 und einem Jahr4 (Vertragshändlervertrag mit erheblichem Investitionsbedarf) als angemessen an. § 89 trifft für beide Parteien geltende Regelungen zur ordentlichen Kündigung des HV-Vertra- 2 ges in allen ihren Formen, einschließlich der Änderungskündigung und – soweit zulässig – der Teilkündigung.5 Bei Ausübung von Weisungs- und Dispositionsrechten (soweit zulässig), 1 Bei nach Monaten bemessener Vergütung war gem. § 621 BGB a. F. eine Kündigung zum Schluss eines Kalendermonats möglich, die bis zum 15. eines Monats erklärt werden musste. Gegenüber Angestellten höherer Art, etwa Lehrern, lautete die Kündigungsfrist 6 Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 622 BGB a. F.). 2 Martinek ZVertriebsR 2012, 2 (7). 3 BGH, Urt. v. 20.7.2006 – III ZR 145/05, MDR 2007, 258 (Belegarzt). 4 BGH BB 1995, 1657; zust. Niebling WRP 2011, 1518 (1522). 5 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 21. 3

Emde

§ 89

1. Buch. Handelsstand

selbst wenn sie die vertraglich vorbehaltene Befugnis zur Änderung einzelner Vertragsbedingungen zum Inhalt hat,6 müssen die Fristen des § 89 nicht eingehalten werden. Sie sind nur zu beachten, wenn die Dispositionsmaßnahme der Wirkung einer Vertragsbeendigung gleichkommt (§ 86a Rn 99). Nach einer Kündigung hat der HV grundsätzlich keinen Anspruch auf Neuabschluss des Vertrages, sofern dies nicht vereinbart wurde7 oder § 19 GWB einen Kontrahierungszwang gibt (siehe Kommentierung zu Vor § 84). Ausnahmsweise kann ein Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 242 BGB bestehen.8 Beispiel: VV bei neuer Tarifstruktur.9 Die unberechtigte ordentliche Kündigung kann gem. § 280 BGB schadensersatzpflichtig machen.10

B. Genese und europarechtliche Präformation 3 § 89 gewann seine heutige Fassung durch Gesetz vom 23.10.1989. Es setzte die Vorgaben der Art. 14, 15 RL um und verlängerte die Kündigungsfristen (Abs. 1), schränkte die Möglichkeiten abweichender Vereinbarungen ein (Abs. 2) und nahm die Kündigungsregelung für ein auf bestimmte Zeit eingegangenes und dann einvernehmlich fortgesetztes Vertragsverhältnis neu auf (Abs. 3). Vor der Gesetzesänderung durfte der Vertrag in den ersten drei Jahren der Vertragsdauer nur mit einer Frist von sechs Wochen für den Schluss eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Wurde eine andere Kündigungsfrist vereinbart, so musste sie mindestens einen Monat betragen; es durfte nur für den Schluss eines Kalendermonats gekündigt werden. Nach einer Vertragsdauer von drei Jahren durfte das Vertragsverhältnis nur mit einer Frist von mindestens drei Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres gekündigt werden (Abs. 2). Eine vereinbarte Kündigungsfrist musste für beide Teile gleich sein; bei Vereinbarung ungleicher Fristen galt für beide Teile die längere Frist (Abs. 3). § 89 entspricht nun weitgehend dem europarechtlichen Vorbild des Art. 15 RL. Art. 15 Abs. 2 RL schreibt im ersten Vertragsjahr eine Kündigungsfrist von einem Monat, ab dem angefangenen zweiten Vertragsjahr zwei Monate sowie ab dem dritten Vertragsjahr drei Monate vor. Gem. Art. 15 Abs. 3 RL ist es den Vertragsstaaten jedoch gestattet, ab dem vierten Vertragsjahr eine Kündigungsfrist von vier Monaten, ab dem fünften Vertragsjahr von fünf Monaten und ab dem sechsten Vertragsjahr von sechs Monaten vorzuschreiben. Deutschland hat den Schritt des vierten und fünften Vertragsjahres nicht übernommen und nimmt dabei im europäischen Schutzniveau eine Mittelstellung ein.11 § 89 Abs. 3 S. 1 entspricht Art. 14 RL. Damit wurde gegenüber der früheren Regelung das Schutzniveau erhöht, was dem Ziel der RL entsprach.

C. Zweck 4 Die Kündigungsfristen sollen dem HV Schutzfristen gewähren, damit er sich rechtzeitig für die Zeit nach Vertragsbeendigung auf eine Tätigkeit für ein oder mehrere andere Unternehmer oder auf anderen Geschäftsfeldern umstellen kann.12 In gleicher Weise schützt die Frist den Unternehmer, der ein Interesse daran hat, nicht plötzlich und ohne Umstellungsfrist ohne Vertriebsmittler dazustehen, ohne den Vertrieb rechtzeitig neu organisieren zu können.13 Die Fristen sind als Kompromiss zwischen den Interessen des Unternehmers und des HV konzipiert, wobei die 6 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9b. 7 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 12. 8 Hopt § 89 Rn 17. 9 BGH WM 1992, 311. 10 OLG Köln, Urt. v. 30.9.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408); Hopt § 89 Rn 16. 11 Westphal EWS 1996, 43 (47). 12 BGH NJW-RR 2002, 1554 (1555); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 4. 13 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 4. Emde

4

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89

Begr. z. RegE14 darauf verweist, auch der HV könne Interesse an kürzeren Fristen haben und zugunsten des Unternehmers berücksichtigt werden müsse, dass ein gekündigter HV nicht mehr mit gleichem Einsatz werbe (weshalb die Fristen nicht zu lang sein dürften).

D. Endigungsgründe für das Handelsvertreterverhältnis Die Vielfalt der Gründe, aus denen das HV-Verhältnis möglicherweise enden kann, ist für das 5 HV-Recht von Interesse hauptsächlich für den Ausgleichsanspruch des § 89b, in geringerem Umfange daneben noch für das nachvertragliche Wettbewerbsverbot des § 90a, und allenfalls für den Schadensersatzanspruch aus § 89a Abs. 2. Üblicherweise enden HV-Verträge entweder durch Kündigung – ordentliche des § 89 oder außerordentliche des § 89a – oder bei Befristung infolge Zeitablaufs, wobei die Befristung häufig mit einer Fortsetzungsklausel verbunden wird. Insoweit besteht, soweit die zwingenden Kündigungsfristen beachtet werden, weitgehende Vertragsfreiheit und es ist bezeichnend, welche Mühe die Parteien bereits vor Vertragsbeginn auf die Bestimmung der Umstände der Vertragsbeendigung in der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung legen. 6 Beispielhaft sind folgende Endigungsgründe zu nennen:

I. Änderungskündigung Eine Änderungskündigung enthält im Zweifel die unbedingte,15 ordentliche, keiner Begrün- 7 dung16 oder Rechtfertigung17 bedürftige Kündigung des bestehenden Vertrages, verbunden mit dem ggf. nachfolgenden Antrag (zunächst oft nur als Letter of Intent) auf Abschluss eines neuen, geänderten Vertrags.18 Durch den unbedingten Willen des Kündigenden zur Beendigung des Gesamtvertrages unterscheidet sie sich von der Teilkündigung (siehe dort) oder dem bloßen Angebot auf Vertragsänderung.19 Die Änderungskündigung kann auch konkludent erklärt werden.20 So mag etwa eine die Tätigkeit des HV einschränkende „Weisung“ rechtstechnisch als Änderungskündigung verstanden werden.21 Schweigen auf die Änderungskündigung bedeutet keine Zustimmung zu dem angebotenen neuen Vertrag.22 Der Gekündigte muss ihr weder widersprechen noch das Vertragsangebot annehmen.23 Die Änderungskündigung steht zwar nicht gem. § 2 KSchG analog unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Überprüfung. Jedoch kann der Mittler die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Feststellung ihre Wirksamkeit annehmen;24 das mit der Änderungskündigung verbundene Angebot auf Abschluss eines Neuvertrages würde im Zweifel gem. § 139 BGB von der Feststellung der Unwirksamkeit erfasst.25 14 15 16 17 18

Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 31. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 79; aA Stötter S. 157. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 24. BGH ZIP 2000, 138 (140). BGH ZIP 2000, 138 (140); Schlegelberger/Schröder DB 1958, 975; Pauly DB 1997, 2378; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 52; zum Arbeitsrecht Hoss MDR 2000, 562. 19 OLG Köln VersR 1989, 1142; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 24. 20 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 86. 21 OLG Stuttgart BB 1965, 926; Hopt § 89 Rn 17. 22 BGH, Urt. v. 24.10.1955 – II ZR 216/54, BB 1955, 1009; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 86; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 26; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 52. 23 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 26. 24 Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 325. 25 Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 325. 5

Emde

§ 89

1. Buch. Handelsstand

II. Anfechtung 8 Zur Anfechtung s. Kommentierung zu § 84.

III. Arbeitsunfähigkeit 9 Der Vertrag endet nicht durch die Arbeitsunfähigkeit des Mittlers.26 Es bedarf einer Kündigung.

IV. Aufhebungsvertrag 10 Der HV-Vertrag kann durch einen jederzeit möglichen, frei aushandelbaren, nicht an die Einhaltung von Kündigungsfristen noch an sonstige im Arbeitsrecht geltende Beschränkungen gebundenen27 Aufhebungsvertrag beendet werden.28 Ein solcher Vertrag unterliegt keiner Form,29 er kann ggf. konkludent geschlossen werden.30 Insb. ist § 623 BGB unanwendbar.31 Die Vereinbarung löst wegen des Fehlens eines Verbrauchergeschäfts kein Widerrufsrecht nach den §§ 355, 312 ff. BGB aus.32 Zum Verhältnis zu § 89b Abs. 4 S. 1 s. Kommentierung zu § 89b. Die zwingende Natur des § 89 (Rn 120) steht der Aufhebungsvereinbarung nicht entgegen. 11 Denn nur die Kündigung muss die Fristen des Abs. 1 wahren, nicht eine beiderseitige Vereinbarung.33 Es besteht insoweit auch kein Schutzbedürfnis, welches zu einer Erstreckung des Derogationsverbots auf den Aufhebungsvertrag führen könne. Denn keine Partei ist gezwungen, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Ein wirtschaftlicher Druck wie zum Zeitpunkt des Abschlusses des HV-Vertrages, der dazu führen kann, dass die wirtschaftlich unterlegene Partei sich auf eine Abbedingung der Kündigungsfristen einlassen würde, besteht vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages typischerweise nicht. Eine einverständliche Aufhebung des HV-Vertrages liegt auch vor, wenn das Vertragsverhältnis umgewandelt wird: in ein Verhältnis auf der Basis eines nunmehr angestellten Reisenden,34 eines Anstellungsvertrages unter Betreuung mit sonstigen Aufgaben in der Organisation des Unternehmens oder einer Tätigkeit als (nur noch) nebenberuflicher HV (§ 92b). Aufhebungsverträge, die unter Verstoß gegen das aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB herzuleitende Gebot fairer Verhandlung zustande kommen, sind automatisch unwirksam.35 Das wird man mglw. auf den Bereich vertriebsrechtlicher Aufhebungsvereinbarungen übertragen können. Formulierungshilfen gibt Mann.36 Sinnvoll kann eine erläuternde Präambel sein.37 Enthält die Aufhebungsvereinbarung Regelungen zum nachvertraglichen Wettbewerbsver-

26 OLG Braunschweig NJW-RR 1994, 35; Hopt § 84 Rn 42. 27 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 13. 28 Siehe BGHZ 24, 214; BGH VersR 1963, 556; OLG Nürnberg BB 1959, 318; Flohr/Liesegang ZVertriebsR 2018, 351 (353); Mann ZVertriebsR 2017, 25; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 22; Hopt § 89 Rn 9; Oetker/ Busche6 § 89 Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 13. 29 Mann ZVertriebsR 2017, 25; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 26. 30 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 14 f. 31 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 13. 32 Mann ZVertriebsR 2017, 25. 33 Mann ZVertriebsR 2017, 25 (26); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 24; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 13. 34 Fall BAG NJW 1958, 1365 – Vorinstanz: BB 1957, 1275; Winterberg DB 1958, 521, 1163; Neflin DB 1958, 579. 35 BAG, Urt. v. 7.2.2019 — 6 AZR 75/18, s. dazu auch LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. 19.5.2020 — 5 Sa 173/19. 36 Mann ZVertriebsR 2017, 25. 37 Mann ZVertriebsR 2017, 25. Emde

6

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89

bot, sind die zwingenden Bestimmungen des § 90a zu beachten.38 Zu empfehlen sind zudem eine Kostenregelung, eine Gerichtsstandvereinbarung, eine Rechtswahlklausel sowie eine salvatorische Klausel.39 Von der Vertragsaufhebung zu unterscheiden ist die bloße Fortsetzung des bisherigen 12 HV-Vertrages zu geänderten Bedingungen. Hier ist das HV-Verhältnis als solches nicht beendet. Vielmehr ist von einer Fortsetzung des bisherigen Vertrages auszugehen, nur zu geänderten Bedingungen. Paradigma ist der Änderungsvertrag, bei welchem lediglich einzelne Regelungen des HV-Vertrages ersetzt werden. Das ist wichtig für den Ausgleichsanspruch40 (§ 89b Rn 103 ff.). Denn bei Vertragsfortsetzung entsteht kein Ausgleichsanspruch. Auf die Frage, ob im Altvertrag erworbene Ausgleichsanwartschaften in den Neuvertrag überführt werden, kommt es beim Änderungsvertrag nicht an. Anders liegt es in Fällen, in denen eine Änderungskündigung des Unternehmers ausgesprochen wird, mit der erreicht werden soll, dem HV abweichend von vertraglichen Festsetzungen den zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis zu verkleinern oder den Provisionssatz herabzusetzen, und daraufhin eine Vertragsänderung zu diesen eingeschränkten Konditionen zwecks Vermeidung der Änderungskündigung zustande kommt. Gleiches gilt für Konstellationen, in denen einverständlich eine vollkommene Vertragsauswechslung gewollt ist. Diese Fälle unterscheiden sich von denen der Vertragskontiunität, indem als notwendiges Zwischenstadium die vollständige Vertragsbeendigung gewollt ist. Die Abgrenzung erfolgt nach §§ 133, 157 BGB, wobei die Zahl der geänderten Regelungen und ihre Gravität eine Rolle spielt. Nur soweit infolge der Vertragsbeendigung Provisionen entgehen, kann nach der Änderungskündigung ein Ausgleichsanspruch entstehen; von einem Übergang der Ausgleichsanwartschaften ist im Regelfall auszugehen.

V. Auflösende und aufschiebende Bedingung Der Eintritt einer auflösenden Bedingung als Endigungsgrund darf vereinbart werden,41 13 etwa: Erreichen einer Altersschwelle,42 Übernahme in den Öffentlichen Dienst, Wegzug ins Ausland, Anklage wegen einer Steuerstraftat (insb. bei Unternehmern, welche Aufträge von der öffentlichen Hand erhalten), Bestand eines Parallelvertrages,43 Tod oder Ausscheiden des Gesellschafters oder Geschäftsführers einer HV-Gesellschaft.44 Beiden Parteien eher gerecht wird die der Parteidisposition unterliegende Kündigung,45 welche eine „automatische“ Vertragsbeendigung verhindert und es ermöglicht, im Einzelfall über das Vertragsende zu entscheiden. Sie verhindert ferner, dass eine Partei durch bewusstes Herbeiführen der Bedingung das Vertragsende erreichen kann, wobei der Unternehmer für die Unbeachtlichkeit des Bedingungseintritts nach §§ 162, 242 BGB beweispflichtig wäre.46 Die Vereinbarung einer Bedingung überhebt der Notwendigkeit einer Kündigung; doch wird stets zu prüfen sein, ob

38 39 40 41

Mann ZVertriebsR 2017, 25 (29). Mann ZVertriebsR 2017, 25 (29/30). BGH NJW 1967, 248. BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII 2R 188/19, WM 2020, 2386; Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 483; Canaris § 17 Rn 97; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 18; Hopt § 89 Rn 2; Oetker/Busche6 § 89 Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 11. 42 BGH, Urt. v. 6.2.1969 – VII ZR 125/66, VersR 1969, 445; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 18. 43 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 18. 44 BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII 2R 188/19, WM 2020, 2386; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 38. 45 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 485. 46 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 19. 7

Emde

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nicht in Wahrheit die vertragliche Festlegung eines zur fristlosen Kündigung berechtigenden Umstandes gemeint ist.47 Das mag der Fall sein, wenn der zur Kündigung berechtigende TB hinsichtlich des „Ob“ der Kündigung bedeutsamen Beurteilungsspielraum offenlässt, und er deshalb typischerweise unter die wichtigen Gründe für eine fristlose Kündigung gerechnet wird (Gegenbeispiele: ungenehmigte Übernahme einer Teilzeitarbeit im Angestelltenverhältnis; Teilung der Agentur unter Verlegung der Hauptniederlassung außerhalb des zugewiesenen Bezirks, Abwerbung von Personal bei einer Zulieferfirma des Unternehmers). Spiegelbildlich kann im Einzelfall ein Kündigungsrecht als auflösende Bedingung zu verstehen sein.48 Bei auflösenden Bedingungen ist darauf zu achten, dass die Investition des Mittlers nicht übermäßigen Gefährdungen ausgesetzt werden.49 Immer ist zu prüfen, ob der gesetzliche Kündigungsschutz umgangen wird.50 So ist das 14 Verhältnis der auflösenden Bedingung zu §§ 89, 89a ungeklärt. Denkbar sind drei Varianten: 1.: Die eine auflösende Bedingung regelnde Klausel wird nur anhand der §§ 134, 138, 242, 823 ff. BGB geprüft. 2.: Die Bedingung ist unwirksam, falls die auflösende Bedingung vor Ablauf der in § 89 geregelten Kündigungsfristen eintreten soll und nicht zugleich die Anforderungen an einen wichtigen Grund i. S. d. § 89a erfüllt. 3.: Die gesetzlichen Kündigungsfristen werden im Wege ergänzender Vertragsauslegung „hinzugedacht“, der Vertrag endet bei Eintritt der auflösenden Bedingung erst nach Ablauf der Mindestkündigungsfristen des § 89. Argument für 1.: Der Vertragspartner weiß von vornherein, dass der Vertrag bei Bedingungseintritt endet; ein Spannungsverhältnis zu § 89 wegen Umgehung der Kündigungsfristen besteht zumindest nicht, wenn der Vertrag länger als die anwendbare Kündigungsfrist lief. Ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand des Vertrages wird nicht gesetzt; die Unsicherheit über das „Ob“ einer außerordentlichen Kündigung fehlt, da der Vertrag automatisch, d. h. „sicher“, endet. Es ist nicht in das Belieben des Kündigungsberechtigten gestellt, ob von dem wichtigen Grund i. S. d. § 89a Gebrauch gemacht wird. Ebenso wie eine ähnlich wirkende Befristung (Rn 20) wäre die auflösende Bedingung zulässig. Argument für 2.: Wichtige Kündigungsgründe dürfen konkretisiert, aber nicht abweichend von § 89a neu bestimmt werden. Ich habe eine gewisse Präferenz für die Variante 1. Denn sie entspricht der Konzeption des § 158 BGB, ohne im HV-Recht Besonderheiten zu konstruieren. Der Vertragspartner weiß zudem, ähnlich der Befristung, seit Vertragsschluss unter welcher Bedingung der Vertrag endet. 15 Allerdings kann durchaus darüber diskutiert werden, ob durch eine auflösende Bedingung die zwingenden Fristen des § 89 umgangen werden, sofern die auflösende Bedingung ein früheres Vertragsende zulässt.51 Erfüllt die Bedingung zugleich die Anforderungen an einen wichtigen Grund, bestehen im Hinblick auf § 89a gegen ihre Zulässigkeit keine Bedenken,52 sofern der Kündigende analog § 314 BGB vorher abmahnt (s. u.). Werden auflösende Bedingungen unterhalb der Schwelle eines wichtigen Grundes definiert, ist dies nur zulässig, wenn dafür – objektiv – ein anerkennenswertes Interesse gegeben ist.53 Dies wird wohl nur bei objektiv anknüpfbaren Umständen und keiner Wertung zugänglichen, von subjektiven Einschätzungen einer Partei abhängigen Beendigungsgründen der Fall sein. So kann ein anerkennenswertes Interesse daran bestehen, etwa das Nichterreichen bestimmter Umsatzschwellen binnen eines Zeitraums als auf-

47 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 1d. 48 BayObLG NJW-RR 1990, 87; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 18; Staudinger/Bork Vor §§ 158–163 Rn 10.

49 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 484. 50 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 12; vgl. LAG Berlin MDR 1998, 293. 51 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 12 fordert deshalb die Prüfung, ob Kündigungsbeschränkungen umgangen werden.

52 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 19. 53 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 19. Emde

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lösende Bedingung zu regeln, sofern die geregelten Zahlen realistischer Weise erreichbar sind.54 Die mglw. geringere Eingriffsschwelle gegenüber dem wichtigen Grund nach § 89a wird man angesichts der Vorhersehbarkeit bei Vertragsschluss bei hinreichender Transparenz der Auflösungsbedingungen, objektivem Interesse sowie Anknüpfung an objektive Umstände hinnehmen können, soweit keine Knebelung nach § 138 BGB eintritt. Die Ausgleichsausschlussgründe des § 89b Abs. 3 sind im Falle der Bedingung analog anzuwenden.55 Relevant wird das Problem etwa im Falle der Vereinbarung, bei Nichterreichen eines bestimmten Umsatzziels ende der Vertrag automatisch.56 Sollte der Vertrag grundsätzlich unbefristet laufen und nur ausnahmsweise in dieser Weise durch auflösende Bedingung enden, besteht das o. g. genannte Spannungsverhältnis zu §§ 89, 89a.57 Unter Umständen kann aus Vertrauensschutzgesichtspunkten und zur Warnung eine Abmahnung analog § 314 BGB gefordert sein, ehe sich der Vertragspartner auf die Wirkungen einer auflösenden Bedingung berufen darf.58 Die Gründe sind die gleichen, welche schon vor Wirksamwerden des § 314 BGB die Rspr. dazu leitete, eine Abmahnung zu fordern. Dies gilt insb. bei Vertriebsverträgen mit ihren engen Treupflichten und dann, wenn die Bedingung an ein steuerbares Verhalten des Vertragspartners geknüpft wird. Unter Umständen greifen die Grundsätze des Investitionsersatzanspruches (Rn 108 ff.) ein.59 Weiter muss der Auflösungsgrund klar, transparent und vorhersehbar bestimmt werden (bei AGB: Transparenzgebot), damit die Folgen für den Vertragspartner schon bei Vertragsschluss vorhersehbar sind60 (woran es bei den o. g., einer Wertung zugänglichen subjektiven Auflösungsgründen meist fehlt). Ist die Vereinbarung einer Bedingung unwirksam, gelten die gesetzlichen Regelungen, insb. § 89.61

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VI. Befristung Eine Befristung des HV-Vertrages ist, anders als im Arbeitsrecht, ohne sachliche Begründung 20 jederzeit zulässig.62 Allerdings muss der Zeitraum der Befristung mindestens die Kündigungsfristen des § 89 erreichen. Beispielhaft zu nennen sind befristete Probeverträge und die sog. kommissarische Übertragung einer Vertretung durch einen bereits für einen anderen Bezirk oder anderen Kundenkreis tätigen HV, der vorübergehend einen vakanten Bezirk übernimmt. Die kommissarische Betrauung pflegt mit gesondertem Vertrag zu geschehen. Im Gegensatz zur aufschiebenden Bedingung ist der Vertrag zwischenzeitlich in Vollzug. Soll ein HV-Vertrag mit der Vollendung des 65. Lebensjahres enden, wird diese Altersbeschränkung nicht auf die aktuell geltenden Altersgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung verlängert.63 Die Klausel ist auch nicht gem. § 307 BGB, wegen Verstoßes gegen das AGG oder analog § 41 S. 2 SGB VI unwirksam.64

54 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 484; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 19; aA (Umgehung des § 89): MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 12. 55 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89b Rn 258. 56 Oetker/Busche6 § 89 Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 12. 57 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 19. 58 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 20. 59 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 21. 60 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 19. 61 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 12. 62 OLG München, Beschl. v. 29.3.2017 – 7 U 4410/16, ZVertriebsR 2017, 242; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 7. 63 OLG München, Beschl. v. 29.3.2017 – 7 U 4410/16, ZVertriebsR 2017, 242 Rn 9. 64 OLG München, Beschl. v. 29.3.2017 – 7 U 4410/16, ZVertriebsR 2017, 242 Rn 10/11/14. 9

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VII. Betriebsveräußerung oder -einstellung 21 Die Veräußerung des Betriebs des Unternehmers65 führt das Ende des HV-Vertrages nicht herbei, so wenig wie die Veräußerung der Agentur durch den HV oder die Betriebseinstellung66 durch eine Vertragspartei. Der Veräußernde muss, der Vertragspartner kann den Vertrag kündigen. Ein automatischer Übergang des Vertrages auf den Betriebsnachfolger findet nicht statt. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 613a BGB nicht gegeben.67 Jedoch kann ein Eintritt des Unternehmensnachfolgers in das Vertragsverhältnis vereinbart werden.68 .Je nach den Umständen des Sachverhalts können diese Umstände einen Grund für eine fristlose Kündigung bilden.69

VIII. Auflösung und Vollbeendigung einer Handelsvertretergesellschaft 22 Die Auflösung einer Vertretergesellschaft (GmbH, oHG, KG) hat ebenfalls nicht die Beendigung des mit ihr geschlossenen HV-Vertrages zur Folge.70 Sie steht dem Tode einer natürlichen Person nicht gleich, weil die aufgelöste Gesellschaft zunächst noch fortbesteht, wenn auch nur als Liquidationsgesellschaft, und unter Umständen wieder zur Vollgesellschaft erstarken kann. Anders die wohl h. M.: Sie wendet die §§ 673, 675 BGB nicht nur im Falle des Todes des HV, sondern auch im Fall der Auflösung der HV-Gesellschaft an und vertritt, der HV-Vertrag ende entsprechend §§ 673, 675 BGB bereits bei Auflösung.71 Diese seit mehr als hundert Jahren eingenommene Ansicht ist abzulehnen. Denn die Gesellschaft besteht als eine ggf. werbende Liquidationsgesellschaft fort72 und wird als solche regelmäßig von den bisherigen Geschäftsführern liquidiert. Das liegt nicht nur im Interesse der Gesellschaft, sondern ist auch Pflicht gegenüber dem Unternehmer, der Klarheit darüber gewinnen muss, wann er welche Dispositionen aus Anlass der Liquidation seines Vertragspartners zu treffen hat. Die §§ 673, 675 BGB sind auf die natürliche Person bezogene Sonderregeln, die nur mit Vorsicht analog auf eine juristische Person anzuwenden sind.73 Sie sollen, da der im Erbfall gem. §§ 1922, 1967 BGB eintretende Übergang des HV-Vertrages regelmäßig sowohl dem Willen des Unternehmers wie des Erben widersprechen dürfte, den Übergang des HV-Vertrages auf den Erben verhindern.74 Die Auflösung einer Gesellschaft ist mit dem Tod einer natürlichen Person unvergleichbar.75 Wegen der zwischen Gesellschaft und Liquidationsgesellschaft bestehenden Identität von Personal- und Sachmitteln sind bei Auflösung der Gesellschaft weder jene noch der Unternehmer in einer dem Erbfall vergleichbaren Weise schutzwürdig. Die Liquidatoren haben daher den HV-Vertrag im Wege der ordentlichen Kündigung zu been-

65 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 45; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 27.

66 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 44; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8; Hopt § 89 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 26. BGH NJW 1963, 101. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 48. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 27. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 21. Schuler JR 1957, 44 (47); Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41; wohl auch Ahle DB 1963, 227 (228/229). 72 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 198; Emde GmbHR 1999, 1005 (1016). 73 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 198. 74 Mugdan II S. 307. 75 BGHZ 84, 379 (380); Emde Die Handelsvertreter-GmbH S. 198.

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den.76 Würden die Liquidatoren die Kündigung verzögern, könnten sie im Einzelfall dem Unternehmer einen Grund geben, wegen (insoweit) schuldhafter Verletzung der dem HV obliegenden Pflichten aus wichtigem Grunde seinerseits zu kündigen, sofern die Gesellschaft ihren Vertragspflichten nicht mehr nachkommen kann. Unterlassen die Liquidatoren die Kündigung, so endet der Vertretervertrag mit der Vollbeendigung der Gesellschaft.77 Zudem darf der Unternehmer nach § 89a kündigen, falls ihm die Vertragsfortführung mit einer Liquidationsgesellschaft unzumutbar ist.78 War der HV eine Personenhandelsgesellschaft (oHG, KG), so kommt es darauf an, ob und ggf. wem von den Gesellschaftern der HV-Vertrag die Wahrnehmung der eigentlichen HV-Tätigkeit übertragen hatte. Eine Auslegung kann ergeben, dass der Vertrag mit einem Gesellschafter fortbestehen soll.79 Immerhin werden Unternehmer und Liquidator, bevor sie den HV-Vertrag fristlos kündigen, zweckmäßigerweise abwarten dürfen, ob die aufgelöste Gesellschaft nicht dennoch fortgeführt (§§ 134, 144) oder als zweigliedrige von einem der beiden Gesellschafter übernommen wird. Ist dann der mit der HV-Tätigkeit beauftragt gewesene Gesellschafter in der Gesellschaft verblieben bzw. führt er die bisher handelsgesellschaftliche Agenturfirma allein fort, so kann der HV-Vertrag weiterlaufen (woran der Unternehmer durchaus ein Interesse haben mag80). Ist er es nicht, so wird die Gesellschaft dem Unternehmer einen anderen, geeigneten Gesellschafter für die vakant gewordene Funktion vorzuschlagen haben. Rechtsform-,81 Gesellschafterwechsel, Spaltung,82 Verschmelzung83 oder Tod eines Gesellschafters84 beenden das Vertragsverhältnis nicht, sofern dies nicht als auflösende Bedingung (Rn 8 f.) vereinbart worden ist.85 Eine außerordentliche Kündigung wegen eines Rechtsform- oder Gesellschafterwechsels ist nach Abmahnung möglich, falls die Gesellschaft hierdurch i. S. d. §§ 613, 664 BGB wesentlich in ihrem Erscheinungsbild geändert wird. Der Unternehmer ist nach diesen Normen gegen erhebliche Änderungen im Erscheinungsbild des HV-Unternehmens geschützt86 (s. zu § 613 BGB die Kommentierung zu Vor § 84), sofern er hierdurch einen Nachteil erleidet. Davon ist auzugehen, wenn der ausscheidende Gesellschafter Schlüsselperson war.87

IX. Höchstalter als vereinbarter Endzeitpunkt HV-Verträge, auslaufend mit Erreichung eines bestimmten Lebensalters (bisher meist zum 23 65. Lebensjahr), sind regelmäßig nicht als mit fester Dauer abgeschlossen anzusehen. Meist wollen die Parteien keine feste, bis zu diesem Datum unkündbare Vertragslaufzeit i. S. d. § 620 Abs. 1 BGB bestimmen und es bestehen in der Zeit bis zum Erreichen der Altersschwelle Kündigungs-

76 Emde Die Handelsvertreter-GmbH S. 199; Schuler JR 1957, 44 (45); Sieg AG 1964, 293 (298), Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 21; Bruck/Möller Vor §§ 43– 48 Anm. 345. 77 Emde Die Handelsvertreter-GmbH S. 199; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 41; aA Sieg AG 1964, 293. 78 Emde GmbHR 1999, 1005 (1016); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 41. 79 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8. 80 OLG Hamburg DB 1962, 1636. 81 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 47; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 28. 82 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 47. 83 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 47. 84 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 38, 40. 85 Emde Die Handelsvertreter-GmbH S. 207; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 20. 86 Emde Die Handelsvertreter-GmbH S. 219. 87 Emde Die Handelsvertreter-GmbH S. 219. 11

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rechte.88 Im Zweifel stellen sie Verträge auf unbestimmte Zeit mit einem Spätest-Endtermin dar.89 Eine vorherige Kündigung nach § 89, evtl. nach § 624 BGB,90 ist also nicht ausgeschlossen. Zu strenge Anforderungen insoweit stellt Hess91, der eine ausdrücklich vereinbarte Gestattung früherer Kündigung im Vertrag fordert. Jeweils ist das Gewollte im Einzelfall zu prüfen.

X. Insolvenz des Mittlers oder des Unternehmers 1. Insolvenz des Unternehmers 24 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers führt gem. § 116 S. 1 i. V. m. § 115 Abs. 1 InsO92 zur Beendigung des Vertragsverhältnisses. Es bedarf keiner Kündigung; sie ist aber möglich, etwa bei außerordentlicher Kündigung infolge der Insolvenzantragsstellung oder dahingehender Kündigungsklauseln.93 Deshalb erlöschen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners sämtliche Geschäftsbesorgungsverträge,94 auch HV-Verträge.95 Gleiches gilt, wenn die Eröffnung des InsV gemäß § 26 InsO mangels Masse abgewiesen wird. Wente96 befürwortet für HV-Verträge eine einschränkende Auslegung: Dem Insolvenzverwalter stehe entgegen dem Wortlaut des § 108 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 InsO das Wahlrecht des § 103 InsO über Fortführung oder Nichtfortführung zu. § 108 InsO sei einschränkend auszulegen, da er anderenfalls dem Ziel des Insolvenzverfahrens, die Masse zur gesetzmäßigen und gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger zu erhalten, widerspräche.97 Dem HV eventuell erteilte Vollmachten, etwa eine Abschlussvollmacht, erlöschen gem. § 117 Abs. 1 InsO, wobei das Gesetz nur eine Ausnahme vorsieht (vgl. § 117 Abs. 2 InsO).98 Dem HV steht kein Verfrühungsschaden nach § 113 Abs. 1 S. 2 InsO zu, wenn der HV-Vertrag aufgrund der Insolvenz des Unternehmers erlischt.99

25 a) Fortsetzung des Vermittler-Vertrages nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine Fortsetzung des HV-Vertrages nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers ist trotz der automatisch eintretenden Beendigung möglich. Die Fortsetzung setzt

88 BGH, Urt. v. 6.2.1969 – VII ZR 125/66, VersR 1969, 445 mit zust. Anm. Boetius; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 62; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 16; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 19; Hopt § 89 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 3b, 8a. 89 BGH, Urt. v. 6.2.1969 – VII ZR 125/66, VersR 1969, 445 (446 linke Spalte): VV-Vertrag mit Beendigung bei Erreichen des 65. Lebensjahres; Boetius VersR 1969, 447. 90 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 64; Semler in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts3 § 19 Rn 4. 91 BB 1954, 747. 92 OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.12.1996 – 1 U 343/96–59, BB 1997, 1603 (1604); Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 27 f.; Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 ff.; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2456); Emde/Kelm ZIP 2005, 58; Flohr/Wauschkuhn/ Fröhlich Vertriebsrecht2 § 87a Rn 91; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 42; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 9; Canaris § 17 Rn 97. Bis zum Inkrafttreten der InsO am 1.1.1999 ergab sich die Beendigung des HV-Vertrages aus § 23 KO (hierzu Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 28); vgl. auch Heymann/Weitemeyer/Sonnenschein § 89 Rn 10; zur Insolvenz bei Franchisevertragen Torz ZInsO 2009, 1235. 93 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag. 94 AA für Vertragshändlerverträge Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (13). 95 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (13); MünchKommInsO/Ott/Vuia § 116 Rn 12. 96 ZIP 2005, 335; hiergegen Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 28 ff. 97 Wente ZIP 2005, 335 (338). 98 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 30 f. 99 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 59. Emde

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eine Vereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und HV voraus. Es entsteht ein neues Vertragsverhältnis.100 Die Bedingungen des Neuvertrages können mit denen des ursprünglichen Vertrags weitgehend identisch sein. Den Parteien steht es frei, die Fortsetzung des Altvertrages zu vereinbaren.101 Setzt der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens den HV-Vertrag fort, ohne irgendwelche Vereinbarungen getroffen zu haben, liegt hierin der konkludente Abschluss eines neuen HV-Vertrags, d. h. keine Fortsetzung des Altvertrages.102 Das Entstehen eines neuen Vertrags mit dem Insolvenzverwalter ist von Bedeutung für die insolvenzrechtliche Qualifikation der aus ihm resultierenden Ansprüche. Sämtliche Ansprüche des HV, die aufgrund seiner weiteren Tätigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge des Neuvertrages mit dem Insolvenzverwalter entstehen, sind vorab zu befriedigende Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.103 Der HV-Vertrag gilt in Anwendung der § 116 S. 1 i. V. m. § 115 Abs. 2 S. 2 InsO als fortbeste- 26 hend, wenn mit dem Aufschub der übertragenen Geschäfte Gefahr verbunden ist. Die Untätigkeit des HV müsste objektiv eine Gefahr mit sich bringen, d. h. der Insolvenzmasse objektiv Nachteile drohen.104 Eine solche Gefahr ist gegeben, falls der Insolvenzverwalter das Geschäft nicht rechtzeitig selbst besorgen kann.105 Als Beispiel seien nicht wiederholbare Beweissicherungen durch den HV oder schnelles, nicht ersetzbares Handeln bei Vermittlung oder Abschluss genannt,106 etwa im Fall verderblicher Waren.107 Der HV hat die Pflicht, solche Geschäfte solange fortzusetzen, bis der Insolvenzverwalter anderweitig Fürsorge treffen kann (§ 115 Abs. 2 S. 1 InsO). Dabei ist unerheblich, ob der HV in Kenntnis der Verfahrenseröffnung handelt oder nicht. Es ist allein die objektive Notlage maßgeblich.108 Zur insolvenzrechtl. Einordnung des entstehenden Provisionsanspruchs s. Kommentierung zu § 87a. Der Mittlervertrag gilt gem. § 116 S. 1 i. V. m. § 115 Abs. 3 S. 1 InsO zu Gunsten des Vertriebs- 27 mittlers als fortbestehend, solange er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne sein Verschulden (§ 276 BGB) nicht kennt.109 Im Unterschied zur gesetzlichen Fiktion wegen eines möglichen Gefahreintritts gilt eine erteilte Vollmacht nicht als fortbestehend. Dies folgt aus einem Umkehrschluss zu § 117 Abs. 2 InsO, wonach die Vollmacht nur im Falle der bei Gefahr (s. o.) eintretenden Fiktion nach § 115 Abs. 2 InsO,110 nicht aber im Falle des § 115 Abs. 3 InsO, als fortbestehend gilt. Der HV handelt ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Vertreter ohne Vertretungsmacht i. S. d. §§ 177 f. BGB.111 Die von ihm getätigten Geschäfte sind gem. § 177 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam. Die Fiktion gilt nur zu Gunsten des HV, so dass Dritte allein dann Ansprüche geltend machen können, wenn der Insolvenzverwalter gem. § 177 BGB die erforderliche Genehmigung zum Geschäft erteilt. Ob der Insolvenzverwalter die Genehmigung erteilt, steht ihm frei.112 Dagegen ist der Schuldner gem. § 81 Abs. 1 InsO daran gehindert, eine Genehmigung zu erteilen, obwohl er letztlich der Vertretene ist. Das aus der fehlenden Vertretungsmacht resul100 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 42. 101 BGH, Urt. v. 11.2.1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250; Küstner/Thume/Thume I, Kap. V Rn 632. 102 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2457); Westphal I Rn 884. 103 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 49; Küstner/Thume/Thume I, Kap. V Rn 632; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41c. 104 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2456). 105 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 42: Kroth in: Braun, InsO, § 115 Rn 7. 106 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2456); Emde/Kelm ZIP 2005, 58; Westphal I Rn 882. 107 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 42. 108 Kroth in: Braun, InsO, § 115 Rn 7. 109 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2456); Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 41. 110 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 42. 111 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 42. 112 Kroth in: Braun, InsO, § 117 Rn 6. 13

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tierende Haftungsrisiko des HV gem. § 179 BGB wird durch § 117 Abs. 3 InsO aufgefangen. Der HV haftet nicht, solange er die Eröffnung des Verfahrens ohne sein Verschulden nicht kennt. Sämtliche aus der Fiktion resultierende Ersatz- und Vergütungsansprüche des HV sind einfache Insolvenzforderungen (vgl. § 116 S. 2 i. V. m. § 115 Abs. 3 S. 2 InsO).113

b) Schicksal des Mittlervertrages im Insolvenzantragsverfahren 28 aa) Fortbestehen im Insolvenzantragsverfahren. Der Mittlervertrag besteht während des Eröffnungsverfahrens, d. h. in dem Zeitraum ab Einreichung des Insolvenzantrages bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Verfahrenseröffnung, fort. Die Erlöschensfolge der §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO tritt erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein. Im Eröffnungsverfahren wird regelmäßig ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der u. a. die Aufgabe hat, das Unternehmen des Schuldners fortzuführen (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Ansprüche des Mittlers, die aus Geschäften hervorgehen, welche mit Billigung des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgeführt werden, sind nach § 55 Abs. 2 InsO vorrangig zu befriedigende Masseansprüche.114

29 bb) Kündigung durch den Mittler. Stellt der Unternehmer beim Insolvenzgericht einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so ist dies für den Mittler in der Regel ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrages gem. § 89a.115 Zu Recht wird eine Kündigung bereits dann als gerechtfertigt angesehen, wenn einer der Insolvenzgründe des § 16 InsO vorliegt, aber noch kein Insolvenzverfahren eingeleitet wurde.116 Denn die weitere Belieferung des Mittlers ist gefährdet;117 diese Unsicherheit braucht er nicht hinzunehmen. Demzufolge können sowohl die bevorstehende als auch die eingetretene Zahlungsunfähigkeit sowie, bei Vorliegen aller Voraussetzungen, auch die Überschuldung einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen. Die Parteien dürfen die Zahlungsunfähigkeit der anderen Partei auch als außerordentlichen Kündigungsgrund vereinbaren.118 Für die Wirksamkeit einer Kündigung wegen des vertraglich vereinbarten Kündigungsgrundes der „bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit“ verlangt das OLG Saarbrücken allerdings, dass nach Abgabe der Kündigungserklärung die Zahlungsunfähigkeit auch tatsächlich eintritt.119 Ohne den späteren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit könnte die Kündigung allein auf die subjektive Einschätzung und Prognose des Kündigenden gestützt werden. Damit würden die anderen insolvenzbezogenen Kündigungsgründe, z. B. Überschuldung oder Stellung des Insolvenzantrages, die an objektiv messbare Kriterien geknüpft sind, unterlaufen werden.120 30 Laut einer Entscheidung des OLG Dresden ist eine auf die Einreichung des Insolvenzantrages gestützte Kündigung ausnahmsweise dann nicht gerechtfertigt, wenn der Insolvenzschuldner den HV rechtzeitig umfassend und nachprüfbar darüber aufklärt, dass der Insolvenzantrag frühzeitig gestellt wurde, die Zahlungsschwierigkeiten wahrscheinlich nur vorübergehend sind, bereits ein Sanierungskonzept erarbeitet und der Schuldner in der Lage ist, alle weiter angebahnten Verträge

113 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 47; vgl. auch Hoffstadt DB 1983, 645 (646); Holling DB 1957, 349 zu Ziff. 4.

114 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 42. 115 Hopt § 89a Rn 24; hinsichtlich eines Antrages auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens nach der Gesamtvollstreckungsordnung: OLG Dresden, Beschl. v. 11.10.1995 – 7 U 1138/95, ZIP 1996, 73; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag; v. Manteuffel/Evers EWiR § 89a 1/96, 1133; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 58. 116 Hopt § 89a Rn 24. 117 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag. 118 OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713. 119 OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.2.1998 – 1 U 364/97-83, NJW-RR 1998, 1191. 120 OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.2.1998 – 1 U 364/97-83, NJW-RR 1998, 1191 (1192). Emde

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zu erfüllen.121 Diese Ausnahme berücksichtigt, dass Gefährdungen des Mittlers damit unwahrscheinlich sind und bei der Prüfung eines wichtigen Grundes nicht nur die Interessen des HV, sondern auch des Unternehmers in die Abwägung mit einzubeziehen sind. Die Kündigung könnte dazu beitragen, dass der Unternehmer Vertriebskanäle verliert, die für eine Sanierung von Bedeutung sein können. Im Gegenzug muss der insolvente Unternehmer den HV umfassend über Geschäftslage und Sanierungschancen aufklären, damit die Gefahr einer Kündigung abgewendet wird.122 Man wird der Entscheidung nur zustimmen können, falls die Fähigkeit des Unternehmens zur Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen zweifelsfrei ist. Die Parteien können Kündigungsrechte und auflösende Bedingungen für den Fall der Unternehmerinsolvenz vereinbaren, und zwar sowohl individualvertraglich123 wie mittels AGB.124 § 119 InsO steht nicht entgegen.125

2. Insolvenz des Mittlers a) Fortbestand des Mittlervertrages in dessen Insolvenz? Nach den Vorschriften der InsO 31 führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mittlers nicht automatisch zum Vertragsende: Gem. § 108 Abs. 1 S. 1 InsO besteht der Vertrag, auch ein Vertragshändlervertrag, mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort.126 Die Rechtsfolge der Insolvenz des HV unterscheidet sich damit von der bei Insolvenz des Unternehmers. Dort kommt es gem. § 116 S. 1 i. V. m. § 115 Abs. 1 InsO zur automatischen Beendigung des HV-Vertrages (s. o.). Auch nach § 12 GewO wird eine eventuell erforderliche Erlaubnis (VV!) nicht widerrufen oder unzulässig. Eine Vereinbarung, wonach im Fall der Insolvenz der Vertrag beendet wird (mittels Kündigung oder auflösender Bedingung), ist zulässig. Nach Zivilrecht ergibt sich kein abweichendes Ergebnis: Zwar endet der HV-Vertrag gem. § 673, 675 BGB mit dem Tod des HV.127 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht dem Tod des HV nicht gleich, weil der HV nach wie vor vermittelnd tätig werden kann (der Insolvenzverwalter wird diese Aufgabe nicht leisten können,128 falls doch begründet er Masseschulden129) und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihn hieran nicht hindert. Zudem sind die Vorschriften der InsO lex specialis. Sie sehen jedoch keine Beendigung des Vertrages vor (s. o.). Sofern kein Bargeschäft nach § 142 InsO vorliegt, kann der Insolvenzverwalter des Vertragshändlers Zahlungen nach §§ 130 ff InsO anfechten.130 Der Unternehmer darf die Unsicherheitseinrede gem. § 321 Abs. 1 BGB erheben und seine Vorleistungspflicht in einen Leistungsaustausch Zug-um-Zug wandeln.131 121 122 123 124 125

OLG Dresden, Beschl. v. 11.10.1995 – 7 U 1138/95, ZIP 1996, 73; v. Manteuffel/Evers EWiR § 89a 1/96, 1133. OLG Dresden, Beschl. v. 11.10.1995 – 7 U 1138/95, ZIP 1996, 73 (75). Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2457). Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2457). Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520) – zum Vertragshändlervertrag; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2457). 126 BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX 191/12, WM 2013, 1132 = EWiR 2013, 553 (Eckardt) Rn 11; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.12.2009 – 16 U 160/09, ZIP 2010, 194 = EWiR 2010, 159 (Ströbl) – HV; Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 ff.; Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (13); Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 82; Emde/Kelm ZVI 2004, 282; Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211); Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1202) – für den Vertragshändlervertrag; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2455 (2456); Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520) – für den Vertragshändlervertrag; Küstner/Thume/Thume I, Kap. V Rn 661; Flohr/Wauschkuhn/Fröhlich Vertriebsrecht2 § 87a Rn 89; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 43; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 9; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89 Rn 24; Ensthaler/Genzow § 92b Rn 8 (für den Einfirmenvertreter); krit. für Vertragshändlerverträge Eckardt EWiR 2013, 554. 127 BGHZ 24, 214 (215); 24, 223; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41b. 128 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 83. 129 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 85. 130 BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX 191/12, WM 2013, 1132 ff. = EWiR 2013, 553 (Eckardt); Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (521). 131 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (521). 15

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32 b) Kündigung des Mittler-Vertrages. Nach wohl h. M. berechtigt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mittlers den Unternehmer nach § 89a Abs. 1 zur außerordentlichen Kündigung (auch einer Änderungskündigung132) des Vertrages aus wichtigem Grund.133 Der Fortführungsgedanke der InsO steht nicht entgegen,134 ebenso wenig die nur Mietund Pachtverträge betreffende Ausnahmebestimmung des § 112 InsO (analog).135 Das gilt auch für Franchiseverträge, weil bei ihnen gleichfalls das vertriebsrechtliche Element im Vordergrund steht,136 zudem bei Werkstattverträgen.137 Dem Unternehmer ist es unzumutbar, den Vertrag mit einem insolventen Mittler fortzusetzen; auf weitere Unzumutbarkeitsgründe im Hinblick auf die Vertragsfortführung im konkreten Einzelfall dürfte es neben der Insolvenz nicht ankommen.138 Beim Vertragshändler und FN tritt hierzu das Ausfallrisiko des Einzelgeschäfts,139 welches allerdings durch Vorkasse aufgefangen werden kann140 – jedenfalls soweit dadurch die Lagerhaltung des Händlers nicht leidet.141 Vor Ausspruch der Kündigung ist regelmäßig keine Abmahnung gem. § 314 Abs. 2 BGB erforderlich, sofern eine Abhilfe durch den Mittler unmöglich ist. Auch vertraglich kann die Insolvenz als Auflösungs- oder Kündigungsgrund vereinbart werden,142 und zwar auch mittels AGB.143 Deshalb stellt die Klausel eines Kfz-Händlervertrags, welche eine Kündigung aus wichtigem Grund bei Insolvenzantragstellung des Mittlers vorsieht, keine unangemessene Benachteiligung i. S. d. § 307 BGB dar. Die vom Unternehmer erklärte Kündigung ist auch einen Monat vor Ablauf der 2jährigen ordentlichen Kündigungsfrist zulässig.144 Das nur bereichsspezifisch geltende Verbot von insolvenzbedingter Lösungsklauseln in § 103 ff. InsO soll der Wirksamkeit einer vertraglich eingeräumten außerordentlichen Kündigung

132 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (521 f.) – zum Vertragshändlervertrag. Beispiel: Änderung der Zahlungsbedingungen; hier liegt trotz der Vertragsfortführung keine Selbstwiderlegung des wichtigen Grundes vor. 133 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 = EWiR 2007, 203 (Klasen); v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (296); OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 6.3.2009 – 2 U 29/06, ZIP 2009, 1336; OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2004 – 35 W 5/04, NJW–RR 2004, 1554; Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 83; Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 ff.; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2455); Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (insb. 1204 ff.) zum Kfz-Vertragshändlervertrag mit umfassend dargestellten, emotional jedoch etwas überzeichneten Folgen für den Unternehmer; Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211) für den Vertragshändlervertrag; Ströbl EWiR 2010, 159; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520) – zum Vertragshändlervertrag; Küstner/Thume/ Riemer I, Kap. VIII Rn 345; Flohr/Wauschkuhn/Fröhlich Vertriebsrecht2 § 87a Rn 89; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 43; Martinek/Semler Handbuch des Vertriebsrechts3 § 19 Rn 26; Hopt § 89a Rn 20; Westphal I Rn 885; Canaris § 17 Rn 89; Karsten Schmidt Handelsrecht, § 27 V 1. b; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 9; HK/Ruß § 89a Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 10; Hopt § 84 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 24, 25; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41d; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 223/224. 134 Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 (277); Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1202). 135 OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 6.3.2009 – 2 U 29/06, ZIP 2009, 1336; OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2004 – 35 W 5/04; OLG München, Urt. v. 26.4.2006, ZInsO 2006, 1060 mit zust. Anm. Preuß KTS 2007, 361; LG Ingolstadt, Urt. v. 7.10.2008 – 1 HKO 1546/08; Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1202); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 43; aA Brossette Autohaus 6/2009, 26 sowie 9/2009, 19. 136 Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1202); Wimmer/Wegner InsO § 112 Rn 5; vgl. Metzlaff/Becker § 11 Rn 75; MünchKommInsO/Eckert § 112 Rn 5, 7 f. 137 Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1203, 1205) – die Ausweichmöglichkeiten der Werkstätten auf markenunabhängige Tätigkeiten werden jedoch von Ströbl/Schumacher überschätzt. 138 Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 ff.; AA Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520) – zum Vertragshändlervertrag. 139 Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1204 f.). 140 AA Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1204). 141 Vgl. Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1204). 142 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520) – zum Vertragshändlervertrag; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2455) (mit englischem Formulierungsvorschlag); Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1206). 143 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (521) – zum Vertragshändlervertrag; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2456). 144 OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406; mglw. aber § 242 BGB-Einwand. Emde

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des Unternehmers wegen Insolvenzeröffnung nicht entgegenstehen.145 Ob das vertraglich geregelte Recht zur Kündigung bei Insolvenz, Insolvenzantragsstellung oder Zahlungseinstellung (Insolvenzantragsgründe) auch nach der nicht zu HV-Verträgen ergangenen Entscheidung des BGH zu Energielieferverträgen146 zulässig bleibt, ist Gegenstand der Diskussion.147 Dafür spricht das besondere Vertrauensverhältnis, welches einem Vertriebsvertrag immanent ist, der Rückschluss aus § 116 InsO (der bei Insolvenz des Unternehmers eine automatische Vertragsbeendigung vorsieht) und in Eigenhändlerverträgen das erhebliche Ausfallrisiko des Unternehmers.148 Bei den vertraglich vereinbarten Lösungsklauseln für den Fall der Stellung des Insolvenzantrages durch den Absatzmittler handelt es sich zudem um Regelungen, die sich eng an eine gesetzliche Lösungsmöglichkeit – nämlich das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 89a – anlehnen und ihr in typischer Weise entsprechen.149 Auch bei Unwirksamkeit der Lösungsklausel kann der Unternehmer unmittelbar aus § 89a kündigen (s. Kommentierung zu § 89a, Stichwort „Insolvenz des Mittlers“). In Folge der Kündigung entsteht die Frage, ob dem kündigenden Unternehmer ein Schadenersatzanspruch gegen den gekündigten HV gem. § 89a Abs. 2 wegen der „Veranlassung“ des Kündigungsgrundes zusteht. Dem Unternehmer kann ein solcher Anspruch nur zustehen, falls das die Kündigung auslösende Verhalten des HV eine schuldhafte Verletzung von Pflichten aus dem HV-Vertrag konstituiert.150 Oft wird der HV die eigene Insolvenz zu vertreten und damit die Kündigung veranlasst haben. Ob und unter welchen Bedingungen die Verursachung der Insolvenz eine Verletzung von Pflichten aus dem HV-Vertrag darstellt, ist hiermit noch nicht beantwortet. Nach dem OLG Düsseldorf ist die bloß schuldhaft verursachte Insolvenz für sich betrachtet noch kein ausreichender Grund, einen Schadenersatzanspruch zu befürworten.151 Es muss vielmehr ein spezielles Auflösungsverschulden vorliegen, welches über die bloße Herbeiführung der Insolvenz und die Veranlassung der Vertragsauflösung hinausgeht. Die unternehmerischen Entscheidungen, welche die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verursachen, müssen ein „handelsvertretervertragswidriges“ Verhalten konstituieren, um den Schutzzweck der Norm zu berühren. Da der HV in der Führung seines Unternehmens grundsätzlich frei ist, können unternehmerische Entscheidungen, welche die Insolvenz herbeiführen, nur dann gegen Pflichten aus dem HV-Vertrag verstoßen und einen Schadenersatzanspruch begründen, wenn sie nicht mehr von der unternehmerischen Dispositionsfreiheit des HV umfasst sind. Ein vertretervertragswidriges Verhalten ist mit dem OLG Düsseldorf anzunehmen, wenn die zur Insolvenz führenden unternehmerischen Entscheidungen des HV willkürlich, in keiner Weise mehr sachlich zu vertreten oder in der Absicht, den Unternehmer zu schädigen, getroffen werden. Der HV trägt die Beweislast dafür, dass er nicht vertretervertragswidrig gehandelt hat. Nur er kann jene Interna beweisen. Dem Unternehmer wird es im Falle eines Prozesses wiederum obliegen, zunächst tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines handelsvertretervertragswidrigen Verhaltens zu behaupten, damit der HV seiner Darlegungs- und Beweislast überhaupt gerecht werden kann. Grundsätzlich gibt die Eröffnung des eigenen InsV dem HV keinen Grund zur fristlosen 33 Kündigung des HV-Vertrages,152 ebenso wenig die Einstellung des Betriebs zur Vermeidung eines InsV.153 Ausnahmsweise können jedoch auch Umstände aus der Sphäre des HV die durch 145 OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 ff.; wohl auch Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 43. 146 BGH, Urt. v. 15.11.2012 – XI ZR 169/11, WM 2013, 274; dazu etwa Raeschke-Kessler/Christopeit WM 2013, 1592. 147 Dafür: Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 (277); Eckhoff NZI 2015, 972; Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (13); Ströbl ZVertriebsR 2014, 236 f.; Muhl GWR 2014, 496. 148 Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 (277). Skeptisch Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (13) – Vertragshändlervertrag. Mesch rechnet mit einer Ausweitung der Rspr. 149 Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 (277). 150 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 93; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 235. 151 AA Hopt § 84 Rn 48; Hoffstadt DB 1983, 645 (646 f.), der einen Schadensersatzanspruch gem. § 628 Abs. 2 BGB für möglich hält, „wenn der Konkurs auf einem Verschulden des Gemeinschuldners beruht“. 152 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 224. 153 BGH, Urt. v. 7.10.2004 – I ZR 18/02, ZIP 2005, 534. 17

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ihn erklärte außerordentliche Kündigung nach § 89a rechtfertigen.154 So ist unter besonderen Umständen die Geschäftseinstellung oder die längere Verhinderung des HV – selbst aus Gründen höherer Gewalt – als wichtiger Kündigungsgrund anerkannt, auch wenn jene Umstände beim HV eintreten.155 Die eigene Insolvenz kann dem HV einen Kündigungsgrund geben, wenn er in ihrer Folge zur Vertragserfüllung außerstande ist.156 Diese Eigenkündigung des HV ist jedoch in der Regel ausgleichsschädlich.157 Eine ordentliche Kündigung (§ 89) durch den Insolvenzverwalter des HV wird für unzulässig erachtet.158 Begründet wird dies mit der höchstpersönlichen Natur der Pflichten und Ansprüche aus einem HV-Vertrag.159 Der Insolvenzverwalter soll nicht über die persönliche Arbeitskraft des Gemeinschuldners disponieren dürfen und kann wegen des persönlichen Elements der HV-Tätigkeit dessen Tätigkeit auch nicht einfach übernehmen.160 Verpflichteter und damit Kündigungsberechtigter soll auch in der Insolvenz der HV bleiben;161 die Verpflichtung des HV ist gem. § 613 Abs. 2 BGB regelm. persönlich und nicht übertragbar und unterliegt daher nicht dem Insolvenzbeschlag der §§ 24 Abs. 1, 81, 82 InsO.162 Dem Insolvenzverwalter steht hinsichtlich des Vertriebsvertrages als Rahmenvertrag kein Wahlrecht nach § 103 InsO zu, weil er nicht in der Lage ist, den HV-163 oder Vertragshändlervertrag164 anstelle des Insolvenzschuldners zu erfüllen; er darf aber bezüglich der in Ausübung eines Vertriebsvertrages geschlossenen einzelnen Kaufverträge nach § 103 InsO vorgehen.165 Das mangelnde Kündigungsrecht kann ihn in Schwierigkeiten bringen, sofern er den Vertrag nicht selbst ausführen, ihn jedoch auch nicht kündigen darf. Denn bei Untätigkeit ist eine ausgleichsvernichtende Kündigung des Unternehmers nach §§ 89a, 89b Abs. 3 Nr. 2 zu befürchten.166 Mglw. geht der Lösungsweg über das Recht des Insolvenzverwalters zur ausgleichserhaltenden Kündigung aus begründetem Anlass (§ 89b Abs. 3 Nr. 1).

34 c) Verbraucherinsolvenzverfahren und Restschuldbefreiung. Der HV übt eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit aus. Das zum 1.1.1999 eingeführte Verbraucherinsolvenzverfahren, welches in den §§ 304 f. InsO geregelt ist und ein vereinfachtes Verfahren bildet, findet daher auf ihn grds. keine Anwendung (vgl. § 304 Abs. 1 S. 1 InsO). Vielmehr bleibt es im Grundsatz bei der Anwendbarkeit des so genannten Regelinsolvenzverfahrens. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch das Verbraucherinsolvenzverfahren Anwendung findet. Sind die Vermögensverhältnisse des HV überschaubar und bestehen gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen, und ist er darüber hinaus eine natürliche Person, so ist ein Verbraucherinsolvenzverfahren durchzuführen (§ 304 Abs. 1 S. 2 InsO). Ungeachtet der Frage, ob nun ein Regelinsolvenz- oder ein Ver-

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I. E. Ströbl EWiR 2010, 159. Hopt § 89a Rn 25. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 224/225. Ströbl EWiR 2010, 159 (160). Hopt § 84 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 25; Küstner/Thume/Thume I, Kap. V Rn 661; zu den dadurch entstehenden Schwierigkeiten Ströbl EWiR 2010, 159 (160). 159 Hopt § 84 Rn 48. 160 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 224. 161 Küstner/Thume/Thume I, Kap. V Rn 661. 162 Siehe BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 69/12, DB 2013, 747 – kein Vertriebsrechtsfall. 163 OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.12.2009 – 16 U 160/09, ZIP 2010, 194 = EWiR 2010, 159 (Ströbl); Wagner/WexlerUhlich BB 2010, 2454 (2455); Preuß KTS 2007, 361 (363); Hopt § 84 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 25; Küstner/Thume/Thume I, Kap. V Rn 661; offen Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 224; zweifelnd Ströbl EWiR 2010, 160; aA OLG München ZInsO 2006, 1060 = ZIP 2006, 1916 (LS) – Vertragshändlervertrag. Nach Ströbl EWiR 2010, 159 (160) soll eine Vertragsbeendigung nach § 103 InsO ausgleichserhaltend wirken. 164 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520); aA OLG München ZInsO 2006, 1060 = ZIP 2006, 1916 (LS). 165 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (521) – zum Vertragshändlervertrag. 166 Ströbl EWiR 2010, 159 (160). Emde

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braucherinsolvenzverfahren stattfindet, kann der HV, so er denn eine natürliche Person ist, die Restschuldbefreiung nach den §§ 286 f. InsO beantragen.

d) Insolvenzschutz nach BetrAVG? Umstritten ist, ob dem HV nach dem BetrAVG Insolvenz- 35 schutz für eine vom Unternehmer gewährte Altersversorgung zu gewähren ist. Kampf167 verneint dies für HV, die einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb führen. Sie seien tatsächliche oder potentielle Arbeitgeber und mithin vom Schutzzweck der §§ 1–16 BetrAVG nicht erfasst. Gleiches gelte für HV, welche die Kaufmannseigenschaft durch Eintragung in das Handelsregister freiwillig erlangten. Diejenigen HV, die mehr als einen Auftragnehmer besäßen, seien vom Insolvenzschutz der §§ 1–16 BetrAVG ebenfalls nicht erfasst. Anders sehe es nur für HV aus, die im Wesentlichen nur für einen Unternehmer tätig seien.168 S. zum BetrAVG auch die Kommentierung zu § 89b. XI. Mehrstufige Vertreterverhältnisse Beschäftigt der HV eigene – echte – Untervertreter i. S. d. § 84 Abs. 3, so ist die Beendigung 36 seines eigenen HV-Vertrages (Hauptvertrages) mangels entgegenstehender Bestimmung nicht zugleich Endigungsgrund für die Untervertreterverträge. Sie müssen von ihm gekündigt werden. Ob der Verlust der eigenen Vertretung dem Hauptvertreter ein außerordentliches Kündigungsrecht (dann wohl mit Auslauffrist entsprechend der Kündigungsfrist gegenüber dem Hauptvertreter) gibt, kann diskutiert werden (s. Kommentierung zu § 89a, Stichwort: „Kündigung des Haupthändlerverttrages“). Dagegen spricht, dass er selbst die Kündigungsfristen in Konkordanz bringen muss, soweit ihm dies möglich war.

XII. Probezeit Einen HV-Vertrag auf Probe kennt das Gesetz, anders als etwa in Frankreich,169 nicht. Die Verein- 37 barung einer Probezeit ist aber zulässig.170 Insoweit ist zu unterscheiden: Sofern der „Probevertrag“ mit fester Befristung abgeschlossen wurde, ohne dass Bestimmungen über das, was sich ggf. daran anschließen soll, getroffen worden sind, endet der erste Vertrag mit der vereinbarten Frist. Er ist mithin als befristeter anzusehen.171 Ist sie kürzer als die Mindestfrist des § 89, endet der Vertrag erst mit Ablauf der in § 89 vorgesehenen Frist. Eine Kündigungsmöglichkeit, außer der fristlosen nach § 89a, scheidet bei einem derart befristeten Vertrag aus.172 Ist jedoch, wie meist, der Vertrag als ein solcher mit vorgeschalteter, zeitlich bestimmter Probezeit abgeschlossen oder so ausgestaltet worden, dass nach Ablauf der Probezeit eine automatische Übernahme in das ordentliche HV-Verhältnis in Aussicht genommen wird, sofern nicht gekündigt wird, so soll nach h. M. ein Vertragsabschluss auf unbestimmte Laufzeit vorliegen und § 89 Anwendung finden. Eine Kündigung während der Probezeit sei dann nicht ausgeschlossen. Anderenfalls könne der Unternehmer durch Vorschal-

167 168 169 170 171

Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 79 ff. Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 80. S. EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16; Valdini EWiR 2018, 429 (430). Valdini EWiR 2018, 429 (430). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 66; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 17; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene, § 89 Rn 43. 172 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 89 Rn 43. 19

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tung überlanger „Probezeiten“ die zwingende Regelung des § 89 umgehen.173 Das erscheint zweifelhaft. Die „Probezeit“ ist rechtlich meist eine Befristung (Auslegungsfrage). Diese Befristung muss lediglich die Zeiträume der Mindestkündigungsfrist des § 89 einhalten.174

XIII. Teilkündigung 38 Die Teilkündigung eines einheitlichen Vertrages,175 um einzelne Bestimmungen desselben zu ändern, etwa die Untersagung des Besuchs bestimmter Kunden,176 eine Teilbezirks-Kündigung,177 die Wegnahme eines Teils des Kundenstammes178 bzw. des Bezirks179 oder die Wegnahme eines Fabrikats gegenüber dem Kfz-Vertragshändler, ist nach heute gefestigter Anschauung in Lehre und Rspr. grds. unzulässig.180 Die entgegenstehende Auffassung des OLG Bamberg181 – Teilkündigung zum Zwecke der Verkleinerung des Vertreterbezirks – hat sich nicht durchgesetzt. Richtigerweise darf ein Vertragspartner nicht mittels Teilkündigung einseitig das Vertragsverhältnis ändern und dem anderen Teil einen Vertrag aufzwingen, der so nicht geschlossen wurde.182 Nur ausnahmsweise ist eine Teilkündigung gestattet, wenn kein einheitlicher Vertrag inhaltlich verändert wird,183 sondern ein Gesamtvertragsverhältnis sich aus mehreren Teilverträgen zusammensetzt und jene Teilverträge selbst nach dem Gesamtbild des Vertrages jeweils für sich als nach dem Vertrag selbständig lösbar angesprochen sind oder von vornherein eindeutig als selbständig lösbar aufgefasst werden müssen.184 39 Als Beispiele einer unzulässigen Teilkündigung und des unselbständigen Charakters werden nach den Umständen des Einzelfalles genannt: 40 Die Kündigung – eines Bezirksleitervertrages bei Fortbestehen des VV-Vertretervertrages185 – einer Abrede über die organisatorische Zuordnung eines HV zur Struktur eines anderen186 173 BGH, Urt. v. 25.11.1963 – VII ZR 29/62, BGHZ 40, 235 (237) = NJW 1964, 350; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII 80; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 67; Hopt § 89 Rn 20; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene, § 89 Rn 44; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume/Haas, 4. Aufl. § 89 Rn 18. 174 BGH, Urt. v. 25.11.1963 – VII ZR 29/62, BGHZ 40, 235 = NJW 1964, 350. 175 Werden separate Verträge gekündigt, handelt es sich nicht um eine Teilkündigung, s. Oetker/Busche6 § 89 Rn 13. 176 OLG Stuttgart BB 1965, 926; Hopt § 89 Rn 18. 177 OLG Karlsruhe DB 1978, 298; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 81; Hopt § 89 Rn 18; aA OLG Bamberg, Urt. v. 30.5.1958 – 3 U 26/58, NJW 1958, 1830 m. abl. Anm. Thiede NJW 1959, 1444. 178 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 81. 179 Eberstein 9. Aufl. S. 113. 180 BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, BB 2000, 59 m. Anm. Emde; v. 17.10.1991 – I ZR 248/89; NJW-RR 1992, 481; DB 1977, 1844; OLG Stuttgart BB 1965, 926; OLG Köln NJW-RR 2002, 602 (603); LG Düsseldorf, Urt. v. 14.7.2017 – 39 O 47/16, ZVertriebsR 2018, 49 (50) m. Anm. Winter; Emde BB 2000, 63 (65); Genzow Rn 114; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 82; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Vertragshändlerverträge, 1994, Rn 19; Hopt § 89 Rn 18; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume/Haas, 4. Aufl. § 89 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9c. 181 OLG Bamberg, Urt. v. 30.5.1958 – 3 U 26/58, NJW 1958, 1830 m. abl. Anm. Thiede NJW 1959, 1444 (dort wurde aber ein begründeter Anlass des HV zur ausgleichserhaltenden „Gegenkündigung“ befürwortet. 182 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 82. 183 OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.2.2009 – 7 U 219/07, BeckRS 2010, 16911. 184 BGH, Urt. v. 16.6.2010 – VIII ZR 62/09, BeckRS 2010, 16879 Rn 40; v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/99, WM 2000, 472 = BB 2000, 59 m. Anm. Emde, unter I 2 d; v. 18.2.1977 – I ZR 175/75, WM 1977, 589, unter II.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.2.2009 – 7 U 219/07, BeckRS 2010, 16911; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. VIII Rn 36 ff.; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 23; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 84; Hopt § 89 Rn 18; Oetker/Busche6 § 89 Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 51. 185 BGH, Urt. v. 18.2.1977 – I ZR 175/75, LM § 89a Nr. 12 = BB 1977, 964; v. Gamm NJW 1979, 2493; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 51; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9c. 186 BGH, Urt. v. 16.6.2010 – VIII ZR 62/09, BeckRS 2010, 16879 Rn 41. Emde

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der Verpflichtung zum Kunden-, Reparatur- und Wartungsdienst als Teil eines HV-Vertrages.187 Verpflichtet sich etwa ein Unternehmer, eine auch in seinem Interesse erfolgte spezielle Ausgestaltung des Vertragshändlervertrages (Aufspaltung in zwei separate, aber in ihrem Bestand voneinander abhängige Verträge über Vertrieb und Werkstattleistungen) nur unter Wahrung der Interessen beider Vertragspartner zu ändern, stellt die in Hinblick auf die geänderte Geschäftspolitik des Herstellers erfolgte Kündigung nur des Werkstattvertrages eine unzulässige Teilkündigung dar188 – einer Zuschussvereinbarung.189 Eine Kündigung mit kürzerer Frist widerspreche dem Sinn und Zweck des Zuschusses. Er diene dazu, den Lebensunterhalt des HV bis zum Aufbau eines ausreichenden Bestandes zu sichern, wie sich auch an der gestaffelten Höhe zeige. Dieser Zweck werde durch das Kündigungsrecht vereitelt. Der HV müsste weiter tätig sein, ohne ein ausreichendes Einkommen zu erzielen.190 Kein Fall einer unzulässigen Teilkündigung soll vorliegen, wenn zwei Tankstellen-HV-Verträge 41 als wirtschaftliche Einheit miteinander verbunden waren, indem beide Verträge zwar separat geschlossen wurden, jedoch ein Vertrag eine mit Gewinn arbeitende Tankstelle betraf, der andere eine mit Verlust arbeitende und der HV gezwungen wurde, den mit Verlust arbeitenden Vertrag zu übernehmen, um den anderen Vertrag zu erhalten (aber Unzulässigkeit der Kündigung aus § 242 BGB hergeleitet).191 Auch die vertragliche Vereinbarung eines Teilkündigungsrechtes ist im Grundsatz unzu- 42 lässig; der Vorbehalt eines Teilkündigungsrechtes ist dann unwirksam (§§ 307, 242, 138 BGB).192 Zu AGB siehe Kommentierung zu Vor § 84. Insbesondere ist die Einräumung eines der Teilkündigung vergleichbaren einseitigen Bestimmungsbefugnis im Vertrag unter den Kautelen des § 315 BGB mit der Möglichkeit der gerichtlichen Nachprüfung entgegen Staub/Brüggemann 4. Aufl.193 unzulässig. Eine Ausnahme mag gelten, falls das Teilkündigungsrecht individualvertraglich vereinbart wurde und sich auf abgrenzbare Teile des Vertrages bezieht. Grundsätzlich muss auch insoweit das Vertragsverhältnis aus mehreren teilbaren, also eigenständigen, Teilverträgen zusammengesetzt sein, die nach dem Gesamtbild des Vertrages eigenständig und unabhängig voneinander bestehen und gelöst werden können, ohne dass durch die sich auf den Teilvertrag bezogene Teilkündigung das einheitliche Vertragsverhältnis inhaltlich wesentlich verändert wird.194 Zumindest in AGB vereinbart müssen immer wichtige, transparent formulierte195 Gründe für die Teilkündigungsklausel existieren.196 Sind sie besonders erheblich, wird man die Ansprüche an die Selbständigkeit der einzelnen Vertragsteile geringfügig herabsetzen können. Weiter ist erforderlich, dass dem Gekündigten für die Teilkündigung eine angemessene, von § 89b unabhängige Kompensation gewährt wird.197 Die Teilkündigung darf auch keine

187 188 189 190 191 192

BGH, Urt. v. 22.2.1960 – II ZR 118/58, n. v. OLG Köln, Urt. v. 2.2.2001 – 19 U 148/00, OLGR Köln 2001, 241 = BB 2001, 1759. LG Düsseldorf, Urt. v. 14.7.2017 – 39 O 47/16, ZVertriebsR 2018, 49 (50) m. Anm. Winter – mit § 307 BGB begründet. LG Düsseldorf, Urt. v. 14.7.2017 – 39 O 47/16, ZVertriebsR 2018, 49 (50) m. Anm. Winter. LG Itzehoe, Urt. v. 14.11.2011 – 4 O 83/11. AA Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 89b Rn 23; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 31a; s. a. BGH, Urt. v. 28.1.1971 – VII ZR 95/69, WM 1971, 561. 193 § 89 Rn 17. 194 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 23. 195 Hopt § 89 Rn 18; Oetker/Busche6 § 89 Rn 13. 196 OLG Karlsruhe DB 1978, 298; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 85; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 23 zu Individualvereinbarungen; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9c. 197 BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, WM 2000, 472 = BB 2000, 60 (62) = ZIP 2000, 138 m. Anm. Emde BB 2000, 63; BB 1988, 220; BGHZ 124, 351 (354); 89, 206 (211); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 85. 21

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nachteiligen Auswirkungen auf den Ausgleichsanspruch des Gekündigten nach § 89b und dessen Geltendmachung haben.198 Der Vertragspartner kann das in der vertragswidrigen Teilkündigungserklärung liegende Vertragsänderungsangebot annehmen oder zurückweisen199 und sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung nehmen.200 43 Ist die Teilkündigung unzulässig, kann der Unternehmer die durch Teilkündigung erstrebte Veränderung nur erreichen, indem er eine Änderungskündigung des ganzen Vertrages (Folge: Ausgleichspflicht nach § 89b) ausspricht. Die Umdeutung einer Teilkündigung in eine Änderungskündigung scheidet aber regelmäßig aus, da der Unternehmer bei der Teilkündigung nur einen Teilvertrag beenden will, bei der Änderungskündigung jedoch den Gesamtvertrag.201 Es darf schon wegen des dadurch ausgelösten Ausgleichsanspruchs nicht unterstellt werden, der Unternehmer wolle, um das Ziel der Teilkündigung zu erreichen, in jedem Fall als Zwischenstadium die Beendigung des Gesamtvertrages in Kauf nehmen. Eine dem HV erteilte Abschlussvollmacht darf allerdings unter den Voraussetzungen des § 168 BGB jederzeit widerrufen werden,202 also wenn die Existenz der Abschlussvollmacht nicht vertraglich zugesichert wurde. Eine Klausel, mit der sich der Unternehmer das Recht vorbehält, die Produkte auch über andere Distributoren, selbst unmittelbar an Kunden oder auf sonstigen Vertriebswegen, zu vermarkten, lässt nicht erkennen, dass einem Mittler einseitig das ihm durch den Vertrag eingeräumte Erwerbs- und Veräußerungsrecht für die Vertragsprodukte ganz oder teilweise wieder entzogen werden kann.203

XIV. Tod des Handelsvertreters 44 Der Tod des HV beendet im Zweifel gem. §§ 613, 675, 673 S. 1 BGB den HV-Vertrag,204 nicht aber der Tod des Unternehmers entsprechend § 672 S. 1 BGB.205 Die Parteien können jedoch eine abweichende vertragliche Vereinbarung treffen, etwa dergestalt, dass der Erbe des HV an dessen Stelle tätig werden soll.206

XV. Übertragung der Vertretung auf einen Nachfolger 45 Da die Dienste des HV gem. §§ 613, 664 BGB in Person (wenngleich nicht höchstpersönlich) zu leisten sind (s. zu § 613 BGB die Kommentierung zu Vor § 84), ist das Vertragsverhältnis grundsätzlich an seine Person gebunden. Das hat eine zweifache Bedeutung. Der HV kann seine „Vertretung“, einzeln oder durch Veräußerung seiner Agenturfirma im Ganzen, nicht einseitig auf einen Nachfolger übertragen. Dazu bedürfte es nicht nur der Zustimmung, sondern der Mitwir-

198 BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, BB 2000, 60 = ZIP 2000, 138 m. Anm. Emde BB 2000, 63; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Thume/Haas, 4. Aufl. § 89 Rn 16. 199 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 83; Oetker/Busche6 § 89 Rn 13. 200 BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, ZIP 2000, 138 (140) = BB 2000, 60 m. Anm. Emde; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 83; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 51; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9c. 201 OLG Köln VersR 1989, 1142; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 24. 202 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 1; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 2; ähnlich wie eine dem Makler erteilte Courtage-Zusage, s. LG Köln, Urt. v. 19.2.2016 – 89 O 50/15, VW 2016 Nr. 4, S. 66. 203 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, Rn 28. 204 BGHZ 24, 214 (215); 24, 223; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 36; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 18. 205 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 39; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 8; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 22. 206 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 19. Emde

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kung des Unternehmers.207 Denn dieser hätte mit dem Nachfolger einen eigenen HV-Vertrag abzuschließen. Das mag zwar in der Form des „Eintritts“ des Nachfolgers in den HV-Vertrag als „Übernehmer“ der Vertretung des Vorgängers geschehen. Aber es handelt sich gleichwohl um keine Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinne, auch wenn – firmenrechtlich – eine Firmennachfolge im Sinne des § 25 für die Agentur als Ganzes vorliegen kann. Was erreichbar ist und erreicht werden soll, ist lediglich eine zeitliche und organisatorische Kontinuität in der Betreuung des Bezirks oder des Kundenkreises und der inhaltliche Gleichlauf des neuen mit dem bisherigen Vertrage. Nicht etwa läuft der bisherige Vertrag ohne Einbuße seiner Identität durch bloße Auswechslung seiner Personen weiter.208 Handelte es sich um einen schlichten Eintritt des Nachfolgers in den bestehenden Vertrag, so müssten die bestehenden Provisionsansprüche dem Vorgänger vorbehalten werden – es ist weder erforderlich noch, wo es geschieht, mehr als eine bloße Klarstellung –. Auch erübrigte sich die ausdrückliche Abgrenzung für laufende, aber noch nicht abgeschlossene Vermittlungsbemühungen nach § 87 Abs. 3, die aber gerade hier unumgänglich wird. Das Vertragsverhältnis mit dem Übernehmer schließt sich vielmehr an das mit dem bisherigen HV an. Das Vertragsverhältnis mit dem bisherigen HV ist einvernehmlich beendet. Vertragliche Bestimmungen, die den Fall einer Nachfolge in das Vertreterverhältnis im Voraus regeln, sind zulässig. So kann im Vertrag vorgesehen sein, dass der HV die Vertretung mit Einverständnis des Unternehmers auf einen Dritten übertragen könne,209 dafür dann allerdings gehalten sei, den Nachfolger die Rechte und Pflichten aus dem Vertrage voll übernehmen zu lassen („ihn in den Vertrag eintreten zu lassen“). Ferner darf geregelt wirden, dass im Falle des Todes des HV die Vertretung von seinem Erben (etwa von seiner Witwe) fortgeführt wird. Eine solche Regelung setzt den Normalfall der §§ 673, 675 BGB beiseite. Der Erbe ist in die Dienstleistungsverpflichtung des HV kraft Bereitschaft des Unternehmers, die Erbringung der Dienste von der Person des ursprünglichen Vertragspartners losgelöst zu sehen und hierfür den ggf. noch unbekannten demnächstigen Erben im Voraus zu akzeptieren, eingerückt. Das Vertragsverhältnis setzt sich in der Person des Rechtsnachfolgers fort. Noch anders liegt es, wenn dem Erben lediglich die Option zur Fortsetzung des Vertrages eingeräumt worden ist. Alsdann muss mit dem Optierenden ein selbständiger Vertrag abgeschlossen werden.

XVI. Wegfall der Geschäftsgrundlage Zum WGG (§ 313 BGB) siehe Kommentierung zu Vor § 84.

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E. Absätze 1 und 3 I. Vertragsverhältnis 1. Persönlicher Anwendungsbereich Mit dem Vertragsverhältnis gemeint ist der HV-Vertrag i. S. d. § 84. § 89 gilt für alle HV-Verträge 47 mit Ausnahme der mit HV im Nebenberuf (§ 92b Abs. 1 S. 1), auch für die Verträge von Einfirmen-210 und Untervertretern.211 Der Ausschluss des Anwendungsbereichs des § 89 bei nebenberuflichen HV-Verträgen erscheint wenig sachgerecht. Das Schutzbedürfnis nach Kündigungsfristen besteht auch hier. Auch viele „hauptberufliche“ Vertreter schließen den einzelnen Vertrag als 207 208 209 210 211 23

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 50. AA Sieg VersR 1964, 791. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 48. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 51; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 1a. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 51. Emde

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einen von vielen. Die Bedeutung des einzelnen Vertrages, sofern sie überhaupt Maßstab sein sollte, ist daher auch bei den nicht unter § 92b fallenden Mittlertypen keineswegs immer erheblich. 48 Eine besondere Betrachtung haben in Literatur und Rspr. HV-Verträge der Tankstellenvertreter, -pächter oder Tankstellenstationäre gefunden (§ 84, Stichwort „Tankstellenvertreter“, § 89b Rn 570 ff.). Ihnen stellen die Mineralölgesellschaften vielfach ein Areal auf Pachtgrundlage zur Verfügung, sie errichten darauf die Tankstellenbaulichkeiten oder ermöglichen mit Darlehen die Finanzierung derselben durch den Grundstückseigentümer, um mit dem HV dann den HV-Vertrag auf Betrieb der Tankstelle abzuschließen. Nicht selten wird dem Mineralölunternehmer ein Erbbaurecht bestellt. Die HV-Verträge werden in aller Regel auf längere Frist, meist mit einer Laufzeit von über 5 Jahren, abgeschlossen. Ihre Kündbarkeit nach § 624 BGB wird überwiegend abgelehnt.212 Die Argumente gehen, mit Abwandlungen im Einzelnen, dahin, dass das Stationärverhältnis komplexer Natur sei, nicht nur vertreterrechtliche, sondern auch pachtrechtliche Elemente enthalte und darauf angelegt sei, der Mineralölgesellschaft die Tilgung ihrer meist erheblichen Investitionen durch den Vertrieb ihrer Produkte aus der von ihr errichteten oder finanzierten Tankstelle zu sichern. Verschließt man sich dem nicht, so wird man entgegen Staub/Brüggemann 4. Aufl.213 wegen der Einheitlichkeit des Vertrages auch keine „mittlere Lösung“ befürworten können, nach der gem. § 624 BGB die Verpflichtung des Stationärs zur Dienstleistung als HV kündbar ist, während die übrigen Elemente des Vertrages der für sie geltenden vertraglichen oder sonstigen gesetzlichen Kündigungsregelung unterliegen; entstehende rechtliche Lücken, die dadurch aufgerissen werden können, seien nach Staub/Brüggemann durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Ein Tankstellenvertrag, der dem Unternehmer unbegrenzt das Recht zum Eintritt in das Angebot eines anderen Unternehmers zum Abschluss eines Anschlussvertrages gibt, ist nach § 138 BGB unwirksam.214 Analog angewandt wird § 89 auf die Kommissionsagenten-,215 HV-ähnliche Vertrags49 händlerverträge216 sowie Franchiseverträge mit Vertriebscharakter217 (mglw. aber nicht für 212 BGH, Urt. v. 31.3.1982 – I ZR 56/80, NJW 1982, 1692; BGHZ 52, 171; OLG Celle BB 1962, 542; OLG Stuttgart NJW 1964, 2255; Würdinger NJW 1963, 1550, Rittner Anm. zu OLG Stuttgart a.a,O., Meyer NJW 1965, 1573.

213 § 89 Rn 7; ebenso Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41e. 214 BGH, Urt. v. 31.3.1982 – I ZR 56/80, NJW 1982, 1692. 215 RGZ 69, 363 (365); OLG München HVR Nr. 894; Ebenroth S. 158; Küstner/Thume/Thume III, Kap. 2 Rn 23; Flohr/ Wauschkuhn/Fröhlich Vertriebsrecht2 § 87 Rn 163; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 154; Canaris § 16 Rn 9; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 51; Hopt § 89 Rn 19; Oetker/Busche § 89 Rn 26. 216 BGH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII ZR 150/08, WM 2009, 1990 = BeckRS 2009, 22193 (dort wegen Vorranges der KfzGVO verneint); v. 9.10.2002 – VIII ZR 95/01, BB 2002, 2520 = NJW-RR 2003, 98 = MDR 2003, 162 = DB 2003, 825 = WM 2003, 842 = EWiR 2003, 587 (v. Hoyningen-Huene); v. 17.7.2002 – VIII ZR 59/01, NJW-RR 2002, 1554 = DB 2002, 1992 = EWiR 2002, 915 (Emde); EBE 1995, 259; DB 1966, 577 (LS); v. 5.4.1962 – VII ZR 202/60, LM Nr. 1 = NJW 1962, 1107; OLG Stuttgart BB 1972, 548; LG Braunschweig Urt. v. 11.4.2019 – 22 O 2195/17; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (auch wenn der Händler nicht in die Absatzorganisation des Herstellers eingegliedert ist); Schwytz BB 1997, 2385; Emde EWiR 1999, 411 (412); Westphal OLGR-Kommentar 16/2000, K35 (K37); Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 125; Westphal II Rn 109, 150; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 51; Oetker/Busche6 § 89 Rn 26. Die Notwendigkeit einer dem HV vergleichbaren Umstellungsfrist bestehe, so der BGH in seinem Urt. v. 9.10.2002 – VIII ZR 95/01, bei einem FN zumindest dann, wenn er seinen Geschäftsbetrieb vertragsgemäß weitgehend auf das Vertriebskonzept des FG zuzuschneiden habe. Eine solche Verpflichtung nahm der BGH an, weil der FN sein unter dem Label „H.“ auftretendes Kfz-Mietgeschäft ausschließlich in der Form des Standardmietabkommens des „H. Franchisesystems“ zu führen, das „H-Zeichen“ auf Mietfahrzeugen und Geschäftsunterlagen zu verwenden sowie die Gestaltung der Geschäftsräume und Uniformierung des Personals an die “Standard-H.-Farben“ anzupassen habe. Angesichts dieser umfassenden Eingliederung in das Franchisesystem des FG, die eine kurzfristige Umstellung auf ein anderes Vertriebskonzept nicht zulasse, müssten dem FN in gleicher Weise wie einem HV die Mindestkündigungsfristen des § 89 zugutekommen. Die analoge Anwendung des § 89 wäre wohl auch ohne die franchisetypische – aber handelsvertreteruntypische – Einbindung aufgrund der Vertriebspflicht und eines Statusvergleichs richtig gewesen (Emde EWiR 2002, 915). 217 BGH, Urt. v. 17.7.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = MDR 2002, 1259 = NJW-RR 2002, 1554 = EWiR 2002, 915 (Emde) = WM 2003, 251; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.9.2009 – 16 U 62/08, BeckRS 2009, 89466; Canaris § 18 Rn 27; Emde

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Verträge über Partnerschaftsfranchising218). Das dient der Rechtssicherheit (Vorhersehbarkeit der Kündigungsfristen)219 und soll nach einer Meinungsgruppe auch gelten, wenn der Händler nicht einem HV vergleichbar in das Vertriebssystem des Unternehmers eingegliedert ist.220 Kürzere als in § 89 geregelte Fristen können auch in solchen Verträgen weder in AGB noch individualvertraglich vereinbart werden.221 Nach einer anderen Ansicht soll die angemessene Länge der Frist für die ordentliche Kündi- 50 gung in Vertragshändlerverträgen einzelfallbezogen und „flexibel“ durch Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu bestimmen sein.222 Für die Länge der zulässigen Kündigungsfrist komme es auf die Branche und die Dauer des Vertrages an.223 Nach dieser Meinungsgruppe werden die starren Regelungen des § 89 den unterschiedlichen Branchenanforderungen in Vertragshändlerbeziehungen nicht gerecht.224 Diese wiesen eine größere Bandbreite in der Ausgestaltung auf als HV-Verträge. Diese Ansicht befürwortet eine ergänzende Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB. Werde mit zu kurzer Frist gekündigt, so gelte die angemessene Frist.225 Jene Rechtsunsicherheit gebende Ansicht ist abzulehnen. Sie wird der tiefen Einbindung des Vertragshändlers in das Vertriebssystems des Unternehmers kaum gerecht. Der Vertragshändler ist gegenüber dem HV noch schutzbedürftiger, weil er leitbildtypisch höhere Investitionen erbringen muss und zudem das Zahlungsrisiko in den Kundenbeziehungen trägt. Auch dem Vertragshändler ist damit die von § 89 vorgesehene Mindestumstellungsfrist zu gewähren. Der Ansicht ist nur zuzugeben, dass die Auslegung eine über die Mindestkündigungsfristen des § 89 hinaus reichende, längere Kündigungsfristen ergeben kann, übrigens nicht nur im Vertragshändler-, sondern auch im HV-Bereich. Mesch befürwortet eine regelmäßige Kündigungsfrist von drei Monaten.226 Sowohl bei einer analogen Anwendung des § 89 als auch im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung kommt es nach Mesch227 für die Bestimmung der Länge der Kündigungsfrist auf die Dauer des Vertrages an. Wohl nicht nur im Kfz-Vertragshändlerbereich sollen die gemeinschaftsrechtlichen Rege- 51 lungen und Wertungen einer GVO zu beachten sein.228 Das gilt insb. für ihre bis 2013 existierenden, später aber entfallenen, Bestimmungen zur Kündigung der Verträge. So sollte bspw. die Regelung über die Fristenparität des § 89 Abs. 2 während der Geltungsdauer der 2013 aufgehobenen Kfz-GVO 1400/02 nicht analog anwendbar sein,229 was problematisch war, weil diese Begründung für zwingend von § 89 und Art. 15 Abs. 3 RL erfasste Kfz-HV nie griff (Ungleichbehandlung), Kartellrecht keine zivilrechtliche Fragen regelt und die Fristenparität in Art. 15 Abs. 3 RL gleichfalls europarechtlich präformiert ist.230 Nach Ansicht des BGH sollte die in der GVO 1400/02 vorgesehene Strukturkündigung ein außerordentliches, an enge materielle Voraussetzungen gebundenes Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 144; Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 492; Westphal OLGR-Kommentar 16/2000, K35 (K37); Westphal II Rn 109, 150; Ebenroth/ Löwisch3 § 89 Rn 51; Oetker/Busche6 § 89 Rn 26; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 89 Rn 6. 218 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 146; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 51. 219 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (140). 220 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139; aA OLG Stuttgart BB 1972, 548 (550): ergänzende Vertragsauslegung. 221 Westphal OLGR-Kommentar 16/2000, K 35 (K 37); Westphal II Rn 109, 150. 222 OLG Stuttgart NJW-RR 1990, 491; Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (10); van der Moolen in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 3. Auflage 2010, S. 519, § 23 Rn 25. 223 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (10). 224 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (10). 225 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (11). 226 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (10). 227 ZVertriebsR 2015, 8 (10). 228 BGH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII ZR 150/08, WM 2009, 1990 zur Kfz-GVO 1400/02; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 132. 229 BGH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII ZR 150/08, WM 2009, 1990; krit. Emde BB 2009, 2330 (2331). 230 Emde BB 2009, 2330 (2331). 25

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und auf einer Abwägung der Interessen des Lieferanten und des Händlers beruhendes Sonderkündigungsrecht bilden, welches mit der ordentlichen, lediglich fristgebundenen Kündigung nach § 89 unvergleichbar sei.231 In investitionsintensiven Vertriebsverträgen kann sich (vom Begünstigten zu beweisen) eine längere Kündigungsfrist ergeben: Im Kfz-Vertragshändlerrecht galt unter der Ägide der seinerzeitigen GVO 123/85, die lediglich eine 1jährige Kündigungsfrist vorschrieb, dass eine Kündigungsfrist von einem Jahr nach einer umstrittenen232 Entscheidung des BGH233 als unterste Grenze des Zulässigen anzusehen sei und keine unangemessene Benachteiligung des Händlers darstelle. Eine in einem Motorrad-Händlervertrag vereinbarte 6monatige Kündigungsfrist zum Jahresende soll jedoch AGB-rechtlich nicht zu beanstanden sein.234 Jedenfalls gilt dies bei unzureichendem Vortrag zu der Frist im Lichte des konkreten Geschäftsmodells.235 Tatsächlich dürfte selbst die 1jährige Kündigungsfrist im Falle eines Kfz-Vertragshändlervertrages oder eines anderen Händlervertrages mit investitionsträchtigem Geschäft unangemessen kurz sein.236 Eine kürzere Kündigungsfrist kann auf eine 1jährige oder längere Frist verlängert werden.237 Eine Kündigungsfrist von 6 Monaten ist im investitionsintensiven Kfz-Vertriebsrecht wie auch in anderen investitionsintensiven Branchen erst recht inakzeptabel.238 Das Gegenargument lautet im Wesentlichen, jeder Vertragspartner wisse, worauf er sich einlasse.239 Aber dieses Argument gilt am wenigsten im durch zwingendes Recht zugunsten des Mittlers geformten Vertriebsrecht und wird auch sonst nicht akzeptiert (s. §§ 134, 138, 242, 307 ff. BGB). In späteren Judikaten hat der BGH240 offengelassen, ob an seiner früheren Entscheidung angesichts der seinerzeit auf 2 Jahre verlängerten, jetzt entfallenen Kündigungsfrist der am 1.7.1995 in Kraft getretenen Kfz-GVO 1475/95 festgehalten werde.241 Eine 2jährige Kündigungsfrist sollte in investitionsintensiven und den Wechsel zu anderen Vertragspartnern erschwerenden, auf die CI des Unternehmers ausgerichteten Branchen Mindeststandard sein. Jedenfalls ist eine 2jährige Kündigungsfrist242 im KfzVertragshändlerrecht nicht zu beanstanden. Sie sollte auch nach dem Wegfall der 2-jährigen Kündigungsfrist der Kfz-GVO243 Leitbild bleiben. Zahlreiche Kfz-Hersteller haben einen Verhaltenskodex akzeptiert, welcher eine 2-jährige Mindestkündigungsfrist vorsieht (Vor § 84 Rn 388). Er wäre im Rahmen des § 19 GWB – Gleichbehandlung – zu berücksichtigen und zeigt die Überzeugung von der Richtigkeit einer 2jährigen Kündigungsfrist. Teilweise werden mit zunehmender Amortisationsdauer reduzierte Kündigungsfristen diskutiert.244 Die analoge Anwendung des § 89 auf Lieferverträge ohne Vertriebspflicht, jedoch mit 52 Dauerschuldcharakter, kann nach den Umständen des Einzelfalls vertretbar sein.245 Voraussetzung ist ein Rahmenvertrag, der seiner Einbindung nach einem HV- oder Vertragshändler-Ver231 BGH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII ZR 150/08, WM 2009, 1990 Rn 12 ff. 232 Graf v. Westphalen FG Gündisch, S. 83. 233 BGH, Urt. v. 21.2.1995 – KZR 33/93, NJW-RR 1995, 1260 (1261); zust. OLG München NJW 2004, 2530 (2531); OLG Stuttgart NJW-RR 1990, 491; nach Wegfall der Kündigungsschutzvorschriften der Kfz-GVO 1400/02 Niebling WRP 2010, 81 (84) = WRP 2010, 1454 (1458). 234 OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.8.2020 – VI-U (Kart) 10/20, WuW 2020, 542 (545). 235 OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.8.2020 – VI-U (Kart) 10/20, WuW 2020, 542 (545). 236 Emde BB 2000, 63 (65); Emde EWiR 2000, 153 (154); Emde VersR 2001, 448 (459); offen gelassen von Westphal II Rn 151. Niebling WRP 2012, 1361 (1362) geht davon aus, dass die Rspr. die 1jahresfrist regelm. anwenden wird. 237 OLG Stuttgart, Urt. v. 15.9.1989 – 2 U 63/88, NJW-RR 1990, 491. 238 BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, ZIP 2000, 138 (142). 239 Siehe Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 127. 240 Entsch. v. 6.10.1999, ZIP 2000, 138 (140). 241 Die bis 2013 geltende Kfz-GVO 1400/02 bestimmte gleichfalls eine 2jährige Kündigungsfrist. 242 LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde). 243 Hierzu Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (140). 244 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 128. 245 OLG Hamm Urt. v. 21.4.2016 – 18 U 33/15 – 6 Monate im Strukturvertrieb; Kühne ZVertriebsR 2015, 156. So auch obiter OLG Schleswig, Urt. v. 28.1.2010 – 16 U (Kart) 55/09, BeckRS 2010, 02834; aA wohl OLG Köln, Urt. v. 21.9.2012 – 19 U 113/11, IHR 2013, 168 (172) m. Anm. Thume. Emde

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trag ähnelt und auf eine vergleichbar lange Laufzeit ausgerichtet ist. Beispiele bilden etwa Dauerbezugsverträge, also Rahmenverträge ohne Vertriebspflicht, die nicht auf die Lieferung einer bestimmten Gesamtmenge an Waren gerichtet sind.246 Für eine analoge Anwendung des § 89 wird – ebenso wenig wie bei einem Vertragshändlervertrag – Voraussetzung sein, dass der Umfang der vorgesehenen Einzellieferungen bereits im Vertrag vereinbart wurde. Vielfach wird bei solchen Verträgen im Wege ergänzender Vertragsauslegung247 oder nach § 242 BGB eine angemessene Auslauffrist geschuldet sein. Die Schwierigkeiten der Bestimmung führen zur Rechtsunsicherheit. Nach aA soll bei Lieferverträgen, die nicht unter die §§ 84 ff. (ggf. analog) fallen, die angemessene Kündigungsfrist gem. §§ 624,248 723 BGB oder nach § 19 GWB bestimmt werden. Sie soll dann mindestens mit 6 Monaten zu bemessen sein, darf aber bei einer Dauer der Lieferbeziehung von 20 Jahren und angesichts des Umstandes, dass der Belieferte 85 % der von ihr vertriebenen Produkte vom Lieferanten bezog, auch mit einem Jahr bestimmt werden.249 Kühne250 bevorzugt die an die Vertragsdauer angelehnten Kündigungsfristen des § 89 Abs. 1 gegenüber einer Anwendung des § 624 S. 2 BGB analog oder direkt. § 624 S. 2 BGB fordere ein dienstvertragliches Element, welches in Dauerbezugsverträgen rglm. fehle. Außerdem prädestiniere die starre Kündigungsfrist von 6 Monaten § 624 S. 1 BGB nicht als Auffangtatbestand.251 Die analoge Anwendung des § 89 Abs. 1 sei jedenfalls richtig, sofern für den Vertragspartner erkennbar sei, dass der Abnehmer bei Vertragsende einen Umstellungszeitraum benötige, weil eine kurzfristige Umstellung unmöglich sei.252 Selbst wenn ein solches Bedürfnis fehle, sei eine analoge Anwendung des § 89 Abs. 1 zu bevorzugen.253 Bedeutsam dürfte eine (ergänzende) Vertragsauslegung insb. sein, falls über § 89 hinausgehenden Kündigungsfristen in Frage stehen. Die Auslegung kann solche längeren Kündigungsfristen nahe legen.254 Teilweise wird vertreten, die Analogie zu § 89 solle selbst bei einem nicht förmlich in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliederten Mittler bzw. Händler eingreifen.255 Richtig daran ist, dass angesichts der oft geringen Eingliederungstiefe der leitbildgebenden §§ 84 ff. nicht in jedem Fall die Eingliederungstiefe eines Vertragshändlervertrages vorzuliegen braucht.256 Auch insoweit wird es auf den Einzelfall ankommen. Bei dem nicht wie ein HV in das Vertriebssystem des Unternehmers eingebundenen Händler sollen aber nur die Kündigungsfristen und Kündigungstermine analog gelten, nicht die zwingende Natur des § 89.257 Auf Makler, auch Versicherungsmakler, ist § 89 im Regelfall unanwendbar. Für Anstellungsverträge unselbständiger Geschäftsmittler (Handlungsgehilfen) gilt § 89 53 nicht; ebenso wenig für jene, welche nach § 84 Abs. 2 als Angestellte gelten. Sie unterliegen den Kündigungsregeln des § 66 und dem arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht. Umgekehrt gilt das Kündigungsschutzrecht nicht für HV, welcher Gattung auch immer; auch nicht für den Einfirmenvertreter des § 92a und innerhalb dieses Kreises nicht einmal für den „arbeitnehmer246 Kühne ZVertriebsR 2015, 156. 247 OLG Stuttgart BB 1990, 1015; Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 336; Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 496; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny 7. Aufl. Rn 2259. 248 OLG Koblenz, Urt. v. 4.6.2013 – 3 U 375/13, BB 2013, 2131 mit abl. Anm. Ayad; aA Kühne ZVertriebsR 2015, 156 (158). 249 OLG Koblenz, Urt. v. 4.6.2013 – 3 U 375/13, BB 2013, 2131 mit abl. Anm. Ayad. 250 Kühne ZVertriebsR 2015, 156 (157). 251 Kühne ZVertriebsR 2015, 156 (157). 252 Kühne ZVertriebsR 2015, 156 (158). 253 Kühne ZVertriebsR 2015, 156 (158). 254 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny 7. Aufl. Rn 2259, der allerdings auch kürzere Kündigungsfristen für möglich hält. 255 OLG Stuttgart BB 1972, 548; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 51. 256 AA wohl OLG Köln, Urt. v. 21.9.2012 – 19 U 113/11, IHR 2013, 168 (171) m. Anm. Thume, das einen Vertragshändlervertrag fordert. 257 Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 624; Ulmer S. 445. 27

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ähnlichen“.258 Lediglich den HV im Nebenberuf nimmt § 92b von den Kündigungsfristen des § 89 aus und gibt stattdessen wahlweise eine eigene, kürzere.

2. Sachlicher Anwendungsbereich 54 a) Überblick. Der sachliche Anwendungsbereich stellt die Frage nach der Abgrenzung des § 89 zu den Kündigungsbestimmungen sowie dem Auftragsrecht des BGB. Hierzu siehe d. Kommentierung zu Vor § 84 betreffend das Verhältnis zum BGB. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass § 89 im gesamten Vertriebsrecht eine vorrangige Regelung für die ordentliche Kündigung des HV-Vertrags bildet,259 auch wenn die Parteien für die vertragsbeendende Erklärung eine andere Bezeichnung wählen.

55 b) Faktischer Vertrag. Für den objektiv nicht wirksamen aber nach der subjektiven Vorstellung der Parteien tatsächlich in Vollzug gesetzten HV-Vertrag gelten die §§ 89, 89a ebenfalls (Lehre vom faktischen Vertrag): die Beziehung der Parteien wird zumindest bis zur „Entdeckung“ der Unwirksamkeit wie ein ordnungsgemäß begründeter Vertrag behandelt260 und beendet. Siehe zunächst d. Kommentierung zu § 84. Dazu muss der übereinstimmende, nach außen zum Ausdruck gebrachte tatsächliche Wille beider Parteien dahin gehen, einen auf Dauer angelegten HV-Vertrag zu begründen und die Art der Unwirksamkeit – etwa Sittenwidrigkeit, Verstoß gegen ein die öffentliche Ordnung schützendes Gesetz i. S. d. § 134 BGB – darf keine sofortige Vertragsbeendigung fordern. Zwar bedarf es rechtstechnisch einer Kündigungserklärung in Nichtigkeitsfällen nicht. Denn der Vertrag wurde nicht wirksam. Allenfalls müsste sich eine Partei auf die Nichtigkeit berufen; diese Erklärung wird de facto wie eine Kündigungserklärung behandelt.261 Zumindest analog § 89 wird jedoch eine angemessene Auslauffrist geschuldet, was meist im Interesse beider Parteien liegt.262 Sofern der beiderseitige Wille auf ein Dauerschuldverhältnis mit den Kündigungsfristen des § 89 gerichtet war, kann sich eine Partei nicht einseitig, z. B. unter Berufung auf das Fehlen eines förmlichen Vertragsschlusses, von dem Vertrag lossagen.263 Bildet der Nichtigkeitsgrund für eine Partei einen wichtigen Grund nach § 89a, ist eine sofortige Vertragsbeendigung möglich, etwa bei Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung. Fehlt es an der übereinstimmenden Vorstellung eines wirksamen Vertrages, bedarf es keiner Kündigung, sondern nur des Hinweises auf die Nichtigkeit.264 Aber auch dann fragt sich, ob der Vertragsteil, den keine Schuld an der Nichtigkeit trifft, nicht von seinem Vertragspartner nach § 280 BGB (Naturalrestitution) eine angemessene Auslauffrist analog den Fristen des § 89 fordern darf.265 Ausgleich in Geld könnte das Interesse des von der Nichtigkeit Betroffenen kaum immer befriedigen. An eine angemessene Auslaufzeit ist gerade in Fällen der Vermögenslosigkeit des Geschäftspartners (Undurchsetzbarkeit von Schadenersatzansprüchen) zu denken oder wenn der faktische Abbruch der Kundenbeziehungen durch Schadensersatz nicht kompensiert werden kann. Die von BGHZ 53, 159 vorgebrachte Einschränkung, derzufolge die Grundsät258 LAG Baden-Württemberg DB 1959, 656. 259 Boldt BB 1962, 907; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 4 (abschließende Sonderregelung); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 3. 260 BGH, Urt. v. 25.11.1963 – VII ZR 29/62, BGHZ 40, 235 (238 f.) = DB 1964, 28 = NJW 1964, 350; BGHZ 53, 152 (159); 129, 290 (293) – die Einschränkung wirtschaftlicher Schutzbedürftigkeit sollte heute entfallen; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 19; Hopt § 85 Rn 1; 89 Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 42a; Evers BB 1992, 1370; aA Canaris § 17 Rn 27 ff. – er will über das Bereicherungsrecht und den Einwand des Rechtsmissbrauches helfen. 261 Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 42; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 b Rn 32. 262 AA Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 42: Im Zweifel gilt § 89 nicht. 263 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 19. 264 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 19; Hopt § 85 Rn 1. 265 Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 42. Emde

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ze des faktischen Vertrages nur bei wirtschaftlicher oder sozialer Überlegenheit des Unternehmers maßgeblich sind, dürfte überholt sein.266 Auch eine Differenzierung zwischen anfänglicher und späterer Nichtigkeit ist dogmatisch kaum haltbar.267 In beiden Fällen sollte der Vertrag als faktischer angesehen werden. Wird der Vertrag als faktischer anerkannt, ist das Datum des Vertragsbeginns für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs das maßgebliche.268

3. Kündigung vor Vertragsbeginn Der Beginn des Laufs der Kündigungsfrist vor Antritt des HV-Verhältnisses wurde von Staub/ 56 Brüggemann in der 3. Aufl. nur mit der Einschränkung als zulässig angesehen, dass der Kündigungstermin später lag als der vertragliche Vertragsbeginn.269 Diese Einschränkung ist nicht aufrecht zu erhalten: Das Recht zur Kündigung besteht, sobald der Vertrag geschlossen wurde,270 die in § 89 gewährten Umstellungsfristen sind auch dann gewahrt. Dies kann zur Folge haben, dass der Vertrag bei länger hinausgeschobenem Vertragsbeginn und kürzerer gesetzlicher oder vertraglicher Kündigungsfrist endet, ehe er nach dem Vertragsinhalt beginnen sollte.271 Es würde den HV unzumutbar belasten, müsste er erst ein bereits gekündigtes Vertragsverhältnis antreten, um nach einer relativ kurzen und kaum ertragreichen Einarbeitungszeit die Tätigkeit schon wieder aufzugeben, statt sie gar nicht erst antreten zu brauchen. Abzulehnen ist die Einschränkung, wonach die Interessenlage entscheide, ob eine Kündigung vor Vertragsantritt den Effekt einer Lösung des Vertragsverhältnisses vor seinem Beginn haben könne. Die Kündigung muss in ihrer Wirkung eindeutig sein. Der Kündigungsempfänger muss sich auf ihre Wirksamkeit einstellen können; es darf nicht in der Schwebe bleiben und von einer arbiträren Beurteilung der Interessenlage und der Güterabwägung abhängen, ob sie als einseitige Willenserklärung wirksam geworden sei oder nicht.

II. Auf unbestimmte Zeit eingegangen/Vertrag mit bestimmter Laufzeit § 89 regelt nur die Kündigung von HV-Verträgen, die auf unbestimmte Zeit eingegangen sind. 57 Den Gegensatz bilden die auf bestimmte Zeit geschlossenen HV-Verträge (vgl. § 620 Abs. 1 BGB). Ihre besondere Erwähnung erschien überflüssig, weil sie ohnehin nach Ablauf der jeweils fest bestimmten Zeit enden. Bei Verträgen mit Festlaufzeit besteht keine Möglichkeit einer fristgerechten ordentlichen Kündigung nach § 89. Da die ordentliche Kündigung jedoch den Regelfall bildet und bilden soll, ist der Anwendungsbereich der auf bestimmte Zeit geschlossenen Verträge eng zu ziehen. Im Zweifel (Unklarheitenregel bei AGB!) ist von einem Vertrag mit unbestimmter Dauer auszugehen. Generell werden HV-Verträge eher auf unbestimmte Zeit, Vertragshändler- und Franchiseverträge wegen Art. 5 Abs. 1 lit. a GVO 330/10 oft auf fünf Jahre fest abgeschlossen.272 Ein auf unbestimmte Zeit geschlossener Vertrag liegt vor, wenn er nicht automatisch 58 mit Eintritt eines zeitlich feststehenden Ereignisses oder zu einem anderweitig bestimmten

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Hopt § 89 Rn 5. Hopt § 89 Rn 5. Hopt § 89 Rn 5. BGH, Urt. v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, BB 1984, 235 (237); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 79; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 49; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume § 89 Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 12. 270 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 29; vgl. BGH, Urt. v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, BB 1984, 235 (237). 271 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 49, 50. 272 Vgl. Flohr/Liesegang ZVertriebsR 2018, 351. 29

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Endtermin sein Ende finden soll,273 sondern es hierzu eines besonderen Endigungstatbestandes bedarf, nämlich entweder einer Einigung beider Parteien (Aufhebungsvertrag), meist aber einer rechtsgestaltenden Erklärung, etwa einer Kündigung,274 eines Widerspruchs zur (automatischen) Verlängerung oder einer sonstigen Erklärung, aus der sich der Wille zur Nichtverlängerung ergibt, jedenfalls aber eines ungewissen Ereignisses. 59 Eine „bestimmte“ Vertragsdauer muss – nicht anders als bei der Auslegung des Begriffs „ständig“ in § 84 Abs. 1 (s. Kommentierung zu § 84) keine kalendermäßig bestimmte sein.275 Entscheidend ist, dass der Vertragsinhalt ausdrücklich oder konkludent ergibt, dass der Vertrag mit Ablauf der von vornherein festgelegten Dauer, z. B. mit Eintritt eines zeitlich feststehenden Ereignisses oder zu einem sonstigen bestimmten Endtermin, automatisch und ohne rechtsgestaltende Erklärung (ordentliche Kündigung) enden soll.276 Eine solche Vereinbarung ist zulässig,277 wie der Umkehrschluss aus § 89 Abs. 1 zeigt. Das Problem einer festen Begrenzung ist zum einen die zum Vertragsende eintretende Unsicherheit, ob verlängert wird. Hierdurch können die Vertriebsbemühungen gelähmt und Investitionen gehindert werden. Außerdem entsteht mit Ende der Frist „automatisch“ der Ausgleichsanspruch nach § 89b. Aus Sicht des Unternehmers ist es in vielen Situationen vorteilhafter, auf eine Kündigung des ggf. auf die Vertragsbeendigung angewiesenen Mittlers zu warten, damit der Ausgleichausschlussgrund des § 89b Abs. 3 Nr. 1 eintritt. 60 Eine zeitlich feste Begrenzung kann sich außer aus der klaren vertraglichen Befristung auch aus anderen Merkmalen ergeben, z. B. die Dauer einer Messe, einer Ausstellung oder einer Vertretung für einen kurzfristig erkrankten Kollegen des Nachbarbezirks. Im Wege der Auslegung ist die bestimmte, feste Vertragslaufzeit, die eine Kündbarkeit nach § 89 während der festen Vertragslaufzeit ausschließt, von einer bloßen Höchstlaufzeit abzugrenzen, die eine die Kündigung nach § 89 nicht derogierende Höchstlaufzeit des Vertrages bestimmt. Indizen für eine „bestimmte“ Festlaufzeit und gegen eine bloße Höchstlaufzeit sind Vertragsklauseln wie: „während dieses Zeitraums ist nur eine außerordentliche Kündigung möglich“ oder „das ordentliche Kündigungsrecht ist während dieses Zeitraums ausgeschlossen“, gelegentlich auch „das Kündigungsrecht des § 89 ist während dieses Zeitraums ausgeschlossen“. Eine mildere, wenngleich weniger klare Form wäre die Formulierung: „Der Vertrag beginnt am XXX und wird auf fünf Jahre fest abgeschlossen“. Ein bis zum Widerruf geltender Vertrag ist ein unbefristeter Vertrag.278 Der „Widerruf“ wäre eine Kündigung, die nur binnen der Fristen des § 89 erklärt werden darf.279 Überall, wo dem HV-Verhältnis von vornherein eine nur begrenzte Dauer innewohnen soll, wird § 89 mit seinen Kündigungsmöglichkeiten, Kündigungsfristen und Kündigungsterminen unanwendbar. Hierbei handelt es sich aber um eine Ausnahme, die zu beweisen hat, wer sich auf sie beruft. Eine außerordentliche Kündigung nach § 89a (aber nur sie!) bleibt auch bei auf bestimmte Vertragsdauer gezeichneten Verträgen möglich.280 Die Voraussetzungen an den wichtigen Grund sind nicht höher oder niedriger als im Rahmen der auf unbestimmte Dauer geschlossenen Verträge, wohingegen bei beiden Vertragstypen höhere Anforderungen an den wichtigen Grund zu richten sind, sofern die ordentliche Vertragsdauer in Kürze endet. Verträge unter auflösender Bedingung,281 solche die grds. befristet sind, sofern zuvor eine

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 52; Hopt § 89 Rn 19. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 10, 38. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 3a. Schröder FS Hefermehl S. 113; Schröder DB 1966, 2007; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13; Hopt Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 3a. 277 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 118/11, NJOZ 2012, 2213. 278 OLG Bamberg HVR (52) Nr. 87; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 53; Hopt § 89 Rn 20; Oetker/Busche6 § 89 Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 33. 279 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 53; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume § 89 Rn 6. 280 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13. 281 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 4.

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ordentliche Kündigung möglich ist,282 bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres (Altersschwelle)283, auf Probe oder auf Lebenszeit284 (wobei ein Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts zu prüfen bleibt) sind im Zweifel auf unbestimmte Zeit;285 Zeitverträge mit Option auf Verlängerung286 (bis zu einer unbefristeten Verlängerung) oder Verträge mit auf Dauer ausgeschlossenem Kündigungsrecht287 auf bestimmte Zeit geschlossen,288 mit der Folge, dass § 89 vom Wortlaut her nicht eingreift. Zu Verträgen, die sich gem. einer bereits bei Vertragsbeginn getroffenen Vereinbarung mit vertraglicher Befristung um jeweils feste Zeiträume automatisch verlängern s. u. Bei Vorliegen der TB-Voraussetzungen bleibt eine Kündigung nach § 89a sowie § 624 BGB möglich.289 Die Parteien können durch Änderungsvertrag, auch mittels AGB,290 einen Vertrag mit be- 61 stimmter Vertragsdauer in einen solchen mit unbestimmter Dauer wandeln und vice versa. Die aus dem vorvertraglichen Schutzpflichten hergeleiteten Grundsätze über den Ab- 62 bruch von Vertragsverhandlungen können auf den Fall der Nichtverlängerung eines bestehenden Vertrages angewandt werden.291 Besteht ein triftiger Grund für die Nichtverlängerung, entfällt ein Schadenersatzanspruch. An einen triftigen Grund sollen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sein.292 In die Gesamtschau ist z. B. die Höhe der Investitionen einzustellen, die im Vertrauen auf das Zustandekommen eines Vertrages bzw. dessen Verlängerung herausgefordert wurden.293 Eine vorherige Abmahnung vor der Nichtverlängerung ist nicht erforderlich.294 Verzögerungen bei einem Flagship-Projekt bilden einen triftigen Grund.295

III. Absatz 3/Kettenverträge Der Begriff der Kettenverträge wird oft für unterschiedliche Verträge genutzt. Im strengen Sinn 63 liegt ein Kettenvertrag nur in der unter Rn 68 genannten Konstellation vor, in welcher sich an einen Ursprungsvertrag ein bei Abschluss des Ursprungsvertrags mglw. nicht erwarteter separater Folgevertrag anschließt. In den Konstellationen der Rn 64 ff. liegt hingegen ein einheitlicher, fortgesetzter Vertrag vor. Die Terminologie in Literatur und Rspr. ist teilweise uneinheitlich.

282 BGH, Urt. v. 6.2.1969 – VII ZR 125/66, VersR 1969, 445 (446 linke Spalte): VV-Vertrag mit Beendigung bei Erreichen des 65. Lebensjahres; Boetius VersR 1969, 447; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 14, 16; Hopt § 89 Rn 20. 283 BGH, Urt. v. 6.2.1969 – VII ZR 125/66, VersR 1969, 445 (446 linke Spalte): VV-Vertrag mit Beendigung bei Erreichen des 65. Lebensjahres; Boetius VersR 1969, 447; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 16; Hopt § 89 Rn 20. 284 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 70; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 63; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 8; aA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13. 285 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13. 286 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 60; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 59; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13, 15; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 17; vgl. BGH, Urt. v. 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, ZIP 2000, 314 = EWiR 2000, 461 (Graf v. Westphalen). Man könnte angesichts der erforderlichen Umstellungsfrist für die Ausübung der Option aber die Einhaltung der Fristen des § 89 analog diskutieren. Dagegen spricht wieder, dass dann nicht – wie von § 89 vorausgesetzt – eine Umstellung wegen des Vertragsendes sondern wegen der Vertragsfortführung erforderlich ist. 287 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13. 288 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13. 289 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 64. 290 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 13. 291 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (19). 292 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (19). 293 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (20). 294 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (20). 295 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (20). 31

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1. Abs. 3: Einverständlich unbefristet fortgesetztes Vertragsverhältnis 64 Der auch für Vertragshändler geltende296 Abs. 3 betrifft einen Ausschnitt aus der Problematik fortgesetzter Vertragsverhältnisse, nämlich den Sonderfall eines zunächst auf bestimmte Zeit begründeten Vertragsverhältnisses, welches nach Fristablauf ohne irgendeine Regelung zu Vertragsdauer oder Kündigungsmöglichkeit von beiden Parteien einvernehmlich unbefristet fortgesetzt wird.297 Der Fall des Abs. 3 ist mithin von dem unter Rn 68 ff. erwähnten „eigentlichen“ Kettenvertrag abzugrenzen298: Bei der nicht von Abs. 3 erfassten Situation schließt sich an den ersten Zeitabschnitt ein weiterer mit ebenfalls von vornherein begrenzter Zeitdauer an. Für die demgegenüber ohne ausdrückliche Befristung vorgenommene, ggf. stillschweigende Vertragsfortsetzung gibt Abs. 3 eine der Rechtssicherheit dienende,299 nicht zwingende Auslegungsregel300: Ein zunächst bis zu einem festen Auslauftermin befristeter Vertrag wird auf unbestimmte Zeit verlängert, sofern er nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit von beiden Teilen einverständlich fortgesetzt wird.301 Eine erneute Einigung oder ein fortdauerndes Einigsein der Parteien über sämtliche Bedingungen ihrer Zusammenarbeit ist unnötig;302 die Fortsetzung wird fingiert. Es genügt, dass der Mittler weiter für den Unternehmer tätig ist und jener die vom HV vermittelten Kundengeschäfte ausführt.303 Eine bloß einseitige Fortführung, welcher der andere Teil nicht unverzüglich widersprochen hat, soll aber nicht genügen,304 ein wenig praktischer Ausnahmefall. Abs. 3 zeigt, dass eine derartige Fortsetzung zulässig ist. In diese Gruppe fallen nach Ablauf der ersten Befristung geschlossene Verträge, die aufgrund entsprechender Verlängerungsklauseln nach Fristablauf auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden sollen305 oder nur zu bestimmten Terminen gekündigt werden können,306 sowie die nach Fristablauf tatsächlich fortgesetzten Verträge gem. Abs. 3.307 Die ständige Unsicherheit über die Verlängerung des Vertrages führt nicht zur Unwirksamkeit der Verlängerungsklausel gem. §§ 138, 307 BGB. Für eine stillschweigende Einigung genügt die weitere Tätigkeit des HV, sofern der Unter65 nehmer davon Kenntnis erlangt und sie in irgendeiner Weise duldet, z. B., indem er die vom HV vermittelten Geschäfte ausführt oder der Tätigkeit des HV nicht unverzüglich widerspricht.308 Eine darüber hinausgehende Fortsetzungsvereinbarung ist streng genommen nicht notwendig, sie kann aber (wie im Fall des befristeten Fortsetzungsvertrages) ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Eine Ausführung des vermittelten Geschäfts durch den Unternehmer bildet daher nicht die einzige konkludent mögliche Zustimmungsform.309 § 625 BGB tritt nicht notwendiger-

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 133. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 20. Beispiel: OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542. Siehe Hopt § 89 Rn 21. LG Köln, Urt. v. 15.4.2011 – 89 O 37/10, BeckRS 2012, 03969 m. Anm. Eckhoff ZVertriebsR 2012, 112. Hopt § 89 Rn 21. BGH, Urt. v. 19.1.2005 – VIII ZR 139/04, NJW-RR 2005, 762 (763) = VersR 2005, 504 = WM 2005, 1041; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 122; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 379; Oetker/Busche6 § 89 Rn 6. 302 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 122. 303 BGH, Urt. v. 19.1.2005 – VIII ZR 139/04, NJW-RR 2005, 762 (763) = VersR 2005, 504 = WM 2005, 1041; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 122. 304 Begr. zum GE der BReg, BT-Dr 11/3077, S. 9; BGH, Urt. v. 19.1.2005 – VIII ZR 139/04, NJW-RR 2005, 762 (763) = VersR 2005, 504 = WM 2005, 1041; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 122; Westphal I Rn 760. 305 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 59; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 14; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 10, 38; Schröder FS Hefermehl, S. 119. 306 Küstner BB 1973, 1241; Ebenroth/Löwisch2 § 89 Rn 12. 307 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 14. 308 BGH, Urt. v. 19.1.2005 – VIII ZR 139/04, VersR 2005, 504 = WM 2005, 1041; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 20; Hopt § 89 Rn 21. 309 AA (Unternehmer muss vermitteltes Geschäft ausführen) Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 3.

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weise zurück.310 Jedenfalls kann § 625 BGB analog angewandt werden.311 Gem. Abs. 3 entsteht unter Einschluss des zuvor befristeten Vertrages ein einheitliches, unbefristetes Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit, welches nur gem. § 89 mit den dort genannten Kündigungsfristen ordentlich kündbar ist. Gleiches gilt, wenn die Kündigungsfrist mehrmals zwischen 2 und 6 Monaten verlängert wird.312 Bei der Bestimmung der maßgeblichen Kündigungsfristen nach Abs. 2 ist der zunächst befristete Vertrag in die Berechnung der Gesamtvertragszeit einzubeziehen (Abs. 3 S. 2).313 Jedenfalls für Vertragshändlerverträge widerspricht Mesch314: Beide Parteien müssten damit rechnen, dass der Vertrag nicht verlängert würde. Eine erhöhte Schutzbedürftigkeit könne sich nur ergeben, sofern der Vertrag ohne weitere Verhandlung bereits mehrmals, d. h. mindestens 2 Mal, verlängert wurde und es keine Anzeichen gibt, dass eine weitere Vertragsverlängerung ausscheidet.315 Die Auslegung des Vertrages kann aber ergeben, dass die Parteien seine Fortsetzung (nur) um die ursprüngliche Vertragslaufzeit wünschten. Zu beweisen hat die Fortsetzung derjenige, zu dessen Vorteil sie gereicht. Ist die Vertragsfortsetzung unstrittig und nur strittig, ob der Vertrag befristet oder unbefristet erfolgte, hat nach Abs. 3 derjenige die Befristung zu beweisen, der sich auf sie beruft. Abs. 3 soll entsprechend anzuwenden sein, wenn nicht der Vertrag als Ganzes, sondern lediglich besondere Vereinbarungen, insb. bezüglich der Provisionen, befristet wurden.316 Dies soll nach Ansicht von Eckhoff317 auch im Bereich der analogen Anwendung des HV-Rechts, also für Kommissionsagentur-, Franchise- und Vertragshändlerverträge gelten.

2. Einverständlich befristet fortgesetztes Vertragsverhältnis Verträge, die sich gem. einer bereits bei Vertragsbeginn getroffenen Vereinbarung mit vertragli- 66 cher Befristung um jeweils feste Zeiträume automatisch verlängern, sofern keine Kündigung erfolgt, sind nach wohl h. M. (wie unter Abs. 3) als unbefristete und damit auch vor Ablauf des Endigungszeitpunktes (nur) gem. § 89 kündbare Verträge anzusehen.318 Die Vertragsdauer ist unbestimmt, weil zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbar ist, ob eine Kündigung erfolgt und damit auch nicht, wann das Vertragsende eintritt.319 Zu solchen Verträgen passt zumindest die Rechtsfolge des Abs. 3 nicht („gilt als auf unbestimmte Zeit verlängert“). Sie unterfallen folglich nicht Abs. 3. Eine Minderansicht, zu der aber immerhin der BGH

310 Emde MDR 2002, 190 (192); Küstner/Thume/Schröder I4 Kap. II Rn 19; Klapperich in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 146; Hopt § 89 Rn 6, 24; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume, § 85 Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 4a, 5; aA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 123; Hopt § 89 Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 3. Ob man für die Gegenansicht den RegE BT-Drucks 11/3077, S. 9 anführen kann, halte ich für zweifelhaft. 311 AA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 36. 312 OLG Stuttgart, Urt. v. 14.8.2002 – 3 U 41/02, n. v. 313 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 20; Hopt § 89 Rn 22. 314 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (10). 315 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (10). 316 LG Köln, Urt. v. 15.4.2011- 89 O 37/10, BeckRS 2012, 03969 m. Anm. Eckhoff ZVertriebsR 2012, 112. 317 ZVertriebsR 2012, 112 (113). 318 OLG Hamm BB 1973, 1233; Küstner BB 1973, 1239 (1241); BB 1975, 195; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 56 f.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 54 ff., 61; Semler in: Martinek/Semler/Habermeier/ Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts3 § 19 Rn 8; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 387; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 15; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume/Haas, 4. Aufl. § 89 Rn 5, 7; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 18; Hopt § 89 Rn 20; Oetker/Busche6 § 89 Rn 6; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89 Rn 34, 39, 40. 319 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 57. 33

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zählt,320 sieht in diesen Verträgen keine „unbefristeten“, weil eine befristete Vertragslaufzeit vereinbart wurde. § 89 ist nach dieser Minderansicht also nicht unmittelbar anwendbar. 67 Auf den ersten Blick scheint die Minderansicht trotz des eigentlich begrüßenswerten Gleichklangs der h. M. mit Abs. 3 überzeugender. Denn sie entspricht meist dem Parteiwillen, welcher auch bei ständiger Verlängerung jedes Vertragsintervalles die Unkündbarkeit nach § 89 wünscht. Auch die Minderansicht erkennt allerdings an, dass die Fristen des § 89 nicht umgangen werden dürfen. Sie wendet daher § 89 analog an, soweit der mit § 89 verfolgte Zweck nach der Interessenlage auch Zeitverträge mit Verlängerungsklausel erfasst (was festgestellt werden müsste): Der Vertrag endet nach der Rspr. des BGH im Regelfall nur dann mit dem Ablauftermin des jeweils aktuellen Zeitvertrages, sofern er von einer Seite unter Einhaltung der Fristen des § 89 Abs. 1 zum Ablauftermin gekündigt wird.321 Das jeweils letzte Glied der „Vertragskette“ bzw. die zur Ankündigung der Nichtverlängerung erforderliche Kündigungsfrist muss also seiner Länge nach mindestens die Kündigungsfristen des § 89 erreichen, damit eine angemessene Umstellungsfrist gewahrt ist.322 Im Ergebnis sind die dogmatischen Unterschiede zwischen beiden Ansichten oft folgenlos.323 68 Als auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Verträge werden auch Kettenverträge angesehen, bei denen der Unternehmer dem HV nach dem bei Vertragsschluss vereinbarten automatischen Auslaufen eines früher abgeschlossenen Vertrages regelmäßig einen meist ebenfalls befristeten neuen Vertrag übersendet, der in seiner äußeren Aufgliederung und im Wesentlichen auch in seinem Inhalt mit dem früher abgelaufenen Vertrag übereinstimmt,324 über den aber meist nicht erneut verhandelt wird,325 so dass beide Vertragsteile sich auf diese Handhabung eingespielt haben und auf eine Verlängerung vertrauen. Es darf nicht der Schluss gezogen werden, die Aneinanderreihung von zwei befristeten Verträgen sei als solche schon eine Umgehung des § 89. Sie kann gerade notwendig sein, um in gewisser Lage die Bindung an ein HV-Verhältnis nicht vorzeitig festzuschreiben.326 Hier gibt es zwar keine „automatische“ Vertragsverlängerung, die bereits im Ursprungsvertrag vereinbart wurde. Es soll sich jedoch um einen unbefristeten Vertrag im vorgenannten Sinne handeln, für den § 89 gilt.327 Schwierig ist allerdings die Feststellung, unter welchen Umständen die Parteien tatsächlich eine Verlängerung des eigentlich befristeten Vertrages erwarten durften. Ist der Vertrag ein unbefristeter „Kettenvertrag“, lässt sich je nach den tatsächlichen Verhältnissen vertreten, bereits ab dem zweiten Kettenglied jeden Vertragspartner für verpflichtet halten zu müssen, den anderen Partner mit den in § 89 festgelegten Fristen vor Ablauf eines Vertrages Mitteilung darüber zu geben, dass man zu einem er-

320 BGH, Urt. v. 12.12.1974 – VII ZR 229/73, NJW 1975, 387 = BB 1975, 194 m. krit. Anm. Küstner BB 1975, 194; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 5 und FS Hefermehl, S. 117 ff., BB 1974, 298; kritisch zu der Entscheidung des BGH auch Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 61. 321 BGH, Urt. v. 17.7.2002 – VIII ZR 59/01, NJW-RR 2002, 1554 = DB 2002, 1992 = EWiR 2002, 915 (Emde), Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 56. 322 BGH, Urt. v. 15.6.1959 – II ZR 184/57, LM § 89 b Nr. 10/11; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 15; Schröder FS Hefermehl, S. 121; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 18. 323 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 57; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 382; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 40. 324 Bei wesentlicher Inhaltsänderung handelt es sich nicht um Kettenverträge, s. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 54; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 36. 325 BGH, Urt. v. 17.7.2002 – VIII ZR 59/01, NJW-RR 2002, 1554 = DB 2002, 1992 = EWiR 2002, 915 (Emde) – Franchisevertrag. 326 Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 4. 327 BGH, Urt. v. 17.7.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = MDR 2002, 1259 = NJW-RR 2002, 1554 = EWiR 2002, 915 (Emde) = WM 2003, 251 = BB 2012, 2036; BGH, Urt. v. 9.10.2002 – VIII ZR 95/01, NJW-RR 2003, 98 – Vertragshändler; NJW-RR 2001, 1554 unter II, 1b bb; v. 13.12.1995 –VIII ZR 61/95, NJW 1996, 848 = WM 1996, 877 unter II 1; v. 11.12.1958 – II ZR 169/57, VersR 1959, 129 unter 2; s. a. BGHZ 141, BGHZ 141, 248 = NJW 1999, 2668; Küstner/Thume/ Thume I, Kap. VII Rn 61 f.; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 34. Emde

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neuten Vertragsschluss nicht bereit sei.328 Aber auch die gegenteilige Ansicht wäre vertretbar: Zum einen könnte man hier einen befristeten Vertrag annehmen (Folge: Unanwendbarkeit des § 89), da die Verlängerung nicht sicher und keine Kündigung erforderlich ist. Zudem könnte, solange jedes Kettenglied die Fristen des § 89 einhält, gegen eine fortlaufende Befristung des Vertrages nichts zu erinnern sein. Denn durch dessen Befristung, die den Mindestkündigungsfristen des § 89 entspricht oder sie überschreitet, werden die Mindestumstellungsfrist und damit der Schutzgehalt des § 89 gewahrt. Die vorgenannte Rspr: gilt auch, wenn der Unternehmer den HV zur Fortsetzung des Vertra- 69 ges zu wesentlich geänderten Konditionen auffordert und der HV dies ablehnt.329 Auch in dieser Situation soll der Unternehmer das Vertragsende nicht durch eine einseitige Handlung herbeiführen können. Vielmehr müsse er den Vertrag nach § 89 kündigen.330 Denn auch in diesem Fall sei der HV schutzwürdig und bedürfe der Mindestkündigungsfristen. Anderenfalls würde dem Unternehmer ein leichter Weg aus dem Vertrag gewiesen, wenn er durch die bloße Forderung nach einem stark geänderten Vertrag sich von der Rspr. des BGH dispensieren könnte, derzufolge nur mit den Kündigungsfristen des § 89 zum Ablauf des letzten Kettengliedes eine Vertragsbeendigung möglich ist. Außer im Fall der automatischen Verlängerung331 reicht als „Kündigungserklärung“ die Mit- 70 teilung aus, keinen neuen Vertrag schließen zu wollen.332 Wird das Vertragsverhältnis nicht gekündigt, läuft es weiter und bleibt ein „unbefristeter“ Vertrag.333 Da die Fristen des § 89 nach Vertragsdauer gestaffelt sind, ist als für die Umstellungs- und Kündigungsfrist maßgeblicher Vertragsbeginn nicht der Beginn des letzten Kettenglieds sondern der des HV-Vertrages überhaupt anzusehen (Abs. 3 S. 2 analog).334 Das soll auch im oben behandelten Fall gelten, in dem sich der „Neuvertrag“ nicht automatisch an den „Altvertrag“ anschließt, sondern der Neu- oder Anschlussvertrag neu unterzeichnet werden muss. Nach mehr als 5jähriger Vertragsdauer beträgt die Mindestfrist des letzten Kettengliedes bzw. die zur Ankündigung der Nichtverlängerung erforderliche Kündigungsfrist also mindestens sechs Monate. Kürzere Fristen verlängern sich automatisch auf das von § 89 vorgesehene Maß.335 Das gilt im Ergebnis auch bei AGB, wo die wegen Verstoßes gegen das Leitbild des § 89 gem. § 307 BGB unwirksame Klausel im Umfang ihrer Nichtigkeit durch § 89 und seine Fristen ersetzt wird. Nach Ansicht von Mesch336 soll jedenfalls bei Vertragshändlerverträgen die Laufzeit der Verträge nicht zusammengerechnet werden, es sei denn, es läge eine mindestens zweimalige, unproblematische Verlängerung vor. Bei fristgerechter Kündigung (unbefristeter Vertrag) oder fehlender Verlängerung (befristeter Vertrag) endet der Kettenvertrag.337 In Abgrenzung zu den nach h. M. unbefristeten Verträgen sind als auf unbestimmte Zeit 71 eingegangen solche Verträge zu werten, deren Auslegung ergibt, dass sie sich nur solange verlängern sollen, bis sie einer der Parteien durch eine rechtsgestaltende Erklärung beendet. Ent-

328 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VII Rn 63. 329 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII, Rn 63; aA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 57; Ebenroth/Löwisch, 3. Aufl. § 89 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 35. 330 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 64 f. 331 Aber auch hier kann eine anderslautende Erklärung ausgelegt werden. 332 BGH NJW 1996, 848; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII, Rn 63; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 56; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 35. 333 BGH, Urt. v. 17.7.2002 – VIII ZR 59/01, NJW-RR 2002, 1554 = DB 2002, 1992 = EWiR 2002, 915 (Emde), Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 56. 334 BGH, Urt. v. 17.7.2002 – VIII ZR 59/01, NJW-RR 2002, 1554 = DB 2002, 1992 = EWiR 2002, 915 (Emde); Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 56; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 38; Hopt § 89 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 35. 335 BGH, Urt. v. 17.7.2002 – VIII ZR 59/01, NJW-RR 2002, 1554 = DB 2002, 1992 = EWiR 2002, 915 (Emde). 336 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (11). 337 Recken WM 1975, 264; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 15. 35

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scheidend für die Abgrenzung ist der Wunsch nach fehlender Beendigung „aus sich heraus“ ohne eine rechtsgestaltende Erklärung, um den Vertrag zu beenden.

IV. Fristen 72 Ist eine besondere Kündigungsfrist nicht vereinbart, greifen die in § 89 genannten Kündigungsfristen. Sie müssen dem Gekündigten als Mindestfristen ungekürzt zur Verfügung stehen,338 und zwar berechnet ab dem Zugang der Kündigungserklärung.339 Gerade der Mittler benötigt diese – regelmäßig viel zu kurz bemessenen Fristen – zur Anpassung an die neue Situation, etwa zur Suche nach einer Nachfolgevertretung oder für eine Kündigung von Untervertretern, Angestellten oder Mietverträgen (Problem: Konkordanz der Kündigungsfristen, etwa bei Mindest-Kündigungsfristen im Hauptvertrag oder Hauptvertrag mit kurzen Kündigungsfristen nach ausländischem Recht). Gleiches gilt für den Unternehmer im Falle der Suche nach einem Nachfolgevertreter, wobei der Unternehmer tendenziell weniger auf eine Auslauffrist angewiesen ist und daher das geringere Interesse an langen Kündigungsfristen hat. Die Fristen verlängern oder verkürzen sich in Sondersituationen regelmäßig nicht,340 auch nicht nach § 313 BGB oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Erfolgt die Kündigung im ersten Jahr der Vertragsdauer, kann sie nur ausgesprochen werden mit einer Frist von einem Monat. Im zweiten Jahr der Vertragsdauer verlängert sich die Frist zu einer solchen von zwei Monaten und im dritten bis fünften Jahr zu einer Frist von drei Monaten. Nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren kann das Vertragsverhältnis nur mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden. Die Kündigung ist nach S. 3 nur für den Schluss eines Kalendermonats zulässig, sofern keine abweichende Vereinbarung getroffen ist. Gemäß Abs. 2 (dazu unten) dürfen die Kündigungsfristen nach Abs. 1 S. 1 und 2 durch Vereinbarung verlängert werden. Die Frist darf dann jedoch für den Unternehmer nicht kürzer sein als für den HV. Bei Vereinbarung einer kürzeren Frist für den Unternehmer gilt die für den HV vereinbarte Frist. Hier ist ein Rechtsgedanke enthalten, der der Verallgemeinerung fähig ist und aus dem die Rspr. auch Folgerungen gezogen hat. So kann die Verjährung nicht einseitig gegen den HV durch Vertrag kürzer gestaltet werden als diejenige gegen den Unternehmer. Eine vertragliche Verkürzung der Kündigungsfristen des § 89 ist nicht zulässig, wohl aber eine Verlängerung (s. u.). Da es sich bei den Fristen des § 89 um zwingende gesetzliche Mindestfristen handelt, bedeutet dies, dass die Mindestfristen an die Stelle einer im Vertrag vorgesehenen kürzeren Frist treten.341 Ebenso verlängert sich die Kündigungsfrist auf das von § 89 vorgesehene Maß, sollte die Kündigung mit zu kurzer Frist erklärt worden sein (s. u.). 73 Der Kündigende darf wie bei der außerordentlichen Kündigung eine längere als die vereinbarte Kündigungsfrist gewähren. Die verlängerte Frist gibt dem Gekündigten eine längere Umstellungsfrist; er erfährt meist keinen Nachteil. Rechtstechnisch handelt es sich bei der Verlängerung der Fristen um ein Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrages, das eigentlich der zeitgerechten Annahme (§ 147 BGB) bedarf, notfalls nach der nur selten eingreifenden Vermutung des § 151 BGB. Da häufig keine Annahmeerklärung zu finden sein wird, kann der Kündigende auch ohne eine solche nach § 242 BGB an die von ihm genannte Frist gebunden sein. Man kann die mit längerer Frist erklärte Kündigungserklärung für unwirksam halten (dann müsste der Kündigende erneut mit der vertraglich vorgesehenen Frist kündigen; der Gekündigte dürfte die unwirksame Kündigung zum Anlass einer Kündigung nach § 89a nehmen) oder die 338 BGH, Urt. v. 28.9.1972 – VII ZR 186/71, BGHZ 59, 265 = NJW 1972, 2083; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 87. 339 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 89; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 37; MünchKommHGB/ von Hoyningen-Huene § 89 Rn 56; Hopt § 89 Rn 14. 340 Emde ZVertriebsR 2020, 138 (155) zur Corona-Pandemie. 341 BGHZ 40, 235. Emde

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längeren Auslauffristen auf das vertraglich oder gesetzlich vorgesehene Maß reduzieren. Ich neige in Abweichung von meiner Auffassung aus Staub 5. Aufl. der letztgenannten Alternative zu. Der Gekündigte braucht die verlängerten Fristen also nicht zu akzeptieren, sondern kann die Einhaltung der geltenden Fristen fordern. Er braucht aber nicht selbst zu kündigen, wobei diese Kündigung mit der Gefahr verbunden wäre, dass sie gem. § 89b Abs. 3 Nr. 1 ausgleichsschädlich wäre. Die Kündigungsfrist berechnet sich nach den §§ 186 ff. BGB.342 Der Tag des Zugangs der 74 Erklärung wird gem. § 187 BGB nicht mitgerechnet.343 Zu beachten ist die für einen HV-Fall ergangene, obwohl ihrem Inhalt nach mit allgemeiner Tragweite ausgestattete Entscheidung BGHZ 59, 265: Fällt der Beginn der Kündigungsfrist auf einen Sonn- oder gesetzlichen Feiertag, so gilt § 193 BGB nicht.344 § 193 BGB erstreckt das Ende der Erklärungsfrist zugunsten des Erklärenden. Nicht aber kann dadurch die Dauer einer Frist durch Hinausschiebung ihres Beginnes zu Lasten des Erklärungsempfängers verkürzt werden. Beginnt die Kündigungsfrist, von ihrem Ende ab zurückgerechnet, also an einem Sonnabend oder Sonntag, so wäre eine am Montag ausgesprochene Kündigung nicht mehr rechtzeitig; sie müsste dem Kündigungsempfänger am Tage des Beginnes der Kündigungsfrist effektiv zugegangen sein.

V. Maßgebliche Vertragsdauer Die Kündigungsfrist des Abs. 1 verlängert sich mit der Vertragsdauer. Sie muss grundsätz- 75 lich eine ununterbrochene345 sein. Maßgeblich ist der Zeitraum zwischen dem rechtlichen Beginn des HV-Vertrags durch Vertragsschluss oder einverständlicher Tätigkeitsaufnahme und dem Zugang der Kündigungserklärung.346 Die nach dem Zugang der Kündigung noch laufende Frist ist also in die Berechnung der für die Kündigungsfrist entscheidenden Vertragsdauer nicht einzubeziehen.347 Dass der Vertrag Änderungen erfahren hat, etwa Gebietserweitererungen oder -reduzierungen, Modifikationen des Provisionssatzes oder der Provisionsbemessungsgrundlage, Wandlung von der Tätigkeits- zur Bezirksprovision und umgekehrt bzw. Änderung der Produktpalette, ist für die Einheit des Vertrages und damit die Zurechnung zur Vertragsdauer irrelevant: einzubeziehen ist die gesamte Vertragsdauer. Bei Ersatz eines Vertrages durch einen neuen Vertrag, wie es häufig gegenüber VV geschieht,348 bleibt das Datum des Abschlusses des ersten Vertrags für die Fristberechnung maßgeblich, wenn das Vertragsverhältnis im Kern tatsächlich fortgesetzt und trotz formalen Neuabschlusses inhaltlich nur eine Vertragsänderung vorgenommen wurde.349 Erst recht bleibt eine Kündigung durch den Unternehmer mit anschließendem gleichinhaltlichen Neuabschluss zu dem bloßen Zweck, die Anwendung des § 89 mit seiner längeren, zwingenden Mindestkündigungsfrist zum Nachteil des HV auszuschalten, für die Berechnung der Gesamtdauer unbeachtlich, gleiches gilt für die Fälle der „Rücknahme“ oder des „Verzichts“ auf eine Kündigung,350 die rechtlich einen 342 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 90; Hopt § 89 Rn 14. 343 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 90. 344 Ebenso Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 90; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 57. 345 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 56. 346 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 373; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 38; Hopt § 89 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 56; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 31; aA berechnet bis zum Kündigungsendtermin Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 18. 347 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 38. 348 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 38. 349 BGH, Urt. v. 19.3.1987 – I ZR 166/85, NJW-RR 1987, 1112; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 38; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89 Rn 31; zu streng Hopt § 89 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 56; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 18: Neuabschluss nur bei Umgehung des Gesetzes unmaßgebend. 350 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 18. 37

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(konkludenten) Neuabschluss darstellen. Überhaupt wird man unbedeutende Unterbrechungen des Vertrages bei der Berechnung der Vertragsdauer auszublenden haben. Tätigkeitsunterbrechungen, etwa Freistellungen, bei rechtlichem Fortbestand des HV-Vertrages ändert nichts an der ungekürzten Zurechnung der gesamten Vertragsdauer. Die Kündigungsfristen verlängern sich aber – jedenfalls bei HV-Verträgen – durch eine lange Vertragsdauer grds. nicht über die 6-Monatsfrist hinaus: Auch nach 40-351 oder 100-jähriger352 Vertragsdauer bleibt eine vereinbarte Kündigungsfrist von 6 Monaten zulässig; sie wird nicht – etwa im Wege ergänzender Vertragsauslegung – verlängert.353

VI. Kündigungserklärung („gekündigt werden“)354 76 Der Ausspruch der Kündigung folgt den allgemeinen Regeln über Willenserklärungen. Die Kündigung ist eine einseitige, zugangsbedürftige355 Willenserklärung. Eine Annahme der Erklärung, etwa nach § 151 BGB, ist nicht erforderlich.356

1. Form 77 Eine bestimmte Form der Kündigung ist, abweichend von anderen Rechtsordnungen (Belgien: Einschreiben, Türkei Schriftform357), gesetzlich nicht vorgeschrieben.358 Theoretisch wäre sogar in seltenen Fällen359 eine stillschweigende oder konkludente Kündigung denkbar.360 Eine gesetzliche Formvorschrift dürfte aber eingeführt werden.361 Auch kann vertraglich eine Form vereinbart werden,362 soweit sie die Kündigung nicht übermäßig erschwert (letzteres widerspräche der zwingenden Natur des § 89). Soll die Form Wirksamkeitserfordernis sein, müsste – ggf. Auslegungsfrage – festgestellt werden, dass die Parteien eine „durch Rechtsgeschäft bestimmte Form“ (§ 127 S. 1 BGB) gewollt haben. Das ist i. d. R. nicht der Fall. So soll etwa die vorherige Herabsetzung der Form (von der Einschreib- zur Schriftform) und ein fehlendes Schriftformerfordernis für die mit weitreichenderen Folgen versehene außerordentliche Kündigung gegen ein strenges Schriftformerfordernis sprechen.363 Bei AGB ist eine verwenderfeindliche gegenteilige Ansicht vertretbar. Zu unterscheiden ist zwischen dem eigentlichen Formgebot (etwa: Schriftform, notarielle Beurkundung) und der Übermittlungsform. Das eigentliche Form-

351 Oberstes Gericht Dänemarks, Urt. v. 22.10.2003 – UfR 2004.148H, wiedergegeben bei Kjellegaard Jensen RIW 2006, 280 (286).

352 LG Hamburg, Urt. v. 15.12.2006 – 406 O 175/06; n. v. 353 Oberstes Gericht Dänemarks, Urt. v. 22.10.2003 – UfR 2004.148H, wiedergegeben bei Kjellegaard Jensen RIW 2006, 280 (286).

354 Generell zu den Fallstricken einer Kündigung Gores/Podann MDR 2018, 1032. 355 Becker-Schaffner BB 1998, 422; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 68; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 21. 356 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 32. 357 Jedenfalls als Beweisvorschrift, s. Krüger RIW 2009, 771 (773). 358 OLG München, Urt. v. 26.1.2012 – 23 U 3798/11, WM 2012, 1743 (1744) = BB 2012, 1056 m. Anm. von Bodungen = GWR 2012, 110 m. Anm. Noreisch; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 68. 359 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45. 360 OLG München, Beschl. v. 26.10.2017 – 23 U 1036/17, ZVertriebsR 2017, 384 (385); Urt. v. 26.1.2012 – 23 U 3798/ 11, WM 2012, 1743 (1744) = BB 2012, 1056 m. Anm. von Bodungen = GWR 2012, 110 m. Anm. Noreisch. 361 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 33. 362 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 33. 363 OLG München, Urt. v. 26.1.2012 – 23 U 3798/11, WM 2012, 1743 (1744) = BB 2012, 1056 m. Anm. von Bodungen = GWR 2012, 110 m. zust. Anm. Noreisch. Emde

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gebot hat im Zweifel konstitutive Wirkung,364 seine Verfehlung führt gem. § 125 S. 2. BGB zur Formnichtigkeit. Allerdings wahrt gem. § 127 Abs. 2 BGB die telekommunikative Übermittlung die vereinbarte Schriftform, und damit regelm. die Übermittlung per Fax oder E-Mail.365 Anderes gilt für die vereinbarte Übertragungsform: Eine durch Vertrag vorgeschriebene Übertragungsform („eingeschrieben“) dient im Zweifel nur Beweiszwecken, macht also eine unter Nichtbeachtung derselben ausgesprochene Kündigung nicht unwirksam, etwa bei Vereinbarung der Schriftform und Versendung per E-Mail.366 § 174 BGB ist anzuwenden, so dass die Kündigung wegen Nichtvorlage einer Vollmacht zurückgewiesen werden kann.367

2. Inhalt a) Klarheit. Immer muss die Erklärung eindeutig, klar und unmissverständlich zum Ausdruck 78 bringen, dass der Vertrag spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet werden soll.368 Eine Kündigung „durch Schweigen“ gibt es nicht,369 heißt es. Richtigerweise muss es heißen: „ohne Erklärung“, siehe die schriftliche Kündigung oder durch Gebärdensprache. Auch eine konkludente oder stillschweigende Kündigungserklärung ist möglich (s. o.). Immer aber muss der eindeutige Wille zum Vertragsende zum Ausdruck kommen, etwa bei der Erklärung, den Vertrag künftig nicht mehr zu wollen. Die Erklärung ist bedingungsfeindlich,370 mit Ausnahme der von dem Willen des Kündigungsempfängers abhängigen Potestativbedingung371 oder der innerprozessualen Rechtsbedingung.372 79 Keine Kündigungserklärung liegt vor, falls: – das Betreff die Worte „Beendigung des HV-Vertrages“ enthält. Daraus kann eine Kündigungserklärung nicht hergeleitet werden, sofern bereits frühere Schreiben mit demselben Betreff überschrieben waren, ohne dass sie eine Kündigung enthielten;373 – die Bitte um Verhandlungen über die Vertragsaufhebung geäußert wird;374 – die E-Mail eines HV mitteilt, er habe sich entschieden, das aktive Tagesgeschäft einzustellen, werde aber seine Kunden und die akquirierten Kontakte weiter bearbeiten, zudem solle in Kürze geklärt werden, wie das im Einzelnen aussehen werde;375

364 BGH, Urt. v. 3.11.1999 – I ZR 145/97, NJW-RR 2000, 1560 (1561) unter II 2b; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89 Rn 46; Palandt/Ellenberger § 125 Rn 17; aA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 33. 365 OLG München, Urt. v. 26.1.2012 – 23 U 3798/11, WM 2012, 1743 (1744) = BB 2012, 1056 m. Anm. von Bodungen = GWR 2012, 110 m. Anm. Noreisch. 366 OLG München, Urt. v. 26.1.2012 – 23 U 3798/11, WM 2012, 1743 (1744) = BB 2012, 1056 m. Anm. von Bodungen = GWR 2012, 110 m. zust. Anm. Noreisch; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 68; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45. 367 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 32; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 24; näher etwa KG BB 1998, 607; Lohr MDR 2000, 620. 368 OLG München, Beschl. v. 26.10.2017 – 23 U 1036/17, ZVertriebsR 2017, 384 (385); OLG Düsseldorf OLGR 1999, 453 (454); Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 25; Alff Rn 193. 369 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 32. 370 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 87. 371 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 87; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 32; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 53; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 25a. 372 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 32. 373 OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625. 374 LG Hamburg, Urt. v. 9.8.2013 – 418 HKO 157/12. 375 OLG München, Beschl. v. 26.10.2017 – 23 U 1036/17, ZVertriebsR 2017, 384 (385). 39

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die Tätigkeit faktisch beendet wird.376 Aus der bloßen Untätigkeit eines HV kann nicht ohne weiteres auf eine Kündigung des Vertrages geschlossen werden;377 die Kündigung einer Handelsspannenvereinbarung „vorsorglich und zur Klarstellung“ erklärt wird. In ihr liegt keine Kündigung des Gesamtvertrages.378

80 b) Begründung der Kündigung und weitere Inhaltsanforderungen. Einer Begründung, Rechtfertigung379 oder eines Kündigungsgrundes (Gegenschluß aus § 89a)380 bedarf die Kündigung nicht, eine Begründung braucht auch nicht gegeben zu werden (anders Ungarn). Ein Begründungserfordernis könnte aber vereinbart werden. Die Selbstverpflichtungskataloge der Kfz-Hersteller sehen z. T. die Selbstverpflichtung vor, ein Begründungserfordernis in die Händlerverträge aufzunehmen (Vor § 84 Rn 388 ff.). Ebenso wenig bedarf die Kündigung (außer als außerordentliche nach § 314 BGB) einer vorherigen Androhung.381 Die gewünschte Kündigungsfrist braucht, sofern nicht ausnahmsweise eine längere Auslauffrist gewährt werden soll, nicht genannt zu werden382 (Gegenbeispiel: Belgien), sie ergibt sich aus dem Gesetz oder dem Vertrag. Schon die Umdeutungsmöglichkeit einer außerordentlichen zu einer ordentlichen Kündigung zeigt die Irrelevanz der Fristangabe (s. zur Umdeutung die Kommentierung zu § 89a).

81 c) Folgen der mangelnden Wahrung der Wirksamkeitserfordernisse. Eine den zwingenden Voraussetzungen nicht genügende Kündigung ist unwirksam. Etwas anderes gilt nur für die mit zu kurzer Frist erklärte Kündigung: Hier gilt automatisch die von § 89 vorgesehene, längere Frist. Ist eine Kündigung zu einem Kündigungsendtermin mit einer Kündigungsfrist vorgesehen (etwa drei Monate zum Jahresende) und ist die Kündigungsfrist zu kurz bemessen, so spricht Mesch383 sich dafür aus, dass die Kündigung mit zu kurzer Frist so auszulegen ist, dass lediglich eine angemessene Kündigungsfrist gilt (Kündigung also nach sechs Monaten wirksam). Nicht jedoch sei die Kündigung dann erst zum nächsten Kündigungsendtermin (31.12. des nächsten Jahres) wirksam. 82 Tritt Unwirksamkeit ein, braucht die Kündigung nicht entsprechend § 174 BGB zurückgewiesen zu werden,384 wie überhaupt einer unwirksamen Kündigung nicht widersprochen werden muss. Sie ist (Verwirkungsfälle ausgenommen) ohne Widerspruch unwirksam,385 was durch Feststellungsklage festgestellt werden könnte.386 Das erforderliche Feststellungsinteresse dürfte regelmäßig gegeben sein. Das gilt umso mehr, wenn noch ein Ausgleichsanspruch im Raume steht.387 Bleiben Zweifel darüber, ob eine Kündigungserklärung vorliegt, gereichen sie zum Nachteil desjenigen, der die Kündigung erklären wollte. In einer unwirksamen Kündigung kann

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OLG München, Beschl. v. 26.10.2017 – 23 U 1036/17, ZVertriebsR 2017, 384 (385). OLG München, Beschl. v. 26.10.2017 – 23 U 1036/17, ZVertriebsR 2017, 384 (386). OLG Celle, Urt. v. 11.2.2010 – 13 U 92/09 (Kart), DE-R 2853 (2859). Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 316; v 89 Rn 69; aA Genzow Rn 108f; offengelassen von BGH WuW/E BGH 2491 (Opel-Blitz). 380 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 69; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 34; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 25a. 381 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 69; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45. 382 Ebenroth/Löwisch2 § 89 Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 25; aA Finke WM 1969, 1128. 383 ZVertriebsR 2015, 8 (11). 384 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 34; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 23. 385 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 11; Lohr MDR 2000, 620. 386 OLG Hamm, Urt. v. 21.4.2016 – 18 U 33/15, ZVertriebsR 2017, 166 Rn 36. 387 OLG Hamm, Urt. v. 21.4.2016 – 18 U 33/15, ZVertriebsR 2017, 166 Rn 36. Emde

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jedoch das Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages liegen, welches die andere Vertragspartei annehmen darf.388

d) Umdeutung der ordentlichen in eine außerordentliche Kündigung? Während in der 83 fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund vielfach zugleich eine ordentliche Kündigung auf den nächstzulässigen Termin zu erblicken ist (§ 140 BGB, s. zur Umdeutung die Kommentierung zu § 89a),389 lässt sich eine ordentliche, etwa verspätete Kündigung grundsätzlich nicht in eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde umdeuten,390 es sei denn, dies kommt in der Erklärung hinreichend zum Ausdruck. Auch kann bei Kündigung mit vertraglicher Frist nicht die Ausübung des Rechtes auf fristlose Kündigung für längere Zeit vorbehalten werden.391

e) Prozessuale Auslegung der Kündigungserklärung. Die Kündigungserklärung ist eine 84 nicht typische Willenserklärung, deren Auslegung vorwiegend den Tatsacheninstanzen obliegt.392 Das Revisionsgericht kann deren Auslegung nur darauf überprüfen, ob die Vorschriften zur Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt wurden, ob nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen, das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig ausgewertet bzw. eine gebotene Auslegung vollkommen unterlassen wurde.393

VII. Regelmäßige Kündigungswirkung zum Schluss eines Kalendermonats Mangels (zulässiger, dazu Rn 120 ff.) abweichender Vereinbarungen endet der gekündigte Vertrag 85 mit Ende des Monats, in welchem die Kündigungsfrist des § 89 abläuft (Kündigungsendtermin; Abs. 1 S. 3). Die Regelung dürfte auch auf vertragliche Kündigungsklauseln Anwendung finden, die nur die Fristen der S. 1 und 2 des Abs. 1 ändern, und nicht nur auf die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 89 Abs. S. 1 und 2.394 Dafür spricht schon die Regelung in einem eigenen Satz. Wird die Kündigungsfrist vom Kündigenden unzutreffend bezeichnet, kann darin dessen Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit verlängerter Frist liegen. Ggf. nimmt der Gekündigte das in der Erklärung liegende, für ihn objektiv günstige Angebot zu einer Besserstellung stillschweigend nach § 151 BGB an. An eine in der Kündigungserklärung bezeichnete, von § 89 oder dem Vertrag abweichende Frist ist der Kündigende wohl auch nach dem Prinzip der Selbstbindung – nicht allerdings der Gekündigte, zu dessen Schutz die Fristen des Vertrages oder des § 89 gereichen395 – gebunden.396 Nur bei offensichtlichen Berechnungs- oder Schreibfehlern darf der Gekündigte nicht von einer solchen Selbstbindung oder einem solchen Angebot ausgehen (etwa Kündigung zum Jahre 2025 statt 2015).397 Trotz der zwingenden Natur des § 89 (Rn 120 ff.) darf der Kündigungsempfän-

388 OLG München NJW-RR 1995, 95; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 23; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 36. 389 BGH DB 1981, 1821. 390 BGH VersR 1961, 270; OLG Nürnberg BB 1957, 561; RGZ 122, 38; RAG 18, 35; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 119. 391 RGZ 123, 216. 392 BAG, Urt. v, 22.10.2009 – 8 AZR 865/08, DB 2010, 452 (Arbeitsrecht). 393 BAG, Urt. v, 22.10.2009 – 8 AZR 865/08, DB 2010, 452 (Arbeitsrecht). 394 LG Bielefeld v. 23.6.1955, HVR Nr. 89; Hopt § 89 Rn 27; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 99; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 61; Thume in Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas5 § 89 Rn 15. 395 Vgl. Ebenroth/Löwisch, 3. Aufl., § 89 Rn 34. 396 Vgl. BGH, Urt. v. 20.2.1969 – VII ZR 101/67, BB 1969, 380; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 91; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 33; Hopt § 89 Rn 23. 397 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 91. 41

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ger das nach obigen Maßstäben in der Kündigung mit verkürzter Frist liegende Angebot des Kündigenden auf Aufhebung des Vertrages annehmen oder sich auf dessen Selbstbindung berufen. Nur die Kündigungserklärung selbst unterliegt zwingend der Fristregelung. Ein Aufhebungsvertrag tut es nicht.

VIII. Wirkung der Kündigung 86 Während der Kündigungsfrist laufen die Rechte und Pflichten der Parteien unvermindert weiter,398 etwa Wettbewerbsverbote399 (s. Kommentierung zu § 86) und Alleinvertriebsrechte.400 Der Mittler muss weiterhin mit vollem Einsatz werben, der Unternehmer die vermittelten Geschäfte (HV)401 und Bestellungen (Eigenhändler)402 ausführen, nicht jedoch Übermaßbestellungen des Eigenhändlers zum Zwecke seiner Bevorratung für den nachvertraglichen Zeitraum. Die vertraglich geschuldete Vergütung, einschließlich eventueller Boni, hat der Unternehmer zu leisten. Ggf. erfordern die Mitwirkungspflichten des Eigenhändlers, seinen Bedarf nachzuweisen.403 Viele Verträge sehen eine solche Nachweispflicht vor, es wird dann bei Streitigkeiten die Überprüfung durch WP vereinbart (Beweislast für das Recht zur Lieferverweigerung im Zweifel beim Hersteller). Vertragsbedingungen dürfen auch während der Kündigungsfrist nicht einseitig geändert werden, auch die in die Einzelverträge einbezogenen Lieferbedingungen zwischen Unternehmer und Mittler dürfen nicht causa Kündigung wesentlich zum Nachteil des Gekündigten abgeändert werden.404 Sonst könnte der Unternehmer durch beständige Ablehnung der Vermittlungsbemühungen die Fristen des § 89 umgehen. Bei unmittelbar bevorstehender Beendigung des Vertrages kann es dem Unternehmer ggf. unzumutbar sein, aktuelles knowhow auf den Vertriebsmittler, etwa einen FN zu übertragen, der kurz darauf zum Wettbewerber wird.405 Dies darf allerdings nur angenommen werden, wenn dem Mittler dadurch keine wesentlichen Nachteile, etwa Umsatzeinbrüche, drohen.406 Spiegelbildlich mag der Mittler etwa von investionsintensiven Werbemaßnahmen ohne Amortisationsmöglichkeit absehen wollen; dies ist je nach den Gegebenheiten des Einzelfalles verständlich und hinzunehmen.407 Die Bemühenspflicht befreit sich von solchen Vertriebspflichten, die von dem Mittler angesichts des auslaufenden Vertrages billigerweise nicht mehr erwartet werden können.408 Auch in diesem Stadium können Vertragsverletzungen oder sonstige wichtige Gründe zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 89a führen. Angesichts des nahenden Vertragsendes müssen aber besonders strenge Anforderungen an die Unzumutbarkeit der (ggf. kurzen) Vertragsfortführung

398 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 101; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32. 399 BGH, Urt. v. 30.6.1954 – II ZR 26/53, BB 1954, 647 (648); BGH NJW-RR 1992, 481 (482); BGH, Urt. v. 12.3.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker); NJW 1964, 817; Gräfe ZVertriebsR 2013, 362; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 102; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 107, § 86 Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 6a, 20a, § 86 Rn 42a; Hoss DB 1997, 1818 ff. 400 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362. 401 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362. 402 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362. 403 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.3.1997 – 5 U 127/95 Rn 69; Gräfe ZVertriebsR 2013, 362. 404 So gibt es beispielsweise im brasilianischen Recht eine Regel, dass in den letzten 6 Monaten vor Vertragsende eine derartige Änderung unzulässig ist. 405 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 500. 406 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 500. 407 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362; Köhnen in: Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 381. 408 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362. Emde

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gestellt werden; nicht etwa lässt sich umgekehrt argumentieren, angesichts der reduzierten Vertragsdauer seien geringere Ansprüche an den wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu geben.409 Zum Zeitpunkt der ordentlichen Kündigungserklärung bekannte wichtige Gründe sind regelmäßig zur Rechtfertigung einer Kündigung nach § 89a ausgeschlossen.410 Der gekündigte Mittler darf trotz fortbestehendem Wettbewerbsverbot Vorbereitungen zur 87 Aufnahme einer neuen Tätigkeit („Vorbereitungstätigkeiten“), auch für einen Wettbewerber des Unternehmers, treffen.411 Diese Vorsorge für die Zeit nach Vertragsende muss der Unternehmer hinnehmen; ein Misstrauensbeweis ist hierin nicht zu finden, weil der HV ohne dahingehende Vereinbarung keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterliegt und einen Anschlussvertrag suchen darf und muss, um einen nahtlosen Übergang sicherzustellen. Dies ist gerade Zweck der Kündigungsfrist, wobei der HV mit seiner Suche nicht auf die Kündigungsfrist beschränkt ist. Die durch die Suche nach einem Anschlussvertrag entstehenden Beeinträchtigungen des Vertriebs sind sozialadäquat.412 Der HV darf seine Pflichten aber nicht unüblich vernachlässigen. So darf ein Nachfolgevertrag verhandelt und unterzeichnet413 oder eine Gesellschaft zum nachträglichen Wettbewerb gegründet414 werden. Auch Treffen des HV mit künftigen Kollegen und Vorgesetzten sind hinzunehmen. Die Befürchtung des Unternehmers, der sich um einen Folgevertrag bemühende HV werde bis zum Vertragsende seine Interessen nicht mehr mit vollem Einsatz wahrnehmen, rechtfertigt die Annahme einer Pflichtverletzung nicht.415 Der HV darf die beabsichtigte Konkurrenztätigkeit aber erst nach Beendigung seines Vertrags aufnehmen416 und während der Kündigungsfrist noch nicht für den Wettbewerber tätig werden.417 Grenzfälle sind die Belieferung mit Produkten des Nachfolgeherstellers mit der Weisung, sie erst nach Vertragsende des Vorgängervertrags zu vertreiben (wohl noch zulässig, wenn für Kunden nicht offenbar) oder der Abschluss länger zu verhandelnder Anschlussverträge mit Key-Accounts des Mittlers (Einzelfallfrage, einerseits sind Verhandlungen mit den Key-Accounts nötig, um Anschlusstätigkeit aufzunehmen, andererseits handelt es sich eigentlich um eine vertragsbegleitende Konkurrenztätigkeit). In begründeten Ausnahmefällen werden also Abweichungen vom strengen Konkurrenzverbot zugelassen. Der HV soll aber während der Dauer des vorgehenden HV-Vertrages nach außen nicht auf eine Nachfolgevertretung hinweisen dürfen, sofern es sich um einen Wettbewerber des Unternehmers handelt (das ergibt sich aus dem der Interessenwahrnehmungspflicht entlehnten Verbot der Förderung der Interessen eines Wettbewerbers).418 Dem Vertragshändler419 und dem Unternehmer420 soll ein solches Recht angeblich zustehen.

409 410 411 412 413

BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 41. Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (363); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 102. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 102. BGH, Urt. v. 3.4.1996 – VIII ZR 3/95, ZIP 1996, 1006 (1008); BGHZ 42, 59 (62); OLG München VersR 1957, 97; Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364 f.); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 102; Ebenroth/Löwisch3 § 86 Rn 29, § 89 Rn 30; Hopt § 86 Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43b, § 89 Rn 32. 414 LG Hamburg, Urt. v. 8.8.2008 – 332 O 351/07, n. v. 415 Ebenroth/Löwisch3 § 86 Rn 23. 416 BGH, Urt. v. 3.4.1996 – VIII ZR 3/95, ZIP 1996, 1006 (1008); BGHZ 42, 59 (62); OLG München VersR 1957, 97; Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364 f.); Ebenroth/Löwisch3 § 86 Rn 23, § 89 Rn 41; Hopt § 86 Rn 26; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 43b, § 89 Rn 32. 417 BGH, Urt. v. 3.4.1996 – VIII ZR 3/95, ZIP 1996, 1006 (1008); BGHZ 42, 59 (62); OLG München VersR 1957, 97; Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364); Ebenroth/Löwisch3 § 86 Rn 23, § 89 Rn 41; Hopt § 89 Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43b, § 89 Rn 32. 418 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364). 419 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364). 420 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364). 43

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Spiegelbildlich darf der Unternehmer sich um einen Nachfolger des HV bemühen, diesem aber noch nicht die dem gekündigten HV zustehenden Rechte und Tätigkeiten übertragen,421 ihn jedoch mit Prospekten, Mustern u. ä. versorgen422 (Gegenstück zum Recht des Mittlers, Muster und erste Produkte des neuen Unternehmers zu erhalten). Allerdings kann während der Kündigungsfrist die Tätigkeit eines weiteren HV vertraglich, auch durch AGB, vereinbart werden, sofern der Gekündigte hierfür eine volle Kompensation erhält, etwa berechnet aus dem Durchschnittsverdienst der vergangenen Jahre. So bemessen, dürfte sich die angemessene Kompensation abstrakt-generell auch in AGB vereinbaren lassen. Beide Parteien dürfen Kunden über die (bevorstehende) Beendigung des Vertrags angemes89 sen, sachlich und wahrheitsgemäß informieren,423 der HV insb. ein sachliches Abschiedsschreiben an die Kunden richten, über dessen Inhalt er eine Verständigung mit dem Unternehmer suchen sollte,424 aber nicht notwendigerweise muss. Ein vor Vertragsende abgesandtes geschäftsschädigendes Informationsschreiben widerstreitet den Treupflichten.425 Versendet der HV ein solches Abschiedschreiben, kann es einen Grund zur außerordentlichen Kündigung, ein nach Vertragsende abgesandtes Anlass zur Herabsetzung der Ausgleichsvergütung unter Billigkeitsgesichtspunkten oder zum Ausgleichsauschluss analog § 89b Abs. 3 Nr. 2 geben. Beide Parteien dürfen eigene Mitarbeiter und der HV auch Untervertreter über die geplante Aufnahme einer Nachfolgevertretung informieren. Die Parteien sollten auch eine Abstimmung über den Zeitpunkt der Information finden. Während der Unternehmer möglichst früh informieren will, liegt dem Mittler an ungestörter Fortführung des Vertriebs.426 Wauschkuhn427 vertritt deshalb, die Information dürfe erst kurz vor Vertragsende erfolgen, um die Absatzchancen des Mittlers nicht zu beeinträchtigen. Eine Information 6 Monate vor Vertragsende wird meist nicht zu beanstanden sein (wegen der Fristen des § 89).428 Der HV kann vertraglich verpflichtet werden, seinen Nachfolger angemessen einzuarbei90 ten429 und es kann nur geraten werden, dies im Vertrag klarzustellen, da ohne eine solche Regelung die Rechtslage unsicher ist. Auch ohne eine solche Klarstellung kann im Einzelfall aus der Interessenwahrungspflicht eine Pflicht des Vorgängers zu angemessenen, nicht zu zeitaufwendigen Einarbeitungstätigkeiten entstehen.430 88

IX. Freistellung des Mittlers 91 Aus dem Vertrag erwächst dem Mittler ein Recht zur Tätigkeit. Er ist auf den Kontakt zum Kunden angewiesen.431 Die Freistellung des Mittlers ist daher nur ausnahmsweise zulässig. Das gilt für alle Vertriebsmittler, HV, Vertragshändler432 und FN.

421 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 104; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 41; Hopt § 89 Rn 25. 422 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 103. 423 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 120; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 37a. Daran fehlte es im Fall des OLG Köln, Urt. v. 6.2.2013 – 6 U 127/12, GRUR-RR 2013, 257 – wettbewerbswidrige Information durch den Unternehmer. 424 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 118. 425 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364). 426 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364). 427 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 120. 428 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364). 429 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364). 430 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (364); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 115; Hopt § 89 Rn 25. 431 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (363). 432 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (363); Küstner/Thume/Thume III, 3. Aufl. 2009, Kap. VI Rn 26; Köhnen in: Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 385. Emde

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1. Freistellungserklärung Die „Freistellungs“erklärung ist auszulegen. Gelegentlich ist eine Kündigung nach § 89a433 oder 92 eine einvernehmliche Vertragsbeendigung gewollt.434 Der Unternehmer muss unzweifelhaft zum Ausdruck bringen, dass er den HV freistellen will. Anderenfalls wäre im Falle der Tätigkeitseinstellung nur ein gegen den Unternehmer gerichteter Schadenersatzanspruch wegen Nichtannahme der Vermittlungsleistung oder ein Anspruch aus § 615 BGB auf Fortzahlung der vertraglichen Vergütung gegeben. Wegen des Schutzcharakters der Freistellungsvergütung sollten die Ansprüche an die Freistellungserklärung nicht zu hoch gesetzt werden. Der Terminus „freistellen“ braucht nicht genutzt zu werden. Solange der Unternehmer hinreichend zum Ausdruck bringt, dass er keine Vermittlungsaufträge mehr entgegennimmt und Kunden aus dem Bezirk des HV auf andere Mitarbeiter verteilt435 verzichtet er auf die Dienstleistungen des HV und stellt ihn frei.436

2. Zulässigkeit der Freistellung Die Freistellung ist zulässig, wenn sie wirksam individualvertraglich oder – wohl zulässigerwei- 93 se – durch AGB437 (dazu Vor § 84) vereinbart wurde,438 wohl nicht nur in den Grenzen des § 90a.439 Da der Mittler vertraglich berechtigt ist, seine Vertriebstätigkeit auszuüben440 und auf den Kundenkontakt angewiesen sein mag, ist die Freistellung ohne wirksame, ggf. zum Zeitpunkt der Freistellung oder in der Freistellungsphase konkludent getroffene vertragliche Gestattung unzulässig,441 und zwar selbst nach einer wirksamen Kündigung und während der Kündigungsfrist.442 Das gilt auch, wenn die volle vertragliche Vergütung unter Einschluss entgehender (schwer bestimmbarer) Provision versprochen oder geleistet wird.443 Ein berechtigtes Interesse des Unternehmers an einer Suspendierung ändert hieran nichts.444 Ein solches berechtigtes Interesse gibt kein Recht zur Vertragswidrigkeit. Man könnte allerdings darüber nachdenken, ob eine Freistellung der Mindestkündigungsfrist des § 89 und der zwingenden Natur des § 89a (respektive Artt. 15, 16 RL) widerspricht. Denn sie stellt eine kündigungsgleiche Wir433 Zur Abgrenzung OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625 (1626); OLG Brandenburg, Urt. v. 18.7.1995 – 6 U 15/95, BB 1996, 2115 = HVR Nr. 812. Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 88. OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625. OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 42. BGH, Urt. v. 29.3.1995 – VIII ZR 102/94, NJW 1995, 1552 = BGHZ 129, 186 = ZIP 1995, 839 = HVR Nr. 744; OLG Nürnberg, Urt. v. 30.7.1992 – 12 U 1953/92, VersR 1992, 1223; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 111; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 44. 438 BGH, Urt. v. 29.3.1995 – VIII ZR 102/94, ZIP 1995, 839; v. 20.2.1969 – VII ZR 101/67, LM § 89a Nr. 9 Bl. 2; OLG Nürnberg, Urt. v. 30.7.1992 – 12 U 1953/92, VersR 1992, 1223; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 87; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 111; Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89 Rn 44; Hopt § 89 Rn 25; Oetker/Busche6 § 89 Rn 16; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 65. 439 AA Hopt § 89 Rn 25. 440 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 111. 441 BAG, Urt. v. 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, ZIP 2002, 2186 (2187) – für Arbeitsverträge; OLG Brandenburg, Urt. v. 18.7.1995 – 6 U 15/95, BB 1996, 2115 = HVR Nr. 812; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 111; offen gelassen von BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 Rn 35; aA Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89 Rn 43: Freistellung bei berechtigtem Interesse möglich und gegen Zahlung der vollen Vergütung. Hiergegen spricht, dass sich auch der HV nicht gegen Zahlung einer Entschädigung vo seinen Vertragspflichten einseitig dispensieren dürfte. 442 LG Düsseldorf, Urt. v. 12.2.1976, HVuHM 1977, 794; BAG, Urt. v. 9.8.1976, BB 1976, 1561; Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (363); Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 99; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 40; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89 Rn 66; aA mglw. Hopt § 89 Rn 25. 443 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 43. 444 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32.

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kung vor Ablauf der Kündigungsfrist her und gibt – wirtschaftlich betrachtet – als Gegenleistung nur einen Schadenersatzanspruch. Sie führt damit eine Wirkung herbei, die auch durch eine – wohl unwirksame – Klausel herbeigeführt werden kann, die eine Kündigung mit sofortiger Wirkung gegen Gewährung eines Schadenersatzanspruches vorsieht. Es ist schwierig, die durch Freistellungsregelungen entstehenden beiderseitigen Interessen angemessen zu gewichten. Gerade bei langer Kündigungsfrist und geplanter nachvertraglicher Fortsetzung der Tätigkeit (ggf. für einen Wettbewerber des Unternehmers) trifft die Freistellung den HV schwer. Denn er verliert den Kundenkontakt (s. o.), was der Unternehmer zum Schutz der Kundenbeziehungen und des Bestandes bezweckt. In AGB soll eine Entschädigungsregelung Wirksamkeitsvoraussetzung der Klausel sein.445 Welche Detailfülle die Klausel aufweisen muss, ist unklar. Sie wird wohl nicht exakt das dispositive Recht und seine Regelungen zur Freistellungsvergütung wiedergeben müssen. Vielmehr darf sie pauschalieren. Beispiel einer zulässigen Freistellung nach dieser Fallgruppe: Sie war vertraglich vorgesehen, der HV hatte seinen Wechsel zu einem Wettbewerber angekündigt und noch vor Beendigung des HV-Vertrages Handgeldzahlungen von jenem erhalten.446 Zweifelhaft ist die Ansicht, bei der Zuweisung eines bereits bestehenden Bestandes handele es sich nicht um werbende HV-Tätigkeit sondern eine freiwillige Zusatzleistung des Unternehmers.447 Die HV-rechtlichen Regelungen zur Freistellung griffen folglich nicht ein, wenn ein Unternehmer dem HV mittels einer Zusatzvereinbarung zum HV-Vertrag einen Bestand übertrage und der HV daraus „Betreuungsprovisionen“ generiere. Werde dann der Bestand entzogen, seien davon keine Kunden erfasst, die der HV selbst vermittelt habe. Die Ansicht dürfte schwer zu vertreten sein, falls es um einen einheitlichen HV-Vertrag geht. Anders wird man urteilen können, sofern die Übertragung nur unter der Bedingung erfolge, dass eine spätere Rückübertragung möglich sei.

3. Wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung 94 Weiter ist die Freistellung möglicherweise a maiore ad minus zulässig, falls dem Unternehmer das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages zugestanden hätte, er von diesem Kündigungsrecht jedoch abgesehen hat,448 außerdem im Falle einer außerordentlichen Kündigung, mit Auslauffrist. Auch in diesem Fall hat der Unternehmer alle finanziellen Nachteile des HV auszugleichen. Ein bloßes „berechtigtes Interesse“ wird hingegen nicht ausreichen.449 Denn beide Parteien haben sich an den Vertrag zu halten. Etwas anderes wird man bestenfalls vertreten können, wenn ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorläge.

4. Rechtsstellung des HV nach berechtigter Freistellung 95 Das Vertragsverhältnis wird fortgesetzt, und zwar grds. mit allen Rechten und Pflichten. Lediglich die Vertriebspflicht des Mittlers wird ausgesetzt.450 Dafür gewinnt der Mittler ein Recht auf eine Freistellungsvergütung: Der Unternehmer hat alle durch die Freistellung entstandenen finanziellen Nachteile des HV auszugleichen. Dies ist automatische Folge einer Freistel445 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 87; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 108 (nicht nur in AGB); Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 44.

446 OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 39/09. 447 LG München I, Urt. v. 21.2.2017 – 13 HKO 23526/15. 448 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 111; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32; aA Ebenroth/ Löwisch 3. Aufl., § 89 Rn 42.

449 AA Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89 Rn 43. 450 Gräfe ZVertriebsR 2013, 362 (363); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 107; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 63. Emde

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lung. Dazu genügt die Zubilligung einer unterhalb der entgehenden Provision liegenden Karenzentschädigung entsprechend § 90a Abs. 1 nicht.451 Über die Höhe der Freistellungsvergütung können sich die Parteien einigen, ggf. auch konkludent. Der HV hat mindestens Anspruch auf die zugesagte und damit vom Unternehmer anerkannte oder sogar zwischen den Parteien vereinbarte Vergütung. Fehlt eine Einigung, erhält der HV während der Phase der Freistellung eine finanzielle Vergütung in Höhe der im Zeitraum der Freistellung vermutlich (§§ 255 BGB, 287 ZPO) entgehenden Vergütung. Im Zweifel (§ 287 ZPO, ggf. § 252 BGB) valutiert die eigentlich zukunftsbezogen zu bestimmende Freistellungsvergütung vergangenheitsbestimmt in Höhe der Durchschnittsvergütungen eines repräsentativen Zeitraums der Vergangenheit,452 mglw. in Anlehnung an die Ausgleichshöchstgrenze des § 89b aus dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Der Nachweis einer höheren oder niedrigeren Freistellungsvergütung ist möglich. Dabei sind alle Vergütungsbestandteile un die Berechnung der Freistellungsvergütung einzubeziehen, unter Einschluss von Boni, Zusatzvergütungen sowie eines eventuellen Zuschusses.453 Zudem behält der HV seinen vertraglichen Vergütungsanspruch,454 einmal hergeleitet 96 aus dem Vertrag bzw. den §§ 87 ff. und über § 615 BGB.455 Analog § 90a ergibt sich ein Anspruch auf Karenzentschädigung. Denn die Freistellung gleicht einem vorgezogenen Wettbewerbsverbot.456 Der vertragliche Provisionsanspruch ist aber allenfalls bei tätigkeitsunabhängiger Vergütung (§ 87 Abs. 2, § 87 Abs. 1 S. 1 2. Alt.457) werthaltig, ansonsten i. d. R. wertlos, weil der HV jedenfalls bei tätigkeitsabhängiger Vergütung458 durch die Freistellung an dem steuernden, positiven Einfluss auf die Vergütungshöhe gehindert wird: Er kann nämlich keine Geschäfte vermitteln. Ein solcher steuernder Einfluss des HV dürfte sich wg. der geschuldeten Bezirksbetreuung des HV sogar bei der Bezirksprovision459 und auch bei Provision für Nachbestellungen460 bemerkbar machen. Der vertragliche Vergütungsanspruch bildet aber ein weiteres unteres Netz des Geschuldeten. Zwar heißt es zu § 615 BGB, Leistungen die von tatsächlicher Arbeit abhingen, blieben nicht über § 615 BGB erhalten. Bei verständiger Anwendung im HV-Recht wird aber auch über § 615 BGB (und aus allen weiteren in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen) der üblicherweise zu erwartende – zukunftsbezogene – Vergütungsanspruch geschuldet. Der HV darf durch die Freistellung nicht benachteiligt (braucht aber auch nicht bevorzugt zu werden) werden und erhält daher auch unter § 615 BGB die o. g. Vergütung, die er üblicherweise bei Fortsetzung seiner Tätigkeit erzielt hätte.461 Auch im Rahmen des § 615 BGB wird die Freistellungsvergütung folglich aus den Durchschnittsprovisionen eines repräsentativen Zeit-

451 Großzügiger Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 44: Zahlung einer Karenzentschädigung analog § 90a Abs. 1 genügend.

452 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 90; vgl. die Entscheidung BGH, Urt. v. 29.3.1995 – VIII ZR 102/94, NJW 1995, 1552, in der ein Recht des HV auf Ausgleich des Verdienstausfalles wohl vorausgesetzt wird. Siehe auch OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625 (1627); LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.6.2009 – 13 Sa 267/09, BeckRS 2011, 67119 (Arbeitsrecht, nach dem LAG sowohl bei berechtigter wie bei unberechtigter Freistellung). 453 LG Düsseldorf, Urt. v. 14.7.2017 – 39 O 47/16, ZVertriebsR 2018, 49 (51) m. Anm. Winter. 454 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 63; für Bezirksvertreterprovision BGH NJW-RR 1992, 1059. 455 OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 89; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 65. 456 Zu diesem Vergleich BGH, Urt. v. 29.3.1995 – VIII ZR 102/94, NJW 1995, 1552 (1553). 457 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 89. 458 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 63. 459 AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 63. 460 AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 63. 461 BGH, Urt. v. 29.3.1995 – VIII ZR 102/94, NJW 1995, 1552 (1553); Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 90; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 63. 47

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raums der Vergangenheit berechnet.462 Mit dem nach einer Kündigung (ggf. konkludent) erklärten Verzicht des Unternehmers auf die vertraglich vom HV geschuldete Leistung erlischt dessen Gläubigerstellung, mit der Folge, dass eine Freistellungsvergütung unabhängig von § 615 BGB besteht.463 Der HV soll sich deshalb nicht nach § 615 S. 2 BGB ersparte Aufwendungen anrechnen lassen.464 Weitere in Konkurrenz tretende Anspruchsgrundlagen ergeben sich aus ergänzender Vertragsauslegung (Freistellungserklärung beinhaltet Vergütungsversprechen) und aus der Analogie zu § 90a.465 Der HV braucht seine Tätigkeit – angeblich wegen der von § 84 vorausgesetzten persönlichen Freiheit,466 richtigerweise deshalb, weil die Rechtsfolge bereits an die Freistellungserklärung anknüpft – nicht ausdrücklich anzubieten.467 Ersparte Kosten, welche die Freistellungsvergütung reduzieren könnten,468 gewinnt der HV nicht zwingend. Insbesondere bei ersparter Reisetätigkeit kann aber eine Reduzierung auf 70–80 % der Durchschnittsprovision angemessen sein. Bei Bezirksvertreterprovision sollen ersparte Aufwendungen nicht abgezogen werden müssen, weil sie unabhängig von einer Tätigkeit geleistet werden soll469 (fraglich, wg. der Pflicht zur Bezirksbetreuung470). Erträge aus anderweitigem Erwerb muss sich der HV anrechnen lassen, sowohl nach § 249 BGB wie nach § 615 S. 2 BGB.471 Mglw. kann der Meinungsstand zur Höhe einer Karenzentschädigung nach § 90a übernommen werden. Die Beweislast für ersparte Kosten und anderweitige Erträge belastet den Unternehmer. Der HV muss hierzu aber substanzierten Vortrag halten. Wird eine Bestandprovisionspauschale für einen übertragenen Bestand entzogen, soll dies durch keine Freistellungsvergütung und keinen Schadenersatzanspruch kompensiert werden. Denn der HV könne weiterhin die normalen Provisionen verdienen.472 Beide Parteien müssen sich in der Freistellungsphase vertragskonform verhalten, wobei 97 sich die Vertragspflichten durch die berechtigte Freistellung verändern. Der HV hat auch während der Freistellung sämtliche Bestimmungen des Vertrages einzuhalten,473 einschließlich des Wettbewerbsverbots,474 ist jedoch nicht mehr zur Kundenwerbung und aktiver Vertragsausführung verpflichtet. Er braucht nicht mehr (periodisch) zu berichten, es sei denn, die Information kann redlicherweise auch während der Freistellungsphase erwartet werden. Da der HV grds. dem Vertrag und auch einem Wettbewerbsverbot verpflichtet bleibt, muss auch bei Freistellung nach außerordentlicher Kündigungslage (Rn 94) die Freistellungsvergütung geleistet werden, in dieser Situation mglw. jedoch beschränkt auf die Höhe einer Karenzentschädigung.

462 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 108; zu § 615 BGB Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 114 (für den Fall der außerordentlichen Kündigung). Vgl. ferner die Entscheidung BGH, Urt. v. 29.3.1995 – VIII ZR 102/94, NJW 1995, 1552, in der ein Recht des HV auf Ausgleich des Verdienstausfalles wohl vorausgesetzt wird; generell Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 90. 463 LG Münster, Urt. v. 6.4.2017 – 022 O 131/16, zitiert nach Czaja IHR 2019, 221 (230). 464 LG Münster, Urt. v. 6.4.2017 – 022 O 131/16, zitiert nach Czaja IHR 2019, 221 (230). 465 Zu diesem Vergleich BGH, Urt. v. 29.3.1995 – VIII ZR 102/94, NJW 1995, 1552 (1553); Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 44; Oetker/Busche6 § 89 Rn 16. 466 OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625. 467 OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625. 468 AA (rglm. keine Reduzierung) BGH, Urt. v. 18.6.1959, BB 1959, 718 = NJW 1959, 1490; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 93; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 114. 469 BGH NJW-RR 1992, 1059. 470 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 64. 471 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 94. 472 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 62 ff. 473 Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89 Rn 43; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 98. 474 LG Krefeld, Urt. v. 27.1.2010 – 7 U 96/09, VersR 2010, 945; Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89 Rn 43; Küstner/ Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 98; Oetker/Busche6 § 89 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32; aA BAG, Urt. v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36 für den Arbeitnehmer. Emde

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5. Unberechtigte Freistellung Die unberechtigte Freistellung bildet eine Vertragsverletzung. Sie gestattet nach Abmah- 98 nung475 die fristlose Kündigung des Vertrages durch den HV476 und führt wegen des Widerspruchs zum Grundsatz der Vertragstreue und § 89477 zur Schadenersatzverpflichtung gem. § 280 BGB. Eine ohne finanzielle Entschädigung erfolgte Freistellung gibt zudem einen begründeten Anlass zur Kündigung.478 Der unberechtigt freigestellte HV muss sich allerdings – sofern er das Vertragsverhältnis nicht selbst berechtigt kündigt – gleichfalls an den Vertrag und ein eventuelles Wettbewerbsverbot halten.479 Den Unternehmer verpflichten zumindest die Anspruchsgrundlagen, die im Falle einer rechtmäßigen Freistellung gelten würden und die gleichen Rechtsfolgen.480 Denn ein unrechtmäßig agierender Unternehmer darf nicht bevorzugt werden. Mindestens gilt § 615 BGB (analog), wonach der Unternehmer bei Annahmeverzug der Dienste die vertragliche Vergütung schuldet.481 Im Arbeitsrecht wird ein vom Arbeitgeber bei unzulässiger Freistellung zu leistendes Schmerzensgeld diskutiert.482 Ein solches dürfte im HVRecht allenfalls krassen Ausnahmefällen anzuerkennen sein. Zu ersparten Aufwendungen Rn 96. Gegen eine vertragswidrige Freistellung kann der Vertriebsmittler mit einem Erfüllungsverlangen im Hauptverfahren antworten, aber auch durch einstweilige Verfügung.

X. „Rücknahme“ und Anfechtung der Kündigung Mit Ausnahme des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB (gleichzeitiger Zugang des Widerrufs) kann die Kündi- 99 gungserklärung als rechtsgestaltende Willenserklärung nicht einseitig durch Rücknahme oder Widerruf rückgängig gemacht werden483. Sie darf jedoch – wohl nur während der Vertragsdauer,484 also vor dem Kündigungsendtermin – angefochten werden.485 Die Wirkungen einer Kündigung können zudem bis zum Vertragsende einvernehmlich aufgehoben werden (§ 311 BGB).486 Auch danach dürfen sich die Parteien auf die Fortsetzung des bisherigen Vertrages oder auf einen Neuabschluss487 einigen, wobei in einer Widerrufs- oder Anfechtungserklärung ein Angebot auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrages liegen kann.488

475 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 112. 476 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 112; Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 99; Westphal I Rn 786; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 42.

477 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 91. 478 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 Rn 35. 479 LG Krefeld, Urt. v. 27.1.2010 – 7 U 96/09, VersR 2010, 945; Oetker/Busche6 § 89 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32; aA Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 42 und wohl auch BAG, Urt. v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36 für den Arbeitnehmer. 480 Etwa die nach dem Durchschnittsverdienst bemessene Freistellungsvergütung LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.6.2009 – 13 Sa 267/09, BeckRS 2011, 67119 (Arbeitsrecht). 481 Küstner/Thume/Thume I, Kap. VIII Rn 99; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 112; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 42; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 66. 482 Dafür LAG Baden-Württemberg; Urt. v. 12.6.2006 – 4 Sa 68/05; dazu Göpfert/Fellenberg BB 2011, 1912. 483 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 70; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 40; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45. 484 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 40. 485 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 70; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 40; Hopt § 89 Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 28. 486 Hopt § 89 Rn 24. 487 Hopt § 89 Rn 24. 488 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 70. 49

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XI. Fortsetzung eines beendeten Vertragsverhältnisses 100 Ein HV-Verhältnis, welches sein Ende durch Zeitablauf oder Kündigung gefunden hat, kann ungeachtet dessen fortgesetzt werden. Eine Kündigung lässt sich theoretisch zurücknehmen; das macht ihre Wirkung indessen nicht ungeschehen, so dass die Fortsetzung auf der Grundlage eines mindestens gedachten neuen Vertragsschlusses erfolgt.489 Im Zweifel gelten die früheren Bedingungen. Ausgleichsanwartschaften gehen regelmäßig über. Das ist auch dann anzunehmen, wenn der HV seine Tätigkeit stillschweigend fortsetzt und der Unternehmer Derartiges geschehen lässt. Wird ein bereits beendeter HV-Vertrag vom HV mit Wissen des Unternehmers fortgesetzt, gilt § 625 BGB.490 Folge: Hat der Unternehmer dem HV gekündigt mit dem Angebot der Vertragsfortsetzung unter verschlechterten Bedingungen und setzt der HV daraufhin seine Tätigkeit fort, ohne sich zu dem Ansinnen des Unternehmers zu äußern, so soll sogar dann das Vertragsverhältnis zu den alten Bedingungen weiterlaufen; der Unternehmer hätte seinen Standpunkt unter Widerspruch gegen das Verhalten des HV deutlich machen müssen.491

XII. Ausschluss und Begrenzung des Kündigungsrechts 101 Die Kündigung kann nach allgemeinen Grundsätzen unwirksam sein. Grundsätzlich setzt eine ordentliche Kündigung keinen Kündigungsgrund voraus und bedarf keiner sachlichen Rechtfertigung.492 Sie steht allerdings unter dem Vorbehalt des Verbots einer Schikane nach § 226 BGB,493 Treu und Glaubens,494 des Rechtsmissbrauchs495 bzw. des Verbots widersprüchlichen Verhaltens.496 Eine Grenze des Kündigungsrechts liegt ferner in dem Verbot sittenwidrigen Handelns (§ 138 BGB)497 sowie dem Schikane- und Diskriminierungsverbot des § 19 GWB (s. Kommentierung zu Vor § 84). Meist wird es um eine Anwendung des § 242 BGB gehen. Das OLG Frankfurt/M. lässt offen, ob als weitere Voraussetzung für einen Rechtsmissbrauch erforderlich ist, dass der Betroffene im Vertrauen auf die Nichtausübung des Rechts Dispositionen getroffen haben muss,498 was auf den Einzelfall ankommt – wie immer, wenn § 242 BGB maßgeblich ist. Die Tendenz der Gerichte liege, so Niebling,499 darin, eine ordentliche Kündigung nur bei Schikane und widersprüchlichem Verhalten wie – bezogen auf die Kündigungserklärung – zeitnahen Aufforderungen des Herstellers gegenüber dem Händler zu investieren (Investitionsschutz), für rechtswidrig zu halten. Die Zahlung der Ausgleichsvergütung als Gegenleistung für den Aufbau eines Kundenstammes beseitigt die Treuwidrigkeit einer Kündi-

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Vgl. BGH, Urt. v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, WM 1984, 1416 (1418). LAG Bremen DB 1955, 123; Hopt § 89 Rn 24. BGH DB 1955, 1085. Vgl. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 – in diesem Fall wurden hohe Maßstäbe an die Unzulässigkeit der Kündigung gestellt und die Kündigung für wirksam befunden. 493 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 (dort abgelehnt). 494 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 Rn 16 (dort abgelehnt); Niebling WRP 2002, 310; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 75. 495 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 (dort abgelehnt); Canaris § 17 Rn 85. 496 Canaris § 17 Rn 85; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 75. 497 BGH VersR 1969, 445 (446); Urt. v. 26.2.1970 – KZR 17/68, NJW 1970, 855; v. 21.2.1995 – KZR 33/93, EBE 1995, 259 (261); Ulmer FS Möhring, 1975, S. 311 (316); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 74; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 30; Hopt § 89 Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 29. 498 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 Rn 22. Dafür Wegner/Berger ZVertriebsR 2016, 247-. 499 WRP 2002, 310. Emde

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gung nicht.500 Denn der Ausgleich wird nach jeder ordentlichen Kündigung des Unternehmers fällig und bildet keine Kompensation für eine Schikane. Zum Sonderproblem erheblicher Investitionen Rn 108 ff.

1. Verwirkung, Verzicht Auf ein bestehendes Kündigungsrecht kann einseitig verzichtet werden.501 Das Kündigungs- 102 recht kann deshalb auch – ggf. nur temporär – verwirkt werden, etwa falls der Gekündigte aufgrund von Handlungen oder Erklärungen des Kündigenden auf die Nichtausübung des Kündigungsrechts vertrauen durfte (dann ggf. konkludente Einigung auf einen Kündigungsverzicht).502 Das wird etwa im unter Rn 108 ff. genannten Fall erheblicher Investitionen des Mittlers diskutiert. Ist zu einem späteren Termin ordentlich, jedoch unwirksam, fristlos gekündigt worden, kann eine erneute ordentliche Kündigung zu einem an sich zulässigen früheren Termin nach § 242 BGB ausgeschlossen sein.503 Auch ein dergestalt ordentlich gekündigter HV-Vertrag darf aber aus wichtigem Grund noch außerordentlich gekündigt und fristlos auf einen früheren Termin beendet werden.504 Der Unternehmer darf auch vertraglich den Verzicht auf eine ordentliche Kündigung erklä- 103 ren (jedenfalls für einen angemessenen Zeitraum, s. o.), regelmäßig jedoch nicht auf sein außerordentliches Kündigungsrecht. Im letztgenannten Fall hätte der Vertriebsmittler einen Freibrief zur Vertragswidrigkeit. Gegenüber einem unbestimmten Adressatenkreis abgegebene Kündigungsverzichte ent- 104 falten unter den Vertragspartnern regelmäßig keine Wirkung: Die Seefelder Maximen, vereinbart zwischen dem BVK und dem GdV, nach denen VV, die mehr als 25 Jahre tätig und älter als 55 Jahre sind, nicht ohne triftigen Grund gekündigt werden darf, enthalten deshalb kein Kündigungsverbot und auch keinen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten der VV. Dies gilt selbst dann, wenn der Versicherer gegenüber der Öffentlichkeit erklärt hat, er werde sich an diese Maximen halten. Auch die Vertriebsgesellschaft eines Zeitschriftenverlags ist berechtigt, die Geschäftsbeziehung zu einem (bislang gebietsmonopolistisch agierenden) PressevertriebsUnternehmen unter Einhaltung einer 6monatigen Kündigungsfrist zu kündigen. Es besteht keine Bindung an den Inhalt einer nicht in den Vertrag einbezogenen Absichtserklärung der Verbände der Zeitschriften- und der Zeitungsverleger sowie des Bundesverbandes der Presse-Grossisten, welche lediglich branchenpolitische, aber keine rechtliche Bedeutung hat.505

2. Schikane- oder Vergeltungskündigung Unzulässig ist eine Schikane- oder Vergeltungskündigung, die erfolgt, weil der HV auf vertrags- 105 widrige Forderungen des Unternehmers nicht eingeht.506 Beispiel: Der Unternehmer verfolgt das Ziel, andere Mittler von einem eigentlich vertragskonformen Verhalten wie dem des gekündigten Mittlers abzuhalten und damit die Unterlassung oder Vornahme von Handlungen der Vertragspartner durchzusetzen, auf welche der Unternehmer keinen Anspruch hat. Dies verstößt unter Berück500 Canaris § 17 Rn 85 (der die Ausgleichszahlung aber in die Gesamtabwägung einbeziehen will); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 75; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 30; siehe aber Ulmer FS Möhring, 1975, S. 317.

501 Höft VersR 1973, 600; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 71; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 40. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 76. BGH BB 1969, 380. OLG Nürnberg HVR (62) Nr. 342; Hopt § 89 Rn 12. OLG Schleswig, Urt. v 28.1.2010 – 16 U (Kart) 55/09, BeckRS 2010, 02834. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 74.

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sichtigung der regelmäßig gegebenen wirtschaftlichen Abhängigkeit der Mittler und der wechselseitigen Treupflichten gegen Treu und Glauben und stellt sich als rechtswidrige Ausnutzung einer überlegenen vertraglichen Rechtsposition dar.507 Je nach Sachlage kann z. B. die Kündigung zur Durchsetzung einer Rabattkürzung,508 des Markenzwangs nach Auslaufen der 5Jahresfrist des Art. 5 Abs. 1 lit. a GVO 330/10,509 einer unzulässigen Preisbindung, insb. der Aufforderung, die Verkaufspreise an die UVP anzupassen,510 oder der Einführung eines neuen Datenverarbeitungssystems511 unzulässig sein. Die Voraussetzungen einer Schikanekündigung werden äußerst selten vorliegen. Denn grds. darf jeder Vertragspartner von dem ihm eingeräumten Kündigungsrecht uneingeschränkt Gebrauch machen.512 Zur Durchsetzung vertragskonformer Maßnahmen darf der Unternehmer deshalb im Grundsatz auch mit einer Kündigung drohen. Droht z. B. ein Unternehmer mit der ordentlichen Kündigung, um eine Änderung der Zusammenarbeit zu erreichen, so bestehen weder vertragliche noch gesetzliche (§§ 138, 826 BGB, § 19 GWB) Schadensersatzansprüche, sofern die ordentliche Kündigung und die angestrebte Vertragsänderung zulässig war.513 Der Unternehmer hätte auch ohne Warnung kündigen dürfen und es ist nicht zu beanstanden, wenn er zunächst unter Kündigungsandrohung einen Änderungsvertrag sucht. Den Schikanevorwurf nach § 19 GWB hat derjenige zu beweisen, der sich auf ihn beruft.514

3. Kündigung zur Unzeit 106 Die Kündigung zur Unzeit, im entschiedenen Fall: eines Franchisevertrages, soll nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.515 Richtigerweise kommt es immer auf die Verhältnisse des Einzelfalls an. Durfte der Mittler darauf vertrauen, dass eine Kündigung zum maßgeblichen Zeitpunkt unterblieb, können die Grundsätze der Kündigung zur Unzeit zur Unwirksamkeit einer Kündigung führen.

4. § 19 GWB 107 Zu möglichen Kündigungsbeschränkungen aus § 19 GWB siehe Kommentierung zu Vor § 84.

5. Folgen erheblicher Investitionen – Investitionsschutz und Investitionsersatzanspruch 108 Nicht sicher geklärt ist, welche Folgen erhebliche Investitionen des HV oder eines HV-ähnlichen Vertriebsmittlers, etwa eines Vertragshändlers516 oder FN,517 auf das Kündigungsrecht

507 Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 347. 508 BGH, Urt. v. 26.2.1970 – KZR 17/68, NJW 1970, 855 (856); BAG AP Nr. 22 zu § 138 BGB; AG Siegen MDR 1970, 239; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 74. 509 AA Wegner/Oberhammer BB 2011, 1480 (1486). 510 Spenner/Kiani ZVertriebsR 2013, 335 (336). 511 OLG Köln, Urt. v. 31.3.1995 – 19 O 197/04, n. v. 512 BGH VersR 1969, 445 (446) mit zust. Anm. Boetius; NJW 1970, 855; Finke WM 1969, 1128; Weimar MDR 1959, 986; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 30; Hopt § 89 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 29. 513 OLG Hamburg, Urt. v. 20.2.2003 – 3 U 26/99, GRUR-RR 2003, 325. 514 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 Rn 31. 515 Flohr BB 2006, 389 (397) unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 20.5.2003, NJW 2003, 2674. 516 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 59 ff. 517 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 84 ff. Emde

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des Unternehmers oder die Kündigungsfolgen haben.518 Eine gesetzliche Regelung fehlt unter deutschem Recht.519 Tatsächlich kann eine abverlangte Investition in Ausstattungen, die markenspezifisch sind und sich nur bei Zugehörigkeit zum konkreten Vertriebssystem amortisieren lässt, mit der berechtigten Erwartung des Mittlers verbunden sein, ihm verbleibe eine angemessene Amortisationszeit bzw. ihm würde seine Investition erstattet.520 Der BGH hat etwa im Mietrecht einen Amortisationsanspruch anerkannt.521 Die überwiegende Ansicht in der Literatur befürwortet deshalb einen neben § 89b tretenden522 Investitionsschutz,523 Voraussetzung ist, dass es sich um eine vom Unternehmer veranlasste Investition handelt,524 sie irreversibel,525 insb. nicht weiter verwendbar oder veräußerbar ist526 und sich noch nicht amortisiert hat.527 Irrelevant dürfte hingegen sein, ob die Investition vor der ordentlichen Kündigung getätigt wurde.528 Denn wenn die Investition fremdveranlasst ist, kommt es nicht darauf an, ob sie vor oder nach einer ordentlichen Kündigung getätigt wurde. Nach einer ordentlichen Kündigung ist ein Investitionsersatzanspruch wegen widersprüchlichen Verhaltens des Mittlers aber ausgeschlossen, sofern er nicht erklärt, warum er Investitionen getätigt hat, die sich erkennbar nicht amortisieren würden. Voraussetzung des Investitionsersatzanspruchs ist weiter, dass die Vertragsbeendigung durch den Unternehmer veranlasst wurde, etwa indem der Unternehmer ordentlich gekündigt hat.529 Hat der Mittler das Vertragsende zu verantworten, gibt es keinen Grund, ihn zu schützen.530 Die Gegenansicht lehnt einen Investitionsersatzanspruch ab.531 Es lasse sich kein allgemei- 109 ner Rechtssatz aufstellen, dass der Geschäftsherr, der einen Dritten mit dem Vertrieb beauftragt, diesem Dritten die Amortisation von Investitionen zu ermöglichen hat, die dieser im Interesse und auf Aufforderung des Geschäftsherrn tätigt.532 Das Risiko, dass ein befristeter Vertrag nicht 518 Vgl. Genzow Rn 137; Westphal II Rn 675 ff.; Ebenroth/Parche BB 1988, Beil. 10; Ebenroth/Strittmatter BB 1993, 1521; Foth BB 1987, 1270; Susanne Creutzig NJW 2002, 3430; Niebling WRP 2010, 81 (83); Niebling WRP 2005, 717 (719); Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257; zusf. Emde VersR 2004, 1499 (1502); zum spanischen Recht Lindner/Ramirez RIW 2006, 418 ff. Gegen einen Investitionsersatzanspruch OLG München WuW/E OLG 5091; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (149); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 11, 67. 519 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (148). 520 Ensthaler NJW 2003, 3106 (3108). 521 BGH BB 2000, 1060. 522 Martinek ZVertriebsR 2012, 2 (8). 523 Martinek ZVertriebsR 2012, 2 (8); Niebling WRP 2012, 1361 (1363); Ebenroth/Parche BB 1988, Beil. 10, S. 26 ff.; Ebenroth/Strittmatter BB 1993, 1521 (1527 ff.) Foth BB 1987, 1270 ff.; Thume BB 2009, 1026 (1029); Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 75; Genzow Rn 137; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB – Klauselwerke, Vertragshändler-Vertrag, Rn 64 ff.; Küstner/Thume/Thume III, Kap. II/8 Rn 28 ff.; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 713 ff.; Martinek/Ullrich Handbuch des Vertriebsrechts3 § 23 Rn 80 f.; Westphal II Rn 675 ff. 524 Giesler/Köhnen, Praxishandbuch Vertriebsrecht, Rn 456; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 72. 525 Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (262), Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 72. 526 Giesler/Köhnen, Praxishandbuch Vertriebsrecht, Rn 457; Creutzig NJW 2002, 3430 (3432); Flohr/Wauschkuhn/ Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 72. 527 Giesler/Köhnen, Praxishandbuch Vertriebsrecht, Rn 456; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 72. 528 AA Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 74. 529 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 73. 530 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 73. 531 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (21); WuW/E OLG 5091; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (84) – Vertragshändler; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (149); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 11; zur Darstellung der Regelungen der europäischen Länder Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 ff., die a. a. O. einen Investitionsersatzanspruch ebenfalls ablehnen. 532 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (21). 53

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verlängert bzw. ordentlich gekündigt wird, trage grds. jede Vertragspartei selbst. Das bedeutet, dass die Amortisation von Investitionen grds. in den Risikobereich des Investierenden fällt.533 110 Die Rechtsgrundlagen des Investitionsschutzes sind umstritten: Teilweise werden § 280 BGB und §§ 675, 670 BGB534 analog genannt. Andere wenden die Grundsätze über die Kündigung zur Unzeit gem. §§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2, 712 Abs. 2 Hs. 2, 723 Abs. 2 S. 2, 2226 S. 2 BGB analog an.535 Darüber hinaus könnte auch an die Anwendung der Regelungen zur GoA oder des § 812 BGB gedacht werden.536 Zum Teil wird der Investitionsschutzanspruch aus einer ergänzenden Vertragsauslegung gem. § 133, 157 BGB i. V. m. einem Verstoß gegen § 242 BGB wegen des Widerspruchs zu früherem Verhalten hergeleitet.537 Ein widersprüchliches Verhalten des Unternehmers wird darin gesehen, dass er auf der einen Seite den Mittler zu Investitionen veranlasst und einen Vertrauenstatbestand schafft, demzufolge der Vertrag noch längere Zeit andauern werde, so dass der Mittler die Möglichkeit der Amortisation erwarten durfte, und der Unternehmer dann den Mittlervertrag unerwartet kündigt.538 Dagegen wird eingewandt, dass der Händler die Kündigungsfristen aus dem Vertrag kennt und folglich kein schutzwürdiges Vertrauen genießen kann, weil er damit rechnen muss, dass der Unternehmer den Vertrag mit den vertraglichen Fristen kündigt.539 Zudem wird eine Regelungslücke bestritten, da jedenfalls dem Vertragshändlervertrag das Investitionsrisiko immanent sei.540 Auch eine Anwendung der Vorschriften über die Kündigung zur Unzeit wird abgelehnt541: Es fehle eine vergleichbare Interessenlage; die Vorschriften über die Kündigung zur Unzeit sähen keine Kündigungsfristen vor. Die Dauerschuldverhältnisse, auf die sie sich bezogen, könnten vielmehr jederzeit gekündigt werden.542 Letzterem ist nicht zuzustimmen: Zwar gelten die Regelungen zur Kündigung zur Unzeit nur für Kündigungen ohne Frist. Aber dies sagt nicht, dass nicht auch eine Kündigung mit Kündigungsfrist zur Unzeit erfolgen könnte. Nicht amortisierte Investitionen sollen auch nicht vom Schutzzweck des § 19 GWB gedeckt sein und folglich keinen Schadenersatzanspruch aus § 33 GWB begründen.543 Auch gem. der Ansicht des OLG München544 darf aus § 19 GWB keine Kündigungsschranke hergeleitet werden. Nach der Gegenansicht kann den nicht amortisierten Investitionen auch im Rahmen einer Interessenabwägung aus §§ 307 Abs. 1 BGB, 19 GWB bei der Prüfung der Angemessenheit der Kündigungsfrist Bedeutung zukommen.545 Da es sich bei dem Investitionsschutz um einen Ausnahmetatbestand handelt, dürfte eher die Herleitung

533 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (21). 534 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 617; Giesler WM 2001, 658; aA OLG Düsseldorf BeckRS 2009, 29052; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (148); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 60; Martinek ZVertriebsR 2012, 2 (8). 535 Ablehnend Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (618). 536 Vgl. Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (619). 537 Foth BB 1987, 1270 (1271); Ebenroth/Strittmatter BB 1993, 1521 (1530); van der Moolen in: Martinek/Semler/ Habermeier/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts3 § 23 Rn 80; aA Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 129 (148); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 51 ff. 538 Küstner/Thume/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Bd. 33 II Kap. 8 Rn 33. 539 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 129 (148); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 62. 540 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 129 (148); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 63. 541 Wauschkohn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 129 (149). 542 Wauschkohn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 129 (149); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 64. 543 Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (261); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 65 ff.; aA wohl OLG Stuttgart WuW/E OLG 3415 – Daimler Benz: Der Unternehmer darf solange nicht kündigen, wie sich die Investitionen nicht amortisiert haben. 544 OLG München NJW-RR 1995, 1137 = WuW-E OLG 5091 (5096) – BMW. 545 BGH NJW 1987, 3197 (3200); NJW-RR 1995, 1260. Emde

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aus § 242 BGB546 und dem Grundsatz widersprüchlichen Verhaltens naheliegen. Nach Ansicht von Hopt547 sind die Grundsätze zum Investitionsschutzanspruch für HV aus tatsächlichen Gründen nicht einschlägig, was angesichts der Tätigkeit von HV im investitionsintensiven Geschäft, etwa als Autohäuser, unzutreffend sein dürfte.548 Umstritten ist die genaue Rechtsfolge des Investitionsschutzes, nämlich Zahlungsanspruch 111 oder Kündigungsschutz. Soweit ein Investitionsschutzanspruch nicht gänzlich abgelehnt wird,549 steht dem Mittler nach einer Ansicht aus § 280 BGB und analog §§ 675, 670 BGB550 auch ohne unberechtigte Kündigung ein Investitionsersatzanspruch als Zahlungsanspruch zu, falls er ohne eigenes Zutun (die Eigenkündigung soll also anspruchsvernichtend wirken, anders mglw. In Analoge zu § 89b Abs. 3 Nr. 1 bei „unbegründetem Anlass“) aus dem Vertriebssystem des Herstellers zu einer Zeit ausscheidet, zu dem sich vom Unternehmer fremdbestimmte Investitionen noch nicht amortisiert haben.551 Fälle jener Art könnten nicht gelöst werden, indem die ordentliche Kündigung des Herstellers für gem. § 242 BGB treuwidrig und nichtig erklärt552 und, da § 242 BGB keine Anspruchsgrundlage bilde,553 die Kündigungsfrist im Wege ergänzender Vertragsauslegung verlängert werde.554 Eine solche Ansicht stehe im Spannungsverhältnis zum Erfordernis der Rechtsklarheit nach Kündigungserklärungen und unterstelle mangels auslegungsbedürftiger Regelungslücke555 einen nicht vorhandenen Parteiwillen.556 Vielmehr weise der richtige Weg zu einem Ersatzanspruch, sofern der Hersteller markenspezifische Investitionen des Händlers veranlasst habe.557 Gleiches gelte für markenneutrale Investitionen, welche über die Grundausstattung des Betriebs hinausgingen. Können die Investitionen vom Mittler nach Vertragsende noch (teilweise) genutzt werden, scheidet in beiden Konstellationen ein Investitionsschutz aus, soweit die Nutzungsmöglichkeit reicht.558 Nach aA stellt die Ausübung des Kündigungsrechts in solchen Fällen einen Verstoß gegen 112 die Leistungstreuepflicht dar; der Schutz des Mittlers vollzieht sich (nur) über die Bemessung der Kündigungsfristen.559 Nach dieser Meinungsgruppe verlängern sich die gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfristen – nicht nur beim Vertragshändler –, falls dem Vertriebsmittler von dem Unternehmer fremdbestimmte und nicht amortisierte Investitionen auferlegt wurden.560 Begründet wird dies mit der Rspr. des BGH,561 die bei einem investionsintensiven Kfz546 So LG Berlin, Urt. v. 31.10.2003 – 102 O 10/03 (Kart.); Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (260 f.); aA Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 69: der Mittler könne selbst Sorge dafür tragen, dass sich seine Investitionen amortisierten, indem er Mindestvertragslaufzeiten fordere. 547 § 89 Rn 16. 548 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 11. 549 So OLG München NJW-RR 1995, 1137 = WuW-E OLG 5091 (5096) – BMW; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (149); Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (619). 550 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 617; Giesler WM 2001, 658; aA Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (148); Martinek ZVertriebsR 2012, 2 (8). 551 Susanne Creutzig NJW 2002, 3430. 552 So aber Graf v. Westphalen Vertragshändlerverträge, in: Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Rn 68; Westphal II Rn 676; Ebenroth/Strittmatter BB 1993, 1521 (1530). 553 Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (617). 554 Für die Anwendung der ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB aber Foth BB 1987, 1270 (1271); Genzow Rn 137; Martinek/Ullrich Handbuch des Vertriebsrechts3 § 23 Rn 81; LG Stuttgart, Urt. v. 27.2.2006 – 36 O 178/ 05. RIW 2009, 615 ff. So auch die Regelung in Frankreich, siehe Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (615). 555 Susanne Creutzig NJW 2002, 3430 (3431); Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (618). 556 Mglw. werden die Parteien den Vertrag nicht fortsetzen wollen, s. Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (619). 557 Westphal II Rn 677 („fremdbestimmte Investitionen“); Niebling WRP 2003, 609 (611). 558 Westphal II Rn 677. Das bedeutet: Der Zahlungsanspruch und die Kündigungsfrist reduziert sich. 559 Ebenroth Mittlungsverträge im Spannungsverhältnis von Kartell- und Zivilrecht, in: Monographien zum deutschen und internationalen Wirtschaftssteuerrecht, 1980, S. 175 ff.; Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 338; Westphal II Rn 675; ablehnend Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (620). 560 Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 338; Canaris § 17 Rn 85. 561 BGH BB 1995, 1657; zust. Niebling WRP 2011, 1518 (1522). 55

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Vertragshändlervertrag im Rahmen der AGB-Inhaltskontrolle eine Mindestkündigungsfrist von einem Jahr für angemessen hielt und sich an den seinerzeit geltenden Mindestvorgaben der KfzGVO (bis 2013: 2 Jahre) orientierte. Ohne angemessene Auslauffrist entfaltet die Kündigung also keine Wirkung. Diese Kündigungsschranke gilt so lange, bis sich die fremdbestimmten Anfangsoder Folgeinvestitionen des Händlers im Wesentlichen amortisiert haben. Auch nach Ansicht des OLG Stuttgart562 bilden Investitionen eine Kündigungsschranke. Das OLG Stuttgart nahm dies nach einer Vertragslaufzeit von 7 Jahren an. Der von dieser Meinungsgruppe gewährte Schutz leitet sich aus der analogen Anwendung der Grundsätze über die Kündigung zur Unzeit ab (s. o.).563 Sowohl der Schadenersatzgedanke wie der verlängerter Kündigungsfristen ist grundsätzlich 113 zutreffend. Im Grundsatz muss der Mittler selbst das Investitionsrisiko tragen. Nur ausnahmsweise kommt ein Investitionsschutz in Betracht. Diesen Ausnahmefall hat der Mittler zu beweisen, und zwar bereits deshalb, weil in einem Austauschvertrag die Vermutung besteht, dass sich die Aufwendungen jeder Partei durch die vertraglich versprochene Vergütung amortisieren. So wird z. B. darauf hingewiesen, der FN begebe sich, ebenso wie ein Einfirmen-HV, in eine enge wirtschaftliche Abhängigkeit zum FG, die mit zunehmender Vertragsdauer hinaus noch ansteige.564 Die Vertragslaufzeit müsse daher mindestens einen Zeitraum abdecken, innerhalb dessen eine Amortisation der Investitionen regelmäßig zu erwarten sei.565 Dass der Mittler durch die Klauselkontrolle nach § 307 BGB hinreichend geschützt und ein Investitionsschutz damit überflüssig wird,566 kann kaum behauptet werden. Zum einen hilft diese Klauselkontrolle nicht bei Individualverträgen. Zum anderen begrenzt § 307 BGB Rechte des Händlers, begründet aber keinen eigenen Anspruch und verlängert keine Kündigungsfrist. Im investitionsreichen Kfz-Vertragshändlergeschäft wurden viele Fälle bereits durch die allerdings nur bis 2013 von der GVO 1400/02 vorgeschriebene und z. T. in den Selbstverpflichtungskatalogen der Kfz-Hersteller (Vor § 84 Rn 388) fortbestehenden Mindestkündigungsfrist von 2 Jahren abgefedert. Da sich Literatur und Rspr. zudem unabhängig von der Existenz eines Investitionsersatzanspruchs einig darüber sind, dass im investitionsintensiven Geschäft auch abseits der von GVOs normierten kartellrechtlichen Freistellungsvoraussetzungen über § 89 hinausgehende Kündigungsfristen gelten, wird auch hierdurch der Amortisationszeitraum verlängert und die Bedeutung des Investitionsschutzes reduziert. Der anspruchsberechtigte Mittler darf sich nach seiner Wahl entweder auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen zu kurzer Kündigungsfrist berufen oder Schadenersatz fordern.567 Der anspruchsberechtigte Mittler hat die Wahl der in Anspruchskonkurrenz stehenden Rechte zumindest nach billigem Ermessen und mit der Einschränkung der Pflicht zur Beachtung schutzwürdiger Unternehmerinteressen. Ein Wahlrecht des Unternehmers zwischen verlängerter Kündigungsfrist und Schadenersatz wird man hingegen nicht anerkennen können.568 Denn im Falle einer Anspruchsgrundlagenkonkurrenz entscheidet der Anspruchssteller, welchen Anspruch er wählt. Voraussetzung der Ansprüche ist das zumindest konkludente Verlangen des Unternehmers nach der Investition in der vorgenommenen Höhe, das schutzwürdige Vertrauen des Mittlers auf eine hinreichende Amortisationsdauer und die fehlende nachvertragliche Amortisationsmöglichkeit. Wurde dem Mittler durch den Unternehmer schuldhaft unberechtigt – etwa nach § 89a ohne Existenz eines wichtigen Grundes – gekündigt, sind die fremdbestimmten und nicht amortisierten Investitionen des Mittlers als Schadensersatz wegen Schlechterfüllung einer Nebenpflicht gem. § 311 Abs. 1, 280 562 OLG Stuttgart WuW-E OLG 3415 – Daimler-Benz. 563 Ablehnend Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (618): Diese Regelungen gälten nur für Kündigungen ohne Frist. Aber dies sagt nicht, dass nicht auch eine fristgebundene Kündigung zur Unzeit erfolgen könnte. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 8.10.2014 – 4 U 41/14, ZVertriebsR 2015, 161 (163/164). OLG Frankfurt/M., Urt. v. 8.10.2014 – 4 U 41/14, ZVertriebsR 2015, 161 (163). So Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 615 (620). Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (261). AA Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 462.

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Abs. 1 BGB vom Unternehmer zu ersetzen.569 Die Pflichtverletzung liegt in der unberechtigten Kündigung trotz Investitionsaufforderung. Auch bei ordentlicher und – abgesehen vom Investitionsschutzgedanken – zulässiger Kündigung rechtfertigt sich ein Schadenersatzanspruch aus der Schutzpflichtwidrigkeit (§ 241 Abs. 2, § 242 BGB) der trotz fremdbestimmter Investitionen ausgesprochenen Kündigung, die vorsätzlich und damit schuldhaft erfolgte. Hier liegt die Pflichtverletzung in der Investitionsaufforderung trotz Unsicherheit über die Vertragsfortführung, spätestens aber in der Kündigung trotz Kenntnis der Investitionen oder jedenfalls in der mangelnden Klärung der Investitionslage vor Ausspruch der Kündigung. Auch die Kündigungsfrist verlängert sich wegen des widersprüchlichen Verhaltens des Unternehmers (einerseits Investitionsforderung, andererseits Vertragsbeendigung) nach den Grundsätzen der Kündigung zur Unzeit oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung angemessen und meist bis zum Ende der Amortisationszeit. Gegen die Gewährung des Kündigungsschutzes kann im Einzelfall sprechen, dass es zu einer Zementierung möglicherweise unwirtschaftlicher Vertriebsverhältnisse kommt und der Unternehmer an nicht genehme Vertragspartner gebunden bleibt. Auch Vertragsumstellungen, etwa infolge einer Neufassung einer GVO, werden erschwert.570 Diesen Bedenken lässt sich Rechnung tragen, indem dann, wenn die Vertragsfortsetzung bis zum Ablauf der verlängerten Kündigungsfrist für den Unternehmer unzumutbar ist oder schutzwürdige Interessen des Unternehmers diese Wahl erfordern, das oben postulierte Wahlrecht des Mittlers nach §§ 315, 242 BGB auf die Wahl des Schadensersatzes reduziert wird. Im Einzelfall mag sich eine Ermessensreduzierung auf ein Recht ergeben, was aus dem anspruchsbegründenden § 242 BGB hergeleitet werden kann. Wollte man entgegen der hier vertretenen Ansicht dem Unternehmer ein Wahlrecht zubilligen, wäre in der Kündigung in Kenntnis der nicht amortisierten Investitionen regelmäßig die Wahl des Ersatzanspruches in Geld zu sehen.571 Hinsichtlich der Höhe der als Schadenersatz geschuldeten Ersatzleistung besteht Uneinigkeit. 114 Teils wird als Ersatz der Vertrauensschaden gewährt.572 Das bedeutet: ersetzt werden regelmäßig nur die nicht amortisierten Investitionen.573 Teils wird der Ersatz des Erfüllungsschadens einschließlich nicht amortisierter, fremdveranlasster Investitionen und des während der Amortisationszeit entgangenen, fiktiven Gewinns für möglich gehalten.574 Tatsächlich wird der Mittler kaum Gewinn fordern dürfen, welchen er nur infolge der Investitionen erzielt hätte.575 Durfte der Unternehmer dem Mittler gem. § 89a aus wichtigem Grund wegen schuldhaf- 115 ten Verhaltens des Mittlers kündigen, so entfällt der Investitionsschutz (§ 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB, § 242 BGB, § 254 BGB). Erfolgte die außerordentliche Kündigung ohne schuldhaftes Verhalten des Mittlers, bleibt der Investitionsschutz vorbehaltlich einer Wertung der Verursachungsbeiträge gem. §§ 242 BGB, § 254 BGB analog erhalten. Der Mittler als Anspruchsteller hat alle anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen 116 und zu beweisen, also Herstellerkündigung, die Vornahme schutzwürdiger Investitionen sowie ggf. den aus der Vertragsbeendigung resultierenden Schaden. Zu mangelnden anderen Amortisationsmöglichkeiten muss der Mittler vortragen, der Unternehmer hat ihr Bestehen aber zu beweisen. Sehen die Händlerstandards eine Investition vor, spricht der erste Anschein für eine Veranlas569 BGH DB 1978, 1882; OLG Stuttgart BB 1990, 1015, Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 445. 570 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 434. 571 Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 461. 572 Westphal II Rn 678; Martinek/Ullrich Handbuch des Vertriebsrechts3 § 23 Rn 81; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 716; Ulmer in: FS Möhring, 1975, S. 310; Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (619); Foth BB 1987, 1270 (1273). 573 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 74. 574 Ebenroth Mittlungsverträge im Spannungsverhältnis von Kartell- und Zivilrecht, in: Monographien zum deutschen und internationalen Wirtschaftssteuerrecht, 1980, S. 186 ff.; Genzow Rn 140; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB – Klauselwerke, Vertragshändler-Vertrag, Rn 67; Ebenroth/Parche BB 1988, 26; Susanne Creutzig NJW 2002, 3430; Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (263). 575 Foth BB 1987, 1270; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 74; Westphal II Rn 678; aA Genzow Rn 140; Ebenroth/Parche BB 1988 Beil. 10. 57

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sung der Investition durch den Unternehmer.576 Aus dem Finanzierungsplan ergibt sich meist der Amortisationszeitraum.577 Bei 2jähriger Kündigungsfrist – wie sie bis 2013 im Kfz-Vertragshändlerrecht durch die GVO 1400/02 vorgeschrieben wurde und jetzt in die Selbstverpflichtungskataloge der Kfz-Hersteller übernommen wurde (Vor § 84 Rn 388) – soll ein Investitionsersatz nur ausnahmsweise geschuldet sein,578 was sich jedoch in dieser Allgemeinheit nicht sagen lässt. Eine Beschränkung des Investitionsschutzes durch diese Kataloge scheidet aus.579 Bei Franchiseverträgen wird von einer Amortisationsdauer von 3–5 Jahren ausgegangen.580 Ein Investitionsschutz nach 8 Jahren ist aus dem Grundsatz von Treu und Glauben angeblich nicht abzuleiten.581 Wegen des Investitionsschutzes kann Händlern nur empfohlen werden, die Veranlassung zu Investitionen zu dokumentieren, etwa im Schriftwechsel zwischen den Parteien.582 In den meisten europäischen Ländern wird ein Investitionsersatzanspruch auf irgendeiner 117 rechtlichen Grundlage anerkannt, meist als Schadenersatzanspruch.583 Das österreichische Parlament hat am 18.6.2003 den Investitionsschutz des Vertragshändlers in § 454 Abs. 1 UGB verankert584: Ein Unternehmer, der an einem vertikalen Vertriebsbindungssystem als gebundener Unternehmer teilnimmt, hat bei Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem bindenden Unternehmer Anspruch auf Ersatz von Investitionen, die er zu tätigen verpflichtet war, soweit sie bei Vertragsbeendigung weder amortisiert noch angemessen verwertbar sind. Der Anspruch nach österreichischem Recht besteht nicht, sofern der Händler von sich aus den Vertrag gekündigt hat oder wenn er nicht innerhalb eines Jahres nach Kündigung seine Rechte geltend macht. Er ist zwingend. Weitreichende Investitionsverpflichtungen bedürfen einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung und können nicht auf § 242 BGB gestützt werden.585

6. Widersprüchliches Verhalten 118 Auch widersprüchliches Verhalten kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Ein solches widersprüchliches Verhalten liegt z. B. vor, falls der Vertragspartner zurechenbares Vertrauen auf den Fortbestand des Vertrages hervorgerufen hat, etwa durch ein Investitionsverlangen (s. o.). Dies darf angenommen werden, wenn der Unternehmer zunächst einen Vertrag schließt, um ihn dann umgehend zu kündigen.586 Hat der Unternehmer am 26.11./10.12.2012 jedoch eine Änderung des Vertrages vereinbart, die zum 1.1.2014 wirksam ist und kündigt er am 21.2.2014 mit zweijähriger Kündigungsfrist, soll ein widersprüchliches Verhalten fehlen.587 Das gelte insb., wenn es sich bei dem Neuvertrag lediglich um eine Modifizierung eines seit Jahren bestehenden Vertrages handele.588 Das Motiv des Unternehmers, drei Jahre nach Vereinbarung des neuen Vertrags zu kündigen, um 576 Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 456. 577 Susanne Creutzig NJW 2002, 3430. 578 Niebling WRP 2005, 717 = WRP 2009, 153 (155) = WRP 2010, 81 (83) = WRP 2010, 1454 (1456) = WRP 2012, 1361 (1363).

579 Ensthaler NJW 2003, 3106 (3108) zur nämlichen Regelung in der GVO 1400/02. 580 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 474. 581 KG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 U 17/02 (Kart), zit. n. Niebling WRP 2005, 717 (719) = Niebling WRP 2009, 153 (155) = Niebling WRP 2010, 81 (83) = WRP 2010, 1454 (1456) = WRP 2012, 1361 (1363).

582 Emde kfz-betrieb 20/2001, 26. 583 Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 ff. 584 Hierzu Moritz ZVertriebsR 2017, 143 (147); Ensthaler NJW 2003, 3106; Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (616) – letztgenannte auch zu den Regelungsansätzen in anderen europäischen Ländern. 585 LG München I, Teilurt. v. 26.10.2018 – 37 O 10335/15, ZVertriebsR 2019, 34 Rn 99 zu einem Franchisevertrag. 586 LG Köln, Urt. v. 8.7.1981 – 84 O (Kart) 23/81, n. v.; Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 348; aA nach den Verhältnissen des Einzelfalles OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/ 15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 Rn 18. 587 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 Rn 18. 588 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 Rn 19. Emde

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einen neuen Partner zu suchen, der die neue Markenstrategie des Unternehmers besser umsetzen könne und geographisch günstiger liege, unterfalle der unternehmerischen Freiheit und sei nicht zu beanstanden.589 Allerdings soll die separate Kündigung eines von zwei Tankstellen-HV-Verträgen wegen Verstoßes gegen die Geschäftsgrundlage und § 242 BGB unzulässig sein, wenn beide Verträge als wirtschaftliche Einheit miteinander verbunden waren. Dabei wurden die Verträge zwar separat geschlossen, jedoch betraf ein Vertrag eine mit Gewinn arbeitende Tankstelle, der andere eine mit Verlust arbeitende. Der Tankstellen-HV wurde dazu gezwungen, den mit Verlust arbeitenden Vertrag zu übernehmen, um den vorteilhaften Vertrag zu erhalten.590

XIII. Folgen der Vertragsbeendigung Mit Eintritt des Kündigungsendtermins (Abs. 1 S. 3) endet das Vertragsverhältnis. Es wandelt sich 119 in ein Abwicklungsverhältnis591 um. Die nachvertragliche Treupflicht besteht fort; der Rechtsgrund für erbrachte Vorleistungen entfällt. Der Unternehmer schuldet die Abwicklung der auf Vermittlung des HV zustande gekommenen Geschäfte, deren Vergütung592 und Verprovisionierung, die Informationen des § 87c, Ausgleichsvergütung nach § 89b, Rücknahme seiner Sachen, und zwar grds. unabhängig vom Eigentumsübergang und auch ohne Konsignationslagerabrede gegenüber dem Vertragshändler,593 eine eventuell zu leistende Karenzentschädigung gem. § 90a sowie ggf. ein Zeugnis nach § 630 BGB (dazu Vor § 84). Vertragsgemäß verdiente Vergütungen, etwa bereits entstandene Ansprüche auf Abschlussprovision,594 verfallen nicht. Der Unternehmer hat über sie abzurechnen und sie auszuzahlen (zur Provisionsverzichtsklausel s. die Kommentierung zu § 89b). Vorräte, Lagerbestände, Ersatzteile oder sonstige vom HV im Einverständnis mit dem Unternehmer zur Unterstützung der ihm übertragenen Tätigkeit auf eigene Kosten erworbene Gegenstände hat der Unternehmer entsprechend den Grundsätzen zur Rücknahme der Lagerware bei Vertragshändlern (s. Kommentierung zu Vor § 84) nach Vertragsende gegen Wertersatz zu übernehmen,595 selbst wenn ihn ein Schuldvorwurf an einem vorzeitigem Vertragsende nicht trifft. In Ausführung eines Vertragshändlervertrages geschlossene Einzelkaufverträge sind zu erfüllen.596 Aus weiterer gegen den Willen des Unternehmers vorgenommener Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit erwirbt der HV keinen Provisionsanspruch.597 Liegt eine Zustimmung des Unternehmers zur weiteren Tätigkeit des HV vor, mag ein ggf. konkludenter Neuabschluss des Vertrages (§ 89 Abs. 3 S. 1 ggf. analog) vorliegen oder es entsteht ein Vergütungsanspruch gem. § 354, selbst nach einer Kündigung gem. § 89a (nicht nur für notwendige Abwicklungsarbeiten).598 Einstands- oder Vorauszahlungen sind vom Unternehmer abzurechnen. Der Vertriebsmittler hat, sofern ihm nicht aus speziellem Grunde, etwa einer gesonderten Vereinbarung, ein dahingehendes Recht zusteht, jeden Hinweis auf seine Tätigkeit als Vertriebsmittler des Unternehmens zu entfernen, etwa aus Verzeichnissen, Werbebroschüren oder Websites. Auch darf er die geschützten Zeichen des Unternehmers nicht mehr verwenden. Der Unternehmer eines gekündigten Vertragshändlers kann (mittels einstweiligen Verfügungsverfahrens599) verlangen, dass die Signalisation entfernt und unkenntlich gemacht werden soll.600 Zulässig dürfte es allen589 590 591 592 593 594 595 596 597 598 599 600 59

OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2015 – 11 U 25/15 (Kart), ZVertriebsR 2016, 244 Rn 23. LG Itzehoe, Urt. v. 14.11.2011 – 4 O 83/11. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 40. Zum Vertragshändler: Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 77. Hopt § 89 Rn 26; aA Schriefers BB 1992, 2158. LG Köln, Urt. v. 29.9.2017 – 27 O 519/15, ZVertriebsR 2018, 313 Rn 37. Ebenroth/Löwisch3 § 86a Rn 29. Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 431. LG Hamburg VersR 1992, 743. AA Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 92. OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.8.2020 – VI-U (Kart) 10/20, WuW 2020, 542 (543). OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.8.2020 – VI-U (Kart) 10/20, WuW 2020, 542 (543). Emde

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falls sein, in sachlicher Form auf die frühere Tätigkeit als Vertriebsmittler des Unternehmers zu verweisen. Zur AVAD-Auskunft s. Kommentierung zu § 86a. Der HV hat den nachvertraglichen Geheimnisschutz gemäß § 90 zu beachten. Nach Kündigung nur im Gedächtnis verhaftete, nicht aber der Kundenkartei entnommene Kundenanschriften darf der Mittler verwerten601 (s. Kommentierung zu § 90). Auch ein vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot gem. § 90a hat der HV einzuhalten.

F. Abs. 2 und sonstige abweichende Vereinbarungen I. Kündigungsausschluss oder Kündigungserschwernisse 120 Vgl. zunächst Rn 143 ff. zur zulässigen Länge von Vertriebsvereinbarungen. § 89 verbietet (konkludente oder ausdrückliche) Abreden nicht, die das Kündigungsrecht auf längere Zeit ausschließen.602 Beide Parteien – insb. auch der Vertriebsmittler – können an langfristigen Bindungen und einem Kündigungsausschluss Interesse haben,603 etwa zur Sicherung der Amortisation erheblicher Investitionen. Besonders plastisch wird dies im investitionsintensiven Kfz-Vertriebsrecht, wo die bis 2013 geltende GVO 1400/02 zum Schutz der Mittler eine 2jährige Mindestkündigungsfrist vorschrieb. § 624 BGB ist aber zu beachten. Solche Abreden liegen innerhalb der durch Art. 2 Abs. 1 GG gesicherten Vertragsfreiheit. Jede Kündigungserschwernis muss sich an diesem grundrechtlichen Schutz messen lassen. Bereits das Gesetz zeitigt durch den Wegfall des Ausgleichsanspruchs nach Eigenkündigung (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) kündigungsbeschränkende Wirkung, was die Zulässigkeit nicht übermäßig kündigungserschwerender Abreden nahe legt (s. a. § 89 Abs. 2 S. 1 über die Verlängerung der Kündigungsfristen). Auf der anderen Seite soll niemand durch ihm vom Vertragspartner auferlegte Nachteile an der Ausübung eines zwingenden gesetzlichen Rechts gehindert werden (§§ 162 Abs. 1, 242 BGB).604 121 Fraglich ist, wie man dieses Ergebnis möglichst HV-typisch und ohne zu allgemeine, später in anderen als HV-Fällen problematische allg. Rechtssätze begründet.605 Allein ein finanzieller Nachteil genügt nicht für einen Verstoß.606 Absprachen, die zu einer erheblichen,607 unbilligen Behinderung oder Erschwerung des Kündigungsrechts und insb. der §§ 89, 89a HGB, § 314 BGB608 führen, können im Einzelfall gleichwohl unzulässig und gem. §§ 134,609 138,610 242, 307 BGB unwirksam sein. Die Grenzen der Vertragsfreiheit werden überschritten, sobald die Abwägung der beiderseitigen berechtigten Interessen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine nicht mehr hinnehmbare übermäßige Einschränkung der wirtschaftlichen und persönlichen Handlungsfreiheit insbesondere des Schwächeren ergibt.611 Spätere Veränderungen der Verhältnisse führen nicht zur 601 BGH VersR 1999, 966 = BB 1999, 1452. 602 BGH ZIP 1995, 910; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 59; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9. 603 Beispiel für ein Interesse des Unternehmers: BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies (in den AGB des Unternehmers eingefügte Kündigungsfrist von Frist von 30 Monaten zum 30.06. des betreffenden Jahres). 604 Emde EWiR 2016, 173 (174). 605 Emde EWiR 2016, 173 (174). 606 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 40. 607 Thies BB 2016, 20. 608 Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (148) – Franchisevertrag. 609 OLG Oldenburg, Urt. v. 26.11.2013 – 13 U 30/13, NJW-RR 2014, 550 = BeckRS 2014, 01289; OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2013 – I-16 U 183/12, BeckRS 2014, 06492 (dort Kündigungsbeschränkung abgelehnt); OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (527). 610 BGH NJW 1995, 2350 (i. E. ablehnend); Hopt § 89 Rn 16. 611 BGH ZIP 1995, 910 (911/912); Urt. v. 31.3.1982 – I ZR 56/80, BGHZ 83, 313 (316) = NJW 1982, 1692; KG MDR 1997, 1041 (1042); Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 46. Emde

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Unwirksamkeit der bei Vertragsschluss einwandfreien Klausel,612 mglw. jedoch zum Wegfall der Geschäftsgrundlage.613 Zu AGB s. Kommentierung zu Vor § 84. Nach §§ 134, 138, 139, 307 BGB unwirksam können neben ausdrücklichen Abreden namentlich mittelbare Beeinträchtigungen der §§ 89 (Beschränkung des ordentlichen Kündigungsrechtes), 89a (Beschränkung des außerordentlichen Kündigungsrechtes614) sein. Die Nichtigkeit beschränkt sich auf den Rückzahlungsanspruch (§ 139 BGB).615 Der BGH616 und andere Gerichte617 leiten die Unwirksamkeit ferner aus einem Verstoß gegen § 89 Abs. 2 (Fristenparität) her. § 89 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 schütze die Entschließungsfreiheit des HV.618 Ihre einseitige Beschränkung könne sich auch mittelbar dadurch ergeben, dass an die Kündigung des HV wesentliche, eine Vertragsbeendigung erschwerende Nachteile geknüpft würden.619 Dem HV werde faktisch die Möglichkeit verwehrt, innerhalb der gleichen Fristen wie der Unternehmer zu kündigen, wenn damit wirtschaftliche Nachteile verbunden seien.620 Diese Analogie zu § 89 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 scheint auf den ersten Blick nicht naheliegend und leitet sich wohl aus der Angreifbarkeit anderer Begründungsansätze her.621 Denn auf eine Beeinträchtigung des ordentlichen Kündigungsrechts (§ 89 Abs. 1) konnte der Senat nicht rekurrieren: Abs. 1 lässt sich weitgehend und vielleicht sogar vollständig ausschließen. Er hat nur Bedeutung, sofern Kündigungsfristen vereinbart wurden. Da mithin ein ausdrücklicher Ausschluss des Abs. 1 gestattet war, standen einer mittelbaren Beeinträchtigung umso weniger Bedenken entgegen.622 Eine Beschränkung des zwingenden außerordentlichen Kündigungsrechts (§ 89a) kann je nach den Umständen des Falles gleichfalls fehlen.623 Eine solche Beeinträchtigung fehlt insb., wenn bei einer fristlosen Kündigung ein nur während der Vertragsdauer zu leistender Vorteil ohnehin entfallen würde. Zudem kann gem. § 89a Abs. 2 HGB, § 280 BGB ein Ersatzanspruch bestehen. Weiter mag an einen Verstoß gegen die §§ 226 BGB, 19, 20 GWB gedacht werden. Bei Verwendung von AGB scheint mir die auch vom BGH befürwortete Nichtigkeit nach § 307 BGB wegen einer an die Kündigung anknüpfenden Wegfalls der Leistung eine gute Begründung geben624 (näher s. Kommentierung zu Vor § 84 Stichwort „Änderungsvorbehalte“). Im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Leistungen dürfen nicht einseitig gestrichen werden, nur weil der HV ein vertragliches Recht, sein 612 BGH ZIP 1995, 910 (911, 912). 613 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 46. 614 OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2013 – I-16 U 183/12, BeckRS 2014, 06492 (dort Kündigungsbeschränkung abgelehnt); LG Osnabrück, Urt. v. 25.7.2014 – 15 O 486/13, ZVertriebsR 2015, 312 (314, 316). 615 LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 23. 616 BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies. 617 OLG Oldenburg, Urt. v. 30.3.2015 – 13 U 71/14, ZVertriebsR 2015, 247 = NJW-RR 2015, 1071 = VersR 2015, 1291; v. 26.11.2013 – 13 U 30/13, NJW-RR 2014, 550 = BeckRS 2014, 01289; LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 18; LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 29; LG Osnabrück, Urt. v. 25.7.2014 – 15 O 486/13, ZVertriebsR 2015, 312 (314). 618 BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies; OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139 (1141); LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 30. 619 BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies; OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139 (1140); LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 18; LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 29, 32. 620 BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies; OLG Oldenburg, Urt. v. 30.3.2015 – 13 U 71/14, ZVertriebsR 2015, 247 = NJW-RR 2015, 1071 = VersR 2015, 1291; v. 26.11.2013 – 13 U 30/13, NJW-RR 2014, 550 = BeckRS 2014, 01289. Mir scheint die Analogie nicht allzu naheliegend (s. Emde EWiR 2016, 173 (174)). 621 Emde EWiR 2016, 173 (174). 622 Emde EWiR 2016, 173 (174). 623 So im Fall BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies, s. Emde EWiR 2016, 173 (174). 624 Emde EWiR 2016, 173 (174). 61

Emde

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Kündigungsrecht, ausübt.625 Entscheidend sind immer die Umstände des Einzelfalles.626 Maßgeblich ist insb. die Höhe der ggf. zurückzuerstattenden Zahlung und der Zeitpunkt, zu dem die Zahlungen zurückzuerstatten sind.627 122 Nichtigkeitsverdacht lösen namentlich Abreden aus, die die Kündigung nur nach Erfüllung bestimmter Ansprüche gestatten oder sie mit erheblichen finanziellen Nachteilen verknüpfen,628 etwa indem die freie Entschließung des HV, das Vertragsverhältnis zu kündigen, unbillig (§ 307 BGB), sittenwidrig oder rechtsmissbräuchlich629 (§§ 242, 138 BGB) unter wirtschaftlichen Druck gesetzt wird. Eine Erweiterung des Schutzbereiches des § 242 BGB speziell zum Schutz des HV soll jedoch nicht erforderlich sein.630 Typische Situationen mit Unwirksamkeitsverdacht sind die nachfolgenden: 123 – die monatliche Zahlung eines Bürokostenzuschusses wird nach der Kündigung eingestellt und es besteht eine lange Kündigungsfrist;631 – es wird die Forderung nach Rückgewähr zuvor langfristig gewährter Darlehen,632 freiwillig geleisteter Sonderbonifikationen;633 einer Einstandsleistung,634 Abfindung;635 Aufbauleistung,636 Garantieprovision,637 Vertragsanschlussgebühr,638 eines Provisionsfixums639 oder nach teilweiser Rückzahlung einer Provisionspauschale aufgrund der fristlosen Kündigung des Unternehmers640 erhoben; – eine vom HV gestellte Kaution verfällt nach Kündigung;641

625 626 627 628

OGH Wien, 21.1.2011 – 9 ObA 107/10s, 27.4.2011 – 9 ObA 31/11s – AWD zu Boni. OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139 (1140). OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139 (1140). BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies (Bürokostenzuschuss); v. 2.10.1981 – I ZR 201/79, ZIP 1981, 1345; OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 118/11, NJOZ 2012, 2213; OLG Hamburg OLGR 2000, 466; LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 18; LG Heidelberg, Urt. v. 7.5.2010 – 7 O 361/08 „MLP“; LG Osnabrück BeckRS 2010, 20977; Thume BB 2012, 975 (976) – Verstoß gegen § 89a; Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (148) – Franchisevertrag; Ebenroth/ Löwisch3 § 89 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 48; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 22; Hopt § 89 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9a; offengelassen in KG MDR 1997, 1042. 629 Hopt § 89 Rn 16. 630 Ulmer FS Möhring 75, 311; Hopt § 89 Rn 16. 631 BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies. 632 Etwa der vom Mineralölunternehmen den Tankstellen-HV gewährten Darlehen: OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (528); Steinhauer BB 2011, 515 (518). Die Darlehensrückzahlungspflicht kann aber bei einem üblichen Darlehen, das einem Arbeitgeberdarlehen gleicht, einschließlich der vertraglich vereinbarten Darlehensrückzahlungskonditionen bestehen bleiben, es entfällt dann lediglich die sofortige Rückzahlungspflicht bei Vertragsende (OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (528); LG Karlsruhe VersR 1990, 1008 = BB 1990, 1504). 633 OLG Naumburg, Beschl. v. 12.2.2010 – 6 U 164/09, S. 5 (dort aber nicht entscheidungserheblich, weil Rückzahlung im Fall des § 89a ausgeschlossen war); LG Münster, Urt. v. 16.9.2010 – 24 O 94/09, BeckRS 2010, 23928; LG Rostock, Urt. v. 25.9.2009 – 8 O 11/09, S. 8, n. v.; aA OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09, n. v. 634 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 57. 635 BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, ZIP 2000, 1442 m. zust. Anm. Haase GmbHR 2000, 877; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 57. 636 LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251. 637 OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139 (1141). 638 BGH NJW 1982, 181 (im Ergebnis unwirksam). 639 LG Frankfurt/M. VW 1975, 1551; Westphal I Rn 439 (Rückzahlungsklausel, auf deren Grundlage nach 1jähriger Tätigkeit 7598,95 DM zurückgefordert wurde, sei unwirksam. Bei monatlichen Provisionszahlungen von 1900 DM handele es sich um einen Betrag, der nicht zu wesentlichen Rücklagen verwendet werde. Die Kündigung könne den HV in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen); vgl. LAG Baden-Württemberg BB 1955, 177. 640 OLG Düsseldorf DB 1972, 182 (im Ergebnis wirksam). 641 LAG Baden-Württemberg BB 1955, 177. Emde

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eine Vertragsstrafe wird für den Fall der Kündigung verwirkt;642 die Verzinsung bislang zinslos gewährter Darlehen wird widerrufen643 oder vertragliche Ansprüche entfallen,644 etwa Boni,645 Provisionen,646 Altersversorgungen647 oder Beteiligungsprogramme,648 z. B. wenn der FN die in den letzten 12 Monaten vor Beendigung des Franchisevertrages geleisteten Boni an den FG zurückzuerstatten hat;649 – die Fälligkeit über lange Jahre gezahlter, überhöhter, aber nicht verdienter und nicht zurückgeforderter Vorschüsse wird an die Kündigung geknüpft.650 Jeder HV wird es sich zweimal überlegen, ob er kündigt, falls an seine Kündigung nach den 124 Verhältnissen des Einzelfalls erhebliche finanzielle Nachteile geknüpft werden. Die Frage ist außerordentlich umstritten; die Rspr. einzelfallbezogen und billigkeitsrelevante Umstände abwägend. Zu § 89a siehe dort. Bei Individualvereinbarungen muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine mittelbare Kün- 125 digungsbeschränkung vorliegt,651 bei AGB ist eine generell-abstrakte Betrachtung der Klausel angebracht. Relevant wird der Streit meist im Falle der Rückzahlung von Garantieprovisionen und 126 Provisionsvorschüssen652 (dazu s. Kommentierung zu § 87). Zu AGB vgl. zunächst Kommentierung zu Vor § 84 Stichwort „Provisionsvorschuss“. Fraglich ist, ob die Rückzahlungspflicht eine an § 307 BGB zu messende Abweichung von der Gesetzeslage i. S. d. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB darstellt. Denn nach dispositivem Recht sind Vorschüsse zurückzuzahlen (s. Kommentierung zu § 87a). Deshalb könnte man eine Kontrollunfähigkeit der Klausel vertreten.653 Richtigerweise folgt die Kontrollfähigkeit bereits aus dem Verstoß gegen die §§ 89, 89a;654 die Abweichung würde angesichts der zwingenden Natur dieser Normen gem. § 134 BGB sogar zur Unwirksamkeit einer Individualbestimmung655 führen (weshalb der Streit irrelevant ist). Zudem ist die – –

642 RGZ 75, 238; OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 118/11, NJOZ 2012, 2213 (2214) – dort Verstoß abgelehnt; OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (Verstoß gegen § 89a); OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09; LG Heidelberg, Urt. v. 3.12.2010 – 11 O 93/09 KfH. 643 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 118/11, NJOZ 2012, 2213 (2214); OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/ 09, VersR 2011, 526 (527); OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 57; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89a Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 84; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21. 644 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (527); LG Heidelberg, Urt. v. 3.12.2010 – 11 O 93/ 09 KfH. 645 OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 57. 646 OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21a. 647 OLG Köln, Urt. v. 12.4.2013 – 19 U 101/12, BeckRS 2013, 16685. 648 OLG Köln, Urt. v. 12.4.2013 – 19 U 101/12, BeckRS 2013, 16685; LG Bonn, Teilurt. v. 13.6.2012 – 16 O 4/11, BeckRS 2013, 17651. 649 OLG Naumburg, Beschl. v. 12.2.2010 – 6 U 149/09; Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (153). 650 OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139; OLG Oldenburg, Urt. v. 26.11.2013 – 13 U 30/ 13, NJW-RR 2014, 550 = BeckRS 2014, 01289; v. 24.7.2012 – 13 U 118/11, NJOZ 2012, 2213 (2214); OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (527) – Vorschuss von 22.750 EUR; OLG Hamburg OLGR 2000, 466 (Negativsaldo von 83.000 DM); LG Osnabrück, Urt. v. 25.7.2014 – 15 O 486/13, ZVertriebsR 2015, 312; LG Karlsruhe BB 1990, 1504; Schipper NJW 2010, 3067 – ausführlicher in NJOZ 2010, 2096. 651 OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09 (unklar, ob dies auch für AGB gelten soll); LG Heidelberg, Urt. v. 3.12.2010 – 11 O 93/09 KfH. 652 BAG, Urt. v. 21.1.2015 – 10 AZR 84/14, NJW 2015, 2364 Rn 36 (Unwirksamkeit verneint – arbeitsrechtl. Entscheidung); OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139 (1140/1141); OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2013 – I-16 U 183/12, BeckRS 2014, 06492 (Kündigungsbeschränkung abgelehnt). 653 BAG, Urt. v. 9.6.2010 – 5 AZR 332/09, NJW 2010, 2455 Rn 41; LAG Hamm, Urt. v. 31.3.2009 – 14 Sa 728/08, S. 11 ff.; LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.9.2007 – 12 Sa 876/07; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.12.2006 – 11 Sa 686/06. 654 I. E. Emde EWiR 2016, 173 (174). 655 OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2013 – I-16 U 183/12, BeckRS 2014, 06492 (dort Kündigungsbeschränkung abgelehnt). 63

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Rücksichtnahmepflicht des Unternehmers Prüfungsmaßstab: Er darf nicht zunächst den Anschein erwecken, dass ein Vorschuss in einer bestimmten Höhe zu erwarten ist und dann diesen Vorschuss rückfordern. 127 Letztlich ist alles eine Frage der einzelnen Regelung.656 Maßgebliche Kriterien können sowohl bei konkreter oder abstrakt-genereller Betrachtung sein: – Die Höhe der Provisionen im Verhältnis zum Verdienst. Ein hoher Rückzahlungsbetrag innerhalb eines kurzen Rückzahlungszeitraumes dürfte eher dazu führen, eine Kündigungsschranke aufzuwerfen.657 So tritt nach Ansicht des BGH die Unwirksamkeit jedenfalls ein, falls eine mehrjährige Kündigungsfrist einzuhalten war.658 Grund dessen ist die Verlustkumulation über die Kündigungsfrist von rd. 95.000 EUR. I. E. könnte der BGH bei gesetzlicher Kündigungsfrist mglw. ebenso entscheiden. Denn griffen die o. g. Vorschriften ein, spielte die Schwere des Eingriffs allenfalls bei der Billigkeitsprüfung des § 307 BGB eine Rolle; – ob dem HV weitere Tätigkeiten gestattet waren und der gezahlte „Vorschuss“ nicht bereits durch die Tätigkeit des HV verdient war; – die Länge des Zeitraumes, über den ein rückzahlbares Fixum geleistet wurde (etwa bei langfristig geleisteten „Monatsgehältern“ in gleichbleibender Höhe659) – und damit erneut die Höhe des rückzahlbaren Betrages;660 – ob die Provisionsabrede so beschaffen ist, dass der HV die geforderten Umsätze nicht erwirtschaften konnte;661 – ein Interesse des Unternehmers, dass der HV nicht nach großzügiger Entlohnung in der Aufbauphase ohne hinterlassene Vorteile und Rückzahlungspflicht kündigt. Sonst würden Unternehmer gezwungen, jede Hilfe in der Aufbauphase zu unterlassen. 128 Vorübergehende Vorschusszahlungen zur Anschubfinanzierung,662 Starthilfen663 oder die Rückforderung nicht ins verdienen gebrachter Zahlungen664 sind weniger geeignet, kündigungsbeschränkende Wirkung zu zeitigen. Gem. §§ 87 Abs. 4 i. V. m. § 87c Abs. 1 können frühestens zwei Monate nach Tätigkeitsbeginn Provisionen fällig werden. Vorschusszahlungen, die den Lebensunterhalt für 2–3 Monate abdecken, werden deshalb i. d. R. als unbedenklich eingestuft, sofern nicht Rechtsmissbrauch oder besondere Unwirksamkeitsgründe (etwa Falschangaben) hinzutreten.665 Der Schutz des Mittlers wiegt umso höher, je mehr er die Vergütung zur Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten benötigt.666 Sonderzahlungen, die er nicht zur Erfüllung dieser Pflichten benötigt, z. B. für die Aufrechterhaltung des Büros, und die nicht in Anknüpfung an die Tätigkeit gezahlt werden (wie Provisionen), führen zu keinem erhöhten Schutzbedürfnis.667

656 LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 18. 657 OLG Oldenburg, Urt. v. 26.11.2013 – 13 U 30/13, NJW-RR 2014, 550 = BeckRS 2014, 01289; LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 18; LG Heidelberg, Urt. v. 3.12.2010 – 11 O 93/09 KfH; LG Karlsruhe BB 1990, 1504 (1505). 658 Zustimmend LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 34. 659 BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies; LG Düsseldorf, Urt. v. 22.12.2010 – 11 O 203/10. 660 OLG Oldenburg, Urt. v. 26.11.2013 – 13 U 30/13, NJW-RR 2014, 550 = BeckRS 2014, 01289; LG Heidelberg, Urt. v. 3.12.2010 – 11 O 93/09 KfH. 661 LAG München, Urt. v. 30.9.2008 – 8 Sa 697/07 (ohne Auseinandersetzung mit §§ 89, 89a; Maßstab war in der Entscheidung § 138 BGB). 662 LG Heidelberg, Urt. v. 3.12.2010 – 11 O 93/09 KfH. 663 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 36. 664 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 36. 665 Schipper NJW 2010, 3067 (3068) – ausführlicher in NJOZ 2010, 2096. 666 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 41. 667 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 41. Emde

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Kündigungserschwerend und unwirksam sollen folgende Regelungen sein: Das OLG Naumburg sah die Rückzahlung einer gewährten Sonderbonifikation als kündigungserschwerend an, sofern sie vom HV im Anschluss an eine von ihm erklärten Kündigung binnen 12 Monaten nach Zahlung zurückzugewähren sei;668 das OLG Karlsruhe669 den Anspruch auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen von 23.445,80 EUR bei einer Vertragsdauer von ca. 20 Monaten sowie Provisionseinnahmen von 695,80 EUR. Bei Rückzahlung von Garantiezahlungen in Höhe von monatlich 3.000 EUR, die über 36 Monate geleistet werden, so dass die Rückzahlung bereits nach 12 Monaten einen Betrag von 36.000 EUR erreicht, liegt eine Unwirksamkeit des Vertragsklausel gem. § 134 BGB vor.670 Gleiches gilt für einen Provisionsvorschuss,671 falls dessen Rückzahlung, soweit ein Unterverdienst vorlag, stets zum Ablauf der Garantiezeit zu erfolgen hatte. Die Garantiezeit endete sofern der Vertrag vor Ablauf der Garantiezeit endete. Mithin führte eine (außerordentliche) Kündigung des HV während der Garantiezeit zur Verpflichtung, einen etwaigen Unterverdienst auszugleichen. Der Provisionsvorschuss betrug 2.500 EUR monatlich und summierte sich über die Laufzeit der ersten Garantie vom 1.4. bis 31.12. auf 22.500 EUR. Erschwerend kam hinzu, dass dem HV zusätzlich für die ersten 24 Monate eine Einarbeitungspauschale von 1.500 EUR monatlich gezahlt wurde. Diese konnte in den ersten 30 Monaten nach einer Kündigung ebenfalls zurückgefordert werden. Dies galt auch, falls eine Rückzahlung in voller Höhe nicht zu befürchten war, weil Provisionsgutschriften für vermitteltes Geschäft gegengerechnet wurden.672 Wird ein Betrag von 95.000 EUR als Investition in den Aufbau des Geschäfts mit der betrieblichen Altersversorgung geleistet und soll er im Falle der Kündigung sofort vollständig zurückgezahlt werden, kann auch darin eine unzulässige Kündigungsbeschränkung liegen.673 Da der Betrag nicht als monatlicher Provisionsvorschuss sondern als Einmalbetrag gewährt wurde, sei davon auszugehen, dass er zeitnah in dieser Höhe benötigt wurde.674 Bei regulären Verlauf sollte die Rückzahlung in vierteljährlichen Raten erfolgen, die betragsmäßig ansteigen. Bei einem üblichen Darlehen hätte die Bezahlung auch nach Kündigung erfolgen können.675 Nicht kündigungserschwerend und wirksam sollen folgende Regelungen sein. Im Falle einer Pflicht zur Rückzahlung von Vorschüssen in Höhe von 30.000 EUR wurde eine Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB verneint,676 bei Rückzahlung eines Vorschusses von 2.000 EUR die kündigungserschwerende Wirkung.677 Wirksam soll folgende Klausel sein: „Der Vertriebspartner erhält … anstelle der laufenden … Provisionen und Provisionsvorschüsse ein der Höhe nach auf seine Einschätzung des zu erwartenden Umsatzerfolges basierendes Fixum in Höhe von monatlich 6.000 EUR … Über die tatsächlichen Provisionen wird der Unternehmer … abrechnen und bei Beendigung dieser Vereinbarung eine Schlussabrechnung … vornehmen“. Die Klausel sehe vor, dass das Fixum nicht zusätzlich zu den von dem HV verdienten Provisionen erbracht wurden, sondern an deren Stelle. Die Zahlungen sollten nach insg. 36 Vertragsmonaten mit den verdienten Provisionen verrechnet werden. Es bestehe für den HV also keine Möglichkeit, der Verrechnung und einer sich daraus ergebenden Rückzahlungspflicht zu entgehen, auch nicht bei Fortbestand des Vertragsverhältnisses. Mithin liege keine besondere Kündigungserschwe-

668 OLG Naumburg, Beschl. v. 12.2.2010 – 6 U 164/09, zust. Evers VW 2010, 444; aA OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09, n. v. 669 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526. 670 OLG Oldenburg, Urt. v. 26.11.2013 – 13 U 30/13, NJW-RR 2014, 550 = BeckRS 2014, 01289. 671 OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139 (1140/1141). 672 OLG München, Urt. v. 9.3.2017 – 23 U 2601/16, VersR 2017, 1139 (1140/1141). 673 LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 20. 674 LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 20. 675 LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 20. 676 LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.9.2007 – 12 Sa 876/07; LAG München, Urt. v. 30.9.2008 – 6 Sa 697/07. 677 LG Osnabrück, Urt. v. 7.10.2011 – 13 O 127/11, BeckRS 2013, 18199. 65

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rung vor.678 Wirksam soll auch die Klausel sein: „Sofern der Gesellschaft ein vom Agenten zu vertretender Grund für eine fristlose Kündigung des Agenturvertrages nach § 89a Abs. 2 zusteht, ist der Agent zur Rückzahlung der erhaltenen Aufbauhilfen für den Zeitraum der letzten 12 Monate verpflichtet“.679 Die Rückforderung sei nicht zu beanstanden, weil sie nur für den Fall erfolgen soll, in dem ein vom HV zu vertretender wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. d. § 89a Abs. 2 vorliegt.680 Eine in 4 Raten zu erbringende einmalige Vorschusszahlung zur Überbrückung finanzieller Schwierigkeiten in Höhe von insg. 2.000 EUR als Starthilfe, die mit laufenden Provisionseinnahmen zu verrechnen und im Falle der Kündigung zurückzuzahlen ist, soll zu keiner unzulässigen und damit unwirksamen Kündigungserschwerung führen.681 Sieht ein HV-Vertrag vor, dass eine monatliche Bestandspflegeprovisionspauschale und ein monatlicher Zuschuss „Aufbaufinanzierung Bestand“ mit der Kündigungserklärung in Wegfall geraten, liegt bei einer Kündigungsfrist von 3 Monaten und einer Rückzahlung von insg. 3.660,00 EUR keine unwirksame Beschränkung der Entschließungsfreiheit des HV vor.682 Es handelt sich um einen einseitigen Zuschuss des Unternehmers für die Aufbauphase, dessen Grundlage mit der Kündigung entfällt.683 Das gilt auch, wenn die Zuschusszahlungen 29–44 % der Vergütung einnehmen.684 Das LG Heidelberg685 hat eine kündigungserschwerende Wirkung verneint, wenn die Provisionsvorschüsse nur auf Wunsch des HV ausgezahlt wurden, und zwar maximal für die ersten 30 Monate der Tätigkeit und in diesem Zeitraum im 1. Jahr monatlich 2.000 EUR, in den nächsten sechs Monaten je 1.500 EUR, bis zum Schluss des 2. Jahres je 1.000 EUR und im letzten halben Jahr nur noch 500 EUR monatlich, wobei die Inanspruchnahme des HV auf 50 % dieses Vorschusses begrenzt war. Ebenso wurde bei Begrenzung der Vorschüsse auf 30.000 EUR und Rückzahlungspflicht auf 50 % davon entschieden.686

II. Absatz 2: Verlängerung und Verkürzung der Kündigungsfristen – zwingende Natur des § 89 133 § 89 ist nur insoweit zwingend, als dies in Abs. 2 bestimmt wird. Kürzere als die von § 89 vorgesehenen Kündigungsfristen dürfen nicht vereinbart werden,687 und zwar weder zu Gunsten oder 678 OLG Oldenburg, Urt. v. 30.3.2015 – 13 U 71/14, ZVertriebsR 2015, 247 = NJW-RR 2015, 1071 = VersR 2015, 1291 Rn 4, 18 ff. Außerdem beruhte die vereinbarte Höhe der Vorschüsse auf den vom HV selbst mitgeteilten Umsatzerwartungen. AA LG Osnabrück, Urt. v. 25.7.2014 – 15 O 486/13, ZVertriebsR 2015, 312. 679 OLG Thüringen, Urt. v. 17.4.2019 – 2 U 437/18 – bestätigt durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 20.11.2019 – VII ZR 112/19; LG Mühlhausen, Urt. v. 8.6.2018 – 6 O 751/13; LG Hannover, Hinweisbeschl. v. 14.8.2015 – 1 O 137/15; LG Kiel, Urt. v. 17.10.2014 – 14 O 6/14; LG Aachen, Urt. v. 18.11.2005 – 9 O 216/05; LG Mönchengladbach, Urt. v. 10.11.2004 – 3 O 171/04. Evers VW 2020, Heft 3/2020, 68 bespricht die Entscheidung des OLG Thüringen ablehnend. Ihn stört an der Klausel, dass sie eine Rückzahlungspflicht auch vorsieht, wenn der Unternehmer den Vertriebsvertrag nicht außerordentlich kündigt und deshalb § 89b Abs. 3 Nr. 2, falls es um einen Ausgleichsanspruch gehen würde, unanwendbar wäre. Allerdings kann in diesem Fall unter Billigkeitsgesichtspunkten der Ausgleich ebenfalls auf null reduziert sein, so dass die Klausel auch insoweit, mit bestenfalls geringen Abweichungen, dem gesetzlichen Leitbild entspricht. Im Übrigen ist nicht erkennbar, warum ein HV, der schuldhaft einen wichtigen Grund zur Kündigung setzt, besonders schützenswert sein soll. 680 OLG Thüringen, Urt. v. 17.4.2019 – 2 U 437/18. 681 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 118/11, NJOZ 2012, 2213 (2215); LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 36. 682 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 37. 683 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 38. 684 LG München I, Urt. v. 10.12.2018 – 15 HKO 7444/18, ZVertriebsR 2019, 190 Rn 41. 685 Urt. v. 7.5.2010 – 7 O 361/08. 686 OLG Düsseldorf, Hinweisbeschl. v. 19.10.2005 – I-16 U 545/05 „MLP“. 687 BGH NJW 1982, 181; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 96; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 371; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 48; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume/Haas, 4. Aufl. § 89 Rn 11; Hopt § 89 Rn 28; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 89 Rn 60. Emde

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noch zu Lasten einer Partei. Die insoweit zwingende Natur des § 89 ergibt sich lediglich mittels eines Umkehrschlusses aus Abs. 2 S. 1, der nur die Vereinbarung längerer Kündigungsfristen zulässt.688 Abs. 2 entgegenstehende Abreden sind gem. § 134 BGB unwirksam.689 Gleiches gilt für Umgehungskonstruktionen, wie z. B. eine Vereinbarung über die Vorverlegung des Vertragsendes, des Entfallens der beiderseitigen Rechte und Pflichten – etwa Wegfall der Vergütungspflicht mit der Kündigungserklärung oder „freiwillig“ gewährter Leistungen – bzw. die entschädigungslose Freistellung mit dem Datum der Kündigungserklärung.690 Ein Aufhebungsvertrag verkürzt keine nur bei Existenz einer Kündigungserklärung relevanten Kündigungsfristen. Er ist daher zulässig (s. o.). Abweichungen von der zwingenden Natur sind nur gem. § 242 BGB möglich. So entschied ein ICC-Schiedsgericht,691 auf die zwingende Kündigungsfrist des § 89 könne sich eine Partei nicht berufen, sofern sie in Kenntnis der möglichen Unwirksamkeit der Verkürzung eine Vereinbarung unterzeichnet, die die Kündigungsfrist auf einen Monat reduziert (§ 242 BGB). Die völlige oder temporäre Derogation des ordentlichen Kündigungsrechts wird durch 134 § 89 jedoch nicht ausgeschlossen,692 z. B. falls zumindest einzelvertraglich das Kündigungsrecht auf den Fall des Vorliegens eines wichtigen Grundes beschränkt wird.693 Denn die in § 89 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 geregelte zwingende Natur greift nur ein, sofern überhaupt Kündigungsfristen gelten. Ist die ordentliche Kündigung gänzlich ausgeschlossen, gibt es kein Fristenproblem. Schutz bilden dann nur die allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsbehelfe, etwa §§ 138, 242, BGB.694 Sittenwidrigkeit kann insb. vorliegen, wenn der HV durch den Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts besonders belastet wird. So hat der BGH in seinem Urt. v. 31.3.1982695 entschieden, der völlige Ausschluss eines ordentlichen Kündigungsrechts in einem HV-Vertrag sei sittenwidrig. Sittenwidrigkeit wird deshalb am Ehesten anzunehmen sein, sofern der Unternehmer die langfristige Bindung wollte und es dafür kein anerkennenswertes Interesse gibt. Zudem dürfen die Parteien längere Kündigungsfristen als die von Abs. 1 S. 1 und 2 gesetz- 135 lich Vorgesehenen vereinbaren.696 Es besteht ein anerkennenswertes Interesse des meist vertragsformulierenden Unternehmers an längeren Kündigungsfristen, um die Fluktuation seiner HV gering zu halten.697 Das gilt selbst dann, wenn der HV die Verlängerungserklärung unter wirtschaftlichem Druck abgibt, solange dabei die Grenzen des § 138 BGB nicht überschritten werden.698 Generell können beide Vertragspartner ein schützenswertes Interesse an langen Vertragslaufzeiten und ausreichenden Kündigungsfristen haben, um die Amortisation von getätigten Investitionen und ein Mindestmaß an Planungssicherheit zu gewährleisten.699 Zur zulässigen Länge von Vertriebsverträgen Rn 143. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 5. LG Freiburg, Urt. v. 15.2.2019 – 11 O 244/17, ZVertriebsR 2019, 251 Rn 18. Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 48. Urt. v. 18.1.2016 – ICC case no. 20508/GFG/FS. BGH, Urt. v. 26.4.1995 – VIII ZR 124/94, ZIP 1995, 910; v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, NJW 2008, 3436 (3437); OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.5.2015 – 4 U 47/13, IHR 2017, 28 (34) = NJOZ 2015, 1445 = BB 2015, 3028 m. Anm. Ajad zu einem individualvertraglich geschlossenen Kommissionsagentenvertrag; Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89 Rn 46; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 59; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9. 693 OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.5.2015 – 4 U 47/13, IHR 2017, 28 (34) = NJOZ 2015, 1445 = BB 2015, 3028 m. Anm. Ajad – Kommissionsagentenvertrag. 694 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, NJW 2008, 3436 (3437) Rn 16. 695 I ZR 56/80, NJW 1982, 1692. 696 OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, BeckRS 2014, 17257; OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 118/ 11, NJOZ 2012, 2213; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 64; Oetker/Busche6 § 89 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 60. 697 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 13/12, ZVertriebsR 2013, 90 (92); OLG Brandenburg, Urt. v. 14.7.1998 – 6 U 20/97; KG MDR 1997, 1041. 698 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 118/11, NJOZ 2012, 2213. 699 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 8.10.2014 – 4 U 41/14, ZVertriebsR 2015, 161 zu Franchiseverträgen.

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Längere als in § 89 vorgesehene Kündigungsfristen dürfen auch mittels AGB vereinbart werden.700 Eine bei Einrücken in eine höhere Hierarchiestufe verlängerte Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Ende eines Quartals benachteiligt den HV nicht unangemessen i. S. d. § 307 BGB, zumal der Unternehmer in Hinblick auf Ausbildungsbeihilfen und andere Investitionen Interesse an einer längerfristigen Bindung seiner Mittler haben mag.701 Evers702 kritisiert dies: Der VV sei darauf angewiesen, innerhalb des Vertriebssystems aufzusteigen und in seiner Entscheidung über den Aufstieg und damit das Einrücken in eine längere Kündigungsfrist unfrei.

III. § 89 Abs. 2 S. 1: Keine kürzere Kündigungsfrist für den Unternehmer als für den HV 137 Eine Grenze möglicher Regelungen zur Kündigungsfrist setzt zudem der durch Art. 15 Abs. 4 RL europarechtlich abgesicherte und auch im Vertragshändlerrecht geltende703 Abs. 2 S. 1: die für eine Kündigung durch den Unternehmer geltende Frist darf nicht kürzer – aber länger704 – sein als die für eine Kündigung durch den HV Vereinbarte705 („Fristenparität“). Bei einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Abs. 2 S. 1 Hs. 2 gilt einheitlich die für den HV vereinbarte längere Frist.706 Das kann etwa bei den infolge der Selbstverpflichtungskataloge der Hersteller (Vor § 84 Rn 388) vereinbarten Strukturkündigungsklauseln der Kfz-Händlerverträge problematisch sein. Sie verkürzen die Kündigungsfrist nur zugunsten der Hersteller, was nicht nur § 307 BGB707 sondern auch § 89 Abs. 2 S. 1 widerspricht.708 Große Händlerketten können ebenfalls Interesse an einer durch sie erklärten Strukturkündigung haben.709 Die vom BGH710 aus der GVO hergeleitete „kartellrechtsfreundliche“ Auslegung, die über Abs. 2 S. 1 hinwegging, dürfte nach Wegfall der Regelungen zur Strukturkündigung in der GVO nicht mehr tragen. Möglicherweise umgeht ein einseitiges Optionsrecht des Unternehmers auf Verlängerung des Vertrages die Rechtsfolge des § 89 Abs. 2 S. 2.711 Diese Rechtsfolge wird von den ArbG auch in § 622 Abs. 6 BGB hineingelesen.712 700 OLG München, Urt. v. 29.7.2010 – 23 U 5643/09, BB 2010, 2987 m. Anm. von Bodungen/Schnell sowie m. krit. Anm. Evers VW 2010, 313. 701 OLG München, Urt. v. 29.7.2010 – 23 U 5643/09, BB 2010, 2987 m. Anm. v. Bodungen/Schnell. 702 VW 2010, 313. 703 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 131. 704 Hopt § 89 Rn 29; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 97. 705 BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 60. 706 BGHZ 40, 235 (239); Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 50; Hopt § 89 Rn 29; Thume in: Röhricht/Graf v. Westphalen/ Haas4 § 89 Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 60. 707 Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2009, 618 (620); vgl. etwa OLG Celle, Beschl. v. 9.6.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650; aA OLG Köln, Urt. v. 18.12.2008 – 19 U 33/08; OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.9.2004 – 1 U 632/03-161, BeckRS 2005, 01443 (aber ohne Erörterung des § 89 Abs. 2 S. 1). 708 Emde BB 2009, 2330; ders. EWiR 2008, 498; Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2009, 618 (620); aA BGH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII ZR 150/08, BB 2009, 1817 m. krit. Bespr. Emde BB 2009, 2330; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.5.2008 – 11 U 39/07; EWiR 2008, 497 (Emde); OLG Köln, Urt. v. 18.12.2008 – 19 U 33/08. Danach bildete die frühere Kfz-GVO 1400/02 eine Spezialregelung. Aber bei ihr handelte es sich nur um eine VO der EU-Kommission, welche nach BGH v. 28.6.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 = EWiR 2006, 273 (Emde) zwischen den Parteien keine Rechte und Pflichten erzeugt. Das OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.9.2004 – 1 U 632/03-161, BeckRS 2005 01443, verneint einen Verstoß der Strukturkündigungsklausel gegen § 307 BGB: Der Hersteller habe ein Interesse an einer schnellen Kündigungsmöglichkeit, sofern er umstrukturieren wolle. Das fehlende Recht des Händlers zur Anschlusskündigung führe nicht zur Unwirksamkeit. Mit § 89 setzt sich das OLG jedoch nicht auseinander. 709 Eingehend Emde BB 2009, 2330 ff. 710 BGH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII ZR 150/08, BB 2009, 1817 m. krit. Bespr. Emde BB 2009, 2330. 711 Siehe ArbG Ulm, Urt. v. 14.11.2008 – 3 Ca 244/08, NZA–RR 2009, 298 (299). 712 Siehe ArbG Ulm, Urt. v. 14.11.2008 – 3 Ca 244/08, NZA–RR 2009, 298 (299). Emde

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IV. Vereinbarungen zum Kündigungsendtermin Auch der Kündigungsendtermin (Vertragsende) darf abweichend von Abs. 1 S. 3 bestimmt wer- 138 den, ebenso der – allerdings nur vorzuverlegende713 – Zugang der Kündigung bestimmt werden.714 Beispiel: Kündigungstermin zum Jahresende, zum Quartalsende,715 Kündigungsfrist in AGB von 30 Monaten zum 30.6. des betreffenden Jahres (Frist von mind. 2 1/2 Jahren)716 etc. Die Vereinbarung über eine Kündigungsfrist beinhaltet nicht ohne weiteres auch eine solche über einen Kündigungsendtermin, so dass der Kündigungsendtermin des Abs. 1 S. 3 im Zweifel gelten soll.717 Im Zweifel bleibt es bei der Vereinbarung des Kündigungsendtermins zum Schluss eines Kalendermonats.718 Da die Kündigungsfrist für den Unternehmer nicht kürzer sein darf als für den HV (Abs. 2 S. 1 Hs 2) ist auch die Vereinbarung eines allein zugunsten des Unternehmers wirkenden früheren Endtermins719 oder späteren Zugangszeitpunkts720 als für den HV nicht zulässig.

V. § 92b Nach § 92b Abs. 1 S. 2 darf, divergierend von den Regelkündigungsfristen des § 89, gegenüber 139 einem HV im Nebenberuf eine Kündigungsfrist von einem Monat für den Schluss eines Kalendermonats vereinbart werden. Wird eine hiervon abweichende Kündigungsfrist geregelt, muss sie für beide Teile gleich lang sein. Eine für beide Parteien geltende Verlängerung der Kündigungsfrist auf 12 Monate, die in AGB gegenüber einem HV im Nebenberuf verwendet wird, ist unzulässig.721 Sie widerspricht dem Grundgedanken des Gesetzes, weil sie die von ihm erlaubte Kündigungsfrist um 23 Monate überschreitet.

VI. § 92c Im Anwendungsbereich des § 92c darf grundsätzlich auch von den zwingenden Regeln des § 89 140 abgewichen werden. Allerdings muss bereits gem. § 242 BGB sowie unter dem Gesichtspunkt der wechselseitigen Treupflichten eine angemessene Auslauffrist gewahrt werden, in AGB bereits wegen des Leitbildes des § 89 (s. Kommentierung zu § 92c). Ob die Derogation überhaupt mittels AGB erfolgen darf, ist eine weitere Frage. Mit der h. M. zur Frage des Ausgleichsauschlusses722 wird man die Vereinbarung durch AGB für zulässig halten müssen (s. Kommentierung zu § 92c).

713 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 48. 714 BGH, Urt. v. 12.12.1974 – VII ZR 229/73, LM Nr. 6; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 61.

715 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 98. 716 BGH, Urt. v. 5.11.2015 – VII ZR 59/14, ZVertriebsR 2016, 19 = NJW 2016, 242 = DB 2016, 107 = WM 2015, 2315 = BB 2016, 18 m. Anm. Thies. 717 LG Bielefeld v. 23.6.1955, HVR Nr. 89; Hopt § 89 Rn 27; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 99; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 61; Thume in Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas5 § 89 Rn 15. 718 Hopt § 89 Rn 27. 719 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 100 (hergeleitet aus § 622 Abs. 6 BGB); Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 48; Hopt § 89 Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 61, der § 622 Abs. 6 BGB für entsprechend anwendbar hält. 720 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 48. 721 OLG Celle, Beschl. v. 9.6.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650. 722 OLG München RIW 2002, 319 (320). 69

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VII. Rechtsfolgen unzulässiger Vereinbarungen 141 Eine aufgrund des Verstoßes gegen das Derogationsverbot unzulässige und gem. § 134 BGB unwirksame Absprache führt wegen des Schutzzweckes des § 89 entgegen § 139 BGB nicht zur Gesamtunwirksamkeit des Vertrags.723 Es gilt wegen der Unwirksamkeit der zwingenden Recht widersprechenden Abrede sowohl bei Individualverträgen724 wie in AGB die von § 89 vorgesehene Mindestfrist. Bei AGB ergibt sich das gleiche Ergebnis aus § 306 BGB. Falls abweichende Regelungen gestattet sind, dürfen sie mittels AGB getroffen werden.725 Fraglich ist, wie zu entscheiden ist, wenn der Vertrag eine Regelung trifft, derzufolge er mit einer Frist von beispielsweise zwei oder drei Monaten zum Ende des Kalenderjahres gekündigt werden kann. Die Zweioder Drei-Monats-Frist entspricht jedenfalls nach drei- bis fünfjähriger Vertragslaufzeit nicht mehr den Mindestkündigungsfristen des § 89. Es bestehen zwei Möglichkeiten726: Einmal die vollständige Ersetzung der unwirksamen Regelung durch § 89. Die vertragliche Regelung entfällt aufgrund ihrer Unwirksamkeit gänzlich, es gilt § 89. Dies verkürzt die Kündigungsfristen zu Lasten des HV in den ersten Monaten eines Jahres. Oder man sieht die vereinbarte Zwei- bis DreiMonats-Frist als Mindestkündigungsfrist und ergänzt sie dahingehend, dass nach drei- bis fünfjähriger Vertragslaufzeit (nur) die in der Vertragsbestimmung genannten Kündigungsfristen zum Jahresende durch die Fristen des § 89 ersetzt werden, d. h. der Vertrag nach drei- bis fünfjähriger Laufzeit nur mit einer Frist von drei bzw. sechs Monaten zum Jahresende gekündigt werden darf. Letzteres dürfte zutreffend sein.

G. Keine „stille“ Kündigung ohne Kündigungserklärung 142 Theoretisch könnte der Unternehmer die Fristen des § 89 umgehen, indem er die Vermittlungsbemühungen des HV nicht entgegennimmt. Er könnte sich etwa entschließen, sämtliche ihm angetragene Aufträge oder Bestellungen des Mittlers abzulehnen. Der BGH hat es obiter scheinbar sogar für zulässig gehalten, dass der Unternehmer – etwa weil er zukünftig nur noch Großhändler und keine Endkunden mehr beliefern will – alle Vertragsabschlüsse, die der HV vermittelt oder vermitteln könnte, ablehnen darf.727 Wenn er damit ausdrücken wollte, dass auch ohne eine Kündigungserklärung und vor Ablauf der Kündigungsfrist eine kündigungsgleiche Wirkung durch Umstellung des Vertriebssystems hergestellt werden dürfe, wäre dies abzulehnen.728 Wie weit das Ablehnungsrecht des Unternehmers geht und welche Grenzen es einzuhalten hat, ergibt sich aus dem Dispositionsrecht des Unternehmers (s. Kommentierung zu § 86a). Die Kündigungsfristen des § 89 sind nicht parteidispositiv und ihre zwingende Natur darf nicht durch eine faktische Vertragsbeendigung mittels Ablehnung aller Bestellungen umgangen werden – mglw. verbunden mit einem zeitgleichen Eigenvertrieb durch den Unternehmer. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist der Vertrag vertragsgemäß fortzusetzen. Dem Unternehmer mag nach den zum Dispositionsrecht dargelegten Grundsätzen das Recht auf Ablehnung einzelner Aufträge gegeben sein, soweit es hierfür sachliche

723 BGHZ 40, 235 (239); OLG Nürnberg NJW-RR 1986, 782; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 96; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 50; Hopt § 89 Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 14, 15. 724 Oetker/Busche6 § 89 Rn 24; Semler in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts3 § 19 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 60. 725 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 48. 726 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume/Haas, 4. Aufl. § 89 Rn 12a hält beide Varianten für denkbar. 727 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard = MDR 2008, 1404 = EWiR 2008, 721 (Emde) Rn 26. 728 Emde EWiR 2008, 721; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 116; Hopt § 89 Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 71. Emde

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Gründe gibt729 (die h. M. stellt auf Willkür ab). Eine auffallende Häufung solcher Ablehnungen ohne Grund spricht für das Fehlen sachlicher Gründe bzw. die Existenz von Willkür und berechtigt den Mittler zum Schadensersatz. Die Höhe des Schadensersatzes wird aus den Einnahmen des HV berechnet, die durchschnittlich während eines repräsentativen Zeitraumes ungestörter Vertragsdurchführung erzielt wurden.

H. Zulässige Länge von Vertriebsverträgen Abgesehen von der Frage, ob § 624 BGB in diesen Fällen ggf. ein außerordentliches Kündigungs- 143 recht gewährt, ist generell fraglich, über welche fest vereinbarte Dauer Vertriebsverträge geschlossen werden dürfen. Sowohl Unternehmer wie Mittler können aus den verschiedensten Gründen Interesse an einer langen Vertragskontiunität oder an einer Begrenzung der Vertragsdauer haben. Einerseits mögen Mittler wünschen, die Amortisation ihrer Investitionen durch eine Festlaufzeit zu sichern;730 Unternehmer wollen durch das gleiche Mittel unbesetzte Vertriebsgebiete verhindern. Andererseits können lange Vertragslaufzeiten im Hinblick auf die persönliche Absatzförderungs- und Betriebsführungspflicht (letztere insb. bei FN) auch wegen § 624 BGB bedenklich sein. Wenn sich der Betrieb im Laufe der Zeit als unrentabel erweist, kann es für den Vermittler existenzbedrohend sein, über längere Zeiträume an dem Vertragsverhältnis festgehalten zu werden.731 Diesen Interessenwiderstreit gilt es zu lösen. Im Grundsatz besteht hier Vertragsautonomie. Gerade Eigenhändlerverträge werden oft 144 langfristig geschlossen, auch zum Schutz der Investitionen des Mittlers. Bei Franchiseverträgen sind Laufzeiten von 3–20 Jahren üblich,732 es gibt Franchiseverträge mit 99jähriger Laufzeit.733 Häufig werden im Franchisebereich 5jahresverträge vereinbart.734 Bei AGB wird die Laufzeit von Vertriebsverträgen auch anhand des § 307 Abs. 1 BGB geprüft. Das Klauselverbot des § 309 Nr. 9 BGB, demzufolge bei regelmäßiger Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienst- und Werkleistungen durch den Verwender eine länger als 2 Jahre bindende Laufzeit unzulässig ist, findet auf Vertriebs- und insbesondere Franchiseverträge keine Anwendung.735 Art. 5 Abs. 1 lit. a GVO 330/10, nach dem Wettbewerbsverbote grds. für einen Zeitraum von 5 Jahren zulässig sind sowie § 624 BGB sprechen für die Zulässigkeit mindestens 5jähriger Bindungen.736 Ein ohne jede Kündigungsmöglichkeit des HV geschlossener Vertrag wäre sittenwidrig737 (anders aber wohl, wenn nur der nicht dienstverpflichtete Unternehmer an der Kündigung gehindert wird738 oder der HV die langfristige Bindung wünschte), ebenso falls Optionsrechte dem Unternehmer eine einseitige Verlängerung auf unbegrenzte Zeit ermöglichen.739 Behält sich der Verwender in AGB das Recht vor, die Erstlaufzeit des Vertrages durch Ausübung eines Optionsrechts um einen bestimmten, im Verhältnis zur Erstlaufzeit nicht unbeträchtlichen Zeitraum zu verlängern, so ist für die Inhaltskontrolle der Optionsklausel auch dann auf die sich bei Ausübung der Option ergebende Gesamtlaufzeit des Vertrages abzustellen, wenn die Erstlaufzeit individuell verein729 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 116. 730 Billing/Röschenkemper ZVertriebsR 2015, 139 (142); Metzlaff in: Metzlaff (Hrsg.), Praxishandbuch Franchising1 § 8 Rn 337: Aufnahme von Fremdkapital und Existenzgründungsdarlehen. 731 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 474. 732 Marx/Löffler DB 2012, 1337 (1339). 733 Schweizerisches Bundesgericht, Urt. v. 8.9.2011 – 4 A 148/2011, ZVertriebsR 2013, 187. 734 Billing/Röschenkemper ZVertriebsR 2015, 139 (141). 735 Billing/Röschenkemper ZVertriebsR 2015, 139 (142) – Franchisevertrag; Stoffels DB 2004, 1871. 736 Billing/Röschenkemper ZVertriebsR 2015, 139 (143) – Franchisevertrag. 737 BGH, Urt. v. 31.3.1982 – I ZR 56/80, NJW 1982, 1692 (Tankstellen-HV). Die Entscheidung wurde mit der übermäßigen Bindung des Dienstverpflichteten begründet, gilt also mglw. nicht in gleicher Weise bei der Bindung des Unternehmers. 738 BGH, Urt. v. 26.4.1995 – VIII ZR 124/94, ZIP 1995, 910; v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, NJW 2008, 3436 (3437). 739 OLG München, Urt. v. 20.11.1996 – 7 U 3653/96, NJW-RR 1997, 1057 (Tankstellen-HV). 71

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bart oder ausgehandelt worden ist.740 Die langfristige Bindung eines Vertriebsmittlers in einem AGB-Vertriebsvertrag, insb. eine 10-Jahresbindung, ist – so der BGH741 – nur zulässig, falls der Unternehmer an ihr wegen erheblicher Investitionen ein berechtigtes Interesse hat. Während der BGH wegen bedeutender Investitionen des Unternehmers früher Laufzeiten von 25 Jahren unbeanstandet ließ,742 äußerte er später bei einem Tankstellen-HV-Vertrag Zweifel an der Wirksamkeit einer 10-Jahresbindung.743 Auch das LG Bielefeld744 bezweifelte die Zulässigkeit einer 10jährigen Laufzeit von Franchiseverträgen, sofern keine Notwendigkeit besteht, dass der Unternehmer Investitionen amortisieren muss.745 Stoffels746 verneint die Wirksamkeit über 10 Jahre hinausgehender Laufzeiten. Nach Ansicht des BGH kann eine Laufzeit von mehr als 20 Jahren bei Franchiseverträgen gegen § 138 BGB verstoßen.747 Das LG Koblenz hielt eine 13jährige Grundbindung und erst recht die Verlängerung mittels Optionen auf 22 Jahre für unzulässig.748 Eine 20jährige Erstlaufzeit des Vertrages kann hingegen nach Ansicht des LG Waldshut-Tiengen749 noch akzeptabel sein: Es müsse jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob die Amortisation der Investitionen eine über 10 Jahre hinausgehende Laufzeit erfordere. Keinesfalls verstößt eine mehr als 5jährige Laufzeit ohne Weiteres gegen die Selbständigkeit des Mittlers.750 5jährige Laufzeiten sind vielmehr bedenkenlos, auch und gerade im Franchisebereich.751 Kurze Vertragslaufzeiten würden bei Existenzgründer-FN die Aufnahme von Fremdkapital oder die Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel erheblich erschweren.752 Je höher die Investitionen der Parteien und etwa des FN sind, desto länger kann die Bindung andauern.753 Der dienstverpflichtete Vertriebsmittler ist meist schutzwürdiger;754 langfristige Bindungen des Unternehmers dürften eher hinzunehmen sein. Ein Vertrag, dessen in AGB festgelegte Laufzeit den Verwendungsgegner unangemessen benachteiligt, kann nicht mit einer kürzeren, noch angemessenen Laufzeit aufrecht erhalten werden, regelmäßig auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung.755 Wegen der 5jährigen Höchstlaufzeit von Wettbewerbsverboten nach Art. 5 Abs. 1 lit. a GVO 145 330/10756 (zur GVO s. Kommentierung zu Vor § 84) sind längere Laufzeiten von Vertriebsverträgen problematisch, sofern der Vertrag ein fünf Jahres übersteigendes Wettbewerbsverbot enthält 740 BGH, Urt. v. 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, NJW 2000, 1110 (1112). 741 BGH, Urt. v. 11.1.2006 – VIII ZR 396/03, BB 2006, 517 = NJW-RR 2006, 615 Rn 11; v. 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, NJW 2000, 1110 (Tankstelle); zust. LG Koblenz, Urt. v. 23.6.2009 – 3 HKO 138/08, n. v. (Tankstelle). Auch im Fall OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692 wurde eine zehnjährige Bindung nicht beanstandet. Hier wünschte aber der HV die Vertragsfortsetzung, der Unternehmer hätte sich wohl auf die unzulässige Vertragsdauer ohnehin nicht berufen können. 742 BGHZ 52, 171 (176 f.) = NJW 1969, 1662 = LM § 624 BGB Nr. 1; BGHZ 83, 313 (316 f.) = NJW 1982, 1692 = LM § 138 (Bb) BGB Nr. 49. 743 BGH, Urt. v. 11.1.2006 – VIII ZR 396/03, BB 2006, 517 = NJW-RR 2006, 615 Rn 11; ebenso LG Koblenz, Urt. v. 23.6.2009 – 3 HK.O 138/08, n. v. (Tankstelle). 744 LG Bielefeld, Urt. v. 28.1.2010 – 9 O 385/04, BeckRS 2013, 02142. 745 OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 28.4.2006 – 10 U 45/05. 746 DB 2004, 1871. 747 BGHZ 54, 145; BGH NJW 1985, 693; NJW 1969, 1662; NJW 1998, 156 (159 f.). 748 LG Koblenz, Urt. v. 23.6.2009 – 3 HK.O 138/08, n. v. (Tankstelle). 749 Urt. v. 16.7.1998 – 1 U 63/98, ebenso LG München I, Urt. v. 20.10.1998, beide zit. nach Flohr, BB 2006, 389 (395). 750 AA mglw. Marx/Löffler DB 2012, 1337 (1339) zu Franchiseverträgen. 751 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 8.10.2014 – 4 U 41/14, ZVertriebsR 2015, 161 (164) – Franchisevertrag und AGB; Billing/Röschenkemper ZVertriebsR 2015, 139 (141). 752 Billing/Röschenkemper ZVertriebsR 2015, 139 (142); Metzlaff in: Metzlaff (Hrsg.), Praxishandbuch Franchising1 § 8 Rn 337. 753 Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 176. 754 Paradigmatisch BGH, Urt. v. 31.3.1982 – I ZR 56/80, NJW 1982, 1692 (Tankstellen-HV). 755 BGH, Urt. v. 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, NJW 2000, 1110. 756 Hierzu Emde WRP 2005, 1492 ff. Emde

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und keinen „echten HV-Vertrag“ i. S. d. LL zur GVO 330/10 bildet (s. Kommentierung zu Vor § 84). Die meisten Vertriebsverträge enthalten solche Wettbewerbsverbote.757 Wird die Wettbewerbsabrede für einen längeren Zeitraum als fünf Jahre vereinbart, ist allerdings nur sie unwirksam; ihre Unwirksamkeit kann sich jedoch über § 139 BGB dem Gesamtvertrag mitteilen (s. Kommentierung zu Vor § 84). Das OLG Dresden stellte wohl deshalb in einem Hinweisbeschluss758 fest, bei Franchiseverträgen sei lediglich eine 5jährige Erstlaufzeit akzeptabel.

I. Beweislast Jede Partei muss die Voraussetzungen des für sie günstigen Teil-TB des § 89 nachweisen.759 Die 146 Partei, welche sich auf eine wirksame Kündigung beruft, muss die Kündigungserklärung, die Wirksamkeit der Kündigung und ihren Zugang nachweisen.760 Die vielfältigen Möglichkeiten einer Zugangsvereitelung sprechen eher für eine persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens (in Griffnähe des Empfängers!) und zusätzliche Übersendung per Boten, Einwurf-Einschreiben und auf allen anderen geeigneten Übertragungswegen, etwa per Fax und E-Mail.761 Je mehr Übertragungswege gewählt werden, umso unwahrscheinlicher wird der Vortrag des prospektiven Empfängers, ihm sei die Erklärung nicht zugegangen. Sie sprechen auch gegen die klassische Formulierung der Kautelarjurisprudenz, eine Kündigung dürfe nur per Einschreiben versandt werden. Ein non liquet beim Beweis geht zu Lasten des Beweispflichtigen.762 Die Vertragsdauer als Grundlage der Fristberechnung nach Abs. 1 muss die Partei nachweisen, zu deren Vorteil die Frist gereicht. Da ein auf unbestimmte Dauer gerichtetes Vertragsverhältnis die Regel ist, muss eine (ggf. nachträgliche) Befristung diejenige Partei beweisen, für die die Befristung günstig ist. Für eine von § 89 abweichende Vereinbarung ist derjenige beweispflichtig, der sie behauptet. Dies gilt etwa für eine verlängerte Kündigungsfrist oder für einen von Abs. 1 S. 3 abweichenden Kündigungsendtermin. Die Vertragsverlängerung nach Ende eines befristeten Vertrages, insb. die nach Abs. 3, muss der von ihr Begünstigte beweisen, ebenso dass nach §§ 92b, c ausnahmsweise eine von den zwingenden Voraussetzungen des § 89 abweichende Vereinbarung zulässig ist (s. o.). Bei Streit über den Bestand des Vertrages zum Zeitpunkt der Begründung einer Forderung, soll der Anspruchsteller beweisen müssen, dass der Vertrag nicht von Beginn an befristet war763 oder nach Fristablauf einvernehmlich fortgesetzt worden ist.764

J. Steuerrecht Ein mit Ablauf des HV-Vertrages entstehender Anspruch auf Provisionsfortzahlung ist keine 147 rückstellungsfähige ungewisse Verbindlichkeit (§ 249 Abs. 1), wenn das Entstehen noch von einer aufschiebenden Bedingung765 abhängt. Denn rückstellungsfähig sind nur bereits entstandene oder noch nicht entstandene aber wirtschaftlich in dem abgelaufenen Zeitraum verursachte Verbindlichkeiten, die den Verpflichteten bereits aktuell belasten. Die Rückstellungsfähigkeit 757 758 759 760

Emde WRP 2005, 1492 ff.; Stoffels DB 2004, 1871. Urt. v. 8.9.2005 – 10 U 747/05 – zweifelh., zit. nach Flohr BB 2006, 389 (399). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 124. OLG München, Urt. v. 14.1.2010 – 23 U 2783/09, BeckRS 2010, 07738; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 124; Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 52. 761 Zur Abwägung hinsichtlich des Übertragungsweges s. Nebeling/Karcher BB 2017, 437 – Arbeitsrecht. 762 OLG München, Urt. v. 14.1.2010 – 23 U 2783/09, BeckRS 2010, 07738; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 124. 763 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 52. 764 Ebenroth/Löwisch3 § 89 Rn 52. 765 Zu einer solchen aufschiebenden Bedingung und der Anwendung der Grundsätze des faktischen Vertrages bis zu ihrem Eintritt OLG Hamburg, Urt. v. 15.8.2015 – 18 U 182/14, IHR 2016, 85 (86/87). 73

Emde

§ 89

1. Buch. Handelsstand

hängt mithin davon ab, ob es sich bei der Provisionsfortzahlung um ein Entgelt für bereits erbrachte Leistungen (dann Rückstellungsfähigkeit) oder um eine Abgeltung des zukünftigen Wettbewerbsverbots (dann Rückstellungsunfähigkeit) handelt.766 Durch BMF-Schreiben vom 21.6.2005767 hat das BMF Stellung zu diesem BFH-Urteil bezogen. Das BMF führt in dem Schreiben aus, den Grundsätzen des BFH-Urteils werde gefolgt, soweit der BFH zur Abgrenzung der vertraglich vereinbarten Provisionszahlung von einem Ausgleichsanspruch nach § 89b ausführe. Soweit der BFH jedoch die Passivierung einer Rückstellung befürworte, ohne dass die Verpflichtung rechtlich entstanden sei oder mit einiger Wahrscheinlichkeit rechtlich entstehen werde, sei das BFH-Urteil nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden. Vielmehr müsse in Konstellationen, in denen die Provisionsverpflichtung unter einer aufschiebenden Bedingung stehe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Bedingung geprüft werden.

K. Ausländisches zwingendes Recht 148 Ein häufiges Ärgernis bildet ausländisches zwingendes Recht, das die Kündigung und die Kündigungsfolgen regelt. Es ist gerade im arabischen Raum, aber auch in vielen südamerikanischen Ländern, verbreitet (dazu Kommentierung zu § 92c). Aber auch dem europäischen Recht ist es nicht fremd, wie die Ingmar-Entscheidung dokumentiert (dazu § 92c). Selbst europäisches Recht kann zu einem Justizkonflikt führen, etwa der Eigenhändler schützende768 Schadenersatzanspruch wegen nicht fristgemäßer Beendigung der Geschäftsbeziehung nach dem französischen Rechtsinstitut der „rupture des relations commerciales établies“.769 Der Vertriebsmittler wird dieses Recht an seinem Heimatgerichtsstand durchsetzen können, der deutsche Unternehmer versuchen, ihm mit einer negativen Feststellungsklage in Deutschland zuvorzukommen. Dazu, ob der deutsche Richter solches Administrativrecht anwenden wird s. Kommentierung zu § 92c.

766 767 768 769

BFH, Urt. v. 24.1.2001 – I R 39/00, DB 2001, 1227 = BB 2001, 1241. IV B 2-S 2137-19/05, DB 2005, 1418 = BB 2005, 1624. HV werden nicht geschützt, s. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2014, 206. Hierzu Cour de Cassation Frankreich, Chambre commerciale, Urt. v. 20.5.2014 (pourvois Nr. 12-26705, 12-26970, 12-29281), ZVertriebsR 2014, 334 m. Anm. Kutscher-Puis; Stade ZVertriebsR 2018, 9 ff.; IHR 2016, 49 (55 ff.) m. Rechtsprechungsnachweisen; Robin/Niggemann ZVertriebsR 2015, 214; Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (280); Kutscher-Puis ZVertriebsR 2012, 161. Emde

74

§ 89a [Fristlose Kündigung] (1)

1

Das Vertragsverhältnis kann von jedem Teil aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. 2Dieses Recht kann nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden. (2) Wird die Kündigung durch ein Verhalten veranlaßt, das der andere Teil zu vertreten hat, so ist dieser zum Ersatz des durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet.

Schrifttum Becker-Schaffner Die Rechtsprechung zur Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB, DB 1987, 2147; ders. Zugang der Kündigung, BB 1998, 422; Bergwitz Abmahnung und Vertrauensstörung im Arbeitsrecht, BB 1998, 2310; Börner/Hubert Frist für die außerordentliche Kündigung des Handels- bzw. Versicherungsvertreters? BB 1989, 1633; v. Brunn Unzulässige Verhandlungen über die Nachfolge eines Handelsvertreters vor Kündigung seines Vertrags, DB 1964, 1841; Eberstein Zehn Jahre Rechtsprechung zum neuen Handelsvertreterrecht, BB 1964, 271; Ende Die betriebsbedingte außerordentliche Kündigung von Vertragshändlerverträgen durch den Unternehmer, BB 1996, 2260; Fock Der nachvertragliche Schadensersatzanspruch des Handelsvertreters gem. Art. 17 Abs. 3 der EG-Handelsvertreterrichtlinie – Alternative oder Ergänzung zum Goodwill – Ausgleich des Vertreters? in Saenger/Schulze, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, 62; v. Hoyningen-Huene/Boemke Beweisfragen bei Berufsfortkommensschäden (§ 252 S. 2 BGB, § 287 I ZPO), NJW 1994, 1757; Holling Gründe für die fristlose Kündigung eines Handelsvertreterverhältnisses in der Rechtsprechung, BB 1961, 994; Hoss Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot während des Kündigungsschutzprozesses und im Aufhebungsvertrag, DB 1997, 1818; ders. Die arbeitsrechtliche Abmahnung, MDR 1999, 333; Kindler Verwirkung des Rechts auf außerordentliche Kündigung: Für welche Dienstvertragstypen gilt § 626 Abs. 2 BGB? BB 1988, 2051; Kranz Die Ermahnung in der arbeitsrechtlichen Praxis, DB 1998, 1464; Küstner Bestandswegnahme und Schadensersatz, VersR 1996, 944; Leo Rechtsfragen zur Kündigung des Handelsvertretervertrags, DB 1961, 1518; Lohr Kündigung des Arbeitsvertrags – Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsurkunde, MDR 2000, 620; Manfred Löwisch Wilhelm Herschel und die Wurzeln von Ultima-Ratio – Grundsatz und Prognoseprinzip, BB 1998, 1793; Lücke Unter Verdacht: Die Verdachtskündigung, BB 1997, 1842; ders. Die Verdachtskündigung – Fragen aus der Praxis, BB 1998, 2259; Maier Kündigung des Handelsvertreters wegen Alters oder Krankheit, BB 1978, 940; ders. Das gesetzliche Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter, BB 1979, 500; Martin Offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft als Versicherungsvertreter, VersR 1967, 824; Martinek Die Wichtigkeit des Grundes für die fristlose Kündigung von Vertriebsverträgen – Zur Konkretisierung des § 314 BGB, ZVertriebsR 2015, 207; Naujok Das Spannungsverhältnis zwischen Verdachtskündigung und Unschuldsvermutung, ArbuR 1998, 398; Niebling Die fristlose Kündigung von Automobil-Händlerverträgen, BB 1998, 2259 und MDR 1998, 1332; Preis/Stoffels Die Inhaltskontrolle der Verträge selbständiger und unselbständiger Handelsvertreter, ZHR 160 (1996), 442; Schaub Die arbeitsrechtliche Abmahnung, NJW 1990, 872; ders. Die Abmahnung als zusätzliche Kündigungsvoraussetzung, NZA 1997, 1185; Schirge Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs nach § 615 Satz 2 BGB im gekündigten Arbeitsverhältnis, DB 2000, 1278; Schwerdtner Betriebsverfassungsrechtliches Anhörungsverfahren und Nachschieben von Kündigungsgründen, ZIP 1981, 809; ders. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung als Gegenstand rechtsgeschäftlicher Vereinbarung im Rahmen des Handelsvertreterrechts, DB 1989, 1757; Ulmer/Habersack Zur Beurteilung des Handelsvertreter- und Kommissionsagenturvertriebs nach Art. 85 Abs. 1 EGV, ZHR 159 (1995), 109; Ulmer/Schäfer Zum Anspruch des Kfz-Vertragshändlers gegen den Hersteller auf Zustimmung zur Übernahme einer Zweitvertretung, ZIP 1994, 753; Westphal Die Handelsvertreter-GmbH: Renaissance mit Unterstützung des BFH? BB 1999, 2517; Wolterek Zweiwochenfrist bei außerordentlicher Kündigung eines Handelsvertreters, DB 1984, 279.

Übersicht A.

Die Möglichkeit fristloser Kündigung von 1 Dauerschuldverhältnissen

II.

Genese und europarechtliche Präformation 3

I.

§ 89a als Ausfluß eines weiterreichenden Prin1 zips

III.

Verhältnis zum BGB

75 https://doi.org/10.1515/9783110744385-002

5

Emde

§ 89a

1. Buch. Handelsstand

IV.

Verhältnis zur befristeten Kündigung nach 6 § 89

V.

Motive für den Ausspruch einer außerordentli8 chen Kündigung

VI.

Verhältnis zur aufschiebenden und auflösenden 9 Bedingung

VII. Leistungs- und Unterlassungsklage

10

11

Absatz 1

I.

Das Vertragsverhältnis

II.

Von jedem Teil

III.

Aus wichtigem Grunde

IV.

Vor Vertragsende

V. 1. 2. 3.

16 Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung 16 Interessenabwägung und Ermessen 21 Objektiver Tatbestand Bedeutung der verbleibenden Vertrags22 dauer Zeitpunkt des Eintritts des wichtigen Grun23 des Subjektiver Tatbestand, insb. Verschul24 den Verschulden des Kündigungsempfän26 gers Mitverursachung/Mitverschulden des Kündigen27 den 28 Verdachtskündigung 29 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 30 Vereinbarung eines wichtigen Grundes 32 Durchgriff 33 Kasuistik 34 Abmahnung 37 a) Inhalt und Form der Abmahnung 38 b) In der Abmahnung gesetzte Frist c) Abmahnung nach zweiter Vertragswidrig39 keit 41 d) Abhilfe 42 e) Abmahnung unnötig 43 f) Beispiele aa) für fehlende Abmahnbedürftig43 keit: 44 bb) Für Abmahnbedürftigkeit: 45 g) Verlust der Warnfunktion 46 h) Vertraglich geregelte Abhilfefrist 47 i) Beweislast j) Feststellung des Fehlens eines Abmahn48 grundes

5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 14.

Emde

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

B.

4.

VI.

Der Kündigungsausspruch („gekündigt wer49 den“) 49 Ausspruch 50 Form 51 Begründungszwang? Vereinbarung eines Begründungserfordernis53 ses 54 Bedingte Kündigung 55 Rechtzeitigkeit (Entschlussfrist) „Rücknahme“ oder „Widerruf“ der Kündi64 gung 65 Nachgeschobene Gründe 68 Gleich zu behandelnde Fälle

11 VII. Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist/Auslauf69 frist

12 12

15

71 VIII. Unabdingbarkeit 71 1. Überblick a) Vereinbarte wichtige Kündigungs71 gründe b) Kataloge wichtiger Kündigungs72 gründe 73 c) Lösungsklauseln bei Insolvenz 74 2. Verstoß gegen § 314 BGB 3. Wirkungen des Verstoßes gegen zwingen75 des Recht 4. Bilden nichtige Klauseln ein Indiz für das Ge76 wollte? 77 5. Verzicht IX.

Grenzen des Kündigungsrechts (Verwirkung, Treu und Glauben, Kündigung zur Un78 zeit)

X.

Rechtslage bei Fehlen des Kündigungsgrun81 des 81 Überblick Verteidigung gegen die unberechtigte Kündi85 gung Feststellung der Berechtigung zur Kündi87 gung

1. 2. 3.

88

XI.

Folgen der Vertragsbeendigung

C.

Der Schadensersatzanspruch nach 89 Abs. 2

I. 1. 2. 3.

90 Umfang des Schadensersatzes 90 Zur Länge des Haftungszeitraums 93 Zur Höhe der Haftung Zur Darlegungs- und Beweislast in Schadensfäl94 len

II.

Mitverschulden (§ 254 BGB)

95

76

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

III.

Beiden Parteien zustehendes Kündigungs96 recht

IV.

Positive Forderungsverletzung (§ 280 97 BGB)

D.

Schadenersatzanspruch des unberechtigt außerordentlich Gekündigten nach § 280 99 BGB

E.

Gerichtliche Geltendmachung des Schadener100 satzanspruches

§ 89a

101

F.

Streitwert

G.

Beweislast

102

I.

Kündigung

102

II.

Schadensersatz

104

A. Die Möglichkeit fristloser Kündigung von Dauerschuldverhältnissen I. § 89a als Ausfluß eines weiterreichenden Prinzips Die fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde ist ein Rechtsbehelf, der bei allen Dauerschuldver- 1 hältnissen zwingend gegeben ist. Er ist Ausdruck des bis zur Einführung des § 314 BGB 2002 für andere als HV-Verträge unnormierten allgemeinen Grundsatzes, nach dem ein Dauerschuldverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes jederzeit ohne Einhaltung einer Frist kündbar ist. Dieser außerordentlichen Kündigung unterliegen sowohl der HV-Vertrag wie HV-ähnliche Verträge, gleichgültig, ob sie auf bestimmte oder unbestimmte Zeit eingegangen sind. Während ein auf bestimmte Zeit geschlossener Vertrag, der mit Zeitablauf erlischt und keine ordentliche Kündigung vorsieht, nur der Kündigung aus wichtigem Grunde zugänglich ist, besteht bei dem für unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag neben der Möglichkeit der ordentlichen Kündigung jene der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grunde. Zudem regelt § 89a, dass auf das Kündigungsrecht nicht im Voraus verzichtet werden darf (Abs. 1 S. 2) und der Gekündigte dem Kündigenden zum Ersatz des durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet ist, falls er die Kündigung verschuldet hat (Abs. 2). Der dem Gekündigten durch eine unberechtigt ausgesprochene Kündigung entstehende Schaden wird in § 89a nicht behandelt. Sein Ersatz richtet sich nach § 280 BGB. Ferner kann sich für die auslaufende Zeit des Vertragsverhältnisses ein Anspruch des HV aus Annahmeverzug nach § 615 BGB ergeben. § 89a hat keinen Strafcharakter,1 sondern dient dem zivilrechtlichen Schutz des Kündigungsberechtigten. Wie bei allen Dauerschuldverhältnissen verdrängt auch bei Vertriebsverträgen – jedenfalls 2 in der Praxis – die Möglichkeit der fristlosen Kündigung die sonst denkbare Alternative der Lösung des HV-Verhältnisses durch Rücktritt, auflösende Bedingung oder aus dem Gesichtspunkt des WGG wegen veränderter Umstände.2 Die Behelfe der Anfechtung wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder Drohung (dazu s. Kommentierung zu § 84) werden durch § 89a nicht berührt. Die Anfechtung vernichtet das Vertragsverhältnis rückwirkend (aber Anwendung der Grundsätze des faktischen Vertrags); die fristlose Kündigung beendet es nicht mit Rückwirkung, sondern erst vom Wirksamwerden der Kündigung ab (ex nunc).

II. Genese und europarechtliche Präformation Die Vorschrift lautet seit 1953 unverändert. Abweichend zu früheren RL-Entwürfen,3 die eine 3 ausführliche Regelung der fristlosen Kündigung enthielten, insb. zum Schadensersatzanspruch 1 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 11. 2 Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1. 3 RL-Vorschläge v. 17.12.1976, ABl. C 13, S. 2 ff. sowie v. 2.3.1979, ABl. C 56, S. 5 ff. 77

Emde

§ 89a

1. Buch. Handelsstand

bei Fehlen eines wichtigen Grundes, beinhaltet Art. 16 RL nur den Hinweis, dass Art. 15 RL zur ordentlichen Kündigung nicht die Anwendung der nationalen Vorschriften zur fristlosen Kündigung berührt, solange eine der Parteien ihren Pflichten teilweise oder ganz nicht nachgekommen ist oder außergewöhnliche Umstände eintreten.4 Also liegt ein Verstoß gegen Art. 15 RL und die dort genannten Kündigungsfristen vor, wenn die nationale Gesetzgebung die in Art. 16 RL aufgestellten Bedingungen nicht einhält. Eine Harmonisierungsvorgabe der EU besteht daher nur soweit, als Art. 16 RL eine grenzenlose Ausweitung wichtiger Kündigungsgründe über diesen Rahmen hinaus ausschließt. § 89a ist wohl enger als diese Ausnahmevorschrift und steht daher in Übereinstimmung mit Art. 16 RL. 4 Der EuGH5 entnahm Art. 17 Abs. 2 lit. c RL, demzufolge die Ausgleichsleistung nicht das Recht des HV ausschließt, Schadensersatz geltend zu machen, dass der HV über den Ausgleich hinausgehenden Schadensersatz fordern darf). Andererseits könne der in der RL geregelten Ausgleichshöchstgrenze sowie der systematischen Unterscheidung des Ausgleichs- und Schadenersatzsystems der Abs. 2 und 3 des Art. 17 RL („Kumulierungsverbot beider Systeme“) entnommen werden, dass sich der Schadensersatz auf einen Schaden beziehen müsse, der sich von dem durch die Ausgleichszahlung abgedeckten unterscheide. Wenngleich damit feststeht, dass ein mit dem Ausgleichsanspruch nicht identischer (inkongruenter) Schaden neben dem Ausgleich gefordert werden darf, lässt die Entscheidung offen, welcher zusätzliche Schaden als inkongruenter liquidiert werden darf. Künftig könnte in aus dem Vertragsende geborenen Auseinandersetzungen streitig werden, ob ein HV oder HV-ähnlicher Vertriebsmittler neben dem Ausgleich Schadensersatz fordern darf. So könnte darüber diskutiert werden, ob der Ersatzanspruch des § 89a Abs. 2 (z. B. entgangener Gewinn) durch den Ausgleich abgegolten ist. Diese Frage wäre wohl zu verneinen.6 Denn der Ausgleich ist bei jeder Vertragsbeendigung zu leisten, sofern nicht ein Ausschlussgrund des § 89b Abs. 3 HGB eingreift. Der Ausgleich bildet also einen jedem Vertragsende immanenten „Sowieso“-Schaden. Hat der Unternehmer die außerordentliche Kündigung des § 89a herausgefordert, so könnte es sich um einen über den bei einer ordentlichen Kündigung entstehenden Schaden hinausreichenden, untypischen, „inkongruenten“ und zusätzlichen Schaden handeln,7 der gesondert zu ersetzen wäre.8

III. Verhältnis zum BGB 5 § 89a ist lex specialis gegenüber § 314 Abs. 1. Das dürfte auch im Vertragshändler-,9 Franchise-10 und Kommissionsagentenrecht11 gelten, dessen Basis die §§ 84 ff. bilden. Zwar ist in diesen Bereichen die Anwendung des § 314 BGB wegen Fehlens einer Sondervorschrift möglw. 4 S. Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 48/49; zur Umsetzung in den Mitgliedsstaaten Westphal EWS 1996, 43 (47).

5 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016. Emde EuZW 2016, 218. Emde EuZW 2016, 218. Emde EuZW 2016, 218. BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 1; Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275. 10 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275; Martinek ZVertriebsR 2015, 207; Prasse MDR 2008, 122 (123); aA OLG München, Urt. v. 14.10.2014 – 7 U 2604/13, ZVertriebsR 2015, 110 m. Anm. Flohr = BeckRS 2014, 19514 – tendenziell, letztlich offen gelassen; OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.11.2011, I-18 U 13/11; ZVertriebsR 2012, 183; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.11.2009 – 2 U 76/09, BeckRS 2009, 86480; LG Bielefeld, Urt. v. 28.1.2010 – 9 O 385/04, BeckRS 2013, 02142; Flohr ZVertriebsR 2018, 147; Giesler ZIP 2004, 744; ZIP 2002, 420 (426); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 1. 11 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275.

6 7 8 9

Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89a

dogmatisch gut begründbar. Die sachnähere Rspr. zu § 89a müsste aber in jedem Fall übernommen werden.12 Allerdings soll § 89a nur i. V. m. § 314 BGB sowie der Rspr. zu § 89a anwendbar sein, da weder das Abmahnerfordernis noch der Begriff des wichtigen Grundes in § 89a definiert wird.13 § 89a ist zudem lex specialis zu § 626 BGB, jedenfalls im Verhältnis zu dessen Abs. 1.14 In seinem sachlichen Gehalt entspricht § 89a diesen Bestimmungen jedoch weitgehend, besonders seit der im Zuge des Arbeitsrechts-Bereinigungsgesetzes von 1969 erfolgten Neufassung. Im Einzelnen siehe Kommentierung zu Vor § 84. Zum Verhältnis zu § 313 BGB s. ebenfalls Vor § 84, zur Anfechtung s. Kommentierung zu § 84.

IV. Verhältnis zur befristeten Kündigung nach § 89 Beide Kündigungen haben gemeinsam, dass sie das HV-Verhältnis beenden. Aber schon die Ab- 6 wicklung gestaltet sich verschieden – die besonderen Probleme der Auslaufzeit stellen sich bei der fristlosen Kündigung nicht –; auch können die Auswirkungen auf Wettbewerbsabrede und Ausgleichsanspruch unterschiedlich sein. Schließlich vermag nur die fristlose Kündigung die Schadensersatzansprüche nach Abs. 2 auszulösen. Eine Umdeutung der nicht fristgerechten ordentlichen Kündigung in eine außerordentliche (fristlose) nach § 140 BGB ist regelmäßig nicht möglich, selbst wenn ein triftiger Grund hierfür gegeben wäre; die fristlose Kündigung müsste vielmehr neu und als solche ausgesprochen werden. Werden jedoch einer ordentlichen Kündigung Gründe für eine außerordentliche Kündigung nachgeschoben, kann hierin der Ausspruch einer erneuten fristlosen Kündigung liegen, die mit Zugang der nachgeschobenen Gründe wirksam wird. Der Kündigende muss dafür zu erkennen geben, dass das Vertragsverhältnis nun mit sofortiger Wirkung beendet werden soll.15 Wohl aber ist im Wege der Umdeutung umgekehrt eine fristlose Kündigung, für die es am zureichenden Grunde fehlt, als befristete zum nächstzulässigen Kündigungstermin u. U. aufrechtzuerhalten.16 Das gilt jedenfalls, falls der Kündigende dies bei Kenntnis der Unwirksamkeit gewollt hätte,17 insb. das Vertragsverhältnis eindeutig18 auf jeden Fall19 und notfalls mit der durch die Kündigungsfrist bedingten Verzögerung zu Ende bringen wollte, wofür der Kündigende im Grundsatz beweispflichtig ist. Das wird als Regel anzunehmen sein, sofern nicht ausnahmsweise der Wille, ausschließlich außerordentlich zu kündigen, deutlich20 wird. Wenngleich auch in dieser Situation der Kündigende für die Voraussetzungen einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung beweispflichtig bleibt, spricht angesichts der – außerordentlichen – Kündigungserklärung und der die ordentliche Kündigung umfassenden TB-Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung eine Vermutung dafür, dass sie hilfsweise eine ordentliche Kündigung enthält und der Kündigende den Vertrag in jedem Fall auch mit ordentlicher Kündigungsfrist beenden wollte. Dieser Wille braucht sich nicht notwendig aus der KündiFlohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 3. Martinek ZVertriebsR 2015, 207 zum Franchiserecht. Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 4. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 86. BGH, ZIP 2000, 539 = EWiR 2000, 519 (Böcker); v. 8.9.1997 – II ZR 165/96, EBE 1997, 349 (350) = EWiR 1998, 203 (Finken) = ZIP 1998, 509 (510); NJW-RR 1992, 1059 (1060); Urt. v. 12.1.1981 – VII ZR 332/79, DB 1981, 1821; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141 = OLGR 1999, 53; OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, BeckRS 2011, 04747; BB 1963, 447; OLG Karlsruhe DB 1971, 572; OLG Stuttgart BB 1960, 956 (957); Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (276); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 10; Ebenroth/ Löwisch3 § 89a Rn 87; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 34; Hopt § 89a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 83; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20. 17 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (276). 18 BGH BB 1999, 381; Urt. v. 12.1.1981 – VII ZR 332/79, DB 1981, 1821; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 10. 19 OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141 = OLGR 1999, 53. 20 Vgl. BGH, Urt. v. 12.1.1998 – II ZR 98/96, EBE 1998, 94 (95) = ZIP 1998, 509 (510).

12 13 14 15 16

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gungserklärung selbst zu ergeben, er kann sich aus den Umständen zeigen. Nur falls der Kündigende keinerlei Interesse an der durch die Kündigungsfrist entstehenden Zwischenphase haben kann oder er das Vertragsverhältnis ausschließlich wegen eines ganz bestimmten Grundes beenden will und sich das Nichtvorliegen dieses Grundes erweist,21 ist der dem Kündigungsempfänger obliegende Gegenbeweis geführt. Die Gegenmeinung,22 derzufolge eine fristlose keine fristgemäße Kündigung enthält, hat zwar die Logik für sich, verkennt aber, dass, wer zu einer fristlosen Kündigung zu schreiten sich veranlasst sieht, im allgemeinen schon deshalb das Vertrauen in eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nachhaltig verloren hat und dass es gerade nicht die Regel sein wird, er werde das Vertrauen ohne weiteres wieder hergestellt sehen, falls der Kündigungsgrund wider Erwarten nicht durchgreifen sollte. Ein solcher Fall mag bei einer völligen Rehabilitierung des Gekündigten denkbar sein; aber kaum noch, wenn es über die Wirksamkeit der Kündigung zum Prozess gekommen ist, die Fronten sich verhärtet haben und der Termin, zu dem die Kündigung als befristete ihre Wirkung zu entfalten geeignet war, im Laufe des Prozesses im allgemeinen längst verstrichen zu sein pflegt. Die als außerordentliche Kündigung unwirksame, als ordentliche Kündigung jedoch wirksame Kündigung enthält im Zweifel den Widerruf der Vollmachten des HV,23 soweit dies den Interessen des Unternehmers entspricht.24 Jedenfalls ist der mit einer befristeten Kündigung Vorgegangene nicht gehindert, wegen eines während der auslaufenden Vertragszeit neu entstandenen Grundes nunmehr eine fristlose Kündigung nachfolgen zu lassen und damit eine Vorverlegung des Endes des Vertragsverhältnisses zu bewirken.25 In aller Regel enthält die Kündigungserklärung den Hinweis, hilfsweise werde die ordentliche Kündigung erklärt. Unterbleibt dies trotz anwaltlicher Beratung oder Beratung durch eine Rechtsabteilung, mag in Ausnahmefällen hierin ein „beredtes Schweigen“ zu finden sein – also keine hilfsweise ordentliche Kündigung. Ob in Fällen, in denen die Kündigung begründet werden muss, etwa nach der Kfz-GVO 1400/02 folgenden Selbstverpflichtungskatalogen der Kfz-Hersteller, der Wille zur hilfsweisen ordentlichen Kündigung in der Begründung einen Anklang gefunden haben muss, mag diskutiert werden. 7 § 89a spricht, abhebend gegenüber § 89, korrekt von einer Kündigung „ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist“. Der gängige Kurzausdruck „fristlose Kündigung“ ist also ungenau. Ohnehin stellt er auf die Rechtsfolge und nicht auf den Gegensatz zur ordentlichen Kündigung („außerordentliche“) ab. Es gibt auch Kündigungen nach § 89a, die mit der Gewährung einer Auslaufzeit für den Kündigungsgegner verbunden sein können (aus Entgegenkommen), unter Umständen sogar verbunden sein müssen (aus Gründen der Verhältnismäßigkeit); sie mag in Grenzfällen sogar bis zur Dauer der normalen Kündigungsfrist gehen (Rn 69). Entscheidend bleibt immer nur, dass die Kündigung als eine solche ohne Bindung an eine Kündigungsfrist und unter Inanspruchnahme eines wichtigen Grundes ausgesprochen wird. Dass sie stets „fristlos“ sein, d. h. mit einer Beendigung des Vertragsverhältnisses auf der Stelle einhergehen müsse, setzt § 89a nicht voraus.

V. Motive für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung 8 Oft wird eine außerordentliche Kündigung zur „Vermeidung“ des Ausgleichsanspruchs gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 erklärt.26 Meist ist dieses Motiv durchsichtig und wird erkannt. Kostspielige

21 OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191 (1192); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 87; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20. 22 Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19. 23 Hopt § 89a Rn 5. 24 Im Zweifel muss der HV nachfragen. 25 BGH, Urt. v. 20.2.1969 – VII ZR 101/67, LM Nr. 9; OLG München NJW-RR 1998, 1189 (1190); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn Rn 6. 26 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (276). Emde

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Prozesse sind die Folge. Beim HV sind in aller Regel noch umfangreiche Streitigkeiten über den Buchauszug vorgelagert.27

VI. Verhältnis zur aufschiebenden und auflösenden Bedingung Wichtige Kündigungsgründe können nicht frei bestimmt, sondern innerhalb der Grenzen des 9 § 89a (Unzumutbarkeit) lediglich konkretisiert werden. Was nach § 89a keinen wichtigen Kündigungsgrund bildet, kann auch nicht als solcher bestimmt werden.28 Dieser Grundsatz könnte umgangen werden, wenn unterhalb der Schwelle zum wichtigen Grund liegende Umstände grenzenlos als auflösende Bedingungen vereinbart werden könnten, etwa mittels der Vereinbarung, dass bei Nichterreichen eines bestimmten Umsatzziels der Vertrag automatisch enden soll.29 Allerdings ist es nicht gänzlich unzulässig, auflösende Bedingungen zu vereinbaren. Dazu s. Kommentierung zu § 89.

VII. Leistungs- und Unterlassungsklage Der zur außerordentlichen Kündigung Berechtigte braucht nicht zu kündigen. Er darf auch Ver- 10 tragstreue einfordern und sogar auf diese klagen (ggf. Unterlassungsklage). Er muss dies aber nicht.30

B. Absatz 1 I. Das Vertragsverhältnis Gemeint ist der HV-Vertrag, gleich mit welchem Inhalt. Die Abgrenzung von anderen Verträgen 11 ist wegen eines möglichen Rückgriffs auf § 314 BGB wenig relevant. Das Gesetz spricht in § 89a richtig vom schuldrechtlichen Vertrag als zwischen den Parteien stehendem Band und nicht wie in anderen Vorschriften der §§ 84 ff. mißverständlich von der rechtlich irrelevanten Person des HV. Die Vorschrift gilt für alle HV-Verträge, ungeachtet ihres rechtstatsächlichen Kleides oder ihrer gleichfalls rechtsirrelevanten „Schutzbedürftigkeit“,31 auch für Unter- und Hauptvertreterverträge32 oder auf Lebenszeit geschlossene Verträge.33 Gleich stehen die Rechtsverhältnisse HVähnlicher Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler-,34 Franchise-35 und Kommissionsagentenver-

27 28 29 30 31 32 33

Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277). Oetker/Busche6 § 89 Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 12. Oetker/Busche6 § 89 Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 12. AA KG DB 1998, 607 (608); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 34. Vgl. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 9. BGH, Urt. v. 20.3.1981 – I ZR 12/79, LM Nr. 17; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 9. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21. Wenn hier eine besonders strenge Zumutbarkeitsprüfung für erforderlich angesehen wird (Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 7), widerspricht dies der Regel, dass eher bei kurzer Spanne bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist ein strenger Maßstab gilt. 34 BGH, Urt. v. 5.4.1962 – VII ZR 202/60, NJW 1962, 1107; NJW 1982, 2432; v. 10.2.1993 – VIII ZR 48/92, NJW-RR 1993, 682 (683); v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722; OLG Köln NJW-RR 1995, 29; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (141); Niebling MDR 1998, 1332; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 9; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 5, 30; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 647 ff.; Martinek/van der Moolen Handbuch des Vertriebsrechts3 § 23 Rn 27. 35 KG DB 1998, 607 (608) m. Bespr. Haager NJW 1999, 2081 (2085); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 9; Martinek/Habermeier Handbuch des Vertriebsrechts3 § 29 Rn 15 ff. 81

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träge.36 Der Vertrag braucht noch nicht in Vollzug gesetzt sein („begonnen zu haben“).37 Weder ordentliche Kündigung, (bedingte oder befristete) Vertragsaufhebung38 oder eine rechtlich ohnehin irrelevante Probezeit39 (auch wegen unzureichender Leistungen oder Erfolge)40 hindern die außerordentliche Kündigung, in allen Fällen liegt ein außerordentlich kündbares Dauerschuldverhältnis vor. Für einen auf Grund beiderseitiger Einigung faktisch, jedoch unwirksam in Vollzug gesetzten Vertrag gelten die Grundsätze des faktischen Vertrags (s. Kommentierung zu § 84); er wird durch einen unmissverständlichen Hinweis eines Vertragsteils auf seine Nichtigkeit beendet. Einer Kündigung bedarf es hier ebenso wenig wie eines wichtigen Grundes zur Kündigung. Das gilt für alle unwirksamen Verträge.

II. Von jedem Teil Das außerordentliche Kündigungsrecht steht jedem Vertragspartner, HV wie Unternehmer, zu. Es handelt sich bei § 89a also um keine Schutzvorschrift nur zu Gunsten des HV. Eine Kündigungserklärung kann auch durch Prozessbevollmächtigte im Prozess erklärt werden, die Prozessvollmacht ermächtigt auch hierzu.41

III. Aus wichtigem Grunde 12 Das Vertragsverhältnis kann aus „wichtigem Grunde“ gekündigt werden, d. h. nur aus einem solchem Grunde. Ohne wichtigen Grund gibt es kein Kündigungsrecht aus § 89a. Eine außerordentliche Kündigung ohne wichtigen Grund ist damit wegen Fehlens einer TB-Voraussetzung des § 89a unwirksam.42 Das gleiche Ergebnis ergibt sich de facto, falls der Kündigende den wichtigen Grund nicht beweisen kann. Das geschieht nicht selten, denn die zur Begründung der Kündigung genannten Gründe spiegeln oft nicht die wahren Motive wieder, zu denen persönliche Abneigung, bessere Verdienstmöglichkeiten oder der Wunsch eines neuen Vertriebsleiters zählen, mit ihm vertrauten Personen zusammenzuarbeiten. Dass häufig andere als die vordergründig angegebenen Gründe Motiv sind, zeigt schon der Umstand, wie gut zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung die nachvertragliche Zeit oft vorbereitet ist: Kaum jemand kündigt außerordentlich, ohne relativ präzise Vorstellungen zur geschäftlichen Zukunft der nachfolgenden Zeit zu haben. Der Kündigende ist vor Ausspruch der Kündigung nicht verpflichtet, nähere Untersuchungen vorzunehmen43 oder den Kündigungsempfänger anzuhören,44 sollte dies jedoch tun, da er die Rechtsfolgen einer ohne wichtigen Grund ausgesprochenen Kündigung tragen muss.45 13 Bei dem wichtigen Grund handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Ein wichtiger Grund für die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses liegt nach der wegen Fehlens einer Definition in § 89a auch in dessen Rahmen maßgeblichen46 Legaldefinition in § 314 Abs. 1 S. 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil (1.) unter Berücksichtigung aller Umstände 36 RGZ 69, 363 (365); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 10. 37 BGH, Urt. v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, BB 1984, 237; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 16. 38 BAG, Urt. v. 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, DB 1997, 1411 = EWiR 1997, 689; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 6. 39 OLG Nürnberg BB 1959, 391; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1. 40 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 7. 41 OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080. 42 BGB EBE 1999, 13 (15); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7a. 43 Ebenroth/Löwisch2 § 89a Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 45. 44 Ebenroth/Löwisch2 § 89a Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 30. 45 BGH, Urt. v. 13.7.1972 – VII ZR 166/71, WM 1972, 1095. 46 Martinek ZVertriebsR 2015, 207. Emde

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des Einzelfalls und (2.) unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.47 Diese Definition ist im gesamten Zivilrecht und damit auch im Vertriebsrecht maßgeblich.48 Wichtiger Grund ist damit jeder tatsächliche oder rechtliche Umstand (Ereignis oder Verhalten), gleich welcher Art, jede Handlung oder Unterlassen, von außen eintretender Umstand oder jedes Verhalten der Vertragspartner, welcher/welches es im Lichte aller Umstände des Einzelfalls49 unter Berücksichtigung von Wesen und Zweck des Vertretervertrages sowie der durch den Vertrag begründeten beidseitigen Rechte und Pflichten dem kündigenden Vertragspartner die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dem im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen oder einem durch fristgerechte Kündigung nach § 89 herbeizuführenden Vertragsende unzumutbar macht, weil es trotz Beachtung des Grundsatzes der Vertragstreue, von Treu und Glauben sowie der Billigkeit widerspricht, den Kündigenden am Vertrag festzuhalten.50 Wenn nur noch eine kurze Frist bis zum ordentlichen Vertragsende abzuwarten ist, sind die Ansprüche an den wichtigen Grund besonders erheblich. Häufigster Kündigungsgrund sind Vertragsverletzungen. Das Vertrauensverhältnis kann aber auch durch Umstände zerstört werden, die keine Vertragsverletzungen darstellen.51 Einfache Vertragsverletzungen werden oft keinen wichtigen Grund konstituieren,52 ebenso wenig bloße Lästigkeiten53 oder Spannungen,54 zumal angesichts der bei schuldhaften Verhaltens des HV harschen Folge des Ausgleichswegfalls nach § 89b Abs. 3 Nr. 255 eine eher enge Auslegung des wichtigen Grundes richtig sein dürfte. Einzelne Vertragsverletzungen muss – gerade bei langfristigen Dauerschuldverhältnissen und bloßer Fahrlässigkeit – der davon betroffene Partner sanktionslos hinnehmen,56 das Erfordernis der Abmahnung nach § 314 BGB (s. u.) bildet einen ersten Filter, da nach geringen Vertragsverstößen nicht sofort gekündigt werden darf sondern zunächst abgemahnt werden muss. Trotz der engen Auslegung des Terminus verbietet sich jede Eingrenzung der Kündigungsmöglichkeiten auf bestimmte Fallgruppen. Das liegt im Wesen eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung des Tatrichters über Bestehen oder Nichtbe- 14 stehen eines wichtigen Grundes nur in beschränktem Umfang nachprüfen.57 Es darf überprüfen, ob das Vordergericht seinen rechtlichen Gehalt falsch bewertet hat, also ob der Sachverhalt

47 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr – (Vertragshändler); v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 19; OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 16; Urt. v. 30.6.2016 – 23 U 3265/15, ZVertriebsR 2017, 196 Rn 27; v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080 (1081); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; Beschl. v. 19.1.2001 – 16 U 84/00; Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (208). 48 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (208) zum Franchiserecht; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. VIII Rn 156 ff.; Flohr/ Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 14. 49 OGH Österreich, Entsch. v. 24.10.2018 – 8 Ob 23/18t, ZVertriebsR 2019, 198 (199). 50 BGH, Urt. v. 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, ZIP 1999, 277; OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.11.2001 – 16 U 149/00, OLGR Düsseldorf 2002, 164; OLG Celle NdsRPfl 1959, 109; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 14; Ebenroth/ Löwisch3 § 89a Rn 10; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 4. 51 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 72. 52 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 24. 53 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 4. 54 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 17. 55 Siehe BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 24. 56 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7. 57 BGH, Urt. v. 24.1.1974 – VII ZR 52/73, WM 1974, 350 (351); v. 27.5.1974 – VII ZR 16/73, WM 1974, 867 (868); v. 1.11.1980 – I ZR 118/78, WM 1981, 172 (173); v. 26.1.1984 – I ZR 188/81, WM 1984, 556 (558); v. 3.7.1986 – I ZR 171/84, 83

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generell geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu tragen,58 oder ob die Vorinstanz von unrichtigen Tatsachen ausging. Die Wertung durch den Tatrichter bindet das Revisionsgericht grundsätzlich. Es kann den festgestellten Umständen kein größeres oder geringeres Gewicht beimessen, als es der Tatrichter für richtig gehalten hat.59 Die Prüfung beschränkt sich darauf, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt hat oder ob ihm von der Revision gerügte Verfahrensverstöße unterlaufen sind, z. B. ob es wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt hat.60

IV. Vor Vertragsende 15 Die außerordentliche Kündigung kann bis zum Vertragsende erklärt werden.61 Danach entfaltet sie keine Wirkungen mehr. Ein bereits beendeter Vertrag kann nicht mehr beendet werden. Vor Aufnahme der Tätigkeit kann der bereits geschlossene Vertrag jedoch gekündigt werden.

V. Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung 1. Interessenabwägung und Ermessen 16 Leitgedanke für die Bejahung des wichtigen Grundes ist eine doppelte Zumutbarkeitsprüfung62: Dem Kündigenden darf es nicht zuzumuten sein, das konkrete Vertragsverhältnis bis zum frühestmöglichen ordentlichen Vertragsende fortzusetzen (Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung)63 und ihm darf darüber hinaus nicht zumutbar sein, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten (zeitliche Unzumutbarkeit). Nach Abwägung aller Umstände (Interessenabwägung64) muss das auf dem wichtigen Grund beruhende Interesse des Kündigenden an einer vorzeitigen Vertragsbeendigung Vorrang vor dem Interesse des Gekündigten am Fortbestand des Vertrages haben.65 Diese Frage kann nur aus einer umfassenden Sicht aller dafür und dagegen sprechenden Gegebenheiten des Einzelfalles entschieden werden,66 das Revisionsgericht kann sie nur so beschränkt überprüfen wie generell die Frage der Existenz eines wichtigen

NJW 1987, 57 = WM 1986, 1413 unter II 1; v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, ZIP 1990, 1197 (1198); v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/ 07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326; v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 31. 58 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 31; v. 26.1.1984 – I ZR 188/81, WM 1984, 556 (558); Hopt § 89a Rn 12. 59 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 31. 60 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 31; v. 17.12.2008 – VIII ZR 159/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 Rn 24; v. 3.7.1986 – I ZR 171/84, WM 1986, 1413 unter II 1. 61 Die Frage, ob nach Vertragsende noch außerordentlich gekündigt werden kann lassen Salomon/Wegstein BB 2010, 339 (340) offen. 62 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 35. 63 BGH BB 1960, 381; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 15. 64 Flohr ZVertriebsR 2019, 12 (13). 65 Flohr ZVertriebsR 2019, 12 (13); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 39. 66 BGH, Urt. v. 12.3.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103; v. 17.12.1998 – I ZR 106/96, EWiR 1999, 303 = NJW 1999, 1177 m. Anm. Martinek; WM 1981, 172 (173); WM 1974, 350 (351); OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 15; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 35; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 12, 14, 15, 26; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7, 7a. Emde

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Grundes.67 Dabei sind vor allem die Schwere des Vertragsverstoßes und dessen Auswirkungen auf das Vertriebssystem insgesamt zu berücksichtigen.68 Zugleich ist das aus § 242 BGB abzuleitende Gebot zu prüfen, ob Umstände vorliegen, die den Vertragsverstoß und damit den wichtigen Grund gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen oder das Kündigungsrecht des Kündigenden wegen eines Vertragsverstoßes verwirkt ist.69 Es empfiehlt sich nach Martinek eine Orientierung an der Ermessensentscheidung.70 Dabei sei in 3 Schritten vorzugehen, nämlich Sammlung, Gewichtung sowie Gesamtwürdigung.71 Gerade im Bereich des Franchising werden an das Vorliegen eines wichtigen Grundes hohe Anforderungen gestellt, und zwar wegen der regelmäßig langen Vertragslaufzeit, der hohen wirtschaftlichen, oft existenziellen Bedeutung des Vertrages sowie der engen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit.72 Die Möglichkeit einer Freistellung des HV73 oder einer Fortsetzung des Vertrages zu angepassten Bedingungen74 ist regelmäßig nicht in die Interessenabwägung einzubeziehen, selbst wenn dem Unternehmer beides freisteht und er es auch anbietet. Besonders günstige Vertragsbedingungen erfordern strengere Maßstäbe an die Loyalität des HV und können schon Verstöße als wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung rechtfertigen, die es unter anderen Umständen noch nicht wären. Eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem HV, der mit gutem Erfolg für das Unternehmen tätig gewesen ist, kann andererseits auch einen einmaligen, schwerer wiegenden Verstoß gegen seine Vertragspflichten in milderem Licht und es dem Unternehmer zumutbar erscheinen lassen, das Vertragsverhältnis gleichwohl fortzusetzen.75 Erst recht gilt das, wenn der vom Unternehmer als schwerwiegend angesehene Grund nicht einmal auf Verschulden des HV beruht.76 Die Gesamtbetrachtung rechtfertigt es, mehrere Umstände, die je für sich allein eine frist- 17 lose Kündigung nicht tragen würden, im Zusammenhang zu sehen, falls sie in ihrer Summierung es dem Unternehmer nicht länger zumutbar machen, das Vertragsverhältnis fortzusetzen.77 Entscheidend ist der zuletzt eingetretene Umstand. Jedoch dürfen die zurückliegenden Kündigungsgründe in die Gesamtabwägung einbezogen werden, wenn sie für sich allein nicht ausreichend waren, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, längere Zeit zurückliegen und verfristet sind.78 Immer aber muss zumindest ein nicht verfristeter und – falls erforderlich – erfolglos abgemahnter Umstand vorliegen, der jedenfalls im Zusammenwirken mit den weiteren Gründen in der Zusammenschau einen wichtigen Grund bildet.79 Entweder ist es dann 67 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 31. Flohr ZVertriebsR 2015, 115 spricht insoweit von „Ermessen“. Flohr ZVertriebsR 2019, 12 (13). Flohr ZVertriebsR 2019, 12 (13). Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). Vgl. KG Berlin, Urt. v. 21.11.1997, BB 1998, 607 ff. – Burger King; Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 513. Nach Ansicht von Flohr ZVertriebsR 2015, 115 ist der vom KG aufgestellte Grundsatz überholt. 73 BAG ZIP 1999, 1368 (1372); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 17. 74 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 39. 75 BGH DB 1978, 1882: erprobter und erfolgreicher HV vernachlässigt in einem Einzelfalle seine Berichtspflicht, woran sich eine harte Auseinandersetzung anschließt; kein berechtigter Grund für fristlose Kündigung, auch wenn der HV sich im Ton vergreift; ähnlich BGH DB 1981, 1772 – Nichtbefolgen einer Weisung. 76 OLG Karlsruhe BB 1957, 561: HV, der viele Jahre hindurch unter vollem Einsatz gute Ergebnisse gebracht hatte, lässt im Alter nach: Absinken der Ergebnisse noch kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung. 77 BGH, Urt. v. 24.3.1959 – VIII ZR 39/58, NJW 1959, 1219 = BB 1959, 540 (544); OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; KG DB 1998, 607 (608, 609); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 16; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 9. 78 BGH BB 1959, 540 (541); BGHR BGB § 242 Kündigung – wichtiger Grund 11; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 9. 79 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 16.

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der sprichwörtliche Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt oder der früher aufgetretene Umstand, für den das Kündigungsrecht nicht mehr besteht, wird zur Unterstützung des nunmehr maßgeblichen Ärgernisses herangezogen, um es in das rechte Licht zu rücken und damit den wichtigen Grund herzustellen.80 Genügt einer der Kündigungsgründe für sich, kann sich der Kündigende zur Begründung seiner Kündigung auf jenen beschränken.81 Bei der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist das Verbot sachfremder Erwägungen zu beachten, wonach vorrangig diejenigen Sachumstände zu berücksichtigen sind, die in einem inhaltlich-sachlichen Begründungszusammenhang mit dem Abwägungsvorgang stehen können (sachliche Nähe).82 Nicht vom Gekündigten verschuldete, jedoch aus seiner Risikosphäre herrührende Gründe geben zu einer besonders sorgfältigen Interessenabwägung und strengen Zumutbarkeitsprüfung Anlass.83 In Anlehnung an Löwisch in: Ebenroth, 4. Aufl. § 89a Rn 44 m. w. N.84 wird die nachfolgend 18 wiedergegebene Prüfungsliste von Abwägungskriterien gebildet, welche im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind und auf die verwiesen wird: Art, Schwere, Gewicht und Dauer einer dem Gekündigten anzulastenden Vertragsverletzung 19 oder Störung des Vertragsverhältnisses; Vorgeschichte der Kündigung und ihr Anlass; Veranlassung/Herbeiführen des Kündigungsgrundes (ggf. in schuldhafter Weise) durch eine Vertragspartei oder Zuordnung des Kündigungsgrundes zu ihrer Risikosphäre, insb. Mitverursachung oder Mitverantwortung des Kündigenden oder eines seiner Risikosphäre zuzuordnenden Dritten für den die Kündigung auslösenden Anlass; längere Vorhersehbarkeit des Kündigungsgrundes; frühere Vertragsverletzungen des Gekündigten sowie erfolglos gebliebene Abmahnungen; früheres Verhalten des Kündigenden bei ähnlichen Störungen im Vertragsverhältnis, welche nunmehr die fristlose Kündigung rechtfertigen sollen, sowie ein möglicherweise bei dem Betroffenen durch frühere Reaktionen des Kündigenden begründetes Vertrauen auf eine mildere Sanktion bei künftigen Vorfällen ähnlicher Art; Verhalten des Kündigenden bei vergleichbaren Vorkommnissen, auch anderer Vertragspartner; eigene Vertragsuntreue des Kündigenden vor oder nach Ausspruch der Kündigung; Verhalten des Kündigenden nach Kenntnis des Kündigungsgrundes, welches Aufschluß darüber geben kann, wie wichtig er den Anlass tatsächlich nimmt, besonders die Dauer einer zum Abstellen vertragswidrigen Verhaltens eingeräumten Frist oder der Ausspruch einer zunächst lediglich ordentlichen anstelle einer fristlosen Kündigung; Dauer der Übergangszeit bis zum Wirksamwerden einer bereits oder unverzüglich zum nächstmöglichen Zeitpunkt ausgesprochenen ordentlichen Kündigung; je kürzer diese ist, desto eher mag eine Vertragsfortsetzung zumutbar sein; zu vergleichen sind dabei die gesamte Vertragsdauer im Verhältnis zu der noch ausstehenden Vertragszeit bis zum nächstmöglichen Beendigungszeitpunkt; die mit einer Fortsetzung des Vertrags für die Übergangszeit verbundenen, im Zeitpunkt der Kündigung für den Kündigenden voraussehbaren Vor- und Nachteile beider Parteien einschließlich ihrer vermögensrechtlichen Folgen und eines eventuellen Schadens;85 die Auswirkungen einer fristlosen Kündigung für den Gekündigten im Vergleich zu den Folgen einer ordentlichen Kündigung; die besondere Schutzbedürftigkeit einer wirtschaftlich unterlegenen oder von der Gegenpartei wirtschaftlich abhängigen Vertragspartei, wie es besonders bei dem Einfirmenvertreter nach § 92a der Fall sein kann; die Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses im Einzelnen; die Gewährung besonderer vertraglicher Leistungen oder Rechte kann die Anforderungen an die Unzumutbarkeit ebenso herabsetzen wie die Übernahme besonderer Pflichten durch den zu Kündigenden zu erheblich strengeren Anforderungen an eine Unzumutbarkeit führen kann; Art 80 81 82 83

Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 9. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 16. Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692 (dort aus der eigenen Risikosphäre hergeleiteter Grund zur Kündigung eines HV-Vertrages abgelehnt); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 40. 84 So auch OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. 85 OLG Köln, Urt. v. 20.9.2013 – 19 U 33/13, IHR 2015, 70 = BeckRS 2014, 11577. Emde

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und Weise sowie Dauer der bisherigen Zusammenarbeit der Parteien; einen erst kurze Zeit bestehenden oder bereits vielfachen Störungen ausgesetzten Vertrag fortzusetzen kann in geringerem Maß zumutbar sein als ein langjähriges, vertrauensvoll und bislang weitgehend reibungsfrei abgewickeltes Vertragsverhältnis; die bisherigen Leistungen des zu Kündigenden, besonders sofern sie über einen längeren Zeitraum einwandfrei erbracht wurden; besondere Verdienste des zu Kündigenden um die Gegenpartei in der Vergangenheit; die Ausgestaltung der persönlichen Beziehungen der Vertragsparteien in der Vergangenheit; das Gegenüberstehen von HV und Unternehmer als selbständige Kaufleute ohne Vorliegen eines Arbeits- oder typischen Dienstverhältnisses i. S. v. § 611 BGB, weswegen von der Rechtsprechung zu § 626 BGB entwickelte Abwägungskriterien nicht ohne weiteres übernommen werden dürfen; Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Jedes dieser Kriterien ist im Einzelfall zu würdigen, wobei einzelne Kriterien nach der Natur 20 des Vertragsverhältnisses stärkere oder schwächere Bedeutung haben können.

2. Objektiver Tatbestand Es muss objektiv ein wichtiger Grund vorliegen. Dazu müssen im Zeitpunkt der Kündigungs- 21 erklärung86 objektive Tatsachen vorliegen, die eine Fortsetzung des Vertrages bis zum frühestmöglichen ordentlichen Kündigungstermin nach § 89 oder einer ggf. wirksam vereinbarten Kündigungsfrist oder Befristung ausschließen.87 Der wichtige Grund muss also tatsächlich existieren.88 Das ist der erste Prüfungsmaßstab. Zu untersuchen ist dies anhand des Verständnisses eines durchschnittlichen Marktteilnehmers unter Berücksichtigung aller tatsächlich vorliegenden Tatsachen, selbst wenn sie dem Kündigenden unbekannt sein sollten.89 Dabei sind keine engeren oder großzügigeren Maßstäbe als im Arbeitsrecht anzulegen. Was zumutbar ist bestimmt sich nach den Verhältnissen des konkreten Vertrages. Die Art der in die Abwägung einzubeziehenden Tatsachen ist irrelevant. Selbst im Falle einer Änderungskündigung mag objektiv ein wichtiger Grund vorliegen; er wird durch das Angebot zur Vertragsfortführung nicht widerlegt, sofern erst der geänderte Vertrag dessen Fortführung zumutbar macht (Beispiel: Änderung der Zahlungsbedingungen bei Insolvenz des Vertragshändlers).90 Maßgeblich ist meist ein Verhalten des Gekündigten, Musterbeispiel ist die bereits erwähnte, erhebliche Vertragsverletzung. Ebenso kommt aber auch ein Verhalten des Kündigenden91 (Paradigma: Produktionseinstellung, Betriebsaufgabe), eines Dritten92 (Einstellung der Belieferung durch den Dritten;93 falls der faktisch in das Vertragsverhältnis eingeschaltete Ehemann einer Vertragshändlerin in einer eidesstattlichen Versicherung zu einem Eilverfahren schwerwiegende Vorwürfe gegen den Geschäftsführer des Herstellers erhebt, die ein gedeihliches Zusammenwirken der Parteien nicht mehr erwarten lassen94), von Hilfspersonen der Parteien, zuvörderst aber das Verhalten der Parteien selbst in Betracht. Die Umstände brauchen noch nicht einmal aus dem Risikobereich der Parteien zu stammen.95 Wichtige Gründe sind auch objektive, von keiner Vertragspartei zu

BGH NJW-RR 2008, 1155; Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (209); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 37. BGH EBE 1999, 13 (15, 16); OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045). Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 12; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 35; BAG MDR 1997, 1130. Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 9; aA BGH LM Nr. 17 Bl. 3 R. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 13. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 11. OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1339 = EWiR 1999, 1175 (Emde). BGH, Urt. v. 30.6.1987 – KZR 7/86; BGHR BGB § 242 Kündigung – wichtiger Grund 4; BAG, Urt. v. 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, BB 1999, 1819 (zu § 626 BGB); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 5.

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beeinflussende Umstände.96 Beispiele: Zerstörung der Produktionsanlagen durch Naturgewalt, Tod einer Schlüsselperson. Hier ist aber immer die Frage der Verhältnismäßigkeit der Kündigung im Lichte der wechselseitigen Treupflichten sorgsam zu untersuchen. Regelfall ist, dass die Parteien gemeinsam versuchen, aus der Krise zu schreiten. Nicht zu fordern ist, dass ein als wichtiger Grund geltend gemachtes Verhalten des Unternehmers sich unmittelbar gegen die Person oder die wirtschaftlichen Interessen des HV richtet. Jener darf die fristlose Kündigung auch darauf stützen, dass der Unternehmer den Kunden gegenüber die Pflicht, seine Geschäfte ehrenhaft, redlich und nach den Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns zu führen, z. B. durch Hergabe von Schmiergeldern, verletzt.97

3. Bedeutung der verbleibenden Vertragsdauer 22 Umstritten ist, welche Bedeutung die Länge der noch ausstehenden Vertragsdauer, insbesondere die ordentliche Kündigungsfrist, für die Bewertung des wichtigen Grundes einnimmt. Einerseits könnte vertreten werden, dass bei Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts, einer sehr langen ordentlichen Kündigungsfrist oder einer langjährigen Befristung des Vertrages an das Vorliegen eines wichtigen Grundes besonders hohe Anforderungen zu stellen sind.98 In dem „Burger King“-Urteil des KG99 hat das KG ausgeführt, im Falle eines auf 20 Jahre fest geschlossenen Vertrages seien an das Vorliegen eines wichtigen Grundes besonders strenge Anforderungen zu stellen. Im dort vorliegenden Fall eines Zahlungsverzugs des FN habe der FG berücksichtigen müssen, dass die fristlose Kündigung die „ultima ratio“ bildet, die nur in Betracht komme, wenn nicht eine Bereinigung auf anderem Wege möglich und zumutbar sei. So sei es bei Verträgen von besonders langer Dauer dem durch die Vertragsverletzung beschwerten Partner i. d. R. zuzumuten, seinen Vertragspartner zunächst zur Erfüllung anzuhalten und seine Ansprüche – notfalls gerichtlich – geltend zu machen. Der FG müsse deshalb einen mehrwöchigen Zahlungsverzug hinnehmen. Möglich ist aber auch eine gegenteilige Beurteilung: Bei kürzerer Vertragsdauer hinnehmbare Störungen des Vertrauensverhältnisses könnten sich bei langjähriger Gebundenheit besonders störend auswirken und daher eine Kündigung wegen Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung „erst recht“ begründen.100 Wenn man sich entscheiden müsste, dürfte dieser letzten Auffassung eher zuzustimmen sein. Sie wird der Systematik der Kündigungsgründe gerecht. Es kommt immer darauf an, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist, was bei ausgedehnten Fristen eher 96 RGZ 58, 256. 97 RGZ 77, 96. 98 BGH BB 1979, 142; OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 22: 21jährige Vertragsdauer; Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 13; vgl. auch Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 11. 99 KG, Urt. v. 21.11.1997 – 5 U 5398/97, BB 1998, 607 = NJWE-WettbR 1998, 110 (nach Ansicht von Flohr ZVertriebsR 2015, 115 überholt). Als Argument auch in der Burger-King Entscheidung des OLG München, Urt. v. 14.10.2014 – 7 U 2604/13, ZVertriebsR 2015, 110 m. Anm. Flohr = BeckRS 2014, 19514 angesprochen: Es sei zwar richtig, dass Franchiseverträge üblicherweise mit einer langen Laufzeit geschlossen würden, um dem FN die Gelegenheit zu geben, seine Investitionen zu amortisieren. Auf der anderen Seite schlage nach allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsätzen die lange Restlaufzeit eines befristeten Vertrages bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Schuldverhältnisses zugunsten des Kündigenden ins Gewicht. Nach Ansicht von Waldzus BB 2016, 515 (521) rechtfertigte die befürchtete Schädigung des Markenimage die außerordentliche Kündigung. 100 OLG München, Urt. v. 14.10.2014 – 7 U 2604/13, ZVertriebsR 2015, 110 m. Anm. Flohr = BeckRS 2014, 19514 – Burger King; v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692; LG Frankfurt/M. BB 1966, 499; Flohr ZVertriebsR 2015, 115 (für Franchiseverträge); Westphal II Rn 591; ambivalent BGH v. 28.4.1957, HVR Nr. 159: einerseits müsse Kündigung bei 15jähriger Vertragsdauer leichter möglich sein. Andererseits müsse bei einer derart langfristigen Bindung ein besonders strenger Maßstab angelegt werden, weil der HV in besonderem Maße geschützt sein sollte. Emde

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weniger anzunehmen sein wird. Als Grundregel gilt daher eher: Je kürzer die verbleibende Vertragsdauer, umso höhere Anforderungen sind an den wichtigen Grund zu stellen.101 Einer Kündigung kurz vor dem ordentlichen Vertragsende haftet schnell der Geruch des Versuchs der Umgehung des Ausgleichsanspruchs (§ 89b Abs. 3 Nr. 2) an. Teilweise wird die eben genannte Regel umgekehrt, etwa bei der Kündigung von Verträgen auf Lebenszeit,102 was eigentlich inkonsequent, jedoch durch die Besonderheiten des auf langfristige Bindung angelegten Vertrages gerechtfertigt sein mag (aber § 624 BGB). Letztlich kommt es auf den Einzelfall an. Ob tatsächlich eine Unverträglichkeit beider Positionen besteht, ist daher fraglich. Wahrscheinlich erhöhen sich die Anforderungen an den wichtigen Grund bei beiden Extremen der Laufzeit, nämlich sowohl im Falle besonders langer oder kurzer Spanne bis zum nächsten ordentlichen Endigungstermin, Im erstgenannten Fall besteht eine „Dauergefahr“. Im letztgenannten Fall ist es zumutbar, bis zum ordentlichen Vertragsende zuzuwarten. Eine Vertragsauslegung kann ergeben, dass die Langfristigkeit des Vertrages auch dem Schutz des Mittlers vor außerordentlichen Kündigungen dienen soll. Dann mögen sich die für und gegen das außerordentliche Kündigungsrecht streitenden Momente bei langwieriger ordentlicher Kündigungsfrist oder langjährig unkündbarem Vertrag aufheben. Ein bis zur nächsten Möglichkeit der Vertragsbeendigung verbleibender Zeitraum von mehreren Monaten ist lang genug, um eine außerordentliche Kündigung zu gestatten.103

4. Zeitpunkt des Eintritts des wichtigen Grundes Der Zeitpunkt, zu dem der wichtige Grund objektiv eintritt, ist grundsätzlich kein rechtsrelevan- 23 ter Umstand. Es darf jedoch kein zu langer Abstand zwischen Kenntnis des Kündigungsgrundes und Kündigungserklärung liegen (Rn 55 ff.). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der wichtige Grund erst im Laufe des Vertragsverhältnisses entstanden sein muss. Auch vorvertragliche Umstände können, wenn sie später bekannt werden, vorbehaltlich der Möglichkeit einer Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung geben.104 So kann eine fristlose Kündigung etwa infolge einer Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten oder einer Täuschung bei Vertragsschluß gerechtfertigt sein. Dass eine Offenbarungspflicht des HV insoweit bestand, wird nicht vorauszusetzen sein, wie denn überhaupt Verschulden nicht wesentlich ist. Umstände indessen, die dem Kündigungswilligen bei Abschluss des Vertrages bekannt waren, hat er in Kauf genommen und kann sie jetzt nicht als wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung verwenden. Nicht erforderlich ist, dass ein Schaden für den Kündigungswilligen entstanden ist.105 Dies mag aber ein abwägungsrelevanter Umstand sein. Auf Gründe, welche nach Zugang der außerordentlichen Kündigung entstanden sind, darf die zuvor ausgesprochene Kündigung nicht gestützt werden.106 Das „Nachschieben“ von Kündigungsgründen ist jedoch unter bestimmten Bedingungen zulässig (Rn 65). Es darf jedoch eine neue Kündigung wegen dieses Grundes erklärt werden.

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S. etwa BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 7. OLG Köln, Beschl. v. 1.8.2013 – 19 W 1/13, BeckRS 2014, 02950. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 6. 105 BGH, Urt. v. 5.2.1959 – II ZR 107/57, BGHZ 29, 275 (276) = NJW 1959, 275 (276); WM 74, 350 (351); KG, Urt. v. 25.10.2002 – 7 U 240/01; OLG Nürnberg BB 1960, 596. 106 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 71; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14c. 89

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5. Subjektiver Tatbestand, insb. Verschulden 24 Subjektiv muss der Kündigende das zur Kündigung leitende Verhalten als besonders erheblich empfunden haben. Es genügt also nicht allein das objektive Vorliegen des Umstandes. Hinzukommen muss die korrespondierende persönliche, subjektive Betroffenheit, nicht anders als beim Zusammenwirken objektiver und subjektiver TB im Strafrecht. Diese Betroffenheit wird regelmäßig durch die objektiven Umstände in Zusammenhang mit ihrer Benennung als Kündigungsgrund indiziert, falls ein durchschnittlicher Marktteilnehmer sie subjektiv als erheblich empfinden würde. Weder reicht also allein der objektive TB noch der subjektive TB.107 Dem Verhalten des Kündigenden nach Kenntnis des vermeintlichen Kündigungsgrundes und seiner anschließenden Reaktion,108 zudem seinem Verhalten in vergleichbaren Fällen,109 lässt sich oft entnehmen, wie schwerwiegend er die Störung bewertet. Nimmt der Kündigungsberechtigte die Tatsachen etwa als Anlass, Vertragsänderungen durchzusetzen, wird er den Kündigungsgrund als eher weniger schwerwiegend empfunden haben.110 25 Ist der Kündigende besonders unempfindlich und hat er trotz objektiver Erheblichkeit in der Vergangenheit vergleichbare Vorkommnisse nicht zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung genommen, so ist sie auch jetzt unzulässig. Für diesen Ausnahmefall ist der Kündigungsempfänger beweispflichtig. Der Kündigende kann mithin durch seine Reaktion auf einen TB, der objektiv gesehen eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde, darauf schließen lassen, dass er selbst ihn nicht als so schwerwiegend empfindet111 (Selbstwiderlegung des wichtigen Grundes) – das kann (Auslegungsfrage!) auch dadurch zum Ausdruck kommen, indem er ordentlich kündigt bzw. diesen Grund in einer mit anderen Umständen begründeten fristlosen Kündigung nicht nennt –, oder er ihn „verziehen“ hat, d. h. daraus dem HV gegenüber keine Folgerungen mehr herleiten will und Derartiges auch zum Ausdruck gebracht hat. Auf solche Umstände kann dann eine fristlose Kündigung nicht mehr gestützt werden. Sie können höchstens noch als Illustrationsfakten zur Stützung später eingetretener Kündigungsgründe verwendet werden. Man muss also immr darauf blicken, wie der Kündigende in der Vergangenheit entschieden hat.112 Einen strengen „Grundsatz der Gleichbehandlung“ gibt es jedoch nicht.113 Der Kündigende darf seine Empfindlichkeitsschwelle auf das objektiv angemessene Maß senken, wenn es hierfür nachvollziehbare Gründe gibt – etwa Wechsel des Entscheidungsträgers beim Unternehmer, Wettbewerbssituation, Ausnutzen des Langmuts des Unternehmers. Aus der Tatsache allein, dass der Kündigende innerhalb der dafür als angemessen angesehenen Frist (Rn 55 ff.) mit dem Ausspruch der Kündigung zunächst gewartet hat, können meist auf seine innere Einstellung zu dem Geschehen keine Schlüsse gezogen werden. Denn eine gewisse Entschließungsfrist zur vorherigen Überlegung und Abklärung muss ihm zugebilligt werden (Rn 55 ff.). Es genügt die nachhaltige Erschütterung des Vertrauens in die Loyalität des anderen Teils.114

6. Verschulden des Kündigungsempfängers 26 Ein Verschulden oder eine (Mit)Verursachung des Kündigungsempfängers an der Entstehung der Umstände, die als wichtiger Grund die fristlose Kündigung rechtfertigen, ist nicht 107 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 13. 108 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. 109 Flohr ZVertriebsR 2015, 115 zu Franchiseverträgen. 110 OLG Nürnberg BB 1963, 447; Westphal II Rn 593. 111 OLG München VersR 1957, 92. 112 Flohr ZVertriebsR 2019, 12. 113 AA mglw. Flohr ZVertriebsR 2019, 12; Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (152). 114 BGH BB 1956, 136. Emde

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erforderlich. Insoweit können objektive Gegebenheiten genügen, um die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses dem Vertragspartner unzumutbar werden zu lassen. So z. B. eine nicht verschuldete Insolvenz des HV infolge von Kettenzusammenbrüchen, oder eine bei dem HV ausgebrochene geistige Erkrankung, wenn die Heilungsaussicht auf absehbare Zeit als ausgeschlossen angesehen werden darf. Der Grund kann sogar in der eigenen Sphäre des Kündigenden liegen. Doch geben „selbst geschaffene“ betriebliche Einschränkungen und Betriebsstillegungen dem Unternehmer oft keinen wichtigen Grund115 (s. Rn 72, Stichwort „Betriebseinstellung). Der Unternehmer wird sich in solchen Fällen auf eine befristete Kündigung beschränken müssen.

7. Mitverursachung/Mitverschulden des Kündigenden Da kein Verschulden gefordert ist, wird eine fristlose Kündigung selbst dann nicht notwendi- 27 gerweise ausgeschlossen, wenn den Kündigenden selbst eine Mitverantwortlichkeit116 oder Mitverschulden117 für das Entstehen des den wichtigen Grund gebenden TB trifft. Es handelt sich aber jeweils um eine Einzelfallabwägung, die im Einzelfall zu einem Ausschluss des Kündigungsrechts führen kann118: Haben beide Parteien schuldhaft die Vertragsgrundlage zerrüttet, so mag die Würdigung aller Umstände ergeben, dass der Vertragsteil, welcher die Zerrüttung überwiegend verschuldet hat, nicht wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrags fristlos kündigen darf.119 Dies gilt etwa, falls der Vertrag ohnehin in absehbarer Zeit (hier: zehn Wochen) beendet wird120 oder die Vertragsverstöße des Kündigungsempfängers nicht so gewichtig sind, dass die Fortsetzung trotz der eigenen Vertragsuntreue unzumutbar bleibt.121 Dieses Eigenverschulden ist bei den „Umständen des Einzelfalls“ und den „beiderseitigen Interessen“ sowie bei der Abwägung und Gesamtwürdigung zur Frage der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit zu berücksichtigen.122 So kann ein Kommissionsagentenvertrag nicht außerordentlich gekündigt werden, wenn Auseinandersetzungen über Forderungen des Unternehmers bestehen, die im März 2009 beginnen, der Kommissionsagent am 5.10.2009 androht, ab dem 13.7.2009 von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen und sämtliche Tätigkeiten zum Ruhen zu bringen und dann am 9.10.2009 die Kündigung ausgesprochen wird. Eine Fortsetzung des Vertrages sei dem Unternehmer insb. zuzumuten, wenn ein beauftragter Wirtschaftsprüfer vorher Indizien dafür fand, dass die Buchhaltung des Unternehmers zum Nachteil des Agenten unvollständig und der Unternehmer durch die Möglichkeit zum Rückbehalt eines Ausgleichsanspruch gesichert ist.123 Die Mitverantwortlichkeit des anderen Teils kann über § 254 BGB bei der Bemessung des Schadensersatzes nach Abs. 2 ins Gewicht fallen (dazu unten). Dass die Frage des Verschuldens für den Verlust des Ausgleichsanspruchs oder der Karenzschädigung (§ 89b Abs. 3 Ziff. 2, 90a Abs. 2 S. 2) oder für die Berechtigung des HV, sich von einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot loszusagen (§ 90a Abs. 3), eine Rolle spielt, liegt auf anderem Felde.

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OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10. BGH BB 1960, 381. Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (209/210). Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (209/210). BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek); LG Bielefeld, Urt. v. 28.1.2010 – 9 O 385/04, BeckRS 2013, 02142 (Franchisevertrag). 120 BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). 121 BGHZ 44, 275; BGH BB 1959, 541; HVR Nr. 211; WM 1992, 313; OLG Hamm HVR Nr. 878; Hopt § 89a Rn 8. 122 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (210). 123 LG Saarbrücken, Urt. v. 6.2.2013 – 7 KfH O 226/09, ZVertriebsR 2016, 10 (13). 91

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8. Verdachtskündigung 28 Nach den Grundsätzen der arbeitsrechtlichen Verdachtskündigung kann ausnahmsweise der dringende Verdacht eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung ausreichen,124 falls ihn hinreichend sichere Anhaltspunkte untermauern, der Kündigende alles ihm Mögliche und Zumutbare zur Sachaufklärung unternommen hat,125 ein Abwarten bis zur endgültigen Klärung weder möglich noch zumutbar und der zu Kündigende vor Ausspruch der Kündigung angehört worden ist.126 Die Aufklärungspflicht des Unternehmers vor Ausspruch der Kündigung hat Grenzen.127 Nicht aufgeklärte belastende Umstände hat der HV hinzunehmen,128 wenn er an der Aufklärung schuldhaft nicht mitwirkt. Auch darf außerordentlich gekündigt werden, sofern etwa die Kunden die Zusammenarbeit mit einem unter Verdacht stehenden HV oder Unternehmer verweigern.129 Das gilt auch, wenn das Vertragsverhältnis nur noch 5 ½ Monate dauert.130 Eine derart ausgesprochene Verdachtskündigung steht nicht unter der auflösenden Bedingung der Nichtbestätigung des erhobenen Vorwurfs. Allerdings muss der Kündigende den Vertrag mit dem Kündigungsempfänger – sofern möglich – wieder aufnehmen, wenn der Verdacht ausgeräumt wird. Der Gekündigte kann jedoch im Verfahren um die Aufklärung des Verdachts, etwa durch fehlende Mitwirkung bei der Aufklärung oder Schweigen, einen von der eigentlichen Verdachtskündigung unabhängigen wichtigen (ausgleichsvernichtenden – § 89b Abs. 3 Nr. 2) Kündigungsgrund setzen, mit der Folge dass auch deshalb das Vertrauen in einer zur Kündigung berechtigenden Weise entfällt.131 Beispiele: – Ein FN hat beim FG Spendensammelbehälter bestellt, jedoch keine Spenden abgeführt und äußert sich auf Nachfragen nicht zu deren Verbleib.132 – Ein Versicherer muss sich bedingungslos darauf verlassen können, dass die VV ihrer Pflicht zur ausschließlichen Wahrung der Unternehmensinteressen uneingeschränkt nachkommen. Das Erfordernis einer ungestörten Vertrauensbeziehung ist umso größer, wenn der VV Schadensregulierungsvollmacht hat. In einem solchen Fall muss der Versicherer nicht nur auf die Sachkunde und Urteilsfähigkeit des VV vertrauen können, sondern muss sich auch sicher sein können, dass der Vermittler die ihm eingeräumten Rechte und Freiheiten nicht durch ein kollusives Zusammenwirken mit dem von ihm betreuten VN oder Dritten zum Nachteil des Unternehmens missbraucht. Deshalb wiegen schon diesbezügliche Zweifel schwer. Selbst wenn der VV sich damit verteidigt, er habe aufgrund von Arbeitsüberlastung ungeprüft Rechnungen und Kostenvoranschläge zur Abrechnung eingereicht, so würde dies

124 BGHZ 29, 275 (276); BGH, Urt. v. 9.1.1967 – II ZR 226/64, BB 1967, 229; BAG, Urt. v. 7.4.1956 – 2 AZR 340/55, DB 1956, 427; v. 18.11.1999 – 2 AZR 743/98, ZIP 2000, 762 (764); OLG München, Urt. v. 16.4.2015 – 23 U 3932/2014, BeckRS 2015, 07780; OLG Köln, Urt. v. 16.4.2011 – 19 U 142/09, NJOZ 2011, 1056; LAG Berlin GmbHR 1997, 839; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.11.2009 – 2 U 76/09, MDR-Report 23/2009, R 13 = BeckRS 2009, 86480 (Franchiserecht); LG Kiel, Urt. v. 17.10.2014 – 14 O 6/14 (VV); Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 432; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 18; vgl. Becker-Schaffner DB 1987, 2148, Lücke BB 1997, 1842; BB 1998, 2259; ablehnend Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 549. 125 Ist dies nicht der Fall, scheidet eine Verdachtskündigung aus, siehe OLG Köln, Urt. v. 16.4.2011 – 19 U 142/09, NJOZ 2011, 1056. 126 BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, DB 2014, 1932; ZIP 2000, 762 (764); v. 18.9.1997 – 2 AZR 36/97, DB 1998, 136; v. 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, BB 1997, 2484; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 18; Lücke BB 1997, 1842 (1843, 1844); BB 1998, 2259. 127 OLG München, Urt. v. 16.4.2015 – 23 U 3932/2014, BeckRS 2015, 07780. 128 BGH BB 1959, 541; Hopt § 89a Rn 20. 129 BGHZ 29, 275 (276); BGH, Urt. v. 30.3.1995 – IX ZR 182/94, EBE 1995, 159 (160); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 19. 130 OLG München, Urt. v. 16.4.2015 – 23 U 3932/2014, BeckRS 2015, 07780. 131 Siehe etwa OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.11.2009 – 2 U 76/09, MDR-Report 23/2009, R 13 = BeckRS 2009, 86480 (Franchiserecht). 132 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.11.2009 – 2 U 76/09, MDR-Report 23/2009 R 13 = BeckRS 2009, 86480. Emde

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einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen. Denn dies würde bedeuten, dass der VV unzuverlässig und für die ihm anvertraute Bearbeitung von Schäden ungeeignet war.133 Der hinreichend erhärtete Verdacht, dass der HV bewusst Scheinanträge beim Unternehmer eingereicht und auf diese Weise Provisionsvorschüsse i. H. v. 59.203,62 EUR erhalten hatte, genügt für eine Kündigung aus wichtigem Grund.134

9. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf bei dem schwerwiegenden Eingriff, den die frist- 29 lose Kündigung für die andere Vertragspartei, meist den HV, darstellt, nicht unbeachtet bleiben. Das betrifft zum einen die Frage, ob dem Unternehmer nicht gleichwohl zuzumuten ist, die Lösung des Vertragsverhältnisses, wenn sie schon unausweichlich erscheint, jedenfalls bis zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin hinauszuschieben, d. h. sich auf eine befristete Kündigung zu beschränken.135 Das ist etwa bei kurzer, verbleibender Vertragsdauer der Fall.136 Ferner können die soziale Lage des HV, die Ergebnisse seines bisherigen Einsatzes, seine Bereitschaft zur Einsicht (falls ihn ein Vorwurf schwereren Grades trifft) Bedeutung gewinnen. Stellt ein Partner als Reaktion auf die Vertragsverletzung der Gegenseite lediglich in Aussicht, Nebenleistungen nicht erbringen zu wollen, kann darauf allein die fristlose Kündigung des in zehn Wochen endenden Vertrages nicht gestützt werden.137 Ist der Mittler in ein Absatzsystem einbezogen, welches nur funktionieren kann, wenn die Leistung jedes Partners flächendeckend angeboten werden, darf bei der Beurteilung der Frage, ob ein Mittler (hier: ein FN) zur fristlosen Kündigung des Vertrages berechtigt ist, nicht unberücksichtigt bleiben, dass das plötzliche Ausscheiden aus dem System zwangsläufig zu einer erheblichen Gefährdung der Grundlage des Gesamtsystems führen muss.138 Sucht der Unternehmer zielstrebig einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung, der ansonsten nicht aufgefallen wäre, ist dieses Vorgehen im Rahmen der bei jeder fristlosen Kündigung vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen und kann zur Unwirksamkeit der Kündigung leiten.139 Besteht ein HV-Vertrag zwischen mehreren Schwesterunternehmen mit identischen Geschäftsführern, so sind alle Schwesterunternehmen zur fristlosen Kündigung der von ihnen geführten Verträge berechtigt.140 Ein Versicherer darf einen VV-Vertrag außerordentlich für alle Sparten kündigen, selbst wenn der VV lediglich ein auf die Lebensversicherung begrenztes Wettbewerbsverbot verletzt.141

10. Vereinbarung eines wichtigen Grundes Den Parteien ist es unbenommen, durch Vereinbarung zu konkretisieren, was als wichtiger 30 Grund für eine fristlose Kündigung gelten soll.142 Jedoch darf durch eine Häufung oder Überdehnung solcher „Kündigungstatbestände“ nicht die zwingende Natur des § 89 über Kündi133 134 135 136 137 138 139

LG Kiel, Urt. v. 17.10.2014 – 14 O 6/14. OLG München, Urt. v. 16.4.2015 – 23 U 3932/14, BeckRS 2015, 07780. BGH VersR 1959, 887; OLG München VersR 1957, 97. BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). OLG Köln, Urt. v. 4.11.2002 – 19 U 38/02, NJW-RR 2003, 398 = EWiR 2003, 257 (v. Hoyningen-Huene): Der Unternehmer hatte mit detektivischen Mitteln einen Abrechnungsbetrug nachgewiesen. Bei guter geschäftlicher Zusammenarbeit wäre keine Prüfung der Abrechnung erfolgt und das Vertrauensverhältnis nicht zerstört worden. 140 OLG Bremen, Urt. v. 30.3.2006 – 2 U 115/05, OLGR 2006, 489. 141 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15.10.2003 – 1 U 159/03, VersR 2005, 940. Die Kündigung führt gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 zum Verlust des Ausgleichsanspruchs. 142 LG München I, Urt. v. 20.10.2014 – 10 HKO 7132/14. 93

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gungsfristen ausgeschaltet werden143 (Im Einzelnen Rn 24, 71 ff.). Immer müssen die festgesetzten Kündigungsgründe bei objektiver Würdigung als „wichtige“ anerkannt werden können.144 Das führt dazu, dass der Vereinbarung wichtiger Gründe zwar bei Verhandlungsparität (aber nur dann!) Anhaltspunkte entnommen werden können, was die Parteien als wichtigen Grund ansahen, jedoch nicht mehr. In der Praxis sind solche Auslegungsmaßstäbe weitgehend unbehelflich, weil immer ein wichtiger Grund vorliegen muss. Das gilt gerade, wenn sie – wie bei AGB – nicht das Verhandlungsergebnis sondern nur die Vorstellungen des Unternehmers wiedergeben. Deshalb wird teilweise von einer solchen Aufzählung abgeraten.145 Strittig ist, ob bei Vorliegen eines vertraglich vereinbarten wichtigen Grundes im Einzelfall 31 noch eine Interessenabwägung stattzufinden hat oder die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung in diesem Fall ohne eine solche Interessenabwägung feststeht (dazu Rn 71 ff. betreffend die Unabdingbarkeit).

11. Durchgriff 32 Je nach Sachverhaltsgestaltung kann auch das Fehlverhalten einer Person auch einem verbundenen Unternehmen, etwa einer Tochter- oder Muttergesellschaft, zugerechnet werden. Der zur Kündigung berechtigte Unternehmer kann etwa das Vertragsverhältnis einer 100 %igen Tochtergesellschaft des Unternehmers mit dem HV kündigen.146 All dies ist keine Frage des gesellschaftsrechtlichen Durchgriffes. Es ist vielmehr Ausdruck des Umstandes, dass Vertrauen unteilbar ist und auch gesellschaftsrechtliche Grenzen überwindet.

12. Kasuistik 33 Jeder Fall ist für sich zu betrachten.147 Eine schematische Übertragung verbietet sich bereits deshalb, weil es jeweils auf die subjektive Betroffenheit und die Verhältnismäßigkeitserwägungen des Einzelfalls ankommt. Zu beachten ist stets, dass es weniger auf tatsächliche Schädigungen als darauf ankommt, ob für den Kündigenden aus dem Standpunkt vernünftigen, branchenüblichen Ermessens148 betrachtet die Befürchtung gerechtfertigt erscheinen musste, dass seine Belange gefährdet seien.149 Deshalb kann Versuch wie Vollendung Anlass einer außerordentlichen Kündigung sein. „Ja“ bedeutet: Kündigung nach § 89a zulässig, „Nein“: Kündigung nach § 89a unzulässig: – Unbegründete Ablehnung von Aufträgen: Ja für den HV, jedenfalls bei wiederholter Ablehnung. Der Unternehmer ist grds. nicht verpflichtet, jedes vom HV vermittelte Geschäft abzuschließen (unternehmerische Dispositionsfreiheit).150 Der Unternehmer darf Aufträge ablehnen, ohne dass der HV deshalb außerordentlich kündigen dürfte, sofern der Unternehmer die Grenzen seiner Dispositionsfreiheit nicht überschreitet, insb. nicht willkürlich handelt oder sachliche Gründe für die Ablehnung besitzt. Wiederholte Ablehnung ohne

143 Möller EWiR 2011, 220; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 12. 144 OLG München BB 1956, 20; LG München I, Urt. v. 20.10.2014 – 10 HKO 7132/14; Flohr/Liesegang ZVertriebsR 2018, 351 (352); Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (149) – zum Franchisevertrag. 145 Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (149) – zum Franchisevertrag. 146 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 29. 147 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 38. 148 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (210). 149 RGZ 148, 57; BGH DB 1956, 136; Urt. v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, NJW-RR 1992, 481 (482); MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 53. 150 BGH, Urt. v. 17.10.1960, BB 1960, 1221 = DB 1960, 1359; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 249; vgl. auch Steindorff ZHR 67, 82; Schröder DB 1958, 43 (47). Emde

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ersichtlichen Grund oder mit Willkür berechtigen jedoch zur außerordentlichen Kündigung;151 Ablehnung von Bestellungen durch den Hersteller bei Vertragshändlertätigkeit: Ein Kündigungsrecht besteht, wenn die Ablehnung ohne vertretbaren Grund erfolgt.152 Auch die sachlich gebotene wiederholte Ablehnung von Bestellungen kann den Händler zur außerordentlichen Kündigung berechtigen, falls sie ein wirtschaftlich existenzgefährdendes Ausmaß erreicht;153 wiederholte unberechtigte Abmahnungen: Ja. Denn im Ausnahmefall kann eine unberechtigte Abmahnung einen wichtigen Grund zur Kündigung geben.154 Das dürfte aber nur für Extremfälle gelten; abträglicher böser Schein: U. U. können erhebliche strafrechtliche Vorwürfe, selbst wenn sie nicht beweisbar sind, aber in der Kundschaft ein nicht ausräumbares Mißtrauen gegen die Integrität des HV geweckt haben, einen Grund zur fristlosen Kündigung abgeben; überhaupt ein kompromittierendes Strafverfahren, auch sofern es mit Außerverfolgungssetzung geendet hat;155 ebenso der Anschein eines Wettbewerbsverstoßes;156 Verweigerung der Abrechnung nach § 87c Abs. 1: Ja für den HV, ebenso die ständige falsche oder unverständliche Abrechnung,157 nicht jedoch eine nur gelegentlich vorkommende verspätete Abrechnung oder eine auf Irrtum beruhende Falschbuchung158 – Abmahnung erforderlich; Absatzstockung: Die die Existenz bedrohende Absatzstockung: Ja,159 gleichfalls eine wiederholte Absatzstockung, es sei denn, sie ist nur vorübergehender Natur oder beruht auf saisonbedingten Gründen;160 Abschiedsschreiben: Ein vor Vertragsende abgesandtes geschäftsschädigendes Abschiedsschreiben des HV mit dem Logo des bisherigen Unternehmers kann einen Grund zur außerordentlichen Kündigung, ein nach Vertragsende abgesandtes Anlass zur Herabsetzung der Ausgleichsvergütung unter Billigkeitsgesichtspunkten oder zum Ausgleichsauschluss analog § 89b Abs. 3 Nr. 2 geben. Es handelt sich um eine Frage des Einzelfalls. Wenn das Schreiben sachlich gefasst wurde und keinen falschen Eindruck hinterlässt, ist es uU nicht zu beanstanden;161 Abwerben von Kunden: Wirbt der Unternehmer Kunden des HV ab und veranlasst er sie, bei ihm nicht provisionspflichtige Direktgeschäfte zu schließen, gibt dies dem HV einen wichtigen Kündigungsgrund.162 Der HV darf Kunden des Unternehmers nicht abwerben, sofern der Vertrag nach wie vor besteht, auch dann nicht, wenn der Unternehmer den Vertrag unwirksam außerordentlich gekündigt hat und er deshalb fortgesetzt wird;163 Verstoß deshalb: Ja.

Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 250; Hopt § 87 Rn 10. BGH BB 1972, 193; Martinek/van der Moolen Handbuch des Vertriebsrechts3 § 23 Rn 44; Westphal II Rn 625. Westphal II Rn 625. Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (151) – Franchiserecht. OLG Hamburg JR 1927, Nr. 1108 hinsichtlich des Besitzers aller Geschäftsanteile der GmbH, der die Vertretung übertragen war; vgl. auch RG SeuffA 80, 210 Nr. 118 betr. unberechtigte Angriffe. 156 BGH, Urt. v. 20.1.1969 – VII ZR 60/66, VersR 1969, 372 (373); OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. 157 BGH, Urt. v. 13.12.1995 – VII ZR 61/95, BB 1996, 235; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 53. 158 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 251; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 11. 159 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 253. 160 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 253; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10. 161 BGH, Urt. v. 30.10.1962, WRP 1963, 50 (52); OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.3.1986, VW 1986, 690; Küstner/Thume/ Schröder I5 Kap. X Rn 36. 162 BGH, Urt. v. 11.6.1959 – II ZR 106/57, BB 1959, 720 = MDR 1959, 911; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 254; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 54. 163 Das RG hielt das Verhalten des HV für gerechtfertigt, weil er Gefahr laufe, den Verdienst in der Zwischenzeit zu verlieren (RG, Urt. v. 22.2.1916, RGZ 88, 127).

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Die Abwerbung von Stammkunden eines Tankstellenvertreters durch die Mineralölgesellschaft begründet kann gleichfalls ein außerordentliches Kündigungsrecht geben;164 Abwerbung von Mitarbeitern des Unternehmers durch HV: Ja, weil Verletzung der Treupflichten des HV-Vertrages. Die Wertung des § 75f ist bedeutungslos;165 Abwerbung von Mitarbeitern oder Untervertretern: Die Abwerbung eines Untervertreters166 oder Mitarbeiters167 des HV durch den Unternehmer widerspricht der Treupflicht und gibt ein außerordentliches Kündigungsrecht. Gleiches gilt, wenn ein angestellter Bezirksdirektor eines Versicherers einem Generalvertreter dessen Untervertreter ausspannt;168 Abwerbung anderer Vertriebsmittler durch den HV: Ja.169 Der HV muss wegen seiner Interessenwahrungspflicht jede Schädigung des Unternehmers vermeiden;170 Agenturkonto, Negativsaldo: Nein gegenüber einem Tankstellen-HV, wenn das Negativsaldo des Agenturkontos daraus resultiert, dass ein Mineralölunternehmen das Konto auch mit Umsätzen belastet, welche der Pächter auf Grund von Stationskrediten (noch) nicht vereinnahmt hat;171 Aktivität des HV: Vertriebstätigkeit „mit wenig Nachdruck“: u. U. Ja;172 Alleinvertretung: Zum Begriff s. Kommentierung zu § 84. Verletzung des Alleinvertretungsrechts: Ja;173 Alter des HV: Fortgeschrittenes Alter des HV: als solches: Nein,174 jedoch das atypische Absinken der Leistungskraft und das Nachlassen der Vertriebsbemühung, jedenfalls wenn es so plötzlich erfolgt, dass eine Fortsetzung des HV-Vertrags bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wird oder besonders lange Kündigungsfristen vereinbart wurden.175 Kein Ausgleichsausschluss gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2., da den HV an seinem Alter kein Verschulden trifft; den HV schädigende Änderungen im Geschäftsbetrieb des Unternehmers; u. U. Ja; Auflösung einer HV-Gesellschaft: Grds. Nein. Vom HV wird Vertragstreue erwartet (er darf daher nicht kündigen), für den Unternehmer mag je nach Situation ein Kündigungsrecht

164 BGH, Urt. v. 11.6.1959, BB 1959, 720 = MDR 1959, 911 – im konkreten Fall wegen fehlender Zurechnung und fehlenden Organisationsverschuldens verneint; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 264. 165 Schloßer BB 2003, 1386. 166 BGH, Urt. v. 18.6.1964, BGHZ 42, 59 = BB 1964, 823 mit Anm. v. Brunn DB 1964, 1841 (allerdings ohne Diskussion des Kündigungsrechts); OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.1957, HVR Nr. 151; LG Siegen, Urt. v. 16.3.1961, HVR Nr. 238; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 259; Westphal II Rn 626; aA BGH, Urt. v. 11.12.1981, BB 1982, 724 = WM 1982, 535 im Einzelfall für die Kündigung des Unternehmers. 167 BGH, Urt. v. 18.6.1964 – VIII ZR 254/62, BGHZ 42, 59; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.1957 – 8 U 49/57, HVR Nr. 151; OLG München, Urt. v. 31.10.1957, HVR Nr. 167 = MDR 1958, 105; LG Siegen, Urt. v. 16.3.1961 – 3 O 9/61, HVR Nr. 238; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 275. 168 OLG München, Urt. v. 31.7.1957, BB 1958, 247 = MDR 1958, 105. 169 BGH, Urt. v. 18.6.1964 – VII ZR 254/62, VersR 1964, 768 m. Anm. v. Brunn DB 1964, 1841; v. 11.3.1977 – I ZR 146/ 75, WM 1977, 640; v. 11.12.1981 – I ZR 139/79, BB 1982, 1626; LG Gießen, Urt. v. 31.8.2001 – 8 O 78/99; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 44, 54. 170 BGH, Urt. v. 11.3.1977 – I ZR 146/75, BB 1977, 1170 = DB 1977, 1046; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 258. 171 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, DB 2007, 1355. 172 BGH, Urt. v. 7.3.1957, BB 1957, 413; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 390. 173 BGH WM 1974, 350; Urt. v. 21.3.1975 – I ZR 141/74, WM 1975, 856 (857); v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, NJWRR 1993, 678; OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.6.1972, HVR Nr. 468; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 265; Flohr/ Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 44; Hopt § 87 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 54. 174 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; Küstner/Thume/ Riemer I5 Kap. VIII Rn 266. 175 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 266. Emde

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begründet sein176 (HV im Liquidationsstadium u. U. unzumutbar,177 sofern für den Kunden sichtbar178 oder falls andere Nachteile zu erwarten sind); Aufrechnung: Die Aufrechnung mit Kundengeldern gegen streitige Provisionen: Ja;179 Aufsichtspflicht: Verletzung der Aufsichtspflicht über Angestellte oder Untervertreter durch HV: Ja;180 Ausgliederung aus HV-Unternehmen: meist Nein, es sei denn, es fehlt an der wirtschaftlich-faktischen Kontiunität des Unternehmens oder die Ausgliederung ist aus anderem Grunde unzumutbar (s. zu § 613 BGB d. Kommentierung zu Vor § 84).181 Der BGH182 (zum Verwalter einer Wohnungseigentumsanlage) betont, die Verschmelzung selbst begründe kein Kündigungsrecht. Es seien aber keine hohen Anforderungen an ein Kündigungsrecht zu stellen und es genüge, dass die Betroffenen mit konkreten, nicht ganz unerheblichen, nachteiligen Änderungen rechnen müssten. Sie sollen fehlen, falls die Betreuung im Wesentlichen unverändert bleibt;183 Ausscheiden des Geschäftsführers einer HV-GmbH: Ja, wenn Schlüsselperson;184 Auswechseln einer Vertragspartei ohne Einwilligung der anderen Vertragspartei, Ja;185 Ausweitung des Geschäftsfeldes eines Unternehmers: Ja, etwa infolge der Ausweitung der dem HV zum Vertrieb gegebenen Vertragswaren des Unternehmers auf solche, welche der HV bereits in zulässiger Weise für einen anderen Unternehmer vertritt oder Entwicklung eines vom HV erlaubtermaßen vertretenen Zweitunternehmers zu einem Konkurrenten,186 und zwar jedenfalls gegenüber dem ausweitenden Unternehmer, soweit eine Vertragsanpassung ausscheidet.187 Die Kündigung gegenüber dem ausweitenden Unternehmer erfolgt ausgleichserhaltend;188 Leichtfertiges Äußern strafrechtlich relevanter Vorwürfe über einen wichtigen Kunden des Unternehmers: Ja;189 Arbeitsunfähigkeit: Die Arbeitsunfähigkeit des HV stellt u. U. einen wichtigen Grund dar (bei hinreichender Länge, s. a. „Alter“), mglw. auch die fehlende Mitteilung dieses Umstands an den Unternehmer;190 außerdienstliches Verhalten: Ja, wenn es Vertragsfortführung unzumutbar macht;191 äußeres Erscheinungsbild des HV: Ja,192 je nach Umständen und ob vor Vertragsschluss bekannt und akzeptiert;

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Emde GmbHR 1999, 1005 (1016). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 55. Die bloße HR-Eintragung der Liquidation ist wohl nicht ausreichend. OLG Hamm, Urt. v. 12.8.1993 – 18 W 23/93, NJW-RR 1994, 159; v. 9.10.1952 – 7 O 96/52, VersR 1953, 181; Küstner/ Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 271; aA LG Köln, Urt. v. 13.5.1932, HVR Nr. 34. 180 OLG Celle, Urt. v. 9.5.1958, BB 1958, 894 m. Anm. v. Lüpke zur Verwaltung eines Kommissionslagers; Küstner/ Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 273; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 5. 181 Seulen/Berjasevic EWiR 2015, 693 (694); Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1331 f.). 182 BGH, Urt. v. 21.2.2014 – V ZR 164/13, DB 2014, 825 Rn 28. 183 BGH, Urt. v. 21.2.2014 – V ZR 164/13, DB 2014, 825 Rn 28 zum Verwalter einer Wohnungseigentumsanlage. 184 Emde GmbHR 1999, 1005 (1016). 185 Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (150) – Franchiserecht. 186 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 65; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 34. 187 BGH, Urt. v. 6.11.1986 – I ZR 51/85, EBE 1987, 48; v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, WM 1983, 1416; LG Frankfurt/M. DB 1966, 499; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 65; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 36, 58. 188 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 65. 189 OLG Köln, Urt. v. 4.7.2001 – 19 U 16/01, VersR 2002, 482. 190 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 268; aA KG, Urt. v. 15.12.1970, HVR Nr. 433. 191 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74. 192 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74. 97

Emde

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Anzeige eines Haftpflichtschadens durch HV ohne Kenntnis und Auftrag des VN: Nein, wenn telefonische Rücksprache mit dem zuständigen Gruppenleiter der Versicherung erfolgte und eine derartige Handhabung von dem Versicherer jahrelang ohne Beanstandung hingenommen wurde;193 Fehlende Berücksichtigung der Belange des HV durch Unternehmer: Ja;194 erhebliche Beleidigungen des Unternehmers durch den HV im persönlichen oder schriftlichen Verkehr: Ja.195 Doch kommt es darauf an, ob die Beleidigung mit Vorbedacht erfolgt ist196 und nicht etwa Ausdruck starker Erregung war;197 auch genügen nicht bloße Unhöflichkeiten oder Unziemlichkeiten.198 Beleidigungen gegen leitende Angestellte sind solchen gegen die Person des Unternehmers gleichzustellen.199 Die Beleidigung bildet einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung, wenn die Vertragsfortführung dadurch unzumutbar wird.200 Mglw. Rechtfertigung durch § 193 BGB201 und Abmahnerfordernis;202 Belieferung des Graumarktes bei bestehendem selektiven Vertrieb: Ja;203 Berichtspflicht: Eine schwerwiegende Verletzung der Berichtspflicht: Ja,204 aber nicht bei bloßer Nachlässigkeit205 oder bei bloßer Verweigerung der geforderten Form.206 Erforderlich ist ein Mangel an Informationen; anhaltende Berufsunfähigkeit des HV: Ja, insb. sofern entweder eine Vertretung durch Personal oder Untervertreter unmöglich ist (aber Frage der Zumutbarkeit für den Unternehmer je nach rechtstatsächlichem Zuschnitt des HV-Unternehmens), oder eine solche Vertretung vom HV abgelehnt wird. Dieser Grund wird als wichtiger namentlich bei langfristigen Verträgen in Betracht kommen.207 Ausgleichsschädlich kann die Kündigung sein, wenn der HV schuldhaft den Vertrieb vernachlässigt, etwa für keinen Ersatz sorgt oder selbst kündigt;208 falsche Beschuldigungen: Ja;209

193 OLG Köln, Urt. v. 20.7.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241. 194 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74. 195 RG WarnRspr. 1908, Nr. 332, JW 1919, 50410; BGH, Urt. v. 9.7.1959 – II ZR 48/58, VersR 1959, 887; v. 21.1.1993 – I ZR 23/91, MDR 1993, 521 (522); OLG Stuttgart, Urt. v. 29.4.2008 – 10 U 233/07, OLGR 2008, 834 = BB 2008, 1954 = VersR 2009, 218 (dort wegen fehlender Abmahnung kein Kündigungsgrund); OLG Hamburg OLGE 7, 386; OLG Dresden OLGE 8, 389; OLG Dresden OLGE 1904, 389; OLG Celle BB 1963, 711; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 45. Vgl. auch RAG 17, 68. 196 OLG Hamburg DB 1960, 1451. 197 BGH VersR 1959, 887. 198 OLG Stuttgart BB 1960, 956. 199 BGH, Urt. v. 21.1.1993 – I ZR 23/91, NJW-RR 1993, 740; v. 9.7.1959, VersR 1959, 887; OLG Stuttgart BB 1960, 956; OLG Dresden, Urt. v. 29.2.1904, OLGR 8, 389; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 278. 200 RG, Urt. v. 22.1.1919, JW 1919, 504 m. Anm. Titze; v. 11.2.1908, WarnRspr. 1 (1907/08), S. 244 Nr. 332; v. 12.12.1924, JW 1925, 945 m. Anm. Titze; OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956; OLG Hamburg, Urt. v. 13.5.1960, BB 1960, 1300 = DB 1960, 1451; LG Traunstein, Urt. v. 7.4.1982, HKO 664/82, n. v.; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 278. 201 OLG Celle, Urt. v. 7.1.1971, HVR Nr. 436; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 281. 202 OLG Stuttgart, Urt. v. 29.4.2008 – 10 U 233/07, OLGR 2008, 834 = BB 2008, 1954 = VersR 2009, 218. 203 Niebling MDR 1998, 1132. 204 BGH, Urt. v. 24.9.1987 – I ZR 243/85, NJW-RR 1988, 287; OLG Oldenburg DB 1964, 105; OLG Köln, Urt. v. 3.3.1971, BB 1971, 543 = DB 1971, 865; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 35, 36. 205 BGH, Urt. v. 24.9.1987, BB 1988, 12 = MDR 1988, 286 = NJW-RR 1988, 287 = EWiR 1986, 381 (Ostermann). 206 BGH, Urt. v. 24.9.1987, BB 1988, 12 = MDR 1988, 286 = NJW-RR 1988, 287 = EWiR 1986, 381 (Ostermann). 207 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 288. 208 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 288. 209 BGH WM 1983, 820. Emde

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Beschwerden von Kunden: Beschwerden von Kunden allein bilden regelmäßig keinen wichtigen Grund, nur der dahinter stehende Sachverhalt, wenn er eine Vertragsverletzung des HV offenbart;210 Bestandsübertragung, Bestandswegnahme: Unabhängig von der Frage, ob der Versicherer – ggf. aufgrund eines entsprechenden Vorbehalts im Vertrag – zu einer Bestandswegnahme berechtigt ist, kann diese nach Abmahnung eine außerordentliche und ausgleichserhaltende Kündigung des HV rechtfertigen, falls sich die wirtschaftlichen Konditionen nachteilig verschlechtern, insb. falls der HV in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät.211 Jedenfalls der Entzug des kompletten Bestandes stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar. Wenn bereits die unberechtigte Beschneidung des Bezirks eine erhebliche Vertragsverletzung darstellt,212 so stellt erst recht der Entzug des gesamten Bestandes eine solche Verletzung dar;213 Bestechungsgelder: Annahme von Bestechungsgeldern durch den HV: Ja,214 es sei denn, es handelt sich um Gelegenheitsgeschenke;215 Besuchsberichte, Fehlen: Ja;216 Betriebseinstellung des HV: Ja;217 Betriebseinstellung: Wegen des Grundsätze der Vertragstreue und dass selbstverursachte Umstände nicht zur Kündigung berechtigen,218 kann eine Betriebseinstellung des Unternehmers dem Unternehmer nur im Einzelfall einen wichtigen Kündigungsgrund geben.219 Anders als etwa bei einem Lagervertrag, bei dem selbst die Kündigung zur Vermeidung der Insolvenz220 unzulässig sein kann, gelten im Vertriebsrecht großzügigere Maßstäbe: Hier bestehe ein über gewöhnliche Austauschverträge hinausgehendes, regelmäßig besonders enges Vertrauensverhältnis zwischen Unternehmer und HV sowie eine besonders enge Bindung des HV an den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmers. Der wirtschaftliche Niedergang des Unternehmers liege daher als Kehrseite der Beteiligung des HV an dessen wirtschaftlichem Erfolg nicht nur in der Risikosphäre des Unternehmens, sondern auch in der des mit ihm vertraglich verbundenen HV.221 Nach diesen Maßstäben kann eine Kündigung etwa zulässig sein, wenn die Maßnahme für den Unternehmer unvermeidlich ist und aus vernünftigen222 wirtschaftlichen Gründen und nicht willkürlich erfolgt223 und nach objekti-

210 RGZ 148, 48; BGH, Urt. v. 16.3.1972, VersR 1972, 534 = WM 1971, 561; OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956: Kundenbeschwerden können die Interessen des Unternehmers schädigen; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 290; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41. 211 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 291. 212 BGH, Urt. v. 16.3.1972, VersR 1972, 534 = WM 1971, 561. 213 AG Köln, Urt. v. 21.10.2015 – 118 C 136/15, BeckRS 2015, 20414. 214 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 395. 215 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 44. 216 BGH, Urt. v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, ZIP 1990, 1197 (1198, 1199). 217 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 38. 218 Dieser Grundsatz soll auch im HV-Recht gelten, s. OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692. 219 Siehe Ende NJW 1999, 326 (329); Befürwortet von RAG, Urt. v. 13.12.1911, JW 1912, 250; DIS-Schiedsgericht, Schiedsspruch v. 17.1.1997 – SIS-SV-B 627/96, BB-Beil. 11/1999, 15 – Vertragshändlervertrag (wohl zu großzügig); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 51; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume § 89a Rn 17; s. a. Ebenroth/ Löwisch3 § 89a Rn 74; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 292 (mglw. auch Beendigung des Vertrages ipso iure gem. § 275 BGB, da der HV unverschuldet an seiner Tätigkeit verhindert werde). 220 BGH, Urt. v. 7.10.2004 – I ZR 18/02, NJW 2005, 1360 = ZIP 2005, 534. 221 BGH, Urt. v. 7.10.2004 – I ZR 18/02, NJW 2005, 1360 (1362) = ZIP 2005, 534; ablehnend nach den Besonderheiten des Einzelfalls OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692. Tendenziell aA (Kündigung unzulässig) BGH, Urt. v. 30.1.1986 – I ZR 185/83, NJW 1986, 1931. 222 OLG Hamm, Urt. v. 31.1.1997 – 35 U 33/96, OLGR 1997, 215; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 293; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume § 89a Rn 17. 223 LG Hamburg, Urt. v. 3.12.1952, HVuHM 1953, 236; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 293. 99

Emde

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vem Maßstab die Unmöglichkeit eines lohnenden Weiterbetriebs feststeht.224 Gedacht wird vor allem an Fälle der Änderung des wirtschaftlichen Umfeldes ohne Verantwortung des Unternehmers,225 wobei nur ganz ausnahmsweise in anderen Fällen ein Kündigungsrecht gegeben sein mag.226 Deshalb kann vor allem der vom Unternehmer nicht verursachte wirtschaftliche Niedergang seines Betriebs ihn, je nach den Umständen des Einzelfalls, zur außerordentlichen Kündigung eines HV-Vertrags berechtigen,227 angeblich auch schon die Verfehlung der vom Unternehmer „geplanten“ Kapitalrenditen.228 Der Unternehmer muss seinen Betrieb nicht deshalb mit Verlust fortsetzen, um dem HV einen laufenden Verdienst zu sichern.229 Dass schon rote Zahlen geschrieben werden, ist für die Kündigung nicht notwendig; sich abzeichnende Verluste sollen genügen.230 Die wenige Monate nach Vertragsschluss ausgesprochene außerordentliche Kündigung eines auf 10 Jahre fest abgeschlossenen HV-Vertrages über den Vertrieb von Mobilfunkleistungen, der dazu dienen sollte, einen Kundenstamm zu erwerben und Vertriebs- und Servicestrukturen für die spätere Einführung der UMTS-Technologie zu etablieren, ist jedoch nach der Interessenabwägung des Einzelfalls unwirksam.231 Auf die Geschäftslage der Konzernmutter kommt es grundsätzlich nicht an (kein Konzerndurchgriff).232 Es kann aber eine Auslauffrist gefordert sein;233 eine solche von 3,234 6235 bis 12 Monaten kann unter Umständen angemessen sein. Unterlässt der Unternehmer die rechtzeitige Mitteilung der geplanten Maßnahme,236 kann sich hieraus für den HV ein Grund zur außerordentlichen Kündigung ergeben und der Unternehmer zum Schadenersatz verpflichtet sein.237 Stellt der Unternehmer den Betrieb ein, darf auch der HV den Vertrag kündigen.238 Eine Betriebseinstellung aufgrund hoher Verluste soll dann keine fristlose Kündigung durch den Unternehmer rechtfertigen, wenn die Notwendigkeit dieser Einstellung lange vorhersehbar war.239 Der von der Betriebseinstellung betroffenen Gegenseite kann die Betriebseinstellung der anderen Partei ein Kündigungsrecht geben;

Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 293. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 293; Hopt § 89a Rn 21; Oetker/Busche6 § 89a Rn 21. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 293; Hopt § 89a Rn 21 halten es immer für ausgeschlossen. BGH, Urt. v. 20.2.1958 – II ZR 20/57, BB 1958, 894 = VersR 1958, 243 (244 f.) – der BGH verwies zur Prüfung dieser Frage an das OLG zurück. 228 So DIS-Schiedsgericht, Schiedsspruch v. 17.1.1997 – SIS-SV-B 627/96, BB-Beil. 11/1999, 15 – Vertragshändlervertrag (wohl zu großzügig). Aber im weiteren Verlauf der Entscheidung wird wieder auf „Unrentabilität“ abgestellt. 229 BGH, Urt. v. 20.2.1958 – II ZR 20/57, BB 1958, 894 = VersR 1958, 243 (244 f.); RG, Urt. v. 13.12.1911, WarnRspr. 1912 Nr. 121 mit weiterem Nachweis aus der älteren Rspr.; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 42; Hopt § 89a Rn 21; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 293 f. 230 Hopt § 89a Rn 21; Oetker/Busche6 § 89a Rn 21 – unter Beschränkung auf den vom Unternehmer nicht verursachten wirtschaftlichen Niedergang. 231 OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692. 232 DIS-Schiedsgericht, Schiedsspruch v. 17.1.1997 – SIS-SV-B 627/96, BB-Beil. 11/1999, 15 – Vertragshändlervertrag; Hopt § 89a Rn 21; Oetker/Busche6 § 89a Rn 21. 233 Ende NJW 1999, 326 (329); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 42; Hopt § 89a Rn 21; Oetker/ Busche6 § 89a Rn 21. 234 Nach den Verhältnissen des Einzelfalls s. Ende NJW 1999, 326 (330). 235 OLG Hamm NJW-RR 1988, 551; DIS-Schiedsgericht, Schiedsspruch v. 17.1.1997 – SIS-SV-B 627/96, BB Beil. 11/ 1999, 17 – Vertragshändlervertrag; Hopt § 89a Rn 21. 236 RAG, Urt. v. 16.5.1931, ARS 12, 274 (276); vgl. auch BGH, Urt. v. 7.2.1974, BB 1974, 434 = NJW 1974, 795. 237 BGH, Urt. v. 7.2.1974, BB 1974, 434; RAG, Urt. v. 16.5.1931, ARS 12, 275; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 295. 238 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 292; vgl. auch RG, Urt. v. 13.12.1911, JW 1912, 250. 239 BGH NJW 1986, 1931; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 42; Oetker/Busche6 § 89a Rn 21; Hopt § 89a Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 51.

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Betriebsführungspflicht, Verletzung: Ja. Eröffnet ein FN entgegen einer übernommenen Betriebsführungspflicht seinen Betrieb nicht oder hält er ihn nicht geöffnet, berechtigt dies zur außerordentlichen Kündigung;240 Betriebsumgestaltung: Nein, sofern nicht willkürlich sondern aus sachlichen Gründen.241 Für die Ankündigungsfrist kommt es darauf an, wie lange die nötigen Dispositionsmaßnahmen vorhersehbar waren. Bei langer Vorhersehbarkeit ist ggf. ein Abwarten bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar;242 Betriebsveräußerung: Im Falle eines Share-Deals hat die Betriebsveräußerung keine Auswirkung auf den Vertrag. Regelmäßig ist mit ordentlicher Kündigungsfrist zu kündigen;243 Beurkundungsanspruch nach § 85: Nichterfüllung: Ja;244 Bezirksverkleinerung: Ja,245 insb. wenn sie einer verbotenen Teilkündigung gleichkommt (dazu s. Kommentierung zu § 89). Dies gilt etwa, falls das Existenzminimum nicht gesichert ist; Brexit: Regelmäßig Nein.246 Zuvor wäre an eine Vertragsauslegung und eine Anpassung nach § 313 BGB zu denken;247 Forderung nach Buchauszug: Nein;248 Verweigerung des Buchauszuges durch den Unternehmer: Ja,249 aber nur nach Abmahnung; Mangelnde Bezirksbetreuung: Verletzung der Pflicht des Bezirksvertreters zur laufenden Pflege des Bezirks und zum laufenden Besuch der dortigen Interessenten: Ja.250 Der Unternehmer darf dabei die Weisung erteilen, die Endabnehmer zu besuchen (Abmahnung erforderlich251); Bonitätsprüfungspflicht: Verletzung der Bonitätsprüfungspflicht: Ja, insb. wenn in Kenntnis der ungünstigen Bonität weitere Geschäfte vermittelt werden;252 Branchenkenntnisse/Sachkunde: Täuschung über die Sachkunde (hier: Apotheker) des HV: Ja;253 Brandverursachung durch HV: Ja;254 Franchisegebühren, Nichtzahlung: Ja. Es bedarf allerdings einer gewissen Nachhaltigkeit der Nichtzahlung,255 wobei in Anlehnung an das Mietrecht zumindest die Nichtzahlung von zwei Monatsfranchisegebühren genügend sein dürfte;

240 241 242 243 244 245

Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 535. RAG, Urt. v. 16.5.1931, ARS 12, 274 (275); BGH, Urt. v. 9.11.1967, BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394. BGH, Urt. v. 30.1.1986 – I ZR 185/83; BB 1986, 1317 = HVR Nr. 615; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 297. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 298. OLG München, Urt. v. 8.5.1956, VersR 1975, 97; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 299. BGH, Urt. v. 28.1.1971 – VII ZR 95/69, WM 1971, 561 (563); OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.1955, HVR Nr. 77; OLG Celle, Urt. v. 8.10.1958; HVR Nr. 217; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 301; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 55. 246 Emde ZVertriebsR 2018, 77. 247 Emde ZVertriebsR 2018, 77. 248 BGH, Urt. v. 3.8.2017 – VII ZR 32/17, DB 2017, 2151 Rn 24. 249 OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.7.2017 – 9 U 9/15. 250 OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). 251 OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). 252 OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.3.1969, DB 1969, 741; LG Bonn, Urt. v. 28.10.1953, HVR Nr. 60; LG Heidelberg, Urt. v. 30.6.1955, BB 1955, 942 mit Anm. Hörstel; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10a; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 305. 253 OLG Hamburg, Urt. v. 13.5.1960, BB 1960, 1300; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 306; aA BGH, Urt. v. 22.4.1952, HVR Nr. 27: Es komme nicht auf die spezielle Branchenkenntnisse, sondern auf die besondere Verkaufskunst des HV an. 254 OLG Köln, Urt. v. 2.3.2001 – 19 U 170/00, VersR 2001, 1234. 255 BGH, Urt. 20.5.2003 – KZR 19/02, ZIP 2003, 2030 (2034); KG, Urt. v. 21.11.1997, BB 1998, 607 ff. – Burger King. 101

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Direktgeschäfte/Eingriffe in das Absatzgebiet des HV: Vertragswidrige Direktgeschäfte des Unternehmers: Ja,256 jedenfalls nach Abmahnung gem. § 314 BGB;257 Diskriminierung: Ja,258 je nach den Umständen; Dispositionsfreiheit: Mangelnde Interessenabwägung zwischen eigenen Interessen und schutzwürdigen Belangen des HV durch den Unternehmer im Rahmen der der Dispositionsfreiheit des Unternehmers unterliegenden Maßnahmen: Ja für HV.259 Überschreiten der Dispositionsbefugnis durch den Unternehmer: Ja für HV;260 Drohung: widerrechtliche Drohung des HV gegenüber dem Unternehmer: Ja für Unternehmer. Beispiele: Drohung, eigene Vorzugsbedingungen anderen HV mitzuteilen: Ja,261 Drohung mit der Veröffentlichung von Betriebsinterna: Ja.262 Auch die Drohung, Gesprächsinhalte und Briefe des Geschäftsführers des Unternehmers dessen Mitarbeitern mitzuteilen, sowie die Ankündigung, die weitere Zusammenarbeit einzustellen i. V. m. der Ankündigung der gezielten Abwerbung von Mitarbeitern und der Forderung nach einer Zahlung von 60.000 EUR für die weitere Erfüllung der Vertragspflichten, begründet einen wichtigen Kündigungsgrund des Unternehmers;263 Druckkündigung: Wird ein HV durch einen Unternehmer unter Druck gesetzt, er solle den Vertrag mit einem anderen Unternehmer außerordentlich kündigen, kann dies gegenüber dem anderen Unternehmer ein Recht zur außerordentlichen Kündigung begründen. Gleiches gilt, wenn Dritte, Mitarbeiter oder Kunden unter Androhung von Nachteilen die außerordentliche Kündigung fordern, obwohl in der Person des zu Kündigenden ein wichtiger Kündigungsgrund fehlt.264 Der ausgeübte Druck kann einen wichtigen Kündigungsgrund im Verhältnis zu beiden Vertragspartnern bilden, sofern er die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar macht. Beispiel: Erweiterung des Sortiments des anderen Unternehmers und entsprechender Druck zur Vertragsbeendigung durch den ersten Unternehmer;265 Ehebruch: Ehebruch des HV mit der Ehefrau des Vorstandsmitglieds des Unternehmers: Ja;266 Eidesstattliche Versicherung, Abgabe: Ja;267 Einbrechen in den Tätigkeitsbereich des HV durch Abwerben von Kunden zwecks Direktbezug: Ja für den HV;268 Einsatz eines anderen HV im Bezirk des Alleinvertreters oder Verstoß gegen die zugesagte Exklusivität: Ja;269 einseitige Vertragsänderung: Ja;270 Einstellen der Belieferung: Ja, z. B. falls ein Mineralölunternehmen die Belieferung einer Tankstelle mit Kraftstoffen gem. § 273 BGB wegen offener Forderungen gegen den Tankstel-

256 BGH, Urt. v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678 = HVR Nr. 731; v. 11.6.1959 – II ZR 106/57, BB 1959, 720; KG, Urt. v. 25.10.2002 – 7 U 240/01; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.2001 – 16 U 84/00, HVR Nr. 950; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 44; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 307. 257 Im Fall des KG, Urt. v. 25.10.2002 – 7 U 240/01 (Franchisevertrag) gab es zwei erfolglose Abmahnungen. 258 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74. 259 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 308. 260 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 267. 261 BGH, Urt. v. 6.10.1983, BB 1984, 237; Hopt § 89a Rn 17. 262 OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 542; Hopt § 89a Rn 17. 263 OLG Köln, Beschl. v. 1.8.2013 – 19 W 1/13, BeckRS 2014, 02950. 264 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 64. 265 LG Frankfurt/M., Urt. v. 12.10.1965, DB 1966, 499 = HVR Nr. 371; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 310. 266 OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.11.1963, NJW 1964, 1963 = BB 1964, 1021; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 312. 267 BGH, Urt. v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, ZIP 1995, 1001 (1003). 268 BGH MDR 1959, 911; dort verneint, da nur Eigenmächtigkeit eines untergeordneten Organs und alsbald von der Unternehmensleitung abgestellt: „Pannen“ derlei Art dürften nicht überbewertet werden. 269 OLG Düsseldorf HVR Nr. 468; Hopt § 89a Rn 23. 270 OLG Düsseldorf OLGR 1997, 111. Emde

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lenvertreter einstellt, diesen aber an dem vertraglichen Verbot, Konkurrenzprodukte zu vertreiben, festhält und ihm dadurch den Betrieb der Tankstelle und Einnahmen unmöglich macht;271 Erfolglosigkeit: Der HV schuldet Bemühen, keinen Erfolg. Erfolglosigkeit als solche berechtigt daher nicht zur außerordentlichen Kündigung.272 Ein außerordentliches Kündigungsrecht wird nur durch eine Pflichtverletzung, wie mangelnden Einsatz oder Untätigkeit, begründet.273 Durch den Kündigenden bewiesen werden muss der Kausalzusammenhang zwischen Untätigkeit und Erfolglosigkeit;274 Erfüllungsgehilfen: schuldhaftes Verhalten von Erfüllungsgehilfen: Ja.275 Dies gilt insb., wenn der HV nicht einschreitet; Erhöhung der Verkaufspreise durch einen Eigenhändler: U. U. Ja.276 Angeblich soll ein Kündigungsrecht bestehen, wenn die Preiserhöhung des Händlers nur dazu dient, seine Gewinnmarge zu erhöhen.277 Darauf wird man jedoch nicht abstellen können. Denn der Händler darf seine Preise frei bestimmen. Es muss daher ein treupflichtwidriges und bewusst schädigendes Verhalten des Händlers vorliegen; Erkrankung des HV: Ist der HV aufgrund einer Erkrankung länger an seiner Tätigkeit gehindert: Ja278 – s. a. „Berufsunfähigkeit“; Erschleichen von Werkszuschüssen infolge unrichtiger Angaben und in erheblicher Größenordnung: Ja;279 Existenzgefährdung: Ja;280 Existenzminimum: Ja, wenn der HV trotz intensiven Einsatzes als Einfirmenvertreter das Existenzminimum nicht erreichen kann (u. U. Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 BGB), nicht jedoch falls er infolge verbleibender Zeit schlechten Verdienst durch andere Vertretungen ausgleichen kann (Mehrfirmenvertreter);281 Falschangabe von Tatsachen im Rahmen eines Schadensfalls: Ja;282 Fälschung von Aufträgen: Lieferung von Scheinaufträgen durch HV: Ja.283 Ein Schaden ist nicht erforderlich;284 Fälschung einer Kundenunterschrift: Ja, selbst wenn der wirtschaftliche Vorteil sehr gering ist und der HV langjährig ohne Beanstandungen tätig war. Die Kündigung muss innerhalb angemessener Zeit seit Kenntnis der maßgeblichen Umstände erklärt werden;285

271 BGH, Urt. v. 11.1.2006 – VIII ZR 396/03, DB 2006, 445 (LS) = BB 2006, 518 = WM 2006, 873 = NJW-RR 2006, 615 = MDR 2006, 677. 272 OLG Nürnberg, Urt. v. 28.2.1963, BB 1963, 447; OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.2.1977 – 23 U 102/76, n. v.; Küstner/ Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 314. 273 OLG Nürnberg, Urt. v. 28.2.1963, BB 1963, 447; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 314. 274 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.1.1967, DB 1967, 329; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 314. 275 BGH, Urt. v. 5.2.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 315. 276 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (73). 277 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (73). 278 BGHZ 129, 290; OLG Frankfurt/M., Hinweisbeschl. v. 9.2.2004 – 5 U 284/03, NJW–RR 2004, 1174; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Schröder DB 1976, 1269; Maier BB 1978, 940; Küstner BB 1976, 630 (631); Küstner/Thume/ Riemer I5 Kap. VIII Rn 317; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 46. 279 Niebling MDR 1998, 1132. 280 BGH, Urt. v. 20.3.1981 – I ZR 12/79, DB 1981, 2274; v. 20.2.1958 – II ZR 20/57, VersR 1958, 243 (244 f.); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 58. 281 OLG Nürnberg BB 1960, 1262; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 320. 282 OLG Hamm VersR 1999, 1016. 283 BGH, Urt. v. 21.1.1980, DB 1981, 987 = WM 1981, 172; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 322. 284 ROHG, Urt. v. 24.2.1877, ROHGE 21, 394; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 322. 285 OLG München, Urt. v. 1.7.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. Die Kündigung lässt den Ausgleich gem. § 89b Abs. 3 S. 2 entfallen. 103

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Feindschaft zwischen den Vertragsparteien, die zu absichtlichem Zuwiderhandeln gegen berechtigte Anordnungen des anderen Teils führt: Ja;286 Firmenwagen: Private Nutzung des Firmenwagens: Ja, allerdings wohl nur in Extremfällen;287 Förderung von Konkurrenzunternehmen: Sie steht der Konkurrenztätigkeit als wichtigem Kündigungsgrund gleich;288 Fortbildung: Beharrliche Weigerung des HV zur Fortbildung: Ja,289 jedoch nicht bei lediglich gelegentlichen Ermahnungen des Unternehmers, sich technisch zu bilden;290 Franchise-Handbuch: nachhaltige Verstöße gegen die Vorgaben des Franchise-Handbuchs: Ja;291 Freistellung: unberechtigte Freistellung (s. Kommentierung zu § 89): Ja für den HV,292 angeblich sogar ohne Abmahnung.293 Die Freistellung soll keinen Kündigungsgrund geben, wenn der HV seinen Wechsel zu einem Wettbewerber ankündigte und noch vor Beendigung des HV-Vertrages Handgeldzahlungen von jenem erhielt.294 Grundsätzlich ist die vertraglich vereinbarte Freistellung im Interesse des Unternehmers allerdings legitim, weil sie verhindern soll, dass der gekündigte HV bei Vertragsende den von ihm geworbenen und betreuten Kundenstamm „mitnimmt“ und einem Konkurrenzunternehmen zuführt.295 Auch während der Freistellung hat der HV sämtliche Vertragspflichten zu erfüllen. Der Unternehmer darf den HV-Vertrag aus wichtigem Grund kündigen, wenn ein VV in der Freistellungsphase die von ihm genutzten Büroräume an den VV eines anderen Versicherers weitervermietet, jener jedoch die Außenwerbung des bisherigen Unternehmers nicht entfernt, sondern lediglich zusätzliche Werbeschilder anbringt, welche auf den von ihm vertretenen Versicherer hinweisen. Dadurch besteht die Gefahr, dass Kunden des durch den Gekündigten vertretenen Versicherers bei versuchter Kontaktaufnahme mit ihm an einen VV der Konkurrenz geraten. Es kann offen gelassen werden, ob der gekündigte VV die Anweisung zum Entfernen der Schilder nicht an den Mieter gab oder er die Entfernung der Schilder nicht überwachte. Im erstgenannten Fall läge in der fehlenden Weisung die Pflichtverletzung, im letztgenannten im Überwachungsverschulden;296 Führerscheinverlust: Entzug des Führerscheines des HV: Ja, falls hierdurch die Vertragsdurchführung unzumutbar wird, etwa infolge von Unmöglichkeit.297 Der HV darf den Führerscheinverlust durch geeignete Maßnahmen ausgleichen, etwa durch Beschäftigung eines Fahrers; Geringfügige Vertragswidrigkeiten: Nein.298 Dass geringfügige Vertragsverletzungen keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung bilden können, ergibt sich bereits aus

RG, Urt. v. 12.12.1924, JW 1925, 945 m. Anm. Tietze; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 442. BGH, Urt. v. 26.5.1960, ZfV 1966, 1061; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 352. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 326. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 327. LG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 6.4.1955, HVR Nr. 80. Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (149). OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 112; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 329: Jedenfalls bei außerordentlich langer Kündigungsfrist, nicht jedoch bei sechswöchiger Kündigungsfrist. 293 OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602 (zweifelh.). 294 OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 39/09. 295 Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 27. 296 LG Krefeld, Urt. v. 27.1.2010 – 7 U 96/09, VersR 2010, 945; aA mglw. BAG, Urt. v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36 für den Arbeitnehmer. 297 LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.8.1989, DB 1990, 281; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 332. 298 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 24; OLG Köln, Urt. v. 20.9.2013 – 19 U 33/13, IHR 2015, 70 = BeckRS 2014, 11577; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304.

286 287 288 289 290 291 292

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dem auf die Umstände des Einzelfalles bezogenen Begriff des wichtigen Grundes. Im HVRecht ist die Beschränkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung auf schwerwiegende Vertragsverletzungen in besonderer Weise geboten, weil das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes wegen schuldhaften Verhaltens des HV gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 den Verlust des Ausgleichsanspruchs zur Folge hat.299 Eine Mehrzahl einzelner Vertragsverstöße, auch wenn sie für sich die Wesentlichkeitsschwelle nicht überschreiten, können in der Gesamtschau unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der beiderseitigen Interessen aber in der Zusammenschau ergeben, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar wird;300 Geschäftsgeheimnisse/Datenmissbrauch: Verrat von Geschäftsgeheimnissen des Unternehmers: Ja.301 Ausforschung von Betriebsgeheimnissen durch einen Angestellten des HV: Ja.302 Wenn ein HV es im Zeitraum zwischen der von ihm erklärten Kündigung und dem Vertragsende duldet, dass sein Sohn, der als Untervermittler für den HV tätig war, einen Laptop mit sensiblen Kundendaten weiternutzt, obwohl der Sohn einen Wettbewerber des Hauptunternehmers vertritt, begründet er einen wichtigen Kündigungsgrund des Hauptunternehmers gegenüber dem HV ohne vorherige Abmahnung.303 In die gleiche Richtung geht die folgende Entscheidung: Nach ihr liegt ein wichtiger Grund vor, wenn der Ehemann der Handelsvertreterin, der von Anfang an im allseitigen Einvernehmen den HV-Vertrag durchführt, unbefugt umfangreiche Datensätze auf seinen privaten PC herunterlädt und dort speichert, die zur Erfüllung seiner Tätigkeit für den Unternehmer nicht erforderlich waren.304 Der HV müsse zur Vermeidung der Kündigung vortragen, dass diese Daten zur Vertragserfüllung erforderlich waren.305 Das gilt insb., wenn viele Dokumente sich auf Vorgänge beziehen, die zum Teil Jahre zurück liegen und längst abgeschlossen sind.306 Dabei war zu berücksichtigen, dass innerhalb eines kurzen Zeitraums von nicht einmal 14 Stunden in 48 Downloads umfangreiche Datensätze heruntergeladen wurden, nachdem ein Hausverbot erteilt worden war.307 Infolge eines solchen Vertrauensbruchs kann auch das Vertragsverhältnis einer 100 %igen Tochtergesellschaft des Unternehmers mit dem HV beendet werden;308 Geschäftsraumpartnerschaft mit einem Wettbewerber: Ja, wenn der HV einen anderen HV, der einen Wettbewerber vertritt, in seine Geschäftsräume aufnimmt und nicht für eine genügende Trennung der Sphären sorgt;309 ebenso bei Überlassung der Geschäftsräume an einen Wettbewerber während der Freistellungsphase310 (s. „Freistellung“);

299 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 24; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304.

300 OLG München, Urt. v. 14.10.2014 – 7 U 2604/13, ZVertriebsR 2015, 110 m. Anm. Flohr = BeckRS 2014, 19514 – Burger King FN; Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (149) – zum Franchiserecht. Nach Ansicht von Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (152) und Waldzus BB 2016, 515 (521) rechtfertigte die befürchtete Schädigung des Markenimage die außerordentliche Kündigung. 301 BGH, Urt. v. 5.2.1959 – II ZR 107/57, NJW 1959, 878; OLG Nürnberg, Urt. v. 18.9.1958, BB 1958, 1151 = MDR 1959, 929; Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288 (292); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74, § 90 Rn 9 f.; Küstner/ Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 335; Prasse in: Praxishandbuch Vertriebsrecht § 2 Rn 252; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 17. 302 BGH, Urt. v. 5.2.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878. 303 LG Erfurt, Urt. v. 13.2.2012 – 8 O 511/10, BeckRS 2013, 09553. 304 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 17 – Abmahnung nicht erforderlich. 305 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 18. 306 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 18. 307 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 21. 308 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 29. 309 BGH, Urt. v. 20.1.1969, VersR 1969, 372; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 337. Dies gilt insb., wenn ein Einblick in die Geschäftsgeheimnisse zu befürchten ist. 310 LG Krefeld, Urt. v. 27.1.2010 – 7 U 96/09, VersR 2010, 945. 105

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Geschäftsaufgabe oder -veräußerung durch HV, etwa weil es nicht mehr lohnt: regelmäßig Nein für den HV,311 Ja für den Unternehmer.312 Anders mglw. in Extremfällen, etwa drohender Insolvenz; Geschäftslage/-einstellung des Unternehmerbetriebs: u. U. Ja. Wenn sich der Unternehmer durch unverschuldete geschäftliche Mißerfolge veranlasst sieht, seinen Geschäftsbetrieb oder die vom HV bearbeitete Betriebsabteilung einzustellen, so ist bei langfristigen Verträgen anerkannt, dass die Unmöglichkeit eines lohnenden Weiterbetriebs für den Unternehmer einen wichtigen Grund darstellt, das Verhältnis zum HV zu kündigen (s. o. „Betriebseinstellung“).313 Dem Unternehmer ist nach dem regelmäßigen Vertragsinhalt nicht zuzumuten, mit Schaden oder doch ohne Gewinn lediglich im Interesse des HV Geschäfte zu führen.314 Es gehöre zur wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit des Unternehmers, ob er weiter produziere oder die Produktion einstelle.315 Durch den Abschluss des Vertrages übernimmt der Unternehmer nicht jedes Risiko der Vertragsfortführung.316 Das ist nur anzunehmen, sofern der Unternehmer in voller Kenntnis eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten einen Vertriebsvertrag mit langer ordentlicher Kündigungsfrist abschließt.317 Doch muss es sich um eine – im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs – sich als nachhaltig darstellende, nicht bloß vorübergehende Verschlechterung der Geschäftslage handeln. Auch ist zu prüfen, ob gerade die außerordentliche Kündigung nach § 89a die betrieblich notwendige Maßnahme zur Wiederherstellung der Rentabilität darstellt oder ob nicht der gleiche Zweck durch eine weniger einschneidende Maßnahme erreicht werden kann.318 Endlich wird der Unternehmer zu erwägen haben, ob die Kündigung gerade dieses HV sich rechtfertigt, wenn er mehrere beschäftigt: hierfür mag es darauf ankommen, ob die Verschlechterung der Geschäftslage eine allgemeine oder eine vorzugsweise bei den Kunden des zu Kündigenden eintretende ist, und welche Verdienste dieser in früheren Jahren sich um das Unternehmen erworben hat.319 Eine Ankündigungsfrist von vier Monaten und angemessene Auslauffrist von sechs Monaten soll ausreichend sein;320 geschäftsschädigendes Verhalten gegenüber der Kundschaft: schlechtes Arbeiten mit der Wirkung, dass die Kunden sich beschweren;321 Weitergabe fingierter Mehrbestellungen, was zu Weiterungen und Verärgerungen der Kunden führt;322 Gesellschafterwechsel/„Change of control“: Gesellschafterwechsel im HV-Unternehmen: grunds. Nein.323 Ggf. aber Ja, wenn ein neuer Gesellschafter unzumutbar ist (Wettbewerber!324), zu den Einschränkungen siehe im Folgenden. Eine Abmahnung ist wegen fehlenden steuerbaren Verhaltens der Gesellschaft mglw. nicht erforderlich. Denkbar ist eine solche Kündigungsmöglichkeit, falls Schlüsselpersonen ausscheiden oder eine hinreichende

311 AA Hopt § 89a Rn 20. 312 BGH, Urt. v. 20.2.1958 – II ZR 20/57, VersR 1958, 243 (244 f.); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 38. 313 RG WarnRspr. 1912 Nr. 121; 1933 Nr. 79 mit Nachw.; auch JRPV 1938, 213136; RG JW 1911, 15821; 1924, 177; DISSchiedsgericht, BB-Beil. Nr. 11/1999, 13; vgl. ferner Titze JW 1925, 1853; Schmidt-Rimpler § 83 S. 303 m. Anf. aus dem Schrifttum; vgl. RAG 15, 103; 18, 257; RAG ARS 12, 274 und HRR 1933 Nr. 822. 314 BGH VersR 1958, 243; DIS-Schiedsgericht, BB-Beilage Nr. 11/1999, 13. 315 DIS-Schiedsgericht, BB-Beil. Nr. 11/1999, 13. 316 DIS-Schiedsgericht, BB-Beil. Nr. 11/1999, 13. 317 DIS-Schiedsgericht, BB-Beil. Nr. 11/1999, 13. 318 BGH VersR 1958, 243. 319 Holling S. 996. 320 DIS-Schiedsgericht, BB-Beil. Nr. 11/1999, 13. 321 OLG Stuttgart BB 1960, 956. 322 BGH WM 1981, 172. 323 BGH, Urt. v. 16.3.1970, HVR Nr. 419; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 129 f.; Emde GmbHR 1999, 1005 (1014 ff.); Westphal BB 1999, 2517 (2519); Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 338; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 70. 324 OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.10.2013 – VI-U (Kart) 36/13, NZKart 2014, 35 (36). Emde

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Betreuung nicht mehr gewährleistet ist.325 Insbesondere besteht die Kündigungsmöglichkeit bei Wegfall der Person, die nach dem Vertrag die Tätigkeit für die Gesellschaft allein ausführen sollte; eine dahingehende Regelung ist zulässig.326 Eine angemessene Übergangszeit ist der Gesellschaft jedoch einzuräumen.327 Eine „Change of Control“-Klausel berechtigt nur zur außerordentlichen Kündigung, sofern die Änderung des Gesellschafterbestandes die Interessen des Kündigenden schwer berührt.328 Als AGB gefasst darf sie nur vorsehen, dass der Gesellschafterwechsel bei einer schwerwiegenden Verletzung der Interessen des Kündigenden zur außerordentlichen Kündigung berechtigt.329 Das Gleiche gilt für eine auflösende Bedingung. Möglich ist eine Generalklausel oder die konkrete Bestimmung, welche Änderungen die Interessen schwerwiegend berühren, ebenso die Kombination beider Gestaltungsmöglichkeiten.330 Eine Generalklausel steht eher unter Unwirksamkeitsverdacht, und zwar wegen ihrer mangelnden Konkretisierung.331 In Individualverträgen dürfte grds. nichts anderes gelten, da § 89a HGB, § 314 BGB zwingend sind;332 Haft einer Vertragspartei: Ja;333 Hausverbot: Ein durch einen Kunden erteiltes Hausverbot kann eine außerordentliche Kündigung begründen, falls es sich um einen Schlüsselkunden handelt.334 Der Unternehmer muss aber eine Interessenabwägung vornehmen und die Berechtigung des Hausverbotes mit seinen eigenen Interessen abwägen; heimliche Verhandlungen mit Dritten zwecks vorzeitiger Vertragsbeendigung: Ja;335 Herabsetzendes Verhalten: Ja;336 pflichtwidrige Auswahl von Hilfspersonen: mglw. Ja;337 Höhere Gewalt: Höhere Gewalt kann ein Festhalten am Vertrag unzumutbar machen;338 Informationspflicht des Unternehmers: Weigert sich der Unternehmer beharrlich, seiner sich aus § 86 Abs. 2 S. 2 ergebenden Informationspflicht zu entsprechen, kann dies einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen;339 Informationspflicht: Verletzung der Informationspflicht durch den HV: Ja;340 Inkasso, nicht rechtzeitige Weiterleitung vereinnahmter Beträge: U. U. Ja, nicht jedoch bei jahrelanger Duldung unpünktlicher Weiterleitung;341 Inkassovollmacht: unberechtigter Widerruf einer auch im Interesse des HV erteilten Inkassovollmacht, insbesondere ohne wichtigen Grund: Ja;342

325 BGH EBE 1982, 132 (133); Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 129 f.; Emde GmbHR 1999, 1005 ff.; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 70; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a 48, 50, 59; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 338. 326 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 70. 327 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 70. 328 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (14); BGH, Urt. v. 26.11.1984 – VIII ZR 214/83, NJW 1985, 623 (624 ff.). 329 BGH, Urt. v. 26.11.1984 – VIII ZR 214/83, NJW 1985, 623 (624 ff.); Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (14). 330 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (14). 331 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (14). 332 AA Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (14), der Grenzen nur durch § 138 BGB sowie die §§ 19, 20 GWB gezogen sieht. 333 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74. 334 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 341. 335 OLG Düsseldorf HVR Nr. 38; Hopt § 89a Rn 17. 336 OLG Stuttgart BB 1960, 956; OLG Nürnberg VersR 1968, 298. 337 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74. 338 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 342. 339 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 343. 340 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 35. 341 OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2012 – I-16 U 150/11, ZVertriebsR 2013, 53 m. Anm. Semler = BeckRS 2012, 22930. 342 OLG Celle, Urt. v. 26.1.1961, DB 1961, 369; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 344. 107

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Insolvenz des Mittlers: Die Insolvenz343 und bereits der Insolvenzantrag344 stellen einen wichtigen Grund zur Kündigung dar (s. Kommentierung zu § 89), jedenfalls wenn die Erfüllung wesentlicher Vertragspflichten zumindest gefährdet345 und/oder ein Verfügungsverbot346 bzw. ein Zustimmungsvorbehalt347 angeordnet wird (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Die Wertung des § 12 GewO bleibt wohl unmaßgeblich, mglw. aber nicht im Schuldenbereinigungsverfahren. Auch § 112 InsO348 oder § 119 InsO349 stehen nicht entgegen. Das dürfte trotz der nicht zu HVVerträgen ergangenen Entscheidung des BGH zu Energielieferverträgen350 gelten, da dem Unternehmer nach wie vor eine Zusammenarbeit mit einem insolventen Mittler unzumutbar ist.351 Der Ausgleichsanspruch entfällt nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 nur, wenn der Unternehmer erforderlichenfalls beweist, dass der Insolvenzgrund auf ein schuldhaftes Verhalten des HV/Vertragshändlers zurückzuführen ist;352 Insolvenzantrag des Unternehmers: Ja353 (Ausnahme jedoch bei Sanierungsmöglichkeit)354 – zur Diskussion aufgrund der Rspr. des BGH s. vorstehend „Insolvenz des Mittlers“; Insolvenz des Unternehmers: Ja.355 Regelmäßig wird der Vertrag jedoch gemäß § 116 InsO automatisch beendet (s. Kommentierung zu § 89);

343 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 = EWiR 2007, 203 (Klasen); v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (296) = NJW 1995, 1958 – Kündigung zumindest zulässig, wenn Insolvenz sich nachteilig auswirkt; OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 6.3.2009 – 2 U 29/06, ZIP 2009, 1336 = MDR 2009, 1266; OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371 – dort Ausgleichsanspruch gleichwohl befürwortet; OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2004 – 35 W 5/04, NJW–RR 2004, 1554; Meyer/Knaub ZVertriebsR 2016, 275 (277) (trotz der Problematik von Lösungsklauseln bei Insolvenz); Eckhoff NZI 2015, 972; Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (13); Ströbl ZVertriebsR 2014, 236 f. (trotz der Problematik von Lösungsklauseln bei Insolvenz); Muhl GWR 2014, 496 (trotz der Problematik von Lösungsklauseln bei Insolvenz); Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2455); Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 345; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 43; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 38; Martinek/Semler Handbuch des Vertriebsrechts3 § 19 Rn 26; Hopt § 89a Rn 20; Westphal I Rn 885; Canaris, § 17 Rn 89; Karsten Schmidt Handelsrecht, § 27 V1.b); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 69; HK/Ruß, § 89a Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 24, 25; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41d; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 223/224; Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211) für den Vertragshändlervertrag. 344 OLG Hamm NJW-RR 2004, 1544; Eckhoff NZI 2015, 972; Muhl GWR 2014, 496 (trotz der Problematik von Lösungsklauseln bei Insolvenz); Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2455). 345 Auf diesen Fall begrenzen Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520) – zum Vertragshändlervertrag sowie Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2455) – zum HV-Vertrag – das Kündigungsrecht. Aber möglw. ist dem Unternehmer bereits die Zusammenarbeit mit einem insolventen Mittler unzumutbar. 346 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2455). 347 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2455). 348 OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 6.3.2009 – 2 U 29/09, ZIP 2009, 1336 = MDR 2009, 1266; OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2004 – 35 W 5/04; OLG München, Urt. v. 26.4.2006, ZInsO 2006, 1060 mit zust. Anm. Preuß KTS 2007, 361; Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 ff.; LG Ingolstadt, Urt. v. 7.10.2008 – 1 HKO 1546/08; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 43; aA Brossette Autohaus 6/2009, 26; 9/2009, 19. 349 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (13). 350 BGH, Urt. v. 15.11.2012 – XI ZR 169/11, WM 2013, 274; dazu etwa Raeschke-Kessler/Christopeit WM 2013, 1592. 351 Muhl GWR 2014, 496; Raeschke-Kessler/Christopeit WM 2013, 1592 (1596). 352 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 = EWiR 2007, 203 (Klasen); OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; ebenso früher OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2004 – 35 W 5/ 04, NJW–RR 2004, 1554 sowie OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406 = EWiR 2005, 601 (Pütz); siehe auch Emde/Kelm ZVI 2004, 382; Emde BB 2005, 396; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520) – zum Vertragshändlervertrag. 353 OLG Dresden, Beschl. v. 11.10.1995 – 7 U 1138/95: ZIP 1996, 73; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag; Hopt § 89a Rn 24. 354 Hopt § 89a Rn 24. 355 OLG Dresden, Beschl. v. 11.10.1995 – 7 U 1138/95, ZIP 1996, 73; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag. Emde

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Interessenwahrungspflicht: Je nach den Umständen des Einzelfalls kann eine erhebliche Verletzung der dem HV obliegenden Interessenwahrungspflicht zur außerordentlichen Kündigung führen.356 Ein einmaliger Vertragsverstoß nach zehnjähriger Tätigkeit rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung;357 Internetforum, ehrverletzende Äußerungen: Ja, je nach Umständen des Falles, aber vorherige Abmahnung erforderlich;358 Kapitalherabsetzung einer HV-Gesellschaft: grds. Nein, wegen mögl. Sicherheitsleistung und fehlender Bedeutung des Kapitals für die Vermittlung. Daher nur bei konkreter Gefährdung der Leistungsfähigkeit;359 Kassenführung: Zieht der HV Beträge ein, hat er für eine übersichtliche Buchführung zu sorgen, die Aufschluss über die Gelder gibt. Das Fehlen kann zu einer fristlosen Kündigung berechtigen.360 Dies gilt insbesondere bei verschleiernder Abhebung und Umbuchung;361 Know-how, Weitergabe: Ja, wenn der Franchisenehmer geheimhaltungsbedürftiges Know-how an Dritte weitergibt;362 Kommissionslager: Ergibt sich ein (nicht unbedeutender) Fehlbestand, der auf mangelnder Sorgfalt des HV beruht, ist der Unternehmer zur fristlosen Kündigung berechtigt;363 Konkurrenztätigkeit des HV: Verletzung des dem HV obliegenden gesetzlichen oder vertraglichen364 Konkurrenzverbots: Ja,365 und zwar regelm. ohne Abmahnung,366 insb. bei Heimlichkeit,367 jedoch u. U. auch wenn nicht verheimlicht368 (wegen Unzumutbarkeit der

356 BGH, Urt. v. 7.7.1978 – I ZR 126/76, EBE 1978, 317 (318); OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956; OLG Nürnberg, Urt. v. 15.3.1960, BB 1960, 956; OLG Hamburg, Urt. v. 2.4.1958, HVuHM 1958, 285; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 346. 357 BGH, Urt. v. 7.7.1978, BB 1979, 242 = DB 1978, 1882. 358 LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 7.5.2007 – AuA 2007, 433. 359 Emde GmbHR 1999, 1005 (1016 f.). 360 ArbG Berlin, Urt. v. 31.7.1935; AG Berlin, Urt. v. 24.10.1935, NZ 1937, 36; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 348. 361 OLG Köln, Urt. v. 14.5.1969 – 2 U 1/69, VersR 1970, 53, mit Anm. Höft, VersR 1970, 461; v. 9.6.1971, VersR 1971, 1171 m. Anm. Höft; LG Bonn, Urt. v. 25.11.1970, VersR 1971, 543; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 348. 362 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 528. 363 OLG Celle, Urt. v. 9.5.1958, BB 1958, 894 mit Anm. Lüpke; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 349. 364 OLG München, Beschl. v. 24.3.2009 – 7 U 5575/08, BBL 2009 – 2002-1 = BB 2009, 2002 m. Anm. Salomon. 365 BGH, Urt. v. 17.1.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637 (dort wegen fehlender Abmahnung verneint); v. 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, VersR 1999, 313 = EWiR 1999, 705 (Emde); v. 17.10.1991 – I ZR 248/89 – WM 1992, 311; v. 24.1.1974, BB 1974, 353; v. 20.1.1969, VersR 1969, 372; v. 9.6.1969, DB 1969, 1285; v. 15.12.1967, BB 1968, 60; v. 25.4.1966 – VII ZR 89/64 – n. v.; v. 21.3.1966 – VII ZR 116/64 – n. v.; v. 18.6.1964, BGHZ 42, 49 = BB 1964, 823; v. 28.5.1962, RVR 1971, 15; v. 2.2.1961 – VII ZR 253/59 – n. v.; v. 10.7.1961 – VII ZR 252/59 – n. v.; v. 22.9.1960, BB 1960, 1179; v. 25.3.1958, BB 1958, 524; v. 2.10.1958, NJW 1958, 1966; v. 28.10.1957; HVR Nr. 164; v. 20.10.1955, BB 1956, 95; v. 30.6.1954, BB 1954, 647; v. 19.3.1956, DB 1956, 473; v. 30.1.1963, BB 1963, 448; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 (dort verneint); OLG München, Urt. v. 18.11.2015 – 7 U 4851/14, ZVertriebsR 2016, 35 = BeckRS 2015, 19108; Beschl. v. 24.3.2009 – 7 U 5575/08, BBL 2009 – 2002-1 = BB 2009, 2002 m. Anm. Salomon; OLG Nürnberg BB 1965, 809, VersR 1968, 298; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 14; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 33; Holling BB 1961, 994; Maier BB 1979, 500 (502). 366 BGH NJW-RR 2001, 334; Urt. v. 26.5.1999 – VIII ZR 123/98, NJW-RR 1999, 1481 = ZIP 1999, 1307; WM 1974, 350; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. teilw. krit. Anm. Ayad BB 2010, 920; OLG München, Beschl. v. 24.3.2009 – 7 U 5575/08, BBL 2009 – 2002-1 = BB 2009, 2002 m. Anm. Salomon; Martinek/ Semler Handbuch des Vertriebsrechts3 § 19 Rn 25; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 9; Ayad BB 2010, 920. 367 BGH, Urt. v. 24.1.1974, WM 1974, 350 (VV); OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920 (VV). 368 BGH, Urt. v. 26.5.1999 – VIII ZR 123/98, NJW-RR 1999, 1481 = ZIP 1999, 1307 (1309). 109

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Wettbewerbstätigkeit). Es gilt ein strenger Maßstab,369 wobei jedoch eine Einzelfallabwägung erforderlich ist.370 Denn ein Unternehmer, der in dieser Weise einmal hintergangen worden ist, muss damit rechnen, dass der HV auch in anderen Punkten es mit seinen Vertragspflichten nicht so genau nehmen wird.371 Insbesondere ein mehrmaliger Verstoß des HV gegen ein Wettbewerbsverbot begründet jedenfalls dann einen wichtigen Kündigungsgrund, wenn der HV im Rahmen des zuerst bekannt gewordenen Vorfalls vorgibt, es handele sich um einen einmaligen Verstoß.372 Ein Kündigungsrecht kann auch bestehen nach Aufnahme einer anderweitigen Erwerbstätigkeit ohne Genehmigung des Unternehmers, wenn sie nach dem Vertrage einzuholen gewesen wäre.373 Dies gilt selbst dann, wenn der Unternehmer auf die Bitte des HV um Zustimmung nicht antwortete.374 Auch das Abspenstigmachen eines HV desselben Unternehmers zugunsten eines anderen Unternehmens, an dem der HV wirtschaftlich beteiligt ist, begründet das Kündigungsrecht.375 An das Wettbewerbsverbot ist der HV auch gebunden, falls der Unternehmer beworbene Verträge nicht annimmt. Eine Verletzung des Wettbewerbsverbots berechtigt auch dann zur außerordentlichen Kündigung durch den Unternehmer.376 Die Einzelfallabwägung kann ergeben, dass ein wichtiger Kündigungsgrund fehlt, etwa falls die Wettbewerbstätigkeit erst durch eine frühere – unwirksame – Kündigung ausgelöst worden, der Wettbewerb nicht auf eine dauerhafte Konkurrenz angelegt und dem Unternehmer durch die Konkurrenztätigkeit nicht unmittelbar ein Schaden zugefügt worden ist,377 nur ein einzelner Vertragsverstoß bewiesen war und die Parteien trotz eines nur rd. einjährigen HV-Vertrages 6 Jahre durch einen Anstellungsvertrag verbunden waren,378 dem Unternehmer die Konkurrenztätigkeit bei Vertragsschluss bekannt war,379 eine Vertretung von Konkurrenzwaren, welche der Unternehmer zunächst geduldet hat und die er jetzt verbietet, nur weitergeführt wird380 oder bei einem langjährigen Vertragsverhältnis (hier: 37 Jahre) nur die Vermittlung von wenigen Versicherungsverhältnissen (hier: ca. 10 Kfz-Versicherungsverträge mit 5 Kunden) für eine andere Versicherung erfolgte, der Prinzipal von sich aus den Kunden gekündigt hatte und die Vermittlung der Konkurrenzversicherung auch zu dem Zweck erfolgte, die Kundenbeziehung im Interesse anderer fortlaufender Versicherungsverhältnisse mit dem Prinzipal aufrechtzuerhalten um den Kunden nicht ganz zu verlieren.381 Dies gilt auch dann, wenn in einer vertraglichen Kündigungsklausel der Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot ausdrücklich als Kündigungsgrund benannt ist;382

369 370 371 372 373

OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. OLG München, Urt. v. 18.11.2015 – 7 U 4851/14, ZVertriebsR 2016, 35 = BeckRS 2015, 19108. OLG München, Beschl. v. 24.3.2009 – 7 U 5575/08, BBL 2009 – 2002-1 = BB 2009, 2002 m. Anm. Salomon; OLG Düsseldorf BB 1969, 300; OLG Bamberg BB 1979, 1000. 374 OLG München, Beschl. v. 24.03.09 – 7 U 5575/08, BBL 2009 – 2002-1 = BB 2009, 2002 m. Anm. Salomon. 375 BGH BB 1977, 1170. 376 BGH, Urt. v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, NJW-RR 1992, 481 = WM 1992, 311. 377 BAG, Urt. v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13, NZA 2015, 429 – arbeitsrechtliche Entscheidung. 378 OLG Köln, Urt. v. 20.9.2013 – 19 U 33/13, IHR 2015, 70 = BeckRS 2014, 11577. 379 BGH, Urt. v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, WM 1992, 311; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 351. 380 OLG Köln BB 1972, 487. 381 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller); ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920 als Vorinstanz. Man könnte auch an fehlenden Interessenwiderstreit denken, da die beanstandete Tätigkeit der Rettung anderer Verträge des Versicherers diente. 382 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller); ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920 als Vorinstanz. Emde

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Konkurrenz durch den Franchisenehmer: Ja. Der FG darf einen Franchisevertrag in der Regel fristlos kündigen, wenn der FN gegen seine Pflicht, das Franchiseunternehmen unter Einsatz seiner gesamten Arbeitskraft zu führen und zu nutzen verstößt, indem er ein weiteres Unternehmen betreibt.383 Der kündigende FG ist so zu stellen, als hätte der FN den Vertrag durch ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Termin beendet.384 Bei so genannten Kettenverträgen kommt es nicht auf die Restlaufzeit des Franchisevertrages an, sondern auf die Kündigungsfristen des § 89 Abs. 1;385 Konkurrenzverbot, Umgehung durch Angehörige: Ja;386 Konkurrenzverbot, Umgehung durch Gründung von Scheinfirmen: Ja;387 Konkurrenzverbot, Beteiligung des HV an Konkurrenzunternehmen: Ja;388 Krankheit des HV: Je nach den Umständen, Ja,389 aber wohl nicht eine übliche, kurzfristige Krankheit, auch nicht eine Infektion mit Covid-19;390 Krankheit, Verschweigen durch den HV: Ja bei Aufklärungsbedürftigkeit;391 Kreditschädigende Behauptungen: Kreditschädigende Behauptungen des HV: Ja;392 Kreditverkauf: Darf der HV nur gegen Barzahlung verkaufen und verkauft er gleichwohl gegen Kredit, so bildet dies unabhängig von der Frage eines Schadenseintritts einen außerordentlichen Kündigungsgrund.393 Das gilt mglw. auch, wenn nur Vermittlungsvollmacht gewährt war.394 Ein Mineralölunternehmen darf gegenüber einem Tankstellen-HV, der entgegen einer ihm kurz zuvor erteilten Weisung auf Kredit verkauft hat, jedoch nicht ohne vorherige Abmahnung aus wichtigem Grund kündigen, sofern es die Kreditgewährung über Jahre geduldet und gefördert hatte und der Tankstellenvertreter die Kreditgewährung auf Grund der Weisung bereits erheblich vermindert hat;395 unterlassene Kundenbesuche: Ja;396 Kundenkartei, Stoppen des Zugangs durch den Unternehmer: Ja;397 unzureichende Kundenwerbung: Ja;398 Kundenschutz: Entzug geschützter Kunden durch den Unternehmer: Ja, insb. falls keine Provisionen mehr gezahlt werden;399 Kundenschwund: Ein üblicher Kundenschwund ohne Vernachlässigung der Betreuungspflichten des HV: Nein.400 Verliert der HV Kunden aus vom Unternehmer zu vertretenden Gründen: Ja401 für den HV;

383 384 385 386

OLG Oldenburg, Urt. v. 26.4.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857 = OLGR 2008, 24. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.4.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857 = OLGR 2008, 24. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.4.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857 = OLGR 2008, 24. BGH, Urt. v. 3.7.1986 – I ZR 171/84, NJW 1987, 57; v. 5.10.1989 – I ZR 160/88, NJW-RR 1990, 71; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 33. 387 OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114. 388 Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 15. 389 BGH, Urt. v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (295) = ZIP 1995, 1001 (1003); OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 46; ablehnend OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 (aber wohl von kurzzeitiger oder alterstypischer Krankheit ausgehend) m. Anm. Ayad BB 2010, 920. 390 Dazu Emde ZVertriebsR 2020, 138 (153). 391 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 36. 392 BGH, Urt. v. 5.5.1958, BGHZ 27, 220 = NJW 1958, 1136; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 353. 393 KG, Urt. v. 14.3.1960, BB 1960, 574 = VersR 1960, 414; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 276. 394 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 277. 395 BGH, Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326. 396 BGH, Urt. v. 27.2.1981 – I ZR 39/79, LM Nr. 16. 397 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 44; Hopt § 89 Rn 22. 398 BGH, Urt. v. 3.7.1957 – I ZR 261/55, BB 1957, 413; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 38. 399 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 355. 400 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 256. 401 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 257. 111

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Kündigung des Haupthändlervertrages als Grund zur Kündigung des Unterhändlervertrages: U. U. Ja,402 jedenfalls wenn die ordentliche Kündigungsfrist bei rechtzeitiger Kündigungserklärung nicht ausgereicht hätte.403 Da sich ein Vertragspartner die rechtzeitige Selbstbelieferung vorbehalten kann, muss ein B-Händlervertrag auch außerordentlich kündbar sein, wenn dem A-Händler der Haupthändlervertrag gekündigt wird. Man wird diesen Umstand sogar als auflösende Bedingung vereinbaren dürfen (str., siehe zur auflösenden Bedingung § 89 Rn 8 f.). Auch die Gegenansicht ist vertretbar. Denn dem Hauptvertreter obliegt die Gestaltung seines Vertriebssystems und er muss die Kündigungsfristen in Konkordanz bringen. Zudem hat der BGH zu einem Bewachungsvertrag ausgesprochen, die in einem formularmäßigen Subunternehmervertrag enthaltene Klausel, ein wichtiger Kündigungsgrund existiere, wenn der Hauptvertrag ende, sei gem. § 307 BGB unwirksam.404 Daraus könnte man schließen, die Laufzeit von Untervertreterverträgen dürfe in AGB nicht an die des Hauptvertretervertrages geknüpft werden, was aber in kleinen Vertriebssystemen ein sinnwidriges Ergebnis wäre. In Individualverträgen dürfte diese Klausel zulässig sein; Kündigung, unberechtigte: Eine ungerechtfertigte Kündigung, insb. eine außerordentliche, berechtigt den gekündigten Vertragsteil zu einer fristlosen Gegenkündigung.405 Je nach Sachverhaltsgestaltung muss der Gekündigte vorher abmahnen,406 schuldet aber schon wegen der nicht bei ihm liegenden Beweislast für die Kündigungsgründe keine detaillierte Gegendarstellung; Kündigungschreiben, vorformulierte: Ja.407 Formuliert der HV Kündigungsschreiben vor, mit denen Kunden die Verträge zum Unternehmer kündigen können, widerspricht dies der Interessenwahrungspflicht, die es gebietet, die Kündigung zu verhindern und nicht zu fördern. Entsprechen Kündigungsschreiben der Kunden in Schriftbild, Layout und Wortlaut fast vollständig einem Kündigungsschreiben des HV, mit dem er selbst kündigte, spricht dies dafür, dass die Kündigungsschreiben durch den HV vorformuliert wurden.408

402 Emde BB 2009, 2330 (2331). 403 Die Unfähigkeit zur Vertragserfüllung kann im Einzelfall einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung geben, vgl. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 71. 404 BGH, Urt. v. 29.7.2004 – III ZR 293/03, MDR 2005, 82. Der BGH hielt die Klausel zwar nicht für von vornherein treuwidrig, lastete der Verwenderin jedoch an, dass nach dem Wortlaut jede Beendigung des Hauptvertrages, selbst die auf einem Verhalten der Verwenderin beruhende (Beispiele: infolge ihrer Eigenkündigung oder aufgrund einer einvernehmlichen Aufhebung), zu einer Kündigung des Subvertrages berechtige. Die Verwenderin könne sich also Kündigungsgründe des Untervertrages durch die Beendigung des Hauptvertrages schaffen. Daraus wird man schließen können, dass die beanstandete Kündigung des Hauptvertrages zulässig ist, falls sie allein nach einer nicht von der Verwenderin veranlassten Auflösung des Hauptvertrages erfolgt. 405 BGH, Urt. v. 25.11.1998 – VIII ZR 21/97, MDR 1999, 307; v. 11.10.1990 – I ZR 6/89, NJW-RR 1991, 155; v. 30.9.1969, HVR Nr. 399; v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, BB 1966, 1410 = NJW 1967, 248; v. 12.6.1963, BGHZ 40, 13 = BB 1963, 917 = NJW 1963, 2068; v. 9.7.1959, VersR 1959, 887 (888); OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.1.2013 – I-16 U 89/11, BeckRS 2013, 14364; v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; OLG Hamburg, Urt. v. 8.3.1955, HVuHM 1955, 188; OLG Stuttgart, Urt. v. 29.4.2008 – 10 U 233/07, OLGR 2008, 834 = BB 2008, 1954 = VersR 2009, 218; LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 55; LG Stuttgart, Urt. v. 30.6.1954, BB 1955, 177; Flohr/ Liesegang ZVertriebsR 2018, 351 (352); Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 330; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 82; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 67; Hopt § 89a Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19, 20. 406 Vgl. BGH WM 1974, 867 (870); OLG Stuttgart DB 1982, 801; weitergehend Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 67; aA nach den Verhältnissen des Einzelfalles OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304 (HV widersprach der Kündigung und forderte Unternehmer auf, diese zu begründen. Darauf folgten nichts sagende Angaben); Genzow ZIP 2008, 2080 = BB 2008, 2262; offen gelassen v. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.1.2013 – I-16 U 89/ 11, BeckRS 2013, 14364 (weil dort Abmahnung vorlag). 407 LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 84 – VV. 408 LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 84 – VV. Emde

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Lagerhaltung: Kümmert sich ein HV nicht um die Verwaltung eines ihm anvertrauten Auslieferungslagers und verweigert die Aufklärung von Fehlbeständen bzw. folgt dem berechtigten Verlangen des Unternehmers nach Zahlung bzw. Sicherstellung nicht: Ja;409 Lieferengpass: Im Falle eines Lieferengpasses muss der Unternehmer einen sachgerechten Verteilungsmaßstab implementieren (s. Kommentierung zu § 86a). Unterlässt er dies und entsteht dem Mittler ein Schaden, kann eine außerordentliche Kündigung durch den Mittler gestattet sein; Markenimage, Schädigung: U. U. Ja;410 Mehrfachvertretung: Die Mehrfachvertretung ist grds. zulässig, so lange der HV das Wettbewerbsverbot nicht verletzt. Wird durch die Mehrfachvertretung aber die Interessenwahrungspflicht verletzt, insb. durch Arbeitsüberlastung, kann hierin nach Abmahnung eine zur außerordentlichen Kündigung berechtigende Vertragsverletzung liegen;411 Mehrheit von Verträgen: Betreibt der FN auf der Grundlage eines Vertrages mehrere Franchise-Outlets, so liegt in einer Kündigung des Gesamtvertrages eine unangemessene Benachteiligung, soweit sich das vertragswidrige Verhalten nur auf ein Franchise-Outlet beschränkt.412 Handelt es sich jedoch um einen Verstoß, der das Vertrauen in eine weitere Zusammenarbeit grundsätzlich beseitigt, so ist die fristlose Kündigung des Gesamtvertrages berechtigt.413 In gleicher Weise ist zu entscheiden, wenn ein FN zahlreiche Outlets aufgrund gesonderter abgeschlossener Franchiseverträge betreibt;414 Mehrzahl unerheblicher Vertragsverstöße: Ggf. Ja. Eine Mehrzahl einzelner Vertragsverstöße, auch wenn sie für sich die Wesentlichkeitsschwelle nicht überschreiten, können in der Gesamtschau unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ergeben, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar wird.415 Hierzu genüge es, dass ein Mitarbeiter eines „Burger King“-Restaurants keine Kopfbedeckung, eine Mitarbeiterin eine private Bluse, ein weiterer Mitarbeiter eine private Krawatte (Ersatzkrawatten waren vom FN vorzuhalten) trugen, mehrfach Lebensmittel verwendet wurden, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bereits abgelaufen waren, wiederholte Ungenauigkeiten beim Umgang mit der Temperaturmessung der Hackfleischbrätlinge, ein Mitarbeiter zwischen Kassenbereich und Küche wechsele, ohne sich die Hände zu waschen, der Schichtführer kein Schichtführerzertifikat vorlegen könne, eine kleine Bürste aus dem Reinigungsbürstenset nicht mehr vorhanden sei, mehrfach kein stilles Wasser angeboten werden konnte, Tomatenendstücke zum Belegen der Burger verwendet wurden und im Winter Sommer-Desserts beworben wurden, die aber zum Teil nicht erhältlich waren. Die lange Vertragslaufzeit könne nicht ausschließlich zugunsten des FN gewertet werden. Zwar sei es richtig, dass Franchiseverträge üblicherweise mit einer langen Laufzeit geschlossen würden, um dem FN die Gelegenheit zu geben, seine Investitionen zu amortisieren. Auf der anderen Seite schlage nach allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsätzen die lange Restlaufzeit eines befristeten Vertrages bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Schuldverhältnisses zugunsten des Kündigenden ins Gewicht. Frühere folgenlose Abmahnungen zeigten nur, dass der FN seit Jahren den Standards nicht genügte.416

409 OLG Celle, Urt. v. 9.5.1958, BB 1958, 894 m. Anm. Lüpke = HVR Nr. 179; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 274. 410 Waldzus BB 2016, 515 (521) unter Hinweis auf die Burger-King –Entscheidung OLG München, Urt. v. 14.10.2014 – 7 U 2604/13, BB 2015, 527. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 358. Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (152). Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (152). Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (152). OLG München, Urt. v. 14.10.2014 – 7 U 2604/13, ZVertriebsR 2015, 110 m. Anm. Flohr = BeckRS 2014, 19514 – Burger King FN. 416 OLG München, Urt. v. 14.10.2014 – 7 U 2604/13, ZVertriebsR 2015, 110 m. Anm. Flohr = BeckRS 2014, 19514.

411 412 413 414 415

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Meinungsverschiedenheiten: Ja,417 sofern erheblich; Mindestumsatz: Einseitige Sollvorgaben des Unternehmers braucht der HV nicht zu erfüllen. Das Verfehlen solcher Sollangaben bildet daher keinen wichtigen Kündigungsgrund,418 es sei denn, es liegt eine Pflichtverletzung vor.419 Wird berechtigt ein Mindestumsatz vereinbart, hat der HV alles zu tun, diese Verpflichtung zu erfüllen.420 Eine außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, falls der HV jene Pflicht verletzt, nicht wenn die Zielverfehlung auf anderen Umständen beruht, etwa auf der allgemeinen Marktsituation, der Produktpalette oder auf einem Verschulden des Unternehmers.421 Vertreten wird, es dürfe nicht allein die Verfehlung des Mindestumsatzes als außerordentlicher Kündigungsgrund vereinbart werden, sondern nur die – erhebliche – Verletzung der Absatzförderungs- oder Bemühenspflicht.422 Tatsächlich dürfte die Begrenzung auf die Absatzförderungspflicht nur bei AGB Leitbildcharakter haben. Bei fehlender Einigung über die Mindestabnahme soll eine Verletzung der Absatzförderungspflicht fehlen, sofern der Händler mit der Abnahme von 10 Pkw einverstanden war, der Hersteller jedoch eine Abnahme von 12 Pkw durchsetzen will.423 Die Klausel, ein wichtiger Grund sei gegeben, wenn der HV die Richtumsätze nicht erreicht und auf Abmahnung nicht nachweist, dass ihn ein Verschulden hieran nicht trifft, berechtigt nicht zur Kündigung, da diese Klausel mit Treu und Glauben unvereinbar und der Beweis nicht zu führen sei.424 Angeblich soll die Verfehlung vertraglich vereinbarter Mindestumsätze ein Indiz für eine Vertragsverletzung geben.425 Ggf. ist im Rahmen der Ausübungskontrolle zu entscheiden, ob die Kündigung auch bei nur knapper Verfehlung der Umsatzschwelle zulässig ist;426 Fehlende Mitteilung über den Rechtsformwechsel des Vertragshändlers: U. U. Ja.427 Im Fall BGH BB 1978, 982 hatte der Vertragshändler, bisher Einzelkaufmann, die Umstrukturierung seines Unternehmens zur GmbH & Co. KG über längere Zeit nicht mitgeteilt und dadurch das Kreditrisiko seines Lieferanten, der ihm bereits Ware im Werte von 100.000– 200.000 DM auf Kredit geliefert hatte, unangemessen erhöht, ohne dass dieser Gelegenheit hatte, sich hierauf, ggf. durch einen neuen Vertragshändlervertrag, einzustellen. Dass die Umgliederung des Vertragshändler-Unternehmens im Handelsregister eingetragen worden war, entband nicht von der sich aus der vertraglichen Loyalitätsbindung ergebenden Pflicht zur Mitteilung; Fehlende Mitteilung über die Übernahme weiterer Vertretungen: Nach Ansicht des OLG Düsseldorf428 berechtigt die fehlende Mitteilung von der Übernahme weiterer Vertretungen zur außerordentlichen Kündigung. Dem ist wegen des mangelnden Verbots einer solchen

417 LG Düsseldorf VersR 1964, 1097. 418 OLG Nürnberg, Urt. v. 28.2.1964 – 4 U 251/60, BB 1964, 866; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 368; aA wohl OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542.

419 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 399. 420 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 359. 421 BGH, Urt. v. 13.7.2004 – KZR 10/03, WRP 2004, 1378 = WuW 2004, 1165 = GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz); v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722; v. 12.3.1992 – I ZR 117/90, NJW-RR 1992, 1059 (1060); RGZ 65, 86 (90); OLG Koblenz, Urt. v. 22.4.2010 – 2 U 352/09, BB 2010, 1691; OLG Nürnberg BB 1964, 866; OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; 1971, 888; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 354; Holling BB 1961, 994 (995); Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 359; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 41; Hopt § 89a Rn 18. 422 OLG Karlsruhe BB 1971, 888; Niebling WRP 2010, 631 (632). In vielen europäischen Ländern, etwa Italien, Griechenland und den Niederlanden, wäre eine solche Klausel zulässig. Ihre Verletzung führt aber nicht ohne Verschulden zum Ausgleichsausschluss. 423 Niebling WRP 2010, 631 (632). 424 OLG Karlsruhe, Urt. v. 1.12.1970, BB 1971, 888 = DB 1971, 572; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 370. 425 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (75) – als generelle Regel zweifelh. 426 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (77). 427 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 38. 428 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.2.1969, BB 1969, 330 = DB 1969, 435. Emde

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Übernahme nur bei groben Verstößen zuzustimmen, verbunden mit einer Interessengefährdung;429 Fehlende Mitteilung über Verkauf statt Vermietung: Ja.430 Der Vertragshändler bezog von seinem Lieferanten Kopierer, die er aber nicht verkaufte, sondern nur vermietete und für deren Bezahlung ihm vom Lieferanten deshalb gestattet war, den Fakturenbetrag ohne Mehrpreis in Raten entsprechend den einkommenden Mieterlösen zu begleichen: der Vertrauensbruch wurde darin gesehen, dass der Händler nach einiger Zeit ohne Mitteilung an seinen Lieferanten dazu überging, die Geräte zu verkaufen, sie aber gleichwohl weiterhin nur so in Raten bezahlte, als habe er sie vermietet, obwohl er den Wiederverkaufspreis längst in Händen hatte. Mißerfolge, dauernde: Bloßes Nachlassen in den Verkaufsbemühungen rechtfertigt eine fristlose Kündigung noch nicht, besonders wenn es sich um einen HV handelt, der in früheren Aufbaujahren dem Unternehmer wesentliche Erfolge gebracht hatte; ggf. sind Umstände solcher Art bei der Bemessung eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen der Billigkeit nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 zu berücksichtigen. Ein Kündigungsgrund liegt in dem Nachlassen erst, falls dies einen anhaltenden und schweren Grad erreicht hat;431 Morddrohung des HV gegen Mitarbeiter des Prinzipals: Ja, selbst wenn der Mitarbeiter zuvor mit einer ungerechtfertigten Kündigung und wirtschaftlichem Ruin des HV drohte;432 Muster: Die Veruntreuung von Musterkollektionen oder Musterkoffer: Ja;433 Nachrichtspflicht: Verletzung der Nachrichtspflicht durch den HV: Ja;434 Nachlassende Arbeitskraft des HV: Handelt es sich um eine andauernde Vernachlässigung der geschuldeten Bemühungen: Ja.435 Allerdings muss der Unternehmer übliche Alterserscheinungen respektieren, insb. sofern der HV viele Jahre für das vertretene Unternehmen tätig war;436 Nebentätigkeit: die außerordentliche Kündigung ist hier nur bei erheblicher Vernachlässigung der Pflichten des HV zulässig,437 und das erst nach Abmahnung; unzulässige Nebentätigkeiten des HV: Ja;438 Nichtabführung kassierter Gelder: Ja;439 Nichtabführung vereinnahmter Gelder: Darf der HV von vereinnahmten Geldern seine Provision abziehen und kommt es wiederholt zu Unstimmigkeiten, kann eine außerordentliche Kündigung wirksam sein;440 Nichtanschaffung von Spezialwerkzeugen: Ja.441 Schafft ein Vertragshändler, dem vertraglich vorgegeben war, die erforderlichen zeitgemäßen Standardwerkzeuge bereitzuhalten, einen Batterietester nicht an, der die automatische Feststellung eines Kabelbruchs und die Online-Abwicklung eines einheitlichen Prüfcodes ermöglicht, darf der Vertrag gem.

Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 284. OLG Karlsruhe DB 1978, 2409. OLG Stuttgart BB 1960, 956. OLG Hamm, Urt. v. 5.10.2009 – 18 U 104/08, BeckRS 2010, 05592. OLG Nürnberg, Urt. v. 5.2.1965, BB 1965, 688 = VersR 1965, 760; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 363. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 360. OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 364; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10. 436 OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.4.1957, BB 1957, 561; Küstner/Thume/Riemer I, Kap. VIII Rn 364. 437 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 365. 438 OLG Stuttgart BB 1960, 956; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 41. 439 RG, Urt. v. 16.5.1939, WarnRspr 1939, 2367 Nr. 119; OLG Stuttgart DB 1962, 405; OLG Köln VersR 1971, 1171; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 366. 440 OLG Hamburg, Urt. v. 8.12.1982, Tankstelle 1983, 176; LG Hamburg, Urt. v. 19.8.2011 – 418 HKO 98/10, n. v. (Inkassoabrede); LG Bochum, Urt. v. 5.5.1982 – 3 O 66/82, auszugsweise abgedruckt in Tankstelle 1982, 478. 441 LG Düsseldorf, Urt. v. 17.7.2009 – 14c O 95/09, BeckRS 2009, 24224.

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§ 89a gekündigt werden. Das gilt auch, falls der Händler ein funktionsgleiches Gerät besitzt, welches keinen Prüfcode generieren kann. In diesem Fall darf nicht nur der Serviceteil des Vertrages, sondern auch der Vertragshändlerteil gekündigt werden;442 Nichteinräumen und Nichtentschuldigung von Fehlverhalten: Ja;443 Öffentlich-rechtliche Erlaubnisse, Fehlen: Fehlen dem Mittler die für seine Tätigkeit nötigen öffentl.-rechtl. Erlaubnisse, etwa nach § 34d GewO, § 32 KWG i. V. m. § 1 KWG, so kann ein Kündigungsrecht nach § 89a bestehen, regelm. jedoch erst nach Abmahnung; Online-Vertrieb, unangekündigte Aufnahme durch den Unternehmer: Ja;444 Online-System, Sperrung: Ja, wenn der Unternehmer nach einer ordentlichen Kündigung des HV diesem den Zugang zu ihm sperrt und so dem HV die weitere Tätigkeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar erschwert. Dies gilt jedenfalls, wenn es sich um einen nicht ganz unerheblichen Zeitraum von mehr als zweieinhalb Jahren handelt und er Zugang zum Onlinesystem nur nach vorheriger Terminsvereinbarung im Büro der Regionaldirektion erhält.445 Das gilt insb, falls der HV für dessen Nutzung ein Entgelt zahlt und die Sperrung grundlos ist.446 Organisationsverschulden: U. U. Ja, z. B. wenn die Parteien eine Organisation schaffen, die Vertragsverstöße Dritter ermöglicht oder (Schutzpflicht entsteht aus Treupflicht) nicht verhindert;447 Nichtvertrieb neuer Produkte durch HV: Ja;448 Politische Betätigung: Im Allgemeinen: Nein, es sei denn, im Einzelfall erkennbar unverträglich mit dem Vertrieb; Pflichtwidrigkeiten des HV449: Pflichtwidrigkeiten des HV, die ernstliches Misstrauen gegen seine Zuverlässigkeit aufkommen lassen: Ja, jedoch meist erst nach Abmahnung; Preisausschreiben: Versendet ein HV unter fettgedruckter Herausstellung seiner Kooperation mit der von ihm vertretenen Bausparkasse ohne deren Zustimmung Werbeschreiben an Kunden, mit welchen jenen vorgespiegelt wird, sie hätten im Rahmen eines Preisausschreibens Grundbesitz gewonnen: Ja;450 Preisunterbietung: Der HV darf außerordentlich kündigen, wenn der Unternehmer andere Vertriebsmittler zur Weiterbelieferung an Stammkunden des HV günstiger beliefert.451 Es kommt aber auf die Umstände des Einzelfalls an; Differenzierungen können angemessen sein, soweit kein Gleichbehandlungsgebot eingreift; Provisionen, unberechtigte Nichtzahlung: Ja,452 insb. wenn der HV deshalb klagen muss;453

442 LG Düsseldorf, Urt. v. 17.7.2009 – 14c O 95/09, BeckRS 2009, 24224; es handelt sich aber um eine Frage des Einzelfalls, ggf. kann die zur Anschaffung zwingende Klausel unwirksam sein (Niebling WRP 2010, 81 [84]). 443 BGH, Urt. v. 7.7.1978 – I ZR 126/76, EBE 1978, 317 (319). 444 LG Berlin, Urt. v. 21.6.2001 – 14 O 177/01; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 44. 445 OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080. 446 OLG München, Urt. v. 30.6.2016 – 23 U 3265/15, ZVertriebsR 2017, 196 Rn 35. 447 BGH, Urt. v. 11.6.1959, BB 1959, 720 = MDR 1959, 911 – im konkreten Fall verneint. 448 BGH LM Nr. 16. 449 OLG Nürnberg, Urt. v. 15.3.1960, BB 1960, 956 = VersR 1960, 904. 450 OLG Köln, Urt. v. 20.10.2000 – 19 U 86/00, VersR 2001, 1023 = EWiR 2001, 121 (Emde) = NJW-RR 2001, 820. Abmahnung nicht erforderlich. 451 BGH, Urt. v. 11.6.1959, BB 1959, 720 = MDR 1959, 911; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 376. 452 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 44; Hopt § 89a Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene 4. Aufl., § 89a Rn 56; wohl auch BGH, Urt. v. 16.2.1989 – I ZR 185/87, NJW-RR 1989, 862 zum begründeten Anlass nach § 89b Abs. 3 Nr. 1. AA LG Hamburg, Urt. v. 20.7.2018 – 317 O 101/17, zweifelhaft. 453 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. Emde

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Provisionsgarantie: Übersteigen die Garantiezahlungen an den HV die tatsächlich fälligen Provisionen, berechtigt dies regelmäßig nicht zur außerordentlichen Kündigung durch den Unternehmer;454 Einseitige Provisionsherabsetzung: Ja.455 Ist der HV nicht bereit, weitere Kürzungen zu akzeptieren, obwohl er dies in einem Einzelfall getan hat, ergibt sich daraus kein Kündigungsrecht des Unternehmers.456 Werden lediglich für ein Jahr erhöhte Stammprovisionen geleistet und danach keine andere Sondervereinbarung getroffen, darf der HV zwar im gewissen Maße darauf vertrauen, dass diese Zulage nicht grundlos gekürzt wird bzw. eine Kürzung jedenfalls erläuterungsbedürftig ist.457 Der HV darf jedoch nicht ohne vorherige Rückfrage beim Unternehmer außerordentlich kündigen.458 Das gilt insb., wenn er selbst zum Ausdruck gebracht hat, nicht für den Unternehmer tätig werden zu wollen;459 Geschäftliche Diskussionen um Provisionen: Nein.460 Die Grenze dürfte aber erreicht werden, wenn vertraglich geschuldete Forderungen nicht erfüllt werden, insb. Vertriebsvergütungen. Denn ohne Gegenleistung muss niemand tätig werden; Teilweise Provisionszahlungen: Lediglich Teilauszahlung der Provision: Ja;461 Forderung nach nicht zustehenden Provisionen: zumindest bei betrügerischem Vorsatz Ja.462 Ansonsten eher Nein, jedenfalls, wenn die Ansicht des HV noch vertretbar ist; Prozessverhalten einer Partei: i. d. R. Nein, solange es nicht völlig unsachlich und beleidigend ist. So gibt die unzutreffende Erklärung eines Anwalts, keine Berufung gegen eine Klagabweisung einlegen zu wollen, kein außerordentliches Kündigungsrecht, sofern der Vertragspartner die Erklärung seines Anwalts nicht veranlasst oder geduldet hätte;463 Rabatt, Nichtgewährung: Ja, sofern der Unternehmer Kunden des HV nach Kündigung des HV die versprochenen Rabatte nicht mehr gewährt;464 Rabattierungsrichtlinien des Franchisevertrages, Nichtbeachtung: der fortlaufende Verstoß gegen die Rabattierungsrichtlinie des FG kann jedenfalls dann, wenn eine Rabattierung auf Null in zahlreichen Fällen vorliegt, einen wichtigen Grund zur Kündigung bilden.465 Einer Abmahnung bedarf es dann unter Umständen nicht;466 Qualifikation des HV: Mangelnde Qualifikation des HV und daraus folgende Überforderung: Ja;467

454 AA RG, Urt. v. 18.12.1919, Recht 1920, 2535; OLG Hamburg LZ 1909, 3475; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 380. 455 BGH, Urt. v. 1.10.1970 – VII ZR 171/68, WM 1970, 1513; v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, NJW-RR 1922, 481; OLG Stuttgart BB 1960, 956; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 381; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 56. 456 OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956 = HVR Nr. 296; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 382. 457 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 4.9.2014 – 19 U 64/14, IHR 2015, 114 (115). 458 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 4.9.2014 – 19 U 64/14, IHR 2015, 114 (115/116). 459 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 4.9.2014 – 19 U 64/14, IHR 2015, 114 (116). 460 OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542; Hopt § 89a Rn 22; ähnlich LG Hamburg, Urt. v. 20.7.2018 – 317 O 101/17: Streitigkeiten über die Existenz vertraglicher Ansprüche begründen angeblich kein außerordentliches Kündigungsrecht, insb. bei einem „Abwicklungsstreit“. Die Fragen können von Gerichten geklärt werden. 461 BGH, Urt. v. 1.10.1970, WM 1970, 1513; OLG Hamburg, Urt. v. 21.10.1903, OLGR 7, 385. 462 OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542. 463 OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.5.2017 – VI-U (Kart) 10/16, ZVertriebsR 2017, 313 Rn 43. 464 OLG München, Schlussurt. v. 29.7.2010 – 23 U 4893/09, BeckRS 2010, 20435. 465 OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.11.2011 – I-18 U 13/11, ZVertriebsR 2012, 183. 466 OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.11.2011 – I-18 U 13/11, ZVertriebsR 2012, 183. 467 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 386. 117

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Qualität der Waren: Lieferung qualitativ minderwertiger Waren ohne Grund: Ja.468 Über die voraussichtliche Lieferung solcher Waren muss der Unternehmer den HV informieren;469 Rechtsformwechsel/Umwandlung einer HV-GmbH: regelm. Nein;470 aber ggf. Mitteilungspflicht, s. u. Rechtsformwechsel von oHG zu GmbH: regelmäßig Nein;471 Rechtsirrtum einer Partei: Ja nur, falls erheblich und unvermeidbar; Rechtsstandpunkt: Wenn sich eine Partei auf einen Rechtsstandpunkt beruft und diesen einigermaßen vernünftig begründet, kann darin kein Grund für eine fristlose Kündigung gesehen werden.472 Ggf. müssen Gerichte entscheiden (Feststellungsklage); Falsche Reisekostenabrechnung: Ja;473 Reisetätigkeit: Fortgesetzte Verletzung berechtigt festgelegter Tourenpläne durch den HV: Ja.474 Unrichtige Angaben über die Reisetätigkeit durch den HV: Ja;475 Mangelnde Reisetätigkeit: Ja;476 Rezepte: Rückdatierung und Veränderung von Rezepten bzw. Berechtigungsscheinen durch den FN und damit fehlerhafte Abrechnung gegenüber der Krankenkasse, Ja;477 Schadensregulierungsvollmacht: Verletzung der Schadensregulierungsvollmacht: Ja.478 Dies gilt etwa bei einer falschen Bewertung des Schadens.479 Der Widerruf einer Schadensregulierungsvollmacht durch den Unternehmer berechtigt den HV nur dann zur außerordentlichen Kündigung, wenn zum Widerruf kein Recht bestand. Das ist bei Fehlen einer den Widerruf gestattenden Bestimmung der Fall, falls die Vollmacht zu den wesentlichen Bestandteilen des Vertrages gehört.480 Wird die Regulierungsvollmacht widerrufen, fehlt eine zum Ausgleich verpflichtende Vertragsbeendigung;481 Scheinanträge: Ja. Der hinreichend erhärtete Verdacht, dass der HV bewusst Scheinanträge beim Unternehmer eingereicht und auf diese Weise Provisionsvorschüsse i. H. v. 59.203,62 EUR erhalten hatte, genügt für eine Kündigung aus wichtigem Grund;482 Schleppende Provisionszahlung: Ja;483 Schulungen: Weigerung des Mittlers vertraglich versprochene Schulungen seiner Mitarbeiter durchführen zu lassen: Nach ergebnisloser Abmahnung Ja;484

468 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 387. 469 BGH, Urt. v. 12.12.1957, BGHZ 26, 161 = BB 1958, 60 = NJW 1958, 219; OLG Celle, Urt. v. 29.11.1961, DB 1962, 94; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 387. 470 BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 214/75, BB 1978, 982; LG Hamburg NJW-RR 1989, 995; Emde Die Handelsvertreter-GmbH S. 120 ff.; Seulen/Berjasevic EWiR 2015, 693 (694) – für Ausgliederung; Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1332); Emde GmbHR 1999, 1005 (1017); offen gelassen von BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 22. 471 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.5.2011 – 5 U 189/10, BeckRS 2011, 16755 m. Anm. Henne GWR 2011, 319814 sowie Hilgard BB 2011, 1811. 472 LG Kassel, Urt. v, 24.8.2011 – 9 O 983/11, BeckRS 2012, 05728. 473 OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 44. 474 LG Lüneburg, Urt. v. 21.12.1954, BB 1955, 298; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 388. 475 ArbG Düsseldorf, Urt. v. 4.1.1938, NZ 1938, 202; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 389. 476 BGH, Urt. v. 30.6.1954 – II ZR 26/53, LM § 89a HGB Nr. 1. 477 OLG Hamburg, Urt. v. 27.3.2009 – 11 U 285/05; Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (150). 478 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 391. 479 RG, Urt. v. 18.2.1930, LZ 1930, 1084. 480 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 392. 481 AA LG Stuttgart, Urt. v. 21.1.1972, VersVerm 1971, 260. 482 OLG München, Urt. v. 16.4.2015 – 23 U 3932/2014, BeckRS 2015, 07780. 483 BGH, Urt. v. 16.4.1959, HVR Nr. 211; v. 16.2.1989 – I ZR 185/87, NJW-RR 1989, 862; LG Kaiserslautern, Urt. v. 14.1.1955, HVR Nr. 81; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 385; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 56. 484 Westphal II Rn 621. Emde

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anhaltende Schlechtlieferungen, auf dessen Absatz sich der HV-Vertrag bezieht485: Ja für den HV; Sexuelle Belästigung: Ja;486 Sitzverlegung: Sitzverlegung eines Schlüsselkunden des HV: Ja, Kündigungsgrund für den HV;487 Systemgrundsätze, Verletzung durch den Franchisenehmer: Ja.488 Allerdings wird eine Abmahmung vorauszusetzen sein;489 Systemfreier Zweitbetrieb eines Franchisenehmers: Ja. Diese Verletzung des Wettbewerbsverbots durch einen FN stellt regelmäßig einen wichtigen Kündigungsgrund dar;490 Falsche Spesenabrechnungen:491 Ja; Strafbares Verhalten: Ja,492 etwa Betrug493 oder Diebstahl,494 auch wenn außerdienstlich zum Nachteil des Unternehmers.495 Sogar der Verdacht kann genügen;496 Bedrohliche und alarmierende Stornierung der Verträge: Ja;497 Tätigkeitseinstellung: Ja;498 Täuschung des HV: Wird der HV über zu erwartende Umsätze im Vertragsgebiet getäuscht, etwa indem fälschlicherweise ein guter Kundenstamm zugesichert wird, ergibt sich hieraus ein außerordentliches Kündigungsrecht;499 Tankstellen-Shop: Eine außerordentliche Kündigung ist unzulässig, wenn bei einer Kontrolle in einem Tankstellen-Shop 4 um einen Tag abgelaufene Lebensmittel gefunden werden, auch wenn der Shop-Inhaber einer Kontrollpflicht unterlag;500 Teilkündigung: Unberechtigte Teilkündigung des Vertrages: Ja;501 Private Telefongespräche durch den HV: Ja;502 unberechtigtes Führen von Titeln und Berufsbezeichnungen503: Ja; Tod des Unternehmer: Ja, für den HV, wenn die Person des Unternehmers wesentlich war.504 Für die Erben des Unternehmers: Ja, falls sie nicht bereit oder in der Lage sind, das vom HV vertretene Unternehmen fortzuführen;505

485 RGZ 65, 86 (90); BGH, Urt. v. 6.2.1986 – I ZR 92/84, WM 1986, 622; v. 12.12.1957 – II ZR 52/56, BB 1958, 60; OLG Celle DB 1962, 94; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 47. 486 RG, Urt. v. 3.12.1929, LZ 1930, 658; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 396 – hier durch den HV. 487 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 464. 488 BGH, Urt. v. 3.10.1984, NJW 1985, 1894 ff. = ZIP 1984, 1494; Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 539; Canaris § 18 Rn 33. 489 BGH, Urt. v. 3.10.1984, NJW 1985, 1894 ff. = ZIP 1984, 1494. 490 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 532. 491 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74. 492 BGH, Urt. v. 9.7.1959 – II ZR 48/58, VersR 1959, 887; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 74 (B, D, V); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 45. 493 Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89a Rn 74 (B). 494 Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89a Rn 74 (D). 495 KG, Urt. v. 22.1.1999 – 14 U 4581/97, NJW-RR 2000, 1566. 496 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 11.3.2009 – 2 U 76/09, HVR Nr. 1294 (Franchisevertrag); BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 2 AZR 700/11, NJW 2013, 1387; Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., § 89a Rn 74 (V). 497 BGH NJW-RR 1999, 539 = EWiR 1999, 611 (Emde). 498 BGH, Urt. v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, WM 1983, 1416; OLG Stuttgart DB 1982, 800 (801); LG Hamburg, Urt. v. 9.8.2013 – 418 HKO 157/12. 499 OLG Nürnberg, Urt. v. 9.2.1956, BB 1956, 352 = HVR Nr. 153; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 402. 500 Österreichischer OGH v. 23.2.2009 – 8 ObA 61/08 s. 501 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 403. 502 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 404. 503 OLG Hamburg BB 1960, 1300; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 44. 504 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 408. 505 RG, Urt. v. 10.6.1922, JW 1924, 177 mit abl. Anm. Titze; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 409. 119

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ständige Trunkenheit: Ja;506 Übermaßweisung des Unternehmers: Ja, für den HV;507 Übernahme des HV durch einen Wettbewerber: Ja;508 Überschuldung des HV: Verschuldung des HV dergestalt, dass sich diese auf seine Vertragspflichten auswirkt, etwa Unfähigkeit zur Reisetätigkeit: Ja.509 Ein verschuldeter HV ist nur dann verpflichtet, seine Schulden dem Unternehmer auf dessen Fragen bekannt zu geben, wenn die Verschuldung die Interessen des Unternehmers berührt;510 Übertreiben von Bestellungen: Wiederholte Angabe einer größeren Anzahl von Bestellungen, als sie tatsächlich vom Kunden aufgegeben wurden: Ja;511 Überwachungsverschulden: Ja, wenn HV in der Phase der Freistellung Geschäftsräume an Wettbewerber überlässt und nicht hinreichend überprüft, ob der Wettbewerber die auf den früheren Prinzipal hinweisenden Werbeschilder abnimmt, weil die Gefahr der Umleitung der Kundenströme auf den Wettbewerber besteht512 (s. a. „Freistellung“); Umsatzrückgang, der auf einer Pflichtverletzung des HV beruht, stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar.513 Für das schuldhafte Verhalten des HV ist der Unternehmer beweispflichtig.514 Nimmt der Unternehmer zunächst andere Maßnahmen vor, um den Umsatz zu stabilisieren, etwa den Vertreterbezirk zu verkleinern, kann eine außerordentliche Kündigung ausgeschlossen sein.515 Der Umsatzrückgang darf nicht lediglich geringfügig sein.516 Vergleiche zu früheren Umsätzen können u. U. eine Pflichtverletzung des Mittlers nahelegen.517 Hat der Unternehmer substantiiert vorgetragen, dass ein vertragswidriges Verhalten des Mittlers Ursache des Umsatzrückgangs war, muss der Mittler substanziiert bestreiten;518 Umsatzsteigerung, mangelnde: Nur bei Pflichtverletzung519 und Erheblichkeit;520 Umsatzvergleich zu anderen Vertriebsmittlern: geringerer Kopfumsatz als in anderen Bezirken: Nein,521 erst eine Pflichtverletzung gibt ein Kündigungsrecht; Umstellungsfrist: Eine Frist von sechs Tagen zur übergangslosen Einstellung einer jahrelang geübten Kreditierungspraxis des Mineralölunternehmens ist zu kurz bemessen.522 So-

506 OLG Celle, Urt. v. 11.2.1961, VersR 1961, 507; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 410; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 42, und zwar nicht nur, wenn der HV seine Pflichten nicht mehr erfüllen kann.

507 BGH, Urt. v. 16.4.1959, HVR Nr. 211, OLG Celle, Urt. v. 26.1.1961, DB 1961, 369; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 462. 508 OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.10.2013 – VI-U (Kart) 36/13, NZKart 2014, 35 (36). 509 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 437. 510 OLG Nürnberg, Urt. v. 15.3.1960, DB 1960, 956 = VersR 1960, 904; OLG Hamburg, Urt. v. 21.9.1962, VersR 1963, 278 (279); Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 438. 511 BGH, Urt. v. 21.11.1980, DB 1981, 987 = VersR 1981, 190 = WM 1981, 172; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 431. 512 LG Krefeld, Urt. v. 27.1.2010 – 7 U 96/09, VersR 2010, 945. 513 BGH, Urt. v. 18.2.1982 – I ZR 20/80, WM 1982, 632; EBE 2000, 109 (110); v. 4.7.1960, VersR 1960, 707; v. 20.2.1958 – II ZR 20/57, BB 1958, 894; OLG Karlsruhe, Urt. v. 1.12.1970, BB 1971, 888 = DB 1971, 572; v. 25.2.1977, HVR Nr. 505; OLG Köln, Urt. v. 4.3.1970, VersR 1971, 372; OLG Nürnberg, Urt. v. 28.2.1963, BB 1963, 447; OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956 = HVR Nr. 296; LG Stuttgart, Urt. v. 19.4.1968, HVR Nr. 378; LG Essen, Urt. v. 22.4.1952, HVR Nr. 27; Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (72); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41; Holling BB 1961, 995. 514 OLG Nürnberg, Urt. v. 28.2.1963, BB 1963, 447. 515 OLG Nürnberg, Urt. v. 28.2.1963, BB 1963, 447. 516 OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.10.1975, HVR Nr. 495; Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (73). 517 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (72). 518 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (73). 519 BGH, Urt. v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, ZIP 1990, 1197 (1198); Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (73). 520 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (73). 521 OLG Celle, Urt. v. 8.10.1958, HVR Nr. 217. 522 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05. Emde

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fern ein Verhalten jahrelang geduldet wurde kann eine fristlose Kündigung nicht auf den Verstoß gegen eine erstmalig anderslautende Weisung gestützt werden;523 Umstrukturierung des Franchisesystems: angeblich Ja.524 Das wird man aber nur in Extremfällen annehmen können, z. B. in Fällen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit. Denn der Unternehmer kann sich nicht selbst außerordentliche Kündigungsgründe schaffen; unangemessenes Auftreten: Ja;525 Unberechtigte Klagerhebung: i. d. R. Nein, jedoch kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.526 Jede Partei hat das Recht auf Prüfung ihres Anliegens durch Gerichte; Unberechtigte Vorwürfe (hier Unterschlagung von Musterkoffern): Ja.527 Unberechtigte Vorwürfe gegen den HV von dritter Seite: Ja, wenn damit eine Gefährdung der eigenen Lage verbunden ist;528 Unberechtigter Widerspruch gegen eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung: Nein;529 Unbestellte Ware: Sofern Kfz-Hersteller ihren Vertragshändlern unbestellte Ware liefern, in Rechnung und in die Kreditfinanzierung einstellen, gibt es dafür keine Rechtsgrundlage.530 Der Händler gewinnt hierdurch nach Abmahnung ein außerordentliches Kündigungsrecht. Auch die dem Händler obliegende Absatzförderungspflicht gibt dem Hersteller kein Recht zur unbestellten Zusendung von Waren;531 nachhaltiger Ungehorsam gegenüber Weisungen des Unternehmers; Ja;532 Unhöflichkeiten: Nein,533 sofern nicht die Schwelle zur Beleidigung überschritten ist; unreelles Gebahren gegenüber dem HV, z. B. hinsichtlich der Auszüge nach § 87c: Ja; Unrentabilität des Franchisebetriebs: Nein für FG.534 Ein Kündigungsrecht besteht nur, wenn der FN das Potenzial des Betriebs bewusst nicht ausschöpft und damit seine Absatzförderungspflicht nachhaltig schuldhaft verletzt.535 Fehlender wirtschaftlicher Erfolg stellt angesichts der Betriebsführungspflicht des FN auch keinen wichtigen Grund zur außerordentl. Kündigung durch den FN dar. Der Betrieb eines dauerhaft unwirtschaftlichen Unternehmens ist vom FN jedoch nicht zu verlangen.536 Dies gilt jedenfalls, wenn die Laufzeit des Franchisevertrages zwanzig Jahre beträgt; Unrentabilität des HV-Betriebes: Nur wenn nachhaltig und zur wirtschaftlichen Vernichtung des des HV führt;537 Untätigkeit des HV: Ja;538

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KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05. BGH GRUR Int. 2006, 59; Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (150). OLG Hamburg DB 1960, 1451. Bejaht von OLG Celle BB 1973, 711; s. a. Hopt § 89a Rn 17. OLG Nürnberg, Urt. v. 5.2.1965, BB 1965, 688 = VersR 1965, 760. BGH, Urt. v. 24.3.1959, BB 1959, 540 = HVR Nr. 208, mit der zweifelhaften Feststellung, es bestehe keine Pflicht des Arbeitgebers, sich schützend vor seine Arbeitnehmer zu stellen. 529 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 119 (zur ordentlichen Kündigung). 530 LG Frankfurt/M. – 3/14 O 131/09, DB 2010, 2641 m. Anm. Oberhammer. 531 LG Frankfurt/M. – 3/14 O 131/09, BB 2010, 2641 m. Anm. Oberhammer. 532 OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956. 533 OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956; RG, Urt. v. 22.1.1919, JW 1919, 504 m. Anm. Titze; OLG Hamburg, Urt. v. 7.7.1903, OLGR 7, 385. 534 Billing WM 2007, 245 (251). 535 Billing WM 2007, 245 (251); Martinek/Martinek/Habermeier Handbuch des Vertriebsrechts3 § 29 Rn 22. 536 Billing WM 2007, 245 (251). 537 OLG Frankfurt/M. WM 1984, 1009; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 47. 538 BGH, Urt. v. 27.2.1981 – I ZR 3979, DB 1981, 1772; v. 9.4.1964, BGHZ 41, 292 = NJW 1964, 1622; OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.9.1981, HVR Nr. 538; OLG Frankfurt/M. DB 121

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Unterlagen: Verletzt der Unternehmer seine aus § 86a folgende Bereitstellungspflicht, kann dies ein außerordentliches Kündigungsrecht geben, zumindest bei beharrlicher Verletzung;539 Unterlassene Information über Änderungen der Unternehmensstruktur, etwa falls sie die Haftungsstruktur des Mittlers nachhaltig berühren: Ja.540 Dies mag zum Beispiel bei der Umwandlung eines einzelkaufmännischen Betriebes in eine Kapitalgesellschaft der Fall sein.541 Gleiches gilt, wenn es dem Unternehmer erkennbar auf den Vertragsschluss mit einer natürlichen Person ankam und er der Umwandlung nicht zustimmt;542 Unterrichtungspflicht: Mangelnde Unterrichtung über eine Tätigkeit für andere Unternehmer, sofern dies vereinbart oder ausnahmsweise wegen der Beeinträchtigung der Unternehmerinteressen gefordert war: Ja;543 Unterschrift: Unberechtigte Unterschriftsleistung: Ja, zumindest, wenn dem Unternehmen ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist;544 Unterstützung eines Wettbewerbers: Ja, etwa durch Anpreisung eines Wettbewerbers des Unternehmers auf der Homepage des HV (ohne Abmahnung)545 oder durch Überlassung der Kundenräume an diesen (s. „Freistellung“ und „Geschäftsraumpartnerschaft“);546 Untervertreter: Mangelnde Erfüllung des HV beim Einsatz von Untervertretern: Ja;547 Längerfristiges Unvermögen zur Vertragserfüllung, etwa aufgrund langfristiger Berufsoder Arbeitsunfähigkeit des HV oder Betriebseinstellung des Unternehmers: Nein für den Unternehmer, wenn die Einstellung länger voraussehbar war und durch rechtzeitige ordentliche Kündigung zu vermeiden gewesen wäre.548 Ja vor allem bei unvermittelt eintretenden Umständen, z. B. nach plötzlicher Erkrankung des HV, Zerstörung des Betriebs.549 Der von der Vertragswidrigkeit betroffenen Gegenpartei kann das Unvermögen und die Betriebseinstellung ein Kündigungsrecht geben; Unwahre Angaben: Verbreitet der HV unwahre Angaben über das vertriebene Produkt: Ja550: Auch ein einmaliger Zwischenfall kann für die Zerstörung des notwendigen Vertrauensverhältnisses ohne Abmahnung ausreichend sein;551 Unzuverlässigkeit des HV, wenn sie das Vertrauen des Unternehmers nachhaltig erschüttert.552 Beispiele: weder auf die vertraglichen noch auf die außervertraglichen Zusicherungen des HV ist Verlass; etwa falls der Generalvertreter einer Versicherungsgesellschaft nachträg-

1967, 329; OLG Hamm, Urt. v. 3.11.1958, BB 1959, 682 = NJW 1959, 677; OLG Stuttgart, Urt. v. 22.5.1970, BB 1970, 1112; LG Hamburg, Urt. v. 9.8.2013 – 418 HKO 157/12; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 416; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89a Rn 19. 539 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 283; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 11. 540 BGH BB 1978, 982; Westphal II Rn 608. 541 Westphal II Rn 680. 542 LG Göttingen, Urt. v. 21.3.2007 – 5 O 247/06, VersR 2007, 1696. 543 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 421. 544 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 24.10.1990, VersR 1992; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 423. 545 LG Karlsruhe, Urt. v. 19.9.2008 – 6 O 68/07, BeckRS 2009, 21032. 546 LG Krefeld, Urt. v. 27.1.2010 – 7 U 96/09, VersR 2010, 945. 547 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.5.1960, BB 1960, 1300; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 424. 548 BGH, Urt. v. 30.1.1986 – I ZR 185/83, NJW 1986, 1931; v. 7.2.1974 – VII ZR 93/73, WM 1974, 351 (352); OLG Dresden ZIP 1996, 73; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Ende BB 1996, 2260 f.; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 68; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 51, 55; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1c. 549 OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 68; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 51, 55; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10c. 550 BGH, Urt. v. 20.10.1955 – II ZR 75/54, DB 1956, 136; v. 5.10.1989 – I ZR 160/88, NJW-RR 1990, 171; RG, Urt. v. 16.2.1932, JW 1937, 1311 m. Anm. Barz; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 425; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 18. 551 RG, Urt. v. 16.2.1937, JW 1937, 1311. 552 BGH DB 1956, 136. Emde

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lich hervorgetretene Tatsachen nicht mitteilt, welche die Versicherungsleistung gemindert hätten,553 und dies, obwohl eine Rückforderung des zuviel Gezahlten noch möglich gewesen wäre; Nichterfüllung wiederholter Zusagen in einem langjährigen Vertrauensverhältnis;554 Zerstörung des Vertrauensverhältnisses durch einmalige Unwahrhaftigkeit des Generalvertreters, dem durch einen für unbeschränkte Dauer geschlossenen Vertrag der Generalvertrieb eines Artikels „unwiderruflich“ übertragen war;555 Verdacht einer Wettbewerbstätigkeit: Ja, wenn trotz Aufforderung nicht ausgeräumt;556 Verkauf der Handelsvertretung: Ein Asset-Deal des HV, mit welchem er sein Unternehmen veräußert, berechtigt zur fristlosen Kündigung, sofern der HV danach nicht mehr zur Vertragserfüllung im Stande ist.557 Dies gilt insb., wenn Dritten hierdurch ohne Zustimmung des Unternehmers dessen Geheimnisse zugänglich werden. Bei einem Share-Deal bleibt der Vertrag mit der Gesellschaft, deren Anteile veräußert wurden, bestehen. Ein außerordentliches Kündigungsrecht des Unternehmers besteht in jener Situation nur bei Interessengefährdung, etwa nach Ausscheiden von Schlüsselpersonen oder Unzumutbarkeit des neuen Gesellschafters, z. B. bei einem Verkauf an einen Wettbewerber; Vermittlung kreditunwürdiger Kunden: Ja,558 jedenfalls nach Abmahnung; Vermögensverfall einer Vertragspartei:559 Ja; Bei Vertragsbeginn bekannte Gründe: Nein. Das wäre eine bloße Vertragsreue;560 Vertragsverletzung bei unklaren Vertragsklauseln: Nein;561 Verwaltungstätigkeit: Weigerung des HV zu vertraglich vorgesehenen Verwaltungstätigkeiten (Inkasso, Schadensregulierung, Ausarbeitung von Angeboten, Regaldienst): Ja,562 aber Abmahnung; Vollmachtsüberschreitung durch den HV: Ja;563 Vorbereitung weiterer Tätigkeit: Suche und Abschluss nach einem Nachfolgevertrag: Nein.564 Auch ein Verhandeln mit der Berufsorganisation über den Neuvertrag ist hinzunehmen.565 Der HV darf Vorbereitungshandlungen für eine Nachfolgevertretung vornehmen. Dies setzt aber voraus, dass es bei Vorbereitungshandlungen bleibt. Die probeweise Vermittlung von Produkten ist ein zur Kündigung berechtigender Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot;566 Vorkasse, Bestehen des Unternehmers auf:567 mglw. Ja, insb. sofern hierauf kein Recht bestand und die Voraussetzungen des § 321 BGB nicht gegeben sind; Vorstrafen des HV: Ja, wenn die Möglichkeit nahe liegt, dass der HV im Rahmen seiner Tätigkeit Versuchungen ausgesetzt ist, die zu neuen Straftaten führen568 oder ein vorbe-

553 554 555 556 557 558 559

RG HRR 1930, Nr. 1035. KG IRPV 1936, 283. RG JW 1937, 131110. OLG München HVR Nr. 888; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 38. OLG Hamburg, Urt. v. 21.9.1962, DB 1962, 1663 = VersR 1963, 278; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 324. BGH, Urt. v. 14.3.1960 – II ZR 79/58, BB 1960, 574; OLG Karlsruhe DB 1969, 741. BGH, Urt. v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (295) = ZIP 1995, 1001 (1003); OLG Dresden ZIP 1996, 73 = EWiR 1996, 1133 (v. Manteuffel/Evers); OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 69; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 47, 55. 560 OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692. 561 OLG München HVR Nr. 699; Hopt § 89a Rn 18. 562 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 444. 563 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 445. 564 BGH, Urt. v. 20.6.1968 – VII ZR 12/66, n. v.; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 440, 447; OLG Nürnberg, Urt. v. 27.5.1958, HVR Nr. 160. 565 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 448. 566 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 449. 567 OLG Düsseldorf OLGR 1997, 111. 568 RG, Urt. v. 3.12.1929, LZ 1930, 658, das einen strengen Maßstab anlegen will; RG, Urt. v. 26.9.1924, LZ 1925, 1275; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 450. 123

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strafter HV nicht akzeptabel ist. Die Vorstrafen dürfen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bekannt gewesen sein. Eine rechtskräftige Verurteilung des zu Kündigenden wegen der Tat, die den Kündigungsgrund darstellen soll, bindet das Zivilgericht nicht (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO).569 Die Frage der Bindungswirkung stellt sich nicht, falls die Tatsache der Verurteilung bereits die Kündigung rechtfertigen kann;570 Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit: Wahrheitswidrige Behauptung der Arbeitsunfähigkeit: Ja;571 Vorvertragliche Umstände: Ja, wenn sie dem Kündigenden bei Vertragsschluß unbekannt waren und die Fortsetzung des Vertrages unzumutbar werden lassen.572 Das ist regelm. anzunehmen, wenn die Umstände – vertragsbegleitend – ein Kündigungsrecht nach § 89a geben würden; Verletzung der Aufklärungspflicht über vorvertragliche Umstände: Fehlende Aufklärung durch den HV über vertragsrelevante, vorvertragliche Umstände: Ja;573 Verluste des Unternehmers ohne durch den HV verschuldeten Umsatzrückgang: Ja, sofern die Kündigung notwendig ist, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern;574 nach aA bereits, wenn laufend hohe Verluste entstehen575 bzw. sich Verluste abzeichnen.576 Verluste des Unternehmers lassen die Fortsetzung eines Unterhändlervertrages jedoch nicht unzumutbar werden, sofern der Unternehmer den Vertrag im Jahre 2011 schloss, obwohl 2009 und 2010 jeweils Verluste in Höhe 3,2 Mio. EUR eintraten, um dann im Jahre 2014 bei ähnlichen Verlusten zu kündigen.577 S. a. Stichwort „Betriebseinstellung“. Entscheidend ist allein, wie sich die wirtschaftliche Lage und ihre Weiterentwicklung bei vernünftiger Betrachtung im Zeitpunkt der Kündigung darstellt.578 Der wirtschaftliche Niedergang kann nicht erst dann berücksichtigt werden, wenn Vermögen und Kredit verbraucht sind und die Schließung des Betriebs des Unternehmens erforderlich wäre.579 Dass „rote Zahlen“ geschrieben werden soll nicht erforderlich sein.580 Der HV muss sich am Risiko des geschäftlichen Niedergangs beteiligen lassen; Verluste des Mittlers: Ja,581 es gilt das zu Verlusten des Unternehmers Gesagte entsprechend; Vernachlässigung von Pflichten: Ja;582 Vermittlung zahlungsunfähiger VN durch den VV: Nur bei Erkennbarkeit.583 Mangels konkreter Vorgaben muss es grunds. der Einschätzung des geschäftsfähigen, ordnungsgemäß aufgeklärten VN überlassen bleiben, ob er den Versicherungsvertrag abschließen möchte und die anfallenden Prämien wird aufbringen können. Es kann dahin stehen, ob

Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 123. BAG, Urt. v. 8.6.2000 – 2 ABR 1/00, ZIP 2000, 2265; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 123. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 452. Westphal II Rn 596. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 453. BGH, Urt. v. 20.2.1958, BB 1958, 894 = VersR 1958, 243; RG, Urt. v. 9.3.1933, WarnRspr. 1933 Nr. 79 = HRR 1933 Nr. 833; v. 18.12.1919, Recht 1920 Nr. 2535; v. 13.12.1911, WarnRspr. 1912 Nr. 121; v. 2.12.1910, JW 1912, 158; OLG München, Urt. v. 5.1.1914, LZ 1914, 1055; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 434; Canaris § 17 Rn 89; Hopt § 89a Rn 21. Kritisch Emde ZVertriebsR 2020, 138 (154). 575 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (72). 576 Oetker/Busche6 § 89a Rn 21. 577 LG München I, Urt. v. 20.10.2014 – 10 HKO 7132/14. 578 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 435. 579 BGH, Urt. v. 20.2.1958, BB 1958, 894 = VersR 1958, 243. 580 Hopt § 89a Rn 21. 581 Hopt § 89a Rn 25 i. V. m. Rn 21. 582 BGH, Urt. v. 18.2.1982 – I ZR 20/80, WM 1982, 632; OLG Celle NdsRPfleger 1959, 109 (110); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41. 583 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304.

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und inwieweit der jeweilige VV die Versicherungsvermittlung von der – positiven – Prognoseentscheidung abhängig zu machen hat, dass der Kunde voraussichtlich seine Prämien zahlen – können – wird. Es liegt in der Natur einer solchen Prognoseentscheidung, dass sie mit Unwägbarkeiten und Unsicherheiten behaftet ist; sollte der VV Kunden mit finanziell beschränkten Möglichkeiten nur sehr zurückhaltend Verträge vermitteln, wird er unter Umständen die von dem Versicherer an ihn gerichteten Erwartungen nicht erfüllen können. Pflichtwidrig wird die Vermittlung eines Versicherungsvertrages daher nur, wenn es für den VV offenkundig ist, dass der VN die Prämien auf gar keinen Fall wird bedienen können, der Vertrag also von vornherein zum Scheitern verurteilt ist;584 Vermittlung stornierungsgeneigter Verträge durch VV: Nur bei Erkennbarkeit der Stornierungsgefahr;585 Verschmelzung: Eine Verschmelzung eines Vertragspartners mit einem Drittunternehmen kann dem anderen Vertragspartner einen außerordentlichen Kündigungsgrund geben. Auf Seiten des Unternehmers als Verschmelzendem ist etwa an eine Veränderung des Verkaufsprogramms zu denken, oder an den Fall, in dem der Verschmelzungspartner bereits eine Außendienstorganisation besitzt.586 Auf Seiten des HV als Verschmelzenden steht die Unzumutbarkeit des Verschmelzungspartners im Vordergrund, etwa falls er Wettbewerber vertritt. Dem HV muss aber die Zeit gegeben werden, seine Verhältnisse zu ordnen. Regelmäßig ist zunächst Vertragstreue gefordert; erst ordentliche Kündigung, dann Verschmelzung; Verwahrung von Fremdgeldern: Ist dem HV Inkassovollmacht erteilt worden, so muss er Fremdgelder gesondert aufbewahren, ohne sie mit fremdem oder eigenem Geld zu vermischen.587 Sie müssen der Verfügungsbefugnis unbefugter Dritter entzogen werden.588 Verletzung dieser Pflichten: Ja;589 Verschlechterung der Vermögensverhältnisse: Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des HV: Ja, soweit sie die Vertragsausführung berührt;590 Verschlechterung der Ware des Unternehmers: Ja,591 wenn erheblich; Verschweigen von Konkurrenztätigkeit: Leugnen eines verbotenen Wettbewerbsgeschäftes: Ja;592 Vertretertreffen: Vertretertreffen ohne Beteiligung des Unternehmers: Nein;593 Verwaltung eines Treuhandfonds: Ja, falls der FG bei seiner Verwaltung über einen längeren Zeitraum von den Regelungen des Franchisevertrages zum Nachteil des FN abweicht und dies vor dem FN verheimlicht;594 Wegfall wichtiger Kunden: U. U. Ja für den HV,595 insb. eines existenziell wichtigen Kunden.596 Ein etwa vorhandener Ersatzkunde schließt dieses Recht nicht aus, wenn völlig of-

584 585 586 587 588

OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; Evers/Oberst VW 2008, 1931. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 333. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 269. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 54a; LG Frankfurt/M., Urt. v. 30.3.1976 – 3/4 HKO 224/75 zur Verwahrungspflicht des Tankstellenhalters; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 269. 589 OLG Celle, Urt. v. 9.5.1958, BB 1958, 894 m. Anm. von Lüpke = HVR Nr. 179; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 270. 590 RG, Urt. v. 22.11.1918, LZ 1919, 375; ROHG, Urt. v. 17.6.1871, ROHGE 2, 436; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 345; Münchkomm/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 47; Hopt § 89 Rn 20. 591 BGH, Urt. v. 3.3.1993 – VIII ZR 101/92, BGHZ 122, 9 = NJW 1993, 1386. 592 BGH, Urt. v. 20.10.1955, BB 1956, 95 = DB 1956, 136. 593 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 457. 594 OLG München, Urt. v. 25.8.2005 – 6 U 4084/04, DB 2006, 554. 595 BGH, Urt. v. 20.3.1981 – I ZR 12/79, DB 1981, 2274; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 58. 596 OLG Köln, Urt. v. 9.8.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642. 125

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fen ist, ob er die Produkte des neuen Lieferanten akzeptiert und sie im vergleichbaren Umfang wie bisher ordert;597 Nichtbefolgung zulässiger Weisungen: Ja;598 Weisungsrecht: Ein übermäßig stark ausgeübtes Weisungsrecht, welches die Tätigkeit des HV wesentlich erschwert, kann den HV zur fristlosen Kündigung des Vertrages und Schadensersatz berechtigen;599 Weisungswidrige Annahme von Kundenaufträgen durch den HV: Ja;600 Weisungswidriges Unterzeichnen von Auftragsannahmeformularen: Ja;601 Werbefond: Missbrauch der vom FG für den FN übernommenen Verpflichtung, einen Werbefonds treuhänderisch zu verwalten, Ja;602 Werkspionage: Ausforschung von Betriebsgeheimnissen des Unternehmers: Ja;603 Werkstatttest: Bei einer Kfz-Werkstatt soll das Nichtbestehen des Werkstatttests einer Fachzeitschrift einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen, eine Abmahnung soll nicht erforderlich sein.604 Der Werkstatttest schädige das Image der Marke des Kfz-Herstellers. Es könne nicht angehen, dass eine Werkstatt ein verkehrsuntüchtiges Fahrzeug als verkehrstüchtig dem Kunden überlasse; Wettbewerbsverbot, Information: Der HV soll angeblich seine Intention, nach Vertragsende für einen Wettbewerber des Unternehmers tätig zu werden, offenbaren müssen.605 Der Unternehmer solle die Möglichkeit haben, den Einsatz des HV während der Kündigungsfrist so zu gestalten, dass ihm kein Schaden entsteht. Je nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere bei langer Kündigungsfrist, soll die Verletzung der Offenbarungspflicht einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen606 (zwh.); Wettbewerb durch Gesellschafter einer HV-GmbH: Ja, falls die Gesellschaft möglichen Einfluss unterlässt,607 zudem bei Schädigungsgefahr und Schädigungswahrscheinlichkeit;608 Wettbewerbsverstoß des HV nach unberechtigter Kündigung durch Unternehmer: Die Prüfung, ob der Unternehmer hier kündigen darf oder eine Kündigung durch Treu und Glauben ausgeschlossen ist, hat unter Berücksichtigung aller Einzelfallmomente zu erfolgen;609 willkürliche Untersagung der Tätigkeit des HV: Ja; Zahlungseinstellung: nicht aufgrund folgender, unwirksamer Klausel: „Unternehmer ist zur Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund berechtigt, wenn HV seine Zahlungen einstellt oder über sein Vermögen ein Insolvenz-, Vergleichs-, oder ein anderes Schuldenregelungsverfahren eingeleitet wird.“.610 Der Begriff der Zahlungseinstellung soll unbestimmt

597 OLG Köln, Urt. v. 9.8.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642. 598 BGH, Urt. v. 27.2.1981 – I ZR 39/79, DB 1981, 1772; v. 4.6.1986 – I ZR 161/84, VersR 1986, 1072; v. 21.1.1993 – I ZR 23/91, NJW-RR 1993, 741; OLG Nürnberg MDR 1974, 144; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 38; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 38, 39. 599 BGH, Urt. v. 16.4.1959, HVR Nr. 211; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 318; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32. 600 BGH, Urt. v. 14.3.1960 – II ZR 79/58, VersR 1960, 414; v. 21.1.1993 – I ZR 23/91, NJW-RR 1993, 741. 601 BGH, Urt. v. 4.6.1986 – I ZR 161/84, VersR 1986, 1072; OLG Frankfurt/M. VersR 1992, 492. 602 OLG München, Urt. v. 25.8.2005 – 6 U 4084/04; Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (150). 603 BGH, Urt. v. 5.2.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 463. 604 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.2.2010 – VI-W (Kart) 1/10, zit. n. BB 2010, 1801. 605 OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.12.1972; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 371. 606 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 373; offengelassen von OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.12.1972, n. v. 607 Emde GmbHR 1999, 1005 (1015). 608 Emde GmbHR 1999, 1005 (1015). 609 BGH, Urt. v. 12.3.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker); v. 17.10.1991 – I ZR 248/89; NJW-RR 1992, 481. 610 KG, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06 – Tankstellen-HV. Emde

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sein. Erforderlich sei ein bestimmter oder erheblicher Rückstand.611 Außerdem sei eine vorherige Abmahnung erforderlich;612 Zahlungsschwierigkeiten: Wahrheitswidrige Behauptung von Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmers durch den HV: Ja;613 Zahlungsverzug: Der Verzug mit der Zahlung fälliger Beträge in Höhe von 80.823,70 EUR durch einen Vertragshändler stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar,614 zuvor muss abgemahnt werden;615 Zentralinkasso: Übergang vom Vertreterinkasso zum Zentralinkasso: regelmäßig Nein, es sei denn, der HV war vertraglich zum Inkasso berechtigt;616 Zerstörung des Vertrauensverhältnisses: Ja;617 Zurückbehaltungsrecht: Zulässige Ausübung des ZBR durch den HV: Nein.618 Dies gilt auch dann, wenn die Ware, an der das ZBR ausgeübt wird, nicht verkauft werden kann.619 Selbst wenn das ZBR vom HV nicht hätte geltend machen dürfen, mag ein entschuldigender Rechtsirrtum vorliegen; Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses: Ja,620 insb. durch Vertragsverletzungen621: Zusatzvertretung, genehmigungspflichtige: Nichteinholung der vertraglich erforderlichen Genehmigung durch den HV: Ja.622

14. Abmahnung Jedenfalls einer außerordentlichen Kündigung wegen Verfehlungen im Leistungsbereich hat 34 regelmäßig eine Abmahnung nach § 314 BGB vorauszugehen.623 Das Erfordernis einer Abmahnung oder das Setzen einer zur Abhilfe bestimmten Frist vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ist nicht in § 89a, sondern in § 314 Abs. 2 BGB geregelt. Das Abmahnerfordernis rechtfertigt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz624 und der Treupflicht.625 Wo eine Mahnung Vertragstreue wiederherstellen kann, soll nicht sofort gekündigt werden dürfen. Die 611 612 613 614 615 616 617 618 619 620 621 622

KG, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06. KG, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06. OLG Hamburg, Urt. v. 2.4.1958, HVuHM 1958, 285; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 465. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42 (43). OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42 (43). Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 466. BGH, Urt. v. 20.10.1955 – II ZR 75/54, DB 1955, 136; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 58. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 469. Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 470. Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (208). Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (208). BGHZ 129, 290 (295); BGH, Urt. v. 7.7.1983 – I ZR 115/81, NJW 1984, 2101; v. 21.3.1985 – I ZR 117/82, WM 1985, 982 (983); OLG Köln, Urt. v. 20.7.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241; OLG Celle, Urt. v. 18.12.1970 – 834/69; OLG Köln VersR 1972, 664; OLG Nürnberg, Urt. v. 13.12.1962, BB 1963, 203 = HVR Nr. 342; OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.1.1997 – 1 O 188/96, HVR Nr. 820; OLG Hamm, Urt. v. 6.6.1991 – 18 U 114/90, NJW–RR 1992, 364 = HVR Nr. 753; Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (212) zum Franchising; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 472, 476; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 74; Ulmer/Schäfer ZIP 1994, 753 (766). 623 BGH, Urt. v. 11.1.2006 – VIII ZR 396/03, BB 2006, 517 (518); v. 17.1.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637; v. 16.12.1998 – VIII ZR 381/97, NJW-RR 1999, 539 = EWiR 1999, 611 (Emde); OLG München, Urt. v. 17.4.2019 – 7 U 2711/18, ZVertriebsR 2019, 254 Rn 30; v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080 (1082); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045) = EWiR 2007, 525 (Döpfer); Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (208, 211 ff.). Zur Rspr. im Arbeitsrecht – auch zur Historie – s. Neumann/Hampe DB 2014, 1258. 624 OLG Stuttgart, Urt. v. 29.4.2008 – 10 U 233/07, OLGR 2008, 834 = BB 2008, 1954 = VersR 2009, 218. 625 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 25. 127

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Kündigung bildet die ultima ratio. Daraus folgt die Grenze des Abmahnerfordernisses: Eine Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit626 entbehrlich, falls eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Vertrauensgrundlage auch durch eine Abmahnung und nachfolgende Vertragstreue verloren wäre (§ 314 Abs. 2 BGB). In diesen Ausnahmefällen wäre die Vertragsfortführung trotz späterer Vertragstreue unzumutbar. In allen anderen Fällen ist eine Abmahnung erforderlich.627 Eine ungenügende, sachlich nicht gerechtfertigte628 oder unwirksame Abmahnung verfehlt 35 die erforderliche Warnfunktion.629 Ohne zumutbare Abmahnung fehlt es am wichtigen Grund (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit)630 und die Kündigung ist unwirksam. Beruht der Fehler der Abmahnung auf lediglich formeller Unwirksamkeit und ist die Abmahnung sachlich richtig, kann die Warnfunktion bestehen und die Kündigung bleibt wirksam.631 Die wegen fehlender Abmahnung unwirksame Kündigung kann in eine wirksame Abmahnung umgedeutet werden.632 Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann zudem als ordentliche Kündigung aufrechterhalten werden, falls in jedem Fall auch ordentlich gekündigt werden sollte. §§ 164 ff., 174 und 180 BGB gelten entsprechend.633 36 Gem. § 314 Abs. 2 BGB ist die Abmahnung oder die Fristsetzung zur Abhilfe nur bei Verletzung einer vertraglichen Pflicht gefordert. Das kennzeichnet die Mindestanforderungen, schließt jedoch ein Abmahnerfordernis in anderen Fällen nicht aus. Wenngleich darin meist auch eine Vertragsverletzung zu erblicken sein wird, ist das Abmahnerfordernis auf alle Fälle zu erstrecken, in denen ein der Abhilfe fähiger Kündigungsgrund aus der Sphäre des möglichen Kündigungsempfängers stammt.634 Das ergibt sich nicht erst aus § 314 Abs. 2 BGB (ggf. analog), sondern bereits aus den Treupflichten sowie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip635: Nur in Fällen, in denen auch durch Abmahnung oder Fristsetzung das Vertrauen nicht wiederherzustellen ist, darf gekündigt werden, ohne dass dem Vertragspartner zuvor die Chance zur Besserung geboten wurde. Zudem muss dem Schuldner eine Abhilfe während der gesetzten Frist möglich und zumutbar sein.636

37 a) Inhalt und Form der Abmahnung. Dem zu Kündigenden muss in einer geeigneten Form (nicht notwendigerweise wörtlich) mittels der Abmahnung oder der Fristsetzung als zugangsbedürftige Willenserklärungen (Kenntnisnahme wie bei anderen Willenserklärungen nicht erforderlich)637 konkret,638 individualisiert,639 bestimmt,640 unzweideutig,641 unmißverständlich und 626 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 20. 627 OLG Stuttgart, Urt. v. 29.4.2008 – 10 U 233/07, OLGR 2008, 834 = BB 2008, 1954 = VersR 2009, 218. 628 Offen gelassen von BAG, Urt. v. 23.6.2009 – 2 AZR 283/08, BB 2010, 255 (Arbeitsrecht). Nach Ansicht des BAG kommt es darauf an, ob der Gekündigte erkennen kann, welches Verhalten der Kündigende erwarte und welches Fehlverhalten er als so schwerwiegend betrachte, dass es ihm Anlass zur Beendigung des Vertrages geben werde. 629 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 25; aA LAG Köln MDR 1999, 876. 630 OLG München BB 1993, 2403; Hopt § 89a Rn 10. 631 BAG, Urt. v. 19.2.2009 – 2 AZR 603/07, DB 2009, 1822 – Arbeitsrecht. 632 OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080; BGH, Urt. v. 19.1.2007 – V ZR 26/06, WM 2007, 664 zu einem Einziehungsbeschluss nach WEG. 633 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 26. 634 Sehr weitgehend OLG München, Urt. v. 17.4.2019 – 7 U 2711/18, ZVertriebsR 2019, 254 Rn 30: Auch bei Kündigungsgründen aus dem Vertrauensbereich. 635 Beide Grundsätze bleiben neben § 314 Abs. 2 BGB bestehen. 636 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (212). 637 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 26. 638 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). 639 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). 640 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). 641 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89a

ernsthaft vor Augen geführt werden, dass der exakt zu bezeichnende wichtige Grund beseitigt werden muss („inhaltliches Bestimmtheitserfordernis“).642 Das kann auch konkludent643 geschehen, wobei in der stillschweigenden Erklärung darauf hingewiesen werden muss, dass die weitere vertragliche Zusammenarbeit auf dem Spiel steht.644 Eine ausdrückliche Kündigungsandrohung ist nicht erforderlich.645 Der vorgeworfene Verstoß muss so genau bezeichnet werden, dass der Abgemahnte den Inhalt der verletzten Pflicht erkennen kann.646 Dazu genügt es nicht, wenn der Vertragspartner „immer wieder ermahnt“ wurde und mitgeteilt wird, er sei mit der Bearbeitung des Vertragsgebiets nicht zufrieden.647 Unzureichend ist es ferner, sofern die Abmahnung eine andere Situation als den Kündigungsgrund betrifft, etwa eine Abmahnung wegen der Heraufsetzung der Stornoreserve, wenn dann wegen des fehlenden Zugangs zum Onlinesystem gekündigt wird.648 Ein Formerfordernis gibt es aber nicht.649 Regelmäßig sollte die Abmahnung ausdrücklich und auch der Beweisbarkeit und Warnfunktion wegen textschriftlich erfolgen. Selbst eine die mündliche Abmahnung ist bei hinreichender Klarheit wirksam. In besonders eiligen Fällen kann und muss etwa eine mündliche Abmahnung vorgenommen werden, die aber schriftlich wiederholt oder bestätigt werden darf. Die Abmahnung kann auch konkludent erteilt werden, wenn sie auch in dieser Form hinreichend klar erfolgt (stillschweigende Kündigungsandrohung).

b) In der Abmahnung gesetzte Frist. Die Abmahnung hat dem Abgemahnten hinreichend 38 Zeit und Gelegenheit geben, die abgemahnte Vertragsstörung abzustellen.650 Hierzu ist eine angemessene, nicht statische,651 an den Verhältnissen des Einzelfalls bzw. § 323 Abs. 1 BGB652 orientierte und für die Änderung der Umstände genügende Frist zu gewähren. Je dringender der Fall und je schneller eine Abhilfe möglich ist, umso kürzer darf – nicht muss – die Frist gewählt werden. Erst nach Ablauf der Frist kann die erfolglos abgemahnte aber fortbestehende oder eine vergleichbare Vertragsstörung einen wichtigen Kündigungsgrund bilden. Das abgemahnte Verhalten ist dabei nicht Kündigungsgrund, nur das fortgesetzte oder ähnliche.653 Das Ursprungsverhalten dient aber auch hier der Illustration des Kündigungsgrundes. Auch ein nicht abgemahntes Verhalten kann im Einzelfall nach einer wegen eines anderen Verhaltens erteilten Abmahnung einen wichtigen Kündigungsgrund bilden, wenn es das „Faß zum Überlaufen bringt“ und die Neigung des Vertragspartners zu Vertragswidrigkeiten unterstreicht.654 Eine zu

642 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). 643 BGH, Urt. v. 12.10.2011 – VIII ZR 3/11, NJW 2012, 53 Rn 17 zu einem Factoringvertrag. 644 BGH, Urt. v. 12.10.2011 – VIII ZR 3/11, NJW 2012, 53 Rn 17 zu einem Factoringvertrag; OLG München, Urt. v. 17.4.2019 – 7 U 2711/18, ZVertriebsR 2019, 254 Rn 30; OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542; Schaub NJW 1990, 872 (873); Hoss MDR 1999, 333 (335); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 21; Ebenroth/Löwisch, Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 25; aA RGRK-BGB/Corts § 626 Rn 44; Kranz NZA 1998, 1464. 645 BGH, Urt. v. 12.10.2011 – VIII ZR 3/11, NJW 2012, 53 Rn 17 zu einem Factoringvertrag; sehr weitgehend OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42 (43); Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (211). 646 BAG, Urt. v. 23.6.2009 – 2 AZR 283/08, BB 2010, 255 – Arbeitsrecht. 647 OLG München, Urt. v. 17.4.2019 – 7 U 2711/18, ZVertriebsR 2019, 254 Rn 30. 648 OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080. 649 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 26; Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 555. 650 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42 (43). 651 Hoss MDR 1999, 333 (336). 652 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42 (43). 653 Vgl. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 28. 654 Vgl. BAG, Urt. v. 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, NJW 1989, 2493; Schaub NJW 1990, 872 (876); Hoss MDR 1999, 333 (338); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 29. 129

Emde

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kurz bemessene Frist lässt die Abmahnung nicht unwirksam werden, sondern setzt eine angemessene Frist in Kraft.655

39 c) Abmahnung nach zweiter Vertragswidrigkeit. Wegen des in der Abmahnung gerügten Sachverhaltes darf der Mahnende den Vertrag nicht mehr außerordentlich kündigen.656 Nach einer erneuten, vergleichbaren Vertragswidrigkeit muss im Grundsatz ein weiteres Mal abgemahnt werden.657 Ob dann eine Anfechtung der Abmahnung hilft, müsste im Einzelfall geprüft werden. Dieser Grundsatz ist aber in der Praxis häufig in sein Gegenteil verkehrt: Vertragsverletzungen der Vergangenheit können bei der Beurteilung, ob ein Vertrag aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden kann, ergänzend herangezogen werden. Dazu muss allerdings im Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung ein nicht verbrauchter Kündigungsgrund existieren.658 Ergibt sich zudem im Zusammenwirken zwischen erster, abgemahnter und folgender Vertragswidrigkeit, dass der Vertragspartner sich auch durch Abmahnungen nicht zur Vertragstreue anhalten lässt, darf jetzt ohne weitere Abmahnung außerordentlich gekündigt werden, was praktisch häufig der Fall ist. Insbesondere sofern zwischem erstem und zweitem Verstoß nur eine kurze Spanne liegt, wird dieser Fall gegeben sein.659 Außerdem stellt die Fortsetzung des Vertragsverstoßes nach Ablauf der gesetzten Abhilfefrist, etwa bei Dauerdelikten, einen neuen selbstständigen Kündigungsgrund dar.660 40 Beispiele: – Frühere folgenlose Abmahnungen können zeigen, dass ein Mittler seit Jahren vertraguntreu handelt und ein Kündigungsgrund besteht.661 – Ein Kündigungsgrund besteht, sofern die zweite Vertragswidrigkeit eine Schwere erreicht, die sogar ohne die erste Vertragswidrigkeit zur außerordentlichen Kündigung ohne Abmahnung berechtigt hätte. – Eine vorherige Abmahnung steht der fristlosen Kündigung nicht entgegen, sofern deren Auslegung ergibt, dass der Abmahnende die Angelegenheit mit der Abmahnung nicht als erledigt ansieht und kein Verzicht gewollt war.

41 d) Abhilfe. Erfolgt nach der Abmahnung fristgemäß Abhilfe, so darf nicht mehr gekündigt werden. Das gilt wohl auch, wenn eine Abmahnung eigentlich unnötig war. Abhilfe erfolgt bei einer Leistungspflicht durch vertragsgemäße Erfüllung, bei einer Unterlassungspflicht durch Unterlassen. Der Abmahnende hat bei Verletzung einer Unterlassungspflicht nur einen Anspruch auf Unterlassung, wohl aber nicht auf Abgabe einer Unterlassungserklärung.662

42 e) Abmahnung unnötig. Im Regelfall ist von dem Erfordernis einer Abmahnung auszugehen. Das gilt auch bei vertraglicher Vereinbarung von Kündigungsgründen, etwa Mindestumsätzen.663 Nicht etwa liegt in der vertraglichen Vereinbarung eines Kündigungsgrundes eine „vor655 BGH NJW 1985, 2460; Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (212). 656 BAG, Urt. v. 26.11.2009 – 2 AZR 751/08, DB 2010, 733 – Arbeitsrecht; OLG München, Urt. v. 18.11.2015 – 7 U 4851/14, ZVertriebsR 2016, 35 = BeckRS 2015, 19108; OLG Köln, Urt. v. 16.4.2011 – 19 U 142/09, NJOZ 2011, 1056; LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 42; aA Bonitz/Schramm WM 2013, 1637. 657 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 29; AA BGH WM 1981, 172 (174). 658 LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 51. 659 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 29. 660 BGH NJW-RR 2011, 3361 Rn 25; OLG Frankfurt ZVertriebsR 2013, 42 (43); Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275. 661 OLG München, Urt. v. 14.10.2014 – 7 U 2604/13, ZVertriebsR 2015, 110 m. Anm. Flohr = BeckRS 2014, 19514 – Burger King FN. 662 AA Bonitz/Schramm WM 2013, 1637 (1639). 663 AA Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (78). Emde

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weggenommene Abmahnung“.664 Gem. § 314 Abs. 2 S. 2 findet aber § 323 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung,665 und zwar sowohl im HV-, Vertragshändler- und Franchiserecht.666 Das bedeutet, dass eine Abmahnung insb. nicht erforderlich ist, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, er die Leistung zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer bestimmten Frist nicht bewirkt und der Gläubiger den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat oder besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigten. Da es sich um eine entsprechende Anwendung handelt (die kaum besonders passend für den Fall der Kündigung ist), ist insb. in den Fällen des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB Vorsicht angebracht. Die Rspr. hat den Merksatz formuliert, eine Abmahnung sei unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit entbehrlich, falls eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden könne oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handele, dass die Vertrauensgrundlage auch durch eine Abmahnung und nachfolgende Vertragstreue verloren wäre.667 Allgemein lässt sich sagen, dass besonders schwere Vertrauensverletzungen vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung keine Abmahnung erfordern. Es handelt sich um Gründe, die unabänderlich die Kündigung rechtfertigen.668 Dies alles war schon vor Einführung des § 314 BGB durch die Schuldrechtsnovelle 2002 allg. Ansicht,669 auch in der Rspr.670 Jene Rspr. ist nach 2002 fortgeführt worden. Gerade bei berechtigten Zweifeln ist eine Abmahnung zwecks Klärung nötig.671 Dies gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich,672 zumal die Abgrenzung zwischen Störungen im Vertrauens- und Leistungsbereich ohnehin unscharf ist.673 Im Arbeitsrecht war früher unstrittig, dass vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung wegen Störungen im Leistungsbereich eine Abmahnung erfolgen musste.674 Dem Verletzer sollte Gelegenheit zur Korrektur seines Verhaltens gegeben werden. Betraf die Verfehlung den Vertrauensbereich, entfiel regelmäßig das zur Vertragsfortführung nötige Vertrauen, eine Abmahnung war entbehrlich.675 Nachdem das BAG seine Rspr. änderte und erklärte, Abmahnungen seien auch vor Kündigung wegen Verfehlungen im Vertrauensbereich auszusprechen, falls die Erklärung wegen eines steuerbaren Verhaltens oder aus einem Grunde ausgesprochen werde, welcher durch ein steuerbares Verhalten beseitigt werden könne,676 sollte auch im HV-Recht nicht weniger streng geurteilt wirden. Dies gilt umso mehr, da wegen 664 AA Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (78). 665 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 29; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 19. 666 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (212). 667 OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080 (1082); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304, v. 16.3.2001 – 16 U 168/99, HVR Nr. 952, OLG Stuttgart, Urt. v. 29.4.2008 – 10 U 233/ 07, VersR 2009, 218; OLG Saarbrücken, Urt. v: 25.1.2006 Rn 36; OLG Celle, Urt. v. 2.10.2008 – 11 U 82/08; LAG BadenWürttemberg, Urt. v. 7.5.2007 – 4 Sa 1/07 Rn 33; OLG Köln, Urt. v. 20.7.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241; Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (212); Hopt § 89a Rn 10. 668 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2001, HVR Nr 1078. 669 MünchKommBGB/Schwerdtner § 626 Rn 40; Schaub NJW 1990, 872; NZA 1997, 1185; Bergwitz BB 1998, 2310. 670 BGH, Urt. v. 17.1.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637; v. 16.12.1998 – VIII ZR 381/97, NJW-RR 1999, 539 (540) = EWiR 1999, 611 (Emde); OLG Düsseldorf OLGR 2000, 354 (355); KG DB 1998, 607 (608). 671 BGH WM 2001, 1034; Hopt § 89a Rn 10. 672 OLG Stuttgart, Urt. v. 29.4.2008, OLGR 2008, 834 = BB 2008, 1954 = VersR 2009, 218; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2001, HVR Nr 1078; Emde EWiR 1999, 706; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 31; aA BGH, Urt. 26.5.1999 – VIII ZR 123/ 98, ZIP 1999, 1307 (1309) = EWiR 1999, 705 (Emde); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 29; Hopt § 89a Rn 10; offen gelassen von OLG Köln, Urt. v. 20.10.2000 – 19 U 86/00, VersR 2001, 1023 = EWiR 2001, 121 (Emde) = NJW-RR 2001, 820. 673 Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 31. 674 Hoß MDR 1999, 337; Schaub Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl. 1996, § 61 VI 2a. 675 BAGE 26, 116; Schaub Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl. 1996, § 61 VI 2a. 676 BAGE 86, 95 (102); BAG DB 1999, 1121 (1122); MDR 2001, 36 (37); Palandt/Putzo § 626 Rn 18. 131

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§ 89b Abs. 3 Nr. 2 infolge der gegenüber dem HV erklärten außerordentlichen und schuldhaften Kündigung sein Ausgleichsanspruch verloren geht.677 Entbehrlich ist die Abmahnung ausnahmsweise auch, falls die Kündigung auf Umstände gestützt werden kann, auf die der prospektive Kündigungsempfänger keinen Einfluß nehmen kann.678 Genannt werden Kündigungsgründe aus der Sphäre des Kündigenden, nicht steuerbares Verhalten679 oder binnen angemessener Zeit nicht abstellbare Gründe.680 Ob der HV sein Verhalten für erlaubt hielt ist unerheblich,681 wenn das Verhalten auch im Lichte dessen die nötige Schwere erreichte. Das Ganze ist im Wege einer Gesamtabwägung zu bestimmen. Mesch682 empfiehlt, im Vertrag besonders wichtige Vertragspflichten zu bestimmen und sie als außerordentlichen Kündigungsgrund zu benennen. Eine Abmahnung sei dann bei einem Vertragsverstoß unnötig, da die vertragliche Bestimmung als außerordentlicher Kündigungsgrund eine hinreichende Warnfunktion beinhalte.683 Dem dürfte zu widersprechen sein. Denn auch das Abmahnerfordernis bildet zwingendes Recht nach § 314 BGB.

f) Beispiele 43 aa) für fehlende Abmahnbedürftigkeit: Im Falle – der Abwerbung anderer HV;684 – des leichtfertigen Äußerns strafrechtlich relevanter Vorwürfe über einen wichtigen Kunden des Unternehmers;685 – des Datenmissbrauchs, d. h., wenn der Ehemann der Handelsvertreterin, der von Anfang an im allseitigen Einvernehmen den HV-Vertrag durchführt, unbefugt umfangreiche Datensätze auf seinen privaten PC herunterlädt und dort speichert, die zur Erfüllung seiner Tätigkeit für den Unternehmer nicht erforderlich waren. Das gilt insb. wenn viele Dokumente sich auf Vorgänge beziehen, die zum Teil Jahre zurück liegen und längst abgeschlossen sind.686 Dabei waren innerhalb eines kurzen Zeitraums von nicht einmal 14 Stunden in 48 Downloads umfangreiche Datensätze heruntergeladen worden, nachdem ein Hausverbot erteilt worden war;687 – der Drohung, Gesprächsinhalte und Briefe des Geschäftsführers des Unternehmers dessen Mitarbeitern mitzuteilen, sowie der Ankündigung, die weitere Zusammenarbeit einzustellen i. V. m. der Ankündigung der gezielten Abwerbung von Mitarbeitern und der Forderung nach einer Zahlung von 60.000 EUR für die weitere Erfüllung der Vertragspflichten;688 – groben Fehlverhaltens;689 – des Bruchs der Geheimhaltungspflicht;690 – strafbarer Handlungen;691

677 678 679 680 681 682 683 684 685 686 687 688 689 690 691

Emde EWiR 1999, 612; EWiR 1999, 706. OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2001, HVR Nr 1078; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 31. Vgl. BAG MDR 2000, 279; aA BGH NJW-RR 1999, 539 (540) = EWiR 1999, 611 (Emde). BGH, Urt. v. 11.12.1981 – I ZR 139/79, EBE 1982, 132 (133). BGH, Urt. v. 26.5.1999 – VIII ZR 123/98, WM 1999, 1986; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 9. Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (12/13). Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (13). LG Gießen, Urt. v. 31.8.2001 – 8 O 78/99. OLG Köln, Urt. v. 4.7.2001 – 19 U 16/01, VersR 2002, 482. OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 18. OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 23. OLG Köln, Beschl. v. 1.8.2013 – 19 W 1/13, BeckRS 2014, 02950. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 31. Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 24. Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 31.

Emde

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der Unterstützung eines Wettbewerbers, etwa dessen Anpreisung auf der Homepage des HV692 oder falls es der HV im Zeitraum zwischen der von ihm erklärten Kündigung und dem Vertragsende duldet, dass sein Sohn, der als Untervermittler für den HV tätig war, einen Laptop mit sensiblen Kundendaten weiternutzt, obwohl er einen Wettbewerber des Hauptunternehmers vertritt;693 einer unzumutbaren Umstrukturierung des HV-Unternehmens ohne Zustimmung des Unternehmers (etwa Ausgliederung), sofern der bisherige HV im neuen Rechtsträger weder Geschäftsführer noch Gesellschafter ist.694 Denn es soll in diesem Ausnahmefall ein steuerbares Verhalten des Vertragspartners fehlen, welches durch eine Abmahnung beeinflusst werden könne. Meist wird aber eine solche Einflussmöglichkeit gegeben sein, so dass abzumahnen ist, gerade beim Rechtsformwechsel; die ohne Zustimmung der vertretenen Bausparkasse vorgenommene Versendung von Werbeschreiben des HV an Kunden, in denen fettgedruckt und wahrheitswidrig herausgestellt wird, die Kunden hätten im Rahmen eines Preisausschreibens Grundbesitz gewonnen;695 des Nichtbestehens eines Werkstatttests durch eine Kfz-Werkstatt;696 der Nichtverlängerung eines Vertrages;697 des oft heimlichen Verstoßes gegen ein vertragliches oder gesetzliches Wettbewerbsverbot;698 des Verkaufs der Handelsvertretung an einen Wettbewerber oder eine nicht genehme Person. Auch hier fehlt ein steuerbares Verhalten (s. o., zur „Ausgliederung“); der bewussten Vermittlung stornierungsgeneigter Verträge durch VV:699 der Verheimlichung und Verschleierung von Provisionsansprüchen.700

bb) Für Abmahnbedürftigkeit: Im Falle –



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der Anzeige eines Haftpflichtschadens durch den HV ohne Kenntnis und Auftrag des Versicherers, aber nach telefonischer Rücksprache mit dem zuständigen Gruppenleiter der Versicherung, sofern eine derartige Handhabung von der Versicherung jahrelang ohne Beanstandung hingenommen wurde;701 der Ausgliederung und Rechtsformwechsel des HV ohne Zustimmung des Unternehmers, sofern eine wirtschaftlich-faktische Kontiunität des HV-Unternehmens und Einflussmöglichkeiten bestehen;702

692 693 694 695 696 697 698

LG Karlsruhe, Urt. v. 19.9.2008 – 6 O 68/07, BeckRS 2009, 21032. LG Erfurt, Urt. v. 13.2.2012 – 8 O 511/10, BeckRS 2013, 09553. Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1332). OLG Köln, Urt. v. 20.10.2000 – 19 U 86/00, VersR 2001, 1023 = NJW-RR 2001, 820 = EWiR 2001, 121 (Emde). OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.2.2010 – VI-W (Kart) 1/10, zit. nach BB 2010, 1801. OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (20). BGH, Urt. v. 26.5.1999 – VIII ZR 123/98, ZIP 1999, 1307 (1309); OLG München, Beschl. v. 24.3.2009 – 7 U 5575/ 08, BBL 2009 – 2002-1 = BB 2009, 2002 m. Anm. Salomon; LG Karlsruhe, Urt. v. 19.9.2008 – 6 O 68/07, BeckRS 2009, 21032; Emde EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (484); Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 9; Ayad BB 2011, 531; 2010, 920; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 24; Hopt § 89a Rn 10; aA BGH, Urt. v. 17.1.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637. 699 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304. 700 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 24. 701 BGH, Urt. v. 17.1.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637; OLG Köln, Urt. v. 20.7.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241. 702 Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1332). 133

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später bedauerter und nicht wiederholter Drohungen und Beleidigungen durch einen Filialdirektor des Unternehmers in Erregung;703 eines einmaligen Vertragsverstoßes bei langjährigem Vertrag;704 ehrverletzender Äußerungen in einem Internetforum.705 fehlender Bereitstellung von Unterlagen;706 einer unberechtigten Freistellung;707 einer ggf. vorgesehenen Gegenkündigung auf eine unwirksame außerordentliche Kündigung des Vertragspartners.708 Eine unberechtigte Kündigung kann zwar nicht zurückgenommen werden, bildet aber für den Kündigungsempfänger einen eigenen Kündigungsgrund. Trotz fehlender „Rücknahmemöglichkeit“ mag eine Abmahnung mit kurzer Fristsetzung erforderlich sein, mit der der unberechtigt Kündigende aufgefordert wird, sich nicht auf Wirkungen der Kündigungserklärung zu berufen (abhängig vom Einzelfall);709 der Kündigung durch ein Mineralölunternehmen, sofern der Tankstellen-HV entgegen einer ihm kurz zuvor erteilten Weisung auf Kredit verkauft hat, das Unternehmen die Kreditgewährung über Jahre geduldet und gefördert hatte und der HV die Kreditgewährung auf Grund der Weisung bereits erheblich vermindert hat;710 der Nichtgewährung von Rabatten, d. h. falls der Unternehmer Kunden des HV nach Kündigung des HV die versprochenen Rabatte nicht mehr gewährt;711 eines Verstoßes gegen das Provisionsabgabeverbot;712 der Nichtzahlung von Provisionen713 und generell die Nichtzahlung fälliger Forderungen; der Sperrung des Zugriffs zum Online-System;714 einer Kündigung des Vertragshändlers wegen der Lieferung unbestellter Ware durch den Kfz-Hersteller;715 unrichtiger Reisekostenabrechnungen des Mittlers, sofern die Unrichtigkeit nicht gravierend ist;716 unzureichender Umsätze;717 fehlender Beschäftigung eines Untervertreters, die vertraglich vorgesehen war;718 des Verzuges mit der Zahlung fälliger Beträge in Höhe von 80.823,70 EUR durch einen Vertragshändler.719

703 704 705 706 707

OLG Stuttgart, Urt. v. 29.4.2008 – 10 U 233/07, OLGR 2008, 834 = BB 2008, 1954 = VersR 2009, 218. BGH, Urt. v. 12.3.2003, VersR 2003, 856 = NJW-RR 2003, 981. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 7.5.2007 – AuA 2007, 433. LG Hamburg, Beschl. v. 16.7.2008 – 411 O 54/08. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89 Rn 112; aA OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602. 708 BGH, Beschl. v. 21.2.2006, NJW-RR 2006, 755 = VersR 2006, 835 = DB 2006, 889; aA (keine Abmahnung erforderlich) OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; Genzow ZIP 2008, 2080 = BB 2008, 2262; offen gelassen v. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.1.2013 – I-16 U 89/11, BeckRS 2013, 14364 (weil dort Abmahnung vorlag). 709 BGH, Beschl. v. 21.2.2006 – VIII ZR 61/04, 61/04, BB 2006, 905 = NJW-RR 2006, 755 = WM 2006, 1115 = VersR 2006, 835 = MDR 2006, 1056. 710 BGH, Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326. 711 OLG München, Schlussurt. v. 29.7.2010 – 23 U 4893/09, BeckRS 2010, 20435. 712 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304 m. zust. Anm. Evers VW Heft 3/2013, 53. 713 AA Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 24 (Abmahnung nicht erforderlich). 714 OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080. 715 LG Frankfurt/M. – 3/14 O 131/09, BB 2010, 2641 m. Anm. Oberhammer. 716 OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542. 717 Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (74). 718 OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2009 – 18 U 126/09, BeckRS 2010, 02542. 719 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42 (43). Emde

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g) Verlust der Warnfunktion. Im Ausnahmefall kann eine Abmahnung ihre Warnfunktion 45 verlieren. Das wird nicht nur nach Ablauf einer nicht unerheblichen Zeitspanne, etwa einem zweijährigen Zeitraum,720 diskutiert, sondern auch bei einem Übermaß von Abmahnungen, die gerade zeigen, dass der Unternehmer das abgemahnte Verhalten nicht ernst nimmt. h) Vertraglich geregelte Abhilfefrist. Häufig enthalten Vertriebsverträge Regelungen, de- 46 nenzufolge die Kündigung erst nach Ablauf einer Abhilfefrist von z. B. 30 Tagen erklärt werden kann. Solche Klauseln stammen aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum. Ihre Wirksamkeit ist wegen der zwingenden Natur des § 89a fraglich.721 Darauf wird sich aber wohl der Formulierende nicht berufen können. Fehlt es dann an einem Abhilfeersuchen, dürfte die Kündigung – nicht anders als bei fehlender Abmahnung und fehlendem Abhilfeersuchen nach § 543 Abs. 3 BGB722 – unwirksam sein.

i) Beweislast. Beweispflichtig für den eng auszulegenden Ausnahmefall einer ohne Abmah- 47 nung zulässigen Kündigung ist der ohne Abmahnung Kündigende. Liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor, bedarf es grundsätzlich einer Abmahnung. Es sollte daher regelmäßig abgemahnt werden. Bestimmt der Vertrag ein Abmahnerfordernis, trifft es nicht Fälle, in denen auch durch die Abmahnung das für die Vertragsdurchführung erforderliche Vertrauen nicht wieder gefunden werden kann. Als AGB widerspräche eine solche Bestimmung dem gesetzlichen Leitbild und wäre gem. § 307 BGB unwirksam. j) Feststellung des Fehlens eines Abmahngrundes. Der Mittler kann die gerichtliche Fest- 48 stellung suchen, ein Abmahngrund sei nicht gegeben. Nach aA soll die auf Feststellung der „Unwirksamkeit“ der Abmahnung gerichtete Klage unzulässig sein.723 Das Feststellungsinteresse dürfte jedoch regelmäßig bestehen.724 Der Prinzipal will mit der Abmahnung etwas wg. § 314 BGB Rechtserhebliches erklären. Dann muss er auch in Kauf nehmen, dass der Mittler Rechtssicherheit zu seinem weiteren Verhalten sucht. Denn es ist für den Mittler wichtig zu wissen, ob ihm bereits im Wiederholungsfall gekündigt wird. Außerdem kann das inkrimierte Verhalten bei der Ausgleichsberechnung unter Billigkeitsgesichtspunkten und im Rahmen des § 19 GWB maßgeblich sein.725

VI. Der Kündigungsausspruch („gekündigt werden“)726 1. Ausspruch Die Erklärung der fristlosen Kündigung muss eindeutig erkennen lassen, dass der Kündigende 49 mit ihr nicht (oder nicht nur) das ordentliche Kündigungsrecht, sondern (zum mindesten auch)

720 LAG Hamm v. 14.5.1986 – 2 Sa 320/86, DB 1986, 1628 – arbeitsrechtliche Entscheidung. 721 Gegenargument: Auch §§ 314 Abs. 2, 543 Abs. 3 BGB sehen solche Abhilfefristen vor. Aber eben nur in Fällen, in denen es um eine Verfehlung im Leistungs- und nicht im Vertrauensbereich geht. 722 BGH, Urt. v. 13.6.2007 – VIII ZR 281/06, NJW 2007, 2474 Rn 10; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2012 – I-24 U 149/ 11. 723 OLG Bremen, Urt. v. 23.4.2010 – 2 U 92/09, BB 2010, 1819 (LS) mit zust.Anm. Lamberti/Ströbl; OLG München, Urt. v. 29.9.1993 – 7 U 2249/93, S. 13, insoweit zwh.; der Antrag ist aber auslegungsfähig, so OLG München a.a O. 724 OLG München, Urt. v. 29.9.1993 – 7 U 2249/93, S. 14/15; n. v.; Genzow Rn 126. 725 OLG München, Urt. v. 29.9.1993 – 7 U 2249/93, S. 15. 726 Generell zur Kündigung Gores/Podann MDR 2018, 1032. 135

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ein Recht zur fristlosen Kündigung ausüben will (Deutlichkeitsgebot).727 Das gilt insb. bei Gewährung einer Auslauffrist.728 Andernfalls bildet die Erklärung im Zweifel eine ordentliche Kündigung.729 Die nicht klar als außerordentliche Kündigung erkennbare Erklärung wird nicht durch Nachschieben wichtiger Gründe (Rn 65) rückwirkend zur außerordentlichen. Eine solche Erklärung ist vielmehr eine neue, nunmehr außerordentliche Kündigung.730 Die Klarstellung, eine außerordentliche Kündigung zu wollen, kann damit eine erneute außerordentliche Kündigung bilden, sofern zum Zeitpunkt der Klarstellung ein nicht verfristeter wichtiger Grund vorliegt.731 Eine Auslegung732 oder Umdeutung (§ 140 BGB, dazu Rn 6) der Erklärung ist möglich. Auch deshalb braucht die Kündigung nicht ausdrücklich als „außerordentliche“, „fristlose“733 oder „aus wichtigem Grund“ bezeichnet zu werden.734 Noch nicht einmal der wichtige Grund muss in der Kündigungserklärung bezeichnet werden (dazu unten zum Begründungszwang). Bei einer ausdrücklich ohne Frist erklärter Kündigung ist regelmäßig eine solche nach § 89a gewollt. In dem Widerruf einer erteilten Abschlussvollmacht liegt eine fristlose Kündigung noch nicht (der HV wird dadurch nur zum Vermittlungsvertreter zurückgestuft), wohl aber ist in der fristlosen Kündigung stets auch der Widerruf der Abschlussvollmacht enthalten.735 Die außerordentliche Kündigung ist schon vor Vertragsbeginn möglich736 und wird als einseitige, empfangsbedürftige WE737 mit Zugang bei dem Gekündigten wirksam. Die allgemeinen Lehren zu WE sowie die §§ 164, 174 BGB und 180 BGB sind auch im Bereich des Ausspruchs einer Kündigung nach § 89a anwendbar. Die Ankündigung, dass „keine Aufträge nach einem bestimmten Datum mehr entgegengenommen werden, kann nach den Umständen des Einzelfalles u. U. nicht als außerordentliche Kündigung ausgelegt werden.738

2. Form 50 Ein Formerfordernis für die Kündigung besteht nicht.739 Theoretisch könnte die Kündigung auch konkludent oder mündlich740 erklärt werden. Die beweissichere Form und Versendung ist aber in Hinblick auf die Beweislast des Kündigenden sinnvoll; am besten vorweg per Fernkopie und E-Mail und hinterher per Einschreiben/Rückschein oder Kurier.741 Ein vereinbartes Einschreiberfordernis ist vor diesem Hintergrund wenig hilfreich. Die vereinbarte Form dient im Zweifel nur dem Beweis. Ist der Zugang sicher, bleibt auch die Kündigung in einer nicht vereinbarten Form wirksam.742 727 BGH, Urt. v. 15.12.1960 – VII ZR 212/59, BB 1961, 497; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. VIII Rn 177; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 30; Ebenroth/Löwisch2 § 89a Rn 54; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. 728 Ebenroth/Löwisch2 § 89a Rn 54. 729 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 30. 730 BGHZ 27, 222; OLG Nürnberg BB 1957, 561; Hopt § 89a Rn 13. 731 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 69; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. 732 Ebenroth/Löwisch2 § 89a Rn 54; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. 733 AA mglw. Flohr ZVertriebsR 2019, 12 (13). 734 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 55; Ebenroth/Löwisch2 § 89a Rn 54; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. 735 Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 3, 19c. 736 Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 16. 737 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 27. 738 OLG München, Urt. v. 18.5.2011 – 7 U 4585/10, WM 2011, 1625. 739 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 58. 740 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 58. 741 Zur Abwägung hinsichtlich des Übertragungsweges s. Nebeling/Karcher BB 2017, 437 – Arbeitsrecht. 742 BGH, Urt. v. 21.1.2004 – XII ZR 214/00, NJW 2004, 1320. Emde

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3. Begründungszwang? Die Frage, ob der Grund der Kündigung in der Kündigungserklärung genannt werden müsse, 51 ist umstritten. Das Gesetz fordert es nicht. Die obergerichtliche Rspr., die in ständiger Rspr. die Notwendigkeit der Angabe des Kündigungsgrundes als eines Wirksamkeitserfordernisses der (fristlosen) Kündigung verneint,743 begründet dies damit, dass sonst der Unternehmer gezwungen wäre, rein vorsorglich alle etwa vorhandenen Kündigungsgründe aufzuführen, weil einige von ihnen durch das Gericht nicht anerkannt werden könnten. Auch gäbe es Schwierigkeiten mit dem Nachschieben von Kündigungsgründen (Rn 65). Entscheidend dürfte das Fehlen einer entsprechenden Verpflichtung in § 89a sein. Derartige Fragen pflegen gesetzlich geregelt zu werden. Mangelt es daran, bildet dies ein beredtes Schweigen. Das Problem hat seit der Neufassung des § 626 BGB viel von seiner früheren Brisanz eingebüßt. Denn auch § 626 Abs. 2 S. 3 BGB fordert seither nicht einmal für das abhängige Arbeitsverhältnis die Bekanntgabe des Kündigungsgrundes bei der fristlosen Kündigung, sondern beschränkt sich darauf, dem Gekündigten das Recht zu geben, ihm auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich mitzuteilen. Wenn das schon im Arbeitsrecht als Schutzvorschrift für den Arbeitnehmer rechtens ist, sollten für den HV keine schärferen Anforderungen gestellt werden. Man wird § 626 Abs. 2 S. 3 BGB über eben jenes Recht, die unverzügliche Nennung des Kündigungsgrundes verlangen zu dürfen, auf den HV,744 Vertragshändler und FN745 anzuwenden haben. Da jede Begründung entbehrlich ist, bedeutet die Nichtbenennung eines Kündigungsgrundes keinen Verzicht auf diesen. Der Kündigende will die Kündigung im Zweifel auf alle ihm gegebenen Gründe stützen,746 sofern er nicht unmissverständlich Gegenteiliges und damit den Willen zum Verzicht auf mögliche Rechte zum Ausdruck bringt.747 Nach der Rspr. des BGH dürfen aus einer Begründung oder Nichtbegründung im Kündigungsschreiben deshalb keine Folgerungen zu Lasten des Kündigenden gezogen werden.748 Ob das immer gilt, ist zweifelhaft: Jedenfalls im Einzelfall können dem Text des Kündigungsschreibens Anhaltspunkte für den Kündigungsgrund entnommen werden.749 In der Mehrzahl der Fälle wird derjenige, dem fristlos gekündigt wird, über den Anlaß 52 hierzu im Bilde sein. Räumt man ihm analog § 626 Abs. 2 S. 3 BGB das Recht ein,750 falls er die Gründe nicht kennt und auch nicht zu durchschauen in der Lage ist, sich unverzüglich

743 BGH, Urt. v. 7.3.1957 – II ZR 261/55, BGHZ 24, 31 = NJW 1957, 871; v. 5.5.1958 – II ZR 245/56, BGHZ 27, 221 (225) = NJW 1958, 1136; MDR 1961, 134; v. 12.6.1963 – VII ZR 272/61, BGHZ 40, 13 (16) = NJW 1963, 2068; v. 29.10.1986 – VIII ZR 144/85, BGHR BGB § 242 – Kündigung wichtiger Grund 2; v. 7.7.1988 – I ZR 78/87, NJW-RR 1988, 1381 (1382); EBE 1995, 59 (60); v. 25.5.1995 – KZR 33/93, EBE 1995, 259 (261); v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr Rn 28; OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 16; v. 16.4.2015 – 23 U 3932/2014, BeckRS 2015, 07780; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304 (Versicherungsvertreter); v. 9.11.2011 – I-18 U 13/11; ZVertriebsR 2012, 183 zum Franchisevertrag; Flohr ZVertriebsR 2019, 12 (13); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 87, 89; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 62, 67; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. 744 Flohr ZVertriebsR 2019, 12 (13); v. Gamm NJW 1979, 2494; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 87, 89; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 62; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. 745 Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (148). 746 BGHZ 27, 221 (225, 226); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 88; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 70. 747 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – 1-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 88. 748 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr Rn 28. 749 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.4.2006 – 21 U 10/05, BeckRS 2006, 12472. 750 LG Köln NJW-RR 1992, 485; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 90; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 62. 137

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und vollständig schriftlich751 unterrichten zu lassen, dürfte auch die in BGHZ 27, 220 gemachte Einschränkung, dass u. U. Treu und Glauben eine Angabe des Kündigungsgrundes in der Kündigungserklärung erforderlich machen könnte, ihre Bedeutung verloren haben. Die unterlassene Mitteilung kann zur Schadensersatzpflicht führen, falls der Gekündigte kostenauslösende Maßnahmen vornimmt, welche bei rechtzeitiger Unterrichtung unterblieben wären, z. B. in Unkenntnis der Gründe der Kündigung von ihrer Unwirksamkeit ausgeht und eine Feststellungsklage erhebt, die bei rechtzeitiger Unterrichtung unterblieben wäre.752 Eine Nachfrage ist dem Gekündigten jedoch zumutbar. Sie setzt, nicht anders als die Informationsrechte nach § 87c, ein Informationsinteresse voraus; das Recht kann verwirkt werden.753 Eine Verletzung der Mitteilungspflicht hat jedoch keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Kündigung.754

4. Vereinbarung eines Begründungserfordernisses 53 Die Parteien dürfen vertraglich ein Begründungserfordernis vereinbaren. Bis 2013 mussten sie dies im Anwendungsbereich der früheren Kfz-GVO 1400/02 nach deren Art. 3 Abs. 4 sogar. Wegen Abs. 1 S. 2 2. Alt. darf zwar nicht die Einhaltung einer die Kündigung erschwerenden Form (Schriftform jedoch noch akzeptabel)755 aber wohl ein Begründungszwang756 als Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung vereinbart werden.

5. Bedingte Kündigung 54 Eine unter einer Bedingung stehende Kündigung ist wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit grundsätzlich unzulässig, es sei denn, die Klarheit der Erklärung leidet darunter nicht, etwa bei innerprozessualen Rechtsbedingungen oder solchen, die allein von einem Verhalten des Gekündigten abhängen (Potestativbedingung).757 Bedingungen, deren Eintritt von dem Willen des Kündigenden oder Dritter abhängen sollen, sind unzulässig. Die Kündigungserklärung ist dann unwirksam und darf auch nicht in eine solche nach § 89 umgedeutet werden.

6. Rechtzeitigkeit (Entschlussfrist) 55 Für die außerordentliche Kündigung des HV-Vertrags gibt es keine feste gesetzliche oder richterrechtlich bestimmte Frist.758 Jedoch muss die Kündigung gem. § 314 Abs. 3 BGB759 – vergleichbar dem Rechtsgedanken des § 626 Abs. 2 S. 2 BGB – innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen kurzen Frist nach Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen erklärt werEbenroth/Löwisch4 § 89a Rn 90. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 90. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 90. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 90. AA Ebenroth/Löwisch,4. Aufl., § 89a Rn 89. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 63. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 86. BGH, Urt. v. 27.1.1982 – VIII ZR 295/80, NJW 1982, 2432 = DB 1982, 1110; v. 3.7.1986 – I ZR 171/84, NJW 1987, 57; v. 12.3.1992 – I ZR 117/90, NJW-RR 1992, 1059 (1060); NJW-RR 1993, 682 (684); OLG München, Urt. v. 18.11.2015 – 7 U 4851/14, ZVertriebsR 2016, 35 = BeckRS 2015, 19108; OLG Düsseldorf OLGR 1999, 53; Börner/Hubert BB 1989, 1633; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 51; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64; aA Kindler BB 1988, 2051; Woltereck DB 1984, 279; anders z. B. in Belgien: 7 Tage. 759 OLG München, Urt. v. 18.11.2015 – 7 U 4851/14, ZVertriebsR 2016, 35 = BeckRS 2015, 19108; Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (212).

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den,760 auch im Recht HV-ähnlicher Vertriebsmittler,761 etwa dem Vertragshändlerrecht.762 Der Kündigungsberechtigte verwirkt sein Kündigungsrecht, wenn er nach Ablauf einer angemessenen Frist die Tätigkeit des Mittlers weiterhin zulässt, ohne die Kündigung auszusprechen763 (Überlegungs- oder Entschlussfrist). Mit Fristablauf entfällt zwar nicht objektiv der wichtige Grund. Subjektiv hat der Berechtigte aber gezeigt, dass der objektive Gehalt des wichtigen Grundes nicht so erheblich war, dass die Fortsetzung des Vertrages für ihn unzumutbar war.764 Es handelt sich bei dieser Selbstwiderlegung um eine Vermutung, die durch den Berechtigten widerlegt werden kann.765 Zur Unterstützung einer späteren Kündigung kann der auf diese Weise verbrauchte Grund später herangezogen werden.766 Da auf die „Kenntnis“ des Kündigenden abgestellt wird, schadet grob fahrlässige Unkenntnis nicht767 (notfalls § 242 BGB). Maßgeblich für die Frist ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls,768 nach wieviel Zeit der 56 objektiv und vollständig informierte Gekündigte den Verhältnissen des Einzelfalls gemäß nicht mehr erwarten kann, dass ihm außerordentlich gekündigt wird. Weniger bedeutend dürfte sein, welche Zeit der Kündigende objektiv benötigt, um über die Kündigung nachzudenken und zu entscheiden. Denn es geht nicht um die objektiv zur Entscheidungsfindung benötigte Frist sondern um einen Verwirkungstatbestand, also eine subjektive Höchstfrist. Gewöhnlich aber wird die Verfristung danach bemessen, wieviel Zeit dem Kündigenden objektiv einzuräumen ist, um den Sachverhalt, der Anlass zur Kündigung geben soll, hinreichend sicher aufzuklären und sich darüber klar zu werden, ob deshalb fristlos gekündigt werden soll.769 Das ist hinnehmbar, sofern der Verwirkungstatbestand aus der Sicht eines optimal informierten Kündigungsempfängers bestimmt wird. Jener würde auch die im Einzelfall für Nachforschungen erforderliche Zeitspanne und die Besonderheiten des Vertrages, also auch die dem Kündigungsempfänger bekannte Zögerlichkeit des Kündigenden, in seine Überlegungen einbeziehen. Wie auch immer die Frist bestimmt wurde, ist trotz der Beweislast des Kündigenden für die Berechtigung seiner Kündigung770 kein zu strenger Maßstab anzulegen. Denn jedenfalls dann, wenn die Kündigung wegen eines schuldhaften Verhaltens erklärt wird, bleibt der Gekündigte nicht übermäßig schützenswert (Rechtsgedanke des § 89b Abs. 3 Nr. 2). Die jeweilige Situation des Falles bestimmt über die Dauer der Frist.771 Im Einzelfall können umfangreiche Nachforschungen erforderlich sein, um den Beweis der Kündigungsgründe rechtssicher führen zu können772 und harte, verifi760 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr (Vertragshändler); v. 27.1.1982 – VIII ZR 295/80, NJW 1982, 2432 unter II 1 b; v. 15.2.1967 – VIII ZR 222/64, WM 1967, 515 unter IV 2 mwN; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. VIII Rn 185; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. 761 BGH, Urt. v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, WM 1994, 645 = NJW 1994, 722 = ZIP 1994, 293 = EWiR 1994, 279 (Schwerdtner); OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 11. 762 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr; v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, WM 1994, 645 = NJW 1994, 722 = ZIP 1994, 293 = EWiR 1994, 279 (Schwerdtner); OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141. 763 OLG Hamm VersR 1999, 1016. 764 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 4.9.2014 – 19 U 64/14, IHR 2015, 114 (115). 765 Vgl. BGH WM 1985, 982 (983); Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. 766 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 63. 767 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (212). 768 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (212); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 314 BGB Rn 12. 769 BGH WM 1983, 820 (821); OLG Düsseldorf OLGR 2000, 382; OLG München VersR 1998, 1017; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 58; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. 770 LG München I, Urt. v. 20.10.2014 – 10 HKO 7132/14; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 58. 771 BGH NJW-RR 1992, 1059 (1062); NJW-RR 1993, 682 (684); NJW 1982, 2432; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 58; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 30; Hopt § 89a Rn 30, MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 65. 772 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 58. 139

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zierbare Fakten zu erhalten, was die Frist verlängert. Eine eventuelle Überlegungsfrist verlängert sich automatisch, sofern die Vervollständigung der Tatsachengrundlage längere Zeit in Anspruch nimmt. Das Ergebnis eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zu den Vorwürfen, welche die Kündigung rechtfertigen könnten, darf abgewartet werden, wenn der Kündigungsberechtigte erst auf diese Weise die erforderliche Klarheit über die Kündigungsgründe erlangt.773 Im Anschluß an die Einsicht in Ermittlungsakten muss jedoch unverzüglich gekündigt werden, sofern die in ihnen verkörperten Ermittlungsergebnisse keine neuen Erkenntnisse hervorbringen und den bereits zuvor bestehenden Verdacht fahrlässigen Handelns des Mittlers bestätigen.774 Der Kündigende darf sogar den Ausgang eines Strafverfahrens abwarten,775 kann sich dann aber nur noch auf das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung stützen, welches einen wichtigen Grund bilden muss. Es soll aber ausnahmsweise nicht gewartet werden dürfen, bis harte verifizierbare Fakten vorliegen, falls bereits zuvor hinreichend konkrete Hinweise auf ein vertragswidriges Verhalten vorgelegen haben, denen aber nicht nachgegangen wurde.776 Der Fristlauf beginnt nicht erst bei sicherer Kenntnis. Ein Unternehmer darf zunächst auf die Redlichkeit seines HV vertrauen und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft überlassen. Er braucht erst einem hinreichend konkret begründeten Verdacht nachgehen, nicht einem bloßem Gerücht.777 Eigene Untersuchungen schuldet der Unternehmer nicht, um sein Kündigungsrecht zu wahren.778 Er ist lediglich im eigenen Interesse gehalten, die Umstände möglichst zeitnah und genau aufzuklären (Obliegenheit). Auf das Ergebnis der Untersuchungen der eigenen Revisionsabteilung soll man jedoch nicht warten dürfen, weil dies auf einen Vorteil immobiler Großunternehmen hinausliefe.779 Das ist zweifelhaft, wenn erst durch deren Prüfung verifizierbare Fakten vorliegen. Zudem liegt es nicht im Interesse des HV, auf Verdacht gekündigt zu werden. Eine Zwischenmitteilung über seine Nachforschungen schuldet der später Kündigende auch bei Verzögerung nicht,780 und zwar schon deshalb nicht, weil er überhaupt keine Nachforschungen schuldet. 57 Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB soll unanwendbar sein,781 außer gegenüber nicht in das Vertriebssystem des Unternehmers eingebundenen Mittlern.782 Systematisch ist dies mangels einer speziellen Vorschrift des HV-Rechts schwer zu erklären, da es sich bei dem HV-Vertrag um einen Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter handelt und die Anwendung des § 626 BGB daher nicht gesperrt ist. Gleichwohl ist die dahin gehende Rspr. gefestigt. § 626 Abs. 2 S. 1 BGB lässt sich jedoch entnehmen, dass dem Kündigenden zumindest eine Frist von 2 Wochen zuzubilligen ist.783 Allgemeingültige Höchstfristen lassen sich nicht festlegen.784 Ob mit Ablauf der LAG Hamm DB 1999, 2068; LAG Köln MDR 2000, 775 (776); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 59. OLG Köln, Urt. v. 2.3.2001 – 19 U 170/00, VersR 2001, 1234. BAG, Urt. v. 18.11.1999 – 2 AZR 852/96, ZIP 2000, 1020 = BB 2000, 935 = EWiR 2000, 721 (Junker). OLG München, Urt. v. 1.7.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. BGH ZIP 1999, 1107; Hopt § 89a Rn 30. OLG München, Urt. v. 1.7.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. LG Tübingen, Urt. v. 7.11.2007 – 21 O 76/06. AA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 61. BGH Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr (Vertragshändler) – ebenso die Vorinstanz OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141; BGH, Urt. v. 3.7.1986 – I ZR 171/84, NJW 1987, 57; EWiR 1999, 705 (Emde); v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722; OLG München, Urt. v. 18.11.2015 – 7 U 4851/14, ZVertriebsR 2016, 35 = BeckRS 2015, 19108; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2012 – I-16 U 150/11, ZVertriebsR 2013, 53 m. Anm. Semler = BeckRS 2012, 22930; v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765; OLG Köln, Urt. v. 25.5.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284; Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. VIII Rn 184; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 4; Hopt § 89a Rn 30. 782 Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 351. 783 BGH ZIP 1996, 636; OLG München VersR 1998, 1017; OLG Köln, Urt. v. 25.5.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 58; Koch ZIP 2011, 1752 (1757). 784 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 58.

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Fristen für eine ordentliche Kündigung auch eine außerordentliche Kündigung regelmäßig verfristet ist,785 erscheint gerade bei kurzen Kündigungsfristen – etwa von einem Monat – zweifelhaft. Regelmäßig wird eine Überlegungsfrist von einem Monat als angemessen angesehen.786 Sie entspricht auch der Überlegungsfrist des § 90a Abs. 3. Deshalb muss der zur Kündigung Berechtigte auch nicht notwendigerweise innerhalb von 2 Wochen nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts kündigen.787 Drei Tage sind ausreichend, sogar ggf. 19 Tage unschädlich;788 8 Tage ausreichend;789 nur im Einzelfall bis zu 2 Monaten790 oder 3 Monaten (bei ausführlichem Schriftwechsel).791 Flohr792 nennt für das Franchiserecht Fristen zwischen zwei Wochen und zwei Monaten. Eine Wartezeit von Anfang Oktober bis zum Ausspruch der Kündigung am 23.10. soll zu lang sein und das Kündigungsrecht verwirken.793 Ein 2monatiges Zuwarten kann i. d. R. nicht mehr als angemessene Zeitspanne zur Aufklärung des Sachverhalts angesehen werden,794 ebenso wenig ein Zuwarten länger als 2 Monate,795 ein 2 ½,796 3,797 oder 5monatiges Zögern.798 Ein Kommissionsagentenvertrag kann nicht außerordentlich gekündigt werden, wenn Auseinandersetzungen über Forderungen des Unternehmers bestehen, die im März 2009 beginnen, der Kommissionsagent am 5.10.2009 androht, ab dem 13.7.2009 von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen und sämtliche Tätigkeiten zum Ruhen zu bringen und dann am 9.10.2009 die Kündigung ausgesprochen wird.799 Insbesondere ist eine Frist von

785 So Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 58. 786 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.10.2018 – 3 U 140/16, VW 12/2018, 82 m. abl. Anm. Evers; aA Oetker/Busche6 § 89a Rn 10: zwei Monate; Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275: „unter 2 Monaten“. Eine Regelkündigungsfrist von unter 2 Monaten hat der BGH in seinem Urt. v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722 = ZIP 1994, 293 = EWiR 1994, 279 (Schwerdtner) aber ausdrücklich aufgegeben. 787 AA OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 58. 788 OLG Nürnberg BB 1965, 688. 789 OLG Bamberg BB 1979, 1001. 790 KG NJW-RR 2000, 1566; von Hopt § 89a Rn 30 als „fraglich“ bezeichnet. 791 LG Hamburg, Urt. v. 11.2.1991 – 419 O 159/90. 792 Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (151). 793 OLG Köln, Urt. v. 2.3.2001 – 19 U 170/00, VersR 2001, 1234; zweifelh., mglw. angesichts der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung zu streng. 794 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr (Vertragshändler); v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722 (Vertragshändler); v. 26.5.1999 – VIII ZR 123/98, NJW-RR 1999, 1481; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.10.2018 – 3 U 140/16, VW 12/2018, 82 m. abl. Anm. Evers; OLG München, Urt. v. 16.4.2015 – 23 U 3932/2014, BeckRS 2015, 07780; v. 23.1.2014 – 23 U 1955/ 13, VersR 2014, 1080; OLG Köln, Urt. v. 12.4.2013 – 19 U 101/12, BeckRS 2013, 16685; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2012 – I-16 U 150/11, ZVertriebsR 2013, 53 m. Anm. Semler = BeckRS 2012, 22930 (regelm. weniger als 2 Monate); v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141 (Vorinstanz zu BGH VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr); OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, BeckRS 2011, 04747 (HV); OLG Köln, Urt. v. 12.11.2010 – 19 U 126/10, BeckRS 2011, 04158 m. Anm Noreisch GWR 2011, 135 (Vertragshändler); OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; LG Bonn, Teilurt. v. 13.6.2012 – 16 O 4/11, BeckRS 2013, 17651; LG Hamburg, Urt. v. 15.2.2013 – 404 HKO 83/10; DIS-Schiedsgericht, Schiedsspruch v. 17.1.1997 – SIS-SV-B 627/96, BB-Beil. 11/1999, 16 – Vertragshändlervertrag; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 59. 795 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 4.9.2014 – 19 U 64/14, IHR 2015, 114 (115). 796 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.5.2011 – 5 U 189/10, BeckRS 2011, 16755 m. Anm. Henne GWR 2011, 319814 sowie Hilgard BB 2011, 1811. 797 LG Hamburg, Urt. v. 15.2.2013 – 404 HKO 83/10. 798 LG Köln, Teilurt. v. 19.11.2010 – 89 O 64/09, BeckRS 2014, 02717. 799 OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.5.2015 – 4 U 47/13, IHR 2017, 28 (34); LG Saarbrücken, Urt. v. 6.2.2013 – 7 KfH O 226/ 09, ZVertriebsR 2016, 10 (13) – zumal wenn Indizien bestehen, dass die Buchhaltung des Unternehmers zum Nachteil des Agenten unvollständig und der Unternehmer durch die Möglichkeit zum Rückbehalt eines Ausgleichsanspruch gesichert ist. 141

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einem Jahr800 oder Jahren zwischen Grund und Kündigung801 bzw. eine jahrelange Duldung802 zu lang. Erfährt ein HV am 25.8. von seiner Freistellung und kündigt deshalb am 17.10., so ist die Entschlussfrist überschritten.803 Weiß das Unternehmen von einer rechtskräftigen Verurteilung des HV am 26.10.2001, bleibt eine Kündigung am 8.11.2001 fristgemäß.804 Hört ein Versicherer Ende November 1996 von Pflichtverstößen, ist eine Kündigung im Dezember 1996 nicht verfristet.805 Eine Kenntnis des Kündigungsgrundes am 29.10. eines Jahres und die Kündigung am 16.11.2012 ist rechtzeitig,806 ebenso eine Kenntnis des Kündigungsgrundes am 13.12.2013 mit außerordentlicher Kündigung am 23.12.2013.807 Die Überschreitung der angemessenen Frist deutet darauf hin, dass der Kündigende die Fortsetzung des Vertrages angesichts des beanstandeten Ereignisses als unzumutbar empfand808 (Selbstwiderlegung). Ob beim Franchising längere Fristen gelten, ist zweifelhaft. Nach einer Meinung soll hier eine Entscheidungsfrist von zwei Monaten den Regelfall bilden.809 Je länger die Prüfung der Kündigungsgründe aus Sicht des optimal Informierten benötigt, umso ausgedehnter ist die Überlegungsfrist. Verhandlungen über Berechtigung und Folgen sowie die Abwendung einer fristlosen Kündigung führen zu einer angemessenen Verlängerung der Kündigungsfrist.810 Der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindliche Unternehmer versäumt die Frist nicht durch Geschäftsfortführung und Unterlassen der Kündigung in der Hoffnung auf Besserung. Vielmehr entsteht das außerordentliche Kündigungsrecht mit der unternehmerischen Entscheidung, deren Zeitpunkt er selbst bestimmt. Ihn zu früherer Kündigung zu zwingen, würde auch dem HV nicht dienen.811 Verhandlungen dürften die Überlegungsfrist nur im Einzelfall verlängern.812 Regelmäßig zeigt die Aufnahme der Verhandlungen die mangelnde Betroffenheit der Parteien und bildet damit eine Selbstwiderlegung des wichtigen Grundes. Die zur Verjährung entwickelten Regeln sind wohl nicht zu übertragen. An einer Verfristung kann es fehlen, wenn der Kündigungsempfänger weiß, dass der Kündigende das Verhalten trotz Fristablaufes weiterhin als schweren Verstoß einordnet, etwa nach entsprechender Mitteilung, oder weil dem Gekündigten bekannt war, dass der Kündigende im Vorjahr begangene, gleichartige Verstöße gegen ein Konkurrenzverbot nicht hingenommen, sondern eine Abmahnung ausgesprochen und die fristlose Kündigung angedroht hatte.813 Das gleiche Ergebnis lässt sich begründen, indem man die Fortsetzung des Verstoßes nach Abmahnung als erneuten, fristauslösenden Kündigungsgrund ansieht.814 Die im Verhältnis zum HV 800 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 4.9.2014 – 19 U 64/14, IHR 2015, 114 (115). 801 OLG Köln, Urt. v. 25.5.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. 802 OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.5.2015 – 4 U 47/13, IHR 2017, 28 (36): Nimmt der Unternehmer jahrelang hin, dass entgegen dem Vertragstext Abrechnungen zu einem Anderkonto nicht übersandt werden, kann daraus kein außerordentliches Kündigungsrecht hergeleitet werden; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2012 – I-16 U 150/11, ZVertriebsR 2013, 53 m. Anm. Semler = BeckRS 2012, 22930; i. E. auch OLG Köln, Urt. v. 12.4.2013 – 19 U 101/12, BeckRS 2013, 16685. 803 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.10.2018 – 3 U 140/16, VW 12/2018, 82 m. abl. Anm. Evers. 804 OLG München, Urt. v. 1.7.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. 805 OLG Hamm VersR 1999, 1016. 806 OLG München, Urt. v. 18.11.2015 – 7 U 4851/14, ZVertriebsR 2016, 35 = BeckRS 2015, 19108 Rn 40. 807 OLG München, Urt. v. 30.6.2016 – 23 U 3265/15, ZVertriebsR 2017, 196 Rn 34. 808 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr Rn 25; v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, VersR 1994, 470 (471) = NJW 1994, 722 (723); OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141; OLG Köln, Urt. v. 30.9.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408); OLG München, Urt. v. 1.7.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. 809 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 561; Höpfner in: Giesler/Nauschütt, § 12 Rn 58. 810 LG Hamburg VersR 1992, 743; Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (213). 811 DIS Schiedsgericht BB-Beil. 11/1999, 16; Hopt § 89a Rn 30. 812 AA Roth in: Koller/Roth/Morck § 89a Rn 6. 813 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr Rn 25. 814 Döpfer EWiR 2011, 781 (782). Emde

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angeblich größere Selbstständigkeit des Vertragshändlers und die angebliche Komplexität der vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung anzustellenden Überlegungen rechtfertigen auch ihm gegenüber keine längere Prüfungs- und Überlegungsfrist.815 Die Überlegungsfrist beginnt mit dem hinreichend sicheren, hinsichtlich der maßgebli- 58 chen Umstände weitgehend vollständigen Blick auf die Kündigungsgründe,816 zumindest aber eines hinreichenden Verdachtes,817 wobei die Kenntnis des zur Kündigung Bevollmächtigten maßgeblich ist.818 Hört der Kündigende den Kündigungsempfänger an, beginnt die Frist erst mit der beendeten Anhörung, bei unterlassener Anhörung mit Ablauf der Stellungnahmefrist819 oder mit der Erklärung, keine Stellungnahme abgeben zu wollen. Die Anhörung muss aber zeitgerecht nach Kenntnis von den Kündigungsgründen erfolgen, regelmäßig binnen einer Woche.820 Im Falle einer unberechtigten außerordentlichen Kündigung soll die Frist zum Ausspruch der Gegenkündigung mit dem Ausspruch der unberechtigten Kündigung des Vertragspartners zu laufen beginnen. Sie wird nicht durch nachfolgende Untätigkeit verlängert.821 Sofern eine Abmahnung erforderlich ist, dürfte die Entschlussfrist frühestens mit Ablauf der in der Abmahnung gesetzten Frist zur Reaktion von dem prospektiven Kündigungsgegner zu laufen beginnen. Denn seine Reaktion und nicht das in der Abmahnung genannte Verhalten bildet den Kündigungsgrund. Die Abmahnung soll deren Empfänger schützen und ihm eine angemessene Frist zum Rückkehr zu vertragsgemäßen Verhalten geben. Dieser Schutz würde entwertet, wenn der Abmahnende aufgrund eigener Fristnot eine sehr kurze Frist setzen müsste. Weiter würde die Entschlussfrist zu sehr verkürzt. Wenn der Unternehmer Kenntnis von Überweisungsträgern mit dem Verwendungszweck „Provisionsabtretung“ gehabt hat, muss sich ihm nicht zwingend der Verdacht aufdrängen, dass der HV einen Verstoß gegen das Provisionsabgabeverbot vorgenommen hat.822 Die Weigerung, sich künftig vertragskonform zu verhalten, dürfte eine neue, die Entschlussfrist auslösende Vertragsverletzung darstellen.823 Bei Dauersachverhalten, die zu einem Gesamtverhalten zusammengefasst werden, bspw. 59 bei fortlaufender Wettbewerbstätigkeit,824 Krankheit, Unrentabilität825 oder Zahlungsverzug,826 nimmt eine Ansicht an, dass bis zum Abschluss des Sachverhalts ein Kündigungsrecht besteht827 bzw. sich wie beim Lauf der Verjährungsfrist erneuert. Die gegenteilige Auffassung, so diese Ansicht, hätte zur Folge, dass der Unternehmer ein fortgesetztes vertragswidriges Verhalten auf Dauer – bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – hinnehmen müsse, wenn

815 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr; v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722 = ZIP 1994, 293 = EWiR 1994, 279 (Schwerdtner); OLG Köln, Urt. v. 12.11.2010 – 19 U 126/10, BeckRS 2011, 04158 m. Anm. Noreisch GWR 2011, 135. 816 BGH, Urt. v. 2.6.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 (999); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 53. 817 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. 818 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; Ebenroth/ Löwisch4 § 89a Rn 53. 819 BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, DB 2014, 1932 – arbeitsrechtliche Entscheidung. 820 BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, DB 2014, 1932 – arbeitsrechtliche Entscheidung. 821 BGH NJW 1967, 248; OLG Köln, Urt. v. 30.9.2005, VersR 2006, 407. 822 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – 1-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304 m. zust. Anm. Evers VW 2013, 53. 823 Döpfer EWiR 2011, 781 (782); Evers VW 2011, 1420. 824 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr – aA noch die Vorinstanz OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141. 825 DIS-Schiedsgericht, Schiedsspruch v. 17.1.1997 – SIS-SV-B 627/96, BB-Beil. 11/1999, 16 – Vertragshändlervertrag. Längeres Zuwarten soll schädlich sein: Oetker/Busche6 § 89a Rn 21; Hopt § 89a Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 51. 826 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42 (43). 827 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr (unter Rn 21 als generelle Regel offen gelassen [wenngleich auch hier eine Sympathie für die Ansicht zu erkennen ist, derzufolge in allen Dauersachverhältnissen eine Kündigung unbefristet möglich ist] 143

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er auf den ersten ihm zur Kenntnis gelangten Verstoß nicht innerhalb angemessener Frist die außerordentliche Kündigung erkläre.828 So wäre etwa der Unternehmer mit langfristigem Vertrag (dazu tretend als Extrembeispiel: der dem HV Ausschließlichkeit versprechende Unternehmer) auf unabsehbare Zeit an einen untätigen HV gebunden und an der Neubesetzung des Vertriebsgebietes gehindert. Ein dauerhaftes vertragswidriges Verhalten werde durch Zuwarten nicht zu einem vertragsgemäßen Verhalten. Der Unternehmer bleibe berechtigt, eine Abmahnung auszusprechen und eine gleichwohl folgende Fortsetzung des Verhaltens zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung zu nehmen.829 Der zur Kündigung Berechtigte darf nach dieser Ansicht also bis zum Ende der Dauerhandlung entscheiden, ob er sie zum Anlass einer Kündigung nimmt.830 Dabei geht es allerdings oft um Wiederholungsfälle: So hat das OLG München831 nach wiederholtem Unterlassen der Weiterleitung von Prämiengeldern durch den VV nicht den ersten Fall allein als fristauslösend angesehen, weil die späteren Verfehlungen zu einem weiteren Anwachsen des Rückstands geführt hatten. Auch der BGH832 bezieht sich auf einen Fall der fortgesetzten Konkursverschleppung durch Unterlassen eines gebotenen Insolvenzantrags, bei dem der durch die Verfehlung entstandene Schaden bzw. der Gefahr eines Schadenseintritts ebenfalls mit zunehmendem Zeitablauf stieg. Die Frist beginnt also gewissermaßen mit Kenntnis jeder Pflichtverletzung neu zu laufen.833 Nach der Gegenansicht beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem sich der 60 Dauersachverhalt zu einem wichtigen Kündigungsgrund verdichtet hat. Meist ist dies der letzte Vorfall, der ein weiteres oder letztes Glied in der Kette der Ereignisse bildet, die zum Anlass für eine Kündigung genommen werden.834 Eine Fristverlängerung bei Dauerverstößen ist nach dieser Ansicht nur anzunehmen, wenn sich die Grundlage für die Entscheidung, ob der Vertrag beendet werden soll, während der Dauer des Vertragsverstoßes fortlaufend verändert.835 Der zu Kündigende dürfe sonst Akzeptanz oder mangelnde Betroffenheit vermuten. Im Regelfall wird die erstgenannte Ansicht vorzugswürdig sein, zumal der das Dauerdelikt 61 Begehende wenig schutzbedürftig ist und er die Störung vor Ausspruch der Kündigung beenden könnte. Es kommt aber auf den Einzelfall an. Nach Ansicht von Giesler/Güntzel836 soll Verwirkung erst nach einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren eintreten. Eine Wissenszurechnung nach den allgemeinen Lehren zu § 166 BGB ist möglich.837 Ent62 scheidend ist die Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen. Ob und wenn ja welche Wertung der

andererseits unter Rn 30 für den Wettbewerbsverstoß klar i. S. d. hier vertretenen Ansicht entschieden); Giesler/ Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 564; DIS-Schiedsgericht, BB-Beil. Nr. 11/ 1999, 13; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 53; Hopt § 89a Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64 f.; vgl. auch Eckhoff GWR 2011, 136; aA OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920 Rn 70 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2008 – I-16 U 36/07; BeckRS 2011, 19141 = OLGR 1999, 53 (54 f.) – durch BGH VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr aufgehoben. 828 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr Rn 30. 829 BGH, Urt. v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 = WM 2011, 2057 = EWiR 2011, 781 (Döpfer) = ZVertriebsR 2012, 50 m. Anm. Flohr Rn 30. 830 OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080 (1083) – fortdauernde Sperrung des OnlineSystems, selbst nach vorhergehender, unwirksamer Kündigung wg. des gleichen Verhaltens; Noreisch GWR 2011, 321232 = GWR 2011, 382. 831 OLG München, Urt. v. 23.7.1997 HVR Nr. 826. 832 NJW 2005, 3069. 833 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. 834 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 20.12.2012 – 11 U 45/12 (Kart), ZVertriebsR 2013, 42; LG Hamburg, Urt. v. 15.2.2013 – 404 HKO 83/10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64. 835 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765; m. Anm. Ayad BB 2010, 920. 836 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 565. 837 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. Emde

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Kündigende aus jenen zieht, ist irrelevant. Er braucht überhaupt keine Wertung vorzunehmen. Bei Zweifeln über die rechtliche Bedeutung muss der Kündigende unverzüglich Rechtsrat einholen.838 Mit jedem neu zur Kenntnis gelangenden Umstand läuft die Kündigungsfrist hinsichtlich dieser Tatsache von neuem.839 Beweispflichtig für den Ablauf der Entschlussfrist ist der Gekündigte. Nur der Kündigende 63 kann aber zuvor subtantiierten Vortrag zur maßgeblichen Frist führen (Darlegungslast). Insoweit besteht eine Vorleistungspflicht des Kündigenden.

7. „Rücknahme“ oder „Widerruf“ der Kündigung Die Kündigung als rechtsgestaltende Willenserklärung kann nicht zurückgenommen840 oder wi- 64 derrufen841 werden. Die Rücknahme, der Widerruf oder eine vergleichbaren Erklärung können jedoch als Angebot auf Abschluss eines Neuvertrages, etwa (meist) zu den alten Bedingungen unter Übernahme aller Rechte und Pflichten einschließlich der Ausgleichsanwartschaften ausgelegt werden oder als Vereinbarung, sich nicht auf die Wirkungen der Kündigung zu berufen.842 Die unberechtigte Kündigungserklärung kann zwar zurückgenommen werden, nicht jedoch der daraus folgende Vertrauensfortfall. Der Gekündigte darf sie je nach den Verhältnissen des Einzelfalls trotz ihrer „Rücknahme“ zum Anlass einer außerordentlichen Gegenkündigung nehmen,843 wenn die Ursprungskündigung trotz der „Rücknahmeerklärung“ zum Vertrauensfortfall führte. Möglicherweise liegt in der „Rücknahme“ der unwirksamen Kündigung das Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Wurde es angenommen, ist keine Rücknahme mehr möglich.

8. Nachgeschobene Gründe Das Nachschieben wichtiger Kündigungsgründen ist zulässig844 und gewinnt Bedeutung, wenn 65 der ursprünglich geltend gemachte Grund entweder nicht oder für sich allein nicht stichhaltig ist. Eine Auschlussfrist für das Nachschieben von Kündigungsgründen fehlt,845 es gelten aber Verwirkungsgrundsätze.846 Wird die außerordentliche Kündigung freiwillig begründet, hindert dies das spätere Nachschieben weiterer Gründe nicht,847 und zwar schon deshalb, weil sonst auf eine solche Begründung verzichtet werden müsste. Abgemahnt werden kann bei nachgeschobenen Gründen meist nicht. Es ist aber gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass sich der Kündigende auf den nachgeschobenen Kündigungsgrund beruft. Der nachgeschobene Grund muss aber so schwerwiegend sein, dass er zumindest im Zusammenwirken mit dem bereits gelEbenroth/Löwisch4 § 89a Rn 53. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 53; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 96; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 35. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 96; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 18. BGH, Urt. v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, BB 1984, 235 (237); Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 96; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 35; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 18. 843 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 96. 844 BGH WM 1988, 1490; OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 4.9.2014 – 19 U 64/14, IHR 2015, 114 (115); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; OLG Bremen, Urt. v. 30.3.2006 – 2 U 115/05, BeckRS 2011, 16453 = OLGR Celle 2006, 489; Hopt § 89a Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 67. 845 BAG MDR 1997, 1130; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 91. 846 BGHZ 40, 13 (17); Eberstein, 9. Aufl. S. 118; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 91; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 70. 847 OLG Bremen, Urt. v. 30.3.2006 – 2 U 115/05, BeckRS 2011, 16453 = OLGR Celle 2006, 489; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 91.

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tend gemachten Kündigungsgrund ohne Abmahnung eine fristlose Kündigung rechtfertigt.848 Ob die Prozeßvollmacht für den Kündigungsrechtsstreit nach § 81 ZPO zum Nachschieben von Kündigungsgründen und erneuter fristloser Kündigungserklärung berechtigt,849 ist umstritten, und für das Nachschieben wohl zu bejahen, nicht jedoch für die erneute Kündigung. Insgesamt sind mehrere Fallgestaltungen zu unterscheiden: 66 a) Hatte der Grund schon bei Ausspruch der Kündigung bestanden (und trägt er die fristlose Kündigung), so kann er mit Wirkung auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs jederzeit nachgeschoben werden, sofern er nicht ausnahmsweise durch erkennbare Beschränkung auf den ursprünglich geltend gemachten Kündigungsgrund verloren gegangen sein sollte.850 Dass dieser „Reservegrund“ ausdrücklich geltend gemacht wird, liegt im Begriff des Nachschiebens; er wirkt wegen des Erfordernisses subjektiver Betroffenheit des Kündigenden, die nicht bei allen objektiven Kündigungsgründen gegeben sein muss, nicht aus sich heraus, sondern muss erklärt, mithin „nachgeschoben“ werden. Das Gericht darf daher ein Verhalten nicht selbständig als die außerordentliche Kündigung rechtfertigend ansehen.851 Hierher gehört auch der Fall, dass der ursprünglich vorhanden gewesene, als solcher geltend gemachte, bei Kündigungsausspruch noch nicht genügend „manifest“ gewordene Kündigungsgrund durch nachträgliche Tatsachen in das rechte Licht gerückt wird (kein Nachschieben im eigentlichen Sinne, vielmehr Geltendmachen bloßer Illustrationsfakten852). 67 b) Ist der nachgeschobene Grund nach dem Kündigungsausspruch entstanden, dann gilt853: Im Grundsatz dürfen nach Zugang der Kündigungserklärung entstandene Gründe nicht nachgeschoben werden. Denn dies würde zu einem unzulässigen Vertragsende aus nachträglich eingetretenen Umständen führen.854 Steht der nachgeschobene Grund jedoch mit dem ursprünglich geltend gemachten in innerem Zusammenhange, so wird die Kündigung mit dem Augenblick seines nachträglichen Entstehens wirksam, ohne dass es eines neuen Kündigungsausspruches bedürfte.855 Denn der Kündigende hatte zum Ausdruck gebracht, dass er das Vertragsverhältnis wegen eines jeden Grundes der geltend gemachten Art fristlos beendet haben wolle; hierauf musste der Kündigungsgegner sich einstellen. Das gilt insb. für nachträglich aufgetretene Umstände, die Tragweite und Bedeutung eines vorliegenden wichtigen Grundes konkretisieren,856 erläutern oder in richtigem Licht erscheinen lassen. Ist der nachträglich entstandene – nachzuschiebende – Grund ohne inneren Zusammenhang mit dem ursprünglich geltend gemachten, so bedarf es eines neuen Kündigungsausspruchs, der allerdings regelmäßig in dem Nachschieben zu sehen ist.857 Die nunmehrige Kündigung wirkt nicht zurück.

848 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 91. 849 Dafür: Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 92; dagegen MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 73. 850 BGHZ 27, 220 (225); BGH MDR 1961, 134; Urt. v. 12.6.1963 – VII 272/61, BGHZ 40, 13 (14, 16) = NJW 1963, 2068, BGH EBE 1995, 59 (60); OLG Bremen, Urt. v. 30.3.2006 – 2 U 115/05, BeckRS 2011, 16453 = OLGR Celle 2006, 489; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 91; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27, 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 69; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14a. 851 AA mglw. OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 16: Bei der Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung sind alle Gründe zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Kündigung objektiv vorlagen. 852 Beispiel: OLG Hamburg DB 1960, 1451. 853 BGH MDR 1961, 134. 854 BGH, Urt. v. 21.3.1975 – I ZR 141/74, WM 1975, 856 (857). 855 BGH, Urt. v. 30.6.1954 – II ZR 26/53, BB 1954, 647 (648); Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14, 14d; aA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 92; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 33; Hopt § 89a Rn 15; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 72; Martinek/Semler Handbuch des Vertriebsrechts3 § 19 Rn 35. 856 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 68. 857 BGH, Urt. v. 15.12.1960 – VII ZR 212/59, BB 1961, 498; v. 28.4.1960 – VII ZR 218/59, MDR 1961, 134; BGHZ 27, 221 (222); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 71; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14c; aA Schwerdtner ZIP 1981, 809. Emde

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9. Gleich zu behandelnde Fälle So, wie der Unternehmer, um den HV zu schonen, von mehreren eine fristlose Kündigung tra- 68 genden Gründen in seinem Kündigungsausspruch nur den am wenigsten belastenden nennt, kann es auch vorkommen, dass er sich mit dem HV zur Vermeidung einer fristlosen Kündigung auf eine vertragliche Beendigung zum sofortigen (oder einem späteren) Zeitpunkt einigt. Bedeutung hat das insofern, als hier der Unternehmer sich die Schadensersatzansprüche nach Abs. 2 vorbehalten muß, um sie nicht einzubüßen.858 Ausgleichsrechtlich und für den Verlust der Karenzentschädigung hat der so gewählte Weg allerdings die gleiche Wirkung wie der der fristlosen Kündigung, an deren Stelle er tritt.

VII. Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist/Auslauffrist Die Worte „ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist“ kennzeichnen eine Rechtsfolge, kein TB- 69 Merkmal. Da die Kündigung nicht als außerordentliche benannt werden braucht (s. o.), muss sie auch nicht ausdrücklich als solche „ohne Kündigungsfrist“ erklärt werden. Ohnehin ist das Fehlen einer Kündigungsfrist nicht zwingend sondern dispositiv. Der zur außerordentlichen Kündigung Berechtigte kann daher a maiore ad minus als milderes Mittel859 eine Auslauffrist gewähren860 – etwa aus Entgegenkommen – und die Parteien dürfen eine solche auch vereinbaren.861 Die Auslauffrist muss ausdrücklich in der Kündigungserklärung gesetzt werden.862 In der Gewährung einer langfristigen Auslauffrist könnte eine Selbstwiderlegung des wich- 70 tigen Grundes liegen: Denn die Auslauffrist könnte zeigen, dass die Fortsetzung des Vertrages dem Kündigenden gerade nicht unzumutbar ist.863 So soll nach Ansicht von Flohr864 eine Auslauffrist, die länger als drei oder sogar sechs Monate ist, regelmäßig eine Selbstwiderlegung des wichtigen Grundes darstellen. Sieht man auf die leitbildartig einmonatige Entschlussfrist zwischen Kenntnis eines Kündigungsgrundes und Ausspruch der Kündigung (Rn 55 ff.), könnte sogar eine einmonatige Auslauffrist schaden. Wenngleich es auf den Einzelfall ankommt,865 wird man sagen können, dass, wenn in der Kündigung ausdrücklich auf den wichtigen Grund hingewiesen wird, regelmäßig in einer Auslauffrist keine Selbstwiderlegung des wichtigen Grundes liegt.866 Großzügigkeit ist nicht verboten. Die Einräumung einer Auslauffrist mag sogar die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Kündigung Bestandskraft hat, weil sich die Interessenabwägung evtl. zu Gunsten des Kündigungsberechtigten verschiebt.867 Ein wichtiger Grund muss gleichwohl vorliegen. Es gibt keine Kündigung aus „weniger wichtigem Grund“. Die Auslauffrist kann im Ausnahmefall bei Abwägung der Interessen beider Parteien, insb. der Schutzbedürftigkeit des Gekündigten, sogar aus Treupflichtgesichtspunkten oder nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Rn 29) gefordert sein.868 So kann der HV gehalten sein, dem Unternehmer, dem er fristlos gekündigt hat, eine Übergangsfrist bis zur Gewinnung eines Nachfolgers einzuräumen und für deren Dauer weiter tätig zu sein, sofern andernfalls gravierende Unternehmensinteressen gefährdet wären und auch Übergangsregelungen (interimsweise Wahrnehmung 858 Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 22. 859 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 49; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 76. 860 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (276); Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (150) – Franchiserecht. 861 BGH NJW 1999, 946; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 7; Hopt § 89a Rn 21. 862 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (276). 863 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 8. 864 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 8. 865 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 8. 866 AA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 49. 867 Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn 507. 868 Canaris § 17 Rn 92; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 49. 147

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des Bezirks durch einen Kollegen) nicht gangbar sind. Wird die Auslauffrist in diesen Fällen nicht gewährt, dürfte die angemessene Frist automatisch gelten; die Kündigung ist nicht wegen der dem Kündigenden unzumutbaren genauen Fristbestimmung unwirksam.869 Oft wird in solchen Fällen bereits der wichtige Grund fehlen; das Ermessen ist bereits beim „Ob“ der Kündigung und nicht erst beim „Wie“ (Auslauffrist) auszuüben. Die Auslauffrist kann kürzer sein als die normale Kündigungsfrist; bei einer Kündigung mit Auslauffrist gelten die Mindestkündigungsfristen des § 89 nicht.870 Kommt sie der normalen Kündigungsfrist gleich, so bleibt die unter solchen Umständen ausgesprochene Kündigung dennoch eine solche aus § 89a.871 Das sollte – nicht muss – dann deutlich zum Ausdruck gebracht werden,872 weil es nicht zuletzt ausgleichsrechtliche (§ 89b Abs. 3) und karenzrechtliche Folgen haben kann. Falls die Auslauffrist kürzer ist als die ordentliche Kündigungsfrist und der Kündigende einen wichtigen Grund nennt, wird eindeutig nicht mit ordentlicher Frist gekündigt und der Kündigende will regelmäßig die Folgen der außerordentlichen Kündigung, etwa § 89a Abs. 2 und § 89b Abs. 3 Nr. 2, herbeiführen. In EBE 1999, 13 (15) sieht der BGH nachträglich vom Gericht zugebilligte Auslauffristen als nicht dem Gesetz entsprechend und nicht erforderlich an, zumal solche zu nicht hinnehmbarer Rechtsunsicherheit über den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung in Fällen außerordentlicher Kündigungen führten. Jene Unsicherheit und die Unwirksamkeit der Auslauffrist tritt zumindest nicht ein, wenn die Auslauffrist in der Kündigungserklärung ihrer Länge nach benannt wird. Nicht dem Gericht, sondern dem Kündigendem steht in diesem Fall das an den Grundsätzen der Billigkeit und Verhältnismäßigkeit orientierte Bestimmungsrecht über die Auslaufzeit zu. Der Gekündigte muss die Auslauffrist akzeptieren, da der Kündigende aufgrund der Existenz des wichtigen Grundes über das Vertragsende disponiert. Er darf nicht etwa eine gegebene Übergangsfrist ablehnen und seine Tätigkeit (bis auf Abwicklungsarbeiten) nach entsprechender Erklärung einstellen.873 Das folgt bei verschuldeter Kündigung schon aus § 249 BGB. Bei Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung muss der Gekündigte seinerseits kündigen, was aber einen regelmäßig fehlenden wichtigen Grund voraussetzt. Der Gekündigte kann auch das in der einseitigen Gewährung liegende Angebot auf Abweichung von § 89a, der insoweit nicht zwingend ist, annehmen. Es liegt dann eine konsensuale Einigung auf befristete Fortsetzung des HV-Vertrages vor.874

VIII. Unabdingbarkeit 1. Überblick 71 a) Vereinbarte wichtige Kündigungsgründe. Berechtigung zur Kündigung aus wichtigem Grunde ist zwingendes Recht (Abs. 1 S. 2). Das gilt auch für den Kern des § 314 BGB.875 Sie kann weder ausgeschlossen noch beschränkt,876 dem Wortlaut nach aber erweitert877 werden. Er869 AA Canaris § 17 Rn 92 (für Unwirksamkeit). 870 Hopt § 89a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7a. 871 BAG, Urt. v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, MDR 2000, 1384; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 49, aA BGH EBE 1999, 13 (15).

872 Vgl. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7a. 873 AA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 49; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 76; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 15; auch Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 89a Rn 12. Nach Ansicht von Staub/Brüggemann 4. Aufl. hatte der HV dann keinerlei Ansprüche mehr, also auch nicht Ansprüche auf Bezirksprovision oder Folgeprovision für Nachbestellungen, die in der Übergangszeit angefallen wären. 874 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 49; MünchKommBGB/Schwerdtner § 626 Rn 36. 875 Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (148) – Franchisevertrag. 876 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (527); Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (148) – Franchisevertrag; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 49. 877 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 131; aA Schwerdtner DB 1989, 1757. Emde

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weiterungen, d. h. Ausdehnungen des außerordentlichen Kündigungsrechts in den Bereich der ordentlichen Kündigung, verletzen die zwingende Natur des § 89 (und § 307 BGB878), weil eine zu weitgehende Ausdehnung wichtiger Kündigungsgründe zur Erosion der Kündigungsfristen des § 89 führt879 (s. a. Rn 30). Unzulässig ist insb. die Vereinbarung einer übergroßen Zahl von TB, die die außerordentliche Kündigung rechtfertigen sollen.880 Die Ausweitung („Inflation“) möglicher Kündigungsgründe oder eine Reduzierung der an sie zu stellenden Anforderungen ist damit unzulässig.881 Die außerordentliche Kündigung würde sich – je nach Sachverhalt – zu sehr der ordentlichen nähern und könnte gerade wegen des Vorteils einer fehlenden Auslauffrist entgegen der zwingenden Natur des § 89 (s. Kommentierung zu § 89) zur Regelkündigung werden.882 Die von den Parteien vereinbarten Kündigungsgründe müssen objektiv noch als wichtiger Grund i. S. d. S. 1 einzuordnen sein. Vereinbarte wichtige Kündigungsgründe sind daher unwirksam, falls bei abstrakt-genereller Prüfung Kündigungsgründe geregelt werden, die keinen wichtigen Grund konstituieren,883 etwa bei jeder noch so geringen Pflichtverletzung,884 jeder Pflichtverletzung als wichtigen Grund885 oder bei einem Kündigungsrecht des Untervertragshändlervertrages in jedem Fall der Beendigung des Hauptvertragshändlervertrages.886 An eine fristlose Kündigung aufgrund eines vereinbarten Grundes sind nicht höhere oder strengere Anforderungen zu stellen als an eine auf gesetzlichem wichtigem Grund beruhende Kündigung.887 Die Vereinbarung, nach der fristlos gekündigt werden darf, sofern der HV bestimmte Mindestumsätze nicht erreicht und er für sein mangelndes Verschulden beweispflichtig sei, verstößt „gegen Treu und Glauben“ und ist unwirksam.888 Richtigerweise darf als Kündigungsgrund nur die – erhebliche – Verletzung der Bemühenspflicht vereinbart werden (zu AGB s. Kommentierung zu Vor § 84). Grenzfälle sind die Vereinbarung von festen Auslauffristen nach einer außerordentlichen Kündigung. Sie dienen vordergründig nur dem Schutz des Gekündigten. Andererseits erschweren sie die außerordentliche Kündigung, weil der zur Kündigung Berechtigte von einer außerordentlichen Kündigung absehen wird, wenn sie der Länge ihrer Kündigungsfrist nach zu sehr der Regelkündigungsfrist ähnelt. Gleichwohl dürfte ihre Vereinbarung noch zulässig sein. Sie gelten nicht, falls die Auslauffrist im Lichte des wichtigen Grundes nicht zumutbar sein sollte.

b) Kataloge wichtiger Kündigungsgründe. Die Unwirksamkeit lässt sich nicht vermeiden, 72 indem man Kataloge wichtiger Kündigungsgründe als Indizien ansieht, welche Fälle die Partei-

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BGH, Urt. 20.5.2003 – KZR 19/02, ZIP 2003, 2030 (2035) – Franchisevertrag. Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (76). Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 50; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 135. Preis/Stoffels ZHR 160 (1996), 471; aA wohl OLG München BB 1956, 20; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 135; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 85. 882 LG München I, Urt. v. 20.10.2014 – 10 HKO 7132/14. 883 KG DB 1998, 607 (608) – Burger King; LG München I, Urt. v. 20.10.2014 – 10 HKO 7132/14; Flohr/Wauschkuhn/ Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 50; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 135; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 12; Martinek/Semler Handbuch des Vertriebsrechts3 § 19 Rn 19; zu weit OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191 (1192); aA MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 28. 884 Möller EWiR 2011, 220. 885 BGH, Urt. v. 6.12.1956, HVR Nr. 203; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920; Hopt § 89a Rn 27; vgl. OLG München BB 1956, 20. 886 LG München I, Urt. v. 20.10.2014 – 10 HKO 7132/14. 887 AA BGH WM 1974, 350 (351); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 28. 888 OLG Karlsruhe BB 1971, 888. 149

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en als der Vertragsfortführung entgegenstehend ansahen889 (angeblich auch AGB-Kataloge890) – woraus der Gestaltungshinweis abgeleitet wird, in die Verträge solche Kataloge einzufügen.891 In der Sache liefe dies auf dasselbe hinaus, nämlich eine unzulässige, geltungserhaltende Reduktion.892 Zulässig soll es sein, eine auf Zahlungsunfähigkeit893 oder Insolvenz894 gestützte außerordentliche Kündigung des HV zu vereinbaren. Nach der Rspr. des BGH kommt es auf den Einzelfall an, ob die Benennung wichtiger Kündigungsgründe die ansonsten gebotene Zumutbarkeitsprüfung von vornherein einschränkt oder ganz ausschließt.895 Damit wird es eine Frage der Auslegung des HV-Vertrages, ob und inwieweit die Benennung bestimmter Pflichtverstöße als (wichtiger) Kündigungsgrund eine am Einzelfall orientierte Interessenabwägung von vornherein ausschließt.896 Regelmäßig wird eine Interessenabwägung und Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall nicht ausgeschlossen.897 Da §§ 89, 89a jedoch das gesetzliche Leitbild kennzeichnen, wäre eine Abweichung (auch nach § 307 BGB898) unwirksam; zudem nach dem zwingenden § 89b Abs. 3 Nr. 2, sofern die Kündigung auch in Fällen erleichtert wird, die kein schuldhaftes Verhalten des HV konstituieren.899 Unwirksam wäre damit auch die ggf. konkludente Vereinbarung der „Nichtprüfung“ der Zumutbarkeit. Werden wichtige Kündigungsgründe enumerativ aufgezählt, erlaubt dies nicht den Umkehrschluss, dass die allgemeine Kündigungsmöglichkeit nach § 314 BGB ausgeschlossen wird.900

73 c) Lösungsklauseln bei Insolvenz. Das nur bereichsspezifisch geltende Verbot von Lösungsklauseln bei Insolvenz in §§ 103 ff., 119 InsO soll der Wirksamkeit einer – auch mittels AGB901 – vertraglich eingeräumten außerordentlichen Kündigung des Unternehmers wegen Insolvenzeröffnung902 oder sogar Insolvenzantragstellung903 nicht entgegenstehen, was die Zuläs889 Beispiele: BGH WM 1992, 1162; WM 1988, 1490; WM 1956, 95; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920. 890 BGH BB 1992, 1162; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920 – problematisch, weil einseitig vorgegeben. 891 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (12/13). 892 AA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 137; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 12. 893 OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713. 894 Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1206). 895 BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 22; v. 7.7.1988 – I ZR 78/87, WM 1988, 1490 = NJW-RR 1988, 1381 unter II 1 m. krit. Anm. Martinek EWiR 1988, 1059 (dort verneint, also Klausel wirksam, bei folgendem Wortlaut: „Die Kündigung kann außerdem von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ausgesprochen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund, der den Unternehnmer zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, ist insb. auch bei einem Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot des § … des Vertrags gegeben“), Urteil Bezug nehmend auf das Urt. v. 20.10.1955 – II ZR 75/54, WM 1956, 138 unter I 2; ebenso OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 137; MünchKommHGB/v. Hoyningen/Huene § 89a Rn 36. 896 Siehe etwa BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller) Rn 22. 897 Nach den dortigen Umständen des Einzelfalles: BGH, Urt. v. 10.11.2010 – VIII ZR 327/09, WM 2011, 136 = MDR 2011, 53 = NJW 2011, 608 = EWiR 2011, 219 (Möller); ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765 m. Anm. Ayad BB 2010, 920 als Vorinstanz (Konkurrenzverstoß); KG, Urt. v. 21.11.1997, BB 1998, 607 ff. – Burger King; Schwerdtner DB 1989, 1758. 898 BGH, Urt. 20.5.2003 – KZR 19/02, ZIP 2003, 2030 (2035) – Franchisevertrag. 899 Emde in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 955. 900 OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 1001/18, IHR 2020, 17 (19). 901 OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 6.3.2009 – 2 U 29/09; Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1206). 902 OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; Eckhoff NZI 2015, 972; Muhl GWR 2014, 496; Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1206). 903 Eckhoff NZI 2015, 972; Muhl GWR 2014, 496. Emde

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sigkeit einer solchen Klausel auch im Lichte der zwingenden Natur des § 89a impliziert. Eine derartige Klausel stellt auch keine unangemessene Benachteiligung i. S. d. § 307 BGB dar. Die vom Unternehmer erklärte Kündigung ist grds. auch einen Monat vor Ablauf der zweijährigen ordentlichen Kündigungsfrist zulässig.904 Ob das vertraglich geregelte Recht zur Kündigung bei Insolvenz, Insolvenzantragsstellung oder Zahlungseinstellung (Insolvenzantragsgründe) auch nach der nicht zu HV-Verträgen ergangenen Entscheidung des BGH zu Energielieferverträgen905 zulässig bleibt, ist Gegenstand der Diskussion. Dafür spricht das besondere Vertrauensverhältnis, welches einem Vertriebsvertrag immanent ist, der Rückschluss aus § 116 InsO (der bei Insolvenz des Unternehmers eine automatische Vertragsbeendigung vorsieht) und in Eigenhändlerverträgen das erhebliche Ausfallrisiko des Unternehmers. Nach Ansicht von Muhl sind solche Klauseln auch nach dem Urteil des BGH zulässig, weil in den von der Klausel erfassten Fällen auch ein Kündigungsrecht nach § 89a besteht.906 Die Lösungsklausel entspricht damit der Gesetzeslage. Bei Unwirksamkeit der Lösungsklausel könnte der Unternehmer aber jedenfalls unmittelbar aus § 89a kündigen (s. Kommentierung zu § 89a). Nach einer Ansicht darf individualvertraglich nur dann das Nichterreichen von Mindestumsätzen als außerordentlicher Kündigungsgrund vereinbart werden, falls das Kündigungsrecht nur bei Verschulden zulässig ist.907 Nach aA darf jedenfalls individualvertraglich ein Kündigungsrecht ohne Verschuldenserfordernis vereinbart werden.908 Der Unternehmer muss das Verschulden nachweisen.909

2. Verstoß gegen § 314 BGB Wie dargestellt sieht eine bedeutende Meinungsgruppe die außerordentliche Kündigung außer- 74 halb des HV-Rechts, insb. im Vertragshändler- und Franchiserecht, in § 314 BGB und nicht in § 89a geregelt. Nach Ansicht von Mesch910 unterscheidet sich das außerordentliche Kündigungsrecht des § 89a von dem des § 314 BGB dadurch, dass § 89a Abs. 1 S. 2 ausdrücklich die zwingende Natur bestimmt, während § 314 BGB nur im Kern zwingendes Recht ist. I. E. dürfte dies dasselbe bedeuten, da auch das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB nicht ausgeschlossen werden kann. Jedenfalls sei – so Mesch911 – auf die Legaldefinition des § 314 Abs. 1 S. 2 BGB zum wichtigen Grund zurückzugreifen. Mesch führt aus, zumindest in AGB dürfe nicht von § 314 BGB abgewichen werden. Ein vollständiger Ausschluss der außerordentlichen Kündigung sei daher ebenso wie eine Erweiterung der außerordentlichen Kündigungsrechte über § 314 BGB hinaus unzulässig.912 Ferner sei eine Einschränkung des § 314 BGB, z. B. durch Ausschlussfristen, zusätzliche Nachfristen, Verpflichtung zur Abstandszahlung, Heraufsetzung des Haftungsmaßstabes, in AGB nicht möglich.913 In AGB könnten damit nur außerordentliche Kündigungsgründe bestimmt werden, die unabhängig von einer ausdrücklichen Regelung zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen.914 In Individualverträgen sei grundsätzlich eine Festlegung wichtiger Gründe möglich, jedenfalls sofern keine Partei besonders schutzbedürftig sei, z. B. wegen struktureller Unterlegenheit.915 Die Parteien dürften die außerordentliche

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OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406. BGH, Urt. v. 15.11.2012 – XI ZR 169/11, WM 2013, 274; dazu etwa Raeschke-Kessler/Christopeit WM 2013, 1592. Muhl GWR 2014, 496. Westphal I Rn 836. Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (77). OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.12.1999 – 16 U 250/97, BeckRS 1999, 16945; Budde/Gruppe ZVertriebsR 2014, 71 (77). ZVertriebsR 2015, 8 (11). Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (11). Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (12). BGH, NJW-RR 2003, 1060; Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (12). Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (12). Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (12). Emde

§ 89a

1. Buch. Handelsstand

Kündigung auch für eine begrenzte Zeit und aus einem bestimmten Grund ausschließen.916 Da jedoch sowohl § 89a wie § 314 BGB zwingendes Recht begründen, ist diese Auffassung schwer haltbar. Es mag zwar Einzelfälle geben, in denen eine außerordentliche Kündigung nach § 242 BGB unwirksam ist. Dann kann dies auch vereinbart werden. Bei auf langfristigen Leistungsaustausch ausgerichteten Vertriebsverträgen mit den ihnen eigenen Treupflichten ist ein solcher Ausnahmefall auch unter § 314 BGB kaum denkbar.

3. Wirkungen des Verstoßes gegen zwingendes Recht 75 Gegen die zwingende Natur der § 89a HGB, § 314 BGB verstoßende Vereinbarungen sind nach § 134 BGB917 oder § 307 BGB nichtig, unabhängig davon, welche Vertragspartei sie benachteiligen.918 Sie werden durch Abs. 1 S. 1 ersetzt.919 Nichts anderes gilt, wenn der Vertrag bestimmt, dass das Recht zur außerordentlichen Kündigung unberührt bleiben soll.920 Zum konstitutiven Schriftformerfordernis s. o. Wegen Erschwerung der außerordentlichen Kündigung nichtig sind Abreden, nach denen die Kündigung nur innerhalb genau bestimmter Fristen ausgesprochen werden darf;921 nur von den Parteien festgelegte Sachverhalte als wichtiger Kündigungsgrund gelten sollen,922 bestimmte Tatbestände keine fristlose Kündigung rechtfertigen923 sowie der Ausschluß nicht in der Kündigungserklärung mitgeteilter Kündigungsgründe oder Rechtsfolgen.924 Gleiches gilt für die außerordentliche Kündigung mittelbar erschwerende Vereinbarungen,925 z. B. indem sich wirtschaftliche Nachteile an die außerordentliche Kündigung anschließen926 (dazu s. Kommentierung zu § 89). Auch Absprachen, dass bestimmte TB die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen sollen, obwohl sie einen wichtigen Grund bilden, sind unzulässig.927 Durch den „mittelbaren Nachteil“, etwa eine Rückzahlungsverpflichtung,928 muss gerade das Recht zur außerordentlichen Kündigung beschränkt werden.929 Wenn die Rückzahlungspflicht generell an die Beendigung des Vertragsverhältnisses innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Zahlung einer Sondervergütung anknüpft, soll dies nicht der Fall sein.930 Andererseits ließe sich vertreten, dass zumindest in AGB zwischen den Fällen der ordentlichen und außerordentlichen Kündigung bzw. der außerordentlichen Kündigung des HV oder des Unternehmers differenziert werden muss, um die Unwirksamkeit zu vermeiden. Denn 916 Mesch ZVertriebsR 2015, 8 (12) unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 4.4.1973 – VIII ZR 47/72 Rn 13, das zum Mietrecht erging. 917 OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2013 – I-16 U 183/12, BeckRS 2014, 06492. 918 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (527); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 131; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21. 919 BGH, Urt. v. 25.11.1963 – VII ZR 29/62; BGHZ 40, 235 (239) = NJW 1964, 250; OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (527); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 131; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 86. 920 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (527). 921 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 131. 922 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 131; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 31; Hopt § 89a Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 28, 85; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21; aA RG JW 1937, 1639. 923 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 55. 924 BGH, Urt. v. 16.1.1995 – II ZR 26/94, EBE 1995, 59 (60). 925 OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09; LG Heidelberg, Urt. v. 3.12.2010 – 11 O 93/09 KfH (dort verneint). 926 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (527); OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09; LG Osnabrück, Urt. v. 25.7.2014 – 15 O 486/13, ZVertriebsR 2015, 312 (314, 316) – theoretisch bis zu 216.000 EUR; LG Bonn, Teilurt. v. 13.6.2012 – 16 O 4/11, BeckRS 2013, 17651 (Gewinnbeteiligungsprogramm); Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (148) – Franchisevertrag. 927 BGH HVR Nr. 159; Hopt § 89a Rn 28; für AGB: BGH NJW 1986, 3134. 928 LG Osnabrück, Urt. v. 25.7.2014 – 15 O 486/13, ZVertriebsR 2015, 312. 929 OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09. 930 OLG Celle, Urt. v. 29.10.2009 – 11 U 36/09 – zweifelhaft; tendenziell wohl aA LG Osnabrück, Urt. v. 25.7.2014 – 15 O 486/13, ZVertriebsR 2015, 312 (314, 316). Emde

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sonst tritt der Nachteil auch bei außerordentlichen Kündigungen ein. Für den Fall einer unberechtigten außerordentlichen Kündigung, die in Kenntnis des fehlenden Kündigungsrechts ausgesprochen wird, sollen dem unberechtigt Kündigenden nachteilige Vereinbarungen getroffen werden dürfen. Denn zum einen liege dann objektiv keine außerordentliche Kündigung vor. Zum anderen beständen ohnehin Schadenersatzansprüche gegen den Kündigenden (§ 280 BGB).931 Eine Regelung, nach der eine außerordentliche Kündigung nur nach einer Abmahnung mit einer 30-Tages-Frist zulässig sein soll, widerspricht nach Ansicht eines ICC-Schiedsgerichts932 ebenfalls nicht § 89a und hindert das außerordentliche Kündigungsrecht nicht ungebührlich. Daran dürften Zweifel bestehen, da vom Wortlaut her eine Kündigung ohne Frist ausgeschlossen ist und in besonders schweren Fällen eine fristlose Kündigung möglich sein muss.

4. Bilden nichtige Klauseln ein Indiz für das Gewollte? Nichtige Klauseln sollen u. U. ein Indiz dafür geben, was die Parteien als erhebliche Gründe 76 der Vertragsbeendigung ansahen933 (zweifelh., s. bereits Rn 30). Dies kann allenfalls bei echter Verhandlungsparität angenommen wirden, also kaum bei AGB. Die Verhandlungsparität muss derjenige beweisen, der sich auf die nichtige Bestimmung beruft. Wenn durch vertragliche Abrede die Provisionsberechtigung für die vom HV vermittelten und vor Ende des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen, aber erst später zur Ausführung gelangten Geschäfte oder die Überhangprovision nach § 87 Abs. 3 ausgeschlossen worden ist, so gilt das nicht für den Fall, in dem der HV aus wichtigem Grunde kündigt.934 Denn auch dies würde auf eine Behinderung in der Ausübung des Rechts zur fristlosen Kündigung hinauslaufen (anders mglw. im VV-Recht, wo diese Provisionsverzichtsklausel nach bisher h. M. erst den Ausgleichsanspruch eröffnet, vgl. Kommentierung zu § 89b).

5. Verzicht Abs. 1 S. 2 verbietet nicht einen einseitigen (ausdrücklich oder konkludent: Angebot, sonst: 77 Verwirkung oder widersprüchliches Verhalten) oder konsensualen Verzicht auf die Rechte aus einem bereits entstandenen wichtigen Kündigungsgrund.935 Eine gegenteilige Ansicht müsste auch die Verwirkung ausschließen. Ein Verzicht setzt jedoch – anders als die Verwirkung – eine unzweideutige Erklärung in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände voraus, regelmäßig gegenüber dem Vertragspartner, z. B. dass der Vertrag trotz eines bekannten Kündigungsgrundes fortgesetzt werden soll.936 Im Fall der konsensualen Vereinbarung ist diese WE vom Gegenüber anzunehmen, notfalls als vorteilhaft gem. § 151 BGB. Der rechtswirksame Verzicht schließt eine erneute außerordentliche Kündigung aus dem nämlichen Grund aus, hindert aber nicht dessen Berücksichtigung zur Unterstützung der Kündigung aus einem anderen Anlaß.937 Kommt es später zu einem identischen Fehlverhalten, darf gleichfalls gekündigt werden.

931 932 933 934 935

AA wohl OLG München NJW-RR 1998, 1189 (1190). Urt. v. 18.1.2016 – Case no. 20508/GFG/FS. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 131; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21; vgl. RGZ 75, 234 (238). Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 139; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 87; Hopt § 89a Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8, 21. 936 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 139; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. 937 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 139; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. 153

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§ 89a

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IX. Grenzen des Kündigungsrechts (Verwirkung, Treu und Glauben, Kündigung zur Unzeit) 78 Wie jedes andere Recht kann das Kündigungsrecht verwirkt werden938 oder seiner Ausübung mangelndes Rechtschutzbedürfnis, Treu und Glauben,939 Schikane oder § 826 BGB entgegenstehen. Für die Verwirkung ist ein Zeit- (Beispiel: Verfristung940) oder ein Umstandsmoment erforderlich, etwa falls der Kündigungswillige in Kenntnis seines Kündigungsrechts gegenüber seinem Vertragspartner, z. B. mittels Handlungen oder Erklärungen, das Vertrauen erweckt, von einem bestehenden außerordentlichen Kündigungsrecht keinen Gebrauch zu machen,941 es der Unternehmer in Kenntnis des Kündigungsgrundes zulässt, dass der Mittler im Vertrauen auf das Unterbleiben der Kündigung besondere Aufwendungen tätigt942 oder auf die Verfehlung des Mittlers anderweitig reagiert, etwa das Vertragsgebiet verkleinert.943 So kann die längere Fortsetzung des Vertragsverhältnisses in Kenntnis des bereits existenten Kündigungsgrundes zu einer Verwirkung des Kündigungsrechts führen (Rn 53).944 Liegt in der Person des Kündigenden eine Vertragsuntreue vor, kann dessen Kündigung ebenfalls i. S. d. § 242 BGB treuwidrig sein, insb. wenn der Kündigende durch seinen Vertragsverstoß die Störung des Vertrauensverhältnisses überwiegend verursacht hat.945 Den Kündigungsberechtigten trifft zur Vermeidung der Verwirkungsfolge aber keine Obliegenheit, einem Verdacht oder Hinweis auf das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nachzugehen und zu klären versuchen, ob ggf. eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden soll.946 Verwirkung entsteht nicht zwingend durch eine ordentliche Kündigung aus demselben Grunde,947 dem Betroffenen steht es frei, eine außerordentliche Kündigung nachzuschieben. Die Entscheidung zu einer ordentlichen anstelle einer an sich zulässigen außerordentlichen Kündigung in voller Kenntnis aller Umstände begründet aber die Vermutung, dass dem Kündigenden das Abwarten bis zum ordentlichen Vertragsende zuzumuten ist (Rn 19 ff.).948 Die Vermutung ist widerleglich. Denn sie kann auch aus Rücksicht oder Vorsicht erfolgen, was aber bei Einhaltung der Kündigungsfrist nur für § 89b Abs. 3 Nr. 2 wichtig ist. Fener ist dem zur Kündigung Berechtigten zuzubilligen, nach dem er zunächst die Kündigung gemäß § 89 wählte, nun doch eine erhebliche Betrofffenheit zu spüren und fristlos zu kündigen. Wie das Kündigungsrecht selbst kann das Recht, sich auf bestimmte Tatsachen als Kündigungsgrund zu stützen, verwirkt werden.949 Auch ein Nachschieben der verwirkten Gründe mag deshalb unzulässig sein.950 Ein nachgeschobener, jedoch verwirkter Grund kann aber dazu dienen, die Bedeutung des ersten Kündigungsgrundes zu unterstreichen (§ 242 BGB). 79 Die Grundsätze über die Kündigung zur Unzeit (§§ 627 Abs. 1, 671 Abs. 2, 723 Abs. 2 BGB) können der außerordentlichen Kündigung regelmäßig nicht entgegengehalten werden.951 938 BGH, Urt. v. 10.2.1993 – VIII ZR 48/92, NJW-RR 1993, 682 (683); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 61; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 63. 939 BGH, Urt. v. 12.3.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker); v. 17.10.1991 – I ZR 248/89; NJW-RR 1992, 481 – eigener Vertragsverstoß des Kündigenden; Ebenroth S. 172 (173 ff., 181 ff.); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 72; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 63. 940 BGH WM 1982, 632 (633); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 61. 941 BGH NJW-RR 1993, 682 (683). 942 BGH NJW 1993, 682; NJW-RR 1996, 949; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 61. 943 OLG Nürnberg BB 1963, 447; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 61; Hopt § 89a Rn 32. 944 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 63. 945 Flohr ZVertriebsR 2018, 147 (148) – Franchiserecht. 946 BGH NJW 1959, 1219; ZIP 1999, 1307 (1310); aA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 57. 947 AA Hopt § 89a Rn 32. 948 OLG Nürnberg BB 1963, 447; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 63. 949 Hopt § 89a Rn 32. 950 Hopt § 89a Rn 32. 951 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 72. Emde

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Sofern ein wichtiger Kündigungsgrund besteht, darf dieser auch – zwingend – ausgeübt 80 werden. Die außerordentliche Kündigung kommt für den Kündigungsempfänger wohl immer „zur Unzeit“, so dass aus der „Unzeit“ keine Kündigungsschranke entnommen werden kann.952

X. Rechtslage bei Fehlen des Kündigungsgrundes 1. Überblick Die unberechtigte fristlose Kündigung ist unwirksam.953 Der Vertrag besteht mit allen gegensei- 81 tigen Rechten und Pflichten fort.954 Wegen dieses Risikos wird ein Aufhebungsvertrag empfohlen; die außerordentliche Kündigung sollte nur als ultima ratio gewählt werden.955 Die unwirksame Kündigung ist u. U. in eine solche zum nächstzulässigen normalen Kündigungstermin umzudeuten (Rn 5) und enthält regelmäßig das Angebot zur Vertragsaufhebung,956 welches gem. § 151 BGB, konkludent957 und sogar durch Unterlassen958 angenommen werden kann, etwa indem der HV seine Tätigkeit einstellt, Unterlagen zurücksendet oder die Abrechnung des Vertragsverhältnisses fordert.959 Widerspricht also ein gekündigter HV der Kündigung nicht und bietet seine Leistung nicht entsprechend § 615 BGB an, darf der Unternehmer in Ausnahmefällen und trotz des Grundsatzes, dass Schweigen keine WE begründet, nach Treu und Glauben von einer einverständlichen Abwicklung des gekündigten Vertragsverhältnisses ausgehen. Ein Schadenersatzanspruch des HV ist dann ausgeschlossen.960 Das Vertragsverhältnis endet durch Aufhebungsvertrag. Hierbei muss es sich aber um Ausnahmefälle handeln. Einer rechtsgrundlosen Kündigung braucht der HV grundsätzlich nicht zu widersprechen. Das Verständnis eines in der Kündigung liegenden Angebotes auf Vertragsaufhebung wird nach §§ 133, 157 BGB nicht in allen Fällen im Interesse des Unternehmers liegen: Denn eine wegen schuldhaften Verhaltens des HV ausgesprochene Kündigung führt zum Entfallen des Ausgleichsanspruches nach § 89b Abs. 3 Nr. 2, der Aufhebungsvertrag begründet jedoch den Ausgleichsanspruch. Auch wenn bei der Bewertung von Rechtsfolgen für die Bedeutung einer Erklärung Zurückhaltung angebracht sein sollte, können sie nicht völlig ausgeblendet werden, gerade bei erheblicher Höhe des Ausgleichsanspruches und etwa mangelnder Finanzkraft des Unternehmers. Rechte aus der außerordentlichen Kündigung darf der Kündigende nach Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht geltend machen. Der HV behält seinen Ausgleichsanspruch.961 Im Schweigen des Gekündigten auf eine unberechtigte fristlose Kündigung, in deren erklärter Hinnahme oder Annahme liegt allenfalls das Einverständnis mit einer sofortigen Vertragsaufhebung, kein Zugeständnis des wichtigen Grundes,962 dessen Vorliegen ohnehin objektiv zu bestimmen wäre. Der HV, der die fristlose Kündigung als ungerechtfertigt zurückweist, ist, wenn der Unternehmer auf seinem

952 Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 72. 953 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 116; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19.

954 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 116; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19. 955 Flohr/Liesegang ZVertriebsR 2018, 351 (353). 956 OLG München, Urt. v. 27.7.1994, BB 1994, 2166 = NJW-RR 1995, 95; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 118; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78. 957 OLG München, Urt. v. 27.7.1994, BB 1994, 2166 = NJW-RR 1995, 95; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 118; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78. 958 OLG München, Urt. v. 27.7.1994, BB 1994, 2166 = NJW-RR 1995, 95. 959 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 118. 960 OLG Köln, Urt. v. 30.9.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408). 961 Ebenroth/Löwisch4§ 89a Rn 118. 962 Ebenroth/Löwisch4§ 89a Rn 118. 155

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Standpunkt beharrt, nicht grundsätzlich berechtigt, seine Tätigkeit sofort einzustellen,963 auch nicht deshalb, weil der Unternehmer durch die Kündigung sein Desinteresse an weiterer Tätigkeit des HV ausdrückt,964 es sei denn, die Voraussetzungen eines ZBR oder des § 242 BGB liegen vor. Er müsste vielmehr seinerseits außerordentlich kündigen und sich bis zum Wirksamwerden seiner Kündigung an alle vertraglichen Pflichten965 unter Einschluss eines eventuellen Wettbewerbsverbots halten966 (ausnahmsweise § 242 BGB-Einwand gegen Folgen aus der Verletzung des Wettbewerbsverbots967). Nur wenn der Unternehmer seine die Tätigkeit des HV zurückweist oder ihn auf das Angebot des HV zur weiteren Tätigkeit anweist, jede Tätigkeit einzustellen, darf sich der HV anweisungsgemäß verhalten. Insbesondere das Konkurrenzverbot unterliegt keinen Einschränkungen,968 der HV ist durch die Zulässigkeit einer Gegenkündigung mit nachfolgender Wettbewerbstätigkeit hinreichend geschützt. Alles ist eine Frage des Einzelfalls und der unberechtigt Gekündigte ist im Zweifel schutzwürdiger. Eine unberechtigte Kündigung befreit auch den Unternehmer nicht von einem Wettbewerbsverbot.969 Da die unberechtigte Kündigung eine Pflichtverletzung darstellt, ist der Unternehmer in ihrer Folge verpflichtet, dem HV als Schadensersatz gem. § 280 BGB die Provisionen zu ersetzen,970 welche dieser ohne Kündigung verdient haben würde; die von einem tüchtigeren Ersatzmann hereingeholten Aufträge sind kein Maßstab.971 § 254 BGB und die Grundsätze der Vorteilsausgleichung sind hier anwendbar.972 Das Risiko eines Fehlers bei der Prüfung der Kündigungsgründe trägt der Kündigende,973 Verschulden von Hilfspersonen hat er zu vertreten. Ein pflichtwidriges Verhalten des Gekündigten, welches keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gibt, kann im Einzelfall gem. § 254 BGB anspruchsreduzierend wirken.974 Unberührt bleibt das Recht des HV, nach § 615 BGB vorzugehen, den Unternehmer mit sei82 nen Diensten in Annahmeverzug zu setzen und die entgehenden Provisionen nebst einem etwa zugesagten Fixum zu beanspruchen.975 Um seine erfolgsabhängigen Provisionsansprüche nicht

963 AA OLG Düsseldorf NJW 1959, 52; OLG Stuttgart BB 1960, 956 (957); Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 12; Ebenroth/Löwisch4§ 89a Rn 122; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Hopt § 89a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19; Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 89a Rn 20. 964 So aber Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 122. 965 BGH NJW-RR 1992, 481 (482); OLG München BB 1995 168; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 116; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78. 966 BGH, Urt. v. 30.6.1954 – II ZR 26/53, BB 1954, 647 (648); NJW-RR 1992, 481 (482); v. 12.3.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 116, § 86 Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 6a, 20a, § 86 Rn 42a; Hoss DB 1997, 1818 ff. 967 Hoss DB 1997, 1819; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 116. 968 AA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 117: Nur wenn der Unternehmer dem HV eine weitere Tätigkeit bis zur Klärung der Berechtigung der Kündigung gestattet, ihm eine Entschädigung zahlt, wie sie im Fall eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots geschuldet wird, oder dem HV trotz Wettbewerbsverbots eine Berufsausübung ohne weiteres möglich und zumutbar ist, bleibe das Verbot verbindlich; vgl. auch OLG Karlsruhe DB 1971, 572 und VersR 1973, 858 mit abl. Anm. Höft. 969 BGH, Urt. v. 1.8.2013 – VII ZR 268/11, ZVertriebsR 2013, 310 (312). 970 BGH WM 1970, 1513 (1514); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 128; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 81; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19, 20. 971 OLG Stuttgart BB 1960, 957. 972 BGH, Urt. v. 11.10.1990 – I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156 (157); WM 1970, 1513 (1514); BGHZ 53, 150 = NJW 1970, 467; BGH NJW 1967, 248; OLG München NJW-RR 1998, 1189 (1190) (zur Schadenspauschale); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 128; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 81; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19, 20. 973 BGH, Urt. v. 13.7.1972 – VII ZR 166/71, WM 1972, 1095; WM 1970, 1513 (1514); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 127; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19. 974 BGH NJW 1967, 246 (248) = MDR 1967, 122; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 128. 975 BGH DB 1966, 1965. Emde

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zu verlieren, muss der HV dem Unternehmer seine Dienste anbieten,976 sofern der HV nicht nachweist, dass der Unternehmer unter keinen Umständen zu einer Weiterbeschäftigung des gekündigten HV bereit war.977 Durch dieses zugangsbedürftige Angebot zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten nach § 295 BGB erwirbt der HV ferner den Anspruch auf Vermittlungsoder Abschlußprovision in einer Höhe, wie sie voraussichtlich in der Zeit zwischen fristloser Kündigung und frühestmöglichem ordnungsgemäßem Vertragsende angefallen wären.978 Der HV ist dann nicht zur Nacherfüllung verpflichtet;979 Verschulden des Unternehmers ist, da es sich um keinen Schadenersatzanspruch handelt, keine Anspruchsvoraussetzung.980 Die Höhe der Leistungspflicht ist nicht anders als beim eben genannten Schadenersatzanspruch gem. § 287 ZPO zu schätzen; sie entspricht dem Betrag, den der HV in einem vergleichbaren früheren Zeitraum oder sein Nachfolger in der Zeit zwischen Kündigung und ordnungsgemäßem Vertragsende verdient hat,981 es sei denn, der Gekündigte verfügt nicht über die gleichen Fähigkeiten und Erfahrungen wie sein Nachfolger oder ist mit anderem Arbeitseinsatz als jener tätig.982 Der Einwand, er hätte die von dem Gekündigten vermittelten Geschäfte nicht angenommen, ist dem Unternehmer trotz seiner Dispositionsfreiheit grundsätzlich verwehrt, soweit es um gleichartige oder vergleichbare Geschäfte geht, wie sie in der Vergangenheit von dem Gekündigten oder in der Folgezeit von seinem Nachfolger vermittelt bzw. abgeschlossen wurden.983 Der HV verliert auf diesem Weg den Einwand des § 254 Abs. 2 BGB,984 da es sich um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch handelt,985 muss sich dafür aber auf die variablen Vergütungsbestandteile anrechnen lassen, was er nach der Kündigung anderweit verdient oder böswillig zu verdienen unterlassen hat, indem er vorsätzlich verhindert hat, dass ihm eine zumutbare anderweitige Erwerbsmöglichkeit angeboten wird, oder grundlos eine ihm bekannte mögliche und zumutbare Tätigkeit nicht ausgeübt hat,986 § 615 S. 2 BGB. Fahrlässige Unkenntnis genügt nicht.987 § 615 S. 2 BGB soll hinsichtlich fester Vergütungsbestandteile nicht anwendbar sein,988 jedoch in Bezug auf die erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteile.989 Das OLG Düsseldorf990 nimmt zu dem anrechenbaren Verdienst auch spätere Einkünfte, die der HV erzielt, indem er die durch die Einstellung seiner Tätigkeit gewonnene Zeit dazu nutzt, sich auf jene spätere Erwerbstätigkeit vorzubereiten. Eine solche Ausdehnung ist jedoch mit dem Gesetz kaum zu vereinbaren.991 Wird dem HV aufgrund der unberechtigten Kündigung die Tätigkeit unmöglich und muss er sie einstellen, behält er ohne Weiteres seinen Anspruch auf erfolgsunabhängige, feste Vergütun-

976 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 120. 977 BGH, Urt. 9.10.2000 – II ZR 75/99, ZIP 2000, 2199; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 120. 978 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 79; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19a, 19c. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19a. BGHZ 24, 91 = NJW 1957, 989; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19a. BGH, Urt. v. 31.3.1982 – IV a ZR 298/80, WM 1982, 635; OLG Stuttgart BB 1960, 956 (957); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124. 983 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124; enger Steindorff ZHR 130 (1968), 82 (84 ff.). 984 BGH DB 1966, 1965. 985 BGH NJW 1967, 248; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124. 986 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 79; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19b. 987 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124. 988 BGH, Urt. v. 18.6.1959 – II ZR 121/57, NJW 1959, 1490; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124. 989 BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248 (250); Hopt § 89a Rn 37, 38. 990 OLG Düsseldorf DB 1972, 181. 991 Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19b.

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gen992 sowie die Bezirksvertreterprovision nach § 87 Abs. 2;993 der Unternehmer hat sie unter Anrechnung ersparter Aufwendungen, anderweitigen Einkommens oder sonstiger Vorteile bis zum rechtlichen Ende des Vertragsverhältnisses zu leisten.994 83 Solange der HV sich auf die Tätigkeit für einen anderem Unternehmer vorbereitet, ohne bereits eine Vergütung zu erzielen, kann § 615 S. 2 BGB nicht eingreifen,995 es sei denn, der Unternehmer weist nach, dass eine solche Vorbereitung bei objektiver Würdigung nicht nötig und der Drittunternehmer zum sofortigen Einsatz des HV bereit gewesen wäre.996 Der Mehrfachvertreter, der sich infolge der Kündigung in höherem Maß für seine übrigen Auftraggeber einsetzen kann, muss sich den dadurch erzielten Mehrverdienst nach § 615 S. 2 anrechnen lassen.997 Der Bezirksvertreter unterlässt, wenn er den Bezirk oder Kundenstamm nicht weiter betreut, keine anderweitige Verwendung seiner Dienste i. S. d. § 615 S. 2 BGB.998 Im Übrigen hat der HV sich auch nach unberechtiger Kündigung vertragsgemäß zu ver84 halten und alles zu unterlassen, was ohne die fristlose Kündigung vertragswidrig wäre;999 insb. hat er jeden die Interessen des Unternehmers schädigenden Wettbewerb zu unterlassen.1000 Geringfügige Unkorrektheiten hat der unberechtigt Kündigende hinzunehmen: wer sich selbst nicht einwandfrei verhält, muss mit Reaktionen des Kündigungsempfängers rechnen. Dass der Gekündigte vorsorglich in dieser Zeit Verbindungen zur Konkurrenz aufnimmt, um im Falle der endgültigen Lösung seines Vertrages eine Tätigkeit dort übernehmen zu können, wird ihm ebenso wie die Unterzeichnung des Vertrages mit dem Wettbewerber gestattet sein.1001 Der HV darf die ungerechtfertigt fristlose Kündigung des Unternehmers aus „wichtigem Grunde“ zum Anlass einer Gegenkündigung nehmen.1002 Auch ist eine solche grundlose Kündigung des Unternehmers ein „begründeter Anlaß“ zur Eigenkündigung durch den HV i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1, der den Ausgleichsanspruch wahrt.1003

2. Verteidigung gegen die unberechtigte Kündigung 85 Der unberechtigt Gekündigte braucht sich gegen die Kündigung nicht zur Wehr zu setzen.1004 Jedoch kann ausnahmsweise ein Widerspruch gegen die unberechtigte Kündigung unter Treupflichtgesichtspunkten erforderlich sein,1005 falls ein solcher zu erwarten wäre. In einem derartigen Ausnahmefall kann Schweigen des Gekündigten als Zustimmung zur Vertragsaufhebung zu 992 OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 124. 993 BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248 (250); BGH WM 1982, 632 (635); v. 12.3.1992 – I ZR 117/ 90, NJW-RR 1992, 1059 (1060, 1061); OLG Düsseldorf NJW 1959, 52; OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; Ebenroth/Löwisch4 § 87 Rn 14; § 89a Rn 124; Hopt § 89a Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 80; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 19c. 994 BGH, Urt. v. 18.6.1959 – II ZR 121/57, NJW 1959, 1490; NJW-RR 1992, 1059; BGHZ 41, 292; Ebenroth/Löwisch4 § 87 Rn 14, § 89a Rn 124; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 25; Hopt § 87 Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 87; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 34, 38; aA noch OLG Düsseldorf DB 1972, 181. 995 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 125; aA OLG Düsseldorf BB 1972, 196 = DB 1972, 281. 996 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 125. 997 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 125; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19b. 998 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 125; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 80. 999 BGH LM § 89a Nr. 1. 1000 BGH, Urt. v. 12.3.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker). 1001 OLG München VersR 1957, 97; LAG Köln MDR 1997, 858; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 117; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20a. 1002 AA Staub/Brüggemann 4 Aufl. § 89a Rn 21. 1003 BGH DB 1966, 1965. 1004 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 120. 1005 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 120. Emde

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werten sein.1006 Besteht der Unternehmer auf ein Kündigungsrecht, das nicht existiert, kann er sich wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots schadensersatzpflichtig machen, wobei er sich gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB von einem Verschulden entlasten müsste.1007 Der Entlastungsbeweis scheidet eher aus, wenn der HV auf die Rechtslage mit einem ausführlichen und auch rechtlich begründeten Schreiben hinwies.1008 Der Gekündigte braucht keine Feststellungsklage auf Fortbestehen des Vertrags zu erheben.1009 Das darf er aber zu jedem Zeitpunkt, zu dem keine Verwirkung eingetreten ist, wobei von Verwirkung oft schon vor Ablauf der Frist des § 195 BGB auszugehen sein wird, weil der Kündigende trotz seines rechtswidrigen Verhaltens nach angemessener Frist (wohl 1–2 Jahre), auch im Interesse eines eventuellen Nachfolgevertreters, auf die Bestandsfestigkeit seiner Dispositionen vertrauen darf. Daneben verjähren eventuelle Ansprüche aus dem ungekündigt fortbestehenden Vertrag nach § 195 BGB. Zur Antragstellung der Feststellungsklage BGH v. 14.2.2000.1010 Nach wohl h. M.1011 darf die Unwirksamkeit einer Kündigung mangels feststellungsfähigem Rechtsverhältnis nicht mittels Feststellungsklage festgestellt werden, sondern nur das Fortbestehen des Vertragsverhältnisses. Der Antrag könne aber umgedeutet werden.1012 Nach Auffassung des LG Osnabrück wiederrum soll ein Gericht die Feststellung, aufgrund der Unzulässigkeit einer Kündigung bestehe der Vertrag bis zu einem bestimmten Datum fort, nicht treffen können. Eine solche Klage sei unbegründet. Eine derartige Feststellung für die Zukunft dürfe nicht getroffen werden, da der Vertrag zuvor aufgrund einer (weiteren) außerordentlichen Kündigung enden könne.1013 Getroffen werden dürfe lediglich die Feststellung, dass eine bestimmte Kündigung unwirksam sei.1014 Richtigerweise muss der Antrag sowohl auf die Feststellung der Vertragsfortsetzung wie die Unwirksamkeit der Kündigung gerichtet sein, ersteres wegen der Konkretisierung des Streitgegenstandes und weil ein Vertragsende aus anderen Gründen als denen der streitgegenständlichen Kündigung immer möglich ist. Für eine Klage auf Feststellung des Nichtvorliegens eines wichtigen Kündigungsgrundes vor Ausspruch der Kündigung fehlt regelm. das Feststellungsinteresse des § 256 ZPO.1015 Eine einstweilige Verfügung gem. §§ 935, 940 ZPO, meist eine Regelungsverfügung auf 86 Vertragsfortsetzung bis zum Abschluss des Hauptverfahrens1016 oder jedenfalls auf Weiterbelieferung1017 bis zur Beendigung des Hauptsacheverfahrens bzw. Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist (was immer eher eintritt), ist grds. zulässig.1018 Probleme mag die Vorwegnahme der Hauptsache1019 und beim HV die – mglw. unzulässige – Verpflichtung zur Dienst-

1006 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 120. 1007 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, BB 2012, 3098 Rn 45 f.; v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 Rn 17; v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147 Rn 12.

1008 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, BB 2012, 3098 Rn 46 zu § 90a. 1009 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 121; den Fall einer solchen Feststellungsklage betraf etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304. 1010 II ZR 285/97, ZIP 2000, 539 = EWiR 2000, 519 (Böcker). 1011 BGH, Urt. v. 1.8.2017 – XI ZR 469/16, NJW-RR 2017, 1260 – keine vertriebsrechtliche Entscheidung; OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080. 1012 BGH, Urt. v. 1.8.2017 – XI ZR 469/16, NJW-RR 2017, 1260 – keine vertriebsrechtliche Entscheidung; OLG München, Urt. v. 23.1.2014 – 23 U 1955/13, VersR 2014, 1080. 1013 LG Osnabrück, Urt. v. 7.10.2011 – 13 U 127/11, BeckRS 2013, 18199. 1014 LG Osnabrück, Urt. v. 7.10.2011 – 13 U 127/11, BeckRS 2013, 18199. 1015 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 121; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 17. 1016 Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17. 1017 OLG Köln, Urt. v. 12.11.2010 – 19 U 126/10, BeckRS 2011, 04158 m. Anm. Norisch GWR 2011, 135; Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17. 1018 OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1339 = EWiR 1999, 1175 (Emde); OLG Köln, Urt. v. 25.5.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284; LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde); Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277); Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 392. 1019 AG Brandenburg, Urt. v. 26.11.2014 – 31 C 263/14, NJW-RR 2015, 742 zur Verpflichtung zu Pflegeleistungen. 159

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pflicht1020 bereiten. Nach Auffassung von Löwisch1021 dürfen nur einzelne konkrete, vom Unternehmer vorzunehmende Handlungen Gegenstand des Rechtsschutzes sein, nicht die „Fortsetzung des Vertrages“ – auch nicht im Hauptsacheverfahren. Das dürfte jedenfalls für das Hauptsacheverfahren zu eng sein. Für einen erfolgreichen Verfügungsantrag muss objektiv ein Verfügungsgrund bestehen.1022 Die schutzwürdigen Interessen beider Parteien sind im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums abzuwägen.1023 In die Abwägung einzubeziehen ist der Verfügungsanspruch, also ob die Kündigung unberechtigt erfolgte. Je stärker das eine Kriterium erfüllt ist, desto schwächer kann das andere sein.1024 Wenn der Unternehmer zur weiteren Erfüllung des Vertrages, gerade bei Insolvenzgefahr des Händlers, bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin oder dem rechtskräftigen Hauptsacheurteil gezwungen wird, soll dies unbillig sein, wenn die Erfolgsaussichten des Antrages nur relativ gering sind.1025 Ein gekündigter Vertragshändler darf mittels eV zumindest dann die Weiterbelieferung mit Vertragsware1026 verlangen, wenn von dieser seine Existenzgrundlage betroffen ist und er glaubhaft macht, dass die vom Hersteller erklärte Kündigung verfristet ist.1027 Andere fordern eine Notlage und ein dringendes Bedürfnis für eine sofortige Erfüllung bzw. erhebliche wirtschaftliche Nachteile, so dass weder die Erhebung einer Hauptsacheklage noch spätere Schadenersatzansprüche zumutbar sind.1028 Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Belange müsse der dem Gekündigten drohende Schaden außer Verhältnis zu dem des Kündigenden stehen1029 bzw. das Interesse des Gekündigten deutlich überwiegen.1030 Andererseits soll es genügen, dass der Händler durch Umsatz- und Ertragszahlen darlegt und mittels eidesstattlicher Versicherung glaubhaft macht, dass der Vollzug der Kündigung angesichts des Wegfalls eines Großteils des Umsatzes und fortlaufender Kosten, u. a. für 10 Mitarbeiter, seine Existenz unmittelbar gefährdet und zur Insolvenz führt, sofern die Vertragsfortführung keine unzumutbare Härte für den Unternehmer bedeutet.1031 Zwar mag dieser ein berechtigtes Interesse daran haben, dass seine Händler möglichst hohe Umsätze erwirtschaften. Dieses Interesse tritt jedoch gegenüber dem des Händlers zurück.1032 Richtigerweise ist auch ohne existentielle Betroffenheit ein Eilverfahren zulässig, jedenfalls sofern die Kündigung eindeutig unbegründet war.1033 Ist sicher, dass der Kündigende einen vom Gekündigten verschuldeten wichtigen Kündigungsgrund beweisen kann und besteht deshalb kein Verfügungsanspruch, darf keine Leistungsverfügung erlassen werden, selbst wenn die wirtschaftliche Notlage des Gekündigten groß ist.1034 Ist das Obsiegen des Unternehmers im Hauptsacheverfahren nur überwiegend wahrscheinlich, muss im Tenor der einstweiligen Verfügung sichergestellt werden, dass dem Unternehmer weitere Lieferungen bezahlt werden: Der Unternehmer braucht

1020 S. AG Brandenburg, Urt. v. 26.11.2014 – 31 C 263/14, NJW-RR 2015, 742 zur Verpflichtung zu Pflegeleistungen. Großzügiger noch LAG Frankfurt/M., Beschl. v. 4.2.1964 – 5 Ta 68/63, NJW 1964, 1339. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 121. Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17. Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17. Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17 (19). Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17 (18). OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1339 = EWiR 1999, 1175 (Emde). OLG Köln, Urt. v. 25.5.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284; LG Darmstadt, Beschl. v. 13.4.2018 – 15 O 14/18 – Kontrahierungsanspruch, Fabrikat Hyundai. 1028 Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17 (18/19). 1029 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.8.2016 – 5 W 22/16, IHR 2017, 95 – Kfz-Vertragshändler. 1030 Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17. 1031 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.8.2016 – 5 W 22/16, IHR 2017, 95 – Kfz-Vertragshändler. 1032 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.8.2016 – 5 W 22/16, IHR 2017, 95 – Kfz-Vertragshändler. 1033 OLG Köln, Urt. v. 12.11.2010 – 19 U 126/10, BeckRS 2011, 04158 m. Anm. Norisch GWR 2011, 135; Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277). 1034 Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17 (19).

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nur gegen Vorkasse zu liefern.1035 Der Vortrag der beweispflichtigen Partei muss hinreichend substantiiert sein. Eine außerordentliche Kündigung kann nicht aufrechterhalten werden, wenn der Prozessvortrag des Kündigenden sowohl zum genauen Zeitpunkt, zu welchem die Auswirkungen der von ihm vorgetragenen Verhaltensweisen des Gekündigten zu einem tiefgreifenden Vertrauensverlust oder erheblichen wirtschaftlichen Einbußen geführt haben sollen, als auch zum genauen Umfang der existenzgefährdenden Einkommensverluste unsubstantiiert ist.1036 Die für den Erfolg des Verfügungsverfahrens erforderliche Eilbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass bei andauernder Nichtbelieferung und Rückhaltung von Boni und Prämien der Händler die Kundenbeziehungen verliert und in eine wirtschaftliche Zwangslage gerät, die zur Insolvenz führt; diese wiederum zum Schufa-Eintrag und zum endgültigen Verlust von Kundenbeziehungen.1037 Ein Verfügungsgrund besteht auch kurz vor Ablauf einer 2jährigen Kündigungsfrist.1038 Insb. entfällt die Dringlichkeit nicht deshalb, weil die Kündigung bereits vor 3 Jahren erklärt wurde. Dies gilt jedenfalls, wenn die Parteien intensiv über eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses verhandelt und den Kündigungszeitraum bereits einmal um ein Jahr nach hinten verschoben haben.1039 Anordnungsgrund wie Anordnungsanspruch müssen entsprechend der Beweislastverteilung im Hauptsacheverfahren glaubhaft gemacht werden.1040 Damit hat der Unternehmer das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nachzuweisen. Gelingt ihm eine Glaubhaftmachung, so obliegt dem Mittler die sekundäre Darlegungs- und Beweislast, um die Glaubhaftmachung zu erschüttern.1041 Ein Händler ist nicht verpflichtet, Einzelanträge auf Belieferung zu stellen.1042 Denn er kann gegenüber seinen Kunden nicht auftreten, wenn er in jedem Einzelfall den Belieferungsanspruch durchsetzen muss. Der Händler kann sich darauf beschränken, einen gem. § 890 ZPO zu vollstreckenden Unterlassungsantrag zu stellen, mit dem Ziel, die Verfügungsbeklagte solle es unterlassen, Maßnahmen zu ergreifen, die einer Weiterbelieferung entgegenstehen1043 bzw. die Nichtbelieferung zu unterlassen.1044 Ein auf Weiterbelieferung und Betreuung gerichteter Leistungsantrag ist unnötig, weil durch das Zwangsgeld bei fehlender Unterlassung der Rechtsschutz hinreichend verwirklicht wird.1045 Da sich der Unterlassungsanspruch seiner Natur nach nicht in einem einmaligen Wohlverhalten des Unterlassungsschuldners erschöpft, sondern Dauerwirkung hat, ist es, anders als bei einem auf eine konkrete Belieferung gerichteten Antrag, ausgeschlossen, die begehrten Produkte im Antrag nach Gegenstand und Zahl so genau zu bestimmen, wie bei einem annahmefähigen Kaufangebot. Die Beschreibung der vom Antrag erfassten Waren als „neue oder neuwertige Fahrzeuge“ ist hinreichend bestimmt.1046 Fordert ein Lieferant von dem Belieferten, es zu unterlassen, die Ware nicht abzunehmen, ist darzulegen, dass der Vertrag faktisch nicht erfüllt, d. h. Waren vertragswidrig nicht abgenommen werden, und dem Lieferanten hierdurch erheblicher Schaden droht. Anderenfalls fehlt es an der besonderen Dringlichkeit, die im Rahmen einer Leistungserbringung wegen der Vorwegnahme der Hauptsache streng zu prüfen ist.1047 Der Richter kann gem. § 938 ZPO im Tenor vom gestellten Antrag 1035 1036 1037 1038

Wauschkuhn ZVertriebsR 2020, 17 (19). OLG Frankfurt/M., Urt. v. 8.10.2014 – 4 U 41/14, ZVertriebsR 2015, 161 (163). Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 390 f. LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde) – zu einer nach Ansicht des Mittlers unzulässigen ordentlichen Kündigung. 1039 LG Darmstadt, Beschl. v. 13.4.2018 – 15 O 14/18 – Kontrahierungsanspruch, Fabrikat Hyundai. 1040 Plassmann NJW 1966, 953 (958); Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 392. 1041 Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 392. 1042 OLG Köln, Urt. v. 25.5.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. 1043 OLG Köln, Urt. v. 25.5.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. 1044 BGH, Urt. v. 6.10.2015 – KZR 87/13, NZKart 2015, 525 Rn 25 – Porsche-Tuning; LG Dortmund, Urt. v. 30.5.2018 – 8 O 10/18 (Kart), ZVertriebsR 2018, 233. 1045 OLG Köln, Urt. v. 25.5.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. 1046 BGH, Urt. v. 6.10.2015 – KZR 87/13, NZKart 2015, 525 Rn 26 – Porsche-Tuning. 1047 LG Dortmund, Urt. v. 30.5.2018 – 8 O 10/18 (Kart), ZVertriebsR 2018, 233. 161

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abweichen, so dass an die Antragsformulierung keine allzu hohen formalen Anforderungen gestellt werden.1048

3. Feststellung der Berechtigung zur Kündigung 87 Nach Ansicht von Flohr/Liesegang1049 darf derjenige, der meint, zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt zu sein, sein Kündigungsrecht mittels Feststellungsklage feststellen lassen. Ich habe Zweifel, ob dies möglich ist: Zum einen hat bereits das RG in JW 1938, 1138 judiziert, dass eine Feststellungsklage über das Bestehen eines Kündigungsrechts i. d. R. mangels Feststellungsinteresses scheitere. Denn der Kläger sei zur sofortigen Ausübung des von ihm in Anspruch genommenen Rechts zur fristlosen Kündigung in der Lage und er könne daher nach erfolgter Kündigung umfassende, die Rechtsbeziehungen der Parteien erschöpfend klarstellende Klaganträge stellen.1050 Auch könnte es sich mangels Ausübung des Kündigungsrechts um eine feststellungsunfähige, bloß hypothetische Rechtsfrage handeln. Schließlich dürfte die Feststellungsklage nach Ablauf der Entschlussfrist zwischen Kenntnis des Kündigungsgrundes und Ausübung des Kündigungsrechts nach deren Ablauf unbegründet sein.1051

XI. Folgen der Vertragsbeendigung 88 Die wirksame außerordentliche Kündigung beendet das Vertragsverhältnis fristlos mit Zugang der Kündigungserklärung bei dem Gekündigten, sofern keine Auslauffrist gewährt wurde.1052 Es entsteht ein Abwicklungsverhältnis mit den zu § 89 Rn 119 ff genannten Folgen, bei Gewährung einer Auslauffrist gelten die Ausführungen zu § 89 Rn 86 entsprechend. Wird dem Gekündigten eine Auslauffrist gewährt, während der das Vertragsverhältnis fortbestehen soll, oder ist eine solche nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder aus der Treupflicht erforderlich (Rn 69), behält der HV während der Übergangszeit alle vertraglichen Ansprüche.1053 Der Unternehmer sollte ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung keine Geschäfte mit dem Gekündigten mehr tätigen, weil er sich sonst der Gefahr des widersprüchlichen Verhaltens aussetzt.1054 Ein allg. Grundsatz, dass im Falle einer fristlosen Kündigung Provisionen, auch nachvertragliche Provisionen nach § 87 Abs. 3,1055 nicht geschuldet werden, ist nicht anzuerkennen.1056 Insoweit kommt es auf die Auslegung der von den Parteien getroffenen Provisionsvereinbarung unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage im Einzelfall an.1057

1048 1049 1050 1051 1052

Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 392. Flohr/Liesegang ZVertriebsR 2018, 351. Hiergegen Flohr/Liesegang ZVertriebsR 2018, 351 (355). I. E. aA Flohr/Liesegang ZVertriebsR 2018, 351 (356). Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 98; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 75; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 18; aA Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14b, 14c (Vertragsende mit Geltendmachen des Kündigungsgrundes). 1053 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 100. 1054 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (276). 1055 BGH, Versäumnisurt. v. 22.1.2015 – VII ZR 87/14, WM 2015, 531 Rn 24; OLG Hamm, Urt. v. 17.8.2015 – 18 U 182/ 14, IHR 2016, 85 (87). 1056 BGH, Versäumnisurt. v. 22.1.2015 – VII ZR 87/14, WM 2015, 531 Rn 24; OLG Hamm, Urt. v. 17.8.2015 – 18 U 182/ 14, IHR 2016, 85 (87). 1057 BGH, Versäumnisurt. v. 22.1.2015 – VII ZR 87/14, WM 2015, 531 Rn 24. Emde

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C. Der Schadensersatzanspruch nach Abs. 2 Wird die Kündigung tatsächlich1058 durch ein Verhalten (Auflösungsverschulden) veranlasst, 89 welches der andere Teil zu vertreten hat – gleichzuachten: falls der Vertrag ohne erkennbaren Willen zum Verzicht auf den Schadenersatzanspruch1059 einverständlich oder im Wege der Kündigung nach § 89 gelöst wird nach einem schuldhaften Verhaltens des einen Teils, welches einen Grund zur fristlosen Kündigung abgegeben hätte1060 –, so ist der Kündigungsempfänger zum Ersatz der durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet. Beispiele: entgehende Vergütung, insb. entgehende Provision,1061 reduzierter Ausgleichsanspruch, Investitionsersatzsschaden (nicht amortisierte Investitionen, Rücknahme von Lagerware.1062 Fehlverhalten, welches nicht zum Kündigungsgrund wurde oder dem Gekündigten nicht als Verschulden gegenüber dem Kündigenden anzulasten ist, begründet keinen Ersatzanspruch aus Abs. 2.1063 Ebenso wird ein nicht auf der vorzeitigen Vertragsaufhebung beruhender Schaden von Abs. 2 nicht erfasst.1064 Abs. 2 entspricht § 628 Abs. 2 BGB1065 und ist wie diese Norm ein Unterfall der PFV (§ 280 BGB). Denn unter „vertragswidrigem“ Verhalten i. S. d. Bestimmung ist „schuldhaftes“ Verhalten zu verstehen.1066 Damit ist zugleich der Maßstab für das Vertretenmüssen gewonnen. Es geht stets um ein solches aus dem vertraglichen Verhältnis zwischen Unternehmer und HV,1067 nicht um ein solches zu Dritten. Wenn z. B. der Unternehmer schuldhaft schlechte Qualität liefert, so kann das dem HV einen Grund zur fristlosen Kündigung geben, und er ist in der günstigen Lage, sich wegen des durch die Schlechtlieferung hervorgerufenen begründeten Anlasses zur Kündigung (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) seinen Ausgleichsanspruch zu erhalten. Einen Schadensersatzanspruch hat er daraus allein noch nicht. Man beachte, dass das Gesetz an dieser Stelle, anders als in § 89b Abs. 3 Nr. 2, nicht von schuldhaftem Verhalten des HV, sondern von einem vom HV „zu vertretenden“1068 Verhalten spricht. Eine Verpflichtung zum Schadensersatz besteht also auch dann, wenn der zur fristlosen Kündigung Veranlassung gebende Grund in einem schuldhaften Verhalten eines Agenturangestellten oder eines Untervertreters zu sehen ist, für den der HV nach § 278 BGB einzustehen hat.1069 Nimmt der HV eine Ausgliederung aus seinem HV-Unternehmen vor und wird deshalb gekündigt, soll kein Schadenersatzanspruch bestehen, weil es an einer Vertragswidrigkeit fehlt.1070 Aber es wird auf die Verhältnisse des Einzelfalls

1058 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 101; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26b. 1059 BGH BB 1964, 283; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 89; aA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 101 – im Zweifel Verzicht; vgl. auch BGH NJW 1982, 2432. Gegen die Ansicht von Löwisch spricht, dass ein Entgegenkommen des Kündigungsberechtigten – Gesichtswahrung des anderen Vertragsteils – nicht zu seinen Lasten gehen sollte. 1060 Offen gelassen von OLG Köln, Urt. v. 30.9.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408). 1061 OLG Köln, Urt. v. 20.9.2013 – 19 U 33/13, IHR 2015, 70 = BeckRS 2014, 11577. 1062 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (147); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Vorb § 89 Rn 40 ff. 1063 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 103. 1064 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 104; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 25. 1065 BGHZ 44, 271; BGH, Urt. v. 1.10.1970 – VII ZR 171/68, WM 1970, 1513; BGHZ 122, 9 (12); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 102; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 88; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 22. 1066 RGZ 112, 37. 1067 OLG Düsseldorf OLGR 1996, 55 (56); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 103; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 23. 1068 OLG Düsseldorf OLGR 1996, 55; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 103; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 88; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 22a. 1069 BGH, Urt. v. 5.2.1959 – II ZR 107/57, JR 1960, 59 (60); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 90; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 23. 1070 Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1334). 163

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ankommen, und das Verschulden des Ausgliedernden wird dem neuen Rechtsträger zugerechnet. Mitverschulden gem. § 254 BGB für das Auflösungsverschulden genügt.1071

I. Umfang des Schadensersatzes 1. Zur Länge des Haftungszeitraums 90 Wegen des Umfangs des Schadensersatzes ist auf § 249 BGB hinzuweisen. Zu ersetzen ist jeder durch die außerordentliche Kündigung mit hervorgerufene Schaden. Der Kündigende ist zumindest so zu stellen, wie er stehen würde, falls der Vertrag nicht außerordentlich und vorzeitig – meist fristlos – beendet, sondern bis zu dem Datum fortgeführt worden wäre, zu dem er nach den vereinbarten, hilfsweise den gesetzlichen, Kündigungsfristen,1072 aufgelöst worden wäre.1073 Im Vertriebsrecht wird nach h. M. wie selbstverständlich der Schadensersatzanspruch 91 durch den erstmöglichen ordentlichen Kündigungstermin des Kündigungsempfängers begrenzt.1074 Begründet wird diese h. M. mit dem Schutzzweck: Wer aufgrund einer Vertragsverletzung des anderen Teils kündigt, ist bis zu dem Zeitpunkt schutzbedürftig, zu welchem er mit dem Ablauf der Kündigungsfrist nach einer fristgerechten Kündigung des Vertragsverletzers rechnen musste. Möglicherweise lässt sich dieses Ergebnis auch mit der Lebenserfahrung rechtfertigen, derzufolge, falls nicht außerordentlich gekündigt worden wäre, die außerordentliche Kündigung in eine ordentliche zum nächstmöglichen Kündigungstermin umgedeutet wird1075 – wobei es dann allerdings entgegen den obigen Urteilen auf die nächste Kündigungsmöglichkeit des Kündigenden und nicht des Kündigungsempfängers ankommen müsste. Allerdings wäre auch jene ordentliche Kündigung durch die Vertragsverletzung hervorgerufen, weshalb sich ein Schadenersatzanspruch aus § 280 BGB ergäbe.1076 Die dieser h. M. widersprechende Mindermeinung, wonach es im Einzelfall darauf ankommen soll, ob es auch ohne das vertragswidrige Verhalten des Gekündigten zur Beendigung des Vertrages gekommen wäre, da nicht in jedem Falle eine wirksame ordentliche Kündigung unterstellt werden dürfe, steht vermutlich nicht in Übereinstimmung mit dem durch Auslegung zu findenden Willen des Kündigenden.1077 Auf der Basis der h. M. gilt: Die der außerordentlichen Kündigung inneliegende ordentli92 che Kündigung wird zum Schutz des Ersatzpflichtigen unterstellt, es ist irrelevant, ob der Vertrag tatsächlich auf solche Weise zu diesem Termin beendet worden wäre.1078 Um jene Vermutung zu entkräften, müsste der Ersatzberechtigte nachweisen, dass die unterstellte ordentliche Kündigung unterblieben oder der Vertrag nach Ablauf der vertraglich bestimmten Frist fortgesetzt worden wäre. Die Geltendmachung weiterer Schäden wird nicht ausgeschlossen, etwa über den Kündigungstermin herausreichende Folgeschäden, die im Fall der (unterstellten) nachfolgenden ordentlichen Kündigung nicht eingetreten wären und daher keine „SowiesoSchäden“ bilden. Bei einem auf 20 Jahre fest geschlossenen Franchisevertrag ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit wird die Ersatzpflicht erst durch das weit in die Zukunft verlagerte

1071 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 103. 1072 BGH NJW-RR 1992, 1059 (1061). 1073 BGHZ 122, 9 (12) = NJW 1993, 1386; BGH WM 1970, 1513 (1514); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 108; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 91; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 25. 1074 BGH, Urt. v. 3.3.1993 – VIII ZR 101/92, NJW 1993, 1386; v. 1.10.1970 – VII ZR 171/68, WM 1970, 1513; OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.9.2003 – 1 U 9/03, NJW-RR 2004, 191 = EWiR 2004, 557 (Emde); Ebenroth/Löwisch 4. Aufl., § 89a Rn 107. 1075 Genzow BB 2008, 2264; aA Emde EWiR 2004, 558. 1076 Emde EWiR 2004, 558. 1077 Genzow BB 2008, 2264. 1078 BGHZ 122, 9 (15). Emde

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Laufzeitende begrenzt.1079 Soll dieser Anspruch vermieden werden, müsste der Gekündigte nachweisen, dass der Vertrag zu einem früheren Zeitpunkt beendet worden wäre.1080 Der Ersatzpflichtige schuldet Schadensersatz wegen Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten folglich mindestens für die Spanne unterstellter Vertragsfortführung, d. h. das positive Erfüllungsinteresse.1081 Bestehen ungleiche Kündigungsfristen für Kündigenden und schuldhaft handelnden Kündigungsempfänger, wird Schadenersatz bis zu dem Zeitpunkt geschuldet, zu dem der Vertragsverletzer – Kündigungsgegner – hätte ordentlich kündigen können.1082 Der Schadenersatzanspruch des Kündigenden ist zeitlich unbegrenzt, sofern der Kündigungsempfänger – etwa vertraglich – auf sein Recht zur ordentlichen Kündigung des unbefristeten HVVertrages verzichtet hat.1083 Führt dieses Verständnis zu unangemessen langen Schadenersatzzeiträumen, kommt keine Beschränkung des Ersatzanspruchs nach § 242 BGB in Betracht,1084 auch nicht aus § 628 Abs. 2 BGB. § 628 Abs. 2 BGB ist nicht auf den HV-Vertrag übertragbar.1085 Das BAG1086 hat die Abfindungsregeln der §§ 9, 10 KSchG entsprechend angewandt. Derartige Regeln fehlen jedoch im HV-Vertrag.1087 Möglicherweise ist aber eine Befristung des Ersatzanspruches des HV auf die entgangenen Provisionen bis zum gesetzlichen Rentenalter anzunehmen,1088 nicht aber im Falle einer anonymen HV-Gesellschaft. Bei einer solchen Gesellschaft ohne zu erwartende Vertragsbeendigung infolge des Alters eines als Schlüsselperson eingesetzten Gesellschafters oder in anderen vergleichbaren Situationen ist zu bestimmen, wie lange der Vertrag realistischerweise fortgeführt worden wäre.1089 Das aus der Schadenersatzpflicht resultierende Risiko ist dem Kündigungsgegner auch nicht abgenommen, weil der HV selbst das Vertragsverhältnis fristlos gekündigt und damit auf Primäransprüche verzichtet hat. § 89a Abs. 2 soll ihn von den etwaigen Vermögensnachteilen freistellen, die mit dieser Entscheidung verbunden sind. Die zu § 89a Abs. 2 aufgestellten Regeln müssen entsprechend für den von § 89a Abs. 2 nicht erfassten Fall der Ersatzpflicht nach unberechtigter Kündigung gelten.1090

2. Zur Höhe der Haftung Wer zum Schadenersatz verpflichtet ist, muss grundsätzlich für alle kausalen Schadensfolgen 93 aufkommen.1091 Dem Kündigenden steht der Gewinn zu, welchen er bei Fortsetzung seiner Tätigkeit erzielt hätte (§ 252 BGB – entgangener Gewinn).1092 Die Schadensersatzpflicht kann je-

1079 1080 1081 1082

Billing WM 2007, 245 (251). BGH, Urt. v. 8.12.1976 – I ZR 59/75, EBE 1977, 103 (104). Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 108. BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 (1841) = ZIP 2008, 2080 = EWiR 2008, 657 (Emde) = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow; OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.9.2003 – 1 U 9/03, NJW-RR 2004, 191 = EWiR 2004, 557 (Emde). 1083 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = EWiR 2008, 657 (Emde) in Fortführung von BGHZ 122, 9 = WM 1993, 1259. 1084 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 (1841) = ZIP 2008, 2080 = EWiR 2008, 657 (Emde) = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow; aA OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.9.2003 – 1 U 9/03, NJW-RR 2004, 191 = EWiR 2004, 557 (Emde). 1085 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = ZIP 2008, 2080 = EWiR 2008, 657 (Emde) = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow. 1086 BAGE 98, 275 (288). 1087 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = EWiR 2008, 657 (Emde). 1088 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = EWiR 2008, 657 (Emde). 1089 Emde EWiR 2008, 658; Genzow BB 2008, 2264. 1090 Emde EWiR 2004, 558. 1091 AA Genzow BB 2008, 2264. 1092 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 (1841) = ZIP 2008, 2080 = EWiR 2008, 657 (Emde) = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304. 165

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doch durch den Schutzzweck der Haftungsnorm begrenzt sein.1093 Aus dem in einem vergleichbaren Zeitraum der Vergangenheit ermittelten Gewinn kann auf den im Referenzzeitraum verlorenen geschlossen werden1094 (§ 252 BGB, § 287 ZPO). Wird die Fünfjahresfrist des Art. 17 Abs. 2 lit. b RL, § 89b Abs. 5 zum Maßstab genommen, ist vermutlich nichts zu beanstanden. Für die Vergleichbarkeit spricht mangels evidenter Gegenanzeigen eine Vermutung; ohnehin ist sie aus einer Statistik der Gewinne der Vergangenheit leicht nachweisbar, für den HV ggf. nach Buchauszug gem. § 87c (Verweigerung durch den Unternehmer würde die Beweislast in jedem Fall bei ihm ansiedeln). Besonderheiten der Branche, etwa Saisonverkäufen, ist zu genügen.1095 Der BGH1096 war in einem speziellen Fall strenger: Der entgangene Gewinn dürfe nicht ohne weiteres von den im letzten Vertragsjahr erzielten Einkünfte bis zum voraussichtlichen altersbedingten Ausscheiden festgeschrieben werden. Vielmehr bedürfe es detaillierter Feststellungen, wie sich die Einnahmen und die Kosten der Tätigkeit bei einer Fortdauer des Vertrags auf längere Sicht entwickelt hätten. Möglicherweise hat den BGH motiviert, dass der Ersatzanspruch sich in dem zugrundeliegenden Fall über viele Jahre erstreckte. Die Entscheidung ist daher nicht auf kürzere Entschädigungszeiträume zu übertragen. Hier bleibt es bei der Vermutung, der Gewinn/die Provisionen eines repräsentativen Zeitraums der Vergangenheit (oft der letzten 3– 5 Jahre) entsprächen dem Verlust während des Schadenszeitraums.1097 In Fällen starken Verdienstanstiegs oder Verdienstreduzierung ist zu bestimmen, ob sich diese Entwicklung fortgesetzt hätte. So soll die Berechnung eines Kündigungsschadens durch Vergleich des Zeitraums vor und nach einer Kündigung unsubstantiiert sein, falls der HV im Zeitraum danach nicht mehr für den Unternehmer tätig war und nicht ersichtlich ist, inwieweit die Differenz der Einkünfte im Vergleich zum garantierten Einkommen zuvor auf diesen Umstand beruht.1098 Im Zweifel bleibt es beim Durchschnittswert der vergangenen Jahre. Die ggf. vom HV dem Unternehmer geschuldete Entschädigung richtet sich etwa auf Ersatz des Unternehmergewinns, beispielsweise wegen der Nichtbetreuung des dem Gekündigten übergebenen Gebiets, sowie ggf. sonstiger entgangener Vorteile aus dem gekündigten Vertrag.1099 Ebenso erfasst wird der Verfrühungsschaden bei der Nachfolgersuche. Ein Schaden des Unternehmers kann auch darin liegen, dass der HV wegen der fristlosen Kündigung nicht mehr dem Wettbewerbsverbot des § 86 unterliegt.1100 Dann kann der HV entschädigungslose Wettbewerbsunterlassung für die Zeit der ordentlichen Kündigungsfrist schulden.1101 Die vom Unternehmer dem HV zu leistende Entschädigung umfasst die dem HV entgangene volle Vergütung sowie weitere verlorene Vorteile, jeweils abzüglich ersparter Aufwendungen (Beweislast für die Ersparnis beim Ersatzpflichtigen1102). Der HV kann den Schadensersatz auch in Gestalt der ihm entgehenden höheren Ausgleichschancen fordern, die ihm erwachsen wären, wenn er bei Fortdauer des Vertragsverhältnisses höhere, ausgleichsrelevante Provisionen hätte verdienen können1103 oder die Höchstgrenze auf der Basis

1093 BGH, Urt. v. 3.3.1993, BGHZ 122, 9 (14). 1094 OLG Köln, Urt. v. 20.9.2013 – 19 U 33/13, IHR 2015, 70 = BeckRS 2014, 11577; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; v. 8.6.1972 – 8 U 99/70, HVR Nr. 468; KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, n. v.; Flohr/Wauschkuhn/Flohr Vertriebsrecht2 § 89a Rn 65; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 108; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26; s. a. BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. 1095 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 108. 1096 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = ZIP 2008, 2080 = EWiR 2008, 657 (Emde) = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow. 1097 Emde EWiR 2008, 657 (658). 1098 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 4.9.2014 – 19 U 64/14, IHR 2015, 114 (116). 1099 LAG Baden-Württemberg BB 1955, 177. 1100 Hopt § 89a Rn 34. Vorrangig ist allerdings der Erfüllungsanspruch auf Unterlassung des Wettbewerbs. 1101 Hopt § 89a Rn 34. 1102 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 113. 1103 BGH, Urt. v. 12.1.1970 – VII ZR 191/67, BGHZ 53, 150 = NJW 1970, 467; DB 1966, 1965; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26. Emde

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eines für den HV günstigeren Zeitraums bestimmt worden wäre. Dem HV können ferner durch das vorzeitige Vertragsende verlorene Überhangprovisionen zu ersetzen sein,1104 selbst wenn sie für die Zeit nach Vertragsende abbedungen waren.1105 Auch mag ein Investitionsschaden für nicht amortisierte Investitionen entstanden sein, und zwar auf beiden Seiten.1106 Nimmt ein HV unmittelbar im Anschluss an die vom Unternehmer erklärte berechtigte und außerordentliche Kündigung eine Tätigkeit für einen Konkurrenten auf, so stehen dem Unternehmer hierfür nur dann Schadenersatzansprüche zu, wenn im HV-Vertrag ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart war.1107 § 61 soll auf den HV nicht entsprechend anwendbar sein.1108 Im Wege der Vorteilsausgleichung ist auf den Schadenersatz anzurechnen, was der Kündigende infolge kündigungsbedingt vorzeitig freiwerdender Kapazitäten1109 anderweitig erworben oder zu erwerben in vorwerfbarer Weise unterlassen hat.1110 Auch wenn der HV schon vertragsbegleitend für andere Unternehmer tätig war, kommt es zu keiner Anrechnung der hierdurch generierten Provision.1111 Mögliche Vor- und Nachteile müssen sich die Vertragspartner gem. §§ 242, 259, 260 BGB mitteilen (Auskunftspflicht).1112 Der Schadenersatz darf wegen Nichterteilung der Auskunft nicht zurückgehalten werden.1113

3. Zur Darlegungs- und Beweislast in Schadensfällen Hierzu hat der BGH1114 in vergleichbaren Fällen wie folgt ausgeführt: Gem. § 252 S. 2 BGB 94 gelte der Gewinn als entgangen, welcher nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge als entgangen vermutet werden könne. Volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, sei nicht erforderlich. Es genüge der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Dem Ersatzpflichtigen obliege der Beweis, dass er nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht erzielt worden wäre. Dabei dürften keine zu strengen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten gestellt werden. Stehe eine Schadenersatzforderung dem Grunde nach fest und sei lediglich ihre Höhe nicht sicher zu ermitteln, dürfe das Gericht die Klage nicht einfach abweisen, sondern müsse prüfen, in welchem Umfang der Sachverhalt eine Grundlage für die Schätzung eines Mindestschadens biete. Bei langjährigem Schadenszeitraum sollen konkrete Untersuchungen zur hypothetischen Entwicklung der Einkommenssituation erforderlich sein.1115 Zur Höhe des nach § 89a entstandenen Schadens kann dem Berechtigten ein Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zustehen (s. a. Kommentierung zu § 87c). 1116

Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 108. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 108; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26. AA Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 108: nur auf Seiten des HV. OLG Köln, Urt. v. 9.8.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642. Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 108; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 37. BGH, Urt. v. 1.3.1984 – I ZR 13/82, WM 1984, 1005; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 112; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 91. 1110 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 112; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26. 1111 OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.6.1972 – 8 U 99/70, HVR Nr. 468. 1112 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.1.2013 – I-16 U 89/11, BeckRS 2013, 14364; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 115; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 37; Hopt § 89a Rn 34. 1113 BGH, Urt. v. 3.2.1978 – I ZR 116/76, MDR 1978, 467. 1114 BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010; v. 24.6.2009 – VIII ZR 332/07, WM 2009, 1811 (zu § 280 BGB). 1115 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = ZIP 2008, 2080 = EWiR 2008, 657 (Emde) = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow. 1116 LG Krefeld, Urt. v. 15.6.2011 – 11 O 155/09, BeckRS 2013, 14373.

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II. Mitverschulden (§ 254 BGB) 95 Bei Mitverschulden ist der Ersatzanspruch des Kündigenden zu mindern,1117 allgemein bei beiderseitigem Verschulden, falls der Gekündigte den wichtigen Grund mit hervorgerufen hat oder in Ansehung der Obliegenheit zur Abwendung oder Minderung des Schadens (Abs. 2). Die Kündigungserklärung ist dem Kündigenden nicht als Mitverschulden anzulasten,1118 ggf. aber vorangegangenes Verhalten oder zumindest analog § 254 BGB (§ 242 BGB) Umstände aus seiner Sphäre, welche die zur fristlosen Kündigung führende Vertragsverletzung des Gekündigten mitverursacht haben.1119 Dabei ist zu bewerten, von wem eine Vertragsverletzung oder ein Schaden überwiegend verursacht worden ist.1120 Jede Partei, auch den Kündigenden, trifft nach § 254 Abs. 2 BGB die Obliegenheit zu anderweitigem, nicht überobligationsmäßigen, schadensmindernden Einsatz seiner in Folge der Kündigung vorzeitig frei gewordenen Kapazität im Rahmen des jeweils Möglichen und Zumutbaren.1121

III. Beiden Parteien zustehendes Kündigungsrecht 96 Steht beiden Vertragsparteien ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde zu und übt die eine Partei es aus, so kann die andere das hierdurch aufgelöste Vertragsverhältnis vorsorglich auch ihrerseits kündigen (die Kündigung bleibt wirkungslos, wenn bereits die Kündigung des Vertragspartners aus wichtigem Grund erfolgte und den Vertrag daher beendete); sie kann sich statt dessen auch ohne Kündigungserklärung auf den ihr zur Seite stehenden Grund berufen, um einen Ersatzanspruch nach Abs. 2 geltend zu machen.1122 Der Schadenersatzanspruch des einen Teiles ist nämlich ausgeschlossen, sofern auch der andere Teil hätte fristlos kündigen können, ohne dass es darauf ankommt, ob der andere Vertragsteil von seiner Kündigungsbefugnis Gebrauch gemacht hat. Denn es würde Treu und Glauben widersprechen, den Empfänger der Kündigung schlechter zu stellen, nur weil er sein Kündigungsrecht ungenutzt ließ.1123 Diese Ausdehnung ist durch die Natur der Sache geboten, da es sonst auf einen Wettlauf der Kündigungen und auf den Zufall ankäme, wer zuerst gekündigt hat. Sind die beiderseits gegebenen Kündigungsgründe je von dem anderen Teil in gleichem Verhältnis zu vertreten, so steht nach den Rechtsgedanken der §§ 242,1124 254 BGB keinem ein Schadensersatzanspruch zu, gleich wer die Kündigung als erster ausgesprochen hat.1125 Endlich wird derjenige dem anderen schadensersatzpflichtig sein müssen, der aus wichtigem Grunde kündigt, diesen Grund aber selbst schuldhaft herbeigeführt hat – sofern in dieser Konstellation überhaupt ein Kündigungsrecht bestehen sollte (§§ 162, 242 BGB). Das Problem liegt insoweit parallel demjenigen bei § 1299 BGB. 1117 Schmidt-Rimpler § 83 S. 292; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 92; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 24.

1118 BGHZ 44, 270 (277); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 104; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 92. 1119 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 104; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39. 1120 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 104; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 24. 1121 BGH WM 1970, 1513 (1514); WM 1984, 1005 (1006); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 112; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 92. 1122 Schmidt-Rimpler § 83 S. 290. 1123 BGH, Urt. v. 1.12.1993 – VIII ZR 129/92; v. 29.11.1965 – VII ZR 202/63, BGHZ 44, 271 (277) = LM Nr. 7 mit Anm. Rietschel; OLG Köln, Urt. v. 12.4.2013 – 19 U 101/12, BeckRS 2013, 16685; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 93. 1124 BGHZ 122, 9 (15); BGH, Urt. v. 11.2.1981 – VIII ZR 312/79, NJW 1981, 1264 = MDR 1981, 839; v. 29.11.1965 – VII ZR 202/63, BGHZ 44, 271 (277) = NJW 1966, 347; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 105; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 93; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 22a. 1125 BGH, Urt. v. 25.5.1988 – VIII ZR 360/86, BGHR BGB § 242 – Kündigung – wichtiger Grund 6; v. 29.11.1965 – VII ZR 202/63, BGHZ 44, 271. Emde

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IV. Positive Forderungsverletzung (§ 280 BGB) Mit dem Anspruch nach Abs. 2 kann ein Schadenersatzanspruch nach § 280 BGB konkurrieren. 97 Dies ist etwa der Fall, falls ein nicht zur Kündigung führendes nachvertragliches Verschulden des Gekündigten vorliegt. Der unbegründete Widerspruch des HV gegen die durch den Unternehmer erklärte berechtigte Kündigung bildet jedoch keine positive Vertragsverletzung i. S. d. § 280 BGB.1126 Ein vom Kündigenden zu vertretender Kündigungsgrund kann selbst dem berechtigt Ge- 98 kündigten nach § 280 BGB einen § 89a Abs. 2 vergleichbaren Anspruch auf Ersatz eines Aufhebungsschadens geben,1127 sofern der Kündigende durch sein Verhalten schuldhaft Vertragspflichten verletzt hat. Dieser Fall wird nicht von § 89a Abs. 2 erfasst. Denn dort ist nur das vom Gekündigten zu vertretende Fehlverhalten anspruchsbegründend. Ein Beispiel bildet die schuldhafte Zerstörung der Produktionsmittel durch den Unternehmer, welche zur Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung führt.1128 Es genügt die Verletzung der Pflicht, den Bestand des Vertrags nicht ohne rechtfertigenden Grund zu gefährden.1129

D. Schadenersatzanspruch des unberechtigt außerordentlich Gekündigten nach § 280 BGB Der Schadenersatzanspruch des unberechtigt außerordentlich Gekündigten wird nicht durch 99 Abs. 2 geregelt; er ergibt sich aus § 280 BGB.1130 Die unberechtigte Kündigung ist eine Pflichtverletzung, welche gem. § 280 BGB zum Schadenersatz verpflichtet. Der wegen einer unberechtigten Kündigung zu zahlende Schadenersatzanspruch erfasst – ebenso wie der Anspruch aus § 89a Abs. 2 – alle kausal herbeigeführten, dem anderen Teil entstehenden Schäden, z. B. den dem Gekündigten entgangenen Gewinn.1131 Ersparte Aufwendungen und sonstige Vorteile sind anzurechnen.1132 Ein typisches Beispiel eines ersatzfähigen Schadens bildet (gerade bei HV- und Kommissionsagentenverträgen1133) die Provision, die er bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist verdient hätte, auch für Jahresaufträge, welche die Kundschaft bei Kenntnis vom Ausscheiden des HV vorweg erteilt hätte sowie der Schaden aus nicht mehr möglicher Amortisation von Investitionen und den durch die vorzeitige Beendigung entgangenen höheren Ausgleich nach § 89b.1134 Beim Vertragshändler und FN entsteht der Schaden vor allem durch den entgangenen Gewinn aus dem Weiterverkauf der Vertragsprodukte.1135 Kündigt etwa ein Hersteller einem Kfz-Vertragshändler, dem ein Alleinvertriebsrecht eingeräumt wurde, unberechtigt und setzt neue Händler ein, so kann dem Händler ein Schadenersatzanspruch nach § 280 BGB i. V. m. §§ 249, 252 BGB zustehen, falls der Hersteller durch den Einsatz weiterer Händler das Alleinvertriebsrecht des Händlers verletzt.1136 Ferner

1126 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 65/02, MDR 2003, 376. 1127 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 114; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 88. 1128 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 114. 1129 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 114. 1130 OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692; Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277); Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 112. 1131 LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 52. 1132 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277). 1133 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277). 1134 LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 52; Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277). 1135 Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277). 1136 BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686. 169

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besitzt der Händler einen Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB, aufgrund dessen er vom Hersteller Informationen fordern darf, welche Geschäfte der Hersteller oder (soweit bekannt) seine Händler im Vertragsgebiet nach der Kündigung getätigt haben. Auskunft und Schadenersatz können im Wege der Stufenklage geltend gemacht werden. Einen gewichtigen Anhalt für den Umfang der dem Händler entgangenen Geschäfte stellen die Geschäfte dar, welche in der fraglichen Zeit im geschützten Vertragsgebiet durch den Hersteller oder von ihm eingesetzte Händler gezeichnet wurden.1137 Dies schließt es nicht aus, bei der Schadensberechnung einen besonderen Einsatz anderer Händler oder deren spezielle Betriebssituation zu berücksichtigen.1138 Nach einer unberechtigten fristlosen Kündigung des HV kann der Unternehmer den entgangenen Gewinn in der Weise abstrakt berechnen, dass er aus den im Einzelnen aufgeführten Umsätzen in den der Kündigung vorausgehenden 18 Monaten jeweils den monatlichen Durchschnittssatz ermittelt, hieraus den Umsatzausfall für den Zeitraum von der fristlosen Kündigung bis zum Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung errechnet und davon die vertraglich geschuldete Provision und den Warenabsatz abzieht.1139 Dem Unternehmer ist eine gewisse Übergangszeit einzuräumen, in der er sich nach geeigneten Nachfolgern umsehen darf.1140 Auch der Schadenersatzanspruch eines ungerechtfertigt gekündigten Tankstellenvertreters darf auf der Basis des Gewinns der letzten 18 Monate vor Vertragsbeendigung geschätzt werden.1141 Dem ist zuzustimmen. Ggf. ist Ersatz zu leisten in Höhe der Differenz zwischen dem früheren und dem gegenwärtigen Einkommen.1142 Unerwartete Gewinne, wie etwa Pachtgutschriften, sind dabei außer Betracht zu lassen.1143 Ein zu Unrecht fristlos gekündigter Bezirksvertreter, der daraufhin seine Tätigkeit für den Unternehmer berechtigt einstellt, erhält bis zur rechtswirksamen Vertragsbeendigung Provision auf alle Geschäfte im Bezirk, ohne Abzüge nach § 615 S. 2 BGB und ohne Vorteilsausgleichung, nicht nur den Anspruch aus § 615 BGB oder einen Schadenersatzanspruch.1144 Zeitlich begrenzt wird der Schadenersatz auch hier durch den nächst möglichen ordentlichen Kündigungstermin des Kündigungsgegners. Die unter Rn 61 wiedergegebenen Grundsätze dürften entsprechend gelten. Auch hier ist Mitverschulden des Gekündigten nach § 254 BGB zu berücksichtigen.1145 Es führt gem. § 254 BGB nicht zur Anspruchsreduzierung, wenn es durch „Abmahnungen“ verbraucht war und ansonsten für die außerordentliche Kündigung kein Grund vorlag.1146 Die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Zeiträume ist möglich.1147

1137 Der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden bestimmt sich nach den Beweiserleichterungen des § 287 ZPO: Es genügt eine auf gesicherter Grundlage bestehende Wahrscheinlichkeit. Der Kläger hat Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, welche für eine Beurteilung nach § 287 ZPO ausreichende greifbare Anhaltspunkte bieten; so BGH, Urt. v. 3.12.1999 – IX ZR 332/98, VersR 2001, 246; s. a. Freitag/Leible RIW 2001, 287. 1138 BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686. 1139 BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010; aA wohl BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = EWiR 2008, 657 (Emde) = ZIP 2008, 2080 = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow (dort mglw. wegen der Langfristigkeit der Zeitspanne, für die Ersatz zu leisten war). 1140 BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. 1141 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05. 1142 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = ZIP 2008, 2080 = EWiR 2008, 657 (Emde) = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow. 1143 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05. 1144 BGH BB 1959, 718; Urt. v. 27.2.1976 (mitgeteilt bei v. Gamm NJW 1979, 2492); OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; Hopt § 89a Rn 38. 1145 LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 54. 1146 LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 54. 1147 BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 151/05, WM 2008, 1840 = ZIP 2008, 2080 = EWiR 2008, 657 (Emde) = BB 2008, 2262 m. Anm. Genzow. Emde

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E. Gerichtliche Geltendmachung des Schadenersatzanspruches Der Schadenersatzanspruch darf eingeklagt werden. Ein Kfz-Händler, der gegenüber dem Her- 100 steller einen Kündigungsschaden geltend macht, genügt seiner Darlegungslast, wenn er den Rohertrag je Fahrzeugverkauf angibt und davon die nach seiner Ansicht ersparten Betriebskosten (hier: EUR 80 je Einheit) absetzt.1148 Die vom Hersteller behaupteten durchschnittlich ersparten1149 Aufwendungen anderer Kfz-Händler darf der Händler mit Nichtwissen bestreiten. Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache ist eine vorläufige Sicherung nur im Wege des Arrestes möglich. Das Feststellungsinteresse, für die Feststellung eines HV, festzustellen ist, dass der Unternehmer verpflichtet ist, den dem HV aufgrund einer fristlosen Kündigung entstehenden Schaden zu ersetzen, besteht zumindest, wenn der Unternehmer im Hinblick auf die Vertragsbeendigung eine AVAD-Meldung veranlasst hat, die ihrem Inhalt nach geeignet ist, den Kläger in seinem beruflichen Fortkommen erheblich zu behindern. Das gilt auch, wenn der HV trotz der AVAD-Meldung wieder für eine andere Versicherung tätig ist.1150

F. Streitwert Der Streitwert einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung bemisst 101 sich gem. § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO nach den entgehenden Gewinnen des Vertriebsmittlers, etwa dem Provisionsausfall bis zum nächstmöglichen ordentlichen Kündigungstermin zuzüglich eines etwaigen Ausgleichsanspruchs gem. § 89b, jeweils gekürzt um einen Abschlag von mindestens 20 %. Eventuelle Schadenersatzansprüche in Zusammenhang mit der unberechtigten Kündigung erhöhen den Streitwert ohne entsprechenden Feststellungsantrag nicht.1151 Das OLG Stuttgart verzichtete auf den Abzug von 20 %: Für die Bestimmung des Gebührenstreitwerts einer Feststellungsklage zur Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des FG sei das nach objektiven Kriterien zu untersuchende wirtschaftliche Interesse des FN an der Fortführung des Franchisevertrages, also der drohende Gewinnentgang, maßgeblich.1152 § 9 ZPO soll unanwendbar sein, und zwar sowohl bei HV-1153 wie Franchiseverträgen.1154

G. Beweislast I. Kündigung Der Kündigende muss folgendes beweisen: alle TB-Voraussetzungen der außerordentlichen Kün- 102 digung.1155 Dies gilt in jeder Prozesssituation, also auch im Falle der Feststellungsklage des Gekündigten auf Fortbestehen des Vertrages oder falls der Gekündigte die außerordentliche Kündigung als Voraussetzung eines von ihm eingeklagten bzw. zur Aufrechnung gestellten Anspruchs 1148 BGH, Urt. v. 22.3.2006 – VIII ZR 173/04, WM 2006, 1403 = NJW-RR 2006, 1328 = VersR 2006, 1640. 1149 Es ist eine berechtigte Frage, ob solche ersparten Aufwendungen nach der Situation des Einzelfalles abzusetzen sind: Denn aus den Rabatten sollen die Kosten bezahlt werden. LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 42. OLG Köln, Urt. v. 20.7.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241. OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.10.2006 – 5 W 65/06, NJOZ 2007, 934 = JurBüro 2007, 144. Schneider BB 1976, 1300; Baumbach/Hartmann ZPO, § 9 Rn 6. OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.10.2006 – 5 W 65/06, NJOZ 2007, 934 = JurBüro 2007, 144; Baumbach/Hartmann ZPO, § 9 Rn 6. 1155 BGH NJW-RR 1999, 539 (540); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2009 – 5 U 52/09, BeckRS 2010, 01765; OLG München, Urt. v. 18.7.2007 – 7 U 2055/06, BeckRS 2007, 01692; LG München I, Urt. v. 20.10.2014 – 10 HKO 7132/14; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27.

1150 1151 1152 1153 1154

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geltend macht.1156 Der Gekündigte braucht nur die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung oder das Fehlen einer Kündigungserklärung zu behaupten, ohne dies zu begründen.1157 Der Kündigende muss insb. Abgabe und Zugang der rechtswirksamen Kündigungserklärung,1158 die Existenz des wichtigen, nicht verbrauchten oder verfristeten Grundes,1159 den Nachweis der Kenntnis des Kündigungsgrundes in unverfristeter Zeit,1160 die objektive und subjektive Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung bis zum frühestmöglichen ordentlichen Vertragsende,1161 eventuell vertraglich vereinbarte Erleichterungen des Kündigungsrechts und ihre Wirksamkeit sowie die Zulässigkeit einer Kündigung ohne Abmahnung beweisen.1162 Die konkrete Möglichkeit einer zur Verfristung führenden Kenntniserlangung ist allerdings von dem Gekündigten substantiiert aufzuzeigen und von dem Kündigenden zu widerlegen.1163 Nach Ansicht von Martinek1164 ist eine außerordentliche Kündigung nur wirksam, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen aus Sicht eines objektiven und verständigen Dritten „Gewissheit“ darüber herrscht, dass die Vertragsfortführung im Zeitpunkt der Kündigungserklärung unzumutbar ist. Jeder Zweifel und jede Unsicherheit sollen zu Lasten des kündigenden Teils gehen.1165 Ein Auskunftsanspruch des Kündigenden über mögliche Kündigungsgründe gegen den Gekündigten besteht nicht.1166 Der Beweis für einen Verzicht oder eine Verwirkung des Rechts obliegt demjenigen, dem er 103 günstig ist.1167 Schwierigkeiten, die sich ergeben könnten, soweit es um Umstände geht, die das Verhalten rechtfertigen sollen, sind zu beheben, dass solche Rechtfertigungsgründe zunächst der Gekündigte, der sich auf sie beruft, darzulegen hat; es bleibt sodann Sache des Kündigenden, sie zu widerlegen.1168 Kenntnis Und das Einverständnis des Kündigenden mit dem die Kündigung hervorrufenden Umstand oder Verhalten hat das Gekündigte ebenfalls darzulegen, beweisen muss sie der Kündigende.1169

II. Schadensersatz 104 Beweislast bei dem Kündigenden: Auch im Schadensersatzprozess nach Abs. 2 muss der Kündigende alle o. g. TB-Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung beweisen. Das gilt auch im Fall der Klage des Gekündigten gegen den Kündigenden, etwa mit der Behauptung, dass die erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist.1170

1156 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140. 1157 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140. 1158 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 17. Zur Abwägung hinsichtlich des Übertragungsweges und zur Vereitelung des Zugangs s. Nebeling/Karcher BB 2017, 437 – Arbeitsrecht.

1159 BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (562) (zu § 626 BGB), OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304; OLG München NJW-RR 1995, 1186; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 17. 1160 BGH, Urt. v. 5.4.1990 – IX ZR 16/89; BGHR BGB § 626 Abs. 2 – Kündigungsfrist 1; v. 2.6.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 (999); LAG Berlin GmbHR 1997, 839 (842); Becker-Schaffner DB 1987, 2153; Ebenroth/Löwisch2 § 89a Rn 81; MünchKommBGB/Schwerdtner § 626 Rn 242; diff. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 6. 1161 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140. 1162 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140. 1163 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140. 1164 ZVertriebsR 2015, 207 (213) – Franchisevertrag. 1165 Martinek ZVertriebsR 2015, 207 (213) – Franchisevertrag. 1166 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140. 1167 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. 1168 BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (562) zu § 626 BGB; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140. 1169 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 140. 1170 BGH, Urt. v. 13.11.1997 – III ZR 165/96, MDR 1998, 237; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 143. Emde

172

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89a

Beweislast beim Ersatzberechtigten: Schadenseintritt und Schadenshöhe oder Annahme- 105 verzug im Rahmen des § 615 S. 2 BGB1171 muss der Anspruchsteller beweisen. Die Beweiserleichterung des §§ 252 BGB, 287 ZPO kommt ihm zugute,1172 ebenso die Vermutung, der Schaden valutiere regelmäßig in Höhe des Durchschnittsgewinns eines repräsentativen Zeitraums der Vergangenheit1173 (Rn 62). Einen höheren Gewinn als in diesem Referenzzeitraum muss der Ersatzberechtigte beweisen.1174 Hinsichtlich des entgangenen Gewinns braucht der Geschädigte deshalb nur die Umstände darzulegen und zu beweisen, die einen Schaden nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insb. nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, wahrscheinlich machen (§ 252 S. 2 BGB, 287 Abs. 1 ZPO).1175 Gem. § 252 S. 2 BGB gilt der Gewinn als entgangen, der nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge als verloren vermutet werden kann. Volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, ist nicht erforderlich.1176 Es genügt der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Dabei dürfen keine zu strengen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten gestellt werden.1177 Steht eine Ersatzforderung dem Grunde nach fest und ist lediglich ihre Höhe nicht sicher zu ermitteln, darf das Gericht die Klage nicht einfach abweisen, sondern muss prüfen, in welchem Umfang der Sachverhalt eine Grundlage für die Schätzung eines Mindestschadens bietet.1178 Für den Umfang eines „Ausgleichsschadens“, weil dem Gekündigten infolge der Kündigung ein höherer Ausgleich gem. § 89b entgangen ist, bleibt der Gekündigte beweisbelastet.1179 Beweislast beim Ersatzverpflichteten: Der Beweis fehlender Typik eines der Schadener- 106 satzberechnung zugrundegelegten Zeitraums der Vergangenheit obliegt dem Ersatzverpflichteten. Gleiches gilt für Mitverschulden oder Vorteilsausgleichung,1180 etwa mittels anderweitiger Nutzung vorhandener Kapazitäten.1181 Es kann nicht vermutet werden, dass der HV zuvor für den Unternehmer geworbene Produkte nun für einen anderen Unternehmer veräußert und deshalb ein Schaden fehlt.1182 Dem Ersatzpflichtigen obliegt ferner der Beweis, dass ein von § 252 BGB vermuteter Gewinn nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht erzielt worden wäre.1183 Diese Allokation der Beweislast gilt auch im Rahmen des § 615 S. 2 BGB.1184

1171 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 143. 1172 BGHZ 53, 150 (152); BGH, Urt. v. 6.2.1986 – I ZR 92/84, WM 1986, 622 (623); v. 5.10.1989 – I ZR 160/88, NJWRR 1990, 171 (172) = EWiR 1990, 167 (v. Hoyningen-Huene); BGH MDR 1998, 237; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 143. 1173 BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686; WM 1982, 635 (636); WM 1986, 622 (623); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 143; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 95. 1174 BGH NJW-RR 1991, 156 (157). 1175 Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 10. 1176 BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. 1177 BGH, Urt. v. 5.10.1989 – I ZR 160/88, WM 1990, 281; v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 10. 1178 BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010; tendenziell bereits DB 2000, 967 (zum Ausgleichsanspruch). 1179 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 143; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20. 1180 Ebenroth/Löwisch4 § 89a Rn 143; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 95. 1181 BGH WM 1986, 622 (623). 1182 OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.6.1972 – 8 U 99/70, HVR Nr. 468. 1183 BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. 1184 Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19a. 173

Emde

§ 89b [1] [Ausgleichsanspruch] (1)

(2)

(3)

(4) (5)

1

Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit 1. der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und 2. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. 2 Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, daß dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht. Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung; bei kürzerer Dauer des Vertragsverhältnisses ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend. Der Anspruch besteht nicht, wenn 1. der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis gekündigt hat, es sei denn, daß ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlaß gegeben hat oder dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann, oder 2. der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag oder 3. auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter ein Dritter anstelle des Handelsvertreters in das Vertragsverhältnis eintritt; die Vereinbarung kann nicht vor Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen werden. 1 Der Anspruch kann im voraus nicht ausgeschlossen werden. 2Er ist innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen. 1 Die Absätze 1, 3 und 4 gelten für Versicherungsvertreter mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, die Vermittlung neuer Versicherungsverträge durch den Versicherungsvertreter tritt und der Vermittlung eines Versicherungsvertrages es gleichsteht, wenn der Versicherungsvertreter einen bestehenden Versicherungsvertrag so wesentlich erweitert hat, daß dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages entspricht. 2Der Ausgleich des Versicherungsvertreters beträgt abweichend von Absatz 2 höchstens drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen. 3Die Vorschriften der Sätze 1 und 2 gelten sinngemäß für Bausparkassenvertreter.

Schrifttum Ahle Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Rücknahme einer zeitweilig übertragenen Zusatzvertretung, DB 1962, 1069; ders. Vorwegerfüllung des Ausgleichsanspruchs der Handelsvertreter, DB 1962, 1329; ders. Probleme beim Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB bei Handelsvertretungen durch juristische Personen oder Personengesamtheiten, DB 1963, 227; ders. Der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB bei Vertretungen von Anlagegütern, DB 1963, 1704; ders. Provision und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Einsatz eines Nachfolgers, DB 1964, 611; Arndt Alters- oder krankheitsbedingte Kündigung bei Handelsvertreter-Gesellschaften: Erhaltung des Ausgleichsanspruchs durch Formwechsel? DB 1999, 1789; Ball Rechtsnatur und Funktion des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB unter besonderer Be-

[1] § 89b eingef. durch G v. 6.8.1953 (BGBl. I S. 771); Abs. 3, Abs. 4 S. 2 und Abs. 5 neu gef. durch G v. 23.10.1989 (BGBl. I S. 1910); Abs. 1 S. 1 Nr. 1 geänd., Nr. 2 aufgeh., bish. Nr. 3 wird Nr. 2 und geänd. mWv 5.8 2009 durch G v. 31.7.2009 (BGBl. I S. 2512). Emde https://doi.org/10.1515/9783110744385-003

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

rücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in Saenger/Schulze Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, S. 17; Bamberger Zur Frage des Ausgleichsanspruchs, insbesondere der Provisionsverluste des Handelsvertreters bei einer Vertriebsumstellung des Unternehmers, NJW 1984, 2670; Bechtold Ausgleichsansprüche für Eigenhändler dargestellt am Beispiel des Automobilvertriebs, NJW 1983, 1393; ders. Rechtstatsachen zum Ausgleichsanspruch des Automobilhändlers, BB 1984, 1262; Bodewig Der Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers nach Beendigung des Vertragsverhältnisses, BB 1997, 637; v. Brunn Ausgleichsansprüche bei Eigenhändlerverträgen, DB 1961, 429; Brych Ausgleichsanspruch bei jedweder Art von Eigenkündigung, BB 1992, 8; Creutzig Automobilvertrieb heute und morgen, DAR 1999, 16; Eberstein Bemerkungen zu den Urteilen des Bundesgerichtshofes zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1957, 663; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1957, 1059; ders. Zehn Jahre Rechtsprechung zum neuen Handelsvertreterrecht, BB 1964, 271; ders. Vorauserfüllung oder Überwälzung des Handelsvertreter-Ausgleichsanspruchs durch vertragliche Regelung, BB 1971, 200; Eckert Die analoge Anwendung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB auf Vertragshändler und Franchisenehmer, WM 1991, 1237; Ekkenga Ausgleichsanspruch analog § 89b HGB und Ertragswertmethode, AG 1992, 345; Emde Ausgleichsanspruch analog § 89b HGB für Markenlizenznehmer? WRP 2003, 468; ders. Das Handelsvertreterausgleichsrecht muss neu geschrieben werden, DStR 2009, 1478; ders. Die Novellierung des § 89b HGB – was hat sich ergeben, WRP 2010, 844; ders. Der Ausgleichsanspruch des Kfz-Vertragshändlers analog § 89b HGB, MDR 2010, 537; ders. Der Ausgleichsanspruch des Lizenznehmers analog § 89b HGB, WRP 2006, 449; ders. Die betriebsbedingte außerordentliche Kündigung von Vertragshändlerverträgen durch den Unternehmer, BB 1996, 2260; Evers Die Nichtigkeit von Handelsvertreterverträgen wegen zu geringer Verdienstmöglichkeiten und ihre Rückabwicklung, BB 1992, 1365; Felix Betriebsaufgabe und Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter nach § 89b HGB, BB 1987, 870; Finger Die Stellung des Vertragshändlers bei Beendigung des Vertrags, DB 1970, 141; Flohr Die Anwendbarkeit des § 89b HGB auf den Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers bei Beendigung des Franchisevertrags, DStR 1998, 572; Fock Der nachvertragliche Schadensersatzanspruch des Handelsvertreters gem. Art. 17 Abs. 3 der EG-Handelsvertreterrichtlinie – Alternative oder Ergänzung zum Goodwill-Ausgleich des Vertreters? in Saenger/Schulze Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, S. 62; Foth Neue Kehrtwende der Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers in der Kraftfahrzeugbranche, BB 1987, 1686; Frieseke Steuerrechtliche Bedeutung des Ausgleichsanspruchs der Handelsvertreter, DB 1962, 8; Fritz Die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach § 89b HGB, NJW 1960, 1653; Gassner Rückstellungen für künftig anfallende Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter, DB 1968, 1645; Gessler Zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1957, 1164; Glaser Steht dem Erben des Handelsvertreters ein Ausgleichsanspruch zu? DB 1955, 1081; ders. Steht dem Generalvertreter ein Ausgleichsanspruch zu? DB 1957, 1173; ders. Vergütungsfragen des Handelsvertreterrechts, DB 1956, 297; Görres Der Ausgleichsanspruch der Erben des Handelsvertreters, DB 1955, 681; Günther Zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1957, 1058; Karl Peer Günther, Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004; Haas Wegfall des Handelsvertreterausgleichsanspruchs gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB bei Eigenkündigung ohne besonderen Anlaß verfassungswidrig? BB 1991, 1441 und BB 1992, 941; Habscheid Das Ausgleichsrecht des Handelsvertreters, FS Walter Schmidt-Rimpler, 1957, S. 335; Hartz Zur bilanzmäßigen Behandlung der Ausgleichszahlung an den Handelsvertreter, DB 1958, 408; Heissmann Ausgleichszahlung des Handelsvertreters und Pensionszusage, DB 1957, 395; Heitmann Rückstellungen für den Ausgleichsanspruch und den Pensionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1966, 1305; Helpensteller Bilanzielle Behandlung von Ausgleichsansprüchen aus Verträgen mit Handelsvertretern gemäß § 89b HGB n. F., DB 1977, 2385; Hepting/Detzer Die Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs ausländischer Handelsvertreter und Vertragshändler, insbesondere durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, RIW 1989, 337; Herbert Neues zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1997, 1317; Hermes Beendigung des Vertragshändlervertrags im deutschen und niederländischen Recht, RIW 1999, 81; Heuer Aktivierungszeitpunkt für den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters, DB 1963, 1738; Hintzen/Hintzen Die Rückstellung für Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter (§ 89b HGB) in der neueren Rechtsentwicklung, DB 1978, 2037 und 2087; Höfer/Küpper Betriebliche Altersversorgung bei Umwandlung von Tätigkeitsvergütungen, BB 1990, 849; Höft Beschränkung des ausgleichsberechtigten Erbenkreises für den Fall des Todes des Versicherungsvertreters, VersR 1965, 553; ders. Ausgleichspflichtiger Provisionsverlust der Versicherungs-(Bausparkassen-)Vertreter (§ 89b I 2 HGB), VersR 1966, 104; ders. Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) der Versicherungs- und Bausparkassenvertreter für künftig zustande kommende Verträge, VersR 1967, 524; ders Nochmals: Kein Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) des Versicherungsvertreters für Inkasso- und sonstige Verwaltungsprovisionen, VersR 1970, 97; ders. Die provisionsrechtlichen Sonderregelungen für die Versicherungswirtschaft – Gründe und Unverzichtbarkeit, VersR 1976, 205; Hoffstadt Rechtsstellung des Handelsvertreters im Konkurs des vertretenen Unternehmens, DB 1983, 645; Hohn Wirtschaftliche Anspruchsfaktoren beim Ausscheiden des Handelsvertreters, BB 1972, 521; Hollmann Zum Ausgleichsanspruch des Automobil-Vertragshändlers nach § 89b HGB, BB 1985, 1023; Honsel Anrechnung einer Versorgungsanwartschaft auf den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters, BB 1984, 365; Horn Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers: Kundenstamm und werbende Tätigkeit, ZIP 1988, 137; Intveen Praxisprobleme bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines KFZ-Vertragshändlers, BB 1999, 1881; Kainz/Lieber/Puszkajler Die „Münchener For-

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Emde

§ 89b

1. Buch. Handelsstand

mel“ – oder Berechnung des Vertragshändlerausgleichs in der Autobranche, BB 1999, 434; Kapp Gehört der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters zum erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb? DB 1959, 242; Kirsch Ist der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers analog § 89b HGB am Ende? NJW 1999, 2779; Koch Das „Neue Ausgleichsrecht des Handelsvertreters im Lichte der europäischen Vorgaben, ZIP 2011, 1752; Klinger Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs der Handelsvertreter, DB 1957, 925; ders., Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter und Pensionszusagen, DB 1958, 1192; Kluge Die gewerbesteuerliche Behandlung des Ausgleichsanspruchs beim Handelsvertreter, BB 1972, 441; Köhler Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers: Bestehen, Bemessung, Abwälzung, NJW 1990, 1689; Kraatz Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung, WM 1982, 498; Kreifels/Lang Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, NJW 1970, 1769; Kroitzsch Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers und seine kartellrechtlichen Grenzen, BB 1977, 1631; Kümmel Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, DB 1997, 27; Kümmel Der Ausgleichsanspruch des KfzVertragshändlers – Berechnung nach der „Münchner Formel“, DB 1998, 2407; Küstner Berücksichtigung ersparter Unkosten beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1962, 432; ders. Altersversorgung und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1963, 1147; ders. Der Ausgleichsanspruch des Bausparkassenvertreters, BB 1966, 269; ders. Zur Aktivierung erbrachter Anspruchsleistungen an Versicherungsvertreter in der Bilanz von Versicherungsunternehmen, BB 1967, 114; ders. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB, NJW 1969, 769; ders. Neue Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB, BB 1972, 1300; ders. Der Ausgleichsanspruch des Krankenversicherungsvertreters, BB 1975, 493; ders Neufassung des § 89b Abs. 3 HGB bei alters- oder krankheitsbedingter Kündigung des Handelsvertreters, BB 1976, 630; ders. Zum Einfluß des Betriebsrentengesetzes auf die Ausgleichsberechtigung des Handelsvertreters (§ 89b HGB), BB 1976, 1485; ders. Probleme des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB und seiner Berechnung bei Bausparkassenvertretern, BB 1981, Beilage 12/1981 zu Heft 30/1081; ders. Berechnungsgrundlage für Höhe und Höchstgrenze des Handelsvertreter-Ausgleichsanspruchs, BB 1982, 275; ders. Die neuere Rechtsprechung zum Außendienstrecht, BB 1985, Beilage 12/1985 zu Heft 27/85; ders. Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und Altersversorgungsleistungen, BB 1994, 1590; ders. Bestandswegnahme und Schadensersatz, VersR 1996, 944; ders Aktuelle Probleme des Vertriebsrechts, BB 1999, 541; ders. Ausgleichsberechnung nach § 89b HGB – Fehler im Detail, BB 2000, Heft 20, „Die erste Seite“; Küstner/v. Manteuffel Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Vertragshändlers, BB 1988, 1972; dies. Die Änderungen des Handelsvertreterrechts aufgrund der EG-Harmonisierungsrichtlinie vom 18.12.1986; BB 1990, 291; dies. Gedanken zu dem neuen Ausgleich-Ausschlußtatbestand gem § 89b Abs. 3 Nr. 3 HGB, BB 1990, 1713; dies. Probleme des Handelsvertreterrechts, ZIP 1988, 63; Laber Eigenkündigung des Handelsvertreters: Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Ausgleichsanspruchs, DB 1994, 1275; Laum Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, BB 1967, 1359; Littmann Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Ausgleichsansprüchen der Handelsvertreter, BB 1959, 446; Loos Keine Aktivierung der von Unternehmen an Selbständige gewährten und von § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG erfaßten Pensionsanwartschaften und Pensionsansprüche, BB 1989, 669; Lutz Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und Pensionszusage, DB 1989, 2345; Maier Kündigung des Handelsvertreters wegen Alters oder Krankheit, BB 1978, 940; Martin Gesetzlicher Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und Versorgungszusagen, DB 1966, 1837; ders. Offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften als Versicherungsvertreter, VersR 1967, 824; ders. Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) des Versicherungsvertreters und Wettbewerb zum Nachteil des Unternehmers, VersR 1968, 117; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters, VersR 1970, 796; Martinek Franchising im Handelsrecht, ZIP 1988, 1362; Matthies Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei kurzer Vertragsdauer, DB 1986, 2063; Matthiessen Arbeits- und Handelsvertreterrechtliche Ansätze eines Franchisenehmerschutzes, ZIP 1988, 1089; Melcher Die Anwendung des Handelsvertreterrechts auf Kapitalanlageberater, BB 1981, 2101; Mellerowicz Zur Bilanzierung der Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern, BB 1959, 150; Merkel Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1956, 420; Meyer Ausgleichsansprüche nach § 89b HGB beim Vertrieb langlebiger Wirtschaftsgüter, BB 1970, 780; Moritz Zum Wegfall des Ausgleichsanspruchs bei Kündigung durch den Handelsvertreter, DB 1987, 875; Mücke Ist § 89b HGB auf Vertragshändler anwendbar? MDR 1956, 641; Müller Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b I 2 wegen erweiterter Altkundenbeziehung auch bei Umsatzrückgang? NJW 1997, 3432; Müller-Stein Ausgleichsanspruch gem § 89b HGB nach Bestandsübertragungen aufgrund erteilter Makleraufträge, VersR 1990, 561; Neflin Vorausregelung und Unabdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters, DB 1956, 765; ders. Nochmals: Umstellung der Vertriebsorganisation vom Handelsvertreter auf Reisende, DB 1958, 579; ders. Der Industriepropagandist in handels- und steuerrechtlicher Sicht, DB 1961, 833; ders. Vorwegerfüllung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, DB 1962, 1531; Neuburger/Gaa Ausgleichsanspruch und Pensionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1968, Beilage 10/1968 zu Heft 31/ 68; Niebling Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, BB 1997, 2388; ders. Automobilvertrieb im Umbruch, DAR 1999, 8; Nies Kann einem Eigenhändler der Ausgleichsanspruch des § 89b HGB zustehen? MDR 1961, 556; Noetzel Der Billigkeitsgedanke beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, NJW 1958, 1325; ders. Die eigene Kündigung des Handelsvertreters und sein gesetzlicher Ausgleichsanspruch, DB 1993, 1557; Ordemann Der „Generalvertreter“ und sein Ausgleichsanspruch, BB 1964, 1323; ders. Die Entschädigung des Handelsvertreters für Wettbewerbsbeschränkungen

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

(§ 90a HGB), BB 1965, 932; Oswald Rückstellungen für Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter, BB 1978, 1501; ders. Wie wird der Ausgleich des Handelsvertreters gemäß § 89b HGB errechnet? VersR 1979, 509; Peterek Zur Bedeutung und zum Umfang allgemeiner Kundenschutzvereinbarungen, BB 1996, 351; Rau Verbindung von Ausgleichsanspruch und Pensionszusage bei Handelsvertretern, BB 1967, 403; Reinicke Auslegungsfragen zum neuen Recht der Handelsvertreter, NJW 1953, 1609; Retzer Verfassungsmäßigkeit des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB, BB 1993, 668 und 963; Reufels/Lorenz „Pauschalierung des Ausgleichsanspruchs für Kfz-Vertragshändler“ – ein Plädoyer gegen die „Münchener Formel“, BB 2000, 1586; Risse Die Rechtsnatur des Ausgleichsanspruches der Handelsvertreter und ihre Bedeutung und seine steuerliche Behandlung, BB 1956, 1135; ders. Zum Ausgleichsanspruch der Handelsvertreter, BB 1957, 669; ders. Zur bilanzmäßigen Behandlung der Ausgleichszahlung an den Handelsvertreter, DB 1958, 408; ders. Zur steuerlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter, BB 1958, 337; ders. Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Ausgleichsansprüchen der Handelsvertreter, BB 1958, 1089; Rittner Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und die jüngste BGH-Rechtsprechung, DB 1998, 457; Rösseler Zur Verbindung von Ausgleichsansprüchen und Pensionszusagen an Handelsvertreter, DB 1958, 752; Saenger Das Recht des Handelsvertreters zur ausgleichswahrenden Eigenkündigung, DB 2000, 129; Sandrock Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, FS für Robert Fischer, 1979, S. 657; Schaefer Das rotierende Vertriebsystem auf der Grenze zwischen Arbeits- und Handelsvertreterrecht, NJW 2000, 320; Scherer Ausschluß von Ausgleichsansprüchen des Handelsvertreters, DB 1996, 1709; Schiefelbein Beschränkung des ausgleichsberechtigten Erbenkreises für den Fall des Todes des Versicherungsvertreters, VersR 1965, 552; Schlechtriem Ausgleichsansprüche des Hauptvertreters, BB 1971, 1540; Schmidt Pensionsvertrag mit Handelsvertretern und Ausgleichsanspruch, DB 1954, 994; ders. Frist zur Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, BB 1965, 732; ders. Kundenstammüberlassung und „Sogwirkung der Marke“: taugliche Kriterien für den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers? DB 1979, 2357; Schneider Die Bemessungsumstände für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gemäß § 89b HGB, JurBüro 1968, 569; ders. Der Verzinsungsbeginn bei Ausgleichsansprüchen des Handelsvertreters, DB 1968, 1613; ders. Die Billigkeit beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, MDR 1970, 976; ders. Der Streitwert für Klagen des Handelsvertreters, BB 1976, 1298; Schnitzler Zur Vorausregelung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB, MDR 1958, 556; ders. Der Ausgleichsanspruch arbeitsunfähiger Handelsvertreter, DB 1965, Beilage Nr. 15/65 zu Heft 37/65; Schreiber Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters aus prozessualer Sicht, NJW 1998, 3737; Schröder Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1954, 477; ders. Steht ein Ausgleichsanspruch auch einem Eigenhändler (Vertragshändler) zu? BB 1958, 252; ders. Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs der Handelsvertreter, DB 1958, 43; ders. Änderung der Vertragsbedingungen und Ausgleichsanspruch im Handelsvertreterverhältnis, DB 1958, 975; ders. Ausgleichsansprüche im Konkurs eines Handelsvertreters, der Selbstmord begangen hat, KTS 1960, 148; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers (Vertragshändlers), BB 1961, 809; ders. Kundenschutz und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1962, 738; ders. Zweifelsfragen im Ausgleichsrecht der Handelsvertreter, DB 1962, 895; ders. Gesetzlicher und vertraglicher Provisionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1963, 567; ders. Außerbezirkliche Geschäfte des Handelsvertreters, DB 1963, 541; ders. Wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Ausgleichsleistung, DB 1964, 323; ders. Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Versicherungs-(Bausparkassen-)Vertreters, FS Nipperdey 1965, S. 715; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers, DB 1966, 449; ders. Rechtsgeschäftliche Abwendung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB, DB 1967, 1303; ders. Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB bei Veräußerung und Stillegung des vertretenen Unternehmens, DB 1967, 2015; ders. Abwälzung des Ausgleichsanspruchs auf den Nachfolger des ausgeschiedenen Handelsvertreters, DB 1969, 291; ders. Zum Begriff der Unternehmervorteile beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB, DB 1973, 217; ders. Zum Begriff „Unternehmervorteile“ im Ausgleichsrecht nach § 89b Abs. 1 Nr. 1 HGB, DB 1976, 1897; Schuler Ausgleichsansprüche bei Beendigung des Handelsvertretervertrages, JR 1957, 44; ders. Der BGH und der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, JR 1958, 94; ders. Die Bemessung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, NJW 1958, 1113; ders. Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers? NJW 1959, 649; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers und des Handelsvertreters, NJW 1961, 758; Selthorst Der Ausschluss des Ausgleichs gemäß § 89b Abs. 3 HGB in Saenger/Schulze Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, S. 43; Semler Aktuelle Fragen im Recht der Vertragshändler, DB 1985, 2493; Seydel Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Beweislast für erheblichen Vorteil, DB 1957, 476; Seithel Abwälzung der Ausgleichsverpflichtung auf den Nachfolger des Handelsvertreters, BB 1963, 465; Siebel Ausgleichsverpflichtungen an Handelsvertreter, BB 1971, 464; Sieg Rechtsnatur des Ausgleichsanspruchs des Versicherungsvertreters und Folgerungen hieraus, VersR 1964, 789; ders. Die Kündigung des Handelsvertretervertrages im Blickpunkt des Ausgleichsanspruchs, AG 1964, 293; ders. Einfluß des Wegfalls der Altersversorgung auf den festgestellten Ausgleichsanspruch, VersR 1968, 105; Slomma Zur Frage der Bildung von Rückstellungen für Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern, BB 1978, 492; ders. Bildung von Rückstellungen für Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter nach § 89b HGB, BB 1981, 1498; Steindorff Vereitelte Ansprüche und Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters, ZHR 130 (1968), 82; Stötter Das Verbot des rechtsgeschäftlichen Ausschlusses des Ausgleichsanspruchs nach § 89b IV HGB, DB 1971, 709; ders. Vorwegerfüllung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, BB 1972, 1036; Stumpf Vertragshändlerausgleich analog § 89b HGB – praktische und dogmatische Fehl-

177

Emde

§ 89b

1. Buch. Handelsstand

verortung, NJW 1998, 12; Stumpf/Hesse Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, BB 1987, 1474; Stumpf/Zimmermann Zu den Voraussetzungen des Anspruchs des Vertragshändlers auf Zahlung eines Ausgleichs, BB 1978, 429; Theis Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter, DB 1955, 248; Thume Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1990, 1645; ders. Der neue Ausgleichs-Ausschlußtatbestand nach § 89b Abs. 3 Nr. 3 HGB, BB 1991, 490; ders. Neues zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und des Vertragshändlers, BB 1994, 2358; ders. Einige Gedanken zum Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB, BB 1999, 2309; ders, Ausgleichsanspruch und Altersversorgung, VersR 2009, 436; ders, Der neue § 89b Abs. 1 HGB und seine Folgen, BB 2009, 2490; Uelner Pensionsrückstellungen beim Zusammentreffen von Pensionszusage und Ausgleichsanspruch bei Handelsvertretern, BB 1967, 489; Ulmer Kündigungsschranken um Handels- und Gesellschaftsrecht, FS Philipp Möhring, 1976; S. 205; Veith Ausgleichsanspruch des Tankstellenhalters nach § 89b HGB, DB 1963, 1277; ders. Zum Ausgleichsanspruch eines Tankstellenhalters nach § 89b HGB, DB 1965, 65; Veltins Zur analogen Anwendung von § 89b HGB auf den Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers, NJW 1984, 2063; Waldner Zur Verbindung von Ausgleichsansprüchen und Pensionszusagen an Handelsvertreter, DB 1958, 579; Wauschkuhn Vereinbarungen im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, BB 1996, 1517; Weber Das Verhältnis von Ausgleichs- und Entschädigungsanspruch im Handelsvertreterrecht, BB 1961, 1220; Werner/Machunsky Probleme und Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs des Vertragshändlers, BB 1983, 338; Westphal Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Veräußerung des Unternehmerbetriebs, BB 1998, 1432; ders. Die Handelsvertreter-GmbH: Renaissance mit Unterstützung des BFH? BB 1999, 2517; ders. Evolution statt Revolution – das neue Ausgleichsrecht des Handelsvertreters, DB 2010, 1333; Graf von Westphalen Die analoge Anwendung des § 89b HGB auf Vertragshändlerverträge der Kfz-Branche, DB-Beilage 12/81 zu Heft 22/1981; ders. Handelsvertreterrecht und AGB-Gesetz, DB 1984, 2335 und 2392; ders. Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers in der Kfz-Branche gemäß § 89b HGB analog unter Berücksichtigung der neuesten BGH-Judikatur, DB Beilage Nr. 8/88 zu Heft 16/1988; ders. Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters und Nichtanrechnung einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung, DB 2000, 2255; Wiegand Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei nicht vom Unternehmer veranlaßter Eigenkündigung, BB 1964, 375; Winter Kein Ausgleichsanspruch beim Erlöschen des Vertrags durch Tod des Handelsvertreters, BB 1955, 496; Wittmann Zum Ausgleichsanspruch eines Tankstellenpächters, BB 1963, 1457; ders. Ausgleichsanspruch eines Tankstellenpächters, BB 1965, 473; Winter Ausgleichszahlungen an einen Handelsvertreter bei der Gewerbesteuer, GmbHR 1999, R 151; Wolff Auskunftsrecht des Handelsvertreters zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs, BB 1978, 1246.

Übersicht 1

A.

Einleitung

I.

Ausgleichsregelung als Ergebnis und Ausdruck 1 eines gesetzgeberischen Kompromisses

II.

Historie

III.

Europarechtliche Präformation

IV.

Bedeutung des § 89b

V. 1. 2.

TB-Merkmale des § 89b 20 Überblick 24 Wenn und soweit

VI.

Separate Ermittlung des Ausgleichs in eigenstän25 digen Verträgen

2 8

18 20

VII. Zweck des Ausgleichsanspruchs

26

VIII. Wesensmäßige Besonderheiten bei Versiche38 rungsvertretern B.

Einzelne Anspruchsvoraussetzungen

Emde

39

I. 1. 2.

Anspruchsberechtigter 39 41 Ausgleichsberechtigte Personen Ausgleichsrecht handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler und Franchi42 senehmer? a) Handelsvertretergleiche oder -ähnliche Ein46 bindung b) Vertragliche Verpflichtung zur Übertra52 gung des Kundenstammes aa) Begründung dieses Analogieerforder53 nisses bb) Kritik am Erfordernis des Merk56 mals cc) Weitergabe der Kundendaten an Marketingunternehmen und Lö62 schungsverpflichtung dd) Zeitpunkt von Überlassungsvereinba65 rung und Überlassung ee) Form und stillschweigende Vereinbarung der Überlassungsvereinba66 rung 67 ff) Zu übermittelnde Daten 69 gg) Branchenbekannte Daten? gg) Zweck der Überlassungsvereinba70 rung 178

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

3.

4.

hh) Beispiele der Überlassungsvereinba72 rung ii) Beispiele fehlender Überlassungsver75 einbarung jj) Fehlen einer vertraglichen Verpflichtung oder Ausschluss der Übertra77 gungspflicht 78 kk) Datenschutz und Kartellrecht 80 ll) Nichtigkeit des Vertrages 81 mm) Verzicht auf die Übertragung 82 nn) Beweislast 83 oo) Erfüllung c) Beispiele der Ausgleichsberechti84 gung aa) Vertragshändlern, insb. Kfz-Vertrags85 händlern 87 bb) Franchisenehmern 88 cc) Kommissionsagenten dd) Markenlizenznehmern, die einer Ver89 triebspflicht unterliegen 90 ee) Service-Providern, ff) U. U. bei zugelassenen Vertragswerk91 stätten 92 Nicht ausgleichsberechtigte Personen 93 a) Nebenberufliche HV 94 b) Angestellte Reisende 95 c) U. U. Peugeot-Vertragshändler 95 Auslandsrechte

II. 1. 2.

96 Anspruchsverpflichteter 96 Einleitung Anspruchsverpflichteter bei Betriebsveräußerung 98 auf Unternehmerseite

III.

Beendigung des Vertragsverhältnisses (Tatbe100 standsmerkmal 1) 101 Handelsvertretervertrag 103 Beendigung 104 a) Kündigung 105 b) Beispielsfälle Der Vertragsbeendigung gleichzustellende Kon106 stellationen

1. 2.

3.

IV.

1. 2.

3.

179

Werbung neuer Kunden oder Erweiterung bestehender Geschäftsverbindungen (Tatbestands109 merkmal 2) 110 „Kunden“ 113 „Neue“ Kunde 113 a) Einführung 114 b) Europarechtliche Präformation 115 c) Neuheit des Kunden d) Personen-, Branchen- oder produktbezogene 118 Abgrenzung? 130 e) Zeitliche Komponente 131 f) Personelle Komponente 132 „geworben hat“

4. 5.

6.

7.

V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. VI. 1.

§ 89b

139 Werbung als Handelsvertreter 141 Erweiterte Altkunden a) Gleichstellung mit der Neukundenwer141 bung 142 b) Umfang der Erweiterung 148 c) Vergleichszeitraum d) Umfang der Einbeziehung in Verlust149 und Vorteilsprognose 150 Geschäftsverbindung a) Ist das Merkmal der Geschäftsverbindung bei der Neukundenwerbung erforderlich – 150 RL-konforme Auslegung? 151 b) Begriff der Geschäftsverbindung 152 c) Mehrfachkunden 153 aa) Dauerverträge (1) Wortlaut des § 89b 154 Abs. 1 155 (2) Sinn und Zweck (3) Systematische Ausle156 gung 157 (4) Historische Auslegung (5) Wann führt eine einzelne Geschäftsverbindung zur Aus159 gleichspflicht? 162 bb) Personelle Komponente 165 cc) Prognose bei Vertragsende 166 d) Potentielle Mehrfachkunden 169 e) Folgegeschäfte aa) Zeitliche Hinsicht (Wiederholungsinter170 vall) 175 bb) Sachliche Hinsicht 176 f) Abriss der Geschäftsverbindung g) Beispiele für Bestehen oder Nichtbestehen ei177 ner Geschäftsverbindung h) Langlebige Produkte ohne Nachkaufwahr179 scheinlichkeit 183 i) Beweisfragen Nur vertragsgemäß verdiente Provisionen für die Werbung oder Erweiterung sind ausgleichs184 pflichtig Erhebliche Vorteile des Unternehmers (Tatbe185 standsmerkmal 3) 186 Bedeutung der Novelle 2009 187 Vorteile 192 Erheblichkeit der Vorteile 193 Vorteilsprognose 196 Auskunftsanspruch 197 Prognosezeitraum 198 Prognosezeitpunkt 200 Vorteile und Dispositionsfreiheit 201 Beispiele § 89b Abs. 1 Nr. 2: Billigkeitsgründe (Tatbestands247 merkmal 4) 248 Einführung

Emde

§ 89b

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

11.

1. Buch. Handelsstand

a) Aktiv- bzw. Passivlegitimation 248 249 b) Bedeutung des § 89b Abs. 1 Nr. 2 Stärkung des Billigkeitskriteriums durch den 251 EuGH Billigkeitserwägungen allein begründen keinen 255 Ausgleichsanspruch Konkurrenz zum TB-Merkmal „Angemessen256 heit“ 257 Umfang der Billigkeitsprüfung 259 Kasuistik 260 Zeitpunkt der Billigkeitsprognose 261 Ermessensausübung Vertragliche Regelung von Billigkeitsgrün262 den Entgehende Provisionen – (bis 2009: Provisions263 verluste) 263 a) Europarechtliche Präformation b) Stellung innerhalb des § 89b und Novelle 265 2009 c) „Aus Geschäften mit diesen Kun268 den“ 269 d) Entgehende Provisionen 271 e) Prognose entgehender Provisionen aa) Kausalität zwischen entgehender Provi276 sion und Vertragsbeendigung bb) „Provision“ – bei der Verlustprognose berücksichtigungsfähige Vergü280 tungsbestandteile 281 cc) Beispiele f) Provisionsverlust aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Ge314 schäften aa) Bereits abgeschlossene Ge315 schäfte bb) Künftig zustande kommende Ge317 schäfte 318 cc) Fallgruppen Sonderfall der Billigkeit: Anrechnung der Alters329 versorgung 329 a) Überblick 334 b) Fälligkeitsdifferenz 335 c) Anrechnungsabrede 337 d) Anrechenbare Leistungen e) Der Anrechnung entgegenstehende Billig338 keitserwägungen f) Unverfallbarkeit nach dem Be341 trAVG? g) Beweislast bei der Anrechnung der Altersver349 sorgung

VII. Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 (5. Tatbe350 standsmerkmal) 352 1. Zweck 353 2. Rechtsnatur der Erklärung: 355 3. Ausgleichsforderung unnötig 356 4. Beginn der Ausschlussfrist

Emde

5. 6. 7.

8. 9.

357 Einhaltung der Frist/Zugang? 358 Vorwegforderung 359 Verlängerung der Frist 359 a) Einleitung b) Abreden über Verlängerung und Verkürzung 360 der Frist 361 Form der Ausgleichsforderung 362 Beispiele

VIII. Ausgleichshöchstgrenze (6. Tatbestandsmerk363 mal) 364 1. Berechnung der Höchstgrenze 371 2. Vertragshändler- und Franchiserecht 372 3. Berechnungszeitraum 373 4. Rohausgleich und Höchstgrenze 374 5. Überhangprovisionen IX. 1. 2.

3.

Ausgleichsausschluss nach § 89b Abs. 3 (7. Tatbe375 standsmerkmal) 379 Rechtsnatur § 89b Abs. 3 Nr. 1: Ausgleichsausschluss bei Kün380 digung durch den HV 380 a) Allgemeines 382 b) Europarechtliche Präformation 383 c) Kündigung des HV 384 d) Begründeter Anlass aa) Wegen eines Verhalten des Unterneh387 mers 388 bb) Beispiele cc) Begründung und Nachschieben von 391 Kündigungsgründen 392 dd) Androhung der Kündigung e) Kündigung wegen Alters oder Krank393 heit 394 aa) Kündigung wegen Alters 395 bb) Krankheit cc) Europarechtliche Präforma396 tion dd) Unzumutbarkeit der Tätigkeitsfortset397 zung 399 ee) Gesellschaft als HV 400 ff) Begründungserfordernis? gg) Information über Alter oder Krank401 heit 402 f) Frist zur Kündigungserklärung g) Der Eigenkündigung gleichstehende Fälle – analoge Anwendung auf ähnliche Fallgestal403 tungen? § 89b Abs. 3 Nr. 2: Kündigung des Unternehmers aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhal408 tens des HV 408 a) Europarechtliche Präformation b) Analoge Anwendung auf HV-ähnliche Ver409 triebsmittler 410 c) Beendigung des Vertrages 411 d) Wichtiger Grund

180

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

e) f)

4.

5.

Schuldhaftes Verhalten des HV 412 Analoge Anwendung auf andere als Kündi414 gungssituationen nach § 89a 414 aa) Einleitung bb) Kausalitätserfordernis im Falle nachträglicher Kenntnisnahme vom wichti415 gen Grund 422 g) Beispiele h) Eintritt ausgleichswahrender Tatbestände trotz vorherigen Entfallens des Aus423 gleichs Eintritt eines Dritten in das Vertragsverhältnis 427 (§ 89b Abs. 3 Nr. 3) 427 a) Überblick 428 b) Zweck c) Europarechtliche Präformation. § 89b Abs. 3 429 Nr. 3 430 d) Historie 431 e) Gestaltungsvarianten 434 f) Rechtsdogmatische Einordnung 436 g) Eintrittsvereinbarung mittels AGB? h) Abgrenzung zu anderen Rechtsinstitu437 ten i) Zwingende Natur (§ 89b Abs. 3 Nr. 3 Hs. 440 2) j) Übertragung von Ausgleichsanwartschaf441 ten 442 Mehrstufige Vertragsverhältnisse

C.

Zwingende Natur des Ausgleichsanspruchs 443 (§ 89b Abs. 4)

I.

Umfang des Derogationsverbots

II.

Zweck

III.

Europarechtliche Präformation

IV.

Verbot der Derogation „im Voraus“

V.

Zwingende Natur des Ausgleichs in Auslandssach453 verhalten und Grenzen der Rechtswahl

VI. 1.

454 Einstandszahlungen/Vertretungskauf Wirksamkeit der Einstandszahlung (Frage 458 1) Einstandszahlungsabreden und §§ 305 ff. BGB 466 (Frage 2) Amortisation der Einstandszahlung (Frage 467 3) Übergang der Ausgleichsanwartschaften (Frage 471 4) 473 Folgen der Unwirksamkeit (Frage 5) Folgen der Einstandszahlung für die Ausgleichs475 berechnung

D.

Keine Wettbewerbsbeschränkung infolge 476 der Ausgleichszahlung

E.

Ausgleichsberechnung

I.

Verteilung der Darlegungs- und Beweis479 last

II.

Berechnungsbeispiel nach Literatur und Recht487 sprechung 490 Basis der Ausgleichsberechnung 501 Prognosezeitraum 502 Abwanderungsquote 507 Abzinsung 508 Umsatzsteuer 509 Höchstbetragsberechnung

1. 2. 3. 4. 5. 6. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

445 1. 446 2.

3. 4. 5. 6.

181

478

Eigener Ansatz zur Ausgleichsberechnung 510 des HV 511 Provisionseinnahmen Anteil werbender, ausgleichspflichtiger Provi512 sion Werbung von Neukunden oder Erweiterung von 513 Altkunden 516 Mehrfach- oder Stammkundenquote 517 Vorteilsprognose 518 Prognosezeitraum 519 Fluktuations- oder Abwanderungsquote 521 Abzinsung 522 Billigkeitsabschlag 523 Höchstbetragsberechnung 524 Beispielsrechnung

443 IV.

2.

§ 89b

447

Berechnung des Ausgleichs im Vertragshändler528 recht Ausgleichsformel für das allgemeine Vertrags541 händlerrecht 557 Kfz-Vertragshändlerrecht 557 a) Kfz 557 aa) Ausgleichspflichtigkeit bb) Ausgleichsbemessungsgrund558 lage 561 cc) Billigkeitserwägungen dd) Formeln zur Berechnung des Kfz-Ver562 tragshändlerausgleichs 569 b) Ersatzteile

V.

Ausgleichsanspruch des Tankstellen-HV

VI.

Franchisenehmer

VII. Kommissionsagent F.

570

583 586

Konkurrenz unterschiedlicher Rechenan587 sätze

Emde

§ 89b

1. Buch. Handelsstand

G.

Fälligkeit

588

V.

Selbständiges Beweisverfahren

H.

Erfüllungsort des Ausgleichsan590 spruchs

VI.

Urteil

I.

Verjährung

J.

Vorauserfüllung des Ausgleichs

K.

Zinsen

L.

Verwirkung

M.

Aufrechnung

N.

Zurückbehaltungsrecht

O.

Abtretung, Vererblichkeit und Nachfolgebe605 stimmung

I.

Abtretung

II.

Vererblichkeit

III.

Nachfolgeregelung

P.

Pfändung

Q.

Anerkenntnis

R.

Der Ausgleichsanspruch und konkurrierende 610 Ansprüche

628

629

VII. Berufung

632

VIII. Revision

633

591 596 T.

Der Ausgleichsanspruch in der Insol634 venz

I.

Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz des Un634 ternehmers 634 Anspruchsentstehung Insolvenzrechtliche Einordnung des An635 spruchs

601 602 603

1. 2. 604

605

II.

Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz 636 des HV

U.

Rückforderung des gezahlten Ausgleichs 637 durch den Unternehmer

I.

Zum Rechtsgrund

II.

Zur Höhe der Rückforderung

V.

Steuer- und Bilanzrecht

1.

Gewerbesteuerliche Erfassung des Ausgleichs 642 beim HV 643 Umsatzsteuer 644 Einkommensteuer

606 637

607 640

608 642

609

2. 3.

611

I.

§ 354 HGB

II.

Karenzentschädigung (§ 90a Abs. 1)

III.

Schadenersatzansprüche

IV.

Informationsrechte nach § 87c

S.

Prozessfragen

I. 1. 2. 3. 4.

4.

Ausgleichsrücklagen des Unternehmers in der Steuerbilanz und in der Handelsbi645 lanz

W.

Der Ausgleichsanspruch des Bauspar- und Ver647 sicherungsvertreters

616

I.

Einführung

II.

Anwendbarkeit der RL

III.

Besonderheiten im Recht der VV

III.

Zweck

5.

617 Klage 617 Klageantrag 618 Feststellungsklage 619 Auskunftsanspruch Kombination mit einer Feststellung auf Fortbe620 stand des Vertrages 621 Teilklage

IV. 1.

II.

Prozessvergleich

2.

655 Folgen aus der Novelle 2009 Argumente für eine an das Warenvertreterrecht 663 angenäherte Berechnungsweise 665 Die Argumente der bisher h. M.

III.

Urkundenverfahren

IV.

Arrest

V. 1.

Anspruchsberechtigter 667 Einführung:

Emde

627

612

613 615

625

648 649 650

652

626 667

182

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

2.

Bausparkassenvertreter:

668

7.

VI.

Anspruchsverpflichteter

669

8.

670 VII. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Beendigung des Vertrages (Tatbestandsmerkmal 681 1) 2. Neue oder erweiterte Versicherungsverträge (Tat682 bestandsmerkmal 2) 682 a) Neue Versicherungsverträge b) Erweiterung von Versicherungsverträ683 gen 3. Unternehmervorteile (Tatbestandsmerkmal 684 3) 684 a) Überblick b) Unternehmervorteile bei Verwaltungsprovisi692 onen 707 4. Billigkeit (Tatbestandsmerkmal 4) 707 a) Überblick 708 b) Entgangene Provisionen 708 aa) Überblick 711 bb) Provisionsverzichtsklausel 713 (1) Form und Transparenz (2) Wirksamkeit der Provisionsver714 zichtsklausel cc) Provisionsfortzahlungsrege722 lung 723 dd) Einmalprovisionen ee) Fallgruppen möglicherweise entgehender und damit ausgleichsrelevanter 724 Provisionen 725 (1) Neugeschäfte 726 (2) § 87 Abs. 3 Ziff. 1 727 (3) § 87 Abs. 3 Ziff. 2 (4) Fortsetzungen, Vertragserweiterungen und Summenerhöhun728 gen 730 (6) Beweislast 731 (7) Superprovisionen 732 ff) Prognosedauer 5. Ausgleichshöchstgrenze (Tatbestandsmerkmal 733 6) VII. Die „Grundsätze“ der Versicherungswirt735 schaft 737 1. Zweck der Grundsätze 2. Widerspruch zu § 89b Abs. 4/Grundsätze als dis739 positive Berechnungsmethode 3. Unwirksamkeit der Grundsätze nach § 307 740 BGB? 4. Rechtsnatur der Grundsätze – Schätzungsgrund742 lage 5. Auslegung und revisionsrichterliche Überprü743 fung 744 6. Beweislast

183

9.

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Anspruchsberechtigung nach den Grundsät745 zen Rückwirkungen der Grundsätze für den Provisi746 onsanspruch? 747 a) Die „Grundsätze Sach“ aa) Der Ausgleichswert (Ziffer I der Grund750 sätze Sach) bb) Prozentsatzberechnung nach Spar761 ten 762 cc) Abzinsung dd) Multiplikatoren (Ziff. II der Grundsätze 763 Sach) 765 ee) Beweislast 767 b) Die „Grundsätze-Leben“ 767 aa) Systematik 769 bb) Zweck der Grundsätze-Leben cc) Geltungsbereich (Ziffer I der Grundsät770 ze-Leben) dd) Die Bestimmung des Rohausgleichs 774 (Ziff. II) 778 c) Die Grundsätze Kranken 779 aa) Ziff. I Geltungsbereich bb) Ziff. II Errechnung der Ausgleichszah782 lung 785 cc) Berechnungsbeispiel 787 d) Grundsätze im Bausparbereich 788 aa) Ziff. I: Ausgleichswert 791 bb) Multiplikatoren (Ziff. II) 793 cc) Ziff. III: Treuebonus 794 dd) Fälligkeit (Ziff. V.) e) Grundsätze Finanzdienstleistungsbe795 reich 796 aa) Ziff. I: Ausgleichswert 798 bb) Ziff. II: Multiplikatoren 799 cc) Ziff. III: Treuebonus 800 dd) Fälligkeit (Ziff. V) f) Gemeinsame Regeln für alle Grund801 sätze 801 aa) Überblick bb) Alters- und Hinterbliebenenversor804 gung 805 cc) Ausgleichshöchstgrenze dd) Ausspannung von Versicherungsverträ806 gen 807 ee) Gutachterstelle Ausgleichsberechnung nach § 89b Abs. 5 di809 rekt 809 a) Einleitung b) Eigener Ansatz zur Ausgleichsberechnung im Versicherungsvertreter- und Bausparbe813 reich

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1. Buch. Handelsstand

A. Einleitung I. Ausgleichsregelung als Ergebnis und Ausdruck eines gesetzgeberischen Kompromisses 1 § 89b ist das Ergebnis zähen Ringens zwischen den Verbänden der HV einerseits und der organisierten Industrie andererseits; der gefundene Kompromiss hat alle Schwächen und Fehler eines solchen, so dass sich fast zwangsläufig ein Streit um den juristischen Gehalt entzündete. Er ist inzwischen zwar in vielen Punkten geklärt. Nicht aber sind es zahlreiche andere Streit- und Zweifelsfragen, die die Umsetzung des Gesetzes in die Praxis aufgeworfen hat. Sie haben ihre Ursache in der Häufung „subsumtionsunfähiger Tatbestandselemente“,1 unbestimmter Rechtsbegriffe bis hin zum Ausweichen in Prognosen, die korrekt zu vollziehen nicht nur Richter und Beteiligte strapaziert, sondern geradezu den Anreiz gibt, darüber zu prozessieren.

II. Historie 2 Der Ausgleichsanspruch des HV war eine Neuerung, die im Mittelpunkt der durch die Novelle von 19532 eingeleiteten Reform des HV-Rechts stand. Dabei konnte der Gesetzgeber 1953 auf eine Initiative der Centralvereinigung der deutschen Handelsvertreter- und Handelsmakler-Verbände (CDH), die 1950 einen Entwurf an die Bundesregierung sandte, Vorarbeiten der Akademie für deutsches Recht, insbesondere deren Entwurf des Jahres 1938, sowie ausländische Vorbilder (Art. 418u des schweizerischen Obligationsrechts; österreichisches HV-Recht von 1921)3 zurückgreifen. Umstritten war seinerzeit etwa, ob für VV eine über § 89b Abs. 5 hinausgreifende Sonderregelung gefunden werden sollte. Ihr Fehlen wird gelegentlich bedauert.4 Der, wohl miterstrebt gewesene, soziale Effekt wurde zunächst nicht erreicht: den schlimmsten Mangel, die Versagung des Ausgleichs, wenn der HV seinerseits wegen Alters oder Berufsunfähigkeit das Vertragsverhältnis kündigen musste, zu beseitigen hat der Gesetzgeber durch eine abermalige Novelle im Jahre 19765 beseitigen müssen. 3 Infolge der RL 19866 – deren Artt. 17–19, soweit sie zum Ausgleichsmodell ausführen, trotz ihrer Kompromissfassung7 ihr Vorbild in der seinerzeitigen Fassung des § 89b fanden8 – wurde § 89b zunächst nur marginal abgeändert, etwa hinsichtlich der Verlängerung der Ausschlussfrist, der Aufgliederung der in Abs. 3 genannten Ausschlussgründe9 (ohne deren sachliche Änderung10) und schließlich der Einfügung des Abs. 3 Nr. 3. Zur europarechtlichen Präformation unten, Rn 8 ff. Die 2009 vorgenommene Anpassung des § 89b (Rn 5) an die RL war zwar schon

1 Karsten Schmidt DB 1979, 2357. 2 Gesetz zur Änderung des HGB vom 6.8.1953, BGBl. I S. 771. 3 Die meisten Rechtsordnungen außerhalb der EU kennen allerdings keinen Ausgleichsanspruch, zu Kalifornien Kleinheisterkamp RabelsZ 73 (2009) 818 (831); zu Japan und den US-Bundesstaaten Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 110; zu Australien Kobras/Steinhauer RIW 2010, 214. Zur Schweiz Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (280): Der HV erhält dort als Höchstbetrag eine durchschnittliche Jahresnettoprovision. Vom Durchschnitt der geflossenen Provisionen werden die Kosten des HV in Abzug gebracht, so dass sich der Ausgleich häufig auf die Hälfte des in Deutschland üblichen reduziert. Zum türkischen Recht Krüger RIW 2009, 771 (774 ff.). 4 Siehe etwa Küstner/Thume/Küstner II Einleitung Rn 4; Hopt NJW 2005, 3123. 5 BGBl. I, S. 1197, in Kraft getreten am 1.7.1976. 6 Richtlinie 86/653/EWG, ABl. EG L 382 v. 31.12.1986, S. 17 ff. 7 Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der Richtlinie auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 endg., S. 1. 8 Koch ZIP 2011, 1752. 9 Zu Umsetzungsdefiziten des deutschen Gesetzgebers Thume BB 2004, 2473 ff. 10 BGH, Urt. v. 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, EBE 1999, 13 (16); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 1. Emde

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seinerzeit Gegenstand der Diskussion.11 Die Bundesregierung wollte § 89b Abs. 1, wie 2009 geschehen, so ändern, dass die Provisionsverluste als eigenständiges TB-Merkmal entfallen und nur noch im Rahmen der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen sein sollten. Im Ergebnis folgte der Gesetzgeber jedoch der Auffassung des Rechtsausschusses, § 89b Abs. 1 in seiner bis 2009 geschriebenen Fassung entspräche der RL.12 Im Vertragshändlerrecht hat der Ausgleichsanspruch eine wechselhafte Geschichte.13 Erst- 4 mals wurde er 1958 durch den BGH14 zuerkannt. Ursprünglich wurde für die Analogie eine Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers gefordert. Sie wurde regelmäßig wegen des Handlungsungleichgewichts bei Abschluss des Vertragshändlervertrages bejaht.15 Im Jahr 1981 änderte der seit dem 1.1.1960 zuständige VII. Senat des BGH seine Rechtsprechung: Er forderte ein wirtschaftliches Ungleichgewicht als Analogievoraussetzung. Dieses nahm er nur an, wenn der Vertragshändler im Wesentlichen ohne eigenen Kapitalansatz seiner Arbeit nachging.16 Da eine Tätigkeit des Vertragshändlers ohne eigenen Kapitaleinsatz praktisch ausgeschlossen war, konnte der Ausgleichsanspruch faktisch nicht mehr durchgesetzt werden.17 Nachdem die Zuständigkeit für die Vertriebsrechtsangelegenheiten auf den I. Senat des BGH überging, gab dieser 1977 das Kriterium der Schutzwürdigkeit als Voraussetzung einer analogen Anwendung auf.18 Im Verlauf der nächsten Jahre wurden die Anspruchsvoraussetzungen einer analogen Anwendbarkeit konkretisiert.19 Der heutige Entwicklungsstand wird unter Rn 30 ff, 398 ff. wiedergegeben. Mittels Art. 6a des Gesetzes v. 31.7.200920 wurde § 89b in Umsetzung der auf ein Vorlagever- 5 fahren des LG Hamburg ergangenen Entscheidung des EuGH v. 26.3.200921 novelliert und der bisherige Abs. 1 Nr. 2, der Provisionsverluste des HV als zwingende TB-Voraussetzung vorsah, gestrichen. Anders als das die Novelle herausfordernde EuGH-Urteil, welches nur für die von der RL erfassten Waren-HV und damit nicht für VV, Vertragshändler- und Franchisenehmer, galt, ergreift die Novellierung des § 89b, bei VV über den in Abs. 5 enthaltenen Verweis, alle Mittler, ggf. analog.22 Nach § 89b Abs. 1 Nr. 1–3 in der zuvor geltenden Fassung und der zu ihr ergangenen Rspr. deutscher Gerichte besaßen die Anspruchsvoraussetzungen der 3 Spiegelstriche dieses Absatzes kumulativen Charakter und begrenzten einander (Wortlaut des § 89b Abs. 1:

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. BT-Drucks. 11/3077. Vgl. BT-Drucks. 11/4559, S. 9. Vgl. Sandrock in: Lutter/Stimpel/Wiedemann (Hrsg.), FS Fischer, 1979, S. 657 ff.; Thume BB 2016, 578. BGH, Urt. v. 11.12.1958 – II ZR 73/57, BB 1958, 1457 ff. = NJW 1958, 1938 ff. Vgl. Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 469. BGHZ 34, 282. Siehe BGH VersR 1961, 401 ff.; BB 1962, 543 ff.; NJW 1964, 1952 ff.; WM 1975, 1240 ff. BGH, Urt. v. 11.2.1977 – I ZR 185/75, NJW 1977, 896 = BB 1977, 511. Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 470. Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung, BGBl. 16/2512 (2519); zur Novellierung sowie dem ihr zugrundeliegenden EuGH-Urteil Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551; Christoph NJW 2010, 647; Emde DStR 2009, 1478 ff.; ders. WRP 2010, 844; ders. EWiR 2009, 239; Eckhoff BB 2009, 1609; Koch ZIP 2011, 1752; Semler BB 2009, 2327; Thume BB 2009, 2490 ff.; ders. IHR 2011, 7; Steinhauer EuZW 2009, 887; Westphal DB 2010, 1333. Nach Ansicht von Steinhauer EuZW 2009, 887 (888) war eine Gesetzesänderung nicht erforderlich; eine RLkonforme Auslegung hätte genügt. Das Argument von Steinhauer aus dem Wortlaut ist nicht ganz von der Hand zu weisen; eine Anpassung an den RL-Text war angesichts der damit verbundenen Klarheit gleichwohl die richtige Entscheidung. 21 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde); zu dem Urteil und der Gesetzesnovelle Pauly MDR 2013, 694; Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (kritisch); Emde DStR 2009, 1478 ff.; ders. EWiR 2009, 239; Eckhoff BB 2009, 1609; Semler BB 2009, 2327; Thume BB 2009, 2490 ff.; EuGH, Schlussanträge v. 19.11.2008 – C-348/07, BeckRS 2008, 71214. 22 Siehe etwa BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 17 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Thume IHR 2011, 7. 185

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„wenn und soweit“).23 Der Ausgleich konnte nicht höher als der niedrigste Betrag ausfallen, der sich unter einer der 3 Varianten ergab.24 Hingegen fordert Art. 17 Abs. 2 RL nur 2 Voraussetzungen, Unternehmervorteile und Billigkeit. In seinem zur Novellierung führenden Urteil entschied der EuGH,25 abweichend vom Schlussantrag des Generalanwalts,26 eine RL-konforme Auslegung des Art. 17 Abs. 2 lit. a Alt. 2 RL zeige, dass der Ausgleichsanspruch entgegen § 89b Abs. 1 Nr. 2 nicht durch die Höhe der Provisionsverluste begrenzt werde. Provisionsverluste bildeten lediglich einen Unterfall der Billigkeit. Billigkeitsgründe (§ 89b Abs. 1 Nr. 3) könnten den Ausgleich bis zur Höchstgrenze der § 89b Abs. 2, Art. 17 Abs. 2b RL erhöhen. Daraufhin erkannte auch der BGH27 an, dass der Ausgleichsanspruch nicht von vornherein durch die infolge der Vertragsbeendigung entstehenden Provisionsverluste zu begrenzen sei, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten seien. Die Bewertung von Provisionsverlusten sei nicht nach rein rechtlichen Gesichtspunkten, sondern unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Gegebenheiten vorzunehmen.28 Dies entspricht seitdem ständiger Rspr. (näher unten). Jahrzehnte der Kommentargeschichte im Anschluss an die § 89b einführende Novelle vom 6.8.1953 sind seitdem nur nach sorgfältiger Prüfung zu nutzen. Bei Anpassung des § 89b an das RL-Recht mittels der Novelle 1989 hatte man zuviel des § 89b a. F. erhalten wollen;29 der Gesetzgeber bei Umsetzung der RL zu wenig deren Systematik beachtet.30 Die weitreichenden Folgen kamen nicht gänzlich unerwartet.31 Bereits in ihrem vom EuGH zitierten Bericht über die Anwendung des Art. 17 RL v. 23.7.199632 wurden die vom EuGH genannten 3 Schritte der Ausgleichsberechnung dargestellt, ein eigener Prüfungsschrift für Provisionsverluste blieb dort unerwähnt. Ganz konsequent war dieser Bericht gleichwohl nicht: er verneinte die Ausgleichsberechtigung von Neukunden außerhalb des vertraglich zugewiesenen Bezirks mit der Begründung, es fehlten insoweit Provisionsverluste des HV.33 Die Folgen, die aus der Novellierung zu ziehen sind, werden unterschiedlich beurteilt.34 Ob die Neuregelung seit dem 5.8.2009 auch für Verträge gilt, die vor diesem Datum ge6 schlossen oder beendet wurden, ist umstritten: Nach einer Ansicht zum Übergangsrecht ist dies der Fall.35 Das Gesetz enthalte nämlich keine Übergangsbestimmung; es sei daher das zum Zeitpunkt der Verkündung des Endurteils maßgebliche Recht anzuwenden.36 Nach der Gegenansicht, die auch vom BGH vertreten wird, ist § 89b in seiner seit 5.8.2009 geltenden Fassung nur auf Fälle anwendbar, in denen der Ausgleichsanspruch nach diesem Datum fällig wurde.37 Die-

23 Vgl. zu dieser Ansicht die Analysen bei Emde DStR 2009, 1478 ff.; Thume BB 2009, 2490 ff.; Westphal DB 2010, 1333. AA für den alten Gesetzestext Steinhauer EuZW 2009, 887 (888). EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). EuGH, Schlussanträge v. 19.11.2008 – C-348/07, BeckRS 2008, 71214. BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 33 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 33 m. Anm. Lang/Klein, Kfz-Vertragshändler. Gegen die Empfehlung der SPD-Fraktion, s. BT-Drucks. 11/4559, S. 9. Siehe nur Emde DStR 2009, 1478 ff.; Thume BB 2009, 2490; Steinhauer EuZW 2009, 887. Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in den Mitgliedsstaaten der EU, Diss. iur Köln 1994, S. 101 hielt die Altfassung des § 89b für zulässig und verneinte einen Umsetzungsfehler des deutschen Gesetzgebers. 31 Thume BB 2004, 2475; Fischer ZVglRWiS 101 (2002), 154. 32 COM (96) 364 final. 33 Bericht über die Anwendung des Art. 17 RL, COM (96) 364 final, S. 2. Die richtige Begründung wäre wohl gewesen, dass der HV nicht in Ausübung seiner vertraglichen Tätigkeit handelte und deshalb auch keine vertragliche Gegenleistung erhält. Zumindest wäre die Vertragswidrigkeit billigkeitsrelevant. 34 Zurückhaltend etwa Niebling WRP 2012, 1361 (1364); Westphal DB 2010, 1333. 35 Thume BB 2009, 2490 (aA aber Thume IHR 2012, 70; Thume IHR 2011, 7 [9]); i. E. ist auch BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 14 noch so verstanden worden. 36 Baumbach/Hartmann § 300 Rn 7. 37 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252 (VV); Beschl. v. 21.2.2013 – VII ZA 14/12, EWiR 2013, 485 (Emde); Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR

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se Ansicht weist darauf hin, dass das Gesetz keine Rückwirkungsbestimmung enthält und ein auf Rückwirkung gerichteter Gesetzeswille nicht hinreichend sicher feststellbar ist.38 Begründet wird diese Auffassung ferner mit dem aufgehobenen Art. 170, 232 § 1 EGBGB sowie dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass ein Schuldverhältnis nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen dem Recht untersteht, welches zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Entstehungstatbestandes galt.39 Für das Warenvertreterrecht ist dieser Streit von geringerer Bedeutung. Denn jedenfalls in diesem Bereich gibt die Gesetzesänderung nur die bereits zuvor kraft RL-konformer Auslegung geltende Rechtslage wider, so dass diese Auslegung zum selben Ergebnis führt.40 Bei Nichtwarenvertretern, etwa Versicherungs-, Bauspar- und Dienstleistungsvertretern, wird im Ergebnis das Selbe gelten müssen,41 solange keine Sondervorschrift – wie etwa § 89b Abs. 542 – den Willen des Gesetzgebers ergibt, dass eine solche ausscheidet. Angesichts dessen, dass vor der Novellierung fällige Ausgleichsansprüche zunehmend auch gerichtlich „abgearbeitet“ sein werde, dürfte der Streit insgesamt an Bedeutung verlieren. Meyer43 stellt die Frage, ob die richterrechtlichen Grundsätze der bisherigen Ausgleichsbe- 7 rechnung noch verfassungsgemäß seien, nachdem das BVerfG gegen ausufernde freie Rechtsschöpfung der Gerichte vorgehe. Das Fortbestehen der klassischen Berechnungsweise führe dazu, dass trotz der Novelle 2009 der Ausgleich weiterhin anhand der Provisionsverluste und nicht der Unternehmervorteile bestimmt werde.

III. Europarechtliche Präformation Die bereits unter Rn 3 erwähnte RL der seinerzeitigen EG aus dem Jahre 198644 nivellierte den 8 disparaten Regelungsstandard in den seinerzeitigen Mitgliedsstaaten45 und überließ es in ihrem Art. 17 den Mitgliedstaaten, entweder einen Ausgleichsanspruch gem. Art. 17 Abs. 2 RL oder einen Schadensersatzanspruch nach Art. 17 Abs. 3 RL in die nationale Gesetzgebung aufzunehmen. Das Ausgleichsrecht ist nach Art. 19 RL zwingend.46 Durch das Ausgleichsmodell soll der HV einen Anspruch gegen den Unternehmer erlangen, wenn und soweit er für den Unternehmer neue Kunden geworben und/oder die Geschäftsverbindungen mit bereits akquirierten Kunden wesentlich erweitert hat, der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden nach der Beendigung des Vertragsvherhältnisses noch eine erhebliche Weile Vorteile zieht sowie die Zahlung des Ausgleichs billig ist. Deutschland hat Art. 17 Abs. 2 RL umgesetzt und sich damit für das Ausgleichsmodell entschieden. Das Schadensersatzmodell ist in Art. 17 Abs. 3 RL statu2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde); OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 24; Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1554); Genzow IHR 2014, 133 (134); Thume VersR 2012, 665 (666); Thume IHR 2012, 70; Thume IHR 2011, 7 (9). 38 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde); Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1554); Thume IHR 2011, 7 (9). 39 BGH, Beschl. v. 21.2.2013 – VII ZA 14/12, EWiR 2013, 485 (Emde); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 24; Thume IHR 2012, 70; IHR 2011, 7 (9). 40 Thume BB 2009, 2490. 41 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 19; v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 (Vertragshändler); aA BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 24; Thume IHR 2011, 7 (9). 42 BGH, Beschl. v. 21.2.2013 – VII ZA 14/12, EWiR 2013, 485 (Emde); Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 24. 43 Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356). 44 Richtlinie 86/653/EWG, ABl. EG L 382 v. 31.12.1986, S. 17 ff. 45 Zum Rechtszustand vor der RL Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 18 ff. 46 S. EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) Rn 40 – Unamar. 187

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iert und gewährt dem HV Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Unternehmer entstanden ist. Für die Berechnung der Entschädigung nach dem Schadensersatzmodell fehlen oft zuverlässige Anhaltspunkte. Die dieses Modell betreffende Regelung wird als die am Wenigsten verständlichste Vorschrift der RL angesehen.47 Grund hierfür ist die Tatsache, dass Frankreich erst während der Beratungen über den Erlass der RL auf die Aufnahme des Schadensersatzmodells bestand und es folglich an erläuternden Protokollen für das bessere Verständnis und die Auslegung der Vorschrift fehlt.48 Anders als das Ausgleichsmodell in Art. 17 Abs. 2 RL nennt das Schadensersatzmodell des Art. 17 Abs. 3 RL keine Höchstgrenze.49 Auch erfolgt keine Differenzierung zwischen Alt- und Neukunden des HV. Kompensiert werden soll der verlorene Marktanteil des HV zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung.50 Frankreich hat das auf seine Initiative eingefügte51 Schadensersatzmodell umgesetzt.52 Großbritannien überlässt es den Parteien, ob sie sich für einen Schadenersatz- oder Ausgleichsanspruch entscheiden,53 wobei das Schadenersatzmodell zu weit höheren Forderungen führt. In den Mitgliedsstaaten, in denen die Umsetzung der RL i. S. e. Ausgleichslösung erfolgte, wird auf die deutschen Erfahrungen bei der Anwendung des § 89b zurückgegriffen. Deshalb gibt der zur RL verfasste Bericht der Kommission v. 23.7.199654 die deutsche Rspr. zu § 89b im Kurzüberblick wider, verbunden mit dem Hinweis, sie biete Rechtsanwendern anderer Staaten Hilfestellung und Orientierung.55 Obwohl der Ausgleich durch die RL präformiert ist, gelang es auch wegen der Zweiteilung 9 des Ausgleichsrechts in Schadenersatz- und Ausgleichslösung nicht, einen einheitlichen europäischen Status herzustellen. Es ergeben sich zudem erhebliche Abweichungen bei der Bemessung der Höhe des Ausgleichs in den einzelnen EU-Ländern.56 In Belgien besteht etwa ein weiter Beurteilungsspielraum der Gerichte bei der Ermittlung der Höhe des Ausgleichs. Dänemark kennt keine dem deutschen Recht vergleichbare mathematische Berechnungsmethode. Französische Gerichte beziffern den Ausgleich meist pauschal in Höhe einer Zweijahresprovision.57 Das italienische Recht gab bis zu Entscheidungen des EuGH58 sowie des italienischen Kassationshofes59 einen geringeren Ausgleich als das deutsche Recht.60 Britische Gerichte verneinen, abweichend von der deutschen Rechtsprechung, die HV-Eigenschaft eines Tankstellenpächters und damit sein Ausgleichsrecht.61 Ein Mittler, der für einen Hersteller von Fenstern 47 Kiene RIW 2007, 287. 48 Fock Die europäische Handelsvertreterrichtlinie, 2000, S. 150; Kiene RIW 2007, 287. 49 Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 52 – sie kann nach Westphal auch nicht im Wege der Analogie in die RL hineininterpretiert werden.

50 Kiene RIW 2007, 287 (288). 51 Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in den Mitgliedsstaaten der EU, Diss. iur Köln 1994, S. 4. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Stade IHR 2016, 49 (51 ff.); Kiene RIW 2007, 287 (288). S. Gräfe ZVertriebsR 2016, 204 (205). Dieses Wahlrecht ist wohl mit dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 RL vereinbar. Bericht der Europäischen Kommission über die Anwendung von Art. 17 der HV-Richtlinie, COM (96) 364. Zum Einfluss deutschen Ausgleichsrechts auf die Rechtsprechung nationaler Gerichte anderer EG-Staaten Krusche EWS 2001, 523. 56 Krusche EWS 2001, 523. 57 Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Stade IHR 2016, 49 (52); Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (279); Klein RIW 2002, 348 (351); Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. XI Rn 51; Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 52; zum französischen Ausgleichsrecht auch Kiene RIW 2007, 287 ff. Nicht selten wird auch eine niedrigere Entschädigung gewährt, die der Summe der während der Laufzeit bezogenen Provisionen entspricht (Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173). Angesichts dessen empfiehlt Kutscher-Puis (KutscherPuis ZVertriebsR 2018, 173 [174]) die Vereinbarung deutschen Rechts. 58 EuGH – C-465/04, NJW 2006, 3701. 59 V. 3.10.2006, Nr. 21309. 60 Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (278). 61 Gary Parks vs. Esso, Supreme Court of Judicature in the Court of Appeal, CHANI 98/1482/3; zit. nach Sellhorst EWS 2001, 481.

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warb, wurde als nicht ausgleichsberechtigter HV im Nebenberuf angesehen, da Fenster überwiegend nur einmal gekauft würden.62 Das europäische Vorbild hat mittlerweile auf andere Länder abgefärbt; das deutsche Vorbild hat etwa in der Türkei zu einer an § 89b a. F. angelehnten Vorschrift geführt.63 Ob die RL durch die Novelle 2009 zutreffend umgesetzt wurde, ist nach wie vor Gegenstand 10 der Diskussion: – § 89b Abs. 1 fordert Unternehmervorteile aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden. Art. 17 Abs. 2 lit. a Spiegelstrich 1 RL nennt nur die Werbung neuer Kunden und fordert eine Geschäftsverbindung erst im Zusammenhang mit der Intensivierung der Altkundenbeziehung. Dazu und zur Frage eines Umsetzungsfehlers Rn 150. – Die RL stellt in Art. 17 Abs. 2 lit. a 1. Spiegelstrich den Altkunden einem neugeworbenen Kunden gleich, sobald der HV die Geschäftsverbindung wesentlich erweitert hat. Es fehlt mithin in der RL die Ergänzung des § 89b Abs. 1 S. 2, wonach die Geschäftserweiterung wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden zu entsprechen hat. Dazu Rn 142. – Art. 17 Abs. 2 lit. b RL stellt bei der Berechnung der Höchstgrenze des Ausgleichs auf den tatsächlichen Empfang der Vergütung ab. Nach § 89b Abs. 2 bildet hingegen das tatsächlich Empfangene nicht notwendigerweise die Höchstgrenze.64 Daraus könnte man auf einen Umsetzungsfehler schließen (näher unten). – Gem. Art. 17 Abs. 4 RL steht der Ausgleichsanspruch dem HV auch zu, wenn der Vertrag durch dessen Tod endet. Dies entspricht seit Jahrzehnten der deutschen Rspr. Ein Umsetzungsfehler dürfte fehlen, weil laut § 89b Abs. 1 der Ausgleichsanspruch infolge des Vertragsendes entsteht und der Tod des HV den Vertrag nach §§ 675, 673 BGB zumindest „im Zweifel“ beendet. Darüber ließe sich aber diskutieren, zumal auch hier nicht geregelt wurde, dass der Ausgleich bei Eintritt dieses Beendigungsgrundes zwingend fällig wird. – Gem. Art. 18 lit. a RL besteht der Ausgleichsanspruch nicht, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des HV beendet (engl.: „terminated“) hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt (Kausalitätserfordernis). Zwar wird eine Kausalität zwischen dem schuldhaften Verhalten des HV und der Vertragsbeendigung verlangt. Es wird jedoch von der RL, abweichend von § 89b Abs. 3 Nr. 2, keine tatsächlich ausgesprochene fristlose Kündigung gefordert, so dass nach der RL, anders als nach dem Wortlaut des § 89b Abs. 3 Nr. 2, z. B. auch eine Aufhebungsvereinbarung oder eine ordentliche Kündigung zum Ausgleichswegfall führt, die aufgrund des schuldhaften Verhaltens des HV geschlossen wurde. – Laut Art. 18 lit. b RL erlischt der Anspruch des HV auf Ausgleich, sofern der HV das Vertragsverhältnis beendet hat, es sei denn, diese Beendigung ist aus Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, gerechtfertigt, derentwegen dem HV eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann. Einen „begründeten Anlass“ zur Kündigung, wie von § 89b Abs. 3 Nr. 1 vorausgesetzt, fordert die RL damit nicht. Dazu unten. – Art. 18 lit. b RL kennt neben den TB-Merkmalen Alter und Krankheit noch den Begriff des Gebrechens. Dazu sowie zu der Frage eines Umsetzungsfehlers unten. – Zu § 89b Abs. 4 und Art. 19 RL, unten Rn 446. Art. 17 und 18 RL kommt entscheidende Bedeutung zu, da sie das Schutzniveau definieren, wel- 11 ches der Unionsgesetzgeber für die HV im Rahmen der Schaffung des Binnenmarktes für angemessen hielt.65 Aus dem Wortlaut der Art. 17 Abs. 2 und 3 RL ergibt sich, dass die dort vorgese62 Colin Stewart Hunter vs. Zenith Windows, Urt. v. 13.6.1997, Case No. 507457; zit. nach Sellhorst EWS 2001, 481. 63 Art. 122 türkisches HGB; s. LG Aachen, Urt. v. 17.7.2009 – 43 O 21/04, BeckRS 2011, 08422; zum alten türkischen Recht Bozbel RIW 2011, 125.

64 Thume BB 2004, 2473 (2475). 65 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 34, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 189

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hene Ausgleichs- und Schadensersatzregelung keine Sanktion für die Vertragsauflösung ist. Vielmehr soll der HV für die von ihm erbrachten Leistungen entschädigt werden.66 Die Art. 17 und 18 RL bestimmen damit den Rahmen, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Methoden zur Berechnung des zu leistenden Ausgleichs oder Schadensersatzes besitzen.67 Der Wortlaut des Art. 17 RL sollte nicht zu eng ausgelegt werden, da der EuGH entschieden hat, dass eine Auslegung des Art. 17 nur zulässig ist, wenn sich ausschließen lässt, dass sie sich für den HV als nachteilig erweist.68 Art. 18 RL hingegen ist als Ausnahme vom Anspruch auf Ausgleich und auf Schadenersatz eng auszulegen.69 Es ist keine Auslegung des Art. 18 zulässig, die einen dort nicht genannten Ausschlussgrund hinzusetzt.70 Bei der Auslegung beider Vorschriften ist der Zweck der RL zu berücksichtigen, die unter anderem die Interessen des HV gegenüber dem Unternehmer schützen soll.71 Art. 17 Abs. 2 RL ist folglich in einem Sinne auszulegen, der zu diesem Schutz des HV beiträgt und seine Verdienste beim Zustandekommen der ihm anvertrauten Geschäfte vollständig berücksichtigt.72 Außerhalb dieses Rahmens besitzen die Mitgliedsstaaten Gestaltungsspielraum bei der Ausgleichsberechnung.73 Der EuGH74 stellt klar, dass der in Art. 17 Abs 2 RL normierte Ausgleich für die Mitglieds12 staaten zwingendes Recht bildet. Art. 17 Abs. 2 RL regelt jedoch keine Details der Ausgleichsberechnung.75 Die Mitgliedsstaaten besitzen innerhalb des durch Art. 17 RL gesetzten Rahmens Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Kalkulationsmethode. Der EuGH kann nur überprüfen, ob eine nationale Regelung jenen Spielraum überschreitet. Um an den von der RL gesetzten Rahmen zu erinnern, nennt der EuGH76 die 3 von ihr vorgegebenen Rechenschritte (Bestimmung der Unternehmervorteile, Billigkeitsprüfung und Begrenzung durch den Höchstbetrag).77 Zum zeitlichen Anwendungsbereich der Artt. 17, 18 RL nahm der EuGH in seiner Entschei13 dung zur „Probezeit“ des HV Stellung: Aus dem Wortlaut der Art. 17 Abs. 2 und 3 RL ergibt sich, dass die dort vorgesehene Ausgleichs- und Schadensersatzregelung keine Sanktion für die Vertragsauflösung ist. Vielmehr soll der HV für die von ihm erbrachten Leistungen entschädigt werden. Daher darf der Ausgleich oder der Schadensersatz nicht allein deshalb versagt werden, weil

66 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 28, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 67 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12 Rn 40, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. von Bodungen BB 2014, 403 sowie Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 – Unamar. 68 Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 46. Zu dieser Rspr. siehe Vor § 84 zur handelsvertreterfreundlichen Auslegung. 69 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 31, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 70 EuGH, a. a. O., BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19, WM 2020, 2386. 71 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 33 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175; Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 Rs. C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 25; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 26, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 72 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 33 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175; Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 Rs. C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 25. 73 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100. 74 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100. 75 S. bereits Semler, in: FS Wegen, 2015, S. 743 (747). 76 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100. 77 S. Bericht der Kommission über die Anwendung des Art 17 RL v. 23.7.1996 (KOM(96) 364 endg). Emde

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die Beendigung des HV-Vertrags während einer Probezeit eingetreten ist.78 Auch während einer Probezeit besteht eine Rechtsbeziehung zwischen einem HV und einem Unternehmer i. S. d. Art. 1 RL ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses.79 In Art. 18 RL werden die Fälle, in denen kein Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruch besteht, abschließend aufgeführt. Die Beendigung der Probezeit wird dort nicht erwähnt. Zudem ist Art. 18 als Ausnahme vom Anspruch auf Ausgleich und auf Schadenersatz eng auszulegen.80 In Folge dessen kann er nicht in einer Weise ausgelegt werden, die darauf hinausliefe, dass ein dort nicht ausdrücklich vorgesehener Grund für den Ausschluss des Ausgleich- und des Schadensersatzanspruchs hinzukommt.81 Außerdem läge eine Abweichung i. S. d. Art. 19 RL vor, wenn an die Vereinbarung einer Probezeit in einem HV-Vertrag ein Ausschluss des Ausgleichs- und des Schadensersatzanspruches geknüpft würde.82 Die Art. 17, 18 RL besitzen keinen abschließenden Charakter: So entnahm der EuGH83 14 Art. 17 Abs. 2 lit c RL, demzufolge die Ausgleichsleistung nicht das Recht des HV ausschließt, Schadensersatz geltend zu machen, dass der HV über den Ausgleich hinausgehenden Schadensersatz fordern darf. Eine gegenteilige Auslegung wäre auch kaum vom Text des Art 17 RL gedeckt, und zwar unabhängig davon, ob man die RL – wie vom EuGH im Urt. v. 26.3.2009 – C-348/0784 und später85 gefordert – im HV-freundlichsten Sinne auslegt (dazu Kommentierung zu Vor § 84). Die durch die RL erstrebte Harmonisierung bezwecke, so der EuGH, nicht, sämtliche Entschädigungsmöglichkeiten zu vereinheitlichen, auf die sich HV nach nationalem Recht berufen könnten. Den Mitgliedsstaaten sei es gestattet, einen über die Vorgaben der RL hinausgehenden Schutz für HV einzuführen. Sie dürften dabei nur nicht die Regelungen der RL konterkarieren. Weder die RL noch ihr Art. 17 Abs. 2 lit. c bestimmten die Voraussetzungen, unter denen dem HV Schadensersatz zustehe. Es sei Sache der Mitgliedsstaaten, jene Bedingungen in Wahrnehmung des ihnen zugebilligten Gestaltungsspielraums festzulegen sowie zu regeln, ob Schadenersatzansprüche von einem Verschulden abhängig seien, welches im kausalen Zusammenhang mit dem Schaden stehe. Andererseits könne der in der RL geregelten Ausgleichshöchstgrenze sowie der systematischen Unterscheidung des Ausgleichs- und Schadenersatzsystems der Abs. 2 und 3 des Art. 17 RL („Kumulierungsverbot beider Systeme“) entnommen werden, dass sich der Schadensersatz auf einen Schaden beziehen müsse, der sich von dem durch die Ausgleichszahlung abgedeckten unterscheide.86 Jenem Schluss wird man zustimmen können. Denn wenn der Ausgleichsbetrag unter dem Titel des Schadensersatzes über die Höchstgrenze hinaus erweitert werden könnte, bliebe jene Grenze ohne Bedeutung. Wenngleich damit feststeht, dass ein mit dem Ausgleichsanspruch

78 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 28, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 79 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 26, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 80 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 31, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 81 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 31, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 82 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 32, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 83 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100. 84 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde) Rn 21, 23. Nota bene: Zur HV-freundlichsten Auslegung kommt es nicht, sofern andere Auslegungsmethoden (Wortlaut, Systematik, Teleologie, Historie) ein sicheres Ergebnis bringen. Weil dies im vom EuGH entschiedenen Fall so war, musste die Entscheidung nicht in allen Punkten die HV-freundlichste Auslegung einnehmen. 85 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 35, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 86 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100. Die Aussagen sollen auch im Bereich der Analogie zu § 89b gelten, s. Franke IHR 2016, 100 (104). 191

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nicht identischer (inkongruenter) Schaden neben dem Ausgleich gefordert werden darf, lässt die Entscheidung offen, welcher zusätzliche Schaden als inkongruenter liquidiert werden darf. Obwohl der EuGH87 den Verlust der Provisionen des HV in seinen Ausführungen zum Kumulierungsverbot des Art. 17 Abs. 2 und 3 RL als vom Ausgleich abgedeckten Schaden nennt, fordert weder Art. 17 Abs. 2 RL noch § 89b Provisionsverluste oder einen Schaden des HV als Ausgleichsvoraussetzung. Verlangt werden nur Vorteile des Unternehmers. Zwar wird der durch das Vertragsende eintretende Schaden des HV regelmäßig im Verlust der Provisionen liegen, die im Falle der Vertragsfortsetzung geleistet worden wären. Entgehende Provisionen bilden jedoch sowohl unter Art. 17 Abs. 2 RL wie dem seit 2009 geltenden § 89b lediglich ein Billigkeitsmerkmal und kein TBMerkmal. Das wird etwa im Falle der Weiterzahlung von Provisionen nach Vertragsende (Sukzessivlieferverträge) oder der Gewährung von Einmalprovisionen relevant. M. a. W.: Provisionsverluste sind zwar eine naheliegende „Schadensfolge“ des Vertragsendes, aber keine immer gegebene. Da mithin ein typisches „Leitbild“ des durch die Vertragsbeendigung entstehenden Schadens fehlt, bleibt die Abgrenzung schwierig.88 Anzunehmen ist, dass der zusätzliche, neben dem Ausgleich ersatzfähige Schaden leitbildartig einen anderen Charakter tragen soll als den Verlust bloßer Provisionen. Das ist jedoch nicht zwingend, und zwar insb. dann nicht, wenn der Ausgleich nicht auf der Basis der Provisionsverluste berechnet wird. Dann stellt sich die Frage, an welchem Maßstab die Kongruenz gemessen wird: an der Ausgleichskalkulation des Einzelfalles (naheliegend, würde aber dazu führen, dass HV eine an Provisionsverlusten orientierte Ausgleichsberechnung vermeiden, falls sie Schadenersatz fordern wollen) oder an den üblicherweise durch den Ausgleich abgedeckten Provisionsverlusten (denkbar). Ein nicht mit dem Ausgleich kongruenter Schaden könnte etwa durch den Verlust von Folgegeschäft mit „Mitnahmeartikeln“ entstehen.89 Nach Art. 17, 18 RL ist der HV ist für den Wert des für den Unternehmer aus der Geschäftsbe15 ziehung mit dem Kunden erwachsenen goodwill zu entschädigen. Folglich braucht kein Ausgleich gezahlt zu werden, falls kein goodwill entstanden ist oder es um eine Kundengruppe geht, aus der der Unternehmer keinen Vorteil ziehen kann.90 Die RL folgt eher einem geschäftsorientierten als einem personenorientierten Ansatz.91 Der Begriff „neue Kunden“ des Art. 17 Abs. 2 RL sollte in diesem Licht betrachtet und nicht nur auf eine einzelne natürliche oder juristische Person beschränkt sein, die Kunde sein kann. Er sollte vielmehr dahin verstanden werden, dass er bestimmte Aspekte des eigentlichen Geschäftsabschlusses zwischen Kunde und Unternehmer umfasst.92 16 Die RL ist für die Mitgliedsstaaten zwingend. Für die Parteien ist sie nach Art. 19 RL nur insoweit zwingend, als sie vor Vertragsablauf keine Vereinbarung treffen dürfen, die von den Artt. 17/18 RL zum Nachteil des HV abweicht. Die Parteien dürfen also für den HV günstigere Ausgleichsbestimmungen vereinbaren, als von den Artt. 17/18 RL vorgesehen. Namentlich dürfen die Parteien regeln, dass der HV Ersatz für Schäden fordern darf, die bereits durch die Ausgleichszahlung der Artt 17/18 RL abgedeckt werden. Nur den Mitgliedsstaaten ist es verwehrt, in ihren Gesetzen vorzusehen, dass trotz Schadensidentität ein neben den Ausgleichsanspruch tretender Schadensersatz zu leisten ist. 17 Für den in Frankreich. umgesetzten und in Großbritannien von den Parteien wählbaren Schadenersatzanspruch nach Art. 17 Abs. 3 RL hätte der EuGH wohl abweichend entscheiden müssen.93

87 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100. Emde EuZW 2016, 218. Emde EuZW 2016, 218. Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 28. Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 47. Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 48. Emde EuZW 2016, 218.

88 89 90 91 92 93

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Denn Art. 17 Abs 3 RL kennt, anders als Art. 17 Abs 2 RL, keine Höchstgrenze. Das Kumulierungsverbot würde einer Erhöhung des Anspruchs aus Abs. 3 ebenfalls nicht entgegenstehen, höchstens das Gebot der Abgeschlossenheit der RL-Vorschriften, wollte man ein solches anerkennen.94

IV. Bedeutung des § 89b § 89b zählt neben § 89a zu den wirtschaftlich und forensisch bedeutendsten Vorschriften des 18 HV-Rechts.95 Die Prozessträchtigkeit der Norm hat mehrere Gründe. Zum einen sinkt nach Vertragsende die Hemmschwelle beider Parteien, insbesondere des wirtschaftlich meist unterlegenen HV,96 die Konfrontation und damit gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Zum anderen sehen die Unternehmer zu diesem Zeitpunkt wenig Anlass, Zahlungen, vermeintlich ohne Gegenleistung, an den Mittler zu richten.97 Und schließlich sind die Voraussetzungen des § 89b häufig streitig und die Ausgleichsberechnung und -durchsetzung im Wege des „Postenprozesses“98 schwierig,99 was an der unnötig komplizierten Berechnung100 und dem „Hin und Her“ zahlreicher positiver und negativer Anspruchsvoraussetzungen und nicht zuletzt der Ausfüllung der Norm durch nicht kodifiziertes Richterrecht liegt.101 Vertriebsrecht ist „Richterrecht pur“.102 § 89b ist damit ein Geschenk für spezialisierte Anwälte und der Schrecken der meist zuständigen Kammern für Handelssachen. Die Rechtsunsicherheit des § 89b lässt den Ausgang jedes Prozesses im ungewissen.103 Martinek104 bezeichnet den Ausgleich als Fehlentwicklung mit ärgerlichen Ausmaßen und ein viel beklagtes Justizübel. Dem darf für die wenig schematisierte und lokal – nicht nur im Vertragshändlerrecht – verschieden gehandhabte Berechnungsweise zugestimmt werden, nicht aber für den Ausgleich dem Grunde nach. Der BGH kann die Einheitlichkeit der Rspr. nur partiell sichern, was nicht nur an den strengen Revisionsvorschriften, der erschreckenden Zunahme der Beschlüsse nach § 522 ZPO, sondern auch an der bislang liberalen Kontrolle durch den BGH, insb. bei der Akzeptanz divergierender Rechenwege, liegt. Ziel von Wissenschaft und Praxis sollte es sein, einfach handhabbare Berechnungswege zu 19 entwickeln. Schematisierungen sind angebracht, auch um zeit- und kostenintensive Beweiserhebungen zu vermeiden. Die Münchner Formel zum Vertragshändlerrecht,105 die Regelwerke der Versicherungswirtschaft und die Entscheidung BGH DB 2000, 967, welche für das Vertragshändlerrecht – entsprechendes gilt im HV-Recht – die Schätzung der Ausgleichshöhe nach § 287 ZPO zulässt, gehen in die richtige Richtung und bezwecken eine Vereinfachung der Ausgleichsberechnung.106

94 Emde EuZW 2016, 218. 95 Hopt § 89b Rn 1. 96 Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in den Mitgliedsstaaten der EU, Diss. iur Köln 1994, S. 29 f.

97 Thume BB 2004, 2473; BB 2009, 2490. 98 Hopt NJW 2005, 3123. 99 BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 461 (463); Wauschkuhn ZVertriebsR 2018, 275 (277). 100 Valdini EWiR 2017, 692, der zur Vereinfachung rät. 101 Kritisch auch Thume BB 2004, 2473. Verfassungsmäßige Bedenken an diesem wenig kodifizierten Richterrecht äußert Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356). 102 Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356); Hopt NJW 2005, 3123. 103 Karsten Schmidt Handelsrecht, § 27 V 2g. 104 FS für Gerhard Lüke, 1997, 409 ff.; ders. ZHR 161 (1997); 67 ff.; ähnlich Hirsch in: FS Tiburtius, 1964, 383 ff. 105 Beschl. des LG München I v. 3.8.1998 – 15 KKO 23905/97; vgl. die ausführliche Wiedergabe bei Emde VersR 1999, 1474; Kainz/Lieber/Puszkajler BB 1999, 434; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, S. 153 ff.; mitgeteilt auch von Kümmel DB 1998, 2407; s. a. MDR 1998, 1489. 106 Siehe Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). 193

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V. TB-Merkmale des § 89b 1. Überblick 20 Für das Entstehen des Anspruchs müssen nach dem Gesetzestext kumulativ fünf positive Tatbestandsmerkmale erfüllt sein, davon vier materielle und ein formelles, wobei man sich bei einzelnen Merkmalen streiten kann, ob es sich um positive oder negative107 TB-Voraussetzungen handelt. Diese Frage trifft etwa die Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4, die als positives Tatbestandsmerkmal formuliert ist, ihrem üblichen Titel „Ausschlussfrist“ nach jedoch eher als negatives Tatbestandsmerkmal einzuordnen ist. Folgende positive Tatbestandsmerkmale müssen erfüllt sein: Erstens muss der HV-Ver21 trag beendet sein (1). Zweitens muss der HV dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert haben (2). Drittens ist es erforderlich, dass der Unternehmer aus diesen neu geschaffenen Geschäftsverbindungen wahrscheinlich nach Auflösung des HV-Vertrages erhebliche Vorteile ziehen kann (3). Viertens hat die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem HV entstehenden Provisionsverluste, der Billigkeit zu entsprechen, wobei das früher als viertes TBMerkmal apostrophierte Merkmal der Provisionsverluste108 sich zum hervorgehobenen Billigkeitsmerkmal der dem HV entgangenen Provisionen reduzierte (4). Und fünftens muss der HV den Ausgleich innerhalb eines Jahres seit Beendigung des Vertrages gefordert haben (5). In dieser Reihenfolge werden die TB-Merkmale hier besprochen. 22 Darüber hinaus gibt es zwei negative Tatbestandsmerkmale, nach deren Eintritt der Ausgleich nicht oder nur in reduzierter Höhe entsteht. Erstens darf der zu leistende Ausgleich die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 nicht übersteigen (6). Zweitens darf keiner der Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 vorliegen (7). 23 Der nach Ziffern 1–4 errechnete Ausgleich wird als sog. „Rohausgleich“ bezeichnet.109 Er wird durch die Ausgleichshöchstgrenze nach obiger Ziffer 6 begrenzt. Wird dieser Begrenzungsschritt gegangen, ist das Ziel erreicht: der zu zahlende Ausgleich ist das Rechenergebnis. Dem Höchstbetrag kommt also erst dann Bedeutung zu, wenn der ermittelte Rohausgleich die Höhe einer durchschnittlichen Jahresvergütung übersteigen sollte. Nur falls der Rohausgleich geringer ist, wird vom Unternehmer der vollständige Rohausgleich geschuldet. Übersteigt der Rohausgleich hingegen den Höchstbetrag, muss der Unternehmer nur den Höchstbetrag leisten.

2. Wenn und soweit 24 Fehlt auch nur eines der erforderlichen positiven TB-Voraussetzungen oder greift eines der negativen TB-Merkmale ein, entsteht der Ausgleichsanspruch nicht oder nur soweit, wie dies die TBVoraussetzungen erlauben. Das zeigen insb. die auch in Art. 17 Abs. 2a RL genutzten Worte „wenn und soweit“ des § 89b Abs. 1: Aus dem TB-Merkmal „wenn“ folgt, dass die nachfolgend in § 89b Abs. 1 genannten TB-Voraussetzungen sämtlich vorliegen müssen. Das Merkmal „soweit“ dokumentiert, dass der Mangel eines Merkmals bei einzelnen Kunden nicht zum völligen Wegfall des Ausgleichs sondern nur zur Nichtberücksichtigung dieser Kunden führt. Der Ausgleich kann also niemals höher liegen als die Vorteile des Unternehmers oder die Billigkeit.110 Er darf jedoch seit der Novelle 2009 die Provisionsverluste des HV übersteigen (zur alten Rechtslage Staub/Emde5 § 89b Rn 12). Denn die Ausgleichshöhe hat im Grundsatz nichts mit der Ver107 108 109 110

Sog. „Ausschlusstatbestände“. Hierzu siehe Staub/Emde 5. Aufl. § 89b Rn 9. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 6. Geßler Der Ausgleichsanspruch der Handels- und Versicherungsvertreter, Hamburg 1953, S. 79; Eberstein 8. Aufl. 1999, S. 115. Emde

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provisionierung zu tun. Lediglich die Billigkeit soll auch ausgleichserhöhende Wirkung haben können (dazu unten). Ob die Billigkeit bei RL-konformer Auslegung das Fehlen eines TB-Merkmals ersetzen kann (zweifelhaft, da Art. 17 Abs. 2a dieselben Worte wählt) oder die ausgleichsanhebende Wirkung über die Unternehmervorteile hinausgehen darf, ist umstritten. Mit den Worten „wenn und soweit“ wird zugleich in markanter Form zwischen Grund und Höhe unterschieden.

VI. Separate Ermittlung des Ausgleichs in eigenständigen Verträgen Ausgleichsansprüche für Produkte, deren Vertrieb auf eigenständigen Verträgen beruht, können 25 separat ermittelt werden und müssen nicht als einheitlicher Anspruch geltend gemacht werden. Dies gilt etwa beim Tankstellen-HV für den Tankstelle, Waschstraße und Getränkemarkt betreffenden Ausgleich.111

VII. Zweck des Ausgleichsanspruchs Der Zweck des Ausgleichsanspruchs ist umstritten. Es handelt sich bei § 89b um eine Ausnahmebe- 26 stimmung. Sie weicht von der Regel ab, dass die Gewinnerwartungen der Parteien durch die übliche vertragliche Vergütung abgegolten werden. Praktische Bedeutung hat der Streit um den Normzweck selten, zumal der BGH – anders als der EuGH – Sinn und Zweck des Anspruchs nur selten als Auslegungsmaßstab heranzieht. Für seine Vermittlungstätigkeit erhält der HV Provision. Die vermittelnde Tätigkeit ist damit durch die Provision honoriert. Die Provision ist die Vergütung dafür, dass der HV den Einzelabschluss, nach welchem sie bemessen ist, zustande gebracht hat. Nicht entlohnt ist der Aufbau eines Kundenstammes ständig kaufender Stammkunden, mit denen der Unternehmer auch nach Vertragsende weiter Geschäfte tätigen kann.112 Ein solcher Erfolg kann schon mit der ersten Bestellung, dem ersten Auftrag, in Gang gesetzt sein, wenn dessen Abwicklung den neuen Kunden ein für allemal als Geschäftspartner gewonnen hat. Meist wird es jedoch weiterer Bemühungen des HV um Nachbestellungen – die dann wiederum nur je für sich verprovisioniert werden – bedurft haben. Am Ende steht dann eine Dauer versprechende Geschäftsverbindung, ein Ergebnis, welches über die einzelnen vom HV erreichten Abschlüsse hinausgeht und das stets auf die werbende Tätigkeit des HV zurückzuführen sein muss. Diese Doppelung des Erfolgs ist es, die durch die Provision(en) für den einzelnen Abschluss oder die einzelnen Abschlüsse nicht abgegolten wird und (zunächst) unabgegolten bleibt. § 87 Abs. 1 2. Alt. (Folgegeschäfte) vergütet den Aufbau des Kundenstammes nur während der 27 Vertragslaufzeit. Es handelt sich damit beim Ausgleich um eine kapitalisierte, im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende113 und für Vermittlungsleistungen des HV verdiente114 Restvergütung115 für den Aufbau des Kundenstammes,116 die durch die Provisionen nicht hinreichend honoriert wur111 BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (822) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095; vgl auch OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440 (Ausgleich nur aus dem jeweils beendeten Vertrag). 112 BGH, Urt. v. 15.2.1965 – VII ZR 194/93, BGHZ 43, 154 (161 f.); Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der Richtlinie auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 1 („Herstellung eines goodwill“); Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (283); Karsten Schmidt Handelsrecht 5. Aufl., 1999, § 27 V 2c; Thume BB 2004, 2473; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 5; Hopt § 89b Rn 2. 113 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 24 – Volvo-Vertragshändler („Gegenleistung“); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 5. 114 Siehe BGH, Urt. v. 16.6.2010 – VIII ZR 259/09, ZIP 2010, 1700 = EWiR 2010, 731 (Gillig). 115 Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019, 32 (322); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 14. 116 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 24 – Volvo-Vertragshändler; Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 195

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de117 und deren Fälligkeit an besondere, in § 89b normierte Voraussetzungen gebunden ist, gleichzeitig aber stark durch Billigkeitsgesichtspunkte geprägt ist.118 Oder mit den Worten des EuGH: Aus dem Wortlaut der Art. 17 Abs. 2 und 3 RL ergibt sich, dass die dort vorgesehene Ausgleichs- und Schadensersatzregelung keine Sanktion für die Vertragsauflösung ist. Vielmehr soll der HV für die von ihm erbrachten Leistungen entschädigt werden.119 Es handelt sich folglich um eine vertragsrechtliche Abwicklungsregelung.120 Fraglich ist, ob der Ausgleich auch den Nachteil des HV ausgleichen will, der darin liegt, dass er den von ihm geschaffenen Kundenstamm nach Vertragsende nicht mehr nutzen kann.121 Dafür spricht das jetzt zum Billigkeitskriterium degradierte TB-Merkmal „entgehenden Provisionen“, dagegen die Bestimmung des Ausgleichs als Vergütung für den Aufbau des Kundenstammes. Wenn man das Merkmal so versteht, dass der Nachteil fehlender Kundennutzung im konkreten Vertragsverhältnis ausgeglichen werden soll, ist dem zuzustimmen. Der Mittler darf den Kundenstamm aber anderweitig nutzen, wie der BGH für den Fall des Verkaufs der Kundendatei durch einen Vertragshändler122 oder der nachvertraglichen Tätigkeit für einen Wettbewerber des Unternehmers anerkannt hat. In dieser Situation fehlen auch nicht Nachteile des Mittlers,123 weil sie in Form entgangener Vergütungen vermutet werden. Der Unternehmer hat also keinen Anspruch darauf, den Kundenstamm ohne störende Ansprüche des Mittlers zu nutzen.124 Die Rechtsnatur des Ausgleichs zeigt recht klar die Entscheidung BGH LM Nr. 13a zu § 89b HGB: Selbst wenn der HV ohne Reinverdienst gearbeitet hat, kann ihm ein Ausgleichsanspruch zustehen. Es handelt sich beim Ausgleichsanspruch also nicht um einen Ersatz des infolge der Vertragsbeendigung entgehenden Gewinns, sondern um eine vertragliche Gegenleistung, nicht anders als die meisten anderen handelsrechtlichen Ansprüche. Er steht damit auch anderen Vertriebsmittlern als HV zu, welche in Ausführung ihrer Vertriebspflicht einen Kundenstamm werben und diesen dem Unternehmer übergeben. Den Zweck unterstreicht die wiederholte Erwähnung der Kunden, mit denen der HV eine Geschäftsverbindung aufgebaut haben muss. Da der Wert des übergebenen Kundenstamms erst zum Vertragsende im Wege einer Prognose geschätzt werden kann, ist die Vergütung für seinen Aufbau erst dann fällig. 28 Der Ausgleich ist ein Vergütungsanspruch125 sui generis, bestehend aus Entgelt- und Billigkeitskomponenten.126 Staub/Brüggemann 4. Aufl.127 betonte, der Kundenstamm sei während der Dauer des Vertragsverhältnisses beiden – dem Unternehmer und dem HV – zu Nutzen gewesen. Durch das Ende des Vertrages sei die Ausgewogenheit dieses Nutzungsverhältnisses 2009, 116 = EWiR 2009, 611 (Emde) = BB 2010, 335 Rn 24 m. Anm. Salomon/Wegstein; BGHZ 56, 290 (294); 24, 30 (33); OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.5.2013 – I-16 U 36/12, BeckRS 2014, 18249. 117 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 22 – Vertragshändler. 118 BVerfG, Beschl. v. 22.8.1995 – I BvR 1624/92, NJW 1996, 381; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 5. 119 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 28, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 120 Canaris § 17 Rn 100. 121 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 = EWiR 2007, 203 (Klasen); Thume BB 2009, 1026 (1028). 122 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 mit krit. Anm. Klasen EWiR 2007, 203. Entgegen Klasen verbietet der Geheimnisschutz nicht die Verwertung der Kundenliste durch einen Vertragshändler, weil es sich um eigene Kunden des Händlers handelt. Anders mglw. beim HV. 123 So aber Klasen EWiR 2007, 203. 124 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919. 125 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282; Latzel ZVertriebsR 2015, 90; Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 49; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 6. 126 BGH NJW 2010, 3226 Rn 16; Schnabl NJW 2009, 955; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 9; Oetker/Busche5 § 89b Rn 1. Wenig hilfreich Franke IHR 2016, 100 (103). Er verneint den Charakter des Ausgleichs als Vergütungsanspruch: Der Anspruch diene der Gewährung eines „Ausgleichs“, Der Unternehmer könne die vom HV hergestellten und mit Vertragsende verlorenen Kundenbeziehungen weiterhin verwerten. Dieses unbillig erscheinende Ergebnis solle „ausgeglichen“ werden. 127 Staub/Brüggemann4 § 89b Rn 2. Emde

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zerschnitten worden.128 Der Unternehmer bleibe im Besitz des Kundenstammes, während der HV ihn nicht nur nicht behalte, sondern ihn dem Unternehmer zurücklasse, insofern er ihn nicht mehr wie bisher nutzen könne. Diese Einordnung als Wertausgleich129 mit dem Zweck, die Wertsteigerung des Betriebes des Unternehmers auszugleichen, welche der HV durch Anbahnung fortdauernder Geschäftsverbindungen mit neuen Kunden bewirkt hat, indem diese Geschäftsverbindungen ein Aktivum des Unternehmens geworden sind, ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Deutung betont aber zu wenig das Synallagma. Das Erklärungsmodell, der Ausgleich stelle einen kapitalisierten Anspruch auf Provisionen dar, welche dem HV ohne Rücksicht auf die Vertragsbeendigung zustehen würden, die jedoch infolge des Vertragsendes nicht mehr entstehen konnten130 und sei damit Surrogat eines vom Gesetz „gekappten“ Provisionsanspruchs, wird der heute reduzierten Bedeutung der „Provisionsverluste“, dem Sinn und Zweck, der Eigenständigkeit des Anspruchs und seiner Normierung in separater Vorschrift nicht gerecht. Der These, der Ausgleich sei eine aus Zweckmäßigkeitsgründen in pauschalierter Form gewährte Abgeltung nachträglicher Provisionen, welche der HV unter dem Gesichtspunkt des Kundenschutzes (§ 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt.) aus Nachbestellungen im Bereich seines ehemaligen Kundenstammes zu beanspruchen hätte, wenn nicht § 87 Abs. 1 die Nachbestellungsprovisionen auf Abschlüsse während der Vertragszeit begrenzte, ist zu erwidern: Der Ausgleich setzt keinesfalls voraus, dass dem HV Provisionen aus reinen Nachbestellungen i. S. d. § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. entgehen, d. h. solchen, bei denen er untätig blieb. Auch Nachbestellungen, für die der HV sich erneut hätte einsetzen müssen sind ausgleichspflichtig. Solche Erklärungsmodelle stammen aus einer Zeit früher dogmatischer Deutungsversuche. Seinerzeit versuchte man die Ausgleichsvergütung dogmatisch an tradierte Ansprüche des HV, insb. die Provision, anzulehnen. Schon die zahlreichen positiven und negativen TB-Voraussetzungen des Ausgleichs, etwa der Unternehmervorteil, legen nahe, dass sich der Anspruch nicht mit dem von anderen TB-Voraussetzungen abhängigen Provisionsanspruch vergleichen lässt. Inhaltlich stimmt daher die nicht weniger als der Text des § 89b gewundene Definition des BGH und des BAG131: Sinn des Ausgleichsanspruchs ist es, dem HV für einen auf seine Leistung zurückzuführenden, in Folge der Beendigung des Vertrags nicht mehr vergüteten Vorteil des Unternehmers, wie er in der Möglichkeit zur Nutzung des geworbenen Kundenstammes liegt, eine weitgehend durch Billigkeitsgesichtspunkte bestimmte Gegenleistung zu verschaffen, so dass der HV mit dem Ausgleich für seine während der Vertragsdauer erbrachten, bis zur Vertragsbeendigung noch nicht abgegoltene Leistung eine zusätzliche Vergütung erhält. Die Betonung liegt auf „zusätzliche Vergütung“, die neben und unabhängig von anderen Vergütungsformen zu zahlen ist. HGB und RL erkennen folglich an, dass die Werbung eines treuen Kundenstamm eine zusätzlich zum Einzelgeschäft zu vergütende Leistung des HV bildet.132 Auf die individuelle Schutzbedürftigkeit des HV kommt es nicht an,133 ebenso wenig wie bei anderen vertraglichen Ansprüchen. Bei dem Ausgleich handelt es sich mithin um einen Mischtatbestand, bestehend aus einer Entgelt- und Billigkeitskomponente.134 Das schließt nicht aus, dass andere Motive mitbestimmend wirken können.135 So soll der 29 Ausgleich zugleich den Lebensunterhalt des HV in einer ggf. dem Vertragsende folgenden Zeit

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Schröder DB 1958, 43; 1964, 323; vgl. auch Franta MDR 1953, 532. Staub/Brüggemann, 4. Aufl, § 89b Rn 2. Stellungnahme der BReg, BT-Drucks. I/3856, S. 51; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 37. BGH BB 1992, 596 = NJW-RR 1992, 421; NJW 1981, 1961; BGHZ 41, 292 (297); BAG DB 1986, 919 (920); ähnlich OLG Oldenburg, Urt. v. 25.2.2014 – 13 U 86/13, IHR 2014, 112 = BeckRS 2014, 05367 Rn 42. 132 Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 49. 133 AA Ouinke SchiedsVZ 2007, 246 (249). 134 Schnabl NJW 2009, 955. 135 S. Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 33: Von allen angenommenen Normzwecken trifft etwas zu. 197

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der Suche nach einer Nachfolgevertretung sichern,136 also die soziale Funktion einer „Überbrückungshilfe“ einnehmen.137 Gleichzeitig bildet, wie auch Abs. 3 Nr. 1 zeigt, der Ausgleich den „kleinen Kündigungsschutz“ des ansonsten durch die kurzen Kündigungsfristen des § 89 schlecht abgeschirmten und wirtschaftlich dem Unternehmer meist unterlegenen HV.138 Insoweit ist der Schutzgedanke Teil des Normzwecks, jedoch kein TB-Merkmal. In seiner sozialen Stellung gleicht der HV häufig einem angestellten Verkäufer, nur dass er keinen Kündigungsschutz genießt. Besonders plastisch wird dies im Strukturvertrieb oder wenn der HV als „Finanzberater“ Versicherungen139 vermitteln soll. Schon der fehlende Kündigungsschutz und die Bezahlung allein nach Erfolg erklärt, warum viele Außendienstler als Scheinselbständige in ein angebliches HV-Verhältnis gedrängt werden. Denn für die Unternehmer ist die fehlende Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie die mangelnde Vergütungspflicht bei fehlendem Vermittlungserfolg günstiger als ein Festgehalt für einen mit Kündigungsschutz versehenen Arbeitnehmer. Günther140 verneint den Charakter des Ausgleichs als „kleinen Kündigungsschutz“ des VV. Dem ist die tatsächlich kündigungshemmende Wirkung entgegen zu halten. Sie erklärt die Suche der Unternehmer nach ausgleichsvernichtenden, wichtigen Kündigungsgründen i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 2, wenn die Vertragsbeendigung beschlossen ist.141 Der Ausgleichsausschluss bei verschuldeter außerordentlicher Kündigung spricht nur geringfügig gegen die vorstehend diagnostizierte ratio, weil der HV nach einer solchen Kündigung nicht schutzwürdig ist. Gegen den Vergütungszweck streitet allerdings der Ausgleichsauschluss für nebenberufliche HV gem. § 92b, wohl aber auch gegen die Einordnung als „Sozialanspruch“, da der HV im Nebenberuf oft noch schutzbedürftiger als ein hauptberuflicher HV ist (wenngleich das der Normgeber anders vermutete). Insgesamt tritt der Gedanke des Sozialschutzes zurück.142 Zweck der Bestimmung ist weder, dem HV einen Ersatz der fehlenden Altersversorgung zu bieten, dem verdienstvollen langjährigen HV eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Leistungsprämie zu gewähren oder den wirtschaftlich schwachen HV zu schützen. Der Anspruch soll auch keinen Ausgleich für eine zu missbilligende Kündigung darstellen. Solchen sozialen Schutzgedanken trägt das Handelsrecht bei Lösung von Rechtsbeziehungen unter (leitbildartig) selbständigen Kaufleuten nicht Rechnung. Der Ausgleichsanspruch steht dem Mittler daher ohne Ansehen der Rechtsform zu, unter der das HV-Gewerbe betrieben wird, so insb. auch dem HV im Gewande der Handelsgesellschaft oder der juristischen Person. Er steht auch dem HV zu, der im Vergleich zum Unternehmer der sozial Stärkere ist.143 Auch die Höchstgrenze des Ausgleichs steht im Spannungsverhältnis zum Entgeltgedanken.144 Martinek145 dürfte daher zuzustimmen sein, wenn er ein klareres gesetzgeberisches Bekenntnis zum Vergütungscharakter ohne Sozialschutz- und Versorgungsfunktion fordert.146 Alles dies sind Widersprüchlichkeiten, die in der Kompromissfassung begründet sind, jedoch nicht an dem grundsätzlich Bekenntnis zum Entgeltgedanken ändern dürften. Die Anwartschaft auf den Ausgleich wird während der Vertragszeit begründet. Höhe und Fälligkeit sind in seiner Entstehung bedingt – aufschiebend bedingt bis zur Vertragsbeendigung und der Feststellbarkeit der in Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 umschriebenen Umstände, daneben auflösend 136 BVerfG NJW 1996, 381; Bälz NJW 2003, 1559, 1562; Ouinke SchiedsVZ 2007, 246 (249); Bieder NJW 2007, 3473; Hopt § 89b Rn 2. OLG München, Urt. v. 16.11.2006 – 23 U 2539/06; WM 2007, 710. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 7. Siehe etwa LG Mannheim, Beschl. v. 19.10.2001 – 7 AktE 1/01, ZIP 2001, 2149 = EWiR 2002, 23. Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 36 ff. Emde NJW 2005, 3694. Vgl. Karsten Schmidt JuS 2008, 665 (668); aA Canaris § 17 Rn 104 (bezüglich des zwingenden Charakters). OLG Karlsruhe JR 1958, 59 (62). Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 131. In: FS Lüke, S. 447. Emde NJW 2005, 3694.

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bedingt durch das Wiederabwandern von Stammkunden während der Vertragszeit, das Fehlen der Billigkeit (Abs. 1 S. 1 Nr. 3) sowie die Tatbestände des Abs. 3147 – und zugleich betagt: insgesamt aber schon vorher geschaffen. Die Gewährung des Ausgleichs ist damit eine „Chance“.148 Der Ausgleichsanspruch ist ferner kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung des Unternehmers.149 Zwar hat der Unternehmer durch die Beibringung neuer Kunden seitens des HV eine Wertsteigerung seines Gewerbebetriebes erfahren; indessen ist dieser Wertzuwachs auf Grund der vertraglichen Tätigkeit des HV erfolgt, also nicht sine causa.150 Zudem liegt der Rechtsgrund des ausgleichsbegründenden Provisionsverlustes in der jederzeit zulässigen Kündigung durch den Unternehmer (§ 89), beim VV nach bisher h. M. auch in der Provisionsverzichtsklausel.151 Zudem würde ein dem Ausgleichsanspruch nachzubildender Anspruch gemäß § 354 Abs. 1 geltend gemacht werden können, falls der HV auf Grund eines unwirksamen oder nachträglich angefochtenen Vertrages tätig geworden ist. Der Ausgleichsanspruch ist auch nicht gesellschaftsrechtlicher Natur – die Schaffung des Kundenstammes ist nicht „gemeinsamer Zweck“ des HV-Vertrages, obwohl beide Vertragsteile ihn nutzen wollen: eben weil beide ihn je in verschiedener Richtung nutzen wollen –; er ist insbesondere kein dem auf Abschichtung wegen Liquidation einer Beteiligung verwandter Anspruch, bei welcher der Wert des Unternehmens zu aktivieren ist (§ 738 BGB). Auf Grund des HV-Vertrages ist der HV an dem Gewerbebetrieb des Unternehmers nicht beteiligt; dass dessen Chance und Risiko zugleich die seinigen sind, ist nicht Grund, sondern Folge des Vertragsverhältnisses, vermag daher auch keine irgendwie geartete partiarische Beteiligung darzustellen. Ein schadenersatzrechtlicher Charakter des Ausgleichs152 ist abzulehnen,153 weshalb auch eine compensatio lucri cum damno hinsichtlich der dem HV aus Anlass der Beendigung des Vertragsverhältnisses erwachsenen Vorteile nicht in Betracht kommt. Es ist nicht zu erkennen, worin die schadenersatz-, also ausgleichsbegründende Pflichtverletzung des Unternehmers liegen sollte. Die vom Unternehmer erklärte Kündigung ist ein rechtmäßiges Verhalten. Der Ausgleich schützt jedoch auch das Interesse des Unternehmers. Zum einen fördert er das Interesse des HV an der Werbung ausgleichspflichtiger Mehrfachgeschäfte und eines Stammes von Wiederholungskunden, mithin an der Schaffung von Unternehmervorteilen. Zudem berechnet sich der Ausgleich rglm. auf Basis der Provisionen des letzten Vertragsjahres. Folglich wird der HV im letzten Jahr der Tätigkeit kaum Käufer auf Produkte eines eventuell vertretenen Wettbewerbers umleiten. Bei einem Verkauf der Produkte des auslaufenden Vertrages verdient er doppelt, einmal über die Provision, und weiter über den Ausgleich. Es lohnt sich daher, dann allerdings meist gut vorbereitete, Versuche zur Abwerbung der Kunden erst nach Vertragsende zu beginnen.154 Anders gewendet: Der Ausgleich führt zu höheren Verkäufen des letzten Vertragsjahres, was auch im Interesse des Unternehmers liegt.155 Schließlich hält der nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 drohende Anspruchsverlust den HV auch kurz vor Vertragsende zu vertragskonformen Verhalten an.

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VIII. Wesensmäßige Besonderheiten bei Versicherungsvertretern Eine gesonderte Betrachtung erfordern Versicherungsvertreter. Sie werben keine „Stammkun- 38 den“, von denen Folgeaufträge oder Nachbestellungen zu erwarten wären. Folgerichtig gibt es 147 148 149 150 151 152 153 154 155

Gegen die bedingte Natur Schuler NJW 1958, 1115; auch Staub/Brüggemann4 § 89b Rn 6. BGH, Urt. v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, NJW 1977, 949 (950); Genzow IHR 2014, 133 (135). So aber Sieg VersR 1964, 789; hiergegen Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 40. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 40. Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 43; Emde NJW 2005, 3694. Merkel BB 1956, 420: „schadensersatzähnlich“. Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 36 ff. Vgl. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 145. OLG Köln, Urt. v. 7.12.2007 – 19 U 60/07; n. v.

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für sie schon während der Vertragszeit keine provisionspflichtigen Folgegeschäfte i. S. d. § 87 Abs. 1 (s. Kommentierung zu § 92 sowie unten). Dem „Stammkundenvorteil“ des Unternehmers beim Waren-HV entspricht hier die Schaffung des Bestandes an neuen Versicherungsverträgen, der das Risiko der Versicherungsfälle besser verteilen hilft und die Gewinnchancen des Versicherungsunternehmens damit erhöht. Vorstehenden Besonderheiten trägt § 89b Abs. 5 in freilich wenig transparenter Art und Weise156 Rechnung.157

B. Einzelne Anspruchsvoraussetzungen I. Anspruchsberechtigter 39 Als erstes TB-Merkmal nennt § 89b Abs. 1 den Anspruchsberechtigten. Gemäß § 89b Abs. 1 S. 1 ist „der Handelsvertreter“ anspruchsberechtigt. Es muss also ein HV-Vertrag vorliegen. Makler sind nicht anspruchsberechtigt.158 Wer HV ist, bestimmt § 84 Abs. 1. Auf die dortigen Ausführungen darf verwiesen werden. 40

1. Ausgleichsberechtigte Personen 41 Anspruchsberechtigt sind beispielhaft: – Einkaufsvertreter.159 Die Gegenansicht verneint das mit der Begründung,160 der Einkaufsvertreter werbe keine Kunden. Aber es dürfte zumindest eine Analogie naheliegen. – Versicherungsvertreter,161 jedenfalls soweit der Vertrag die anspruchsbegründende Provisionsverzichtsklausel für die Zeit nach Vertragsende enthält (zur Provisionsverzichtsklausel unten); – Handelsvertretergesellschaften,162 auch eine HV-GmbH: Noch im Gesetzgebungsverfahren zur Novelle 1953163 war allerdings vom Wirtschaftspolitischen Ausschuss des BT in seiner 202. Sitzung eine Fassung des § 89b vorgeschlagen worden, nach der einer GmbH kein Ausgleich zugestanden hätte.164 Der Vorschlag stieß jedoch im Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht auf Kritik.165 Da man ihn rechtssystematisch für bedenklich hielt, unterblieb seine Umsetzung.166 Ein von der EG-Kommission im Januar 1979 entwickelter Richtlinienvorschlag eröffnete den Parteien in seinem Art. 33 lediglich die Möglichkeit, zu

156 Höft VersR 1966, 105. 157 Siehe hierzu im Grundsätzlichen Bruck/Möller Vor § 43 Rn 370; Sieg VersR 1964, 789 – wenngleich mit schiefer bereicherungsrechtlicher Sicht –; OLG Stuttgart VersR 1957, 329 (332 ff.) und namentlich OLG Frankfurt/M. BB 1978, 728. 158 OLG Köln, Beschl. v. 21.11.2018 – 20 U 45/18, FD-VersR 2019, 414999; LG Köln, Urt. v. 6.3.2018 – 8 O 158/15, ZVertriebsR 2019, 264. 159 OLG Hamburg HVR Nr. 391; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 13. 160 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 15. 161 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 47. 162 Siehe etwa Emde Die Handelsvertreter-GmbH 1994 S. 77 ff.; Emde GmbHR 1999, 1005 ff.; Arndt DB 1999, 1789; Westphal BB 1999, 2517; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 14. 163 BGBl I 1953, 771. 164 Vgl. Kurzprotokoll der 202. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des Deutschen Bundestages v. 7.5.1953; Text auch wiedergegeben bei Emde GmbHR 1999, 1005 (1009). 165 Stenographische Berichte, Bd. 17, S. 14.206 (14.207). 166 Gessler Der Ausgleichsanspruch der Handels- und Versicherungsvertreter, 1953, S. 47, dort auch Wiedergabe des Gesetzgebungsvorschlages. Emde

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Lasten von Gesellschaften mit einem Stammkapital von über 100.000 ERE167 Vereinbarungen zum Ausschluss des sonst zwingenden Ausgleichsanspruches zu treffen.168 Der Vorschlag wurde weder in die endgültige RL noch in das HGB übernommen. Eine schnelle Kapitalherabsetzung bei Mittlergesellschaften wäre die Folge gewesen. Wohl wegen des so im Gesetzgebungsverfahrens zum Ausdruck gekommenen Willens, den Ausgleich auch einer Kapitalgesellschaft zukommen zu lassen, wurde ihre Ausgleichsberechtigung kaum bestritten. Dies wäre angesichts der vertrags- und nicht personenbezogenen Natur des Ausgleichs auch fernliegend.169 Da der Ausgleich eine vertragliche Gegenleistung ist, steht er als vertragsbezogener Anspruch allen HV, Gesellschaften wie natürlichen Personen, zu.170 Die Rechtsform hat auch bei Bestimmung der Billigkeit (§ 89b Abs. 1 Nr. 2) keine Bedeutung.171 Überlegungen, die Ausgleichsberechtigung auf wirtschaftlich abhängige Mittler zu beschränken oder sie den HV-Gesellschaften zu verweigern, sind abzulehnen.172 Das ergibt sich nicht nur aus dem vergütungsrechtlichen Charakter des Ausgleichs, sondern bereits aus der Vertrags- und nicht Personenbezogenheit des HV-Rechts;173 Online-Hotelportale:174 Ein Ausgleichsanspruch gegenüber den Hotels ist grds. denkbar, praktisch allerdings nur bei größeren Hotels wirtschaftlich sinnvoll durchsetzbar;175 Vermittlungs- und Abschlussvertreter; Untervertreter:176 Passivlegitimiert ist der Vertragspartner des Untervertreters.177 Wer dies ist, hängt davon ab, ob die Untervertreter „echte“ oder „unechte“ sind. Beim echten Untervertretervertrag, der zwischen Haupt- und Unter-HV geschlossen wird, ist der Haupt-HV passiv legitimiert.178 Beim unechten HV-Vertrag ist Vertragspartner der Hauptunternehmer.179 Er ist Ausgleichsschuldner des Untervertreters. Probleme bereiten Fälle, in denen der zwischen Unternehmer und Hauptvertreter bestehende HV-Vertrag ausgleichsschädlich, etwa durch Eigenkündigung des Hauptvertreters ohne begründeten Anlass, aufgelöst wird. Grundsätzlich kann sich in einem solchen Fall der Hauptvertreter nicht darauf berufen, ihm seien durch den Wegfall des eigenen Ausgleichsanspruchs keine Unternehmervorteile entstanden. Zur Begründung dieses Ergebnisses gibt es drei Wege: Entweder könnte man die zum Verlust des Hauptvertreters führende Eigenkündigung wie eine willkürliche, ohne sachliche Rechtfertigung erfolgte Betriebseinstellung behandeln, die ausgleichsrechtlich unbedeutend bleibt. Zum zweiten ließe sich argumentieren, die Fortsetzung des Hauptvertrages sei im Wege einer „Als-Ob-Betrachtung“ zu fingieren. Und drittens könnte das Verhalten des Hauptvertreters, insb. das Herbeiführen eines wichtigen und ausgleichschädlichen Kündigungsgrundes, als schadensersatzbegründende Pflichtverletzung angesehen werden;180

167 Europäische Rechnungseinheiten. 168 Vorschlag einer Richtlinie zur Koordinierung der Rechte der Mitgliedsstaaten die (selbstständigen) Handelsvertreter betreffend, ABl. EG C 13/2 v. 18.1.1977; geänderte Fassungen ABl. EG Nr. C 56/5 v. 2.3.1979. 169 Emde GmbHR 1999, 1005 (1010), mit zahlreichen Nachweisen. 170 Emde GmbHR 1999, 1005 (1010), mit zahlreichen Nachweisen. 171 Emde GmbHR 1999, 1005 (1010), mit zahlreichen Nachweisen. 172 Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 63. 173 Emde NJW 2005, 3694. 174 Emde/Valdini BB 2016, 899 (902). 175 Emde/Valdini BB 2016, 899 (902). 176 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 16. 177 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 16. 178 BGH, Urt. v. 18.6.1964, BB 1964, 823; Ordemann BB 1964, 1323 (1324); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 43; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 16. 179 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 16. 180 So Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 16. 201

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Hauptvertreter: Der HV braucht die Vermittlungs- bzw. Abschlusstätigkeit nicht persönlich auszuüben.181 Ein Ausgleichsanspruch steht ihm auch zu, wenn er sich als Hauptvertreter zur Erfüllung seiner ihm aus dem HV-Vertrag obliegenden Pflichten Untervertreter bedient.182 Auch der HV auf einer höheren Vertriebsstufe mehrstufiger Vertriebsorganisationen übt eine ausgleichsfähige werbende Tätigkeit aus und, obwohl er oft keinen direkten Kontakt zum Kunden hat, keine nicht ausgleichsfähige verwaltende Aufgabe (siehe auch Kommentierung zu § 84 zum Strukturvertrieb); HV mit Eigenhändler- oder Vertragshändlergeschäft183 (gemischte Tätigkeit): Ob nicht nur für HV-Geschäft, sondern auch für das Eigenhändlergeschäft eine Ausgleichspflicht besteht, hängt davon ab, ob eine analoge Anwendung des HV-Rechts nach den unten näher ausgeführten Grundsätzen möglich ist. Davon ist auszugehen, wenn auch hinsichtlich des Eigenhändlergeschäfts eine handelsvertretergleiche Einbindung existiert, was angesichts des Statusvergleichs nahe liegt, wenn der Vermittler dasselbe Produkt einerseits als HV und andererseits als Vertragshändler veräußert, ohne dass sich der Charakter des Vertriebs im Verhältnis zu den Kunden wesentlich ändert; arbeitnehmerähnliche HV i. S. d. § 92a i. V. m. § 5 Abs. 3 ArbGG. Hierzu zählen EinfirmenHV, die während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses und bei kürzerer Vertragsdauer während jener im Durchschnitt monatlich nicht mehr als EUR 1.000 aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen erzielen.184 Für gerichtliche Auseinandersetzungen solcher HV ist nur die Zuständigkeit des ArbG gem. §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 3 ArbGG begründet. Bedeutung hat die Einordnung aber lediglich für die gerichtliche Zuständigkeit.185 Arbeitnehmerähnliche HV bleiben HGB-HV,186 solange die TB-Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 erfüllt sind. Insbesondere sind sie ausgleichsberechtigt, sofern sie nicht als nebenberufliche HV i. S. d. § 92b einzuordnen sind.187 Arbeitnehmer, die materiellem Arbeitsrecht unterliegen und nicht ausgleichsberechtigt sind, werden solche Mittler nur, sofern sie persönlich abhängig, insbesondere nach Arbeitszeit und -ort weisungsgebunden sind. Ein bloß wirtschaftlich abhängiger HV muss auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein;188 Erben eines HV sind ausgleichsberechtigt.189 Zunächst wurde vertreten, nur der HV sei anspruchsberechtigt, nicht hingegen seien es seine Erben. Die Grundsatzentscheidung des BGH vom 13.5.1957190 stellte klar, dass auch die Witwe als Erbin anspruchsberechtigt ist. Die in der Entscheidung vertretene Einschränkung, nur Erben, denen gegenüber der HV unterhaltsverpflichtet ist, seien anspruchsberechtigt, lässt sich heute kaum mehr vertreten. Der Ausgleich ist ein vertraglicher Anspruch, der gleich anderen Ansprüchen auf Rechtsnachfolger übergeht und auch keinem Abtretungsverbot unterliegt. Den Anspruch bei einigen Rechtsnachfolgern unter Billigkeitsgesichtspunkten zu kürzen, bei anderen jedoch nicht, steht im Widerspruch zum vertraglichen Charakter191 und begründet Rechtsunsicher-

181 OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08. 182 OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08 (dort als Regel anerkannt, jedoch für die „Grundsätze Leben“ abgelehnt). 183 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 82. 184 Martinek/Wank in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 13 Rn 49. Die Vergütungsgrenze belief sich zunächst auf DM 500,–, seit dem 28.1.1968 dann auf 1000,– DM, seit dem 1.2.1976 auf DM 1500,– und seit dem 1.7.1979 auf DM 2000,–. 185 BAG MDR 2003, 814 (815). 186 BAG MDR 2003, 814 (815); Martinek/Wank in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 13 Rn 49. 187 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 53. 188 BGH DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. 189 BGH, Urt. v. 13.5.1957 – II ZR 19/57, NJW 1957, 1029 = BGHZ 24, 214; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 55. 190 II ZR 19/57, BGHZ 24, 214 = NJW 1957, 1020. 191 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 15. Emde

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heit. Den Anspruchsberechtigten können daher nur allgemeine Billigkeitsgesichtspunkte entgegen gehalten werden, die auch gegenüber dem HV im Erlebensfall unmittelbar hätten geltend gemacht werden können.192 Das ergibt sich heute auch aus Art. 17 Abs. 4 RL, demzufolge der Anspruch auf Ausgleich auch entsteht, falls das Vertragsverhältnis durch Tod des HV endet; Lotto-Bezirksleiter;193 Rechtsnachfolger des HV: Will ein HV den HV-Vertrag auf eine von ihm gegründete Gesellschaft überleiten, ist die ausgleichsrechtliche Folge schwierig. § 89b Abs. 1 begründet einen Ausgleichsanspruch nur für Kunden, die der HV neu geworben hat. Der Unternehmer, so Westphal,194 könne nach Vertragsbeendigung mit der übernehmenden Gesellschaft einwenden, die Kunden seien nicht von ihr, sondern von der Vorgänger-Einzelfirma geworben worden. Die restriktive Rspr.195 lasse vermuten, auch im Fall der Umwandlung würden die von der Gesellschaft übernommenen Kunden nicht als neu geworben eingestuft.196 Andererseits werden die Parteien oft die Vorstellung einer Vertragsfortführung haben.197 Kommt es zu einem Rechtsformwechsel nach dem UmwG, liegt eine identitätswahrende Umwandlung vor. Es existiert Identität zwischen Alt- und Neugesellschaft. Zweifel an der „Zurechnung“ des Vermittlungserfolges zugunsten der neugegründeten Gesellschaft bestehen nicht.198 Im Falle der Verschmelzung geht das Vertragsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten auf die aufnehmende Gesellschaft über, ebenso bei der Ausgliederung.199 Für den Ausgleichsanspruch haftet der übertragende Rechtsträger nach § 133 Abs. 1 S. 1 UmwG. Für die Begründung einer Verbindlichkeit i. S. d. § 133 Abs. 1 S. 1 UmwG reicht es aus, wenn der Rechtsgrund für die entstehende Forderung vor dem Wirksamwerden der Ausgliederung gelegt wurde.200 Nicht erforderlich für die Haftung nach § 133 Abs. 1 UmwG ist, dass der Ausgleichsanspruch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausgliederung bereits entstanden war.201 Die Situation gleicht mithin der des Erbfalls (§§ 1922, 1967 BGB), in der kein Zweifel besteht, dass der Erbe den Ausgleich einschränkungslos geltend machen kann.202 Liegt jedoch eine Neugründung außerhalb des UmwG vor, muss der HV-Vertrag zumindest konkludent auf die neugegründete Gesellschaft übertragen werden, um die Ausgleichsberechtigung der Gesellschaft zu sichern. Geschieht die Übertragung im Einverständnis mit dem Unternehmer, ist im Zweifel davon auszugehen, dass auch die erworbenen Ausgleichsanwartschaften auf die Gesellschaft übergehen sollen,203 weshalb im Zweifel die Provisionen mit den vor der Übertragung

192 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 15, aA Rn 16. 193 BGH, Urt. v 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (besonders zur Ausgleichsberechnung); v. 22.6.1972 – VII ZR 36/71, NJW 1972, 1662; v. 21.1.1965 – VII ZR 22/63, NJW 1965, 1132; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 18. 194 BB 1999, 2517 (2519 ff.). 195 BGH, Urt. v. 10.5.1984 – I ZR 36/82, VersR 1984, 1067 = DB 1984, 2507. 196 So auch Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333). 197 Semler ZVertriebsR 2012, 49/50. 198 Emde VersR 2001, 148 (161); aA – ohne Auseinandersetzung mit dem Problem identitätswahrender Umwandlung oder der Gesamtrechtsnachfolge bei Ausgliederung – Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333). 199 Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1331) – die allerdings auf S. 1333 trotz Gesamtrechtsnachfolge eine Einbeziehung der Provisionen mit vor der Ausgliederung geworbenen Kunden in die Ausgleichsberechnung ablehnen. Zumindest erweiterte Altkunden müssten aber auch nach ihrer Ansicht ausgleichsfähig sein. 200 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 37. 201 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 38. 202 AA Steinhauer BB 2012, 526 (528) unter Betonung der Pflicht zur Werbung durch den HV persönlich; Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333). 203 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 86; aA wohl Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333). 203

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geworbenen (potentiellen) Mehrfachkunden als Neukundenprovisionen die Ausgleichsbemessungsgrundlage erhöhen.204 De facto liegt ein einheitliches Vertragsverhältnis vor. Davon ist das OLG München205 bei Fortsetzung eines mit einer HV-GmbH bestehenden Vertrages durch einen Gesellschafter als Einzelkaufmann zumindest inzident ausgegangen, das OLG Düsseldorf bei Zustimmung des Unternehmers zur Fortführung des zuvor einzelkaufmännischen Unternehmens als HV-GmbH206: „Wenn der Unternehmer seine Zustimmung zur Umwandlung der Handelsvertretung von einem einzelkaufmännischen Unternehmen in eine GmbH erteilt, erklärt er sich damit zugleich konkludent einverstanden, dass die bisherigen vom HV geworbenen Neukunden ausgleichsrechtlich als Neukunden der GmbH gelten sollen“. Anders noch der BGH: Er hat 1984 die Neukundenwerbung rein nach tatsächlichen Verhältnissen beurteilt und eine automatischen Zurechnung der vor Eintritt des Rechtsnachfolgers geworbenen Kunden bei der Ausgleichsberechnung des Nachfolgers abgelehnt.207 Diese BGH-Rspr. dürfte eher den Ausnahmefall kennzeichnen. Um Streitigkeiten zu vermeiden, sollte die ausgleichsrechtliche Behandlung der durch den Einzelkaufmann geworbenen Kunden als Neukunden der Gesellschaft im Überleitungsvertrag vereinbart werden.208 Da der Ausgleich abgetreten werden kann, würde sich bei einer Abtretung die Frage stellen, ob die Person des Berechtigten für die Ausgleichshöhe eine Rolle spielt. Das ist – wie dargelegt – angesichts der Natur des Ausgleichs als vertraglicher Anspruch abzulehnen. Sähe man dies anders, käme es für die Bestimmung der Ausgleichshöhe auf die Person des Abtretenden an (§ 404 BGB); Unter § 2 Nr. 9 SGB VI fallende HV;209 Versandhandelsvertreter.210

2. Ausgleichsrecht handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler und Franchisenehmer? 42 Anspruchsberechtigt können neben HV auch andere Vertriebsmittler sein. Der Ausgleichsanspruch ist auch bei einem Vertragshändler ein wesentliches, sich aus dem Vertrag ergebendes Recht. Sofern die Analogievoraussetzungen für die Gewährung des Ausgleichs vorliegen, benachteiligt der Ausschluss des Ausgleichs eines solchen HV-ähnlichen Mittlers diesen regelmäßig unangemessen.211 Theoretisch wäre es zwar denkbar, diese Mittlergruppen von der analogen Anwendung der Novellenregeln auszunehmen, wie es der BGH bei § 89a aufgrund kartellrechtlicher Besonderheiten – wohl zu Unrecht – im Kfz-Vertragshändlerrecht erwogen hat.212 Denn da insoweit keine gesetzliche Norm besteht, sondern die Anwendung des § 89b lediglich im Wege der Analogie erfolgt, wäre die Rspr. frei, im Wege der Rechtsfortbildung völlig neue Bewertungskriterien für die Ausgleichsansprüche zu entwickeln.213 Auch eine überschießende Umsetzung des Gesetzesrechts, die die Anwendung des zwingenden RLRechts fordert,214 existieren im Bereich der Analogie nicht. Angesichts der Einheitlichkeit des

204 205 206 207 208 209 210 211

AA Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333). Urt. v. 16.9.1987 – 7 U 4275/86, HVR Nr. 639. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. BGH, Urt. v. 10.5.1984 – I ZR 36/82, VersR 1984, 1067 = DB 1984, 2507. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. II Rn 57. Thume BB 1999, 2309 (2310); aA Graf v. Westphalen ZIP 1999, 1083. OLG Hamm, Urt. v. 11.5.1978 – 18 U 316/76, DB 1979, 304. BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler Rn 17; Thume BB 2009, 2490 (2491); v. 26.11.1984 – VIII ZR 214/83, NJW 1985, 623 (630). 212 BGH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII ZR 150/08, BB 2009, 1817; hierzu Emde BB 2009, 2330 ff. 213 Thume BB 2009, 2490 (2491). 214 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = EWiR 2014, 11 (Mankowski). Emde

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Vertriebsrechts wäre dies jedoch kein guter Weg und wenig sinnvoll.215 Bei der analogen Anwendung gelten auch die Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 analog.216 Die Analogie des gesamten § 89b217 wird im ungeregelten HV-gleichen Vertriebsmittlerrecht deshalb zugunsten handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler befürwortet, wenn die nachfolgend genannten Analogiekriterien kumulativ218 erfüllt sind,219 nämlich der Vertriebsmittler selbständig ist (1), sich die vertraglichen Beziehungen zwischen Unternehmer und Vertriebsmittler nicht in einer reinen Verkäufer-/Käuferbeziehung erschöpfen, der Vertriebsmittler vielmehr nach Gestaltung und/oder Handhabung des Vertrages durch Pflichten, wie sie in einer Käufer-Verkäuferbeziehung nicht bestehen, auf Dauer so in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert ist, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang einem HV vergleichbare Aufgaben zu erledigen,220 insb. den Absatz des Unternehmers laufend zu fördern hat, sowie insgesamt den HV-typischen Bindungen unterliegt221 (2), und schließlich eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes besteht222 (3). Art der Analogie. Vorgenommen wird eine Gesetzesanalogie, präziser eine „Einzelanalo- 43 gie“. Denn es wird eine einzelne Gesetzesnorm auf einen von ihr nicht geregelten Sachverhalt entsprechend angewandt.223 Zugleich ist diese Analogie eingebettet in eine sog. „Rechtsanalo215 Vgl. Emde DStR 2009, 1478 (1479); im Ergebnis auch BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620. 216 BGH BB 1993, 1312; OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zu einem Franchisenehmer; Ulmer in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., Anh. § 310 Rn 968. 217 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 213. 218 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 357. 219 Unter Auseinandersetzung mit der Gegenansicht diese Rspr. erneut bestätigend BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122; v. 22.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159 = BB 1996, 1458 = DB 1996, 1512 (Kfz-Vertragshändler). 220 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 Rn 17; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; OLG München, Urt. v. 5.12.2019 – 23 O 2136/18, BB 2020, 592 (593); OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zum Franchisevertrag; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 357. 221 Zum Vertragshändler: BGH, Urt. v. 13.6.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 (Analogie dort verneint); NJW 1962, 1107; BB 1967, 44; NJW 1984, 2101; BB 1988, 1770; OLG München, Urt. v. 5.12.2019 – 23 O 2136/18, BB 2020, 592 (593); v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.); OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 243/05, BeckRS 2007, 00760; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.2.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; OLG Köln BB 1997, 2451; OLG Saarbrücken, Urt. 29.11.2006 – 1 U 243/05, BeckRS 00760; OLG München BB 1997, 595, Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214; Martinek/Manderla in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 25 Rn 29; Martinek/Ullrich in: Handbuch des Vertriebsrechts1 § 14 Rn 7; Westphal II Rn 131. Zum FN: BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535; Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 (Frage der Analogie dort letztlich offen gelassen) sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513; LG Mainz, Urt. v. 20.6.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79. 222 Unter Auseinandersetzung mit der Gegenansicht diese Rspr. bestätigend BGH, Urt. v. 22.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159 = BB 1996, 1458 (Kfz-Vertragshändler); ebenso BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 28 ff. m. Anm. Wauschkuhn; v. 5.2.2015 – NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = WM 2015, 535 Rn 14; v. 6.10.2010, VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 13.6.2007 – VIII ZR 352/04, NJW-RR 2007, 1327, Tz. 13 f.; v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, WM 2006, 1919, Tz. 11; v. 22.10.2003 – VIII ZR 6/03, WM 2004, 991, unter II; jeweils m. w. N.; OLG München, Urt. v. 5.12.2019 – 23 O 2136/18, BB 2020, 592 (593); Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (141); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 357. 223 Thume BB 2016, 578 (580). 205

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gie“ oder „Gesamtanalogie“, weil die §§ 84 ff. insgesamt entsprechend auf das ungeschriebene Recht der HV-ähnlichen Vertriebsmittler angewendet werden.224 44 Europarechtliche Bedenken225 gegen diese Rspr. bestehen schon deshalb nicht, weil Europarecht die Verhältnisse anderer Vertriebsmittler als HV nicht regelt und im Übrigen sogar den HV – und erst recht andere Vertriebsmittler – gegenüber der RL besser stellende Regeln nicht untersagt sind. Deshalb wird auch in anderen Staaten Europas etwa Vertragshändlern ein Ausgleichsrecht zugebilligt. 45 Planwidrige Regelungslücke? Ob eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung der Analogie des § 89b auf andere Personengruppen, wie Vertragshändler, FN und Kommissionsagenten nach der Novellierung des § 89b 2009 noch möglich ist, wird bezweifelt.226 Die Situation eines Eigenhändlers unterscheidet sich von der eines HV. Der Händler werbe die Kunden zunächst für sich selbst.227 Dem ist zu entgegnen, dass auch der Händler für die Produkte des Unternehmers und dessen Marke wirbt. Die Vorteile dieser Werbung gehen ihm verloren; eventueller nachvertraglicher Wettbewerb wird wie beim HV mit einem Billigkeitsabzug berücksichtigt. Die bloße Frage, in wessen Namen die Geschäfte geschlossen werden, ist als solche für den Verlust beim Händler bzw. die Vorteile beim Unternehmer irrelevant, wie sich besonders typisch beim FN zeigt, der – obwohl er die Geschäfte selbst schließt – nicht als eigentlicher Marktteilnehmer wahrgenommen wird. Auch der HV kann „eigene“ Kunden haben, die nach Kündigung des HV-Vertrages mit ihm zu einem Konkurrenten wandern. Leitbildtypisch geschieht dies im Versicherungsgewerbe. Als weiteres Argument gegen eine planwidrige Regelungslücke wird vorgebracht, dem Gesetzgeber sei bekannt gewesen, dass im Bereich der Analogie die Ausgleichsfrage nicht gesetzlich kodifiziert worden sei und habe gleichwohl von einer Kodifizierung abgesehen. Pour Rafsendjani weist aber auf einen Beschluss des BGH v. 4.11.1957228 hin, in dem der BGH ausgeführt hat, der Nichterwähnung anderer Absatzmittler als HV in der Gesetzesbegründung dürfe keine bewusste Absage an die analoge Anwendung des § 89b entnommen werden. Vielmehr sei umgekehrt zu argumentieren: Hätte der Gesetzgeber einen Ausschluss der analogen Anwendung gewollt, so wäre zumindest der Begründung eine diesbezügliche Aussage zu entnehmen, da die Analogie dem Gesetzgeber bekannt war.229 Dem Schweigen des Gesetzgebers ist also keine Aussage, zumindest nicht gegen den von der Rspr. anerkannten und damit bekannten Ausgleich in Analogie zu § 89b zu entnehmen.230 Ohnehin war bekannt, dass die Novellierung 2009 nur eine Reaktion auf das Urt. des EuGH vom 31.7.2009231 zu § 89b war und die Frage einer analogen Anwendung daher nicht zu entscheiden war. Folglich hat der BGH in Entscheidung zur analogen Anwendung des § 89b nach 2009 diese Frage auch in keiner Weise problematisiert.

46 a) Handelsvertretergleiche oder -ähnliche Einbindung. Siehe hierzu in erster Linie die Kommentierung zu Vor § 84. Wiemer232 empfiehlt aufgrund kartellrechtlicher Bedenken gegen die Einbindung begründende Berichtspflichten eine Entkoppelung des Ausgleichs HV-ähnlicher Mittler von diesem AnalogieTB. Ob die von der hM geforderte Einbindung vorliegt, ist im Wege

224 Thume BB 2016, 578 (580). 225 Von Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (141); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 358, 426 unter Hinweis auf die Kommissionsagenten betreffende Entscheidung EuGH v. 10.2.2004, BeckRS 2004, 77842 angedeutet. 226 Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280; Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104 (105); aA Bauer/Bölle IHR 2015, 94 (96). 227 Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280 (281). 228 12 T 367/57, NJW 1958, 144 ff. 229 So auch Drossart IHR 2016, 7 (15). 230 Drossart IHR 2016, 7 (15). 231 EuZW 2009, 304. 232 WuW 2009, 750 (760). Emde

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eines Vergleiches der Stellung des HV-ähnlichen Mittlers zur Definition des § 84 Abs. 1 im Lichte der Rechtsfolge des § 89b zu untersuchen. Grund der Ausgleichsleistung ist die Schaffung eines Kundenstammes in Ausübung einer Vertriebspflicht. Wer wie ein HV einer ständigen Vertriebspflicht (§ 84 Abs. 1) unterliegt und dem Unternehmer den Kundenstamm zugänglich macht, ist regelmäßig einem HV vergleichbar eingebunden und damit ausgleichsberechtigt. Die h. M.233 fordert für die Analogie oft mehr, als beim gesetzestypischen HV zur Ausgleichsgewährung erforderlich ist. HV-Recht ist weitgehend dispositiv. Ein HV-Vertrag kann sogar mündlich geschlossen werden (§ 85) und oft wird nicht mehr vereinbart, als dass der HV für den Unternehmer vermittelnd tätig sein soll. Die Rechtsfolge ergibt sich aus dem Gesetz, nämlich die Provisions(§§ 87 ff.) und Ausgleichspflicht (§ 89b). Für die Ausgleichsberechtigung des HV nicht gefordert wird jedoch das, was von vielen als Analogiekriterien für Vertragshändler, FN und auch Markenlizenznehmer verlangt wird, etwa die Zusicherung eines Alleinvertriebsrechts, die Gewährung eines Bezirksschutzes oder die Verpflichtung zur Lagerhaltung. Analogiebegründend muss in erster Linie sein, was in § 84 zur Statusfrage geregelt ist. Soweit der Vertriebsmittler selbständiger Gewerbetreibender ist und wie der HV einer ständigen Vertriebspflicht unterliegt (für den HV: mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften betraut, beim HV-ähnlichen Mittler: mit dem Vertrieb betraut), ist vorrangiges Analogiekriterium die dann bestehende, einem HV vergleichbare Verpflichtung zum Vertrieb. Liegt sie vor, ergibt sich die Rechtsfolge aus der analogen Anwendung des § 89b. Allerdings lässt sich die Existenz der Vertriebspflicht häufig nur aus Indizien herleiten und hier gewinnt die vertragliche Vereinbarung HV-typischer Rechtspflichten und Rechtsfolgen, etwa eines vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbots, das eigentlich Rechtsfolge und nicht Rechtsgrund der Statusfrage ist, Bedeutung. Eine Vielzahl solcher Indizien deutet auf eine HV-ähnliche Einbindung hin. Die Vertriebspflicht bildet das wichtigste – aber nicht das einzige – Analogiekriteri- 47 um234 (eingehend die Kommentierung zu Vor § 84). Sie ist HV-typisch, weil leitbildprägend. Vor allem hält sie den Mittler zum Aufbau des Kundenstammes an, der nur durch den Ausgleich entlohnt wird. Der durch die Vertriebspflicht ausgeübte mittelbare Druck zum Aufbau des Kundenstammes (ein vertraglicher Druck fehlt, weil nur eine Pflicht zum Vertrieb und nicht zum Aufbau eines Stammes von Wiederholungskäufern besteht) und die Gegenleistung in Form des Ausgleichs stehen im Synallagma. Anders gewendet: Beabsichtigte und von § 89b anerkannte Folge der Absatzpflicht ist der Aufbau des Kundenstammes. Der Vertriebsmittler wird zwar nicht vertragsbrüchig, wenn er keinen Kundenstamm generiert.235 Gelingt jedoch der durch die Absatzpflicht veranlasste und damit durch den Unternehmer fremdbestimmte Aufbau (Geschäftsbesorgung!), ist hierfür der Ausgleich zu leisten. Gleichwohl sind Weisungsgebundenheit und Interessenwahrungspflicht auch den meisten in den Analogiebereich fallenden Verträgen eigen und oft ausdrücklich versprochen. Ohne klare Abrede folgt die Interessenwahrungspflicht aus dem durch die ausdrückliche oder stillschweigende Vertriebspflicht indizierten vertriebsrechtlichen Kern des Vertrages und dürfte schon wegen der Verpflichtung des Mittlers zur Loyalität gegenüber dem Prinzipal stillschweigend vereinbart sein. Die Weisungsfolgepflicht entsteht bereits beim HV-Vertrag aus § 86 Abs. 1 (Interessenwahrungspflicht)236 und zudem aus §§ 675, 665 BGB.237 Diese Herleitung aus allgemeinem Zivilrecht zeigt, dass auch die Weisungsgebundenheit nicht HV-typisch ist und nicht allein analogiebegründend wirken kann. Ausgleichsrechtlich allenfalls unter dem Gesichtspunkt der „Sogwirkung der Marke“ rele- 48 vant ist die Identifikation des jeweiligen Produktes mit der Systemzentrale: Im Vertrieb aller 233 Typisch Ulmer in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., Anh. § 310 Rn 968. 234 BGH, Urt. v. 31.1.1991 – I ZR 42/89, BB 1991, 1210; Emde WRP 2003, 468 ff.; Emde WRP 2006, 449; Ensthaler/ Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167.

235 Vertragsbrüchig wird er nur bei Untätigkeit. 236 Schürr in: Küstner/Thume I5 Kap. III Rn 149; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 86 Rn 25. 237 OLG München NJW-RR 2003, 401 (402); Ebenroth/Löwisch3 § 86 Rn 42; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31. 207

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Markenprodukte werden die Vertragswaren oft weniger mit dem Vertriebsmittler identifiziert, vielmehr mit der Marke der „Systemzentrale“. Die Stärkung des Markennamens als solchem wird beim ausgleichsberechtigten HV nicht ausgeglichen. Im Gegenteil führt nach herrschender Ansicht ein starker Markenname zur Ausgleichsreduzierung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit, Stichwort „Sogwirkung der Marke“. 49 Die häufig auf Zufälligkeiten beruhende Bezeichnung des Vertrages als HV-, Vertragshändler- oder Franchisevertrag ist für die Rechtsfolge der Ausgleichsvergütung unerheblich. Entscheidend ist die einer Vertragspflicht folgende Aufbauleistung des Vertriebsmittlers in Hinblick auf den Kundenstamm, in welchem Rechtskleid auch immer. Bei gleicher Verpflichtung zum Vertrieb dem HV einen Ausgleich zu gewähren, dem mit höherem Risiko – weil mit eigenem Kapitaleinsatz – arbeitenden Vertragshändler, FN oder Markenlizenznehmer mit Vertriebspflicht jedoch nicht, ist schwer begründbar. Da den Vertragsparteien die Dispositionsbefugnis zur rechtlichen Einordnung des Vertrages fehlt,238 bestimmt nicht dessen Bezeichnung über seine Rechtsnatur. Bestimmend ist vielmehr der Typus sowie die beidseitig gewollte tatsächliche Durchführung239 (wobei im Zweifelsfall die letztere als Indiz für das Vereinbarte entscheidend ist).240 50 Siegert241, Stumpf/Ströbl242 und Rickmann,243 vertraten, aufgrund des durch die seit 2013 aufgehobene Kfz-GVO 1400/02 möglichen Mehrmarkenvertriebs und des Wegfalls des Gebietsschutzes sei der seit dem Grundsatzurteil des BGH v. 25.3.1982244 anerkannte Ausgleichsanspruch des Kfz-Vertragshändlers mangels wirtschaftlicher Abhängigkeit und wegen der weniger ausgeprägten Einbindung des Händlers in die Absatzorganisation des Herstellers entfallen.245 Bereits mit Abschaffung regional begrenzter Alleinvertriebsrechte sei nach Ansicht von Teilen der Literatur der Analogie die Grundlage entzogen worden.246 Eine systematische Marktdurchdringung sei nach Einführung der GVO nicht mehr möglich gewesen.247 Angesichts der Möglichkeit des Mehrmarkenvertriebs habe der Hersteller nicht mehr darauf vertrauen können, der Händler werde den Kunden Produkte der eigenen Marke veräußern.248 Dass bei der Ausgleichsberechnung nur Verkäufe der ausgleichsverpflichteten Marke Berücksichtigung fände, bilde kein Äquivalent. Auf Grund des in der GVO enthaltenen Verbots, den Händler an einen bestimmten Standort zu binden, sei die Steuerbarkeit des Vertriebsnetzes nicht mehr gegeben gewesen. Nach Anpassung der Vertriebsnetze an diese Rechtslage könne kaum davon ausgegangen werden, dass die Akquiseleistung der Händler für eine Bindung des Kunden an den Hersteller kausal sei. Angesichts der durch die GVO vorgeschriebenen Entkopplung von Service und Verkauf werde der Händler auch durch einen zuverlässigen Kundendienst kaum einen Kunden an sich binden. Nach Ansicht von Nolte249 fehlt bei der Tätigkeit eines Vertragshändlers für eine Vielzahl unterschiedlicher Geschäftsherren die für die analoge Anwendung des § 89b auf Vertragshändler erforderliche Eingliederung. 238 Zum HV-Vertrag: BAG DB 1972, 2215; Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 6; Wank EWiR 1997, 829. 239 BGH ZIP 2000, 630 (631); OLG Bremen, Beschl. v. 28.1.2005 – 2 W 108/04, OLGR 2005, 432; Behrend NJW 2003, 1563 zum HV-Vertrag. BSG BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 35. NJW 2007, 188 ff.; aA LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08 n. v. MDR 2004, 1209. WuW 2003, 752 (759). NJW 1982, 2819 = BB 1982, 2067 m. Anm. Lang. Das kann nicht zutreffen, weil Exklusivität keine Ausgleichsvoraussetzung ist, auch nicht beim HV. Wer die Realitäten des Vertriebs und die rigiden Weisungen der Hersteller hinsichtlich der Ausgestaltung der Verkaufsstätten kennt, mag auch die Tatsachengrundlage bezweifeln. Das Argument wiederholt Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280 (281) lange nach Wegfall der GVO. 246 Bechtold NJW 1983, 1393 (1397). 247 Siegert NJW 2007, 188 (190). 248 Siegert NJW 2007, 188 (190). 249 Nolte WRP 2005, 1124 (1129).

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Dem kann nicht zugestimmt werden. Zum einen bildet bereits die den Händlern auferlegte 51 Vertriebspflicht ein Indiz für die HV-gleiche Einbindung. Sie ist in den Kfz-Händlerverträgen vorgeschrieben und ergibt sich mittelbar auch aus den zum Vertrieb anreizenden Vergütungsregelungen. Zum zweiten konnte eine GVO als kartellrechtliche Regelung mit anderem Regelungszweck nicht die zivilrechtliche Frage der Ausgleichsvergütung bestimmen. Kartellrechtliche Freistellungsvoraussetzungen und Zivilrecht sind voneinander unabhängig. Die Analogievoraussetzungen für die Ausgleichsgewährung setzt allein das Zivilrecht. Turnusmäßige Novellierungen der GVOs haben keine Rückwirkung auf das Ausgleichsrecht. Zum dritten ist eine engere Einbindung als im Kfz-Vertrieb kaum denkbar, wo angesichts der Detailverliebtheit der Regelungen schon von einer franchiseähnlichen Stellung der Vertragshändler ausgegangen wird.250 Auf die Schutzbedürftigkeit des Händlers kommt es für das Ausgleichsrecht nicht an.251 Beim typischen Kfz-Händler waren also auch nach Einführung der GVO 1400/02 die Ausgleichsvoraussetzungen gegeben.252 Auch der gesetzestypische Mehrfirmen-HV als Analogieleitbild besitzt ein Ausgleichsrecht.253 Ebenso wenig aussagekräftig war das Argument, nach Ausspruch der Kündigung hätten Händler im Geltungsbereich der Kfz-GVO 1400/02 sowie der sie ersetzenden Selbstverpflichtungskataloge (dazu die Kommentierung zu Vor § 84) noch zwei Jahre Zeit, Kunden von dem gekündigten Produkt auf andere Produkte umzuleiten. Auch deshalb seien für Händler, die verschiedene Marken vertrieben, die Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung des § 89b nicht mehr gegeben. Der BGH254 hat bei nachvertraglicher Konkurrenztätigkeit lediglich eine Kürzung des Rohausgleichs von 25 % für zulässig gehalten. Außerdem hat der Vertragshändler kein Interesse an der ausgleichsreduzierenden, vertragsbegleitenden Überleitung auf Konkurrenzprodukte. Denn bei einem Verkauf im Rahmen des auslaufenden Vertrages erhält er nicht nur den Händlerrabatt sondern für Verkäufe des letzten Jahres auch einen Ausgleich, so dass er bei einem Verkauf des auslaufenden Produkts „doppelt“ verdient, während er bei einem Verkauf des fortlaufenden Konkurrenzproduktes nur einmal verdienen würde. Ohnehin hat auch der leitbildsetzende HV während der Kündigungsfrist, gerade bei längerer Kündigungsfrist oder Festlaufzeit Gelegenheit zur Umwerbung. Das verringert die Ausgleichsbemessungsgrundlage, schließt den Ausgleich jedoch nicht aus. Die Rspr. ist dieser Meinungsgruppe daher nicht gefolgt. In eine ähnliche Richtung weist das Argument, die Analogie scheitere daran, dass ein Eigenhändler – anders als der HV – den Kundenstamm nicht in Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Unternehmer, sondern für sich selbst aufbaue.255 Dies ist zweifelhaft,zum einen, weil der Zweck etwa der Überlassungsverpflichtung irrelevant ist, zum anderen weil auch der HV den Kundenstamm letztlich für sich selbst aufbaut und er Kunden nach Vertragsende zu einem anderen Unternehmer abwerben kann.

b) Vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes. Als drittes Analo- 52 giekriterium muss die spätestens bei Vertragsende,256 meistens konkludent,257 durch vertragsgemäße oder tatsächliche Handlungen begründete Verpflichtung des Mittlers hinzukommen, dem Unternehmer während oder zum Ende des Vertragsverhältnisses seinen Kundenstamm durch Übermittlung der Kundendaten so zu überlassen, dass dessen Vorteile bei

250 251 252 253 254 255

OLG München, Hinweisbeschl. v. 23.12.2009 – 7 U 3071/09, n. v. LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425. OLG München, Hinweisbeschl. v. 23.12.2009 – 7 U 3071/09, n. v.; LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08 n. v. Emde BB 2006, 1121 (1125). BB 1996, 2265 (2267). OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.14 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 (49) m. Anm. Erdmann – Franchisesystem. 256 BGH NJW-RR 1992, 421 (423). 257 BGH DB 1986, 1067 (1070); OLG München, Urt. v. 5.12.2019 – 23 O 2136/18, BB 2020, 592 (595); Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 214; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 23. 209

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Vertragsende tatsächlich sofort und ohne Weiteres für den Unternehmer nutzbar sind.258 Das dritte Analogiekriterium fordert also nicht nur eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes. Vielmehr muss der Unternehmer die Kundenbeziehungen nach Beendigung des Händlervertrages auch (potentiell) nutzen können.259 Im Kfz-Vertragshändlerrecht260 und im Franchiserecht261 ist dieses Analogiekriterium aufgrund der engen Einbindung dieser Mittler meist problemlos feststellbar. Da beim HV-ähnlichen Mittler, nicht anders als beim HV selbst, die potentielle Möglichkeit der Nutzung des Kundenstammes genügt, kommt es für den Rechtsgrund nicht darauf an, ob die vertragliche Verpflichtung tatsächlich durchgesetzt, also erfüllt wird262 (s. a. unten, zur Erfüllung). Auch braucht der Unternehmer die Chance der Nutzbarkeit nicht zu ergreifen und muss von den genutzten Daten keinen Gebrauch machen.263 Genügend ist im Grundsatz die rechtliche Verpflichtung zur Übertragung und damit die Nutzbarkeit.264 Anderenfalls könnte der Unternehmer durch eine Verweigerung der Entgegennahme den Ausgleichsanspruch ausschließen, was, wenn man die tatsächliche Erfüllung fordern wollte, einen Fall der §§ 162, 242 BGB darstellen würde. Besteht eine Überlassungspflicht, bleibt der Ausgleichsanspruch auch dann bestehen, wenn der Vertrag sie an anderer Stelle ausschließt.265 Es genügt die Begründung an einer Stelle des Vertrages.

53 aa) Begründung dieses Analogieerfordernisses. Begründet wird die Forderung nach diesem Analogiekriterium damit, dass der Prinzipal eines HV den von ihm geworbenen Kundenstamm nach Vertragsende allzeit nutzen könne, da ihm als Vertragspartner seiner Kunden deren Namen und Adressen sowie die Geschäftskonditionen bekannt seien.266 Beim Vertragshändler, FN und 258 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = WM 2015, 535; Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513 Rn 14 (Franchiserecht); 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 Rn 17; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 13.6.2007 – VIII ZR 352/04, NJW-RR 2007, 1327, Tz. 13 f; v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, WM 2006, 1919 = BB 2006, 1648, Tz. 11; v. 22.10.2003 – VIII ZR 6/03, WM 2004, 991, unter II; v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, NJW 2000, 1413 = BB 1993, 2399; BGH WM 1998, 1256; Urt. v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159 (2160); NJW-RR 1994, 99; BGHZ 135, 14; NJW 1983, 2877 (2878); BGHZ 29, 83 (90); 34, 282 (286); BGH NJW 1964, 1952; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 65; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, ZVertriebsR 2017, 111 = BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume und Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) sowie zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188; OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.2014 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 m. Anm. Erdmann; OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.); OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.5.2013 – I-16 U 36/12, BeckRS 2014, 18249 (FN, i. E. verneint); v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – MotorradVertragshändler; v. 28.2.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 106; Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 243/05, BeckRS 2007, 00760; LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde (jedenfalls im Ergebnis, gleichwohl an der Richtigkeit dieser Ansicht zweifelnd); Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79; Canaris § 17 Rn 25; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214; aA Karsten Schmidt DB 1979, 2357 (2359 f.); Eckert WM 1991, 1237 (1243 f.); Küstner/Thume III, 2. Aufl. 1998, Rn 1820. Übersicht Emde ZVertriebsR 2020, 3 ff. 259 Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166 (167). 260 Ostendorf MDR 2008, 1377. 261 Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (292). 262 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214; Hopt § 84 Rn 14; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142). 263 BGHZ 135, 18; HVR Nr. 865; OLG Köln, Urt. v. 28.4.1995 – 19 U 189/94, NJW-RR 1996, 98; OLG Hamm, Urt. v. 11.5.1978 – 18 U 316/76, DB 1979, 304 (Versand-HV); LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142); Hopt § 84 Rn 15. 264 BGH WM 1982, 1125; 1983, 1102; 1986, 530; ZIP 1993, 1788; NJW-RR 1998, 1331; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 229, 266. 265 BGH BB 1993, 2401; NJW 1985, 3076 (3077); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 368. 266 Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (293). Emde

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Markenlizenznehmer mit Vertriebspflicht schließe hingegen der Mittler die Verträge im eigenen Namen. Dem Unternehmer müsse der Kundenstamm also nicht geläufig sein. Dann könne er ihn nachvertraglich nicht ohne Mitteilung der Kundendaten auswerten. Der Vertriebsrechtsenat des BGH ist deshalb der Auffassung, die rein faktische Kontinuität des Kundenstammes gebe dem Unternehmer nicht die gleiche Sicherheit, etwa wenn er das die Kontinuität begründende, am selben Ort belegene Geschäftslokal aufgeben müsse und den Kundenstamm mangels Kenntnis der Kundenadressen nicht anschreiben könne.267 Außerdem habe der Mittler anderenfalls den Kundenstamm lediglich für sich selbst geworben, also kein fremdes, sondern ein eigenes Geschäft besorgt.268 Daran ändere sich nichts, wenn ein Vertriebsmittler im Außenverhältnis gegenüber dem Kunden nicht unter eigenem Kennzeichen, sondern unter dem des Vertriebsystems in Erscheinung trete.269 Ein vom Mittler beworbener, im Wesentlichen anonymer Kundenstamm sei nach Vertragsende nicht ohne weiteres für den Unternehmer nutzbar.270 Die Nutzbarkeit sei insb. eingeschränkt, falls der Vertriebsmittler am selben Standort – z. B. unter eigenem Kennzeichen – weiterhin ein Geschäft betreibe. Daran ändere der Umstand nichts, dass der Mittler verpflichtet sei, die Geschäftsräume nach Vertragsbeendigung an den Unternehmer oder einen Dritten herauszugeben.271 Nach der gesetzlichen Wertung komme bei der Rückgabe eines Pachtgegenstandes ein etwaiger Wertzuwachs dem Verpächter zu; für einen solchen Wertzuwachs könne der Pächter keinen Ausgleich verlangen.272 Eine den Mittler treffende Pflicht, die Geschäftsräume nach Vertragsbeendigung herauszugeben, begründe keine Ausgleichspflicht nach § 89b.273 Nach Drossat274 entschei267 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535; Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513; OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.2014 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 m. Anm. Erdmann. BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 28 ff. m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 60. Franke/Rohrßen IHR 2017, 60 (65) referiert diese Grundsätze, ist i. E. aber für einen Kommissionsagentenvertrag aA. Wenn die Ortsverlegung bei Vertragsende vorhersehbar war, wäre dies nach der Anlagerechtsprechung zu berücksichtigen. 268 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280; Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104; NJW 1996, 2159 (2160) sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513; NJW-RR 1998, 390 (391) Rn 18; Canaris 24. Aufl. § 17 Rn 25. 269 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513 Rn 18 – Franchisevertrag. 270 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513 – Franchisevertrag; aA OGH Österreich, Urt. v. 30.8.2006 – 7 Ob 122/06a; Moritz ZVertriebsR 2017, 143 (145) zum Recht Österreichs. 271 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513 und Bespr. Latzel ZVertriebsR 2015, 90 – Franchisevertrag. 272 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13 – Franchisevertrag, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513 sowie Bespr. Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (91); OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.2014 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 m. Anm. Erdmann - Franchisevertrag. Aber der Pächter unterliegt keiner Vertriebspflicht und ist nicht unter einem HV-ähnlichen Rechtsverhältnis tätig. Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (363) hält den Vergleich zum Pachtrecht zutreffend für verfehlt: Beim Pachtrecht werde kein ganzes Geschäftskonzept und kein know-how überlassen. 273 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13- Franchisevertrag, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513; OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.2014 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 m. Anm. Erdmann - Franchisevertrag. 274 Drossart IHR 2016, 7 (16). Die Auffassung von Drossart dürfte nur begrenzt richtig sein, weil auch im Bereich der Analogie eine Verpflichtung zur Absatzförderung und damit zur Suche nach einem treuen Kundenstamm besteht. 211

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dend sei das Bestehen wechselseitiger Leistungspflichten: Der Ausgleich werde gezahlt, weil der HV verpflichtet sei, dem Unternehmer die Nutzung des Kundenstammes allein zu überlassen. Bestehe keine Verpflichtung zur Übertragung der Kundendaten, fehle es für eine Analogie an den notwendigen Voraussetzungen. Die Möglichkeit, dass die anonym bleibenden Kunden das Geschäftslokal weiter aufsuchten, beruhe auf tatsächlichen Umständen, nicht wechselseitigen Leistungspflichten. 54 Auch wenn der 1. Zivilsenat im Ergebnis das Erfordernis einer vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung der Kundendaten bestätigt, war er nach den Verhältnissen des Einzelfalls für den Ausgleichsanspruch eines Kommissionsagenten tendenziell aA: Er entschied, im weitgehend anonymen Massengeschäft eines stationären Sonderpostenmarktes benötige der Kommittent für eine Übernahme des Kundenstamms nicht in gleicher Weise wie beim Verkauf hochwertiger Wirtschaftsgüter den Zugang zu vollständigen Kundendaten. Betreibe der Kommissionsagent in von dem Kommittenten angemieteten Räumen einen filialähnlich organisierten Markt und habe der Kommittent über ein von ihm vorinstalliertes Kassensystem ständigen Zugriff auf Informationen zu allen Verkaufsvorgängen und auf sämtliche von den Kunden im Rahmen des Bezahlvorgangs mitgeteilten personenbezogene Daten, sei von einer faktischen Kontinuität des Kundenstamms auszugehen, wenn der Kommittent nach Beendigung des Kommissionsagenturverhältnisses den Markt unter derselben Geschäftsbezeichnung in denselben Geschäftsräumen weiterführen könne.275 Die Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes folge bereits aus § 384 Abs. 2.276 Mglw. hatte den BGH die Nähe des Kommissionsagenten zum HV zu seiner Entscheidung motiviert. Außerdem dürfte für die Einzelfallbetrachtung entscheidend gewesen sein, dass das vom Unternehmer installierte Kassensystem alle Verkäufe meldete und damit mehr als eine rein faktische Kontinuität bestand. 55 Damit kommt es, wie Lindhorst277 ausführt, nach der Rspr. für die Frage einer Ausgleichsverpflichtung auf den konkreten Einzelfall an. Hallermann-Christoph278 und Bauer/Bölle279 kritisieren, dass der BGH in seiner Beurteilung sehr formal bleibt. Hallermann-Christoph280 bemerkt ferner, der BGH habe sich nicht vertieft der Frage gewidmet, ob die Gesamtheit der zu Lasten des FN enthaltenen Verpflichtungen nicht dazu führt, dass der vom FN geschaffene Kundenstamm gleichsam „automatisch“ auf den FG übergeht.281 Gerade wenn der Vertrieb über FN erfolgt, die die standardisierten Produkte im anonymen Massengeschäft verkaufen, dürfte es dem FN kaum gelingen, einen eigenen, auf sich bezogenen Kundenstamm aufzubauen. Nach Auffassung von Giesler282 werden sich zukünftige Verträge an der Entscheidung orientieren. Die Einschränkung, dass die von dem BGH aufgezeigten Prinzipien für Konzepte gelten, die „im Wesentlichen ein 275 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 m. Anm. Wauschkuhn; ebenso OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123. Wauschkuhn NJW 2017, 481 kritisiert, die Entscheidung stehe nicht im Einklang mit der bisherigen Rspr. des BGH, derzufolge die faktische Kontinuität des Kundenstamms bei einem anonymen Massengeschäft nicht für eine Ausgleichsberechtigung genügt. Dem ist zu entgegnen, dass der BGH in der vorgenannten Entscheidung dies ebenfalls so sieht. Er hat jedoch berücksichtigt, dass das Kassensystem alle Verkäufe meldete und damit mehr als eine bloß faktische Kontinuität bestand. Niklas ZVertriebsR 2017, 106 verweist auf die inkonsequente Ablehnung der analogen Anwendbarkeit des § 89b auf Franchiseverträge im anonymen Massengeschäft durch den BGH und dass die Ansicht des BGH, eine ausgleichsbegründende Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes ergebe sich im Kommissionsrecht aus § 384 Abs. 2 auch zu einem Ausgleichsanspruch des FN im anonymen Massengeschäft führen müsste. Man könnte dies, so Niklas, als klare Rechtsprechungsänderung betrachten, gäbe es nicht die willkürliche Differenzierung zwischen Kommissionsagenten und FN und die unterschiedliche Zuständigkeit beim BGH. 276 So auch OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215. 277 NJW 2015, 947. 278 LMK 2015, 368280. 279 Bauer/Bölle IHR 2015, 94 (96). 280 LMK 2015, 368280. 281 Bauer/Bölle IHR 2015, 94 (96); Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280. 282 Giesler EWiR 2015, 514. Emde

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anonymes Massengeschäft betreffen“, namentlich Systemgastronomie, Einzelhandel, stationäre Dienstleistungen ohne Datenaustausch, sei bei richtiger Gestaltung des Franchisevertrages ohne Relevanz. Entscheidend bleibe, dass von einer Übertragung des Kundenstammes abgesehen werde. Bauer/Bölle283 bemerken, der Novellierung des § 89b 2009 und die fehlende Kodifizierung eines Ausgleichsanspruchs der Vertragshändler und FN könne nicht im Umkehrschluss ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs entnommen werden. Nach wie vor bestehe also eine Regelungslücke. Es stehe zu erwarten, dass ein bestimmter Teil des Kundenstammes übergehe. Seine Höhe könne durch statistisches Material belegt und notfalls nach § 287 ZPO geschätzt werden.284

bb) Kritik am Erfordernis des Merkmals. Ob das TB-Merkmal der vertraglichen Verpflich- 56 tung zur Übertragung des Kundenstammes immer erforderlich ist, wird mit Recht bezweifelt.285 In Österreich bedarf es z. B. keiner vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes, um den Ausgleichsanspruch eines Vertragshändlers zu begründen. Vielmehr genügt es, dass der Hersteller durch die Gestaltung der Abläufe faktisch Kenntnis von den vom Händler geworbenen Neukunden erhält.286 Nach Ansicht des LG Nürnberg-Fürth ist für die Frage, ob ein Ausgleichsanspruch dem Grunde nach besteht, einzig und allein i. S. e. Analogie maßgeblich, ob der Unternehmer infolge der Tätigkeit des Mittlers einen Vorteil aus dem Vertriebsvertrag zieht.287 Z. T. wird vorgebracht, die Möglichkeit des Unternehmers, nach Vertragsbeendigung erhebliche Vorteile zu ziehen, sei der zur Entstehung des Ausgleichs führende Rechtsgrund.288 Hieran müsse auch die Analogie ausgerichtet werden: Das Analogiemerkmal der Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes sei in § 89b nicht normiert. Eine Verpflichtung – z. B. durch Mitteilung von Kundendaten – könne daher auch nicht Ziel und Zweck der Analogiefähigkeit sein. Es handele sich nur um den Weg, dieses Ziel zu erreichen. Sie zum TB-Erfordernis zu erklären, sei eine Verkennung von Ursache und Wirkung.289 Kein Grund existiere, mit der Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes eine zentrale Analogievoraussetzung zu postulieren, die es im Falle der direkten Gesetzesanwendung nicht gebe. Es bleibe unverständlich, warum willkürlich nur bestimmte Wege der Überlassung des Kundenstammes einen Ausgleichsanspruch auslösen könnten, während beim HV keine Einschränkungen existierten und der Unternehmer auch auf anderem Wege den Kundenstamm erhalten könne.290 Auch der HV sei vertraglich nicht verpflichtet, dem Unternehmer einen Kundenstamm zu schaffen, der diesem nachvertragliche Vorteile bringe. Vielmehr bestehe seine Aufgabe gem. § 84 (nur) darin, 283 IHR 2015, 94. 284 Bauer/Bölle IHR 2015, 94 (97 f.). 285 LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 27.11.2018 – 2 HKO 10103/12, IHR 2019, 77 = ZVertriebsR 2019, 50 m. Anm. Emde sowie zust. Anm. Czaja IHR 2019, 221 (223) und Ayad BB 2019, 1556; LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/ 10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde (das sich angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Rspr. gleichwohl an diese gebunden fühlt); LG Frankfurt/M., Urt. v. 10.12.1999 – 3/8 28/1999, n. v.; Emde ZVertriebsR 2020, 3 (5 f.); Meyer ZVertriebsR 2019, 99 (103) – der den Beschl. des LG Nürnberg erlassende Richter; Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104 (106) – FN; Schröder BB 1961, 809 (811); Eckert WM 1991, 1237; Kreifels/Lang NJW 1970, 1769, 1774; Sandrock in: FS Fischer, S. 657 f; Karsten Schmidt DB 1979, 2357 (2360); Graf v. Westphalen DB Beil. 23/1981, S. 12 ff.; Emde WRP 2003, 468 (470); Hopt § 84 Rn 14. Distanz drückt je nach Lesart auch die Entscheidung BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 40 m. Anm. Wauschkuhn aus. Zum Teil wird sie so interpretiert, als kündige sich hier ein Wandel der Rspr. an. Genauso gut ist es aber möglich, dass diese Rn der Entscheidung falsch verstanden wird. Jedenfalls handelt es sich um keine Entscheidung des Vertriebsrechtssenats. 286 Moritz ZVertriebsR 2017, 143 (144); Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (279). 287 LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 27.11.2018 – 2 HKO 10103/12, IHR 2019, 77 = ZVertriebsR 2019, 50 m. Anm. Emde sowie zust. Anm. Czaja IHR 2019, 221 (223) und Ayad BB 2019, 1556. 288 Thume BB 2016, 578 (581); Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (363) – zum Franchiserecht. 289 Thume BB 2016, 578 (581); zust. Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (363). 290 Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (363). 213

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ständig für den Unternehmer die vereinbarten Geschäfte abzuschließen oder zu vermitteln.291 Entscheidend für die Analogie sei also die sofortige Nutzungsmöglichkeit des Unternehmers nach Vertragsende.292 Es reiche, wenn sie ohne vertragliche Überlassungsverpflichtung, also auf anderen Wegen, etwa infolge technisch-kommunikativer Gegebenheiten,293 erreicht werde.294 Auf ein Vertrauen in den Fortbestand der überkommenen Rspr. könnten sich Unternehmer nicht berufen. Denn die bisherige Rspr. des BGH werde seit Jahrzehnten kritisiert. Der BGH sei daher nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, von jener abzugehen.295 Auch der von der RL bezweckte Schutz spreche dafür, dass die faktische Kontinuität des Kundenstammes zur Analogie genüge.296 Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass nicht der Unternehmer, sondern der Kunde, 57 darüber entscheidet, ob er an die Geschäftsbeziehung anknüpft. Regelmäßig ist davon auch ohne eine an die Vertragsbeendigung anschließende Initiative des Unternehmers bei einem bestimmten Prozentsatz der Kunden, der gem. § 287 ZPO geschätzt oder durch SV-Gutachten ermittelt werden kann, auszugehen. Paradigma ist ein Unternehmer, welcher das Ladenlokal des Mittlers übernimmt, so dass es ohne spürbare Änderung in gleicher Weise weiter betrieben werden kann297 und die Laufkundschaft ohne erkennbare Bemühungen und ohne Kenntnis ihrer Namen und Adressen „automatisch“ wiederkehrt.298 Zu berücksichtigen ist auch, dass die Mitteilung der Kundendaten uninteressant sein kann, wenn die Kunden ohnehin nur temporär, dann aber regelmäßig (Stammkunden), kaufen, etwa bei Babyartikeln, die nur benötigt werden, solange das Kind ein Baby ist. Die Aufbauarbeit des Mittlers kann gleichwohl erheblich sein, etwa durch den Aufbau und die Stärkung des Markennamens oder von Empfehlungsketten. Gegenbeispiele bilden Systeme, in welchen der Mittler den Standort fortführt299 oder der Unternehmer den Kampf um den Kunden nur gewinnen kann, sofern er möglichst präzise Daten des Kundenstammes besitzt. Folglich eine Überlassungspflicht nicht in jedem Fall erforderlich. U. U. genügt es, wenn der Unternehmer auf andere Weise den Kundenstamm mitgeteilt oder übertragen erhält. Entscheidend ist, ob der Unternehmer wie der Prinzipal eines HV auf den vom Mittler geworbenen Kundenstamm zugreifen kann. Wie beim „Original“, dem HV-Vertrag, müssen auch bei seiner „Entsprechung“, dem Eigenhändlervertrag, beide Parteien eine hinsichtlich der Zugriffsmöglichkeit auf den Kundenstamm HV-ähnliche Stellung des Mittlers wünschen. Nur dann ist eine die Analogie begründende, vergleichbare Situation aufgrund kon291 292 293 294 295 296 297

Thume BB 2016, 578 (581). Meyer ZVertriebsR 2019, 99 (103); Thume BB 2016, 578 (582). Meyer ZVertriebsR 2019, 99 (104). Meyer ZVertriebsR 2019, 99 (103); Thume BB 2016, 578 (582); zust. Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (363). Thume BB 2016, 578 (583). Thume BB 2016, 578 (584). Emde ZVertriebsR 2019, 50; Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (363). Vgl. auch BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 43 m. Anm. Wauschkuhn. 298 Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (363); Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (293); aA BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513 und Bespr. Latzel ZVertriebsR 2015, 90; OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.14 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 58 (49) m. Anm. Erdmann; OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.5.2013 – I-16 U 36/12, BeckRS 2014, 18249: Die Pflicht des FN, die Betriebsräume nach Beendigung des Vertrages an den Unternehmer herauszugeben und die darauf für ihn folgende Möglichkeit, das Geschäftslokal an einen neuen FN zu übergeben, könne nicht mit der Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes gleichgesetzt werden; LG Mönchengladbach, Urt. v. 29.6.2010 – 3 O 324/09: Der FN sei nicht daran gehindert, den Kundenstamm seines Backshops nach Vertragsende zu nutzen. Aber das ist bei unbekannter Kundschaft und Verlust des Standortes gerade nicht möglich. Kritisch zur Entscheidung des LG daher Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (293). Offengelassen von OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 30. 299 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13 – Franchisevertrag, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280; Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (293). Emde

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sensualen Handelns gegeben.300 Eine „formelle“ Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes ist dazu nicht erforderlich – zumal die Verpflichtung weniger interessant als der faktische Kundenzugriff sein dürfte. Das schließt einseitige Zuweisungen dieser Stellung mittels aufgedrängter Bereicherung oder Vertragswidrigkeiten einer Partei aus. Auch der Unternehmer muss die HV-Ähnlichkeit wollen, nicht nur der Mittler – und letztgenannter oft erst nach Vertragsende, ob des Ausgleichsrechts willen. Die eindeutig oder auch konkludent vereinbarte Überlassungspflicht ist nur ein besonders prägnanter Indikator für einen solchen beidseitigen Wunsch und die Analogie, weil die Überlassungspflicht den Mittlervertrag durch zweiseitige Willenserklärungen in die einem HV-Vertrag ähnliche Informationshoheit des Unternehmers rückt.301 Die Überlassungspflicht ist also rechtstechnisches Hilfsmittel zur Herleitung der Analogiesituation. Sie kann auch aus anderen Indizien abgeleitet werden, etwa im o. g. Geschäft mit anonymisierter Laufkundschaft. Hier wird sie aufgrund der äußeren Gemeinsamkeit zum Leitbild des anonymen Tankstellen-HV-Vertriebs gezogen, in welchem trotz der – außer im Geschäft mit Kartenkunden – fehlenden Kenntnis des Unternehmers von den Kundennamen eine Ausgleichspflicht existiert.302 Die Analogie darf nicht über dieses beim HV anerkannte Leitbild hinweggehen.303 Dies ist derzeit jedoch der Fall.304 Ggf. genügt also die faktische Kontinuität der Kundenbeziehungen.305 Kritik wird insb. im Franchiserecht laut: Dort ist es besonders wahrscheinlich, dass der 58 Kunde aufgrund der „Quasi-Filialität“ des Ladenlokals den Inhaberwechsel nicht erkennt, gleichwohl die Geschäftsbeziehungen zum neuen Inhaber fortsetzt und die Kundennamen wegen der Anonymität der Laufkundschaft deshalb keine Bedeutung besitzen306: Dem FN sei es meist nicht gestattet, in seinem eigenen Namen zu werben.307 Der geworbene Kunde komme deshalb – faktisch – dem FG zu.308 Gerade hier müsse der BGH untersuchen, ob die Analogievoraussetzung einer Übertragungspflicht erforderlich sei.309 Für den FN dürfe kaum eine reale Möglichkeit zur Umleitung des Kundenstammes auf sein eigenes Geschäft gegeben sein.310 Niklas311 hält es deshalb für fernliegend, dass ein anonymer Kundenstamm nach Vertragsbeendigung nicht ohne Weiteres für den FG nutzbar sein soll. Die Sogwirkung der Marke werde nicht

300 Emde ZVertriebsR 2012, 117. 301 So wie der in § 25 genannte Beispielsfall ein besonders deutliches Beispiel der Firmenfortführung bildet. 302 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 43 m. Anm. Wauschkuhn; Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (364); Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104 (106) – FN; Bauer/Bölle IHR 2015, 94 (97); aA OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.5.2013 – I-16 U 36/12, BeckRS 2014, 18249: Der Umstand, dass aufgrund der Anonymität im Massengeschäft keine Kundenlisten geführt würden, rechtfertige kein Wegfall des Analogieerfordernisses. 303 In diese Richtung auch Moritz ZVertriebsR 2017, 143 (145) zum Recht Österreichs. 304 Fabig IHR 2019, 1 (5); Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (145). 305 AA OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.5.2013 – I-16 U 36/12, BeckRS 2014, 18249; OLG Stuttgart, Urt. v. 16.5.1997 – 2 U 229/96, NJWE-WettbR 1998, 46 (48) = LNR 1997, 14508; LG Mönchengladbach, Urt. v. 9.1.2012 – 8 O 71/11, BeckRS 2014, 17074 zu einem Franchisesystem. 306 OLG Köln, Urt. v. 17.9.2004 – 19 U 171/03 Rn 11; Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (91); Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (294); Penners Die Bemessung des Ausgleichsanspruchs im Handelsvertreter- und Franchiserecht, Diss. iur. Augsburg 2014; aA BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513; OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.14 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 58 (49) m. Anm. Erdmann; LG Mönchengladbach, Urt. v. 29.6.2010 – 3 O 324/09; v. 9.1.2012 – 8 O 71/11, BeckRS 2014, 17074, das den Ausgleichsanspruch bei einem Franchisessystem ohne vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes ablehnt. 307 Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (92). 308 Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (91). 309 Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (363). 310 VII ZR 109/13. 311 Niklas ZVertriebsR 2016, 362. 215

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berücksichtigt.312 Außerdem sei ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nicht unüblich.313 Die Übertragungspflicht sollte also entgegen dem BGH zumindest gegeben sein, wenn der Mittler die Betriebsstätte an den Unternehmer herausgeben muss.314 Die Entscheidungen, die eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes im Kommissionsagentenrecht § 384 Abs. 2 entnehmen (s. o.), zeigten die Überzeugung, dass auch im anonymen Massengeschäft ein Ausgleich entstehen könne.315 In Franchiseverträgen, in denen dem FG eine Übernahmeoption zustehe, würden deshalb Regelungen zur Ermittlung des Kaufpreises eingefügt.316 Das unterstreiche die Notwendigkeit einer Ausgleichszahlung (notfalls § 354). Dass gegenüber Vertragshändlern eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes als Analogiekriterium gefordert werde, rechtfertige sich aus der gegenüber Franchiseverträgen regelm. weniger anonymen Geschäftsausführung und der geringeren Quasi-Filialität.317 Zu denken ist weiter an den Ersatzteilmarkt im Kfz-Bereich: Niemand erwirbt ein Ersatz59 teil, ohne zuvor einen Kfz der gleichen Marke erworben zu haben. Die Kfz-Kunden kennt der Hersteller jedoch aufgrund der Verpflichtung der Vertragshändler, jene Käufer mitzuteilen, was zur Ausgleichspflicht genügt.318 Will man die Parallele zum HV besonders deutlich ziehen, muss die Mitteilung der Kundendaten letztlich auf einem Verhalten oder einer Tätigkeit des Mittlers beruhen. Ist man großzügiger, genügt jede Kenntnisnahme- oder Nutzungsmöglichkeit des Kundenstammes durch den Unternehmer, etwa vermöge einer Mitteilung durch Dritte oder sogar die rein faktische Zugriffsmöglichkeit, etwa aufgrund der Sogwirkung seiner Marke.319 In den meisten Fällen werden die Unterschiede zwischen h. M. und Mindermeinung gering 60 sein.320 Denn die Anforderungen der h. M. an die Überlassungsvereinbarung sind nicht hoch (dazu unten). So bedarf es auch nach h. M. keiner im Vertrag formulierten Vertragspflicht. Eine stillschweigende Übereinkunft genügt. Sollte es jemals zu einer gesetzlichen Regelung des Eigenhändlerrechts kommen, dürfte es fernliegen, den Ausgleichsanspruch an das formelle Kriterium der vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes anzuknüpfen.321 Siegert322 vertritt, die Pflicht zur Überlassung des Kundenstammes müsse im Einklang mit 61 anderen Stimmen323 durch das Kriterium der „Kausalität“ ergänzt werden. Ein Ausgleich scheide aus, sofern der Hersteller den Vorteil der Neubestellung nicht der Leistung des Händlers verdanke. Das dürfte nach bisheriger Dogmatik eher abzulehnen sein. Denn die Kausalität des Händlers muss nur für die Neukundenwerbung bestehen und die Sogwirkung der Marke bewertet den Einfluss des Herstellers.

62 cc) Weitergabe der Kundendaten an Marketingunternehmen und Löschungsverpflichtung. Im Ergebnis bedeutet die h. M., dass der Hersteller, wie in der Toyota-Entscheidung des

312 Niklas ZVertriebsR 2016, 362. 313 Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (92). 314 Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (294); aA BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. HallermannChristoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513 – Franchisevertrag. 315 Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (364 f.). 316 Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (365). 317 Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (365). 318 Eingehend Emde GRUR 2006, 997 (1005). 319 AA BGH, Urt. v. 11.12.1958 – II ZR 73/57, BGHZ 29, 83 = NJW 1958, 144 = BB 1958, 144 – es handelt sich eigentlich um ein obiter dictum, s. Thume BB 2016, 578 (580). 320 Emde ZVertriebsR 2012, 116. 321 Dazu Karsten Schmidt in: FS Martinek, im Erscheinen für 2020/2021. 322 NJW 2007, 188 (192). 323 OLG München NJW-RR 1995, 1186 (1187); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 23. Emde

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BGH324 oder der Entscheidung des BGH v. 5.2.2015325 durch eine „raffinierte Vertragsgestaltung“,326 insb. durch eine Löschungsverpflichtung, den Kundenstamm abweisen und damit de facto § 89b entgegen seiner zwingenden Natur vertraglich ausschließen kann. Im Fall Toyota war der Vertragshändler zwar verpflichtet, eine Kundendatei zu führen und eine vom Hersteller bestimmte Marktanalysefirma als Treuhänder für ein Kundenkontaktprogramm einzuschalten. Aber dieser Firma war jede Weiterleitung der Namen an den Hersteller untersagt. Die Möglichkeit zur Nutzung durch den Hersteller bestehe, so der BGH, nicht, wenn der Treuhänder, dem der Händler die Kundendaten zu überlassen habe, auch ohne dahin gehende Vereinbarung gem. §§ 11, 28, 35 BDSG a. F. und §§ 667, 675 BGB verpflichtet sei, die Kundendaten des Händlers nach Beendigung des Vertragshändlervertrages zu löschen.327 Das Gleiche soll gelten, wenn, wie im Fall des BGH v. 5.2.2015, die Übertragung der Kundendaten an den Hersteller erfolgt, sich der Hersteller jedoch verpflichtet hat, die ihm vom Händler überlassenen Kundendaten bei Beendigung des Vertrages zu sperren, ihre Nutzung einzustellen und auf Verlangen des Vertragshändlers zu löschen.328 Ein Hersteller, der sich zur Sperrung der ihm überlassenen Kundendaten bei Vertragsende verpflichtet habe, könne die Daten nicht ohne weiteres für sich nutzbar machen.329 Dabei sei es irrelevant, ob der Händler auf die ihm überlassenen Kundendaten faktisch zugreifen könne.330 Dies sei der vertraglichen Verpflichtung zur Bekanntgabe der Kundendaten gegenüber dem Hersteller bei Beendigung des Vertrages nicht gleichzusetzen. Die für den Hersteller bestehende Möglichkeit, die ihm überlassenen Kundendaten unter Verstoß gegen seine vertraglichen Pflichten weiter zu nutzen, sei der Verpflichtung zur unmittelbaren Bekanntgabe der Kundendaten ebenfalls nicht gleichzusetzen.331 Selbst die vereinzelte Weitergabe der Kundendaten durch das Marketingunternehmen soll nur zu einem (wohl schwer zu beziffernden) Schadenersatzanspruch führen.332 Das bedeutet: der Hersteller erhält alle Vorteile aus dem Kundenstamm, wenn infolge der auch vom Händler aufgebauten Sogwirkung der Marke die Kunden zu einem vom Hersteller eingesetzten neuen Händler wechseln und er ihnen über die als Treuhänder eingeschaltete Marketingfirma Namen und Adresse des neuen Mittlers mitteilt. Diese Urteile bilden die Basis für die Auffassung, die ein Ausgleichsrecht unter der DSGVO in Zweifel zieht (s. u., kk). Ein Verstoß gegen die zwingende Natur des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 4 S. 1 soll in dieser Gestaltung nicht liegen.333 Denn der Ausgleichsan324 BGH, Urt. v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159; ähnlich OLG Köln, Urt. v. 4.5.2001 – 19 U 13/01, VersR 2002, 1102; zust. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 369. 325 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; zust. Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280 (283). 326 Karsten Schmidt Handelsrecht, § 28 III 2a cc; in die gleiche Richtung zu Franchiseverträgen Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (293). 327 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159. 328 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (36) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.); Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (294) – zu Franchiseverträgen; zust. Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280 (283). 329 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166. 330 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166. 331 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166. 332 BGH, Urt. v. 17.4.1996, BB 1996, 1458; v. 26.11.1997, NJW-RR 1998, 390; Stumpf MJW 1998, 12 (14); Kirsch NJW 1999, 2779 (2780). 333 Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166 (167); aA Thume BB 2016, 578 (583). 217

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spruch werde, so Wauschkuhn,334 nicht ausgeschlossen. Vielmehr werde nur der Eintritt der dritten Analogievoraussetzung, die Möglichkeit der Nutzung des Kundenstammes nach Vertragsende, vermieden.335 Zumindest bei verbundenen Unternehmen ist an einen Durchgriff zu denken.336 Grundsätzlich genügt allerdings die potentielle Nutzbarkeit der Kundendaten. Während der Vertragslaufzeit konnte der Unternehmer zumindest im Falle des Urt. v. 5.2.2015337 die Kundendaten nutzen und er gewann durch die Möglichkeit der Kundenbindung schon vertragsbegleitend Unternehmervorteile. Dass diese Kundenbindung auch nach Vertragsende fortbesteht, ist wahrscheinlich, womit eine Vermutung für Unternehmervorteile bestehen könnte. Unter einem HV-Verhältnis wären diese Unternehmervorteile auszugleichen, auch wenn der Unternehmer sich zur Löschung der Kundendaten verpflichtet hätte. 63 Was geschieht, wenn der Löschungsverpflichtung nicht nachgekommen wird? Ist das geplant, würde es sich um einen Betrug handeln, bei entsprechendem Vortrag im Prozess um Prozessbetrug. Ein Urteil könnte nach § 826 BGB sowie §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB aufgehoben werden. Da die Löschung nicht vorgesehen war, bestand die Absicht nachvertraglicher Nutzung und das zweite Analogiekriterium wäre erfüllt. Der Unternehmer könnte sich zudem nach §§ 162, 242, 249 ff. BGB nicht auf die Löschungsverpflichtung berufen. Außerdem läge eine (nachvertragliche) Vertragsverletzung gem. § 280 BGB vor.338 Auf den Eintritt der Verjährung könnte sich der Unternehmer nach den Grundsätzen des deliktsrechtlichen Verjährungsschutzes (Naturalrestitution) nicht berufen. Die Verletzung der Pflicht des Unternehmers wird sich regelm. schwer nachweisen lassen.339 64 Auf der Basis der h. M. gilt:

65 dd) Zeitpunkt von Überlassungsvereinbarung und Überlassung. Die vertragliche Verpflichtung braucht nicht bei Vertragsbeginn vereinbart worden sein.340 Sie muss aber zumindest während der Vertragslaufzeit entstanden sein.341 Eine Einigung nach Vertragsende soll nicht genügen,342 es sei denn, das Einigsein bezieht sich auch auf die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs. Vertragsbegleitend kann jederzeit eine Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes begründet werden. Der Ausgleichsanspruch wird dann aber nur auf Basis der nach dieser Einigung geworbenen oder erweiterten Kunden berechnet. Es ist auch irrelevant, ob der vorgesehene Übermittlungszeitpunkt oder -raum für die Erfüllung vertragsbegleitend durch laufende Unterrichtung des Herstellers über Geschäftsabschlüsse und Kundenbeziehung, zum Vertragsende343 oder nachvertraglich vorgesehen ist.344 334 335 336 337

Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166 (167). Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166 (167). Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 790. BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166. 338 I. E. auch Drossart IHR 2016, 7 (15). 339 Drossart IHR 2016, 7 (15). 340 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79; Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104 (106) – FN; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 365. 341 BGH NJW-RR 1992, 421 (423); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142). 342 Westphal II Rn 179. 343 Das genügt, s. BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79. 344 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; ZIP 1993, 1788; OLG Frankfurt/M., Grund- und Teilurt. v. 9.2.2016 – 11 U 136/14 (Kart); OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.); Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 227. Emde

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ee) Form und stillschweigende Vereinbarung der Überlassungsvereinbarung. Aus- 66 drücklich muss die Überlassungsvereinbarung nicht vereinbart werden,345 schon gar nicht im Vertriebsvertrag selbst.346 Auch existiert kein Formerfordernis. Um die Analogie und damit das Ausgleichsrecht nicht evident werden zu lassen, wird eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes in den gewöhnlich vom wirtschaftlich stärkeren Unternehmer vorformulierten Vertriebsverträgen kaum je ausdrücklich vereinbart,347 so dass der Ausgleich auf diese Weise umgangen werden könnte.348 Das ist auch nicht erforderlich, insb. nicht als schriftlich niedergelegte Verpflichtung.349 Es genügt eine sich zumindest mittelbar350 aus den Vertragsgrundlagen ergebende, ggf. konkludent geregelte351 oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung gefundene, die Übermittlung von Kundendaten einschließende Berichtspflicht oder ein Einsichtsrecht mit dem unter hh) aufgeführten (ggf. stillschweigenden) Inhalt, um das dritte Analogiekriterium zu erfüllen.352 Von der beständigen, faktischen Übermittlung der Daten ohne Widerspruch des Unternehmers wird oft auf die vertragliche Verpflichtung rückgeschlossen werden können.353 Sie bildet meist eine konkludente Vereinbarung, derzufolge die Kundendaten zu überlassen sind354 und begründet die Vermutung einer vertraglichen Verpflichtung.355 Daran ändert auch ein Schriftformerfordernis nichts. Wird eine solche Praxis über einen Zeitraum von 10 Jahren akzeptiert, ist dies ausreichend,356 wobei bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine stillschweigende Abrede angenommen werden kann. Die eindringliche Aufforderung des Herstellers, persönliche Daten der Kunden weitgehend lückenlos zu übermitteln, steht einer Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes gleich.357 Eine konkludente Derogation der Überlassungsverpflichtung ist denkbar, etwa nach längerer, unwidersprochener Nichtlieferung der Adressen. Dann könnte auch der Einwand der Arglist oder fehlender Billigkeit zugelassen werden. So soll die bloße Vertragspflicht bei langjährig gegenteiliger Praxis nicht genügen,358 was lediglich für periodische, nicht mehr durchsetzbare Pflichten relevant

345 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13 Rn 14, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513; Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104 (106) – FN; OLG München, Urt. v. 5.12.2019 – 23 O 2136/18, BB 2020, 592 (595); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 364. 346 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13 Rn 14, ZVertriebsR 2015, 102 m. Anm. Pour Rafsendjani = IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 m. Anm. Lindhorst = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280 sowie zust. Anm. Giesler EWiR 2015, 513; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79; Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104 (106) – FN. 347 Emde WRP 2003, 468 (470). 348 Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (293). 349 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503. 350 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 780. 351 BGH NJW 2000, 1413 = VersR 2000, 487; NJW 1994, 657 = ZIP 1994, 126; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 365. 352 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.2.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; Emde WRP 2003, 468 (470); Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 214. 353 BGH, Urt. v. 1.6.1964 – I ZR 235/62, NJW 1964, 1952. Deshalb lässt Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214 die tatsächliche Übermittlung genügen, auch wenn die vertragliche Verpflichtung nicht mehr feststellbar sein sollte; aA LG Erfurt, Urt. v. 21.8.2007 – 1 HK O 19/07, BeckRS 2013, 10304 bei bloßer „Übung“, die Kundendaten zu überlassen, ohne dass sich eine vertragliche Verpflichtung feststellen lässt. 354 Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 24 ff.; Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 488, 494; skeptisch noch OLG Köln, Urt. v. 28.11.1985 – 12 U 233/84, NJW-RR 1987, 218. 355 BGH ZIP 1993, 1788; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 30; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 229; Niebling WRP 2001, 506 ff.; Stumpf/Hesse BB 1987, 1474 (1482). 356 BGH ZIP 1985, 798. 357 Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 229; Niebling WRP 2001, 506 ff.; Niebling WRP 2009, 153 (156) mit Hinweis auf OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00. 358 OLG Köln NJW-RR 1996, 98. 219

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sein kann und wohl nur zutreffend sein dürfte, sofern in dieser Praxis eine konkludente Vertragsänderung liegt.

67 ff) Zu übermittelnde Daten. Die vertragliche Verpflichtung muss sich darauf richten, dass der Unternehmer an die Lieferbeziehung anknüpfen kann. Die Verpflichtung muss sich auf die Übermittlung individualisierter, nutzbarer Kundendaten beziehen.359 Wird entsprechend dieser vertraglichen Verpflichtung geliefert, hat der Vertriebsmittler erfüllt. Eine lückenlose Überlassung des Kundenstammes braucht nicht vereinbart zu werden.360 Es genügt, dass die vertragliche Vereinbarung eine möglichst vollständige Übertragung bezweckt,361 die gewählte Methode hierzu nicht ungeeignet ist362 und der Unternehmer den Kundenstamm deshalb im Wesentlichen tatsächlich nutzen könnte363 (potentielle Nutzbarkeit). So mögen etwa einzelne Kunden der Weitergabe widersprechen.364 Im Falle der Offenlegung von Kundendaten bei Erteilung von Kundenkarten soll es an der Verpflichtung zur im Wesentlichen vollständigen Übertragung fehlen.365 Es könnte jedoch daran gedacht werden, ob für den „Teilkundenstamm“ der Kartenzahler ein „Teilausgleich“ geltend gemacht werden darf, vergleichbar dem Teilausgleich nur für den Teil des Kundenstammes, der neu geworben oder erweitert ist.366 Die Überlassungsvereinbarung muss sich zumindest konkludent darauf richten, dass sich der Unternehmer im Wesentlichen wie der eines HV steht und ohne weitere Zwischenschritte367 in gleicher Weise Zugriff auf den Kundenstamm erhält und ihn nutzen kann.368 „Ohne Weiteres“ bedeutet: es dürfen keine zusätzlichen Recherchen erforderlich sein, damit der Unternehmer den Kundenstamm nutzen kann. Immer erforderlich ist, dass der Unternehmer nach beidseitigem Verständnis in der Lage ist, an die Kundenbeziehung so anzuknüpfen, wie es im Leitbild des HV-Vertrages anzunehmen wäre.369 Dabei setzt der versprochene Zugriff auf die Kundendaten lediglich die Mitteilung der Namen und Adressen der ausgleichsrelevanten Kunden, also, soweit auch insoweit ein Ausgleich gefordert wird, nicht nur der neugeworbenen oder erweiterten Stammkunden, sondern auch der Einmalkunden als potentielle Stammkunden, bei Großunternehmen auch die Mitteilung des Ansprechpartners und der jeweiligen Niederlassung, voraus. Der genaue Inhalt der jeweiligen Einzellieferungen braucht wohl nicht mitgeteilt zu werden. Aus der in der Praxis fehlenden Mitteilung der Einzellieferungen während der Vertragslaufzeit erklärt sich auch, warum in Gerichtsverfahren die der Ausgleichsberechnung dienenden Rabatte des Händlers jeweils bestritten werden. Es gibt Stimmen, nach denen die Analogie zum HV-Recht fordert, dass der Unternehmer gleich dem Prinzipal eines HV die wesentlichen Konditionen der Geschäfte, zumindest den Preisrahmen, kennen und sich die Übertragungsverpflichtung auch hierauf beziehen müsse. so äußert das OLG München Zweifel, ob die Namen der Kunden sowie Stadt 359 OLG Stuttgart, Urt. v. 16.5.1997 – 2 U 229/96, NJWE-WettbR 1998, 46 (48) = LNR 1997, 14508. 360 BGH, Urt. v. 6.10.1993 – VIII ZR 172/92, NJW-RR 1994, 99; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 367; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214; Oetker/Busche5 § 89b Rn 61; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 22. 361 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 367. 362 BGH, Urt. v. 6.10.1993 – VIII ZR 172/92, NJW-RR 1994, 99; OLG Köln, Urt. v. 28.4.1995 – 19 U 189/94, NJW-RR 1996, 98; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 231; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 22. 363 BGH, Urt. v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, ZIP 2000, 540: v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678; v. 16.1.1986 – I ZR 223/83, DB 1986, 1069; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214. 364 BGH, Urt. v. 6.10.1993, BB 1993, 2401 (2402) Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 782. 365 OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.2014 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 (50) m. Anm. Erdmann. 366 AA Giesler EWiR 2015, 514. 367 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 Rn 17. 368 BGH WM 1993, 1464 (1467) = NJW-RR 1993, 678; NJW 1983, 2877; 1983, 1789; OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.); MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 21. 369 Emde ZVertriebsR 2012, 117. Emde

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und Land ihres Sitzes genügen.370 Dem ließe sich entgegnen, eine solche Kenntnis bestehe selbst bei Unternehmern von HV nicht immer, etwa im Bereich der Bargeschäfte. Die Rspr. ist undeutlich: teilweise wird lediglich die Übermittlung der Kundennamen und -adressen gefordert.371 Andererseits wird von der Übertragung des Kundenstammes gesprochen,372 was für eine eingehende Übermittlungspflicht unter Einschluss der Daten zu einzelnen Kundengeschäften sprechen könnte. Für die hier vertretene Ansicht streitet, dass der BGH die Übermittlung der Garantiekarten als Mitteilung genügen lässt. Jene nennen aber nicht die Konditionen des Geschäfts. In der forensischen Praxis wird auch nicht mehr gefordert als die Übertragung der Kundennamen. Ohnehin müssen die Preise der Vergangenheit nichts über die gegenwärtige Marktlage aussagen; sie kennt der Unternehmer oft am besten. Ggf. muss er die vertragliche Verpflichtung durchsetzen. Die Übermittlung der Kundennamen und -adressen genügt jedenfalls, sofern der Unternehmer erkennen kann, welche Produktgruppen in welcher ungefähren Größenordnung der Kunde erwarb. Ausreichend sind mithin Informationen, die erforderlich sind, um an die Kundenbeziehung anzuknüpfen. Ein mittelbarer wirtschaftlicher Zwang, der sich etwa darin äußert, dass der Händler eine 68 Gutschrift oder Boni nicht erhält, wenn er in einem Einzelfall Kundendaten nicht weitergibt, soll keiner vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes gleichstehen.373 Ungenügend soll es auch sein, wenn die Übermittlung erfolgt, um die Zusammenarbeit nicht zu gefährden,374 um eigenen wirtschaftlichen Interessen zu dienen, etwa bei der Ausgabe von Kundenkarten375 oder der Verpflichtung zur gemeinsamen Werbung.376 Das ist zweifelhaft, weil beide Parteien eines Vertrages wirtschaftliche Interessen verfolgen und ein Eigeninteresse des Mittlers immer mitmotivierend ist, auch beim HV (so dass diese Rspr. den Ausgleich in allen Fällen verneinen müsste). Zudem lädt die zuerst zitierte Rspr. zur Auslagerung der Vertriebsvergütung in Boni ein. Der Ausgleich wird entgegen Abs. 4 ausgehöhlt. Kein Händler, der im Wettbewerb zu anderen Händlern steht, kann auf wirtschaftliche Vorteile verzichten, die seine Kollegen erhalten, auch weil mit dieser Vergütungsspitze Kunden gewährte Preisnachlässe finanziert werden. Solche Vorteile und Boni sind im Zweifel Vertriebsvergütung, welche der Unternehmer schuldet; eine Freiwilligkeit der Gewährung ist meist abzulehnen. Werden in Garantiefällen keine Kundendaten übermittelt und gibt es keine andere, ggf. konkludent begründete Verpflichtung zur Benennung der Kunden, mangelt es an der vertraglichen Verpflichtung.377 Außerdem dürfte in solchen Fällen und bei der bloßen Abarbeitung von Gewährleistungsfällen eine hinreichend vollständige Bekanntgabe des Kundenstammes fehlen und daher ebenso eine Ausgleichsverpflichtung.378 Gleiches gilt, falls für Prämienaktionen lediglich eine Seite des KfzScheines ohne Kundendaten übermittelt werden braucht379 oder nur Interessenten- und nicht zugleich auch Kundennamen mitgeteilt werden.380 Aus der Klausel, dem FG werde das Recht eingeräumt, den Geschäftsbetrieb und den „Futterhaus“-Fachmarkt unter Entlastung des Part370 371 372 373

OLG München, Urt. v. 5.12.2019 – 23 O 2136/18, BB 2020, 592 (595). BGH, Urt. v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, NJW 2000, 1413. BGH, Urt. v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159 (2160); v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, NJW 2000, 1413. BGH, Urt. v. 1.12.1993 – VIII ZR 41/93, NJW 1994, 657; OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 234/05, BeckRS 2007, 00760; OLG Stuttgart, Urt. v. 16.5.1997 – 2 U 229/96, NJWE-WettbR 1998, 46 (48) = LNR 1997, 14508; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 234. 374 LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde. 375 OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.2014 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 (50) m. insoweit krit. Anm. Erdmann. 376 OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.2014 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 (50) m. Anm. Erdmann 377 OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 234/05, BeckRS 2007, 00760; BB 1997, 852; Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 791. 378 BGH NJW-RR 1988, 1305; OLG Köln BB 1987, 148; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 39. 379 OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 234/05, BeckRS 2007, 00760. 380 Vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 23.9.1998 – 1 U 843-97-165, NJW-RR 1999, 106 (Kfz). 221

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ners aus dem Franchisevertrag für den Fall der Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund zu übernehmen, kann nach Auffassung des OLG Köln381 zwar unter engen Umständen die Möglichkeit zur tatsächlichen Übernahme des Kundenstammes hergeleitet werden, nicht aber eine generelle, zur Ausgleichsberechtigung führende Pflicht zur Übertragung des Kundenstammes. Selbst wenn bei allen Bestellungen dem Unternehmer Kundendaten mitgeteilt werden, entspricht dies nur dann einer vertraglichen Verpflichtung, sofern die Mitteilung auf einem vom Unternehmer vorgegebenen Bestell- und Meldesystem oder gezielten Nachfragen beruht.382 Auch falls es in der Vertragspraxis üblich war, dass der Kundenname bereits im Vorfeld der schriftlichen Bestellung genannt wurde, handelt es sich nicht um eine gezielte Abfrage von Kundendaten aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung.383 Gleiches gilt, sofern dem Hersteller Kundendaten bekannt werden, indem ein Mitarbeiter des Herstellers gemeinsam mit dem Vertragshändler dessen Kunden aufsucht und betreut oder Kunden Garantiekarten an den Hersteller senden384 bzw. der Händler Kundendaten in die für den Kunden bestimmten Garantiekarten einträgt und der Kunde diese Karten dem Unternehmer zusendet385 (der Kunde ist kein Bote des Händlers). Die Verpflichtung zur Unterrichtung des Herstellers über den Ausbau der Organisation des Mittlers soll keine Verpflichtung zur Übermittlung individualisierter Kundendaten begründen.386 Soweit Direktlieferungen ausgeführt werden, vertritt die h. A., dass die hierdurch gegebene Kenntnisnahmemöglichkeit von den Kundenadressen einer vertraglichen Verpflichtung nicht gleichsteht und allein durch diese Kenntnisnahmemöglichkeit kein Ausgleichsanspruch begründet wird.387 Dieser h. A. kommt durch die Autorität des BGH besondere Bedeutung zu. In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es allerdings nur darum, dass in zahlreichen Eilfällen Direktlieferungen erfolgten. Wie der Fall zu beurteilen ist, wenn die Direktlieferungen regelmäßig und nicht nur in Ausnahmefällen durch den Unternehmer erfolgen, ist unsicher. In der Literatur388 wird vertreten, übernehme der Unternehmer vertraglich einen Teil der dem Mittler obliegenden Pflichten und erhalte er dadurch auf vertraglicher Basis die vollständige Kenntnis aller Kundendaten, wie z. B. im Falle der vollständigen Auslieferung der Waren an den Kunden unmittelbar durch den Unternehmer ohne Einschaltung des Vertriebsmittlers, ersetze derartiges die ausdrücklich vereinbarte Pflicht zur Überlassung der Kundendaten. Dies wäre eine zulässige Argumentation, weil die Auslieferung durch den Unternehmer dann als vertragsimmanent vorausgesetzt wird und Teil dieser Abrede die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes ist. Andererseits hindert eine zu großzügige Ansicht die Möglichkeit des Herstellers, im Interesse des Händlers Direktlieferungen auszuführen.

69 gg) Branchenbekannte Daten? Fraglich ist, ob der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen ist, wenn der HV-ähnliche Mittler lediglich branchenbekannte Daten übermittelt. Damit würde ein neuer Streitpunkt eröffnet. Jedoch knüpft die Analogie an die Übermittlungspflicht an, die der Unternehmer nicht zu vereinbaren braucht. Wenn der Unternehmer nach branchenbekannten 381 382 383 384 385

OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.14 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 (49) m. Anm. Erdmann. LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde. LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde. OLG Köln, Urt. v. 28.4.1995 – 19 U 189/94, NJW-RR 1996, 98. In diese Richtung OLG Köln, Urt. v. 28.4.1995 – 19 U 189/94, NJW-RR 1996, 98 (99), das die Frage allerdings wegen mangelnder Vollständigkeit der Information offen lässt. Dem Urteil wird man vielleicht entnehmen können, dass bei einer vertraglichen Verpflichtung des Händlers zur Übergabe der Garantiekarten abweichend zu entscheiden wäre. 386 OLG Stuttgart, Urt. v. 16.5.1997 – 2 U 229/96, NJWE-WettbR 1998, 46 (48) = LNR 1997, 14508. 387 BGH, Urt. v. 1.12.1993 – VIII ZR 41/93, NJW 1994, 657 (658) = BB 1994, 241; Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 493; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 39; aA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214 – für die h. M. mag sprechen, dass die bloße Lieferadresse nicht notwendigerweise den Vertragspartner benennen muss und die Konditionen des Kundengeschäftes wie der Ansprechpartner unbekannt bleiben können. 388 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214. Emde

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Daten fragt, so ist auch dann ein Ausgleichsanspruch gegeben.389 Dies zeigt auch der Vergleich zum HV-Recht: Dort ist der Ausgleichsanspruch fällig, unabhängig davon, ob die Kunden „branchenbekannt“ waren. Die Mitursächlichkeit für den Aufbau des Kundenstammes genügt. Meist wird es auf die Branchenbekanntheit nicht ankommen. Denn jedenfalls die Mitteilung des HVähnlichen Mittlers, er habe Geschäftsbeziehungen zu den Kunden begonnen, wird meist nicht branchenbekannt sein, zudem auch nicht die konkreten Ansprechpartner und die Konditionen der Einzelgeschäfte, die u. U. mitzuteilen sind. Eine auf Grund der Umstände rein faktisch bestehende Möglichkeit der Kenntnisnahme der branchenbekannten Kundendaten – bei einem Anzeigenvermittler etwa die Möglichkeit des Unternehmers, die Anzeigen zu lesen – bildet jedoch keine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes,390 solange der Unternehmer nicht nach diesen Daten fragt.

gg) Zweck der Überlassungsvereinbarung. Selbst auf der Basis der h. M., die eine Überlas- 70 sungspflicht fordert, ist der Zweck der vereinbarten Überlassungspflicht irrelevant.391 Er kann z. B. in der „Qualitätskontrolle“ liegen. Der Wille des Unternehmers, die Kundennamen zu erfahren, um den Kundenstamm zu nutzen, ist also keine TB-Voraussetzung.392 Das folgt schon aus dem Umstand, dass selbst beim HV die infolge der Kenntnis des Unternehmers von den Kundendaten gegebene potentielle Möglichkeit (Chance)393 zur Nutzung des Kundenstammes genügt.394 Außerdem wären zur Umgehung des Ausgleichs „vorgeschobene“ Zweckbenennungen zu erwarten.395 Folglich besteht das Ausgleichsrecht des HV unabhängig davon, ob es ihm oder dem Unternehmer auf die Überlassung des Kundenstammes ankommt. Mehr als beim Leitbild ist auch bei dem ihm ähnlichen Absatzmittler nicht gefordert. So hat der BGH bereits 1983396 ausgeführt, nach der Rspr. sei von einer vertraglichen Verpflichtung des Eigenhändlers zur Überlassung des Kundenstamms als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 89b auch dann auszugehen, wenn die Parteien mit der Vereinbarung, aus der sich die Pflicht zur Namhaftmachung der Kunden und damit zur Überlassung des Kundenstamms ergebe, weitere Absichten und Ziele verfolgt haben sollten, vorausgesetzt, dass der Hersteller tatsächlich in die Lage versetzt werde, den Kundenstamm nach Beendigung des Vertragsverhältnisses weiter zu nutzen. Irrelevant sei es daher, falls der Unternehmer auch bezweckt habe, die zu übermittelten Informationen zur Erfüllung eigener Aufgaben – zur Disposition, für Marktanalysen, zur Gestal389 OLG Hamburg DB 1980, 972 (973); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 217; aA OLG Hamm, NJW-RR 1988, 550 (551). 390 BGH, Urt. v. 12.3.2003 – VIII ZR 221/02, BB 2003, 1089 (1090) = NJW-RR 2003, 894 = WM 2003, 2105; OLG Hamm NJW-RR 1988, 550; OLG Köln, Urt. v. 28.11.1985 – 12 U 233/84, NJW-RR 1987, 218; LG Düsseldorf – 35 O 45/01 n. v.; Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280 (282); Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 39. 391 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503; NJW-RR 1993, 678; ZIP 1993, 1788; 1994, 126 = DB 1994, 727; OLG Frankfurt/M., Grund- und Teilurt. v. 9.2.2016 – 11 U 136/14 (Kart); OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 11.12.2014 – 4 U 48/14, ZVertriebsR 2015, 48 (50) m. Anm. Erdmann; LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/ 10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde; Thume IHR 2013, 173 (175); Emde WRP 2006, 449 (452); Giesler/Vogels/ Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 491; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 235; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau/Wauschkuhn Rn 783; aA BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (nicht wenn die Überlassungspflicht lediglich den Hauptzweck des Vertrages unterstützt und sichert – zwh.); obiter OLG Köln, Urt. v. 21.9.2012 – 19 U 113/11, IHR 2013, 168 (172) m. abl. Anm. Thume S. 175, wenn die Daten nur der Überwachung der Exportkontrollpflichten, der Marktforschung, Marktanalysen und des im Direktverkauf tätigen Personals dienen (zwh.). 392 Emde WRP 2006, 449 (452). 393 OLG Köln, Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 40; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 784; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 103; Thume BB 2015, 387 (389); Genzow IHR 2014, 133 (135). 394 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 366. 395 Vgl. Thume IHR 2013, 173 (175). 396 BGH, Urt. v. 3.3.1983 – I ZR 34/81, NJW 1983, 1789. 223

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tung des Vertriebssystems, der Sortiments- und Preispolitik und zur Durchführung des Marketings –397 zu verwenden und die vertragliche Regelung darauf abziele, dem Unternehmer Grundlagen für seine Absatzförderungsmaßnahmen zu verschaffen.398 Anderer Ansicht war der I. Zivilsenat des BGH in einem Einzelfall: Obwohl dem Unternehmer vierteljährlich kundenbezogen Rechnungen vorzulegen waren und die mit Vertragswaren getätigten Umsätze sowie die Verkäufe unter Berücksichtigung der Kundenlisten mit dem Unternehmer abgestimmt werden sollten, zudem Bucheinsichtsrechte bestanden, verneinte der BGH399 ohne Auseinandersetzung mit diesem Vertragsinhalt die Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes. Die zwischen den Parteien getroffenen Abreden beschränkten sich, so der BGH, darauf, die Folgen der Vertragsbeendigung zu regeln, die sich aus dem aus der entgeltlichen Gestattung der Nutzung der Marke liegenden Hauptzweck des Lizenzvertriebsvertrages ergäben. Möglicherweise differenzierte der BGH nicht hinreichend zwischen der Verpflichtung zur Übertragung der Kundendaten und der Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes. Vereinbart werden muss lediglich eine Verpflichtung zur Übertragung der Kundendaten. Entscheidend ist das Ergebnis: Der Zugriff des Unternehmers auf den ihm mitgeteilten Kundenstamm. 71 Einen Extremfall der bisherigen Rspr. bildet ein Urteil des OLG Köln.400 In diesem lehnt das OLG eine Ausgleichspflicht ab, obwohl der Händler verpflichtet war, die Kundendaten an den Unternehmer zu übermitteln. Als Begründung wurde angegeben, die Überlassungspflicht habe lediglich der Kontrolle von Exportkontrollverpflichtungen, der Marktforschung, der Durchführung von Marktanalysen und der Honorierung des im Direktverkauf tätigen Personals gedient. Würde dieses Urteil Schule machen, wäre der Umgehung des Ausgleichsanspruchs jede Tür geöffnet. Wegen dieser Bedenken könnte es genügen, dass der Händler eingegliedert ist und infolge seiner Tätigkeit dem Unternehmer Vorteile durch einen treuen Kundenstamm entstehen.401 Der Ausgleich ist Entgelt für den Aufbau des Kundenstammes, kein Adressenkauf.402 Die fehlende Bekanntheit der Namen und Adressen der Käufer mag ggf. im Rahmen der Billigkeit (§ 89b Abs. 1) berücksichtigt werden.403

72 hh) Beispiele der Überlassungsvereinbarung. Nicht selten ergibt sich die Überlassungspflicht aus dem im 2. Analogieschritt gefundenen geschäftsbesorgenden Charakter des Vertrages (§§ 675 Abs. 1, 666 BGB).404 Da der Zweck der Überlassungspflicht irrelevant ist, kann sie sich konkludent oder mittelbar aus einer anderen Pflicht405 ergeben, z. B. aus Bucheinsichtsrechten oder der Vorgabe, detaillierte Kundenlisten zur Abrechnung zu übermitteln. Folglich sind Mitteilungspflichten, die nicht auf den Zugriff zum Kundenstamm zielen, als analogiebegründende Überlassungspflicht anerkannt, etwa Auskunftsrechte406 (auch auf Basis datenschutzrechtlicher Auftragsverarbeitungsverträge), Berichtspflichten,407 Einsichtsrechte in Ge397 Ebenso OLG Frankfurt/M., Grund- und Teilurt. v. 9.2.2016 – 11 U 136/14 (Kart): Dass die Übermittlung primär „Marketingzwecken“ dienen sollte, steht einer vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes nicht entgegen. 398 BGH, Urt. v. 3.3.1983 – I ZR 34/81, NJW 1983, 1789. 399 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 – kein Urteil des Vertriebsrechtssenats. 400 OLG Köln, Urt. v. 21.9.2012 – 19 U 113/11, IHR 2013, 168 mit abl. Anm. Thume. 401 Kocher RIW 2003, 512 (517). 402 Emde WRP 2003, 468 (470). 403 Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (364) – Übernahme des Ladengeschäftes durch den Unternehmer. 404 Canaris § 17 Rn 26; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 216. 405 LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde; Emde WRP 2006, 449 (452); Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 487. 406 BGH, Urt. v. 16.1.1986 – I ZR 223/86, WM 1986, 530 (531). 407 BGH, Urt. v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, NJW 2000, 1413; NJW-RR 1994, 99 f; NJW 1983, 2241; Giesler/Vogels/ Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 487, 490. Emde

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schäftsunterlagen408 oder die Buchführung,409 Zusendung von mit Kundendaten versehenen Rechnungskopien,410 Verkaufsberichte,411 eine alle drei Monate nach Waren und Kunden aufgeschlüsselte Verkaufsanalyse,412 Gewährleistungsberichte413 (Problem: weitgehende Vollständigkeit der Übertragung), Kundendaten zu Marketingzwecken,414 fortwährende Unterrichtung über den Kundenbestand und die Kundenbesuche,415 Prüfung der Abrechnungsunterlagen,416 die Übermittlung von Garantiekarten vom Vertragshändler an den Hersteller/Importeur,417 Mitteilung von Bestellungen418 (monatliche Bestelllisten419) und Zulassungen,420 Zugriff des Unternehmers auf das (ggf. vom Unternehmer vorinstallierte421) Kassensystem mit Kundendaten422 (Kartendaten, Namen, Unterschriften423) oder die ständige Übermittlung der Kundendaten, sofern sie vom Unternehmer in irgendeiner Weise erwartet wurde.424 Es genügt auch, wenn der Unternehmer vierteljährlich umfangreiche Aufstellungen fordert, aus denen Name, Anschrift und Abnahmemenge jedes einzelnen Kunden hervorgehen.425 Bei Kundenkarten wird die hinreichende Information diskutiert.426 Mglw liegt eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes vor, falls der Händler verpflichtet ist, die Kundenkarten mit Kundendaten an den Unternehmer zu senden, nicht aber, sofern der Kunde seine Daten direkt dem Unternehmer zuleitet. Auch die im Kfz-Händlerrecht oft bestehende Einbindung des Händlers in die EDV des Unternehmers, welche dem Unternehmer den Rückgriff auf Kundendaten und Quervergleiche mit anderen Daten erlaubt, genügt, gleich jedem Einsichtsrecht. Gesetzliche Informationsrechte reichen,427 wenn sie aufgrund einer vertraglichen 408 Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 780; Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 487, 490; Westphal II Rn 173; wohl auch BGH, Urt. v. 16.1.1986 – I ZR 223/86, WM 1986, 530 (531) unter 1 b – dort mögliche Einsichtnahme in eine Kundendatei. 409 Derartige Einsichtsrechte werden häufig vereinbart. Zur kartellrechtlichen Problematik einer solchen Vereinbarung Wiemer WuW 2009, 750 ff. 410 BGH NJW 1964, 1952 (1953); Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 490; Gegenbeispiel: BGH, Urt. v. 1.12.1993 – VIII ZR 41/93, NJW 1994, 657. Ayad BB 2019, 1556 bezweifelt, dass es ausreicht, dem Vertragspartner die Kundendaten mit Name und Anschrift auf der Rechnung griffbereit zur Verfügung zu stellen. Jedenfalls komme es auf die Details einer solchen Überlassung an. 411 BGH, Urt. v. 20.10.1983 – I ZR 86/82, NJW 1984, 2102; v. 3.3.1983 – I ZR 34/81, NJW 1983, 1789; BGH, Urt. v. 20.2.1981 – I ZR 59/79, NJW 1981, 1961; BFH, Urt. v. 12.10.1999 – VIII R 21/97, NJW-RR 2000, 913; OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 – Kfz-Vertragshändler; Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 490. 412 BGH, Urt. v. 3.3.1983 – I ZR 34/81, NJW 1983, 1789. 413 BGH NJW-RR 1983, 678 (680); Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 490. 414 BGH NJW-RR 1994, 99 (100); OLG Frankfurt/M., Grund- und Teilurt. v. 9.2.2016 – 11 U 136/14 (Kart); Giesler/ Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 490. 415 BGH, Urt. v. 3.3.1983 – I ZR 34/81, NJW 1983, 1789. 416 BGH NJW 1983, 1789 (1790); Urt. v. 20.2.1981 – I ZR 59/79, NJW 1981, 1961; Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 490. 417 BGH VersR 2000, 487 = BB 2000, 60; OLG Köln, Beschl. v, 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129; Urt. v. 28.4.1995 – 19 U 189/94, NJW-RR 1996, 98 (dort Ausgleichsanspruch verneint, weil Garantiekarten nur unvollständig und zum Teil von Kunden selbst [was nicht ausreicht] übersandt wurden); v. 25.4.1997, BB 1997, 2451; OLG Düsseldorf HVR (00) Nr. 945; Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 490. 418 LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde. 419 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.4.2007 – I-5 U 12/06; Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (293 f.). 420 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503. 421 OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 28 – Kommissionsagent. 422 OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 28 – Kommissionsagent; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.4.2007 – I-5 U 12/06; Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (293 f.). 423 OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 28. 424 Emde WRP 2003, 468 (475); Gegenbeispiel: BGH, Urt. v. 1.12.1993 – VIII ZR 41/93, NJW 1994, 657. 425 OLG Frankfurt/M., Grund- und Teilurt. v. 9.2.2016 – 11 U 136/14 (Kart). 426 Ablehnend Giesler EWiR 2015, 514 (515). 427 Franke/Rohrßen IHR 2017, 60 (68). 225

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Pflicht (jedenfalls des Rahmen-(Vertriebs)Vertrages) entstehen, etwa beim Kommissionsagenten angeblich aus § 384 Abs. 2.428 Danach hat der Kommissionsagent die erforderlichen Nachrichten zu geben sowie das Erlangte herauszugeben. Der Kundenstamm fällt also dem Unternehmer zu. Die Verpflichtung aus § 384 Abs. 2 kann allerdings modifiziert oder abbedungen werden,429 was wohl der Unternehmer zu beweisen hätte. Anders als im Bereich langlebiger Wirtschaftsgüter, insb. im Kfz-Handel, benötigt jedoch insb. der Unternehmer, der einen Sonderpostenmarkt in dem von ihm angemieteten Mieträumen betreiben lässt oder den Mietvertrag übernehmen kann, keine einzelnen Kundennamen. Diese Fallkonstellation weist Ähnlichkeit mit dem Betrieb von Tankstellen durch HV auf, bei dem es für die Nutzbarkeit des Kundenstammes maßgeblich auf die Übergabe der Tankstelle ankommt.430 In einen derartigen Fall sind in erster Linie Informationen über den Verkaufsvorgang an sich erheblich, um es dem Unternehmer zu ermöglichen, abzuschätzen, welche Art von Waren am jeweiligen Standort in welchen Mengen nachgefragt werden.431 Dies erfährt der Unternehmer etwa durch die Nutzung des von ihm vorinstallierten Kassensystems, dessen Daten an den Unternehmer weitergeleitet werden.432 Interessant ist die Frage, ob eine ausgleichsbegründende Verpflichtung zur Übertragung 73 des Kundenstammes vorliegt, wenn sich der Unternehmer bei Vertragsende das Recht zur Entscheidung vorbehält, ob er die Übermittlung von Kundendaten fordern will oder nicht. Die potentielle Möglichkeit des Unternehmers, Kundendaten zu fordern, besteht auch in diesem Fall. Ohnehin obliegt es immer dem Unternehmer, ob er die Vertragspflicht durchsetzt. Andererseits setzt sie die Ausübung der genannten Potestativbedingung voraus. Beide Lösungswege, Ausgleichspflicht oder nicht bestehende Ausgleichspflicht, dürften hier vertretbar sein. Auch über die Frage der Bedeutung des Informationsrechts des Unternehmers (§§ 402, 242 74 BGB433) im Falle eines verlängerten Eigentumsvorbehalts mit Abtretung der Kundenforderungen wurde entschieden.434 Streng genommen besteht auch hier eine aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung (EV) entstandene (gesetzliche) Pflicht zur Übertragung der Kundendaten, jedenfalls solange bis die Ware bezahlt wurde. Gegenargument: Das Informationsrecht entsteht nicht aufgrund des Rahmenvertrages sondern der in seiner Ausführung geschlossenen Einzelverträge und entfällt nach Zahlung des Kaufpreises. Es erwächst damit nicht – wie es sein sollte – aus dem Rahmenvertrag und kann nicht jederzeit (und damit mglw. nicht im Wesentlichen 428 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 37 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 60; v. 1.6.1964 – VII ZR 235/62, BB 1964, 823; OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126); OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 27; Franke/Rohrßen IHR 2017, 60 (68); Port/Schnorberger/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 17 (23); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 426. Ablehnend Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (364). Differenzierend Franke/Rohrßen IHR 2017, 60 (67): Dass sich die Verpflichtung zur Überlassung der Kundendaten bereits aus § 384 Abs. 2 Hs. 1 ergebe, sei richtig. Der Hinweis des BGH auf § 384 Abs. 2 Hs. 2 sei jedoch nicht überzeugend. Die dort geregelte Herausgabepflicht erfasse nicht die Pflicht zur Identifikation des Dritten. Richtig scheine eine analoge Anwendung des § 384 Abs. 2, weil sich diese Norm auf die einzelnen Kommissionsgeschäfte beziehe, nicht jedoch auf das, was im Rahmen der Kommissionsagentur als Dauerschuldverhältnis als Gesamtheit (d. h. der gesamte Kundenstamm) erlangt werde. 429 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 38 m. Anm. Wauschkuhn. 430 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 43 m. Anm. Wauschkuhn. 431 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 44 m. Anm. Wauschkuhn. 432 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 44 m. Anm. Wauschkuhn. 433 Siehe zum Umfang der dem Zessionar nach § 402 BGB zu erteilenden Informationen im Versicherungsvertrieb BGH, Urt. v. 10.2.2010 – VIII ZR 53/09, NJW 2010, 2509 = WM 2010, 669. 434 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166. Emde

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vollständig) und vor allem nicht bei Vertragsende geltend gemacht werden.435 Besonders problematisch sind insoweit Rechtsordnungen (etwa Italien), die für den EV die Genehmigung jedes Kundengeschäfts durch den Unternehmer fordern. Nach Ansicht des BGH436 folgt aus der Vereinbarung eines verlängerten EV keine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes. Für eine solche Verpflichtung sei es unzureichend, dass der Händler Neufahrzeuge bei dem Unternehmer unter EV kaufe und die gegen die Kunden bestehenden Kaufpreisforderungen im Voraus zur Sicherheit an den Unternehmer abtrete. Dies begründe keine Verpflichtung des Händlers nach § 402 BGB, dem Unternehmer die Namen von Kunden mitzuteilen, die einen Neuwagen erworben hätten. Bei einer solchen Sicherheitsabtretung erfolge die Abtretung nicht durch Einzelabtretungserklärungen in Bezug auf die einzelnen Kunden, sondern mittels einer globalen Vorausabtretung der Kaufpreisansprüche aus Neuwagenverkäufen. Im Falle einer Sicherheitsabtretung sei § 402 BGB rglm. stillschweigend abbedungen, solange die Zession dem Schuldner nicht offengelegt werde und der Zedent zur Einziehung der Forderung berechtigt sei.437 Durch die Verpflichtung des Händlers, dem Hersteller im Sicherungsfall gem. § 402 BGB die zur Geltendmachung der Forderungen gegenüber den Kunden nötige Auskunft zu erteilen, erhalte der Hersteller keine umfassende Kenntnis des vom Händler geworbenen Kundenstammes. Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung bestehe nur dann, wenn der Händler schuldhaft gegen die Pflichten aus der Sicherungsvereinbarung verstoße und damit die Voraussetzungen herbeiführe, unter denen der Hersteller die ihm gestellte Sicherheit verwerten dürfe. Die zu erteilende Auskunft über die Person des jeweiligen Käufers entstehe lediglich als mittelbare Folge einer Vertragsverletzung des Händlers und diene dazu, dem Zessionar nach Eintritt des Sicherungsfalls die Geltendmachung der ihm abgetretenen Forderungen zu ermöglichen.438

ii) Beispiele fehlender Überlassungsvereinbarung. Das Interesse des Herstellers an der 75 Bekanntgabe von Kundendaten begründet für sich allein keine Verpflichtung zur Offenbarung.439 Keine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes soll in folgenden Konstellationen bestehen: Falls 76 – der Händler verpflichtet ist, dem Unternehmer „fortlaufend einen Überblick über das Verkaufsgeschehen zu geben“, etwa mittels unverzüglicher Einreichung von Auftragseingangs-, Zulassungs- und Auslieferungsmeldungen, wenn diese Meldungen in anonymisierter Form erfolgen sollen;440 – eine Teilnahmepflicht am Betriebsvergleich und die Pflicht zur Vorlage der Jahresabschlussunterlagen zur Einsichtnahme vereinbart wurde, sofern diese Kundendaten nicht enthalten;441

435 Emde ZVertriebsR 2012, 118. 436 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166. 437 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; vgl. BGH, Urt. v. 8.7.1993 – IX ZR 12/93, NJW 1993, 2795 (2796); v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 = DB 2010, 779 Rn 11. 438 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166. 439 BGH – VIII ZR 41/93, DB 1994, 727; LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde. 440 OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (36) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.). 441 OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (36) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.). 227

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der Händler auf schriftliche Anforderung zwei Mal im Jahr die Marktabdeckung und die Kundennamen übermittelt. Dies begründe ohne eine schriftliche Aufforderung keine Verpflichtung zur Übertragung der Kundendaten.442 Derartiges ist zweifelhaft, weil die potentielle Nutzbarkeit des Kundenstammes genügt und im Übrigen zumindest bei verwenderfeindlicher Auslegung solcher AGB davon auszugehen ist, dass die Aufforderung auch noch nach Vertragsende erfolgen darf; die Kundendaten ausschließlich für die Mängelgewährleistungsabwicklung übermittelt werden sollen und nur für diese genutzt werden dürfen, insb., wenn sie umgehend nach Erreichen oder Wegfall der genannten Zwecke vernichtet oder gelöscht werden müssen;443 sofern die POS-Berichte des Händlers zwar auch Kundendaten enthielten, nämlich die Namen der Kunden sowie Stadt und Land ihres Sitzes, hierzu jedoch keine ausdrückliche Verpflichtung bestand und die Nichtübermittlung folgenfrei gewesen wäre.444 eine Weitergabe der Kundendaten an den Hersteller ausdrücklich ausgeschlossen und Kundendaten zu Marketingzwecken vom Händler nur an ein externes Marketingunternehmen übermittelt werden, welches solche Kundendaten nicht an den Unternehmer herausgibt.445 Diese Gestaltung soll zulässig sein,446 auch als AGB. Denn sie gebe lediglich die nach h. M. bestehende Rechtslage wieder, derzufolge ohne vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes kein Ausgleichsrecht besteht.447 Auch die Informationspflichten aus §§ 675 Abs. 1, 666 BGB könnten so abbedungen werden, selbst mittels AGB. Eine Analogie soll insb. ausgeschlossen sein, wenn das Marketingunternehmen, welches die Kundendaten erhielt, verpflichtet war, die während der Vertragszeit überlassenen Kundendaten zu löschen oder nach dispositivem Recht (etwa DSGVO) eine Löschungspflicht besteht;448 in einem gesonderten „Kundendatenverkaufsvertrag“ die Zahlung eines pauschalen Kaufpreises für die Händlerdaten versprochen wird, sofern dieser Kaufvertrag von dem Händlervertrag unabhängig ist und keine rechtliche Verpflichtung besteht, den Kaufvertrag zu schließen.449 Dies gilt gerade, falls dem Vertragshändler auch während der Laufzeit des Händlervertrags ein Kündigungsrecht bezüglich der Überlassung der Kundendaten ohne Auswirkungen auf den Händlervertrag zusteht,450 eine Verpflichtung zur Annahme des Kaufangebots nicht besteht und der Händler binnen dreier Monate nach Beendigung des

442 OLG Frankfurt/M., Grund- und Teilurt. v. 9.2.2016 – 11 U 136/14 (Kart). 443 OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (36) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.). 444 OLG München, Urt. v. 5.12.2019 – 23 O 2136/18, BB 2020, 592 (595) m. Anm. Avad BB 2020, 1038. 445 BGH, Urt. v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159; OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (36) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.); OLG Köln, Urt. v. 4.5.2001 – 19 U 13/01, VersR 2002, 1102; zust. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 369; kritisch Niebling WRP 2009, 153 (156). 446 OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (37) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.). Auch BGH, Urt. v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678 = HVR Nr. 731 hat sie nicht beanstandet, sondern allenfalls hinreichende Klarheit gefordert. 447 Canaris § 17 Rn 27 hält hier einen Umgehungsversuch in Analogie zu § 89b Abs. 4 für naheliegend und gewährt dem Mittler bei fehlender Aufklärung über die Klausel einen Schadenersatzanspruch nach §§ 311, 280 BGB. 448 BGH, Urt. v. 17.4.1994 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159 = BB 1996, 1458; vgl. hierzu Niebling WRP 2002, 310 (311); Westphal II Rn 175. In die gleiche Richtung (ohne Einschaltung eines Marketingunternehmens) BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166. 449 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.); BGH, Urt. v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159 – BMW; ähnlich OLG Köln, Urt. v. 4.5.2001 – 19 U 13/01; VersR 2002, 1102; aA OLG München, Hinweisbeschl. v. 23.12.2009 – 7 U 3071/09 – BMW. 450 OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (37) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.). Emde

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Händlervertrags das Angebot annehmen darf. Anders wäre u. U. der Fall zu beurteilen, in dem der Händler den Kaufvertrag schon während der Geltung des Händlervertrages annimmt. Denn dann besteht mglw. neben der vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes auch eine Nutzungsmöglichkeit des Unternehmers.451

jj) Fehlen einer vertraglichen Verpflichtung oder Ausschluss der Übertragungspflicht. 77 Fehlt die vertragliche Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes, scheidet nach h. M. ein Ausgleichsanspruch aus.452 Ein ausdrücklicher Ausschluss der Überlassungspflicht ist hierfür nicht erforderlich. Bei Fehlen der Verpflichtung ist auch eine aufgedrängte Überlassung, also die bloß faktische Überlassung von Kundendaten ohne vertragliche Verpflichtung, unbeachtlich.453 Man könnte aber an ein (konkludentes) Angebot des Mittlers auf Abschluss einer Überlassungsvereinbarung denken.454 Denn die Initiative zum Abschluss einer Überlassungsvereinbarung kann vom Mittler ausgehen. Der Unternehmer muss jedoch – ggf. stillschweigend oder nach § 151 BGB – das Angebot annehmen. Der Ausschluss der Informationsrechte ist aber unmaßgeblich, wenn tatsächlich stillschweigend die Übermittlung der Kundendaten gefordert wurde.455

kk) Datenschutz und Kartellrecht. Datenschutzrechtliche Gründe, insb. die Verpflichtung, 78 die Daten zu schützen, standen einer Nutzung durch den Hersteller unter der Ägide des BDSG nicht entgegen456 (s. § 28 BDSG). Diskutiert werden könnte, ob unter der DSGVO anderes gilt.457 Denn nun könnte fraglich sein, ob der Unternehmer die Kundendaten sofort und ohne weitere Zwischenschritte nutzen darf und damit die Analogievoraussetzungen für die Gewährung des Ausgleichs erfüllt sind.458 Für die Verarbeitung personenbezogener Daten muss ein rechtfertigender Grund nach 79 Art. 6 DSGVO vorliegen.459 Insoweit ist an eine Einwilligung i. S. d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a, 7 DSGVO zu denken. Eine konkludente oder mutmaßliche Einwilligung sieht Art. 4 Nr. 11 DSGVO nicht vor.460 Ein weiterer Rechtfertigungsgrund liegt in der Erfüllung eines Vertrages bzw. der Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen i. S. d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. b, c DSGVO.461 Schließlich kann die Datenverarbeitung auf berechtigte Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten gestützt werden, Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO.462 Mittels der Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes erklärt sich der Händler mit der Nutzung seiner Daten einverstan451 Ehrhard/v. Bodungen EWiR 2015, 379 (380). Der Kaufpreis wäre aber unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen. 452 OLG Saarbrücken, Urt. v. 23.9.1998 – 1 U 843–97-165, NJW-RR 1999, 106 (Kfz); LG Mönchengladbach, Urt. v. 29.6.2010 – 3 O 324/09 – Franchisenehmer eines Bäckereiladens. 453 LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 30. 454 Emde ZVertriebsR 2012, 117; Stumpf/Hesse BB 1987, 1474 (1482); Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 30. 455 BGH, Urt. v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678 = HVR Nr. 731 II a. E. 456 BGH, Urt. v. 6.10.1993 – VIII ZR 172/92, NJW-RR 1994, 99 (100); OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (1422 f); Thume IHR 2013, 173 (175); Emde MDR 2010, 537; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 229; Niebling WRP 2001, 506 ff.; aA (obiter) OLG Köln, Urt. v. 21.9.2012 – 19 U 113/11, IHR 2013, 168 (173) m. Anm. Thume Löschungspflicht analog § 28 BDSG. 457 Siehe Emde ZVertriebsR 2020, 3 (14 f.). 458 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 459 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (4). 460 Bommel/Meyer ZVertriebsR 2018, 83. 461 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (5). 462 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (5). 229

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den.463 Spätestens in der Ausgleichsforderung oder der Klage liegt die Zustimmung des Mittlers zur Datennutzung durch den Unternehmer.464 Problematischer ist es mit der Einwilligung der Kunden. Unter dem BDSG konnte man vertreten, die Kunden hätten ihr Einverständnis zur Weitergabe ihrer Daten mittels Annahme eines Angebotes auf Abschluss eines Vertrages über eine Produktgarantie gegenüber dem Unternehmer erklärt, zudem etwa mittels Teilnahme an Marketingaktionen o. ä. Eine konkludente Einwilligung der Kunden ist jetzt aber nicht mehr möglich (s. o.). Man könnte vertreten, die ausgleichsrechtlich erforderliche Nutzbarkeit der Daten fehle, sofern sie vom Unternehmer nicht genutzt werden dürfen oder gelöscht werden müssen.465 Es könnte also erforderlich sein, dass der Händler das datenschutzrechtlich Notwendige veranlasst, damit die Kundendaten für den Unternehmer sofort und ohne weiteres nutzbar sind.466 Dazu eignet sich in erster Linie eine Einwilligung der Kunden. Die für den Ausgleichsanspruch erforderliche Vereinbarung zur Übertragung des Kundenstamms ist jedenfalls wirksam, falls zwischen Händler und Kunden vereinbart wird, dass die Kundendaten weitergegeben werden dürfen, sofern kein Widerspruch erfolgt.467 Ein berechtigtes Interesse zur Weitergabe der Daten vom Händler an den Unternehmer könnte darin liegen, dass das Interesse des Händlers an der Datenerhebung und -weitergabe höher wiegt als das Interesse des Kunden, z. B. seines Einkäufers.468 Liegt keine Einwilligung des Kunden zur Weitergabe vor, muss der Unternehmer den Kunden darauf hinweisen, dass er dessen Daten erhalten hat und ggf. beabsichtigt, diese an einen neuen Händler weiterzugeben. Er muss die Kunden ferner darüber informieren, aufgrund welcher Rechtsgrundlage und zu welchem Zweck er ihre Daten verarbeitet.469 Man könnte zugunsten des Händlers anführen, dass die vorgenannten Informationspflichten mit überschaubarem Aufwand zu erfüllen sind.470 Bei Verstößen gegen die DSGVO drohen jedoch strenge Sanktionen. Es ist fraglich, ob dem Unternehmer zuzumuten ist, solche Risiken zu tragen, die darauf zurückzuführen sind, dass der Händler die Einwilligung des Kunden nicht eingeholt hat.471 Ein sicheres Ausgleichsrecht besteht mithin nur, falls der Händler datenschutzrechtlich sicherstellt, dass der Unternehmer die Kundendaten verwenden darf,472 etwa infolge einer Einwilligung.473 Dem Unternehmer ist zu raten, Erkundigungen beim Händler über das Vorliegen sowie den Umfang der Einwilligung der Kunden einholen.474 Dem Händler ist zu raten, die Einwilligung der Kunden zu besorgen. Man könnte auch die Ansicht einnehmen, die Frage der datenschutzrechtlichen Nutzbarkeit sei irrelevant, solange der Unternehmer die Übermittlung fordert. Der Händler muss die Daten übermitteln und kann sich auf berechtigte Interessen (Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO) stützen, wie es zur Übermittlung der Kundendaten im Buchauszug nach § 87c Abs. 2475 vertreten wird. Die Ausgleichsvergütung ist außerdem Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes und dessen Benennung, nicht für seine tatsächliche Nutzung, welche der Mittler nicht beeinflussen kann.476 Es genügt die potentielle Nutzbar463 OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (1422 f); Niebling WRP 2009, 153 (156). Dies lässt sich im Umkehrschluss auch LG Köln, Urt. v. 21.9.2012 – 19 U 113/11, IHR 2013, 168 (173) m. Anm. Thume entnehmen, das die Löschungspflicht des Unternehmers nur ausnahmsweise annahm, falls die Kundendaten für einen begrenzten Zweck übermittelt wurden und nicht zwecks Übergabe des Kundenstammes. 464 OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (1422 f). 465 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (4). 466 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 467 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (4). 468 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 469 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 470 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 471 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 472 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 473 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 474 Beck/Kirschhöfer ZVertriebsR 2019, 3 (6). 475 OLG München, Urt. v. 31.7.2019 – 7 U 4012/17, ZVertriebsR 2019, 372 = MDR 2019, 1393 Rn 47 ff. 476 Emde MDR 2010, 537. Emde

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keit, die der Unternehmer durch die o. g. Information der Kunden herstellen kann. Das alte BDSG stammt aus dem Jahre 1990. Seitdem hat der BGH seine Rechtsprechung zur Analogie vielfach bestätigt, und zwar auch in Entscheidungen, die sich mit dem BDSG beschäftigten.477 Datenschutzrechtliche Probleme des Ausgleichsrechts sah der BGH nicht. Obgleich kartellrechtliche Bedenken gegen umfassende Berichtspflichten bestehen,478 soll Kartellrecht dem Analogietatbestand ebenfalls nicht entgegenstehen.479 Im Prozess sollte zur datenschutzrechtlichen Einwilligung vorgetragen werden.

ll) Nichtigkeit des Vertrages. Der BGH entschied, bei Nichtigkeit eines Vertragshändler- 80 vertrages und der damit gem. § 139 BGB einhergehenden Nichtigkeit der Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes sei ein Ausgleichsanspruch nicht gegeben.480 Das gilt aber nur bei ursprünglicher Nichtigkeit: Wird ein durchgeführter Vertragshändlervertrag später nichtig, ist nach den Grundsätzen des faktischen Vertrages ein Ausgleich zu zahlen.481 Es reicht dann, dass der Vertrag tatsächlich durchgeführt wird, einschließlich der Überlassung der Kundendaten. Nach Löwisch482 genügt die tatsächliche Übertragung der Kundendaten Die Nichtigkeit beseitigt die Ausgleichspflicht folglich nicht. Das führt zum selben Ergebnis. Auf die Nichtigkeit des Vertrages kommt es nicht an, sofern die Überlassungspflicht kein Analogiekriterium bildet, also bei HV-Verträgen. In dieser Konstellation ist die Nichtigkeit allenfalls im Rahmen der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen.483 Insgesamt wird die Frage, ob die Nichtigkeit des Vertrages den Ausgleichsanspruch entfallen lässt, wechselnd beurteilt.484 mm) Verzicht auf die Übertragung. Interessant ist die Frage, wie zu verfahren ist, wenn der 81 Unternehmer nach jahrelanger Übermittlung der Kundendaten auf eine solche Übermittlung verzichtet. Zunächst: Ein einseitiger Verzicht bleibt grds. irrelevant. Denn er beseitigt die vertragliche Verpflichtung nicht. Möglich wäre eine beidseitige ausdrückliche oder konkludente Vertragsänderung mittels Verzichts auf die Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes und damit ein Wegfall des Analogiekriteriums. Denkbar wäre aber auch, dass nur die Berichtspflicht entfallen soll, der Unternehmer jedoch seine Ausgleichsverpflichtung beibehalten will. Für den Umfang der vertraglichen Änderung ist im Zweifel derjenige beweispflichtig, zu dessen Gunsten sie gereicht. Jedenfalls wäre für die Kunden, über die zum Zeitpunkt des „Verzichts“ bereits berichtet wurde, bei Vertragsänderung ein Ausgleich zu zahlen; zum Zeitpunkt des Vertragsendes wohl auch, wenn die Jahresfrist des Abs. 4 S. 2 seit der Vertragsänderung abgelaufen war (für den Fristablauf dürfte es auf den Zeitablauf seit Vertragsende und nicht seit der Vertragsänderung ankommen). Eine beständige Wiederholung der Kundennamen ist nicht erforderlich. Stimmt der HV-ähnliche Mittler einer Vertragsänderung zu, derzufolge zukünftig keine vertragliche Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes besteht, ist ein solcher Verzicht regelmäßig gem. § 242 BGB unwirksam, falls 477 BGH, Urt. v. 5.2.2015 – VII ZR 315/13, ZVertriebsR 2015, 122 = NJW 2015, 1300 = DB 2015, 551 = ZIP 2015, 1642 = EWiR 2015, 379 (Ehrhard/v. Bodungen) m. Anm. Ostendorf GWR 2015, 122 und Wauschkuhn ZVertriebsR 2015, 166; v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159. 478 Wiemer WuW 2009, 750 ff. 479 Wiemer WuW 2009, 750 (759). 480 BGH, Urt. v. 12.3.2003 – VIII ZR 221/02, BB 2003, 1089/1090 = NJW-RR 2003, 894 = WM 2003, 2105. 481 Semmler WRP 2007, 247 (255). 482 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214. 483 BGH, Urt. v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (294); v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1023) = WRP 2007, 653 = ZIP 2007, 970 = WM 2007, 1042. 484 Für einen Ausgleichsanspruch: BGH NJW 1995, 1958; 1997, 655 (657); Hopt § 89b Rn 8; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 38; aA BGH NJW-RR 2003, 894 (895). 231

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kurz darauf eine ordentliche Kündigung erfolgt.485 Solange die Jahresfrist zur Geltendmachung des Ausgleichs noch nicht abgelaufen ist, könnte für den Zeitraum vor der Vertragsänderung ohnehin ein Ausgleich gefordert werden.

82 nn) Beweislast. Die Beweislast für die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes obliegt dem Vertriebsmittler. Prozessual lässt sich der Anspruch am besten durchsetzen, indem alle Kundennamen schriftsätzlich unter Angabe des Datums ihrer Mitteilung an den Unternehmer genannt werden.

83 oo) Erfüllung. Da die potentielle Möglichkeit der Nutzung des Kundenstammes genügt,486 kommt es für die Ausgleichsberechtigung nicht darauf an, ob tatsächlich erfüllt wird.487 Legt der Unternehmer Wert auf die versprochenen Daten, muss er die Erfüllung gerichtlich durchsetzen488 oder die Einreden nach §§ 320, 273 BGB erheben. Es reicht, wenn der Mittler diejenigen Kunden benannt hat, für die er einen Ausgleich fordert. Bei einer Teilerfüllung der vertraglichen Pflicht zur Überlassung des Kundenstammes dürfte nur hinsichtlich der nicht gelieferten Daten ein Zurückbehaltungsrecht entstehen, ggf. zuzüglich eines Druckzuschlages. Außerdem können wegen der darin liegenden Schlechterfüllung Schadenersatzansprüche des Unternehmers entstehen. Ordnet man die fehlende Bekanntgabe der Kundendaten trotz vertraglicher Verpflichtung als ein vom Unternehmer geltend zu machendes Gegenrecht (ZBR, Arglisteinwand, Entkräftung der Billigkeitsvermutung) ein, wäre der Unternehmer für jene Gegenrechte darlegungs- und beweisbelastet. Auch in dieser Situation müsste der Mittler aber nach den Grundsätzen der primären und sekundären Darlegungslast zunächst hinreichend präzise vortragen, auf welche Weise er die Kundendaten übermittelt hat oder übermitteln sollte. Die bloße Verpflichtung des Herstellers, Kundendaten nach Vertragsende nicht zu nutzen, ohne dass diese automatisch gelöscht werden, soll der potentiellen Nutzungsmöglichkeit nicht entgegenstehen.489 Richtigerweise sollte es angesichts der potentiellen Nutzungsmöglichkeit nicht darauf ankommen, welches Schicksal der Hersteller nach Vertragsende den übermittelten Kundendaten zuweist. Ohnehin bleibt die Verpflichtung zur Löschung kaum kontrollfähig und der Einwand des Herstellers ist zu antizipieren, die trotz Löschung verwendeten Daten stammten aus einer anderen Quelle. Für die Erfüllung ausreichend ist es, wenn laufend vertragsbegleitend und nicht nur punktuell zum Vertragsende die Kundendaten mitgeteilt werden, eine Frage der „Vorauserfüllung“ ist dies nicht. Wahrscheinlich genügt es, falls der Unternehmer infolge der in Ausführung des Vertriebsvertrages geschlossenen Einzelverträge die Kundendaten erhält, etwa infolge der Übersendung von Rechnungskopien. Diskutiert wird dies insb. – s. o. – für den verlängerten EV. Die einmalige Mitteilung der Daten durch den Mittler genügt. Mehr als einmal braucht niemand zu erfüllen. Eine wiederholte Übermittlung ist allenfalls nach relevanten Veränderungen erforderlich.

84 c) Beispiele der Ausgleichsberechtigung. Die Ausgleichsberechtigung analog § 89b besteht etwa bei folgenden Vertriebsmittlern:

485 486 487 488 489

Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 499. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 366. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 214; Hopt § 84 Rn 14; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142). Vgl. BGH NJW 2000, 1413; BGH BB 1993, 2401; Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 492. LG München I, Urt. v. 17.4.2009 – 3 HK.O 2148/07, S. 17.

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aa) Vertragshändlern,490 insb. Kfz-Vertragshändlern.491 Schröder492 hat schon früh festge- 85 stellt, es sei vorauszusehen gewesen, dass alsbald andere als HV bestrebt sein würden, sich an das „Schutz“modell des Ausgleichs anzuhängen. P. Ulmer493 hat erwogen, ob dem Vertragshändler ein Ausgleichsanspruch im Wege ergänzender Vertragsauslegung zustehen könne. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung nicht weniger als zweimal gewechselt, wobei infolge Wechsels der Geschäftsverteilung jeweils andere Senate beteiligt waren. In den beiden anfänglichen Entscheidungen BGHZ 29, 83 und BGHZ 34, 282 stellte er es auf eine konkrete Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers ab, die ihn für eine Zubilligung des Ausgleichs als dem „schutzbedürftigen“ HV gleichstehend erscheinen lasse. Im erstgenannten Falle wurde die Schutzbedürftigkeit darin gesehen, dass der Vertragshändler sich einem Formularvertrag des Herstellers hatte unterwerfen müssen; im zweiten Falle – unter Verwerfung des früheren Kriteriums – nunmehr darin, dass er ohne Eigenkapital gearbeitet habe. Diesen Anknüpfungspunkt – und damit den der Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers überhaupt – hat der BGH dann in der Entscheidung BGHZ 68, 340 aufgegeben und auch den Vertragshändler mit Eigenkapital als ausgleichsberechtigt anerkannt.494 Jetzt wurde nur noch als entscheidend angesehen, dass der Vertragshändler in den Vertriebsorganismus des Herstellers eingegliedert sei und dass er495 vertraglich verpflichtet sei, dem Hersteller den Stamm der von dem Vertragshändler geworbenen Kunden zu überlassen. Der BGH präzisierte dann,496 es genüge, wenn der Vertragshändler schon während des Vertragshändlerverhältnisses gehalten sei, dem Hersteller einen solchen Einblick in seine Kundendaten zu geben, der es dem Hersteller ermögliche, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sich in den Besitz des Kundenstammes zu setzen. Die rein tatsächliche Möglichkeit hierzu, etwa auf Grund bloßer Kenntnis des Kundenstammes als Folge der Gestaltung der Belieferung des Vertragshändlers (Streckengeschäft) solle nicht ausreichend sein.497 Die Kritik an dieser Rspr.498 dürfte heute vorwiegend rechtshistorisches Interesse finden.499 Zu fragen ist vielmehr, ob die Analogie nicht erweitert werden muss. Der Ausgleich wird dem HV dafür gewährt, dass er mit der Schaffung des Kundenstammes dem Unternehmer eine Leistung erbracht hat, die während der Vertragszeit noch nicht abgegolten worden ist, weshalb der Begriff der Ausgleichsvergütung treffender ist. Der Kundenstamm repräsentiert, über die Vermittlung der jeweiligen einzelnen Abschlüsse hinaus, einen eigenen Wert; er realisiert sich durch die Folgegeschäfte. Der HV hätte an 490 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 28/29 m. Anm. Wauschkuhn; BB 1993, 2399; NJW 1996, 2159 (2160); Urt. v. 26.11.1984 – VIII ZR 214/83, NJW 1985, 623 (630); 1983, 2877 (2878); NJW 1982, 2819 f.; OLG München, Hinweisbeschl. v. 23.12.2009 – 7 U 3071/09, n. v.; OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 243/05, BeckRS 2007, 00760; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.2.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179, OLG Köln ZIP 2002, 420 (426); Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 202; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 213; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (141); Buchwald GmbHR 1957, 102; Maier NJW 1958, 1330; Schröder BB 1961, 809 (mit Einschränkungen); Sandrock in: Gierke/Sandrock § 28 C IV 2 S. 496 und FS Robert Fischer S. 676; Kreifels/Lang S. 1773, 1775; Finger S. 145; v. Brunn FS Heymann-Verlag S. 338 ff.; Nies S. 537 ff.; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 3a, 13; ablehnend Kirsch NJW 1999, 2779 (Kommentar zu Kirsch bei Emde VersR 2001, 148 (163)); P. Ulmer S. 449 ff.; Evans-v. Krbek S. 105; Nipperdey S. 235/236; Kroitzsch S. 1634 – mit kartellrechtlicher Begründung; Mücke S. 642 ff.; Glaser S. 1173; Schuler NJW 1959, 649. 491 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350; v. 6.10.2010, VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496; v. 26.11.1984 – VIII ZR 214/83, NJW 1985, 623 (630); OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105. 492 BB 1961, 809. 493 S. 450 ff. 494 Zust. Hopt § 84 Rn 16. 495 Dieser Gesichtspunkt war bereits in den zwischenzeitlichen Entscheidungen des BGH NJW 1964, 1952 und BB 1969, 1370 angeklungen. 496 BGH WM 1979, 1391; bestätigt in NJW 1981, 1961 (1962). 497 BGH WM 1975, 1243 und ihm folgend OLG Nürnberg BB 1979, 1979. 498 Nachweise bei Staub/Brüggemann 4. Aufl., Vor § 84 Rn 28 ff.; auch Staub/Brüggemann 4. Aufl. hat eine Analogie verneint. 499 AA Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280. 233

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ihm bei Fortbestand des Vertragsverhältnisses durch Folgeprovisionen verdient und sich daraus für seine Bemühungen um die erstmalige Gewinnung des Kunden voll bezahlt gemacht: diese Möglichkeit ist ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses genommen, während der Kundenstamm dem Unternehmer verbleibt. Bis dahin hatten beide Teile, Unternehmer und HV, aus dem Kundenstamm je ihren Nutzen gezogen. Die Gleichgewichtigkeit des Nutzungsverhältnisses ist nun zerschnitten und an ihrer Stelle eine leitbildtypisch nur noch einseitige Nutzungsmöglichkeit durch den Unternehmer getreten. Dieses nicht gerechtfertigte Ungleichgewicht auszugleichen, ist Zweck und Rechtsgrund des Ausgleichsanspruchs. Jener Gedanke trifft auch auf handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler, unter ihnen Vertragshändler, zu: Der Vertragshändler wird nicht schon während der Vertragszeit für das, was er an werbendem und kundenbetreuendem Einsatz schuldet, entschädigt.500 Die Handelsspanne ist lediglich Gegenleistung für die Erfüllung der Vertriebspflicht und Gegenleistung für die Ausführung des einzelnen Geschäfts, aber ebenso wenig wie beim HV Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes. Zwar gibt es weder im bürgerlichen Recht noch im Handelsrecht einen Grundsatz, dass wirtschaftliche Vorteile und Chancen, die eine Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen als bloße Nebenfrucht dem anderen Teil über das vertraglich zu Beanspruchende hinaus zuwachsen lässt, neben einer geschuldeten Vergütung gesondert abgegolten werden müssten. Derartiges ist deshalb auch nicht aus § 354 abzuleiten. P. Ulmer501 erwähnt das Beispiel des Pächters eines Handelsunternehmens, der durch geschickte Geschäftspolitik das Ansehen der Firma und deren good will gemehrt hat: er hat während der Pachtzeit den Nutzen daraus gezogen und kann nicht verlangen, die Mehrung des good will nach Vertragsende besonders vergütet zu erhalten, sofern das nicht besonders vertraglich vereinbart wurde. Der Pächter unterliegt jedoch keiner Vertriebspflicht, in deren Ausübung er den Kundenstamm werben soll und er verdient wegen mangelnder Vertriebspflicht folglich – anders als der Vertragshändler – auch keine Ausgleichsvergütung als Gegenleistung. 86 Der Analogie steht nicht entgegen, dass dem HV Provision gezahlt wird, während der Vertragshändler sich aus der beim Weiterverkauf verdienten Handelsspanne bezahlt macht. Die Rückführung des Ausgleichs in § 89b Abs. 2 auf die gezahlt gewesenen Provisionen ist nur ein Berechnungsmodus.502 Er ist vom BGH überbrückt worden, indem eine fiktive Provision angesetzt wird; die Befürchtungen von v. Brunn503 und Evans-v. Krbek,504 mit der Berechnung eines Vertragshändlerausgleichs auf der Basis der Handelsspanne würden schwer tragbare Belastungen auf den Unternehmer zukommen, sind deshalb unbegründet.

87 bb) Franchisenehmern.505 Beim Warenfranchising kommt zur Ermittlung des Rohausgleichs ein Teil der beim Weiterverkauf andernfalls verdienten Handelsspanne in Betracht, wobei eine Reduzierung anhand einer üblichen HV-Provision bzw. unter Abzug der Erfüllungskosten

500 501 502 503 504 505

AA Staub/Brüggemann 4. Aufl. Vor § 84 Rn 31. S. 454. Nipperdey S. 230 ff. DB 1961, 429. S. 15. Siehe BGH NJW-RR 1997, 170 (175); OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862; OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1863 m. Anm. Flohr; OLG München, Urt. v. 26.6.2002 – 7 U 5730/01, DB 2002, 2433; LG Mainz, Urt. v. 20.6.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487; LG Hanau, Urt. v. 28.5.2002 – 6 O 106/01, n. v.; LG Berlin, Urt. v. 6.9.2004 – 101 O 23/04; LG Frankfurt/M., Urt. v. 10.12.1999 – 3/8 O 29/99; Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (92); Kroll ZVertriebsR 2014, 290 – auch wenn keine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes besteht, der FG den Kundenstamm aber faktisch nutzen könne, etwa durch einen Nachfolge-FN, der das Geschäftslokal übernimmt; Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (284); Kobras/Steinhauer RIW 2010, 214; Flohr BB 2006, 389 (400); Thume BB 2009, 1026 (1027); Emde NJW 2003, 2593; Haager NJW 2002, 1463 (1471); Giesler WM 2001, 1441 ff.; Giesler ZIP 2000, 2098 ff.; Giesler NZS 1999, 483 f.; Flohr DStR 1998, 572 ff.; Eckert WM 1991, 1237 ff.; Köhler NJW 1990, 1689 ff.; Martinek ZIP 1988, 1362 (1378); Matthießen ZIP 1988, 1089/1095 f.; Martinek Franchising, Emde

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erfolgt (dazu unten).506 Beim Dienstleistungsfranchising ist der Ausgleichsanspruch gemäß § 287 ZPO anhand der in Zukunft fortwirkenden Förderleistungen des FN zu ermitteln.507 Soweit unter Hinweis auf das vom Verfasser erlittene „Crönert/Joop-Urteil“ des BGH508 darauf verwiesen wird, nur dem FN, der die Produkte des Unternehmers vertreibe, könne ein Ausgleichsanspruch zustehen,509 nicht jedoch dem FN, der selbst hergestellte Produkte vertreibe, ist darauf hinzuweisen, dass der I. BGH-Zivilsenat (nicht der Vertriebsrechtssenat!) einen Markenlizenz- und keinen Franchisefall entschied510 und eine Ausgleichspflicht in Franchiseverträgen gerade für möglich hielt.511 Auf die Ausführungen nachfolgend zum Markenlizenznehmer kann ergänzend verwiesen werden. Auch dem Dienstleistungs-HV, der seine „Produkte“ selbst herstellt, steht der Ausgleich zu. Gleiches gilt im Bereich der Analogie, dem Franchiserecht. Letztlich wird man auch dem Urt. BGH, v. 5.2.2015 – VII ZR 109/13, IHR 2015, 68 = NJW 2015, 945 = ZVertriebsR 2015, 102512 trotz der Abweisung der Klage – nur wegen fehlender Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes – eine Bestätigung des Ausgleichsrechts von FN entnehmen dürfen.513 Nach Ansicht von Waldzus ist kein Ausgleichsanspruch zu zahlen, wenn der Schwerpunkt der vertraglichen Abrede nicht im Vertrieb von Waren des FG, sondern in der Zurverfügungstellung von Know-how liegt.514

cc) Kommissionsagenten.515 Dem Kommissionsagenten steht bei Beendigung des Kommissi- 88 onsagenturvertrages in entsprechender Anwendung des § 89b ein Ausgleichsanspruch gegen den Kommittenten zu, wenn er in dessen Absatzorganisation eingebunden ist und ihm bei Beendigung des Vertragsverhältnisses den Kundenstamm zu überlassen hat.516 Die analoge Anwendung des § 89b beim Kommissionsagenten soll typischerweise noch eher geboten sein als beim Vertrags-

S. 353, 366 ff.; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 240 ff.; Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 497; Penners Die Bemessung des Ausgleichsanspruchs im Handelsvertreter- und Franchiserecht, Diss. iur. Augsburg 2014 (ohne dass eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes erforderlich ist); Hopt § 84 Rn 19; ebenso zum österreichischen Recht OGH v. 17.12.1997 – 9 Ob 2065/96h, zit. nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 202; offen gelassen von OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.5.2013 – I-16 U 36/12, BeckRS 2014, 18249 (dort wg. fehlender Analogiekriterien verneint). Latzel ZVertriebsR 2015, 90 ff. referiert die Rspr. 506 Eckert WM 1991, 1237 (1246); aA Köhler NJW 1990, 1694. 507 Martinek Franchising, S. 370. 508 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54. 509 Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (55); Wiedergabe des Meinungsstandes bei Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (291); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 676. 510 Auf diesen Unterschied weisen Kroll ZVertriebsR 2014, 290 (291); Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (91) zutreffend hin. 511 Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104; Erdmann ZVertriebsR 2015, 50 (51). 512 = ZIP 2015, 583 = WM 2015, 535 m. Anm. Niklas ZVertriebsR 2016, 362 (ablehnend); Hallermann-Christoph LMK 2015, 368280; Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104; Giesler EWiR 2015, 513 (zustimmend) sowie Bespr. Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (91). 513 Niklas ZVertriebsR 2016, 362; Pour Rafsendjani ZVertriebsR 2015, 104; Latzel ZVertriebsR 2015, 90 (91) – „Ausschlussprinzip“ wegen Nichterfüllung eines Analogiekriteriums. 514 Waldzus BB 2016, 515 (522). 515 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 m. Anm. Wauschkuhn; v. 1.6.1964 – VII ZR 235/62, BB 1964, 823; OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126); OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182; LG Saarbrücken, Urt. v. 6.2.2013 – 7 KfH O 226/09, ZVertriebsR 2016, 10 (13); Karsten Schmidt JuS 2008, 665 (669); Küstner/Thume/Thume III, Kap. III Rn 26 f.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 426; Hopt § 89b Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 25; tendenziell auch BGH, Urt. v. 20.3.2003 – I ZR 225/00, NJW-RR 2003, 1056 (1059) = BB 2003, 1463 = ZIP 2003, 1707, 1712 = EWiR 2004, 115 (Emde). 516 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 m. Anm. Wauschkuhn. 235

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händler.517 Unter Umständen genügt die faktische Kontiunität der Kundenbeziehungen, um den Ausgleichsanspruch zu sichern.518 Gerade im weitgehend anonymen Massengeschäft eines stationären Sonderpostenmarktes benötigt der Kommittent für eine Übernahme des Kundenstamms nicht in gleicher Weise wie beim Verkauf hochwertiger Wirtschaftsgüter den Zugang zu vollständigen Kundendaten. Betreibt der Kommissionsagent in von dem Kommittenten angemieteten Räumen einen filialähnlich organisierten Markt und hat der Kommittent über ein von ihm vorinstalliertes Kassensystem ständigen Zugriff auf Informationen zu allen Verkaufsrückgängen und auf sämtliche von den Kunden im Rahmen des Bezahlvorgangs mitgeteilten personenbezogene Daten, ist von einer faktischen Kontinuität des Kundenstamms auszugehen, sofern der Kommittent nach Beendigung des Kommissionsagenturverhältnisses den Markt unter derselben Geschäftsbezeichnung in denselben Geschäftsräumen weiterführen kann.519 Der Zugriff auf die Daten des Kassensystems kann genügen.520 Diese Fallkonstellation weist eher Ähnlichkeit mit dem Betrieb von Tankstellen durch HV auf, bei dem es für die Nutzbarkeit des Kundenstammes maßgeblich auf die Übergabe der Tankstelle ankommt.521 In einen derartigen Fall sind in erster Linie Informationen über den Verkaufsvorgang an sich erheblich, um es dem Unternehmer zu ermöglichen, abzuschätzen, welche Art von Waren am jeweiligen Standort in welchen Mengen nachgefragt werden.522 Dies erfährt der Unternehmer etwa durch die Nutzung des von ihm vorinstallierten Kassensystems, dessen Daten an den Unternehmer weitergeleitet werden.523

89 dd) Markenlizenznehmern,524 die einer Vertriebspflicht unterliegen. Nach dem OLG Hamburg525 fehlt es an der erforderlichen Geschäftsbesorgung für den Unternehmer, wenn der Markenlizenznehmer die Vertragsprodukte selbst herstellt. Außerdem handele es sich bei der Vertriebspflicht um eine gängige Formulierung der Markenlizenzverträge, welche die Benutzung der Ware sicherstellen solle. Der BGH526 als Folgeinstanz judizierte, eine entsprechende Anwendung des § 89b auf Markenlizenzverträge sei nicht grds. ausgeschlossen.527 Es komme jedoch auf die Verhältnisse des Einzelfalls an. In dem vom BGH528 entschiedenen (Einzel-)Fall verneinte er den Anspruch des Lizenznehmers auf einen Ausgleich. Es mangele an einer vergleichbaren

517 BGH, Urt. v. 1.7.1964 – VII ZR 235/62, BB 1964, 823; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 27. 518 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 m. Anm. Wauschkuhn. 519 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 m. Anm. Wauschkuhn. 520 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126). 521 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 43 m. Anm. Wauschkuhn. 522 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 44 m. Anm. Wauschkuhn. 523 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 44 m. Anm. Wauschkuhn. 524 Emde WRP 2003, 468; Emde WRP 2006, 449; Prasse MDR 2008, 122 (127); Stögmüller GWR 2010, 309875 = GWR 2010, 523 (bei typischen Markenlizenzverträgen hält er das Risiko der Ausgleichspflicht aber für gering); Hopt § 84 Rn 19; aA BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (kein Urteil des Vertriebsrechtssenats); OLG Hamburg, Urt. v. 27.11.2008 – 3 U 146/06, GRUR-RR 2011, 40 m. Anm. Imhof GWR 2009, 286654; Martinek/Wimmer-Leonhardt WRP 2006, 204 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 22 f. (sofern der Lizenzgeber auf dem Gebiet des Lizenznehmers nicht tätig ist). 525 BGH, Urt. v. 27.11.2008 – 3 U 146/06, GRUR-RR 2011, 40 m. Anm. Imhof GWR 2009, 286654. 526 Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331 = GRUR 2010, 1107m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (kein Urteil des Vertriebsrechtssenats). 527 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 Rn 25 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54; so auch die Analyse von Stögmüller GWR 2010, 309875 = GWR 2010, 523. 528 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54. Emde

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Interessenlage als Voraussetzung der Gesetzesanalogie. Eine HV-gleiche Einbindung in das Vertriebssystem des Unternehmers als erstes Analogiekriterium fehle, weil die die Einbindung und die Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes mglw. begründenden Vorschriften nur den Hauptzweck der Lizenzvereinbarung unterstützen sollten.529 Zudem habe der Lizenznehmer keine Waren des Unternehmers oder mit ihm verbundener Unternehmen vertrieben, sondern solche, die er sich von dritter Seite (im entschiedenen Fall ein verbundenes Unternehmen) beschafft und mit der Marke des Unternehmers versehen habe.530 Der Schwerpunkt des Vertrages läge damit auf der Erteilung einer Lizenz für die Benutzung der Marke. Die Verpflichtung, den Absatz der Vertragswaren durch geeignete Werbe-, Verkaufsförderungs- und PR-Maßnahmen nach besten Kräften zu fördern, begründe keine Einbindung. Auch sie unterstütze lediglich die Pflicht zur Benutzung der lizenzierten Marke. Anders als beim Vertragshändler liege der Grund für die entsprechende Anwendung des HV-Rechts nicht darin, dass der Vertragshändler am Absatz der Produkte des Lieferanten mitwirke. Voraussetzung einer entsprechenden Anwendung des § 89b sei, dass der Lizenzgeber auf dem Gebiet der vom Lizenznehmer vertriebenen Waren selbst nicht tätig sei.531 Selbst bei Franchisingverträgen sei eine vergleichbare Interessenlage nur in Fallgestaltungen angenommen worden, in welchen dem FN der Vertrieb von Produkten des FG zugewiesen war und nach Beendigung des Vertragsverhältnisses die während der Vertragslaufzeit vom FN neu geworbenen Kunden dem FG allein zustehen sollten.532 Obwohl nach dem Vertrag kalendervierteljährlich kundenbezogen Rechnungen vorzulegen waren und die mit Vertragswaren getätigten Umsätze sowie die Verkaufsstellung unter Berücksichtigung der Kundenlisten mit dem Lizenzgeber abgestimmt werden sollten, zudem Bucheinsichtsrechte bestanden, verneinte der 1. Zivilsenat des BGH auch die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes als zweites Analogiekriterium. Die zwischen den Parteien getroffenen Abreden beschränkten sich darauf, die sich aus dem aus der entgeltlichen Gestattung der Nutzung der Marke liegenden Hauptzweck des Lizenzvertrages ergebenden Folgen der Vertragsbeendigung zu regeln. Die Argumentation der Gerichte ist zumindest dann nicht überzeugend, wenn die Ware unter dem Markennamen des Herstellers vertrieben wird und so mit ihm assoziiert wird. Sollte es darauf ankommen, handelt es sich um Produkte des Unternehmers, weil sämtliche Marken- und Kennzeichnungsrechte bei ihm liegen und der Mittler diese Produkte nach Ende des Lizenzvertrages nicht mehr veräußern darf.533 Auch ein Vertragshändler oder ein Produktionsfranchisenehmer534 fördert neben den Interessen und dem Markennamen des Unternehmers auch die eigenen Geschäfte. Zudem ist der Grund einer Vertriebspflicht irrelevant. Selbst beim HV ist es irrelevant, aus welchem Grund er einer Vertriebspflicht unterworfen wird. Da auch der BGH535 eine Anwendung des § 89b auf den Markenlizenznehmer für möglich hielt, es auf den Einzelfall ankommt und eine stärkere vertriebsrechtliche Komponente des Vertrages zur Analogie führen dürfte, werden Bestrebungen, Franchiseverträge zwecks Vermeidung der Ausgleichspflicht in den Anwendungsbereich der eben genannten BGH-Entscheidung zu bringen, nicht bei der Vermeidung der Ausgleichspflicht helfen.

529 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 Rn 29 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54. 530 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 Rn 26 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54.

531 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 Rn 32 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54.

532 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 Rn 32 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54.

533 Kontrollfrage: Darf der Mittler diese Produkte nach Ende des Vertriebsvertrages verkaufen? Wenn die Antwort „Nein“ lautet handelt es sich um Produkte des Unternehmers. 534 AA Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (55); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 420. 535 Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331= GRUR 2010, 1107 m. Anm. Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (kein Urteil des Vertriebsrechtssenats). 237

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90 ee) Service-Providern, die Netzkapazitäten von Netzbetreibern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vertreiben.536

91 ff) U. U. bei zugelassenen Vertragswerkstätten.537 Besteht eine Vertriebspflicht für Ersatzteile, ist auch das Werkstatt- bzw. Ersatzteilgeschäft ausgleichspflichtig.538 Auch bei solchen Verträgen steht die Absatzförderungspflicht im Vordergrund.539 Die fehlende Bekanntgabe der Werkstattkunden ist irrelevant, da die Kundennamen im Kfz-Vertrieb komplett mitgeteilt werden und niemand Teile für Kfz einer Marke kauft, der nicht zuvor bei einem Händler ein Kfz dieser Marke erworben hat.540 Die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes ergibt sich als Annex aus der Verpflichtung zur Benennung der Kunden der Ware, etwa des Kfz,541 sie ist zudem im anonymen Massengeschäft überflüssig.542 Die Stammkundenquote darf gem. § 287 ZPO geschätzt werden. Zumindest kommt ein Ausgleichanspruch für Ersatzteile in Betracht, wenn mit entsprechendem werblichen Aufwand Kunden geworben werden.543 Die Erfüllung der in den Händlerverträgen enthaltenen allg. Verkaufsförderpflicht allein soll die Voraussetzung einer solchen werbenden Tätigkeit nicht erfüllen.544 Das ist abzulehnen, weil nicht erklärlich ist, weshalb eben diese werblichen Bemühungen für die Ausgleichspflicht im Kfz-Geschäft genügen sollen, im Ersatzteilgeschäft hingegen nicht. Das OLG Frankfurt/M.,545 bestätigt durch Nichtannahmebeschluss des BGH v. 14.11.2006,546 verneinte den Ausgleich wegen Fehlens werblicher Bemühungen (die Ersatzteile verkauften sich nach Ansicht des OLG „von selbst“), hielt solche Bemühungen allerdings für möglich, wenn auf dem Ersatzteilmarkt mit Verkauf von Identteilen ein Wettbewerb besteht. Dies ist eine Tatsachenfrage, die sich der Überprüfung durch den BGH entzog: Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat der BGH folgerichtig zurückgewiesen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hatte noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgericht erforderte (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wurde gem. § 544 Abs. 4 S. 2, 2. Hs. ZPO abgesehen.547 Damit ist ein Ausgleichsanspruch im Ersatzteilgeschäft zumindest möglich, falls der Anspruchsteller werbende Bemühungen und damit einen Wettbewerb im Ersatzteilgeschäft nachweisen kann.

536 Pollklesener DB 2003, 927. 537 Niebling WRP 2006, 1334 (1335). 538 Eingehend Emde GRUR 2006, 997 (1005); Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 23; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126; ebenso BGH, Urt. 31.1.1991 – I ZR 142/89, BB 1991, 1210 (1211) bei besonderen werblichen Leistungen (also wohl Vertriebspflicht); aA OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06; LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/ 06; Wendel GRUR 2007, 748; Niebling WRP 2007, 1426 (1427). 539 Ströbl/Schumacher BB 2009, 1201 (1203) zu §§ 89a HGB, 112 InsO; auch OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 6.3.2009 – 2 U 29/06, ZIP 2009, 1336 (1337 linke Spalte). 540 Eingehend Emde GRUR 2006, 997 (1005). 541 Emde GRUR 2006, 997 (1005); Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. 2003, Rn 292; aA Niebling WRP 2006, 1334 (1335). 542 Zum österreichischen Recht, s. OGH v. 30.8.2006 – 7 Ob 122/06a, zit. nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 202. 543 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.4.2006 – 21 U 10/05, BeckRS 2006, 12472 – Kfz. 544 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.4.2006 – 21 U 10/05, BeckRS 2006, 12472 – Kfz. 545 Urt. v. 17.5.2005 – 3-13 O 73/03. 546 BGH, Urt. v. 14.11.2006 – VIII ZR 147/05, BeckRS 2007, 13321; ebenso BGH, Beschl. v. 4.3.2008 – VIII ZR 119/06, BeckRS 2008, 07111. 547 BGH, Urt. v. 14.11.2006 – VIII ZR 147/05, BeckRS 2007, 13321. Emde

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3. Nicht ausgleichsberechtigte Personen Kein Ausgleichsrecht besitzen:

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a) Nebenberufliche HV (§ 92b Abs. 1), dazu § 92b. An der Nichtgewährung des Ausgleichs für 93 nebenberufliche HV ist rechtspolitisch Kritik geäußert worden. Specks548 führt aus, der Wegfall des Ausgleichs sei ungerechtfertigt und nicht überzeugend zu begründen. Für diese These spricht, dass ein vertraglicher Anspruch für den Aufbau des Kundenstammes nicht weniger vergütungsbedürftig ist, wenn er nebenberuflich erfolgt. Zudem ist der nebenberufliche HV besonders schutzbedürftig ist. Der mglw. geringere Einsatz spiegelt sich in der reduzierten Ausgleichshöhe wieder. Auch im Hinblick auf Art. 3 GG spricht wenig für den Entzug des Ausgleichs.

b) Angestellte Reisende549 oder Arbeitnehmer, es sei denn, der Ausgleich wurde vertraglich 94 versprochen.550 Begründung: § 89b sei eine auf die besonderen Verhältnisse des HV abgestellte Sondernorm, die auf Arbeitsverhältnisse nicht entsprechend angewandt werden könne. Diese Begründung überzeugt, weil der Angestellte Kündigungsschutz genießt und nicht nach Erfolg, insbesondere nicht für den Aufbau eines Kundenstammes bezahlt wird. c) U. U. Peugeot-Vertragshändler551 4. Auslandsrechte Das Vertragshändlerrecht ist nicht durch eine EU-Richtlinie präformiert. Es differiert daher inner- 95 halb der EU-Staaten.552 In folgenden europäischen Rechtsordnungen entsteht bei Beendigung des Vertragshändlervertrages grds. kein Ausgleichsanspruch oder Entschädigungsanspruch, sofern der Unternehmer den Vertrag unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist gekündigt hat: Aserbaidschan, Bulgarien, Estland, Frankreich,553 Irland, Italien,554 Kasachstan, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Rumänien, Russland, Schweden, Ukraine, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern. In folgenden europäischen Rechtsordnungen kann unabhängig von der Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist durch den Unternehmer ein Ausgleichsoder Entschädigungsanspruch zugunsten des Vertragshändlers entstehen: Belgien,555 Finnland,

548 Der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters gem. § 89b HGB, Diss. Münster 2001/2002; erschienen in der Münsteraner Reihe, Heft 76, Karlsruhe 2002, S. 60 u. 70. 549 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 13; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 19; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 16; BAG BB 1958, 775 = NJW 1958, 1365; OLG Düsseldorf NJW 1965, 2352. 550 Oetker in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 11. Aufl. 2011, § 89 Rn 1. 551 BGH, Beschl. v. 17.1.2006 – VIII ZR 232/04; hierzu Niebling WRP 2006, 1334 (1335). 552 Übersichten bei Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (84); Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (616). 553 Stade IHR 2016, 49 (54 ff.) – dafür Entschädigung wegen „rupture brutale“; Kutscher-Puis ZVertriebsR 2014, 206; 2013, 58 (59); Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (280), und zwar weder für Vertragshändler noch FN. 554 Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (280); Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (616). 555 Dort wurde der Vertragshändlerausgleich gesetzlich vorgeschrieben, Loi du 27 juillet 1961 relative à la résilation unilatérale des concessions de vente exclusive à duree indétermiée, telle quélle a eté modifée par la loi di 13 avril 1971 relative à la résilation unilatérale des concessions de vente, Moniteur belge du 21 avril 1971; vgl. Häuslschmid in: Reithmann/Martiny 7. Aufl. Rn 2266. 239

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Dänemark,556 Griechenland, Norwegen, Österreich,557 Polen, Portugal, Schweiz,558 Slowakei, Slowenien, Spanien,559 Tschechien, Türkei.560 Kontrovers diskutiert wird die Frage insb. in den Niederlanden, Griechenland und England. Die meisten außereuropäischen Staaten kennen keinen Vertragshändlerausgleich.

II. Anspruchsverpflichteter 1. Einleitung 96 Nach § 89b Abs. 1 ist Schuldner des Ausgleichsanspruchs der „Unternehmer“. Wer Unternehmer ist, bestimmt § 84 Abs. 1 S. 1,561 nämlich außer der HV mit Untervertretern, welcher selbst ein Unternehmer ist, auch jeder andere Unternehmer. Es wird auf die Kommentierung zu § 84 verwiesen. Passiv legitimiert ist damit jeder Dritte, mit dem ein HV-Vertrag geschlossen wurde. Der Unternehmer kann sich ohne Zustimmung des HV seiner Ausgleichsverpflichtung nicht 97 durch Übernahmevereinbarung mit einem Dritten, etwa dem Nachfolge-HV, entledigen. Der Unternehmer bleibt auch dann passiv legitimiert, wenn er mit dem Nachfolge-HV eine solche Übernahmevereinbarung gezeichnet hat. Ist der HV mit der ausschließlichen Übernahme der Schuld durch den Nachfolger einverstanden, kann eine solche Abrede wegen § 89b Abs. 4 nur nach Vertragsende geschlossen werden.562 Umgehungen ist nicht anders als bei Wettbewerbsverboten (dazu s. Kommentierung zu § 86) mit Durchgriffserwägungen zu begegnen: Übernimmt etwa eine GmbH die Geschäfte ihrer Tochtergesellschaft, einer KG, und beliefert sie Kunden mit Produkten, für welche die Tochtergesellschaft einem HV Provision zu zahlen hätte, so wäre es objektiv missbräuchlich, wenn sich die GmbH auf die rechtliche Selbständigkeit der Unternehmen beriefe.563 Die Mithaftung Dritter lässt die Schuld des Unternehmers daher nicht entfallen. Das gilt auch für gesetzliche Haftungstatbestände, etwa eine Konzernhaftung.564 Siehe auch unten zur Betriebsveräußerung. Die Übertragung des Vertrages auf einen vermögenslosen Dritten, etwa ein verbundenes Unternehmen, wäre rechtsmißbräuchlich und gem. § 242 BGB unwirksam.

2. Anspruchsverpflichteter bei Betriebsveräußerung auf Unternehmerseite 98 Ist der Unternehmer eine juristische Person oder Gesamthandsgemeinschaft, berührt ein Gesellschafterwechsel (Share-deal) auf seiner Seite die Passivlegitimation nicht. Der HV-Ver-

556 Allerdings angeblich noch keine gefestigte Rspr., siehe Thöle IHR 2016, 231 (235). 557 Moritz ZVertriebsR 2017, 143 – zu den Beendigungsansprüchen des Vertragshändlers nach dem Recht Österreichs; Kocher RIW 2003, 512 (515). Dort ist aber keine vertragl. Verpfl. zur Übertragung des Kundenstammes erforderlich, s. Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (279). 558 Die Schweizer Gerichte haben ihn unter ähnlichen Voraussetzungen, wie sie in Deutschland gelten, zugelassen,s.Schweizer Bundesgericht, Urt. v. 22.5.2008, BGE 134 III 497 = ZVertriebsR 2012, 122 m. Anm. Kull; hierzu Wauschkuhn/Teichmann RIW 2009, 614 (617) und Häuslschmid in: Reithmann/Martiny 7. Aufl. Rn 2267. 559 Kocher RIW 2003, 512 (515). 560 LG Aachen, Urt. v. 17.7.2009 – 43 O 21/04, BeckRS 2011, 08422. Das galt, obwohl das türkische Recht zu dieser Zeit keinen kodifizierten Ausgleichsanspruch kannte, vgl. Krüger RIW 2009, 771 ff., insb. S. 774 ff. 561 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 24. 562 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 20. 563 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.2.2000 – 16 U 32/99, OLGR 2000, 425 = GmbHR 2000, 1205; Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 76. 564 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 18. Emde

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trag wird unabhängig vom Gesellschafterwechsel fortgesetzt.565 Eine change of control-Klausel ist aber zulässig. Die davon zu unterscheidende Frage ist, ob der Gesellschafterwechsel dem HV einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gibt, was bei erheblicher Interessenberührung der Fall sein kann. Veräußert der einzelkaufmännische Unternehmer seinen Betrieb, bleibt er solange Ausgleichsschuldner, als weder durch Gesetz noch Vertrag ein Übergang der Ausgleichsverpflichtung auf den Erwerber vorgesehen ist.566 § 613a BGB ist unanwendbar.567 Es bedarf einer ausdrücklichen Regelung, um den Erwerber zu verpflichten und/oder den veräußernden Unternehmer aus seiner Schuld zu entlassen. Ein Schuldübergang oder -beitritt kann konkludent vereinbart werden, etwa wenn der Vertrag mit dem Erwerber in identischer oder weitgehend identischer Form fortgesetzt wird.568 Ob der bisherige Unternehmer aus seiner Schuld entlassen wird, ist Auslegungsfrage. Regelmäßig wird der HV keinen Anlass haben, auf einen Schuldner zu verzichten. Ein entsprechender Wille darf nicht unterstellt werden. Ohnehin könnte eine dahingehende Einigung wegen § 89b Abs. 4 wohl nur nachvertraglich erfolgen. Durch die Veräußerung endet das Vertragsverhältnis mit dem HV also nicht, weder beim Asset- und erst recht nicht beim Share-deal. Der Unternehmer müsste es kündigen.569 Die Betriebsveräußerung führt auch nicht zu einer Situation, welche die analoge Anwendung des § 89b rechtfertigt. Sie stellt keine konkludente Kündigung dar, bildet jedoch mglw. für den HV einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1, falls eine Tätigkeit für den Vertragspartner infolge des Verkaufs ausscheidet oder unzumutbar ist. Sowohl die Kündigung des Unternehmers, wie die aus begründetem Anlass des HV, eröffnet den Ausgleichsanspruch. Ob dessen weitere Voraussetzungen gegeben sind, hängt in erster Linie daran, inwieweit der Unternehmer infolge der die Kündigung veranlassenden Betriebsveräußerung Vorteile aus dem Neukundenstamm erzielt (etwa Veräußerungsentgelt). Es spricht eine Vermutung dafür, dass ein Teil des Unternehmenskaufpreises zur Abgeltung des Kundenstammes gezahlt wurde.570 Überhaupt spricht eine Vermutung dafür, dass der Unternehmer seinen Betrieb nicht ohne Entgelt für den Kundenstamm veräußert. Der Unternehmer hat also aus der Geschäftsverbindung mit den vom HV geworbenen Kunden einen Vorteil. Wird kein Kaufpreis für die Übernahme des Kundenstammes bezahlt – etwa bei bloßer Übertragung des Anlagevermögens, welches keine Sogwirkung auf die Kunden ausübt – scheidet ein Vorteil des Unternehmers aus der Veräußerung und damit ein Ausgleich aus, ebenso beim unentgeltlichen Betriebsübergang. Ein Schadenersatzanspruch ist denkbar, wenn der Veräußerer schuldhaft die Vereinbarung einer Gegenleistung unterlässt. Die gleichen Grundsätze gelten im Falle eines Verkaufs durch einen Insolvenzverwalter.571 Bei der Übertragung im Konzern ist ein Vorteil der Konzernmutter nicht ausreichend. Erheblich ist der Vorteil, sofern der Kundenstamm die Konditionen des Kaufs positiv beeinflusst hat. Schließt der HV mit dem Erwerber einen neuen HV-Vertrag, erleidet der HV gleichwohl aus der Beendigung des alten Vertrages Provisionsverluste.572 Der Ausgleich wird wohl nicht unter Billigkeitsgesichtspunkte zu kürzen sein, falls der HV grundlos den Abschluss eines HV-Vertrages mit dem Erwerber ablehnt.573 Jedenfalls ist der Veräußerer selbst der Ausgleichsschuldner. Der Erwerber des Betriebes ist es nur (mitschuldend) unter

565 Sturm/Liekefett BB 2004, 1009; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 27, 49. 566 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 46. 567 Vgl. BGH NJW 1963, 101; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 26; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 42; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 45. 568 Siehe Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 42. 569 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 46. 570 OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10. 571 Hierzu OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360. 572 Sturm/Liekefett BB 2004, 1009. 573 AA Sturm/Liekefett BB 2004, 1009. 241

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den Voraussetzungen des § 25574 oder aus einem speziellen Rechtsgrund (Schuldübernahme,575 Schuldbeitritt).576 Ein automatischer Übergang des Vertragsverhältnisses auf den Betriebsnachfolger findet nicht statt. Jedoch kann ein Eintritt des Unternehmensnachfolgers in das Vertragsverhältnis mit dem HV vereinbart werden, weil hier die Sperre der Nichtübertragbarkeit der Dienstleistungspflicht nicht eingreift. Das Vertragsverhältnis setzt sich in diesem Fall bruchlos fort. Eine Kündigung durch den Abgeber des Betriebes erübrigt sich. Der Ausgleichsfall ist nicht gegeben. 99 Werden HV-Verträge vom Erwerber nicht übernommen, sondern schließt dieser mit den HV neue Verträge, ist lediglich der Veräußerer Schuldner des Ausgleiches.577 Dem kann der Veräußerer nicht entgegenhalten, dem HV entgingen aufgrund des mit dem Erwerber später separat geschlossenen Vertrages keine Provisionen, so dass die Billigkeitsvoraussetzung des § 89b Abs. 1 Nr. 2 fehle. Rechtstechnisch ließen sich allerdings sowohl Ausgleichsansprüche gegen den Veräußerer wie – nach Beendigung des Neuvertrages – gegen den Erwerber begründen578: Wird der Vertrag mit dem Veräußerer beendet, sei es infolge einer ausgleichsfreundlichen Kündigung durch den HV aus begründetem Anlass (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) oder aufgrund der Kündigung des Veräußerers, entgehen dem HV infolge dieser Beendigung aus dem konkreten Vertragsverhältnis Provisionen.579 Sofern Kunden zugeführt wurden, ist also ein Ausgleich begründet.580 Die künftig aus dem Neuvertrag erzielten Provisionen können allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit, vergleichbar der Situation nach Übernahme der Vertretung eines Wettbewerbers, anspruchsmindernd berücksichtigt werden, kaum jedoch zum völligen Wegfall des Ausgleiches führen, und zwar schon deshalb, weil sich nach Vertragsende des Erstvertrages noch überhaupt nicht feststellen lässt, ob sich solche Provisionen (und später ein Ausgleich) erzielen lassen.581 Im Rahmen des Neuvertrages mit dem Erwerber sind die eingebrachten Kunden ausgleichspflichtige Neukunden, so dass auch hier nach Ende des Neuvertrages ein Ausgleich zu leisten ist, regelmäßig bemessen auf der Basis der Provisionseinnahmen mit ausgleichspflichtigen Kunden des letzten Vertragsjahres dieses Vertragsverhältnisses. Dass der Übernehmer sie dem Verkäufer des Betriebes im Veräußerungsentgelt mit bezahlt hat, kann er dann dem HV nicht entgegenhalten, da er ja auch den weiteren Nutzen daraus gezogen hat. Es verhält sich nicht anders als bei Übernahme jeder Vertretung, in die der HV Kunden einbringt.582 Ob der Erwerber einwenden darf, die Kunden seien vom HV im Rahmen eines anderen Vertrages geworben worden, ist zweifelhaft. Einen solchen Einwand kann auch ein später vertretener Wettbewerber nicht erheben, wenn der HV nach Beendigung des Erstvertrages mit einem Wettbewerber des zuerst vertretenen Unternehmers seinen Altkundenstamm für den neuen Unternehmer nutzt. Richtig ist daher auch im Rahmen des Neuvertrages allenfalls eine Kürzung unter Billigkeitsgesichtspunkten, die entfallen dürfte, sofern im Rahmen des Altvertrages niemals ein Ausgleich gefordert wurde. Unrecht geschieht dem Erwerber hierdurch nicht. Denn einen Ausgleich hat er nur zu leisten, wenn im Rahmen des Neuvertrages auch Geschäfte geschlossen werden und er nach Beendigung des Neuvertrages Vorteile aus jenen Geschäften erwirbt. Die mögliche Zahlung eines Ausgleiches durch einen Dritten, nämlich den Veräußerer, kann ihn ohnehin nicht entlasten.

574 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 229.

575 Sie darf vereinbart werden, s. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 29 f. 576 Vgl. OLG Köln, Urt. v. 26.11.2010 – 19 U 70/10, BeckRS 2011, 02988; OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/ 07, BeckRS 2007, 14360. 577 Schmitz ZIP 2003, 59. 578 So auch Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 355 ff. 579 Siehe auch Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 43. 580 Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 356. 581 Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 356. 582 Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 356. Emde

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III. Beendigung des Vertragsverhältnisses (Tatbestandsmerkmal 1) Erste materielle TB-Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs ist die Beendigung des HV-Vertra- 100 ges (§ 89b Abs. 1: „nach Beendigung des Vertragsverhältnisses“).

1. Handelsvertretervertrag Die Beendigung des HV-Vertrages setzt zunächst einmal dessen Existenz voraus. Was ein HV- 101 Vertrag ist, bestimmt sich nach den oben, § 84, dargestellten Maßstäben. Der nichtige Vertrag kann zwar streng genommen nicht beendet werden, weil er niemals 102 existierte. Die Ausgleichsberechtigung fordert aber lediglich ein tatsächlich in Vollzug gesetztes HV-Verhältnis ohne rechtswirksame Grundlage.583 Ein HV, der aufgrund eines nichtigen Vertrages tätig geworden ist, darf die vertragliche Vergütung für erbrachte Dienstleistungen jedenfalls bei wirtschaftlicher und sozialer Überlegenheit des Unternehmers,584 richtigerweise auch ohne eine derartige Überlegenheit, fordern. Zu der vertraglichen Vergütung zählt auch der Ausgleichsanspruch.585 Der Vertrag braucht also nicht rechtswirksam zu sein, müsste aber im Falle seiner Wirksamkeit einen HV-Vertrag darstellen. Dies begründet sich aus den Grundsätzen des faktischen Vertrages.586 Der Unternehmer muss also trotz der Nichtigkeit einen Ausgleichsanspruch gem. § 89b zahlen, sofern alle TB-Voraussetzungen gegeben sind.587 Anderenfalls würde etwa der „bewucherte“ HV bestraft, der Unternehmer könnte u. U. kein besseres Geschäft machen, als z. B. einen gem. § 138 BGB wegen Hungerprovision nichtigen Vertrages zu schließen.588 Ferner dürfte der Unternehmer die vom HV aufgebauten Geschäftsverbindungen nutzen, müsste den Ausgleich jedoch nicht zahlen.589 Eines Rückgriffs auf Vergütungsansprüche nach § 354590 oder auf bereicherungsrechtliche Grundsätze591 bedarf es daher nicht. Ebenso wie Provisionen für die Vergangenheit ist auch der Ausgleich gem. § 89b eine Gegenleistung für den in der Vergangenheit tatsächlich aufgebauten Kundenstamm. War die Nichtigkeit vom Mittler hervorgerufen worden, begründet das einen Kündigungsgrund i. S. d. § 89a, worauf der Ausgleich analog § 89b Abs. 3 Nr. 2 oder aufgrund von Billigkeitserwägungen entfällt. Im Vertragshändlerrecht sollten trotz der Nichtigkeit der analogiebegründenden „Verpflichtung“ zur Übertragung des Kundenstammes die gleichen Grundsätze gelten, weil es auf die tatsächliche Übertragung des Kundenstammes und nicht auf Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der ohnehin nicht expressis verbis erforderlichen Verpflichtung zur Übertragung ankommt592 (s. a. Rn 43). Im Ergebnis wird der HV hinsichtlich seiner Leistungen so gestellt, als sei der Vertrag wirksam zustande gekommen. Das ist insbesondere in Fällen sachgerecht, in denen die Nichtigkeit nicht von ihm verursacht wurde. 583 BGH, Urt. v. 24.2.1983 – I ZR 14/81, NJW 1983, 1727; v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (293) = NJW 1995, 1958; v. 11.12.1996 – VIII ZR 22/96, ZIP 1997, 238; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 39.

584 BGH, Urt. v. 12.1.1970 – VII ZR 48/68, BGHZ 53, 152. 585 BGH NJW 1997, 655 (656 f.); Urt. v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 = NJW 1995, 1958 = WM 1995, 1235; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 12; Hopt § 89b Rn 8; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 59. 586 OLG Düsseldorf HVR Nr. 607; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. II Rn 140; Martinek/Flohr in: Handbuch des Vertriebsrechts1 § 8 Rn 106; Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 38. Wauschkuhn in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner Dau, Rn 802, verneint die Anwendung der Grundsätze zum faktischen Vertrag auf den Vertragshändler. 587 BGH, Urt. v. 3.5.1995, BGHZ 129, 290 (293) = NJW 1995, 1958; NJW 1997, 655; Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 38; § 89b Rn 34, aA Canaris § 15 Rn 120, der mit bereicherungsrechtlichen Grundsätzen helfen will. 588 AA Canaris § 15 Rn 121. 589 BGH, Urt. v. 3.5.1995, BGHZ 129, 290. 590 So Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 85 Rn 3. 591 So Canaris § 15 Rn 120; es würde sich wegen der Vorteile des Unternehmers häufig dieselbe Anspruchshöhe ergeben; die Sogwirkung der Marke sei nach § 818 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen. 592 AA Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 802. 243

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2. Beendigung 103 Die Art der Beendigung ist im Rahmen des § 89b Abs. 1 grundsätzlich unerheblich. Sie hat nur Bedeutung bei der Prüfung der Ausschlussgründe gem. § 89b Abs. 3.593 Nur aus dem jeweils beendeten Vertrag – nicht aus einem Vorgängervertrag – kann der Ausgleich gefordert werden.594 Eine während der Laufzeit des Folgevertrags getroffene Vereinbarung, die regelt, dass der VV hinsichtlich der Zugehörigkeit zur Versicherung so behandelt wird, als wäre das Eintrittsdatum der Beginn des ersten Vertrages, soll nicht dazu führen, dass ihm bezüglich der im Rahmen des ersten Vertrages von ihm vermittelten dynamischen Lebens- und Rentenversicherungsverträge, für die er keine Dynamikprovisionen erhielt, Ausgleichsansprüche zustehen und Auskunft zu gewähren ist.595 Aber es wird auf eine Vertragsauslegung ankommen.

104 a) Kündigung. Der naheliegenste, leitbildsetzende und meist anspruchseröffnende TB ist der der Kündigung.596 Gleich von welcher Seite und aus welcher Veranlassung: so jedenfalls als Regel, sieht es die auf die Darlegungs- und Beweislast abstellende Fassung des Gesetzes vor, welche in Abs. 3 den Ausgleich für gewisse Kündigungssituationen ausschließt und sodann mit Unterausnahmen von diesen Ausschlussgründen arbeitet: Die Kündigung des Vertrages durch den Unternehmer (ausgleichsfreundlich, solange ihr nicht ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV zur Seite steht;) und die Eigenkündigung des HV, ausgleichswahrend, wenn sie wegen Alters oder Krankheit oder deshalb erfolgt, weil das Verhalten des Unternehmers zur Lösung des Vertragsverhältnisses begründeten Anlass gegeben hat.

105 b) Beispielsfälle. Diskutiert werden im Zusammenhang mit dem TB-Merkmal der Vertragsbeendigung folgende Konstellationen: – Die Änderungskündigung stellt eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar.597 Mit einer Änderungskündigung wird dem Gekündigten die Möglichkeit eingeräumt, einen Neuvertrag zu geänderten Bedingungen zu schließen, indem er die Bedingungen des Kündigenden zur Fortsetzung des Neuvertrages akzeptiert. Sie dient dazu, den Gekündigten, meist den HV, zu Vertragsänderungen zu bewegen. Der Gekündigte hat es in der Hand, ob er den Änderungsvorschlag annimmt und damit der Vertrag zu neuen Bedingungen fortsetzt wird oder ob er durch die Kündigung endet. Schwierigkeiten geben insb. Fälle, in denen der Altvertrag wirtschaftlich betrachtet fortgeführt wird, etwa bei Fortsetzung unter wirtschaftlich vergleichbaren Bedingungen.598 Eine Änderungskündigung führt zur Vollbeendigung des Vertragsverhältnisses. Dies gilt auch, wenn der Kündigende eine Änderungskündigung nur ausspricht, um abweichend von bisherigen vertraglichen Festsetzungen den zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis zu verkleinern oder den Provisionssatz herabzusetzen. Folge ist die Ausgleichspflicht des Unternehmers,599 falls er der Kündigende ist oder der HV einen begründeten Anlass i. S. d. Abs. 3 Nr. 1 zur Eigenkündigung hatte. Nimmt der

593 594 595 596 597

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 32. OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440. OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 33. BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, BB 2000, 60 (62) m. Anm. Emde (zum Vertragshändlerrecht); OLG Köln, Urt. v. 10.5.1989 – 13 U 50/89, VersR 1989, 1148; Niebling WRP 2010, 81 (83) – Kfz; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 20; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 34; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 44. 598 Zu solchen Konstellationen Semler ZVertriebsR 2012, 50. 599 BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, BB 2000, 60 (62) m. Anm. Emde (zum Vertragshändlerrecht); OLG Köln, Urt. v. 10.5.1989 – 13 U 50/89, VersR 1989, 1148; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 20; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 44. Emde

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Gekündigte das Angebot auf Abschluss des Zweitvertrages rechtzeitig an, wird der Vertrag zu den neuen Bedingungen fortgesetzt. Der Altvertrag ist beendet; eine Kontinuität zwischen Alt- und Neuvertrag fehlt. Es stellt sich die Folgefrage, ob Basis der Ausgleichsberechnung lediglich die „Differenzprovision“ zwischen der aus dem – regelmäßig für den HV günstigeren – Altvertrag erzielten und der für den HV ungünstigeren Provision aus dem Neuvertrag bildet. Das dürfte bei Fortsetzung des Vertrages zu bejahen sein,600 weil in Höhe der auf den Neuvertrag zu leistenden Provisionen billigkeitsrelevante Provisionsverluste des HV fehlen. Anders gewendet: Decken sich bei den ausgleichsrelevanten Provisionen die Konditionen des Alt- und Neuvertrages, kann meist kein Ausgleich entstehen, sofern nicht besonders hohe Unternehmervorteile den Billigkeitsabzug ausgleichen. Nach Beendigung des sich anschließenden Zweitvertrages erfolgt die Ausgleichsberechnung lediglich unter Einbeziehung von Provision aus Geschäften mit während dieses Vertrages geworbenen Neukunden und erweiterten Altkunden. Denn der Altvertrag war beendet; der aus ihm zu zahlende Ausgleich war allein deshalb reduziert, weil ein Vorteil des HV aus weiter zu leistenden Provisionen bestand. Die in den Neuvertrag eingeführten Kunden sind keine ausgleichspflichtigen Neukunden. Sie haben bereits zuvor mit dem Unternehmer Geschäfte getätigt und sind für ihn Altkunden. Gleichwohl kann die Berechnung zu erheblichen Abgrenzungsfragen führen: Da nach der Anlagerechtsprechung (dazu unten) der Ausgleich aus dem Erstvertrag nach den Verhältnissen bei dessen Beendigung zu bestimmen ist, entstehen Schwierigkeiten, weil die Provision aus dem Folgevertrag zum Zeitpunkt der Beendigung des Erstvertrages allenfalls geschätzt werden kann (s. a. unten, Stichwort „Bezirksänderung“). Kein Gegenargument sind scheinbare Ungerechtigkeiten bei Beendigung des Zweitvertrages kurze Zeit nach Ende des Erstvertrages und zu einem Zeitpunkt, zu dem der Ausgleichsverlust durch aus dem Zweitvertrag gezahlte Provisionen noch nicht amortisiert und die Beendigung des Zweitvertrages bei Ende des Erstvertrages nicht vorhersehbar war, mithin nach der „Anlagerechtsprechung“ ausgleichsrechtlich unberücksichtigt bleiben muss: Denn der HV erhält einen Ausgleich aus dem Zweitvertrag, die die Provisionsverluste betreffende Fehleinschätzung der Parteien bei der Ausgleichsprognose zum Ende des Erstvertrages kann durch Billigkeitserwägungen oder nach § 242 BGB601 korrigiert werden. Besteht beim Zweitvertrag einer der Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3, ist der Ausgleichswegfall gesetzlich gewollt. Allerdings hat der BGH602 ausgesprochen, ein HV-Vertrag werde nicht schon dann beendet, wenn Unternehmer und HV bei Einigkeit über den grundsätzlichen Fortbestand des HV-Verhältnisses lediglich einen Vertrag durch einen anderen ersetzten. Diese Aussage des BGH findet jedoch auf die typische Änderungskündigung keine Anwendung. Denn bei ihr ist als notwendiges Zwischenstadium eine Vertragsbeendigung gewollt. Entsprechend hat der BGH in seiner Entscheidung v. 6.10.1999 zum Vertragshändlerrecht603 ausgesprochen, im Falle der Änderungskündigung, durch die der Hersteller den Vertrag beende, sei ein Ausgleichsanspruch dem Grunde nach gegeben. Da sich der Charakter einer Kündigung und ihrer Rechtsfolgen nicht danach bestimmt, ob nach der Änderungskündigung ein neuer Vertrag abgeschlossen wird oder nicht, muss dieses Ergebnis in beiden Fällen gelten. Auch der Vergleich mit dem Fall der Insolvenz bestätigt den Befund: Setzt der HV seine Tätigkeit aufgrund einer mit dem Insolvenzverwalter getroffenen Absprache nach der Eröffnung des den Vertrag gem. §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO604 beendenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers fort, liegt darin die Begründung eines neuen Vertragsverhältnisses. Aus dem Altvertrag wird ein Ausgleich fällig.605 Dieser 600 601 602 603 604 605 245

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 34. Vgl. Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 499. BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248 (249). VIII ZR 125/98, BB 2000, 60 (62) m. Anm. Emde. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 75; Emde/Kelm ZIP 2005, 58. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 41. Emde

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Fall ist mit einer Änderungskündigung zu vergleichen, weil der Insolvenzverwalter den Zweitvertrag nicht im eigenen Namen schließt. Vielmehr wird – wie in der Konstellation der Änderungskündigung – der Zweitvertrag mit dem bisherigen Unternehmer geschlossen, unter zwischenzeitlicher automatischer Beendigung des ersten HV-Vertrages. Wird die Änderungskündigung des Unternehmers ausgesprochen, um den Provisionssatz unwesentlich herabzusetzen, und kommt eine Vertragsänderung zu diesen eingeschränkten Konditionen zwecks Vermeidung der Änderungskündigung zustande, wird z. T. eine Vertragsbeendigung verneint, was den wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragen soll. Indizien für eine Vertragsbeendigung sind erhebliche Änderungen des Vertrages, insb. des Provisionssatzes und der wesentlichen Vertragspflichten. Eine Verkleinerung des Vertragsgebietes streitet für eine Teilbeendigung hinsichtlich des abgegebenen Gebiets. Immer ist der Schutz des HV zu berücksichtigen, der angesichts der Furcht vor einem Abbruch der Vertragsbeziehungen meist keine Ausgleichsforderung wagen und oft von einer Vertragsfortführung ausgehen wird. Der Aufhebungsvertrag stellt ebenfalls eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar.606 Selbst wenn die Initiative zum Vertragsende vom HV ausgeht und er sich mit dieser Initiative eine Eigenkündigung erspart, gleicht der Auflösungsvertrag keiner ausgleichsschädlichen Eigenkündigung.607 Der Wunsch des HV nach einvernehmlicher Vertragsbeendigung kann auch nicht in eine konkludente Kündigung umgedeutet werden.608 Einigen sich Hersteller und Vertragshändler darauf, einen Vertragshändlervertrag durch einen neuen GVO-konformen Vertrag zu ersetzen, sollen dem Händler nach einer Ansicht keine Ausgleichsansprüche zustehen.609 Es fehle eine Teilbeendigung des Händlervertrags. Diese Ansicht ist zweifelhaft, da bei Aufhebung eine Vertragsbeendigung vorliegt. Sie ließe sich nur vertreten, wenn im Rahmen des Neuvertrags die Ausgleichsanwartschaften des Altvertrags angerechnet würden. Dies wird allerdings bestritten. Auch nach der hier abgelehnten Ansicht610 steht jedoch bei Beendigung des Händlervertrags und Abschluss eines Werkstattvertrags dem ausgeschiedenen Händler ein Ausgleich zu. Das Vertragsende infolge einer auflösenden Bedingung, etwa bei Erreichen einer Altersgrenze oder nach Nichterteilen einer Genehmigung, stellt ebenfalls eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar.611 Auswechselung eines Vertragspartners: Siehe hierzu unter dem Stichwort „Betriebsveräußerung“. Meist wird die Angelegenheit aus Sicht des HV beurteilt: Setzt sich für ihn der Vertrag fort, wenn auch mit einem anderen Vertragspartner, so wird von einer Vertragskontinuität und keiner Ausgleichspflicht ausgegangen. Man könnte die Angelegenheit aber mit gleicher Überzeugung aus Sicht des ausscheidenden Unternehmers als Vertragsbeendigung ansehen, so dass er einen Ausgleichsanspruch schulden würde. Es stellt sich dann die Frage, ob Provisionen entgehen, was möglicherweise in Höhe der aus dem Neuvertrag zu prognostizierenden Provisionen nicht der Fall ist. Insbesondere: Auswechslung des HV: Wird der HV „ausgewechselt“, so bedeutet das rechtstechnisch eine Beendigung des Vertrages mit dem alten HV und den Abschluss eines Neuvertrages mit einem neuen. Der alte HV ist ausgleichsberechtigt.612

606 OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 35. BGH, Urt. v. 10.12.1997 – VIII ZR 329/96, BB 1998, 390; v. 13.3.1969, BGHZ 52, 12 = NJW 1969, 1023. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 97. Rickmann WuW 2003, 752 (761). Rickmann WuW 2003, 752 (761). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 36. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 50.

607 608 609 610 611 612

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Eine Betriebseinstellung, gleich auf welcher Seite, beendet das Vertragsverhältnis nicht.613 Der Einstellende muss den Vertrag, sein Vertragspartner kann ihn kündigen. Zwar ist die Kündigung des HV aufgrund der Betriebseinstellung des Unternehmers, u. U. sogar die des Einstellenden, wohl (je nach den Umständen) ausgleichsfreundlich (begründeter Anlass i. S. d. Abs. 3 Nr. 1 wegen eines Verhaltens des Unternehmers). Der Ausgleichsanspruch ist nicht wegen des Mangels „entgehender Provision“ i. S. d. Abs. 1 Nr. 2 ausgeschlossen, falls der HV nach Beendigung des Vertrages seinen Geschäftsbetrieb einstellt.614 Die Kündigung wegen der Einstellung des Betriebs des Unternehmers führt jedoch oft nicht zum Ausgleichsanspruch, weil es künftigen Vorteilen des Unternehmers fehlt. Eine Ausnahme besteht, wenn der Unternehmer einen wirtschaftlichen Vorteil erhält, etwa eine Stilllegungsprämie. Der Unternehmer ist nicht gehalten, eine unrentabel gewordene Produktion nur deshalb fortzusetzen, um dem HV Provisionschancen zu belassen. Dieser Grundsatz gilt auch für den Fall, dass die Produktion nur für die vom HV vertriebenen Artikel eingestellt wird, der Unternehmer für dessen Dienste keine Verwendung mehr hat und das Vertragsverhältnis kündigt.615 Erfolgt dagegen die Betriebs- oder Produktionsstilllegung und die Kündigung ohne irgend einen in der Sache, d. h. in wirtschaftlichen Gegebenheiten des Unternehmens liegenden Grund, z. B. einer Liquidation der das Unternehmen betreibenden Gesellschaft infolge persönlicher Zwistigkeiten unter den Gesellschaftern, so steht das Ausbleiben künftiger „Vorteile“ der Ausgleichspflicht wohl nicht entgegen. Denn auf den Wegfall der Nutzbarkeit des Kundenstammes kann der Unternehmer sich zum Nachteil des HV nicht berufen, falls er eine solche Konstellation ohne unternehmenspolitisch gerechtfertigten Grund herbeigeführt hat. Zumindest schuldet der Unternehmer Schadenersatz in Höhe seiner Ausgleichsverpflichtung. Für die Berechnung des Ausgleichs muss daraufhin ein fortgesetzter Geschäftsbetrieb des Unternehmens unterstellt werden.616 Betriebsveräußerung: Der HV-Vertrag geht nicht automatisch auf den Betriebsnachfolger über, da § 613a BGB unanwendbar ist.617 Der Vertrag ist damit unbeendet.618 Sofern der HV durch eine dreiseitige Vereinbarung mit dem veräußernden und dem erwerbenden Unternehmer die Fortsetzung des HV-Vertrages mit dem Erwerber vereinbart, so soll der HV-Vertrag unbeendet sein und kein Ausgleichsanspruch entstehen.619 Das ist wirtschaftlich richtig, vertragstechnisch jedoch schwer begründbar, da die Auswechslung eines Vertragspartners den früheren Vertragspartner aus dem Vertrag entlässt und damit ihm gegenüber der Vertrag endet. Folglich müsste ein Ausgleichsanspruch entstehen. Mglw. ist es die richtige Lösung, den Ausgleich wegen der Vertragsfortsetzung mit dem Erwerber an dem Mangel „entgehender Provisionen“ als Billigkeitsmerkmal scheitern zu lassen, jedenfalls dann, wenn sich die Provisionsbedingungen nicht zu Lasten des HV verschlechtern. HV-Gesellschaft, Tod oder Wegfall eines Gesellschafters, Auflösung: Der Tod eines Gesellschafters führt weder bei der Kapital- noch bei der Personenhandelsgesellschaft (oHG oder KG, § 130 Abs. 3 Nr. 1) zur Auflösung. War der verstorbene Gesellschafter eine Schlüsselperson, aber auch nur dann,620 kann ein außerordentliches Kündigungsrecht des Unter-

613 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 42. 614 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 24; ZIP 1998, 420 = NJW 1998, 1070; v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, ZIP 1987, 1383 = NJW-RR 1988, 42 unter II A 4; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 43. 615 BGH NJW 1959, 1964. 616 Küstner Anm. zu LG Münster BB 1960, 1300 (1301); Schröder DB 1967, 2017. 617 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 42. 618 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 46. 619 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 42; Semler ZVertriebsR 2012, 48 (49 f.); aA Schmitz ZIP 2003, 59 (63). 620 BGH, Urt. v. 16.3.1970, HVR Nr. 419; Emde Die Handelsvertreter-GmbH 1994, S. 129 f.; Emde GmbHR 1999, 1005 (1014 ff.); Westphal BB 1999, 2517 (2519); Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VIII Rn 338; Ebenroth/Löwisch3 § 89a Rn 70. 247

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nehmers bestehen (s. Kommentierung zu § 89a, Stichwort „Gesellschafterwechsel“).621 Dieses führt jedoch nicht gem. Abs. 3 Nr. 2 zum Ausgleichsausschluss, weil das Versterben nicht schuldhaft erfolgt (Gegenansicht beim selbstbestimmten, nicht im schuldunfähigen Zustand begangenem Selbstmord vertretbar). Bei der Auflösung und Liquidation kommt es für den Ausgleichsauschluss auf den Grund der Liquidation an. Nach dem Auflösungsbeschluss wird von der Gesellschaft Vertragstreue erwartet; sie kann und muss den Vertrag fortführen.622 Nur wenn sie dies unterlässt, besteht ein ausgleichsvernichtender Grund zur außerordentlichen Kündigung (s. Kommentierung zu § 89a, Stichwort „Auflösung“). Ein eventueller Ausgleich steht nur der (zu liquidierenden) Gesellschaft zu.623 Immerhin werden Unternehmer und Liquidator, bevor sie den HV-Vertrag fristlos kündigen, zweckmäßigerweise abwarten dürfen, ob die aufgelöste Gesellschaft nicht dennoch fortgeführt wird. Ist der mit der HV-Tätigkeit beauftragt gewesene Gesellschafter in der Gesellschaft verblieben bzw. führt er die bisher Agenturfirma allein fort, so kann der HV-Vertrag mit ihm weiterlaufen (woran der Unternehmer durchaus ein Interesse haben kann624). Es ergeben sich ausgleichsrechtlich keine Probleme. Ist er es nicht, so wird die Gesellschaft dem Unternehmer einen anderen, geeigneten Gesellschafter für die vakant gewordene Funktion vorzuschlagen haben; einen Ausgleichsanspruch verliert sie nur dann, falls sie den Vorschlag unterlässt und der Unternehmer deshalb nach Abs. 3 Nr. 2 zur Kündigung schreitet. Erst wenn es bei der Auflösung der Gesellschaft verbleibt und daraufhin der HV-Vertrag gekündigt werden muss, entfällt jedwede Ausgleichsberechtigung. Unterlassen die Liquidatoren die Kündigung während der Liquidationsphase, entsteht ein Ausgleichsanspruch in Folge des durch die Vollbeendigung eintretenden Vertragsendes nicht.625 Denn es darf der Gesellschaft nicht zum Vorteil gereichen, dass sie die ausgleichsvernichtende Eigenkündigung im Liquidationsverfahren vermied. Zum anderen ist § 89b Abs. 3 Nr. 1, der im Falle der Eigenkündigung den Ausgleich ausschließt, zu entnehmen. dass ein HV keinen Ausgleich erhalten soll, wenn die Vertragsbeendigung ohne weitere Einflussnahme des Unternehmers durch sein Verhalten eintritt.626 Daran ändert die Tatsache nichts, dass der mit der Wahrnehmung der HV-Tätigkeit im HV-Vertrag besonders betraut gewesene Gesellschafter, im Einverständnis des Unternehmers, die Vertretung als nunmehriger Einzelkaufmann weiterführt. Die von ihm früher geworbenen Kunden gelten dann in Ansehung seines eigenen demnächstigen Ausgleichsanspruchs aus der unter neuem Vertrag weitergeführten Vertretung als (übernommene) Altkunden. Insolvenz: Der HV-Vertrag endet gem. §§ 116 S. 1 i. V. m. 115 Abs. 1 InsO automatisch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers (dazu unten), ohne dass es einer Kündigung bedarf,627 nicht jedoch bei Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen des Mittlers628 (dazu unten). Endet der HV-Vertrag mit Insolvenzeröffnung, entsteht der Ausgleichsanspruch zu diesem Zeitpunkt. Fraglich sind dann Unternehmervorteile. Der Ausgleichsanspruch ist einfache Insolvenzforderung. Das Entstehen des Ausgleichs nach Insolvenzeröffnung (d. h. zeitlich später als eine logische Sekunde nach Insolvenzeröffnung) setzt voraus, dass der Insolvenzverwalter einen neuen HV-Vertrag

621 BGH EBE 1982, 132 (133); Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 129 f.; Emde GmbHR 1999, 1005 ff.; Riemer in: Küstner/Thume I5 Kap. VIII Rn 340. 622 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 45. 623 LG Düsseldorf NJW 1968, 1143. 624 OLG Hamburg DB 1962, 1636. 625 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 200; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 32; aA wohl Ahle DB 1963, 227 (229); Schuler JR 1957, 44 (47). 626 Emde S. 201; vgl. auch Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 32i. 627 Emde/Kelm ZIP 2005, 58; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 37. 628 Emde/Kelm ZVI 2004, 382; Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (520) – zum Vertragshändlervertrag. Emde

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abschließt und dieser dann wieder beendet wird.629 Der Ausgleichsanspruch entsteht dann aufgrund von Handlungen des Insolvenzverwalters, so dass er gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als kaum werthaltige630 Masseverbindlichkeit einzuordnen ist.631 Beendigung eines Kettenvertrages: „Kettenverträge“, d. h. mit kurzer Laufzeit abgeschlossene und jeweils mit gleicher Laufzeit verlängerte Verträge begründen nicht laufend Ausgleichsansprüche. Sie sind grds. unbefristeten gleichzuachten.632 Schließt sich an einen Abschnitt ein neues „Kettenglied“ an, bleibt der Vertrag noch unbeendet. Er wird wie ein einheitlicher, sich bis dahin ständig fortsetzender Vertrag behandelt. Die Weigerung des HV, den Vertrag nach einem Kettenglied (Auslauftermin) fortzusetzen, steht keiner ausgleichsschädlichen Eigenkündigung i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 gleich, weil beide Parteien von vornherein die Beendigung zu einem bestimmten Zeitpunkt wollten.633 Die Situation unterscheidet sich nicht von der nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages, weil das von vornherein geplante Vertragsende auf beidseitigem Einverständnis beruht.634 Nur ausnahmsweise kann der Vertrag als solcher mit unbestimmter Laufzeit anzusehen sein. Allein dann steht die Nichtverlängerung durch den HV einer ausgleichsschädlichen Eigenkündigung gleich, die nur gerechtfertigt ist, wenn dem HV ein begründeter Anlass zur Seite steht.635 Die Nichtverlängerung eines HV-Vertrages, etwa nach Ende einer Probezeit, stellt eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar, sofern sich der Vertrag nicht fortsetzt (siehe vorstehend „Beendigung eines Kettenvertrages“).636 Treten die ausgleichsbegründenden Umstände während der Probezeit ein, ist ebenfalls eine Ausgleichsberechtigung gegeben (dazu unten).637 Probezeit: Aus dem Wortlaut der Art. 17 Abs. 2 und 3 RL ergibt sich, dass die dort vorgesehene Ausgleichs- und Schadensersatzregelung keine Sanktion für die Vertragsauflösung ist. Vielmehr soll der HV für die von ihm erbrachten Leistungen entschädigt werden. Daher darf der Ausgleich oder der Schadensersatz nicht allein deshalb versagt werden, weil die Beendigung des HV-Vertrags während einer Probezeit eingetreten ist.638 Auch während einer Probezeit besteht eine Rechtsbeziehung zwischen einem HV und einem Unternehmer i. S. d. Art. 1 RL ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses. In Art. 18 RL werden die Fälle, in denen kein Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruch besteht, abschließend aufgeführt. Die Beendigung der Probezeit wird dort nicht erwähnt. Zudem ist Art. 18 als Ausnahme vom Anspruch auf Ausgleich und auf Schadenersatz eng auszulegen.639 In Folge dessen kann er nicht in einer Weise ausgelegt werden, die darauf hinausliefe, dass ein dort nicht ausdrücklich vorgesehener Grund für den Ausschluss des Ausgleich- und des Schadensersatz-

629 630 631 632 633

Kampf Handelsvertreter und Insolvenz Diss. iur. Mainz 2004, S. 57. Semler ZVertriebsR 2012, 49. Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 58. BGH VersR 1959, 129; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 36. English Court of Appeal, Urt. v. 18.3.2004, (1) Cooper, (2) Watkins, (3) Bartle v. Pure Fishing (UK) Ltd., (2004) EWCA Civ. 375; zit. N. RIW 2005, 67; aA wohl BGH v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, BB 1996, 235; OLG Hamburg v. 7.5.1993 – 1 U 164/92 – n. v., die allerdings einen begründeten Anlass des HV zur ausgleichserhaltenden Kündigung annahmen. 634 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 69. 635 BGH, Urt. v. 19.5.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 = EWiR 1999, 653 (Emde). 636 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 65. 637 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 638 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 28, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250; aA noch Cour de cassation, Kammer für Handelssachen, Urt. Nr. 14/17894 vom 23.6.2015, ZVertriebsR 2015, 405 m. Anm. Bottiau. 639 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 31, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 249

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anspruchs hinzukommt.640 Außerdem lege eine Abweichung i. S. d. Art. 19 RL vor, wenn an die Vereinbarung einer Probezeit in einem HV-Vertrag ein Ausschluss des Ausgleichs- und des Schadensersatzanspruches geknüpft würde.641 „Ruhen“ des HV-Vertrages bzw. Freistellung: Hier ist durch Auslegung zu ermitteln, was die Parteien wollen. Wird der HV-Vertrag – was meist gewünscht ist – durch das „Ruhen“ nicht rechtstechnisch beendet,642 sondern ist lediglich eine Freistellung gewollt, führt erst die – möglicherweise – später eintretende rechtliche Beendigung des Vertrages zu einer Ausgleichsberechtigung. Wegen der fehlenden Provisionseinnahmen aus der Zeit der Inaktivität würde die Ausgleichsberechnung jedoch verfälscht, wenn man auf das letzte Vertragsjahr unter Einschluss der provisionsfreien Zeit der Inaktivität als Berechnungsgrundlage des Rohausgleiches abstellen würde. Für die Bestimmung des Rohausgleiches ist daher entweder auf die Provisionseinnahmen vor dem Ruhen oder auf den langfristigen Durchschnitt der Provisionen während der Vertragsjahre abzuheben – unter Einschluss der Ruhejahre. Immer ist zu prüfen, ob die Geschäftsverbindungen überhaupt noch bestehen, dem Unternehmer aus ihnen also Vorteile erwachsen. Da ein Ausgleich nur nach Beendigung eines HV-Vertrages gezahlt wird, muss der Ausgleich innerhalb eines Jahres nach Ende des HV-Vertrages gefordert und innerhalb der Verjährungsfrist des § 195 BGB geltend gemacht werden. Stichtag dafür ist das rechtliche Ende des HV-Vertrages, nicht das Datum der Freistellung. Teilbeendigung des Vertrages: Eine Teilbeendigung des HV- oder Vertragshändler643-Vertrages ist quantitativ (Verkleinerung des Bezirks, des zugewiesenen Kundenkreises, beides auch im Gefolge bezirklicher Umdispositionen) oder qualitativ (Herabsetzung des Provisionssatzes) denkbar. Für die Frage des Ausgleichs kommt nicht nur die quantitative Teilbeendigung des Vertrages in Betracht,644 die für ihren Umfang die Ausgleichspflicht gleich einer Vollbeendigung auslöst, sondern auch die qualitative Teilbeendigung. Bei der Teilbeendigung – sofern sie überhaupt wirksam und zulässig ist (s. d. Kommentierung zu § 89) – können sich ausgleichsrechtliche Probleme stellen. Der BGH hat diese Probleme – wohl zu Unrecht – als so gravierend empfunden, dass er eine Teilkündigungsklausel in einem Vertragshändlervertrag für unwirksam hielt,645 und zwar sowohl eine individualvertraglich wie mittels AGB vereinbarte. Die Teilkündigung ist danach regelmäßig unwirksam (s. d. Kommentierung zu § 89). Eine Teilkündigung kann nur dann in eine Änderungskündigung, durch die der Ausgleichsanspruch für den gesamten Vertrag begründet wird, umgedeutet werden, wenn sich der Wille zur Änderungskündigung eindeutig ermitteln lässt.646 Der Unternehmer muss eine Änderungskündigung aussprechen, um zulässigerweise die Wirkungen einer Teilkündigung herbeizuführen. Diese setzt sich aus einer Kündigung des Gesamtvertrages (Folge: Ausgleichspflicht) und dem Angebot eines neuen, geänderten Vertrages zusammen. Unabhängig von dem Streit um Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Teilkündigung sind deren ausgleichsrechtliche Folgen handhabbar: Auch nach einer Teilkündigung ist ein Ausgleich zu zahlen.647 Das gilt auch bei Verträgen HV-ähnlicher Mitt-

640 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 31, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250.

641 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, BB 2018, 1037 m. Anm. Otz Rn 32, Anm. Valdini ZVertriebsR 2018, 169 sowie Anm. Kutscher-Puis ZVertriebsR 2018, 173; Gramlich ZVertriebsR 2018, 250. 642 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 53. 643 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (80). 644 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (80); aA Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 23. 645 BGH BB 2000, 60 mit Anm. Emde = EWiR 2000, 153 (Emde). 646 OLG Köln, Urt. v. 10.5.1989 – 13 U 50/89, VersR 1989, 1148. 647 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (80) – zum Vertragshändlerausgleich; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 54; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 52; KolEmde

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ler.648 Beispiele sind etwa die Verkleinerung des Bezirks oder Kundenkreises,649 die Kündigung des Vertriebs eines bestimmten Produktes, einer vom Vertrag erfassten Marke oder die Wegnahme einzelner Kunden,650 angeblich aber nicht die wohl unzulässige Wegnahme eines Versicherungsbestandes651 (hier kommen aber Schadenersatzansprüche in Betracht652). Im Rahmen der Prognosebetrachtung sind die aus dem neuen Vertrag zu erwartenden, wahrscheinlich reduzierten Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden von den Provisionen zu subtrahieren, die zuvor mit ausgleichspflichtigen Kunden verdient wurden.653 Das Saldo bildet die entgangene Vergütung des HV. Aus den so bestimmten Provisionen des letzten „ungeteilten“ Vertragsjahres – bei Untypik eines längeren Zeitraums – ist der Rohausgleich zu berechnen und dann durch die Ausgleichshöchstgrenze der durchschnittlichen, nun entfallenden Provisionsspitze der letzten fünf Jahre zu begrenzen. Beweisschwierigkeiten des HV kann durch eine Schätzung nach § 287 ZPO begegnet werden. Diese Berechnungsweise setzt jedoch weitgehende Identität zwischen Alt- und Neuvertrag voraus. Fehlt es daran, ist nach Beendigung des Erstvertrages wohl ein vollständiger Ausgleich zu zahlen: Der Erstvertrag ist gänzlich beendet und dem HV entgehen infolge der Vertragsbeendigung alle Provisionen aus jenem Vertrag. Lediglich im Rahmen der Billigkeit kann geprüft werden, ob die Vorteile aus dem Neuvertrag ausgleichsreduzierend zu berücksichtigen sind, nicht anders als bei Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit. Eine Bezirksverkleinerung muss wesentlich sein, um ausgleichsrechtliche Folgen auszulösen.654 Der Ausgleichsberechnung ist dann der Neukundenstamm aus dem abgetrennten Teilgebiet zugrunde zu legen. Das gleiche gilt für die Verkleinerung des zugewiesenen Kundenkreises, wie sie namentlich bei der sogenannten Bestandsübertragung auf einen anderen HV (zur Zulässigkeit eben), etwa wegen Überlastung des bisherigen, vorkommt. Keine Teilbeendigung in diesem Sinne ist eine bloße Verkleinerung des Sortiments.655 Wie schon in der Frage der Produktionseinschränkung, ist auch hier der Unternehmer in seinen unternehmerischen Entscheidungen grundsätzlich frei. Er braucht nicht einmal das Vertragsverhältnis zu kündigen. Würde der HV die Sortimentsverkleinerung zum Anlass nehmen, seinerseits zu kündigen, so beurteilt sich die Frage seiner Ausgleichsberechtigung nach den Maßstäben des Abs. 3 Nr. 1; hierbei wird das Ausmaß der Sortimentsverkleinerung ein gewichtiges Wort zu sprechen haben. Gleichfalls wird man eine Teilbeendigung dann annehmen müssen, wenn nicht das Sortiment als solches verkleinert, sondern das Vertretungsrecht des HV für bestimmte Sortimentsteile auf einen anderen HV übertragen wird.656 Tod des HV657: Er stellt eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar, wie Art. 17 Abs. 4 RL heute klarstellt. Dass der Tod des HV eine Beendigung des Vertragsverhältnisses

ler/Roth HGB, § 89b Rn 3; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 232; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/ Wauschkuhn, Rn 800; Emde VersR 2001, 148 (153). Der BGH bezeichnet in seinem Urt. v. 27.10.1993 – VIII ZR 46/93, BGHZ 124, 10 = NJW 1994, 193 die Ansicht, die nach einer Teilkündigung einen Ausgleich entstehen lässt, als herrschende, entscheidet die Frage jedoch nicht. 648 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (80) – zum Vertragshändlerausgleich. 649 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 55. 650 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 44. 651 BGH, Urt. v. 27.10.1993 – VIII ZR 46/93, BGHZ 124, 10 = NJW 1994, 193; OLG Hamm VersR 1993, 833; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 53. 652 Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 12. 653 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 57. 654 OLG Nürnberg BB 1958, 1151. 655 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 55; aA Ahle DB 1962, 1069. 656 Ahle DB 1962, 1069. 657 BGH, Urt. v. 13.5.1957 – II ZR 318/56, BGHZ 24, 214 = NJW 1957, 1020; v. 2.10.1958, NJW 1958, 1966; v. 6.2.1964, BB 1964, 328; OLG Hamm NJW 1956, 350; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 12.7.1960 – 5 U 317/59, NJW 1961, 514; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 37; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 40. 251

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i. S. d. § 89b darstellt, wurde anfangs bezweifelt658 und hiergegen aus dem Wortlaut argumentiert, da das Gesetz in der Terminologie des BGB (§ 673) den Auftrag durch den Tod des Beauftragten nicht „beendet sein“, sondern „erlöschen“ lasse. Die Argumentation aus dem Wortlaut hat BGHZ 24, 217 widerlegt (selbst die §§ 87 Abs. 3 und 88a sprechen von „Beendigung“ des Vertragsverhältnisses, obwohl darunter unbezweifelbar der Tod des HV als Endigungsgrund mitgemeint ist). Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und eine rechtsvergleichende Betrachtung beweisen, dass auch der Tod des HV den Ausgleichsanspruch – als vererblichen – auslöst. Anders liegt es nur, wenn der Vertrag bestimmt, im Falle des Todes des HV werde die Vertretung von seinem Erben (etwa von seiner Witwe) fortgeführt. Eine solche Regelung setzt den Normalfall der §§ 673, 675 BGB beiseite. Der Erbe ist gem. §§ 1922, 1967 BGB in die Dienstleistungsverpflichtung des HV kraft Gesetzes und kraft Bereitschaft des Unternehmers, die Erbringung der Dienste von der Person des ursprünglichen Vertragspartners losgelöst zu sehen und hierfür den noch unbekannten demnächstigen Erben im voraus zu akzeptieren, eingerückt; das Vertragsverhältnis setzt sich in der Person des Rechtsnachfolgers fort. Der Ausgleichsfall ist nicht gegeben. Die vom Verstorbenen geschaffenen Geschäftsverbindungen wachsen dem Rechtsnachfolger für dessen Ausgleich zu. Noch anders liegt es, wenn dem Erben – oder einem von ihnen, etwa der Witwe – lediglich die Option zur Fortsetzung des Vertrages eingeräumt worden ist. Setzt sich der Vertrag in Ausübung der Option fort, wird meist der bisherige Vertrag fortgesetzt und mit dem Optierenden kein selbständiger Vertrag abgeschlossen.659 Nur im seltenen, letztgenannten Fall ist der Ausgleichsanspruch aus dem Urvertrag, im Voraus unverzichtbar, entstanden, jedoch nur in Höhe entfallender Provisionen (Differenz zwischen Provisionen aus Alt- und Neuvertrag). Umwandlung des HV-Vertrages in einen Vertrag anderer Rechtsnatur: Eine einverständliche Beendigung des HV-Vertrages liegt auch vor, wenn das Vertragsverhältnis in ein solches anderer Rechtsform umgewandelt wird: in ein Verhältnis auf der Basis eines (nunmehr) angestellten Reisenden,660 eines Anstellungsvertrages unter Betreuung mit sonstigen Aufgaben in der Organisation des Unternehmens, einer Tätigkeit als (nur noch) nebenberuflicher HV (§ 92b). Wird der HV-Vertrag derart abgeändert, etwa in einen Anstellungs- oder Vertragshändlervertrag, muss der HV-Vertrag denklogisch zuvor einverständlich oder durch Kündigung beendet werden. Dies führt zur Ausgleichsberechtigung.661 Die zur Beendigung leitende Erklärung liegt zumindest konkludent im Abschluss des den HV-Vertrag ersetzenden Neuvertrages. Zu prüfen sind aber die Provisionsverluste: Sie können fehlen, wenn der Vertrag in einem anderen Vertriebsvertrag umgewandelt wird.662 Die Geltendmachung steht unter der Frist des Abs. 4 S. 2, wenn nicht – wegen der Ungewissheit darüber, wie das neue Verhältnis sich anlassen wird – das einstweilige Ruhen des HV-Vertrages vereinbart, der Ausgleich gestundet oder schon jetzt auf ihn Verzicht geleistet wird. Dass letzteres ausnahmslos auf das Risiko des HV gehe, kann nicht angenommen werden. War der Verzicht im Hinblick auf erwartete höhere Vorteile aus dem neuen Vertragsverhältnis ausgesprochen worden und erfüllen diese Erwartungen sich nicht, so kann er unter den weiteren Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 Hs 2 BGB kondiziert werden. Der Kondiktionseffekt versetzt darauf die Ausgleichsberechtigung in den früheren Stand; er sperrt dem Unternehmer die Berufung auf eine etwa versäumte Geltendmachungsfrist nach Abs. 4 S. 2 (kondiziert ist in diesem Falle nicht nur der Anspruchsverzicht, sondern auch die dem Un-

658 v. Brunn DB 1953, 1080; Görres DB 1955, 681; Winter BB 1955, 496; OLG München BB 1956, 833. 659 AA Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 89b Rn 25. 660 Fall BAG NJW 1958, 1365 – Vorinstanz: BB 1957, 1275; Winterberg DB 1958, 521, 1163; Neflin DB 1959, 579; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 799.

661 OLG Nürnberg BB 1958, 1151; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 51; Oetker/Busche5 § 89b Rn 6.

662 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 51; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 799. Emde

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ternehmer auf Grund des Abs. 4 S. 2 zugewachsene „Rechtsposition des Verwirktseins des Anspruchs“). Keinesfalls aber begänne die Frist des Abs. 4 S. 2 allgemein erst vom Ende des Anschlussrechtsverhältnisses ab zu laufen. Von der Umwandlung des Vertragsverhältnisses zu unterscheiden ist die bloße Ersetzung des bisherigen HV-Vertrages durch einen neuen. Hier soll das HV-Verhältnis als solches nicht beendet sein. Es soll kein Ausgleichsanspruch aus dem bisherigen Vertrag663 entstehen. Als generelle Regel wird das nicht taugen, Vertragsende bleibt Vertragsende, ungeachtet des Ausschlussvertrages.664 Möglicherweise fehlen wegen des Neuabschlusses aber entgehene Provisionen als Billigkeitsmerkmal. Die Herabstufung vom Kfz-Vertragshändler zum Werkstattbetrieb oder die Kündigung einer von mehreren durch den Händler vertretenen Marken bildet eine den Ausgleichsanspruch begründende Beendigung des Vertragshändlerverhältnisses.665 Untervertreter: Beschäftigt der HV eigene – selbständige – Untervertreter (§ 84 Abs. 3), so ist die Beendigung seines eigenen HV-Vertrages (Hauptvertrages) mangels entgegenstehender Bestimmung nicht zugleich Endigungsgrund für die Untervertreterverträge. Sie müssen von ihm gekündigt werden. Wegen der ausgleichsrechtlichen Folgen nach Abs. 3 s. u.). Zeitablauf:666 Hauptfall ist der vertragliche Endigungszeitpunkt für das HV-Verhältnis nach Erreichen einer bestimmten Altersgrenze oder eines Saisonvertrages.667 In Betracht kommen können ferner befristete Verträge jeder Art,668 etwa Probeverträge – gleich aus welchen Gründen sie nicht verlängert oder in ein endgültiges Vertragsverhältnis übergeführt werden – und die sogenannte kommissarische Übertragung einer Vertretung durch einen bereits für einen anderen Bezirk oder anderen Kundenkreis tätigen HV, der vorübergehend einen vakanten Bezirk übernimmt. Die kommissarische Betrauung pflegt mit gesondertem Vertrag zu geschehen; dieser hat dann bei seiner Beendigung ausgleichsrechtlich sein gesondertes Schicksal. Zu „Kettenverträgen“ siehe oben, Stichwort „Kettenverträge“.

3. Der Vertragsbeendigung gleichzustellende Konstellationen Grundsätzlich muss der Vertrag rechtlich beendet sein, damit der Ausgleich fällig wird. Die blo- 106 ße Tätigkeitseinstellung ohne Vertragsbeendigung steht dem nicht gleich.669 Einseitig vom Unternehmer vorgenommene Konditionsänderungen sind unwirksam, es sei denn, es lässt sich eine konkludente Vertragsänderung nachweisen. Einseitige Änderungen lassen die zuvor getroffene Regelung unberührt, auf deren Basis der Ausgleich berechnet wird. Ferner entsteht ein Schadenersatzanspruch, der sich im Wege der Naturalrestitution ggf. auf eine korrekte Ausgleichsberechnung richtet. Der Anspruch verjährt gem. § 195 BGB. Da es sich jedoch um einen Dauerzustand handelt, spielt diese Verjährungsfrist kaum eine Rolle. Es fragt sich, ob der rechtlichen Vertragsbeendigung andere Fälle entsprechen, in denen 107 der HV-Vertrag fortbesteht, jedoch eine Situation eintritt, die einer Vertragsbeendigung gleichkommt. Der dann entstehende Ausgleichsanspruch könnte mit dem o. g. Anspruch aus Vertrag und Delikt konkurrieren. Schadenersatzansprüche allein bieten keine hinreichende Kompensation, weil sie ein schuldhaftes Verhalten voraussetzen, welches schwer nachweisbar ist. Voraussetzung einer Entsprechung ist, dass die Situation einer Vertragsbeendigung im Wege der Analogie gleichgestellt werden kann. Der HV darf den Ausgleich fordern, sobald die Analo663 BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 52. 664 Zu solchen Konstellationen siehe Semler ZVertriebsR 2012, 50. 665 Niebling WRP 2012, 1361 (1364); Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (264). 666 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 36. 667 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 39. 668 LG Heilbronn, Teilurt. v. 23.2.1998 – 6 O 1475/97; BeckRS 2010, 04760. 669 BGH, Urt. v. 27.10.1993, BB 1994, 99 = ZIP 1994; 31; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 1. 253

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giesituation eintritt. Sofern das Vertragsverhältnis nach Eintritt der Analogiesituation ungekündigt fortbesteht, wird oft kein Ausgleich gefordert werden, um das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern nicht durch die Ausgleichsforderung zu belasten. Kommt es später zur rechtlichen Beendigung des Vertrages, ist der HV nicht daran gehindert, den vollständigen Ausgleich einschließlich des durch die Analogiesituation zuvor fällig gewordenen Ausgleichsteils zu verlangen. Der Ausgleich ist unter Einschluss der Provisionen zu berechnen, die vor Eintritt der Analogiesituation erzielt wurden, sofern sie innerhalb des – bei Untypik des letzten Vertragsjahres möglicherweise mehrjährigen670 – Provisionsbemessungszeitraums liegen. Die Rechte aus der unmittelbaren und analogen Anwendung des § 89b bestehen mithin alternativ. Der Ablauf der Ausschlussfrist oder der Eintritt der Verjährung seit dem Zeitpunkt des analogiebegründenden Umstand dürften nicht entgegen stehen, weil sie nur bei rechtlicher Beendigung des Vertrages gelten und die analoge Anwendung des § 89b Abs. 4 nicht gerechtfertigt ist, wenn auf der Basis der Analogie kein „Zwischenausgleich“ gefordert wurde. § 195 BGB ist ohnehin unmaßgeblich, da der Ausgleich mit der rechtlichen Beendigung erneut fällig wird. 108 Ein analogiebegründender Umstand muss einem der anerkannten Beendigungsgründe gleichstehen. Leitbild ist dabei die Kündigung des Unternehmers. Der zur Analogie leitende Sachverhalt gleicht ihr in erster Linie, sofern er auf einem Willensentschluss des Unternehmers beruht und damit einer vom Unternehmer veranlassten Kündigung ähnelt. Zudem muss er von einer gewissen Erheblichkeit sein. In diesem Zusammenhang werden folgende Analogiekonstellationen diskutiert: – Bezirksänderung/Bezirksrotation: Hat sich der Unternehmer vorbehalten, einen Bezirkstausch vorzunehmen, liegt im Moment der Rotation keine Vertragsbeendigung vor. Der Vertrag wird fortgesetzt, lediglich der zu bearbeitende Bezirk verändert. Die Bemessungsgrundlage der Provision wird jedoch u. U. in einer Weise verschlechtert, die einer teilweisen oder vollständigen Beendigung des HV-Vertrages nahe kommt. Wie unten dargestellt kann der HV den Ausgleich sowohl zum Zeitpunkt der Rotation wie zum Zeitpunkt des rechtlichen Vertragsendes geltend machen: Zum einen könnte der HV zum Zeitpunkt des Bezirkstausches einen Ausgleich fordern. Der Vertrag besteht dann noch fort, lediglich das Bearbeitungsgebiet des HV wird geändert: Da der HV-Vertrag fortbesteht, kann § 89b allenfalls analog angewandt werden. Die Analogie ist gerechtfertigt, wenn der Eingriff einer Vertragsbeendigung vergleichbar ist. Es besteht eine Regelungslücke, weil § 89b nur den Fall der rechtlichen und nicht der faktischen Vertragsbeendigung erfasst. Wirtschaftlich steht die zu Unternehmervorteilen sowie entgehenden Provisionen führende, faktische Vertragsänderung jedoch der rechtlichen gleich. Die Interessenlage ist vergleichbar. Daher wird etwa bei einer wesentlichen Verkleinerung des HV-Bezirkes infolge des Bezirkstausches an eine Ausgleichsberechtigung gedacht.671 Den HV lediglich zu schützen, indem ihm die Bezirksänderung einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung nach § 89b Abs. 3 S. 1 gibt,672 wäre kein ausreichendes Äquivalent. Der HV kann daher nach dem Bezirkstausch einen Ausgleich für die im Vergleich zum Neubezirk entgangenen Provisionen aus dem Altbezirk fordern. Basis der Berechnung des Zwischenausgleichs sind die Vorteile des Unternehmers bzw. die Verluste des HV, welche sich aus dem Wegfall der Geschäftsverbindung in dem dem HV genommenen Bezirksteil ergeben.673 Sie liegen in Höhe der Differenz zwischen den Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden im Altbezirk zu ausgleichspflichtigen Kunden im Neubezirk (Differenzbetrachtung, s. a. unten „Teilbeendigung“). Die Berechnung des Rohausgleichs ist nicht unkompliziert, weil sich die Differenz zum Zeitpunkt des Analogieeintritts 670 Da die Analogiesituation meist zu schlechteren Provisionen der letzten Jahre geführt hat, ist der Ausgleich bei Nichteinforderung des Zwischenausgleichs auf der Basis der Durchschnittsprovisionen eines längeren Zeitraums, meist eines Fünfjahreszeitraums, zu berechnen. 671 OLG Nürnberg, Urt. v. 18.9.1958, BB 1958, 1151 = MDR 1959, 929; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 50. 672 Siehe BGH, Urt. v. 19.5.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 = EWiR 1999, 653 (Emde). 673 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 50. Emde

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kaum bestimmen lässt. Denn die Provisionsverluste sind im Zeitpunkt des analogiebegründenden Umstandes zu errechnen. Dann sind jedoch die zu erwartenden Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden im Neubezirk kaum bekannt und können allenfalls gem. § 287 ZPO geschätzt werden. Dem Ausgleichsanspruch kann rglm. nicht entgegen gehalten werden, die Bezirksverkleinerung bringe dem HV Vorteile, welche unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu berücksichtigen seien. Denn er könne den verbleibenden, kleineren Bezirk intensiver ausnutzen und erziele daher höhere Provisionseinnahmen. Zunächst einmal wäre dieser Umstand nur maßgeblich, wenn er zum Prognosezeitraum bereits absehbar ist (s. u.). Die durch eigene Leistungen des HV erzielten, vermuteten oder tatsächlich höheren Provisionen infolge intensivierter Bezirksbetreuung dürfen jedoch nicht ausgleichsmindernd wirken, da sie mit der Aufbauarbeit des HV am übergebenen Kundenstamm – die mit dem Ausgleich honoriert wird – in keinem Zusammenhang stehen. Unternehmer wie HV partizipieren an einer intensiveren Betreuung des Bezirkes, so dass sich Vor- und Nachteile beider Parteien aufheben. Weiter darf der HV einen Ausgleich zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Vertrages fordern. Wurde der Ausgleich analog § 89b für die Bezirksverschlechterung bereits ausgeglichen, wird der Ausgleich allein auf der Basis des verbliebenen Bezirks berechnet.674 Schwieriger ist die Situation zu beurteilen, falls ein solcher „Teilausgleich“ noch nicht geleistet wurde. Wie dargestellt wird durch die oben entwickelte Analogie das Recht des HV nicht ausgeschlossen, bei rechtlicher Beendigung des Vertrages einen Ausgleich auch für entgangene Provisionen aus den Altbezirken zu fordern, sofern sie bereits auf der Basis dieser Analogie ausgeglichen wurden. Der BGH675 berechnet den Ausgleich aus den Provisionen mit den in den letzten zwölf Monaten geworbenen Kunden. Damit wären dem HV die vor der Bezirksänderung und außerhalb der Einjahresfrist erzielten Umsätze mit neugeworbenen Kunden des alten Bezirks abgeschnitten.676 Richtig ist es daher, den Rohausgleich auf Basis eines mehrjährigen Durchschnitts der Provisionen mit allen ausgleichspflichtigen Kunden unter Einschluss der ausgleichspflichtigen Kunden des Ursprungsbezirks zu bestimmen.677 Herabstufung des haupt- zum nebenberuflichen HV: Der nebenberufliche HV besitzt nach § 92b Abs. 1 kein Ausgleichsrecht. Wird der HV vom haupt- zum nebenberuflichen HV herabgestuft, was sich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, kommt dies einer ausgleichsrechtlich relevanten (Teil-)Kündigung gleich.678 Diese Situation entspricht der der Änderungskündigung jedenfalls dann, wenn die Rückstufung zum Nebenberuf auf einer Handlung des Unternehmers beruht und damit dem Leitbild der ausgleichsbegründenden Unternehmerkündigung gleicht. Allerdings entfällt der Ausgleich nach § 92b Abs. 2 nur, wenn der HV nach der Herabstufung ausdrücklich als HV im Nebenberuf bezeichnet wurde. Im Einzelnen siehe die Kommentierung zu § 92b. Provisionsreduzierung: Im Grundsatz gilt auch für eine Provisionsreduzierung nichts Abweichendes.679 Wenn die Provision vertraglich fixiert ist, lässt sich ihre Herabsetzung nur im Wege der Änderungskündigung oder des Änderungsvertrages erreichen, wobei hierdurch das Vertragsende eintritt (s. o. zur Änderungskündigung und zum Aufhebungsvertrag). Steht dem Unternehmer jedoch vertraglicher Freiraum bei ihrer Reduzierung zu (etwa dann, wenn eine Provisionsspanne vereinbart wurde), darf der Unternehmer auch ohne diese Mittel die Provision verringern. Hierdurch kann der Ausgleichsanspruch weitgehend entwertet und dem Unternehmer könnte nichts Besseres geraten werden, als ein bis zwei Jahre vor einer beabsichtigten Kündigung die Bemessungsgrundlage des Ausgleichs durch

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Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 51. BGH, Urt. v. 19.5.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 = EWiR 1999, 653 (Emde). Zutreffend Thume BB 1999, 2309 (2312). Schaefer NJW 2000, 320. OLG Nürnberg, Urt. v. 18.9.1958 – III U 23/58, BB 1958, 1151; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 49. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 59.

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eine solche Provisionsreduzierung zu seinen Gunsten zu verringern.680 Es ist deshalb richtig, dass der Vorgang bei Erheblichkeit ausgleichsrelevant ist. Bei der Prognosebetrachtung muss geprüft werden, ob die Reduzierung von Dauer ist. Nur dann entsteht eine kündigungsgleiche Wirkung. Die rein tatsächliche Provisionsminderung infolge geringerer Umsätze ist kein ausgleichsrelevanter Vorgang,681 sofern sie nicht auf einem Verhalten des Unternehmers beruht, welches einer Kündigung vergleichbar ist. Sitzverlegung des Kunden: Die Sitzverlegung eines Kunden führt nur dann zu einer der Teilkündigung entsprechenden Situation und damit zur analogen Anwendung des § 89b, falls sie vom Unternehmer veranlasst wurde. Sähe man dies anders, müsste auch der auf einem Willensentschluss des Kunden beruhende Abbruch der Geschäftsverbindung zum Unternehmer ausgleichsrechtlich einer Teilkündigung gleichstehen. Der HV soll allenfalls dann berechtigt sein, einen Ausgleichsanspruch zu fordern, wenn die Provisionseinbußen erheblich sind.682 Übertragung von Versicherungsbeständen: Auch hier gelten die vorstehenden Grundsätze entsprechend.683 Der BGH hat allerdings die Ausgleichsklage eines Versicherungsvertreters, aus dessen Bestand Verträge übertragen wurden, abgewiesen.684 Begründung: Die Entstehung des Ausgleichsanspruches knüpfe an die rechtliche und nicht an die faktische Vertragsbeendigung an. Wirtschaftliche Erwägungen rechtfertigten keine abweichende Betrachtung. Der VV besitze kein Recht auf Erhalt des von ihm vermittelten Versicherungsbestandes. Die Frage einer Entschädigung sei schadenersatzrechtlich zu lösen. Dieser Entscheidung ist aus den vorgenannten Gründen zu widersprechen; eine analoge Anwendung des § 89b in Betracht zu ziehen. Unberechtigte Kündigung des Herstellers und nachfolgende Tätigkeitseinstellung des Mittlers: Kündigt der Unternehmer den Vertriebsvertrag unwirksam, etwa mit einer unzulässig kurzen Frist, entstehen Schadensersatzansprüche des Mittlers. Als Schadensersatz darf der Ausgleich in der Höhe gefordert werden, wie er bei fristgerechter Kündigung entstanden wäre. Dieser Ausgleich ist jedoch ein fiktiver und folglich schwer zu berechnen (ggf. § 287 ZPO). Es ist daher schon nach §§ 242, 162 BGB ohne weiteres möglich, die tatsächliche Beendigung des Vertrages in Folge der unwirksamen Kündigung des Unternehmers einer rechtlich wirksamen Kündigung gleichzustellen. Der Mittler darf den Ausgleichsanspruch in der Höhe fordern, wie er entstanden wäre, wenn die tatsächlich in Folge der unberechtigten – und damit rechtlich wirkungslosen – Kündigung des Unternehmers erzwungene Tätigkeitseinstellung zu einer wirksamen Vertragsbeendigung geführt hätte, also per Stand der Tätigkeitseinstellung. Denn der Mittler darf den Unternehmer an dem von ihm Gewollten, der Kündigung zum verfrühten Zeitpunkt, festhalten, jedenfalls ausgleichsrechtlich. Verkleinerung der Produktpalette: Die vorstehenden Grundsätze gelten entsprechend,685 mglw. aber nicht, wenn sich im Zuge der Anpassung an veränderte Marktverhältnisse das Warensortiment verkleinert (siehe zur „Teilbeendigung“).686 Zumindest die erhebliche Reduzierung des Warensortiments beruht auf einer Entscheidung des Unternehmers, die einer Teilkündigung gleichsteht. Anderenfalls könnte der Unternehmer durch eine faktische Verkürzung der Produktpalette (ggf. ihrem völligen Wegfall) eine kündigungsgleiche, jedoch

680 Wobei dann – um eine realistische Vorteilsprognose zu erreichen – der Ausgleich nicht nur auf der Basis der Provisionen des letzten Vertragsjahres zu berechnen wäre, sondern auf Basis eines mehrjährigen Provisionsdurchschnitts. 681 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. V Rn 76. 682 OLG Nürnberg, Urt. v. 21.3.2001 – 12 U 4297/00, BB 2001, 1169. 683 AA Küstner/Thume/Thume II9 Kap.V Rn 57. 684 BGH, Urt. v. 27.10.1993, BB 1994, 99 = ZIP 1994, 31. 685 AA Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 57. 686 Rickmann WuW 2003, 752 (762). Emde

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ausgleichsneutrale Wirkung herbeiführen. Allerdings sind in diesem Fall die verbleibenden Unternehmervorteile fraglich. Wenn der Unternehmer bestimmte Produkte in Zukunft nicht mehr vertreiben will, verliert zwar der HV einen Teil seiner Provisionseinnahmen, dem Unternehmer entstehen aber keine erheblichen Vorteile, es sei denn, er erhält für die Einstellung des Produktes einen wirtschaftlichen Vorteil irgendeiner Art (dazu unten). Wegnahme von Kunden: Die zur Bezirksreduzierung entwickelten Grundsätze gelten auch im Falle der Einschränkung des Kundenkreises infolge Vereinbarung oder faktischer Reduzierung.687 Diese Reduzierung muss so erheblich sein, dass sie sich wie eine Teilbeendigung auswirkt.688

IV. Werbung neuer Kunden oder Erweiterung bestehender Geschäftsverbindungen (Tatbestandsmerkmal 2) Der Unternehmer muss aus Geschäftsverbindungen mit „neuen Kunden“, welche der HV gewor- 109 ben hat, auch nach Vertragsbeendigung erhebliche Vorteile haben. Nur Kunden, zu denen eine Geschäftsbeziehung besteht, sind ausgleichsrechtlich relevant.689

1. „Kunden“ Der Vorteil des Unternehmers muss aus der Werbung des Kunden entstehen. Kunde ist, wer eine 110 Bestellung, d. h. i. d. R. ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages, für Produkte der vom HV vertriebenen Art aufgegeben hat, die zu einem Geschäftsabschluss geführt hat. Kunde wird man üblicherweise durch Aufgabe einer Bestellung. Doch ist der Begriff, ebenso wie bei der Bestimmung der Identität zwischen Erst- und Zweitkäufer, wirtschaftlich und weit zu fassen.690 Wie auch sonst genügen auch hier mittelbare Vorteile, etwa mittelbar aus der Kundenwerbung entstehende Vorteile. V. Bodungen schlägt deshalb vor, für den Vertrieb von Produkten an bereits bekannte Kunden niedrigere Provisionssätze vorzusehen als für den mit gänzlich neuen Kunden.691 Dies würde sich auch auf die Höhe des Ausgleichsanspruchs auswirken. Auch derjenige, zu dessen Beruf es gehört, Bestellungen, wenngleich formell im Namen und 111 für Rechnung von Auftraggebern, so doch in eigener Entschließung zu vergeben (Architekt!), ist Kunde i. S. d. Ausgleichsrechts, sofern er einmal vom HV hierfür geworben worden ist.692 Deshalb bildet es eine Kundenwerbung, wenn der Bezieherkreis einer solchen „Mittelstelle“ durch die Aktivitäten des HV erweitert wird. Selbst ein Leasingnehmer kann – obwohl er nicht selbst Vertragspartner des Unternehmers ist – ausgleichsrechtlich Kunde des Unternehmers sein, wenn ihm die Entscheidung über die Auswahl des Herstellers und des zu leasenden Produkts überlassen und das Leasingunternehmen lediglich zur Finanzierung als Erwerber des Leasinggegenstands eingeschaltet wird.693 Wer die wirtschaftliche Entscheidung über das Geschäft getroffen hat, kann damit ein 687 Rickmann WuW 2003, 752 (762). 688 BGH, Urt. v. 27.10.1993, BB 1994, 99. 689 BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WM 2003, 2107; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, WM 2003, 2095; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01; WM 2003, 499; VIII ZR 58/00, WM 2003, 491; v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, WM 1998, 25; VIII ZR 150/96, WM 1998, 31; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. 690 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 33 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 - vor dem Hintergrund des mit der RL bezweckten Schutzes; Döpfer EWiR 2009, 180; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 62. 691 BB 2016, 912. 692 OLG Düsseldorf HVR Nr. 504; OLG Hamm HVR Nr. 321; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 64; offen gelassen von BGH WM 1991, 196 (198). 693 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 24 – Vertragshändler; OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 79. 257

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maßgeblicher Umstand sein.694 Da mittelbare Vorteile genügen, ist es falsch zu sagen, die Gewinnung von Dritten genüge nicht als ausgleichsrelevanter Vorteil.695 112 Wenn das Gesetz von „Kunden“ in der Mehrzahl spricht, so ist das nur gattungsmäßig zu verstehen: es genügt unter Umständen ein einziger neuer Kunde;696 so namentlich bei Werbung einer staatlichen oder halbstaatlichen zentralen Einkaufsstelle in einem früheren Ostblockstaat697 oder bei Werbung eines Großkunden,698 etwa aus Anlass einer Messe, für deren alleinige Dauer der HV bestellt worden ist. Auch die Geschäfte mit Großkunden sind vollumfänglich in die Ausgleichsberechnung einzustellen.699 Überhaupt darf der Ausdruck „Kunde“ nicht gepresst werden.700 Es braucht sich nicht um Abnehmer im engeren Sinne zu handeln. Gemeint ist hier der Geschäftspartner, so z. B. auch der Lieferant im Falle des Einkaufsvertreters,701 der Lizenzgeber bei der Vermittlung von Patentlizenzen usf.

2. „Neue“ Kunde 113 a) Einführung. Ausgleichsrechtlich ist auch nach der Novelle 2009702 nur der Neukunde zu berücksichtigen.703 Altkunden bleiben bei der Ausgleichsberechnung unberücksichtigt, etwa solche, die von einem Vorgänger704 oder dem Unternehmer geworben wurden. Das Stichwort „Neukundenwerbung“ ist irreführend. Der HV schuldet nämlich nicht die Werbung neuer Kunden. Er muss vielmehr die vertriebenen Produkte, Artikel oder Waren bewerben, je nachdem, welche Art der Geschäfte er vermitteln soll (Kaufverträge, Dienstleistungen u. a.). Der HV muss nicht notwendigerweise Kaufverträge, sondern kann auch jedes andere erlaubte Geschäft, etwa Werkverträge, vermitteln, und das in beide Richtungen, nämlich zur Bedarfsdeckung des Unternehmers (klassischerweise „Einkaufsvertreter“ genannt) oder für den Bedarf des Kunden (klassischerweise als „Verkaufsvertreter“ bezeichnet). Richtig ist es folglich, von „Neugeschäftevermittlung“ zu sprechen. Das HV-Recht ist jedoch sehr auf das Leitbild der Kaufvertragsvermittlung bezogen und bei der klassischen Apostrophierung als Neukundenwerbung soll es auch im Folgenden verbleiben.

114 b) Europarechtliche Präformation. Art. 17 Abs. 2 lit. a RL ist dahin auszulegen, dass die von einem HV für Waren geworbene Kunden, mit deren Vertrieb er beauftragt wurde, auch dann als neue Kunden i. S. d. Bestimmung anzusehen sind, wenn sie bereits wegen anderer Waren Geschäftsverbindungen mit dem Unternehmer unterhielten, sofern der Verkauf der erstgenannten Waren durch

694 Steinhauer BB 2011, 211 (212). 695 Das OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345 Rn 39 lässt aber die Gewinnung Dritter nicht als Unternehmervorteil genügen. 696 Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 63. 697 OLG Hamburg DB 1980, 972 (973); aA wohl BGH, Urt. v. 13.6.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde). 698 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 63. 699 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081. 700 AA Franke/Rohrßen IHR 2017, 60 (65) unter Verweis auf die RL, die Einkaufsvertretern keinen Ausgleich gewähren wollen. 701 AA Franke/Rohrßen IHR 2017, 60 (65); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 15, 62. 702 Westphal DB 2010, 1333 (1334). 703 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 19; Hopt § 89b Rn 14. 704 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 71. Emde

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diesen HV die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung erfordert hat.705 Dies hat das vorlegende Gericht zu prüfen.706 Der Wortlaut im Art. 17 Abs. 2 lit. a RL könnte, da zwischen neuen Kunden und vorhandenen Kunden unterschieden wird, nahelegen, dass als Neukunden nur solche anzusehen sind, mit denen der Unternehmer bis zur Einschaltung des HV oder ganz allgemein keine Geschäftsverbindung unterhalten hat.707 Jedoch lässt sich anhand dieses Wortlauts allein nicht mit Sicherheit feststellen, ob die Eigenschaft als „neuer“ Kunde in Bezug auf die gesamte Produktpalette des Unternehmers oder auf bestimmte Waren im Besonderen zu beurteilen ist. Der Gegenstand der Tätigkeit des HV hängt vom Wortlaut des Vertrags und insb. von der Vereinbarung der zu vertreibenden Waren ab.708 Bei der Auslegung des Art. 17 ist der Zweck der RL zu berücksichtigen, die unter anderem die Interessen des HV gegenüber dem Unternehmer schützen soll.709 Art. 17 Abs. 2 RL ist folglich i. e. S. auszulegen, der zu diesem Schutz des HV beiträgt und seine Verdienste beim Zustandekommen der ihm anvertrauten Geschäfte vollständig berücksichtigt. Auch der Begriff „neuer Kunde“ darf deshalb nicht zu eng ausgelegt werden.710 Im Lichte dessen ist davon auszugehen, dass die Beurteilung, ob es sich um einen neuen oder einen vorhandenen Kunden handelt, anhand der Waren zu erfolgen hat, mit deren Vermittlung der HV vom Unternehmer beauftragt wurde und deren An- oder Verkauf er ggf. tätigen soll.711 Daher schließt der Umstand, dass eine Person mit dem Unternehmer bereits wegen anderer Waren Geschäftsverbindungen unterhielt, nicht aus, dass sie als vom HV geworbener neuer Kunde angesehen werden kann, falls es dem HV durch seine Bemühungen gelungen ist, eine Geschäftsverbindung zwischen dieser Person und dem Unternehmer in Bezug auf die Waren zu begründen, mit deren Vertrieb er beauftragt wurde.712 Das gilt auch, wenn es sich um ihrer Art nach vergleichbare Waren handelt.713 Der Umstand, dass der Unternehmer einem HV den Vertrieb neuer Waren an Kunden anvertraut, mit denen er bereits bestimmte Geschäftsverbindungen unterhält, kann ein Indiz dafür sein, dass diese Waren zu einem anderen Teil der Produktpalette gehören, als Waren, die diese Kunden bisher gekauft haben, und dass der Vertrieb der neuen Waren an jene Kunden die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung durch den HV erfordert.714 Dies hat das vorlegende Gericht zu prüfen.715 Daher soll zu prüfen sein, ob der Vertrieb Vermittlungsbemühungen und eine „besondere Verkaufsstrategie im Hinblick auf die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung“, erfordert (dazu unten).716 In diesem Zusammenhang habe der EuGH bereits früher festgestellt, dass eine Marke häufig neben einem Hinweis auf die Herkunft der Waren und Dienstleistungen ein Instrument der Geschäftsstrategie darstellt, welches u. a. zu Werbezwecken oder zum Erwerb eines Rufes eingesetzt wird, um den Verbraucher zu binden.717 Sollte es für den HV einfacher sein, neue Waren an Personen zu veräußern, die mit dem Unternehmer bereits in Geschäftsverbindungen stehen, kann dies vom nationalen Gericht im Rahmen der Billigkeit des Aus-

705 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 m. Anm. von Bodungen (zu der Entscheidung auch Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282); BGH, Urt. v. 6.10.2016 – VII ZR 328/12, DB 2016, 2592. 706 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 m. Anm. von Bodungen. Siehe BGH, Urt. v. 6.10.2016 – VII ZR 328/12, DB 2016, 2592. Zu dem Urteil des RuGH siehe die weiteren Besprechungen von Heinicke ZVertriebsR 2016, 175; Löwisch IHR 2016, 137; Brauneck IHR 2016, 225. 707 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 28 m. Anm. von Bodungen. In diese Richtung Brauneck IHR 2016, 225. 708 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 32 m. Anm. von Bodungen. 709 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 33 m. Anm. von Bodungen. 710 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 33 m. Anm. von Bodungen. 711 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 34 m. Anm. von Bodungen. 712 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 35 m. Anm. von Bodungen. 713 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 37 m. Anm. von Bodungen. 714 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 39 m. Anm. von Bodungen. 715 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 39 m. Anm. von Bodungen; BGH, Urt. v. 6.10.2016 – VII ZR 328/12, DB 2016, 2592. 716 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 38 m. Anm. von Bodungen. 717 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 40 m. Anm. von Bodungen. 259

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gleichs berücksichtigt werden.718 Nach Ansicht von Brauneck719 erfolgte die Entscheidung des EuGH contra legem, da Art. 17 Abs. 2a RL ausdrücklich den Alt- vom Neukunden. Dem wird man entgegenhalten können, dass der Begriff „Kunde“ in Art. 17 Abs. 2 RL auslegungsfähig ist, zumal die Abgrenzung auch bisher nicht personen- sondern produktbezogen erfolgte.

115 c) Neuheit des Kunden. Der Kunde muss für den Unternehmer neu sein, nicht für den HV. Bringt daher der HV aus einer früheren oder anderen HV-Tätigkeit Kunden in das Vertragsverhältnis ein, handelt es sich für den Unternehmer um Neukunden.720 Grundsätzlich sind alle vom Vertriebsmittler eingebrachten Kunden, die zuvor nicht die gleichen Artikel kauften, für den Unternehmer neu. Wird etwa der HV zunächst für ein später insolventes Unternehmen tätig und dann für den Käufer des insolventen Unternehmens,721 der dieses im Wege des AssetDeals erworben hat,722 liegt für den Käufer eine Neuwerbung vor. Der Erwerber kann sich nicht darauf berufen, die Adressen der Kunden vom Insolvenzverwalter erhalten zu haben. Denn durch die Existenz oder den Erhalt der Adressen entstand noch keine Geschäftsverbindung. Erhalten kann ein neu gegründetes Unternehmen lediglich die Information über die Kundenbeziehungen, nicht die Kunden selbst. Die Information eröffnet nur die Chance, dass die Stammkunden des Altunternehmens auch mit dem neuen Unternehmen eine Geschäftsbeziehung eingehen werden. Begründet wird sie erst durch den Abschluss entsprechender Verträge, der auch auf dem Überzeugungstalent des Mittlers beruht.723 Kommen solche Geschäfte durch Vermittlung des HV zustande, so ist er es, der die Kunden des insolventen Unternehmens als (neue) Stammkunden geworben hat.724 Dies ist auch gerecht, weil der gegen den Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit gerichtete Ausgleich kaum werthaltig sein wird.725 Das Gleiche muss bei Neuabschluss mit dem Insolvenzverwalter gelten, der den Vertrag als Partei kraft Amtes schließt, oder im Falle eines Neuvertrages mit einem nicht insolventen Unternehmen.726 Der HV steht sich so, als sei er zu einem Konkurrenzunternehmen unter „Mitnahme“ der jenem noch nicht bekannten Geschäftsverbindungen gewechselt. Im Einzelfall mag ein § 242 BGB-Einwand oder eine Reduzierung unter Billigkeitsgesichtspunkten begründet sein. Übergibt der Unternehmer dem HV zu Beginn seiner Tätigkeit Namen und Anschriften von 116 Personen, die noch nicht beim Unternehmer bestellt haben, sind diese Personen ausgleichs-

718 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 m. Anm. von Bodungen. 719 Brauneck IHR 2016, 225 (227). 720 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 68; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 82; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 24; Oetker/Busche5 § 89b Rn 12; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 57. 721 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.4.1992 – 16 U 31/91, OLGR 1992, 312 f.; OLG München HVR Nr. 640; OLG Koblenz HVR Nr. 882; LG Bielefeld, Urt. v. 19.4.1985 – 12b 0 85/84, HVR 608; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 69; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 82; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 57; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 74 ff.; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 65; aA OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360; Schmitz ZIP 2003, 60 ff. zu Unternehmensveräußerungen; vgl. auch OLG Saarbrücken BB 1997, 1603, m. Anm. Thume. 722 Bei Erwerb des Unternehmens mittels Anteilskaufs („Share-Deal“) wird der mit der Gesellschaft geschlossene Vertrag durch den Kauf der Anteile an der Gesellschaft nicht berührt. Es liegt ein einheitlicher, unbeendeter Vertrag vor. 723 Emde EWiR 2012, 89 (90). 724 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090, der die Ansicht des BGH als „formalistisch“ bezeichnet. 725 Semler ZVertriebsR 2012, 49. 726 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 69. Emde

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rechtlich neu zugeführte Kunden, wenn der HV an ihrer ersten Bestellung mitgewirkt hat.727 (Alt)Kunde ist nur, wer zumindest einmal beim Unternehmer bestellt hat. Die erforderliche Mitursächlichkeit des HV für das Kundengeschäft liegt in der Ansprache der Kunden und die Weiterleitung des Auftrages.728 Das bestätigen letztlich auch Urteile des OLG Köln und das OLG München: Erhält der HV von einer Gesellschafterin des Unternehmers, für die der HV ebenfalls als Mittler tätig ist, eine Liste mit Namen ihrer Kunden (die noch nicht beim Unternehmer bestellten), verbunden mit der Erlaubnis, die in der Kundenliste Genannten auf die Produkte des Unternehmers anzusprechen, so soll darin keine ausgleichspflichtige Werbung von Neukunden für den Unternehmer liegen. Jedenfalls entspräche die Zahlung eines Ausgleiches nicht der Billigkeit. Denn der HV greife ausschließlich auf den Kundenstamm der Gesellschafterin zurück. Dass eine Steigerung der bisherigen Umsätze auf seiner werbenden Tätigkeit beruht, habe der HV im Einzelnen darzulegen.729 Nach Ansicht des OLG München sollen Kunden, die der Unternehmer aufgrund von Zentrallistungsvereinbarungen kannte, auch dann nicht vom HV geworben sein, wenn er für ein konkretes Geschäft diese Kunden aufgesucht und angesprochen hat.730 Dem ist nur zuzustimmen, wenn es für den ersten Kauf an jeder Mitursächlichkeit des HV fehlt oder der Unternehmer beweist, dass er mit diesen Kunden vorher Geschäfte vergleichbarer Art geschlossen hat. Die eventuelle Mitursächlichkeit des Unternehmers kann zu einer graduellen Billigkeitsreduzierung führen,731 etwa wenn die Aufbauleistung des HV gering war. Weiter wird der Fall genannt, in dem der Unternehmer beim Erwerb des Unternehmens für diese Kundenliste zahlte.732 Vermittelt der HV Geschäftsabschlüsse mit einer Einkaufsgenossenschaft, deren Namen 117 ihm vom Unternehmer bekannt gegeben wurde, ist nur die Genossenschaft Altkunde, nicht sind es ihre Mitglieder. Gelingt es dem HV, diese Mitglieder als Kunden des Unternehmers zu werben, handelt es sich dabei auch um neu zugeführte Kunden.733 Möglicherweise verbietet es jedoch die wirtschaftlich-faktische Teilidentität mit den für das Mitglied der Genossenschaft bestimmten Lieferungen von einer Neukundenwerbung zu sprechen.

d) Personen-, Branchen- oder produktbezogene Abgrenzung? aa) Die bisher wohl h. A. 118 nahm die Abgrenzung zwischen Neu- und Altkunden branchenbezogen vor.734 So sollte ein ausgleichsrelevanter Neukunde fehlen, wenn der Kunde bereits zuvor vom Unternehmer Waren derselben Branche bezog.735 Anderes sollte nur gelten, falls die HV innerhalb desselben Vertriebssystems und der Branche nur mit dem Vertrieb einzelner der verschiedenen Marken der gesamten Produktpalette betraut waren und folglich zueinander in Wettbewerb treten muss727 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090 (betreffend die Werbung des HV für den Nachfolger eines insolventen Vorgängerunternehmens); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 82; OGH Wien, Beschl. v. 24.3.2015 – 10 Ob 75/14 y, ZVertriebsR 2015, 331 (332). 728 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090. 729 OLG Köln, Urt. v. 26.1.2001 – 19 U 113/00, OLGR Köln 2001, 205 = DB 2001, 1721 = BB 2001, 1601. 730 OLG München, Urt. v. 14.5.2014 – 7 U 2586/13, BeckRS 2014, 10205. 731 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090; OLG München, Schlussurt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon = GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563 m. Anm. Mense – für die Übergabe der Kundenliste durch den Unternehmer. 732 Eckhoff GWR 2012, 327436 – aber die Aufbauleistung des HV wird durch dieses Interna aus der Sphäre des Unternehmers nicht geringer. 733 LG Hamburg ZGenW 11, 464 und 12, 78. 734 Vgl. Thume BB 2020, 779 (781). 735 BVerfG, Beschl. v. 26.6.2012 – 1 BvR 285/11, BeckRS 2012, 55218; BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668 (2670) = ZIP 1999, 1094 = MDR 1999, 1076 = EWiR 1999, 653 (Emde); OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.12.1999 – 261

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ten.736 Die Art des Vertriebssystems führte also zu Rückwirkungen auf den Neukundenbegriff.737 Dies war schon auf der Basis der h. M. inkonsequent, weil es allein darauf ankam, ob der Kunde für den Unternehmer neu war, und nicht darauf, wie er sein Vertriebssystem gestaltete. Es sollte zudem nach bisher h. M. nicht für eine Neukundenwerbung genügen, dass der Unternehmer innerhalb ein und derselben Branche oder einer ähnlichen Artikelgruppe nur sein Sortiment erweiterte und der Kunde für Artikel des erweiterten Sortiments gewonnen738 bzw. der Kunde bei im Wesentlichen gleichen Vertragsgegenstand von einem Tarif (etwa: Flatrate) zu einem anderen (z. B. Einzelverbindungsnachweis) umgeleitet wurde oder falls ein weiterer Fachbereich einer Universitätsklinik Produkte beim Unternehmer bezog.739 Hier konnte höchstens der Fall der Intensivierung einer Altkundenbeziehung nach Abs. 1 S. 2 gegeben sein. Je mehr das neue Produkt von den bisherigen Produkten entfernt war, insb. was die Technik und die Anwendungsmöglichkeiten angehe, desto eher gelangte man zu einer den Ausgleichsanspruch eröffnenden Branchenverschiedenheit.740 Aber auch substituierbare Erzeugnisse konnten unterschiedlichen Branchen zuzurechnen sein, z. B. sofern sie unterschiedliche Technologien verwendeten.741 bb) Die Diskussion um einen produkt- oder branchenbezogenen Neukundenbegriff ist häu119 fig ein Streit um reine Terminologie. Selbst die früher h. M. akzeptierte im Wege einer „teleologischen Reduktion“742 die vom EuGH (Rn 114) postulirten Ausnahmen von der branchenbezogenen Abgrenzung.743 Man könnte das Problem auch – wie von der Tschechischen Republik im Anhörungsverfahren vor dem EuGH vorgeschlagen – lösen, indem man die Werbung für eine neue, speziell dem HV zum Vertrieb übertragene Marke als qualitative wesentliche Erweiterung der Geschäftsverbindung ansehe.744 Wie sich genau die Branche von dem Produkt unterscheidet, bleibt trotz der EuGH-Entscheidung (Rn 114) unklar. Klar ist nur, dass der Begriff der Branche weiter erscheint als der des Produkts. Letztlich kommt es, egal unter welcher Apostrophie16 U 250/97; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.7.2008 – 10 U 16/08; OLG München, Schlussurt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon = GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563 m. Anm. Mense, das nach den Verhältnissen des Einzelfalles gleichwohl die Neukundenwerbung befürwortete; OLG Frankfurt/M. v. 27.5.1966 – 3 U 263/65; Oetker/Busche5 § 89b Rn 12a; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5a; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 66; aA OLG München, Beschl. v. 21.12.2010 – 7 U 4103/10 (vom BVerfG in der vorgenannten Entscheidung aufgehoben). Darstellung der Rspr. bei Thume BB 2020, 779 (780 ff.); Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 287 ff. 736 BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13047 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; OLG München, Schlussurt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon = GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563 m. Anm. Mense und Anm. Semler ZVertriebsR 2013, 96; Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177). 737 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175; BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13074; VII ZR 102/12, GWR 2014, 280 (Ostendorf). 738 BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13047 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; VII ZR 102/12, GWR 2014, 280 (Ostendorf); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 66. 739 OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.12.1999 – 16 U 250/97. 740 Semler ZVertriebsR 2013, 96. 741 Semler ZVertriebsR 2013, 96. 742 Ostendorf GWR 2014, 280. 743 BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13047 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340. 744 Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177). Nach Auffassung von Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177) treffe der mglw. ohnehin europarechtswidrige Schluss, dass dazu mindestens eine Verdoppelung des Umsatzes erforderlich sei, nur für eine quantitative Umsatzerweiterung mit vom Kunden bereits bezogener Ware zu. Werde hingegen i. S. e. qualitativen Erweiterung ein neues Produkt oder eine neue Marke von dem damit beauftragten HV bei Altkunden eingeführt, weil die wesentliche Erweiterung, die wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspreche, liege nicht in einer mengenmäßigen Erweiterung, sondern in der Einführung eben dieses neuen Produkts (Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177)). Emde

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rung, auf die Substituierbarkeit der vertriebenen Produkte aus Kundensicht an.745 Man wird die zu dem Wettbewerbsverbot des § 86 geführte Diskussion zur Substituierbarkeit in Konkurrenzsituationen vorsichtig übertragen können. Dabei sind die Verkehrsauffassung,746 eine wirtschaftliche Betrachtungsweise,747 der Inhalt des geschlossenen Vertrages748 (insb. die Produktliste) und letztlich eine Einzelfallentscheidung749 maßgeblich. Auch die Intention des Unternehmers, mit einem neuen Produkt neue Kundenkreise zu gewinnen, kann ein Kriterium sein.750 Das alles kann dazu führen, dass nicht eine branchenbezogene, sondern eine marken-, produkt- oder artikelbezogene Abgrenzung vorzunehmen ist, sofern die Kunden die vertragsgemäß vertriebenen, unterschiedlichen Produkte, Dienstleistungen oder Marken derselben Branche für nicht substituierbar halten würden.751 Abzustellen ist mithin darauf, ob eine Kategorie von Produkten vom HV nach dem geschlossenen Vertriebsvertrag erstmalig vertreten wurde. Letztlich dürfte die bisher h. M. nach dem EuGH-Urt. v. 7.4.2016 (Rn 114) nicht mehr zu vertreten sein,752 auch wenn die Differenzierung nach Branchen und Substituierbarkeit häufig in einem ersten Prüfungsschritt zu veritablen Ergebnissen führen mag.753 Neu sind folglich Kunden, die mit dem Unternehmer vor Abschluss des HV-Vertrages nicht 120 in geschäftlichen Beziehungen der geworbenen Art, Waren, Artikel und/oder Dienstleistungen, kurzum Produkte, standen, sondern dem Unternehmer erstmals vom HV in Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten zugeführt wurden.754 Anders gewendet: Altkunden sind nur Kunden, welche zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns bereits Produkte, Artikel, Waren und/oder Dienstleistungen der vertriebenen Art bei dem Unternehmer bezogen. Ob ein Kunde ein ausgleichsrechtlich relevanter Neukunde ist, kann sich auch nach dem geschlossenen Vertriebsvertrag bestimmen, in dem festgelegt wird, welche Produkte der HV vertreibt.755 So werden z. B. in der Modebranche die HV üblicherweise damit betraut, alljährlich die jeweils neue Sommer- und 745 746 747 748 749 750 751

Semler ZVertriebsR 2013, 96. Thume BB 2020, 779 (782). Semler ZVertriebsR 2013, 96. Thume BB 2020, 779 (782). Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 287 (288). Thume BB 2020, 779 (782). Eine artikelbezogene Abgrenzung nehmen deshalb vor: Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 Rs. C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 47/48; BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13047 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340 (in einem Einzelfall, in dem der HV nur mit dem Vertrieb dieser Produkte beauftragt war, sonst branchenbezogen); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 82; Oetker/Busche5 § 89b Rn 12a; Kiene VersR 2006, 1024 (1025); OLG München, Schlussurt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon = GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563 m. Anm. Mense – nach den Verhältnissen des Einzelfalls; wohl auch OGH Wien, Beschl. v. 24.3.2015 – 10 Ob 75/14 y, ZVertriebsR 2015, 331 (332) – Neukunde, falls Werbung für neuen Geschäftszweig. 752 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 m. krit. Anm. von Bodungen; Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 48; wohl auch OGH Wien, Beschl. v. 24.3.2015 – 10 Ob 75/14 y, ZVertriebsR 2015, 331 (332) – Neukunde, falls Werbung für neuen Geschäftszweig. 753 Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (176). 754 Ein Neukunde wurde geworben, auch falls der Kunde zuvor andere Brillenkollektionen desselben Unternehmers bezog: Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336, Rn 54; BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13047 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090; OLG München, Schlussurt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon = GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563 m. Anm. Mense, jedoch nur nach den Verhältnissen des Einzelfalles (der HV war nur mit dem Vertrieb einzelner, bestimmter Brillenkollektionen betraut); Beschl. v. 21.12.2010 – 7 U 4103/10 (als Vorinstanz); aA BVerfG, Beschl. v. 26.6.2012 – 1 BvR 285/11, BeckRS 2012, 55218. Ostendorf GWR 2014, 280. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 82. 755 Thume BB 2020, 779 (782). 263

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Winterkollektion zu vertreiben. Die bei Vertragsbeginn vorhandenen Altkunden sind nicht deshalb Neukunden, weil sie für Produkte einer neuen Kollektion oder eines erweiterten Sortiments geworben worden.756 Der Kollektions- und Sortimentswandel war nämlich schon im Vertriebsvertrag festgelegt.757 Dasselbe gilt für neue Artikel, die sich lediglich in ihrer Technik vom bisherigen Sortiment unterscheiden.758 Dass eine andere Person mit dem Unternehmer bereits wegen anderer Waren Geschäftsverbindungen unterhielt, schließt nicht aus, dass sie als vom HV geworbener neuer Kunde angesehen werden kann, wenn es dem HV durch seine Bemühungen gelungen ist, eine Geschäftsverbindung zwischen dieser Person und dem Unternehmer in Bezug auf die Waren zu begründen, mit deren Vertrieb er beauftragt wurde.759 Das gilt auch, sofern es sich um ihrer Art nach vergleichbare Waren handelt.760 Schließt z. B. ein Unternehmer mit seinem HV Verträge, denen zufolge die HV Geschäfte für jede Marke gesondert zu tätigen haben, so sollen die Verkaufsbemühungen darauf gerichtet sein, einen Kunden zum Erwerb der speziellen Marke zu bewegen.761 Hat er sich für eine Aufgliederung in Vertriebskanäle entschieden, sind jene Vertriebskanäle gesondert zu betrachten. Der Altkunde eines Kanals kann Neukunde eines anderen sein.762 Der Umstand, dass der Unternehmer einem HV den Vertrieb neuer Waren an Kunden anvertraut, mit denen er bereits bestimmte Geschäftsverbindungen unterhält, kann ein Indiz dafür sein, dass jene Waren zu einem anderen Teil der Produktpalette gehören, als Waren, die diese Kunden bisher gekauft haben, und dass der Vertrieb der neuen Waren an solche Kunden die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung durch den HV erfordert.763 Es ist irrelevant, ob bei anderen Produkten des Unternehmers ein Umsatzrückgang eintritt, wenn man eine produktbezogene Abgrenzung favorisiert.764 Dies,765 wie auch Erleichterungen beim Vertrieb der Produkte eines bereits in Geschäftsbeziehungen zum Unternehmer stehenden Kunden,766 sind Fragen, die bei der Billigkeitsprüfung eine Rolle spielen können. Nach Auffassung von Heinicke darf ein solcher Abzug aber nur bei der Berechnung des Rohausgleichs der davon betroffenen Kunden vorgenommen werden, so dass ggf. zwei unterschiedliche Rohausgleichsberechnungen erforderlich seien.767 Allerdings könnte man auch den Billigkeitsabzug bei einheitlicher Rohausgleichsberechnung entsprechend reduzieren. Die Motive auf Seiten des Kunden für das Neugeschäft spielen keine Rolle.768 Auch die den Begriff präformierende RL dürfte eher einem geschäfts- oder produktorientier121 ten als einem personenorientierten, auf die Person des Unternehmers oder Kunden bezogenen 756 757 758 759

Thume BB 2020, 779 (782). Thume BB 2020, 779 (782). Thume BB 2020, 779 (782). EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 35 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175. 760 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 37 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175. 761 Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 52. 762 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 39 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175; Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336 Rn 53. 763 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910, Rn 39 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175. 764 BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13074 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; VII ZR 102/12, GWR 2014, 280 (Ostendorf); aA Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 287 (289), die von fehlenden Unternehmervorteilen ausgehen. 765 BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13074 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; VII ZR 102/12, GWR 2014, 280 (Ostendorf). 766 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175; Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177). 767 Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177). 768 BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13074 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; VII ZR 102/12, GWR 2014, 280 (Ostendorf). Emde

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Ansatz,769 folgen. Die Worte „neue Kunden“ sollten in diesem Licht betrachtet und nicht nur auf eine einzelne natürliche oder juristische Person beschränkt sein, die Kunde sein kann. Sie dürfen nicht zu eng ausgelegt werden.770 cc) Spezielle Geschäftsverbindung: In seiner unter Rn 114 kommentierten Entscheidung 122 v. 7.4.2016 – C-315/14 befürworte der EuGH den Ausgleichsanspruch eines HV, wenn er trotz fehlender Neukundeneigenschaft lediglich den Verkauf von Brillengestellen neuer Marken vermittelte. Hierfür forderte der EuGH eine „spezielle“ oder „spezifische“ Geschäftsverbindung.771 Die Beweislast für sie liegt, wie generell für die Neukundenwerbung, beim HV.772 Die nicht im Wortlaut des § 89b oder Art. 17 RL angelegte,773 praeter legem entwickelte Neuschöpfung des EuGH ist problematisch.774 Unklar ist bereits, ob es auf die Bemühungen des HV oder das objektive Vorliegen der Spezialität ankommt.775 Die fehlende Anlage des Terminus im Wortlaut der maßgeblichen Normen schließt es eher aus, dass der EuGH wirklich wesentliches forderte. Z. T. wird vertreten, der EuGH habe seine Auslegungskompetenz überschritten.776 In das Erfordernis der speziellen Geschäftsverbindung sollte also nicht zu viel hineingele- 123 sen werden.777 Die Apostrophierung stellt lediglich einen Bezug zum Sachverhalt her, nach dem der Unternehmer seinen Vertrieb nach bestimmten Produktsparten oder Marken unterteilt hatte. Die Spezialität bedeutet nicht mehr, als dass es sich bei dem vom HV vertriebenen Produkt um ein solches eines separaten Geschäftszweigs778 (Marke, Modell, Serie, Abstand zum übrigen Vertriebsprogramm) handeln muss.779 Es wird nicht mehr ausgedrückt, als dass der HV bei der Werbung eines Kunden für ein anderes Produkt, für welches mithin eine eigene „spezielle“ Geschäftsverbindung besteht, einen Neukunden geworben haben muss.780 Die Beurteilung, ob es sich um einen neuen oder einen vorhandenen Kunden handelt, hat anhand der Waren zu erfolgen, mit deren Vermittlung der HV vom Unternehmer beauftragt wurde und deren An- oder Verkauf er ggf. tätigen soll.781 Die Geschäftsverbindung ist also schon deshalb speziell, weil der Unternehmer mit dem von ihm vertretenen Marken in Konkurrenz zu dem restlichen Portfolio seines eigenen Unternehmers tritt.782 Hier klingen Eierschalen der alten produktbezogenen Abgrenzung an. Der Unternehmer, der zur Markenpflege den Vertrieb verschiedener Marken unterschiedlichen HV überträgt, gibt damit zu erkennen, dass durch diese Vertriebsform gerade für jene Marken mit ihm eine spezielle Geschäftsverbindung begründet werden soll.783 Der bezweckte Schutz hätte wohl keine weite Auslegung des Begriffs „neue Kunden“ erfor- 124 dert.784 Die Bestimmung der Höhe des Ausgleichs wird ein Stück weniger vorhersehbar;785 769 Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 Rs. C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336, Rn 47. 770 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910, Rn 33 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175. 771 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 38 ff. m. Anm. von Bodungen. 772 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284). 773 Brauneck IHR 2016, 225; Thume BB 2016, 2772. 774 Thume BB 2020, 779 (783); Thume BB 2016, 2772. 775 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284). 776 Thume BB 2016, 2772; Brauneck IHR 2016, 225. 777 Thume BB 2020, 779 (783); Emde BB 2017, 2947 (2953). AA Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284): „erhebliche Hürde“. 778 Kritisch gegenüber diesem Begriff Thume BB 2020, 779 (783). 779 Thume BB 2020, 779 (783); Emde BB 2017, 2947 (2953). 780 Thume BB 2020, 779 (783); Emde BB 2017, 2947 (2953). 781 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 34 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175. 782 Thume BB 2016, 2772. In diese Richtung wohl auch Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284). 783 Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177). 784 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284); von Bodungen BB 2016, 912. 785 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284); von Bodungen BB 2016, 912. 265

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weitere Punkte der Prüfung werden in die gerichtlich weniger überprüfbare Billigkeit verschoben.786 Deshalb soll das Urteil des EuGH787 Auswirkungen nur auf Waren-HV haben.788 Dies ist zweifelhaft, weil das überschießend umgesetzte deutsche Recht insoweit einheitlich auszulegen ist. Vertreibt der Unternehmer Produkte vergleichbarer Art über verschiedene Vertriebskanäle, kann sich nach dem Urteil zwar der Ausgleichsanspruch eines HV erhöhen. Korrespondierend senkt sich jedoch der mögliche Ausgleich eines anderen, weil er mit eben diesen Produkten keine Provision erzielt und sie daher nicht in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einfließen.789 Auch die Höchstgrenze reduziert sich entsprechend und zudem können die Kunden nur einmal für jede Vertriebssparte Neukunde sein. Dramatische Änderungen sind damit nicht zu erwarten. 125 Wegen der beschränkten Bedeutung des Begriffes bedarf es keiner besonderer Bemühungen des HV, die über das übliche Maß hinausgehen.790 Der HV muss sich auch nicht wesentlich intensiver als sonst um Gewinn und Verbleib des Kunden bemühen und braucht ihnen nicht „immer wieder“ die besonderen Vorzüge der von ihm vertriebenen Produkte zu erklären.791 Mitursächlichkeit für den Vertriebserfolg genügt auch hier, einmal abgesehen davon, dass sonst Gerichte einmal die üblichen Anstrengungen und dann die besonderen feststellen müssten; eine wohl unmögliche Aufgabe. Im Ergebnis werden die verschiedensten Abgrenzungsmerkmale entwickelt. Eine spezielle 126 Geschäftsverbindung soll vorliegen, falls: – der HV eine auf Dauer und wiederholte Abnahme gerichtete (Rahmen-) Vereinbarung vermittelt,792 – der HV den status quo der bestehenden Geschäftsverbindung zum Kunden durch seine Bemühungen in qualitativer Hinsicht positiv verändert hat,793 – der Kunde sich verbindlich bereit erklärt hat, für das ihm neu zum Verkauf an Endabnehmer angebotene Markenprodukt besondere den Verkauf fördernde und auf die Marke sowie deren Geltung und Bedeutung am Markt bezogene Vertriebs-Werbemaßnahmen auf Dauer vorzunehmen oder zu ermöglichen.794 Hierzu könnten z. B. der Einsatz besonders geschulten Verkaufspersonals für die einzelnen Produkte der Marke gehören, deren besondere und hervorstechende Präsentation in den Geschäftsräumen des Kunden, wie z. B. die in einem der Marke vorbehaltenen besonderen Verkaufsraum oder an einem bevorzugten Platz aufgestellten Verkaufstheke, aber auch immer wieder gezielt für diese Marke bestimmte Werbesowie deren Verkauf besonders fördernde Vertriebsmaßnahmen,795 – der HV in der Vertriebsvereinbarung zu besonderen Akquisitionsanstrengungen, -leistungen und -bemühungen verpflichtet ist, welche nach der Vorstellung beider Vertragspartner für den Unternehmer auch nach Ende des Vertriebsvertrages Vorteile mit sich bringen sollen und erfahrungsgemäß bringen.796 Der Unternehmer wird dem HV aber keine Gegenleistung dafür anbieten müssen, dass Altkunden Altkunden bleiben,797 da dies der vom Gesetz vorausgesetzte Normalfall ist.

786 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284); von Bodungen BB 2016, 912. 787 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 34 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175. 788 Von Bodungen BB 2016, 912. 789 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284). 790 AA Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284); Thume BB 2016, 2772. 791 AA Thume BB 2016, 2772. 792 Löwisch IHR 2016, 136 (138); aA Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284). 793 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (284). 794 Löwisch IHR 2016, 136 (139). 795 Löwisch IHR 2016, 136 (139). 796 Löwisch IHR 2016, 136 (139). 797 AA Löwisch IHR 2016, 136 (140). Emde

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das Warenangebot des Unternehmers nach verschiedenen Marken unterteilt ist und jeder seiner HV mit der Absatzvermittlung nur einer Marke oder einiger Marken betraut ist.798 127 Eine spezielle Geschäftsverbindung soll fehlen: – Bei der ersten Abnahme durch den Kunden.799 – Bei der Veräußerung lediglich zusätzlicher Produkte.800 – Sofern nur eine vom Unternehmer geschaffene besondere Vertriebsstruktur besteht oder eine vom Unternehmer vorgegebene besondere Markt- und Vertriebsstrategie.801 Bei der Vermittlung von Rahmenverträgen.802 128 – Es soll fraglich sein, ob das Erfordernis auch gilt, falls der Unternehmer den bereits für ihn tätigen HV mit dem Vertrieb einer eigenen Marke aus seinem Portfolio beauftragt.803 dd) Beispiele zur Neukundeneigenschaft: Neukunden liegen vor, wenn ein Kunde zuvor in ande- 129 ren Branchenverzeichnissen desselben Verlags Anzeigen geschaltet hat und nun für ein neues Werk geworben wird;804 ein Telefonkunde wird von einem Festnetz- zu einem Mobilanschluss geworben;805 zu einer neuen Zeitschrift eines Presseunternehmens806 oder von Schirmzubehör zu fertigen Schirmen.807 Wird ein HV speziell damit beauftragt, wenige Markenbrillen zu vertreiben, während andere HV andere Markenbrillen des selben Herstellers vertreiben, rechtfertigt es dies, einen geworbenen Kunden als Neukunden einzustufen, auch wenn der Optiker bereits Brillen anderer Marken des gleichen Herstellers über andere HV bezogen hat.808 Vertreibt der Unternehmer Campingzelte und führt durch den gleichen HV Wanderschuhe neu ein, ist die Branchenverschiedenheit evident.809 Bietet der Unternehmer hingegen ein Vollsortiment an Trekkingbedarf an und betraut den HV mit dem Vertrieb des Gesamtsortiments, dann dürften auch Wanderschuhe dieser Branche zuzurechnen sein.810 Entschließt sich der Unternehmer, den Vertrieb der Wanderschuhe auszulagern und auf einen spezialisierten HV zu übertragen, gewinnt dieser Bereich eine Eigenständigkeit, die dazu führt, dass zwischen den Kunden und dem Unternehmer eine spezielle, auf diesen Bereich orientierte Geschäftsverbindung i. S. d. EuGH-Entscheidung v. 7.4.2016811 begründet wird.812 Kein Neukunde wurde geworben, falls der Kunde statt einer Biegemaschine eine Fräsmaschine erwarb.813

798 Brauneck IHR 2016, 225 (228). 799 Löwisch IHR 2016, 136 (139). 800 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285) – zweifelhaft wegen der fehlenden Bedeutung des Begriffes „spezielle Geschäftsverbindung“. 801 Löwisch IHR 2016, 136 (138). 802 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285). 803 Thume BB 2016, 2772. 804 BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13074 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; VII ZR 102/12, GWR 2014, 280 (Ostendorf); Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668 (2670) = ZIP 1999, 1094. 805 Thume BB 2020, 779 (781); Ströbl BB 2013, 1027 (1028). 806 Thume BB 2020, 779 (781). 807 Thume BB 2020, 779 (781). 808 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175; BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13047 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; OLG München, Schlussurt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon = GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563 m. Anm. Mense und Anm. Semler ZVertriebsR 2013, 96; Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177). 809 Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (176). 810 Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (176). 811 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 39 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175. 812 Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (176). 813 Semler ZVertriebsR 2013, 96. 267

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130 e) Zeitliche Komponente. Wie dargelegt ist Alt- und nicht Neukunde ein Kunde, der bei Vertragsschluss bereits in geschäftlichen Beziehungen der Produkte, Artikel, Waren und/oder Dienstleistungen der geworbenen Art zum Unternehmer stand. Wie lange der Vertragsschluss zurücklag, ist nur bedingt relevant. Nach Ansicht des LG Hamburg814 soll sich die Frage, ob Altkunden bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs herauszurechnen sind, nur bei HV stellen, die kürzer als fünf Jahre tätig waren. Das dürfte unzutreffend sein.

131 f) Personelle Komponente. Die Art und Qualität der Kunden ist unerheblich. Es müssen nur Dritte sein. Für die Eigenschaft als Neukunde kommt es auch angesichts des weiten Kundenbegriffes nicht auf dessen rechtliche Organisationsform sondern die separierbare wirtschaftlich-faktische Einheit an. Bei großen Kunden mit rechtlich unselbständigen aber wirtschaftlich selbständig agierenden Abteilungen, etwa Filialen, liegt eine Neukundenwerbung vor, sofern die kaufenden Einheiten keine wirtschaftliche oder faktische Identität besitzen.815 Wird also die in Bezug auf den Abschluss der fraglichen Geschäfte unabhängig handelnde Niederlassung eines Großkonzerns geworben, handelt es sich um einen Neukunden und die mit ihr getätigten Geschäfte sind ausgleichsrelevant, selbst wenn andere Teilglieder des Konzerns bereits kauften.816 Die Provisionen mit diesen Kunden sind insoweit in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen, als sie mit Produkten der neu geworbenen Branche erzielt wurden, aber eben nur diese Provisionen. Handelt es sich bei einem Neukunden um einen solchen, der, obwohl in rechtlich anderem Kleide, wirtschaftlichfaktisch mit einem Bestandskunden identisch ist, so fehlt es an einer Neukundenwerbung. Die bloße Umorganisation des Kunden, z. B. durch Rechtsformwechsel, Ausgliederung817 oder Verschmelzung, führt nicht zur Neuwerbung, weil es zum einen an der für die Werbung erforderlichen Einwirkung auf die Entscheidungsfindung des Kunden mangelt818 und es zum anderen nicht auf die rechtliche Organisationsform des Kunden, sondern auf seine (hier fortbestehende) wirtschaftlich-faktische Identität ankommt.819 Der Kunde verliert seine Neukundeneigenschaft, wenn er von einem Bestandskunden übernommen wird.820 Lassen sich die mit dem übernommenen Kunden getätigten Geschäfte im Anschluss noch separieren, etwa weil die Lieferung an die selbständig agierende – übernommene – Niederlassung erfolgt, ist der Kunde jedoch wegen seiner wirtschaftlichfaktischen Selbständigkeit bei der Ausgleichsberechnung als Neukunde zu berücksichtigen.

3. „geworben hat“ 132 Der HV muss die Kunden „geworben“ haben. Warum das Gesetz und auch die RL den Begriff „geworben“ und nicht, wie in §§ 84, 86 die Begriffe „vermittelt“ oder mit dem Kunden „abgeschlossen“ hat, nutzt, erschließt sich nicht. Gemeint ist nach wohl allg. Ansicht dasselbe. Der HV, der seine nach §§ 84, 86 geschuldete vertragliche Tätigkeit erfüllt, kann hiermit Kunden i. S. d. § 89b Abs. 1 werben und seine Ausgleichsvergütung verdienen. § 89b baut insoweit auf § 86 auf.821 Eine Werbung des HV liegt mithin vor, falls die von ihm geforderte vertragsgemäße Tätigkeit dem Unternehmer mindestens einen Neukunden zugeführt hat. Der Begriff der Werbung bezieht sich im Rahmen des § 89b auf den Mehrfach- und nicht den Einfachkunden (zum Sonderfall der potentiellen Mehrfachkunden Rn 166 ff.). 814 815 816 817 818 819 820 821

Urt. v. 22.3.2013 – 418 HKO 97/10. Semler ZVertriebsR 2013, 96; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 67. Fröhlich GWR 2015, 313 (314). Fröhlich GWR 2015, 313 (314); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 67. Vgl. LG Görlitz, Urt. v. 25.5.1993 – 3 O 34/93, zit. n. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 11. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 67. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 82. Löwisch IHR 2016, 137 (138).

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Der Mittler braucht nicht persönlich tätig zu werden. Die Tätigkeit von Angestellten oder 133 Untervertretern wird ihm zugerechnet,822 auch die Werbung durch eine mit dem HV verbundene Tochtergesellschaft.823 Es ist ausreichend, wenn der ein Vertriebssystem aufbauende oder führende Vertriebs- oder Strukturleiter über sog. „unechte“ Untervertreter kraft Weisungsbefugnis als „mittelbarer Täter“ vermittelt.824 Die Werbung durch den Rechtsvorgänger des HV steht der Werbung durch den HV gleich, etwa bei Einbringung in eine oHG.825 Zum Inhalt der zur Ausgleichspflicht führenden vertragsgemäßen und werbenden Tätigkeit 134 des HV vgl. d. Kommentierung zu § 84, 86 Mitursächlichkeit des Mittlers für die Kundenwerbung ist ausreichend, aber auch erforderlich826 (s. d. Kommentierung zu § 86). Im Grundsatz genügt dabei jede Art von Mitwirkung des HV für das Kundengeschäft.827 Nur lediglich unbeachtliche Hilfstätigkeiten werden, wie bei §§ 84, 86 und 87, ausgenommen. Das geht bis zu einer „virtuellen“ Mitursächlichkeit eines Bezirksvertreterteams auf einer Messe mit turnusmäßiger Ablösung; die Zufälligkeit der Vermittlung durch den HV, der gerade „an der Reihe ist“, entscheidet nicht.828 Ein stationärer HV, der seine Verkaufs- oder Annahmestelle offen hält wird hierdurch für die Kundenwerbung mitursächlich,829 etwa ein Lotto-HV,830 Retail-Outlet831 oder Tankstellen-HV (zu ihnen unten). Ein in Ausführung eines Rahmenvertrages mit Sonderkonditionen für bestimmte Abnehmer (hier: Betriebsvereinbarung und Abrufschein) als „Abrufgeschäft“ getätigter Kauf beseitigt die Mitursächlichkeit des Mittlers für dieses Geschäft nicht, falls der Kunde zum Kauf noch nicht fest entschlossen war und der Mittler einen Rest an Überzeugungsarbeit leisten muss.832 Nicht einmal im öffentlichen Submissionswesen ist die kundenwerbende, den Unternehmer im Ausschreibungsverfahren bei der ausschreibenden Stelle einführende Tätigkeit des HV – bei aller Korrektheit des Zuschlags – ausgeschlossen.833 822 BGH, Urt. v. 13.3.1969 – VII ZR 174/66, BGHZ 52, 5; OLG Hamm HVR (77) Nr. 504; Thume BB 2020, 779 (780); Hopt § 89b Rn 14.

823 BGH, Urt. v. 31.1.1991, NJW-RR 1991, 1050 (1051); Oetker/Busche5 § 89b Rn 11. 824 BGH, Urt. v 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (933) = BB 1975, 1409; BGHZ 56, 290 (293); 59, 87 (93); Karsten Schmidt Handelsrecht5 § 27 I 2d; Emde MDR 1999, 1108 (1109); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 74; Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 56. 825 OLG Stuttgart BB 2011, 1811 Rn 29 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 73; aA Steinhauer BB 2012, 526 (528). 826 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 9; NJW 1985, 860; OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); OLG München, Urt. v. 14.10.1987 – 7 U 1642/ 87, HVR Nr. 640; LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425 – Kfz-Vertragshändler; Kiene VersR 2006, 1024 (1025); Canaris § 17 Rn 107; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 8; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 76; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 233; Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 57; § 89b Rn 75; Hopt § 89b Rn 14; Oetker/Busche5 § 89b Rn 11; Thume in: Röhricht/Graf von Westphalen4 § 89b Rn 64; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 61; Westphal DB 2010, 1333 (1334); zu §§ 84, 86: BGH, Urt. v. 5.4.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1301; NJW 1980, 1793; BAG BB 1971, 492; LAG BW DB 1971, 1016; Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 57; § 89b Rn 75; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 19; Hopt § 84 Rn 22; aA LG Berlin, Urt. v. 4.7.2018 – 11 O 52/14 für das Anzeigengeschäft. Dort reiche nicht jede noch so geringe Mitursächlichkeit. Derartiges werde in erster Linie für den Kfz-Handel vertreten. Für einen Anzeigenkunden sei es nicht so erheblich, über wen er eine Anzeige bucht. Es müsse hier ein „nicht unwesentlicher Einfluss“ des Akquirierenden auf das „ob“ der Anzeigenschaltung gegeben sein. Diese Ansicht ist zweifelhaft. 827 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 8. 828 KG, Urt. v. 16.6.1969, BB 1969, 1062; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 81; Oetker/Busche5 § 89b Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 61. 829 Thume BB 2020, 779 (780); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 76; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 81. 830 BGHZ 43, 108 (113) = BGH NJW 1965, 1132 (1134); einschließlich der Bezirksstellen BGHZ 7, 59 (87). 831 LG München I, Urt. v. 23.12.2016 – 10 O 16326/14. 832 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2302 (2304) = BB 1996, 2265; OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); Westphal II Rn 200. 833 BGH NJW 1980, 1793. 269

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Nur wenn der Kunde vor Kontaktaufnahme mit dem HV zum Geschäft bereits fest entschlossen ist, soll es an der Mitursächlichkeit fehlen.834 Auch dann kann die Mitursächlichkeit in Auftragsannahme und -weiterleitung liegen: der Kunde muss dem Unternehmer seinen Geschäftswunsch mitteilen; die Übermittlung dieses Wunsches begründet eine mitursächliche Tätigkeit des HV. Gleiches mag bei im Falle einer Beratung der Fall sein, also bestärkender Tätigkeit i. S. e. psychologischer Bestärkung des Geschäftswunsches. Ohnehin wird dieser Ausschlusstatbestand nicht ernst genommen: Auch der Besucher einer Tankstelle ist zum Kauf entschlossen, die Überzeugungsarbeit des HV beschränkt sich auf das Angebot zur Einfahrt in die vom Unternehmer ausgestattete Betriebsstätte. Dennoch wird ein Ausgleich gewährt.835 Ausreichende Mitursächlichkeit soll fehlen, wenn der Kunde (allein) auf Grund eigener Werbeaktion des Unternehmers, oder auf Empfehlung von dritter Seite, bereits zur Bestellung entschlossen ist und für diese den HV nur noch zwecks Empfangnahme und Weiterleitung einschaltet836 (zwh. wegen der in der Auftragsannahme und -weiterleitung liegenden Kausalität für den Auftrag). Dass es dem HV gelingt, einen zum Abspringen entschlossenen Altkunden bei der Stange zu halten, reicht jedoch nicht aus,837 anders aber wenn die Beziehung zum Kunden abgerissen war und deshalb im Rechtssinne die Werbung eines Neukunden vorliegt. Nicht ausreichend ist ferner, dass der HV einen Dritten für die Erzeugnisse interessiert (der aber selbst nicht Kunde wird) und dieser Dritte seinerseits das Produkt weiterempfiehlt, so dass es zu Bestellungen (aber nicht über den HV) kommt. Hier mag allenfalls ein Provisionsanspruch aus dem Gesichtspunkt der mittelbaren Verursachung begründet sein; aber der engere Begriff eines „vom HV geworbenen Kunden“ ist für den Ausgleich nicht erfüllt.838 Jeder Kunde, für den der HV eine Vermittlungsprovision nach § 87 Abs. 1 Alt. 1 erhält, ist in 136 diesem Sinne geworben,839 nicht aber alle Kunden, für die der HV Provision nach § 87 Abs. 1 Alt. 2 (Folgeprovision) oder § 87 Abs. 2 (Bezirksprovision) erhält. Denn Folgeprovision wird auch für Geschäfte mit Altkunden gewährt; die Bezirksprovision ist völlig unabhängig von einer Tätigkeit und folglich auch einer Kundenwerbung. Aus dem Erfordernis des Geworbenseins durch den HV folgt nicht, dass die Bezirksprovision (§ 87 Abs. 2) als Berechnungsgrundlage des Ausgleichsanspruchs ausscheidet, solange der jeweilige Bezirkskunde nur irgendwann einmal vom HV geworben war.840 Besondere Anstrengungen des HV bei der Werbung sind nicht Anspruchsvorausset137 zung.841 Es genügt jedenfalls für die Mehrfachkundenwerbung (u. U. jedoch nicht für die Erstwerbung), wenn bei Investitionsgütern aufgrund ihres Preises ein Geschäftsabschluss nur zustande komme, falls der Kunde Vertrauen aufgebaut hat842 oder die Kundenbindung verstärkt wird, indem Kunden sich bei Zwischenfällen mit den bereits gelieferten Produkten mit dem Mittler auseinandersetzen müssen.843 Eine Mitursächlichkeit des Unternehmers für die Werbung der Stammkunden oder generell gleichzeitige oder zusätzliche Bemühungen des vertretenen Unternehmers schließen den Anspruch des HV nicht aus,844 etwa gemeinsame Verkaufsge135

834 OLG Karlsruhe BB 1960, 381; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 75; Oetker/Busche5 § 89b Rn 11; Hopt § 89b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 60.

835 Vgl. Oetker/Busche5 § 89b Rn 11. 836 OLG Karlsruhe BB 1960; 381; OLG Schleswig, Hinweisbeschl. v. 12.3.2013 – 16 U 13/13 – faktisch hat diese Einschränkung schon aufgrund des kaum möglichen Nachweises keine Bedeutung. 837 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 78. 838 BGH NJW 1959, 1677. 839 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 81. 840 AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 61; Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 35, 49. 841 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 81. 842 BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 18. 843 BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 18. 844 Kiene VersR 2006, 1024 (1025); Hopt § 89b Rn 14. Emde

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spräche beim Kunden, das gemeinsame Auftreten auf Messeveranstaltungen,845 Betreuung der Kunden durch einen Key-Account-Manager des Unternehmers,846 Anreize für Mitarbeiter von Großkunden847 oder die Existenz einer Kundenkarte.848 Auch wenn die Vermittlungstätigkeit des HV allein noch nicht zum Geschäftsabschluss geführt hat, sondern der potenzielle Kunde letztlich erst durch die Überzeugungskraft des Unternehmers zu einer Bestellung veranlasst wurde, ändert dies an der Mitursächlichkeit des HV nichts. Sie wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Kunde auf Grund der Monopolstellung des Unternehmers849 oder der „Sogwirkung“ einer bekannten Marke850 über den HV eine Bestellung aufgegeben hat, solange der HV eine eigene hinzukommende Tätigkeit entfaltet hat, um die Bestellung hereinzuholen. So sind etwa die staatlichen Lotterien Monopolisten. Gleichwohl wird ein Ausgleichsanspruch gewährt.851 Die Tätigkeit eines HV kann sich sogar, wie im Mineralölvertrieb über Tankstellen, in der reinen Abwicklung eines Vertrages erschöpfen, falls durch die Sogwirkung eines Produkts kein entscheidendes Einwirken auf den Kunden erforderlich ist.852 Dass der HV etwa auf Grund des Bekanntheitsgrades eines Markenproduktes nur geringere Bemühungen entfalten muss, findet entweder bereits in einer vergleichsweise geringeren Provision – und damit auch einem geringeren Ausgleich – seinen Niederschlag oder die Tatsache wird im Rahmen des Billigkeitsabschlages berücksichtigt853 (siehe dort). Wurde der HV für die Kundenwerbung mitursächlich, sind die Geschäfte mit dem geworbe- 138 nen Kunden voll und nicht nur nach dem Grade der Mitverursachung ausgleichspflichtig.854 Das OLG Frankfurt/M.855 hat allerdings eine Berücksichtigung der Mitursächlichkeit beider Parteien bei der Ausgleichsberechnung erwogen. Sie wäre jedoch nur im Rahmen der Billigkeit denkbar, wobei der Unternehmer für den Billigkeitseinwand beweispflichtig wäre.

4. Werbung als Handelsvertreter Der Kunde muss durch den HV in seiner Eigenschaft als HV unter dem konkreten (ggf. fortgesetz- 139 ten) Handelsvertretervertrag geworben werden. Die von einem Rechtsvorgänger geworbenen Kunden werden dem Rechtsnachfolger als eigene Kundenwerbung zugerechnet, etwa der HV-Gesellschaft nach einer Ausgliederung aus dem Vermögen des zuvor als natürliche Person werbenden HV. § 89b setzt nicht voraus, dass die Kunden „für den Unternehmer“ geworben werden. Er setzt nur voraus, dass diese Werbung in Ausführung eines HV-Vertrages geschah, der mit dem Unternehmer geschlossen wurde. Wie § 84 Abs. 3 zeigt, kann ein HV mittelbar auch für einen Dritten, nämlich den Hauptunternehmer (wenn der HV Untervertreter ist) werben. Es liegt dann gewissermaßen eine „doppelte“ Werbung des Kunden vor, nämlich einerseits für den Vertragspartner des Untervertreters und mittelbar für den „Hauptunternehmer“, den Vertragspartner des Hauptvertre845 KG, Urt. v. 16.6.1969, BB 1969, 1062; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 77; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 81; Oetker/Busche5 § 89b Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 61. 846 OLG Hamburg, Verf. v. 21.7.2014 – 4 U 55/13; LG Hamburg, Urt. v. 22.3.2013 – 418 HKO 97/10. 847 LG Hamburg, Hinweisbeschl. v. 1.6.2012 – 418 HKO 97/10. 848 BGH WM 2003, 495; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 76; Hopt § 89b Rn 14. 849 OLG Nürnberg, Urt. v. 26.4.1963, BB 1963, 1313; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 76; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 81; Oetker/Busche § 89b Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 61. 850 BGH, Urt. v. 2.7.1987, WM 1987, 1462 (1465); OLG Hamburg, Urt. v. 20.12.1979, DB 1980, 972 (973); OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.3.1960, BB 1960, 381; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 76; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 81; Oetker/Busche5 § 89b Rn 11; Hopt § 89b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 61. 851 BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931; OLG Schleswig, Beschl. v. 31.7.2014 – 16 U 68/14, BeckRS 2015, 11000. 852 Dieselhorst/Grages MMR 2011, 368 (369). 853 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 81; Hopt § 89b Rn 14. 854 AA mglw. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081. 855 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081. 271

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ters. Diese Weite des Tatbestandes führt deshalb nicht zu Härten, weil ein Ausgleich nur zu zahlen ist, falls der Unternehmer Vorteile aus der Werbung gewinnt (dazu unten). Kunden, welche der HV vor seiner Tätigkeit für denselben Unternehmer in einem anderen Vertragsverhältnis – etwa als Angestellter (Reisender)856 oder freier Mitarbeiter– geworben hat, sind keine vom „HV geworbenen“ Kunden.857 Es kommt nicht auf die Werbung durch die Person des späteren HV sondern darauf an, in welchem Vertragsverhältnis er warb. Entgegen der Formulierung des § 84 Abs. 1 ist das HV-Recht nicht personen- sondern vertragsbezogen. Schwierigkeiten bereiten Fälle, in denen der spätere HV die Kunden vor seiner HV-Tätigkeit für denselben Unternehmer in einem anderen HV-Vertrag (etwa als nebenberuflicher HV) oder einem handelsvertretergleichen Rechtsverhältnis anderer Natur – etwa einem Vertragshändler- oder Franchisevertrag – geworben hatte. Man könnte argumentieren, wegen der Rechtsidentität bzw- -ähnlichkeit sowie der bei Existenz der Analogiekriterien eintretenden Substituierbarkeit der Verträge müssten die in diesem Rechtsverhältnis geworbenen Kunden als ausgleichspflichtig gelten. Trotz der damit verbundenen Härte spricht jedoch einiges dafür, solche Kunden nicht in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen.858 Das ist Gegenstück dazu, dass auch bei Umwandlung etwa eines Vertragshändler- in einen HVVertrag ein Ausgleich zu leisten ist. Sofern nicht ausnahmsweise durch den neuen HV-Vertrag – ggf. wirtschaftlich besehen – der Altvertrag fortgesetzt wurde und Ausgleichsanwartschaften (ausdrücklich oder konkludent) übergehen sollten, gilt auch hier: Der alte Vertrag ist beendet und der Ausgleich hätte nach seinem Abschluss innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden müssen. Der neue Vertrag setzt diesen Vertrag nicht fort, die im Rahmen des alten Vertrages geworbenen Ausgleichsanwartschaften sind verloren. Dieses Ergebnis ist aber diskussionswürdig. Zudem: Wird bei dem Wechsel von einem Vertrag zum anderen der Kundenstamm in den neuen Vertrag eingebracht, obwohl die Kundenwerbung bereits zuvor durch einen im Rahmen des Altvertrages gewährten Ausgleichs ausgeglichen worden, stehen einem erneuten Ausgleich mangelnde zusätzliche Unternehmervorteile und weiter der Billigkeitseinwand entgegen. 140 Die gleichen Grundsätze gelten beim Übergang vom nebenberuflichen HV – der gem. § 92b Abs. 1 S. 1 nicht ausgleichsberechtigt ist – zum hauptberuflichen oder beim erstmaligen Hineinfallen des Vertrages in ausgleichsfähiges Recht. Die während der nebenberuflichen Tätigkeit geworbenen Kunden sind nicht ausgleichspflichtig und werden es auch dann nicht, wenn der HV später hauptberuflich tätig wird.859

5. Erweiterte Altkunden 141 a) Gleichstellung mit der Neukundenwerbung. Der Werbung eines Neukunden steht es gem. Abs. 1 S. 2 gleich, wenn der HV infolge seiner Tätigkeit bereits vorhandene Geschäftsverbindungen zu Kunden so wesentlich erweitert, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht. Es müssen also einerseits bereits vorhandene Kunden existieren, die Geschäftsverbindung zu ihnen muss wesentlich erweitert werden und jene Erweiterung muss auf einem Verhalten des HV beruhen, welches der Werbung eines Neukunden gleichsteht. Die Umsatzsteigerung muss auf Vermittlungsbemühungen/der Tätigkeit des HV – also seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit – beruhen. Erhöhungen, die ausschließlich auf anderen Faktoren beruhen, sind im Grundsatz unbeachtlich, etwa steigender Preisentwicklung (dazu unten). Ein Beispiel der Erweiterung bietet die Vermittlung einzelner Geschäfte während des laufenden Vertriebsvertrages. Die Erweiterung wird regelmäßig Angebote der selben Branche und vergleichbare Produkte betreffen. Denn sonst dürfte bereits eine Neukundenwerbung vorliegen. Nicht vorausgesetzt wird, dass der Kunde Artikel ordert, die mit den bisher bezogenen 856 857 858 859

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 71; Hopt § 89b Rn 14; Oetker/Busche5 § 89b Rn 11. OLG Düsseldorf NJW 1965, 2352; Thume BB 2020, 779 (780); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 19. Thume BB 2020, 779 (780) für die Tätigkeit als nebenberuflicher HV. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 16.

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in keinem Zusammenhang stehen.860 Ausgleichsbegründend ist wie bei der Neukundenwerbung jede mitursächliche861 und vertragsgemäße Tätigkeit des HV, insb. falls sie zu einem Recht auf die geschuldete Vergütung führt. Es gilt also zur Werbung im Wesentlichen das zur Neukundenwerbung ausgeführte. Besondere und erhöhte Anstrengungen des HV sind für die Intensivierung nicht erforderlich.862 Zahlt der Unternehmer für die fraglichen Geschäfte Vermittlungsprovision, spricht alles für die Ursächlichkeit der Tätigkeit des HV. Es gilt im Kern das zur Mitursächlichkeit im Rahmen der Neukundenwerbung Gesagte entsprechend. Sowohl Erweiterungen quantitativer als auch qualitativer Art sind zu berücksichtigen.863

b) Umfang der Erweiterung. Was für eine „wesentliche“ Erweiterung zu fordern ist, bleibt Tatfrage. aa) Eine wesentliche Erweiterung der Geschäftsbeziehung lag nach bisher wohl herrschender und noch immer vertretener864 Ansicht erst vor, wenn der Umsatz bei einzelnen Kunden gegenüber dem Zustand bei Vertragsbeginn um mindestens 100 %865 – inflations- und preissteigerungsbereinigt866 – erhöht wurde (Daumenregel). bb) Eine im Vordringen befindliche Ansicht stellt diesen Prozentsatz in Frage: Auch unterhalb des Schwellenwerts von 100 %867 könne eine wesentliche Erweiterung anzunehmen sein.868 Die RL stelle in Art. 17 Abs. 2 lit. a 1. Spiegelstrich den Altkunden einem neugeworbenen Kunden gleich, sobald der HV die Geschäftsverbindung wesentlich erweitert hat. Es fehle mithin in der RL die deutsche Ergänzung, wonach die Geschäftserweiterung wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden zu entsprechen hat. Wesentlich i. S. d. RL könnten schon Umsatzsteigerungen von 10,869 20,870 30871 oder 50 %872 sein. Nach Ansicht des LG Berlin genügt eine Steigerung von 29, 43, 44, 45, 50 und 73 % nicht.873 Richtigerweise dürfte wohl ab einer Steigerung von 50 % an die Einbeziehung in die Ausgleichsberechnung zu denken sein. cc) Im Ergebnis dürfte der im Vordringen befindlichen Ansicht zuzustimmen sein. Die bisherige deutsche Rspr. forderte leitbildartig eine Erweiterung der Geschäftsverbindung um 100 %, und zwar weil (nur) nach § 89b Abs. 1 S. 2 die Altkundenerweiterung der Werbung eines 860 So Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 89b Rn 36; hiergegen Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 39. 861 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 36; Oetker/Busche5 § 89b Rn 13; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 79; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 36. 862 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 36; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 89. 863 BGH, Beschl. v. 14.5.2014 – VII ZR 328/12, IHR 2014, 152 = ZIP 2014, 2088 = RIW 2015, 693 = BeckRS 2014, 13074 m. Anm. Semler ZVertriebsR 2014, 340; Urt. v. 3.6.1971 – VII ZR 23/70, BGHZ 56, 242 (245); Thume BB 2017, 1300; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene3 § 89b Rn 63; Martinek/Semler, Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 21. 864 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (286/287). 865 BGH, Urt. v. 3.6.1971. BGHZ 56, 242 = NJW 1971, 1611 = BB 1971, 843 = DB 1971, 1298 = VW 1971, 1388 = HVR Nr. 444 = VersR 1971, 737; OLG Hamm, Urt. v. 19.11.1992, OLGR 1993, 78; OLG Celle NJW 1968, 1141; Korte DB 2011, 2761 (2762); Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (286/287); Kiene VersR 2006, 1024 (1025); Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 80; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 89; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 65. 866 Thume BB 2017, 1300; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 89. 867 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, BB 2017, 1299 m. Anm. Thume; Westphal DB 2010, 1333 (1335); Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 80. 868 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, BB 2017, 1299 m. Anm. Thume; Thume BB 2017, 1300; Korte GWR 2017, 246; Westphal DB 2010, 1333 (1335); Kiene VersR 2006, 1024 (1025); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 80. 869 Thume BB 2020, 779 (784); Korte GWR 2017, 246: in umkämpften Märkten. 870 Thume BB 2020, 779 (784); Thume BB 2017, 1300; Westphal DB 2010, 1333 (1335). 871 Thume BB 2020, 779 (784); Thume BB 2017, 1300; Westphal DB 2010, 1333 (1335). 872 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16 Rn 34, ZVertriebsR 2017, 230 = BB 2017, 1299 m. Anm. Thume; Thume BB 2020, 779 (785). 873 LG Berlin, Urt. v. 4.7.2018 – 11 O 52/14. 273

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Neukunden zu entsprechen hat.874 Dies ist im Vergleich zur RL eine Verschärfung zum Nachteil des HV und widerspricht zumindest der HV-freundlichsten Auslegung. Der Wortlaut der RL ist eindeutig. Er darf nicht, so wie vor 2009 bei § 89b, durch durch zusätzliche, von der RL nicht vorgesehene TB-Merkmale „ergänzt“ werden. Damit liegt ein „Umsetzungsfehler“ vor.875 Streng genommen bedarf es folglich keiner HV-freundlichen Auslegung. Jedenfalls würde sie für die neuere Ansicht sprechen. Das Umsatzermessen des deutschen Gesetzgebers dürfte überschritten sein.876 Der Kommissionsbericht zur RL,877 der auf deutsches Fallrecht und deutsche Praxis, verweist, streitet nicht gegen die neuere Ansicht.878 Dieser Kommissionsbericht datiert aus 1996, zehn Jahre nach Entstehung der RL im Abstimmungsprozess der Mitgliedstaaten. Er erlaubt allenfalls sehr geringe Rückschlüsse auf das Jahre vorher von den Mitgliedstaaten Gewollte. Außerdem erwähnt er die 100 %-Grenze nicht. Es bleibt das teleologische Argument, eine Absenkung auf 50 % erscheine ungewollt: Aufgabe jedes HV sei es, den Umsatz mit bestehenden Kunden zu steigern. Allein die Erfüllung dieser Pflicht begründe keinen Ausgleich.879 Ich halte dieses unbewiesene Argument vor dem Hintergrund des Wortlautes und des Vergleiches zur Situation des § 89b 2009 für weniger überzeugend. Als Kompensation könnte überlegt werden, nicht die gesamten Provisionen mit dem Neukunden in die Ausgleichsberechnung mit einzubeziehen, sondern nur die erweiterten Umsätze.880 dd) Auch bei geringen Umsatzzahlen ist keine größere Steigerung erforderlich,881 ebenso 146 wenig bei einem Gesamtrückgang des Umsatzes.882 Mglw. sind je nach Branche, Marktpositionierung des Unternehmers und den erforderlichen Vertriebsbemühungen unterschiedliche %-Sätze anzuwenden, um vo einer Erweiterung auszugehen. Eine Steigerung des Erlösvolumens nur im Gefolge der Preisentwicklung bildet keine In147 tensivierung der Altkundenbeziehung.883 Die Mitursächlichkeit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung ist jedoch nicht ausgleichsschädlich.884 Bei der derzeit niedrigen Inflationsrate in den meisten Branchen wird man es jedenfalls bei kürzeren Vertragslaufzeiten bis hin zu 5 Jahren bei den o. g. Prozentsätzen belassen können, ohne sich der Mühe des Herausrechnens der inflationsbedingten Steigerung zu unterziehen.885 Bei längeren Vertragslaufzeiten ist das unzulässig: Thume886 weist darauf hin, dass die Provision allein inflationsbedingt bei einem Anfangsumsatz von EUR 100.000 unter Zugrundelegung einer jährlichen Preissteigerungsrate von 3 % im Verlauf von 20 Jahren um 75 % auf EUR 175.350,– anwächst. Bei diesen Zeiträumen spricht allerdings ohnehin der Beweis des ersten Anscheins für eine Neukundenwerbung. Regelmäßig ist die Steigerung anhand eines auf den einzelnen Kunden bezogenen Umsatzvergleiches zu bestimmen,887 also nicht etwa anhand einer Pauschalbetrachtung der Gruppe der Altkunden,888 der Erhöhung der Stückzahl, zumal sich die Produktpalette und damit auch die Portionierung ändern können. In der Regel ist auf den Umsatz mit dem Kunden insgesamt abzustellen und 874 875 876 877 878 879 880 881 882 883 884

Westphal DB 2010, 1333 (1335). Fröhlich GWR 2015, 313 (314); Westphal DB 2010, 1333 (1335); Hopt § 89b Rn 13. AA Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (287). KOM (96), 364 endg. (Celex 51996DC0364), Ziff. 1. AA Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (287). Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (287). Westphal DB 2010, 1333 (1335). AA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 89. AA Müller NJW 1997, 3423; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 89. Thume BB 2017, 1300; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 79. OLG Celle BB 1970, 227; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 79; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene3 § 89b Rn 63. 885 Das OLG Celle, Urt. v. 25.1.1968, NJW 1968, 1141 hat in einem solchen Fall eine wesentliche Erweiterung angenommen. 886 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 41. 887 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16 Rn 28, ZVertriebsR 2017, 230 = BB 2017, 1299 m. zust. Anm. Thume. 888 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16 Rn 28, ZVertriebsR 2017, 230 = BB 2017, 1299 m. zust. Anm. Thume. Emde

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nicht nach einzelnen Produkten oder Produktgruppen zu separieren. Alles andere würde zu einer Atomisierung der Ausgleichsberechnung führen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Umsatz – wie meist – die Provisionsberechnungsbasis bildet. Ist ein anderer Faktor Provisionsbemessungsgrundlage, muss auf dessen Steigerung abgestellt werden. Allgemeine Erhöhungen der Produktionskosten werden nicht herausgerechnet. Sonst müsste künftig jedes Einzelgeschäft insoweit „bereinigt“ werden, was dem Gedanken einer informierten Schätzung des Ausgleichs und der Prozeßwirtschaftlichkeit widerstreitet. Außerdem ist der Gewinn des Unternehmers bei der Ausgleichsberechnung unmaßgeblich. Nicht beizutreten ist der Auffassung, der Fall einer zum Ausgleich berechtigenden Intensivierung der Geschäftsverbindung mit dem Altkunden fehle, sofern die vom HV erzielte Umsatzsteigerung durch Preisrückgänge wieder abgefangen werde, so dass im Ergebnis das Umsatzvolumen preismäßig auf demselben Niveau stehen geblieben sei. Der Unternehmer hat von der Steigerung des Umsatzes gleichwohl den Vorteil: ohne sie wäre das Umsatzvolumen mit diesem Kunden, statt auf der gleichen Höhe gehalten zu sein, noch zurückgegangen. Vermehrte Bestellungen desselben, bisher bezogenen Artikels sind nicht zu verlangen; es genügt eine Erweiterung, die sich auf andere, substituierbare Artikel derselben Branche erstrecken kann.889

c) Vergleichszeitraum. Maßgeblich ist ein Vergleich zwischen den Verhältnissen unmittelbar 148 vor Vertragsbeginn und denen zum Vertragsende.890 Ausnahmsweise können die Verhältnisse bei Vertragsende, d. h. im letzten Vertragsjahr, untypisch sein, etwa wenn der Kundenverlust auf einem Verhalten des Unternehmers beruhte bzw. ein Verlust oder der Zugewinn von Stammkunden nur temporär ist. d) Umfang der Einbeziehung in Verlust- und Vorteilsprognose. Wegen der schwierigen 149 Separierung der ausgleichsbestimmenden Provision und des wohl entgegenstehenden Wortlautes des § 89b Abs. 1 S. 2 wurde, jedenfalls von denen, die eine 100 %ige Erweiterung der Geschäftsverbindung fordern, die Ansicht891 abgelehnt, nicht der volle mit dem Altkunden getätigte Gesamtumsatz, sondern nur der über den vorgefundenen Umsatz hinausgehende Mehrumsatz sei ausgleichsfähig. Begründung: Auch bei der Rechtsfolge müsse der Kunde vollständig einem Neukunden gleichstehen.892 Dessen Umsätze seien vollständig und nicht nur in Höhe der Mitursächlichkeit des HV für die Werbung in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen. Nachdem möglicherweise § 89b Abs. 1 bei der Frage der Gleichstellung des Alt- mit dem Neukunden nicht RL-konform gefasst wurde (dazu sogleich), wird die Diskussion hierüber neue Nahrung gewinnen.

6. Geschäftsverbindung a) Ist das Merkmal der Geschäftsverbindung bei der Neukundenwerbung erforder- 150 lich – RL-konforme Auslegung? § 89b Abs. 1 fordert Unternehmervorteile aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden. Art. 17 Abs. 2 lit. a Spiegelstrich 1 RL nennt nur die Werbung neuer Kunden und fordert eine Geschäftsverbindung erst im Zusammenhang mit der Intensivierung der Altkundenbeziehung. Nach der deutschen Version der RL hat der Begriff der „Geschäftsverbindung“ für den als Gegenleistung der Neukundenwerbung gewährten Ausgleichs889 890 891 892

BGH NJW 1971, 1611. Thume BB 2020, 779 (784). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89b Rn 83; Westphal DB 2010, 1333 (1334). BGH, Urt. v. 3.6.1971 – VII ZR 23/70, BB 1971, 843; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.9.1996 – 16 U 41/95, HVR Nr. 875; Thume BB 2020, 779 (784). 275

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anspruch keine Bedeutung. Es genügt dieser Sprachfassung die Neuwerbung eines Kunden, aus der sich Unternehmervorteile ergeben.893 Die aus der Neukundenwerbung entstehenden Vorteile müssen nach der deutschen Fassung folglich nicht aus einer Geschäftsverbindung herrühren (Beispiel: mittelbare Vorteile, etwa aus anderen Kundenbeziehungen).894 Aus der nur partiellen Bedeutung des Begriffes „Geschäftsbindung“ wird hergeleitet, die Mehrfachkundeneigenschaft jedenfalls eines Neukunden sei keine zwingende Voraussetzung der Unternehmervorteile.895 § 89b Abs. 1 wäre, wollte man dieser Ansicht folgen, entsprechend dem Text der RL europarechtskonform auszulegen. Jedoch verlangt die deutsche Fassung der RL für die Neukundenwerbung Vorteile aus „Geschäften“. Verwendet wird der Plural.896 Daraus ist mglw. dieselbe Folge zu entnehmen, wie sie aus dem Wort „Geschäftsverbindung“ hergeleitet wird, nämlich dass erst mehrere Geschäfte die Ausgleichsberechtigung begründen.897 Die englische, französische und italienische Fassung kennen keinen eigenständigen Terminus der „Geschäftsverbindung“. Sie sprechen nur einheitlich von „Geschäften“, aus denen Vorteile entstehen müssen („business“, „opérations avec ces clients“, „affari con tali clienti”). Diese Sprachfassungen verwenden aber gleichfalls für die Neukundenwerbung Begriffe, die dem deutschen Terminus „Geschäfte“ entsprechen. Folglich erscheint es nach allen Sprachfassungen vertretbar, ein punktuelles Einzelgeschäft nicht als vorteilsbegründend anzusehen. Der durch die „deutsche“ Differenzierung zwischen „Geschäften“ und „Geschäftsverbindung“ hervorgerufene Streit scheint aber ein recht national gefärbter zu sein.898 Jedenfalls müssen die Vorteile bei der Neukundenwerbung nicht notwendigerweise aus einer Geschäftsverbindung entstehen (Beispiel: mittelbare Vorteile, etwa für andere Kundenbeziehungen). Es reicht z. B., wenn ein möglicher Nachkauf – der sicherlich einen Vorteil darstellen würde – nach Vertragsende erfolgt. Auch lediglich potentielle Mehrfachkunden (Rn 166 ff.) sind damit ausgleichsfähig. Nun ist sicherlich die bisherige Vermutung, der zufolge bei Mehrfachkäufen der Vergangenheit auch künftig Vorteile entstehen können, nicht unrichtig. Der Vorteilsbegriff bei der Neukundenwerbung darf jedoch nicht auf das Entstehen einer Geschäftsverbindung verengt werden. Auch andere Fälle sind erfasst.899 Die ohnehin nur richterrechtlich anerkannte Einbeziehung potentieller Mehrfachkunden in die Ausgleichsberechnung trägt dem nur unzureichend Rechnung. Damit kann die Mehrfachkundeneigenschaft bei Neukunden keine zwingende Voraussetzung für die Feststellung der Unternehmervorteile sein.900

151 b) Begriff der Geschäftsverbindung. Jedenfalls bei erweiterten Altkunden (mglw. aber nicht bei Neukunden, s. o.) muss der Unternehmer auch nach der Novellierung des § 89b901 im Anschluss an die Beendigung des Vertragsverhältnisses aus „Geschäftsverbindungen“ mit Kunden erhebliche Vorteile haben. Zum Begriff der Geschäfte s. Kommentierung zu § 84. Es muss eine nutzbare Geschäftsverbindung mit dem Kunden über vergleichbare (substituierbare) Produkte geschaffen worden sein. Sie muss als Kundenbeziehung eine gewisse Dauer902 besitzen, also weitere Bestellungen erwarten lassen. Der Kunde muss m. a. W. Mehrfach- oder Stammkunde (Rn 152) oder zumindest potentieller Mehrfachkunde (Rn 166) sein. Die Stammkundeneigen-

893 894 895 896 897 898 899 900 901 902

Thume BB 2017, 906; Pauly MDR 2013, 694 (695); Westphal DB 2010, 1333 (1335); Hopt § 89b Rn 11. Westphal DB 2010, 1333 (1335). Pauly MDR 2013, 694 (695); Westphal DB 2010, 1333 (1335). S. a. Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (283). Emde BB 2017, 1289. Emde BB 2017, 1289. Westphal DB 2010, 1333 (1335). Pauly MDR 2013, 694 (695); Westphal DB 2010, 1333 (1335). Koch ZIP 2011, 1752 (1754); Emde DStR 2009, 1478 (1481). „Erkennbare Beständigkeit“: BGH LM § 89b HGB Nr. 47 – Reisebüro.

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schaft hängt vom Gegenstand des Geschäfts sowie den branchenüblichen Besonderheiten ab.903 Die zentrale Voraussetzung der Geschäftsverbindung muss noch bei Beendigung des HV-Verhältnisses gegeben sein. Ob ein Kunde „neu“ ist oder ob der Unternehmer nach Beendigung des HV-Vertrages durch Umdispositionen des Vertriebsweges noch „Vorteile“ von ihm hat, mag sich nach Kriterien des vorgegebenen oder bewahrten Marktanteils beurteilen: die Geschäftsbeziehung muss in jedem Falle zum Unternehmer selbst begründet gewesen sein und weiter Geschäfte einbringen.

c) Mehrfachkunden. Eine Geschäftsverbindung besteht nur bei voraussichtlich zu erwarten- 152 den langfristigen Geschäften mit dem Kunden. Vermittelt der HV „punktuelle“ Geschäfte bedarf es Mehrfachgeschäfte, damit eine Geschäftsverbindung vorliegt. Eine Geschäftsverbindung besteht bei solchen Geschäften also insbesondere mit Stamm- oder besser: Mehrfachkunden,904 grds. jedoch nicht mit Einmalkunden,905 sofern sich bei ihnen nicht prognostizieren lässt, dass sie zu Mehrfachkunden werden. Die Geschäftsverbindung bedarf einer gewissen Nachhaltigkeit.906 Als Mehrfach- oder Stammkunden sind Kunden anzusehen, die in einem überschaubaren, in seiner Entwicklung noch abschätzbaren Zeitraum, in dem üblicherweise mit Nachbestellungen zu rechnen ist, mehr als nur ein Geschäft mit dem Unternehmer abgeschlossen haben oder voraussichtlich abschließen werden.907 Von ihnen müssen also innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes Folgebestellungen zu erwarten sein.908 Dafür brauchen nicht zwingend zwei oder mehrere Verträge vermittelt zu werden. aa) Dauerverträge. Auch ein einziges Dauerschuldverhältnis genügt, wenn es zu einer Ge- 153 schäftsverbindung führt, etwa weil es eine Vielzahl von Geschäften über einen längeren Zeitraum regelt.909 Denn § 89b Abs. 1 Nr. 1 verlangt eine „Geschäftsverbindung“ und nicht mehrere Einzelkäufe (die RL noch nicht einmal dies). Meist wird es hierauf nicht ankommen. Denn unter der als Dauerschuldverhältnis geworbenen Geschäftsverbindung werden Einzelgeschäfte getätigt (beim Telefonkunden etwa Telefongespräche), so dass die geworbenen Kunden auch klassische Stammkunden sind. Jedenfalls gibt es kaum eine beständigere Geschäftsverbindung als die durch ein Dauerschuldverhältnis gesicherte. Das zeigt eine Auslegung anhand der anerkannten Auslegungsmethoden910:

903 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 24 (Tankstellen-HV); Thume BB 2009, 1026. 904 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt; OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 90. 905 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 19; v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, DB 2000, 967 = NJW 2000, 1413 unter II 2; Koch ZIP 2011, 1752 (1754); v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242 (1243); Hopt § 89b Rn 12. 906 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 22 (Tankstellen-HV); v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 41 m. Anm. Emde. 907 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 9; Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66 B I 1a; VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71 B I 2a; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 36, v. 17.12.2008 – VIII ZR 159/07, VersR 2009, 355 Rn 35; v. 11.10.1990 – I ZR 32/98, NJW-RR 1991, 156; v. 25.10.1984 – I ZR 104/82, NJW 1985, 859; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt. 908 Österreich. OGH, Urt. v. 17.1.2012, 4 OB 188/11 t, ZVertriebsR 2012, 203. 909 Emde BB 2017, 1289; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 86. Zum Streitstand Emde BB 2017, 1289; Ströbl/Wentzel BB 2017, 390. Zum Recht Österreichs differenzierend Breiter IHR 2015, 45 (51). 910 Emde BB 2017, 1289. 277

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154 (1) Wortlaut des § 89b Abs. 1. Eine „Geschäftsverbindung“ setzt vom Wortsinn nicht mehr als eine Verbindung geschäftlicher Natur voraus. Irgendwelche weiteren Voraussetzungen verlangt der Wortlaut nicht. Dauerschuldverhältnisse sind eine Form geschäftlicher Verbindung und zudem eine besonders feste. § 89b Abs. 1 Nr. 1 fordert nur eine solche Verbindung, nicht mehrere Einzelkäufe (die RL noch nicht einmal dies). „Folgegeschäfte“ werden weder vom Gesetz verlangt noch (s. u.) vom Gesetzeszweck vorausgesetzt. Es gibt kaum eine beständigere Geschäftsverbindung als die durch ein Dauerschuldverhältnis gesicherte.911 Wenn bemerkt wird, die Geschäftsverbindung bedürfe einer gewissen Nachhaltigkeit,912 so erfüllen Dauerschuldverhältnisse jene Bedingung eher als punktuelle Einzelgeschäfte. Die Vertreter der fehlenden Ausgleichspflicht der Dauerschuldverhältnisse per se913 weisen selbst darauf hin, der Wortlaut des § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 fordere nur eine Geschäftsverbindung und keine Stammkunden.914 Vom Wortsinn betrachtet bilden Dauerschuldverhältnisse damit eine Geschäftsverbindung. Etwas schwieriger wird die Wortlautauslegung, wenn man den RL-Text auslegt. Dieser fordert in Art. 17 Abs. 2 lit. a – wie oben dargestellt – Vorteile „aus den Geschäften mit diesen Kunden“. Dies scheint eine Mehrzahl von Geschäften vorauszusetzen. Allerdings ist der Begriff der „Geschäfte“ so generisch, dass ihm zumindest bei der geforderten HV-freundlichen Auslegung915 der RL keine Beschränkung auf die Ausgleichsfähigkeit mindestens zweier Geschäfte entnommen werden kann. Der Verwendung des Plurals sollte nicht zu viel entnommen werden, weil auch unter einem Dauerschuldverhältnis Einzelgeschäfte getätigt werden, aus denen Vorteile entstehen. Bei einem Dauerschuldverhältnis, dessen Dauer einer längeren Geschäftsverbindung mit Einzelgeschäften entspricht, dürfte nicht anders – und erst recht – eine Vermutung für dessen Fortbestand sprechen, zumal es durch einen Rahmenvertrag abgesichert ist.916 Ein solches Verständnis würde, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, auch zu absurden Ergebnissen führen und dürfte daher einer HV-freundlichen Auslegung nicht zugrunde gelegt werden. Die Behauptung von Ströbl/Wentzel, Vorteile, die sich auf das vermittelte Vertragsverhältnis beschränkten, seien nicht ausgleichspflichtig,917 ist eine These ohne Beleg. Schon der Wortlaut des § 89b streitet hiergegen. § 89b spricht nur von „Vorteilen“, nicht von Vorteilen „außerhalb des Vertragsverhältnisses“. Selbst bei mehreren punktuellen Folgegeschäften entstehen die Vorteile zudem aus den einzelnen Verträgen, nur aus mehreren.

155 (2) Sinn und Zweck. Teilweise wird die Ansicht eingenommen, mit der Gleichung „Dauerschuldverhältnis = Geschäftsverbindung“ werde der Sinn und Zweck des Ausgleichsanspruchs verkannt, Unternehmervorteile und Provisionsverluste auszugleichen, die sich ergäben, weil der Unternehmer voraussichtlich für einige Zeit noch Folgegeschäfte abschließen werde.918 Es seien die gleichen Maßstäbe wie bei sonstigen Warenvertretern anzulegen.919 Die RL sei auf Warenvertreter ausgerichtet und damit auf eine Gruppe, die üblicherweise Einzelgeschäfte abschließe. Bei Dauerschuldverhältnissen würden dagegen oft keine Waren, sondern z. B. Mobilfunk-, Inter911 Emde BB 2017, 1289. 912 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 22 (Tankstellen-HV); v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 41 m. Anm. Emde. 913 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285); Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (391). 914 Völlig richtig Thume BB 2017, 906 (907), der darauf hinweist, der Begriff des Stammkunden sei vom Gesetz nicht vorgesehen und entbehrlich. 915 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde) Rn 21, 23; Emde DStR 2009, 1478 (1479); Emde ZVertriebsR 2014, 218 (222); Hopt § 84 Rn 3; wohl auch Ebenroth/Löwisch 3. Aufl., Vor § 84 Rn 10; aA Pauly MDR 2013, 694 (695); Koch ZIP 2011, 1752 (1753); Semler ZVertriebsR 2013, 137; BB 2009, 2327 (2328 f.); Westphal DB 2010, 1333 (1337); Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551; Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 61. 916 AA Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285/286). 917 Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (392). 918 Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (392). 919 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285). Emde

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net- und TV-Verträge vermittelt. Hier sei eine andere Wertung zu treffen.920 Auch dies erscheint zweifelhaft,921 weil § 89b nicht auf den Vertrieb bestimmter Waren abstellt sondern alle HV, ungeachtet des vertriebenen Produkts gleich behandelt, sofern es keine Sonderbestimmungen gibt wie etwa in §§ 89b Abs. 5, 92, 92c Abs. 2 (Rückschluss). Eine Auslegung nach Sinn und Zweck des § 89b bestätigt eher die Wortlautauslegung: Nach der gegenteiligen Auffassung wären 6 Mehrfachkundengeschäfte mit einer Laufzeit von 2 Monaten ausgleichspflichtig, nicht jedoch die Vermittlung eines Dauerschuldverhältnisses über die gleiche Laufzeit von 12 Monaten. Eine zumindest einmalige Verlängerung des Dauerschuldvertrages zu fordern,922 ist keine Lösung. Denn dann entstände bei einem langjährigen, über das Vertragsende hinausgehenden Vertrag, etwa mit 20jähriger Laufzeit, trotz erheblicher Vorteile kein Ausgleich. Der HV würde also für die Vermittlung eines besonders langfristigen Dauerschuldverhältnisses „bestraft“. Um eine Ausgleichsberechtigung zu gewinnen, müsste der HV die Geschäfte „aufspalten“, und zwar in mehrere zeitlich kürzere Einzelgeschäfte: Vermittelt er statt des 12-Monatsvertrages sechs 2-Monatsverträge oder – nach der Ansicht von Ströbl/Wentzel – auch nur zwei 6-Monatsverträge, bestände eine Ausgleichspflicht. Eine Auffassung, die derartige „Notwendigkeiten“ und geschäftsferne Anreize schafft, erscheint kaum förderungswürdig. Die Ausgleichsberechnung fußt zudem auf den im letzten Vertragsjahr („Basisjahr“) vermittelten Geschäften. Da die vermittelten Dauerverträge oft eine zumindest einjährige Laufzeit haben, würde es während des Basisjahres zu keiner Vertragsverlängerung kommen. Die Folge wäre das Nichtentstehen des Ausgleichs.

(3) Systematische Auslegung. Die systematische Auslegung bestätigt die Diagnose.923 § 89b 156 Abs. 5 zeigt, dass auch Vorteile aus einem einzigen Vertrag ausgleichsrelevant sein können. Denn Abs. 5 lässt statt einer „Geschäftsverbindung“ für die Ausgleichsfähigkeit „die Vermittlung neuer Versicherungsverträge“ genügen, also die Vermittlung eines einziges „Versicherungsvertrages“. Versicherungsverträge sind Dauerschuldverhältnisse. Im Rahmen des Abs. 5 sind Dauerschuldverhältnisse also auch nach Ströbl/Wentzel einer Geschäftsverbindung gleichzusetzen. Weshalb dies nur für Abs. 5 und nicht im Grundtatbestand des Abs. 1 gelten sollte, ist nicht erkennbar.Ströbl/Wentzel meinen, es hätte des § 89b Abs. 5 nicht bedurft, falls sich die Ausgleichspflicht von Versicherungsverträgen bereits aus Abs. 1 ergäbe. Dieses Argument lässt sich wenden: Man könnte Abs. 5 die Bestätigung entnehmen, dass Dauerschuldverträge regelmäßig ausgleichspflichtig sind.924 Schon die Historie des Abs. 5 streitet gegen den Rückschluss von Ströbl/Wentzel. Im 1. Entw. des § 89b war der heutige Abs. 5 nicht enthalten. Der Streit um die Ausgleichsfähigkeit von Dauerverträgen konnte also nach Auffassung der Verfasser des Gesetzes nicht durch einen Umkehrschluss aus Abs. 5 entschieden werden. Dann beschloss der Gesetzgeber – ohne visible Auseinandersetzung mit dieser Frage – Abs. 5 einzufügen. Das geschah, um für einen in Deutschland besonders wichtigen Wirtschaftszweig eine klärende und den Interessen der Versicherungswirtschaft genehme Sonderbestimmung zu schaffen.925 Es handelt sich folglich bei Abs. 5 um eine klarstellende und nur aus der Sicht der zu § 89b gering ausgeprägten Rechtsdogmatik des Jahres 1953 verständliche Regelung: Folgegeschäfte sollen nicht ausgeglichen werden.926 Sie sind aber auch nicht erforderlich, um den Ausgleichsanspruch zu gewinnen. Es wäre wenig verständlich, warum Dauerschuldverhältnisse in Form von Versicherungsverträgen unter Abs. 5 ausgleichspflichtig sein sollen, nicht jedoch unter Abs. 1, 920 921 922 923 924 925 926

Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285). Siehe bereits Emde BB 2017, 1289. Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285). Emde BB 2017, 1289 (1291). I. E. Thume BB 2017, 906 (907). Vgl. MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 89b Rn 251. BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 64 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWIR 2012, 207 (Emde) Rn 27. 279

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auf den Abs. 5 verweist. Zudem ist Abs. 5 schon deshalb wenig aussagekräftig, weil er auf Abs. 1 verweist und damit seine Selbständigkeit in Frage stellt.

157 (4) Historische Auslegung. Die historische Auslegung bestätigt diesen Befund.927 Die Begründung zum RegE928 führt aus: „Der Verlust an Provisionen aus Verträgen, die auf die Tätigkeit des Handelsvertreters zurückzuführen sind, wird namentlich bei Sukzessivlieferungsverträgen und bei gewissen Versicherungsverträgen vorkommen. Er wird umso größer sein, je früher nach Abschluss eines derartigen Vertrags das Vertragsverhältnis zwischen HV und Unternehmer beendet wird.“ Die Gesetzesbegründung zu § 89b Abs. 1 geht also mit Klarheit davon aus, dass selbst unter Abs. 1 ein einziges Dauerschuldverhältnis ausgleichsbegründend sein kann. Ausdrücklich wird sogar eine Parallele zu Abs. 5 gezogen. Dies widerlegt die die Ausgleichspflicht einschränkende Auffassung. 158 Alle Auslegungsmethoden zeigen daher: Auch Dauerschuldverhältnisse bilden eine Geschäftsverbindung (HGB und deutsche Fassung der RL). Sie bilden auch „Geschäfte“ i. S. d. RL.

159 (5) Wann führt eine einzelne Geschäftsverbindung zur Ausgleichspflicht? Üblicherweise wird ausgeführt, eine Geschäftsverbindung bestehe nur, falls im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung (Prognosezeitpunkt929) für den Zeitraum nach Vertragsende langfristige Geschäfte mit Kunden zu erwarten sind. Präziser: Es muss bei Vertragsende zu erwarten sein, dass nachvertragliche Vorteile bestehen.930 Wie wahrscheinlich solche Vorteile sind, ergibt sich aus dem Inhalt der geworbenen Verträge und der ihnen entspringenden Geschäftsbeziehung. Vermittelt der HV, wie leitbildtypisch, „punktuelle“ Geschäfte müssen zum Prognosezeitpunkt weitere punktuelle Geschäfte zu erwarten sein. Besteht ein Dauerschuldverhältnis, welches feste Abnahmemengen vorsieht, ist die Wahrscheinlichkeit nachvertraglicher Geschäfte besonders hoch. Auch Dauerschuldverhältnisse ohne feste Abnahmepflicht bestärken eher die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Geschäfte. Ein einziges Dauerschuldverhältnis kann also ein Ausgleichsrecht begründen, sofern es zu nachvertraglichen Vorteilen führt, z. B. weil es eine Vielzahl von Einzelgeschäften über einen längeren Zeitraum regelt931 (etwa: Sukzessivliefervertrag932) oder sonstige nachvertragliche Vorteile begründet. Am naheliegendsten sind solche Vorteile, falls der Dauervertrag nach Ende des HV-Vertrages fortgesetzt wird933 oder ein Anschlussvertrag folgt. Für zum Ende des HV-Vertrages ausgelaufene Dauerschuldverhältnisse erhält der HV ohne Fortsetzungswahrscheinlichkeit regelmäßig ebenso wenig einen Ausgleich wie für sonstige beendete Geschäftsverbindungen. Für wie lange der Dauervertrag nach Vertragsende fortlaufen muss,934 ist auch eine Frage der „Erheblichkeit“ der Vorteile935: jene liegt zumindest vor, sofern der Teil der 927 Emde BB 2017, 1289 (1291). 928 BegrRegE 1/3856, S. 36. 929 BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71; ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; OLGR 2000, 406 (410); OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045); OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zu einem Franchisevertrag; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 118; Hopt § 89b Rn 16; Oetker/Busche5 § 89b Rn 15; abl. Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 40. 930 Emde BB 2017, 1289 (1291 f.); s. a. Thume BB 2017, 906 linke Spalte. 931 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 86. Zum Streitstand Ströbl/Wentzel BB 2017, 390. Zum Recht Österreichs differenzierend Breiter IHR 2015, 45 (51). 932 Er ist als ausgleichpflichtiges Dauerschuldverhältnis anerkannt: Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553); Emde WRP 2010, 845 (847); Emde DStR 2009, 1478 (1481 f); Thume BB 2009, 2490 (2494). 933 Thume BB 2017, 906. 934 Das halten Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (392) für eine schwierige Abgrenzungsfrage. 935 Beispiele aus der Rspr.: OLG Köln, Beschl. v, 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129; LG Hamburg, Urt. v. 20.7.2012 – 418 HKO 91/11; LG Stuttgart, Urt. v. 3.8.2011 – 39 O 19/10 KfH. Emde

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Umsätze, die auf die Zeit nach Beendigung des HV-Vertrages entfallen, summenmäßig „erheblich“ i. S. d. bisherigen, z. T. recht strengen Rspr. sind. Es ergibt sich also die gleiche Unsicherheit über die Bewertung der „Erheblichkeit“ wie in allen Ausgleichsfällen. Zumindest wenn die nachvertragliche Laufzeit den üblichen Prognosezeitraum erreicht, wahrscheinlich auch deutlich eher, liegen eine Geschäftsverbindung und Unternehmervorteile vor. Die Fortsetzung eines Dauerschuldverhältnisses per se genügt nicht, wenn unter ihm keine nachvertraglichen Vorteile – etwa Geschäfte – zu erwarten sind. Bei einem über das Vertragsende reichenden Sukzessivliefervertrag, der (s. o.) in der Gesetzesbegründung als Beispiel des Ausgleichsrechts genannt wird, sind die Vorteile evident: Er verpflichtet den Kunden schon bei Vertragsschluss, über einen bestimmten Zeitraum nach Umfang und Menge spezifizierte Leistungen des Unternehmers in Raten abzunehmen, wobei die Leistungsmenge von vornherein bestimmt ist oder durch den Kunden im Rahmen der Gesamtmenge nach Bedarf festgelegt wird.936 Es bedarf hier keiner weiteren Vertragsverhandlungen,937 damit das Geschäft und die aus ihm generierten Vorteile „stehen“. Um ein Ausgleichsrecht entstehen zu lassen, müssen also 2 Bedingungen erfüllt sein: Eine nicht unerhebliche Fortführung des Dauervertrages über das Ende des HV-Vertrages hinaus und weiter, dass unter dem Dauervertrag auch nach Ende des HV-Vertrages in nicht unerheblichem Umfang Geschäfte zu erwarten sind. Folglich können auch bei der Werbung eines einzigen auf Dauer angelegten Vertrages, etwa 160 eines Abonnement- und Sukzessiv-Lieferungsvertrages,938 eine Geschäftsverbindung bestehen bzw. „Geschäfte“ zu erwarten sein.939 Die gegenteilige Ansicht geht zu sehr vom Leitbild der Einzelgeschäfte aus; sie werden von § 89b Abs. 1 Nr. 1 aber nicht gefordert. Selbst ein Bezugs-, Liefer- oder Rahmenverträgen ohne feste Abnahmepflicht mag beides begründen, jedoch nur, wenn er mit hinreichender Sicherheit künftige Vorteile erwarten lässt. Sie können z. B. prognostiziert werden, weil aufgrund dieses Vertrages Einzelgeschäfte wahrscheinlicher sind,940 als sie es ohne ihn wären. Dies ist Tatfrage. Die geringere Wahrscheinlichkeit solcher Einzelgeschäfte unter einem bloßen Bezugsvertrag mag durch einen Billigkeitsabschlag oder – eine Stufe höher – bei der Summe der Vorteile bewertet werden.941 Das Leitbild eines ausgleichsberechtigten Bezugsvertrages bildet der Telefonvertrag942: Der Kunde ist nicht verpflichtet, einzelne Telefonate zu führen. Gleichwohl sind die Vorteile des Unternehmers aus dem Rahmenvertrag evident. Weitere Vorteile können in Anschlussverträgen, der Vergrößerung des Marktanteils oder der Steigerung des Firmenwertes liegen. Zum Teil wird auch von denjenigen, die die Ausgleichspflicht eines Dauerschuldverhältnisses per se verneinen, eine Erleichterung dergestalt angenommen, dass eine Nichtkündigung des Kunden trotz Kündigungsmöglichkeit ausreiche, um die Stammkundeneigenschaft zu begründen.943

936 Thume MDR 2011, 703 (705); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 251; Westphal I Rn 468; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 59. Zum Recht Österreichs Breiter IHR 2015, 45 (46).

937 Ebenroth/Löwisch3 § 87 Rn 26. 938 OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236 – Zeitschriftenabonnement (jedoch Ausgleichsfähigkeit wegen fehlender Folgegeschäfte sowie der Entlohnung mittels Einmalprovision verneint. Aber es bedarf keiner Folgegeschäfte, weil bereits das Abonnement eine Geschäftsverbindung bildet); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 95. 939 Emde BB 2017, 1289. 940 S. BGH, Beschl. v. 11.5.2016 – VII ZR 64/15, IHR 2016, 205 = ZVertriebsR 2016, 242 Rn 22; OLG Stuttgart, Urt. v. 12.3.2015 – 2 U 61/14, IHR 2016, 207. 941 Emde BB 2017, 1289. 942 AA Ströbl BB 2013, 1027 (1028), der die Stammkundeneigenschaft erst mit der ersten (ggf. automatischen) Verlängerung des Rahmenvertrages begründet sehen will. Aber der Rahmenvertrag begründet bereits eine „Geschäftsverbindung“ und es kann erwartet werden, dass ein Telefoninhaber das Telefon nutzen wird. Das ausgleichsrelevante Nutzungsentgelt ist bekannt und ggf. gem. § 287 ZPO zu schätzen. Bei Vereinbarung einer Flatrate oder einer Grundgebühr ist zumindest dieser Betrag ausgleichsrelevant. 943 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285). 281

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Zum Folgeproblem, ob die Provision die Werbung der Geschäftsverbindung bereits abgilt, s. Rn 294 zur Einmalprovision.

162 bb) Personelle Komponente. Ebenso wenig müssen mehrere Stammkunden geworben sein; es genügt ein einzelner Kunde.944 Die Existenz einer Geschäftsverbindung kann aus Indizien hergeleitet werden, etwa aus der Erteilung von Einzugsermächtigungen,945 die auf eine längerfristige Geschäftsverbindung deuten. Ein Kunde kann zur selben Zeit oder nacheinander bei mehreren Unternehmern Mehrfachkunde sein,946 zudem auch beim Unternehmer und HV gleichzeitig.947 Jeder Kunde, der beim Unternehmer innerhalb einer akzeptabler Frist nach dem Erstgeschäft ein Zweitgeschäft getätigt hat, wird (Vermutung) auch in Zukunft Geschäfte tätigen.948 Diese Vermutung kann widerlegt werden: Nicht zwingend jeder Zweitkäufer muss als Stammkunde zu qualifizieren sein. Vielmehr hängt dies von branchenüblichen Besonderheiten ab.949 Auch bei einem Outlet-Center kann es Stammkunden geben, selbst wenn das Center außerhalb des Ortskerns liegt.950 Es handelt sich bei der Suche nach der Geschäftsverbindung um eine Zukunftsprognose. Nicht erforderlich ist es deshalb, dass die Nachbestellungen bis ins letzte oder vorletzte Vertragsjahr hineinreichen, wenn gleichwohl eine Prognose spätere Nachbestellungen erwarten lässt.951 Nur das Verhältnis des Unternehmers zu einem neu zugeführten Kunden während des HV-Vertrages zu einem solchen von gewisser Dauer geworden sein, in welchem es (vermutlich) zu Nachbestellungen kommt. Wie allgemein die Kundeneigenschaft ist die Geschäftsverbindung nicht streng personen163 bezogen952 sondern wirtschaftlich-faktisch bzw. mit kaufmännischer Betrachtung zu bestimmen.953 Im Grundsatz gilt allerdings: Verträge des Unternehmers mit einem anderen Zweitkunden als dem Erstkunden können eine Stammkundeneigenschaft nicht begründen.954 Tatsächlich haben Rspr und Literatur erhebliche Abweichungen von diesem Grundsatz anerkannt: Für die Schaffung einer Geschäftsverbindung genügt auch die Werbung Dritter, die eigenverantwortlich Produkte des Herstellers bestellen, auch wenn deren Bestellungen aufgrund des vom Unternehmer gewählten Vertriebssystems nicht direkt beim vertretenen Unternehmer, sondern nur über zwischengeschaltete Großhändler erfolgen (3stufiger Vertriebsweg). Eine Neukundenwerbung nach § 89b Abs. 1 setzt somit nicht zwingend voraus, dass zwischen dem vom HV akquirierten Kunden und dem vertretenen Unternehmer unmittelbare vertragliche Beziehungen entstanden sein müssen.955 Der Mehrfachkundeneigenschaft steht auch nicht entgegen, dass der Händler die Waren nicht direkt beim Hersteller, sondern bei einem anderen Vertragshändler bezogen hat.956 Ferner werden Familien- und Betriebsangehörige des Mittlers in den Kreis ausgleichsbedürftiger Mehrfachkunden einbezogen.957 Wenn geschäftsführende Gesellschafter eines Vertragshänd944 945 946 947

OLG Hamburg DB 1980, 972; Hopt § 84 Rn 15. BGH, Urt. v. 28.2.1977 – II ZR 52/75, NJW 1977, 1916 (1917). BGHZ 42, 244 (247); BGH ZIP 1997, 1832 (1837); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 90 ff. BGH, Urt. v. 15.10.1964 – VII ZR 150/62, BGHZ 42, 244 (247) = NJW 1965, 247; Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66 = ZIP 1997, 1832 (1837). 948 BGH ZIP 1987, 1383 (1386). 949 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt. 950 LG München I, Urt. v. 23.12.2016 – 10 O 16326/14. 951 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 20. 952 AA wohl OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763 („personen-, nicht familienbezogen“); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 92. 953 Döpfer EWiR 2009, 180. 954 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 90. 955 OLG Bamberg, Urt. v. 19.11.2008 – 3 U 44/08, EWiR 2009, 179 (Döpfer). 956 OLG Köln VersR 2002, 437 (438). 957 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 91; aA wohl Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 92. Emde

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lers zugleich – mit einem Dritten – Gesellschafter des Kunden sind, steht dies der Zurechnung der Rabatte jenes Stammkunden in die Ausgleichsbemessungsgrundlage schon deshalb nicht entgegen, weil es sich beim Kunden um ein rechtlich selbständiges Unternehmen handelt.958 Eine familiäre oder betriebliche Bindung darf nicht überbewertet werden. Ist der Kunde mit dem Produkt zufrieden, bleibt die Vertragsbeziehung für den Unternehmer auch nach Ende des Mittlervertrages erhalten.959 Deshalb werden auch Familienangehörige oder andere dem Erstkäufer nahe stehende Personen als Zweitkäufer, also wie ein einziger Wiederholungskäufer behandelt. Mithin wird der Zweitkäufer dem Erstkäufer und vice versa zugerechnet,960 etwa Mutter und Sohn,961 Ehemann und -frau bzw. gemeinsames Kind, Einzelkaufmann und Geschäftsführer einer GmbH962 oder Geschäftsführer einer Gesellschaft und Gesellschaft. Insoweit hatte der BGH zum Kfz-Vertragshändlerrecht zunächst entschieden, dass ein berücksichtigungsfähiger Mehrfachkundenverkauf auch dann vorliegt, wenn das 2. Fahrzeug auf den Ehegatten oder einen nahen Angehörigen des Käufers des Erstfahrzeugs zugelassen wurde, da derartige Gestaltungen – beispielhaft genannt – in erster Linie durch steuerliche oder versicherungsrechtliche Überlegungen bestimmt seien.963 Diese im Bereich der Zulassung angenommene Privilegierung des Näheverhältnisses lässt sich übertragen auf den Fall, dass nicht nur die Zulassung des 2. Fahrzeugs auf den Ehegatten oder nahen Angehörigen erfolgt, sondern dieser bereits den Kaufvertrag über das Fahrzeug schließt. Denn der Kaufentschluss des Nacherwerbers kann angesichts seiner engen familiären Verbindung mit dem Vorkunden auf die dem Abschluss des Kaufvertrags mit diesem vorangegangene Tätigkeit des Händlers zurückzuführen sein.964 Die gleichen Voraussetzungen dürften bei dem Zweitkauf eines nahe verbundenen Unternehmens gelten, etwa einer Schwestergesellschaft. Für die Erweiterung des Stammkundenkreises über den Käufer hinaus auf nahestehende Personen ist bedeutsam, ob der zum Erstgeschäft führende Einfluss sich typischerweise auch für die Kaufentscheidung des Folgegeschäfts auswirkt,965 was bei nahen Angehörigen wohl vermutet werden darf. Eine häusliche Gemeinschaft der Familienmitglieder wird nicht notwendigerweise gefordert.966 Verlangt man sie, gibt die Anschriftengleichheit ein Indiz für eine häusliche Gemeinschaft.967 Bloße Tätigkeit bei derselben Firma reicht nicht aus.968 Das Entstehen einer Geschäftsverbindung ist für jeden Kunden separat zu prüfen. Selbst 164 wenn nur zu einem Kunden eine Geschäftsverbindung nachweisbar wäre, bliebe sie ausgleichspflichtig, falls der Unternehmer aus ihr erhebliche Vorteile gewönne. Weder der Plural bei der Bezeichnung „neue Kunden“ in § 89b Abs. 1 Nr. 1 noch der Begriff der „erheblichen Vorteile“ fordert eine ohnehin kaum bestimmbare Mindestgröße des Kundenstammes oder eine bestimm958 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 21 f. 959 OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); offengelassen von BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, ZIP 1996, 1294 (1299). 960 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 19 – Kfz-Vertragshändler; Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, ZIP 1996, 1294 (1299); aA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 92. 961 OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (Kfz); OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); dort allerdings wegen fehlender häuslicher Gemeinschaft abgelehnt. 962 OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (Kfz); Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 26. 963 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2302 unter B II 2 a. 964 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 19 – Kfz-Vertragshändler. 965 OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 10.7.2007 – 5 U 62/06, BeckRS 2008, 13897 – Kfz; OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 – Kfz. 966 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 19 – Kfz-Vertragshändler; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 91; aA OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 – Kfz-Vertragshändler. 967 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 – Kfz. 968 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz. 283

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te Anzahl von Wiederholungskäufen.969 Auch im Rotationsvertrieb werden nur diejenigen Kunden in die Ausgleichsberechnung einbezogen, bei denen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums üblicherweise mit Nachbestellungen zu rechnen ist.970 Dabei ist anhand der Entwicklung in der Vergangenheit – ggf. in anderen Bezirken – zu prüfen, welcher Anteil der Gesamtumsätze auf Mehrfachkunden entfiel.971

165 cc) Prognose bei Vertragsende. Ob Nachbestellungen zu erwarten sind, ist im Wege einer Prognose bei Vertragsende nach den gewöhnlichen Umständen zu prüfen. Ungewöhnliche, kaum zu erwartende Ereignisse sind nicht zu antizipieren. So ist etwa nicht zu erwarten, das gekaufte, grundsätzlich ohne Nachbestellwahrscheinlichkeit erworbene Fertighaus werde durch einen Wirbelsturm oder Meteoriteneinschlag zerstört oder ein gewöhnlich zwanzig Jahre existierendes Elektrogerät werde ausnahmsweise schnell verschleißen.

166 d) Potentielle Mehrfachkunden. Der HV erhält die Ausgleichsvergütung für die Herstellung der Geschäftsverbindungen. Folglich wird diskutiert, ob er bereits bei Vertragsende Geschäftsbeziehungen hinterlassen muss, d. h. Mehrfachkunden, oder ob es ausreicht, wenn bei Vertragsende zu prognostizieren ist, dass der Kunde zum Mehrfachkunden wird. Für die erste Auffassung spricht, dass der HV bei Vertragsende seinen Teil der Gegenleistung, den Aufbau des Kundenstammes, erbracht haben (§ 362 BGB) und der Vorteil aus der Geschäftsverbindung deshalb zum Zeitpunkt des Vertragsendes bestehen muss. Für die Gegenansicht streitet, dass es sich bei der Prognose um eine Zukunftsbetrachtung (Aussicht972) handelt und die Vorteile daher zukunftsbezogen zu bestimmen sind. Bei einer zukunftsbezogenen Betrachtung müssten jedoch auch zukünftige Geschäftsbeziehungen ausgleichsfähig sein, sofern der HV für ihre Herstellung vertragsbegleitend (mit)ursächlich war: Der HV hätte vertragsbegleitend erfüllt. Nur der Erfolg setzt erst einige Zeit nach Vertragsende ein. Nicht nötig wäre es dann, dass bereits bis zum Vertragsende mehrere Geschäfte getätigt wurden. 167 Die h. M. favorisiert im Ergebnis die zweite Alternative973: Für die Ausgleichsfähigkeit ausreichend ist, dass der Kunde vermutlich zukünftig Mehrfachkunde sein wird. Denn auch bei Einmalkunden kann die Geschäftsverbindung bereits durch das erste Geschäft so sicher geworden sein, dass die begründete Aussicht auf ein Folgegeschäft besteht.974 Selbst ein Stamm von Einmalkunden kann unter diesem Gesichtspunkt ausgleichspflichtig werden. Die Anerkennung eines ausgleichspflichtigen Provisionsanteils für zu erwartende Mehrfachkunden setzt aber voraus, dass aufgrund der Gegebenheiten während des bestehenden Vertrages hinreichend sichere, möglichst (aber nicht notwendig) auf den Einzelfall bezogene, konkrete Anhaltspunkte für Folgegeschäfte mit bisherigen Einmalkunden innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes bestehen. Vergütungen aus Einmalgeschäften werden also ausgleichspflichtig, sofern in Zukunft erwartet werden kann, dass zu den betroffenen Einmalkunden Geschäftsverbindungen entstehen – sie also zu

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 14. BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668 (2669) unter 3a. BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668 (2670) unter 3b. Hopt § 89b Rn 12. BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 18; Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BGHZ 135, 14 = NJW 1997, 1503 (1504) = ZIP 1997, 841 (842) – Kfz-Vertragshändler (nach beiden Entscheidungen jedenfalls bei langlebigen Wirtschaftsgütern; die Einschränkung dürfte überflüssig sein); v. 31.1.1991, NJW-RR 1991, 1050 (1052) – Kfz; v. 2.7.1987, NJW-RR 1988, 42 = WM 1987, 1462 = ZIP 1987, 1383 – Kfz; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 93; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 818; Hopt § 89b Rn 12 („voraussichtlich abschließen werden“); aA noch BGH, Urt. v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242 (1243). 974 Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/88, 3; aA Hollmann BB 1985, 1023 (1032) – Kfz.

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Mehrfachkunden werden.975 Davon darf je nach dem Erfolg der Stammkundenwerbung sowie der Branchenverhältnisse bei einem bestimmten Prozentsatz der Einmalkunden ausgegangen werden, insb. bei Produkten, die regelmäßig mehrfach erworben werden (Vermutung). Beispiel: Der HV warb für eine Vorauflage Anzeigenkunden; diese schalten nach Ende des HV-Vertrages Folgeanzeigen. Nicht vorausgesetzt wird, dass der HV während der Vertragsdauer überhaupt einen Mehrfachkunden warb. Allerdings knüpft sich daran regelm. die Vermutung, aus einem Teil der Einmalkunden könnten Mehrfachkunden generiert werden. Der Anteil potentieller Mehrfachkunden ist entweder gem. § 286 ZPO,976 notfalls gem. § 287 ZPO,977 zu bestimmen, etwa durch Sachverständigengutachten.978 Aufgrund einer pauschalierenden, an der Entwicklung der Vergangenheit ausgerichteten Betrachtungsweise darf abgeschätzt werden, wie viele der bereits geworbenen Kunden während des Prognosezeitraums Stammkunden geworden wären.979 Der BGH980 sowie das OLG Saarbrücken981 haben eine Erhöhung der Ausgleichsbemessungsgrundlage um 2/3 der um verwaltende Anteile bereinigten Erträge des letzten Jahres aus Verkäufen an Einfachkunden für angemessen gehalten, der BGH982 ein anderes Mal eine Erhöhung der Rabatte aus Käufen der Erwerber, welche mindestens 2 Mal Vertragswaren erwarben, um 30 %. Das OLG Düsseldorf berechnete eine Zuwanderungsquote von 8 %, welche die Abwanderungsquote von 10 % faktisch ausglich.983 Graf v. Westphalen984 nimmt eine Quote potentieller Mehrfachkunden von 1/3 bis zum eineinhalbfachen der für Mehrfachkunden errechneten Quote an, die hinzuzurechnen sei. Zur Bestimmung des Anteils potenzieller Mehrfachkunden kann auch konkret dargelegt werden, welcher Anteil der Erstkunden in den vergangenen Jahren zu Mehrfachkunden wurden.985 Der Berücksichtigung potentieller Mehrfachkunden ist – wohl nicht nur bei häufig angeschafften langlebigen Wirtschaftsgütern986 – zuzustimmen. Die betroffenen Einmalkunden müssen im Ausgleichsprozess namentlich nur als Einmalkunden benannt werden. Nicht möglich oder erforderlich ist es hingegen zu benennen, welcher dieser Kunden zukünftig Mehrfachkunde werden wird. Das folgt aus dem Prognosecharakter der zukünftigen Mehrfachkundeneigenschaft. Der Münchner Formel des LG München I zum BMW-Vertrieb (s. u. zur Berechnung des Ausgleichanspruches des Kfz-Vertragshändlers) ist beizupflichten, derzufolge auch (potenzielle) Einmalkunden ausgleichsrelevant sein können. Die bloße Chance des HV, bei Fortbestand des Vertrages weitere Neukunden zu werben, ist hingegen nicht zu berücksichtigen.987 Denn zukünftige Geschäftsbeziehungen, deren Existenz noch dazu unsicher ist, sind ausgleichsunfähig. Das schließt es jedoch nicht aus, nach der Novelle 2009 die mangelnde Mög-

975 BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 18 (Werkzeugmaschinen-HV); Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BGHZ 135, 14 = NJW 1997, 1503 (1504) = ZIP 1997, 841 (842) – Kfz-Vertragshändler; v. 31.1.1991, NJW-RR 1991, 1050 (1052) – Kfz; v. 2.7.1987, NJW-RR 1988, 42 = WM 1987, 1462 = ZIP 1987, 1383 – Kfz; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763 (Kapitalanlagen); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 99; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 818. 976 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 96 („bei Massengeschäften“). 977 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 96 („bei Massengeschäften“). 978 BGH, Urt. v. 5.6.1996, ZIP 1996, 1299; 1997, 841; ebenso Westphal MDR 1996, 130; Emde DStR 2009, 1481 (zur Bestätigung dieser Rspr. im Lichte der vom EuGH aufgestellten HV-freundlichsten Auslegung der Artt. 17–19 RL); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 99. 979 OLG Köln, Urt. v. 23.2.1996 – 19 U 114/95, BB 1997, 2452, Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 99. 980 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2301) – Kfz. 981 OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). 982 Urt. v. 2.7.1987, NJW-RR 1988, 42 = WM 1987, 1462 = ZIP 1987, 1383 – Kfz. 983 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 984 DB-Beil. 7/88, 3 (für den Kfz-Vertrieb). 985 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1504). 986 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 99; aA wohl BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BGHZ 135, 14 = NJW 1997, 1503 (1504) = ZIP 1997, 841 (842) – Kfz-Vertragshändler. 987 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1504) – Kfz; BGHZ 34, 310 (314); OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 (332) = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers; Ebenroth/Löwisch2 § 89b Rn 91. 285

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lichkeit, neue Kunden zu werben, unter dem Gesichtspunkt der Billigkeitserwägungen ausgleichserhöhend wirken zu lassen.988 168 Die Abwanderungsquote der Kunden sowie die Zuwanderungsquote potentieller Mehrfachkunden sind unabhängig voneinander zu bestimmen. Es gibt keinen Automatismus, demzufolge bei fehlendem Abzug einer Abwanderungsquote eine Berücksichtigung potentieller Mehrfachkunden nicht erfolgt. Das gilt insb., wenn die Kundenabwanderung gering oder nicht vorhanden ist. Häufig wird aber zu vermuten sein, dass sich beide Quoten, nur auf unterschiedlichen Seiten der „Bilanz“, entsprechen. Ist das anzunehmen, darf bei fehlendem Abzug einer Abwanderungsquote kein Anteil potentieller Mehrfachkunden der Ausgleichsbemessungsgrundlage hinzugesetzt werden (sonst Doppelberücksichtigung der potentiellen Mehrfachkunden).989

169 e) Folgegeschäfte. Grundsätzlich muss der HV für das Folgegeschäft mitursächlich geworden sein. Dabei müssen bestimmte Anforderungen an das (potentielle) Zweitgeschäft gegeben sein, nämlich in persönlicher Hinsicht (dazu oben unter dem Stichwort „Kunde“) sowie in zeitlicher und sachlicher Hinsicht.

170 aa) Zeitliche Hinsicht (Wiederholungsintervall). Nicht jeder Zweitkauf lässt einen Kunden zum Stammkunden werden. Welcher Zeitraum bei der Prüfung, ob eine Geschäftsverbindung besteht, zugrunde zu legen ist, hängt von dem Gegenstand des Geschäfts und den branchenüblichen Besonderheiten ab.990 Wiederholungsgeschäfte eines typischen Laufkunden können die Stammkundeneigenschaft erst begründen, wenn sich eine feste geschäftliche Bindung an den Unternehmer und sein Produkt feststellen lässt.991 Bei Alltagsgeschäften ohne große Kundenbindung gelten andere Maßstäbe als bei persönlicherer Kundenbindung. Das Wiederholungsintervall für Folgegeschäfte ist bei häufig wiederkehrenden Verbrauchsgeschäften, etwa dem Kauf von Lebensmitteln,992 kleiner zu bemessen als bei Geschäften über langlebige Wirtschaftsgüter.993 Außerdem müssen mehrere Geschäfte die hier flüchtigere Kundenbindung dokumentieren. Allerdings sollen mehr als gelegentliche Folgegeschäfte nicht erforderlich sein, um eine Geschäftsverbindung zu begründen.994 Zumindest bei 2 Geschäften im Basisjahr liegt meist eine Geschäftsverbindung vor;995 ebenso bei einem Zweitgeschäft im Basisjahr und einem weiteren Geschäft innerhalb eines angemessenen Zeitraums zuvor.

988 Emde DStR 2009, 1478 (1481). 989 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 99; vgl. auch OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (Kfz), das bei fehlender Berücksichtigung der Abwanderungsquote die potentiellen Mehrfachkunden nicht berücksichtigen will.

990 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 24 (Tankstellen-HV); v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 (Tankstellen-HV). 991 BGH, Urt. v. 11.10.1990 – I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156 (157); v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BGHZ 135, 14 = ZIP 1997, 841, 842; v. 19.5.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 (1097); v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499 zum Tankstellenvertreter; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 96; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 23; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 67; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5. 992 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt. 993 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 21 (Tankstellen-HV); v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, VersR 2008, 214 Rn 37; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499 II 1a; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 94. 994 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 Rn 20 (Tankstellen-HV). 995 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 23 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 26.2.1997, NJW 1997, 1503 = ZIP 1997, 841 (844), unter C II 1b, insoweit nicht in BGHZ 135, 14 abgedruckt. Emde

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171 Beispiele: Autovermietungsgeschäft: wer mindestens zwei Mietverträge in den letzten beiden Vertragsjahren abgeschlossen hat.996 – Kfz-Neuwagengeschäft: ein Zweitkauf, unabhängig davon, ob er sofort oder binnen 5–8 Jahren erfolgt.997 – Online-Hotelportal: Hat ein Hotelportal innerhalb von zwei Jahren an eine Person zwei oder drei Buchungen vermittelt, dürfte von einer Mehrfachkundeneigenschaft auszugehen sein.998 – Prepaid-Telefonkarten: drei- oder vier Prepaid Geschäfte pro Jahr.999 – Tankstellen-Shop-Vertrieb als Alltagsgeschäft: vier Käufe binnen einer Zeitspanne von einem Jahr.1000 – Vertrieb von Tiefkühlprodukten in einer sehr weiten Produktpalette, ausgehend von Artikeln, wie beispielsweise Brötchen, welche zu den Grundnahrungsmitteln zu zählen sind, über Fertiggerichte, bis hin zu Konditoreiwaren und Eis, drei und mehr Einkäufe im Basisjahr auszugehen. – Sonderpostenmarkt, der jährlich vier von der Jahreszeit abhängige Kollektionen vertreibt, wenn der Kunde einmal im Quartal, d. h. 4 mal jährlich einkauft.1001 Folglich sind in Branchen mit flüchtigem Kundenstamm besonders strenge Anforderungen an die 172 Stammkundeneigenschaft zu stellen, und zwar immer bei häufig getätigten Geschäften des täglichen Lebens, etwa im Tankstellengeschäft (s. u.) oder bei Reisebüros: Gerade wenn dort Produkte verschiedener Unternehmer vertrieben werden, soll die wiederholte Buchung bei demselben Reiseveranstalter regelmäßig kein ausreichendes Indiz für eine ausgleichsfähige Geschäftsverbindung sein, die erst angenommen werden soll, wenn die Entscheidung des Kunden für das abzunehmende Produkt durch die Person des Herstellers, Anbieters oder Unternehmers zumindest mitbestimmt wird.1002 Aber auch in solchen Fällen wird es auf die Verhältnisse des Einzelfalles ankommen. Außerhalb dieser Sonderfälle kann auch ohne längerfristige Kundenbindung leitbildartig bei mindestens einem1003 Folgegeschäft der Vergangenheit binnen des üblichen Nachkaufintervalls oder generell bei Mehrfachkunden1004 eine Vermutung für den Abschluss weiterer Geschäfte und eine bestehende Geschäftsverbindung existieren, sofern dieses Zweitgeschäft, was im Regelfall zu vermuten ist, auf die im Gesetz geforderte dauerhafte Geschäftsverbindung schließen und künftige Folgegeschäfte erwarten lässt.1005 Deshalb beschränkt sich die Ausgleichsberechnung der Praxis häufig auf Kunden, die bereits in der Vergangenheit wiederholt gekauft ha–

996 LG Hamburg, Urt. v. 22.3.2013 – 418 HKO 97/10. 997 BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 11 (5 Jahre); Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, DB 1997, 871 = NJW 1997, 1503; Westphal DB 2010, 1333 (1335); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 94. 998 Emde/Valdini BB 2016, 899 (903). 999 Ströbl BB 2013, 1027 (1028) – wohl etwas zu hoch gegriffen, zwei bis drei Geschäfte pro Jahr dürften u. U. auch genügen. 1000 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 24 (Tankstellen-HV); v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 (Tankstellen-HV); v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 21; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 20. 1001 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126). 1002 BGH, Urt. v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242 (1243); v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66 = DB 1997, 1832 (1834); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 96. 1003 BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 90. 1004 OLG Frankfurt, Urt. v. 19.6.1972, BB 1973, 212; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 21. 1005 BGH, Urt. v. 11.10.1990 – I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156 (157); v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BGHZ 135, 14 = NJW 1997, 1503 = ZIP 1997, 841 (842) – Kfz-Vertragshändler; v. 19.5.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 (1097); Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 90; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 23; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 67; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5. 287

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ben, denn der HV ist für die Existenz der Geschäftsverbindungen als Ausgleichsvoraussetzung grundsätzlich beweispflichtig. 173 Wird bei Untypik des Basisjahres die durchschnittliche Jahresprovision eines mehrjährigen Zeitraums der Ausgleichsberechnung zugrunde gelegt, sind alle Kunden Mehrfachkunden, die in den 5 Jahren vor dem jeweils in dem Mehrjahreszeitraum getätigten Zweitkauf einen Erstkauf vornahmen.1006 Selbst eine unter Umständen mehrjährige Zeitspanne fehlender Bestellungen unterbricht die Geschäftsverbindung nicht, wenn zwischen den einzelnen Aufträgen längere Zeiträume üblich sind. Dies ist der Fall bei langlebigen Verbrauchsgütern, wie Kfz und Elektromaschinen, sofern der Intervall das Entstehen einer Geschäftsverbindung nicht ausschließt und mit weiteren Aufträgen des Kunden gerechnet werden darf. Der Nachweis der zu erwartenden Geschäftsverbindung gestaltet sich in solchen Konstellationen allerdings schwierig, falls Erfahrungswerte der Vergangenheit im konkreten Geschäftsverhältnis fehlen. Hier können branchenbezogene oder vergleichbare Statistiken gem. § 287 ZPO helfen.1007 Die Rechtsprechung hat den Nachweis der ausgleichsbegründenden Umstände durch Statistiken, z. B. in den Tankstellenurteilen (s. u. zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Tankstellen-HV), gestattet. 174 Mehrfache, eigenständig gefasste Kaufentschlüsse des Kunden sind nicht erforderlich. Sofern die Kundenbindung nicht tendenziell flüchtig ist, bleibt der Abstand zwischen mehreren Käufen unerheblich, solange nach den Gegebenheiten der Branche mit Folgegeschäften gerechnet werden kann.1008 So kann der gleichzeitige Erwerb zweier Produkte des Unternehmers am selben Tag die Stammkundeneigenschaft (Sammelbestellung) begründen1009 und beide Geschäfte fließen in die maßgeblichen Vergütungen des Basisjahres ein.1010 Es darf davon ausgegangen werden, dass dem Hersteller gleichwohl erhebliche Vorteile nach Vertragsbeendigung verbleiben, ebenso wie bei einem Kunden, der in nicht unerheblichen Zeitabständen erwirbt.1011 Nach einer Minderansicht soll ein Käufer, der am selben Tag zwei Produkte – hier Kfz – erwarb, noch kein gesteigertes Vertrauen in den Mittler bewiesen haben, so dass es sich rechtlich um einen Einfachkäufer handeln soll.1012

175 bb) Sachliche Hinsicht. Wie dargestellt, werden Erst- und Zweitkauf im Regelfall ein gleiches oder vergleichbares Produkt betreffen. Das TB-Merkmal darf aber nicht zu eng gezogen werden; die Vergleichbarkeit ist aus der jeweils relevanten Kundensicht heraus zu bestimmen. Regelmä-

1006 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2498) Rn 28 – Vertragshändler.

1007 BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (935) = BB 1975, 1409 zu II.; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 34; Genzow IHR 2014, 133 (135).

1008 Ahle DB 1963, 1703; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 95; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 67. 1009 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 25 f. – Kfz-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 23 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler, v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/ 95, NJW 1997, 1503 = ZIP 1997, 841 (844), unter C I 1c, insoweit nicht in BGHZ 135, 14 abgedruckt; v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, ZIP 1996, 1299 (1304) = NJW 1996, 2298 (2301); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler, 2 Kfz-Käufe an einem Tag); v. 30.1.2001 – 5 U 173/99, HVR Nr. 954; Hübsch/ Hübsch WM 2005 Sonderbeil. Nr. 1 zu Heft 9, S. 12; Hopt § 89b Rn 12; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 95; aA BGH NJW 1974, 1242 für Reisebürokunden (vielleicht aufgrund der Besonderheiten der Reisevermittlung gerechtfertigt); LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08, n. v. (Kfz) bei Käufen an einem Tag oder innerhalb eines Zeitraumes von weniger als einer Woche – aber dann müsste bei Verträgen mit einer Dauer von weniger als einer Woche nie ein Ausgleich geleistet werden; Rittner DB 1998, 457. 1010 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 26 (Kfz-Vertragshändler). 1011 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 25 f. – Kfz-Vertragshändler; v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2301). 1012 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 19.12.2003 – 5 U 227/02; v. 10.7.2007 – 5 U 63/06; 5 U 62/06. Emde

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ßig handelt es sich um dieselben Vertragsprodukte. Das ist aber nicht zwingend.1013 So genügt der Kauf des Kfz einer anderen Marke desselben Konzerns,1014 wobei auch Vorführwagen und teilweise Gebrauchtwagen als ausreichender Vorkauf angesehen werden, obwohl es sich nicht um Vertragsprodukte handelt. Beim Vertrieb von Kapitalanlagen reicht der Kauf einer 2. Kapitalanlage innerhalb des maßgeblichen Zeitraums; es muss nicht nach verschiedenen Kapitalanlagen differenziert werden.1015 Durch den Abschluss eines Vertrages über ein vergleichbares Produkt wird die Stammkundeneigenschaft also ebenfalls begründet.1016 Erforderlich ist immer, dass es sich um ein Geschäft handelt, dass nach dem Vertriebsvertrag oder einen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Vorgänger- oder Folgevertrag (wichtig, bei einem Übergang von der Vertragshändler- zur HV-Tätigkeit und vice versa), zu schließen (vertragsgemäß) war. Aus bloßen Nebengeschäften oder Hilfsgeschäften des Einmalkunden mit dem Unternehmer, wie sie beim Erwerb von betriebsnotwendigem Zubehör oder Ersatzteilen vorliegen sollen,1017 soll im Regelfall noch nicht auf eine Stammkundenverbindung geschlossen werden dürfen.1018 Dies ist zweifelhaft, kann aber insb. nicht gelten, falls das betreffende Produkt ebenfalls der Vertriebspflicht unterliegt und dem Hauptprodukt vergleichbar ist.

f) Abriss der Geschäftsverbindung. Ist die Geschäftsverbindung abgerissen, so dass bei 176 wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht mehr mit Nachbestellungen aus der laufenden Geschäftsverbindung zu rechnen ist, ohne dass Bemühungen erforderlich wären, die der Werbung eines Neukunden entsprechen, gilt der Kunde ausgleichsrechtlich nicht mehr als Alt- sondern als Neukunde, wenn er vom HV geworben wurde.1019 Neu kann daher ein früherer Kunde sein, der vor der Tätigkeit des HV abgesprungen und zu einem anderen Lieferanten übergegangen war, von dem HV aber für den Unternehmer zurückgewonnen wurde, auch ein Kunde, der wegen eigenen Geschäftsrückganges längere Zeit keine Bestellung mehr aufgeben konnte, sofern der HV ihn erneut wirbt (also kein Neukunde bei selbständiger Rückkehr). Keine Reaktivierung besteht, wenn die Geschäftsbeziehung lediglich gelockert war und nun wieder intensiviert wird.1020 Neukundenwerbung wurde etwa angenommen: Bei der Neuauflage eines zuletzt 1941 und dann erst wieder 1950 erschienenen Adressbuches, wenn die Geschäftsverbindungen mit den früheren Beziehern abgerissen waren1021 oder beim Abreißen von Geschäftsverbindungen in Folge eines HV-Wechsels oder bei einem Neuaufbau von Geschäftsbeziehungen, die in Folge des Krieges jahrelang still lagen.1022 Ist der Kunde während der Vertragszeit des HV wieder abgesprungen und deckt er nunmehr seinen Bedarf nicht mehr beim Unternehmer unmittelbar, sondern an anderer Stelle, etwa beim Großhandel, so ist die Geschäftsverbindung nicht entfallen, wenn der Kunde über seinen neuen Partner weiterhin die Ware des Unternehmers bezieht. Dies genügt, um die vom HV geschaffene, in einer lediglich auf einen anderen Bezugsweg umgelenk1013 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, ZIP 1996, 1294 (1297); VIII ZR 141/95, ZIP 1996, 1299 (1304) = EWiR 1996, 747 (Westphal); OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Österreich. OGH, Urt. v. 17.1.2012, 4 OB 188/11 t, ZVertriebsR 2012, 203; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 94. 1014 BGH, Urt. v. 5.6.1996, BB 1996, 2265 – Fiat/Lancia. 1015 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 1016 OLG München, Urt. v. 19.9.1990, 7 U 2218/90, HVR Nr. 751; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 94. 1017 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 94. 1018 BGH, Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, ZIP 1987, 1383 (1387); v. 31.1.1991 – I ZR 142/89, NJW-RR 1991, 1050 (1052); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 94. 1019 OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236; OLG Nürnberg BB 1964, 1400; Thume BB 2020, 779 (780); Eberstein 9. Aufl. S. 135; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 70; Hopt § 89b Rn 12. 1020 Fröhlich GWR 2015, 313 (314). 1021 OLG Nürnberg, Urt. v. 19.9.1957, NJW 1957, 1720; ähnlich OLG Nürnberg BB 1964, 1400: 91/2-jährige Unterbrechung. So auch Eberstein9 S. 132: zehnjährige Unterbrechung. 1022 OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.10.1958, NJW 1959, 204. 289

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ten Gestalt lebendig zu erhalten.1023 Bei selten gekauften Gütern ist auch nach einem längeren Intervall die Geschäftsbeziehung nicht abgerissen.1024 Bei Branchen mit volantilem Kundenstamm (Beispiel Babyartikel, die nur benötigt werden, solange das Kind ein Baby ist) ist der Abriss der einzelnen Kundenbeziehung irrelevant, falls ständig neue Kunden hinzukommen und die Aufbauarbeit des Mittlers gerade darauf gerichtet ist, etwa durch den Aufbau und die Stärkung des Markennamens des Unternehmers.

177 g) Beispiele für Bestehen oder Nichtbestehen einer Geschäftsverbindung. Wann eine Geschäftsverbindung entsteht, hängt von den Besonderheiten der jeweiligen Branche ab. Das Entstehen einer Geschäftsverbindung wurde angenommen bei: – einem Autokauf ab einem Zweitkauf;1025 – Abschluss eines auf Dauer angelegten Bezugsvertrages, etwa eines Sukzessivlieferungsvertrages (siehe Rn 99)1026: – Reisebüros nach einer größeren Zahl von Folgegeschäften;1027 – Bei Lotto-HV wurde eine hohe Stammkundenquote von 94 % angenommen. Das Glücksspiel sei kein Gebot der Not oder der Versorgungsnotwendigkeit, sondern – wohlwollend gesehen – eines des Vergnügens, und es werde mit einer gewissen Stetigkeit ausgeübt;1028 – Tankstellenvertretern, sobald innerhalb eines Jahres 4 Tankvorgänge – also durchschnittlich wenigstens einmal pro Quartal – festzustellen sind;1029 – Massenartikeln des täglichen Lebens erst nach einem längeren Zeitraum, ggf. nach Monaten oder Jahren. 178 Eine Geschäftsverbindung wird verneint: – Falls ein Kunde nur viermal im Jahr einen Supermarkt besucht, um dort einige Sachen zu kaufen;1030 – mglw. wenn ein Produkt nur alle drei Jahre aufgelegt wird.1031

179 h) Langlebige Produkte ohne Nachkaufwahrscheinlichkeit. Die Abgrenzung gegenüber dem Einmal-Kunden ist zunächst bei langlebigen Wirtschaftsgütern akut geworden. Sie stellen nicht schon aus ihrer Eigenart heraus die Möglichkeit einer „Geschäftsverbindung“ in Frage. Es wird hier auf die Umstände des Falles ankommen. Bei bestimmten Artikeln und Abnehmern ist das Entstehen einer Geschäftsverbindung jedoch kaum möglich, weil sie nur einmal gekauft zu pflegen werden.1032 Das trifft häufig zu beim Absatz langlebiger Gebrauchsgüter an private Letztverbraucher.1033 Hier ist mit Nachbestellungen des Kunden typischerweise nicht zu rech1023 Anders allerdings OLG Oldenburg BB 1963, 8. 1024 Eberstein 9. Aufl. S. 132. 1025 BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 11; Urt. v. 26.2.1997 – 8 ZR 272/95, NJW 1997, 1503; v. 31.1.1991 – I ZR 141/98, WM 1991, 1513. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 95. BGH, Urt. v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242. Beschl. v. 31.7.2014 – 16 U 68/14, BeckRS 2015, 11000. BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 19 f; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 20; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 16; v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 = VersR 2009, 355; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 42 m. Anm. Emde; OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2008 – 18 U 164/07; LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07; LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08. 1030 Thume BB 2009, 1026. 1031 Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612. 1032 OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236; LG Hannover, Urt. v. 16.7.2019 – 32 O 44/18, ZVertriebsR 2019, 318 Rn 32 m. Anm. Dreyer/Haskamp; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 95. 1033 Buchwald GmbHR 1957, 102.

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nen. Auch ein Anteil potentieller Mehrfachkunden wird hier nicht in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen sein. Zwar sind etwa angesichts der 25-jährigen Lebensdauer von Industriefußböden Aufträge zur vollständigen Erneuerung typischerweise nur mit großem zeitlichen Abstand zu erwarten.1034 180 Das Bestehen einer Geschäftsverbindung wurde verneint bei: – Abonnements von Zeitschriften;1035 – Immobilien1036 – Fertighäusern;1037 – Fenstern;1038 – Lexika;1039 – Grabsteinen im Verkauf an Hinterbliebene; – Ackerwagen für Bauern;1040 – Strickapparaten.1041 Für Möbelkäufe wurde eine Nachkaufwahrscheinlichkeit als möglich angesehen.1042 Auf dem 181 Gebiet hochtechnisierter Anlagegüter für die Bedürfnisse der gewerblichen Wirtschaft hat der Markt seine eigene, von Fall zu Fall sorgfältig zu analysierende Kundendynamik. Grenzfälle sind langlebige Elektroartikel, etwa Staubsauger, Waschmaschinen, Küchenherde, Kühlschränke. Handelt es sich bei dem Abnehmer um jemanden, der die gewöhnlich nur einmal erworbenen 182 Gegenstände mehrfach erwirbt, z. B. einen Großkunden für Immobilien,1043 den Eigentümer mehrerer Grundstücke bei Fertighäusern oder den gewerbsmäßig veräußernden Erwerber, ist das Entstehen von Geschäftsverbindungen über die vertriebenen Produkte möglich.1044 So können bei eigentlich nur einmal erworbenen Häusern, bei denen zukünftige Geschäfte nicht zu erwarten sind, Vorteile bestehen, wenn die Aussicht auf weitere Geschäfte berechtigt ist, so z. B. wenn es dem HV gelingt, zu Beginn einer geplanten umfangreichen Fertighaussiedlung schon für die ersten zwei oder drei Häuser eine besondere, vom Unternehmer wie HV vertriebene Ausstattung an den Ersterwerber zu verkaufen, etwa besondere Haustüren oder Vordächer, und wenn zu erwarten ist, dass weitere Käufer solche ebenfalls erwerben werden.1045 Vorteile können insb. bei expandierendem Geschäft bestehen.1046 So kann bei typischen „Einmalprodukten“ eine Geschäftsverbindung entstehen, wenn sie wiederholt an Großhändler oder expandierende Unternehmen,1047 die sie in hoher Stückzahl benötigen, veräußert werden. Es kommt also nicht auf das Produkt, sondern den Käuferkreis an. Feste Regeln gibt es nicht. Beabsichtigt z. B. ein vom HV gewonnener Auftraggeber, 11–15 Wohnungen zu vermarkten und werden bis zum Ausscheiden des HV tatsächlich 4 oder 5 Wohnungen verkauft, muss davon ausgegangen werden, dass der Auftraggeber ein Mehrfachkunde dergestalt ist, dass nach dem vom HV bis zur Beendigung des HV-Vertrages bewerkstelligten Verkauf eines Teils der Wohnungen der Rest der Wohnungen nach dem Ausscheiden des HV 1034 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 14. 1035 OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236 (zwh., da häufig die verschiedensten Zeitschriften abonniert werden).

1036 LG Hannover, Urt. v. 16.7.2019 – 32 O 44/18, ZVertriebsR 2019, 318 Rn 32 m. Anm. Dreyer/Haskamp. 1037 Thume IHR 2011, 7 (12); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 15. 1038 Colin Stewart Hunter vs. Zenith Windows, Urt. v. 13.6.1997, Case No. 507457; zit. nach Sellhorst EWS 2001, 481; Thume IHR 2011, 7 (12). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 15. BGH, Urt. v. 15.6.1959, NJW 1959, 1677 mit Anm. Schuler NJW 1959, 1677. KG IHV 1957, 623. OLG Hamm DB 1979, 304 – Nachkäufe im Rahmen eines Einrichtungs„programms“. LG Hannover, Urt. v. 16.7.2019 – 32 O 44/18, ZVertriebsR 2019, 318 Rn 33 m. Anm. Dreyer/Haskamp. LG Hannover, Urt. v. 16.7.2019 – 32 O 44/18, ZVertriebsR 2019, 318 Rn 32 m. Anm. Dreyer/Haskamp. Thume IHR 2011, 7 (12/13). Thume BB 2015, 387 (389). BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 14.

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von dessen Nachfolger verkauft werden wird und folglich Unternehmervorteile bestehen. Es sei von weiteren Geschäftsabschlüssen auszugehen, falls ein Auftraggeber über den Makler insg. 7 Wohnungen für sich und seine Firmen gekauft habe und er nach Ausscheiden des HV weiter versuche, Immobilien zu erwerben. Auch für diesen Auftraggeber sei eine Mehrfachkundeneigenschaft anzunehmen.1048 Als ausgleichspflichtige Unternehmervorteile genügen ferner zu erwartende Folgegeschäfte im Reparatur-,1049 Service- oder Wartungsbereich,1050 jedenfalls wenn die Geschäfte provisionspflichtig gewesen wären (Billigkeitsmerkmal der „entgehenden Provisionen“). Es kommt dann nicht darauf an, ob die Geschäfte auf einer neuerlichen Vermittlungstätigkeit des HV beruhen und ob er auch mit der Vermittlung von „Reparaturaufträgen“ vertraglich ausdrücklich betraut gewesen ist.1051 Dass der HV für solche Folgeaufträge uU keine Provision erhielt, ist nach dem Wegfall der Provisionsverluste als zwingendes TB-Merkmal nur noch billigkeitsrelevant. Zusatzgeschäfte zu Dauerschuldverhältnissen seien aber nicht nicht ausgleichsrelevant, sofern sie nicht mit den vom HV vermittelten Kunden geschlossen wurden, sondern mit den jeweiligen Nutzern von Wohneinheiten. Denn die Gewinnung von Dritten genüge nicht als ausgleichsrelevanter Vorteil.1052 Möglicherweise kann auch ein erhöhter Bekanntheitsgrad einen Vorteil bilden.1053

183 i) Beweisfragen. Die Abgrenzung zwischen Stammkundschaft und Laufkundschaft hat in Gewerbezweigen mit anonymen Massenumsätzen, im HV-Bereich, besonders bei Tankstellen und bei Lotto-Annahmestellen, Schwierigkeiten bereitet (zu Tankstellen s. u.). Hier wird, wenn der HV (Tankstellenpächter, Lotto-Einnehmer) nicht schlüssiges, beweismäßig nachprüfbares Zahlenmaterial beizubringen vermag, eine auf Statistiken beruhende Schätzung nach § 287 ZPO zulässig sein.1054 So darf die Stammkundenquote gem. § 287 Abs. 2 BGB auf der Basis eines vom Unternehmer erstellten Coachingbriefs mit 60 % geschätzt werden, in dem von einer „beeindruckend hohen Zahl“ von Stammkunden (54 % der Kunden besuchten die Märkte mehrmals im Monat, weitere 25 % einmal im Monat) berichtet wird.1055 Auch mag eine demoskopische Beweiserhebung Klarheit schaffen.1056

7. Nur vertragsgemäß verdiente Provisionen für die Werbung oder Erweiterung sind ausgleichspflichtig 184 Soweit dem HV bereits während der Vertragsbeziehung keine Provisionen für bestimmte Geschäfte zustanden, ist dem HV hierfür regelmäßig auch kein Ausgleich als vertragliche Gegen-

1048 LG Hannover, Urt. v. 30.6.2015 – 3 O 67/14, zit. n. Evers VW 9/2015, 73. 1049 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 14; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 95. Thume BB 2015, 387 (389); Westphal DB 2010, 1333 (1336). BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 14. OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345 Rn 39. Westphal DB 2010, 1333 (1336). BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 (980) = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107 (Tankstellenvertreter); BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (935) = BB 1975, 1409 zu II. (Glückspielvertreter); OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 34 – Kommissionsagent; Genzow IHR 2014, 133 (135). 1055 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 53 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 34 – Kommissionsagent. 1056 OLG Stuttgart DB 1980, 1539 (1540) für den selbständigen, innerhalb eines Warenhauskomplexes betriebenen und dem Betreiber mietweise überlassenen Verkaufsstand.

1050 1051 1052 1053 1054

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leistung für die Überlassung des Kundenstammes zu zahlen. Das gilt bspw. für noch nicht provisionspflichtige Rahmenverträge, etwa die Vermittlung von Kundenkarten1057: Früher wurden Provisionsverluste verneint, was heute nur noch billigkeitsrelevant sein kann. Vertragswidrig ausgeführte Geschäfte, etwa an einen Wiederverkäufer1058 oder außerbezirkliche Geschäfte,1059 sind folglich nicht ausgleichspflichtig, sofern der Unternehmer sie nicht in Kenntnis ihrer Vertragswidrigkeit akzeptiert.

V. Erhebliche Vorteile des Unternehmers (Tatbestandsmerkmal 3) § 89b Abs. 1 Nr. 1 setzt – insoweit im Einklang mit Art. 17 Abs. 2 lit. a 1. Spiegelstrich RL – 185 voraus, dass der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden „erhebliche Vorteile“ erwerben muss.1060 Dies ist weitere TB-Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs.

1. Bedeutung der Novelle 2009 Auch nach der Novellierung des § 89b müssen Unternehmervorteile bestehen, damit ein Aus- 186 gleichsanspruch zugebilligt werden kann.1061 Die Bedeutung der „Unternehmervorteile“ hat sich aufgrund der Verlagerung des nachfolgenden TB-Merkmals „Provisionsverluste“ in die Billigkeitsabwägung erhöht.1062 Vor der Novellierung des § 89b wurde auf die Berechnung der Unternehmervorteile meist verzichtet.1063 Sie waren praktisch nur bedeutsam, sofern sie die Provisionsverluste unterschritten.1064 Zudem hatte die Praxis im Regelfall zugunsten des HV vermutet, dass die zu erwartenden Unternehmervorteile nicht geringer seien als die Provisionsverluste, solange der Unternehmer hierzu nichts anderes dargelegt hatte (Rn 479 ff. „Vorteile des Unternehmers“). Wurde eine Begrenzung der Vorteile durch die Provisionsverluste antizipiert, gab es keinen weiteren Gedanken an höhere Unternehmervorteile. Deshalb rückten die Unternehmervorteile nur ins Blickfeld der Ausgleichsbewertung, wenn besondere Gründe vorlagen, wie etwa die Geschäftsaufgabe, Vertriebseinstellung der bislang veräußerten Produkte, Wegfall von Stammkunden oder deren Mitnahme durch den HV nach Vertragsende etc.1065 und dann meist als gegenüber den Provisionsverlusten ausgleichsreduzierender Umstand. Bedeutung hat die Novellierung des § 89b insbesondere, wenn die Vergütungsverluste nach Vertragsende relativ gering sind, während der Unternehmer aus dem geworbenen Neukundenstamm erheblich höhere Vorteile ziehen kann.1066

Vgl. BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821 = WM 2003, 2095; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 79 f. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz. Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der Richtlinie auf den HV, COM (96) 364 final, S. 2. So auch Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 RL, COM (96) 364 final, S. 2. Emde DStR 2009, 1478 (1481); Steinhauer EuZW 2009, 887 (888); Westphal DB 2010, 1333 – wobei Westphal – wohl entgegen dem EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, DStR 2009, 759 – davon ausgeht, dass der Ausgleich auch unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht höher als die Unternehmervorteile valutieren kann. 1062 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282: „Dreh- und Angelpunkt“; Genzow IHR 2014, 133; Thume VersR 2012, 665 (668); Koch ZIP 2011, 1752 (1754). 1063 Korte DB 2011, 2761 (2762); Christoph NJW 2010, 647. 1064 Koch ZIP 2011, 1752 (1754); Eckhoff BB 2009, 1609. Wegen der die Fortsetzung des Vertrages unterstellenden Berechnungsweise spielten sie entgegen Genzow IHR 2014, 133 auch keine Rolle, wenn der HV sein Geschäft aufgab oder der Vertrieb der Ware eingestellt wurde. 1065 Koch ZIP 2011, 1752 (1754); Thume BB 2009, 2490 (2491). 1066 Thume IHR 2011, 7 (11); ders. BB 2009, 2490 (2491).

1057 1058 1059 1060 1061

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2. Vorteile 187 Der Begriff wird weder in der RL noch im HGB definiert. Vorteil ist jede wirtschaftliche Besserstellung des Unternehmers aus der geworbenen oder erweiterten Geschäftsverbindung infolge der Tätigkeit des Mittlers. Der HV ist für den Wert des für den Unternehmer aus der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden erwachsenen goodwill zu entschädigen. Folglich braucht kein Ausgleich gezahlt zu werden, falls kein goodwill entstanden ist oder es um eine Kundengruppe geht, aus der der Unternehmer keinen Vorteil ziehen kann.1067 Der Vorteil muss Gegenleistung für bzw. Spiegelbild der Schaffung der Geschäftsverbindungen durch den HV sein,1068mithin aus den geworbenen oder erweiterten Neukundenbeziehungen entstanden sein. Innerhalb dieser Grenzen ist der Begriff der Unternehmervorteile weit zu fassen;1069 ausreichend sind so entstandene Vorteile im weitesten Sinne, etwa aus einer Unternehmensveräußerung (s. o.). Es genügt deshalb jeder mittelbar1070 aus einer solchen Geschäftsverbindung resultierende Vorteil wirtschaftlicher Art.1071 Wie das Beispiel der Unternehmensveräußerung zeigt, braucht der mittelbar entstandene1072 Vorteil personell nicht einmal vom Kunden als vertragliche Gegenleistung der Geschäftsverbindung oder – beim VV oder Bausparvertreter – aus den mit dem Kunden geschlossenen Verträgen zu stammen; es genügt die durch die vertragsgemäße Tätigkeit des HV gewonnene, vorteilsbegründende Leistung eines Dritten, im Falle des Unternehmenskaufes des Käufers. Es müssen geldwerte Vorteile1073 – gleich welcher Art – vorliegen, da sie die Rechtsfolge – Ausgleichszahlungspflicht – begründen müssen. In erster Linie, aber nicht ausschließlich, maßgeblich ist der zu erwartende Umfang der Geschäfte mit den geworbenen (potentiellen) Mehrfachkunden.1074 Davon, dass die Möglichkeit des Unternehmers, Vorteile zu nutzen, mindestens für einen überschaubaren Zeitraum möglich bleiben werde, geht das Gesetz als Regel aus (Beweislast und Vermutungen: Rn 355 ff.); es liegt im Wesen der Geschäftsbeziehung. In „Standardfällen“ erschöpfen sich die Unternehmervorteile in Geschäftsabschlüssen, für die bei Vertragsfortführung Provisionen zu leisten wären.1075 Einen Vorteil aus dem übernommenen Kundenstamm gewinnt der Unternehmer zumindest, wenn er ohne weitere Provisionszahlungspflicht1076 die Geschäftsbeziehung mit dem Kunden über die Beendigung des HV-Vertrages hinaus nutzen und vielleicht sogar ausbauen kann,1077 leitbildartig durch den Abschluss weiterer Geschäfte.1078 Der Mindestvorteil liegt daher gem. § 287 ZPO in den durch die Vertragsbeendigung ersparten Provisionen während des Prognosezeitraums.1079 Doch lässt die Vermutung sich widerlegen. Jener Vorteil ist nicht mehr gegeben, sobald die vom HV gewor1067 Schlussanträge des Generalanwalts Szpuna v. 10.9.2015 – C-315/14, ZVertriebsR 2015, 336, Rn 28. 1068 Hopt § 89b Rn 15. 1069 BGH, Urt. v. 25.4.1960 – II ZR 130/58, NJW 1960, 1292; OLG München, Urt. v. 11.6.1958 – 6 U 1697/57, NJW 1958, 1636; Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 – zum Ausgleich des Bausparkassenvertreters; Pauly MDR 2013, 694 (695); Korte DB 2011, 2761 (2762); Thume IHR 2011, 7 (12); Reinicke NJW 1953, 1611. 1070 Österreich. OGH, Urt. v. 17.1.2012 – 4 Ob 188/11 t, ZVertriebsR 2012, 203; Koch ZIP 2011, 1752 (1754); Thume IHR 2011, 7 (12); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 39. 1071 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 104; Thume BB 2015, 387 (389); Christoph NJW 2010, 647 (650). 1072 Koch ZIP 2011, 1752 (1754). 1073 Thume BB 2015, 387 (389); Christoph NJW 2010, 647 (650). 1074 BGH NJW-RR 1991, 1050; OLG Bremen NJW 1967, 254; OLG Düsseldorf OLGR 2002, 164; Steinhauer EuZW 2009, 887 (888); ablehnend Christoph NJW 2010, 647 (650), der auf den Unternehmergewinn abstellen will. Gewinne des Unternehmers sind ausgleichsrechtlich aber irrelevant. 1075 Korte DB 2011, 2761 (2763). 1076 Canaris § 17 Rn 107. 1077 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 103; Hopt § 89b Rn 15. 1078 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 101. 1079 BGH, Urt. v. 19.11.1979 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45 (49) = NJW 1971, 462; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, ZIP 1997, 1832 (1834); OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = Emde

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benen Kunden nach Beendigung des Vertragsverhältnisses wieder abspringen, wirtschaftlich schwach werden, keine erheblichen Bestellungen aufgeben, etwa weil der vom HV eingeführte patentierte Gegenstand durch neue Patente eines anderen Unternehmers überholt wird, Modeware außer Mode kommt oder ein Konkurrent des Unternehmers günstiger anzubieten vermag. Ein (erheblicher) Vorteil des Unternehmers aus den angebahnten Geschäftsverbindungen liegt auch dann nicht mehr vor, wenn der Unternehmer aus allgemeinen wirtschaftlichen Gründen selbst nicht länger in der Lage ist, die vom HV angebahnten Verbindungen auszunutzen, oder wenn er zur Betriebseinstellung1080 oder -umstellung1081 genötigt ist. Der Vorteil kann längerfristig oder einmalig sein. Beispiele für einmalige Vorteile sind der 188 Erhalt eines nur einmal entstandenen wirtschaftlichen Werts, etwa einer Einmalzahlung, für längerfristige Vorteile laufende Gewinne aus der Fortsetzung der Geschäftsverbindung ohne Provisionszahlungspflicht. Irgendeine Art Differenzrechnung, etwa ein Vergleich zwischen dem vom HV übernommenen und dem von ihm hinterlassenen Kundenstamm, findet nicht statt.1082 Das Risiko, dass Altkunden während der Vertragszeit abspringen, trägt der Unternehmer, so wie es im Blick auf den Ausgleichsanspruch das Risiko des HV ist, ob die von ihm geworbenen Kunden bis zum Ende der Vertragszeit treu bleiben. Wenn Altkunden abspringen, so kann das allenfalls im Rahmen der Billigkeit nach Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ausgleichsmindernd wirken, sofern dies nicht bereits bei der Ausgleichsbemessungsgrundlage berücksichtigt wurde. Sind die neugeworbenen Kunden schon während der Vertragszeit nicht treu geblieben, so kann, falls dieser Umstand auf ein vom Unternehmer dem HV gegenüber zu vertretendes illoyales Verhalten zurückzuführen ist, kraft der daraus resultierenden Schadensersatzpflicht der HV verlangen, für den Ausgleichsanspruch so gestellt zu werden, als sei der Kunde mit den normalerweise zu erwarten gewesenen Abschlüssen beständig geblieben.1083 Auch in anderer Beziehung ist für die Erheblichkeit des Unternehmervorteils der Wert des Neukundenstammes aus sich selbst heraus zu beurteilen. Relationen zum Gesamtumsatz oder Gesamtgewinn des Unternehmens haben als Maßstab auszuscheiden.1084 Eine Umsatzsteigerung ist nicht erforderlich.1085 Umsatz und Gewinn können sogar rückläufig gewesen sein;1086 Gewinn gänzlich fehlen1087 und Verluste1088 existieren: der Neukundenstamm hat sich dann – was als Vorteil genügt1089 – verlustmindernd ausgewirkt, und der Nutzen aus ihm kann insoweit dennoch „erheblich“ gewesen sein.1090 Deshalb muss der Unternehmer u. U. sogar mehr als Ausgleich zahlen, als ihm als Gewinn verbleibt,1091 Härten wären durch die Billigkeitsprüfung zu nivellieren. Eine allgemeine BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt; Reinicke NJW 1953, 1609 (1611); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 107 (aA aber Rn 83); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 71 – weswegen der Ausgleich meist auf der Basis dieses Mindestvorteils errechnet wird (Provisionen des Basisjahres mal Zahl der Jahre des Prognosezeitraums, minus Abwanderung und Abzinsung). 1080 OLG Nürnberg BB 1962, 155 – aber wirtsch. Vorteil, etwa Stilllegungsprämie. 1081 BGH NJW 1959, 1964. 1082 OLG Stuttgart VersR 1957, 329. 1083 Schröder DB 1958, 44 (45). 1084 BGH, Urt. v. 15.10.1964 – VII ZR 150/62, BGHZ 42, 244 (247) = NJW 1965, 248; v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, ZIP 1990, 1197; v. 31.1.1991 – I ZR 142/89, NJW-RR 1991, 1050; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, ZIP 1997, 1832 (1834); Evers VW 2010, 524 (zum VV); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 104; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 8. 1085 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 116; Hopt § 89b Rn 15. 1086 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 116. 1087 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 103; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 74. 1088 Eckhoff BB 2009, 1609 (wohl auch Christoph NJW 2010, 647 [650]). Eckhoff äußert zu Unrecht Zweifel an der Ausgleichsberechtigung im Falle von Unternehmerverlusten. 1089 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 104; Oetker/Busche5 § 89b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 74. 1090 Hoffmann S. 43. 1091 AA Christoph NJW 2010, 647 (650). 295

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Werterhöhung des Unternehmens des Prinzipals oder die in dem Aufbau einer Vertriebsorganisation liegende Bereicherung des Unternehmers ist nicht genügend,1092 weil der Ausgleich lediglich das zu Geschäftsverbindungen führende werbende Element honoriert; Härten können auch insoweit über die Billigkeit ausgeglichen werden. Deshalb ist Ausgangsbasis der Vorteilsprognose im Regelfall nicht der Umsatz oder Gewinn des Unternehmers sondern nach st. Rspr. sind es die dem HV geleisteten Provisionen. 189 Der Vorteil braucht nicht notwendig in der gleichen Art gegeben zu sein, wie er im Falle einer – unterstellt – fortgesetzten Tätigkeit des HV sich dargeboten hätte. Er kann auch anderer Art sein.1093 Ändert der Unternehmer nachträglich sein Vertriebssystem (Belieferung der Kundschaft nunmehr über Vertragshändler), nutzt er den Kundenstamm durch Umwandlung in ein Verarbeitungskontingent1094 oder für Substitutionsprodukte1095 (hier: Wechsel des Zulieferers von Maschinen der Marke „Fiat-Hitachi“ zu solchen der Fiat-Gruppe1096), gehen die übernommenen Stammkunden dazu über, nicht mehr beim Unternehmer unmittelbar sondern dasselbe Produkt über den Großhandel zu beziehen1097: in jedem dieser Fälle bleibt dem Unternehmer der durch die übernommene Stammkundschaft repräsentierte Marktanteil in anderer Form erhalten. Das OLG Braunschweig1098 geht so weit, i. S. e. von ihm entwickelten „Konzerntheorie“ auch die Nutzung des Kundenstammes durch eine Konzerngesellschaft, nachdem das Unternehmen in einen Konzern eingegliedert worden war, dem eingegliederten Unternehmer für die Ausgleichspflicht zuzurechnen.1099 190 Ob der Unternehmer die ihm gegebenen Vorteile, insb. den ihm verbleibenden Kundenstamm an Neukunden, effektiv nutzt, ist unerheblich. Vorteile setzen nur die im konkreten Fall bestehende zumindest potentielle Möglichkeit des Unternehmers voraus, die geschaffenen Geschäftsverbindungen nach Vertragsende auszunutzen.1100 Der Ausgleich kann daher auch entstehen, wenn die Nutzung der Unternehmervorteile weitere Bemühungen des Unternehmers oder eines Dritten voraussetzt.1101 Nicht erforderlich ist eine bestimmte Art der Vorteilsnutzung. Insbesondere braucht der Unternehmer die Vorteile nicht tatsächlich auszuwerten. Ob er einen neuen HV einsetzt oder die Betreuung der Stammkunden in eigene Regie übernimmt, etwa durch angestellte Reisende, ist seine Sache.1102 Mit dem Ausgleich wird nicht der Erfolg sondern die Chance der Nutzung des Kundenstammes durch den Unternehmer vergütet.1103 Der HV hat wie bei allen gegenseitigen Geschäften seinen Teil getan, wenn er erfüllt. Ob sich für den Vertragspartner – hier: den Unterneh-

1092 1093 1094 1095 1096

Christoph NJW 2010, 647 (650). Österreich. OGH, Urt. v. 17.1.2012, 4 OB 188/11 t, ZVertriebsR 2012, 203. BGH NJW 1960, 1292. Österreich. OGH, Urt. v. 17.1.2012, 4 OB 188/11 t, ZVertriebsR 2012, 203. Österreich. OGH, Urt. v. 17.1.2012, 4 OB 188/11 t, ZVertriebsR 2012, 203 – sofern die Substitution nicht als Erweiterung des Angebotssortiment über die vom HV provisionsberechtigt verkauften Produkte hinaus zu verstehen ist. 1097 OLG Frankfurt/M. BB 1973, 212. 1098 NJW 1976, 2022. 1099 Ähnlich auch Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 6 f. (Stilllegung der Betriebsgesellschaft, Übernahme des Betriebs durch deren Muttergesellschaft); EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde) schließt eine solche Zurechnung nicht zwingend aus. 1100 OLG Köln, Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612; OLG Hamm, Urt. v. 11.5.1978 – 18 U 316/76, DB 1979, 304 – Brachliegenlassen des Gebiets; LG Bielefeld BB 1972, 195; OGH Österreich – 9 Ob 32/11p, zit. nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 67; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 40; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 101; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 23; Oetker/Busche5 § 89b Rn 14. 1101 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 40. 1102 OLG Köln, Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612; OLG Hamm, Urt. v. 11.5.1978 – 18 U 316/76, DB 1979, 304; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 89. 1103 OLG Köln, Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/ 06, BeckRS 2010, 04763; v. 12.3.2004 – I-16 U 44/03, OLGR 2004, 275 (277) = HVR Nr. 1085; Österreichischer OGH – Emde

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mer – seine Erwartungen und Motive erfüllen, braucht den HV im Grundsatz nicht zu interessieren. Insbesondere sind Untätigkeit oder Unfähigkeit des Unternehmers keine ausgleichsausschließenden Umstände. Dies gilt aber nur begrenzt. Denn weil das TB-Merkmal „Vorteile“ existiert, muss es irgendwelche geldwerten Vorteile des Unternehmers geben. Da aber die potenzielle Möglichkeit der Nutzung bei Übergabe eines Kundenstammes und damit ein Vorteil i. d. R. bestehen dürfte, muss der Unternehmer zumindest darlegen, dass im konkreten Fall eine solche Nutzungsmöglichkeit nicht bestand. Leitbildartiges Beispiel fehlender Vorteile bildet die Betriebseinstellung des Unternehmers. Hier mangelt es nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls an der potentiellen Nutzungsmöglichkeit, sofern sachliche Gründe für die Nichtfortführung der Kundenbeziehung sprechen.1104 Schon deshalb geht die schlechtere Betreuung durch einen Nachfolger nicht zu Lasten des Vorgängers und ist die vorübergehende, geringere und im Übrigen in der Natur der Sache liegende Geschäftstätigkeit infolge des Ausscheidens des HV irrelevant.1105 Ausbleibende Vorteile sind nur erheblich, soweit der Unternehmer nachweist, dass dies bereits bei Vertragsende absehbar war1106 (Anlagerechtsprechung, Rn 198). Der Mindestvorteil des Unternehmers liegt in der ersparten Provision, die einem „billigeren“ Nachfolger nicht zu zahlen ist;1107 dieser Vorteil besteht häufig, was ebenfalls eine Vermutung für die Existenz von Vorteilen rechtfertigt. Hat der HV auch Leistungen – Courtage – von Dritten erhalten, begründen jene in der Regel keinen Vorteil des Unternehmers. Denn der Unternehmer erhält diese Leistungen nach Vertragsende nicht, sondern allenfalls ein von ihm später eingesetzter Vertriebsmittler. Erspart sich der Unternehmer infolge dieser Drittleistungen eigene Leistungen an den Vertriebsmittler, mögen Vorteile des Unternehmers vorliegen. Sie müssen jedoch vom ausscheidenden HV dargelegt werden, weil es sich um einen Ausnahmefall handelt. Dass der Unternehmer zwecks Pflege des Neukundenstammes seinerseits übliche Kosten 191 oder Aufwendungen hat, liegt in der Natur der ihm zufallenden Chance („potentielle Nutzbarkeit“, s. o.) und kann daher die Erheblichkeit des Vorteils grds. nicht in Frage stellen.1108 Der Vorteil aus dem übernommenen Kundenstamm wird nicht durch die dem Nachfolger-HV gezahlten Provisionen,1109 Rabatte1110 oder einen an ihn zu leistenden Ausgleichsanspruch reduziert.1111 Sie gehören zu den normalen Vertriebskosten des Unternehmers und sind im Preis einkalkuliert, ebenso wie die sonstigen Folgekosten für die Aufrechterhaltung des Vertriebssystems. (Vertriebs-)Kosten fielen auch im Falle eines Eigenvertriebs an. Anderenfalls wäre die Vermutung der Gleichsetzung entgehender Provision mit den Unternehmervorteilen im Regelfall einer Nachfolger9 Ob 32/11 t, zit. nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 67; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 40; Genzow IHR 2014, 133 (135); Thume IHR 2011, 7 (12); Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 23; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 103. 1104 BGH, Urt. v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394 = BGHZ 49, 39; v. 29.6.1959 – II ZR 99/58, NJW 1959, 1964. 1105 OLG Oldenburg BB 1973, 1281; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 113; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 79. 1106 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 103. 1107 BGH, Urt. v. 19.11.1979 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45 (49) = NJW 1971, 462; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, ZIP 1997, 1832 (1834); Reinicke NJW 1953, 1609 (1611); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 107 (aA aber Rn 83); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 71. 1108 BGH NJW 1957, 1028; VersR 1964, 1268; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 40; OLG Nürnberg NJW 1957, 1720. 1109 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 48 – Tankstellen-HV; v. 15.10.1964 – VII ZR 150/62, NJW 1964, 248 (249) = BGHZ 42, 244 (248); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 113, 117. 1110 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2351) Rn 21 – Volvo-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 22 – Volvo-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 19 f. m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 1111 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 22 – Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 19 f. m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) Rn 24; Urt. v. 12.9.2007 – VII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 48; v. 15.10.1964 – VII ZR 150/62, NJW 1964, 248 (249) = BGHZ 42, 244 (248); Hopt § 89b Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 9. 297

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bestellung entwertet; es könnte fast nie ein Ausgleichsanspruch entstehen. Sowohl der Anspruch auf Ausgleich des Vorgängers wie der Provisionsanspruch des Nachfolgers bestehen nebeneinander.1112 Hat der Unternehmer außerordentliche Aufwendungen, um im Konkurrenzkampf den Kunden zu halten (Rabatte), so könnten sie theoretisch seinen Vorteil mindern.1113 Im Ergebnis werden jedoch nur ungewöhnlich hohe, sicher zu erwartende Aufwendungen des Unternehmers den Vorteil reduzieren. Ungewöhnlich hohe Kosten werden eher eine Frage der Billigkeit sein1114 und es sich bei ihnen zudem um „Sowieso-Aufwendungen“ handeln, die auch bei einer Fortsetzung des Vertrages angefallen wären und daher ebenso wenig anzurechnen sind wie im Rahmen des § 252 BGB allgemeine Geschäftskosten auf den Schadenersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns eines konkreten Einzelgeschäftes.1115 Vorteilsreduzierend dürfen zu erwartende Aufwendungen folglich nur wirken, sofern sie sich konkret vertraglichen Vorteilen zuordnen lassen und erheblich sein. Grundsätzlich gilt das Verbot der Doppelbewertung. D. h.: das was bereits die Unternehmervorteile mindert, darf nicht erneut im Rahmen der Billigkeit reduzierend wirken.1116 Auch vom Unternehmer zu leistende Steuern reduzieren den Vorteil nicht, zumal es für den Vorteil irrelevant ist, welche Steuertatbestände der Unternehmer verwirklicht. Als Grundtatbestand wird man daher für die Vorteile sagen können: Entscheidend ist, was der HV in das Unternehmen des Unternehmers trägt. Was dort mit diesen potenziellen Vorteilen geschieht, ist tendenziell eher irrelevant und der vorteilsreduzierende Charakter wäre vom Unternehmer zu beweisen.

3. Erheblichkeit der Vorteile 192 Die Vorteile des Unternehmers müssen „erheblich“ sein. Die Erheblichkeit des Unternehmervorteils kann sich nur nach Umfang und Erwartung der Beständigkeit des vermittelten Neugeschäfts richten, keinesfalls nach dessen Verhältnis zum Gesamtgeschäft des Unternehmers,1117 folglich nach den Verhältnissen des Einzelfalls.1118 Fraglich ist, ob mit dem Wort „erheblich“ ein bestimmter Mindestvorteil, also eine bestimmte Bedeutung der Vorteile, gefordert wird. Das ist nach dem Gesetzeswortlaut und auch dem Text der RL zwar anzunehmen. Die Schwierigkeit liegt jedoch in der Bildung eines Schwellenwertes. Dem TB-Merkmal darf deshalb kein zu hohes Gewicht beigemessen werden. Es sollen lediglich Bagatellfälle ausgeschieden werden,1119 die meist ohnehin nicht forensisch werden. Eine Daumenregel von 15.000 EUR,1120 bei Kleinunternehmern auch geringere Beträge,1121 wird man nicht bilden können und sie wäre auch ungerecht. Das LG Stuttgart1122 verneint erhebliche Vorteile des HV bei einer Durchschnitts-Jahresprovision von 131,40 EUR und einem ermittelten Rohausgleich von 372,85 EUR, das OLG Köln, wenn ein Vertragshändler im letzten Vertragsjahr mit dem Verkauf von „Ducati“-Motorrädern an Mehrfachkunden einen Rohgewinn von 1.227,59 EUR sowie in den vorangegangenen vier Vertragsjahren zwischen 1.555,82 EUR und 6.831,83 EUR erzielte.1123 Solche festen Summen klingen eher so, als habe 1112 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 19 f. m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 1113 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 9. 1114 Vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 31; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 9; Schröder DB 1962, 895 (897).

1115 BGH, Urt. v. 15.10.1964, BB 1964, 1399 (1400). 1116 Thume BB 2009, 2490 (2492); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 114. 1117 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 47 m. Anm. Emde; v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71 (74); Pauly MDR 2013, 694 (695); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 116. 1118 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 115; Westphal I Rn 151. 1119 Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 91. 1120 OLG Köln, Beschl. v, 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129; LG Hamburg, Urt. v. 20.7.2012 – 418 HKO 91/11 – rechtskräftig; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 104. 1121 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 104. 1122 LG Stuttgart, Urt. v. 3.8.2011 – 39 O 19/10 KfH. 1123 OLG Köln, Beschl. v, 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129. Emde

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ein Gericht lästige Fälle schnell entscheiden wollen. Der Vorteil ist letztlich in Relation zu den Provisionseinnahmen zu setzen. Die praktische Relevanz des TB-Merkmals ist gleichwohl gering.1124 Möglicherweise sind die „erheblichen“ Vorteile eher mit „nachhaltigen“ gleichzusetzen. Dann wäre das Wort eine Bestärkung des TB-Merkmals „Schaffung einer Geschäftsverbindung mit Mehrfachkunden“. Maßstab der erheblichen Unternehmervorteile ist nicht die Größe des Kundenstammes – auch ein Kunde allein kann einen erheblichen Vorteil bilden –, und auch nicht die Zahl der vermittelten oder voraussichtlich zustande gekommen Geschäfte1125 oder der Gesamtumsatz und der Gesamtgewinn des Unternehmers,1126 sondern – wenn überhaupt (s. o.) – die Höhe des geldwerten Vorteils, welchen der Unternehmer erlangt. Sogar eine Umsatzminderung schließt Vorteile des Unternehmers nicht aus,1127 weil trotzdem neue Kunden geworben sein können. Bei einem Unternehmensverkauf sind Vorteile des Unternehmers erheblich, wenn der Kundenstamm die Höhe des Kaufpreises positiv beeinflusst hat.1128

4. Vorteilsprognose Die Vorteile aus dem Neukundenstamm hat das Gesetz zur Voraussetzung des Ausgleichsan- 193 spruchs in der Formulierung erhoben, dass der Unternehmer sie auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses „hat“. Das ist ungenau ausgedrückt. Denn der Ausgleichsanspruch entsteht mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses: in diesem Augenblick hat sich von den Vorteilen für den Unternehmer noch nichts verwirklicht. Gemeint sind also die Vorteile, welche der Unternehmer in Zukunft haben wird, genauer: haben kann, als die Chance, sie zu realisieren (s. o.). Diese Chance ist zunächst nur der Schätzung im Wege der Prognose zugänglich. Erforderlich ist, dass nach den objektiv zu bestimmenden, gegenwärtigen oder vergangenen Umständen des Einzelfalls oder Erfahrungssätzen1129 – regelmäßig gem. § 287 ZPO geschätzt1130 – mit Vorteilen gerechnet werden kann, etwa im Wege einer Umsatzprognose.1131 Anders gewendet: Eine wie bei der Bestimmung der Provisionsverluste bei Vertragsende vorgenommene Prognose aus der Sicht eines gut informierten unbeteiligten Dritten muss ergeben, dass in der konkreten Situation üblicherweise erhebliche Vorteilen des Unternehmers zu erwarten sind. Dabei geben Schicksal und Entwicklung der Vergangenheit sowie Kenntnisse und Erfahrungen aus vergleichbaren Vertragsverhältnissen,1132 Meinungsumfragen1133 und Statistiken1134 Anhaltspunkte für die Prognose. Die genaue Höhe der zu erwartenden Vorteile ist notfalls durch SV-Beweis zu ermitteln.1135 Bei einigen Unternehmern können die von ihnen in der Vergangenheit gegen ihre Vertriebsmittler gerichteten Schadenersatzklagen Anhaltspunkte für die von ihnen angenommenen Vorteile geben. Im Rahmen der Prognosebetrachtung ist zu 1124 Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 91. 1125 BGH, Urt. v. 31.1.1991, BB 1991, 1210. 1126 BGHZ 42, 244 (247); BGH ZIP 1990, 1197; Urt. v. 31.1.1991, BB 1991, 1210; Evers VW 2010, 524 (zum Versicherungsvertreter); Hopt § 89b Rn 15. BGH NJW 1990, 2890; Hopt § 89b Rn 15. Sturm/Liekefett BB 2004, 1009 ff. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 35. BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 198. 1131 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 198. 1132 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 35. 1133 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 35. 1134 BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (935) = BB 1975, 1409 zu II. (Glückspielvertreter); Küstner/ Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 32; Genzow IHR 2014, 133 (135); Thume IHR 2011, 7 (13); aA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 35. 1135 Semler BB 2009, 2327 (2328).

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fingieren, dass das Vertragsverhältnis trotz Beendigung weiter bestünde und der HV gleichbleibend tätig wäre.1136 Bei der Prognosebetrachtung ist nicht nur das Verhalten eines durchschnittlichen Unternehmers in Betracht zu ziehen, sondern sind es ferner die konkreten Umstände des Einzelfalls. Welcher Art die zu erwartenden Vorteile des Unternehmers sind, bleibt unerheblich. Der Begriff des Vorteils ist, wie dargestellt, im denkbar weitesten Sinne zu verstehen. Die Praxis pflegt sich damit zu helfen, dass sie von der Faustregel ausgeht, der Unternehmervorteil bestehe mindestens in einem gleich hohen %-Satz vom Umsatz, wie ihn der HV als Provision zu beanspruchen gehabt hätte – m. a. W. in Höhe der erhaltenen Provision des Basisjahres1137 (i. E. Rn 479 ff. Stichwort „Vorteile des Unternehmers“). Diese Faustformel darf prima facie als zutreffend gelten, so dass der HV im Prozess mit der Berufung auf sie seiner Darlegungs- und Beweispflicht zunächst genügt und der Unternehmer ihre Geltung im konkreten Fall zu erschüttern hat (zur Beweislast Rn 479 ff.). Die Vermutung kennzeichnet jedoch bestenfalls den Mindestausgleich; darüber hinaus können höhere Unternehmervorteile gegeben sein. 194 Die Bewertung des Unternehmervorteils außerhalb der o. g. Vermutung der Gleichsetzung der Vorteile mit den Provisionen des Basisjahres autonom und dabei rechnerisch korrekt vorzunehmen, ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und jedenfalls weit problematischer als die Ermittlung der entgangenen Provisionen des HV.1138 Deshalb wird dem Mittler überwiegend ein Auskunftsrecht zugebilligt (dazu unten, 5., sowie bei § 87c zum Auskunftsanspruch aus § 242 BGB). Da der HV die Unternehmervorteile nicht kennen kann, wird der Unternehmer zumindest nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast verpflichtet sein, zu seinen Unternehmervorteilen vorzutragen oder entsprechende Auskünfte zu erteilen und diese ggf. zu beweisen.1139 Die Unternehmervorteile liegen oft oberhalb der Provisionsverluste des HV und damit der eben erwähnten Vermutung.1140 195 Ausgangspunkt der Bestimmung der Unternehmervorteile sind die zu prognostizierenden Unternehmerumsätze aus den zu erwartenden Geschäften mit dem übernommenen Neukundenstamm im Prognosezeitraum.1141 Aber schon das kann kaum behebbare Hindernisse bereiten, weil die vorausschauende Umsatzkalkulation eine innerbetrieblich gespaltene sein kann, die Umsätze aus „dem übernommenen Neukundenstamm“ sich deshalb nicht einwandfrei gesondert darstellen lassen, zumal wenn der HV für mehrere Sparten gleichzeitig tätig gewesen ist.1142 Der Fall kann auch so liegen, dass ein Unternehmer zeitweise unterbeschäftigt oder erst im Aufbau begriffen ist, bisher etwa nennenswerte Gewinne (noch) nicht erwirtschaftet hat und noch nicht abzusehen ist, wann solche in Zukunft erwirtschaftet werden können: gleichwohl besteht der Unternehmervorteil darin, dass jeder Umsatzzuwachs einen Teil der fixen Kosten tragen hilft.1143 Den Zuwachs an Goodwill des Unternehmens durch den Neukundenstamm zu ermitteln, dürfte noch weit schwieriger sein. Hinzu kommen Fallgestaltungen, auf die Schröder1144 aufmerksam macht und die einen Vorteil des Unternehmers dadurch bedingen, dass die Tätigkeit des HV ihm Neukunden zugeführt hat, mit denen Geschäftsverbindungen zu haben

1136 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, Rn 20; v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668 (2669); OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763.

1137 BGH, Urt. v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, NJW 1990, 2889 (2891); BB 1959, 864; OLG Oldenburg, Urt. v. 25.2.2014 – 13 U 86/13, IHR 2014, 112 = BeckRS 2014, 05367 – auch bei Festvergütung; OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.2.1977, HVR Nr. 504; Eckhoff BB 2009, 1609 (1610); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 878; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 77 Rn 39; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 90. 1138 Hoffmann S. 76; aA wohl Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14. 1139 Genzow IHR 2014, 133 (135); Thume IHR 2011, 7 (13); ders. BB 2009, 2490 (2495); Christoph NJW 2010, 647 (650). 1140 Eckhoff BB 2009, 1609. 1141 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16 f. 1142 Küstner NJW 1969, 773. 1143 Hoffmann S. 76. 1144 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 7. Emde

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erst die Aufrechterhaltung von Beziehungen zu anderen Kunden überhaupt ermöglicht. Denn auch alle mittelbaren Vorteile aus der Geschäftsverbindung sind hier einschlägig (s. o.).

5. Auskunftsanspruch Überwiegend wird dem Mittler heute ein aus § 242 BGB hergeleiteter Informationsanspruch 196 gegen den Unternehmer zugebilligt, der über die dem HV unbekannten Unternehmervorteile Auskunft geben soll.1145 Siehe auch die Kommentierung zu § 87c betreffend den Auskunftsanspruch aus § 242 BGB). In der Literatur1146 wird sogar angeraten, regelmäßig vor der Bezifferung eine Auskunftsklage zu erheben. Das Problem eines Auskunftsantrages ist, dass die Bescheidung des Auskunftsanspruchs erster Stufe den Prozess verzögert und auch für die Auskunft nicht die tatsächlichen, nachvertraglichen Vorteile relevant sein dürften, sondern nach der Anlagerechtsprechung (Rn 198) nur die bei Vertragsende zu prognostizierenden.1147 Das entwertet die Präzision der Auskunft und des Auskunftsantrages und es stellt sich die Frage, ob überhaupt nach den vertraglichen Vorteilen gefragt werden darf oder nicht lediglich nach den nachvertraglich zu erwartenden (mit den zu erwartenden Unschärfen einer Antwort). Deshalb hat das OLG Köln einen Auskunftsantrag eines HV zu den tatsächlichen Unternehmervorteilen abgewiesen, weil es für die Ausgleichsberechnung auf die tatsächlichen Verhältnisse nach Vertragsende nur im Ausnahmefall ankomme. Entscheidend sei eine Prognose, welche Unternehmervorteile nach Vertragsende erwartet werden könnten.1148 Nur ausnahmsweise seien in besonderen Fällen spätere Erkenntnisse heranzuziehen, so dass nur in diesen Ausnahmefällen dem HV ein entsprechender Auskunftsanspruch zustehen könne.1149 Da von den Verhältnissen während der Vertragsdauer auf die nachvertraglichen Verhältnisse geschlossen werden kann, spricht viel dafür, den Auskunftsanspruch nicht daran scheitern zu lassen. Der Unternehmer darf sich gegenüber diesem Informationsbegehren nur in Ausnahmefällen auf den Charakter der Information als Betriebsgeheimnis berufen. Zur Ermittlung des Unternehmervorteils kann es bei Vertragshändlerverhältnissen sachgemäß sein, vom bilanzrechtlichen Deckungsbeitrag I (DB I) der Vertragswaren beim Lieferanten auszugehen (Rohertrag), errechnet aus der Differenz zwischen den Einkaufspreisen des Lieferanten beim Hersteller oder Vorlieferanten und dessen Verkaufserlösen beim Verkauf an den Vertragshändler.1150 Nach Auffassung von Wauschkuhn1151 ist für die Berechnung und den Anspruch auf den DB II und nicht den DB I abzustellen.1152 Bei dem DB II seien vom Erlös neben den variablen Herstellungskosten (DB I) noch die produktspezifischen Fixkosten für das vertriebene Produkt abzuziehen. Im Hinblick auf diesen Kostenblock gewinne der Unternehmer aber keinen ausgleichsrelevanten Vorteil.1153 Thume1154 empfiehlt wegen dieser Unsicherheit, hilfsweise Auskunft über den DB II zu beantragen. Nach aA bestehen keine Auskunftsansprüche auf Offenlegung der Deckungsbeiträge, auch weil die Grenze zur Offenlegung der internen 1145 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume (HV und Vertragshändler); OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345 (dort i. E. abgelehnt); LG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.15 – 33 O 119/12, IHR 2015, 274 = ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82) Fn 33 – Vertragshändler; Christoph NJW 2010, 647 (650); Thume BB 2009, 2490 (2495); Semler BB 2009, 2327 (2328); Eckhoff BB 2009, 1609 (1610); Evers VW 2010, 524. 1146 Graf v. Westphalen NJW 2013, 3566. 1147 Zum Auskunftsantrag: OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345. 1148 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345. 1149 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345. 1150 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume. 1151 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14. 1152 Zum Streit Thume BB 2019, 2260. 1153 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14. 1154 Thume BB 2019, 2260. 301

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Kalkulation, die i. d. R. zu den Betriebsgeheimnissen zählten, tangiert sei.1155 Selbst nach dieser Gegenansicht dürfte der Auskunftsanspruch jedoch bestehen, falls der Mittler substantiiert zur Bedeutung des DB für den Ausgleich vorträgt.1156 Wauschkuhn1157 meint, Unternehmer würden vermehrt auf eine Schiedsvereinbarung drängen (zu Schiedsverfahren s. d. Kommentierung zu Vor § 84). Denn kaum ein Unternehmer habe ein Interesse daran, seine Deckungsbeitragsberechnung in einem öffentlichen Gerichtsverfahren offenzulegen.1158 Die bestimmte Antragsstellung kann Probleme aufwerfen (dazu unten, im Rahmen der Ausführungen zum Erkenntnisverfahren), insb. wenn nach betriebswirtschaftlich nur unzureichend definierten Deckungsbeiträgen (DB I oder DB II1159) oder Kalkulationsgrundlagen gefragt wird.1160

6. Prognosezeitraum 197 Ähnlich der Verlustprognose (s. u.) ist im Wege der Vorteilsprognose über einen überschaubaren Zeitraum im Wege der Schätzung1161 (prozessual nach § 287 ZPO1162) zu ermitteln, wie lange der Unternehmer Vorteile aus den Geschäftsverbindungen haben wird.1163 Zur Zeitdauer unten. Es muss sich um einen überschaubaren Zeitraum handeln. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls, insbes. die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Branche, Marktgegebenheiten und Konkurrenz anderer, auch neuer,1164 Produkte, der üblichen Kundenfluktuation,1165 der Entwicklung der einzelnen vom HV aufgebauten Geschäftsverbindungen während der Vertragsdauer,1166 Lebens- bzw. Einsatzdauer des vertriebenen Produkts mit dem Zeitpunkt des Neubedarfs sowie wann unter Berücksichtigung von Art und Einsatz des HV1167 mit ausgleichspflichtigen Folgegeschäften gerechnet werden darf (Nachkaufintervall).1168 Es soll die voraussichtliche Dauer der Geschäftsverbindungen und die Beständigkeit der Unternehmervorteile vorausgesagt werden.1169 Obwohl die Rspr. häufig nur auf den Nachkaufintervall abstellt,1170 weil bei der gebotenen schematisierten Betrachtung der Kunde, der am letzten Tag ein Produkt erstand, dies in Folge des Nachkaufintervalls auch am letzten Tag des Prog-

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BGH, Urt. v. 24.9.2020 – VII ZR 69/19; Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368). Vgl. BGH, Urt. v. 24.9.2020 – VII ZR 69/16 – Anspruch im konkreten Fall abgewiesen. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14 (15). Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14 (15). S. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14; ZVertriebsR 2016, 79 (83) – für Vertragshändler, der den DB II für maßgeblich hält. Dazu auch unten bei den möglichen Klaganträgen. 1160 Vgl. Thume BB 2019, 2260. 1161 BGH ZIP 1990, 1197 (1198); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 118; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 31. 1162 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 118. 1163 BGH, Urt. v. 15.10.1992 – I ZR 173/91, NJW-RR 1993, 221; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 121; Oetker/Busche5 § 89b Rn 15. 1164 BGH, Urt. v. 25.10.1984 – I ZR 104/82, NJW 1985, 859; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 34. 1165 OLG Köln VersR 1968, 966. 1166 BGH NJW-RR 1991, 1050 (1052); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 121. 1167 BGH, Urt. v. 15.10.1992 – I ZR 173/91, NJW-RR 1993, 221; v. 19.5.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 (1098); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 34; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 41. 1168 BGH NJW 1985, 859; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 34. 1169 Bericht über die Anwendung von Art. 17 der RL des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, KOM (96) 364 endg, S. 3; BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 65 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent: Zeitraum innerhalb dessen mit Folgeaufträgen zu rechnen ist. 1170 Z. B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425; zust. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 124. Emde

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nosezeitraums wieder tun wird,1171 ist er lediglich eines der Indizien, und nicht allein entscheidend. Entscheidend ist die voraussichtliche Dauer der Geschäftsbeziehung. Deren übliche Dauer darf nicht überschritten werden.1172 Dazu gehört die Prüfung der Marktverhältnisse zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung und des betreffenden Wirtschaftszweigs.1173 Der Prognosezeitraum wird kürzer anzusetzen sein, wenn die vom HV geschaffenen Kundenbeziehungen erfahrungsgemäß in kürzerer Zeit enden.1174 Der Wiederholungsintervall für Folgegeschäfte („Nachbestellungen“) ist daher bei häufig wiederkehrenden Verkaufsgeschäften des täglichen Lebens kleiner zu bemessen als bei Geschäften über langlebige Wirtschaftsgüter.1175 Beim Vertrieb langlebiger Wirtschaftsgüter mit hohem technischen Entwicklungsgrad wie Computeranlagen, Büromaschinen, Fotoausrüstungen für Spezialbedarf, müssen einerseits die längeren Nachbestellfristen, andererseits die Veränderlichkeit der Marktsituation infolge der Rasanz der technologischen Entwicklung bedacht werden; auf einen Prognosezeitraum von mehr als zehn Jahren wird man aber auch hier selten gehen können. Es steht der Annahme einer Geschäftsverbindung aber nicht entgegen, dass Nachbestellungen infolge der Lebensdauer eines Erzeugnisses erst nach einer längeren, auch mehrjährigen Zeitspanne in Betracht kommen.1176 Sukzessivlieferungsverträge, die bei Vertragsbeendigung noch nicht abgewickelt waren, werden zu einem längeren Prognosezeitraum führen. Im Ergebnis dürfte der Nachbestellrhythmus für den Prognosezeitraum weniger bedeutend sein, weil die Geschäftsbeziehung länger als der Nachkaufrhythmus dauern kann. Dabei können auch längerfristige Prognosezeiträume angemessen sein, sofern sich über sie hinreichend sichere Aussagen treffen lassen.1177 Das Argument, die voraussichtliche Dauer der Geschäftsverbindung mit den geworbenen Stammkunden dürfe nicht überschritten werden,1178 ist unmaßgeblich, weil schon aus Billigkeitsgründen nur ein angemessener Zeitraum angesetzt werden darf.1179 § 89b stellt auf die Vorteile des Unternehmers aus der Geschäftsverbindung und nicht auf die Lebensdauer des verkauften Produktes ab. Übermaßansprüche werden durch die Höchstgrenze verhindert. Der hierfür anzusetzende Zeitraum ist im Einzelfall zu bestimmen, wobei jedoch Schematisierungen, etwa aufgrund gerichtlicher Erfahrungen (siehe Münchner Formel, unten, im Rahmen der Ausführungen zum Kfz-Vertragshändlerrecht), zulässig sind. Eine starre Grenze des Prognosezeitraums ist abzulehnen. Der Zeitraum bildet lediglich einen Richtwert, keine zwingende Zäsur.1180

7. Prognosezeitpunkt Exakt wäre eine Prognose nur möglich, wenn und soweit die tatsächliche Entwicklung in der 198 nachvertraglichen Zeit datenmäßig vorliegt. So verfuhr die frühere Rspr. Nach dem BGH, basierend auf seinem Urt. v. 28.1.1965,1181 waren in die Prognose alle bis zur richterlichen Entschei-

1171 LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425. 1172 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 34; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 81 f. 1173 Bericht über die Anwendung von Art. 17 der RL des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, KOM (96) 364 endg, S. 3.

1174 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 34. 1175 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde Rn 37; BGH NJW 1998, 66 (71). 1176 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 65 m. Anm. Wauschkuhn. 1177 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 34. 1178 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 81, 82. 1179 So Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 34; wie hier BGH NJW-RR 1993, 221. 1180 OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). 1181 BGH, Urt. v. 28.1.1965 – VII ZR 120/63, BB 1965, 434; danach BGH, Urt. v. 3.6.1971, BGHZ 56, 242 (246) = NJW 1971, 1611; v. 31.1.1991, NJW-RR 1991, 1050. 303

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dung bereits eingetretenen Tatsachen einzustellen. Mit Urt. v. 6.8.19971182 hat der BGH diese Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, die Unternehmervorteile und Provisionsverluste seien unabänderlich im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung (Bewertungsstichtag1183) im Wege einer in die Zukunft gerichteten Prognose zu ermitteln („Anlagerechtsprechung1184“). Die Leitentscheidung des BGH war dem Vernehmen nach auch innerhalb des BGH umstritten, wurde jedoch mit Mehrheit getroffen. Ob die Anlagerechtsprechung der vom EuGH1185 geforderten HVfreundlichsten Auslegung der RL entspricht, ist noch nicht ausdiskutiert,1186 zumal insb. Billigkeitserwägungen (streng genommen müsste auch für sie der Grundsatz der Vorhersehbarkeit bei Vertragsende gelten) alle – auch später – eintretenden Umstände würdigen sollen.1187 Es muss also von der Anlagerechtsprechung zugunsten des HV Ausnahmen geben, etwa in Fällen krasser Erhöhung der Unternehmervorteile nach Vertragsende. Spiegelbildlich wird die Rspr. als mittelbare Folge des EuGH-Urteils Ausnahmen zugunsten des Unternehmers anerkennen müssen.1188 Ausnahmsweise sollen auch spätere Umstände zu berücksichtigen sein, zumal es sich bei dem Ausgleichsanspruch ohnehin um eine richterliche Schätzung unter Berücksichtigung aller Umstände handelt, für die der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entscheidend ist.1189 Tatsächlich ist eine Berücksichtigung solcher Umstände problematisch, da dann der Sachvortrag zumindest bis zur Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (ständig) neu aufgerollt werden müsste. Die Anlagerspr. gilt auch für Franchise-1190 und Vertragshändlerverträge.1191 Sie wird wie folgt begründet: Da der Ausgleich mit Beendigung des HV-Verhältnisses entsteht und fällig wird, darf Grundlage seiner Berechnung nur eine zu diesem Zeitpunkt zu erstellende Prognose sein, die sich als richtig oder unrichtig erweist, aber nicht durch später eingetretene Umstände noch geändert werden kann. Solche Umstände können daher nur in die Prognose einfließen, wenn sie im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits abzusehen, also angelegt sind (folglich: „Anlagerechtsprechung“).1192 Die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse während des Prognosezeitraums darf nur insoweit berücksichtigt werden, als sie im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits vorhersehbar ist. Anderenfalls müsste auch die eine oder andere Partei Rückzahlungs- bzw. Nachzahlungsansprüche geltend machen können, falls sich die Prognose nachträglich als unzutreffend erweist. Diese Konsequenz wird jedoch allgemein abgelehnt.1193 Die Prognose stellt damit die Vorhersage einer künftigen Entwicklung auf der Basis der in der Vergangenheit eingetretenen Tatsachen dar. Diese Fakten sind für die Prognose aber nur dann aussagekräftig, sofern sie auf Sachverhalten beruhen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft reproduzieren. Die in die Prognose einzustellenden Umstände müssen ihrer Anlage nach bereits bei Vertragsende existie-

1182 BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71; ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; OLGR 2000, 406 (410); OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045); OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zu einem Franchisevertrag; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 118; Hopt § 89b Rn 16; Oetker/Busche, 5. Aufl., § 89b Rn 15; ablehnend Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 20 Rn 36. 1183 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 30; zust. auch nach der Novelle 2009 Thume BB 2009, 2490 (2492). 1184 Ähnlich der „Wurzeltheorie“ der Unternehmensbewertung, s. hierzu OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 29.1.2016 – 21 W 70/15, ZIP 2016, 716. 1185 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – Rs. C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). 1186 Emde EWiR 2009, 240; Emde DStR 2009, 1478 (1484). 1187 Emde EWiR 2009, 239 (240). 1188 Emde DStR 2009, 1478 (1484). 1189 LG Berlin, Urt. v. 4.7.2018 – 11 O 52/14. 1190 OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). 1191 Kritisch Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 825. 1192 „Wenn ihre Wurzel bereits im Handelsvertreterverhältnis angelegt war“, so Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 119. 1193 Siehe etwa Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 120; Hopt § 89b Rn 16. Emde

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ren. Die Vorhersehbarkeit ist objektiv zu bestimmen.1194 Thume1195 spricht in Anlehnung an eine von Küstner entworfene Bildsprache insoweit von einer fotografischen Momentaufnahme. Alles was auf ihr – auch im Hintergrund – sichtbar sei, könne als mit hinreichender Sicherheit vorhersehbare Entwicklung in die Prognose eingezogen werden, aber auch nur solche Umstände. Abzustellen ist auf einen objektiv informierten Betrachter. Die Prognose muss ergeben, welche Vorteile bestehen, etwa wie lange und in welchem Umfang die Geschäfte zwischen Unternehmer und Neukunden voraussichtlich fortgesetzt werden. Dabei sind etwa die Besonderheiten der jeweiligen Branchen, die Marktgegebenheiten, Wettbewerbsbedingungen und die Kundenfluktuation zu berücksichtigen.1196 Dies mutet dem Richter unter Umständen zu, bei der nachträglichen Berechnung des Ausgleichs sich sehenden Auges vor der Wirklichkeit zu verschließen und eine bei Vertragsende erstellte Prognose über die künftige Entwicklung der Verhältnisses, die sich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als unzutreffend herausgestellt hat, zugrunde zu legen, was mit dem Bestreben nach einer wirklichkeitsnahen Entscheidung gelegentlich nur schwer zu vereinbaren sein dürfte.1197 Darauf werden Gerichte mit sehr geringen Anforderungen an die Vorhersehbarkeit antworten. Der langjährig säumige Unternehmer soll also für seine Säumnis nicht belohnt werden, in- 199 dem sich der Ausgleich gegenüber den nicht vorhersehbaren Verhältnissen bei Vertragsende reduziert. Umgekehrt kann der HV aber keinen „Nachschlag“ verlangen, wenn etwa die Abwanderungsquote unerwartet gering liegt. Die Dinge sollen bei Vertragsende abgewickelt werden und damit Rechtsfrieden eintreten. Zudem ist eine absolut verlässliche und sichere Vorhersage über die künftige Entwicklung unmöglich und mathematische Gerechtigkeit nicht erzielbar. Was bei Vertragsende allenfalls theoretisch denkbar, jedoch nicht hinreichend sicher abschätzbar ist, darf nicht in die Prognose einfließen.1198 Unvorhergesehene tatsächliche Entwicklungen, etwa eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, können den Ausgleich mithin später nicht mehr beeinflussen, auch nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten.1199 Selbst wenn die Parteien vor Gericht über den Ausgleich streiten, ist für die Prognose der Zeitpunkt der Vertragsbeendigung und nicht der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend. Dies folgt schon daraus, dass Streitlust nicht belohnt und Gesetzestreue nicht bestraft1200 werden soll. Nur ausnahmsweise sollen in besonderen Fällen spätere Erkenntnisse heranzuziehen sein, so dass nur in diesen Ausnahmefällen dem HV ein Auskunftsanspruch über nachvertragliche Vorteile zustehen kann.1201

8. Vorteile und Dispositionsfreiheit Eine Abweichung vom Grundsatz, dass potentielle Vorteile des Unternehmers und damit die 200 potentielle Nutzbarkeit der Kundenbeziehung genügt, ist nur in Ausnahmefällen anzuerkennen. Der Unternehmer bleibt aber in seinen Dispositionen insoweit frei, als solche aus wirtschaftlich vertretbaren Gründen vornehmen darf und dadurch der weiteren Nutzbarkeit des Kundenstammes den Boden entzieht. So wie er schon während der Dauer des HV-Vertrages nicht gehalten war, betrieblich vertretbare Dispositionen nur deshalb zu unterlassen, um dem HV nicht Provisionschancen zu nehmen (zum Dispositionsrecht s. d. Kommentierung zu § 86a), so ist er es umso

1194 OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.3.2004 – I-16 U 44/03, OLGR 2004, 275 = HVR Nr. 1085; Thume BB 2009, 1026 (1027); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 31; aA Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 49. 1195 Küstner/Thume/Thume II, 8. Aufl., Kap. XVI Rn 5; Thume BB 2009, 2490 (2492). 1196 BGH, Urt. v. 15.10.1992, BB 1992, 2385 = MDR 1993, 224. 1197 Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 13. 1198 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 31. 1199 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 32. 1200 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 32. 1201 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345. 305

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weniger nach Vertragsbeendigung für den Ausgleich.1202 Der Unternehmer darf – sofern dies aus sachlichen Gründen geschieht1203 – sein Vertriebsssystem auch mit ausgleichsfeindlichen Folgen für den Unternehmer ein- oder umstellen,1204 etwa von der Belieferung der Einzelkunden auf Großkunden.1205 Erlischt die Geschäftsverbindung mit dem Stammkunden jedoch durch willkürliche oder gar zwecks Minderung des Ausgleichs schikanös getroffene Maßnahmen des Unternehmers, so geht das nicht zu Lasten des ausgeschiedenen HV. Denn die Chance der potentiellen Nutzbarkeit, welche den Vorteil begründet, hätte ja weiterbestanden. Der Unternehmer kann, ausgleichsrechtlich gesehen, seinen Dispositionsspielraum zu Lasten des HV nicht weiter ausdehnen als er zur Zeit des Vertragsverhältnisses bestanden hatte. Insoweit entfaltet das Loyalitätsverhältnis (s. d. Kommentierung zu § 86a) seine nachvertragliche Wirkung. Eine vollkommen willkürliche unternehmerische Maßnahme widerspricht den dem Unternehmer gegenüber dem HV obliegenden Treupflichten und führt zu ihrer Unbeachtlichkeit (§§ 162 Abs. 1, 242 BGB). Zumindest aber begründet sie einen Schadenersatzanspruch in Höhe des positiven Interesses des HV, also in Höhe des zu erwartenden Ausgleichsanspruches. Angesichts der unternehmerischen Dispositionsfreiheit ist diese Grenze hoch. Willkürlich ist bspw. eine Handhabung, die vorhandene Lieferkapazitäten zu Lasten der „Vorteile“ und damit des Ausgleichs einseitig auf andere Vertretungen mit anderen Kunden verlagert.1206 Vollends ist es für den Ausgleich unschädlich, sofern der Unternehmer die Verbindung zum Stammkunden geflissentlich einschlafen lässt, um den Anspruch aus § 89b die Grundlage zu entziehen. Der HV kann dem Unternehmer, der die bisher mit den Lieferaufträgen betriebene Branche aus wirtschaftlich gebotenen Gründen stillgelegt hat, nicht entgegenhalten, es wäre zur Erhaltung des Unternehmervorteils möglich gewesen, das Bestellinteresse des Kunden auf eine andere Branche des Unternehmers „umzupolen“. Willkürliches und grob unsachliches Verhalten braucht der HV nicht zu dulden; der Unternehmer schuldet dann gem. § 280 BGB Schadenersatz (zum Schadenersatzanspruch s. d. Kommentierung zu § 86a).

9. Beispiele 201 Ob Vorteile im vorgenannten Sinne vorliegen, wird etwa in folgenden Fällen diskutiert: – Abwerben von Kunden durch den ausscheidenden Mittler – unerlaubte Wettbewerbstätigkeit des Mittlers 202 War bei Vertragsende zu erwarten, dass der HV Kunden, zu denen eine Geschäftsverbindung besteht, abwerben wird, entstehen aus dieser Geschäftsverbindung keine Vorteile des Unternehmers.1207 Die Abwerbung bildet eine berücksichtigungsfähige „Anlage“ i. S. d. „Anlagerechtsprechung“,1208 wenn der HV schon zu diesem Zeitpunkt Vorbereitungshandlungen für die Wettbewerbstätigkeit vorgenommen hat, etwa vor Vertragsende den Vertrag mit einem Wettbewerber geschlossen oder jenen Vertragsschluss vorbereitet hat. Dafür besteht eine Vermutung, welche der HV zu widerlegen hätte. In der Praxis wird Konkurrenztätigkeit jedoch häufig erst bei den Billigkeitserwägungen berücksichtigt.1209 So beantwortet die Rspr. nachvertraglichen Wettbe1202 BGH, Urt. v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394 = BGHZ 49, 39; v. 29.6.1959 – II ZR 99/58, NJW 1959, 1964.

1203 1204 1205 1206 1207

BGH, Urt. v. 29.6.1959 – II ZR 99/58, NJW 1959, 1964. BGH, Urt. v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394; v. 29.6.1959 – II ZR 99/58, NJW 1959, 1964. BGH, Urt. v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394. LG Münster BB 1960, 1300. BGH, Urt. v. 25.4.1960, NJW 1960, 1292; v. 22.9.1960, BB 1960, 1179; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 406 (411); OLG Celle, Urt. v. 26.6.1959, BB 1959, 1151; Thume BB 2009, 2490 (2492). 1208 Emde EWiR 2000, 238. 1209 Typisch OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; aA Bericht der Kommission zur Anwendung des Art. 17 der HV-RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2; BGHZ 52, 5 (heute wohl überholt, Nachteile des Unternehmers werden durch einen Billigkeitsabschlag ausgeglichen). Emde

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werb beständig mit einer Reduzierung des Ausgleichs in Höhe von 25 %.1210 Unternehmervorteile fehlen also nicht deshalb, weil der HV nachvertraglich denselben Kundenstamm für vergleichbare Produkte bewirbt.1211 Dieser Umstand wird vielmehr im Rahmen der Billigkeit berücksichtigt. Ist ein ausgeschiedener Vertragshändler auf Grund eines Agentur-Vertrages nach Vertragsende für einen Vertragshändler derselben Marke als B-Händler tätig, schließt dies Vorteile des Unternehmers ebenfalls nicht aus, sondern reduziert den Ausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten.1212 – Beendigung der Geschäftsverbindung zum Kunden Kunden, von denen bei Vertragsende abzusehen ist, dass sie als Stammkunden wegfallen, be- 203 gründen keine Unternehmervorteile, regelmäßig auch keine potentiellen. Beispiel: Einstellung der Belieferung von kleineren Kunden und Fortführen der Geschäftsbeziehung nur mit Großkunden,1213 Abwanderung des Kundenstammes.1214 Entstehen zwischen Kunden und Unternehmer Rechtsstreitigkeiten, kann oft vom Ende der Geschäftsbeziehung ausgegangen werden.1215 Zweifelhaft ist, ob dem Unternehmer mittelbare Vorteile entstehen, wenn die vom HV geworbenen Kunden ihren Bedarf künftig beim Großhandel und nicht mehr direkt beim Unternehmer decken, der Großhändler jedoch für die mit den ehemaligen Direktkunden getätigten Geschäfte beim Unternehmer einkauft. Da der Begriff der Vorteile im weitesten Sinne zu verstehen ist, sollten die hierdurch beim Unternehmer eintretenden mittelbaren Vorteile genügen, sofern die bei Vertragsende vorzunehmende Prognose die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung der über zwei Stufen erstreckten Geschäftsverbindung aufzeigt.1216 Problematisch ist der nächste Prüfungsschritt, nämlich entgehende Provisionen des HV, falls die Kunden bereits vor Vertragsende dazu übergingen, beim Großhandel zu ordern.1217 Von entgehenden Provisionen könnte nur ausgegangen werden, wenn die Geschäfte mit dem Großhändler auch zu Gunsten des HV provisionspflichtig wären1218 und der Wechsel zum Großhandel bereits bei Vertragsende absehbar war. Diskutiert werden kann ferner, ob (potentielle) Vorteile gegeben sind, sofern der Verlust der Kundenbeziehungen auf einem Verhalten des Unternehmers beruht, etwa einer Vernachlässigung der Kundenbeziehung. Die Vorteile entfallen sicher, falls die Aufrechterhaltung der Geschäftsverbindung dem Unternehmer nicht zuzumuten ist, etwa weil ein wichtiger Grund für deren Beendigung existiert. Gedacht werden kann an in der Person des Kunden gelegene wichtige Gründe (z. B. Vertragsverletzungen, Zahlungsunfähigkeit). – Bekanntheitsgrad 204 Ein erhöhter Bekanntheitsgrad des Unternehmens kann einen Vorteil bilden.1219 – Betriebsstilllegung beim Unternehmer Bei der reinen Stilllegung des Betriebs des Unternehmers fehlen Unternehmervorteile,1220 205 es sei denn, bei oder nach Vertragsende fällt infolgedessen ein geldwerter Vorteil für den vom HV geworbenen Kundenstamm in das Unternehmervermögen1221 oder hätte fallen kön1210 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BB 1997, 852 = ZIP 1997, 841; v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, ZIP 1996, 1294 (1297); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081; Rickmann WuW 2003, 752 (762).

1211 AA Bericht der Kommission zur Anwendung des Art. 17 der HV-RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2; BGHZ 52, 5 (heute wohl überholt). OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08; LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/06. BGH, Urt. v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 112. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. Im Ergebnis: OLG Frankfurt/M., Urt. v. 19.6.1972, BB 1973, 212. So der Fall OLG Oldenburg, Urt. v. 28.11.1962, BB 1963, 8 = HVR Nr. 284; Küstner/Thume II Rn VII 23 ff. Küstner/Thume/Thume II, 8. Aufl., Kap VII Rn 25. Westphal DB 2010, 1333 (1336). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 106. BGH, Urt. v. 3.6.1971 – VII ZR 23/70, BGHZ 56, 242 = NJW 1971, 1611; v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394 = BGHZ 49, 39; v. 29.6.1959 – II ZR 99/58, NJW 1959, 1964; OLG Nürnberg BB 1962, 155; OLG München NJW-RR 1989, 163.

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nen (potentieller Vorteil). Siehe auch „Betriebsveräußerung“. Ein solcher geldwerter Vorteil entsteht, falls der Unternehmer oder der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Unternehmers den Kundenstamm in irgendeiner Weise wirtschaftlich verwerten kann,1222 etwa durch Verpachtung,1223 Abfindung,1224 Veräußerung, Entschädigungen, Steuervorteile1225 oder Stilllegungsprämien.1226 Wie ausgeführt ist für den Ausnahmefall entfallender Vorteile im Regelfall der Unternehmer beweispflichtig. Die Stilllegung und die Bemessung eventueller hierfür geleisteter Kompensationen unterliegen der durch die Treupflicht begrenzten Dispositionsfreiheit des Unternehmers (dazu s. d. Kommentierung zu § 86a). Der BGH1227 hat hierzu judiziert, dem Unternehmer stehe das Recht zu, seinen Betrieb so einzurichten und umzugestalten, wie es ihm wirtschaftlich vernünftig und sinnvoll erscheine. Er dürfe sich lediglich nicht willkürlich und ohne vertretbaren Grund über die schutzwürdigen Belange seines HV hinwegsetzen. Werden diese Grenzen überschritten, ist der HV ausgleichsrechtlich als Mindestschaden so zu stellen, als wenn die unzulässige Maßnahme nicht vorgekommen worden wäre1228 (Rechtsgedanke der §§ 249, 242, 162 Abs. 1 BGB). Zu dieser Schadenersatzpflicht gibt es Parallelen im Gesellschaftsrecht: Die Nichtgeltendmachung eines Ausgleichanspruchs durch einen Gesellschafter des Mittlers kann ein zum Schadenersatz verpflichtender existenzvernichtender Eingriff in das Unternehmen des Mittlers sein, der zur unbegrenzten Haftung verpflichtet.1229 Dieselben Grundsätze gelten, falls der Abbruch der Geschäftsverbindungen mit den Kunden auf die Produktionseinstellung des Unternehmers zurückzuführen ist, sofern diese Produktionseinstellung nicht nur willkürlich, sondern aus objektiv nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen erfolgte. Die infolge der Betriebseinstellung sich ergebenden Vorteile einer Schwestergesellschaft sollen nicht automatisch Vorteile des einstellenden Rechtsträgers bilden.1230 Hier kommt es auf die Verhältnisse des Einzelfalls an (zum Durchgriff s. u. „Näheverhältnisse“). – Betriebsveräußerung 206 Bei der Betriebsveräußerung liegt der – mittelbare – Vorteil für den Unternehmer in der Übertragungsfähigkeit seines Kundenstamms. Hier tritt zu der Betriebstilllegung beim alten Rechtsträger ein „Mehrwert“ für den alten Rechtsträger, nämlich die (potentiell) erzielbare Gegenleistung für den ausgleichspflichtigen Kundenstamm.1231 Ob sich die Übertragung des Kundenstamms tatsächlich im erzielten Kaufpreis niederschlägt, d. h., ob der Unternehmer gut oder schlecht verhandelt, spielt grds. keine Rolle, da die potentielle Möglichkeit der Verwertung des übergebenen Kundenstammes genügt.1232 Es steht zu vermuten, dass der Aufbau des Kundenstammes durch den HV bei der Bemessung des an den Unternehmer gezahlten Kaufpreises Berücksichtigung fand.1233 Die Vermutung soll insb. eingreifen, wenn der Übernehmende Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 110; Oetker/Busche5 § 89b Rn 17. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 110; Hopt § 89b Rn 18; Oetker/Busche5 § 89b Rn 17. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 108. Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 73. BGH NJW 1960, 1292; OLG Frankfurt BB 1985, 687; Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 73; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 108; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 110; Hopt § 89b Rn 20; Oetker/Busche5 § 89b Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 6h. 1227 v. 9.11.1967, BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394. 1228 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 107; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 111; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 72. 1229 BGH, Urt. v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, GmbHR 2005, 225 m. Anm. Schröder; v. 30.1.1986 – I ZR 185/83, NJW 1986, 1931 (1932) – Vorteile einer Schwestergesellschaft; v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394. 1230 BGH, Urt. v. 30.1.1986 – I ZR 185/83, NJW 1986, 1931 (1932). 1231 Siehe bereits BGH, Urt. v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 105. 1232 OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, BeckRS 2011, 04747. 1233 OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, BeckRS 2011, 04747; OLG Hamburg, Urt. v. 25.3.1958, VersR 1958, 688; OLG Nürnberg, Urt. v. 22.9.1961, BB 1962, 155; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 50, Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 110; Oetker/Busche5 § 89b Rn 14 („Regelfall“); aA noch BGH, Urt. v. 9.7.1962, BB 1962, 1101.

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den Firmennamen sowie das Vertriebsnetz fortführt.1234 Ein Gegenbeweis ist zulässig, dürfte jedoch schwierig zu führen sein. So könnte daran gedacht werden, im Unternehmenskaufvertrag eine Regelung einzufügen, dass ein erheblicher Teil des Kaufpreises auf die zukünftige Möglichkeit des Zugangs zum Vertriebsnetz entfällt, sofern der Erwerber den bisherigen HV neue Verträge anbietet. Oder die Gegenleistung des Kaufvertrages könnte so benannt werden, dass sie auf etwas entfällt, was nicht durch Leistungen der HV geschaffen wurde. Das alles könnte nur relevant sein, wenn es plausibel und wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Erfolgsaussichten solcher Vorsorge sind daher offen. Man könnte sogar argumentieren, – Rechtsfolge: Schadenersatz, Treupflichtschaden – es sei willkürlich, den Kundenstamm grundlos ohne Gegenwert aus der Hand zu geben.1235 Viele Fälle können daher auf der Basis einer Wahlfeststellung entschieden werden, Ausgleichs- oder Schadenersatzanspruch. Veräußert der Unternehmer sein Unternehmen, ist daher für die beim Veräußernden verbleibenden Vorteile mindestens der Betrag maßgeblich, welchen der Unternehmer aus der Sicht eines objektiven Dritten (Sachverständigen!) bei Vertragsende unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls voraussichtlich als Erlös für die Überlassung des Kundenstamms erzielen kann.1236 Auf die Nutzung des Kundenstammes durch den Erwerber kommt es nicht an.1237 In dem Veräußerungserlös1238 oder den Pachteinnahmen1239 schlägt sich der Wert des Kundenstammes nieder. Auch in dieser Form hat der Unternehmer also den „Vorteil“ des Kundenstammes realisiert.1240 Die Höhe des tatsächlich geleisteten Kaufpreises kann einen Anhalt für diesen Betrag geben;1241 ein bezifferter Kaufpreis für den Kundenstamm braucht aber nicht vereinbart worden zu sein.1242 Bei Zweifeln ist zumindest der wirkliche Wert des Kundenstammes und nicht der vereinbarte Kaufpreis maßgeblich. Sonst könnten die Parteien des Kaufvertrages ihn zur Vereitelung des Ausgleichs so gestalten, dass der Kaufpreis nicht als Gegenleistung für den Kundenstamm belegt1243 oder in unangemessen geringer Höhe vereinbart wird. – Brachliegenlassen des Gebiets durch den Unternehmer Selbst wenn der Unternehmer das vom HV bearbeitete Gebiet brachliegen lässt, können Vorteile 207 entstehen.1244 Denn es genügt die potentielle Möglichkeit des Unternehmers, das Gebiet zu nutzen. – Folgevertrag Der Abschluss eines Folgevertrages kann einen Unternehmervorteil generieren. Ein Folgevertrag 208 ist nicht nur dann ausgleichspflichtig, wenn er „automatisch“ ohne Zutun des neuen HV zustande kommt. Es reicht aus, dass die Tätigkeit des HV mitursächlich für den Abschluss des Folgevertrages geworden ist.1245 – Dauerverträge Unternehmervorteile können auch in durch Rahmenbezugs- und Sukzessivlieferverträge gesi- 209 cherten Geschäftsverbindungen liegen.1246 Gerade hier hat der HV eine besonders feste, ausgleichspflichtige Kundenbeziehung mit den daraus resultierenden Unternehmervorteilen geOLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 44. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 110. OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.11.2001 – 16 U 149/00, OLGR 2002, 164. AA Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2. 1238 BGH NJW 1960, 1292; OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, BeckRS 2011, 04747; BB 1962, 155; Eckhoff BB 2009, 1609 („goodwill“). 1239 Schröder DB 1973, 221. 1240 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 6 f. und DB 1967, 2015. 1241 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 110. 1242 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 105. 1243 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 52. 1244 OLG Hamm, Urt. v. 11.5.1978 – 18 U 316/76, DB 1979, 304. 1245 OLG Hamm, Urt. v. 11.5.1978 – 18 U 316/76, DB 1979, 304. 1246 Emde DStR 2009, 1478 (1481 f); Thume BB 2009, 2490 (2494).

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schaffen und dafür die Ausgleichsvergütung verdient. Die Vorteile des Unternehmers müssen insoweit ausgeglichen werden, selbst wenn solche insb. aus einem Bezugsvertrag schwer prognostiziert werden können. Die Ausgleichsbemessungsgrundlage (Basisjahr) wird – soweit sich die dies betreffenden Unternehmervorteile nicht bereits in den Mehrfachkundenprovisionen des Basisjahres oder den Provisionen aus Geschäften mit ebenfalls ausgleichsrelevanten potentiellen Mehrfachkunden1247 hinreichend widerspiegeln (was oft zu verneinen sein wird) – um jene Vorteile angemessen erhöht,1248 wobei unter Billigkeitserwägungen (mangelnde Provisionsverluste) zukünftige Provisionen des HV für spätere Einzellieferungen (§ 87 Abs. 3 Nr. 1)1249 ausgleichsmindernd wirken. Die späteren Provisionen sind also auf beiden Seiten der Ausgleichsberechnung zu berücksichtigen, ausgleichserhöhend und -reduzierend. Nach Ansicht des OLG Köln1250 entstehen keine ausgleichsrechtlich relevanten, zukünftigen Vorteile aus Dauerschuldverhältnissen, die vor Vertragsbeginn vermittelt und (auch) nach Vertragsende fortgeführt werden. Nur nachvertragliche Vorteile seien relevant. Es komme insoweit auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, nicht des Leistungsaustausches an. – Einbringung in eine Gesellschaft Bringt der Unternehmer, bisher Einzelkaufmann, sein Unternehmen mit Kundenstamm als Sacheinlage in eine Gesellschaft ein, so besteht sein Vorteil in dem durch den Kundenstamm sich erhöhenden Wert seiner Beteiligung.1251 Der Vorteil der aufnehmenden Gesellschaft liegt in den ihr übergebenen Kundenbeziehungen. – Einstandszahlungen Einstandszahlungen (Kaufpreis für die Handelsvertretung, dazu unten), welche der Unternehmer realisieren kann oder könnte (es genügt die potentielle Möglichkeit von Vorteilen), begründen einen ausgleichspflichtigen Unternehmervorteil. – Einstellung des Geschäftszweiges oder des Produktes Vorteile entfallen, wenn die Einstellung des Geschäftszweiges oder des Produktes bei Vertragsende absehbar waren bzw. wenn der Unternehmer sich in diesem Zeitpunkt entscheidet, den betreffenden Geschäftszweig nicht fortzusetzen.1252 – Firmenwert Ein durch die Tätigkeit des HV, etwa den Kundenstamm, gesteigerter Firmenwert (Ertragswert-, Substanzwert-, Mittelwert-, Umsatzverfahren) kann einen Vorteil des Unternehmers begründen,1253 insb. im Fall der Unternehmensveräußerung. Es ist aber nicht jede von der Tätigkeit des HV unabhängige Wertsteigerung relevant.1254 Ggf. ist die auf der Tätigkeit des HV beruhende Erhöhung des Firmenwerts betriebswirtschaftlich zu ermitteln, ähnlich wie beim Unternehmensverkauf. – Folgegeschäfte des Unternehmers Nach einer Ansicht darf aus bloßen Nebengeschäften oder Hilfsgeschäften des Einmalkunden mit dem Unternehmer, wie sie beim Erwerb von betriebsnotwendigem Zubehör oder Ersatzteilen 1247 Zur Einbeziehung potentieller Mehrfachkunden in die Ausgleichsberechnung: BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298; 2301; OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). 1248 Emde DStR 2009, 1478 (1481 f.); vgl. BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, BGHZ 133, 391 = WM 1997, 232; v. 18.11.1957 – II ZR 33/56, NJW 1958, 180 (zum vertraglich vereinbarten Ausgleichsanspruch); Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 17; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 44. 1249 OLG Koblenz, Urt. v. 26.4.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.1.1977 – 23 U 82/ 76, DB 1977, 817; Döpfer in: FS Thume, S. 35 (40); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V, Rn 257; Westphal I Rn 472. 1250 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/2014, BeckRS 2015, 19345 Rn 37. 1251 So eingehend für die verschiedenen Fallgestaltungen: Schröder DB 1973, 220 ff. 1252 BGH NJW 1959, NJW Jahr 1959 Seite 1964; Urt. v. 9.11.1967, BGH Aktenzeichen VIIZR4065 VII ZR 40/65; OLG Köln, Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn MUEKOBGB BGB § 89 Randnummer 72. 1253 Eckhoff BB 2009, 1609 und Handelsblatt v. 24.4.2009. 1254 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 42. Emde

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vorliegen sollen,1255 im Regelfall noch nicht auf eine Stammkundenverbindung geschlossen werden.1256 Tatsächlich können Vorteile aus Folgegeschäften des Unternehmers relevante Unternehmervorteile bilden,1257 etwa aus dem After-Sales-Service sowie dem Ersatzteilverkauf1258 (soweit nicht der Unternehmer – etwa bei Garantie- oder Gewährleistungsverpflichtungen – die Kosten selbst trägt [dann gewinnt er keine Vorteile] oder ohnehin ein Vorteile generierender Ausgleichsanspruch für den Ersatzteilvertrieb besteht [wegen der dadurch ausgeglichenen Vorteile]). Z. B. im Automobil-, Baumaschinen- und Landmaschinen-Bereich generiert der Hersteller deutlich höhere Erträge mit Ersatzteilen als mit dem Ursprungsprodukt.1259 – Gewinn, erhöhter Der (erhöhte) Gewinn des Unternehmers aus dem Kundenstamm mag einen Vorteil geben.1260 Jedoch treten auch ohne Unternehmergewinn Vorteile ein. So blieb etwa ein von den Vorinstanzen festgestellter 10 %iger Unternehmergewinn als Unternehmensvorteil beim BGH unbeanstandet.1261 – Geringe Provision Auch bei geringen Provisionen können hohe Unternehmervorteile gegeben sein.1262 – Goodwill, erhöhter Auch ein erhöhter Goodwill des Unternehmers mag einen (mittelbaren) Vorteil bilden,1263 selbst bei Werbung von Einfachkunden.1264 – Hungerprovision Gewährt der Unternehmer lediglich eine (z. B. zur Nichtigkeit des Vertrags führende) „Hungerprovision“, sind die Unternehmervorteile auf der Basis einer angemessenen Provision (§ 87b) zu berechnen. – Insolvenz Die Vorteile des insolventen Unternehmers entfallen, sofern kein Äquivalent für den Kundenstamm in das Vermögen des insolventen Unternehmers bzw. der Insolvenzmasse fällt. Grundsätzlich1265 zieht der Unternehmer keine erheblichen Vorteile aus dem vom HV geschaffenen Kundenstamm, wenn sein Betrieb infolge der Insolvenz eingestellt oder liquidiert wird.1266 Ein Ausgleichsanspruch kann nur bei Betriebsfortführung entstehen, falls der Betrieb des insolventen Unternehmers fortgeführt wird oder ein anderer Vorteil existiert.1267 Erhebliche Vorteile können sich zum einen ergeben, wenn der Insolvenzverwalter im Zuge des Insolvenzverfahrens weitere Geschäfte mit Kunden des Unternehmers schließt, welche der HV geworben hat.1268 Die resultierenden wirtschaftlichen Vorteile fließen allerdings nicht unmittelbar dem Unterneh1255 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 90. 1256 BGH, Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, ZIP 1987, 1383 (1387); v. 31.1.1991 – I ZR 142/89, NJW-RR 1991, 1050 (1052); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 90. OLG Hamm, Urt. v. 11.5.1978 – 18 U 316/76, DB 1979, 304. BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 = WM 2011, 574 Rn 14; Genzow IHR 2014, 133 ff. Genzow IHR 2014, 133 ff. Eckhoff BB 2009, 1609 und Handelsblatt v. 24.4.2009; Westphal DB 2010, 1333 (1336). BGH, Urt. v. 3.6.1971 – VII ZR 23/70, HVR Nr. 444. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. Koch ZIP 2011, 1752 (1754). Westphal DB 2010, 1333 (1336). Nach Ansicht von Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 56 gilt dies ausnahmslos, also nicht nur „grundsätzlich“. 1266 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 110; Wagner/Wexler-Ulrich BB 2011, 519 (523) – zum Vertragshändlervertrag. 1267 OLG München NJW 1955, 1679 für einen Liquidationsvergleich, falls das liquidierte Unternehmen seinen Betrieb nicht wieder aufnehmen kann; Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 57; Wagner/ Wexler-Ulrich BB 2011, 519 (523) – zum Vertragshändlervertrag; Hoffstadt DB 1983, 645 (648); Schröder DB 1976, 1897 (1900); vgl. auch Sturm/Liekefett BB 2004, 1009. 1268 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 110.

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mer zu, wie es § 89b Abs. 1 Nr. 1 vorsieht. Vielmehr bereichern sie die Insolvenzmasse und wirken sich daher in erster Linie positiv für die Insolvenzgläubiger aus, deren Aussicht auf Befriedigung aus der Insolvenzmasse sich verbessert. Rechtsträger bleibt jedoch auch in der Insolvenz der Unternehmer, so dass ihm der Vorteil zuzurechnen ist. Es liegt daher nicht nur ein mittelbarer Vorteil des Unternehmers vor, der auf die vom HV geschaffenen Geschäftsbeziehungen zurückzuführen ist und deshalb unter § 89b Abs. 1 subsumiert werden kann, sondern ein unmittelbarer.1269 Zum anderen können Vorteile aus einem Verkauf oder Verpachtung des Betriebs1270 entstehen. Anspruchsvoraussetzung ist, dass der Insolvenzverwalter bei einem Verkauf des Betriebs wegen des Kundenstamms einen höheren Preis erzielt.1271 Veräußert der Insolvenzverwalter das gesamte Unternehmen und führt der Übernehmende den Firmennamen sowie das Vertriebsnetz fort, so wird davon ausgegangen, dass in dem Übernahmepreis auch ein Entgelt für den Kundenstamm enthalten ist.1272 Es liegen aus diesem Grund erhebliche wirtschaftliche Vorteile i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 1 vor,1273 welche dem Unternehmer zuzurechnen sind. Die Ausgleichsansprüche sind stets einfache Insolvenzforderungen i. S. d. § 38 InsO,1274 da sie schon vor Vertragsende aufschiebend bedingt entstanden.1275 Sie sind gegen den Insolvenzverwalter und nicht gegen den möglichen Erwerber des Unternehmens zu richten.1276 Die Übertragung des Kundenstamms allein begründet keinen Ausgleichsanspruch gegen den Erwerber des Unternehmens, selbst wenn letzterer sämtliche Vorteile zieht.1277 Auch gegen den Erwerber gerichtete Ansprüche des HV aus § 812 BGB scheiden eher aus; solche aus § 354 bereits wegen Fehlens einer Geschäftsverbindung. Der Insolvenzverwalter mag in dieser Situation jedoch einen ausgleichsrelevanten Unternehmervorteil in Form einer Vergütung für diese Übertragung erhalten. Um zu einem Ausgleichsanspruch gegen den Erwerber zu gelangen, muss der Erwerber als Rechtsnachfolger des Veräußerers in das Vertragsverhältnis mit dem HV eintreten,1278 ein beim Erwerb aus der Insolvenz kaum denkbarer Fall des § 251279 oder ein spezieller Rechtsgrund (Schuldbeitritt, Schuldübernahme) eingreifen.1280 Ein Erwerber übernimmt meist sämtliche Kunden, die der HV für den mittlerweile insolventen Unternehmer geworben hatte. Diese Kunden sind als Neukunden des Erwerbers i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 1 anzusehen, wenn der HV mitursächlich für den Geschäftsschluss mit dem Erwerber wurde.1281 Ein Ausgleichsanspruch wird auch fällig, wenn ein HV für ein Unternehmen Kunden gewor220 ben hat, dieses Unternehmen insolvent wird, der HV daraufhin für ein anderes Unternehmen tätig wird, welches im Zuge des Insolvenzverfahrens die geworbenen Kunden übernimmt, es 1269 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 6. 1270 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2458); dies. BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag. 1271 OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.12.1996 – 1 U 343/96 – 59, BB 1997, 1603 (1604); Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 57; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 110.

1272 OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 44; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 110.

1273 OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.12.1984 – 9 U 100/84, WM 1985, 235. 1274 OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.12.1996 – 1 U 343/96 – 59, BB 1997, 1603 (1604); Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2458); dies. BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag; Emde/Kelm ZIP 2005, 58 (63); Thume BB 1997, 1604; Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 57; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 39; Andres in: Nerlich/Römermann § 38 Rn 25; Westphal I Rn 1302. 1275 Wagner-Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (522) – zum Vertragshändlervertrag. 1276 OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.12.1996 – 1 U 343/96 – 59, BB 1997, 1603 (1604). 1277 OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360. 1278 OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360; OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.12.1996 – 1 U 343/96-59, BB 1997, 1603; Thume BB 1997, 1604. 1279 BGHZ 104, 151 (153 f.) = NJW 1988, 1912; BGH, Urt. v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, NJW 1992, 911; RGZ 58, 166; BAG AP BGB § 613a Nr. 85 = DB 1990, 1416; zum Erwerb vom Sequester BGH, Urt. v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, NJW 1988, 1912. 1280 OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360. 1281 Thume BB 1997, 1604. Emde

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aber sämtliche der übernommenen Kunden schon bei Beginn der Tätigkeit des HV aus einer vom Insolvenzverwalter erworbenen Liste kannte. Jene Kunden sind, sofern der HV bei der Anbahnung der Geschäfte mitursächlich wird, ebenfalls vom HV geworbene „Neukunden“ nach § 89b Abs. 1 Nr. 1, und mangels zuvor bestehender Geschäftsbeziehungen zum Drittunternehmen keine nicht ausgleichsberechtigten Altkunden.1282 Obwohl diese Kunden ursprünglich für das insolvente Unternehmen geworben wurden, ist der Ausgleichsanspruch demzufolge gegen das „übernehmende“ Unternehmen zu richten. Der Unternehmer gerät dadurch in die Gefahr „doppelt zu zahlen“.1283 Die gegen den Erwerber gerichteten Ausgleichsforderungen sind weder Masseansprüche noch einfache Insolvenzforderungen. Vielmehr sind sie außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen und unterliegen nicht dessen Beschränkungen. Der Insolvenzverwalter kann mit dem HV eine Fortsetzung des durch die Insolvenz automatisch beendeten (dazu unten) Altvertrages vereinbaren. Bei strenger rechtlicher Trennung zwischen Alt- und Neuvertrag wäre der Ausgleichsanspruch aus dem beendeten Altvertrag gegen die Insolvenzmasse zu richten, und zwar dem Range nach als einfache Insolvenzforderung. Im fortgesetzten Vertrag könnte sich der Unternehmer oder Insolvenzverwalter nach dessen Beendigung auf den Standpunkt stellen, die im Rahmen des Erstvertrages geworbenen Kunden seien für den Zweitvertrag nicht ausgleichspflichtige Altkunden. Die Argumentation des HV, ausgleichsrechtlich seien sie im Neuvertrag Neukunden, weil sie der Unternehmer in diesem Vertragsverhältnis nicht kannte, verfängt möglicherweise nur bei einem Wechsel des Vertragspartners, dem die Kunden als zuvor völlig unbekannte Neukunden zugeführt werden. Hier jedoch besteht Identität zwischen altem und neuem Vertragspartner. In Frage steht lediglich die Diskontinuität des Vertrages. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie diese Frage gelöst werden kann. Eindeutig beantwortet ist die Frage, wenn sie vertraglich geregelt war oder sich aus der Historie der Vertragsverhandlungen erklärt. Man könnte vertreten, die Vertragsbeendigung sei gesetzliche Folge und damit das Entstehen des Ausgleiches als einfache Insolvenzforderung gewollt.1284 Dieses Verständnis ginge zu Lasten des HV, ist aber immerhin annehmbar. Weiter könnte man entsprechend dem oben dargelegten Gedankengang die in den Neuvertrag eingebrachten Kunden für das zweite Vertragsverhältnis als Neukunden werten,1285 und zwar trotz Identität des Vertragspartners. So wird beim Neuabschluss von HV-Verträgen mit Käufern des vertretenen Unternehmens geurteilt.1286 Der Gedanke, der Ursprungsvertrag sei nicht beendet, sondern werde durch den Neuvertrag mitsamt den erworbenen Ausgleichsanwartschaften fortgesetzt, widerspricht wohl der von der InsO gewollten automatischen Beendigung des HV-Vertrages. Schließlich ließe sich an eine ergänzende Vertragsauslegung denken, derzufolge die Ausgleichsanwartschaften auf den Neuvertrag übergehen. Bei längerer Fortsetzung des Zweitvertrages ist dies ein gerechtes Ergebnis, weil es die Ausgleichsanwartschaften des HV sichert. Andererseits wird bei Beendigung des Zweitvertrages noch während der Insolvenz die Insolvenzmasse geschmälert, weil nun der vollständige Ausgleich Masseforderung ist. Nach Ansicht von Kampf1287 besteht ein Ausgleichsanspruch, falls ein Wettbewerber zur Übernahme bereit gewesen wäre, der Unterneh1282 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.4.1992 – 16 U 31/91, OLGR 1992, 312 f.; OLG München HVR Nr. 640; OLG Koblenz HVR Nr. 882; LG Bielefeld, Urt. v. 19.4.1985 – 12b 0 85/84, HVR Nr. 608; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 82; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89b Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 57; Küstner/Thume II, 8. Aufl., VI Rn 12, 78 ff.; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 65; aA OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.8.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360; Schmitz ZIP 2003, 60 ff. zu Unternehmensveräußerungen; vgl. auch OLG Saarbrücken BB 1997, 1603 m. Anm. Thume. 1283 Eckhoff GWR 2012, 327436, der dies unter Billigkeitsgesichtspunkten würdigen will. 1284 Im Ergebnis Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 39. 1285 In diese Richtung LG Bielefeld, Urt. v. 19.4.1985 – 12b 0 85/84, HVR Nr. 608; auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.4.1992 – 16 U 31/91, OLGR Düsseldorf 1992, 312, s. o. 1286 Vgl. Schmitz ZIP 2003, 59; Sturm/Liekefett BB 2004, 1009. 1287 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 56/57. 313

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mer diese Möglichkeit aber nicht wahrgenommen hat. Aber das wäre richtigerweise ein Schadenersatzanspruch. Der Grundsatz, dass der Erwerb eines Handelsunternehmens aus der Hand des Insolvenzverwalters die Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 ausschließt, gilt auch gegenüber dem Anspruch eines HV aus § 89b.1288 Selbst wenn bei der Insolvenz häufig Vorteile des Unternehmers entfallen sollten, bleibt es bei dem Grundsatz, demzufolge der Unternehmer den Wegfall der Unternehmervorteile zu beweisen hat.1289 Denn der Insolvenzverwalter hat das verbleibende Vermögen und auch den Kundenstamm zu verwerten; der Wert des Kundenstammes führt häufig zu einem erhöhten Verwertungserlös (s. o.). Die Insolvenz des Mittlers lässt die Vorteile des Unternehmers nicht entfallen, da nur der Mittler und nicht die Kunden insolvent werden.1290 Im Wege der „Als-ob-Betrachtung“ wäre für die Ausgleichsberechnung die Fortsetzung des Vertrages zu unterstellen. Die Insolvenz kann im Ausnahmefall eine Reduzierung der Unternehmervorteile zur Folge haben, sofern die Abwanderung von Kunden zu antizipieren ist.1291 Bei der Insolvenz des Kunden können ebenfalls Vorteile entfallen.1292 Es gelten die gleichen Grundsätze wie im Falle der Beendigung der Geschäftsbeziehung zum Kunden. Wird der Kunde saniert, können Vorteile gegeben sein, u. U. nur in Höhe einer Befriedigungsquote.1293 – Kaufpreis Der Vermögensvorteil kann im Kaufpreis liegen, den ein Käufer für den geworbenen Kundenstamm zahlen würde.1294 – Kostendeckungsbeitrag Ein erhöhter Kostendeckungsbeitrag1295 durch eine größere Zahl an Geschäften mag einen Vorteil darstellen. – Kundendaten Die Kenntnis der Kundendaten bildet einen Vorteil.1296 So hat das OLG Düsseldorf1297 einen Kaufpreis von EUR 175 pro Kundenadresse unbeanstandet gelassen. – Kundenliste Als mittelbarer Vorteil im Sinne des Ausgleichsrechts genügt etwa die Überlassung einer Kundenliste durch den Unternehmer an eine nahestehende Person1298 oder einen Erwerber.1299 – Kundenstamm Ein erhöhter Gewinn aus dem Kundenstamm1300 bzw. der Kundenstamm selbst1301 bilden Vorteile. Thume1302 verweist auf die im IDW-Standard v. 25.5.2010 genannten Vorteile. Ihnen zufolge bildet ein Vorteil aus der Geschäftsverbindung der aus ihr zu erwartende finanzielle Nutzen. Zu berücksichtigen sei insb. der für den HV nicht mehr zu verprovisionierende Auftragsbestand. In Stufe 1 würden die direkt zurechenbaren Ein- und Auszahlungen (Aufträge, erwartete künftige Aufträge und Vorteile) ermittelt und in Stufe 2 werde dieser Betrag um fiktive Auszahlungen (= 1288 1289 1290 1291 1292 1293 1294 1295

LG Landau, Urt. v. 19.4.2007 – 4 O 334/06, NJOZ 2007, 3401. Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2458); dies. BB 2011, 519 (523) – zum Vertragshändlervertrag. Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 78/79. Wagner/Wexler-Uhlich BB 2011, 519 (521) – zum Vertragshändlervertrag. Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 101. Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 101. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 127. Semler BB 2009, 2327 (2328); Korte DB 2011, 2761 (2763); s. a. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume. 1296 Vgl. Dänekamp/Kölln NJW 2015, 3126 (3131). 1297 OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2013 – I-16 U 183/12, BeckRS 2014, 06492. 1298 LG Stuttgart RIW 1999, 67. 1299 OLG Hamm, Urt. v. 14.3.1977 – 18 U 162/76; Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der Richtlinie auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2. 1300 Eckhoff BB 2009, 1609 und Handelsblatt v. 24.4.2009. 1301 Korte DB 2011, 2761 (2763); Kindler/Menges DB 2010, 1109 (1115). 1302 IHR 2011, 7 (12). Emde

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Nutzungsentgelte) für unterstützende Vermögenswerte gekürzt.1303 Das entscheidende Kriterium sei die Ableitung der Nutzungsdauer. Schließlich sei ein angemessener risikoadäquater Kapitalisierungszins zu ermitteln. Die Berechnung werde unter Berücksichtigung der Steuern vorgenommen. Daneben kenne die Betriebswirtschaft andere Bewertungsmethoden, insb. marktpreisund kostenorientierte Verfahren.1304 Notfalls sei der Wert des Kundenstamms mittels Sachverständigenbeweises festzustellen.1305 – Kurze Vertragsdauer Bei kurzer Vertragsdauer ist die Existenz von Unternehmervorteilen besonders sorgsam zu prüfen.1306 Ausgeschlossen sind sie nicht. – Mitbetreuen des Bezirks durch andere HV Besetzt der Unternehmer den Vertreterbezirk nicht wieder, sondern lässt ihn von anderen HV mitbetreuen, ergibt sich daraus nicht ohne weiteres, dass bereits bestehende Geschäftsbeziehungen beeinträchtigt werden oder künftige Vorteile entfallen.1307 Davon wäre nur auszugehen, wenn der Unternehmer das Geschäft vollkommen einstellt. – Probezeit Bei einer kurzen Probezeit sind Unternehmervorteile sorgsam zu prüfen.1308 – Produktionseinstellung des vertriebenen Produkts Sie lässt die Unternehmervorteile entfallen, sofern die Einstellung bei Vertragsende voraussehbar war.1309 – Sortimentsübernahme Ein Vorteil kann durch eine Zahlung bei einer Übernahme des Sortiments durch eine Drittfirma entstehen.1310 – Umsatz Das LG Hannover hat den Unternehmervorteil mit 5 % des Umsatzes geschätzt.1311 – Überhangprovisionen Nach bis 2009 geltender Rechtslage mangelte es bei Gewährung nachvertraglicher Überhangprovisionen (dazu Kommentierung zu § 87) an Provisionsverlusten und damit an einem TBMerkmal. Jedenfalls nach der Novelle 2009 können auch Überhangprovisionen zu Unternehmervorteilen führen.1312 In die Provisionen des Basisjahres wird jede „verdiente“ Provision einbezogen. Für ein „Verdienen“ reicht es, dass der HV vertragsbegleitend Vermittlungsleistungen i. S. d. § 87 Abs. 3 erbringt. Jeder HV wirbt bis zum Vertragsende. Angesichts der Abrechnungs- und Fälligkeitsvorschriften zur Provision (§§ 87c Abs. 1, 87a Abs. 1) müssen die in den letzten Tagen des Vertrages vermittelten Geschäften immer nachvertraglich abgerechnet und honoriert werden. Es entsteht also zwingend Überhangprovision, die als Unternehmervorteil sowohl in die Berechnung des Rohausgleiches wie der Höchstgrenze einfließen muss. Unternehmervorteile ergeben sich aus allen im Basisjahr geschlossenen Geschäften, unabhängig vom Zahlungszeitpunkt. Für die Bemessung der Unternehmervorteile macht es keinen Unterschied, ob eine Provision am letzten Tag des Vertrages oder einen Tag oder Monat später geleistet wird. Entscheidend ist: Die Provisionen werden durch die Vertragsbeendigung, wenn auch zeitversetzt („phasenverschoben“) infolge der Abrechnungs- und Auszahlungszeit, abgeschnitten. Dementsprechend

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Thume IHR 2011, 7 (12). Thume IHR 2011, 7 (12). Thume IHR 2011, 7 (12). Meyer ZVertriebsR 2019, 99 (100). LG Kaiserlautern, Urt. v. 14.11.1955, HVR Nr. 81. Meyer ZVertriebsR 2019, 99 (100). Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612. LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 27.11.2018 – 2 HKO 10103/12, IHR 2019, 77 = ZVertriebsR 2019, 50 m. Anm. Emde sowie zust. Anm. Czaja IHR 2019, 221 (223) und Ayad BB 2019, 1556. 1311 LG Hannover, Urt. v. 27.3.1973 – 24 O 188/72, HVR Nr. 474. 1312 Wauschkuhn/Fröhlich BB 2010, 524 (527). 315

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mangelt es nicht an Provisionsverlusten, nur weil einige Tage nach Vertragsende noch Restprovision gezahlt wird. Jede Provision entfällt, die infolge der Vertragsbeendigung zukünftig nicht mehr verdient werden kann (Kausalität zwischen Vertragsbeendigung und Provisionsverlust). Diese Kausalität ist gegeben, weil auch Überhangprovision nach Vertragsende nicht mehr verdient werden kann, da der HV nicht mehr vermitteln darf. Das Billigkeitsmerkmal entgehender Provisionen will also nur der Höhe nach einen Vergleich ziehen zwischen den Unternehmervorteilen und entgehender Provision. Nicht hingegen will das Gesetz irgendeine zeitliche Aussage dahingehend treffen, dass bis zum Tage des Vertragsendes gezahlte Provision ausgleichsrelevant ist, eine juristische Sekunde später gewährte Provision jedoch nicht mehr. Jedenfalls die Einbeziehung der Überhangprovision in die Ausgleichshöchstgrenze entspricht h. M.1313 Was auf der einen Seite der Berechnung (Ausgleichshöchstgrenze) einzubeziehen ist, muss auch auf der anderen Seite (Rohausgleich) einbezogen werden. Für jahrelang geleistete nachvertragliche Provision (Abgrenzung s. Kommentierung zu § 87) mag eine abweichende Ansicht eingenommen werden. – Näheverhältnisse und Konzernfälle 234 Grundsätzlich ist ein Vorteil des Unternehmers persönlich erforderlich.1314 Der Vorteil1315 oder der Zweitkunde1316 eines Konzernunternehmens ist im Allgemeinen nicht ausreichend, sofern nicht im Einzelfall1317 Durchgriffserwägungen angebracht sind. Fälle, in welchen der Unternehmer selbst keine Vorteile aus dem Aufbau des Kundenstammes erlangt, jedoch ein Konzernunternehmen und ein nahestehender Dritter (Beispiel: vertragliche Verpflichtung zum Vertrieb von Konzernprodukten1318), lassen sich wie folgt lösen: a) Meist wird es als Vorteil schon genügen, dass der Unternehmer die potentielle Möglich235 keit der Verwertung des Kundenstammes besaß. Ob er diese Chance nutzt oder nicht, ist irrelevant (s. o.). b) Wird der Vertrieb von der bisherigen Muttergesellschaft, die Unternehmerin war, auf 236 eine Tochtergesellschaft ausgegliedert, kommen der Muttergesellschaft über die Gewinne der Tochtergesellschaft im Vertrieb Vorteile aus dem Aufbau des Kundenstammes zugute, die ihr zuzurechnen sind.1319 Dafür dürfte eine Vermutung sprechen. Allerdings hat der BGH1320 die Übernahme des Kundenstammes durch eine Schwestergesellschaft und die dadurch entstehenden mittelbaren Vorteile des Unternehmers im Falle der Liquidation des Unternehmers im Grundsatz nicht als ausreichend angesehen, um Vorteile des Unternehmers zu begründen.1321 Einem Erfahrungssatz, die weitere Nutzung des Kundenstammes durch ein Konzernunternehmen komme dem übertragenen Unternehmen in jedem Fall wirtschaftlich zugute, fehle es an hinreichenden tatsächlichen Grundlagen. Das ist problematisch und lädt zur Umgehung des Ausgleichs ein. Jedenfalls dürfte diese Aussage nicht für Mutter-Tochter-Konstellationen gelten. Der BGH hat die Ungerechtigkeit des generellen Satzes wohl gesehen und in dem von ihm 1313 BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, NJW 1997, 316 = WM 1997, 232; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 167; Hopt § 89b Rn 50. 1314 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 109; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 113; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 6. 1315 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde); BGH, Urt. v. 30.1.1986 – I ZR 185/83, NJW 1986, 1931 (1932) – Schwestergesellschaft; v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242 (1243) – Reisebüro; OLG München, Urt. v. 5.8.1988, BB 1988, 2058 = DB 1988, 2251 = NJW-RR 1989, 163; Koch ZIP 2011, 1752 (1754); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 113; aA OLG Braunschweig NJW 1976, 2022. 1316 BGH, Urt. v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242 (1243) – Reisebüro. 1317 Oetker/Busche5 § 89b Rn 17. 1318 In diesem Fall sollen Vorteile des Konzernunternehmens zu beachten sein, s. Koch ZIP 2011, 1752 (1755). 1319 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 42. 1320 Urt. v. 30.1.1986 – I ZR 185/83, NJW 1986, 1931 (1932) = BB 1986, 1317; zust. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 109. 1321 Ähnlich EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). Emde

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entschiedenen Fall einen wirtschaftlichen Vorteil des Unternehmers bejaht: Ein Unternehmervorteil entstehe, weil der HV nur den Vertrieb aufgab und die Produktion weitergeführt wurde. Der Unternehmervorteil bleibe bestehen, weil die Kunden die Waren, wenn auch durch die Konzernmutter als Dritte, weiterhin erwerben. Das war eine Einzelfallentscheidung. Es steht zu vermuten, dass die Rspr. betroffenen Vertriebsmittlern in vielen Fällen mit solchen Einzelfallerwägungen helfen wird. So hat das LG Darmstadt1322 entschieden, gründe der Unternehmer eine Vertriebs-GmbH als Tochtergesellschaft und werde jene aus Rentabilitätsgesichtspunkten aufgelöst, bestehe gleichwohl ein Ausgleichsanspruch gegen die Muttergesellschaft. Dies sei jedenfalls anzunehmen, wenn die Muttergesellschaft die durch die GmbH gestellte Geschäftsverbindung auszunutzen in der Lage sei.1323 c) Man denkt an einen Durchgriff nach § 242 BGB.1324 Diesen Weg hat das OLG Braunschweig1325 gewählt: es komme nicht darauf an, ob der Geschäftsbetrieb mitsamt dem geworbenen Kundenstamm entgeltlich veräußert werde. Sei ein Kundenstamm vorhanden und werde er von einer anderen Konzerngesellschaft genutzt, so entstehe ein erheblicher Vorteil des Unternehmers.1326 Das OLG Braunschweig befürwortet damit eine allerdings schwer zu präzisierende wirtschaftliche Betrachtungsweise. Dieser Weg ist insbesondere angebracht, wenn die Verlagerung innerhalb des Konzerns dazu dienen soll, den Ausgleichsanspruch des HV auszuhebeln1327 (dann auch Schadenersatzanspruch). d) Man postuliert eine Verpflichtung des den Vertrieb übernehmenden und damit aus dem Kundenstamm Vorteile ziehenden Konzernunternehmens zum Ausgleich der Vorteile gegenüber dem verbundenen, zuvor als Unternehmer tätigen Unternehmen nach § 812 BGB (Eingriffskondiktion) bzw. § 675 BGB oder den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag. Häufig wird eine solche Zahlungspflicht sogar ausdrücklich vereinbart. Dieser gegen das den Vertrieb übernehmende Konzernunternehmen gerichtete Anspruch stellt dann den erheblichen Vorteil dar. Das Urteil des EuGH1328 zu Konzernfällen steht solchen Durchgriffserwägungen nicht entgegen. Es kennzeichnet nur den Regelfall, schließt den Durchgriff nach nationalem Recht aufgrund der Besonderheiten des jeweiligen Falles aber nicht aus. – Statistische Zwecke Als ausgleichsrechtlich relevanter Vorteil genügt die Möglichkeit, die Daten zu statistischen Zwecken zu nutzen.1329 – Hinterlassene Struktur Dass ein VV für die zurückgelassene Struktur als solches neben seiner Ausgleichsberechtigung einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung hat, ist nicht erkennbar. Es ist aber nicht abwegig, dass die Parteien diese Lücke durch eigene Regelungen schließen.1330 – Übertragung des Vertriebs auf einen anderen Vertriebsmittler Überträgt der Unternehmer nach Beendigung des HV-Vertrages den Verkauf auf einen anderen Vertriebsmittler, so entsteht durch diese Vertriebschance ein Vorteil des Unternehmers. Denn der Unternehmer hätte die Chance selbst nutzen und zum Eigenvertrieb übergehen können. Es sind also nicht nur die reinen nachvertraglichen Vorteile des Unternehmers relevant sondern auch die an einen Nachfolger des Mittlers übertragenen. Zumindest für eine logische Sekunde lagen diese Vorteile nämlich beim Unternehmer. Das gilt in gleicher Weise, falls der Unterneh1322 1323 1324 1325 1326 1327 1328 1329 1330 317

LG Darmstadt, Urt. v. 19.10.1976, HVR Nr. 502. Siehe.auch OLG München, Urt. v. 5.8.1988, BB 1988, 2058 = DB 1988, 2251. Oetker/Busche5 § 89b Rn 17. V. 3.4.1975, NJW 1976, 2022. AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 109. Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 76. EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). BGH NJW 1982, 2819 (2820); NJW 1983, 2877 (2879); Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 491. LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06. Emde

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mer nun statt einem HV einen Eigenhändler, Vertragshändler oder Franchisenehmer tätig werden lässt, welcher die Produkte im eigenen Namen und nicht wie bisher der HV im Namen des Unternehmers verkauft. Die hierdurch entstehenden mittelbaren Vorteile des Unternehmers durch Erhalt des Kaufpreises infolge des Verkaufes an Vertragshändler und FN genügen, um ausgleichsbegründende Vorteile entstehen zu lassen.1331 Es bedarf noch nicht einmal daraus real generierter Unternehmervorteile: Denn bereits die potentielle Möglichkeit der Nutzung des Kundenstammes genügt für das Entstehen der Unternehmervorteile.1332 Ob mit dem neuen Vertriebsmittler Mindestabnahmemengen vereinbart werden, ist unerheblich.1333 – Untervertreter Verlangt der Untervertreter vom Hauptvertreter einen Ausgleichsanspruch, kann sich der Hauptvertreter nicht mit dem Argument verteidigen, er habe die Hauptvertretung verloren und könne deshalb keine Vorteile aus den vom Untervertreter geworbenen Kundenbeziehungen erzielen,1334 solange der Hauptvertreter für den vom Untervertreter gebildeten Kundenstamm irgendeine wirtschaftliche Gegenleistung erhält. Eine solche Gegenleistung bildet etwa der Ausgleichsanspruch, den der Hauptvertreter von seinem Unternehmer erhält, weil er die vom Untervertreter geschaffenen Kundenbeziehungen vergütet.1335 Das gilt auch dann, wenn der Ausgleichsanspruch unter Billigkeitsgesichtspunkten wegen der Zahlung einer Altersrente durch den Unternehmer reduziert wird, solange er dem Grunde nach entstanden ist.1336 Selbst falls die Altersversorgung den Ausgleich gänzlich substituiert, ist darin der die Ausgleichsberechtigung des Untervertreters begründende „Vorteil“ aufrechterhalten. Denn die Altersversorgung wurde auch gewährt, um den HV von einer vorzeitigen Kündigung abzuhalten und damit zum nachhaltigen Aufbau eines Kundenstammes zu animieren. Zu Abs. 3 s. u. – Vergrößerung des Betriebes des Unternehmers Sie soll angeblich keinen Vorteil geben.1337 Das ist zweifelhaft, wenn sie auf der Tätigkeit des HV beruht (s. a. Gewinne und Vermögenszuwachs). – Verluste Die Vermeidung von Verlusten kann einen Vorteil bilden.1338 – Vermögenszuwachs Ein Vermögenszuwachs und eine vermögensrechtliche Besserstellung aufgrund der Geschäftsverbindung kann einen Vorteil geben.1339

VI. § 89b Abs. 1 Nr. 2: Billigkeitsgründe (Tatbestandsmerkmal 4) 247 Gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 2 muss die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entsprechen. Dies ist bei der Auslegung aller TB-Merkmale des § 89b zu beachten.1340 Es handelt sich um ein selbständiges TB-Merkmal des Audgleichsanspruchs.1341

1331 OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08. 1332 OLG Hamm, Urt. v. 11.5.1978 – 18 U 316/76, DB 1979, 304 – Brachliegen des Gebiets. 1333 Hierauf hat allerdings der BGH v. 12.11.1976 – I ZR 123/73, zit. n. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 70, abgestellt. BGH, Urt. v. 13.3.1969 – VII ZR 174/66, BGHZ 52, 5; s. hierzu auch Evers VW 2013, 47. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 111. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 78. BGH, Urt. v. 25.4.1960 – II ZR 130/58, NJW 1960, 1292; Korte DB 2011, 2761 (2762). OLG München, Urt. v. 11.6.1958 – 6 U 1697/57, NJW 1958, 1636; Korte DB 2011, 2761 (2762). Korte DB 2011, 2761 (2762). Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 115. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 132.

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1. Einführung a) Aktiv- bzw. Passivlegitimation. Anwendung findet die TB-Voraussetzung „Billigkeit“ auf 248 alle Vertriebsverträge, HV-Verträge, auch VV-Verträge,1342 sowie alle Verträge HV-ähnlicher Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler- und Franchiseverträge. b) Bedeutung des § 89b Abs. 1 Nr. 2. Dass der Ausgleich, wenn die übrigen TB-Merkmale 249 gegeben sind, „unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit“ entsprechen muss, ist zunächst und zuvorderst ein Element des Anspruchsgrundes. Durch die Verzahnung mit dem zusätzlichen „soweit“ wird die Billigkeit auch zur Messlatte für die Höhe des Anspruchs. Der Billigkeitsgrundsatz dient dazu, allen Umständen Rechnung zu tragen, die bei der abstrakten Berechnung der Höhe nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1, mithin des Rohausgleiches, nicht verwertet werden konnten.1343 Klare gesetzliche Vorgaben zur Billigkeitsprüfung fehlen.1344 Die Würdigung obliegt den Gerichten und damit in erster Linie dem Tatrichter;1345 sie ist in der Revision nur beschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob der Tatrichter ausreichende Feststellungen zu den für seine Schätzung maßgeblichen Umständen getroffen hat.1346 Die Zahlung eines unangemessen hohen Ausgleichs trotz Existenz eventueller, mittels anderer TB-Merkmale nicht greifbarer, Bedenken soll verhindert werden. Obwohl als positives TB-Merkmal formuliert, wirkt die Billigkeit in der Situation der Ausgleichsreduzierung als negativer Ausschlusstatbestand, mit welchem eine Treu und Glauben widerstreitende Zahlung gehindert werden soll. § 89b Abs. 1 Nr. 2 enthält damit einen Grundsatz, der § 242 BGB wiederholt1347 und bestärkt. Seine Aufnahme in § 89b führt dazu, dass er gem. § 89b Abs. 4 zwingend ist, was allerdings ebenfalls ohne wirkliche Bedeutung ist, da auch von § 242 BGB regelmäßig nicht abgewichen werden darf. Das Merkmal dient dazu, ein bei Vertragsende noch bestehendes Ungleichgewicht auszugleichen. Der Billigkeitsgrundsatz bildet damit ein Sicherheitsventil1348 und Auffangkriterium, welches sich als notwendig erwies, weil der Gesetzgeber ahnte, mit welcher Fülle nicht voraussehbarer Unwägbarkeiten seine Neuschöpfung des Jahres 1953 belastet sein werde. Damit ist zugleich der Ausgangspunkt für eine rechtssystematische Standortbestimmung der Billigkeitskomponente gegeben. Sie steht zunächst in einer Reihe mit den anderen, tatbestandlich ausgeformten Anspruchsvoraussetzungen. Deshalb ist sie fähig, aus sich heraus den Ausgleich zu sperren. So liegt es, wenn man zu der Überzeugung gelangt, ein Ausgleichsanspruch sei wegen fehlender Billigkeit in keinem Falle gegeben, wie hoch auch immer er sich errechnen möge. Derartige Konstellationen sind denkbar.1349 Lässt sich das im konkreten Falle nicht sicher sagen, so ändert sich der Stellenwert des Billigkeitserfordernisses. Dann ist die Billigkeit in der Regel1350 in Beziehung zu setzen zu dem, was nach Errechnung des Ausgleichs

1342 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 8; aA Sieg VersR 1964, 789. 1343 BGH, Urt. v. 28.10.1957, BGH BB 1957, 1161 – insoweit in NJW 1958, 23 nicht abgedruckt; OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de BBL2009-298-1, insoweit in BB 2009, 298 = MDR 2009, 339 nicht abgedruckt (Tankstellen-HV). 1344 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 135. 1345 BGH, Urt. v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242 (1243). 1346 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 32 (Tankstellen-HV) – zum Abzug wegen Wettbewerbstätigkeit; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 (Tankstellen-HV); v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 52 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 4.5.2005 – VIII ZR 123/04, NJW-RR 2005, 1157, unter II 2, m. w. N. 1347 OLG München, Urt. v. 9.7.1964, BB 1965, 345; best. durch BGH v. 23.5.1966, BB 1966, 794. 1348 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 66. 1349 Siehe den Fall BGH NJW 1958, 1966. 1350 BGH NJW 1965, 1134. 319

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auf der Grundlage des Unternehmervorteils und der HV-Verluste sich als der an sich zu zahlende Wertausgleich darstellen würde, und es ist zu fragen, ob gerade dieser Ausgleich (noch) „billig“ ist, ggf. mit welcher Quote oder mit welchen rechnerischen Abstrichen er (nur) zuerkannt werden darf. Den Fall der globalen Versagung des Ausgleichs aus Billigkeitsgründen ausgeklammert, müssen deshalb zunächst die TB-Voraussetzungen des Abs. 1 S. 1 Nr. 1, insb. der „Vorteile des Unternehmers“, erfüllt sein, ehe eine Prüfung am Maßstab der Billigkeit zum Zuge kommen kann. Die Billigkeit kann einen fehlenden Vorteil des Unternehmers wohl nicht substituieren oder das Fehlen anderer TB-Merkmale ersetzen,1351 ebenso wenig wie § 242 BGB. Die Zuerkennung eines Ausgleichs allein aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit ist unzulässig.1352 § 242 BGB gibt keinen selbständigen Anspruch auf den Ausgleich. Ebenso wenig ist eine aus Billigkeitserwägungen begründete Überschreitung der Höchstgrenze der ermittelten Unternehmervorteile/HV-Nachteile oder der Höchstgrenze des Abs. 41353 gestattet. Der Grundsatz gibt daher keine von anderen TBMerkmalen freie Anspruchsberechtigung mit Alleinstellung. Die Billigkeit muss vielmehr zusätzlich zu den übrigen TB-Merkmalen des § 89b vorliegen, da es sich um eine materielle Anspruchsvoraussetzung handelt. Sie tritt zu den Unternehmervorteilen des Abs. 1 als selbständige, weitere TB-Voraussetzung in der Abschlussphase der Beurteilung hinzu, bleibt ihnen jedoch „nachgeschaltet“. Dass die Billigkeit und ihre Erörterung, sofern ihr Fehlen nicht ausnahmsweise von vornherein zur Verneinung des Ausgleichsanspruchs führt, erst zum Zuge kommen kann, wenn die anderen, objektivierten Voraussetzungen des Ausgleichs gegeben sind, wird auch durch die Formulierung des Gesetzes belegt. Danach muss nicht „der Ausgleich“, sondern „die Zahlung des Ausgleichs“ der Billigkeit entsprechen. Die fehlende Billigkeit soll die Zahlung hintanhalten. Sie ist Korrektiv aufgrund einer Gelagertheit des konkreten Falles. Nicht auf der Billigkeit, sondern auf dem Fehlen der Billigkeit liegt, so gesehen, auch nach der Novelle 2009 der Schwerpunkt des Gesetzes, jedoch nicht der alleinige Anwendungsbereich. Die Höhe der billigkeitsrelevanten Umstände ist notfalls gem. § 287 ZPO zu schätzen.1354 Damit ist nicht gesagt, dass der Billigkeitsgesichtspunkt stets nur zu einer Herabset250 zung des Ausgleichs führen könnte. Die Billigkeit hat „alle Umstände zu berücksichtigen“ oder „das gesamte Vertragsverhältnis nach Wesen und Inhalt einschließlich aller Gründe der Beendigung des Vertragsverhältnisses“.1355 Daraus folgt: Die Gesamtwürdigung aller für die Billigkeitswertung erheblichen Umstände kann auch solche Momente einbeziehen, die dem Ausgleich förderlich sind oder ihn erhöhen, mindestens jedoch die ausgleichsabträglichen Momente aufzuwiegen vermögen. Es kann also durchaus sein, dass das Billigkeitsurteil durch eine „Saldierung“ andere, negative Billigkeitsmomente aufwiegt,1356 also andere Abzugsposten nivelliert.1357 Dann entscheidet eine Gesamtabwägung.1358 Davon kann etwa bei Zahlung des Ausgleichsanspruchs durch den ausgeschiedenen HV1359 ausgegangen werden.

1351 BGH, Urt. v. 27.10.1993, BB 1994, 99 = ZIP 1994, 31; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 6. 1352 BGH, Urt. v. 11.12.1996, NJW 1997, 655; Küstner/Thume/Thume II, 8. Aufl., Kap. IX Rn 15; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 116. 1353 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 116. 1354 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, BB 1996, 1684 f.; OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de, BBL 2009-298-1 = BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339; Steinhauer BB 2009, 2386 (2389). 1355 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 17a. 1356 Vgl. OLG Bremen BB 1966, 877; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 852. 1357 BGH VersR 1961, 52 (53); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 134; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 117. 1358 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 117. 1359 LG Bielefeld, Urt. v. 17.2.1971, BB 1972, 195; OLG Hamm, Urt. v. 18.12.1978 – 18 U 68/78. Emde

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2. Stärkung des Billigkeitskriteriums durch den EuGH Der EuGH hat in seinem Urteil1360 zum Stellenwert der Provisionsverluste im Ausgleichssystem 251 die Bedeutung der Billigkeitsabwägung gestärkt;1361 die Novelle 2009 hat den Befund des EuGH umgesetzt und auf alle HV übertragen. Der EuGH entschied, wie eine RL-konforme Auslegung des Art. 17 Abs. 2a Alt. 2 RL ergebe, werde der Ausgleichsanspruch entgegen § 89b Abs. 1 Nr 2 nicht durch die Höhe der Provisionsverluste begrenzt. Sie bildeten lediglich einen Unterfall der Billigkeit.1362 Die Billigkeit könne bis zur Höchstgrenze der § 89b Abs. 2 HGB, Art. 17 Abs. 2b RL das Ausgleichsrecht erhöhen.1363 Die RL schütze die Interessen des HV gegenüber dem Unternehmer und lege dazu in Artt. 13–20 Regeln über Abschluss und Beendigung des HV-Vertrages fest. Die in Art. 17 RL zwingend geregelte Ausgleichsberechnung erfasse 3 Stufen.1364 Auf 1. Stufe gehe es um die Quantifizierung der Unternehmervorteile aus Geschäften mit vom HV geworbenen Kunden gem. Art. 17 Abs. 2a Alt. 1 RL. Auf 2. Stufe werde nach Art 17 Abs. 2a Alt. 2 RL geprüft, ob der Betrag, welcher sich gem. 1. Stufe ergebe, unter Berücksichtigung aller Umstände, insb. der dem HV entgangenen Provisionen, der Billigkeit entspreche. Schließlich werde auf 3. Stufe der Ausgleich – falls erforderlich – durch die Höchstgrenze des Art. 17 Abs. 2b RL beschnitten. Alle Mitgliedsstaaten besäßen nur innerhalb dieses Rahmens Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Ausgleichsberechnung.1365 Danach bildet das TB-Merkmal der Provisionsverluste nur einen Unterfall der Billig- 252 keit.1366 § 89b wurde entsprechend novelliert, die Novelle ist – anders als das EuGH-Urteil1367 – auch auf andere HV als Warenvertreter und analog wohl auch auf Vertragshändler und FN anwendbar. Ein Ausgleich kann seither trotz mangelnder Provisionsverluste geschuldet sein.1368 Die Bewertung der Provisionsverluste verlagerte sich in die Billigkeitsprüfung.1369 Revolutionäre Veränderungen waren nicht zu erwarten1370 und sind nicht eingetreten. Die Billigkeit darf seither bis zur Höchstgrenze der § 89b Abs. 2, Art. 17 Abs. 2b RL den Aus-

1360 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). 1361 Vgl. Emde DStR 2009, 1478 (1482). So auch die Bewertung von Thume BB 2009, 2490 (2493); Steinhauer EuZW 2009, 887 (889); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 129. 1362 Zustimmend BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 33 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. So bereits vor dem EuGH Thume BB 2004, 2473 (2475); Canaris 23. Aufl. 2000, S. 351, Rn 110; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 239; Hopt § 89b Rn 32; Fischer ZVglRWiS 101 (2002), 143 ff. (154); aA wohl Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der Europäischen Union, Diss. iur. Münster 1994, S. 101; Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 55. 1363 Zustimmend Thume BB 2009, 2490 (2491); Semler BB 2009, 2327 (2328); aA Koch ZIP 2011, 1752 (1753); Westphal DB 2010, 1333: keine Ausgleichserhöhung über die Unternehmervorteile hinaus. 1364 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – Rs. C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100; v. 26.3.2009 – Rs. C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde) Rn 19. 1365 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – Rs. C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100. Zum Spielraum der Mitgliedsstaaten bei der Ausgleichsberechnung auch Westphal DB 2010, 1333 (1338). 1366 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein Rn 33 – Kfz-Vertragshändler; Genzow IHR 2014, 133 (134). 1367 Im Ergebnis aA wohl BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 19. 1368 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 77; Genzow IHR 2014, 133 (134); Emde DStR 2009, 1478 (1482); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 140; zweifelnd Koch ZIP 2011, 1752 (1753 f.). 1369 Emde EWiR 2009, 239 (240); Emde DStR 2009, 1478 (1483). 1370 Genzow IHR 2014, 133 (134); Westphal DB 2010, 1333 ff.; Steinhauer EuZW 2009, 887 (889) – weswegen auch die Neufassung des § 89b mglw. nicht europarechtskonform ist. 321

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gleichsbetrag erhöhen,1371 auch wenn die Provisionsverluste1372 und/oder die Unternehmervorteile1373 geringer sein sollten. Die neben der Billigkeit genannten TB-Merkmale (mit Ausnahme der Höchstgrenze) begrenzen die Ausgleichshöhe folglich nicht mehr, da sie durch Billigkeitserwägungen erhöht werden darf.1374 Nach früher h. M. war das Billigkeitskriterium hingegen nicht geeignet, einen nur geringen Ausgleich aufzustocken,1375 etwa mit der Begründung, der HV habe doch seine Gesundheit im Dienste seines Unternehmers bei allem (vielleicht aus Gründen der Konjunktur) nur gering gebliebenen Erfolg der Neukundenwerbung aufgeopfert. Der Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 RL erzwang die „Erhöhungsmöglichkeit“ nicht1376 und steht ihr wegen der Worte „wenn und soweit“ mglw. sogar entgegen;1377 sie entspricht aber der HV-freundlichsten Auslegung der RL.1378 Das traditionelle deutsche Verständnis, welches den Worten „wenn und soweit“ ein Verbot der Erhöhung des Ausgleiches über die Unternehmervorteile hinaus entnahm, ist bei RL-konformer Auslegung nicht zu halten. Die Ausgleichsberechnung wird eher zur Einzelfallentscheidung, weniger vorhersehbar und justiziabel (letzteres da Billigkeitsfeststellungen kaum reversibel sind). Die Billigkeit hat damit ihren Charakter als begrenzendes Merkmal verloren; die Mittler können seit 2009 ausgleichserhöhende TB-Kriterien hervorheben und streitig stellen.1379 Auch deshalb mögen höhere Beträge als zuvor geschuldet sein.1380 In der Praxis werden sich feste %-Sätze für Billigkeitsaufschläge und -abschläge etablieren.1381 Auch nach der RL und der EuGH-Rspr. bleibt das Billigkeitsmerkmal nur ein Korrektiv.1382 253 Der Ausgleich kann nicht allein mit Billigkeitserwägungen begründet werden.1383 Problematisch ist die Abwägung, welche Gewichtung im Rahmen der Billigkeitsmomente die Provisionsverluste im Verhältnis zu den übrigen Billigkeitsgründen besitzen.1384 Dazu unten. De facto steht zu erwarten, dass sich die deutsche Rspr. von der bisherigen Linie ungern lösen wird, derzufolge Provisionsverluste bei Existenz höherer Unternehmervorteile eher als begrenzendes und nicht als ausgleichserhöhendes Merkmal angesehen werden.1385 Da Art. 17 Abs. 2 lit. a 2 Spiegelstrich RL eine weite Auslegung billigkeitsrelevanter Umstän254 de zulässt, wird die bisherige Rspr. zu den Billigkeitsmerkmalen und zu ihrer Kasuistik im Übrigen aufrechterhalten werden können.

1371 OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume, Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188.

1372 Westphal DB 2010, 1333. 1373 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde) Rn 24; Pauly MDR 2013, 694 (697); Emde WRP 2010, 844 (848); Steinhauer EuZW 2009, 887 (889); aA Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 57 ff.; Koch ZIP 2011, 1752 (1753); Westphal DB 2010, 1333 (letzterer ohne Auseinandersetzung mit der wohl gegenteiligen Ansicht des EuGH) und Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 19.11.2008, Rs. C-348/07 Rn 23. 1374 Thume BB 2009, 2490 (2493); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 129, 139 f. 1375 OLG Bremen BB 1957, 430. 1376 Kritisch Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551. Zum Auslegungsspielraum bei diesen Worten Steinhauer EuZW 2009, 887 (888, 889). 1377 Koch ZIP 2011, 1752 (1753); Westphal DB 2010, 1333. 1378 Emde EWiR 2009, 239 (240); Emde DStR 2009, 1478 (1483); Steinhauer EuZW 2009, 887 (889). 1379 Steinhauer EuZW 2009, 887 (889). 1380 Kindler/Menges DB 2010, 1109 (1110); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 129. 1381 Emde EWiR 2009, 239 (240); Emde DStR 2009, 1478 (1483); Thume BB 2009, 2490 (2493); zweifelnd Pauly MDR 2013, 694 (697). 1382 AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 132. 1383 Bericht der Kommission zur Anwendung des Art. 17 RL, COM (96) 364 final, S. 4; Emde DStR 2009, 1478 (1483); Steinhauer EuZW 2009, 887 (889); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 131. 1384 Thume BB 2009, 2490 (2494). 1385 Emde DStR 2009, 1478 (1483). Emde

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3. Billigkeitserwägungen allein begründen keinen Ausgleichsanspruch Allein Billigkeitserwägungen – unter Außerachtlassung der Unternehmervorteile und der Pro- 255 visionsverluste des HV – begründen den Ausgleichsanspruch nicht.1386 Man wird – dies wird man nach wie vor den Worten „wenn und soweit“ entnehmen dürfen – ein Mindestmaß an Unternehmervorteilen fordern müssen. Das Verfahren, ohne nähere Untersuchung von dem Höchstsatz des Abs. 2 auszugehen und hiervon einen „Billigkeitsabschlag“ vorzunehmen1387 widerspricht dem Gesetz. Richtig der BGH1388 und die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung.1389 Der gesetzliche Höchstsatz steht stets am Ende, nie am Anfang der Überlegungen, die auf einen Ausgleich hinführen. Wenn der BGH in der Vergangenheit1390 Formulierungen verwendet hat, welche einer Fehldeutung des Gesetzes Vorschub geleistet haben könnten, so steht das seiner sonstigen klaren Linie deshalb nicht entgegen, weil an der zitierten Stelle der TB nicht mitgeteilt worden ist. Der damals entschiedene Fall könnte so gelegen haben, dass der nach Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ermittelte Ausgleich über dem Höchstsatz des Abs. 2 lag und nunmehr die Billigkeitserwägungen einzusetzen hatten, die bei der konkreten Lage des Falles teils zugunsten, teils zu Lasten des HV in die Waagschale fielen, dergestalt, dass die letzteren den Ausgleich unter den Höchstsatz herabdrücken konnten. Alsdann war in der Tat die Frage, ob die dem HV günstigen Billigkeitsmomente es nicht gleichwohl gestatteten, den Höchstsatz auszuschöpfen.1391

4. Konkurrenz zum TB-Merkmal „Angemessenheit“ Das in § 89b Abs. 1 S. 1 geregelte TB-Merkmal der „Angemessenheit“ findet sich nur im HGB 256 und nicht in Art. 17 Abs. 2 RL. Aus ihm dürfen daher keine zu Lasten des Waren-HV gereichende Folgerungen gezogen werden. Ohnehin ist unklar, was der Gesetzgeber mit der Doppelung von Angemessenheit und Billigkeit erstrebte.1392 Praktisch relevant ist die Frage nicht.1393 Es sollte überlegt werden, das Merkmal zu streichen. Jedenfalls sollte es in den meisten Fällen überlesen werden. Neben dem Billigkeitsgrundsatz kommt ihm und der Abgrenzung zur Billigkeit nur ein geringer Anwendungsbereich zu.1394 Eine saubere Trennung vom Billigkeitskriterium erscheint kaum möglich.1395 In Schrifttum und Rspr. bereitet dieser Punkt, soweit er überhaupt angesprochen wird, Probleme. Das Gesetz verwendet zwei sich scheinbar deckende Kriterien: die Angemessenheit des Ausgleichs in den Eingangsworten des § 89b und sich damit auf alle weiteren Einzelelemente der Anspruchsvoraussetzungen beziehend, die Billigkeit der Ausgleichszahlung als die Nr. 2 der in Abs. 1 S. 1 durch Nummerierung hervorgehobene Anspruchsvoraussetzung. Ihr Verhältnis zueinander ist schon bei der Schaffung der Vorschrift unscharf geblieben, der Grund der Doppelung in der Unsicherheit des Gesetzgebers über die Billigkeit der eigenen Schöpfung zu vermuten. Wollte man abgren1386 BGH, Urt. v. 11.12.1996, NJW 1997, 655; v. 26.11.1976 – I ZR 154/74, NJW 1977, 671 = DB 1977, 720; Bericht der Kommission zur Anwendung des Art. 17 RL, COM (96) 364 final, S. 4; Emde DStR 2009, 1478 (1483); Steinhauer EuZW 2009, 887 (889); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 131. 1387 Beklagt von Höft in der Anm. zu BGH VersR 1971, 265 (270). 1388 Ständig: BGHZ 29, 83 (94); in scharfer Akzentuierung BGHZ 55, 45 (54/55); BGH DB 1981, 1772. 1389 Etwa: OLG Celle BB 1970, 227 (228); OLG Hamburg DB 1980, 972 (973). 1390 So in der Entscheidung VersR 1961, 52 (53). 1391 Was der BGH a. a. O. zur Erörterung gestellt wissen wollte. 1392 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 193. 1393 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 193. 1394 Korte DB 2011, 2761 (2763); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 159; aA Hopt § 89b Rn 46, der die Abgrenzung vom Billigkeitsmerkmal allerdings für schwierig hält. Ein Streit über die methodische Bedeutung der Abgrenzung ist praktisch folgenlos, vgl. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 159. 1395 Korte DB 2011, 2761 (2763). 323

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zen, könnte an folgende Deutung gedacht werden: Die Billigkeit ist in erster Linie ein zuerst zu prüfendes Element des Anspruchsgrundes. Daneben und mittelbar steuert sie auch die Anspruchshöhe, etwa durch die volle Anrechnung von im Billigkeitswege anrechenbaren Vorteilen, oder sonst durch Bestimmung eines quotierten Billigkeitsabschlags. Darüber, ob die Zahlung eines Ausgleichs überhaupt der Billigkeit entspricht, kann deshalb ggf. im Verfahren über den Grund des Anspruchs entschieden werden,1396 beispielsweise für die Frage, ob ein nicht zu den nächsten Angehörigen zählender Erbe des verstorbenen HV anspruchsberechtigt ist, ob eine vom Unternehmer gewährte Altersversorgung dem Ausgleich entgegensteht und dergleichen. Die Angemessenheit hat es als nachfolgenden Prüfungspunkt im Schwerpunkt mit der Höhe des Ausgleichs zu tun.1397 Billigkeit dient der Gerechtigkeit des Einzelfalles; Angemessenheit ist stärker an allgemeingültigen Maßstäben orientiert und blickt auf den Vollzug des Ausgleichs. Zutreffend dürfte es daher sein, das Merkmal der „Angemessenheit“ den TB-Merkmalen der Ziff. 1–2 des § 89b Abs. 1 nachzuordnen. Zunächst müssen die TBMerkmale dieser Ziffern erfüllt sein. Dann ist zu prüfen, ob die Höhe des Ausgleichs noch angemessen ist. Die Angemessenheit wird – ebenso wie die Billigkeit – durch die Erfüllung der TB-Merkmale der Ziffern 1–2 des § 89b Abs. 1 indiziert. Für dieses Verständnis spricht der § 89b Abs. 1, demzufolge der Ausgleich angemessen sein muss, wenn und soweit die TBVoraussetzungen der Ziffern 1–2 des § 89b Abs. 1 erfüllt sind. Die Angemessenheit bringt zum Ausdruck, dass eine ausschließlich mathematische Bestimmung des Ausgleichs weder zu leisten noch zu fordern ist. Selbst wenn es das Korrektiv der Billigkeit nicht gäbe, bliebe dergleichen auf schwankendem Grund durch die Unsicherheit der Prognose, die für die künftigen „Vorteile des Unternehmers“ (Abs. 1 S. 1 Nr. 1) und die künftigen, zudem nur gedachten Provisionsverluste des HV (Abs. 1 S. 1 Nr. 2) angestellt werden muss. Daneben ist die Angemessenheit der gesetzliche Ort für die Art und Weise der Ausgleichsleistung. Auch aus ihr ist abzuleiten, dass der Ausgleich in Kapital und in einer Summe gefordert werden kann: das Gesetz bestimmt das auffälligerweise nicht, braucht es aber in Hinblick auf die volle Fälligkeit in einem Betrag auch nicht, da Ansprüche ohne Fälligkeitsbestimmung im Zweifel sofort in voller Höhe fällig sind. Der Grundsatz des Ausgleichs in Kapital ist auch völlig unbestritten. Damit hängt dann die Notwendigkeit einer ggf. vorzunehmenden „angemessenen“ Abzinsung zusammen. Endlich bildet die Angemessenheit die materiell-rechtliche Grundlage für die Schätzung der Ausgleichshöhe durch Gerichte (prozessual § 287 ZPO),1398 etwa dergestalt, dass gemäß der unter Rn 479 ff., „Vorteile des Unternehmers“, erwähnten Schätzung von den Provisionen des Basisjahrs multipliziert mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums und abgezinst auf den Rohausgleich geschlossen werden darf,1399 sowie mittels anderer Ausgleichsformeln anerkannter Sachkenner, etwa der Münchner Formel (dazu unten im Rahmen der Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Kfz-Vertragshändlers) oder der „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ (dazu unten, zum VV) in der Versicherungswirtschaft. Die „Grundsätze der Versicherungswirtschaft“ gelten allerdings grds. nur bei nachvertraglicher Vereinbarung (s. u.). Jedoch enthält die Betonung der Angemessenheit auch eine materiell-rechtliche Begrenzung des prozessualen Schätzungsermessen nach § 287 Abs. 2 ZPO. Sie ermächtigt zur Beschränkung der Prognose auf ein Schätzungsverfahren, auch wo die Prognose den Anspruchsgrund betrifft (was die Anwendbarkeit des § 287 Abs. 2 ZPO zweifelhaft machen würde), und sie begrenzt die Prognose auf den jeweils „angemessen“ überschaubaren Zeitraum. Wegen des Verbots der Doppelverwertung dürfen bereits bei der

1396 BGH NJW 1967, 2153 (2154); richtig insoweit auch OLG Stuttgart DB 1980, 1539 (1540). 1397 Ähnlich Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 193. 1398 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 193; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 124.

1399 Korte DB 2011, 2761 (2763). Emde

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Billigkeitsprüfung berücksichtigte Umstände nicht noch einmal im Rahmen der „Angemessenheit“ verwertet werden.1400

5. Umfang der Billigkeitsprüfung Die Bewertung hat aus der Sicht eines objektiven Dritten zu erfolgen.1401 Unter Billigkeitsge- 257 sichtspunkten kann der Ausgleichsanspruch eingeschränkt (arg. „soweit“) werden oder u. U. überhaupt entfallen (arg. „wenn“),1402 ggf. bis auf „Null“.1403 Angesichts der zweistufigen Ausgleichsberechnung (erste Stufe: Bestimmung des Rohausgleichs, zweite Stufe: Begrenzung des Rohausgleichs durch die Ausgleichshöchstgrenze) ist strittig, ob Billigkeitsgesichtspunkte lediglich den auf erster Stufe zu errechnenden Rohausgleich oder den auf zweiter Stufe stehenden, durch die Höchstgrenze des § 89b bereits beschränkten Endausgleich reduzieren. Dies ist sehr häufig von entscheidender Bedeutung. Denn wenn Billigkeitsgesichtspunkte nur bei der Berechnung des Rohausgleichs berücksichtigt werden dürfen, kann es selbst nach erheblichem Billigkeitsabzug geschehen, dass der HV im Ergebnis nicht schlechter gestellt ist als ohne Billigkeitsabzug und zwar immer, wenn der Rohausgleich die Höchstgrenze weit übersteigt. Das ist kein Zeichen mangelnder Bedeutung der Billigkeitsmomente sondern einer besonderen Geschäftstüchtigkeit des HV, der so viele Stammkunden geworben hat, dass die Höchstgrenze auf beträchtlichem Niveau liegt. Die wirtschaftlichen Vorteile seines – auch dem Unternehmer zugute kommenden – Erfolges dürfen dem HV nicht deshalb entzogen werden, weil einzelne Billigkeitsmomente gegen ihn sprechen. Dies ist ein Gebot der Gerechtigkeit und vielleicht auch der handelsvertreterfreundlichen Auslegung des Art. 17 Abs. 2 RL. Anderenfalls würde der besonders tüchtige HV mit einem weit über der Höchstgrenze valutierendem Ausgleich von der Begrenzung besonders schwer getroffen. Richtigerweise erfolgt deshalb der Abzug des Billigkeitsabschlags von dem Rohausgleich, nicht von dem bereits durch die Höchstgrenze gekappten Ausgleichsanspruch.1404 Dies lässt der Aufbau des § 89b erkennen.1405 Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind „alle“ Umstände im Rahmen der Billigkeitsprüfung 258 zu berücksichtigen. Das ist allerdings strittig. Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass sachfremde und willkürliche Umstände keine billigkeits- und damit abwägungserheblichen Tatsachen bilden.1406 Einschränkend sind nach einer Ansicht nicht alle erdenklichen Umstände im Rahmen der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen, sondern – da es sich um einen vertraglichen Anspruch handelt – nur jene, die einen unmittelbaren, engen Bezug zum Vertragsverhältnis aufweisen (sog. vertragsbezogene Umstände),1407 etwa vertragliche Risikoverteilung, Vertrags-

1400 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 193; Oetker/Busche5 § 89b Rn 29. 1401 BGH NJW 2003, 1244 (1246); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 136; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 90.

1402 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 14. 1403 BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) Rn 21; Urt. v. 16.3.1972 – VII ZR 179/79, VersR 1972, 534 (535); in diese Richtung bereits BGH, Urt. v. 6.7.1967 – VII ZR 35/65, BGHZ 48, 222 = NJW 1967, 2154 (2155); OLG München, Verf. v. 29.11.2005 – 23 U 4612/05, n. v.; Döpfer EWiR 2007, 526; Küstner VW 2010, 131 (132); Salomon/Wegstein BB 2010, 339; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 10; Canaris § 15 Rn 119; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 121. 1404 BGHZ 55, 45 (55); BGH NJW-RR 1993, 221; ZIP 1997, 238 (239); EBE 1999, 13 (16); EBE 2000, 109 (111); OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de, BBL 2009-298-1 = BB 2009, 298 mit Anm. Dallmann = MDR 2009, 339; Westphal I Rn 710; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 118. 1405 OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de, BBL 2009-298-1 = BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339. 1406 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 119; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 102. 1407 Hopt § 89b Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 66. 325

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bestimmungen, Einsatz des HV, sein Erfolg oder die ihm gewährte Vergütung.1408 Vertragsfremde Umstände, insbesondere personenbezogene Umstände,1409 sollen nach einer stark vertretenen Ansicht bei der Prüfung der Billigkeit regelm. außer Betracht bleiben.1410 Die bewusst weitgehende Fassung des Gesetzes („unter Berücksichtigung aller Umstände“), solle nicht zu uferlosen Erörterungen einladen, sondern verlange eine dahingehende Einschränkung. Billigkeitsrelevant im Hinblick auf den Ausgleich könnten immer nur Umstände sein, die mit der Einbindung des HV in die Gegebenheiten zusammenhingen, aus denen der Ausgleich vom Gesetz gewährt werde.1411 Folglich sollen Alter, Krankheit, Vermögenslage der Parteien,1412 Zahl der Kinder, sozialbezogene Umstände1413 etc. als billigkeitsbestimmende Faktoren ausscheiden.1414 Hopt1415 entnimmt dies dem Schutzzweck der Norm. An dieser Ansicht ist richtig, dass Umstände, die in einem unmittelbaren Bezug zum Vertragsverhältnis stehen, eher geeignet sind, Billigkeitsmomente zu konkretisieren.1416 Andere Tatsachen sind hiervon aber nicht per se ausgeschlossen, jedoch eher weniger geeignet.1417 Der Billigkeitsgrundsatz fordert keine mathematische Präzision sondern die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.1418 Da Billigkeitsgesichtspunkte einen Auffangtatbestand bilden, kommt eine starre Beschränkung der abwägungsrelevanten Tatsachen nicht in Betracht. Vielmehr sind alle Umstände im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Auch nach der RL wird man die Berücksichtigung vertragsfremder Umstände im Ausnahmefall zulassen können, da Art. 17 Abs. 2 lit. a Spiegelstrich 2 RL die „Berücksichtigung aller Umstände“ bei der Billigkeitsabwägung gestattet.1419 Entsprechend hat der BGH1420 ausgeführt, auch vertragsfremde Umstände müssten im Rahmen der Billigkeit beachtet werden. Die Tendenz der Rspr. dürfte dahin gehen, wenig griffige und vertragsfremde Billigkeitserwägungen nicht in die Abwägung einzubeziehen und den Ausgleich als vertragliche Gegenleistung des Unternehmers von solchen Billigkeitserwägungen zu befreien. Dieser Weg ist richtig. Umstände aus der Zeit nach Vertragsende können nur Bedeutung gewinnen, wenn sie bei Vertragsende bereits angelegt waren (Rn 198). Ein Doppelabzug ist zu vermeiden.1421 Haben die billigkeitsrelevanten Umstände bereits die Ausgleichsbemessungsgrundlage reduziert, ist vom Billigkeitsabzug zurückhaltend Gebrauch zu machen. Vor allem der Strafcharakter des Abzugs mag eine Doppelberücksichtigung rechtfertigen.

1408 Siehe Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 119. 1409 OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). 1410 Pauly MDR 2013, 694 (696): „nur vertragsbezogene Umstände maßgeblich“; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 185; Hopt § 89b Rn 25, der Ausnahmen zulassen will; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 66. Küstner BB 1963, 1148; Meyer BB 1955, 298; Noetzel S. 1326. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 133. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 133. Hopt § 89b Rn 33. Pauly MDR 2013, 694 (696); Hopt § 89b Rn 33. Emde DStR 2009, 1478 (1483); vgl. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 32. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 133. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 14. Emde DStR 2009, 1478 (1483). Urt. v. 20.11.2002, NJW 2003, 1244 (1246); v. 23.5.1966, BGHZ 45, 268 (273); ebenso Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 26; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 119 und OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebsberater.de, BBL 2009-298-1 = BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339 für die gegenüber dem Unternehmer erklärte Kündigung des Pachtvertrages einer Tankstelle. In dieser Entscheidung könnte fraglich sein, ob es sich um einen vertragsfremden Umstand handelte. 1421 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 135; Oetker/Busche5 § 89b Rn 18: Keine Doppelberücksichtigung.

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6. Kasuistik Durch Fallgruppenbildung ist die Rechtsprechung zur Billigkeit zunehmend präziser gewor- 259 den. Jeder Fall liegt aber anders. Was für einen Fall richtig sein mag, muss es nicht im anderen sein. „Ja“ bedeutet: regelmäßig billigkeitsrelevant, „Nein“: regelmäßig nicht billigkeitsrelevant. – Ablehnung eines Folgevertrages: Regelmäßig Nein. Lehnt der HV das mit einer Änderungskündigung verbundene Angebot auf Abschluss eines Neuvertrages ab, so bleibt dies ausgleichsrechtlich irrelevant.1422 Eine Billigkeitskürzung kommt nur in Betracht, wenn der HV gem. § 242 BGB verpflichtet gewesen wäre, den Änderungswünschen des Unternehmers zuzustimmen, die im Folgevertrag umgesetzt werden sollten.1423 Der HV ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, einen geänderten Vertrag zu akzeptieren. AA war das OLG Karlsruhe1424 bei Ablehnung einer Reduzierung des Provisionssatzes von 3,3 % auf 2 % und Annahme dieses Angebotes durch alle übrigen HV. Das Urteil ist – wie Thume1425 zu Recht ausführt – kaum vertretbar. Obwohl Mitwirkungspflichten zur Vertragsänderung i. d. R. von deren Zumutbarkeit abhängen sollen, werden sie nur ausnahmsweise anerkannt, weil sonst der Inhalt der Privatautonomie ausgehöhlt und die wirtschaftlichen Kalkulationen der Vertragsparteien frustriert würden. Einer Verpflichtung des Mittlers, die zur Umsetzung einer neuen GVO angebotenen Folgeverträge anzunehmen, führt nicht zu einem Billigkeitsabschlag1426 (s. u.). – Abspringen von Altkunden: Nein. Nachdem für die Beurteilung des Unternehmervorteils keine „Differenzrechnung“ aus einem Vergleich des übernommenen mit dem abgegebenen Kundenstamm stattfindet, verbietet sich auch eine Billigkeitskorrektur durch Gegenrechnung des Abspringens von Altkunden während der Vertragszeit, außer wenn dies darauf beruht, dass der HV die Betreuung der Altkunden zugunsten der Bemühungen um Neukunden einseitig vernachlässigt hätte.1427 Solange die Altkunden nicht als „erweiterte“ in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden, versteht sich das von selbst. Auch sonst begründet vom HV nicht zu vertretenes Abspringen von Kunden keinen ausgleichsmindernden Billigkeitseinwand.1428 – Abwerbung von Kunden: Ja, eine Überleitung der Kundenbeziehung auf den neuen Unternehmer wirkt sich nur im Rahmen der Billigkeitserwägungen aus.1429 – Alter des HV: Nein.1430 – Anziehungskraft: Nein, etwa wenn eine neueröffnete Tankstelle als solche schon in gewissem Grade Kunden anzieht.1431 Zur Sogwirkung der Marke s. u.

1422 OLG Nürnberg, Urt. v. 3.11.1982, HVR Nr. 571 = VW 1983, 549; Niebling WRP 2012, 1361 (1364); aA OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de, BBL 2009-298-1 = BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339; LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08 n. v. (Kfz-Vertragshändler); vgl. auch Niebling WRP 2010, 81 (83). 1423 OLG Nürnberg HVR Nr. 571, 4; OLG Hamm HVR Nr. 511, 4; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 74; Semmler WRP 2007, 247 (255). 1424 Urt. v. 27.3.1981, BB 1982, 274. 1425 Küstner/Thume/Thume II, 8. Aufl., Kap. IX Rn 115. 1426 Semmler WRP 2007, 247 (256) m. w. N. 1427 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 10. 1428 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18c. 1429 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 75 – Kfz. 1430 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 39; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 134. 1431 OLG Celle BB 1959, 898. 327

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Arglistiges Verhalten des HV, etwa bei Vertragsschluss.1432 Je nach seiner Bedeutung u. U. Ja. Es verliert aber seine Bedeutung, wenn der Unternehmer in Kenntnis dieses Verhaltens den Vertrag fortsetzt.1433 Aufhebungsvertrag ersetzt Eigenkündigung: Ja, wenn ein Aufhebungsvertrag dem HV eine ausgleichsschädliche Eigenkündigung erspart.1434 Dabei wird man jedoch auch die Motive des Unternehmers berücksichtigen müssen. Hatte dieser ebenfalls ein Interesse an der Vertragsbeendigung, kommt eine Ausgleichskürzung nicht in Betracht. Außerordentlicher Kündigungsgrund: Ja, falls eine Partei einen solchen Kündigungsgrund besaß,1435 etwa der Unternehmer einen Grund gehabt hätte, das Vertragsverhältnis wegen schuldhafter Pflichtverletzung des HV aus wichtigem Grunde zu kündigen (Abs. 3 Nr. 2),1436 dem Ausspruch der Kündigung aber der Tod des HV zuvorkam.1437 Gleiches gilt für den Fall einer durch den HV verheimlichten Pflichtverletzung, sofern infolge der Heimlichkeit vor Vertragsende eine Kündigung nach § 89a unterblieb (s. u.). Hier ist zwar der Ausgleichsanspruch zunächst entstanden. Wohl aber widerspräche es der Billigkeit, ihn bestehen zu lassen, nur weil die bereits begründete „Ausgleichsentzugslage“, die mit fristloser Kündigung (§ 89a) jederzeit hätte aktualisiert werden können, durch das vorherige Vertragsende nicht mehr wirksam geworden ist. Ähnlich liegt es in der vom BGH1438 behandelten Konstellation, in der ein für eine fristlose Kündigung geltend gemachter wichtiger Grund vom Gericht zwar nicht als „wichtig“ genug anerkannt wird, die Kündigung daraufhin als befristete Geltung behält, der Ausgleichsanspruch also gewahrt bleibt, das Gericht aber gleichwohl den Kündigungsgrund als ein zu missbilligendes Verhalten des HV einstuft. Die fehlende Abmahnung steht dieser Berücksichtigung nicht entgegen.1439 Bei der Billigkeitsprüfung kommt es nicht auf Formalien, sondern die Gesamtumstände an. Ausgleichsanspruch unter dem Altvertrag: er ist nur im Ausnahmefall billigkeitsreduzierend. Gedacht werden könnte daran, wenn dem HV die Kunden aus einem Altvertrag bekannt waren und er nur geringe Mühe mit der Kundenwerbung hatte. Aber grds. sind die Unternehmervorteile anspruchsbestimmend, nicht die Mühe des HV. Erhielt der HV unter dem Altvertrag für diesen Kundenstamm einen Ausgleich, wurde er für die Vorteile des Altund nicht des Neuunternehmers geleistet. Der Ausgleich unter dem Neuvertrag entgilt die zusätzliche Aquiseleistung im Neuvertrag1440 und die Vorteile des Neuunternehmers. Beleidigungen: u. U. Ja. Die in einem Schreiben des HV enthaltene Passage „Beleidigungen, Unterstellungen, Führungsschwäche und mangelnde Kompetenz von Seiten des Unternehmers, nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich, führten bei mir letztlich zu einem diagnostizierten Burnout, welcher bis heute therapeutisch und medikamentös behandelt wird“ ist jedoch nicht so grob beleidigend und unangemessen, dass eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs unter Billigkeitsgesichtspunkten berechtigt ist.1441 Das gilt gerade, wenn solche Ausführungen wenige Tage vor Vertragsende und vor dem Hintergrund von Unstimmigkeiten über den Ausgleichsanspruch fallen.1442

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Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 141. Herbert BB 1997, 1317 (1318); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 141. So OLG Celle, Urt. v. 18.4.2002 – 11 U 210/01, OLGR 2002, 262. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 146. Oetker/Busche5 § 89b Rn 23. BGH NJW 1958, 1966. BGH DB 1981, 1722; WM 1974, 867 (869, 870); VersR 1972, 534. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 146. Semler ZVertriebsR 2012, 48 (49). OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 56 ff. OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 58. 328

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Bestechungsgelder, Zahlung durch den HV für die Werbung von Kunden: Nein.1443 Dies gilt jedenfalls, sofern der Unternehmer das Verhalten billigte und die Schmiergelder dem HV wieder erstattet hat.1444 Bezirksgeschäfte/Direktgeschäfte: Nein. Hält man Bezirksprovisionen zutreffend für ausgleichspflichtig, so spielt es keine Rolle, ob ihre Einbeziehung in die Berechnung des Rohausgleichs oder der Höchstgrenze zu einem höheren Ausgleich als ihre Nichteinbeziehung führt.1445 Der BGH1446 hat der Einbeziehung von Vergütungen für Direktgeschäfte ausgleichsreduzierende Wirkung beigemessen, das OLG Düsseldorf1447 jedoch die gegenteilige Meinung vertreten. Dauer der Tätigkeit des HV: Nein. Weder kurze1448 noch lange1449 Tätigkeit darf zu Lasten des HV gewertet werden.1450 Selbst bei vergleichsweise kurzer Vertragsdauer können erhebliche Ausgleichsbeträge entstehen.1451 Die Rspr. ist so unterschiedlich, wie es die Gesichtspunkte sind, die sich in Richtung des Für und des Wider anführen lassen. Bei einer langen Vertragsdauer kann aus Billigkeitsgründen zugunsten des HV ins Feld geführt werden, dass er seine Lebensarbeit mit dem Werk des Unternehmers verbunden habe, was im Wege der Billigkeit zugunsten des Mittlers spreche. Zudem entstehen hier infolge der Vertragsdauer hohe Unternehmervorteile.1452 Bei einer kurzen Vertragsdauer – insb. im Falle des Einführungsvertreters –, könnte berücksichtigt werden, dass der HV noch nicht Gelegenheit gehabt hat, seine Investitionen, Mühewaltung und Kosten durch Provisionen hereinzuholen.1453 Die umgekehrte Erwägung für den Fall einer langjährigen Vertragsdauer findet sich in BGHZ 55, 45 (56), wo zugleich auf ein früheres Urt. v. 12.12.1963 – VII ZR 47/62 – verwiesen wird. Danach soll der HV, der viele Jahre, ja Jahrzehnte für den Unternehmer erfolgreich tätig gewesen sei, eben dadurch bereits genug Gelegenheit gehabt haben, aus der Summe seiner Provisionseinnahmen sich für seine Investitionen zwecks Gewinnung der neuen Kunden ausreichend bezahlt zu machen; ein Ausgleich komme unter solchem Blickpunkt möglicherweise nicht mehr in Betracht (zwh.). Ähnlich z. T. die Literatur,1454 auch das OLG Karlsruhe.1455 Für einen Billigkeitsabschlag auch Schröder,1456 den langjährigen und gut verdienenden HV in den Blick nehmend. Eine nähere Befassung mit der vorgenannten Entscheidung des OLG Karlsruhe ergibt, dass das Billigkeitsurteil gegen den HV stark auf die besondere Lage des Falles mit einer Reihe von singulären Umständen abgestellt ist. Die

1443 1444 1445 1446 1447 1448

BGH, Urt. v. 26.11.1976, BB 1977, 564. BGH NJW 1977, 671 = BB 1977, 564; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 188. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 148. BGH, Urt. v. 28.10.1957, NJW 1958, 23. v. 30.10.1958, NJW 1959, 104. BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 46; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 171. 1449 AA Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553) – ausgleichserhöhend. 1450 BGHZ 55, 45 (56); BGH ZIP 1997, 238 (239); OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 171; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 143; Hopt § 89b Rn 36; aA OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371. 1451 Siehe etwa den bei Kjellegaard Jensen RIW 2006, 280 (285 f.) wiedergegebenen Fall des Obersten Gericht des westlichen Teils Dänemarks v. 14.1.2004, Ugeskrift for Retsvaesen (UfR) 2004.1157V. 1452 BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 462 = BB 1971, 185; HVR Nr. 319; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – BMW-Vertragshändler: Der Wert der werbenden Tätigkeit steigert sich mit der Tätigkeitsdauer; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 171: Eine nochmalige Berücksichtigung bei der Billigkeit sei dann nicht angebracht. 1453 BGH, Urt. v. 11.12.1996 – VIII ZR 22/96, WM 1997, 235; BB 1957, 1161, VersR 1961, 52 (53); OLG Stuttgart BB 1957, 562; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 16; Schröder DB 1958, 43 (46); Schuler NJW 1958, 1115. 1454 Bruck/Möller, Anm. 378 vor § 43 bis 48 VVG. 1455 OLG Karlsruhe BB 1957, 561 (vollständiger Abdruck JR 1958, 59). 1456 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18. 329

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langjährige Dauer des Vertragsverhältnisses wird dort nicht einmal als besonders signifikant gewertet. Die Entscheidung mag das Richtige getroffen haben. Sie steht aber keinesfalls für das, wofür sie in Anspruch genommen wird. Das Argument der langjährigen „Amortisation“ der in den Kundenstamm investierten Bemühungen des HV würde ohnehin voraussetzen, dass dieser Kundenstamm als solcher lange Jahre hindurch bestanden hat. Auf einen HV, der erst gegen Ende seiner Tätigkeit durch steten Aufbau den Kundenstamm auf das volle Ausmaß gebracht hat, träfe der Ausgangspunkt schon deshalb nicht zu. Zum anderen liegt es in der Natur der Sache, dass die Bearbeitung des einmal gewonnenen Kunden für die Folgetätigkeit mit der Dauer der Jahre an Schwierigkeit abnimmt, weil hier die Kundentreue sich günstig für den HV auswirkt. Ihn dafür mit einer Kürzung des Ausgleichs „bestrafen“ zu wollen, wäre nicht nur nicht billig, sondern geradezu unbillig. Dem Billigkeitsabschlag oder Billigkeitsausschluss steht im übrigen entgegen, dass auch der Unternehmer während der Dauer des Vertrages die langjährigen Vorteile aus den vom HV geschaffenen neuen Kundenverbindungen genossen hat, so dass die Billigkeit des Ausgleichs sich wiederum auf die Verschiebung des Wertes „Kundenstamm“ in der Zukunft und seine fernere alleinige Nutzbarkeit durch den Unternehmer einengt. Jedenfalls hat der BGH1457 als Regel zum Ausdruck gebracht, dass der langjährige HV für die Bemessung des Ausgleichs besser gestellt werden müsse als derjenige, der erst wenige Jahre für den Unternehmer tätig gewesen sei. Man könnte auch vertreten, wenn es dem HV innerhalb einer kurzen Vertragsdauer gelinge, einen Kundenstamm aufzubauen, sei dies ein ausgleichserhöhender Umstand. Letztlich entscheidend sind die Vorteile des Unternehmers infolge des aufgebauten Kundenstammes, die bei kurzer oder langer Vertragsdauer gleich hoch sein können. Sogar bei nur dreimonatiger Tätigkeit kann ein Ausgleichsanspruch bestehen.1458 Einflussbereich des Mittlers: Nein, wenn sich der Vertrieb überwiegend im Einflussbereich des Mittlers vollzieht, was eigentlich immer der Fall ist. Das LG Düsseldorf1459 hat jedoch Zweifel, ob die Zahlung eines Ausgleiches der Billigkeit entspricht, wenn „die gesamte Infrastruktur“ und der die Werbung verarbeitende Adserver im Einflussbereich des Mittlers liegt. Dann entspräche es nicht der Billigkeit, dem Vermarkter einen Ausgleichsanspruch zuzubilligen. Damit werde dem Unternehmer nicht die Chance eröffnet, eine von dem Vermarkter geschaffene Kundenbeziehung zu nutzen. Einstandszahlung (näher dazu unten): Nein, gleich ob sie der HV (allenfalls positives Billigkeitsmerkmal) oder im Wege der Schuldübernahme der Unternehmer trägt.1460 Gleiches gilt für die fehlende Einstandszahlung. Eine Einstandszahlung ist nach dem Gesetz nicht geschuldet und folglich billigkeitsirrelevant. Enge Verbindung zu einem Kunden, wegen der nicht angenommen werden kann, dass der Kunde trotz des Vertragsendes zukünftig in gleich bleibendem Umfang Vertragsprodukte beziehen wird: u. U. Ja,1461 meist entfallen dann bereits Unternehmervorteile. Erbe als Anspruchsteller: Nein.1462 Die Person des Anspruchstellers ist irrelevant. Auch ein entfernter Erbe braucht sich keinen Billigkeitsabschlag gefallen zu lassen. Der Unternehmer kann dem Ausgleichsbegehren der Witwe auch nicht entgegensetzen, der HV habe zu Lebzeiten an den Provisionen so gut verdient, dass es ihm zuzumuten gewesen wäre, eine andere Alterssicherung für seine Witwe aufzubauen.1463

1457 1458 1459 1460 1461

BGHZ 55, 45 (56) und auch in dem dort zitierten Urt. v. 12.12.1963 – VII ZR 47/62. LG Freiburg, Urt. v. 28.5.1999 – 12 O 140/98, NJW-RR 2000, 110. Urt. v. 24.4.2015 – 33 O 141/13, MMR 2015, 804. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 189; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 158. BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 38 – Kfz-Vertragshändler; v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 22 – Kfz-Vertragshändler. 1462 AA Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18d für den Fall, dass der HV nach Vertragsbeendigung stirbt. 1463 BGH NJW 1958, 1966 (1967). Emde

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Erfolgreiche langjährige Tätigkeit des HV und dessen besonders schwierige und aufwendige Bemühungen zur Kundengewinnung: Ja, insb. ausgleichserhöhend,1464 soweit sie nicht schon während des Vertrags durch entsprechend hohe Vergütungen ausgeglichen worden sind. Ersatzvertrag: Nein. Wurde dem HV für den gekündigten Vertrag ein Ersatzvertrag angeboten, etwa ein Vertrag mit dem Erwerber des vertretenen Unternehmens, und lehnt er grundlos den Vertragsschluss mit diesem Erwerber ab, soll das nach einer Ansicht eine Kürzung des Ausgleichs rechtfertigen.1465 Dies ist jedoch im Ergebnis fragwürdig, weil der HV keinen anderen Vertragspartner oder Vertrag akzeptieren muss. Erwerbsfähigkeit des HV: Nein.1466 Erwerbsmöglichkeiten, weitere des HV,1467 etwa infolge einer weiteren, unbeendeten Vertretung bzw. der Aufnahme einer neuen1468 oder der Tätigkeit als Großhändler1469: Nein. Es ist irrelevant, ob der HV neben seiner HV-Tätigkeit andere Erwerbsmöglichkeiten hat. Der Mehrfirmenvertreter ist hinsichtlich des Ausgleichs kein HV minderen Rechts. Exportschwierigkeiten: Nein.1470 Fehlende außerordentliche Kündigung des Unternehmers nach Einsatzunfähigkeit des HV in Folge eines Verkehrsunfalls: Mglw. Ja.1471 Fehlender Unternehmergewinn: u. U. Ja.1472 Grundsätzlich ist der Ausgleich aber auch bei fehlenden Unternehmervorteilen zu leisten, da sich die Verluste reduzieren. Fehlende Kundenbesuche des HV: Ja,1473 wenn es sich um eine Nachlässigkeit handelt. Fehlender Vermittlungserfolg: Nein. Ein mangelnder Vermittlungserfolg muss nicht auf einer Pflichtverletzung des HV beruhen. Er ist nur im Falle einer solchen Pflichtverletzung billigkeitsrelevant.1474 Zudem wirkt er sich bereits bei der Berechnung des Rohausgleichs aus und kann daher regelmäßig nicht erneut unter dem Kriterium der Billigkeit der Berücksichtigung finden. Das OLG Karlsruhe hat einen solchen Abzug jedoch anerkannt.1475 Fixum: Ja, wenn zusätzlich zu der ausgleichsrelevanten Provision ein üblicherweise nicht geschuldeter Festbetrag gezahlt wurde und der Unternehmer diesen folglich „überobligationsmäßig“ leistete.1476 Ein überdurchschnittlich hohes Fixum kann hierzu gehören.1477 Großzügigkeit darf im Rahmen der Billigkeitserwägungen honoriert werden. Voraussetzung ist, dass es sich wirklich um einen Akt der Freizügigkeit und nicht etwa um eine Entschädigung für besondere Mühe, etwa unübliche Erschwernisse bei der HV-Tätigkeit, handelte. Sonst aber kommt es entscheidend darauf an, wofür das Fixum gezahlt wird. Wenn mit ihm dem HV Kosten vergütet werden, die er nach dem Gesetz (§ 87d) selbst zu tragen hätte, so ist das ein zusätzliches Einkommen (garantiertes Einkommen), welches ausgleichsmin-

1464 1465 1466 1467 1468 1469 1470 1471 1472

Thume BB 2009, 2490 (2491). Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211); Sturm/Liekefett BB 2004, 1009 (1015); OLG Hamm HVR Nr. 511. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 39. BGH, Urt. v. 28.10.1957, BB 1957, 1161 = VersR 1957, 775; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 39. BGH, Urt. v. 31.5.1965, HVR Nr. 325. OLG Köln, Urt. v. 29.4.1968, VersR 1968, 966. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 48. AA BGH, Urt. v. 9.4.1964, VersR 1964, 676 (677). Christoph NJW 2010, 647 (650) verneint in diesem Fall sogar Unternehmervorteile, sieht diese Frage aber auch als billigkeitsrelevant an. 1473 OLG Köln, Urt. v. 29.4.1968, VersR 1968, 966. 1474 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 144. 1475 v. 11.4.1957, BB 1957, 561. 1476 BGH NJW 1967, 249; OLG München BB 1961, 651 = NJW 1961, 1072; OLG Celle BB 1962, 156; OLG Nürnberg VersR 1976, 467; Hopt § 89b Rn 35; Westphal DB 2010, 1333 (1337); generell die Berücksichtigung ablehnend Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 172. 1477 OLG München NJW 1957, 1767; 1961, 1072; OLG Celle BB 1962, 156. 331

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dernd wirkt.1478 Wurde es einem Einführungsvertreter zur besseren Bewältigung einer ersten „Durststrecke“ als zusätzliche Vergütung gezahlt, wird es aber weiter gewährt, wenn die Provisionseinnahmen inzwischen einkömmlich fließen, dann wirkt es als Entlastung des HV von seinem eigenen unternehmerischen Risiko1479 und führt unter Billigkeitsgesichtspunkten ebenfalls zu einer Minderung des Ausgleichs.1480 Endet dagegen das Vertragsverhältnis vor Abschluss der „Durststrecke“, so ist der Gesichtspunkt, den Ausgleich wegen des Fixums aus Billigkeitsgründen herabzusetzen, nicht mehr gegeben. Die Zahlung eines Fixums ist eher ein Problem der Berechnung des Ausgleichs und weniger ein solches der Billigkeit. Ein Problem der Berechnung des Ausgleichsanspruchs ist die Zahlung des Fixums deshalb, weil streitig werden kann, ob es bei den Provisionsverlusten des HV zu berücksichtigen ist – wovon bereits die Kommission in ihrem Bericht zur RL ausgeht.1481 Eine ausgleichsmindernde Berücksichtigung des Festbetrages dürfte ausgeschlossen sein, sofern das Fixum Provisionscharakter hat und zumindest partiell erfolgsabhängig ist,1482 etwa eine Saldierung der Festvergütung mit den Provisionsansprüchen erfolgt. Das LG Bonn1483 hat Aufbauzuschüsse von DM 63.000 bei einem Ausgleich von DM 7.300 zu einer Kürzung von 1/12 des Ausgleichsbetrages veranlasst. Dem HV sei das unternehmerische Risiko der Vertragsjahre abgesichert worden. Das LG Düsseldorf1484 hat die Ausgleichsklage eines VV abgewiesen, weil die erfolgsunabhängigen Festbezüge das 2,5fache des Ausgleichs erreichten. Provisionsunabhängige feste Zuzahlungen des Versicherers lassen auch nach Ansicht des LG Stuttgart1485 den Ausgleich entfallen. Würden Fixzahlungen nach Ablauf einer Einstiegsphase gezahlt, führe diese Zahlung dazu, dass dem HV das Unternehmerrisiko abgenommen werde, ohne dass sich solches aus den Schwierigkeiten der Anlaufzeit rechtfertigen lasse. Zuschüsse zu den Büro-, Organisations- wie Altersvorsorgekosten könnten den Ausgleich durchaus mindern oder ausschließen. Denn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung werde unangemessen zu Gunsten des HV gestört, erhielte er neben den Versorgungsleistungen auch noch einen Ausgleich.1486 Auch kann zu prüfen sein, ob die Festbezüge eine Vorwegerfüllung des Ausgleichsanspruchs darstellen. Das ist im Regelfall zu verneinen. Beweispflichtig für eine Vorwegerfüllung ist der Unternehmer, und zwar auch dann, wenn es eine die Vorwegerfüllung bestätigende Vertragsbestimmung gibt (diese ist meist leicht eingefügt und lässt sich vom Unternehmer als wirtschaftlich Stärkeren durchsetzen). Eine Schematisierung dahin, dass Festvergütungen anteilig bewertet werden, etwa ein vor 10 Jahren gezahltes Fixum mit 10 %, das vor 9 Jahren gezahlte Fixum mit 20 %, progressiv steigend bis zum Fixum des letzten Vertragsjahres mit 100 %, ist als zu starr abzulehnen.1487 Förderungsprogramme: Nein, auch nicht wegen des erleichterten Zugangs zum Kunden dank staatlicher Förderungsprogramme.1488 Diese Erleichterung trifft Unternehmer wie HV. Gesellschaftsrechtliche Beteiligung des Vertragshändlers am Mehrfachkunden: Ja. Reduzierung um 10 %, wenn ein geschäftsführender Gesellschafter des Händlers mit einem

1478 1479 1480 1481

BGH VersR 1966, 1182 (1184). BGH VersR 1966, 1182 (1184). OLG München NJW 1957, 1767 (1768); OLG Nürnberg VersR 1976, 467; OLG Celle BB 1962, 156. Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 endg., S. 2, Gliederungspunkt 1 a. 1482 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 58. 1483 Urt. v. 7.3.1979 – 12 O 181/77. 1484 v. 5.3.1981, VersR 1981, 979. 1485 LG Stuttgart VersR 2000, 972. 1486 LG Stuttgart VersR 2000, 972. 1487 Vgl. hierzu LG Bremen, Urt. v. 1.7.1975, VersR 1975, 1099. 1488 OLG Celle NJW 1968, 1141. Emde

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Dritten an dem Mietwagenunternehmen beteiligt ist, das ein in die Ausgleichsberechnung einbezogener Mehrfachkunde ist,1489 Gesundheitszustand des HV: Nein.1490 Gewinne des Unternehmers: In der Regel sind sie irrelevant. Denn auch ohne Gewinne können die Unternehmervorteile erheblich sein und der HV mag Verluste verhindert haben. Daher nur nach den Umständen des Einzelfalls.1491 Größere oder geringere Intensität der Bemühungen, die der HV für den Erfolg seiner Tätigkeit einzusetzen hatte: Nein.1492 Großfamilie: Nein, jedenfalls nach heutigem Verständnis.1493 Grund der Vertragsbeendigung: Ja oder Nein, je nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Im Allgemeinen ist er kein billigkeitsrelevanter Umstand, solange er nicht so erheblich war, dass er zum Ausgleichswegfall nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 führt. Es muss sich um Evidenzfälle handeln. Die fahrlässig verschuldete Herbeiführung der Vertragsbeendigung durch den HV rechtfertigt keine Heranziehung der Billigkeit zugunsten der Ausgleichspflicht des Unternehmers. Weder ist das der Fall bei der selbstverschuldeten Krankheit, noch bei dem Tod des HV durch verschuldeten Verkehrsunfall1494: in beiden Fällen liegt im Allgemeinen keine Verletzung von Vertragspflichten vor, sondern allenfalls auf Seiten des HV ein Verschulden gegen sich selbst. Abs. 3 Nr. 2 ist abschließend. Diese Beispiele spielen sich außerhalb der vertraglichen Sphäre im persönlichen Bereich ab und geben deshalb dem Unternehmer so wenig ein Recht, aus Billigkeitsgründen weniger zahlen zu müssen, als wenn jene Ereignisse den HV unverschuldet getroffen hätten Ja, wenn z. B. eine Kündigung „überfallartig“ nach langjähriger loyaler Zusammenarbeit ausgesprochen worden ist;1495 in der Absicht, die Vertretung einer dem Unternehmer nahestehenden Person zuzuschanzen,1496 oder aus sonstigen grob unsachlichen Beweggründen. Siehe auch oben, „außerordentlicher Kündigungsgrund“. Günstige Vertragsbestimmungen: Für den HV günstige Vertragsbestimmungen können billigkeitsreduzierend wirken.1497 HV-Tätigkeit nach Ende des Vertriebsvertrages: Für eine nachvertragliche Tätigkeit als Agentur nach Ende eines Kfz-Vertragshändlervertrages wird z. T. ein Billigkeitsabschlag von 50 % gefordert. Wenn es sich um eine Tätigkeit für denselben Unternehmer handelt, dürfte jedoch allenfalls ein geringer Billigkeitsabschlag gerechtfertigt sein. Denn der Ausgleich sollte zumindest insoweit nicht entfallen, wie durch die neue Tätigkeit nach Vertragsende kein Ausgleichsanspruch erworben wird. Die Vergütung für die Übertragung des Kundenstammes sollte also zumindest einmal geleistet werden.1498 Zudem erscheint es unlogisch, dass bei einer Tätigkeit für einen Wettbewerber lediglich ein Billigkeitsabschlag von 25 % vorgenommen wird, bei einer Tätigkeit für dieselbe Marke jedoch mehr. Auch wenn die Ausgleichsanwartschaften aus dem Altvertrag auf den Neuvertrag übergehen sollten, muss der Vorteil des Unternehmers zumindest insoweit ausgeglichen werden, als die Bedingungen des Neuvertrages ungünstiger sind („Differenzausgleich“).

1489 1490 1491 1492

BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 225/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 22. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 39. Ohne diese Einschränkung auf den Einzelfall Koch ZIP 2011, 1752 (1755). Bedenklich insoweit OLG Hamburg DB 1963, 1214; auch OLG Nürnberg NJW 1957, 1720 (1722); OLG Karlsruhe BB 1957, 561. 1493 AA BGHZ 43, 159 (162). 1494 BGH, Urt. v. 6.2.1964, BGHZ 41, 129 (131, 132) = NJW 1964, 915. 1495 BGH VersR 1961, 222. 1496 Amtliche Begründung S. 33. 1497 BGHZ 43, 154 (159) = NJW 1965, 1134; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 165; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 148, 155; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 29. 1498 Küstner/Thume/Thume II, 9. Aufl. 2014, Kap. V Rn 101. 333

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Höhere Gewinne des HV als des Unternehmers: Nein.1499 Auch der gut verdienende HV erhält einen Ausgleich.1500 Das folgt schon aus dem Charakter des Ausgleichs als vertragliche Gegenleistung. Inaktivität des HV: Ja.1501 Allerdings berücksichtigt bereits die Berechnung des Ausgleichs eine reduzierte Tätigkeit des HV im letzten Vertragsjahr. Der Abzug ist daher je nach SVGestaltung sehr vorsichtig auszuüben.1502 Insolvenz, Erwerb aus der: Nein. Erwirbt ein Käufer das vertretene Unternehmen im Wege der Einzelrechtsübertragung aus der Insolvenz, so wird hierdurch der HV-Vertrag mit dem Veräußerer nicht berührt. Wird er beendet, so besteht eine Vermutung dafür, mit dem Kaufpreis sei auch der durch den HV aufgebaute Kundenstamm bezahlt worden. Der HV bleibt deshalb ausgleichsberechtigt. Allerdings wird diskutiert, ob der Erwerb aus der Insolvenz unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgleichsmindernd wirkt. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um eine Frage der wirtschaftlichen Lage der Parteien, die bei Billigkeitserwägungen nur ausnahmsweise eine Rolle spielen darf. Denn genauso ließe sich vertreten, dass der übernommene Kundenstamm in dieser Situation für den Erwerber besonders wertvoll ist, was billigkeitserhöhend wirken könnte. Sturm/Liekefett1503 vertreten folgende Lösung: Kann die Insolvenz des Unternehmers durch die Betriebsveräußerung noch abgewendet werden, da sie bislang lediglich drohte, solle dies im Einzelfall Einfluss auf die Höhe des Ausgleichsanspruchs haben. Begründet wird dies mit der Treuepflicht gegenüber dem Unternehmer. Kaufverhalten, verändertes: regelmäßig Nein1504 (es wird aber sehr auf den Einzelfall ankommen). Kinderzahl des HV: Nein. Konjunktur/wirtschaftliche Lage: Nein. Die allgemeine wirtschaftliche Lage bei oder vor Vertragsende hat als vertragsfremder Umstand regelmäßig keinen Einfluss auf die Ausgleichshöhe. Ob der Einwand des Unternehmers, die konjunkturelle Situation habe den Verkauf des HV unterstützt bzw. die derzeitige wirtschaftliche Situation erlaube keine dem Bemessungszeitraum vergleichbaren Verkäufe, zu berücksichtigen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Dies ist mglw. eine Frage fehlender Vorteile. Jedoch wird die entsprechende Zukunftsprognose und ihre Anlage bei Vertragsende durch den beweispflichtigen Unternehmer kaum zu führen sein.1505 Der in der Vergangenheit insb. bei umfangreichen Geschäften infolge der Wiedervereinigung erhobene Einwand konjunktureller Unterstützung untypischer Geschäftsverläufe ist kaum erheblich, weil Mitursächlichkeit der Tätigkeit des HV für den Aufbau des Kundenstammes genügt und stärkende Faktoren – wie die konjunkturelle Situation – damit ausgleichsrechtlich irrelevant sind. Entscheidend ist der Aufbau des Kundenstammes, der durch mitverursachende Faktoren für den Unternehmer keinen geringeren Wert hat. Untypik des Bemessungszeitraums ist durch dessen Erstreckung auf mehrere Jahre zu begegnen. Das OLG Düsseldorf1506 hat einer rückläufigen Konjunkturentwicklung in Folge von Massenentlassungen und Einführung von Kurzarbeit bei einem Umsatzrückgang von mehr als 60 % ausgleichsmindernde Wirkung zuerkannt. Hier stellt sich die Frage, wer die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des vertretenen Unternehmens verursacht hat und ob sie überhaupt zu Lasten des HV gereichen können, da beim Unternehmer die Möglichkeit der Ausnutzung des Kundenstammes genügt.

1499 1500 1501 1502 1503 1504 1505 1506 Emde

BGH, Urt. v. 29.10.1964, n. v.; zit. n. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 27. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 49; aA Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18. BGH BB 2000, 736 m. Anm. Emde. Siehe Emde VersR 2001, 148 (161). Sturm/Liekefett BB 2004, 1009 (1016). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 48. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 96. Urt. v. 8.2.1977, HVR Nr. 504. 334

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Konkurrenztätigkeit des Mittlers nach Vertragsende: Nach h. M. Ja.1507 Die Rspr. geht etwa im Bereich des Kfz-Vertragshändlerrechts von einer regelmäßigen Minderung von 25 %1508 (15 % bei drei konkurrierenden Automarken1509) unter Billigkeitsgesichtspunkten aus, wenn der nach Vertragsende vertretene Wettbewerber eine Sogwirkung auf den bisherigen Kundenstamm ausübt.1510 Ausnahme: Langer Zeitraum zwischen Vertragsende und Wettbewerbstätigkeit1511 oder Unvergleichbarkeit der Produkte.1512 Das OLG Köln1513 nahm einen Billigkeitsabzug von 30 % bei nachvertraglicher Tätigkeit des Kfz-Vertragshändlers als ungebundener Vermittler auch der früher repräsentierten Marke an. Ein Abzug unter Billigkeitsgesichtspunkten in Höhe von 25 % sei auch nicht zu beanstanden, falls der Händler anschließend als freier Händler importierte Fahrzeuge der Beklagten verkaufe und weiterhin die Wartung dieser Fahrzeuge durchführe. Noch mehr als bei dem anschließenden Vertrieb eines Konkurrenzproduktes besteht in jener Situation die Gefahr, dass der Mittler frühere Käufer der Marke an sich binde und demzufolge der Unternehmer ausgleichspflichtige Vorteile nur im verminderten Umfang aus von den von dem Mittler hergestellten Geschäftsverbindungen ziehen könne.1514 Im Tankstellenbereich wurde bei Konkurrenztätigkeit des geschäftsführenden Gesellschafters ein Abschlag von 10 % gebilligt.1515 Lässt sich die Höhe der abgewanderten Kunden konkret bestimmen und war diese Abwanderung bei Vertragsende absehbar, hat eine konkrete Berechnung zu erfolgen1516 (etwa anhand der von abgewanderten Kunden erteilten Stimmvollmachten, dort 83,92 %1517). Das Gericht muss aber nicht zwingend einen Abzug für eine Konkurrenztätigkeit unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit vornehmen.1518 Es ist fraglich, ob es in einem solchen Fall nicht schon am Vorteil des Unternehmers, den Kundenstamm weiter nutzen zu können,1519 fehlt, mglw. sogar an entgehenden Provisionen als speziellem Billigkeitsmerkmal; auf die „allgemeine“ Billigkeit käme es nicht mehr an. Nicht die Tatsache, dass der HV es dem bisherigen Unternehmer „sauer macht“, den Kundenstamm zu halten, ist zu missbilligen,1520 und noch weniger rechtfertigt die bloße Möglichkeit, dass der HV in seiner neuen Tätigkeit die früheren

1507 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 32 (Tankstellen-HV); VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 – Tankstellen-HV; v. 7.7.1960 – II ZR 291/59, VersR 1960, 846 unter III, IV; v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248 unter III 3; v. 21.5.1975 – I ZR 141/74, VersR 1975, 807 unter II 4; DB 1981, 1772; v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2302 unter I 4 a; OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.7.2017 – 9 U 9/15, IHR 2018, 81; OLG Celle BB 1959, 1151; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1552). 1508 Extremfall: 60 % bei Vertrieb dreier anderer Motorradmarken: OLG Köln, Beschl. v. 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129- Ducati. 1509 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081 – Kfz. 1510 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BB 1997, 852 = ZIP 1997, 841; v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, ZIP 1996, 1294 (1297); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081; Rickmann WuW 2003, 752 (762). 1511 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2500) Rn 41 – KfzVertragshändler; LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425 – Kfz-Vertragshändler. 1512 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 31; VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 – Tankstellen-HV; v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2354) Rn 47 – Volvo-Vertragshändler. 1513 OLG Köln, Urt. v. 23.1.2009 – 19 U 63/08, zweifelhaft. 1514 OLG Köln VersR 2002, 437 (438); OLG Celle BB 1959, 1151. 1515 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 31; VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 – Tankstellen-HV. 1516 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 1517 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 1518 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1506). 1519 So Bericht der Kommission zur Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2; BGHZ 52, 5; Eberstein 9. Aufl. S. 135 (heute wohl überholt). 1520 So aber OLG Celle BB 1959, 1151. 335

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Kunden für sich gewinnen könnte1521 schon einen Billigkeitsabschlag. Nur ein unfaires Vorgehen, das gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs verstößt, würde eine andere Beurteilung rechtfertigen. Sonst aber büßt der HV seinen Ausgleich erst ein, wenn und soweit es ihm tatsächlich gelungen ist, die bisherigen Kunden zu sich „herüberzuziehen“ – dann jedoch nicht aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit, sondern weil es am verbliebenen Vorteil für den Unternehmer fehlt. Will der Unternehmer, dass der HV nach seinem Ausscheiden sich einer Nutzung des Kundenstammes für die Konkurrenz enthält, so mag er mit ihm ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ausmachen,1522 muss dann aber die Karenzentschädigung des § 90a zahlen. Dass der HV sich einen Billigkeitsabschlag gefallen lassen müsse, weil er in seinem neuen Wirkungskreis die beim früheren Unternehmer erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen nutzbringend verwerten könne,1523 ist ebenso wenig überzeugend: gerade diesen Vorteil hat der HV sich selbst erarbeitet. Auch dass der Unternehmer Provision an den Nachfolger zahlen muss, ist kein den Ausgleich mindernder Billigkeitsgesichtspunkt. Das gehört zu der ihm zugefallenen Nutzung des Kundenstammes und den auf ihr ruhenden Lasten.1524 Damit ist der HV nach Vertragsende grundsätzlich frei, Wettbewerb auszuüben (Rückschluss aus § 90a). Über den Umweg der Billigkeit darf kein „verstecktes Wettbewerbsverbot“ postuliert werden.1525 Nach der Wertung des § 90a darf dem HV nur bei Zahlung einer Karenzentschädigung nachvertraglicher Wettbewerb untersagt werden. Fehlt eine solche Karenzentschädigung, soll er nicht über eine Reduzierung des Ausgleichs mittelbar für seine nachvertragliche Tätigkeit belastet werden. Denn der Unternehmer erhält bei Vertragsende einen Kundenstamm, für den der Ausgleich zu zahlen ist. Die Leistung des HV wird nicht geringer, falls er nachvertraglichen Wettbewerb ausübt. Eine Herabsetzung unter Billigkeitsgesichtspunkten kommt nicht in Betracht, sofern bei Vertragsbeendigung eine Konkurrenztätigkeit nicht zu erwarten war (Anlagerechtsprechung).1526 Dies ergibt sich daraus, dass nur bei Vertragsende zu antizipierende Umstände in die Prognoseentscheidung über die Höhe des Ausgleichs einfließen dürfen. Es ist allerdings zuzugeben, dass diese Prognose bei Vertragsende schwer zu treffen ist – weshalb die Rspr. möglicherweise zum starren Billigkeitsabzug von meist 25 % gegriffen hat. Ist ein ausgeschiedener Vertragshändler auf Grund eines Agentur-Vertrages nach Vertragsende für einen Vertragshändler derselben Marke als B-Händler tätig, schließt dies Vorteile des Unternehmers nicht aus, sondern reduziert den Ausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten um 75 %.1527 Ein Billigkeitsabzug soll auch bei Wegnahme einer Marke vorgenommen werden, weil der Kundenstamm für die verbleibende Marke genutzt werden kann.1528 Hat der HV bereits vertragsbegleitend – zulässigerweise – einen Wettbewerber vertreten, rechtfertigt sich daraus regelm. kein Billigkeitsabschlag.1529 Denn meist wird diese Tätigkeit schon die Ausgleichsbemessungsgrundlage reduziert haben. Noch weniger rechtfertigt die Tätigkeit für mehrere Unternehmer und die bloße Möglichkeit nachvertraglicher Nutzung des Kundenstammes eine Billigkeitsreduzierung1530 (s. u. Stichwort „Vertragsbegleitende Tätigkeit für andere Unternehmer“).

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So aber BGH DB 1981, 1772. Vgl. OLG Celle VersR 1965, 235. So Schuler a. a. O. S. 1116. BGH, Urt. v. 6.2.1964, VersR 1964, 378; Urt. v. 15.10.1964, BB 1964, 1399 (1400); Schlegelberger/Schröder § 89b

Rn 9.

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Puszkajler BB-aktuell 37/2000, S. IV. Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 519. LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/06. Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 276. AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 180. AA mglw. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 180. 336

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Unzulässige Konkurrenztätigkeit des HV vor Vertragsende: Ja, außer wenn der Einsatz für den Unternehmer dessen ungeachtet besonders erfolgreich gewesen ist.1531 Zu berücksichtigen ist, dass der vertragsbegleitende Wettbewerb mglw bereits die Ausgleichsbemessungsgrundlage reduziert. Eine Doppelberücksichtigung ist mit dem Pönalisierungseffekt zu begründen. Kosten: Nein.1532 Die auf der Vertretung liegenden, ersparten Kosten können eine Reduzierung des Ausgleichs billigkeitshalber nur rechtfertigen, sofern sie außergewöhnlich hoch waren und sie der Mittler nach Vertragsbeendigung spart1533 – der BGH1534 hält Kostensätze von bis zu 50 % für nicht außergewöhnlich, das OLG Celle1535 einen solchen von 75 % jedoch im Billigkeitswege für durchschlagend –, und auch dann nur zu einem den gewöhnlichen Kostensatz übersteigenden Anteil.1536 Thume1537 lehnt eine schematische Berücksichtigung ab einem bestimmten Prozentsatz ab. Der BGH hat in mehreren Urteilen1538 eine Ausgleichsminderung angenommen, wenn die ersparten Kosten besonders hoch waren und damit erhebliche Einsparungen des HV eintraten. Ob dabei nur vom HV vertraglich geschuldete, nicht aber „freiwillig“ erbrachte Leistungen berücksichtigungsfähig sind, etwa für die Kosten eines Reisenden,1539 erscheint angesichts der Berücksichtigung aller Umstände im Rahmen der Billigkeit als Prinzip zweifelhaft. Das OLG München nimmt bei einem BMWVertragshändler zu Gunsten des Händlers an, dass seine Kosten besonders hoch lagen.1540 Maßgeblich war mithin nicht der Wegfall der Kosten sondern die im Kfz-Vertrieb typischerweise erhebliche Höhe der Kosten während der Vertragsdauer. Es ließe sich also gerade umgekehrt argumentieren: Hohe Kosten, insb. freiwillig erbrachte, zeigen einen besonderen Einsatzwillen des Mittlers, der unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit für den HV spricht. Für die Nichtberücksichtigung ersparter Kosten spricht schon, dass der Ausgleich nicht den Verlust des „Reinverdienstes“ des HV kompensiert, sondern eine Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes bildet. Regelmäßig wird man keinen Abzug für ersparte Kosten vornehmen können, da der Gesetzgeber einen solchen Abzugsposten – obwohl er naheliegend war – nicht vorgesehen hat und er nicht der HV-freundlichsten Auslegung des EuGH entspricht. Die Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes hat der Unternehmer unabhängig davon erhalten, ob Kosten erspart werden. Im Übrigen könnten nur Kosten abgezogen werden, die sich auf den Aufbau dieses Kundenstammes im letzten Vertragsjahr bezogen; also Kosten, die mit ausgleichsfähigen Provisionen in Zusammenhang stehen. Möglich wäre also allenfalls ein Abzug der auf die ausgleichspflichtige, werbende Tätigkeit

1531 BGH VersR 1960, 846. 1532 OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 40 – Kommissionsagent; aA Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1552).

1533 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 60 m. Anm. Wauschkuhn; NJW-RR 2003, 821 (825); Urt. v. 3.6.1971 – VII ZR 23/70, BGHZ 56, 242 (249) = DB 1971, 1798 = NJW 1971, 1611; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 40 – Kommissionsagent; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 179. 1534 BGH, Urt. v. 3.6.1971 – VII ZR 23/70, BGHZ 56, 242 (249) = DB 1971, 1798 = NJW 1971, 1611; v. 6.2.1964 – VII ZR 100/62, BGHZ 41, 129 (135) = NJW 1964, 915. 1535 NdsRpfl. 1959, 109 (111). 1536 OLG Celle NJW 1968, 1141; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 142. 1537 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 74. 1538 BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821, 825 = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095; v. 6.2.1964 – VII ZR 100/62, BGHZ 41, 129 (135) = NJW 1964, 915 = VersR 1964, 378; v. 22.12.1960, VersR 1961, 222; zust. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 142. 1539 So OLG Hamm, Urt. v. 14.11.1977 – 18 U 51/77, HVR Nr. 514; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 142; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 60. 1540 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035. 337

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des HV bezogenen Kosten, nicht jedoch von Kosten, die in Zusammenhang stehen mit ausgleichsunfähigen verwaltenden Provisionsbestandteilen.1541 Kündigungsfrist, besonders lange: Wohl eher nein1542. Es fragt sich immer, in wessen Interesse sie vereinbart wurde und wen sie mglw. behindert. Außerdem führt auch die langjährige Enthaltsamkeit bei der Ausübung eines Kündigungsrechts nicht zu Ausgleichsreduzierung. Kündigung aus fadenscheinigen und völlig unzureichenden Gründen, damit sich der Unternehmer unrechtmäßig auf den Ausschlusstatbestand des § 89b Abs. 3 Nr. 2 berufen kann: Ja, ausgleichserhöhend.1543 Kündigung des HV durch den Unternehmer nach kostenaufwendiger Einführung neuer Produkte und relativ kurzer Zeit, nachdem der HV viele wichtige Neukunden geworben hat, aber bis dato nur wenige Provisionen aus der von ihm aufgebauten Geschäftsbeziehung erzielen konnte: Ja, ausgleichserhöhend.1544 Kündigung, überraschende: regelm. Nein.1545 Kündigungsschreiben, Entwurf solcher durch einen VV vor Vertragsende für seine Versicherungsnehmer zum Zwecke der Verwendung gegenüber dem vertretenen Versicherer, um zwischen dem Versicherer und den VN geschlossene Verträge auf einen Wettbewerber umzudecken: Ja, wirkt ausgleichsreduzierend.1546 Kundenliste: Der Gesichtspunkt, dass der Unternehmer dem HV die Werbung von Kunden erleichtert, indem er ihm Informationen über anzusprechende Kunden (etwa in Form einer vom Insolvenzverwalter eines übernommenen Unternehmens entgeltlich erworbenen Kundenliste1547) zur Verfügung stellt, kann bei der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen sein und zu einer Kürzung des Ausgleichsanspruchs führen.1548 Insbesondere wenn der HV durch den Zugang zu Kundenlisten anderer Marken bzw. Kollektionen die Werbung von Neukunden erleichtert wird, ist dies durch einen substantiellen Abschlag auf die Ausgleichsforderung zu berücksichtigen.1549 Ein Billigkeitsabschlag von 50 % für die Übergabe einer Kundenliste ist jedoch nicht angebracht, wenn der HV bereits Kenntnis der Kunden hatte, weil er selbst als Bezirksvertreter die in der Kundenliste genannten Kunden geworben hat.1550

1541 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 80. 1542 AA BGH, Urt. v. 1.10.1970, RVR 1971, 45 m. Anm. Küstner; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 863. Thume BB 2009, 2490 (2491). Thume BB 2009, 2490 (2491). AA Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553) – ausgleichserhöhender Umstand. OLG Rostock, Urt. v. 4.4.2009 – 1 U 57/08, NJW-RR 2009, 1631 = EWiR 2009, 385 (Emde); best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 8.3.2011 – VIII ZR 75/09. 1547 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090; OLG München, Schlussurt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon = GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563 m. Anm. Mense. 1548 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090; OLG München, Schlussurt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon = GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563 m. Anm. Mense; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 187. Siehe auch Eckhoff GWR 2012, 327436, der eine Billigkeitskürzung anregt, wenn der Unternehmer für die Kundenliste Geld zahlte (aber dies ist ein die Aufbauleistung des HV nicht schmälerndes Interna aus der Sphäre des Unternehmers). 1549 OLG München, Urt. v. 24.10.2012 – 7 U 4103/10, BB 2013, 404 m. Anm. Salomon m. Anm. Mense GWR 2012, 340502 = GWR 2012, 563. 1550 BGH, Urt. v. 6.10.2016 – VII ZR 102/12, ZVertriebsR 2016, 386 Rn 22.

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Langjährige Betriebstreue: Ja.1551 Leichte Vertriebstätigkeit: U. U. Ja. Bei erleichterten Vertriebsbemühungen. Insb. beim Vertrieb nur an Großkunden, kann ein Billigkeitsabschlag angemessen sein.1552 Sollte es für den HV einfacher sein, neue Waren an Personen zu veräußern, die mit dem Unternehmer bereits in Geschäftsverbindungen stehen, kann dies vom nationalen Gericht im Rahmen der Billigkeit des Ausgleichs berücksichtigt werden.1553 Laufzeit des HV-Vertrages:1554 Nein. Eine lange Laufzeit des Vertrages wirkt weder billigkeitserhöhend noch billigkeitsreduzierend.1555 So wurde etwa ein relativ kurzer Vertragszeitraum von März 2013 bis Juni 2014 nicht billigkeitsreduzierend gewertet.1556 Mehrvertretereigenschaft: Nein1557: Repräsentiert der HV – zulässigerweise – einen Wettbewerber des Unternehmers, dürfte die reduzierte, verbleibende Arbeitskraft oft bereits die ausgleichspflichtigen Provisionen reduzieren,1558 es sei denn, der HV hat darüber die Wahrnehmung seiner HV-Pflichten vernachlässigt.1559 Modetrends: Nein.1560 Nachvertragliche Tätigkeit des HV: Nein,1561 zumal der HV ohnehin als Mehrfirmenvertreter tätig sein dürfte. Deshalb ist der Umstand irrelevant, dass aus einer nach Ausscheiden übernommenen anderweitigen Vertretung bessere Verdienste anfallen als aus der bisherigen, außer der Unternehmer hat dem HV diese neue Vertretung verschafft.1562 Zur Vertretung von Wettbewerbern „Konkurrenztätigkeit“. Öffnungszeiten: lange Öffnungszeiten mit beträchtlichem Personalaufwand können billigkeitserhöhend wirken.1563 Nachvertragliches Wettbewerbsverbot des HV: Nein.1564 Personalkosten: ein beträchtlicher Personalaufwand kann ausgleichserhöhend wirken.1565 Person des Anspruchsberechtigten,1566 etwa Erbe1567 oder HV: Nein. Begreift man den Ausgleich als vertraglichen Anspruch, dürfte der Person des Anspruchstellers nur geringe Bedeutung zukommen, zumal eine Abtretung oder Rechtsnachfolge die Person des Gläubigers verändern kann. Es kann auch keine Bedeutung haben, ob der HV Maßnahmen zur

1551 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371. 1552 OLG München, Urt. v. 14.5.2014 – 7 U 2586/13, BeckRS 2014, 10205. 1553 EuGH, Urt. v. 7.4.2016 – C-315/14, NJW 2016, 224 = BB 2016, 910 Rn 4 m. Anm. von Bodungen und Heinicke ZVertriebsR 2016, 175; Heinicke ZVertriebsR 2016, 175 (177); aA mglw. Engelhoven/Düppenbecker EWiR 2017, 111 (112). OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/2014, BeckRS 2015, 19345 Rn 49. OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/2014, BeckRS 2015, 19345 Rn 49. OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 47. OLG Nürnberg, Urt. v. 19.9.1957, NJW 1957, 1720; Schneider MDR 1970, 976 (977); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 147; der Unternehmer mag das im Vertrage abbedingen; aA OLG Frankfurt, Urt. v. 3.6.1966, HVR Nr. 365. 1558 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 145. 1559 OLG Köln VersR 1968, 966 (968). 1560 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 48. 1561 OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.5.1956 – 2U 114/55; ebenso BGH, Urt. v. 31.5.1965, HVR Nr. 325. 1562 Schuler NJW 1958, 1116. 1563 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 61 m. Anm. Wauschkuhn. 1564 AA Bericht der Kommission zur Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 Final, S. 3. Diese Sondermeinung dürfte jedoch daraus begründet sein, dass die RL – anders als § 90a – keine zwingende Karenzentschädigung vorsieht. Da der Nachteil eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots jedoch durch die Karenzentschädigung des § 90a ausgeglichen wird, dürfte dieser Umstand nicht ergänzend unter Billigkeitsgesichtspunkten relevant sein. 1565 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 61 m. Anm. Wauschkuhn. 1566 BGH, Urt. v. 13.5.1957, BGHZ 24, 214 = NJW 1957, 1029. 1567 Höft VersR 1965, 553; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 33; aA Schiefelbein VersR 1965, 552.

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Versorgung seiner Erben hätte treffen können. Denn dies hat nichts mit seiner Aufbauarbeit zu tun.1568 Provisionshöhe: Überdurchschnittlich hohe Provisionen: Nein,1569 es sei denn, sie sind völlig unüblich („unüblich hohe Provisionszahlungen“), erst recht nicht bei nachhängenden Provisionen aus § 87 Abs. 31570 oder Provisionen für vom HV nicht geworbene Kunden1571 (weil bei Folge- und Bezirksprovision HV-üblich). Sie begründen als solche noch keinen Billigkeitsabschlag.1572 Sie honorieren regelm. den Vermittlungserfolg, nicht den übergebenen Kundenstamm (Äquivalenzvermutung). Beruhen sie auf überdurchschnittlichen Abschlüssen, dann hat auch der Unternehmer davon Vorteile gehabt. Beruhen sie auf einem überdurchschnittlich hohen Provisionssatz so war es alleinige Entschließung des Unternehmers (oder Verhandlungsgeschick des HV), diesen zugestanden zu haben.1573 Der Unternehmer diente damit seinem eigenen Interesse (besondere Verhältnisse der zu übertragenden Vertretung, Anreiz für den HV). Die Höhe der erzielten Provisionseinkünfte spielt auch unter dem Gesichtspunkt ihrer unterschiedlichen Berechnungsweise (brutto: netto) keine Rolle. Sie sind für den Ausgleich als Bruttoprovisionen zugrunde zu legen; der Unternehmer kann nicht eine Korrektur durch Billigkeitsabzug an Ausgleich verlangen, weil er das Nettoprinzip für das sachgerechtere hält. Provisionsreduzierung: Ja.1574 So soll etwa eine Provisionsreduzierung kurz vor Vertragsende billigkeitsrelevant sein, wobei allerdings immer zu prüfen sein wird, inwieweit sie überhaupt die Bemessungsgrundlage reduziert. Provisionsverluste: Dazu im Einzelnen unten. Provisionszahlungen, nachvertragliche: Ja bei Provisionen, die dem HV ausnahmsweise für Geschäfte zugesagt worden waren, die mit bestimmten Kunden erst nach Vertragsende zustande kommen.1575 Möglicherweise fehlt es dann auch an Provisionsverlusten. Provisionszahlungen an einen nachfolgenden Vertriebsmittler: Nein.1576 Zum einen hat der ausscheidende HV durch den Aufbau des Kundenstammes die Grundlage für die Provisionsverdienste seines Nachfolgers gelegt. Zum anderen ist der Ausgleich durch die Tätigkeit des Ausscheidenden verdient. Wie der Unternehmer im Anschluss an diese Tätigkeit den Kundenstamm verwertet, bleibt für die Billigkeit ohne Belang. Die Zahlung einer Vergütung an den Nachfolgevertreter ist Folge dieser Verwertung und damit ein Beweis für die Aufbauarbeit des Vorgängers. Rentenalter des Mittlers: Nein.1577 Schadenersatz, den der HV anlässlich der Vertragsbeendigung von Dritten erhält: Nein.1578

1568 BGH, Urt. v. 2.10.1958, NJW 1958, 1966. 1569 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 165; aA Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 3 in bestimmten Situationen, etwa bei Erhalt bestimmter Zusatzvergütungen. In Österreich können hohe Handelsspannen dazu führen, dass es an der einem HV gleichenden Einbindung fehlt, s. OGH Österreich, Urt. v. 22.4.2009 – 3 Ob 44/09; v. 18.12.2002 – 3 Ob 85/ 02z; v. 29.11.1989 – 1 Ob 692/89; aA Moritz ZVertriebsR 2017, 143 (146). 1570 So allerdings OLG Karlsruhe JR 1958, 59 ff., 62 – insoweit in BB 1957, 561 nicht abgedruckt. 1571 AA Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1552). 1572 Anders Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18. 1573 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 165. 1574 Bericht über die Anwendung des Art. 17 der Handelsvertreterrichtlinie auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 Final, S. 3. 1575 Als Sonderanerkennung für die frühere Zuführung dieses Kunden: BGH, Urt. v. 6.7.1964 – VII ZR 49/63 –, zitiert bei v. Gamm NJW 1979, 2492. 1576 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 158. 1577 OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). 1578 BGHZ 41, 292 (297); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 191; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 149. Emde

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Schädigung des Goodwill des Unternehmers: Ja.1579 Schätzung der Stammkundenquote nach § 287 ZPO: Nein.1580 Da der Unternehmer selbst die Geschäfte mit den geworbenen Kunden schließt, kennt er den Kundenstamm. Anders als im Vertragshändlerrecht braucht ihm der Kundenstamm daher nicht bekannt gegeben werden, damit ein Ausgleich entsteht. Jedoch gibt es auch im HV-Vertrieb Branchen, in welchen von HV „anonyme“ Geschäfte geschlossen werden, etwa im Tankstellenvertrieb.1581 Der Unternehmer kennt die Kunden dieser HV jedenfalls bei Bargeschäften nicht. Gleichwohl kann hier ein HV-Ausgleich entstehen, weil die Stammkundenquote anhand statistischer Daten nachgewiesen werden kann (§ 287 ZPO).1582 Jedoch hat der BGH1583 diskutiert, ob in einem solchen Fall eine Kürzung des Ausgleichs unter Billigkeitsgesichtspunkten in Frage kommt, dies jedoch offen gelassen. Tatsächlich ist eine solche Auffassung abzulehnen. Wenn der Rohausgleich gem. § 287 ZPO (hoffentlich hinreichend präzise) geschätzt wird, darf diese Schätzung zu keiner weiteren Reduzierung unter Billigkeitsgesichtspunkten führen. Den Kundenstamm kann der Unternehmer jedenfalls dann ausnutzen, wenn das bisherige Geschäftslokal fortgeführt wird, wie z. B. bei dem Offenhalten einer Tankstelle. Schuldhaftes Verhalten von Angestellten des HV: Ja.1584 Selbstmord des HV: Grundsätzlich Nein.1585 Die Rechtsprechung ist hier aber ambivalent. Ursprünglich waren Zweifel in der Richtung entstanden, ob der Selbstmord überhaupt als ein dem natürlichen Tod gleichwertiger Vertragsbeendigungstatbestand und damit als ausgleichsbegründend anzuerkennen sei, oder ob er nicht vielmehr auf der Ebene der Eigenkündigung des HV gesehen werden müsse und damit dem Ausgleich entgegenstehe (Abs. 3 Nr. 1). Der BGH hatte in BGHZ 41, 129 (131) den Selbstmord der vom HV ausgesprochenen Kündigung gleichgestellt wissen wollen. In einer späteren Entscheidung1586 hat er den früheren, allerdings nur obiter ausgesprochenen Standpunkt nicht mehr beibehalten, im Selbstmord grundsätzlich, nicht anders als im natürlichen Tod, einen gesetzlichen Vertragsendigungsgrund gesehen und eine Korrektur nur noch aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit zugelassen. Dem wird, nachdem die Novelle 1976 der Kündigung des HV infolge Alters oder Krankheit die ausgleichsentziehende Wirkung genommen hat, beizustimmen sein. Es widerspricht der Einordnung als vertraglicher Anspruch (Staub/Brüggemann 4. Aufl.: der Menschenwürde) sowie dem Rechtsgedanken des Art. 17 Abs. 4 RL (der die ausgleichsbegründende Natur des Todes des HV anerkennt), die Durchführung des höchstpersönlichen Entschlusses, aus dem Leben zu scheiden, in Beziehung zu dem rein vermögensrechtlichen Vertragsverhältnis zu setzen und ihn materialisierend in eine Freistellung des Unternehmers von der Ausgleichspflicht umzumünzen. Sollte ein Billigkeitsabschlag anzuerkennen sein, wird es entscheidend auf Umstände und Hintergründe ankommen. Leichtsinn in Verbindung mit Nachlassen der Arbeitsintensität und dadurch hervorgerufener Ausweglosig-

1579 Sturm/Liekefett BB 2004, 1009 (1015); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 192. 1580 I. E. OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 34. 1581 BGH NJW 1985, 862; NJW 1998, 66; Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, 1998, 71; NJW-RR 2002, 1548; OLG Köln OLGR Köln 2003, 170; VersR 2001, 1234; Westphal OLGR-Kommentar 12/2002, K 35; Semmler Die Rechtsstellung des Tankstellenhalters zwischen Handelsvertreter und Vertragshändler, Baden-Baden 1995; Heyer Rechtsfragen an Tankstelle und Garage, Würzburg 1964; Rehbinder Der Tankstellenvertrag im Blickfeld der Rechtstatsachenforschung, Berlin 1971; aA English Court of Appeal, Entsch. v. 23.7.1999, ZEuP 2002, 823 m. Anm. Westphal. 1582 OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 34; Genzow IHR 2014, 133 (135); Hopt § 89b Rn 22. 1583 Urt. v. 15.10.1964, BB 1964, 1399 m. Anm. Wittmann. 1584 BGH, Urt. v. 5.2.1959, BGHZ 29, 275 (280) = NJW 1959, 878; es schließt als solches auch bei Kündigung des Vertrages durch den Unternehmer den Ausgleichsanspruch noch nicht aus, Abs. 3 Nr. 2. 1585 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 185; Oetker/Busche5 § 89b Rn 23; aA BGH, Urt. v. 30.6.1966, BB 1966, 876. 1586 BGH NJW 1966, 1964. 341

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keit der wirtschaftlichen Situation sind anders zu gewichten als familiäre Verwicklungen oder Anlage zu Depressionen. Sogwirkung der Marke: Nach h. M. Ja. Man könnte daran denken, dieses Merkmal bei den Unternehmervorteilen zu prüfen;1587 traditionell wird es billigkeitsrelevant.1588 Insbesondere im Kfz-Vertrieb ist ein Abzug vom Rohausgleich unter dem Gesichtspunkt der Sogwirkung der Marke anerkannt. Die Rechtsfigur ist aber nicht auf diesen Bereich begrenzt.1589 Vielmehr kann nach hM auch im HV-Recht der Abzug berechtigt sein, um die Mitursächlichkeit aus der Unternehmersphäre für das Geschäft einzubeziehen.1590 Bestimmte Markenartikel haben einen hohen Bekanntheitsgrad, so dass nach Vorstellung der Rspr. die Bekanntheit der Marke bestimmte Kunden anzieht und die Werbebemühungen des HV geringer sind.1591 Auch medienwirksame Werbe-1592 oder Bonusprogramme1593 des Unternehmers finden im Billigkeitswege Berücksichtigung. Deshalb soll vom Rohausgleich ein Abzug vorgenommen werden. Beispiele: Ausgleichsanspruch eines Anzeigen-HV bei der Werbung für die „gelben Seiten“: 10 %;1594 bei einer Vereinszeitschrift 20 %;1595 Vertrieb von Tiefkühlwaren, der von 2 Unternehmen dominiert wird: 10 %;1596 Sogwirkung der Marke „Shell“;1597 Kfz-Vermietung der Marke Europcar 10 %,1598 Telefonverträge, angebl. 25 % bei großen Telekommunikationsgesellschaften,1599 Sonderpostenmarkt eines Outletcenters 20 %.1600 Besonders häufig ist der Abzug im Kfz-Bereich, und zwar zwischen 5 und 30 %, je nach Bekanntheit der Marke. Eine solche Reduzierung ist oft ungerechtfertigt, schon wegen der Wertung des § 90a.1601 Der Unternehmer erhält auch in Höhe der Sogwirkung aus Geschäftsverbindungen mit geworbenen Kunden Vorteile, nach h. M. nur nicht infolge der Bemühungen des Vermittlers. Gerechtfertigt kann der Abzug allenfalls sein, wenn der Unternehmer die Marke durch eigene, untypisch bedeutende Anstrengungen stärkt. Entweder wird – wofür eine Vermutung spricht1602 – die Sogwirkung bereits bei der Provisionsbemessung berücksichtigt – nämlich durch einen geringeren Provisionssatz als bei anderen Artikeln1603 – oder die Sogwirkung existierte bei Vertragsschluss noch nicht. Dann aber kann sich der HV auf eine vom Unternehmer zu widerlegende Vermutung berufen, der HV habe am Aufbau des Markennamens mitgewirkt und deshalb den ungekürzten Ausgleich verdient. Die – ggf.

1587 Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 233. 1588 BGH ZIP 1993, 1788; NJW 1982, 2819; OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.7.2017 – 9 U 9/15, IHR 2018, 81; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 166. 1589 Siehe etwa BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 Rn 27 (Tankstellen-HV); OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310 („Gelbe Seiten“). 1590 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 32 f. (Tankstellen-HV). 1591 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 32 (Tankstellen-HV); NJW-RR 2003, 1340 (1342) Rn 20; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310 (Werbung für „Gelbe Seiten“). 1592 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 32 (Tankstellen-HV). 1593 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 Rn 28 (Tankstellen-HV); v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/ 09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 32 (Tankstellen-HV). 1594 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. 1595 LG Berlin, Urt. v. 4.7.2018 – 11 O 52/14 – Tennisclub. 1596 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt. 1597 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 – Rn 27 (Tankstellen-HV). 1598 LG Hamburg, Urt. v. 22.3.2013 – 418 HKO 97/10. 1599 Ströbl BB 2013, 1027 (1030) – wohl etwas hoch gegriffen. 1600 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127) – Kommissionsagentenvertrag. 1601 Puszkajler BB-aktuell 37/2000, IV. 1602 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 151. 1603 So ausdrücklich BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (935) zu III 4 für Lotto-HV; OLG Schleswig, Beschl. v. 31.7.2014 – 16 U 68/16, BeckRS 2015, 11000 – Lotto-HV; Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (266); Emde VersR 2004, 1499 (1517); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 151. Emde

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lokal unterschiedliche – Sogwirkung der Marke wirkt sich nicht aus, falls der Mittler für die Teilhabe an den Vorteilen der Marke mit seiner (ggf. zeitanteiligen) Eintrittsgebühr bereits eine Vergütung gezahlt hat.1604 Übliche Unterstützungsmaßnahmen des Unternehmers sind typisch und werden vom HGB vorausgesetzt. Außerdem können als „teuer“ angesehene Markennamen preissensible Kundenkreise abschrecken und üben damit eine „negative“ Sogwirkung aus. Zudem zieht der Unternehmer den Vertriebsmittler gerade zu den Absatzbemühungen heran, weil die Sogwirkung der Marke nicht ausreicht, um die Geschäfte zu sichern.1605 Eine Ausnahme könnten etwa die Luxusgüter einer Boutique-Kette bilden, die in einem Touristenort eröffnet wird und saisonal Kundschaft bedient, die aus einem Markt stammt, in dem der Lieferant und andere Abnehmer nicht für ihn tätig sind.1606 Weiter stellt sich die Frage einer Abzugsfähigkeit in dem Ausgleichsverhältnis zwischen A- und BHändlern. Denn es sind weniger die A-Händler, welche die Marke stärken, sondern es ist der Hersteller. Ein Abzug für die Sogwirkung der Marke in Höhe von 25 % soll nicht zu beanstanden sein, wenn der Kfz-Händler anschließend als freier Händler importierte Fahrzeuge der Beklagten verkauft und die Wartung dieser Fahrzeuge durchführt.1607 Eine Reduzierung kommt aber nicht in Betracht, sofern der Vertragshändler Verkäufe nur unter Gewährung ungewöhnlich hoher Rabatte tätigen kann.1608 Eine Abwanderungsquote von 20 % jährlich spricht nicht notwendigerweise gegen einen Billigkeitsabzug für die Sogwirkung.1609 Bei einem Oligopol starker Markennamen kann die Sogwirkung geringer sein, soll jedoch nicht zwingend ausgeschlossen sein.1610 Die Höhe der Sogwirkung darf bei greifbaren Anhaltspunkten gem. § 287 ZPO geschätzt werden.1611 Das OLG Frankfurt/M. verweigert die Einholung eines Gutachtens zur Sogwirkung, weil die wissenschaftliche Aufklärung des Käuferverhaltens mit Kosten verbunden wäre, die zu dem zusätzlich beanspruchten Billigkeitsabschlag in keinem sinnvollen Verhältnis stehen;1612 der BGH ließ dies unbeanstandet.1613 Die Sogwirkung von Lage, Markt oder Preis unterliegt dem Kernbereich tatrichterlichen Schätzungsermessens und kann von Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter ausreichende Feststellungen zu den für seine Schätzung maßgeblichen Umständen getroffen hat.1614 Sonderpostenmarkt: Bei den Billigkeitserwägungen ist ausgleichserhöhend zu berücksichtigen, dass für dessen Betrieb mit Lagerhaltung sowie Regalpflege und angesichts der langen Öffnungszeiten ein beträchtlicher Personalaufwand erforderlich ist.1615 Umgekehrt muss ausgleichsreduzierend berücksichtigt werden, dass der Kommissionsagent nicht die

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Bodewick BB 1997, 627 (643); Flohr DStR 1998, 572 (574). Zum Recht der Schweiz Meyer ZVertriebsR 2017, 14 (20). Zum Recht der Schweiz Meyer ZVertriebsR 2017, 14 (20). OLG Köln VersR 2002, 437 (438). OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105. BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 32 (Tankstellen-HV). BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 32 (Tankstellen-HV). BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 31 (Tankstellen-HV). OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz. BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 53 m. Anm. Lang/Klein. BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 36 (Kfz-Vertragshändler); v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 31 (Tankstellen-HV); v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein Rn 52 – Kfz-Vertragshändler; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 43; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 28 (Tankstellen-HV); v. 12.9.2007 – VIII ZR 154/06, BB 2007, 2475 Rn 54; v. 4.5.2005 – VIII ZR 123/04, NJW-RR 2005, 1157; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 54 m. Anm. Emde. 1615 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 61 m. Anm. Wauschkuhn. 343

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vollen Kosten der Ladenmiete zu tragen hatte, sondern nur die Nebenkosten.1616 Auch wird man einen Abschlag für nach Vertragsende ersparte Aufwendungen, insb. ersparte Personalkosten, in Betracht ziehen können,1617 etwa von 20 % für ersparte Aufwendungen.1618 Soziale Lage: Grundsätzlich Nein.1619 Für besonders gelagerte Ausnahmefälle hat der BGH1620 die Berücksichtigung der sozialen Lage des HV nicht grundsätzlich ausschließen zu wollen erklärt, auch die wirtschaftliche Lage beider Parteien unter Billigkeitsgesichtspunkten insoweit ins Spiel gebracht, als die Zahlung eines größeren Ausgleichsbetrages die Weiterführung des Betriebes beim Unternehmer gefährden würde.1621 Strukturschwaches Gebiet, dortige Tätigkeit: Ja, etwa in dem seinerzeitigen Zonenrandgebiet.1622 Tod: Grundsätzlich Nein. Diskutiert wird der Abzug, wenn der HV durch seinen Tod einer fristlosen Kündigung zuvorkam oder die Umstände des Todes – Überlassen des Steuers an eine alkoholisierte 19-jährige – möglicherweise eine Verletzung des HV-Vertrages darstellen könnten. Der BGH hat in diesem Fall den Ausgleichsanspruch gleichwohl gewährt, weil es sich nicht um eine Pflichtwidrigkeit gerade gegenüber dem Unternehmer handelt.1623 Umsatzrückgang: Nein, es sei denn, es liegt eine bewusste und schuldhafte Vernachlässigung der Vermittlungsbemühungen vor.1624 Der Umsatzrückgang findet schon und nur bei der Berechnung des Rohausgleichs Berücksichtigung, weil er die im Bemessungszeitraum erzielten Provisionen reduziert. Der Verlust von Kunden, die nicht ausgleichspflichtig sind – etwa nicht erweiterte Altkunden – ist auch unter Billigkeitsgesichtspunkten irrelevant, weil solche Kunden in die Berechnung des Rohausgleichs keinen Eingang gefunden haben.1625 Insbesondere spielt ein geringfügig rückläufiger Umsatz keine Rolle.1626 Umsatzerhöhung, fehlende: Nein. Es ist unschädlich, wenn die Umsätze des HV in der Vertragszeit insgesamt sich nicht erhöht haben (solange jedenfalls ein Neukundenzugang zu verzeichnen ist) oder sogar geringfügig rückläufig gewesen sind.1627 Umsatzsteigerung, geringere als bei anderen HV: Nein.1628 Anders wiederum, wenn diese Verhältnisse auf einen geringeren als den geschuldeten Einsatz des HV zurückzuführen sind.1629 Unfalltod des HV: grds. Nein.1630 Unternehmervorteile, für die der HV keine Provision oder Ausgleich erhält, können ausgleichserhöhend wirken.1631 Untervertreter, Beschäftigung von: Nein. Ob der HV Untervertreter beschäftigt, ist unter Billigkeitsgesichtspunkten irrelevant. Dem HV obliegt die Organisation seiner Tätigkeit und damit die Entscheidung, ob er Angestellte oder Untervertreter beschäftigt. Entscheidet er

1616 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 61 m. Anm. Wauschkuhn. OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127). OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 133, 185. NJW 1965, 1134 (1136) unter Bezugnahme auf ein früheres Urt. v. 29.10.1964 – VII ZR 86/63; zust. Canaris § 17 Rn 113. Zustimmend Canaris § 17 Rn 113. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06. BGHZ 41, 129. BGH NJW 1990, 2889 (2890 f.); BB 1964, 1399 f.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 174. BGH VersR 1971, 265 (268); Urt. v. 29.3.1990, BB 1990, 1366; v. 18.2.1982, NJW 1982, 1814. OLG Köln, Urt. v. 29.4.1968, VersR 1968, 966 (969). OLG Köln VersR 1968, 966 (969); anders bei erheblichem Gesamtumsatzrückgang, BGH VersR 1964, 1268. BGH, Urt. v. 19.1.1970. OLG Karlsruhe JR 1958, 59 (63) – insoweit in BB 1957, 561 nicht abgedruckt. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 185; Oetker/Busche5 § 89b Rn 23. Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553).

1617 1618 1619 1620 1621 1622 1623 1624 1625 1626 1627 1628 1629 1630 1631 Emde

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sich für die Tätigkeit von Hilfskräften, übernimmt er das unternehmerische Risiko und dieser Umstand darf nicht billigkeitsreduzierend wirken. Unüblich hohe Provisionszahlungen oder für den HV besonders günstige Vertragsbestimmungen: Ja.1632 Im Zweifel ist von der Angemessenheit des gezahlten Entgelts auszugehen.1633 Treueverhältnis zwischen den Parteien: Nein, es ist vertragsimmanent.1634 Verjährte Gegenforderungen: Ja, wenn nicht zu fern zurückliegend. Verkauf der Kundenkartei: Ja.1635 Hat ein Vertragshändler dem Hersteller die Daten der von ihm neu geworbenen Kunden bekannt gemacht, wird der Ausgleich nicht völlig unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgeschlossen, weil der Vertragshändler die Kundenkartei auch einem Dritten übertragen hat, welcher zu dem Hersteller möglicherweise in Konkurrenz tritt. Infolge dieser Übertragung entfallen auch nicht sämtliche Vorteile des Herstellers. Der Fall ist nicht anders zu beurteilen, als wenn der Vertragshändler nach Vertragsende selbst im Wettbewerb zu dem Hersteller tritt. Der Konkurrenztätigkeit ist daher lediglich bei der Prognose der Unternehmervorteile und der Nachteile des Vertragshändlers sowie unter dem Gesichtspunkt des Billigkeitsabzugs Rechnung zu tragen. Verletzung von Vertragspflichten durch eine Partei, etwa infolge eines schuldhaften Verhaltens des Mittlers1636 oder seiner Angestellten1637: Ja.1638 Beispiel: Vorzeitiger Verkauf eines Fahrzeuges durch Mietwagenunternehmen, an welchem geschäftsführende Gesellschafter des Mittlers beteiligt sind.1639 Besonders vertragswidriges Verhalten des Unternehmers, welches dem HV Anlass zu einer ausgleichserhaltenden Kündigung gegeben hat, kann ausgleichserhöhend wirken.1640 Vertragswidriges Verhalten des HV gibt dem Unternehmer das Recht zur außerordentlichen Kündigung, die gem. § 89b Abs. 3 zum Ausgleichswegfall führt. Erreicht die Vertragswidrigkeit nicht diese Schwelle, bleibt der Ausgleich grundsätzlich erhalten. Jedoch ist es nicht ausgeschlossen, unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit eine Reduzierung herbeizuführen, weil vertragswidriges Verhalten nicht belohnt werden soll.1641 Das gilt insbesondere für die Verletzung der Vertriebspflicht durch den HV. Hat der Unternehmer den HV-Vertrag nicht außerordentlich gekündigt, wäre hierzu jedoch berechtigt gewesen, kann entweder der Ausgleich analog § 89b Abs. 3 Nr. 2 ausgeschlossen sein1642 – was die heute h. M. bestreitet (dazu unten) – oder der Billigkeitsgrundsatz ausgleichsbeschränkend wirken. Verlust von Kunden: Nein. Er wird bereits bei der Berechnung des Rohausgleichs berücksichtigt und kann daher nicht erneut im Rahmen der Billigkeitserwägung Maßstab sein, sofern keine außergewöhnlichen Umstände – etwa bewusste Vernachlässigung der Vermittlungsbemühungen (s. o.) – vorliegen.1643 Der Verlust von nicht ausgleichspflichtigen Alt-

1632 BGH, Urt. v. 15.2.1965, BGHZ 43, 154 (159) = NJW 1965, 1134; BGHZ 45, 268; Hopt § 89b Rn 35; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 148, 155. 1633 BGH EBE 2000, 109 (112); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 148, 155. 1634 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 31. 1635 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 m. krit. Anm. Ströbl BB 2006, 2258; Hopt § 84 Rn 15. 1636 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 23 (Kfz-Vertragshändler); v. 17.10.1984 – I ZR 95/82, WM 1985, 469; v. 2.10.1958, NJW 1958, 1966; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 16. 1637 BGH, Urt. v. 5.2.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878. 1638 Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1552); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 119; Oetker/Busche5 § 89b Rn 23. 1639 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 23. 1640 Thume BB 2009, 2490 (2491). 1641 Beispiel: BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 23. 1642 Urt. v. 2.10.1958, NJW 1958, 1966. 1643 OLG Schleswig v. 1.11.1957, BB 1958, 246; OLG Stuttgart v. 26.3.1957, VersR 1957, 329. 345

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kunden ist ohnehin nicht billigkeitsrelevant (s. „Abspringen von Altkunden“). Was den Ausgleich nicht erhöht kann ihn grds. auch nicht reduzieren. Vermittlertätigkeit nach Beendigung eines Kfz-Vertragshändlervertrages: Je nach Umständen, Ja, etwa in Höhe von 5 %.1644 Vertragsbegleitende Tätigkeit für andere Unternehmer: Nein.1645 Der HV unterliegt keinem Verbot einer Zweittätigkeit, lediglich einem Wettbewerbsverbot für Produkte gleicher Art. Allenfalls vertragswidrige Wettbewerbstätigkeit darf gleich einem „punitive damage“ unter Billigkeitsgesichtspunkten berücksichtigt werden, weil vertragswidriges Verhalten keine Belohnung verdient. Zwar stehen dem Unternehmer Schadenersatzansprüche zu. Jene lassen sich jedoch nur schwer nachweisen. Verwaltende Anteile: Will man verwaltende Provisionsbestandteile mit der h. M. nicht in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbeziehen, können hohe verwaltende Provisionsbestandteile unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgleichserhöhend wirken.1646 Werbemaßnahmen des Unternehmers: Nein,1647 es sei denn, die Werbung erreicht ein außergewöhnliches Maß, welches die sonst billigerweise zu erwartende Förderung der Tätigkeit des HV überstieg, und kommt dem HV nachweisbar zugute.1648 Der Unternehmer bemisst die Provisionen des HV von vornherein auch nach Art und Umfang seiner Tätigkeit. Eine besondere Hilfe durch seine Werbung wird daher provisionsmindernd berücksichtigt, so dass im Allgemeinen für eine zusätzliche, ausgleichsmindernde Berücksichtigung von Werbeaufwendungen des Unternehmers kein Raum ist.1649 Da hohe Werbeaufwendungen des Unternehmers damit zu einer vergleichsweise geringen Provisionshöhe und zu einem reduzierten Ausgleich führen, würde eine Berücksichtigung der Billigkeitsgesichtspunkte zu einem doppelten Abzug leiten.1650 Bei Beteiligung des Mittlers an Werbeaufwendungen ist ein Billigkeitsabschlag sicher ausgeschlossen. Werbung für die vertriebenen Neuwagen nach Beendigung des Kfz-Händlervertrages: Ja. Das OLG Frankfurt nimmt einen Billigkeitsabschlag von 5 % vor, wenn der ehemalige Händler nach wie vor auf seiner Homepage für Neuwagengeschäfte wirbt.1651 Werkstatttätigkeit des Vertragshändlers nach Vertragsende: Nein.1652 Der Ausgleich eines nach Vertragsbeendigung als zugelassene Werkstatt tätigen Händlers ist nicht zu kürzen,

1644 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 36 f. 1645 OLG Nürnberg v. 19.9.1957, NJW 1957, 1720; aA mglw. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 180.

1646 Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553). 1647 OLG Köln VersR 1968, 966 (969), OLG Schleswig BB 1958, 246; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 170.

1648 BGH, Urt. v. 28.10.1957, BGHZ 56, 242 (245) = NJW 1957, 1767; Urt. v. 15.12.1978 – I ZR 59/77, BGHZ 73, 99 = NJW 1979, 651; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 45; OLG Köln, Urt. v. 29.4.1968, VersR 1968, 966; OLG Celle, Urt. v. 25.1.1968, NJW 1968, 1141; OLG Schleswig, Urt. v. 1.11.1957, BB 1958, 246. 1649 BGH, Urt. v. 15.12.1978 – I ZR 59/77, BGHZ 73, 99 = NJW 1979, 651; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 45. 1650 BGH, Urt. v. 4.6.1975, EBE 1975, 351 (354); OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.3.1960, BB 1960, 381; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 18. 1651 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06 (Kart). 1652 LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/06; Emde BB-Special 3/2007, 29; Niebling WRP 2011, 1269 (1271); Niebling WRP 2009, 153 (157); aA BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 34 f. – krit. hierzu Niebling WRP 2011, 1269 (1271); OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08 – unter Aufgabe der früheren abw. Rspr. des Urt. v. 31.3.2006 – 19 U 139/95; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081 – Kfz (vom BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 54 m. Anm. Lang/Klein ist der nur die Konkurrenztätigkeit abgeltende Billigkeitsabzug unbeanstandet gelassen worden); Urt. v. 17.1.2006 – 11 U 34/05 (Kart); OLG Celle OLGR 2001, 318 (320); Reckmann WuW 2003, 752 (762); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 182. Emde

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weder um 5 %,1653 10 %1654 noch um 50 %.1655 Der Ausgleich wird lediglich für die Vertriebsbemühungen und nicht für die Tätigkeit im Werkstattbereich1656 gezahlt, also „vertragsbezogen“ für die Geschäftsverbindung mit den vermittelten Kunden im Neuwagenverkauf und nicht „personenbezogen“ für irgendwelche Geschäftschancen mit den Kunden. Was den Ausgleich nicht erhöht, darf ihn auch nicht reduzieren.1657 Erst Recht ist kein Abzug vorzunehmen für die Tätigkeit als Werkstatt eines anderen Herstellers1658 oder eine Tätigkeit als freie Werkstatt.1659 Will man, wie im Falle einer Konkurrenztätigkeit, einen Billigkeitsabschlag anerkennen, ist die Nutzung des Kundenstammes für vergleichbare Produkte zu verlangen. Neuwagen- und Werkstattgeschäft sind gegenständlich jedoch nicht substituierbar. Zudem ist das Werkstattgeschäft Folge des Verkaufs. Entfällt der Verkauf, reduziert sich auch das Werkstattgeschäft als „after-sale-Tätigkeit“ erheblich. Außerdem gibt die Werkstatttätigkeit dem Unternehmer Vorteile (Ersatzteilverkäufe), was billigkeitserhöhend wirken müsste. Bei einer Phase der Unterbrechung zwischen Händler- und Werkstatttätigkeit ist nach Ansicht von Niebling1660 zwischen einem 5 %igen Abzug bis etwa ein Monat Untätigkeit und fehlendem Abzug ab etwa einem halben Jahr Unterbrechung zu wählen. Wettbewerbsrecht, Verstoß gegen: Nein. Nicht billigkeitsrelevant sind gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstoßende Handlungen des HV bei der Werbung des Kundenstammes, falls der Unternehmer jene geduldet oder sogar gefördert hat.1661 Wettbewerbsabreden, nachvertragliche: u. U. ausgleichserhöhend,1662 regelm. aber bereits durch die Karenzentschädigung erfasst. Wirtschaftliche Lage der Parteien:1663 Ja,1664 im Ausnahmefall und wenn sie in Zusammenhang mit dem HV-Vertrag steht,1665 etwa durch seine Ausführung mitbestimmt wurde. Eberstein1666 nennt den Fall des wirtschaftlich überlegenen HV, dessen Ausgleich bei schwacher Kapitalbasis des Unternehmers gekürzt werden sollte. Ansonsten kann dieser Umstand als vertragsfremder nur in Ausnahmefällen1667 eine von vielen Ermessenserwägungen sein, und dies meist zugunsten des HV. Denn eine günstige wirtschaftliche Situation des HV darf die ihm vertraglich zugesagte Gegenleistung nicht mindern, ebenso wenig wie bei anderen Gegenleistungen eine solche Kürzung nach § 242 BGB in Frage kommt. Thu-

1653 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 34 f; nach Niebling WRP 2011, 1269 (1271) handelt es sich bei diesem Abzug um die „Obergrenze“ und er sollte entfallen, wenn der Händler den Kundenstamm durch „aquisitorische Leistung“ selbst geschaffen hat. 1654 So aber OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08; Urt. v. 23.1.2009 – 19 U 63/08; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.1.2006 – 11 U (Kart) 34/05, BeckRS 2007, 04771 (angeblich sogar bei Werkstatttätigkeit einer Schwestergesellschaft – Durchgriff); v. 17.7.2007 – 11 U 53/06; v. 17.1.2006 – 11 U 34/05 sowie 11 U 33/05; v. 5.4.2006 – 21 U 10/05; OLG Celle, Urt. v. 29.3.2001 – 13 U 53/00; OLG Bremen, Urt. v. 16.11.2006 – 2 U 61/06; LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08 n. v.; LG Bremen, Urt. v. 11.5.2006 – 12 O 297/05. 1655 So aber Rickmann WuW 2003, 752 (762). 1656 Eingehend Emde GRUR 2006, 996 (1003), wobei a. a. O. eine Ausgleichsfähigkeit des Ersatzteilgeschäfts vertreten wird. 1657 LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/06; Emde BB-Special 3/2007, 29. 1658 Niebling WRP 2011, 1269 (1271). 1659 Niebling WRP 2011, 1269 (1271). 1660 WRP 2011, 1269 (1271). 1661 BGH, Urt. v. 26.11.1976 – I ZR 154/74, NJW 1977, 671 = DB 1977, 720 (721). 1662 Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553). 1663 BGH, Urt. v. 15.2.1965, NJW 1965, 1134 (1136); OLG Karlsruhe BB 1957, 561; LG Hamburg, Urt. v. 5.11.1954, MDR 1955, 44; Noetzel NJW 1958, 1326; Neflin DB 1962, 1531; zweifelnd OLG Köln, Urt. v. 29.4.1968, VersR 1968, 966; aA Franta MDR 1953, 532. 1664 AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 133. 1665 LG Hamburg, Urt. v. 5.11.1954, MDR 1955, 44. 1666 S. 32 f. 1667 In diese Richtung BGH, Urt. v. 29.10.1964, n. v.; zitiert nach Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 36. 347

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me1668 weist darauf hin, dass bei Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der aufgrund der selben Umstände verdiente Ausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten reduziert werden müsste, wenn der HV selbst vermögenslos war, sein Rechtsnachfolger – etwa sein Erbe – jedoch nicht.1669 Von der Person des Empfängers kann der Inhalt einer vertraglichen Vergütung nicht abhängig sein, jedenfalls dann nicht, wenn dies nicht ausdrücklich bestimmt wurde. Noch prägnanter: Bei völlig identischen Umständen müsste einem weniger vermögendem HV der Ausgleich ungekürzt ausgezahlt, seinem vermögenden Kollegen jedoch gekürzt geleistet werden. Nicht ausgleichsreduzierend wirkt eine nicht durch den HVVertrag hervorgerufene wirtschaftliche Überlegenheit des HV,1670 die nicht durch für den HV besonders vorteilhafte Vertragsbedingungen hervorgerufen wurde. Wunsch des HV nach Vertragsbeendigung: angeblich Ja1671 (dort Abzug von 3/4 des Ausgleichs; zweifelhaft1672). Zeitaufwendige Tätigkeit: regelmäßig Nein, abhängig von den Umständen des Einzelfalls,1673 zumal sich bereits die Höhe der Provision und damit des Ausgleichs am voraussichtlichen Arbeitseinsatz orientieren dürfte.1674 Zusatzvergütung: Zahlt der Unternehmer dem HV eine vertraglich nicht geschuldete Zusatzvergütung zusätzlich zur Provision, kann das zu einer Billigkeitsreduzierung führen.1675 Es muss sich aber tatsächlich um eine auf freiwilliger Basis geleistete Zusatzvergütung handeln, die kein Entgelt für eine Tätigkeit oder für Kosten bildet. Dies wird kaum je der Fall sein.

7. Zeitpunkt der Billigkeitsprognose 260 Ob die Zahlung des Ausgleiches der Billigkeit entspricht, ist im Wege einer zukunftsbezogenen Prognose bei Vertragsende zu bestimmen.1676 Welcher Zeitpunkt für die Billigkeitsprognose maßgeblich ist, wird unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird vertreten,1677 auch nach Vertragsende eintretende Umstände, etwa ein nachvertraglicher Prozessbetrug oder eine Drohung, seien in die Billigkeitserwägungen einzubeziehen. Der BGH hat ausgesprochen, bei der Berechnung des Rohausgleiches dürften nur solche Umstände in die Zukunftsprognose einfließen, die zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits abzusehen seien (Rn 198).1678 Das könnte dafür sprechen, sämtliche Umstände, die in die Billigkeitsprognose einfließen, müssten schon im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung absehbar sein. Es ist aber gut vertretbar, bei der Bewertung der Billigkeit abweichend zu dem für den Prognosezeitpunkt anderer TB-Merkmale Vertretenen nicht nur zum Zeitpunkt des Vertragsendes absehbare, sondern auch später eintretende Umstände und damit einen umfangreicheren Tatsachenkreis in die Abwägung einzubeziehen als bei der vorgeschalteten Berechnung des Rohausgleichs. Denn die Billigkeit dient der Nivellierung von Ungerechtigkeiten im Lichte aller Tatsachen und damit gleichsam als „letzter Ret-

1668 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 37. 1669 Bei einer Abtretung nach Vertragsende wird es hier allerdings immer auf die Person des vertragsausführenden HV ankommen. OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.4.1957, BB 1957, 561. OLG Celle, Urt. v. 12.4.2002, OLGR 2002, 262. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 46. OLG Hamburg, Urt. v. 5.6.1963, DB 1963, 1214; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 29. BGH, Urt. v. 15.12.1978, BB 1979, 288 = DB 1979, 543. BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248 (249); OLG München NJW 1961, 1072; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 173; Hopt § 89b Rn 35. 1676 Emde DStR 2009, 1478 (1483). 1677 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371; Westphal I, Rn 1037; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 103. 1678 BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 120.

1670 1671 1672 1673 1674 1675

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tungsanker“. So hat das OLG Frankfurt/M.1679 nachvertragliches Fehlverhalten eines Vertragshändlers bei der Billigkeitskorrektur bewertet, jedenfalls sofern es Indiz für eine bereits vor Vertragsbeendigung vorhandene Einstellung sein soll.

8. Ermessensausübung § 89b Abs. 1 Nr. 2 setzt eine Ermessensentscheidung und eine Ermessensausübung voraus. Ins- 261 besondere bei dem Abzug des Anwartschaftsbarwerts der Altersversorgung (s. u.) wird jedoch oft ohne Einzelfallerwägungen vorgegangen, was eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion der nach BGH-Rechtsprechung1680 unzulässigen Anrechnungsklausel bedeutet. Der BGH1681 hat im Rahmen einer von § 850c Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Billigkeitsabwägung ausdrücklich die Ermessensausübung anhand der Umstände des Einzelfalls gefordert und im Leitsatz ausführt, ermessensfehlerhaft sei eine Billigkeitsabwägung, wenn dieselbe Berechnungsformel unterschiedslos auf verschiedenartige Fallgestaltungen angewendet werde. Diese Entscheidung, die eine tatsächliche Ermessensausübung fordert, wird man mit aller Vorsicht auf das Ausgleichsrecht übertragen können.

9. Vertragliche Regelung von Billigkeitsgründen Gelegentlich werden bei Abschluss des HV-Vertrages oder später Vereinbarungen getroffen, wel- 262 che Umstände im Rahmen der Billigkeitsprüfung erheblich sein sollen.1682 Gem. § 89b Abs. 4 ist der Ausgleich insoweit zwingend, als er nicht im Voraus ausgeschlossen werden kann. Die Parteien können deshalb nicht bindend regeln, welche Elemente im Rahmen der Billigkeitsprüfung anspruchsmindernd berücksichtigt werden dürfen. Solche Abreden dürfen, nicht anders als bei wichtigen Kündigungsgründen, die vom Gesetz vorgesehenen Billigkeitsgründe nur konkretisieren, nicht jedoch über den gesetzlichen Rahmen ausweiten. Das gilt jedoch nur, soweit sie zu einer Reduzierung des Ausgleichs führen. Die Erweiterung des Ausgleichs unter Billigkeitsgesichtspunkten ist jederzeit zulässig, da § 89b Abs. 4 nur eine Reduzierung des Ausgleichs verbietet.1683 Ob die unwirksame Billigkeitsabrede – was der BGH annimmt1684 – faktisch die Billigkeitsgesichtspunkte konkretisiert, erscheint angesichts der zwingenden Natur des § 89b mehr als fraglich.1685 Richtigerweise darf nur das als billigkeitsreduzierender Umstand vereinbart werden, was auch unmittelbar nach § 89b Abs. 1 billigkeitsrelevant wäre. Allenfalls kann eine solche Klausel ein Indiz – mehr aber nicht – dafür geben, welche Umstände den Parteien bedeutsam erschienen, aber nur dann, wenn die Regelung Ausdruck eines gerechten Interessenausgleichs ist und nicht einseitig von einer Partei gestellt wurde. Fast immer wird dieses Indiz von zweifelhaftem Wert sein, weil die vertragsstellende Partei – meist der Unternehmer – die Umstände definiert und die Definition lediglich den Wunsch einer Partei und nicht die Einigung beider Parteien aufzeigt. 1679 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06. 1680 Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zsf. Graf v. Westphalen, NJW 2003, 1988 f.; ebenso OLG München, Urt. v. 13.3.2003 – 29 U 2509/02, NJW-RR 2003, 1286. 1681 BGH, Beschl. v. 5.4.2005, VII ZB 28/05, WM 2005, 1186; zuvor bereits BGH, Beschl. v. 21.12.2004, WM 2005, 293. 1682 BGH, Urt. v. 17.11.1983, BB 1984, 168; v. 20.11.2002, NJW 2003, 1241; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 122. 1683 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 183. 1684 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, VersR 2003, 368 = NJW 2003, 1244 = WM 2003, 691 = MDR 2003, 277 = EWiR 2003, 231 (Emde); ebenso Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 22; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 183. 1685 Emde EWiR 2003, 231 (232). 349

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10. Entgehende Provisionen – (bis 2009: Provisionsverluste) 263 a) Europarechtliche Präformation. Art. 17 Abs. 2 lit. a RL sieht entgehende Provisionen als einen besonderen Unterfall der Billigkeit an. Nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 der bis 2009 geltenden Fassung des § 89b war der Provisionsverlust hingegen eine eigenständige Anspruchsvoraussetzung. Eine RL-konforme Auslegung des § 89b Abs. 1 – die nach teilweise eingenommener Ansicht allerdings nur im Ausnahmefall contra legem1686 erfolgen durfte (s. d. Kommentierung zu Vor § 84) – führte bereits vor der Novelle 2009 dazu, innerhalb des Anwendungsbereichs der RL – beim Warenvertreter – den Provisionsverlust nicht als zwingende Anspruchsvoraussetzung sondern nur als wesentliches Indiz für die Billigkeit einzuordnen. Nachdem der BGH das Merkmal der Provisionsverluste bereits in seinem Urteil zum Rotati264 onsvertrieb der Anzeigen-HV1687 missachtete1688 und schon der Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 RL1689 den Hinweis enthielt, die vom HV während der Vertragsdauer erhaltene Provision entspreche nicht notwendigerweise dem Wert seiner Tätigkeit für den Unternehmer,1690 entschied der EuGH1691 2009 auf die Vorlage des LG Hamburg im Streit um den Ausgleichsanspruch eines Tankstellen-HV, eine RL-konforme Auslegung des Art. 17 Abs. 2a Alt. 2 RL ergebe, dass der Ausgleichsanspruch entgegen § 89b Abs. 1 Nr. 2 a. F. nicht durch die Höhe der Provisionsverluste begrenzt werde. Sie bildeten lediglich einen Unterfall der Billigkeit (s. o.). Die zuvor h. M., derzufolge alle TB-Elemente des § 89b Abs. 1 Nr. 1–3 a. F. einschließlich der in § 89b Abs. 1 Nr. 2 a. F. als eigenständiges TB-Merkmal vorgeschriebenen Provisionsverluste kumulativ vorliegen mussten und der Ausgleich die Höhe der Provisionsvorteile nicht übersteigen konnte, war fortan für den Warenvertreter unvertretbar.1692 Bis zur Entscheidung des EuGH wurden Provisionsverluste überwiegend als 4. TB-Merkmal des § 89b angesehen. Sie veränderten sich infolge der EuGH-Rspr. zumindest für die von der RL ergriffenen Warenvertreter (s. d. Kommentierung zu Vor § 84) und vermöge der Novelle 2009 für alle HV sowie die in die Analogie zu § 89b einbezogenen HV-ähnlichen Mittler zum Unterfall des früheren 5. TB-Elements, nämlich der Billigkeit nach § 89b Abs. 1 Nr. 3. Provisionsverluste sind damit nicht mehr notwendiges, sondern lediglich fakultatives, erheblich „heruntergestuftes“1693 TB-Merkmal des § 89b.1694 Auch ohne Provisionsverluste kann ein Ausgleichsanspruch bestehen.1695

265 b) Stellung innerhalb des § 89b und Novelle 2009. Gem. § 89b Abs. 1 Nr. 2 stellen die dem HV entgehenden Provisionen seit der Novelle 2009 das von Abs. 1 Nr. 2 hervorgehobene1696 Beispiel eines billigkeitsrelevanten Umstandes dar. Die entgehenden Provisionen bilden aber nicht mehr einen zwingenden, selbständigen Prüfungsschritt.1697 Fehlende Provisionsverluste mögen 1686 Riesenhuber/Domröse RIW 2005, 47 (51). 1687 BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668. 1688 Er entschied dort zu den Anzeigen-HV (bei ihnen handelt es sich wohl nicht um Warenvertreter sondern um solche, die Werkverträge vermitteln), trotz jährlicher Rotation von einem Bezirk zum anderen und damit bei unterstellter Vertragsfortführung infolge von Bezirkswechseln mangelnder Provisionsverluste, sei ein Ausgleichsanspruch gegeben. 1689 COM (96) 364 final. 1690 Also konnten die vertragsbegleitend geleisteten Provisionen bzw. ihr Verlust keinen Hinweis auf die Höhe des Ausgleichs und damit kein anspruchsbegrenzendes TB-Merkmal bilden. 1691 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). 1692 Siehe auch OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 77. 1693 Thume BB 2009, 2490 (2492). 1694 Emde DStR 2009, 1478 (1482); Thume BB 2009, 2490 (2491). 1695 Hopt § 89b Rn 26; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 139, 197. 1696 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/2014, BeckRS 2015, 19345 Rn 45; Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (392). 1697 Wauschkuhn ZVertriebsR 2014, 1 (2); Kindler/Menges DB 2010, 1109 (1110). Emde

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den Ausgleich reduzieren, können ihn aber auch erhöhen1698 (s. o.). Ein Unterschied zum alten Recht wird aber evident: Da es sich um ein Billigkeitsmerkmal handelt, kann seine Berücksichtigung nur den Rohausgleich reduzieren – vor seiner Begrenzung durch die Ausgleichshöchstgrenze. Die Hervorhebung der Provisionsverluste als billigkeitsrelevanter Umstand spricht für ihre erhöhte Bedeutung innerhalb der Billigkeitsprüfung,1699 und Provisionsverluste damit im besonderen Maße für die Billigkeit der Ausgleichszahlung.1700 Als fakultatives Merkmal bilden vor allem hohe Provisionsverluste einen Indikator für eine Ausgleichserhöhung, insb. falls die Unternehmervorteile gleichfalls hoch sind.1701 Meist werden Provisionsverluste existieren und die Degradierung des Merkmals nicht relevant.1702 Sollten nur die Provisionsverluste hoch und die Unternehmervorteile gering ausfallen, dürfte weniger an eine Ausgleichserhöhung zu denken sein,1703 wobei es, da es um ein Billigkeitsmerkmal geht, denkbar ist, dass nur der noch nicht durch die Ausgleichshöchstgrenze beschnittene Rohausgleich erhöht wird. Grundlage der Ausgleichsberechnung bleiben aber die Unternehmervorteile. Die entgehenden Provisionen treten dahinter zurück.1704 Diskutiert wird, ob fehlende Provisionsverluste angesichts der Hervorhebung entgehender Provisionen als Prüfungsmaßstab im Regelfall mangelnde Billigkeit der Ausgleichszahlung indizieren – spiegelbildlich in dieser Konstellation nur im Einzelfall ein Ausgleich gerechtfertigt sei.1705 Das dürfte der inhaltlichen Aussage des EuGH,1706 ihrer Einordnung nur als Beispiel der Billigkeitsprüfung sowie der systematischen Abkoppelung von den Ausgleichsausschlußgründen des § 89b Abs. 31707 eher widersprechen.1708 Hohe Unternehmervorteile können trotz geringer Provisionsverluste eintreten. Insbesondere bilden die entgehenden Provisionen heutigen Rechts keine starre Höchstgrenze des Ausgleichs.1709 Der „Merkposten“ der Hervorhebung soll daher eher sehr große Ungleichgewichte zwischen Unternehmervorteile und entgehenden Provisionen im Billigkeitswege erfassen und dann den kraft großer Unternehmervorteilen erheblichen Ausgleich reduzieren. Da es sich bei den entgehenden Provisionen nur noch um ein für die Ausgleichsgewährung nicht zwingendes Beispiel eines billigkeitsrelevanten Umstandes handelt, darf also selbst im Falle mangelnder Provisionsverluste, etwa im Wege einer Gesamtbetrachtung,1710 ein Ausgleichsanspruch zuerkannt werden,1711 vielleicht sofern die Unternehmervorteile höher liegen1712 oder dies 1698 Emde DStR 2009, 1478 (1483); Thume BB 2009, 2490 (2494). 1699 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/2014, BeckRS 2015, 19345 Rn 45; Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/ 12, BeckRS 2013, 16685 (obiter, da altes Recht angewandt wird); OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236; Hopt § 89b Rn 26. 1700 Emde DStR 2009, 1478 (1483); ders. WRP 2010, 844 (849); Thume BB 2009, 2490 (2494); Westphal DB 2010, 1333 (1338); Pauly MDR 2013, 694 (696): „ohne Provisionsverluste regelm. kein Ausgleich”, in dieser Generalität zwh. 1701 Emde DStR 2009, 1478 (1483). 1702 Vgl. Westphal DB 2010, 1333 (1338). 1703 Emde DStR 2009, 1478 (1483); ders. WRP 2010, 844 (849). 1704 Westphal DB 2010, 1333 (1338). 1705 Pauly MDR 2013, 694 (696): „ohne Provisionsverluste regelm kein Ausgleich“, in dieser Generalität zwh.; Koch ZIP 2011, 1752 (1753 f.) – bei fehlenden Provisionsverlusten sei der Zusammenhang zwischen Unternehmervorteilen und und Nachteilen des HV nicht mehr in „natürlicher Weise“ gegeben; Emde EWiR 2009, 239 (240). 1706 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). 1707 Nur dort ist ein völliger Ausgleichswegfall vorgesehen, aA Ströbl BB 2013, 1027 (1029). 1708 Thume BB 2015, 387 (391); Emde DStR 2009, 1478 (1482); tendenziell aA noch Emde EWiR 2009, 239 (240). Steinhauer EuZW 2009, 887 (888) ist der Ansicht, bei Fehlen der Provisionsverluste mangele es regelm. an der Billigkeit. Der Verweis von Steinhauer auf die Gesetzesbegründung des aufgehobenen § 89b ist von geringer Überzeugungskraft; sie befand sich gerade nicht im Einklang mit der RL. Das OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685 meint obiter, da es altes Recht anwendet, es habe sich unter der Neufassung nichts geändert. 1709 Koch ZIP 2011, 1752 (1753). 1710 Kindler/Menges DB 2010, 1109 (1110). 1711 Emde DStR 2009, 1478 (1482); ders. WRP 2010, 844 (849). 1712 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 33 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Emde DStR 2009, 1478 (1482); Thume BB 2009, 2490 (2492); tendenziell aA Steinhauer EuZW 2009, 887 (888): dann fehle regelm. die Billigkeit. 351

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der Billigkeit entspricht.1713 Mangelnde Provisionsverluste sind insb. irrelevant, wenn sie auf einer geschickten, vom Unternehmer vorgegebenen Provisionsvereinbarung beruhen.1714 Hier wird man kaum argumentieren können, der Verlust des Ausgleichs beruhe auf der Vertragsgestaltung, mit der sich der HV einverstanden erklärt habe.1715 266 Wie viel infolge der Verlagerung des TB-Merkmals „Provisionsverluste“ in die Billigkeit von der früheren Rspr. zu den Provisionsverlusten erhalten bleiben kann, hängt davon ab, ob sie sich mit dem Grundsatz HV-freundlichster Auslegung (s. d. Kommentierung zu Vor § 84) verträgt. Denkbar ist eine Ausgleichspflicht fortan etwa im Falle der Vereinbarung von Einmalprovisionen1716 und zu Sukzessivlieferverträgen,1717 bei denen bislang Provisionsverluste fehlen sollten. Die Gewährung nachvertraglicher Provision aus vom HV vermittelten längerfristigen Verträgen wäre ggf. im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen, soweit eine ungerechtfertigte Doppelbelastung des Unternehmers mit Provision und Ausgleich vermieden werden müsste. Die Doppelbelastung ist jedoch gerechtfertigt, falls die Provision – wie meist – nicht den Aufbau eines Stammes von Wiederholungskäufern honoriert. 267 Nr. 2 spricht seit der Novelle 2009 im Einklang mit Art. 17 Abs. 2 lit. a RL von „entgehenden Provisionen“. § 89b Abs. 1 Nr. 2 a. F. benannte als Anspruchsvoraussetzung, dass „der Handelsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provisionen verliert, die er bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäfte mit den von ihm geworbenen Kunden hätte“. Hieraus bildete sich schlagwortartig der Begriff der „Provisionsverluste“. Sachlich wird mit der neuen Begrifflichkeit als solches keine wesentliche Änderung verbunden sein1718 (jedoch mit der Herabstufung zum Billigkeitsmerkmal), der Terminus der Provisionsverluste wird sich verlieren und auch in Lit. und Rspr. durch „entgehende Provisionen“ ersetzt werden.1719 Die bislang beispielhaft genannten verlorenen Provisionen „aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften“ sind auch vom neuen Terminus der entgangenen Provision erfasst, mit entgehenden Provisionen sind alle Provisionen gemeint, also sowohl aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften i. S. d. alten Gesetzesfassung, wobei im Vordergrund die früher so apostrophierten „künftig zustande kommenden Geschäfte“ stehen dürften. Auch ist jede Provisionsart erfasst, sofern sie sich auf die in § 89b Abs. 1 Nr. 1 genannten Geschäftsverbindungen bezieht.

268 c) „Aus Geschäften mit diesen Kunden“. Die Provisionen müssen dem HV aus „Geschäften mit diesen Kunden“ entgehen. Gemeint sind die in § 89b Abs. 1 Nr. 1 angesprochenen Kunden. Es muss sich um neue (s. o.) oder erweiterte (s. o.) Mehrfachkunden handeln („Geschäftsverbindung“, s. o.), die der HV geworben hat (s. o.). Allerdings wird, wie oben dargestellt, der Ausgleichsbemessungsgrundlage ein Anteil potenzieller Mehrfachkunden hinzugesetzt. Auch die Provisionen/Vergütungen mit diesem Kundenteil sind in die Prognose entgehender Provisionen 1713 1714 1715 1716

Westphal DB 2010, 1333 (1334). Westphal DB 2010, 1333 (1338). Westphal DB 2010, 1333 (1338); so aber BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, DB 1999, 1599 = NJW 1999, 2668. OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188; v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; Hopt § 89b Rn 26; Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (391, 393); Thume BB 2015, 387 (393); Pauly MDR 2013, 694 (696); Thume VersR 2012, 665 (669); Koch ZIP 2011, 1752 (1555); Emde EWiR 2009, 239 (240); Emde DStR 2009, 1478 (1482); Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553); Thume BB 2009, 2490 (2491); Westphal DB 2010, 1333 (1334); Hopt § 89b Rn 26; ambivalent OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236 (einerseits erkennt es die Ausgleichsfähigkeit von Einmalprovision an, andererseits verneint es sie bei einem Abonnementvertrag, da der HV bereits alle Provision erhalten habe und Provisionsverluste fehlten); aA LG München I, Urt. v. 23.2.2011 – 10 HKO 3966/10; Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (286). 1717 Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553); Emde WRP 2010, 845 (847). 1718 Emde WRP 2010, 844 (849); Thume IHR 2011, 7 (9). 1719 Emde WRP 2010, 844 (849). Emde

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einzubeziehen. Es handelt sich hüben und drüben, für das Vorher und das Nachher, um denselben Kundenstamm, um dessen Nutzung und Nutzbarkeit es geht.

d) Entgehende Provisionen. Wenngleich sich dies nicht aus dem Wortlaut der Norm oder aus 269 der RL ergibt, muss die Verpflichtung zur Zahlung der Provision gerade infolge der Vertragsbeendigung i. S. einer kausalen Verknüpfung entfallen sein.1720 Das würde dann auch nach Art. 17 Abs. 2 lit. a Spiegelstrich 2 RL sowie der Neufassung des § 89b gelten.1721 Die Höhe der Provisionsverluste bestimmt sich aus den Provisionen, welche der HV nach Vertragsende (voraussichtlich) erzielt hätte.1722 Die entgangene Möglichkeit der Neukundenwerbung wird nicht ausgeglichen.1723 Bei Fortsetzung des Vertrages nicht geschuldete Provision führt zu keinen entgehenden Provisionen und ist nicht ausgleichsfähig.1724 Dies gilt auch für freiwillig geleistete Vergütung. Provision, die trotz der Vertragsbeendigung gezahlt wird, entfällt nicht infolge des Vertragsendes und bedingt daher keinen Provisionsverlust. Sofern ein durchsetzbarer, nachvertraglicher Provisionsanspruch existiert, besteht also keine Ausgleichspflicht.1725 Die entgehenden Provisionen brauchen nicht notwendigerweise den Vorteilen des Unternehmers zu entsprechen.1726 Allerdings ist davon im Regelfall auszugehen (Rn 479 ff. „Vorteile des Unternehmers“). Enthält der HV-Vertrag die in VV-Verträgen häufig anzutreffende Provisionsverzichtsklausel, derzufolge nach Vertragsende keine Ansprüche auf Provision irgendwelcher Art entstehen, entfallen mit Vertragsende kraft Vereinbarung weitere Provisionsansprüche (zur Provisionsverzichtsklausel s. u.). Der Verlust der Provision folgt dann aus dem Vertrag, sofern man die Klausel mit der h. A.1727 grds. für wirksam hält. Der Ausgleichsanspruch kann jedoch nicht einseitig zunichte gemacht werden, indem der Unternehmer statt des Ausgleichs nach Vertragsbeendigung nicht mehr geschuldete Provisionen anbietet. Denn der Vertragsinhalt darf nicht einseitig durch den Unternehmer geändert werden, schon gar nicht nach Vertragsende. Außerdem läge hierin eine nach Abs. 4 unzulässige Ausgleichsderogation. Provisionen entgehen dem HV auch, wenn er seine Tätigkeit nach Ende des HV-Vertrages 270 als HV-ähnlicher Vertriebsvermittler, etwa als Vertragshändler, FN oder gar als angestellter Reisender fortsetzt. Der HV-Vertrag ist beendet und dem HV fließen infolgedessen keine Provisionen mehr zu (s. u.). Der Umstand eines neuen Vertrages auf anderer Grundlage kann aber bei der übrigen Billigkeitsbetrachtung Berücksichtigung finden. Wird der HV infolge einer Änderungskündigung nach Vertragsende aufgrund eines neu geschlossenen HV-Vertrages (Anschlussvertrag) tätig, können entgehende Provisionen nur in Höhe der Differenz zwischen einer ungünstigeren Vergütung aus dem neuen Vertrag und der nach dem alten Vertrag geschuldeten Provision entstehen („Differenzbetrachtung“). Anders gewendet: Weitgehende Identität der Einnahmen aus einem vergleichbaren Rechtsverhältnis schließt entgehende Provisionen aus. Nach den oben genannten Maßstäben zu Konzernfällen wird man dabei dem HV auch Provision einer Tochtergesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens zurechnen müssen, etwa bei Kündigung des Vertrages mit der Muttergesellschaft, die zuvor HV war, und Neuabschluss mit deren Tochtergesellschaften, z. B. im Ausland. Dass dabei möglicherweise der

Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 124; Hopt § 89b Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 105. Emde DStR 2009, 1478 (1482). Eckhoff BB 2009, 1609. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 124. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 127. BGH ZIP 1996, 2165; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 124. BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 33 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 124. 1727 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.2.1986, DB 1986, 1174; Sieg VersR 1964, 789; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 31; aA Graf v. Westphalen DB 2000, 2256.

1720 1721 1722 1723 1724 1725 1726

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Ausgleich bei Vertragsschluss mit einer ausländischen Tochter ausgeschlossen wird, kann nur im Rahmen der Billigkeitsbetrachtung eine Rolle spielen.

271 e) Prognose entgehender Provisionen. Der Umfang möglicher Provisionsverluste wird als hypothetische Zukunftsentwicklung ähnlich der Vorteilsprognose beim Unternehmer (s. o.) möglichst wirklichkeitsnah im Wege einer Prognose oder Hypothese bei Vertragsende ggf. gem. § 287 ZPO geschätzt. In die Ausgleichsberechnung werden die Provisionen einbezogen, die der HV bei (unterstellter) Fortsetzung des Vertragsverhältnisses gehabt hätte. Dies besagt ein Mehrfaches. Zum einen: Da die entgehenden Abschlüsse als mit vom HV geworbenen Kunden getätigt zu unterstellen sind, scheiden alle darüber hinausgehenden Chancen aus, bei Fortsetzung der HV-Tätigkeit weitere Kunden gewinnen und mit ihnen Abschlüsse vermitteln zu können.1728 Abgeltungsfähig sind nur entgehende Abschlüsse mit dem bei Vertragsende vorhandenen, neu geworbenen Kundenstamm. Bei Neukunden kommt es mglw. nicht darauf an, ob zu ihnen eine „Geschäftsverbindung“ entstand (s. o.). Zum anderen: Die hierauf bezogene Chance ist eine solche, die als Provisionschance schon während der Vertragszeit gegeben war. Sie besteht in den Nachbestellungen und Folgeaufträgen, mit denen hätte gerechnet werden können, namentlich soweit sie sich in der Vergangenheit bereits verwirklicht hatte. Dabei ist ohne Belang, ob solche Nachbestellungen (Folgeaufträge) ohne weiteres Zutun des HV erfolgten (vgl. § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt.) oder aber vom HV erneut, wenn auch nunmehr mit erleichtertem Zugang zu dem einmal geworbenen Kunden hereingeholt werden mussten.1729 Deshalb ist auch Bezirksvertreterprovision ausgleichsfähig (s. u.). Eben dieses gleiche Bild ist in die Zeit einer gedachten Fortsetzung des Vertrages zu projizieren. Keinen Unterschied macht es, ob die Folgeaufträge sich auf jeweils gleichbleibende Artikel bezogen. Gerade wenn der Kunde sich unter anderem für Neuheiten im Sortiment des Unternehmers interessiert gezeigt hatte, ist zu unterstellen, dass er auch in der Zukunft, Gleichheit der Branche vorausgesetzt, für weitere, inzwischen vom Unternehmer herausgebrachte Neuheiten zu interessieren gewesen wäre. Der Unterstellung bedarf es nicht einmal, wenn die Weiterentwicklung zeigt, dass der Kunde solche Neuheiten tatsächlich bestellt. 272 Sowohl beim Unternehmer wie beim HV handelt es sich bei Vorteilen bzw. Verlusten um Chancen (zugefallene beim Unternehmer; entgangene beim HV). Diese Chancen müssen, da der Ausgleich bei Beendigung des Vertragsverhältnisses entsteht und fällig wird, nach beiden Seiten ggf. gem. § 287 ZPO geschätzt werden. Zwar ist die Schätzungsgrundlage verschieden: Während der dem Unternehmer durch das Verbleiben des Neukundenstammes zufallende Vorteil selbst als Chance noch eine gegenwärtige reale Größe ist, stellt der Wegfall der Provisionen beim HV nur eine in der Zukunft gedachte dar. Er besteht in nichts anderem als in der hypothetischen Entwicklung, die die Provisionseinnahmen bei Fortbestand des geworbenen Kundenstammes genommen haben würden, wenn nicht die Beendigung des Vertragsverhältnisses dazwischen getreten wäre. Trotzdem kann der Zeitraum, auf den die Schätzung sich beziehen muss, für beide Teile nur der gleiche sein.1730 Davon geht auch der BGH1731 aus. Im Wege einer „Als-ob-Betrachtung“ sind bei der Prognose die Fortsetzung des HV-Vertrages,1732 die gleichbleibende – vertragsgemäße – Tätigkeit des HV1733 sowie das gleichbleibende

1728 BGHZ 24, 223 (228); BGH, Urt. v. 11.13.1958, BGHZ 29, 83 (92) = NJW 1959, 144 (146); BGH DB 1961, 269 – Gruppenversicherung –; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5b; Reinicke NJW 1953, 1669. BGHZ 24, 223 (227 ff.). Ähnlich Hoffmann S. 76. NJW 1961, 120. BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2351) Rn 23 – Volvo-Vertragshändler; v. 10.12.1997 – VIII ZR 329/96, ZIP 1998, 420; ZIP 1997, 841 (843); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37. 1733 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763.

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Bemühen um die geworbenen Kunden und um ausgleichspflichtige Folgegeschäfte1734 zu unterstellen. Die Verluste entsprechen den entgangenen Provisionseinkünften,1735 und zwar summarisch wie nach dem Prognosezeitraum (s. o.). Daran knüpft sich die weitere Vermutung, dass die Unternehmervorteile den so festgestellten Provisionsverlusten entsprechen (Rn 355, Stichwort „Vorteile des Unternehmers“). Die Prognose entgehender Provision stellt – nicht anders als die Vorteilsprognose – die Vorhersage einer künftigen Entwicklung auf der Basis der in der Vergangenheit eingetretenen Tatsachen dar. Auch hier sind die Tatsachen nur dann aussagekräftig, wenn sie auf SV beruhen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft wiederholen werden. Sie müssen ebenfalls in ihrer Anlage bereits bei Vertragsende existieren (Rn 198 zur „Anlagerechtsprechung“). Die Prognose muss ergeben, wie lange und in welchem Umfang die Geschäfte zwischen Unternehmer und Neukunden voraussichtlich fortgesetzt werden. Die zu erwartende Dauer der Geschäftsverbindung zwischen Unternehmer und Kunden hat also eine erhebliche Bedeutung für die Länge des Prognosezeitraums. Dabei sind die Besonderheiten der jeweiligen Branchen, die Marktgegebenheiten, Wettbewerbsbedingungen, die Kundenfluktuation und die Art der Tätigkeit des HV zu berücksichtigen.1736 Auf die Ausführungen zur Vorteilsprognose kann verwiesen werden. Ausgangspunkt der Prognose sollen die ausgleichspflichtigen Provisionen des letzten Ver- 273 tragsjahres mit neu geworbenen oder erweiterten Altkunden sein, zu denen Geschäftsbeziehungen hergestellt wurde („Basisjahr“, s. u.). Aus den in diesem Basisjahr verdienten Provisionen wird auf zukünftig entgehende Provision geschlossen. Das ist nicht zwingend, wie unten diskutiert wird. Denn die zukünftig entgehenden Provisionen müssen nicht unbedingt den Provisionen des Basisjahres entsprechen und sie entsprechen ihm sicher nicht, falls das Basisjahr atypisch verlief. Im Zweifel hat eine wirklichkeitsnahe Schätzung Vorrang vor der starren Gleichsetzung entgehender Provisionen mit denen des Basisjahres. Bestenfalls kann jene Gleichung also eine Vermutung charakterisieren (siehe auch Rn 479 ff. „Vorteile des Unternehmers“ zur Vermutung der sich entsprechenden Provisionsverluste und Unternehmervorteile). Nur vertragsgemäß verdiente Provisionen führen zu entgehenden Provisionen. Soweit 274 dem HV bereits während der Vertragsbeziehung keine Provisionen für bestimmte Geschäfte zustanden, mangelt es an entgehenden Provisionen. Begab sich der HV etwa vertraglich des Kundenschutzes nach § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., sind Provisionen für reine, tätigkeitslose Nachbestellungen, die er schon während des bestehenden Vertragsverhältnisses nicht zu beanspruchen gehabt hätte, nicht durch Beendigung desselben eingebüßt.1737 Ein Ausgleich wäre dann nur in Ansehung derjenigen Nachbestellungen gegeben, für die der HV schon während der Vertragszeit erneut hatte tätig werden müssen und für die daher auch in der nachvertraglichen Zeit eine gleich erneute (und gleich erfolgreiche) Tätigkeit unterstellt werden darf. Wie der HV die Provision während der Vertragslaufzeit verwendete, ist für die Verlustprog- 275 nose unerheblich.1738 Entscheidend ist der Provisionseingang bei ihm, nicht die Art und Weise des Verbrauchs. Selbst wenn die Provision während des laufenden Vertrages gepfändet,1739 verschenkt oder an einen Dritten abgeführt wurde, leitet ihr Wegfall infolge des Vertragsendes zum Provisionsverlust. Auch ersparte Kosten dürfen im Rahmen der Prognose entgehender Provision nicht zu Lasten des HV abgezogen werden.1740 Die Verpflichtung, einen bestimmten %-Satz des Verkaufsumsatzes zur Werbung einzusetzen, führt zu keiner Reduzierung der ProviBGHZ 24, 214 (216/217); 223 (227); 30, 98 (103); BGH NJW-RR 1998, 42 (43); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37. Hopt § 89b Rn 26; BGHZ 24, 227; 141, 252. BGH, Urt. v. 15.10.1992, BB 1992, 2385 = MDR 1993, 224. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 16a. BGH, Urt. v. 23.1.1964, BB 1964, 409. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 32. BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 40; Hopt § 89b Rn 29.

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sionsbemessungsgrundlage. Es handelt sich um den unbeachtlichen Einwand ersparter Aufwendungen.1741 Nicht anders als ein Schadenersatzanspruch nach § 252 BGB wird der Ausgleich auf der Basis der Roherträge berechnet. Geschäftskosten sind „Sowieso-Kosten“, die gerade aus den entgangenen Provisionen und nach Vertragsende ihrem Surrogat, dem Ausgleichsanspruch, bedient werden sollen. Für die Ermittlung der Höhe entgehender Provision ist es daher irrelevant, welcher Teil der dem HV zugeflossenen Provision ihm als Gewinn verblieb. Dies gilt sogar dann, wenn der HV – wie etwa zu Beginn seiner Tätigkeit – nach Abzug seiner Aufwendungen überhaupt keinen Gewinn erzielt hat oder bei gedachter Vertragsfortsetzung erzielen würde,1742 z. B. weil die Kosten seine Provisionen überstiegen. Auch würden Ausgleichsprozesse unnötig kompliziert, wollte man es auf einen Streit um die Höhe der Gewinnquote ankommen lassen. Problematisch ist es daher im Vertragshändlerbereich zu sagen, wenn bereits Verkaufspreis minus Einkaufspreis zu keinem positiven Ertrag führe („Rabatt“ oder „Rohertrag“), bestehe kein Ausgleichsanspruch.1743

276 aa) Kausalität zwischen entgehender Provision und Vertragsbeendigung. Die entgehenden Provisionen müssen auf der Vertragsbeendigung beruhen.1744 Die hypothetische Fortsetzung des Vertrages unterstellt und das zur Vertragsbeendigung führende Verhalten fortgedacht, müsste der HV also weiterhin Provisionen erhalten haben.1745 Es kann an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen entgehenden Provisionen und der Beendigung des Vertrages fehlen.1746 In der Rspr. ist etwa anerkannt, dass Änderungen des Vertriebssystems zu einem Wegfall des Kausalzusammenhangs sowie zu Auswirkungen auf die Berechnung des Ausgleichsanspruchs führen können.1747 Der Unternehmer zieht dann u. U. aus den vom HV geschaffenen Kundenbeziehungen auch keine Vorteile mehr.1748 Solche Änderungen des Vertriebssystems können bewirken, dass der HV selbst bei Fortsetzung des HV-Vertrags nur noch verringerte oder überhaupt keine Provisionen mehr zu erwarten hätte. Beispiel: der Unternehmer will zukünftig nur noch Großhändler und keine Endkunden mehr beliefern und wird deshalb alle Vertragsabschlüsse, die der HV vermittelt oder vermitteln könnte, ablehnen.1749 277 Bei gleichbleibenden Provisionsbestimmungen steht zu vermuten, dass die in der Vergangenheit erzielten Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden auch in der Zukunft hätten erzielt werden können. Eine zu erwartende Provisionskürzung ist grundsätzlich nicht ausgleichsmindernd zu berücksichtigen. Das OLG Karlsruhe1750 entschied jedoch, der wegen einer 1741 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200. 1742 BGH BB 1960, 1261; aA OLG Bremen BB 1966, 877. 1743 So jedoch LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.7.2008 – 3/14 O 46/07; v. 18.7.2008 – 3-14 O 105/07; v. 9.5.2008 – 3-14 O 175/06 („bei 75jähriger Vertragsbeziehung“).

1744 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 Rn 26 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 97; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 143; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 124, 127; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 40; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 16; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 106; Bamberger NJW 1984, 2670. 1745 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 124; Hopt § 89b Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 105. 1746 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 Rn 26 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 97; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 124; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 40; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 16; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 106; Bamberger NJW 1984, 2670. 1747 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde); v. 30.1.1986 – I ZR 185/83, WM 1986, 742 II B; v. 1.12.1983 – I ZR 181/81, NJW 1984, 2695 unter II 2c; BGHZ 49, 39. 1748 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde); Küstner/ Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 25 ff. 1749 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 Rn 26 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde); ähnlich BGH, Urt. v. 9.11.1967 – VII ZR 40/65, NJW 1968, 394. 1750 OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.3.1981, BB 1982, 274. Emde

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Provisionskürzung kündigende HV hätte sich im Falle der Fortsetzung des Vertrages ebenso wie die anderen HV des Unternehmers eine Provisionsherabsetzung gefallen lassen müssen. Deshalb sei im Rahmen der Verlustprognose der niedrigere Provisionssatz maßgeblich. Dabei war verkannt worden, dass eine einseitige Befugnis zur Kürzung nicht vorbehalten worden war (weshalb der ausgeschiedene HV eine Reduzierung seiner entgangenen Provisionschancen unter Zugrundelegung des herabgesetzten Provisionssatzes mit Wirkung für den Ausgleich nicht hinzunehmen brauchte, selbst wenn die anderen HV sich der Herabsetzung fügten1751). Eine einseitige Herabsetzung des Provisionssatzes durch den Unternehmer war also nicht gestattet (zur Zulässigkeit in AGB s. Kommentierung zu Vor § 84), lediglich eine einverständliche Vereinbarung oder eine Änderungskündigung. Jene hätte allerdings ebenfalls zur Ausgleichspflicht geführt. Auch wegen § 162 Abs. 2 BGB wird man den Einwand des Unternehmers nicht gelten lassen können, er habe eine Provisionsherabsetzung beabsichtigt, es sei denn, sie ist sicher durchsetzbar, wovon aber kaum jemals ausgegangen werden kann. Die Provisionskürzung ist daher im Rahmen der Verlustprognose nicht ausgleichsmindernd zu berücksichtigen und die Begründung des OLG Karlsruhe ein Zirkelschluss. Beachtlich wäre nur eine zulässige Herabsetzung des Provisionssatzes, von welcher aus der Sicht bei Vertragsende (Rn 198) angenommen werden muss, der Unternehmer würde von ihr, bei gedachter Fortsetzung des Vertragsverhältnisses, nach den dann gegebenen Umständen mit Sicherheit zulässigerweise Gebrauch gemacht haben, nachdem sie schon vorher zu seiner Disposition gestanden hatte. Dafür ist der Unternehmer beweispflichtig. Hat der Unternehmer sich etwa im Vertrag mit dem Ausgeschiedenen – wirksam – gleichlautend die Befugnis vorbehalten, den Provisionssatz einseitig herabzusetzen, und nimmt er späterhin bei allen anderen, in seinen Diensten verbliebenen HV eine Herabsetzung des (einheitlichen) Provisionssatzes einheitlich vor, so ist eine solche Maßnahme wohl auch für den Ausgeschiedenen als geschehen zu unterstellen – aber nur dann. Da die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses während des Prognosezeitraums angenom- 278 men wird, spielen Umstände, die eine nach Vertragsende gedachte, hypothetische Vertragsfortführung ausschließen würden, grundsätzlich keine Rolle. Weder der Tod des HV (s. u.) noch sein sich verschlechternder Gesundheitszustand während des Prognosezeitraums können sich daher ohne sichere Vorhersehbarkeit dieser Umstände („Prognose bei Vertragsende“ – „Anlagerechtsprechung“ – Rn 198) auf die Verlustprognose auswirken, wegen der Anlagerechtsprechung auch dann nicht, falls sich diese Umstände der Prognose zuwider tatsächlich realisieren. Die „Als-Ob-Betrachtung“ geht auch nicht soweit, dass die Werbung weiterer Neukunden unterstellt und damit den vermutlich entgangenen Provisionen der Zukunft ein (geschätzter) %-Satz zusätzlicher Provisionen hinzuaddiert wird.1752 Es mangelt einerseits an einer Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der HV geworben hat (§ 89b Abs. 1 Nr. 1) und zum anderen wird nur der Verlust aus den vom HV geworbenen Kunden, also Bestandskunden, ersetzt (§ 89b Abs. 1 Nr. 2). Deshalb kann der mit der Vertragsbeendigung tatsächlich eintretende Provisionsverlust höher liegen als der bei der Ausgleichsprognose zu berücksichtigende. Die „Als-Ob-Betrachtung“ führt nicht dazu, dass der HV einen Ausgleich für Geschäfte mit Produktgruppen erhält, mit welchen bislang keine Geschäfte getätigt worden. Allerdings kann eine entsprechende Vereinbarung getroffen werden. Denn § 89b Abs. 4 verbietet keine Vereinbarung, die den Ausgleichsanspruch erweitert. Nimmt der HV nach Vertragsende eine Anschlusstätigkeit vor, die nur möglich ist, weil 279 infolge der Kündigung des HV-Vertrages Kapazitäten frei werden, so führt dies nicht dazu, dass ihm keine Provisionen entgehen. Leistungen Dritter, nämlich des Vertragspartners der Anschlusstätigkeit, sind dem Unternehmer nicht als eigene Provisionszahlung zurechenbar. Es liegt in der Natur unternehmerischer Tätigkeit, dass für entgehende Geschäfte Ersatz gesucht wird. Dies ist also „systemimmanent“. Würde man in diesem Fall für eine Anschlusstätigkeit 1751 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 133. 1752 BGHZ 24, 223 (228); BGH, Urt. v. 11.13.1958, BGHZ 29, 83 (92) = NJW 1959, 144 (146); BGH DB 1961, 269 – Gruppenversicherung –; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5b; Reinicke NJW 1953, 1669. 357

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einen Billigkeitsabzug vornehmen, wäre der Ausgleichsanspruch regelmäßig unter Billigkeitsgesichtspunkten reduziert. Der HV unterliegt ohne gesonderte Vereinbarung keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot (§ 90a) und ist daher frei in der Übernahme einer Anschlusstätigkeit. Nur im Falle der Tätigkeit für einen Wettbewerber wird von der Rspr. eine Billigkeitsreduzierung vorgenommen. Anders ist der Fall aber zumindest unter allg. Billigkeitsgesichtspunkten zu bewerten, wenn der Unternehmer selbst für den die entgehenden Provisionen kompensierenden Vorteil neuer Verdienstmöglichkeiten sorgt und dieser Vorteil nur infolge des Vertragsendes möglich war. Relevant kann dies bei der Ersetzung eines Produkts durch ein anderes werden.

280 bb) „Provision“ – bei der Verlustprognose berücksichtigungsfähige Vergütungsbestandteile. Umstritten ist, welche Vergütungsbestandteile in die Verlustprognose einfließen, etwa nur Abschluss- bzw. Vermittlungsprovisionen oder auch Bezirksprovisionen, Inkasso- und andere Verwaltungsprovisionen. Solange die Provisionsverluste als Anspruchsvoraussetzung formuliert waren, hatte dies zwingend Bedeutung für die Ausgleichshöhe. Da § 89b jetzt in erster Linie nur noch auf Unternehmervorteile als Anspruchsvoraussetzung abstellt, besteht diese zwingende Verknüpfung nicht mehr und die Ausgleichsberechnung muss nicht mehr an die Provisionsart und die Provisionsverluste anknüpfen. Der Begriff der „Provision“ ist weit zu verstehen: In die Verlustprognose eingestellt wird grundsätzlich jede dem HV oder HV-ähnlichen Mittler entgehende Vergütung, welche ihm bei Vertragsfortsetzung für seine vertraglich geschuldete Tätigkeit zu leisten wäre.1753 Daraus, dass das Gesetz von entgangenen „Provisionen“ spricht, darf nicht der Schluss gezogen werden, andere im Vertrage vorgesehene Formen der Vergütung des HV seien von der Einbeziehung in die Ausgleichsbemessungsgrundlage ausgeschlossen. Die Bewertung der Provisionsverluste erfolgt nicht nach rein rechtlichen Gesichtspunkten, sondern unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Gegebenheiten.1754 Auch freiwillig und ohne vertragliche Verpflichtung geleistete Vergütungsbestandteile, etwa Boni, sind in die Verlustprognose einzubeziehen.1755 Entscheidend ist nur, ob es sich um Vergütungen für Geschäfte mit vom HV (irgendwann) geworbenen oder erweiterten (potenziellen) Mehrfachkunden handelt und ihre Weiterzahlung muss, etwa aufgrund tatsächlicher Übung, in der Zukunft zu erwarten sein.1756 Nicht ausgleichspflichtige Vergütungen sind aus der Ausgleichsbemessungsgrundlage herauszurechnen.

281 cc) Beispiele. Insbesondere wird bei folgenden Vergütungsformen diskutiert, ob Provisionen entgehen bzw. das Entgelt in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen ist. – Aufbauhilfe 282 Eine Aufbauhilfe bildet einen Provisionsbestandteil und ist bei der Ausgleichsberechnung zu berücksichtigen.1757 Ihre Zahlung kann aber unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgleichsmindernd wirken.

1753 BGHZ 59, 125 (127); BGH DB 1961, 269; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 141; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126. 1754 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 33 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 1755 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 29 (Kfz-Vertragshändler); v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2353) Rn 32 – Volvo-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 31 – Volvo-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/ 08, BB 2010, 600 Rn 33 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 1756 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 31 – KfzVertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 33 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 1757 LG Heilbronn, Teilurt. v. 23.2.1998 – 6 O 1475/97; BeckRS 2010, 04760. Emde

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– Bestands- und Verwaltungsprovisionen Der BGH vertritt bislang, nur Provisionsverluste aus Abschluss- oder Vermittlungsprovisionen 283 seien in die Rohausgleichsberechnung einzubeziehen, nicht jedoch Bestands- oder Verwaltungsprovisionen.1758 Jedenfalls beanstandete der BGH eine solche Berechnungsweise der Vorinstanzen nicht.1759 Enthielten Abschlussprovisionen einen verwaltenden Anteil, müsse dieser durch kalkulatorische Ermittlung aus einem Gesamtprovisionssatz herausgerechnet werden.1760 Nur der nach der Herausrechnung verbleibende „Abschlusskern“ dürfe in den Rohausgleich (also den Ausgleich vor der Begrenzung durch die Höchstgrenze) einbezogen werden. Der Ausgleich sei Entgelt für den Aufbau des Kundenstammes. Der BGH konzedierte, dass der Wortlaut des § 89b Abs. 1 Nr. 2 (damals „Provisionsverluste“) nur von Provisionen ohne Aufteilung in werbende oder verwaltende spreche. Er meinte aber aus Sinn und Zweck des § 89b eine Beschränkung der Ausgleichsfähigkeit auf werbende Abschlussprovisionen entnehmen zu können.1761 Die Herstellung eines Kundenstammes sei das Ergebnis der Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit des HV, so dass auch nur die hierauf entfallenden Provisionen ausgleichspflichtig seien. Die Ausgrenzung verwaltender Provisionsteile ist weder von § 89b Abs. 1 Nr. 2 noch 284 von Art 17 RL vorgesehen1762 und damit angesichts des vom EuGH postulierten Grundsatzes HV-freundlichster Auslegung1763 (s. Kommentierung zu Vor § 84) angesichts des Mangels anderer in HGB oder RL sichtbarer Auslegungshilfen nun eher unvertretbar.1764 „Aus den Geschäften mit diesen Kunden entgehende Provisionen“ i. S. d. Art. 17 Abs. 2 Spiegelstrich 2 RL sind jedenfalls bei HV-freundlichster Auslegung auch Verwaltungsprovisionen. Auch nach Art. 6 Abs. 2 RL ist Provision jeder Teil der Vergütung, der nach Zahl oder Wert der Geschäfte schwankt, mithin auch Verwaltungsprovision.1765 Die „klassische“ und vom BGH akzeptierte Berechnungsweise bestimmt den Ausgleich anhand der dem HV entgehenden Provisionen und schätzt damit die Unternehmervorteile. Dann aber muss bereits dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 RL gemäß jeder Provisionsbestandteil in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden. Zuden

1758 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) – VV; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 14 (Tankstellen-HV); v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043; v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483 (VV); v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 462 = BB 1971, 185; 843; v. 15.2.1965, NJW 1965, 1134; v. 21.3.1963 – VII ZR 95/61, VersR 1963, 556; v. 1.12.1960 – VII ZR 215/59, BB 1961, 189 = VersR 1961, 210; v. 4.5.1959 – II ZR 81/57, BGHZ 30, 98 (100) = NJW 1959, 1430 – VV; OLG Celle BB 1970, 227; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126; Staub/Brüggemann4 § 89b Rn 54. 1759 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 14 (Tankstellen-HV); v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043. 1760 BGH, Urt. v. 4.5.1959, NJW 1959, 1430. 1761 BGH, Urt. v. 4.5.1959 – II ZR 81/57, BGHZ 30, 98 (100) = NJW 1959, 1430; ebenso (nach erneuter Überprüfung) v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 462 = BB 1971, 185 – hier wird auch der „verobjektivierte Wille des Gesetzgebers“ herangezogen. 1762 Thume BB 2012, 975; IHR 2012, 70. 1763 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde) Tz. 21, 23. 1764 LG München I, Hinweisbeschl. v. 17.2.2010 – 15 HKO 2192/09, IHR 2010, 169 m. Anm. Emde; Emde EWiR 2009, 239 (240); ders. DStR 2009, 1478 (1482); ders. WRP 2010, 844 (846); Thume IHR 2011, 7 (9 ff.); ders. BB 2009, 2490 (2493, 2494); ders. in: Küstner/Thume I5 Kap. IX Rn 66 – wobei Thume zumindest eine reduzierte Bedeutung des Abgrenzungsstreits, wenn nicht dessen Ende, annimmt; Thume VersR 2012, 665 (669 f.); Kindler/Menges DB 2010, 1109 (1115); Evers VW 2010, 524 (für den VV); aA BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 26 – Kfz-Vertragshändler; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 14 (Tankstellen-HV); v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 14 ff.; OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685; Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Westphal DB 2010, 1333 (1337), der den Grundsatz HV-freundlichster Auslegung und einen Nachteil des HV (trotz der von ihm erkannten Folge der Beweislastumkehr zu Lasten des HV) ablehnt; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 148 f. 1765 Thume VersR 2012, 665 (669); Thume BB 2012, 975. 359

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ist ohne die Verwaltung der werbenden Bemühungen solche nicht denkbar.1766 Die Abgrenzung zwischen werbender und verwaltender Provision erscheint künstlich, zumal dem HV nach § 84 Abs. 1 nur werbende Tätigkeiten obliegen und die Hauptform der Provision, nämlich die nach § 87 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, in häufig verwendeter, nichtamtlicher Apostrophierung als „Vermittlungsprovision“ bezeichnet wird – was nahelegt, dass der HV gesetzestypisch nur „werbende“ Provision erhält. Wenn in allen Fällen der Ausgleichsberechnung ein Abzug erforderlich sein soll, zeigt dies, dass die verwaltende Tätigkeit typischer Teil der HV-Tätigkeit ist, mit der Folge, dass die früher als „verwaltend“ angesehenen Vergütungsbestandteile in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen werden müssen. Generell wird ein HV kostengünstig vertreiben wollen. Er wird also nur Kosten hervorufen, die für den Vertrieb erforderlich sind. Hieraus leitet sich die Vermutung her, dass alle Kosten „werbend“ sind. Nicht gegen diese HV-freundlichste Auslegung spricht der Umstand, dass im Rahmen der Billigkeit in die Ausgleichsberechnung nach § 89b Abs. 1 nur „Provision“ einzubeziehen ist, in die Höchstgrenzenberechnung gem. § 89b Abs. 2 aber außer „Provision“ auch eine „sonstige Jahresvergütung“. Man mag noch konzedieren, dass damit Verschiedenes gemeint ist, wenngleich der recht unübersichtliche § 89b auch ansonsten mit unterschiedlichen Begriffen („angemessenen“ und „Billigkeit“) Ähnliches oder Identisches meint. Jedoch rechtfertigt sich die unterschiedliche Wortwahl bereits dadurch, dass von der Ausgleichsberechnung nach Abs. 1 z. B. nicht erweiterte Altkunden ausgeschlossen bleiben, sie jedoch in die Höchstsummenberechnung einbezogen werden. Auch ansonsten gibt es eine rege Diskussion über Unterschiede der Einbeziehung. Auf die Kommentierung zu Abs. 2 wird verwiesen. Wegen der Ausstrahlungswirkung der RL auf den Bereich HV-ähnlicher Mittler1767 dürfte auch im Vertragshändler- und Franchiserecht nichts anderes gelten.1768 Da der Begriff der Provisionen und damit der entgehenden Provisionen kein zwingendes Tatbestandsmerkmal des § 89b bildet, bleibt unter diesem TB-Merkmal kein Anknüpfungspunkt für die Ausgrenzung solcher Vergütungsbestandteile. Vermutlich wird der BGH eine Rechenmethode ohne Ausgrenzung verwaltender Vergütungsbestandteile nicht beanstanden, da er den Tatsacheninstanzen viel Freiheit belässt. Unternehmervorteile ergeben sich auch aus verwaltenden Tätigkeiten des Mittlers. Lässt man die Unterscheidung fallen, wird die Ausgleichsberechnung von einem Streitpunkt mit schwierigen Abgrenzungsfragen1769 entlastet. Zumindest verlagert sich die Separierung zu werbender Provision einschließlich der dazu maßgeblichen Beweisregeln (sie blieben dann aufrechterhalten) in die Billigkeitsprüfung.1770 Durch die Vermutung, dass ohne vertragliche – und plausible – Aufteilung in werbende und verwaltende Provision, alle Provisionen als werbend gelten (Rn 479 ff.), hat sich der theoretische Streit für die Praxis etwas entschärft. 285 Ohnehin stellt sich die Frage, ob ein Abzug für verwaltende Tätigkeiten angemessen ist, zumal die Feststellung des verwaltenden Anteils in der Praxis zu Schwierigkeiten führt. Eine Ausgleichsberechnung unter Ausgrenzung „verwaltender“ Vergütungsbestandteile muss nicht dem Wert des geworbenen und hinterlassenen Kundenstammes entsprechen.1771 Das gilt jedenfalls soweit die „verwaltende Tätigkeit“ für die Kundenbetreuung bzw. Neukundenwerbung erforderlich bleibt.1772 Jede werbende Tätigkeit setzt einen Anteil verwaltender Tätigkeit voraus. Ohne Verwaltung und Organisation gibt es keinen Verkauf. Der HV muss – um werbend tätig werden zu können – zuvor oder zugleich verwaltend tätig sein. Auch die „Verwaltungsaufgaben“ dienen der fortwährenden Sicherheit und dem Erhalt des Kundenstamms bzw. Versiche1766 Thume VersR 2012, 665 (670). 1767 BGH, Beschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, MDR 2009, 936 = VersR 2009, 936 = EWiR 2009, 611 (Emde).

1768 Thume IHR 2011, 7 (11). 1769 Die Schwierigkeiten der Abgrenzung betont BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 31.

1770 Emde EWiR 2009, 240; ders. DStR 2009, 1478 (1482). 1771 Emde DStR 2009, 1478 (1484); Kindler/Menges DB 2010, 1109 (1115). 1772 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny 7. Aufl. Rn 2185. Emde

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rungsbestandes und führen zu Unternehmervorteilen.1773 Der Vorteil, den der HV dem Unternehmer verschafft, beschränkt sich also nicht auf die Vermittlung oder den Abschluss des einzelnen Geschäfts.1774 So lange der Schwerpunkt der Tätigkeit werbend bleibt – falls nein würde es wahrscheinlich schon an einer HV-Tätigkeit fehlen –, sollte daher auf einen Abzug verwaltender Provisionsanteile bei der Ausgleichsberechnung verzichtet werden. Der Abzug gereicht vor allem zum Nachteil stationärer HV mit eher hohem Verwaltungsanteil. Der Wortlaut des § 89b Abs. 1 Nr. 2 fordert nichts Gegenteiliges: Auch verwaltende Provision wird für Geschäfte mit geworbenen Kunden geleistet. In diese Richtung zielen die Entscheidungen des BGH zum Tankstellenbereich, in denen etwa das Lagern der Kraftstoffe, das Inkasso wie die Auslieferung als Teil der verwaltenden Tätigkeit für ausgleichspflichtig gehalten wurde, weil anderenfalls ein Verkauf der Kraftstoffe unmöglich sei.1775 Der BGH hat es jedoch abgelehnt, diese Rspr. auf den Bereich des VV- oder des Vertragshändlerrechts1776 zu übertragen und sie dürfte sich auch nicht in alle Vertriebsbranchen übernehmen lassen.1777 Auch das Urteil des BGH v. 24.6.19711778 gibt einen Fingerzeig. Dort war der HV vorwiegend mit dem Aufbau einer Verkaufsorganisation, der Einstellung von HV und deren Einarbeitung beschäftigt. Der BGH stellte fest, ein Unternehmervorteil könne darin bestehen, dass die Tätigkeit des Hauptvertreters im Wesentlichen diese Aufgaben umfasse. Im Übrigen wird leicht vergessen, dass der BGH zunächst nur die Ausgrenzung solcher 286 „verwaltender“ Provisionsbestandteile billigte, die für die Werbung des Kundenstammes keine oder doch nur eine untergeordnete Bedeutung haben.1779 Der BGH dachte in diesem Urt. an Ausnahmen wie Provisionen für das Inkasso (§ 87 Abs. 4), die Unterhaltung oder Verwaltung eines Lagers oder einer Werkstatt, die Zuführung und Auslieferung von Waren an Kunden oder das Delkredere (§ 86b). Die heute vorgenommene Ausgrenzung in fast allen Fällen geht über diese Ausnahmen weit hinaus. Bewegt man sich im Rahmen der (zum alten Recht) h. A., die verwaltende Provisionen für 287 im Rahmen der Verlustprognose nicht berücksichtigungsfähig und folglich für nicht ausgleichspflichtig hält so gilt: Der Anteil ausgleichspflichtiger werbender in Relation zu nach bisher h. M. nicht aus- 288 gleichspflichtiger verwaltender Provisionen darf im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO festgestellt werden. Es bedarf also nicht in jedem Fall einer Beweisaufnahme. Zur Beweislast Rn 479 ff. Werbende Tätigkeit sind nicht nur eine solche, die im Einzelfall unmittelbare Auswirkung auf den Entschluss des Kunden zur Aufnahme der Geschäftsverbindung haben.1780 Dies würde insb. einer arbeitsteiligen Organisation nicht gerecht.1781 Werbenden Charakter tragen vielmehr alle Tätigkeiten, die sich vor den Augen des Kunden abspielen und sich dem Kunden in Gestalt des Zustandes, der Ordnung und der Sauberkeit des Ladens darstellen.1782 Zweifelhaft ist, ob der Anteil der Verwaltungsleistungen daran gemessen werden kann, welche Kosten aufzubringen wären, um diese Leistungen von Dritten erbringen zu lassen und deshalb zu untersuchen ist, welche Verwaltungstätigkeiten dem HV nach dem Agenturvertrag oblagen (z. B. Inkasso, Schadensfallbearbeitung, Telefondienste etc.). Nach dieser Ansicht wäre, ggf. unter 1773 Thume IHR 2011, 7 (11). 1774 Thume IHR 2011, 7 (11). 1775 BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491 = VersR 2003, 242; v. 25.9.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279 = EWiR 2003, 435 (Just). 1776 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 47 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 1777 AA Thume BB 1999, 2309 (2312). 1778 BGHZ 56, 290 = NJW 1971, 1610. 1779 BGH, Urt. v. 4.5.1959 – II ZR 81/57, BGHZ 30, 98 (100) = NJW 1959, 1430 (1431/1432); Graf v. Westphalen DBBeil. 8/88, 2 ff. 1780 OLG Schleswig, Beschl. v. 31.7.2014 – 16 U 68/14, BeckRS 2015, 11000 – Lotterie HV. 1781 OLG Schleswig, Beschl. v. 31.7.2014 – 16 U 68/14, BeckRS 2015, 11000 – Lotterie-HV. 1782 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127) – Kommisionsagent. 361

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Zuhilfenahme von Sachverständigen, zu ermitteln, wie teuer die verwaltende Tätigkeit durch professionelle Anbieter (Inkassobüro, Callcenter etc.) wäre. Schließlich müssten diese Kosten ins Verhältnis zu den Folgeprovisionen gesetzt werden. Daraus ergäbe sich die Quote, nach der sich die Folgeprovision aus Verwaltungs- und Vermittlungsprovision zusammensetzt. Das Problem dieses Berechnungsweges ist, dass Unternehmer dem HV nicht immer eine marktgerechte Vergütung für die verwaltenden Aufgaben zahlen. Auch wäre die Einzelvergabe nur der verwaltenden Tätigkeit teurer als die mit dem Vertrieb kombinierte Verwaltung. Der Bereich der Vermittlungsprovision würde also durch den Abzug der marktgerechten Vergütung zu stark reduziert. Die Münchner Formel des LG München I (dazu im Rahmen der Ausführungen zum Kfz-Vertragshändlerrecht) hat für den Vertragshändlerbereich einen Abzug von 1/3 verwaltenden und nichthandelsvertretertypischen (vertragshändlertypischen) Anteils angenommen. Diese auf § 287 ZPO beruhende Schätzung von Sachkennern lässt sich nicht auf den HV-Bereich übertragen, und zwar bereits deshalb nicht, weil hier – natürlich – kein Abzug für HV-untypische Tätigkeiten in Betracht kommt. Urteile der Gerichte variieren zwischen 101783 und 15 % Abzug.1784 Der Anteil der Abschluss- und Vermittlungsprovision an eventuell geleisteten Folgeprovisionen ist umso größer, je geringer die Verwaltungsaufgaben des HV sind.1785 In der Praxis wird häufig überhaupt kein Abzug für verwaltende Tätigkeiten vorgenommen. 289 Werbenden Charakter besitzen nach den Verhältnissen des Einzelfalls insb. folgende Vergütungsbestandteile: – Provisionsteile, die der HV zur Vergütung echter Untervertreter aufwendet;1786 jedenfalls wenn es sich um eine erfolgsabhängige Vergütung handelt;1787 – Inkassoprovisionen;1788 – Delkredereprovisionen;1789 – für längere Öffnungszeiten. Sie dienen dem Abschluss von Geschäften;1790 – für die Listung der vertriebenen Produkte;1791 – für die Bestandspflege;1792 – für die Stornoabwehr;1793 1783 1784 1785 1786

BGH, Urt. v. 28.4.1988 – I ZR 66/87, NJW-RR 1988, 1061 = BB 1988, 2199. BGH, Urt. v. 3.6.1971, NJW 1971, 1611 = BB 1971, 843. Trinkhaus Handbuch der Versicherungsvermittlung, Bd. 1, Berlin 1955, S. 260. BGH, Urt. v. 7.3.1985 – I ZR 204/82 – HVR Nr. 605; aA OLG Bamberg, Urt. v. 21.9.1971 – 5 U 185/70, HVR Nr. 450; OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.6.1973 – 8 U 95/72, HVR Nr. 480. 1787 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 92. 1788 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 11; aA BGHZ 30, 98; BGH BB 1971, 105 und 843; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 149; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 92; Hopt § 89b Rn 25; Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 54; bei stationären HV (Tankstellen-HV) BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491 = VersR 2003, 242; v. 25.9.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279 = EWiR 2003, 435 (Just); v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66; Thume in: Röhricht/ Graf v. Westphalen3 § 89b Rn 88. 1789 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126; aA BGHZ 30, 98; BGH BB 1971, 105 und 843; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 149; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 92; Hopt § 89b Rn 25; Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 54. 1790 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 52 m. Anm. Wauschkuhn. 1791 AA OLG Hamm, Urt. v. 21.11.1997 35 U 55/96, HVR Nr. 959; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 92. 1792 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284) II 2 – VV; OLG München, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, BKR 2011, 21; v. 5.10.2010 – 5 U 4438/09: „entgeltliche Leistung für die vom HV erbrachte Gegenleistung der Kundenwerbung und Kundenpflege; aA BGHZ 30, 98; BGH BB 1971, 105 und 843; OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 149; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 92; Hopt § 89b Rn 25; Staub/Brüggemann4 § 89b Rn 54. Jedenfalls können auch aus solchen Provisionen Unternehmervorteile entstehen, s. Thume BB 2009, 2490 (2494). 1793 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284) II 2 – VV. Emde

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für die Bearbeitung von Schadensfällen;1794 für die Kontaktpflege und die Kundenbetreuung;1795 für Personalkosten (s. § 87d);1796 für Lagerhaltung, falls ein Kunde erwartet, sofort beliefert zu werden;1797 für Regaldienste, sofern sie für den Vertrieb erwartet werden;1798 Beim Tankstellen-HV: Sämtliche für die Lagerhaltung,1799 Auslieferung, Verwaltung und Sicherung von Bargeldbeständen1800 Kontrolle und Meldung von Preisänderungen bei den umliegenden Tankstellen1801 sowie das Inkasso geleistete Vergütungen: – bei einem Sonderpostenmarkt: alle Tätigkeiten, die sich vor den Augen des Kunden abspielen und sich dem Kunden in Gestalt des Zustandes, der Ordnung und der Sauberkeit des Ladens darstellen.1802 Deshalb ist der größte Teil der Tätigkeit (des Personals) als werbend bzw. vertriebsbezogen anzusehen.1803 Auch Aufwendungen für Lagerhaltung können werbende und nicht verwaltende Funktion haben, falls ein Kunde erwartet, sofort beliefert zu werden.1804 Das gilt jedenfalls, sofern die diesen Vergütungen zugrundeliegenden Tätigkeiten erwartet wer- 290 den, um das Produkt zu vertreiben, was insb. für Tätigkeiten (und damit für die für sie geleisteten Vergütungsbestandteile) zutrifft, die von Kunden beobachtet werden können, und damit ihren Geschäftsentschluss beeinflussen.1805 So ist etwa der Verkauf von Mineralölen durch Tankstellen-HV ohne sofortige Bezahlung (Inkassoprovision), Lagerhaltung und Auslieferung unmöglich;1806 Verwaltende Vergütungen werden nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls 291 etwa für folgende Tätigkeiten geleistet: – Tätigkeiten, die in Ausführung der Buchführungspflicht erbracht werden;1807 – angeblich solche für die Koordination und Programmgestaltung von Informationsveranstaltungen.1808 – Bezirksprovision Umstritten ist ferner, ob Bezirksprovisionen in die Verlustprognose einzustellen sind. Dies wird 292 teilweise verneint,1809 was jedoch als generelles Prinzip unzutreffend ist. Richtig ist lediglich, – – – – – –

1794 1795 1796 1797

BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284) II 2 – VV. BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284) II 2 – VV. AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 149. OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127) – Sonderpostenmarkt und Kommissions-

agent.

1798 AA OLG Hamm, Urt. v. 21.11.1997 – 35 U 55/96, HVR Nr. 959; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 149; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 92.

1799 AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 149. 1800 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 17 ff.; v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, unter II 2b; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821, unter B III 1a; jeweils m. w. N. BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 19. OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127) – Kommisionsagent. OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127) – Kommisionsagent. OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127) – Kommisionsagent. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 150. BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 19; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66; v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71; v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, NJW-RR 2002, 1548; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 150. 1807 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 19; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 149. 1808 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685. Es wird aber auf den Einzelfall ankommen. Denn grunds. dienen Informationsveranstaltungen der Kundenwerbung und werden damit durch werbende Vergütungsbestandteile honoriert. 1809 BGH, Urt. v. 12.3.1992 – I ZR 117/90; Westphal DB 2010, 1333 (1337); Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5c und 13e; Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 89b Rn 35, 49: Ausgleichsfähig seien, wenn der Bezirkskunde geworben wurde,

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dass Bezirksprovisionen für Geschäfte mit Kunden, die nicht vom HV als Erstkunden geworben wurden, bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs unberücksichtigt bleiben.1810 Das ist jedoch keine Besonderheit der Bezirksprovision, weil jede Provision nicht ausgleichspflichtig ist, sofern sie aus Geschäften mit vom HV nicht geworbenen Kunden stammt. Eine Ausgleichspflicht besteht jedoch, wenn der Bezirkskunde vom HV geworben wurde. Der HV hat dann eine Geschäftsverbindung geworben. Der Unternehmer erwirbt aus jener Vorteile (§ 89b Abs. 1 Nr. 1); dem HV entgehen infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provisionen aus Geschäften mit von ihm geworbenen Kunden. § 89b Abs. 1 Nr. 2 fordert lediglich, dass die Kunden vom HV geworben sind, und zwar zum Erstgeschäft. Wenn sie dann weitere Geschäfte tätigen und jene mittels Bezirksprovision vergütet werden, bleibt dafür die Erstwerbung des HV ursächlich. Dass jedes Einzelgeschäft vom HV geworben wurde, verlangt § 89b Abs. 1 nicht, was übrigens auch bei Folgegeschäften nicht der Fall ist. Unter dieser Bedingung sind auch Bezirksprovisionen ausgleichspflichtig.1811 Bei Bezirkskunden scheidet ein Ausgleichsanspruch also nur für solche Kunden aus, die der HV nicht für das erste Geschäft geworben hat1812 (oder die Geschäftsbeziehung nicht wesentlich erweitert hat), etwa dann, wenn ein HV Bezirksprovision für Kunden erhält, die ein Vorgänger, ein anderer HV oder der Unternehmer warb. – Boni 293 Sämtliche1813 verkaufsfördernde Boni, Prämien, (ggf. nicht konkreten Verkäufen zurechenbare1814) Zusatzleistungen, außerordentliche Verkaufshilfen1815 und vom Hersteller gewährte Rabatte sind in die Verlustprognose und damit in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen.1816 Sofern sie keine klare, zu verwaltenden Tätigkeiten leitende Zweckbestimmung enthalten, muss der Unternehmer im Falle einer Auseinandersetzung im Einzelnen darlegen, welche Zweckbestimmung vorgesehen war.1817 Es obliegt dem Unternehmer, dazulegen, dass die gezahlten Vergütungen – auch Boni – nicht zur Abgeltung der werbenden Tätigkeit gedacht sind. In der Sache sind solche Zusatzleistungen werbende Provisionen, nämlich jeweils eine nach dem Umfang der getätigten Geschäfte bemessene Zahlung als Gegenleistung für erbrachte Dienste.1818 Das gilt insb. für Großabnehmer-,1819 Mietwagen-,1820 von der Leasinggesellschaft an den Mittler wei-

Folgeaufträge nur insoweit, als sie die bestehende Geschäftsbeziehung so wesentlich erweitert hätten, dass das Ergebnis der Gewinnung eines neuen Kunden gleichkomme (Abs. 1 Nr. 2), und auch nur im Umfang dieser Erweiterung. 1810 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126; insoweit auch richtig Westphal DB 2010, 1333 (1337). 1811 Im Ergebnis OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.10.1958, BB 1959, 8 = NJW 1959, 105. 1812 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 77. 1813 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); Emde WRP 2010, 844 (849). 1814 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 32 – KfzVertragshändler. 1815 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 35 – KfzVertragshändler. 1816 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 32 f. m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; OLG Frankfurt, Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081 – Kfz; v. 4.9.2007 – 5 U 87/06. 1817 Vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300) – Vertragshändlerrecht (wie sich dort den Worten „auch noch“ entnehmen lässt; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825); Emde BB 2005, 389 (398). 1818 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz. 1819 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 (Kfz-Vertragshändler); v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2353) Rn 35 – Volvo-Vertragshändler (finanzielle Verkaufshilfe); v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 35 ff. m. Anm. Lang/Klein – Volvo-Vertragshändler; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); LG Frankfurt/ M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425. 1820 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler). Emde

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tergeleitete Leasingzuschüsse,1821 Zulassungsboni,1822 Verkaufsprämien,1823 Boni für Ausstellungsraum, Werbung und Beschäftigung angestellter Verkäufer sowie Vorführwagen. Keine Berücksichtigung können aber vom Leasingunternehmen als Dritte gezahlte Vergütungen finden, wenn sie nicht zur Weiterleitung der Herstellersubventionen dienen.1824 Nicht ausgleichspflichtig bleiben nach h. M. Boni für das Überführen und Herrichten der Ware, Zulassungskosten,1825 Gewährleistungen, Kulanzen sowie Skonto;1826 obwohl auch die so entlohnten Tätigkeiten Vorbedingung des Vertriebs sind. Auch „einmalige“ Boni und Rabatte sind ausgleichspflichtig, weil eine Vermutung dafür besteht, dass in der Vergangenheit gezahlte Boni oder Rabatte auch in der Zukunft – nach Vertragsende – geleistet werden.1827 „Einmalige“ Aktionen wiederholen sich in regelmäßigem Abstand, also auch in der Zukunft. Der Mittler darf erwarten, dass auch in Zukunft vergleichbare Verkaufsförderungen stattfinden.1828 Insbesondere nach jahrelanger Zahlung solcher Boni besteht die gesicherte Wahrscheinlichkeit, sie würden auch in der Folgezeit geleistet.1829 Es kommt nicht darauf an, ob der Unternehmer die vertragliche Verpflichtung übernommen hat, die zusätzlichen Vergünstigungen fortlaufend zu gewähren, und der Mittler damit einen Rechtsanspruch auf jene Zusatzleistungen erworben hat.1830 Auch wenn eine konkrete vertragliche Grundlage für die Prämie nicht erkennbar sein sollte, wären auch zukünftig vergleichbare Zahlungsversprechen des Unternehmers zu erwarten.1831 Die entgangenen Provisionen des HV bilden das wirtschaftliche Gegenstück zu dem – noch nicht abgegoltenen – Vermögenswert, welcher dem Unternehmer nach Vertragsbeendigung verbleibt. Für den Bestand und die Nachhaltigkeit der dem Unternehmer nach Vertragsende verbleibenden Vorteile (gewonnene Stammkunden) ist es ohne Belang, ob jene aufgrund freiwilliger oder vertraglich geschuldeter Zusatzleistungen des Unternehmers geschaffen wurden.1832 Umgekehrt macht es auch für den Mittler, der nach der Beendigung der Geschäftsbeziehung nicht mehr mit Zusatzvergütungen für HV-typische Tätigkeiten rechnen kann, wirtschaftlich betrachtet keinen Unterschied, ob sie vom Unternehmer aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung oder nur auf freiwilliger Basis

1821 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 (Kfz-Vertragshändler); v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 34 – Kfz-Vertragshändler; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); aA BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 38 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler (die unterschiedlichen Bewertungen des BGH beruhen auf unterschiedlichen Feststellungen der Tatsacheninstanzen, die der BGH aus Rechtsgründen nicht beanstandete). 1822 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler). 1823 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler). 1824 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; generell ablehnend zur Einbeziehung in die Ausgleichsbemessungsgrundlage BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 42 m. Anm. Lang/ Klein – Kfz-Vertragshändler. 1825 OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419. 1826 Vgl. Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, WM 1996, 1558; VIII ZR 141/95, WM 1996, 1962; v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/ 95; WM 1997, 1485; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 23. 1827 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; v. 4.9.2007 – 5 U 87/06; Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06 (Kart), BeckRS 2008, 12081 – Kfz. 1828 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06; v. 17.7.2007 – 11 U 53/06 (Kart), BeckRS 2008, 12081 – Kfz. 1829 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06 (Kart), BeckRS 2008, 12081 – Kfz. 1830 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 32 m. Anm. Lang/Klein, Kfz-Vertragshändler. 1831 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 31 – KfzVertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 32 m. Anm. Lang/Klein, Kfz-Vertragshändler; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200. 1832 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 29 (Kfz-Vertragshändler); v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2353) Rn 32 – Volvo-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 32 m. Anm. Lang/Klein, Kfz-Vertragshändler. 365

Emde

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gewährt wurden, der Mittler aber – beispielsweise aufgrund jahrelanger Übung1833 – berechtigterweise erwarten konnte, auch in Zukunft vergleichbare Leistungen zu erhalten. Denn in beiden Fällen sind diese Zusatzleistungen in die Preiskalkulation des Mittlers eingeflossen und damit zum festen Bestandteil seines individuellen Rohertrags geworden.1834 – Einmalprovision 294 Werden Einmalprovisionen gewährt, fehlten nach bisheriger Ansicht Provisionsverluste1835 jedenfalls dann, falls voraussichtlich mit den vom HV geworbenen Kunden später keine weiteren Geschäfte zu erwarten waren. Das Problem stellt sich vorwiegend bei Dauerschuldverträgen, deren Vermittlung einmal abschließend bei Vertragsschluss durch Provision honoriert wird.1836 Einmalprovisionen werden häufig Investment-, Anlage- und Kreditvermittlern, Abonnements-1837 und Anzeigenvertretern, Vermittlern von Strombezugsverträgen, Internet-,1838 TV-1839 und Telefondiensten,1840 Mietverträgen1841 sowie von Software-Wartungsverträgen etc. gewährt,1842 also insb., wenn die vermittelten Verträge eine lange Laufzeit haben, besonders bestandskräftig und die Unternehmervorteile hoch sind. Nach der Novelle 2009 kann auch bei der Zahlung von Einmalprovisionen ein Ausgleich geschuldet sein, weil Provisionsverluste aus zukünftigen Geschäften mit den vom HV geworbenen Kunden keine Anspruchsvoraussetzung mehr bilden.1843 Das Provisionssystem des Unternehmers bestimmt nicht über die vermittelten Vorteile. Im Gegenteil können die Unternehmervorteile hoch sein: Die Einmalprovision ist gerade bei erheblicher Laufzeit der vermittelten Verträge für den Unternehmer günstig und wird in solchen Fällen vereinbart. Denn sie erspart dann Folgeprovision. Einmalprovisionen entsprechen sogar eher dem Leitbild der Provisionspflicht und damit dem korrespondierenden Ausgleichsrecht: Denn im Falle der Vermittlung von punktuell geschlossenen und vergüteten Kaufverträgen wird meist jeder der geworbenen Verträge mit einer „einmaligen“ Provision honoriert.1844 1833 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 29 (Kfz-Vertragshändler); v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 31 – Kfz-Vertragshändler; OLG Frankfurt/ M., Urt. v. 18.9.2012 – 5 U 101/09, BeckRS 2014, 11259; OLG Köln VersR 2002, 437 (438); v. 23.1.2009 – 19 U 63/08 Rn 50. 1834 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 32 m. Anm. Lang/Klein, Kfz-Vertragshändler. 1835 BGH, Urt. v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (126) = NJW 1972, 1664; Emde FS Karsten Schmidt S. 343 ff.; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 107; Hopt § 89b Rn 91; Roth in: Koller/Roth/Morck § 89b Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 105a, 245; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 41a; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 190. 1836 Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (391, 393); Thume BB 2015, 387 (393). 1837 OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236. 1838 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285). 1839 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285). 1840 Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (285); Ströbl BB 2013, 1027 (1029). 1841 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345 – dort Ausgleichspflicht verneint. 1842 Thume BB 2009, 2490 (2491). 1843 BGH, Urt. v. 24.9.2020 – VII ZR 69/19, DB 2020, 2460 = EWiR 2021, 15 (Emde); OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/2014, BeckRS 2015, 19345 Rn 45 (aber ambivalent, s. auch Rn 37) – Ausgleich i. E. abgelehnt; OLG Düsseldorf, Hinweise v. 9.1.2020 – I 16 U 6/19; Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15 Rn 41, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188. v. 25.6.2010 – I16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; Hopt § 89b Rn 26; Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (391) – aber Entfallen des Ausgleichs unter Billigkeitsgesichtspunkten; Emde EWiR 2009, 239 (240); Emde DStR 2009, 1478 (1482); Emde WRP 2010, 845 (847); Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553); Thume BB 2009, 2490 (2491); Westphal DB 2010, 1333 (1334); Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Thume VersR 2012, 665 (669); Pauly MDR 2013, 694 (696); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 12; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 142; ambivalent OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236 (einerseits erkennt es die Ausgleichsfähigkeit von Einmalprovision an. Andererseits verneint es sie bei einem Abonnementvertrag, da der HV bereits alle Provision erhalten habe und Provisionsverluste fehlten); aA LG München, Urt. v. 23.2.2011 – 10 HK O 3966/10 und Ströbl BB 2013, 1027 (1028, 1030) – für Telefonverträge; Gräfe/Boerner ZVertriebsR 2017, 282 (286). 1844 Emde BB 2017, 1289. Emde

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Nach Ansicht von Thume soll ein Provisionssystem, welches – wie bei Einmalprovisionen – 295 nachvertragliche Provisionsverluste nicht entstehen lässt, eine den Ausgleichsanspruch begrenzende, nach § 89b Abs. 4 unzulässige Vereinbarung bilden.1845 Das dürfte zweifelhaft sein.1846 Denn es handelt sich wohl um eine nur mittelbar den Ausgleich1847 betreffende Abrede, die § 89b Abs. 4 S. 1 wohl nicht widerspricht.1848 Gegen die Folgerung, bei Zahlung von Einmalprovision entfalle der Ausgleich, spricht syste- 296 matisch, dass die Existenz des § 89b unerklärlich bliebe. Denn man müsste annehmen, die Vorteile jedes langfristigen Vertrages oder langfristig fortgesetzter Einzelgeschäfte seien schon durch die ebenso lange Zeit gewährte Provision abgegolten worden.1849 Provisionen für den Einzelvertrag und der Ausgleichsanspruch werden jedoch aus unterschiedlichen Gründen gewährt. Letzterer, weil der HV dem Unternehmer einen neuen und voraussichtlich treuen Kunden(stamm) zugeführt hat. Die mangelnde Fortzahlung der aus einem anderen Rechtsgrund geleisteten Provision darf jedoch nicht ohne weiteres zum Wegfall oder zur Reduzierung des Ausgleichs führen.1850 Außerdem dient das Billigkeitsmerkmal, wie der Gegensatz zu den Ausgleichsausschlußgründen des § 89b Abs 3 zeigt, eher der Begrenzung des Ausgleichs und nicht seinem völligen Wegfall.1851 Historisch spricht dagegen, dass der Ausgleich auch den Zweck hat, dem HV als „kleinem Kündigungsschutz“ zu dienen. Dieser Zweck wird verfehlt, wenn ihn der Unternehmer durch die Gestaltung seines Provisionssystems beiseite setzen kann. Es ist vielmehr zu fragen, ob mit der (Einmal-)provision gerade der ausgleichsbegründende 297 Vorteil, etwa eines langfristigen und über das Ende des HV-Vertrages hinausreichenden Dauerschuldverhältnisses (s. u.), d. h. die Werbung eines treuen Kunden, honoriert wurde oder nicht. Schon angesichts der systematischen Doppelung der Provisionstatbestände einerseits sowie des § 89b andererseits dürfte im Regelfall davon auszugehen sein, dass die Provision keine Gegenleistung für ausgleichsbegründende Vermittlungen bildet. Die Provision steht meist nur im Gegenleistungsverhältnis zur vertragsbegleitenden Tätigkeit. Der Ausgleichsspruch honoriert hingegen über das Vertragsende hinausreichende Vorteile. Man könnte dieses Ergebnis zudem, wie bei den Überhangprovisionen,1852 mit mangelnden Provisionsverlusten begründen, jedoch auch mit generellen Billigkeitserwägungen. Eine weitere Begründung geben die strengen Voraussetzungen zur Vorauserfüllung des Ausgleichs.1853 Auch hohe Einmalprovisionen stehen meist nur im Äquivalenzverhältnis zur Vermittlungsleistung des HV und honorieren nur jene Tätigkeit, nicht den übergebenen Kundenstamm. Sie können also regelm. nicht als „Vorauserfüllung“ oder „Tilgung“ des Ausgleichsanspruchs angesehen werden bzw. billigkeitsreduzierend 1845 Thume BB 2017, 906 (907); Thume BB 2015, 387 (392); aA Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 62. AA noch Thume BB 2015, 387 (393); Provisionsrechtlich soll die Vereinbarung einer Einmalprovision wirksam sein. Sie dürfe aber nicht ausgleichsrechtlich dazu führen, dass über das Billigkeitsmerkmal der Provisionsverluste der Ausgleich entfällt und die verbleibenden Unternehmervorteile nicht mehr berücksichtigt werden. 1846 Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (393) unter Hinweis auf die Zulässigkeit von Provisionsvereinbarungen, die mittelbar den Ausgleichsanspruch reduzieren. 1847 Zu solchen nur mittelbar wirkenden Abreden BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568 unter II 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 194. 1848 Emde BB 2017, 1289. 1849 Emde BB 2017, 1289. 1850 Emde BB 2017, 1289; Thume BB 2015, 387 (393). 1851 AA Ströbl BB 2013, 1027 (1029). 1852 Zu den Überhangprovisionen wird ausgleichsrechtlich vertreten, soweit dem HV nach § 87 Abs. 1 nachvertraglich fällige Provisionen zustehen, sollen dem HV keine Provisionen entgehen, s. BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, NJW 1997, 316 (317) = WM 1997, 232 II 2 b. 1853 Bedingung einer Vorauserfüllung ist, dass der HV zusätzlich zur ihm ohne die Vorauserfüllungsabrede zustehenden Provision wertmäßig einen Ausgleich erhält, welchen er auch ohne die Abrede fordern könnte (BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08 – dort abgelehnt). 367

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wirken.1854 Ergibt sich zur Frage der Tilgungsbestimmung ein non liquet, dürfte der Unternehmer dafür beweispflichtig sein, dass er ausgleichsrelevante Vorteile bereits erfüllt hat, nicht anders als bei der Abgrenzung verwaltender und werbender Vergütungsbestandteile. Man könnte diesen Beweis auch dem Vertragsformulierenden zuweisen oder den Vergleich zur Beweislast für die Vorauserfüllung des Ausgleichs1855 (Beweislast: Unternehmer) ziehen. Die Nichtberücksichtigung der Einmalprovisionen dürfte zudem dem in der RL zwingend vorgegebenen Grundsatz widersprechen, demzufolge Art. 17 RL dem Schutz des HV dient und nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden darf. Auch Einmalprovisionen des (typischen) Basisjahres sollten daher in die Rohausgleichsberechnung einbezogen und mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums multipliziert werden. Weitere Vorteile können in Anschlussverträgen, der Vergrößerung des Marktanteils oder der Steigerung des Firmenwertes liegen. Der Unternehmer kann mit dem von ihm als ausgleichsreduzierenden Umstand zu beweisenden Argument antworten, die durch den Ausgleich honorierte Kundentreue sei bereits durch die Einmalprovision für die Vermittlung des langfristigen Verträge ausgeglichen worden. Nach Thume1856 müsse im Rahmen der Billigkeit gewertet werden, dass das Fehlen der Provisionsverluste auf der – fast immer vom Unternehmer herrührenden – Provisionsvereinbarung beruhe. Habe z. B. der HV für die Vermittlung von langfristigen Abfallentsorgungsverträgen eine sehr hohe Einmalprovision erhalten und seien die Unternehmervorteile relativ gering, weil die akquirierten Verträge bald ausliefen und Nachfolgeverträge kaum zu erwarten sein, bleibe auch der Ausgleichsanspruch unter Billigkeitsgesichtspunkten gering.1857 Daran ist richtig, dass es kaum der Billigkeit entspricht, über das Billigkeitsmerkmal der „entgehenden Provisionen“ die Höhe des Ausgleichs zu reduzieren, sofern die Unternehmervorteile nicht höher oder niedriger liegen als im Falle einer anderen Provisionsregelung.1858 Das gilt gerade, falls der Unternehmer das Provisionssystem gewählt hat, um den Ausgleich zu verringern. – Einmalzahlung Dasselbe wie für die Einmalprovision (s. o.) gilt für den Fall einer Einmalzahlung des Kunden: Selbst wenn der Kunde nur eine Einmalzahlung vor Ende des HV-Vertrages leistet, entfällt ein Teil dieser Zahlung auf die Zeit nach Beendigung des HV-Vertrages und bildet damit einen Unternehmervorteil. Sie ist also in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen. Regelmäßig gibt es keinen Unterschied für die Unternehmervorteile, ob der Unternehmer die Gegenleistung ratierlich oder als Einmalzahlung erhält. Kalkulatorisch laufen beide Zahlungsarten auf denselben Vorteil hinaus. Die gegenläufige Ansicht von Ströbl/Wentzel1859 würde die Höhe des Ausgleichs von Zufälligkeiten abhängig machen: sein Betrag würde sich danach richten, ob und ggf. welches Entgelt der Kunde nach Ende des HV-Vertrags für die Restlaufzeit eines Geschäftes zu leisten hätte. Ein Ausgleichsanspruch wäre zu versagen, falls der Kunde zum Zeitpunkt der Beendigung des HV-Vertrags das geschuldete Entgelt vollständig geleistet hat. Auch wäre ein Dauervertrag, der auf viele Jahre abgeschlossen wurde, jedoch einen Tag vor Auslaufen des HV-Verhältnisses endete, nicht ausgleichspflichtig, ein Dauervertrag mit wenigen Wochen bzw. Monaten Gültigkeit, der (kurz) nach Vertragsbeendigung endet, jedoch sehr wohl. – Erweiterte Altkunden, Vergütung hierfür Einzubeziehen in die ausgleichspflichtigen Verluste des HV sind ferner Provisionen, die er aus Geschäften im Bereich der Intensivierung des Altkundenverhältnisses hätte ziehen können. Abs. 1 S. 2 ist zwar seinem Wortlaut nach auf Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bezogen. Trotzdem gilt er auch im Rahmen der Nr. 2. Andernfalls wäre die Gleichgewichtigkeit des Ausgleichsverhältnisses in diesem Punkte durchbrochen. 1854 1855 1856 1857 1858 1859 Emde

Emde BB 2017, 1289. Vgl. Thume BB 2017, 906 (907). Thume BB 2015, 387 (393). Thume BB 2015, 387 (393). Emde BB 2017, 1289. BB 2017, 390 (392). 368

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– Dauerverträge Erhält der HV für den mit einem Neukunden akquirierten Dauervertrag während der Gesamtlaufzeit ratierlich fortlaufenden (Teil-) Provisionen, die auch nach Beendigung des HV-Vertrages weiterbezahlt werden, so entstehen dem Unternehmer zwar nach Vertragsende noch erhebliche Vorteile.1860 Aber der HV könnte keine Provisionsverluste erleiden, weil er weiterhin die ihm daraus entstehenden Teil-Provisionen erthält. Wird hingegen für ein solches Dauergeschäft eine Einmalprovision geschuldet, so könnte diskutiert werden, ob dem HV keine Provisionsverluste nach Vertragsende entstehen.1861 Aber es ergibt sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen hohen nachvertraglichen Unternehmervorteilen auf der einen und nur geringen oder gar ganz fehlenden Provisionsverlusten auf der anderen Seite. Gegen die Ausgleichspflicht von Dauerverträgen bei Gewährung von Einmalprovision (s. o.) spricht nicht der Einwand, der HV sei für die Werbung etwa eines Dauervertrages bereits abschließend durch die Einmalprovision honoriert worden.1862 Die Frage dürfte sich vor allem bei der Vermittlung befristeter Dauerschuldverhältnisse stellen (Beispiel: befristeter Liefervertrag mit fester Gesamtabnahmemenge). Sie stellt sich weniger bei Dauerverträgen, die sich vom Prognosezeitpunkt aus betrachtet nach Ende des HV- und Dauervertrages verlängern dürften (Beispiel: Telefonvertrag): Im Falle befristeter Verträge hat der HV für die gesamte Zeitdauer des Vertrages bereits Provisionen erhalten, jedenfalls sofern eine Einmalprovision geleistet wurde. Für eine zu erwartende Verlängerung hingegen ist er kaum durch die Provision honoriert worden. Zwar verschwimmt der Tilgungszweck beim Dauervertrag. Allenfalls sofern die Provision auch die Vorteile der Fortsetzung des Dauervertrages über das Ende des HV-Vertrages hinaus entgilt und sonstige durch sie vergütete Unternehmervorteile fehlen, besteht kein Ausgleichsanspruch. Jedenfalls sofern die Pflicht zur Provisionszahlung durch die Beendigung des HV-Vertrages unterbrochen wird, obwohl der Dauervertrag fortläuft, kann die Provision die Werbung des treuen Kunden jedoch nicht vollständig honorieren. Es ist ferner zweifelhaft, ob fehlende Provisionsverluste im Rahmen der Billigkeitserwägungen so schwer wiegen, dass dann i. d. R. der Ausgleich nur noch sehr gering oder gar nicht entstehen kann.1863 Sofern ein Dauervertrag in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen ist, so sind es auch die Provisionen mit ihm.1864 Auch Einmalprovisionen des (typischen) Basisjahres können daher in die Rohausgleichsberechnung einbezogen und mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums multipliziert werden. – Festvergütung Hat der Unternehmer neben der Provision eine feste Vergütung versprochen, so ist jene insoweit in die Verlustprognose einzustellen, als sie für Geschäfte mit neu geworbenen oder erweiterten (potenziellen) Stammkunden gezahlt wird.1865 Dieser Verwendungszweck wird vermutet. Auf der Basis der Ansicht, die verwaltende Vergütungsbestandteile nicht in die Ausgleichsberechnung einbezieht, wird der verwaltende Anteil nicht in die Ausgleichsberechnung einbezogen.1866 Die fehlende Ausgleichspflicht hat die die Provisionsbestimmungen des Vertrages formulierende Partei darzulegen und zu beweisen. Eine Ansicht, welche die Ausgleichspflichtigkeit

1860 1861 1862 1863 1864 1865

Emde BB 2017, 1289. Siehe Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (393). Emde BB 2017, 1289; aA Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (392). Emde BB 2017, 1289; aA Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (391, 393); Thume BB 2015, 387 (392). Vgl. Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (391), die selbst allerdings aA sind. BGH, Urt. v. 15.2.1965 – VII ZR 194/63, BGHZ 43, 154 = NJW 1965, 1134; Bericht über die Anwendung von Art. 17 der RL des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen HV, KOM (96) 364 endg, S. 3; OLG Oldenburg, Urt. v. 25.2.2014 – 13 U 86/13, IHR 2014, 112 = BeckRS 2014, 05367 Ströbl/Wentzel BB 2017, 390 (391, 393); OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (238); Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Westphal DB 2010, 1333 (1337). 1866 Westphal DB 2010, 1333 (1337). 369

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von Festvergütungen ablehnt, wäre eine Einladung zur Auslagerung des variablen Vergütungsteils in ein Festgehalt. Hingegen ist Festvergütung, die nicht für Geschäfte mit ausgleichspflichtigen Kunden geleistet wird, nicht in die Verlustprognose einzustellen.1867 Für die Gegenansicht, die keinerlei Festvergütung in die Verlustprognose einfließen lassen will, spricht der Wortlaut des § 89b Abs. 1 Nr. 2, demzufolge der HV Ansprüche auf „Provisionen“ verlieren muss, die er bei Fortsetzung desselben aus „bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte“. Gemäß dem Gesetzeswortlaut ist Provision nur eine variable Vergütung i. S. d. § 87 ff. Aus § 89b Abs. 1 Nr. 2 ergibt sich aber wohl nicht, dass Verluste an Festvergütungen ausgleichsrechtlich unberücksichtigt blieben, wenn sie neben oder anstelle der Provision vereinbart wurden.1868 Mglw. spricht der Gegensatz zu § 89b Abs. 2 gegen die Ausgleichspflichtigkeit des festen Vergütungsteils.1869 Denn nach dieser Norm wird die Höchstgrenze – im Umkehrschluss jedoch nicht der Rohausgleich selbst – unter Einbeziehung sonstiger Vergütungen und nicht nur der Provisionen berechnet. Aber die gleichen Argumente gelten auch für die Nichteinbeziehung von Boni. Gleichwohl will sie die h. M. in die Ausgleichsberechnung einbeziehen. Ggf. kann die durch das Fixum hervorgerufene Sicherheit unter dem Billigkeitseinwand ausgleichsreduzierend wirken.1870 – Kostenerstattung 307 Nicht in die Verlustprognose einbezogen werden eindeutig bestimmten Kosten zuzuordnende Auslagenerstattungen des Unternehmers, z. B. für Angestellte des HV. Denn diese Leistungen erhalten keine Vergütung für werbende Tätigkeiten und damit auch nicht für den Aufbau des Kundenstammes.1871 Voraussetzung der Nichteinbeziehung ist aber immer, dass es sich um eine Kostenerstattung für spezifizierte Kosten handelt und nicht um eine allgemeine Kostenpauschale. Denn sonst würde auch hier zur Verlagerung der Provision in eine allgemeine Kostenpauschale eingeladen. – Leistungen Dritter 308 Leistungen Dritter sollen regelm. nicht in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen werden.1872 Sie sind nur ausgleichsfähig, wenn sie vertragsgemäße Vergütung des HV bilden soll. Daran könnte beim Nettopreismodell gedacht werden. Der Unternehmer gewinnt den Vorteil der Befreiung oder Abwälzung des Vergütungsanspruches auf einen Dritten, meist den Kunden (§ 267 BGB). Wirtschaftlich betrachtet leistet der Dritte die Vergütung. Etwas differenzierter ist beim Vertragshändler und FN zu urteilen: Hier sind die von Kunden geleisteten Beträge gerade Ausgleichsberechnungsgrundlage. Der HV verliert jene Vergütungsbestandteile infolge des Vertragsendes. Der Unternehmer erhält die Chance sie selbst oder durch neue Vertriebsmittler als Vergütungsbestandteile zu nutzen (Unternehmervorteil). Auch im Eigenhändlerrecht finden jedoch vom Leasingunternehmen gezahlte Vergütungen keine Berücksichtigung, sofern sie nicht zur Weiterleitung der Herstellersubventionen dienen.1873 – Mindestvergütung 309 Eine Mindestvergütung wird in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen. In jedem Fall ist der für Geschäfte mit ausgleichspflichtigen Kunden gezahlte variable Vergütungsanteil in die Verlustprognose einzuführen.

So aber wohl Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126. OLG Oldenburg, Urt. v. 25.2.2014 – 13 U 86/13, IHR 2014, 112 = BeckRS 2014, 05367. AA BGH, Urt. v. 15.2.1965, NJW 1965, 1134. Westphal DB 2010, 1333 (1337). BGH, Urt. v. 16.3.1989; NJW-RR 1989, 863. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 – Kfz. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; generell ablehnend zur Einbeziehung in die Ausgleichsbemessungsgrundlage BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 42 m. Anm. Lang/ Klein – Kfz-Vertragshändler; aA nach den Umständen des Einzelfalles im Ergebnis BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 31 (Kfz-Vertragshändler); v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2353) Rn 35 – Volvo-Vertragshändler.

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– Nachvertraglich gezahlte Vergütungen Soweit dem HV nach § 87 Abs. 1 nachvertraglich fällige Provisionen zustehen, weil der HV 310 das Geschäft vor Vertragsschluss vermittelt, eingeleitet oder so vorbereitet hat, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen (Überhangprovision),1874 und das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertrages abgeschlossen wird, sollen dem HV keine Provisionen entgehen;1875 ebenso wenig, wenn die TB-Voraussetzungen des § 87 Abs. 3 Nr. 2 eingreifen. Beispiel: Sukzessivlieferverträge. Das ist zweifelhaft, weil es für die Ausgleichsberechnung und die Einbeziehung in die Ausgleichsberechnung nur darauf ankommt, ob die Provision während der Vertragslaufzeit durch die Tätigkeit des HV verdient war. Trotz fortlaufender Überhangprovisionen kann daher insb. nach der seit 2009 geltenden Fassung des § 89b ein Ausgleich zu leisten sein.1876 – Schadenersatz Schadensersatzansprüche wegen Provisionsschmälerung, die der HV aus Vertragsverstößen des 311 Unternehmers geltend macht, treten voll an die Stelle der durch Abschlüsse während der restlichen Vertragszeit verdienbar gewesenen Provisionen. Der HV kann sie sich nicht zweimal, als Schadensersatz und über den Ausgleich, abgelten lassen (wohl aber erweitert sich ggf. ein Schadensersatzanspruch als solcher, wenn und soweit unterstellt werden kann, die illoyal während der Vertragszeit geschmälerten Provisionen hätten, nicht geschmälert, auch noch nach Vertragsende die Chance fortgesetzten Anfalls eröffnet). – Superprovisionen Hierbei handelt es sich um Provisionsbestandteile, die dem HV für den Vermittlungserfolg un- 312 echter Untervertreter gewährt werden: Der Hauptvertreter erhält eine an den Vermittlungserfolg seiner Untervertreter angelehnte Vergütung. Bei mehrstufigen HV-Verhältnissen kann fraglich sein, ob die gezahlten Superprovisionen noch eine Leistung für die werbende Tätigkeit des HV darstellen oder lediglich eine ausgleichsunfähige Vergütung für verwaltende Tätigkeit des HV.1877 Superprovisionen können ausgleichspflichtig sein, soweit die Tätigkeit des Generalvertreters, Bezirksstellenleiters oder Generaldirektionsleiters Voraussetzung für das Arbeiten der ihm unterstellten Vertreter und daher mitursächlich für die von diesen vermittelten Abschlüsse ist.1878 Eine solche Mitursächlichkeit setzt nicht zwingend voraus, dass der Strukturvertreter die ihm unterstellten Vertreter auch tatsächlich betreut. Vielmehr kann je nach den Umständen des Einzelfalls schon die Mitursächlichkeit bei der Einstellung und Einarbeitung der Untervertreter ausreichen.1879 Da es nur um eine Zurechnung des Vermittlungserfolges des handelnden Untervertreters geht (Zurechnungstatbestand), müssen beim Vermittelnden die Voraussetzungen für eine Ausgleichspflichtigkeit vorliegen, insb. die Mehrfachkundeneigenschaft (falls erforderlich). Fraglich ist, ob auch die für die Überwachung anderer Untervertriebsmittler als HV, etwa von Maklern, geleistete Superprovision ausgleichspflichtig ist. Dafür spricht, dass jene Vergütung im Rahmen eines HV-Vertrages geleistet wurde und die Ausgleichspflicht aus dem HV-Vertrag entsteht. Außerdem wird dem HV auch der Vermittlungserfolg eigener – nicht ausgleichsberechtigter – Angestellter zugerechnet. Schließlich kann der Hauptvermittler den Inhalt des Rechtsverhältnisses zwischen Unternehmer und Untervermittler nicht beeinflussen. Es scheint daher konsequent, für die Ausgleichspflicht allein auf den HV-Vertrag und nicht auf

Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 125, 129. BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, NJW 1997, 316 (317) = WM 1997, 232 II 2b. Wauschkuhn/Fröhlich BB 2010, 524 (527). Vgl. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 68; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 151. BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 31; v. 24.6.1971 – VIII ZR 223/69, BGHZ 56, 290 (292 f.); v. 22.6.1972 – VII ZR 36/71, BGHZ 59, 87 (91 ff.); v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (128 ff.) = NJW 1972, 1664; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 247. 1879 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 31.

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das Rechtsverhältnis zwischen Untervermittler und Unternehmer abzustellen. Der BGH hat in seinem Urt. v. 23.11.20111880 Superprovisionen nur bei einer Tätigkeit von „Vertretern“, also wohl HV, in den unteren Strukturebenen zugesprochen. Das Problem der Tätigkeit von Maklern hat sich scheinbar in dem Fall nicht gestellt, so dass der BGH mglw. das Wort „Vertreter“ nur deshalb verwendet hat, weil es sich bei den Untervermittlern nun einmal um HV handelte. Auch in dem Urteil des BGH v. 24.6.19711881 waren dem Hauptvertreter HV unterstellt. In diesem Urt. hat der BGH ausgesprochen, auch bei einem Generalvertreter oder Verkaufsleiter könnten die Voraussetzungen des § 89b vorliegen. Es wurde aber auch hier nicht entschieden, wie der Fall zu beurteilen wäre, wenn die unterstellten Vermittler keine HV gewesen wären. In dem Urt. des BGH v. 22.6.19721882 wurde dem Bezirkstellenleiter eines Lotto-Unternehmens, dem mehrere Annahmestellen organisatorisch unterstellt waren, ein Ausgleichsanspruch zugebilligt, weil sein wirtschaftliches Erscheinungsbild dem eines echten Generalvertreters mit eigenem Vertreterstab nahe kam. Das galt, obwohl er nicht persönlich unmittelbar an dem Zustandekommen von Spieleinsätzen beteiligt war. Auch hier waren die „Untervermittler“ jedoch HV, die im Vertragsverhältnis zum Unternehmer standen. Am ehesten in die Richtung der hier vertretenden Auffassung geht noch das Urteil des BGH v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71.1883 Hier hat es der BGH für die Ausgleichsfähigkeit von Superprovisionen genügen lassen, dass der HV Volksbanken und Raiffeisenkassen seines Bezirks für die Mitarbeit zugunsten des Unternehmers gewann, sie laufend in Bausparangelegenheiten beriet und in jeder Hinsicht als Kontaktstellen betreute. Der BGH hat ausgeführt, die Stellung des HV gegenüber den Volksbanken und Raiffeisenkassen sei der eines Generalvertreters oder Bezirksleiters ähnlich. Es sei in diesem Zusammenhang unerheblich, dass die Banken und Kassen ihm nicht organisatorisch untergeordnet waren. Dies zeigt, dass die exakte Natur des Rechtsverhältnisses, unter dem die Banken tätig waren, eher irrelevant blieb. Da der BGH auf die HV-ähnlichkeit abstellt, spricht einiges dafür, dass er Superprovisionen auch dann als ausgleichsfähig angesehen hätte, wenn die Banken und Raiffeisenkassen keine HV gewesen wären. Nur soweit die Superprovisionen verwaltende Anteile enthalten, etwa Führungsprovisionen, sind sie nach bislang h. M. nicht anrechnungsfähig.1884 Beweispflichtig für den verwaltenden Charakter der Vergütung und damit für die Ausgleichsunfähigkeit ist der Unternehmer, welcher den Vergütungscharakter bestimmt. – Untervertreter 313 Rückt der Untervertreter in die Position des Hauptvertreters ein, so können „entgehende Provisionen“ fehlen, und zwar auch dann, wenn der HV eine Einstandszahlung zahlt, damit der übernommene Bestand als neu geworben im Sinne der Ausgleichsberechnung gilt.1885

314 f) Provisionsverlust aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften. Gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 2 a. F. setzte die Ausgleichsberechtigung Provisionsverluste entweder aus bereits abgeschlossenen Geschäften oder aus künftig zustande kommenden Geschäften voraus. Ein Provisionsverlust der zweiten Alternative war der Regelfall. Diese Hervorhebung wurde nicht in § 89b n. F. übernommen. Beide „Verlustarten“ können jedoch nach wie vor als Beispiele entgangener Provision angesehen werden. Die dazu eingenommenen Ansichten der Vergangenheit sind also übertragbar. 1880 1881 1882 1883 1884

VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674. VII ZR 223/69, NJW 1971, 1610. VII ZR 36/71, NJW 1972, 1662. BGHZ 59, 125 = NJW 1972, 1664 = BB 1972, 1073 = DB 1972, 1960. BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 31; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 94; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126. 1885 BGHZ 52, 5; Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2; LG Oldenburg, Urt. v. 23.11.2012 – 9 O 1871/11, zit. n. Evers VW 2013, 47 – Münsterländische Versicherungsvermittlung. Emde

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aa) Bereits abgeschlossene Geschäfte. Wenn das Gesetz Provisionen „aus bereits abge- 315 schlossenen Geschäften“ für ausgleichsfähig erklärt, so handelt es sich um einen im System irregulären Ausnahmefall. Grundsätzlich gilt: Was als Provision verdient wurde, ist nicht selbst „Ausgleich“ oder Teil hiervon. In die Ausgleichsbemessungsgrundlage einzubeziehen sind Provisionen nur, soweit sie während des Prognosezeitraums erneut zu erwarten gewesen wären. Zu keinen Provisionsverlusten führen alle Provisionsforderungen, die zwar erst nach Vertragsbeendigung entstehen, aber auf Abschlüsse oder abschlussentscheidende Tätigkeit vor Vertragsbeendigung zurückgehen und darin ihre Entstehungsgrundlage haben. Verluste aus bereits abgeschlossenen Geschäften kann der HV bei gesetzestypischen Verträ- 316 gen nicht erleiden. Denn er erlangt gem. § 87 Abs. 1 für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte einen Provisionsanspruch. Das TB-Merkmal hat damit außer vielleicht bei Bezugsverträgen (dazu oben) nur Bedeutung, falls vom Gesetz abweichende Regelungen im HV-Vertrag getroffen wurden,1886 was mittels AGB problematisch ist.1887 Der vom Gesetz mit den bei Vertragsbeendigung „bereits abgeschlossenen Geschäften“ erfasste Fall ist deshalb in erster Linie derjenige, in welchem der HV auf die Provisionen, soweit sie nach Maßgabe des § 87a bei Vertragsende wegen der erst ausstehenden Abwicklung des Geschäfts noch nicht endgültig entstanden sind, oder auf an sich nach § 87 Abs. 3 zustehende Überhangprovisionen wirksam verzichtet hat.1888 Solche Provisionsverzichtsklauseln sind im Versicherungswesen nicht selten (s. u.). Sie sind aber auch bei Warenvertretern denkbar. Der Provisionsverlust, der hier ausnahmsweise nicht im Verlust einer künftigen Provisionschance besteht, soll ebenso wie dieser ausgleichsfähig sein. Küstner1889 vertrat, dem HV stehe aus bereits abgeschlossenen Geschäften auch dann ein Ausgleich zu, falls es sich um Einmalgeschäfte mit längerem Ausführungszeitraum handele, bei denen sich das Auftragsvolumen zum Vorteil des vertretenen Unternehmers erweitere. Der damit angesprochene Streit dürfte wegen des Wegfalls der Provisionsverluste als zwingendes TB-Merkmal heute ohne Bedeutung sein. Die Auffassung von Küstner dürfte nur haltbar sein, wenn es sich bei der Erweiterung nach dem Maßstab des § 89b Abs. 1 Nr. 1 um eine „Geschäftsverbindung“ handelt, der Kunde also zu einem Mehrfachkunden wird. Denn zu den Verlusten aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäfte müssen kumulativ die Voraussetzungen des § 89b Abs. 1 Nr. 1 treten. Es muss also eine Geschäftsverbindung entstehen. Schwer begründbar wäre es, bei bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften an das Merkmal der Geschäftsverbindung unterschiedliche Maßstäbe anzulegen, weil das TB-Merkmal in beiden Alternativen vorausgesetzt wurde.

bb) Künftig zustande kommende Geschäfte. Regelfall des Provisionsverlustes sind entge- 317 hende Chancen künftiger Abschlüsse. Künftig zustande kommende Geschäfte sind solche, welche der Unternehmer nach Beendigung des HV-Vertrages mit vom HV geworbenen Kunden voraussichtlich schließt und für welche dem HV gem. §§ 87 ff. oder den Provisionsbestimmungen des Vertrages Provision gebühren würde, falls der Vertrag fortgesetzt worden wäre. Diese künftigen Geschäfte müssen bei Vertragsbeendigung nicht feststehen oder über sie ein Vorvertrag geschlossen sein. Ausreichend ist es, wenn solche Geschäfte ggf. mit zusätzlichen Anstrengungen des HV zustande gekommen wären.1890 cc) Fallgruppen. Problematisch wird das Fehlen entgangener Provisionen insbesondere in fol- 318 genden Fallgruppen: 1886 1887 1888 1889 1890 373

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 15; Hopt § 89b Rn 24. Siehe etwa BGH, Urt. v. 10.12.1997 – VIII ZR 107/97, NJW-RR 1998, 629. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 144. Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 12. BGHZ 30, 103. Emde

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– Alter und Krankheit 319 Alter und (vermutliche) Krankheit des HV während des Prognosezeitraums führen nicht zu fehlenden Provisionsverlusten, selbst wenn der HV nach Vertragsende aufgrund mangelnder Gesundheit nicht mehr im Stande gewesen wäre, den ihm zugewiesenen Bezirk zu betreuen.1891 – Insolvenz des Mittlers 320 Durch die Insolvenz des HV wird der HV-Vertrag nicht beendet (s. Kommentierung zu § 89). Nach einer Ansicht entfällt der Ausgleich, wenn der Mittler in Insolvenz fällt und daraufhin seinen Geschäftsbetrieb vor Vertragsende einstellt, weil bei unterstellter Fortführung des Vertrages der Mittler keine Vergütung entsprechend § 89b Abs. 1 Nr. 2 erwirtschaftet hätte.1892 Für die Provisionsverluste soll in diesem Sonderfall nicht die Vertragsbeendigung ursächlich sein, sondern die Insolvenz und die Einstellung des Geschäftsbetriebs. Es verwirkliche sich das unternehmerische Risiko, welches der HV zu tragen habe. Das ist nicht nur für den Fall des Insolvenzplans nach § 35 InsO abzulehnen1893: Im Wege der „Als-ob-Betrachtung“ ist die Fortsetzung des Vertrages zu unterstellen, ebenso wie bei dem verstorbenen HV.1894 Unter Berücksichtigung des Regelungszwecks des § 89b, dem HV für einen auf seiner Tätigkeit beruhenden, ihm aber infolge der Beendigung des Vertrages nicht mehr vergüteten Vorteils des Unternehmers, wie er in der Schaffung des Kundenstamms liegt, eine Gegenleistung zu gewähren, kommt es nicht darauf an, ob der HV bei gedachter Fortsetzung des Vertrags auch in Zukunft tatsächlich Provisionen hätte erzielen können.1895 – Dispositionsfreiheit des Unternehmers 321 Provisionen entgehen auch in Fällen, in denen Provisionen des HV durch illoyale Handlungsweise des Unternehmers – willkürliches Durchkreuzen der Geschäftsbeziehung mit einem Neukunden – schon in der Vergangenheit geschmälert gewesen waren. Dafür war der Unternehmer schadensersatzpflichtig geworden. Er hatte den HV so zu stellen, als sei die Provision verdient worden; ein verdienbar gewesener Ausgleich aus illoyal geschmälerten Provisionen ist Bestandteil seiner Schadensersatz- und Ausgleichspflicht. Damit gelten auch bei den Provisionsverlusten die oben, Rn 200, dargelegten Grundsätze zu Dispositionsfehlern. Vgl. auch d. Kommentierung zu § 86a. – Einstellung des Betriebes des Mittlers 322 Der Ausgleichsanspruch ist nicht wegen des Fehlens „entgehender Provision“ ausgeschlossen, wenn der HV nach Beendigung des Vertrages seinen Geschäftsbetrieb einstellt.1896 Das ergibt sich aus dem oben unter dem Stichwort „Insolvenz des Mittlers“ genannten Regelungszweck des § 89b. – Nutzung des Kundenstammes durch den HV nach Vertragsende 323 Dem Erfordernis der Kausalität der Vertragsbeendigung für die Provisionsverluste ist genügt, wenn der HV infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Provisionen verliert, die er in eben dieser seiner Eigenschaft verdient haben würde. Macht sich der HV den Kundenstamm dadurch zunutze, dass er ihn nunmehr als Großhändler selbst beliefert, so vermag das die 1891 OLG Celle, Urt. v. 25.1.1968, NJW 1968, 1141 = BB 1969, 558; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 145; Ebenroth/Löwisch2 § 89b Rn 93. 1892 LG Frankfurt/M., Urt. v. 23.3.2005 – 3/9 O 3/05 für den VV (Fehlen ausgleichspflichtiger Provisionen infolge der Insolvenz); Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211); Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2456); dies. BB 2011, 519 (521) – zum Vertragshändlervertrag. 1893 Siehe etwa OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; ebenso früher OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2004 – 35 W 5/04, NJW-RR 2004, 1554 sowie OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406 = EWiR 2005, 601 (Pütz); Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 endg., S. 2, Gliederungspunkt 1. 1894 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 24 – Volvo-Vertragshändler; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 146. 1895 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 24 – Volvo-Vertragshändler. 1896 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 24 – Volvo-Vertragshändler; ZIP 1998, 420 = NJW 1998, 1070; v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, ZIP 1987, 1383 = NJW-RR 1988, 42 unter II A 4. Emde

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Unterstellung entgehender Provisionen als Folge der Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht zu entkräften: zu der Großhändlertätigkeit – mit der Belastung durch Anlaufrisiken und Anlaufkosten! – wäre es ja nicht gekommen, wenn das Vertragsverhältnis hätte fortbestehen können. Immerhin sollte einer solchen Nutzung des Kundenstammes in anderer Form durch andere Billigkeitsmomente Rechnung getragen werden können, entgegen gelegentlichen Ansätzen in der Rspr.1897 Dabei ist vorausgesetzt, dass der Kundenstamm wenigstens im Marktanteil des Unternehmers verblieben ist, d. h. der ehemalige HV als nunmehriger Großhändler von seinem früheren Unternehmer bezieht. Ist auch das nicht der Fall (auch der Unternehmer ist nur Großhändler, und der ehemalige HV jetzt sein Konkurrent), dann besteht ein Ausgleichsanspruch allerdings schon deshalb nicht, weil der „Vorteil“ des Kundenstammes für den Unternehmer entfallen ist. Gleiches gilt bei nachvertraglicher Tätigkeit des HV für einen anderen Unternehmer (Wettbewerbstätigkeit). Die dem HV von einem Wettbewerber des Erstunternehmers nach Vertragsende vergütete Tätigkeit und Nutzung des bisherigen Kundenstammes schließt Verluste des HV nicht aus. Denn die „Als-Ob-Betrachtung“ bezieht sich auf den beendeten Vertrag und Verluste aus dem Erstvertrag werden durch Gewinne aus einem Zweitvertrag nicht aufgehoben.1898 Sofern die Umwerbung des HV allerdings so erfolgreich war, dass die Geschäftsverbindungen des Unternehmers zu den Kunden abreißen, fehlt es an Unternehmervorteilen (s. o.). Das gleiche Kausalitätsproblem war das der Entscheidung BGHZ 52, 5. Dort war ein Untervertreter, dem der Hauptvertreter nach seinem (des Hauptvertreter) eigenen Ausscheiden aus dem Hauptvertreterverhältnis den Untervertretervertrag gekündigt hatte und daraufhin ausgleichspflichtig geworden war, in der Folgezeit in ein unmittelbares Vertragsverhältnis zum Hauptunternehmer getreten und hatte denselben Kundenkreis aus seiner früheren Untervertretung weiter betreut. Der BGH verneinte einen Verlust an Provisionen aus dem ehemaligen Untervertreterverhältnis.1899 Hiergegen mit Recht Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 16, der zwar zum gleichen Ergebnis, aber auf dem Wege anderer Billigkeitsmerkmale gelangt. Wird der HV nach Beendigung seiner Tätigkeit für den Unternehmer als angestellter Reisender tätig, steht ihm bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach Beendigung des HV-Vertrages ein Ausgleichsanspruch zu. Provisionsverluste scheiden nicht aus, weil er als Reisender den Kundenstamm nutzen kann.1900 Angesichts der fehlenden Ausgleichsberechtigung als angestellter Reisender ist dies offensichtlich. Der Reisende nutzt den Kundenstamm nämlich nicht selbst, sondern für den Unternehmer als dessen Angestellter. Der HV-Vertrag ist beendet, der HV erhält keine Provision mehr. Aus der Beendigung seines HV-Vertrages erleidet der ehemalige HV daher Provisionsverluste, weil er seinen Kundenstamm nicht mehr für seine HV-Tätigkeit nutzen kann und diesen vielmehr seinem ehemaligen Unternehmer und nunmehrigen Arbeitgeber endgültig zur weiteren Nutzung überlassen hat. Genauso wenig wie Kunden als neu geworben gelten, sofern sie nicht in Ausführung des HV-Vertrages sondern eines Vertrages als angestellter Reisender geworben wurden, kann eine nachvertragliche Tätigkeit als Reisender anspruchsausschließend wirken. Dies gilt im Grundsatz auch für eine nachvertragliche Tätigkeit als HV-ähnlicher Vertriebsmittler. Ist der HV-Vertrag beendet, schließt sich die Ausgleichspflicht als gesetzliche Folge an. Es ist also nicht lediglich ein „Differenzausgleich“ in Höhe der Spanne zwischen alter und neuer Vergütung fällig. So kann nach Ansicht des OLG Köln die Übernahme eines HV-Vertrages nach Beendigung eines Kfz-Vertragshändlervertrages nicht zum Entfallen des Ausgleichs führen.1901 Provisionen aus einer nach Beendigung des Händlervertrages aufgenommenen HV-Tätigkeit können dem Verlust von Einnahmen aus dem gekündigten 1897 OLG Köln VersR 1968, 966 (968). 1898 AA wohl BGHZ 52, 5 (12). 1899 Ebenso: Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2; LG Oldenburg, Urt. v. 23.11.2012 – 9 O 1871/11, zit. n. Evers VW 2013, 47 – Münsterländische Versicherungsvermittlung. 1900 AA wohl BGHZ 52, 5 (12). 1901 OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08. 375

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Händlervertrag nicht gleichgestellt werden. Falls die neue Tätigkeit bei Vertragsende noch nicht in ihrem Kern angelegt war und daher nicht in die Prognose einbezogen werden darf, ergibt sich dies bereits aus der fehlenden Vorhersehbarkeit zum Prognosezeitpunkt, dem Vertragsende (Rn 122 f.). Allenfalls ist an eine Kürzung unter anderen Billigkeitsgesichtspunkten zu denken. Sähe man dies anders, bliebe die Aufbauarbeit am Kundenstamm ohne Gegenleistung. Angesichts des Wegfalls der Provisionsverluste als zwingendes TB-Merkmal wird die nachvertragliche Nutzung des Kundenstammes nicht mehr zur völligen Versagung des Ausgleichs führen dürfen.1902 Die heutige Rechtsprechung sieht Wettbewerb nach Vertragsende – wie es im Anschluss an das EuGH-Urteil wegen des Wegfalls der zwingenden Natur der Provisionsverluste ohnehin nur noch vertretbar ist – als Unterfall der allgemeinen Billigkeit. So wird etwa die nachvertragliche Nutzung des Kundenstammes für Wettbewerbsprodukte durch einen Vertragshändler meist mit einem Billigkeitsabschlag von 25 % beantwortet.1903 – Rotationsvertrieb 324 Im Rotationsvertrieb wird der HV während der Vertragsdauer in wechselnden Bezirken tätig. Der HV wirbt dabei Geschäftsverbindungen, wenn er für ihr Entstehen mitursächlich wird, weil er oder der später in den Bezirk wechselnde HV einen Folgekauf vermittelt. Hinsichtlich der Tätigkeit des HV in seinem vorletzten Bezirk fehlen jedoch entgehende Provisionen des HV nach Vertragsende, weil der HV wegen des Wechsels in einen neuen Bezirk nicht mit Folgegeschäften aus dem Altbezirk rechnen kann. Das gleiche gilt auch für den dem HV zuletzt zugewiesenen Bezirk, falls das Vertragsende mit einem bevorstehenden Wechsel zusammen fällt. Der BGH hat in zwei Urteilen v. 25.10.19841904 sowie v. 28.4.19991905 angenommen, der Rotationsvertrieb könne einen Verstoß gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz des § 89b Abs. 4 S. 1 darstellen. Dieser Begründungsansatz dürfte nach der Degradierung der Provisionsverluste vom zwingenden TBMerkmal zum Billigkeitsmerkmal nicht mehr erforderlich sein.1906 Es genügt fortan, in solchen Fällen darauf hinzuweisen, dass Provisionsverluste nicht notwendigerweise vorliegen müssen. Nach dem BGH1907 wird fingiert, dass der HV ein von ihm im letzten Jahr seiner Tätigkeit beworbenes Gebiet weiter betreuen darf, mit der Folge der Ausgleichspflichtigkeit der dort geworbenen Neukunden. Das Urteil des BGH aus 1999 bespricht Thume1908 kritisch. Wenn der Ausgleich auf der Basis der Stammkunden des dem „rotierenden“ Mittler zuletzt zugewiesenen Bezirks zu berechnen sei, schneide der BGH dem HV den Ausgleich für die Neukundenwerbung aus den früher von ihm betreuten Gebieten ab. Darin liege ein Verstoß gegen die zwingende Natur des § 89b Abs. 4 S. 1. Deshalb müsse die Kundenwerbung aus den früheren Jahren berücksichtigt werden. Wenn sich der Umsatz mit Neukunden des im letzten Vertragsjahrs bearbeiteten Bezirks gegen Null entwickelt, tendiert nach dem Judiz des BGH auch der Ausgleich gegen Null, unabhängig davon, wie viele Neukunden der HV dem Unternehmer zuvor zuführte.1909 Der BGH schließt auch Ausgleichsansprüche aufgrund wesentlicher Umsatzerweiterungen nach § 89b Abs. 1 Nr. 2 praktisch aus, weil beim Rotationsvertrieb nur jährliche Steigerungen berücksichtigt werden sollen und der BGH die Ausgleichsfähigkeit erweiterter Altkunden nur befürwortet, sofern die Erweiterung mindestens 100 % beträgt.1910 Die Berechnungsweise des BGH gibt dem HV damit nur einen Ausgleich für die im letzten Jahr geworbenen Neukunden im letzten Bezirk, was bei langjährigem Vertragsverhältnis eine wesentliche Verkürzung des Ausgleichs darstellen kann. Möglicherweise ist es daher richtiger, sämtliche vom HV in allen Bezirken geworbene 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 Emde

Emde DStR 2009, 1478 (1482). BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BB 1997, 852 = ZIP 1997, 841; Rickmann WuW 2003, 752 (762). NJW 1985, 859. BGH, Urt. v. 28.4.1999, BGHZ 141, 248 = BB 1999, 1399 = EWiR 1999, 653 (Emde). So auch Koch ZIP 2011, 1752 (1755). BGH, Urt. v. 28.4.1999, BGHZ 141, 248 = BB 1999, 1399 = EWiR 1999, 653 (Emde). BB 1999, 2309 (2313). Schaefer NJW 2000, 320. Schaefer NJW 2000, 320. 376

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Kunden als ausgleichspflichtige Neukunden anzusehen.1911 Dass dann wegen der bei wechselnden Bezirken hohen Neukundenquote ein ungerechtfertigt hoher Ausgleich zu zahlen ist, kann kaum eingewandt werden. Zum einen würde dies auf dem vom Unternehmer gewählten System beruhen und wäre Gegenleistung für die beschwerliche Werbung in ständig wechselnden, unbekannten Bezirken. Zum anderen sind Kollegen des HV zuvor oder danach in diesem Bezirk tätig gewesen, und sie konnten die geworbenen Kunden für den Unternehmer ausnutzen. Ein ungewöhnlich hoher Ausgleich dürfte sich auch deshalb kaum realisieren, weil die Neukundenakquise in wechselnden Bezirken nicht einfach ist: Wurde derselbe Bezirk zuvor von einem anderen HV erfolgreich betreut, so dürften weniger Neukunden zu werben sein. Vor allem aber wird der Ausgleich durch die Höchstgrenze beschnitten und kann daher keine unangemessene Höhe einnehmen. Problematisch ist allerdings, dass dem HV infolge des Vertragsendes aufgrund des Wechsels keine Verluste aus den verlassenen Bezirken entstehen. Diese Verluste sind jedoch bereits durch den Bezirkswechsel entstanden und bei Vertragsende endgültig auszugleichen (§ 89b analog). Selbst nach dem BGH ist bei der gebotenen Fortsetzungsprognose („Als-ob-Betrachtung“) eine Fortführung der Tätigkeit des HV im zuletzt bearbeiteten Gebiet zu unterstellen.1912 – Serienbelieferungsvertrag oder Bezugsvertrag Fehlen aus dem Rahmenvertrag ipso iure klagbare Rechte auf Einzelgeschäfte, entsteht die Pro- 325 visionspflicht nach § 87 Abs. 1 erst bei Abschluss eines in seiner Ausfüllung gezeichneten Einzelgeschäfts1913 (mglw. aber Provisionspflicht nach § 87 Abs. 3 Nr. 1, siehe d. Kommentierung zu § 87). Solange keine Provisionen gezahlt wurden, können jene die Ausgleichsbemessungsgrundlage des Basisjahres auch nicht erhöhen. So entsteht etwa durch die Ausgabe von Kundenkarten ohne Einzelgeschäfte kein Provisions- und auch kein Ausgleichsanspruch.1914 Mit Vertragsende entgehen dem HV aber je nach Sachverhalt Ansprüche auf künftige Provisionen aus den noch nicht gezeichneten Einzelverträgen,1915 sofern Provisionen nicht nach § 87 Abs. 3 Nr. 1 geleistet werden. Soweit der HV mit Einmalprovision entlohnt wurde, können deshalb entgehende Provisionen fehlen. Ihr genauer Umfang ist wegen der mangelnden Abnahmepflicht schwer zu ermitteln (§ 287 ZPO). – Sukzessivlieferungsvertrag Hier sind die nach Vertragsende ausgeführten Teillieferungen als Überhangprovisionen provisi- 326 onspflichtig, weil sie im Rahmen eines einheitlichen provisionspflichtigen Geschäfts erfolgten. Der HV erleidet insoweit keine Provisionsverluste,1916 gleichwohl kann ein Ausgleich geschuldet sein.1917 – Tod des HV Die „Als-Ob-Betrachtung“ hinsichtlich der Provisionsverluste wird auch vorgenommen, wenn 327 der HV gestorben ist. Dies ist seit dem Urteil des BGH v. 13.5.19571918 anerkannt. Streng logisch

1911 Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Emde EWiR 1999, 653 (654). 1912 Emde VersR 1999, 1464 (1473); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 145. 1913 OLG Koblenz, Urt. v. 26.4.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218. Der BGH hat in seinem Urt. v. 18.11.1957 (BB 1957, 1250 = NJW 1958, 180) allerdings eine Vergütungspflicht nach § 354 erwogen.

1914 BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821 = WM 2003, 2095; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 79 f. 1915 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 44. 1916 OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 16, 592, 717. Das OLG Celle (Urt. v. 13.11.1969, BB 1970, 227) hat in der Vermittlung eines langfristigen Sukzessivlieferungsvertrages durch den HV kurz vor Vertragsende, der Überhangprovisionen auslöst, eine Vertragsverletzung des HV gesehen. Dem entgegnet Küstner zutreffend, der Unternehmer habe diesen Vertrag nicht schließen müssen, sondern hätte ihn auf einen kürzeren Zeitraum begrenzen können. Die Werbung eines Geschäftes ist zudem keine Vertragsverletzung sondern Vertragspflicht. 1917 Wauschkuhn/Fröhlich BB 2010, 524 (527); Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553). 1918 II ZR 19/57, BGHZ 24, 223 = NJW 1957, 1028; zust. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 145. 377

Emde

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sind die diesem Ergebnis entgegenstehenden, von Schuler1919 und anderen vorgebrachten Zweifel angesichts des Gesetzeswortlauts nicht auszuräumen. Die entgehenden Provisionschancen würden sich damit auf die Provision einschränken, die durch schlichte Nachbestellungen ohne eigene neue Kontaktaufnahme mit dem Kunden angefallen wäre. Für den Fall des Todes des HV hat der BGH1920 das Dilemma dadurch aufzulösen versucht, indem er erwägt, das Gesetz habe mit seiner hypothetischen Formel nicht nur die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses, sondern zugleich auch die Fortsetzung der Vermittlertätigkeit des HV im Rahmen eines solchen fortgesetzten HV-Verhältnisses unterstellen wollen. Aus dem Wortlaut rechtfertigt sich das zwar nicht zwingend. Trotzdem – und obwohl BGHZ 30, 98 diese zweigestufte Unterstellung wieder in Zweifel zieht – ist damit eine praktisch befriedigende Lösung beschritten worden. Das Ausgleichsrecht wäre sonst gerade für einen seiner wichtigsten und unter sozialem Gesichtspunkt dringlichen Anwendungsfälle seiner Effizienz beraubt. Für den Fall der Berufsunfähigkeit hat denn auch das OLG Celle1921 die gleiche Folgerung wie schon der BGH nach dem Tod des HV gezogen. Vom Gesichtspunkt der Ursächlichkeit aus ist kein Unterschied zu machen zwischen dem Eintritt des Todes (der Berufsunfähigkeit) während der Restlaufzeit des Vertrages nach Kündigungsausspruch oder in der Zeit nach Beendigung derselben. Eine „Unterbrechung des Kausalzusammenhanges“ gibt es hier also nicht. Dergleichen wäre nicht einmal im Billigkeitswege nach Abs. 1 S. 1 Nr. 3 beachtlich.1922 Was, wenn es während der Vertragszeit eingetreten wäre, den Ausgleichsanspruch begründet haben würde, kann ihn nicht deshalb entfallen lassen, weil es sich nach Ende der Vertragszeit verwirklicht – nachdem der Ausgleichsanspruch entstanden ist und den HV in Ansehung seiner Provisionschancen so stellen soll, als habe der Vertrag fortbestanden. Den Ausgleich beispielsweise dem Fiskus als gesetzlichem Erben zukommen zu lassen, erschien Staub/Brüggemann 4. Aufl. 1923 zu Unrecht befremdlich; ebenso einem jeden „Zufallserben“ aus der entfernteren Verwandtschaft oder einem beliebigen Vermächtnisnehmer, dem der HV den Ausgleich vermächtnisweise hätte zuwenden wollen. Zumindest ist jedem Erben der Ausgleichsanspruch insoweit zu geben, als er ihn zur Befriedigung der Nachlassgläubiger benötigt.1924 Heute stellt Art. 17 Abs. 4 RL klar, dass der Ausgleichsanspruch auch im Falle des Todes des HV besteht. – Vernachlässigung des Kundenstammes 328 Eine mangelnde oder ausbleibende Betreuung des Kundenstammes durch den Unternehmer spielt im Rahmen der Verlustprognose keine Rolle, selbst wenn sie zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits angelegt war.1925 Umstände, welche vom Unternehmer selbst herbeigeführt wurden, mindern den Ausgleich des HV ohnehin nicht (§§ 162 Abs. 2, 242 BGB), vor allem wenn sie schuldhaft herbeigeführt wurden (§ 280 BGB). Mangelnder Service des Nachfolgers soll dennoch in die Verlustprognose einfließen,1926 was jedoch gleich doppelt inkonsequent ist: Zum einen fällt dieser dem Risikobereich des Unternehmers zu. Zum anderen war er bei Vertragsende meist nicht angelegt. Vielmehr steht zu diesem Zeitpunkt zu vermuten, der Unternehmer werde

1919 1920 1921 1922 1923 1924

JR 1958, 94. BGHZ 24, 214 (223) – Witwe; s.a: OLG Hamm NJW 1956, 350 – Kinder, Lebensgefährtin. NJW 1968, 1141. AA Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18d für den Fall, dass der HV nach Vertragsbeendigung stirbt. Rn 72. Für die Heranziehung zur Nachlasskonkursmasse Schröder KTS 1960, 149. Die Ausgleichsberechtigung gehört zu den Grundlagen des Kredits des HV als Kaufmann; der Ausgleichsanspruch kann als künftiger abgetreten und verpfändet, auch gepfändet werden. Daran, dass diese Kreditgrundlage ihnen nicht durch den Tod des HV entzogen werde, haben die Gläubiger des HV ein legitimes Interesse. 1925 LG Bielefeld, Urt. v. 17.2.1971, BB 1972, 195; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 108; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37b. 1926 BGH, Urt. v. 15.11.1984, BB 1985, 352 = NJW 1995, 860; zweifelhaft. Emde

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den Bezirk ordnungsgemäß betreuen bzw. betreuen lassen, wie es ein sorgfältig handelnder Unternehmer zu tun pflegt.

11. Sonderfall der Billigkeit: Anrechnung der Altersversorgung a) Überblick. Da für einen Ausgleichsanspruch nach § 89b keine Rückstellungen vorgenom- 329 men werden dürfen (s. u. zum Steuerrecht), für die Altersversorgung jedoch Pensionsrückstellungen gem. § 6a EStG,1927 haben sich viele Unternehmer entschieden, die steuerlich vorteilhafte Altersversorgung1928 zu gewähren. Das macht wirtschaftlich nur Sinn, wenn sie nicht zusätzlich zum Ausgleich, sondern an seiner Stelle gezahlt wird. Deshalb hat die Diskussion um den Abzug des Anwartschaftsbarwertes der Altersversorgung von dem zu leistenden Ausgleich eine besondere Bedeutung erlangt. Gegenstand der Auseinandersetzung sind zuvörderst die Altersversorgungen von Versicherungsvermittlern.1929 Das Problem ist jedoch nicht auf diesen Bereich begrenzt. Vielmehr handelt es sich um ein allgemeines, welches jeden Mittler treffen kann, dem der Unternehmer eine Altersversorgung zuspricht. Der Abzug wird mit dem Grundsatz der Billigkeit begründet: Neben dem Ausgleich begründete Versorgungsleistungen des Versicherers sollen ausgleichsersetzende Funktion einnehmen („funktionelle Verwandtschaft“ zwischen Ausgleich und Altersversorgung),1930 wobei eine gleichartige Zielsetzung beider Ansprüche ohne völlige Deckungsgleichheit genügen soll.1931 Die Altersversorgung nehme den praktischen Zweck einer Ausgleichszahlung wahr. Eine doppelte Belastung des Unternehmers durch die freiwillige Finanzierung einer Altersversorgung, zu der er gesetzlich nicht verpflichtet sei,1932 und die Ausgleichszahlung sei wirtschaftlich ungerechtfertigt und unbillig;1933 der Unternehmer übernehme mit der Finanzierung der Rente eine Aufgabe des HV.1934 Damit stehen sich zwei Gesichtspunkte gegenüber: Einerseits soll der Mittler keinen ungerechtfertigten Vorteil erhalten, andererseits der Unternehmer nicht doppelt zahlen. Diskutiert wird bereits, ob die Altersversorgung überhaupt zu den im Rahmen der Billigkeit 330 berücksichtigungsfähigen Umständen gehört. Wie ausgeführt sind vor allem solche Umstände billigkeitsrelevant, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem HV-Vertrag stehen. Da die Altersversorgung als Teil des Leistungs-Gegenleistungsverhältnisses gewährt wird, dürfte

1927 1928 1929 1930

BFH, Urt. v. 24.1.2001 – I R 39/00, DB 2001, 1227 = BB 2001, 1241; Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129 (1130). Siehe Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129. Siehe etwa Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 352. Grundlegend BGH, Urt. v. 23.5.1966 – VII ZR 268/64, BGHZ 45, 268 = BB 1966, 794 = DB 1966, 1130; v. 17.11.1983 – I ZR 139/81, BB 1984, 168; v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, BB 2003, 330; v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, VersR 2003, 368 = NJW 2003, 1244 = WM 2003, 691 = MDR 2003, 277 = EWiR 2003, 231 (Emde); v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = BB 2003, 1581; OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (210) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09; v. 30.6.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 (1123); best. durch Nichtannahmebeschluss des BGH v. 30.5.2006 – VIII ZR 201/05; OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1126); Fuchs-Baumann DB 2001, 2131; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 154 ff.; zum Ganzen Thume BB 2002, 1325 (1326); VersR 2009, 436 (437); aA LG München I, Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 14 HK O 24599/07, BB 2009, 350; krit. auch Graf v. Westphalen BB 2001, 1593. 1931 OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (210) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 155. 1932 OLG Köln, Beschl. v. 20.10.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01553 = IHR 2017, 40; Hinweisbeschl. v. 14.8.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01552. 1933 BGH BB 1966, 794 = DB 1966, 1130 = NJW 1966, 1962; OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (211) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09. 1934 OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (210) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09. 379

Emde

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sie mit dem HV-Vertrag in einem solchen unmittelbaren Zusammenhang stehen.1935 Das gilt allerdings nur für Anwartschaften, welche während der Tätigkeit als HV erworben wurden. War der HV zuvor als Angestellter tätig und hatte Anwartschaften aus einem Angestelltenversorgungswerk erworben, sind sie nicht anrechnungsfähig.1936 Eine Anrechnung der Alters- bzw. Hinterbliebenenversorgung kommt auch in Betracht, wenn der Unternehmer die Altersversorgung nach Fälligkeit nicht aus eigenen Mitteln zahlt. Er darf das Versorgungsrisiko an Dritte übertragen. Es genügt daher, wenn dieser Dritter (z. B. ein Versicherer) auf Grund der Beiträge des Unternehmers die Versorgungsleistungen erbringt. 331 Nach Ansicht der höchstrichterlichen Rspr. und der wohl h. M. ist im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung zu saldieren.1937 Der bei Vertragsende bestehende, auf der Basis der durchschnittlichen Lebenserwartung1938 berechnete und dem Finanzierungsanteil des Unternehmers1939 entsprechende Barwert der Versorgungsleistungen ist auch ohne vertragliche Abrede1940 aus dem Billigkeitsgrundsatz heraus dem Ausgleichsanspruch des HV gegenüber zu stellen.1941 Bleibt der nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelte Barwert höher als der Ausgleich, so schuldet der Unternehmer dem HV keinen Ausgleich.1942 Europarechtlich im Lichte der RL betrachtet ist dies nicht zu beanstanden.1943 In der Literatur werden zur Anrechnung der Altersversorgung unterschiedliche Ansätze ver332 treten: Thume1944 meint, eine Betriebsrente habe die gleiche Zielrichtung wie der Ausgleich. Sie stelle ein freiwillig vom Versicherer gewährtes Entgelt für dessen Dienstleistung dar.1945 Ihre Zahlung und daneben die Zahlung des vollen Ausgleichs führe zu einer unbilligen Doppelbelastung des Unternehmers.1946 Wegen der Schwierigkeiten der Ausgleichsberechnung hätten sich die beteiligten Verkehrskreise auf die Grundsätze der Versicherungswrtschaft zur Ausgleichsberechnung (dazu unten, im Rahmen der Ausführungen zum VV) geeinigt. Nach ihnen sei die Altersversorgung auf den Ausgleich anzurechnen. Die Anrechnung habe sich über die Jahrzehnte zu einer handelsrechtlichen Verkehrssitte entwickelt.1947 Die zwingende Natur des Ausgleichs stehe dem Handelsbrauch nicht entgegen. Auch durch die formularmäßige Vereinbarung der Anrechnung ändere sich der Rechtscharakter als Handelsbrauch nicht, so dass die

1935 BGH BB 1966, 794 = DB 1966, 1130 = NJW 1966, 1962 (1963); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. X Rn 5; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 158. 1936 AA BGH, Urt. v. 23.5.1966, DB 1966, 1130 (1132). 1937 BGH, Urt. v. 14.6.2006 – VIII ZR 271/04, WM 2006, 1788 (1790) = NJW-RR 2006, 1542 (1543); OLG Köln, Beschl. v. 20.10.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01553 = IHR 2017, 40; Hinweisbeschl. v. 14.8.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01552; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. X Rn 42; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 157. 1938 BGH, Urt. v. 23.5.1966, NJW 1966, 1962 = VersR 1966, 754; OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (211) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09. 1939 OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (211) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 154. 1940 OLG Köln, Beschl. v. 20.10.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01553 = IHR 2017, 40; Hinweisbeschl. v. 14.8.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01552; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. X Rn 31; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 158. 1941 Siehe auch Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 157. 1942 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 157. 1943 Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 3; Emde DStR 2009, 1478 (1483). 1944 BB 2002, 1325. 1945 Thume BB 2002, 1325 (1326). 1946 Thume BB 2002, 1325 (1327); ebenso OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (211) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 156. 1947 Thume BB 2002, 1325 (1327). Emde

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§§ 307 ff. BGB nicht entgegenständen.1948 Evers/Kiene1949 vertreten, eine anspruchsmindernde Berücksichtigung der Altersversorgung im Rahmen der Billigkeit könne nur unter dem Gesichtspunkt einer „besonders günstigen Vertragsbedingung“ erfolgen. Eine solche sei die Altersversorgung, wenn sie dem HV als gesetzlich oder vertraglich nicht geschuldeter Vorteil zugewandt werde. Leistungen des Unternehmers auf die Altersversorgung dürften regelmäßig nicht als besonders günstige Vertragsbedingung angesehen und damit anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Eine besonders günstige Vertragsbedingung liege dann vor, wenn dem Beitrag des Unternehmers auf die Altersversorgung keine Leistung des HV gegenüberstehe.1950 Existiere ein Gegenseitigkeitsverhältnis oder eine auch nur konditionale Verknüpfung zwischen Versorgungszusage und Gegenleistung des HV, komme eine Anrechnung nicht in Betracht. Zahlungen des Unternehmers für die Altersversorgung des HV, die letzterer durch Betriebstreue, Pensum- bzw. Staffelprovisionen oder Unterschreitung einer bestimmten Stornoquote verdient habe, dürften nicht ausgleichsmindernd wirken. Daran ist zutreffend, dass häufig bei der Provisionsbemessung die zukünftige Altersversorgung provisionsreduzierend berücksichtigt wird und der HV damit seine Altersversorgung selbst erwirtschaftet.1951 Teilweise wird auch der Gesichtspunkt des „Vorteilsausgleichs“ angeführt. Es gebe zwar im Ausgleichsrecht keine allgemeine „Vorteilsausgleichung“, auch nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten, falls die im Gefolge der Vertragsbeendigung dem HV zufallenden Vorteile mit dem Vertragsverhältnis nicht in Zusammenhang ständen. Gleichwohl sei ein Vorteilsausgleich vorzunehmen: Die Altersversorgung hänge nämlich mit dem Vertragsverhältnis auf das engste zusammen. Insbesondere das Fehlen einer dem Ausgleich vergleichbaren Einmalzahlung bei Auszah- 333 lung der Altersversorgung unter zeitgleichem Entfallen des Ausgleichs (infolge der Anrechnung) wird kritisiert, auch in der Rspr.1952 § 89b gehe von der Fälligkeit des Ausgleichs im Moment der Vertragsbeendigung aus.1953 Der HV erhalte hier und jetzt, mit Vertragsbeendigung, eine Barzahlung in erheblicher Höhe. Die Anrechnung der Altersversorgung dagegen zwinge den HV in das Korsett monatlicher Teilleistungen, die zudem wegen der erheblichen Fälligkeitsdifferenz oft erst Jahre später und zudem bei Tod des HV bzw. Widerruf der Versorgungszusage1954 überhaupt nicht fällig werde. Der HV könne, anders als es das gesetzliche Leitbild vorsehe, nicht sofort über den Ausgleich verfügen, die endgültige Höhe bleibe unbestimmt, weil der HV nicht wisse, wie lange er lebe und Zahlungen erwarten dürfe. Er dürfe den Ausgleich etwa für seine Alterssicherung einsetzen, zur Ablösung der Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie verwenden oder ihn Dritten zuwenden,1955 müsse dies aber nicht. Setze er den Ausgleich zur Alterssicherung ein, könne er frei entscheiden, ob und in welchem Unternehmen und welcher Anlageform er sein Kapital anlege und welche Risiken er dabei eingehe. Der Ausgleich sei mithin multifunktional, die Altersversorgung monofunktional. Die Dispositionsfreiheit bei der Verwendung des Ausgleichs sei ein Wert für sich. Der Ausgleichsverlust widerspreche dem Sinn des

1948 1949 1950 1951 1952

Thume BB 2002, 1325 (1328). DB 2002, 1309 ff. Evers/Kiene DB 2002, 1309 (1310). Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 135. LG München I, Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 15 HKO 24599/07, BB 2009, 350 mit zust. Anm. Röder; aufgehoben von OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 – OLG-Urt. best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09. 1953 Emde VersVerm 2001, 440 ff.; i. E. auch LG München I, Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 14 HK O 24599/07, BB 2009, 350; aufgehoben von OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 – OLG-Urt. best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09. 1954 Einen solchen Widerruf behalten sich die Unternehmer häufig vor, etwa bei wesentlicher Änderung der steuerrechtlichen Bewertung der Altersversorgung. 1955 LG München I, Vorbehaltsurt. vom 8.12.2008 – 15 HKO 24599/07, BB 2009, 350 mit zust. Anm. Röder und insoweit wohl auch Timmermann BB 2011, 1784 ff.; aufgehoben von OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 – OLG-Urt. best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09. 381

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Ausgleichs, der auch eine Überbrückungshilfe darstellen solle.1956 Man könnte daran denken, die Regeln über die Vorauserfüllung des Ausgleichs auf die Altersversorgung anzuwenden. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Unternehmer vor Vertragsbeendigung Beiträge zur Altersversorgung einzahlte, insb. bei einer anderen Gesellschaft.

334 b) Fälligkeitsdifferenz. Auch eine erhebliche Differenz zwischen Vertragsende und Fälligkeit der Altersversorgung soll die Billigkeit des Abzuges nicht hindern.1957 So soll es i. d. R. der Billigkeit entsprechen, dass der Kapitalwert der vom Unternehmer finanzierten Altersversorgung mit dem Ausgleichsanspruch des HV verrechnet werde, sofern Ausgleichsanspruch und Altersversorgung gleichzeitig fällig würden.1958 Thume begründet dies mit einem Handelsbrauch.1959 Die funktionelle Verwandschaft wird aber immer fraglicher, je größer die Fälligkeitsdifferenz zwischen der Fälligkeit des Ausgleichs und der Altersversorgung ist.1960 Bei größerer Fälligkeitsdifferenz treten die unter Rn 338 genannten Motive, wie etwa die Überbrückungsfinanzierung (z. B. zum Aufbau einer neuen beruflichen Existenz), in den Vordergrund.1961 Tritt die Fälligkeit der Altersversorgung 12 Jahre nach Vertragsende ein, bestehen gegen die Anrechnung ebenfalls keine Bedenken.1962 In seinem Urt. v. 17.11.19831963 hatte der BGH die Anrechnung des Anwartschaftsbarwertes einer Altersversorgung, die erst 24 Jahre nach Vertragsbeendigung fällig wurde, nicht beanstandet. 1994 verneinte der BGH die Anrechnung bei einer Fälligkeitsdifferenz von 21 Jahren.1964 Aufgrund der langen Wartezeit sei kein funktionaler Zusammenhang mit dem Ausgleich erkennbar.1965 Das abweichende Urteil aus 1994 begründete der BGH mit der Erwägung, die Parteien des Jahres 1983 hätten vertraglich vereinbart, die Altersversorgung auf den Ausgleich anzurechnen. Hieran fehle es im Fall des Jahres 1994. Der BGH wollte also von der Altentscheidung abgrenzen, ohne ausdrücklich von ihr abzuweichen.1966 Dies zeigen auch die unten näher dargestellten BGH-Urteile v. 20.11.2002,1967 bei denen teilweise ebenfalls eine Fälligkeitsdifferenz von 20 Jahren vorlag. Es entspricht in der Regel der Billigkeit, Abzüge in Höhe der vom Unternehmer geleisteten Zuschüsse für die Lebensversicherung des HV vorzunehmen, wenn der bei Ausscheiden 46 Jahre alte HV 17 Jahre für den Unternehmer tätig war, die Lebensversicherung bereits 12 Jahre bestanden hat und nach weiteren 14 Jahren zur Auszahlung fällig wird, der HV sich freiwillig zum Abschluss der Lebensversicherung entschlossen hat und nach Beendigung des HV-Vertrages eine Veräußerung oder Beleihung der Lebensversicherung mög-

1956 OLG München, Urt. v. 16.11.2006 – 23 U 2539/06. 1957 OLG Köln, Beschl. v. 20.10.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01553 = IHR 2017, 40; Hinweisbeschl. v. 14.8.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01552.

1958 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde); OLG München, Urt. v. 30.6.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 ff.; best. durch Nichtzulassung der Revision durch den BGH am 30.5.2006 – VIII ZR 201/05; aA Timmermann BB 2011, 1784, der die „Anrechnung“ des Anwartschaftsbarwerts der Altersversorgung nur bei einer (ggf. im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aufrecht zu erhaltenden) Verrechnungsabrede zulässt. 1959 Thume BB 2002, 1325 (1330) (zwh.). 1960 OLG Köln, Urt. v. 28.11.2014 – 19 U 71/14, BeckRS 2015, 10251 Rn 32; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 162. 1961 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 162. 1962 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123, 1126 = DB 2006, 1371. 1963 BGH DB 1984, 556. 1964 BGH NJW 1994, 1350. 1965 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 136 nimmt einen Zehnjahreszeitraum als zulässige Grenze an. 1966 Emde EWiR 2001, 765 (766). 1967 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenfassend Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f. Emde

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lich ist.1968 Das gilt jedenfalls, wenn dem HV bei Fälligkeitsdifferenz als sofort fälliger Ausgleich noch mehr als die Hälfte des rechnerisch errechneten Ausgleichs und damit ein absolut und relativ hoher Betrag verbleibt.1969 Eine Fälligkeitsdifferenz zwischen Vertragsende und Altersversorgung von 19 Jahren soll nach Auffassung des OLG Köln der Anrechnung nicht entgegenstehen.1970 Bei 11-jähriger Fälligkeitsdifferenz wurde von dem Ausgleich in Höhe von 135.000 EUR (Anwartschaftsbarwert 148.000 EUR) ein Teilausgleich von 45.000 EUR als Pauschale zugebilligt.1971 Haben Unternehmer und HV keine Vereinbarung über die Anrechnung der vom Unternehmer freiwillig geleisteten Altersversorgung auf den HV-Ausgleich geschlossen, entspricht eine hälftige Anrechnung der Altersversorgung der Billigkeit, wenn die Fälligkeitsdifferenz zwischen Ausscheiden des HV und dessen Eintritt in den Ruhestand 9 Jahre und 16 Tage beträgt, die Altersversorgung aus Rechtsgründen weder veräußert noch beliehen oder zurückgekauft werden kann, der HV beim Unternehmer 30 Jahre, davon 29 Jahre im Außendienst, davon wieder ca. 19 Jahre als HV beschäftigt war, er bei Ausscheiden kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahres stand und seine berufliche Wiedereingliederung aufgrund des beruflichen Lebenswegs erheblich erschwert ist.1972 Fälligkeitsdifferenzen von wenigen Monaten1973 oder Jahren1974 sollen irrelevant bleiben.

c) Anrechnungsabrede. Eine häufig1975 in AGB getroffene Anrechnungsabrede, nach der der 335 Anwartschaftsbarwert der Altersversorgung generell und zwingend vom Ausgleichsanspruch abgezogen wird, ist unwirksam.1976 Eine solche Klausel verstößt gegen § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 4 i. V. m. § 307 BGB,1977 da sie den Abzug des Anwartschaftsbarwertes bindend und ohne Berücksichtigung von Einzelfallmomenten vorschreibt. Eine differenzierte, von § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 zwingend vorgeschriebene Billigkeitsabwägung ist damit ausgeschlossen. Im Einzelfall kann z. B. eine lange zeitliche Differenz zwischen Vertragsbeendigung und Fälligkeit des Versorgungsanspruchs die Anrechnung verbieten. Die nach dispositivem Recht unter Billigkeitskriterien vorgenommene Anrechnung reduziert den Ausgleich zudem nicht, falls der Rohausgleich weit oberhalb der Ausgleichshöchstgrenze valutiert. Billigkeitskriterien beschneiden lediglich den Rohausgleich. Die Klausel schreibt den Abzug jedoch nicht vom Rohausgleich sondern vom tatsächlich zu zahlenden und durch die Höchstgrenze beschnittenen Ausgleich vor. Ebenso un1968 OLG München, Urt. v. 21.7.2004 – 7 U 1800/04, VersR 2005, 687. 1969 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde). OLG Köln, Urt. v. 28.11.2014 – 19 U 71/14, BeckRS 2015, 10251 Rn 32. OLG München, Urt. v. 16.11.2006 – 23 U 2539/06. OLG München, Urt. v. 10.11.2010 – 7 U 3385/10, MDR 2011, 55. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. X Rn 80; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 162. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 162. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 158. BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenfassend Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f.; ebenso OLG Köln, Urt. v. 28.11.2014 – 19 U 71/14, BeckRS 2015, 10251 Rn 32; Beschl. v. 20.10.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01553 = IHR 2017, 40; Hinweisbeschl. v. 14.8.2014 – 19 U 67/14, BeckRS 2015, 01552; OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (210); v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371v. 13.3.2003 – 29 U 2509/02, NJW-RR 2003, 1286; Vorinstanzen: OLG Köln, Urt. v. 17.8.2001 – 19 U 206/00, VersR 2001, 1377 = OLGR Köln 2001, 402 m. Anm. Emde VersVerm 2001, 440; OLG Celle, Urt. v. 13.1.2005 – 11 U 171/04, OLGR 2005, 166; v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976; OLG München, Urt. v. 22.3.2001 – 29 U 4997/00; DB 2001, 1666 = BB 2001, 1666 = EWiR 2001, 765 (Emde); zuvor LG München I, Urt. v. 10.8.2000 – 12 O 3779/00, DB 2000, 2423 = EWiR 2000, 1019 (v. HoyningenHuene) = VersR 2001, 55 m. Anm. Küstner; Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 14 HK O 24599/07, BB 2009, 350 (351); Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 160. 1977 So bereits Küstner VersR 2001, 58.

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wirksam ist wg. Abs. 4 S. 1 eine vergleichbare, vor dem Vertragsende getroffene individualvertragliche Abrede.1978 Selbst wenn eine Anrechnungsabrede unwirksam ist, kann – wie beim Fehlen einer Anrechnungsabrede1979 – unter Billigkeitsgesichtspunkten der Anwartschaftsbarwert der Altersversorgung von dem Rohausgleich abgezogen werden.1980 Damit wurde im Einzelfall eine Anrechnung der Altersversorgung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit gestattet.1981 Die Würdigung der im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigenden Umstände ist aber im Wesentlichen Sache des Tatrichters. Im Ergebnis nahm der BGH durch die individuelle Billigkeitskorrektur das, was er zuvor im Rahmen der Klauselkontrolle gab. Fernliegend ist allerdings die Begründung, durch eine unwirksame Anrechnungsvereinbarung würden die Parteien bestimmen, was sie für angemessen hielten.1982 Was wegen Unbilligkeit gem. § 307 BGB unwirksam ist, kann nicht angemessen sein. Zudem entschied der BGH, die in einer Anrechnungsvereinbarung enthaltene Formulierung „diese Regelung beruht auf der Rspr. des BGH“, verstoße gegen das Transparenzgebot, sofern die Klausel nicht jener Rspr. entspricht.1983 Eine Anrechnungsabrede wird empfohlen, damit das Gericht sie (teilweise) im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB aufrecht erhalten kann.1984 Die AGB „mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet der HV auf die un336 ternehmerfinanzierte Altersversorgung“ verstößt hingegen nach Ansicht des BGH nicht gegen die zwingende Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4), weil der Ausgleich selbst unberührt bleibt und lediglich die Altersversorgung entfällt. § 89b Abs. 4 verbiete Vereinbarungen, durch die der Ausgleich von anderen als den gesetzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht werde. Dagegen verstießen Abreden, die sich nur mittelbar auf den Ausgleich auswirkten, nicht gegen § 89b Abs. 4.1985 Die Frage, welchen Anspruch der HV wähle, stelle eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffende Entscheidung dar, berühre aber die Rechtsposition des Ausgleichs nicht.1986 Auch ein Verstoß gegen § 307 BGB scheide aus.1987 Einen Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung über die Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Anrechnung der Altersversorgung fehle. Es gehe bei der Klausel nicht um die Anrechnung eines bestehenden Anspruchs auf den Ausgleich. Vielmehr habe der Unternehmer eine Gestaltung gewählt, welche die Altersversorgung unter der auflösenden Bedingung der Nichtgeltendmachung des Ausgleichs begründe. Der Umstand, dass bei Beendigung des Vertragsverhältnisses in vielen Fällen die Höhe des Ausgleichs noch nicht feststehe, so dass der HV zum Zeitpunkt der Ausgleichsforderung u. U. die für ihn günstigere Altersversorgung verliere, stelle keine unangemessene Benachteiligung dar. Mit der Jahresfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 stehe ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung, sich über die Höhe und den Umfang des Ausgleichs im Klaren zu werden. Ohne eine solche Klausel besteht kein Wahlrecht des HV zwischen Ausgleich und Altersversorgung, weil der Ausgleich nur belastet mit der Billigkeitskürzung entsteht.1988 1978 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 160; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 139. 1979 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. X Rn 31; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 158. 1980 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; OLG Köln, Urt. v. 28.11.2014 – 19 U 71/14, BeckRS 2015, 10251 Rn 32; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 160. 1981 Ebenso OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371. 1982 So BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; OLG Köln, Urt. v. 28.11.2014 – 19 U 71/14, BeckRS 2015, 10251 Rn 32; OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (210); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 160. 1983 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323. 1984 Timmermann BB 2011, 1784 (1786). 1985 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110 unter II 2. 1986 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110. 1987 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110. 1988 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 135. Emde

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d) Anrechenbare Leistungen. Umstritten ist, ob es für die Anrechnung auf die Höhe der Aus- 337 zahlungen an den HV oder die tatsächlichen Aufwendungen des Unternehmers für die Altersversorgung ankommt. Zunächst: für die Anrechnung des Anwartschaftsbarwerts soll die überwiegende Finanzierung der Altersversorgung durch den Unternehmer genügen; Eigenanteile des HV schadeten nicht.1989 Wie dargelegt hat der BGH1990 eine Anrechnung des Anwartschaftsbarwerts auf den Ausgleichsanspruch nicht beanstandet. Er hat jedoch nicht ausgeführt, eine solche Anrechnung müsse zwingend erfolgen. Vielmehr sei es Aufgabe des Tatrichters, darüber zu entscheiden, was der Billigkeit entspreche. Der Zeitpunkt der Fälligkeit der Unternehmerbeiträge ist regelm. irrelevant. Deshalb sind auch nach Vertragsende vom Unternehmer zu leistende Beiträge zu berücksichtigen.1991 Der BGH hat bereits in seinem Urt. v. 23.5.19661992 festgestellt, steuerliche Vorteile,1993 welche der Unternehmer aus der Finanzierung ziehe, seien nicht zu Gunsten des HV zu saldieren. Entscheidend bleibe, was dem HV durch die Versorgungsbezüge an Vorteilen zufließe. Das entspricht einer stark vertretenen Meinungsgruppe.1994 Andererseits hat der BGH ausgeführt, auch die tatsächlichen Aufwendungen des Unternehmers könnten Einfluss auf die Höhe des Ausgleichsanspruchs haben, wenn sich dies aus besonderen Gründen als billig erweisen sollte. Tatsächlich gibt es Argumente dafür, bei der Billigkeitsprüfung auch die Höhe der tatsächlichen Aufwendungen des Unternehmens zu berücksichtigen. Der Ausgleich ist grds. neben einer Altersversorgung zu zahlen. Da im Rahmen der Billigkeit „alle Umstände“ zu prüfen sind, können dies auch steuerliche Vorteile des Unternehmers sein. Löwe/ Schneider1995 vertreten demgemäß, eine die Anrechnung gebietende, unbillige Doppelbelastung des Unternehmers mit Ausgleich und Altersversorgung fehle in Höhe der steuerlichen Ersparnis des Unternehmers durch Pensionsrückstellungen gem. § 6a EStG.1996 Angerechnet werden dürften allenfalls die Aufwendungen, welche der Unternehmer nach Abzug der durch sie gebildeten Steuervorteile real entstünden. Dass der BGH in seiner Leitentscheidung zur Anrechnung der Altersversorgung1997 die Berücksichtigung steuerlicher Vorteile nicht thematisiert habe, beruhe wohl darauf, dass in der dortigen Tatsacheninstanz nichts Entsprechendes vorgetragen worden sei. Der BGH habe in seiner Entscheidung vom 17.11.19831998 ausdrücklich eine Begründung der Versorgungsanwartschaft mit eigenen Mitteln des Unternehmers gefordert. Damit sei der billigkeitsbegründende Umstand nicht die spätere Auszahlung der Versorgung, sondern deren Begründung, was eine Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen des Unternehmers unter Einschluss ihm zufallender steuerlicher Vorteile voraussetze. Die Pensionsrückstellung nach § 6a EStG samt der internen Nettoverzinsung führe zur Selbstfinanzierung des Rentenbarwerts. Auch Ziff. V Nr. 1 der Grundsätze der Versicherungswirtschaft, nach denen die unter Bil1989 OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (211) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09.

1990 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenfassend Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f.; ebenso OLG München, Urt. v. 13.3.2003 – 29 U 2509/02, NJW-RR 2003, 1286. 1991 Thume VersR 2009, 436 (441). 1992 BGH DB 1966, 1130 = NJW 1966, 1962 (1964); später VersR 1984, 184 (186); Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252 (zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft). 1993 Zu ihnen etwa Otto DB 2004, 1900. 1994 OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (211) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 15.2.2011 – VIII ZR 327/09; VersR 2006, 1122 (1123) m. Anm. Thume IHR 2006, 169; OLG Celle VersR 2002, 976 (979) m. Anm. Küstner; Thume VersR 2009, 436 (441); Küstner VersR 2004, 157 ff.; VersR 2004, 977; Küstner/Thume/ Thume II9 Kap. X Rn 53 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 156. 1995 ZIP 2003, 1129; VersR 2004, 1518. 1996 Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129 (1130). 1997 BGH VersR 1984, 184. 1998 BGH VersR 1984, 184. 385

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ligkeitsgesichtspunkten anzurechnende Altersversorgung „aus einer durch Beiträge des Versicherungsunternehmers aufgebauten Alters- und Hinterbliebenenversorgung“ entstehen muss, stelle auf den Aufbau der Versorgung durch Beiträge ab. Eine Ansammlung von Steuerrückstellungen ohne eigene finanzielle Beiträge sei kein Beitrag in diesem Sinn.1999 Löwe/Schneider errechnen, selbst bei einem 90-jährigen Rentner liege die Selbstfinanzierungsquote über 100 %. Eigene Leistungen des Unternehmers, welche die Anrechnung rechtfertigten, fehlten deshalb. HV sollten zukünftig geltend machen, Basis der Anrechnung sei nicht der nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelte Barwert/Kapitalwert des Versorgungsanspruchs, sondern nur ein um die Selbstfinanzierung gekürzter Basiswert.2000 Der Unternehmer sei zur Vorlage der Daten verpflichtet. Unterlasse er die Bekanntgabe, dürfe er nicht anrechnen.2001 Gerichte2002 haben sich teilweise ausdrücklich gegen die Berücksichtigung steuerlicher Vorteile ausgesprochen. Der Umstand, dass der Versicherer durch die Einrichtung der Altersversorgung solche Vorteile erziele, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Entscheidend sei, was dem HV durch die Versorgungsbezüge an Vorteilen zufließe.2003 Deren Umfang werde durch die Steuervergünstigungen nicht berührt.2004 Sofern es dem Unternehmer gelinge, den Mitteleinsatz möglichst gering zu halten, sei es nicht unbillig, wenn ihm jener Vorteil verbleibe.2005 Ein durch Steuervorteile erreichter „gewisser Selbstfinanzierungseffekt“ sei hinzunehmen.2006 Teilweise wird auch darauf verwiesen, dass der HV sich die Altersversorgung durch niedrigere Provisionen mitfinanziert habe.2007 Welcher Ansicht zuzustimmen ist, ist schwer zu bestimmen. Für die h. M. spricht, dass steuerliche Vor- und Nachteile nicht über die Ausgleichshöhe bestimmen. Stellt man auf den Erfüllungsgedanken ab, wird man auf das vom HV tatsächlich Erhaltene („Zufluss“) rekurrieren.2008 Sieht man dagegen die Leistung des Unternehmers als bestimmend an, kommt es auf dessen tatsächlichen Vermögensverlust an. Wahrscheinlich sind beide Elemente zu berücksichtigen, da es das eine nicht ohne das andere gäbe.2009 Bedenkenswert ist mglw. der Vergleich zum Erbfall: Günther2010 weist darauf hin, inkonsequenterweise entfalle die Altersversorgung beim Tod des HV, während der Ausgleich auch an dessen Erben zu leisten sei. Der Ausgleich entfällt unter Billigkeitsgesichtspunkten, obwohl jede Altersversorgung der Erben fehlt. Damit rechtfertigt nicht nur das vom HV Erhaltene, sondern das vom Versicherer Geleistete den Verlust des Ausgleichs. Wenn aber das Geleistete mitbestimmend ist, stellt sich die Frage nach der Folge. Der Versicherer leistet wenig, wenn infolge der mit der Altersversorgung verbundenen Steuervorteile der Ausgleich für ihn aufwandsneutral entfällt.2011 Auch die Rspr. beurteilt die starre Anrechnung des Anwartschaftsbarwerts z. T. zurückhaltend und will Steuervorteile des Versicherers zumindest in die Gesamtabwägung einbeziehen: Nach Ansicht des OLG München kann eine dem HV vom Versicherer finanzierte Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch angerechnet werden, wenn und soweit die ungekürzte Zuerkennung des Ausgleichs 1999 2000 2001 2002

Löwe/Schneider VersR 2004, 1518 (1520). Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129 (1134). Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129 (1134). OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (211); v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 = DB 2006, 1371; OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (979); LG München I, Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 15 HKO 24599/07, BB 2009, 350; zum Ganzen Thume VersR 2009, 436 (438 ff.). 2003 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 = DB 2006, 1371; OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (979); LG München I, Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 15 HKO 24599/07, BB 2009, 350. 2004 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (979). 2005 LG München I, Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 15 HKO 24599/07, BB 2009, 350; zustimmend Thume VersR 2009, 436 (441). 2006 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 = DB 2006, 1371. 2007 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 135; aA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 156. 2008 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 155. 2009 Emde BB 2005, 389 (397). 2010 Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 128; ebenso Emde VersVerm 2001, 441. 2011 Emde NJW 2005, 3694. Emde

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nach den Vorstellungen der Parteien sowie ihrem Verhalten während und nach der Beendigung des HV-Verhältnisses und unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unbillig wäre. In die Billigkeitserwägungen seien jedoch insb. die Dauer der Tätigkeit des VV, die eingeräumte Wahlmöglichkeit, die Finanzierung der Altersversorgung durch den Versicherer, die Zeitdifferenz zwischen Ausscheiden und Fälligkeit des Versorgungsanspruch, die Doppelbelastung der Versicherung bei etwaigen Steuervorteilen, die langjährige Betriebstreue, ein eventueller Wegfall der Altersversorgung trotz Ausgleichsberechtigung sowie die Ersparnisse eigener Aufwendungen für die Altersvorsorge einzubeziehen.2012

e) Der Anrechnung entgegenstehende Billigkeitserwägungen. Weil Billigkeitsgründe 338 die Anrechnung fordern, können sie sie auch hindern. Eine Gesamtabwägung bestimmt über die Abzugsfähigkeit der Altersversorgung. Solche den Abzug des Anwartschaftsbarwertes hindernden Billigkeitserwägungen mögen z. B. in der Finanzlage des HV2013 in einer erheblichen Differenz zwischen Ausscheiden des HV und Fälligkeit der Altersversorgung2014 oder im Wegfall der Zahlungspflichten aus der Versorgungsabrede trotz Ausgleichsberechtigung (s. o.) zu finden sein. Sie mögen ferner bestehen, falls der HV den Ausgleich für den Aufbau einer neuen beruflichen Existenz oder zur Schuldentilgung benötigt.2015 Dazu muss der Ausgleich eine Größe erreichen, die ihn als finanziellen Baustein für den Start in die neue berufliche Existenz geeignet erscheinen lässt bzw. eine drohende Zahlungsunfähigkeit verhindert.2016 Ferner muss der Barwert so groß sein, dass der nach Anrechnung verbleibende Ausgleich zu gering erscheint, um eine berufliche Existenz aufzubauen bzw. die Zahlungsfähigkeit zu vermeiden.2017 Der Ausgleichsanspruch habe auch die soziale Funktion einer „Überbrückungshilfe“.2018 Deshalb kann möglicherweise auch nur eine Teilanrechnung angemessen sein.2019 Den HV trifft hierfür die Darlegungs- und Beweislast,2020 was nur verständlich ist, sofern der Abzug des Anwartschaftsbarwertes als Regelfall angenommen wird. So hat das OLG München2021 ausgeführt, der HV habe den auf die Zuschüsse des Unternehmers entfallenden Anteile der Lebensversicherung bei Beendigung des VV-Vertrags veräußern und sich so Liquidität verschaffen können. Damit sei er in der Lage, unmittelbar nach der Kündigung weitere Mittel zur Schaffung einer neuen Existenz zu erlangen, ohne jenen Teil der Lebensversicherung aufzulösen, der durch den aus seinen eigenen Mitteln finanzierten Beitragsteil gebildet worden sei. Der HV habe nicht substantiiert vorgetragen, welche Geldmittel er zur Verwirklichung konkreter zukünftiger Berufspläne benötige. Dass ein HV abstrakt betrachtet den Ausgleich als Überbrückungsgeld bis zur Aufnahme der neuen Tätigkeit benötigen könne, soll nach Auffassung des OLG Köln die Anrechnung des Anwartschaftsbarwerts zumindest dann nicht ausschließen, wenn der HV berufsunfähig sei.2022 Verhindert der Unternehmer das Entstehen des ungekürzten Ausgleichs durch eine ordentliche Kündigung ohne Angabe von Gründen 15 Monate vor einem Zeitpunkt, zu dem ein Abzug des Barwerts der Altersversorgung vertraglich nicht mehr gestattet wäre, so ist der Abzug wegen der allseitigen Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung zwar nicht nach § 162 BGB unzulässig, darf jedoch unter Billigkeitsgesichtspunkten gem. § 89b Abs. 1 Nr. 2 allenfalls teilweise erfol2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019

OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371. Otto BB 2004, 1009; ders. FS Thume 2008, S. 81; Thume VersR 2009, 436 (440). OLG München, Urt. v. 10.11.2010 – 7 U 3385/10, MDR 2011, 55. Thume VersR 2009, 436 (440); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 162. Thume VersR 2009, 436 (440). Otto FS Thume, S. 83; Thume VersR 2009, 436 (440). OLG München, Urt. v. 16.11.2006 – 23 U 2539/06; WM 2007, 710. OLG München, Urt. v. 10.11.2010 – 7 U 3385/10, MDR 2011, 55 (bei erheblicher Differenz zwischen Fälligkeit der Altersversorgung und Ausscheiden des HV); v. 16.11.2006 – 23 U 2539/06, WM 2007, 710. 2020 Otto FS Thume, S. 83; Thume VersR 2009, 436 (440). 2021 OLG München, Urt. v. 21.7.2004 – 7 U 1800/04, VersR 2005, 687; hierzu Thume VersR 2009, 436 (440). 2022 OLG Köln, Urt. v. 28.11.2014 – 19 U 71/14, BeckRS 2015, 10251 Rn 33. 387

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gen.2023 Der Einwand, der HV habe die Altersversorgung durch geringere Provisionen selbst bezahlt, kann mglw. ebenfalls helfen, sofern der HV ihn beweisen kann.2024 Hat sich der Unternehmer vertraglich verpflichtet, als Gegenleistung für die Vermittlungstätigkeit auf die Altersversorgung einzuzahlen, soll keine „freiwillige“ Leistung des Unternehmers vorliegen und die Leistung besitzt Entgeltcharakter.2025 Aber das dürfte für die meisten Altersversorgungen gelten. 339 Ob nachvertragliche Umstände die Anrechnung ausschließen können, ist umstritten. Auch sie können billigkeitsrelevant sein und die Anrechnung ausschließen. Zu denken ist etwa an den die Auszahlung der Altersversorgung hindernden Tod des HV kurze Zeit nach seinem Ausscheiden. Ob die Anlagerechtsprechung (Rn 198) entgegensteht, ist zweifelhaft: Billigkeitsgesichtspunkte sollen die umfassende Berücksichtigung aller Tatsachen ermöglichen, also mglw. auch solcher nachvertraglicher Umstände.2026 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Unternehmer seine Leistungen zur Altersversorgung zum Zeitpunkt des Todes bereits erbracht hat, jedenfalls sofern es sich um eine Fremdversicherung handelt. Der Tod des HV kann folglich nur dann zu einem Entfallen der Verpflichtung des Unternehmers aus der Altersversorgung und zu einem Wiederaufleben der Ausgleichsverpflichtung führen, wenn der Unternehmer keine finanziellen Nachteile erleidet. Solche Nachteile entstehen oft, weil die Altersversorgung von einer selbständigen Gesellschaft erbracht wird, der Unternehmer erbrachte Prämien also nicht zurückerhält. 340 Keinesfalls darf der Abzug des Anwartschaftsbarwertes „schematisch“ erfolgen. Die Umstände des Einzelfalls müssen immer im Blick bleiben und eine Ermessensentscheidung getroffen werden. Das Nichtausüben des Ermessens begründet einen Ermessensfehler, weil es einer nicht gestatteten geltungserhaltenden Reduktion der vom BGH für unwirksam gehaltenen Anrechnungsklausel gleichkommt.

341 f) Unverfallbarkeit nach dem BetrAVG? Die Substitution des Ausgleichs durch eine betriebliche Altersversorgung kann risikoreich sein. Derartige Altersversorgungen könnten unter das BetrAVG fallen. Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung sind grundsätzlich gem. § 1b BetrAVG unverfallbar und – obwohl § 1b BetrAVG in § 17 Abs. 3 BetrAVG nicht genannt wird – wohl derogationsfest. Dies gilt gem. § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG wohl auch für HV,2027 VV2028 und FN.2029 Auf erster Stufe ist vor der auf zweiter Stufe liegenden Prüfung der Unverfallbarkeit zu 342 bestimmen, mit welchem Leistungsinhalt das Versprechen auf betriebliche Altersversorgung ge2023 2024 2025 2026

OLG Celle, Urt. v. 13.1.2005 – 11 U 171/04, OLGR 2005, 166. OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (211). OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.9.2012 – 5 U 101/09, BeckRS 2014, 11259. So wohl OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081 – Kfz: Berücksichtigung der erst 11 Monate nach Vertragsende aufgenommen Konkurrenztätigkeit im Wege des Billigkeitsabschlags. 2027 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568; v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, BGHZ 77, 94 = NJW 1980, 2254; BFH, Urt. v. 14.12.1988 – I R 44/83, BFHE 155 368; OLG München, Urt. v. 30.6.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 (1123); best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 30.5.2005 – VIII ZR 201/05; LG Gießen, Teilurt. v. 4.11.2016 – 6 O 18/15; LG Hannover, Urt. v. 21.7.2014 – 2 O 19/13, ZVertriebsR 2014, 300 m. Anm. Emde; LG München I, Urt. v. 10.8.2000, DB 2000, 2423; Höfer Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, § 17 Rn 5579; Martinek/Flohr/Feldmann in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 19 Rn 35; Blomeyer/ Otto Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung3 § 17 Rn 93; Küstner BB 1976, 1485; offen gelassen von OLG München, Urt. v. 5.8.2009 – 7 U 2055/09, VersR 2010, 209 (210). 2028 Blomeyer/Otto a. a. O., § 17 Rn 93; LG München I, Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 14 HK O 24599/07, BB 2009, 350 (352) m. zust. Anm. Röder; LG Hannover, Urt. v. 21.7.2014 – 2 O 19/13, ZVertriebsR 2014, 300 m. Anm. Emde; LG Aachen, Urt. v. 25.4.1975 – 11.0199/74, BB 1976, 249; Küstner BB 1976, 1485 (1486). Nach dem OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.1.2013 – 9 U 120/12, VersR 2014, 614 gelten die Vorschriften des BetrAVG nur, wenn der HV in wirtschaftlich abhängiger Weise für ein Unternehmen tätig ist. 2029 Timmermann BB 2015, 309 (311). Emde

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geben wurde. Wenn das Entstehen der Altersversorgung an eine Ausgleichsberechtigung konditional angeknüpft wird, liegt eine Beschreibung des Leistungsinhalts vor.2030 Derartige Gestaltungen führen jedenfalls im Bereich der entsprechenden Anwendung des BetrAVG auf HV nicht zu einer unzulässigen Umgehung des Gesetzeszwecks. Das hat der BGH festgestellt: Nach dem BGH2031 verstößt die Vereinbarung, wonach der HV mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs auf Leistungen aus einer unternehmerfinanzierten Altersversorgung verzichtet, nicht gegen das in § 3 Abs. 1 S. 1 BetrAVG geregelte Verbot, unverfallbare Versorgungsanwartschaften mit oder ohne Zahlung einer Abfindung aufzuheben, wenn diese Regelung bereits bei Abschluss des HV-Vertrages getroffen wurde. Das Gleiche wird gelten, wenn es sich um eine vertragsbegleitende Änderung handelt, die ohne Rücksicht auf das Vertragsende getroffen wurde2032 und im Fall, in dem die Ausübung des Wahlrechts durch eine HV-Gesellschaft dem – zudem meist wirtschaftlich an den Geschicken der Gesellschaft interessierten – Gesellschafter die Altersversorgung entzieht. Da es dem Unternehmer freistehe, ob er eine Altersversorgung zugunsten des HV einführe, welcher Durchführungswege er sich bediene, welchen objektiv abgrenzbaren Personenkreis er einbeziehen und wie viel er aufwenden wolle, sei es ihm, so der BGH, ebenso erlaubt, die Zusage von vornherein einzuschränken und von der Erfüllung bestimmter Bedingungen abhängig zu machen. Nur in diesem Umfang habe der HV die Versorgungsanwartschaft bei Vertragsbeginn erlangt, so dass ihm bei Eintritt einer vereinbarten auflösenden Bedingung keine Anwartschaft mehr entzogen werden könne.2033 Immer ist auch zu prüfen, ob der Widerruf i. S. d. § 1b Abs. 2 BetrAVG „wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ erklärt wurde. Das hat das LG Potsdam2034 verneint, wenn der Ausgleich und damit – so war es dort vereinbart – auch die Altersversorgung aufgrund vor der Vertragsbeendigung liegender Vertragswidrigkeiten des HV entfiel. Nach dem LG Hannover2035 bestehen Zweifel, ob die erforderliche zeitliche Verbindung zum Vertragsende vorliegt, falls ein HV wegen Streitigkeiten um wettbewerbliche Unterlassungsansprüche mittels einer Generalquittung 9 Monate nach Vertragsende auf alle wechselseitigen Ansprüche und damit auch die Ansprüche aus der Altersversorgung verzichtet. Außerdem sei der Fall des gänzlichen Verzichts nicht in § 3 BetrAVG geregelt.2036 § 1b BetrAVG ist grds. zwingend, jedenfalls für den Arbeitnehmer. Ob § 1b BetrAVG für den 343 HV zwingend ist, könnte diskutiert werden.2037 Gem. § 17 Abs. 3 S. 3 BetrAVG ist § 1b BetrAVG nur „zu Ungunsten des Arbeitnehmers“ derogationsfest. Der HV ist kein Arbeitnehmer. Auf ihn sind Vorschriften des BetrAVG nur anwendbar, soweit in § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG dies bestimmt wurde. Nach § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG sind jedoch nur die §§ 1 bis 16 BetrAVG zwingend und nicht § 17 Abs. 3 S. 3 BetrAVG. Mit anderen Worten: § 1b BetrAVG gilt gem. § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG möglicherweise „entsprechend“ für den HV. Für den HV ist jedoch die zwingende Regelung des § 1b BetrAVG gerade nicht ausdrücklich vorgeschrieben, da sie sich aus § 17 Abs. 3 S. 2 BetrAVG ergibt, § 17 Abs. 3 S. 2 BetrAVG jedoch gem. § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG nicht ausdrücklich entsprechend für den HV gilt. Möglicherweise handelt es sich um ein Redaktionsversehen. Nach dem OLG Karlsruhe2038 findet das Verfügungsverbot des § 2 Abs. 2 S. 5 BetrAVG gem. § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG auch auf durch Eigenbeiträge des HV finanzierte Leistungen Anwendung. 2030 Dafür wohl BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568. 2031 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568. Ähnlich BGH, Urt. v. 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229 = WM 2017, 728 Rn 42.

2032 Vgl. BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568. 2033 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568. 2034 LG Potsdam, Urt. v. 9.4.2008 – 52 O 9/07, n. v.; in diese Richtung auch BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350.

2035 LG Hannover, Urt. v. 21.7.2014 – 2 O 19/13, ZVertriebsR 2014, 300 m. Anm. Emde – rechtskr. nach Rücknahme der Berufung.

2036 LG Hannover, Urt. v. 21.7.2014 – 2 O 19/13, ZVertriebsR 2014, 300 m. Anm. Emde – rechtskr. nach Rücknahme der Berufung.

2037 S. OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.1.2013 – 9 U 120/12, VersR 2014, 614. 2038 OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.1.2013 – 9 U 120/12, VersR 2014, 614. 389

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Das gelte jedoch nicht für Zusagen, die vor dem 1.7.2002 erfolgt seien. Denn erst ab diesem Zeitpunkt sei § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG anwendbar. Ab diesem Datum gelte § 2 Abs. 2 S. 5 BetrAVG nur für den Teil des Anspruchs aus dem Versicherungsvertrag, der durch Leistungen des Unternehmers finanziert wurde. Dass der Ausgleichsanspruch entsprechend einer mit den HV getroffenen Vereinbarung um die vom Unternehmer geleisteten Beiträge gekürzt werde, ändere nichts daran, dass es sich nicht um Eigenanteile des HV handele. Auch wenn der HV damit wirtschaftlich die Beiträge selbst getragen habe, blieben es Leistungen der betrieblichen Altersversorgung i. S. d. § 1 Abs. 1 BetrAVG. Denn sie beruhten auf einer Zusage des Unternehmers. 344 Auch im Arbeitsrecht ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen die Widerruflichkeit – erfasst werden alle Gestaltungserklärungen, auch Kündigungen – zulässig ist. Ursprünglich hatte die Rspr. den vom Arbeitgeber ausgesprochenen Widerruf stets zugelassen, sofern er ausdrücklich vorbehalten war.2039 Später wurde die Zulässigkeit auf Fälle beschränkt, in denen eine einseitige Lösung auch ohne Widerrufsvorbehalt anerkannt wird.2040 Dies sind insbesondere die Fälle des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der unzulässigen Rechtsausübung“.2041 Außerdem besteht ein Widerrufsrecht bei erheblichen Treupflichtverletzungen des Arbeitnehmers,2042 beim HV insb. nach einer Verletzung der Interessenwahrungspflicht. In Fallen einer ausgleichsvernichtenden Kündigung wird also regelmäßig auch ein Widerruf der Versorgungszusage gestattet sein. Ferner kann der Widerruf für diese Fälle vertraglich vereinbart werden. 345 Zwischen selbstständigen Kaufleuten gelten arbeitsrechtliche Grundsätze nicht ohne weiteres.2043 Ein HV mag die Folgen eines Verzichts besser einzuschätzen als ein Arbeitnehmer.2044 Mglw. wird man daher den Widerruf einer Versorgungszusage in einem HV-Vertrag zulassen müssen, wenn auch ein Ausgleich gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 entfallen würde. Dies gilt sicher, wenn in diesem Fall die strengen Voraussetzungen des BAG für einen Widerruf gegeben wären.2045 Nur auf diese Weise kann die nötige Konkordanz zwischen dem Ausgleichsrecht und dem Substitut des Ausgleichs, der Versorgungszusage, hergestellt werden. § 89b Abs. 3 Nr. 2 wäre bei diesem Verständnis im Ergebnis lex specialis. Dafür spricht auch die Entscheidung des BGH v. 21.5.2003.2046 Dort hat der BGH ausgeführt, die AGB „mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet der HV auf die unternehmerfinanzierte Altersversorgung“ verstoße nicht gegen das BetrAVG,2047 die zwingende Natur des Ausgleichs oder gegen § 307 BGB. Der Ausgleich bleibe unberührt und lediglich die Altersversorgung entfalle. Das Versorgungsversprechen dürfe unter Bedingungen erteilt werden.2048 Häufig wird geregelt, dass das Recht auf die Altersversorgung unter den gleichen Voraussetzungen entsteht und entfällt wie der Ausgleichsanspruch. Damit wird die funktionelle Verwandtschaft zwischen Ausgleich und Altersversorgung betont. Der Verpflichtete orientiert sich hinsichtlich des Entfallens des Ausgleichs an der Blomeyer/Otto Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung3 Anh. § 1 Rn 439. Blomeyer/Otto a. a. O. Blomeyer/Otto a. a. O. Blomeyer/Otto Rn 474. LG Hannover, Urt. v. 21.7.2014 – 2 O 19/13, ZVertriebsR 2014, 300 m. Anm. Emde – rechtsk. nach Rücknahme der Berufung; Timmermann BB 2015, 309 (311) zum FN „entspr. Anwendung fällt schwer und führt zu Friktionen“; Küstner BB 1976, 1485 (1490). Siehe auch das OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.1.2013 – 9 U 120/12, VersR 2014, 614, demzufolge die Vorschriften des BetrAVG nur gelten, wenn der HV in wirtschaftlich abhängiger Weise für ein Unternehmen tätig ist. 2044 LG Hannover, Urt. v. 21.7.2014 – 2 O 19/13, ZVertriebsR 2014, 300 m. Anm. Emde. 2045 Siehe Küstner BB 1976, 1485 (1486) Fn. 15. 2046 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568. Dem BGH folgend LG München I, Vorbehaltsurt. v. 08.12. 2008 – 14 HK O 24599/07, BB 2009, 350 (351). Ähnlich BGH, Urt. v. 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229 = WM 2017, 728 Rn 42. 2047 Anders mglw. OLG München, Urt. v. 30.6.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 (1123); best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 30.5.2005 – VIII ZR 201/05 – jedoch ohne eingehende Auseinandersetzung mit dieser Frage; ebenfalls aA OLG Brandenburg, Hinweisbeschl. v. 16.7.2008 – 7 U 87/08. 2048 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568.

2039 2040 2041 2042 2043

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gesetzlichen Leitentscheidung zum Ausgleichsrecht, nämlich § 89b Abs. 3 Nr. 2. Dies ist auch im Lichte des § 307 BGB billig,2049 wie die gesetzliche Leitentscheidung zeigt. Was das Gesetz für den Fall der Ausgleichszahlung als billig ansieht, muss entsprechend für die ausgleichsvertretende Leistung, nämlich die Versicherungsleistung, gelten. Die Gestaltung dürfte nach dem BGH zulässig sein.2050 Da der BGH und das LG München I2051 das „automatische“ Entfallen des Versorgungsversprechens im Wege einer von vornherein vereinbarten auflösenden Bedingung billigten, wird a maiore ad minus auch eine Klausel der Prüfung standhalten, die in diesem Fall eine Kündigung des Versicherungsvertrages zulässt. Es ist für den HV weniger nachteilhaft, wenn der Unternehmer sich eine Prüfung des Entfallens vorbehält und dabei auch zu Gunsten des HV entscheiden kann. Otto2052 rät in dem Prozess des VV, der auf den vollen Ausgleichsanspruch klagt und die 346 Berechtigung des Abzugs des Barwerts der Altersversorgung bestreitet, dem Unternehmer zu Eventual-Widerklage auf Feststellung, dass er berechtigt sei, die betriebliche Altersversorgung im Umfang des Barwertes zu widerrufen, welcher bei Fälligkeit des Ausgleichsanspruch bereits verdient gewesen sei. Nach Otto2053 ist der Widerruf der Versorgungszusage bei veränderten Umständen ein Fall des § 313 BGB. Der Erfolg einer solchen Eventual-Widerklage ist zweifelhaft, weil eine unberechtigte Hoffnung (Rechtsansicht) über die Anrechenbarkeit wohl keine Geschäftsgrundlage bildet. Otto empfiehlt folgenden Widerrufsvorbehalt: „Die Leistung aus der betrieblichen Altersversorgung soll nach ihrem vereinbarten Zweck auf den Ausgleichsanspruch nach § 89b angerechnet werden, der sich nach Berücksichtigung der Kappungsgrenze gem. § 89b Abs. 5 ergibt. Wenn eine solche Anrechnung im Einzelfall nach § 89b Abs. 1 Nr. 3 unbillig ist, sind Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung widerrufbar. Der Umfang des Widerrufs kann höchstens dem versicherungsmathematischen Barwert der Leistung im Zeitpunkt der Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs entsprechen.“

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Ein solcher Widerruf ist nach Auffassung von Otto nicht steuerschädlich und steht der Bildung 348 von Pensionsrückstellungen nach § 6a Abs. 1 Nr. EStG nicht im Weg, weil er zivilrechtlich vollziehbar sei.2054 AA war das LG München I2055: Es hat eine Klausel über die Widerruflichkeit der Versorgungszusage gem. § 307 BGB für unzulässig gehalten, nach der die Versorgungszusage widerrufen werden konnte, wenn Gründe vorlagen, welche eine außerordentliche Kündigung gestatteten und die Widerruflichkeit nicht lediglich auf schwerste Verfehlungen beschränkt war. Dies dürfte der vorgenannten Rspr. des BGH widersprechen. Sicherer als der Vorschlag von Otto dürfte es sein, sich bei Fassung einer Widerrufsklausel an dem Wortlaut der vom BGH2056 geprüften Regelung zu orientieren.

g) Beweislast bei der Anrechnung der Altersversorgung. Zur Beweislast bei der Billigkeit 349 generell Rn 487 ff. Beweispflichtig für die Höhe des Barwertes ist der Unternehmer.2057 Hinsichtlich der Beweisverteilung gilt der allgemeine Grundsatz, dass der errechnete Rohausgleich für sich die Vermutung der Billigkeit begründet (Rn 487 ff. „Billigkeit“). Jedoch soll hiervon bei der Anrechnung der Altersversorgung eine Gegenausnahme existieren, nach der die Anrech-

2049 2050 2051 2052 2053 2054 2055

LG Potsdam, Urt. v. 9.4.2008 – 52 O 9/07, n. v. BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568. LG München I, Vorbehaltsurt. v. 8.12.2008 – 15 HKO 24599/07, BB 2009, 350 mit Anm. Röder. FS Thume S. 85; hierzu Thume VersR 2009, 436 (441). Otto FS Thume S. 85; hierzu Thume VersR 2009, 436 (441). Otto FS Thume, S. 85. Urt. v. 10.8.2000, DB 2000, 2423; i. E. auch OLG München, Urt. v. 30.6.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 (1123); best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 30.5.2006 – VIII ZR 201/05. 2056 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, VersR 2003, 1253 = WM 2003, 2110. 2057 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 164; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 140. 391

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nung des Anwartschaftsbarwerts regelmäßig billig sein soll.2058 Folglich soll den HV die Darlegungs- und Beweislast für Umstände treffen, welche den Abzug als unberechtigt erscheinen lassen. Den HV soll also die Beweislast für Gegenausnahmen zur Billigkeit der Anrechnung treffen.2059 Damit müsste der HV die Unbilligkeit der Anrechnung und möglicherweise auch die steuerlichen Vorteile des Unternehmers darlegen (sofern dieser Umstand relevant ist, siehe oben) und beweisen. Das erscheint äußerst zweifelhaft. Jedenfalls hinsichtlich der steuerlichen Interna des Unternehmers kann dem wegen der notwendigerweise bestehenden Unkenntnis des Mittlers kaum zugestimmt werden.

VII. Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 (5. Tatbestandsmerkmal) 350 Die fünfte positive und erste formelle Anspruchsvoraussetzung ist die Beachtung der Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 S. 2. Danach muss der Ausgleichsanspruch innerhalb eines Jahres nach der Vertragsbeendigung geltend gemacht werden. Dies bildet eine gesetzliche Ausschlussfrist. Da es sich um eine materielle Ausschlussfrist handelt, erlischt der Ausgleich nach ihrem Ablauf.2060 Die Ausschlussfrist ist im Lichte der RL nicht zu beanstanden. Art. 17 Abs. 5 RL sieht sie ebenfalls vor, allerdings mit den Worten „der Handelsvertreter verliert den Anspruch auf Ausgleich“ klarer formuliert als § 89b Abs. 4 S. 2.2061 Die Frist gilt auch im Franchise- und Vertragshändlerrecht.2062 Dem Wortlaut des Gesetzes nach handelt es um ein positives TB-Merkmal, der üblichen Bezeichnung mit „Ausschlussfrist“ sowie der RL nach jedoch um ein negatives. 351 Durch die RL und das Durchführungsgesetz vom 23.10.1989 wurde die Frist von drei Monaten auf ein Jahr verlängert. Die Rechtswirkung der Fristversäumnis wird vom Gericht nicht erst, wie bei der Verjährung, auf Einrede hin berücksichtigt; sie greift „automatisch“ ein, sofern die Fristversäumnis sich aus dem Tatsachenvortrag der Parteien ergibt. Das Gericht beachtet die Ausschlussfrist von Amts wegen.2063 Das gilt selbst dann, wenn der Unternehmer sich nicht auf die Ausschlussfrist beruft. Da es sich bei ihr um ein TB-Merkmal handelt, muss der HV zur Wahrung der von Amts wegen zu prüfenden Ausschlussfrist vortragen, es sei denn, die Klage wurde bereits innerhalb der Jahresfrist eingereicht.2064 Ohne einen solchen Vortrag wäre die Klage unschlüssig. Nach Ende der Ausschlussfrist kann der Anspruch nicht mehr gefordert werden. Die Parteien dürfen sich jedoch einvernehmlich auf eine Verlängerung der Frist einigen.2065

1. Zweck 352 Zweck der Ausschlussfrist ist es, dem Unternehmer möglichst schnell nach Beendigung des HV-Vertrages Gewissheit zu geben, ob der HV den Ausgleich beansprucht oder nicht.2066 Dies ist angesichts seiner Höhe verständlich, letztlich aber ein Fremdkörper im System des Ausgleichsanspruchs bzw. des Schuldrechts überhaupt. Üblicherweise übernimmt die Verjährungsfrist diese Aufgabe. Realistischerweise darf auch kein Unternehmer mit einem „Verzicht“ des HV rechnen. 2058 OLG München, Urt. v. 21.7.2004, VersR 2005, 687. 2059 Vgl. OLG München, Urt. v. 21.7.2004 – 7 U 1800/04, VersR 2005, 687; Otto FS Thume, S. 83; Thume VersR 2009, 436 (440); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 164. BGH BB 1987, 22; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 292. Emde DStR 2009, 1478 (1484). Westphal II Rn 267. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 72; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 51. BGH NJW 1980, 456. AA Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 121; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 72. BGH, Urt. v. 29.4.1968, BGHZ 50, 86 (88) = NJW 1968, 1419; v. 9.7.1962, NJW 1963, 23 = BB 1962, 1101; KG BB 1960, 1075; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 289; Oetker/Busche5 § 89b Rn 49; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 203.

2060 2061 2062 2063 2064 2065 2066

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2. Rechtsnatur der Erklärung: Bei der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs handelt es sich eine geschäftsähnliche Hand- 353 lung.2067 Auf derartige Handlungen finden die Vorschriften über Willenserklärungen, insb. über deren Auslegung nach § 133, 157 BGB, entsprechende Anwendung.2068 Der Ausgleichsanspruch kann auch unter einer auflösenden Bedingung geltend gemacht werden.2069 Die Ausgleichsforderung ist kein höchstpersönliches Rechtsgeschäft. Sie kann auch in Vollmacht für einen Dritten geltend gemacht2070 oder gegenüber dem Empfangsvertreter des Unternehmers vorgenommen werden.2071 Da die Ausschlussfrist des Abs. 4 S. 2 scharf von der Verjährung unterschieden ist, sind die 354 Fristvorschriften der ZPO2072 sowie die BGB-Verjährungsvorschriften,2073 auch über Hemmung und Unterbrechung, nicht anwendbar, jedoch sollen die §§ 130–132 BGB anwendbar sein.2074 Das bedeutet nach bisheriger Ansicht Zugang i. S. d. des deutschen Zugangsrechts2075 (zwh., wegen Art. 17 Abs. 5 RL, dazu unten). Da es sich um eine materielle, nicht um eine prozessuale Frist handelt, soll auch eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach den Regeln der ZPO nicht möglich sein.2076 Der BGH2077 hat in einem Erbfall wegen der durch den Erbfall eingetretenen Ungewissheit über die Erbumstellung § 211 BGB (= § 207 BGB a. F.) angewandt, wonach die Verjährung eines Anspruches, der zu einem Nachlass gehört, nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt vollendet wird, in welchem die Erbschaft von den Erben angenommen wird. Eine Verhinderung der rechtzeitigen Geltendmachung durch höhere Gewalt (§ 206 BGB) vermag den Eintritt der Verwirkungsfolge des Abs. 4 S. 2 gleichfalls nicht hintanzuhalten, jedoch mglw. § 242 BGB.

3. Ausgleichsforderung unnötig Der Forderung nach Ausgleich bedarf es nicht, wenn der Unternehmer den Ausgleich bereits dem 355 Grunde nach anerkannt hat (Parallele zur Selbstmahnung).2078 Sofern das Anerkenntnis nach Ablauf der Ausschlussfrist erfolgt, muss ihm auch der Wille zu entnehmen sein, sich nicht auf die Ausschlussfrist berufen zu wollen. Dies wiederum setzt Kenntnis vom Verstreichen der Frist voraus. Das Anerkenntnis muss hinreichend deutlich erfolgen, was theoretisch auch konkludent geschehen kann. Hierzu kann nach den Umständen des Einzelfalls eine vorgerichtliche Ausgleichsberechnung genügen,2079 solange sie den dahin gehenden Rechtsbindungswillen hinreichend deutlich erkennen lässt. Gefordert werden darf dann der anerkannte Betrag, der in Höhe des Anerkenntnisses auch ein Anerkenntnis dem Grunde nach enthält. Dagegen ist der HV der Notwendigkeit einer Geltendmachung innerhalb der Jahresfrist nicht überhoben, falls er eine zum Zwecke des Ausgleichs geleistete Zahlung des Unternehmers entgegengenommen hat, sie aber nicht für ausreichend hält, selbst wenn er erst später zu dieser Überzeugung gelangen sollte. Der Fristbeginn wird 2067 2068 2069 2070 2071 2072 2073 2074 2075 2076 2077 2078

BGH, Urt. v. 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229 = WM 2017, 728 Rn 44; Hopt § 89b Rn 77. BGH, Urt. v. 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229 = WM 2017, 728 Rn 44. BGH, Urt. v. 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229 = WM 2017, 728 Rn 47/48. OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 134. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 74. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 72. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 72. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 74b. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 74b. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene4 § 89b Rn 219. Urt. v. 15.12.1978, BB 1979, 288 = DB 1979, 543. BGH, Urt. v. 14.6.2006 – VIII ZR 261/04, NJW-RR 2006, 1542 (1543); v. 28.1.1965 – VII ZR 120/63, BB 1965, 434 = VersVerm 1965, 98. 2079 OLG Koblenz, Urt. v. 2.7.1998 – 6 U 624/96, HVR Nr. 883. 393

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dadurch nicht hinausgeschoben. Die Gefahr einer Fehleinschätzung in dieser Beziehung geht also zu seinen Lasten; er muss rechtzeitig, und sei es vorsorglich, seinen Restanspruch geltend machen. Die bloße freiwillige Teilzahlung des Unternehmers reicht also nicht.2080 Die freiwillige Zahlung dürfte jedoch ausreichend sein, wenn ihr deutlich der Wille zum Anerkenntnis dem Grunde nach zu entnehmen ist. Erklärt der Unternehmer eine Änderungskündigung und akzeptiert der HV ungünstigere Vertragsbedingungen, schuldet der Unternehmer für den beendeten Vertrag einen Ausgleich. Die Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 ist nicht gehemmt, solange das neue, geänderte Vertragsverhältnis andauert.2081 Es empfiehlt sich daher eine vertragliche Regelung.2082 Für den Verzicht auf den Ausgleich des HV – der nach Vertragsende möglich ist – sollte ihm dabei eine Mindestkündigungsfrist eingeräumt werden, die ihm eine hinreichend lange Verdienstchance als Äquivalent für den Verlust des Ausgleiches gewährt.

4. Beginn der Ausschlussfrist 356 Die Frist beginnt erst nach der rechtlichen Beendigung des Vertragsverhältnisses,2083 also am Tag nach der rechtlichen Beendigung des HV-Vertrages.2084 Angesichts des Wortlauts des Abs. 4 („nach Beendigung“) wird sich der Streit über den Fälligkeitszeitpunkt nicht übertragen lassen. Für die Fristberechnung gelten die §§ 186 ff. BGB.2085 Ist der Vertrag nur faktisch beendet, beginnt die Frist erst mit der späteren rechtlichen Vertragsbeendigung zu laufen.2086 Dies gilt im Grundsatz auch im spiegelbildlichen Fall, in welchem der Vertrag zunächst rechtlich beendet aber faktisch fortgeführt wird. Jedoch wird in der letztgenannten Situation meist eine konkludente Einigung über die Fortsetzung desselben Vertragsverhältnisses liegen. Erfolgt die Geltendmachung gerichtlich durch Klage oder im Mahnverfahren, so genügt zur Fristwahrung die Einreichung der Klageschrift2087 oder des Mahnantrags bei Gericht, §§ 167; 691 Abs. 2 ZPO. Nicht jedoch gilt das gleiche für die Einreichung des Gesuchs um Prozesskostenhilfe für eine Klage; hier müsste das Gesuch dem Unternehmer schon binnen der Jahresfrist vom Gericht zur Kenntnis gebracht sein, um die Geltendmachungsfrist zu wahren, sofern die Geltendmachung nicht schon außergerichtlich zuvor erfolgt sein sollte.

5. Einhaltung der Frist/Zugang? 357 Zugegangen ist eine Willenserklärung nach „deutschem“ Verständnis, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt Kenntnis zu nehmen.2088 Vollendet ist der Zugang erst, wenn die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist.2089 Der Einwurf in einen Briefkasten bewirkt den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist.2090 Gem. Art. 17 Abs. 5 RL verliert der HV den Anspruch auf Ausgleich nur, wenn er dem Unternehmer nicht innerhalb eines Jahres nach Beendigung des LG Münster, Urt. v. 13.7.2001 – 22 U 61/01, VersR 2002, 53; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 126. OLG Nürnberg, Urt. v. 18.9.1958, BB 1958, 1151; OLG Stuttgart, Urt. v. 29.11.1967, RVR 1968, 89. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 35. BGH VersR 1959, 669 (670) – insoweit in NJW 1959, 1677 nicht abgedruckt; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 290. 2084 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 73. 2085 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 73a. 2086 BGH, Urt. v. 15.6.1959, NJW 1959, 1675. 2087 BGH NJW 1980, 456. 2088 BGH NJW-RR 2011, 1185 Rn 15; NJW 1980, 990; BGHZ 67, 271. 2089 BGH NJW-RR 2011, 1185 Rn 15. 2090 BGH NJW 2004, 1320.

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Vertragsverhältnisses mitgeteilt hat, dass er seine Rechte geltend macht (in Englisch: „has not notified the principal“). Eine Wartezeit bis zum Zugang verlangt die RL nicht. Das spricht für eine RL-konforme Auslegung, die im Lichte des Schutzbedürfnisses des HV und der jedenfalls für die Art. 17, 18 RL geltenden HV-freundlichsten Auslegung dazu leiten könnte, den tatsächlichen Eingang der Mitteilung beim Unternehmer genügen zu lassen und keinen Zugang nach deutschem Recht vorauszusetzen.2091

6. Vorwegforderung Entgegen dem Wortlaut des § 89b Abs. 4 S. 2, demzufolge der HV den Ausgleich nach Beendi- 358 gung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen hat, wird heute allgemein vertreten, der HV könne den Ausgleich bereits vor Vertragsbeendigung fordern.2092 Voraussetzung ist jedoch, dass das Vertragsende absehbar ist.2093 Es muss also eine gewisse zeitliche Nähe zum Vertragsende bestehen. Man wird zudem fordern müssen, dass das Datum des Vertragsendes zumindest bestimmbar ist. Denn anderenfalls ist für den Unternehmer nicht erkennbar, wann er leisten soll und die Warnfunktion wird verfehlt. Damit ist die Forderung zumindest zulässig, sobald (im Fall der Vertragsbeendigung durch befristete Kündigung) die Kündigung ausgesprochen ist. Dem sollte im Falle des auf bestimmte Dauer eingegangenen Vertragsverhältnisses die Geltendmachung innerhalb derjenigen Zeitspanne gleichstehen, in der sonst der Vertrag zu seinem vereinbarten Endtermin hätte gekündigt werden müssen. Die Geltendmachung braucht in allen diesen Fällen nach förmlichen Vertragsende nicht wiederholt zu werden. Denn die Frist setzt lediglich die höchstmögliche Spanne, sagt aber nichts darüber aus, ob schon vorher der Ausgleich gefordert werden darf. Der Unternehmer weiß auch in dieser Situation um die Ausgleichsforderung. Zudem ist das Verlangen auch noch innerhalb der Jahresspanne nach Vertragsende beim Unternehmer präsent (Dauerzustand), so dass die Forderung zu diesem Zeitpunkt vorliegt (Fortwirkung der Forderung). Ein Eingang innerhalb der Jahresfrist wird folglich nicht gefordert.

7. Verlängerung der Frist a) Einleitung. Unkenntnis oder unverschuldete Fristversäumnis verlängern die Frist 359 nicht.2094 Der Unternehmer braucht den HV nicht auf die Frist hinzuweisen.2095 Gedanken, nach schuldloser Versäumung der Ausschlussfrist gleichwohl einen Ausgleichsanspruch zuzubilligen,2096 sind im Grundsatz abzulehnen. Die Ausschlussfrist dient der Rechtssicherheit und soll nach ihrem Ablauf klare Verhältnisse schaffen. Dies würde verhindert, wenn sie in vielen Fällen unmaßgeblich sein sollte. Bei erstmaliger prozessualer Geltendmachung soll aber § 270 Abs. 3 ZPO anwendbar sein.2097 Einzelfälle können über § 242 BGB gelöst werden.2098 Die Ausschlussfrist ist gem. § 242 BGB daher nur unmaßgeblich, wenn ihre Inanspruchnahme eine Treuwidrigkeit darstellt, die nicht allein in der Erwartung des HV liegen

2091 Siehe zum Parallelproblem bei § 87 Abs. 3 Walter NJW 2019, 959 (960). 2092 BGH, Urt. v. 12.6.1963, BGHZ 40, 18; KG, Urt. v. 22.12.1959, NJW 1960, 361. 2093 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 291; Oetker/Busche5 § 89b Rn 49; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 74c. 2094 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 73. 2095 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 73. 2096 Trinkhaus Handbuch der VersVerm, Band I, Berlin 1955, Seite 430, Fußn. 361. 2097 BGHZ 50, 86 (89); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 74b. 2098 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (237); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 72. 395

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kann, der Unternehmer werde das Vertragsverhältnis fortsetzen.2099 Nach Ansicht des OLG Karlsruhe verstößt das Berufen des Insolvenzverwalters auf die Ausschlussfrist ausnahmsweise gegen § 242 BGB, sofern der Verwalter den HV mehrfach gebeten hatte, weiterhin für den Insolvenzschuldner tätig zu sein.2100 Dieser Auffassung ist der BGH im Revisionsverfahren entgegen getreten. Danach ist die Inanspruchnahme der Ausschlussfrist bereits deshalb nicht treuwidrig, weil die Entscheidung des HV, die Forderung nicht anzumelden, auf dessen eigenen wirtschaftlichen Erwägungen beruht.2101 Der Insolvenzverwalter kann sich weiterhin auf die Ausschlussfrist berufen, falls er bloß allgemein die Weiterführung des Betriebs ankündigt und alle für das Unternehmen tätige Personen zur Mitarbeit auffordert.2102 Immer aber ist zu prüfen, ob das Berufen des Insolvenzverwalters auf die Ausschlussfrist § 242 BGB widerspricht, weil er den HV von der Geltendmachung abhielt. So darf sich der Unternehmer nicht auf die Ausschlussfrist berufen, falls der HV aufgrund der aus der Feder des Unternehmers stammenden Überleitungsvereinbarung davon abgehalten worden ist, innerhalb der Frist Ausgleichsansprüche geltend zu machen.2103

360 b) Abreden über Verlängerung und Verkürzung der Frist. Das Gesetz sagt nichts darüber, ob die Frist zwingend sei. Eine Verkürzung der Frist vor Vertragsende scheitert an Abs. 4 S. 1,2104 kann jedoch nach Vertragsende zumindest individualvertraglich vereinbart werden.2105 Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen, liefe sie nach Ablauf der vereinbarten Frist auf einen Erlassvertrag hinaus; gegen einen solchen bestünden rechtlich keine Bedenken. Eine Verlängerung – im Voraus oder nach Beendigung des Vertragsverhältnisses – wirft die Frage nach der Schutzwürdigkeit der Interessen auf, die hier betroffen sind. Die Jahresfrist zur Geltendmachung des Ausgleichs soll dem Unternehmer dienen und ihm möglichst bald Klarheit verschaffen, ob er mit Ausgleichsansprüchen zu rechnen hat. Ihn durch zwingende Normen zu seinem eigenen Schutz begünstigt zu sehen, widerspräche der Tendenz des Gesetzes. Man wird deshalb die vertragliche Verlängerung zulassen müssen.2106 Wird die Verjährungsfrist erreicht, muss diese zugleich verlängert werden, wobei regelmäßig von einer stillschweigenden Verlängerung auszugehen ist (Grenze: § 202 BGB). Ältere Auffassungen, die eine Verlängerung der Frist ausschlossen,2107 sind mit Streichung des § 225 S. 1 BGB und der Einführung des § 202 BGB überholt.

8. Form der Ausgleichsforderung 361 Eine bestimmte Form der Erklärung ist nicht vorgeschrieben.2108 Es reicht jede (text)schriftliche oder mündliche Erklärung, aus der der Unternehmer entnehmen kann, dass ein Aus-

2099 BGH, Urt. v. 18.9.1986, BB 1987, 22. 2100 OLG Karlsruhe zur Dreimonatsfrist des § 89b Abs. 4 a. F., Urt. v. 27.12.1984 – 9 U 100/84, WM 1985, 235 (236); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 41. BGH, Urt. v. 18.9.1986 – I ZR 24/85, HVR Nr. 649. BGH, Urt. v. 18.9.1986 – I ZR 24/85, HVR Nr. 649. OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (237). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene4 § 89b Rn 220. AA wohl Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 72. AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 290. Dazu Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 109. BGH, Urt. v. 29.4.1968 – VII ZR 8/66, BGHZ 50, 86 (88) = NJW 1968, 1419; v. 9.7.1962 – VII ZR 49/61, DB 1962, 1404; OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89b Rn 307; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 74.

2101 2102 2103 2104 2105 2106 2107 2108

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gleich verlangt werde.2109 Auf die Formulierung kommt es nicht an;2110 eine Begründung ist unnötig.2111 Nicht genügt die Erklärung, dass man „sich weitere Schritte vorbehalte“.2112 Die mündliche Geltendmachung ist also ausreichend, jedoch aus Beweisgründen kaum ratsam. Insbesondere muss der Anspruch nicht gerichtlich gefordert werden.2113 Es genügt jede Art der außergerichtlichen Geltendmachung. Der Ausgleich muss jedoch hinreichend deutlich angefordert werden.2114 Weder braucht § 89b genannt zu werden2115 noch muss die Forderung ausdrücklich als solche nach Ausgleich apostrophiert werden. Eine Bezifferung der Ausgleichsforderung wird gleichfalls nicht verlangt,2116 ebenso wenig die Angabe der ungefähren Ausgleichshöhe. In der Rechtsprechung war anfänglich noch verlangt worden, der beanspruchte Betrag müsse in einer wenigstens ungefähren Höhe beziffert werden.2117 Eine solche ungefähre Bezifferung bleibt aber ohne wirklichen Wert. Der HV müsste alsdann den Vorbehalt einer höheren Bezifferung machen, wodurch das Anliegen des Unternehmers, einen Anhalt für seine Kalkulation zu gewinnen, nicht erfüllt ist; schon der Vorbehalt, aber auch die vorsorgliche Nennung einer höheren Ziffer würde für den HV die Gefahr einer negativen Feststellungsklage des Unternehmers mit entsprechenden Kostenrisiken heraufbeschwören, u. U. ehe das Material für eine endgültige Bezifferung überhaupt aufbereitet sein kann. Wahrscheinlich wäre der HV gezwungen, zwecks Bezifferung einen Anwalt zu konsultieren. Auch HV selbst müssen aber die Forderung stellen und sich auf ein darauf folgendes Angebot des Unternehmers einlassen können, ohne deshalb Anwälte einschalten zu müssen. Der Unternehmer kann den Ausgleich des HV meist selbst errechnen (er besitzt – wie § 87c zeigt – die Informationshoheit) und ist insoweit nicht schutzwürdig. Weil keine Bezifferung erforderlich ist, wird der Ausgleich auch nicht auf den im Anspruchsschreiben genannten Betrag begrenzt.2118 Der Benachrichtigungszettel eines Einschreibens ersetzt nicht den Zugang des Geltungsmachungsschreibens,2119 es sei denn, der Inhalt des Schriftstückes steht außer Zweifel. Jedoch kann eine treuwidrige Annahmeverweigerung vorliegen; der Zugang wird nach den insoweit geltenden Grundsätzen fingiert.

9. Beispiele Eine wirksame Forderung liegt bspw. in folgenden Fällen vor: Beim Verlangen nach „Ent- 362 schädigung für die Vertragsbeendigung“, nach einer Kündigungsentschädigung, nach Aner2109 OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 294.

2110 BGHZ 50, 86 (88). 2111 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 2112 BGH BB 1969, 1371 (die Entscheidung ist allerdings für den dort zugrunde liegenden TB nicht überzeugend, weil vom Unternehmer zuvor schriftlich erklärt worden war, dass „ein Ausgleichsanspruch nicht bestehe“, und der HV dem ausdrücklich, unter Vorbehalt weiterer Schritte, widersprochen hatte). 2113 BGH, Urt. v. 28.10.1957, NJW 1958, 23; v. 4.5.1959, NJW 1959, 1430; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 294. 2114 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 294; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 72. 2115 OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 2116 BGH, Urt. v. 9.7.1962, BB 1962, 1101 = BGH DB 1962, 1404; OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 71; OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; v. 8.2.1977, HVR Nr. 504; KG, Urt. v. 22.12.1959, NJW 1960, 630; LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 294. 2117 OLG Stuttgart VersR 1957, 329; OLG Frankfurt/M. NJW 1960, 630. 2118 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 70 ff. 2119 BGH, Urt. v. 18.12.1970, VersR 1971, 262. 397

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kenntnis der Ausgleichspflicht dem Grunde nach,2120 der Formulierung im Rechtsanwaltsschreiben „Weiterhin sind wir beauftragt worden, den Handelsvertreterausgleichsanspruch geltend zu machen. Die Berechnung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs erfolgt ebenfalls in Kürze in einem gesonderten Schriftsatz“.2121 Es muss nur klar sein, dass eine Kompensation für das Vertragsende gefordert wird. Einzelheiten sind eine Frage der Auslegung.

VIII. Ausgleichshöchstgrenze (6. Tatbestandsmerkmal) 363 Gemäß § 89b Abs. 2 beträgt der Ausgleich höchstens eine Jahresprovision oder eine sonstige Jahresvergütung, berechnet aus dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des HV. Die Höchstgrenze ist auch nach der Novelle 20092122 eine reine Rechengröße, die vom Gesetzgeber nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit „gegriffen“ werden musste. Die Amtliche Begründung schweigt. Dass der zahlenmäßige Schnitt auf den Betrag einer Jahresprovision festgelegt wurde, folgt keiner inneren Notwendigkeit. Semler2123 stellt die These auf, dass die Rspr. zu § 89b nur deshalb in der Praxis bestehen kann, weil es in einer Vielzahl von Fällen auf die genaue Berechnung nicht ankommt, da die Kappungsgrenze des § 89b Abs. 2 erreicht wird.

1. Berechnung der Höchstgrenze 364 Die Berechnung der Ausgleichshöchstgrenze nach der deutschen Rspr. wird gerade im Ausland häufig kritisiert. Denn angesichts des Abzuges der Billigkeitskriterien vom Rohausgleich wird die Höchstgrenze bei der üblichen Stammkundenquote fast immer erreicht. Für die Ausgleichshöchstgrenze maßgeblich sind die vom HV verdienten und ihm geschuldeten Provisionen, unabhängig davon, ob sie ihm tatsächlich gezahlt wurden,2124 verjährt2125 oder einredebehaftet sind. BGHZ 56, 242 (250) hat die Intention des Gesetzgebers wohl richtig gedeutet: dass, wenn schon eine Höchstgrenze festzusetzen sei, das (durchschnittliche) Jahresgesamteinkommen des HV und nicht nur das durchschnittliche Jahreseinkommen aus den Neukundenprovisionen diesen Höchstsatz bilden soll. Eigene Billigkeitserwägungen bei der Bestimmung der Höchstgrenze sind unzulässig.2126 365 Art. 17 Abs. 2b RL in seiner deutschen und französischen Fassung stellt allerdings auf den tatsächlichen Empfang der Vergütung ab,2127 und scheinbar nicht auf die geschuldete Vergütung im vorgenannten Sinne. Die deutsche Fassung spricht daher für einen Umsetzungsfehler. Die englische Fassung „average annual remuneration“ scheint jedoch auf den Verdienst des HV und damit wie das HGB auf das tatsächlich Empfangene abzustellen. Nur diese Deutung der RL ist auch vernünftig. Denn sie verhindert, dass Unternehmer durch Vorenthalten der Vergütung den Ausgleich reduzieren können. Außerdem besteht dann Gleichklang mit der Berechnung des Rohausgleiches. Maßgeblich sind also alle von dem HV während des Bezugszeitraumes verdien2120 2121 2122 2123 2124 2125

OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08. Westphal DB 2010, 1333. Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140/141). BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, NJW 1997, 316 (317) = WM 1997, 232. BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, NJW 1997, 316 (317) = WM 1997, 232; v. 22.5.1981 – I ZR 34/79, NJW 1982, 235 (236); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 167; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 145. 2126 BGH, Urt. v. 15.10.1992 – I ZR 173/91, HVR Nr. 725; v. 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, NJW 1999, 948 mit abl. Anm. Küstner BB 2000, „Die erste Seite“; v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, BGHZ 153, 6 = ZIP 2003, 264 (266); Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 165; Hopt § 89b Rn 49. 2127 Thume BB 2004, 2473 (2475). Emde

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ten Provisionen sowie diejenigen, die ihm bei rechtmäßiger Handhabung der Vereinbarung bzw. der gesetzlichen Bestimmungen hätten zufließen müssen.2128 Mithin sind sämtliche2129 dem HV aufgrund des HV-Vertrages vertragsgemäß geschuldete Vergütungen in die Berechnung einzubeziehen, die in dem Zeitraum, von welchem auszugehen ist, verdient worden sind,2130 ohne Abzug der durch das Vertragsende ersparten Kosten.2131 Beim HV dürfte dazu der Zeitpunkt der (wirksamen) Fälligkeit entscheidend sein. Gemeint ist die Jahresbruttoprovision einschließlich Umsatzsteuer.2132 Bei einer Herabsetzung oder Erhöhung des Provisionssatzes während der Vertragsdauer sind pro rata temporis die nach den jeweils geltenden Provisionssätzen tatsächlich verdienten Provisionen entscheidend. Folglich ist bei einer Erhöhung oder Reduzierung des Provisionssatzes der erhöhte oder verringerte Betrag nicht etwa auf den gesamten Zeitraum hochzurechnen.2133 Wie der HV die Einkünfte verwendet ist irrelevant.2134 Insbesondere sind nach der wohlbe- 366 dacht weiten Fassung des Gesetzes alle Provisionseinnahmen des HV aus seiner Tätigkeit für den Unternehmer überhaupt einzubeziehen, unter Einschluss von mit Alt2135- und Einmalkunden2136 verdienter Provisionen, Folgeprovisionen,2137 Bezirksprovisionen,2138 ebenso Provisionen für andere Dienstleistungen,2139 etwa Inkasso-,2140 Delkredere-,2141 Verwaltungs-2142 (dazu unten) und Bestandspflegeprovisionen,2143 Kundenschutz-, Regaldienstprovision,2144 Vergütungen für Lagerhaltung,2145 Spesenzuschüsse, Boni, Prämien, Geschäften von Untervertretern und B-Händlern sowie Kostenerstattungspauschalen,2146 selbst in Form anrechenbarer Sachleistungen2147 und Schadenersatzansprüche für entgangene Vergütungen,2148 auch Provisionsgaranti-

2128 OLG Nürnberg, Urt. v. 3.11.1982, HVR Nr. 511; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168; Westphal DB 2010, 1333 (1338). 2129 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 72; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168; Hopt § 89b Rn 50; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 144. 2130 Westphal DB 2010, 1333 (1338). 2131 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 72. 2132 So in eingehenden, auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift einbeziehenden Darlegungen: Geßler BB 1957, 1164. Ihm hat sich die Rspr. angeschlossen: BGHZ 29, 93; 41, 134 und seitdem ständig; BGHZ 56, 242 (250); 61, 112 (114) = NJW 1973, 1744; OLG Düsseldorf BB 1959, 8; OLG Celle NdsRpfl. 1959, 109; BB 1970, 227; Hopt § 89b Rn 51; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 219; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168; Oetker/Busche5 § 89b Rn 28. 2133 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 30/31; aA OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.6.1984, Justiz 1984, 340. 2134 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168. 2135 Westphal DB 2010, 1333 (1338); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218. 2136 BGH, Urt. v. 3.6.1971, NJW 1971, 1611 = DB 1971, 1298; Westphal DB 2010, 1333 (1338). 2137 BGH BB 1957, 1161; Hopt § 89b Rn 50. 2138 BGH DB 1957, 1148; VersR 1960, 676; BB 1971, 105; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 12; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168. 2139 Hopt § 89b Rn 50. 2140 Hopt § 89b Rn 50; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218. 2141 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168; Hopt § 89b Rn 50. 2142 BGH, Urt. v. 4.6.1975, EBE 1975, 351 (354); OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt; OLG Nürnberg, Urt. v. 18.1.1984, HVR Nr. 583; Küstner/ Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 72; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218; Hopt § 89b Rn 50; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 144; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 118. 2143 BGH BB 1971, 105; OLG Karlsruhe BB 1982, 274; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218; anders OLG Celle NJW 1968, 1141. 2144 OLG Celle, Urt. v. 22.4.1988 – 11 U 134/87, HVR Nr. 635; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 119. 2145 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218; Hopt § 89b Rn 50. 2146 BGH, Urt. v. 9.11.1970 – VII ZR 47/69; BGHZ 55, 45; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 120, 121. 2147 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168. 2148 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 218; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168. 399

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en. Werden Vergütungen vertragsgemäß von Dritten geleistet, etwa den Kunden, wie es bei Inkasso-HV (sie ziehen meist ihre Provisionen selbständig von den eingenommenen Geldern ab), Vertragshändlern und FN dem Leitbild entspricht, sind auch solche Vergütungsbestandteile gleichfalls höchstbetragserhöhend. Es gehören hierzu auch die noch nach Vertragsbeendigung anfallenden Provisionen, etwa weil das vermittelte Geschäft erst jetzt ausgeführt wird oder weil ein Sukzessivlieferungsgeschäft oder der Fall des § 87 Abs. 3 vorliegt. Eine Begrenzung auf die im Bezugszeitraum realiter zugeflossenen, d. h. ausgezahlten, Provisionen ergibt sich nicht aus dem Gesetz.2149 Es wäre auch kein innerer Grund hierfür einzusehen. Erhöht sich durch solche Einrechnung die Höchstsumme des Abs. 2, so hat, falls sie den Ausgleichsanspruch bisher beschnitten hatte, für diesen eine Nachberechnung zu erfolgen. 367 Der Ausgleich soll in Anlehnung an das bisherige Einkommen des HV bemessen werden. Wollte man die o. g. Vergütungsbestandteile unberücksichtigt lassen, würde dies dem Schutzzweck des § 89b nicht gerecht.2150 Auch verwaltende Vergütungsbestandteile erhöhen die Ausgleichshöchstgrenze.2151 Art. 17 Abs. 2 lit. b RL bezieht sich auf die Jahresdurchschnittssumme aller Vergütungen. Die Ansicht, derzufolge sämtliche Vergütungen und nicht nur ihre werbenden Bestandteile in die Höchstgrenzenberechnung einfließen, wird durch diesen Wortlaut unterstützt.2152 Abs. 2 spricht hingegen von „Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung“, so dass das unterschiedliche Verständnis der „Provision“ bei der Bestimmung der Ausgleichsbemessungsgrundlage des Basisjahres (ohne verwaltende Provisionsbestandteile) und in Abs. 2 (mit verwaltenden Anteilen) nicht ganz verständlich ist. Zumindest in HV-Fällen ist der Terminus „Jahresprovision“ der entscheidende Anknüpfungsfaktor der Höchstgrenzenberechnung. Nur hilfsweise kann nach Abs. 2 S. 1 auf den Begriff „Jahresvergütung“ abgestellt werden, der wohl – wie die RL – fordert, dass die gesamte Jahresvergütung in die Höchstgrenzenberechnung einzubeziehen ist. Letztlich wird man RL-konform auf den Begriff „Jahresvergütung“ abzustellen haben. Durch die Einbeziehung aller Vergütungsbestandteile in die Höchstgrenzenermittlung wird die Ausgleichsberechnung entlastet. Nur nicht leistungsbezogene Vergütungsbestandteile sind von der Höchstgrenzenberechnung auszuklammern, z. B. auf besondere, konkrete Einzelaufwendungen bezogene Erstattungen als durchlaufende Posten.2153 Nicht berücksichtigt werden etwa derartige konkrete Erstattungsleistungen für genau bestimmte Kosten, z. B. für Mietkosten durch den Unternehmer,2154 Lagergeld2155 sowie von Kosten für Untervertreter.2156 Wenn jedoch der HV echte Untervertreter aus eigenen Provisionseinnahmen vergütet, werden diese Provisionseinnahmen in die Höchstgrenzenberechnung einbezogen.2157 Zu Unrecht kürzt Schröder2158 die dem Hauptvertreter gezahlten Provisionen bei Berechnung des Höchstsatzes um Provisionen, die er an Untervertreter hat zahlen müssen, sofern der Einsatz von Untervertretern im Vertrage vorgesehen war oder der Vertrag seinem gesamten Inhalt nach hiervon ausging. Insofern käme dann wieder ein Nettoprinzip zum Durchbruch. Schröder rechtfertigt seine Ansicht mit der Erwägung, der Hauptvertreter werde für seine persönliche Tätigkeit nur mit der Spitze nach Abzug der dem Untervertreter zustehenden Provisionen entschädigt, und auf diese seine persönliche Tätigkeit komme es an. Selbst wenn man dem zustimmen woll2149 Bruck/Möller Vor § 43 Anm. 384. 2150 BGH, Urt. v. 19.11.1970, BB 1971, 105 = VersR 1971, 265. 2151 BGH, Urt. v. 4.6.1975, EBE 1975, 351 (354); OLG Nürnberg, Urt. v. 18.1.1984, HVR Nr. 583; Hopt § 89b Rn 50; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 144; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 118.

2152 Emde DStR 2009, 1478 (1484). 2153 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 219; Hopt § 89b Rn 51. 2154 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 26; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 219; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 23b; Geßler BB 1957, 1464. 2155 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 219. 2156 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 27; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 219; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 23b. 2157 BGH WM 1985, 981; Hopt § 89b Rn 51; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 219. 2158 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 23. Emde

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te: dabei bliebe unberücksichtigt, dass der Hauptvertreter in aller Regel mit Beendigung seines eigenen Vertrags seinen Untervertretern kündigen muss und ihnen dadurch ausgleichpflichtig wird. Wenn aber für die Untervertreter die Höchstsätze des Abs. 2 gelten, sie also unter Umständen bis auf diese Höchstgrenze mit ihren Ausgleichsansprüchen heraufgehen können, erscheint es nicht folgerichtig, den Hauptvertreter für seinen eigenen Ausgleich, der die Ausgleichsforderungen der Untervertreter mit abzudecken hat, auf die Berechnungsart nach der persönlichen Tätigkeit gleich einem Untervertreter zu verweisen. Der Unternehmer darf Provisionseinnahmen nicht in den in Rn 367 erwähnten konkreten 368 Kostenerstattungen „verstecken“, um auf diese Weise die Rohausgleichsberechnung oder die Höchstgrenze zu reduzieren. Er ist beweispflichtig, dass bestimmte Vergütungen lediglich Aufwandserstattungen sind. Daher wird eine Nichtberücksichtigung nur in Frage kommen, sofern konkrete Geschäftskosten erstattet werden, die nicht üblicherweise durch die Provision abgedeckt werden und die Provision marktüblich ist. Aber selbst dann bestehen Bedenken gegen die Nichtberücksichtigung, weil sich Verhandlungsgeschick des HV in der Vergütungs- und Erstattungsfrage gegen ihn wenden kann. Allgemeine Kostenerstattungspauschalen sind – siehe Rn 366 – der für die Höchstgrenzenberechnung maßgeblichen Vergütung zuzurechnen und damit im Rahmen der Höchstgrenze berücksichtigungsfähig.2159 Sie lassen sich nicht hinreichend präzise einzelnen Kostenpositionen zuordnen und vertreten damit die Provision, aus welcher der HV sonst die allgemeinen Geschäftskosten begleicht. Sonst würden HV in kostenintensiven Branchen oder HV, die in der Einführungsphase besonders hohe, bezuschusste Geschäftskosten haben, benachteiligt.2160 Dafür streitet der Gesetzeswortlaut, der von einer Jahresprovision und Jahresvergütung spricht, welche die gesamten Bezüge des HV umfasst. Außerdem erleichtert diese Auffassung die Errechnung des Ausgleichs, weil Beweiserhebungen über die Höhe der Nettoprovision vermieden werden.2161 Dabei ist unerheblich, ob sie der HV tatsächlich zur Deckung seiner Geschäftskosten benötigt.2162 Zahlt der Unternehmer Vergütungen nicht aus, sondern verrechnet sie mit einer Einstands- 369 zahlung oder Ansprüchen aus einer Abwälzungsvereinbarung, die durch einen Provisionseinbehalt oder eine niedrigere Provision ausgeglichen wird, so kann die Frage entstehen, ob die Ausgleichshöchstgrenze aus den niedrigeren, tatsächlich ausgezahlten oder den höheren Provisionen mit den auf die Tilgung der Einstandszahlung entfallenden Anteil zu berechnen sind. Sofern dem HV mit dem Bezirk als Gegenleistung für die Einstandszahlung oder Abwälzungsvereinbarung ein geldwerter Vorteil zugeflossen ist, muss der Ausgleich aus den niedrigeren, tatsächlich ausgezahlten Provisionen berechnet werden. Fehlt ein solcher Geldwert, ist der höhere Betrag maßgeblich. Für das Fehlen eines Geldwertes gelten die unter Rn 458 genannten Beweisgrundsätze. Endet das Vertragsverhältnis vorzeitig wegen eines vom Unternehmer verschuldeten Grundes, der zu einer Schadenersatzpflicht des Unternehmers führt, so hat der HV für die Zeit bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zum Ablauf des befristeten Vertragsverhältnisses Anspruch auf Schadenersatz nach § 89a Abs. 2: Solche Schadenersatzansprüche vertreten die während der restlichen Vertragszeit entgehenden Provisionen und sind daher regelmäßig in die Höchstgrenzenberechnung einzubeziehen. Einen aus § 242 BGB hergeleiteten Informationsanspruch über die im Erfassungszeitraum 370 verdienten Provisionen erkennt der BGH bisher nur im Ausnahmefall unverschuldeter Kenntnis zu (s. Kommentierung zu § 87c). Einleuchtend ist das nicht unbedingt. Für einen eingetretenen Ausgleichsfall sind diese Provisionen in dem zeitlich eingegrenzten Rahmen des Abs. 2 eben doch noch relevant; selbst wenn die Beweislast insoweit beim Unternehmer liegen sollte, riskiert der HV eine Zuvielforderung. Auch über sie muss deshalb Auskunft verlangt werden kön2159 BGH, Urt. v. 11.12.1958, BGHZ 29, 93 = NJW 1959, 144; v. 18.6.1959, BB 1959, 718 = NJW 1959, 1490; v. 6.2.1964, VersR 1964, 378 (379); v. 19.11.1970, BGHZ 55, 45 = NJW 1971, 462; OLG Koblenz HVR Nr. 883; Hopt § 89b Rn 51.

2160 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. XII Rn 49. 2161 Geßler Der Ausgleichsanspruch der Handels- und Versicherungsvertreter, 1953, S. 81/82. 2162 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 168. 401

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nen, und zwar im vollen Modus des § 87c. Jedenfalls stünde ein Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zu.2163

2. Vertragshändler- und Franchiserecht 371 Auch hier sind im Grundsatz alle Vergütungsbestandteile in die Höchstgrenzenberechnung einzubeziehen, unter Einschluss der Rabatte aus Geschäften mit Altkunden.2164 Im Vertragshändlerund Franchiserecht ist umstritten, ob HV-untypische, vice versa: eigenhändlertypische, Vergütungsbestandteile die Höchstgrenze erhöhen.2165 Das muss sicher für die Vergütungsbestandteile gelten, die gerade für die eine Einbindung begründenden Tätigkeiten gezahlt werden.2166 Welche das sind, hätte ggf. der Unternehmer darzulegen, ebenso wie bei der Abgrenzung zwischen werbenden und verwaltenden Anteilen.2167 Überhaupt spricht auch hier der Wortlaut für die Einbeziehung aller händlertypischen Vergütungsbestandteile in die Berechnung der Höchstgrenze, nicht anders als bei den verwaltenden Anteilen. Denn § 89b Abs. 2 S. 1 verweist zur Begrenzung nicht nur auf die „Provision“ sondern auch auf sonstige „Vergütungen“, wie z. B. die des Vertragshändlers oder FN. Zumindest bei mittlerfreundlicher Auslegung der Vorschriften, die der EuGH vorgeschrieben hat2168 (s. Kommentierung zu Vor § 84), können folglich auch andere Vergütungsarten außer der Provision die Ausgleichshöchstgrenze erhöhen. Die Münchner Formel zum BMW-Vertrieb kann wohl nicht für das Gegenteil in Anspruch genommen werden. Sie nimmt „wegen der gebotenen Analogie zum HV-Recht“ lediglich einen Abzug von 30 % für „verwaltende Anteile“ vor, nicht jedoch für händleruntypische Vergütungsbestandteile.2169 Gegen die angedachte Einbeziehung der händlertypischen Vergütungsbestandteile würde nur der Gedanken sprechen, dass auch insoweit eine Analogie zum HV-Recht zu ziehen ist, weil anderenfalls der HV-ähnliche Vermittler einen höheren Ausgleich als ein HV mit vergleichbarer Tätigkeit erhielte. Aber die Risiken des Vertragshändlers oder FN mit Eigengeschäft beim Aufbau des Kundenstammes sind größer als die des HV. Wenn der Mittler daher einen Ausgleich erzielen soll, der seinem tatsächlichen, vertragsbegleitenden Verdienst entspricht, streitet dies für die höchstgrenzenerweiternde Einbeziehung nicht-HV-typischer Vergütungsbestandteile. Verwaltende Anteile erhöhen auch hier die Höchstgrenze.2170 Maßgebend für den Zeitpunkt des „Verdienens“ dürfte beim Eigenhändler das 2163 Vgl. RGZ 108, 7; 158, 379; BGHZ 10, 387; 55, 203; 58, 239; 61, 183; BGH NJW 1957, 1026; 1962, 731; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.15 – 33 O 119/12, ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14.

2164 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (83); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 388. 2165 Für den Abzug der nicht HV-typischen Vergütungsbestandteile, also die Nichtberücksichtigung der händlertypischen Vergütungsteile bei der Höchstgrenze: BGH, Urt. v. 7.11.1991 – I ZR 51/90, NJW-RR 1992, 421 (423) = WM 1992, 825; BB 1977, 511; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (83); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142); Küstner/von Manteuffel BB 1988, 1972 (1976); Ensthaler/Funk/Stopper Handbuch des Automobilvertriebsrechts, II Rn 77, S. 209; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht § 3 Rn 540 („allenfalls“); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 389; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 108; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 910; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 213, 219; zum Franchiserecht: Rauser in: Metzlaff (Hrsg.), Praxishandbuch Franchising, 2003, § 16 Rn 277. Gegen einen Abzug wohl OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 unter B 2 i – BMW; Ensthaler/Funk/Stopper Handbuch des Automobil-Vertriebsrechts, 2003, S. 209; Genzow Rn 171; Emde MDR 2010, 537 (541). 2166 Emde MDR 2010, 537 (541). 2167 Emde MDR 2010, 537 (541). 2168 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – Rs. C-348/07, BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde) Rn 21, 23. 2169 LG München I, Beschl. v. 3.8.1998 – 15 HKO 23905/97; insoweit best. durch OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035. 2170 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 388; Genzow Rn 171; Ensthaler/Funk/Stopper Handbuch des Automobilvertriebsrechts, II Rn 77, S. 209; Giesler/Vogels/Köhnen § 3 Rn 540; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 108; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 814; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142). Emde

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Datum des Vertragsschlusses innerhalb des 5Jahreszeitraums sein, nicht das der Lieferung (da sonst die Zahlungsbedingungen des Drittgeschäfts über den Ausgleich disponieren würden). § 87 Abs. 3 dürfte analog anzuwenden sein. Vergütungen, die nach Vertragsende für während des Vertragszeitraums geschlossene Geschäfte gezahlt wurden, erhöhen jedoch die Ausgleichshöchstgrenze.2171

3. Berechnungszeitraum Hat der HV-Vertrag fünf Jahre bestanden, bildet die durchschnittliche Jahresprovision oder Jah- 372 resvergütung (Vertragshändler, Franchisenehmer) aus dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des HV – nicht der Kalenderjahre2172 – die Höchstgrenze. War die Vertragsdauer kürzer, so ist der Durchschnitt aus diesem kürzeren Zeitraum zu errechnen. Hat der HV nur zwei Jahre gearbeitet, so ist der Durchschnitt dieser beiden Jahre zu bilden. Es soll einer kürzeren Vertragslaufzeit gleich zu achten sein, wenn innerhalb der letzten 5 Jahre eine wesentliche Änderung der Vertragsverhältnisse eintrat, z. B. eine Verdopplung des Provisionssatzes.2173 Betrug die Vertragsdauer weniger als ein Jahr, ist umstritten, ob die Monatsprovisionen der Tätigkeiten auf ein volles Jahr hoch zu rechnen sind, bei dreimonatiger Tätigkeit also zu vervierfachen sind. Nach h. A.2174 ist dies der Fall. Eine Mindermeinung hält lediglich die tatsächlich während der kürzeren Vertragsdauer gezahlten Provisionen für maßgeblich.2175 Der Wortlaut des Gesetzes spricht eher für die Minderansicht, weil nach ihm bei kürzerer als 5jähriger Tätigkeit ausdrücklich der Durchschnitt – nicht der Jahresdurchschnitt – während der Dauer der Tätigkeit maßgeblich sein soll. Einen Mindestzeitraum von einem Jahr für die Ermittlung des Höchstbetrags sieht § 89b nicht vor, er könnte bei sehr kurzen Vertragsverhältnissen ungerecht sein.2176 Andererseits benachteiligt die Minderansicht den binnen kurzer Zeit sehr erfolgreichen HV. Berechnungszeitraum sind die Tätigkeitsjahre des HV vor der Vertragsbeendigung, nicht vor der Kündigungserklärung. Zwar ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass das letzte Vertragsjahr schlechter als die übrigen Jahre verläuft. Der 5jährige Bemessungszeitraum bietet jedoch einen hinreichenden Ausgleich für diesen Umstand und nivelliert damit Exendenten. Verlaufen die letzten fünf Jahre außergewöhnlich untypisch, kann über den Gesetzeswortlaut hinaus gem. § 242 BGB auf einen längeren Zeitraum abgestellt werden. Denn die Bestimmung der Höchstgrenze setzt eine „Berechnung“ voraus, also einen wertenden Schritt. Da der 5jährige Bemessungszeitraum jedoch recht gestreckt ist, dürften solche Ausnahmefälle selten sein. Wird der HV vor der rechtlichen Beendigung des HV-Vertrages freigestellt und kann keine Provision mehr verdienen, bleibt der diesermaßen atypisch verlaufende Zeitraum der Tätigkeitseinstellung bei der Berechnung der Höchstgrenze außer Betracht. Vielmehr sind die letzten fünf Jahre vor der faktischen Einstellung der Tätigkeit Bemessungsgrundlage.2177 Zur Beweislast Rn 479 ff. „Ausgleichshöchstgrenze“.

2171 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142). 2172 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 166. 2173 OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.6.1984 – 8 U 30/84, OLGZ 1984, 483; Otto in: Küstner/Thume I4 Kap. XII Rn 23; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 166; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 78. 2174 Hopt § 89b Rn 49; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 24. 2175 Küstner/Thume/Riemer I4 Kap. VI Rn 140; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 166; Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 89; Matthies DB 1986, 2063 (2065). Begründung von Staub/Brüggemann4 der sich auf die Amtliche Begründung S. 36 stützt: Die gegenteilige Ansicht dürfte dem Gesetzeswortlaut nicht entsprechen; sie wäre auch sachlich wenig gerechtfertigt. 2176 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 166. 2177 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 4; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 166. 403

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4. Rohausgleich und Höchstgrenze 373 Die Ausgleichshöchstgrenze bildet keine Bemessungsgrundlage des Ausgleichs.2178 Vielmehr muss zunächst nach den oben dargestellten Maßstäben der Rohausgleich bestimmt werden, der dann durch die Ausgleichshöchstgrenze beschnitten wird, falls der Rohausgleich die Höchstgrenze überschreitet. Liegt der Rohausgleich unterhalb der Höchstgrenze, hat die Höchstgrenze keinerlei Bedeutung2179 und der Rohausgleich ist der zu zahlende Ausgleich. Der Rohausgleich wird dann geringer sein als eine durchschnittliche Jahresvergütung, sofern die vom HV neu zugeführten Kunden oder intensivierten Altkunden nur zu einem geringen Teil der Gesamtprovision beigetragen haben oder die Stammkundenquote niedrig liegt. Umgekehrt wird der Rohausgleich eine Jahresvergütung übersteigen, wenn nur ein geringer Bestand an Altkunden vorhanden war. Da der Rohausgleich unterhalb der Ausgleichshöchstgrenze liegen kann, wäre eine Ausgleichsforderung, die allein auf die Höchstgrenze abstellt, unsubstantiiert und als Klage unschlüssig.2180 Sollten dem Mittler Informationen zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs fehlen, kann er eine Stufenklage erheben.2181 Die oft erhobene Forderung nach dem Höchstausgleich des § 89b Abs. 2 entspricht allerdings einem Bedürfnis der Praxis nach Vereinfachung der Ausgleichsberechnung. Gewisse Schematisierungen sind daher ausdrücklich zu begrüßen, schon um Ausgleichsstreitigkeiten innerhalb angemessener Zeit und ohne vielfache Beweiserhebung abschließen zu können (s. u. zur Beweislast).

5. Überhangprovisionen 374 Überhangprovisionen, die dem HV erst nach Vertragsbeendigung zufließen, sind in die Berechnung der Ausgleichshöchstgrenze einzubeziehen2182 (s. o.). Der Ausgleichsanspruch schließt ihre Gewährung nicht aus.2183 Würde man die Überhangprovisionen unberücksichtigt lassen, bliebe der HV bei kurzer Vertragsdauer und einem branchenbedingt hohem Anteil an Überhangprovisionen benachteiligt. Maßgeblich sind daher auch insoweit nicht die während des Vertrages gezahlten Provisionen, sondern die aufgrund der Tätigkeit des HV in den letzten fünf Jahren verdienten Provisionen. Umgekehrt sind aber Überhangprovisionen, die außerhalb des 5-JahresZeitraumes verdient, aber erst innerhalb des 5-Jahres-Zeitraumes ausbezahlt wurden, nicht in die Ausgleichshöchstgrenze einzubeziehen, da sie nicht auf einer Tätigkeit innerhalb des 5-Jahres-Zeitraumes beruhen. Die Berechnung der Ausgleichshöchstgrenze ist damit, worauf Küstner2184 hinweist, kompliziert. In der Praxis wird eine solche Ausdifferenzierung nicht betrieben.

2178 BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (935) = BB 1975, 1409; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 216; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 165.

2179 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 165. 2180 BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (935) = BB 1975, 1409; v. 15.10.1992, BB 1992, 2385 = MDR 1993, 224; v. 27.2.1981, DB 1981, 1772 = MDR 1981, 906; v. 22.5.1981, NJW 1982, 235; v. 11.12.1958, BGHZ 29, 83 = NJW 1958, 144; LG Köln, Urt. v. 6.3.2018 – 8 O 158/15, ZVertriebsR 2019, 264 Rn 44; Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 RL auf den HV, COM (96) 364, S. 8 (1) a; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 165. 2181 LG Köln, Urt. v. 6.3.2018 – 8 O 158/15, ZVertriebsR 2019, 264 Rn 45. 2182 BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, NJW 1997, 316 = WM 1997, 232; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 167; Hopt § 89b Rn 50. 2183 Flohr BB 2007, 1866; aA zu einem Franchisevertrag OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). 2184 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. XII Rn 19. Emde

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IX. Ausgleichsausschluss nach § 89b Abs. 3 (7. Tatbestandsmerkmal) 89b Abs. 3 hat den Billigkeitsgesichtspunkt des Abs. 1 S. 1 Nr. 3 in drei TB konkretisiert, die den Ausgleich kraft Gesetzes und von vornherein nicht zur Entstehung gelangen lassen und gemeinhin als „Ausschlusstatbestände“ apostrophiert werden. In allen Fallgestaltungen wirkt deshalb die Billigkeit in die Behandlung auftauchender Einzelfragen2185 hinein, zumal die Ausschlusstatbestände schon als solche mehr oder weniger stark mit werthaltigen Rechtsbegriffen arbeiten. Die „harte“ Ausschlussregelung tritt neben die „weiche“ Billigkeitsregelung des § 89b Abs. 1.2186 Die Norm nennt als negative TB-Merkmale die auch nach der RL2187 vom Unternehmer zu beweisenden Gründe (zur Beweislast Rn 487 ff.), bei deren Eintritt der Ausgleichsanspruch ausnahmsweise nicht entsteht. Es handelt sich um – die Kündigung durch den HV, es sei denn, der HV beweist, dass ihm ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat oder dem HV eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann (§ 89b Abs. 3 Nr. 1), – die Kündigung des Unternehmers wegen schuldhaften Verhaltens des HV (§ 89b Abs. 3 Nr. 2), – die Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und HV, aufgrund der ein Dritter anstelle des HV in das Vertragsverhältnis eintritt (§ 89b Abs. 3 Nr. 3). Die Existenz eines Ausschlussgrundes allein genügt für den Wegfall der Ausgleichsberechtigung. Dazu brauchen die Ausschlussgründe brauchen nicht kumulativ sondern nur alternativ vorzuliegen. Im Falle der zum Vertragsende führenden Anfechtung werden die Ausschlussgründe des Abs. 3 analog angewandt. Das bedeutet: Der Ausschlussgrund der Nr. 1 kann nicht durch eine Anfechtung umgangen werden: Hat der anfechtende HV einen begründeten Anlass zur Anfechtung, etwa im Falle einer Anfechtung nach § 123 BGB, bleibt der Ausgleich erhalten. Der Ausgleich entfällt nach Nr. 2, wenn der HV als Anfechtungsgegner einen wichtigen Grund zur Anfechtung wegen schuldhaften Verhaltens gesetzt hat, wobei leitbildartig ebenfalls an den Fall des § 123 BGB gedacht werden kann. Immer wieder ist die Tendenz der Gerichte zu beobachten, Ausgleichsklagen unter Berufung auf die Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 abzuweisen. Damit wird eine mühevolle Beweisaufnahme über die Ausgleichsberechnung obsolet. Darauf sollte mit die Ausgleichsberechnung vereinfachenden Formeln reagiert werden, nicht mit derart schutzzweckwidriger Nothilfe (dazu unten, zur Beweislast).

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1. Rechtsnatur Die Ausschlussgründe sind besonders geregelte Fälle des Billigkeitsgrundsatzes.2188 § 89b Abs. 3 379 ist als ausgleichsausschließende Ausnahmeregelung eng auszulegen.2189 Eine Analogie ist da-

2185 Vgl. BGH DB 1976, 384; Hilgard BB 2011, 1811 (1812). 2186 Karsten Schmidt Handelsrecht, § 27 V 2 f. 2187 Emde DStR 2009, 1478 (1485); es sei denn, es ist zur Beweislast Besonderes geregelt, wie in Art. 18 lit. b RL. Diese Regelung enthält eine Beweislastregel, indem sie ausführt, der Ausgleich bestehe nicht, falls der HV das Vertragsverhältnis beendet habe, „es sei denn“, jene Beendigung sei aus Umständen, welche dem Unternehmer zuzurechnen sind oder durch Alter, Gebrechen oder Krankheit des HV gerechtfertigt. 2188 BGH, Urt. v. 7.3.1957, BGHZ 24, 30 = NJW 1957, 871; v. 5.2.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878; BGHZ 45, 385 (386); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 228; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 156. 2189 Bieder NJW 2007, 3471 (3472); Hilgard BB 2011, 1811 (1812); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 228; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 47. 405

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mit nur eingegrenzt möglich.2190 Die entsprechende Anwendung des Abs. 3 als Teil der Gesamtanalogie des § 89b auf HV-ähnliche Vertriebsmittler ist allerdings anerkannt.2191 Das gilt auch für Nr. 3.2192 Für eine analoge Anwendung des Ausschlusstatbestandes besteht oft kein Bedürfnis, weil besondere Umstände des Einzelfalls, die nicht die Voraussetzung für einen Ausschluss nach § 89b Abs. 3 erfüllen, im Rahmen der flexibleren Billigkeitsabwägung nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu berücksichtigen sind,2193 bei der alle Umstände relativierend gegenüber gestellt werden2194 Folglich können vergleichbare Fälle unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit Berücksichtigung finden, was letztlich auf dasselbe hinaus läuft. Jedoch ist auch hier der enge Ausnahmecharakter der Ausschlusstatbestände zu berücksichtigen. Liegt einer der Ausschlussgründe des Abs. 3 vor, brauchen die TB-Voraussetzungen des Abs. 1 nicht mehr festgestellt zu werden.2195 Gem. Art. 18 RL besteht der Anspruch auf Ausgleich nach Art. 17 RL in den drei dort näher beschriebenen Fällen nicht. Der EuGH hat in seinem Urt. v. 19.4.20182196 ausgeführt, dass Art. 18 RL als Ausnahme von dem Anspruch auf Ausgleich eng auszulegen ist und dass er nicht in einer Weise ausgelegt werden dürfe, die darauf hinausliefe, dass ein dort nicht ausdrücklich vorgesehener Grund für den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs hinzukommt. Damit hat der EuGH Art. 18 RL für nicht analogiefähig erachtet.2197

2. § 89b Abs. 3 Nr. 1: Ausgleichsausschluss bei Kündigung durch den HV 380 a) Allgemeines. Gem. § 89b Abs. 3 Nr. 1 entfällt der Ausgleich, wenn der HV das Vertragsverhältnis gekündigt hat (Grundsatz). Der Ausgleich entfällt nicht, falls ein Verhalten des Unternehmers zur Kündigung des HV begründeten Anlass gab oder dem HV eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann (Ausnahme). Aus diesem doppelten Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich trotz des grundsätzlichen Ausnahmecharakters des § 89b Abs. 3 – er legt eigentlich eine Beweislast des Unternehmers für den Ausgleichsausschluss nahe – die Verteilung der Beweislast. Grundsätzlich ist eine Eigenkündigung des HV ausgleichsschädlich, es sei denn, der HV beweist einen Ausnahmetatbestand.2198 Die Rspr. zu dem ähnlich klingenden § 628 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB soll nicht übertragbar sein.2199 381 Vor dem Hintergrund des Normzwecks des § 89b ist die Vorschrift wenig verständlich. Sie beschränkt die Dispositionsmöglichkeiten des HV.2200 Die Vorteile des Unternehmers aus dem vom HV aufgebauten Kundenstamm werden nicht geringer, nur weil der HV kündigt. Dem Ver-

2190 BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1021; v. 6.2.1964 – VII R 100/62, BGHZ 41, 129 (131); v. 30.6.1966 – VII ZR 124/65, BGHZ 45, 385 (387); v. 13.3.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 (14) = NJW 1969, 1023; v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (294); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 153; Hopt § 89b Rn 69. 2191 BGH, Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) = BB 2010, 335 Rn 19 m. Anm. Salomon/Wegstein BB 2010, 339 (zur Anwendung des Abs. 3 Nr. 2 auf Vertragshändler); v. 29.4.1993, BB 1993, 1312; Urt. v. 7.7.1983, BB 1984, 166; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 936; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 111. 2192 Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 936. 2193 BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022) mit zust. Anm Bieder NJW 2007, 3471, 3472; v. 13.3.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12; v. 16.2.2000 – VIII ZR 134/99, NJW 2000, 1866. 2194 Bieder NJW 2007, 3471 (3472). 2195 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 47. 2196 EuGH, Urt. v. 19.4.2018 – C-645/16, ZVertriebsR 2018, 169 = IHR 2018, 205 m. w. N. 2197 BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19, WM 2020, 2386; vgl. auch Muhl, GWR 2018, 307. 2198 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 48. 2199 BGH, Urt. v. 7.3.2019 – IX ZR 221/18, VersR 2019, 1297 Rn 18. 2200 Saenger DB 2000, 129. Emde

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gütungsgedanken des Ausgleichs entspricht Abs. 3 Nr. 1 folglich nicht.2201 Hieran ändert auch nichts, dass der HV die Folgen einer Kündigung ohne Anlass tragen muss.2202 Denn seine (nachvertraglichen) Provisionen oder andere vertraglichen Rechte entfallen in Folge einer Kündigung auch nicht. Allenfalls lässt sich Abs. 3 Nr. 1 der „Kündigungsschutzgedanke“ des Ausgleichsrechts entnehmen: Falls der HV selbst kündigt, bedarf er keines derartigen Schutzes, es sei denn, er hat gute Gründe für die Kündigung. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG ist die Verfassungsmäßigkeit der Norm in Frage gestellt worden. Mit Beschl. v. 22.8.19952203 hat das BVerfG entschieden, die Bestimmung verstoße nicht gegen die Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 GG. Der Ausgleichsanspruch sei kein reiner Vergütungsanspruch, sondern werde durch Billigkeitsgesichtspunkte bestimmt. Auch den als schutzwürdig erkannten Interessen des Unternehmers an einer Fortsetzung der Zusammenarbeit dürfe der Gesetzgeber Bedeutung beimessen. Diskutiert wird auch, ob die Gedanken des BVerfG2204 zu § 90a (s. Kommentierung zu § 90a) entsprechend gelten. Dagegen könnte der erhebliche Verdienstmöglichkeiten des HV beschneidende Eingriff durch ein Wettbewerbsverbot im Verhältnis zum bloßen Verlust des Ausgleichs sprechen.2205

b) Europarechtliche Präformation. Art. 18 lit. b. RL spricht von „Umständen, die dem Unter- 382 nehmer“ zuzurechnen sind, § 89b Abs. 3 Nr. 1 von einem „Verhalten des Unternehmers“, welches „begründeten Anlass“ zur Kündigung gegeben hat. Ein Verhalten des Unternehmers, welches nach dem HGB allein die ausgleichserhaltende Kündigung rechtfertigt, erfasst weniger Fälle, als die von der RL vorgesehenen „Umstände, die dem Unternehmer zuzurechnen sind“.2206 Das deutsche Recht lässt die ausgleichserhaltende Kündigung lediglich zu, wenn ein aktives Verhalten des Unternehmers begründeten Anlass gab. Art. 18 RL erlaubt es, dass der Ausgleich auch bestehen bleibt, falls irgendwelche nicht verhaltensbezogenen Umstände dem Risikobereich des Unternehmers zuzurechnen sind. Der HV-freundlichsten Auslegung (siehe Kommentierung zu Vor § 84) entspricht es mglw., alle Umstände aus dem Gefahrenbereich des Unternehmers zur ausgleichserhaltenden Kündigung genügen zu lassen, wobei dieser TB weit auszulegen ist.2207 Möglicherweise würde aber der EuGH die Grundsätze der Billigkeit einschränkend heranziehen. Auch eine konditionale Verknüpfung zwischen Kündigung und begründetem Anlass, wie sie Abs. 3 Nr. 1 zu fördern scheint, enthält die deutsche Fassung der RL nicht. Die RL ist also zumindest vom Wortlaut beim Anlass der ausgleichserhaltenden Kündigung großzügiger. Auch hier spricht einiges für einen Umsetzungsfehler.

c) Kündigung des HV. Eine Kündigung des HV ist jede auf die Vertragsbeendigung zielende 383 Willenserklärung, gleich ob eine ordentliche oder außerordentliche.2208 Da der begründete Anlass weniger als ein wichtiger Kündigungsgrund ist, braucht die Kündigung nicht als fristlose ausgesprochen zu werden: dem HV kann gleichwohl ein begründeter Anlass zur Kündigung wegen eines Verhaltens des Unternehmers zur Seite stehen. Kündigt der HV jedoch fristlos, muss ein wichtiger Grund bestehen und er ggf. zuvor abmahnen.2209 Ohne Erfüllung dieser TB-

2201 Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 83 f. 2202 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 48. 2203 I BvR 1624/92, NJW 1996, 381; ebenso OLG Frankfurt/M. v. 8.12.1979, HVR Nr. 428; Retzer BB 1993, 668, 963; Hopt § 89b Rn 1. 2204 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, NJW 1990, 1469. 2205 Eberstein 9. Aufl. S 149. 2206 AA wohl Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1556). 2207 Emde DStR 2009, 1478 (1483). 2208 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 49; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 125. 2209 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 54a. 407

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Voraussetzungen wird die unwirksame außerordentliche als eine ordentliche Kündigung aufrechterhalten (s. Kommentierung zu § 89a). Der Ausgleich entfällt nicht, sofern der HV unberechtigt aus wichtigem Grund außerordentlich kündigt, jedoch tatsächlich ein begründeter Anlass zur Kündigung i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 vorlag.2210 Allerdings stellt die unberechtigte fristlose Kündigung eine Vertragsverletzung des HV da, auf die der Unternehmer seinerseits mit einer gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 ausgleichsvernichtenden außerordentlichen Kündigung antworten darf.2211 Dies wird dem Unternehmer als Gestaltungshinweis geraten. War die außerordentliche Kündigung des HV berechtigt, hat die Kündigung des Unternehmers keine Folgen. Blieb die Kündigung des HV jedoch unberechtigt, so ist die des Unternehmers berechtigt: der HV verliert gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 den Ausgleich. Das gilt selbst dann, wenn die Kündigung des HV den Begriff des begründeten Anlasses ausfüllte. Der Nachteil für den Unternehmer liegt darin begründet, dass er den HV nach einer der unberechtigten außerordentlichen Kündigung des HV folgenden Unternehmerkündigung nicht mehr auf Erfüllung in Anspruch nehmen kann. Dafür gewinnt er jedoch den korrespondierenden Schadenersatzanspruch. Nicht ganz konsequent hat der BGH2212 (wegen Umdeutung in ordentliche Kündigung und weil dem Ausnahme-TB ein weiterer Ausnahme-TB hinzugefügt wird2213) ausgeführt, der Unternehmer dürfe sich nicht darauf berufen, er habe ausgleichsvernichtend kündigen dürfen, es tatsächlich jedoch unterlassen.2214 Der BGH meinte, nach dem Wortlaut des § 89b Abs. 3 Nr. 2 werde der Ausgleichsanspruch nur ausgeschlossen, falls der Unternehmer tatsächlich kündige. Die Möglichkeit einer Kündigung reiche nicht (aber der Sachverhalt wird im Rahmen der Billigkeit zu würdigen sein). Man kann sich deshalb fragen, ob der HV nicht, falls er aus begründetem Anlass außerordentlich kündigte, beweisen muss, dass gerade für eine außerordentliche Kündigung ein begründeter Anlass vorlag. Er fehlt, wenn eine Abmahnung erforderlich war und nicht erfolgte. In der außerordentlichen Kündigung des HV ohne Kündigungsgrund liegt eine Vertragsverletzung, welche nach Tätigkeitseinstellung des HV zum Schadenersatz in Höhe des dem Unternehmer aus dem Durchschnitt der vergangenen Monate vermittelten Umsatz liegt. Mit diesem Gegenanspruch darf er gegen den Ausgleichsanspruch aufrechnen. Der Eintritt einer GmbH in eine HV-oHG unter Austritt der übrigen Gesellschafter (Anwachsung auf die GmbH nach § 738 BGB) stellt keine Eigenkündigung dar.2215

384 d) Begründeter Anlass. Die Eigenkündigung ist gem. § 89b Abs. 3 Nr. 1 nicht ausgleichsschädlich, sofern ein Verhalten des Unternehmers zu ihr begründeten Anlass gab. Es handelt sich um eine Ausprägung des Billigkeitsgrundsatzes.2216 Ein Anlass ist weniger als eine bloße Ursächlichkeit.2217 Ein begründeter Anlass liegt zumindest vor, sofern ein wichtiger Grund zur Kündigung (dazu Kommentierung zu § 89a) wegen eines Verhaltens des Unternehmers (dazu unten) existierte,2218 jedoch auch dann, falls kein wichtiger Grund sondern ein begründeter Anlass als

2210 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – I ZR 50/82, BGHZ 91, 321 (323) = NJW 1984, 2529. 2211 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – I ZR 50/82, BGHZ 91, 321 (323) = NJW 1984, 2529; v. 21.2.2006 – VIII ZR 61/04, HVR Nr. 1139; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 54a; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 162a.

2212 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – I ZR 50/82, BGHZ 91, 321 (323) = NJW 1984, 2529. 2213 Thume in: Röhricht/Graf v. Westphalen3 § 89b Rn 130. 2214 Zustimmend Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 54a; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; Hopt § 89b Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 162a; Thume in: Röhricht/Graf v. Westphalen3 § 89b Rn 130.

2215 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.5.2011 – 5 U 189/10, BeckRS 2011, 16755 m. Anm. Henne GWR 2011, 319814 sowie Hilgard BB 2011, 1811.

2216 OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 51. 2217 Hopt § 89b Rn 56; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 162a. 2218 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233; Hopt § 89b Rn 58. Emde

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„Minus“ vorlag.2219 Spiegelbildlich bedeutet dies: wenn der HV einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 geltend machen kann, besitzt er nicht notwendigerweise auch einen mit einer höheren Schwelle versehenen „wichtigen Grund“ zur außerordentlichen Kündigung nach § 89a2220 – so dass die Kündigung auch nicht als außerordentliche erklärt zu werden braucht. Auch Tatsachen, die als wichtige Kündigungsgründe bereits verwirkt sind, können in einer Gesamtschau einen begründeten Anlass setzen.2221 Der HV darf einzelne Kündigungsgründe hinnehmen. Wenn sie insgesamt nicht mehr akzeptabel sind, besitzt er infolge des Zeitablaufs zwischen Tatsacheneintritt und Kündigungserklärung mglw. keinen wichtigen Kündigungsgrund mehr, jedoch zumindest einen begründeten Anlass zur Kündigung.2222 Nach dem HGB (nicht aber nach der RL, Rn 382) ist jedoch immer erforderlich, dass der 385 begründete Anlass in einem Verhalten des Unternehmers seinen Ursprung findet. Entscheidend ist eine solche „Begründetheit“ des durch das Verhalten des Unternehmers gegebenen Anlasses zur Kündigung, dass dem HV bei der Abwägung, ob er sein Vertragsverhältnis lösen oder aber es durchhalten solle, das letztere als das weniger zumutbare erscheinen darf. Die bisher h. M. nahm einen begründeten Anlass zur Kündigung an, falls der HV durch ein Verhalten des Unternehmers in eine für ihn nach Treu und Glauben nicht haltbare Lage kommt.2223 Das könnte angesichts der o. g. Formulierung der RL zuviel gefordert sein. Es muss sich bei dem begründeten Anlass insb. nicht um eine schwere Existenzgefährdung2224 handeln, wenn nur dem HV nicht zuzumuten ist, das Vertragsverhältnis über die normale Kündigungsfrist hinaus fortzusetzen.

2219 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 34; v. 21.2.2006 – VIII ZR 61/04, EBE 2006, 122 = HVR Nr. 1139; v. 13.3.1969 – VII ZR 174/66, BGHZ 52, 5 (7, 8) = NJW 1969, 1021; v. 29.5.1967 – VII ZR 297/64, NJW 1967, 2153; v. 4.4.1960 – II ZR 177/58, VersR 1960, 462; OGH Wien (Österreich), Beschl. v. 21.8.2013 – 3 Ob 114/13f, BeckRS 2014, 80289 = ZVertriebsR 2014, 65; OLG München, Urt. v. 2.2.2017 – 23 U 2749/16, MDR 2017, 467 = EWiR 2017, 337 (Valdini); OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; v. 25.2.2000, OLGR 2000, 406; OLG Nürnberg, Urt. v. 11.4.1991 – 12 U 2405/86, HVR Nr. 752; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 51; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 49; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 84; Hopt § 89b Rn 57; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 127; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 163; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 26. 2220 BGH, Beschl. v. 21.2.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905. 2221 OLG Stuttgart, Urt. v. 7.5.1985 – 10 U 135/74, HVR Nr. 609. 2222 Noch großzügiger Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 53; vgl. BGH, Urt. v. 16.2.1989 – I ZR 185/87, NJW-RR 1989, 862. 2223 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 34; NJW 1987, 778; 1996, 848; BGH NJW 1967, 2153; BGHZ 40, 15; OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705; OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602; Beschl. v. 20.3.2014 – 19 W 5/14, IHR 2015, 113 = BeckRS 2014, 10938; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 93/06, BeckRS 2007, 00089; Hopt § 89b Rn 57; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 49; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 163; aA. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 51 unter Berufung auf OLG Düsseldorf OLGR 2000, 406 (408 f.): es genügt bei objektiver Würdigung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, dass die dem Unternehmer anzulastenden Gegebenheiten die einseitige Beendigung des auf unbestimmte Zeit geschlossenen HV-Vertrags durch den HV gerechtfertigt erscheinen lassen, wozu es ausreicht, dass aus der Sicht eines normalen HV bei gerechter und billiger Abwägung der Gegebenheiten die Gründe für eine Vertragsbeendigung überwiegen und dem Unternehmer danach eine sofortige außerordentliche oder fristgerechte ordentliche Beendigung des Vertrags eher zuzumuten ist, als dem HV eine Fortsetzung des Vertrags. 2224 BGH WM 1987, 292; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 163. 409

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Nicht anders als bei der Bestimmung des wichtigen Grundes sind die Gefahrensphären sowie das Verhalten beider Parteien zu berücksichtigen,2225 auch des HV,2226 ggf. im Wege der Billigkeit,2227 z. B. wenn sich der HV erst nach Jahren auf das Kündigungsrecht beruft.2228 Da es sich um eine Tatsachenfrage handelt, ist die Frage, ob ein begründeter Anlass vorlag, in der Revisionsinstanz nur darauf überprüfbar, ob das Berufungsgericht den rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend bestimmt hat und keine wesentlichen Tatumstände außer Acht gelassen hat.2229 Der Begriff des begründeten Anlasses – und des schuldhaften Verhaltens (dazu Rn 387 ff.) – soll zum Schutz des HV und wegen des Charakters als Ausnahme-TB weit ausgelegt werden.2230 Dies ist nicht auf den ersten Blick verständlich, weil es sich – wie die Worte „es sei denn“ zeigen – um eine Ausnahme von der Ausnahme handelt, die ihrerseits eng auszulegen sein müsste. Dass bereits das Entfallen des Ausgleichsanspruchs die Ausnahme sein soll und der Wegfall häufig als ungerecht empfunden wird – wie die Auseinandersetzung um seine Verfassungsmäßigkeit dokumentiert – mag die dogmatisch umstrittene weite Auslegung rechtfertigen,2231 zumal die Ausnahme der Ausnahme wieder als Regelfall eingeordnet werden könnte. Die Auslegung allerdings mit dem Grundsatz der Billigkeit zu begründen2232 erscheint zweifelhaft.

387 aa) Wegen eines Verhalten des Unternehmers. Die ausgleichserhaltende Kündigung muss nach dem HGB wegen eines Verhaltens des Unternehmers erklärt worden sein. Das Erfordernis eines Unternehmerverhaltens soll zum Ausdruck bringen, dass keine Umstände, die außerhalb des Einflussbereiches des Unternehmers liegen, wie etwa höhere Gewalt, den HV zu einer ausgleichswahrenden Kündigung berechtigen. Dem Unternehmer sind alle in seiner Sphäre liegenden Umstände, auch das Verhalten von Mitarbeitern oder Erfüllungsgehilfen2233 (persönliches Verhalten also nicht erforderlich), zuzurechnen. Das „Verhalten“ des Unternehmers ist ebenso wie das Merkmal des begründeten Anlasses weit auszulegen2234 und kann in einem Tun oder einem Unterlassen bestehen.2235 Wie oben dargelegt, fordert Art. 18 lit. b RL lediglich, dass die Vertragsbeendigung aus Umständen gerechtfertigt ist, welche dem Unternehmer zuzurechnen sind und deretwegen dem HV eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann. Der vom EuGH2236 geforderten HV-freundlichsten Auslegung der RL entspricht es, alle Umstände aus dem Gefahrenbereich des Unternehmers genügen zu lassen.2237 Die Beto-

2225 BGH, Urt. v. 4.4.1960 – II ZR 177/58 VersR 1960, 462; v. 22.9.1960, BB 1960, 1179; OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 164.

2226 BGH BB 1989, 1076 = NJW-RR 1989, 862 = DB 1989, 1327; OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 164.

2227 Hopt § 89b Rn 57. 2228 BGH BB 1989, 1076; Hopt § 89b Rn 57. 2229 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 34; v. 26.1.1984 – I ZR 188/81, BB 1984, 1893.

2230 BGH, Urt. v. 13.3.1969 – VII ZR 174/66, BGHZ 52, 5 = BB 1969, 610 = NJW 1969, 1021; v. 28.11.1975 – I ZR 138/ 74, NJW 1976, 671; OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602; Beschl. v. 20.3.2014 – 19 W 5/14, IHR 2015, 113 = BeckRS 2014, 10938; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 28; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 80, 84; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 51; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 26; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 26. 2231 Vgl. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 28. 2232 BGH, Urt. v. 28.11.1975, BB 1976, 332 = DB 1976, 384. 2233 OLG Düsseldorf NJW 1964, 1963; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 51. 2234 BGHZ 52, 5 (8); BGH, Urt. v. 28.11.1975 – I ZR 138/74, NJW 1976, 671; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 51; Hopt § 89b Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 163. 2235 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 163; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 26. 2236 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – Rs. C-348/07, DStR 2009, 759 = EWiR 2009, 239 (Emde). 2237 Emde DStR 2009, 1478 (1483). Emde

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nung liegt mithin nicht auf einem Verhalten des Unternehmers, sondern auf Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind.2238 Angesichts der Natur als Billigkeitsgrundsatz genügt sogar ein rechtmäßiges,2239 unverschuldetes2240 bzw. vertragsgemäßes Verhalten2241 des Unternehmers, etwa die Einstellung bestimmter Produktlinien durch ihn. Objektiv vertragswidrig braucht sein Verhalten damit nicht zu sein;2242 es kann sich in den Grenzen einer nicht verbotenen Rechtswahrnehmung bewegen2243: Nur muss dann das Verbleiben im Vertrag für den HV unzumutbar sein. IdR ist es jedoch nicht ausreichend, wenn sich der Unternehmer lediglich vertragskonform verhalten hat und ihm die Situation des HV nicht zuzurechnen ist.2244 § 89b Abs. 3 Nr. 1 dient nicht dazu, das unternehmerische Risiko des HV auf den Unternehmer zu verlagern.2245 Eine Zurechnung des Verhaltens auf Gesellschafterebene als Verhalten der als Prinzipal tätigen Gesellschaft ist wohl im Regelfall nicht möglich, sofern nicht die Grundsätze des gesellschaftsrechtlichen Durchgriffs, insb. § 242 BGB oder wirtschaftlich-faktische Identität, eingreifen.2246 Trotz der Formulierung „Anlass gegeben hat“ ist nicht zu fordern, dass das Verhalten des Unternehmers kausal für die Kündigung des HV gewesen sein muss. Es genügt, wenn objektiv ein Verhalten des Unternehmers vorgelegen hat, aus dem der HV einen begründeten Anlass für seine Kündigung hätte herleiten können,2247 selbst wenn der HV unwirksam außerordentlich wegen Nichtbestehens eines wichtigen Grundes gekündigt hat (s. o.). Die wirklichen Motive der Kündigung sind daher unerheblich. Gegen ein solches Verständnis spricht zwar der Wortlaut der Norm, für die Ansicht jedoch der Vergleich mit der früheren Rspr. zu § 89b Abs. 3 Nr. 2, die ebenfalls keine Kausalität für die Kündigung des Unternehmers forderte. Die gegenteilige Ausfassung zu § 89b Abs. 3 Nr. 2 lässt sich nicht übertragen. Denn Art. 18 lit. b RL fordert keine Kausalität zwischen Kündigungsanlass und Kündigung, sondern nur das objektive Vorliegen jenes Anlasses. Zu weit geht es aber, es genügen zu lassen, dass der begründete Anlass erst während der Kündigungsfrist eintrat.2248 Vielmehr muss der begründete Anlass (objektiv) zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorliegen. Etwas anderes ist nur im Fall der Eigenkündigung wegen Alters und Krankheit zu vertreten, bei der es dem HV möglich sein muss, auf den Zeitpunkt der vermutlichen Tätigkeitsunfähigkeit zu kündigen. Da der HV Treu- und Rücksichtnahmepflichten unterliegt, hat er das mildeste Mittel zu wählen. Er darf nicht sogleich aus begründetem Anlass kündigen, sollte es mildere Mittel geben. Ggf. muss er zunächst versuchen, einen Konflikt durch eine Abmahnung zu beseitigen.2249 2238 Emde DStR 2009, 1478 (1483). 2239 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 34; OLG München, Urt. v. 2.2.2017 – 23 U 2749/16, MDR 2017, 467 = EWiR 2017, 337 (Valdini); Behrend NJW 2003, 1563 (1565); Hopt § 89b Rn 57. 2240 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 34; v. 21.2.2006 – VIII ZR 61/04, HVR Nr. 1139; v. 13.3.1969 – VII ZR 174/66, BGHZ 52, 5 (7) = NJW 1969, 1021; v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, ZIP 1996, 330 (331); OGH Wien (Österreich), Beschl. v. 21.8.2013 – 3 Ob 114/13f, BeckRS 2014, 80289 = ZVertriebsR 2014, 65; OLG Bremen, Urt. v. 10.2.1966 – 2 U 43/65, HVR Nr. 355; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 406; Behrend NJW 2003, 1563 (1565); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 51; Hopt § 89b Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 163; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 127. 2241 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 51; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 163; Thume in: Röhricht/Graf v. Westphalen3 § 89b Rn 127; aA OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 92/06, OLGR 2007, 250 = DB 2007, 517. 2242 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 26. 2243 OLG Bamberg NJW 1958, 1830. 2244 OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 93/06, BeckRS 2007, 00089. 2245 OLG München, Urt. v. 2.2.2017 – 23 U 2749/16, MDR 2017, 467 = EWiR 2017, 337 (Valdini). 2246 Diese Frage hätte sich im Fall BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19 gestellt, wenn der BGH hier kein Analogieverbot angenommen hätte. 2247 BGHZ 40, 13 (16); BGH VersR 1984, 1091 (1092); OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705; Hopt § 89b Rn 56. 2248 So Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 44; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 52. 2249 Behrend NJW 2003, 1563 (1565); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 54a. 411

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388 bb) Beispiele. Die Beurteilung der Zumutbarkeitsgrenze kann von HV zu HV, selbst bei äußerlicher Gleichheit des der Kündigung zugrunde gelegten Anlasses, verschieden ausfallen; es wird stets auf die Würdigung der Umstände des einzelnen Falles ankommen.2250 Einen begründeten Anlass bilden folgende Fälle: 389 – Abtrennung vom EDV-System: Die vorübergehende Trennung des HV vom Online-Informationssystem des Unternehmers ist grds. geeignet, einen berechtigten Anlass zur Eigenkündigung zu begründen. Dies gilt aber nicht, wenn der HV vorher in eklatanter Weise gegen das Wettbewerbsverbot verstößt, etwa indem er eine Informationsveranstaltung durchführt, zu der er andere Mitarbeiter des Unternehmers einlädt, mit dem Ziel eines möglichen Wechsels zum Wettbewerber.2251 – Außervertragliches Verhalten: Auch außervertragliches Auftreten des Unternehmers kann einen begründeten Anlass geben, falls es das Vertrauensverhältnis zerstört. Dieses ist beispielsweise angenommen worden, wenn der Vorstand einer AG mit der Ehefrau eines HV ein ehebrecherisches Verhältnis führte.2252 – Behinderung der Tätigkeit des HV: Die Behinderung durch eine nachteilige Beeinflussung der wirtschaftlichen Grundlage oder sonstige missbräuchliche Behinderungen können einen begründeten Anlass geben.2253 – Betriebskostenzuschuss: Widerruf eines vereinbarten Betriebskostenzuschusses durch das Mineralölunternehmen.2254 – Betriebsstilllegung des Unternehmers.2255 – Bezirksverkleinerung, selbst dann, wenn der Unternehmer zur Verkleinerung des Bezirks vertraglich berechtigt war.2256 In Ausnahmefällen kann allerdings eine sachlich gerechtfertigte Verkleinerung des Bezirks das ausgleichserhaltende Kündigungsrecht ausschließen.2257 – Betriebsumstellung des Unternehmers: U. U. Ja.2258 – Unberechtigter Direktvertrieb durch den Unternehmer.2259 – Wesentliche Einschränkung der Unabhängigkeit des HV,2260 etwa durch Forderung nach wöchentlicher Berichterstattung,2261 ggf. schon deren Ankündigung.2262 – Freistellung: Eine Freistellung des gekündigten HV ohne vertragliche Abrede ist grds. unzulässig und rechtfertigt eine ausgleichserhaltende Kündigung nach § 89b Abs. 3 Nr. 1,2263

2250 2251 2252 2253 2254 2255 2256

BGH VersR 1960, 462. OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705. OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.11.1963, BB 1964, 1120. OLG Köln, Beschl. v. 20.3.2014 – 19 W 5/14, IHR 2015, 113 = BeckRS 2014, 10938. LG Berlin – 91 O 64/10; best. durch Beschl. d. KG Berlin. Hopt § 89b Rn 57. OLG Bamberg, Urt. v. 30.5.1958, NJW 1958, 1830; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.1955, HVR Nr. 77; Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 942; Hopt § 89b Rn 58. 2257 OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.1955, HVR Nr. 77. 2258 OGH Wien (Österreich), Beschl. v. 21.8.2013 – 3 Ob 114/13f, BeckRS 2014, 80289 = ZVertriebsR 2014, 65. 2259 BGH, Urt. v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678 = HVR Nr. 731 (Vertragshändler); OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.2001 – 16 U 84/00, HVR Nr. 950; OLG Bremen, Urt. v. 10.2.1966 – 2 U 43/65, NJW 1967, 254 – Preisunterbietung durch den Unternehmer; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 164; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau/Wauschkuhn, Rn 942. 2260 Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; Hopt § 89b Rn 58; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2261 BGH, Urt. v. 24.9.1987, NJW-RR 1988, 287; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 165; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2262 Hopt § 89b Rn 58. 2263 OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602. Emde

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ebenso eine ohne finanzielle Entschädigung erfolgte Freistellung.2264 Denn die Freistellung kann zu einer Reduzierung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b führen.2265 Insolvenzverwalter: Die Kündigung des Insolvenzverwalters in der Insolvenz des HV, wenn weder der Insolvenzverwalter noch der Schuldner den Vertrag erfüllen können.2266 Irrtum über den begründeten Anlass: Fraglich ist, ob ein begründeter Anlass auch dann vorliegt, wenn der HV aus einer Maßnahme des Unternehmers falsche Rückschlüsse ziehen musste.2267 Das Vorliegen eines begründeten Anlasses ist aus der Sicht eines verständigen Beobachters in der Lage des Mittlers zu beurteilen.2268 Es ist zu fragen, ob die Voraussetzungen, von denen der HV ausging, einen begründeten Anlass gegeben hätten, sofern sie tatsächlich vorgelegen hätten. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob auch ein vernünftiger, gerecht und billig denkender Beobachter in der Lage des HV diese Situation in der gleichen Weise eingeschätzt hätte, der Irrtum also unvermeidlich gewesen ist. Nach Ansicht von Saenger2269 spricht hierfür der Beweis des ersten Anscheins, falls sich der HV vor der Kündigung zum Zwecke einer einvernehmlichen Lösung an den Unternehmer gewandt habe. Dann treffe den Unternehmer die Beweislast dafür, dass er dem HV alle zur objektiven Beurteilung der Situation erforderlichen Kenntnisse übermittelt habe. In Fällen, in welchen nachweislich beide Parteien Anlass zur Eigenkündigung gesetzt hätten, vermöge die Ausschlussregel bereits von ihrem Schutzzweck her keine Anwendung zu finden.2270 Kleinere Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten: angeblich Ja.2271 Das dürfte jedoch zu weit gehen, weil sich solche Auseinandersetzungen möglicherweise sogar provozieren lassen.2272 Kündigung, grundlose außerordentliche Kündigung des Unternehmers.2273 Nach Ansicht von Ströbl/Faatz2274 soll Abweichendes gelten, falls der Unternehmer auf Grund der Änderung einer freistellenden GVO zur Kündigung gezwungen war. Kündigung des Hauptvertretervertrages: Dem Untervertreter gibt die Kündigung des Hauptvertretervertrages gegenüber seinem Unternehmer (= HV des Hauptvertreterverhältnisses) einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung, sofern der HV dem Untervertreter keine Fortsetzung des Vertrages zu annehmbaren Bedingungen anbieten kann.2275 Das „Verhalten“ des Unternehmers liegt hier in einem Unterlassen. Mangelhafte Ausführung von Bestellungen und damit eintretende Provisionsminderungen2276 (siehe auch „Schlechtlieferungen).

2264 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 35.

2265 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 35. Im Ergebnis – aber mit anderem Ansatz – Ströbl EWiR 2010, 159 (160). Dafür Hopt § 89b Rn 57; hierzu: Saenger DB 2000, 129. Saenger DB 2000, 129. Saenger DB 2000, 129. Saenger DB 2000, 129. LG Koblenz, Urt. v. 16.2.1993 – 4 HKO 22/91, EWiR § 89b 1/93, 467 (Hartel). Dem LG Koblenz ging es darum, seiner zuvor in einem Vorlagebeschluss an das BVerfG (LG Koblenz, Beschl. v. 10.9.1991, BB 1991, 2032 = DB 1991, 2032) geäußerten Ansicht, in jedem Fall der Eigenkündigung des HV sei ein Ausgleichsanspruch durchzusetzen, nahe zu kommen. Seinen eigenen Beschluss hat das LG Koblenz dann mit weiterem Beschl. v. 4.8.1992 (DB 1992, 2182) aufgehoben und im späteren, abschließenden Urteil zu dieser Angelegenheit eine verfassungskonforme Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 vorgenommen. 2273 BGH, Urt. v. 1.12.1993, BB 1994, 833, v. 27.5.1974, WM 1974, 867; v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; Hopt § 89b Rn 58; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165. 2274 WRP 2006, 1199 (1204), zweifelhaft. 2275 BGH, Urt. v. 13.3.1969, BGHZ 52, 5 = BB 1969, 510; Urt. v. 23.5.1984, BB 1985, 226. 2276 OLG Celle, Urt. v. 29.11.1961, DB 1962, 94; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 64.

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Nachträgliches Entstehen einer Konkurrenzsituation.2277 Vertritt der HV zwei Unternehmen, die sich zunächst nicht als Wettbewerber gegenüber standen und erweitert eines dieser Unternehmen sein Sortiment in das Gebiet des anderen Unternehmens hinein, so entsteht nachträglich eine Wettbewerbssituation. Der HV muss diese Wettbewerbssituation auflösen, indem er einem der Unternehmen kündigt, weil er sonst gegen das vertragsimmanente Wettbewerbsverbot verstieße. Wem der HV kündigt, obliegt ihm. Gegenüber dem sein Sortiment erweiternden Unternehmen kann sich der HV auf einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung berufen.2278 Dabei spielt es keine Rolle, ob die Erweiterung des Sortiments durch den gekündigten Unternehmer rechtmäßig war. Preisunterbietung durch den Unternehmer2279. die Produktionseinschränkung durch den Unternehmer2280. Provisionsherabsetzung, insb., wenn die Existenz des HV gefährdet wird2281 und selbst wenn der Unternehmer wegen der wirtschaftlichen Lage zu ihr gezwungen war,2282 es sei denn, der HV war unter Treupflichtgesichtspunkten gehalten, die Herabsetzung zu akzeptieren – was nur selten der Fall sein wird. Die einseitige Provisionsreduzierung ist unwirksam. Sie bildet eine Rechtsanmaßung des Unternehmers, welche ebenfalls einen begründeten Anlass setzt. Provisionszahlungen, schleppende.2283 Provisionszahlungen, Vorenthalten der Provision,2284 wenn es nach weiterer Sachaufklärung keine Gründe für das Vorenthalten gibt2285 und insb. falls der HV deshalb klagen müsste.2286 Sortimentserweiterung des Unternehmers: Aus ihr herrührende Interessenkollission des HV, weil er gegenüber einem anderen Unternehmer das Wettbewerbsverbot verletzen würde.2287 Schlechtlieferungen des Unternehmers, besonders wenn sie sich häufen und dadurch das Festhalten der Kunden an der Geschäftsverbindung gefährden.2288 Eine einzelne Schlechtlieferung ist nicht ausreichend.2289 Der BGH hat eine Schlechtlieferungsquote von 16 % in einem Verkaufszeitraum und 44 % in einem weiteren als begründeten Anlass angesehen.2290

2277 BGH, Urt. v. 6.11.1986 – I ZR 51/85, NJW 1987, 778 = BB 1987, 221 = DB 1987, 531; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 54; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; Hopt § 89b Rn 58; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2278 BGH, Urt. v. 6.11.1986 – I ZR 51/85, NJW 1987, 778 = BB 1987, 221 = DB 1987, 531. 2279 OLG Bremen, Urt. v. 10.2.1966 – 2 U 43/65, BB 1967, 430 = NJW 1967, 254 = HVR Nr. 355. 2280 BGH, Urt. v. 29.5.1967 – VII ZR 297/64, NJW 1967, 2153; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233; Hopt § 89b Rn 57 f.; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2281 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233. 2282 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 84 ff.; aA OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.10.1992 – 8 U 20/92, n. v.; das BVerfG, Beschl. v. 22.8.1995 – 1 BvR 1624/92, NJW 1996, 381 hat den Fall nicht zur Entscheidung angenommen. 2283 OLG Nürnberg RVR 1970, 19; LG Kaiserlautern, Urt. v. 14.11.1955 – HO 5/55, HVR Nr. 81; Küstner/Thume/ Thume II9 Kap. XI Rn 68; Hopt § 89b Rn 58; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2284 BGH, Urt. v. 16.2.1989, BB 1989, 1076 = NJW-RR 1989, 862; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 68; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165. 2285 BGH, Urt. v. 16.2.1989, BB 1989, 1076 = NJW-RR 1989, 862; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 68. 2286 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 2287 BGH BB 1987, 221; 1960, 1179; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233. 2288 OLG Celle DB 1962, 94. 2289 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 66. 2290 BGH, Urt. v. 6.2.1986 – I ZR 92/84, WM 1986, 622. Emde

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Teilkündigung: die einseitig durch „Teilkündigung“ verfügte Verkleinerung des Bezirks,2291 die „Wegnahme“ bedeutender Teile des Produktprogramms oder der Erwerbschanchen oder die Herabsetzung des Provisionssatzes bilden einen begründeten Anlass,2292 möglw. selbst dann, wenn derartige Maßnahmen als einseitige dem Unternehmer nach dem Vertrag gestattet waren. Überspannte Berichtsforderungen, etwa die Forderung nach täglichen oder meist auch wöchentlichen Berichten.2293 Umsatzsteigerung: Ultimatives Verlangen einer auch bei größter Anstrengung nicht hereinzuholenden Umsatzsteigerung.2294 Ungerechtfertigte Vorwürfe des Unternehmers.2295 Untervertreter: Siehe auch Rn 442. In einem mehrstufigen Vertriebssystem kann der begründete Anlass nicht nur im Verhalten des Hauptvertreters, sondern auch im Verhalten des „Hauptunternehmers“ (Herstellers) zu finden sein.2296 Unterlässt es der Hauptvertreter, nach Kündigung des Hauptvertrages dem Untervertreter eine Vertragsfortsetzung zu angemessenen Konditionen anzubieten, so liegt ein begründeter Anlass zur Kündigung durch den Untervertreter vor.2297 Dies gilt angeblich auch, falls Motiv der Kündigung war, den Untervertreter unmittelbar für den Hersteller tätig werden zu lassen. Der Ausgleichsanspruch mag dann aber unter Billigkeitsgesichtspunkten gekürzt werden.2298 Verkauf des Unternehmens des Prinzipals;2299 je nach den Umständen. Die unberechtigte Verkleinerung des Vertragsgebietes,2300 Erhebliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmers.2301 Verweis von Kunden und Mitarbeitern an andere Ansprechpartner durch den Unternehmer.2302 Vertragsverstöße2303 wie z. B. ständige Nachlässigkeiten in der Provisionsabwicklung oder unbegründete fristlose Kündigung.2304 Verspätete Lieferungen durch den Unternehmer: Sie sind mglw. sogar ausgleichserhöhend.2305

2291 OLG Bamberg, Urt. v. 30.5.1958 – 3 U 26/58, NJW 1958, 1830 m. abl. Anm. Thiede NJW 1959, 1444. Heute würde in Fällen wie dem des OLG Bamberg die Zulässigkeit einer Teilkündigung abgelehnt. 2292 BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, BB 2000, 59 m. Anm. Emde. 2293 BGH, Urt. v. 24.9.1987, NJW-RR 1988, 287; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 56 ff.; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2294 OLG Nürnberg BB 1964, 866; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165. 2295 OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.10.1972 – 8 U 45/72, HVR Nr. 472. 2296 BGH, Urt. v. 13.3.1969, BB 1969, 510; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 234; Hopt § 89b Rn 59; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 166; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 943. 2297 BGH, Urt. v. 23.5.1984, BB 1985, 226 = VersR 1984, 1091; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 234; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 943; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 51; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 166. 2298 Hopt § 89b Rn 59; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 234; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 943. 2299 OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, BeckRS 2011, 04747. 2300 OLG Düsseldorf HVR Nr. 77; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233. 2301 BGH NJW 1967, 2153; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233. 2302 OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705. 2303 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165. 2304 BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248. 2305 Eckhoff BB 2009, 1609 (1610). 415

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Verweigerung des Anspruchs aus § 85 auf Aufnahme des Inhalts des HV-Vertrages in eine vom Unternehmer zu unterzeichnende Urkunde trotz mehrfacher Aufforderung.2306 Die Urkunde muss sämtliche vertragliche Absprachen enthalten, einschließlich ihrer Anlagen.2307 Einem solchen Kündigungsrecht kann allerdings entgegenstehen, dass der HV bereits mehrere Jahre für den Unternehmer tätig war, ohne in dem Fehlen einer Vertragsurkunde einen Anlass zur Kündigung zu sehen. – Vollmacht: Unberechtigter oder willkürlicher Widerruf einer erteilten Vollmacht, insb. wenn sie vertraglich zugesichert oder erforderlich war.2308 – Weisungen: Versuche des Unternehmers, die Unabhängigkeit des HV durch „Weisungen“ ungebührlich einzuschränken.2309 – Wirtschaftliches Entgegenkommen des Unternehmers, Mangel hieran: Ja, aber wohl nur im Einzelfall.2310 – Wirtschaftliche Lage des HV,2311 selbst wenn das vertragsmäßig gedeckte – Verhalten des Unternehmers den HV in eine Lage bringt, in der er eine nicht nur vorübergehende, unerhebliche Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Position zu gewärtigen hätte2312 (Gewinn im Vergleich zum Schnitt des Vorjahres um 21 % gesunken, von durchschnittlich 4.500 EUR Gewinn auf durchschnittlich 3.500 EUR monatlich, jeweils vor Steuern). – Wegfall eines Hauptlieferanten des Unternehmers, Ja bei fehlender Kompensation.2313 – Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmers.2314 390 Keinen begründeten Anlass bilden folgende Konstellationen: – Aufgabe einer Suchanzeige für einen Nachfolger2315 ohne das Hinzutreten weiterer Umstände. – Eröffnung einer anderen Tankstelle durch den Unternehmer: Die Eröffnung einer anderen Tankstelle des Unternehmers in der Nähe des kündigenden HV ist unbeachtlich, da der HV nicht darlegen kann, dass diese dauerhafte und signifikante Auswirkungen für seine Tätigkeit gehabt hat. Mglw. wäre anders zu urteilen, wenn der Mittler den Unternehmer um eine Vertragsänderung gebeten hätte und dieser abgelehnt habe.2316 – Inkassosystem, Änderung durch den Unternehmer: Nein2317 (es wird aber darauf ankommen, welche Nachteile dem HV hieraus entstehen). – Insolvenz: Dem HV gibt die eigene Insolvenz keinen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1.2318 Erforderlich wäre, dass ein Verhalten des Unternehmers den begründeten Anlass setzte. Die Insolvenz des HV ist kein Verhalten des Unternehmers. Allenfalls könnte ein zur Insolvenz des HV führendes Verhalten des Unternehmers, etwa Zahlungseinstellung, einen solchen Anlass bilden. Die Insolvenz kann auch nicht einer ausgleichserhaltenden Eigenkündigung wegen Alters oder Krankheit (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) im Wege der Analogie gleichgestellt werden. Hiergegen spricht sowohl die 2306 BGH, Beschl. v. 21.2.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2307 BGH, Beschl. v. 21.2.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905. 2308 OGH v. 16.12.1948, MDR 1949, 81; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 76; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 165; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2309 OLG Oldenburg DB 1964, 105: wöchentliche Kundenbesuchsberichte zwecks reiner Tätigkeitskontrolle. 2310 LG Hamburg VersR 1960, 557; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165. 2311 OGH Wien (Österreich), Beschl. v. 21.8.2013 – 3 Ob 114/13f, BeckRS 2014, 80289 = ZVertriebsR 2014, 65. 2312 OGH Wien (Österreich), Beschl. v. 21.8.2013 – 3 Ob 114/13f, BeckRS 2014, 80289 = ZVertriebsR 2014, 65. 2313 OLG Köln, Urt. v. 9.8.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 2314 BGH, Urt. v. 29.5.1967, NJW 1967, 2153; Hopt § 89b Rn 57. 2315 AA wohl Hopt § 89b Rn 58; zu weitgehend LG Bonn HVR Nr. 840. 2316 Valdini EWiR 2017, 337 (338). 2317 LG Düsseldorf VersR 1980, 1143; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 165. 2318 Emde/Kelm ZVI 2004, 382 (384). Emde

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mangelnde Vergleichbarkeit der Fälle wie das Verbot der Analogie einer Ausnahmebestimmung. Kundenliste: Die fehlende Übermittlung von Kundenlisten.2319 Provisionserhöhung: Die Weigerung des Unternehmers, die vertragsgemäß zugesicherte Provision oder Vergütung des HV zu erhöhen, gibt regelmäßig keinen begründeten Anlass. Pacta sunt servanda. Die Reduzierung des Bestandes an Bausparern um 5,6 %.2320 Fehlende Reduzierung der Tankstellenpacht: Der Unternehmer gibt nicht schon dann begründeten Anlass, wenn er es unterlassen hat, dem HV von sich aus eine Reduzierung der Tankstellenpacht anzubieten, um dem HV ausreichenden Gewinn zu ermöglichen. Es gibt keine Pflicht, dem HV ein auskömmliches Einkommen zu ermöglichen. Außerdem habe der HV es unterlassen, den Unternehmer um eine weitere Reduzierung der Pacht zu bitten.2321 Fehlende Gestattung einer Konkurrenztätigkeit: die Weigerung des Unternehmers, eine Konkurrenztätigkeit zu erlauben, ist eine legitime Entscheidung des Unternehmers und gibt keinen begründeten Anlass.2322 angeblich die Nichtfortzahlung von Betriebszuschüssen, welche der Rechtsvorgänger des Unternehmers dem defizitären HV über Jahre hinweg geleistet hat.2323 Regelmäßig, wenn sich der Prinzipal vertragskonform verhalten hat2324 (aber auch dann mag im Einzelfall ein vertragsmäßiges Verhalten die ausgleichserhaltende Kündigung begründen. Widerruf der Vollmacht des HV: Im Regelfall gibt er keinen begründeten Anlass.2325 Wirtschaftliche Gründe allein.2326 Das soll jedenfalls gelten, falls sich der Prinzipal vertragskonform verhalten hat und ihm die eigene oder die schlechte wirtschaftliche Situation des HV nicht zuzurechnen ist.2327 Dann fehlt es an einem die Eigenkündigung des HV begründendem Unternehmerhandeln. Der HV soll die wirtschaftlichen Konsequenzen seines (eigenen) Handelns grds. selbst zu tragen haben.2328 In seiner Entscheidung NJW 1976, 671 hat der BGH die schwierige Wirtschaftslage des Unternehmens als ausgleichserhaltenden Kündigungsgrund angesehen,2329 die zu breiteren Erörterungen in der Öffentlichkeit geführt hatte und darauf Vermittlungseinbußen des HV nach sich zog. Die Entscheidung ist nicht unbedenklich. Wirtschaftliche Schwierigkeiten eines Unternehmens werden sich fast stets auf ein wie immer gedachtes „betriebliches Verhalten“ des Unternehmers (so der BGH) ursächlich zurückführen lassen, wenn man darunter auch ein Unterlassen begreift und im übrigen Mitursächlichkeit genügen lässt: vorwerfbar braucht das Tun oder Unterlassen ja nicht zu sein. Der BGH lässt denn auch den Gesichtspunkt des Unternehmerverhaltens alsbald in den Hintergrund treten, um statt dessen in dezidierten Ausführungen auf die Frage abzustellen, ob es dem HV zuzumuten sei, angesichts seiner sinkenden Provisionseinnahmen das Vertragsverhältnis mit dem „ins Gerede“ geratenen Unternehmer fortzusetzen. Damit aber macht man die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens und den daraus resultierenden Einkommensrückgang des HV für diesen zu einem zentralen Grund,

2319 2320 2321 2322 2323

LG Hamburg, Beschl. v. 16.7.2008 – 411 O 54/08. LG Hannover, Urt. v. 21.3.2001 – 23 O 3005/00. OLG München, Urt. v. 2.2.2017 – 23 U 2749/16, MDR 2017, 467 = EWiR 2017, 337 (Valdini). OLG München, Urt. v. 2.2.2017 – 23 U 2749/16, MDR 2017, 467 = EWiR 2017, 337 (Valdini). OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 92/06, OLGR 2007, 250 = DB 2007, 517; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Thume4 § 89b Rn 127; zwh., weil in der jahrelangen Zahlung eine konkludente Verpflichtung zu finden sein kann. 2324 OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 92/06, OLGR 2007, 250 = DB 2007, 517 = BeckRS 2007, 00089. 2325 AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 233. 2326 OLG München NJW-RR 1998, 1563. 2327 OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 92/06, OLGR 2007, 250 = DB 2007, 517 = BeckRS 2007, 00089. 2328 OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 92/06, OLGR 2007, 250 = DB 2007, 517 = BeckRS 2007, 00089. 2329 Zust. Ensthaler/Genzow § 89b Rn 50; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. 417

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das Vertragsverhältnis aufzukündigen und trotzdem den Ausgleichsanspruch zu wahren. Das wiederum verbietet die vom Gesetz geforderte Voraussetzung des „Verhaltens des Unternehmers“; mindestens wird sie dadurch verundeutlicht. Der HV teilt für seine Provisionschancen grundsätzlich das wirtschaftliche Schicksal seines Unternehmers. Gehen die Provisionseinnahmen so zurück, dass sich ihm die Frage stellt, ob es noch lohne, für das Unternehmen weiter tätig zu sein, so hat er die Möglichkeit zu kündigen. Sache seiner Entschließung ist es dann, ob er zur Kündigung schreiten und seinen Ausgleich verlieren will – vielleicht wird der Ausgleich demnächst ohnehin nicht mehr gegeben sein, falls der Unternehmer den Betrieb einstellen muss –, oder ob er weiter tätig bleiben will in der Erwartung, dass die Verhältnisse sich wieder bessern werden oder die angeblichen Schwierigkeiten in Wahrheit gar nicht bestehen. Das Risiko einer Fehlbeurteilung ist ihm als Kaufmann nicht abzunehmen Zurechnung von Verhalten: Kein begründeter Anlass zur ausgleichserhaltenden Eigenkündigung soll bestehen, wenn der Unternehmer sich das Verhalten seiner Mitarbeiter nicht zurechnen lassen braucht, etwa falls der Landesdirektor eines Versicherers ohne Abstimmung mit der Versicherung dem HV die Genehmigung zur Anmietung von Büroräumen verweigert, obwohl eine Genehmigungspflicht nicht bestand.2330

391 cc) Begründung und Nachschieben von Kündigungsgründen. Der HV braucht sich nicht darauf zu berufen, dass er aus begründetem Anlass kündigt.2331 Er braucht ihn nicht einmal zu kennen.2332 Es genügt die tatsächliche Existenz des begründeten Anlasses.2333 Es verhält sich insoweit nicht anders als bei der Kündigung aus wichtigem Grund, wo es ebenfalls genügt, dass der Kündigungsgrund objektiv vorliegt. Eine Pflicht zu Benennung des Kündigungsgrundes leitet sich auch nicht aus dem Umstand her, dass für den Unternehmer bei einer ordentlichen Kündigung nicht sofort und ohne weiteres erkennbar ist, ob sich der kündigende HV auf einen ausgleichswahrenden Kündigungsgrund beruft. Der Unternehmer gewinnt hinreichende Klarheit, indem der HV den Ausgleich innerhalb der Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 geltend machen muss. Deshalb kann der begründete Anlass auch mit ausgleichswahrender Wirkung nachgeschoben werden, sofern nur der Grund bei Ausspruch der Kündigung objektiv bereits gegeben war.2334 Beispiel: er war dem kündigenden HV lediglich noch nicht bekannt. Das Gegenteil anzunehmen hieße denjenigen Unternehmer zu privilegieren, der es verstanden hat, den Grund seinem HV erfolgreich zu verheimlichen. Das Nachschieben ist nicht einmal auf die

2330 Österreichischer OGH – 9 ObA 138/11 a, zitiert nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 67 (68). 2331 BGH, Urt. v. 12.6.1963 – VII ZR 72/61, BGHZ 40, 13 = LM Nr. 17 m. Anm. Rietschel = NJW 1963, 2068; OLG Köln, Beschl. v. 20.3.2014 – 19 W 5/14, IHR 2015, 113 = BeckRS 2014, 10938; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 236; Hopt § 89b Rn 56; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 162a; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 128; anders im österreichischen Recht: dort muss der HV mitteilen, wenn er ausgleichserhaltend aus begründetem Anlass kündigen will (Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 67 (68)). 2332 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 236. 2333 BGH, Urt. v. 12.6.1963 – VII ZR 72/61, BGHZ 40, 13 = NJW 1963, 2068; v. 23.5.1984, BB 1985, 226 = VersR 1984, 1091; OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705; OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/13, BeckRS 2014, 10602; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 236; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 162a; Hopt § 89b Rn 56. 2334 BGH, Urt. v. 23.5.1984 – I ZR 427/2, DB 1984, 2298; OLG Köln, Beschl. v. 20.3.2014 – 19 W 5/14, IHR 2015, 113 = BeckRS 2014, 10938; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 236; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 52; Hopt § 89b Rn 56; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 162a; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 129. Emde

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Jahresfrist des Abs. 4 S. 2 begrenzt,2335 sondern innerhalb der Schranken des § 242 BGB2336 auch später, insbesondere im Prozess, noch zulässig. Deshalb soll ein Nachschieben nach 2 Jahren noch gestattet sein.2337

dd) Androhung der Kündigung. Ist dem HV der Grund einer ausgleichserhaltenden Kündi- 392 gung bekannt, kann es unter Treupflichtgesichtspunkten erforderlich sein, vergleichbar § 314 BGB die Kündigung anzudrohen, ehe sie ausgesprochen wird. Nur dann kann der Unternehmer informiert entscheiden, ob er das Risiko der Vertragsbeendigung in Kenntnis des Risikos einer Ausgleichszahlung nehmen will. Zwar braucht dem HV der Grund der ausgleichserhaltenden Kündigung nicht bekannt zu sein (oben, g). Ist er es jedoch, muss er dem Unternehmer das Risiko offenbaren. Es sind verschiedene Dinge, ob die Parteien ggf. über Probleme in der Vertragsbeziehung diskutieren oder eine ausgleichserhaltende Kündigung droht. Ein Beispiel bildet der der Fall, in dem viele Kleinigkeiten einen begründeten Anlass formen, die der Unternehmer abstellen könnte. Ein Unterlassen der Androhung kann zumindest unter Billigkeitsgesichtspunkten berücksichtigt werden. e) Kündigung wegen Alters oder Krankheit. Gem. § 89b Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. ist die Kündi- 393 gung des HV ausnahmsweise ausgleichserhaltend, wenn er nachweisen2338 kann, dass er wegen Alters und Krankheit kündigte. Nicht erforderlich ist, dass die Kündigung ausdrücklich wegen Alters oder Krankheit erklärt wird.2339 Vielmehr kommt es entweder auf die zum Vertragsende prognostizierte Situation bei Abgabe der Kündigungserklärung2340 oder die objektive Lage im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigungserklärung an.2341 Beide Zeitpunkte, auch der letztgenannte, sind relevant, weil der HV mit langer ordentlicher Kündigungsfrist sonst niemals ordentlich und ausgleichserhaltend zum Zeitpunkt der vermutlichen Unzumutbarkeit – etwa dem Erreichen des 67. Lebensjahres – kündigen dürfte. Diese Alternativität entspricht dem Regelfall auch bei § 89a, da es für die Wirkungen einer Kündigung auf die objektiven Umstände ankommt. Sie erhält den Ausgleich sowohl im Falle von Verschlechterungen des Gesundheitszustandes zwischen Kündigungserklärung und Vertragsende als auch bei eventuellen, nicht prognostizierbaren Verbesserungen des Gesundheitsbildes. Den HV trifft also kein Prognoserisiko. Die maßgeblichen Gründe können im Prozess nachgeschoben werden,2342 was ebenfalls dafür spricht, dass maßgeblicher Zeitpunkt, zu dem Alter oder Krankheit vorliegen muss, (auch) der des Vertragsendes ist. Hat sich die Krankheit zu einem wichtigen Grund verdichtet, darf der HV gem. § 89a kündigen. Sofern das Alter oder die Krankheit eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zulassen, muss die ausgleichserhalten2335 BGH, Urt. v. 12.6.1963 – VII ZR 72/61, BGHZ 40, 13 = LM Nr. 17 m. Anm. Rietschel = NJW 1963, 2068; OLG Köln, Beschl. v. 20.3.2014 – 19 W 5/14, IHR 2015, 113 = BeckRS 2014, 10938; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 236; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 945; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 162a. 2336 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 236; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 162a. 2337 BGH, Urt. v. 12.6.1963 – VII ZR 72/61, BGHZ 40, 13 (18) = NJW 1963, 2068; Hopt § 89b Rn 60. 2338 Schröder DB 1976, 1269 (1271); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 56a. 2339 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 60; Oetker/Busche, 5. Aufl., § 89b Rn 36; aA Schröder DB 1976, 1269 (1270); MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 138; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 111. 2340 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 120; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 56. 2341 AA vielleicht Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 120 („Zeitpunkt der Vertragskündigung“); vielleicht auch Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 56: Der HV muss nachweisen, dass ihm zum Zeitpunkt seiner „Kündigung“ die Fortsetzung des Vertrages voraussichtlich unzumutbar werden kann. Aus beiden Stellungnahmen wird nicht mit Sicherheit deutlich, ob der Zeitpunkt der Kündigungserklärung oder ihrer rechtlichen Wirkung (Vertragsende) gemeint ist. 2342 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 60; Hopt § 89b Rn 60; aA MünchKomm HGB-v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 168. 419

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de Kündigung ordentlich erklärt werden. Das liegt auch im Interesse des HV: Fehlt es nämlich an einem wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung, riskiert der HV, dass der Unternehmer seinerseits kündigt und der HV hierdurch gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 seinen Ausgleich verliert. Paradigma einer solchen außerordentlichen Kündigung ist etwa ein Vertrag mit 10-jähriger Laufzeit, wenn sich der HV nach 5 Jahren infolge Alters oder Krankheit nicht mehr im Stande fühlt, den Vertrag fortzusetzen.2343

394 aa) Kündigung wegen Alters. Leitbildartig wird man davon ausgehen können, dass einem HV mit Erreichen des üblichen Rentenalters eine ausgleichserhaltende Kündigung wegen Alters möglich ist.2344 Hierbei ist eine generalisierende Betrachtungsweise angebracht. Zwar heißt es häufig, dass man so alt ist wie man sich fühlt. Nur lässt sich das gefühlte Alter von außen schlecht beurteilen. Ausreißer nach unten werden daher auch über das TB-Merkmal „Krankheit“ berücksichtigt werden können. Die früher geltende Unzumutbarkeitsgrenze bei Frauen mit Erreichen des 60. Lebensjahres und bei Männern mit dem 65. Lebensjahr2345 wird man auf das jeweils geltende Rentenalter heraufsetzen müssen. Nach den Verhältnissen des Einzelfalls mag der HV aber auch früher zu alt für eine anstrengende und selbständige (Reise)Tätigkeit sein. Wenn ein HV erst 53 Jahre alt ist, besteht kein ausgleichserhaltendes Kündigungsrecht.2346 Man wird bei Erreichen des Rentenalters – jedoch in anderen Fällen – nicht in jedem Einzelfall untersuchen müssen, wieweit dem HV die Fortsetzung seiner Tätigkeit trotz vorgerückter Lebensjahre noch zumutbar ist oder nicht. Gesichtspunkte der individuellen körperlichen Rüstigkeit, der Möglichkeit einer zumutbaren organisatorischen Entlastung im Betrieb der Agentur und des Vergleichs mit anderen HV in gleicher Lage sind also zumindest bei Erreichen des Rentenalters unmaßgeblich. Der Wortlaut des Gesetzes, der die Zumutbarkeit auf beide TB, Alter wie Krankheit, in gleicher Weise bezieht, stützt zwar eine individualisierende Untersuchung der Verhältnisse des Einzelfalls. Andererseits widerspricht er keiner generalisierenden Betrachtungsweise. Das Abstellen auf die individuelle Leistungsfähigkeit und nicht das Rentenalter würde zu schwer erträglichen Nachteilen für den HV führen, zu dessen Schutz, nicht zuletzt aus sozialen Erwägungen, die Erhaltung des Ausgleichs trotz der Eigenkündigung aus Altersgründen im Jahre 1976 Gesetz wurde. Dass man sich mit dem Rentenalter ohne Nachweis einer verminderten, die Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar machenden Leistungsfähigkeit zur Ruhe setzen darf, macht die Rechtsfolgen der Zurruhesetzung berechenbar für den, der sich hierzu entschließt. Der HV, welcher nach Maßgabe der allgemeinen gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist jederzeit auch ohne Begründung ausscheiden darf, der aber zur Erhaltung seines Ausgleichsanspruchs die Kündigung aus Gründen des Alters ausspricht, müsste den darüber entstehenden Prozess um den Ausgleich auf sein Risiko führen. Das Urteil über die Zumutbarkeit hängt weitgehend von Unwägbarkeiten ab. Käme das Gericht zu der Auffassung, dem HV sei trotz Erreichen des Rentenalters die Fortsetzung seiner Tätigkeit noch zuzumuten, bliebe der Ausgleich verloren. Ein Rückgängigmachen der Kündigung ist dem HV ebenso rechtlich versperrt, wie es vorher keine rechtliche Möglichkeit für ihn gegeben habe, die Kündigung unter die Bedingung zu stellen, dass das Gericht den Kündigungsgrund des Alters anerkennen werde. Ein solches Ergebnis wäre nicht tragbar. Die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wegen Alters darf nicht daran gemessen werden, ob der HV gesundheitlich noch in der 2343 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 113. 2344 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2001 – 16 U 114/00, HVR Nr. 1078; Nr. 1085; Schröder DB 1976, 1269; Maier BB 1978, 940; Küstner DB 1976, 630; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 114; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 238; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 57; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 52; Hopt § 89b Rn 61; Oetker/ Busche5 § 89b Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 170; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 133; vgl. FG Düsseldorf DB 1980, 2418. 2345 LG Hamburg, Urt. v. 22.3.2013 – 418 HKO 97/10; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 114. 2346 LG Hamburg, Urt. v. 9.8.2013 – 418 HKO 157/12. Emde

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Lage ist, seine Tätigkeit auszuüben. Dafür existierten (Umkehrschluss!) die ausgleichserhaltenden Kündigungsgründe der Krankheit oder des Gebrechens (letztere nur von der RL vorgesehen). Erreicht der HV eine vertraglich vereinbarte Altersgrenze, besteht ebenfalls ein Kündigungsrecht.2347 Das OLG Köln2348 hat Zweifel daran, ob eine ausgleichserhaltende Kündigung wegen Alters oder Krankheit möglich ist, wenn der HV-Vertrag erst im Alter von 70 Jahren geschlossen wurde, jedoch zu Unrecht, da das Kündigungsrecht wegen Alters unverzichtbar ist und der späte Vertragsschluss daher keinen Verzicht bilden darf. Außerdem kann das Risiko des späten Vertragsschlusses nicht einseitig dem HV zugewiesen werden. Im Falle einer Befristung des Vertrages mit Ablauf eines bestimmten Alters wird der Vertrag infolge der Befristung aufgelöst, auf Abs. 3 Nr. 1 braucht mangels einer Eigenkündigung des HV nicht abgestellt zu werden. Da das Alter vorhersehbar ist, wird die Kündigung regelm. als fristgemäße erfolgen müssen,2349 wobei die maßgebliche Altersgrenze erst am Ende der Kündigungsfrist erreicht sein muss. Die unwirksame Kündigung soll den Ausgleichsanspruch nicht entfallen lassen,2350 sofern der Unternehmer aufgrund der unwirksamen Kündigung nicht seinerseits nach § 89a kündigt.2351

bb) Krankheit. Krankheit ist ein objektivierbares Datum, welches sich in Verbindung mit der 395 Zumutbarkeitsfrage durch Begutachtung verifizieren lässt. Die Krankheit ist ein zumindest längerfristiger,2352 meist dauernder, Zustand, welcher dem HV die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auf einen längerfristigen (Leitbild: ordentliche Kündigungsfrist oder mindestens 6 Monate) oder einen unbestimmten Zeitraum hin unmöglich macht. Der Gesetzgeber hat bei dem Kündigungsgrund „Krankheit“ nicht von „Berufsunfähigkeit“ gesprochen, so nahe das vielleicht gelegen hätte. Sicherlich wird die Berufsunfähigkeit stets auch dem Krankheitsbegriff genügen und die Fortsetzung der Tätigkeit unzumutbar machen. Sie ist aber nicht erforderlich.2353 Ist der HV erkrankt, aber nicht berufsunfähig, und entschließt er sich gleichwohl zu kündigen und damit die Vertretung aufzugeben, so vermag er das mit ausgleichswahrender Wirkung nur, wenn ihm die Fortsetzung der Tätigkeit wegen dieser seiner Erkrankung nicht mehr zumutbar ist. Der HV darf nicht jede beliebige Erkrankung, selbst eine von längerer Dauer, zum Anlass einer Kündigung nehmen, um damit einen Ausgleichsanspruch liquide zu stellen. Will der Unternehmer einen – kürzeren oder längeren – Ausfall des HV nicht hinnehmen, mag er seinerseits kündigen und schafft – außer im Falle des Abs. 3 Nr. 2 – so die Grundlage für den Ausgleichsanspruch. Dem HV gibt die Erkrankung einen ausgleichswahrenden Kündigungsgrund erst dann, wenn ihre zeitliche Dauer nicht absehbar oder überbrückbar ist und dadurch zu einer auch mit dem beiden Parteien zumutbaren (grds. persönliche Tätigkeit) Einsatz von Ersatzkräften2354 nicht behebbaren nachhaltigen Verhinderung in der HV-Tätigkeit führt. Im Falle einer Gehbehinderung oder chronischen Darmentzündung braucht sich der HV nicht auf die Hilfe eines Dritten verweisen zu lassen, weil sie an den Beschwerden nichts ändert.2355 Bei Ein-PersonenVertretungen wird wegen des persönlichen Charakters der Tätigkeit (§§ 613, 664 BGB) eine Er2347 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 57. 2348 Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612. 2349 Hopt § 89b Rn 61; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 170; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 133. 2350 Hopt § 89b Rn 61 unter Hinweis auf BGHZ 91, 312 (zu Nr. 1 Alt. 1); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 170. 2351 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – I ZR 50/82, NJW 1984, 2529 (zu Nr. 1 1. Alt.); Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 133. 2352 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58. 2353 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2001 – 16 U 114/00, HVR Nr. 1078; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58. 2354 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 239; Hopt § 89b Rn 62; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 52; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 171. 2355 LG Berlin, Urt. v. 11.8.2008 – 102 O 72/98, BeckRS 2010, 04758. 421

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satzkraft oft weder dem HV noch dem Unternehmer zumutbar sein. Vorübergehende Erkrankungen, deren Ende mittelfristig absehbar ist, rechtfertigen keine ausgleichserhaltende Kündigung wegen Krankheit.2356 Maßgeblich sind die objektiven Umstände2357 oder das, was der HV in unvermeidbarem Irrtum dafür hält, beides besehen aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Lage des HV. Ein gewisser Beurteilungsspielraum und damit auch das Recht auf einen unvermeidbaren Irrtum sind dem HV zuzubilligen. Die Definition des BGH in seinem Urt. v. 29.4.19932358 lautet: Eine Krankheit liegt dann vor, wenn eine Störung des gesundheitlichen Zustandes schwerwiegend und von nicht absehbarer Dauer ist und sie dadurch zu einer auch mit Ersatzkräften nicht behebbaren nachhaltigen Behinderung der Absatztätigkeit für den Unternehmer führt. Die Frage, ob eine solche Krankheit vorliegt, ist nach dem Pflichtenkreis des konkreten Vertrages zu bestimmen. Die Regelungen des Schwerbehindertengesetzes sind unmaßgeblich.2359 Ebenso wenig muss Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliegen.2360 Eine Schwerbehinderung stellt aber ein erstes Indiz für den ausgleichserhaltenden Kündigungsgrund wegen Krankheit dar,2361 entlastet den HV aber nicht von der Beweisführung, die das Gericht nach den Umständen des Einzelfalls gleichwohl für erforderlich halten mag. Den ihm obliegenden (Rn 479 ff.) Beweis einer ausgleichserhaltenden Kündigung wegen Krankheit wird der HV in erster Linie durch Vorlage ärztlicher Atteste und Sachverständigengutachten führen müssen;2362 schlüssig darlegen kann der HV den Grund auch ohne ein solches Attest (der Grund könnte nämlich unstrittig werden). Ein privat-ärztliches Gutachten ist nicht letztlich entscheidend.2363 Nach Ansicht des OLG Köln bestehen Zweifel daran, ob eine Kündigung wegen Alters dargelegt ist, wenn vorgetragen wird, der HV habe eine Herzoperation erlitten, und der Hausarzt „gesundheitliche Probleme“ attestiert, die zur Reduktion, besser noch zur Aufgabe einer Tätigkeit mit hohem Reiseaufwand drängten.2364 Im Zweifelsfall ist ein gerichtlicher Gutachter zu bestellen oder eine amtsärztliche Untersuchung2365 maßgeblich.2366 Die Ursachen der Krankheit oder eine eventuelle Mitverursachung (Verschulden) des HV sind unerheblich,2367 können jedoch im Rahmen der Billigkeit berücksichtigt werden oder zu einem Schadenersatzanspruch führen, mit dem aufgerechnet werden darf.2368 Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die Krankheit (Rechtsgedanke des § 162 Abs. 2 BGB) verschuldet ist, es sei denn, das schuldhafte Verhalten stellt einen Verstoß gerade gegen die Vertragspflichten des HV dar, dergestalt, dass der Unternehmer dies hätte zum Anlass nehmen können, das Vertragsverhältnis von sich aus mit ausgleichssperrender Wirkung zu kündigen (Abs. 3 Nr. 2). Wenn dann der HV krankheitshalber kündigt, kann der Unternehmer ihm ausnahmsweise den Ausgleich im Billigkeitswege (Abs. 1 S. 1 Nr. 3), ggf. partiell, aus der Hand schlagen. Die Anwendung des Billigkeitsgrundsatzes wird durch Abs. 3 Nr. 1 nicht ausgeschlossen. Bei plötzlicher Krankheit und Existenz eines wichtigen Grundes darf die Kündigung außerordentlich erklärt werden,2369 insb. bei langen BGH NJW-RR 1993, 996 (997); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 120; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58. NJW-RR 1993, 996 = MDR 1993, 853; zust. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 239. BGH, Urt. v. 29.4.1993 – I ZR 150/91, NJW-RR 1993, 996 (997); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 239; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 171. 2360 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58; Hopt § 89b Rn 62. 2361 Hopt § 89b Rn 62; aA BGH NJW-RR 1993, 996 (997); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 171; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 134 wegen der unterschiedlichen TB-Voraussetzungen. 2362 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 59. 2363 OLG München, Urt. v. 6.6.1984 – 7 U 5785/83, best. durch BGH, Beschl. v. 15.5.1985 – I ZR 174/84. 2364 Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612. 2365 Eberstein, 9. Aufl. S. 124. 2366 OLG München, Urt. v. 6.6.1984 – 7 U 5785/83, best. durch BGH, Beschl. v. 15.5.1985 – I ZR 174/ 84. 2367 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 171; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58. Beispiel: Corona (Emde ZVertriebsR 2020, 138 (157)). 2368 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58. 2369 OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.1.2000 – 16 U 28/99, n. v.; Hopt § 89b Rn 62.

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Kündigungsfristen.2370 Eine vorherige Abmahnung ist nach der Natur der Sache (regelm. Unbehebbarkeit von Seiten des Unternehmers, auf die Stellung einer Ersatzkraft durch den Unternehmer braucht sich der HV ohne wirksame vertragliche Vereinbarung wohl nicht einzulassen) nicht erforderlich. Bei Besserung des Zustandes lebt der Vertrag nicht wieder auf.2371

cc) Europarechtliche Präformation. Art. 18 lit. b RL kennt neben den TB-Merkmalen Alter 396 und Krankheit noch den Begriff des Gebrechens. Eine eigenständige Bedeutung soll dieses Merkmal nicht besitzen, weshalb seine Umsetzung in deutsches Recht unterblieb.2372 Nach einer Ansicht bildet dies einen Umsetzungsfehler.2373 Zumindest wird eine europarechtskonforme Auslegung dazu führen, dass ein Gebrechen entweder ein zusätzliches TB-Merkmal bildet oder unter den Begriff des Alters oder der Krankheit zu fassen ist.2374 Dies kann etwa nach einem Unfall bedeutsam sein, weil ein solcher bei strengem Verständnis keine Krankheit ist,2375 angeblich jedoch nicht bei Schwangerschaft.2376 dd) Unzumutbarkeit der Tätigkeitsfortsetzung. Die weitere Tätigkeit muss dem HV unzu- 397 mutbar geworden sein. Bei Erreichen des Rentenalters liegt die Unzumutbarkeit regelm. vor2377 (s. o.). Unzumutbarkeit liegt vor, falls der HV bei objektiver Würdigung seine Vertragspflichten auf absehbare Dauer binnen angemessener Zeit nicht mehr oder nur noch mit überobligationsmäßigem Einsatz erfüllen kann.2378 Auf absehbare Zeit bedeutet: Die Tätigkeit muss für den HV bei üblicher Tätigkeitsdauer zu anstrengend sein. Alter oder Krankheit brauchen den HV nicht so zu belasten, dass er die Tätigkeit noch nicht einmal bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortsetzen kann. Die Kündigungsgründe brauchen also nicht die Schwere eines wichtigen Grundes nach § 89a zu erreichen. Überobligationsmäßig wäre der Einsatz, wenn die Tätigkeit des HV zu einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen würde.2379 Dabei kommt es auf die Verhältnisse des konkreten Vertrages an. Die Fortsetzung eines HV-Vertrages kann dem HV unzumutbar sein, eines anderen Vertrages jedoch nicht. Der Mehrfirmen-HV braucht deshalb weder alle HV-Verträge zu kündigen,2380 noch braucht er generell erwerbsunfähig sein.2381 Es genügt die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des konkreten HV-Vertrages. Die Auswahl wird dem HV freistehen müssen. Sonst könnte jeder Unternehmer den HV auf die Kündigung eines anderen von mehreren HV-Verträgen verweisen. Dass dem HV trotz Alters oder Krankheit eine andersartige oder nebenberufliche Tätigkeit möglich bleibt, steht gleichfalls nicht entgegen.2382 Der HV muss seine berufliche Tätigkeit nicht vollkommen aufgeben.2383 Er ist weder zum Abschluss eines andersartigen, seinen alters- oder krankheitsbeRöhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 134. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 134. Ankele DB 1989, 2211. Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 102. Ensthaler/Genzow § 89b Rn 52. Ensthaler/Genzow § 89b Rn 52; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 171. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 134. OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2001 – 16 U 114/00, HVR Nr. 1078; Nr. 1085; Schröder DB 1976, 1269; Maier BB 1978, 940; Küstner DB 1976, 630; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 114; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 57; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 52; Hopt § 89b Rn 61; Oetker/Busche5 § 89b Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 170; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 133; vgl. FG Düsseldorf DB 1980, 2418. 2378 Schröder DB 1976, 1269 (1271); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 59. 2379 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 59. 2380 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 61; Hopt § 89b Rn 62; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 135. 2381 Schröder DB 1976, 1269 (1271). 2382 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2001 – 16 U 114/00, HVR Nr. 1078; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 56. 2383 BGH, Urt. v. 29.4.1993 – I ZR 150/91, NJW-RR 1993, 996.

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dingten Fähigkeiten entsprechenden Vertrags verpflichtet, noch zu einer alters- oder krankheitsbedingten Vertragskündigung.2384 Der HV darf dem Unternehmer – etwa im Wege eines Vergleichs – eine überobligationsmäßige, eigentlich unzumutbare und zur Eigenkündigung berechtigende Tätigkeit anbieten, ohne sich widersprüchlich zu verhalten.2385 Das versteht sich von selbst, weil der HV auch selbst entscheiden kann, ob er kündigt oder nicht.2386 Ob die Fortsetzung der Berufstätigkeit im bisherigen Umfang ein die Unzumutbarkeit widerlegendes Indiz bildet, muss im Einzelfall entschieden werden.2387 Tendenziell ist dies eher nicht der Fall, weil die Unzumutbarkeit der Tätigkeit im aufgegebenen Vertrag zu prüfen ist und weitere Ttigkeiten erlaubt bleiben.2388 Alle Umstände des Falles müssen geprüft werden, etwa Umfang der Reisetätigkeit, die Tätigkeit von Angestellten, die Größe des Bezirks und die technischen Hilfsmittel. Ein allzu strenger Maßstab ist dabei nicht angebracht. Erkrankt der HV nach erklärter Kündigung in der Kündigungsfrist so schwer, dass ihm eine Fortsetzung seiner Tätigkeit nicht zumutbar ist, kann er erneut ausgleichswahrend kündigen, bei entsprechender Dringlichkeit ggf. nach § 89a. 398 Die Unzumutbarkeit wurde etwa bejaht: – Bei einem Schmuck-HV, wenn ihm das Ein- und Ausladen des Kollektionskoffers unmöglich wird.2389 – Im Falle einer Gehbehinderung und chronischen Darmentzündung.2390

399 ee) Gesellschaft als HV. § 89b Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. ist auf die natürliche Person bezogen. Nur eine solche kann „alt und krank“ werden.2391 Daraus hat der Verfasser2392 die Konsequenz gezogen, eine GmbH dürfe nicht ausgleichserhaltend wegen Alters oder Krankheit kündigen. Im Grundsatz ist dies richtig. Jedoch wird zu einer Personengesellschaft als HV vertreten,2393 sie könne ausgleichserhaltend kündigen, wenn dem maßgeblichen Gesellschafter aus alters- und krankheitsbedingten Gründen eine weitere Wahrnehmung der ihm obliegenden Vermittlungstätigkeit unzumutbar sei. Dem ist trotz des Ausnahmecharakters der Norm für den Fall zuzustimmen, dass die Gesellschaft wirtschaftlich-faktisch eine Ein-Personen-Gesellschaft ihres Gesellschafters darstellt und die Tätigkeit einer anderen Person für den Unternehmer eine Vertragsverletzung oder

OLG München, Urt. v. 7.3.2001 – 7 U 6132/99, HVR Nr. 990; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 56. Döpfer EWiR 2010, 460; aA OLG Hamburg, Beschl. v. 25.2.2010 – 13 U 102/09, EWiR 2010, 459. OLG München, Urt. v. 7.3.2001 – 7 U 6132/99, HVR Nr. 990. OLG Hamburg, Beschl. v. 25.2.2010 – 13 U 102/09, EWiR 2010, 459 m. abl. Bespr. Döpfer. Wie Döpfer ablehnend wohl auch BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 22.5.2012 – 2 BvR 1352/10, BeckRS 2012, 51747, das aber keine spezifisch verfassungsrechtlichen Probleme sah und daher die gegen den Beschl. des OLG Hamburg gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annahm; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 59; Frage des Einzelfalls, aA wohl BGH, Urt. v. 29.4.1993 – I ZR 150/91, NJW-RR 1993, 996; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 171. 2388 Döpfer EWiR 2010, 459; BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 22.5.2012 – 2 BvR 1352/10: es sei nicht ohne Weiteres auszuschließen, dass aus einfach-rechtlicher Sicht das OLG Hamburg, Beschl. v. 25.2.2010 – 13 U 102/09, EWiR 2010, 459, die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Krankheit nicht von weiteren Angaben des HV zu dessen spezifischer Tätigkeit abhängig machen durfte. 2389 BGH, Urt. v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 = NJW 1995, 1958. 2390 LG Berlin, Urt. v. 11.8.2008 – 102 O 72/98, BeckRS 2010, 04758. 2391 Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 86; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 169. 2392 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 85; Emde GmbHR 1999, 1005 (1011); ebenso Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 949; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 62; Hopt § 89b Rn 60. 2393 KG, Urt. v. 22.2.1985 – 14 U 1051/84, HVR Nr. 659; LG Berlin, Urt. v. 11.8.2008 – 102 O 72/98; BeckRS 2010, 04758; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 240; Hopt § 89b Rn 60; aA OLG Hamm, Urt. v. 12.7.1982 – 18 U 5/ 82, HVR Nr. 569.

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unzumutbar wäre.2394 Der Grundsatz gilt auch für die GmbH2395 und jede Gesellschaft. Denn auch bei ihr wäre die Veränderung der wirtschaftlich-faktischen Identität eine Verletzung der §§ 613, 664 BGB und de facto ist der Gesellschaftsmantel eine bloße Umhüllung des Alleingesellschafters. Strenger war das OLG München.2396 Es verneinte die ausgleichserhaltende Kündigung, es sei denn, es wurde ausdrücklich oder konkludent im Vertrag vereinbart, dass die GmbH den Vertrag durch diese Person erfüllen muss.2397 Der Vertrag müsse mit der betroffenen Person „stehen und fallen“. Sofern der Vertrag nicht auf die Person eines bestimmten geschäftsführenden Gesellschafters abstelle, dürfe die Organisation der HV-GmbH keine rechtlich ausschlaggebende Bedeutung einnehmen. In der Sache widerspricht dieses Urteil nicht der hier eingenommenen Ansicht, weil in den Fällen wirtschaftlich-faktischer Identität ebenfalls keine Austauschbarkeit des für die GmbH Tätigen gestattet ist (konkludente Abrede, §§ 613, 664 BGB, siehe Kommentierung zu Vor § 84). Die Übertragbarkeit der oben wiedergegebenen Aussagen des Urteils des KG2398 auf die Kapitalgesellschaft lässt sich auch nicht mit der Erwägung relativieren, es habe sich dort um eine Personengesellschaft gehandelt, während im anderslautenden Urteil des OLG Hamm2399 über die Verhältnisse einer GmbH entschieden wurde. Bei der Personengesellschaft des KG handelte es sich nämlich um eine GmbH & Co. KG, die ursprünglich als GmbH gegründet worden war. Es würde auch wenig Sinn machen, die GmbH zuvor auf den Weg eines Rechtsformwechsels zu einer Personengesellschaft zu verweisen, damit sie ausgleichserhaltend kündigen dürfte. In anderen europäischen Ländern soll eine ausgleichserhaltende Eigenkündigung wegen Alters ausscheiden, sofern eine juristische Person als HV tätig wird.2400

ff) Begründungserfordernis? Der Kündigungsausspruch muss den Grund – Alter bzw. Krank- 400 heit – nicht nennen, um den Ausgleichsanspruch wahren zu können.2401 Darin läge ein Widerspruch zu der Möglichkeit, den ausgleichswahrenden Kündigungsgrund nachschieben zu können, was zulässig ist.2402 Mehr als beim strengeren § 89a ist auch in § 89b Abs. 3 nicht zu fordern, die außerordentliche Kündigung braucht den Kündigungsgrund aber nicht zu nennen. Dabei ist unerheblich, ob die Umstände dem kündigenden HV bei Kündigungsausspruch bekannt oder unbekannt waren.2403 Der HV gibt durch die Nichtbenennung nicht zu erkennen, dass er den Fall der Unzumutbarkeit (wegen Krankheit) oder der gesetzlich zu unterstellenden Unzumutbarkeit (wegen Alters) nicht als gegeben ansieht. Auf Nachfrage hat der HV den Unternehmer über die Kündigungsgründe zu informieren (zur Informationspflicht s. Kommentierung zu § 86a). Sonst schuldet der HV dem Unternehmer Ersatz des Schadens, den er durch die Nicht2394 OLG München DB 2003, 337 = NJW-RR 2003, 541 = HVR Nr. 1106; Urt. v. 19.1.2006 – 23 U 3885/05, HVR Nr. 1168; siehe OLG Hamburg, Urt. v. 9.10.1985 – 4 U 1/85, HVR Nr. 669; Arndt DB 1999, 1789; Westphal BB 1999, 2517 (2518); Thume BB 1999, 2309 (2314); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 62; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 52; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 169; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 132 dieser Gedanke ist unabhängig von der Rechtsform, weil es nicht auf das rechtstatsächliche Kleid ankommt. 2395 LG Berlin, Urt. v. 11.8.2008 – 102 O 72/98; BeckRS 2010, 04758; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 133; aA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 240. 2396 Urt. v. 4.12.2002 – 7 U 3474/02, NJW-RR 2003, 541; zust. Berchem H&V Journal 9/2008, 18 (20). 2397 In diesem Fall der vereinbarten Tätigkeit einer natürlichen Person hält das LG Berlin, Urt. v. 11.8.1998 – 102 O 72/98; BeckRS 2010, 04758 eine ausgleichserhaltende Kündigung für zulässig. 2398 v. 22.2.1985 – 14 U 1051/84, HVR Nr. 659; aA jedoch OLG Hamm, Urt. v. 12.7.1982 – 18 U 5/ 82, HVR Nr. 569. 2399 OLG Hamm, Urt. v. 12.7.1982 – 18 U 5/ 82, HVR Nr. 569. 2400 Berchem H&V Journal 9/2008, 18 (20). 2401 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 60; Hopt § 89b Rn 60; Oetker/Busche5 § 89b Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 173; aA Schröder DB 1976, 1269; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 241; Staub/Brüggemann4 § 89b Rn 94; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 131. 2402 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 60; Hopt § 89b Rn 60; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 168; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 131. 2403 Vgl. BGH NJW 1963, 2068. 425

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benennung erleidet, etwa Prozesskosten, die bei rechtzeitiger Benennung vermieden worden wären.

401 gg) Information über Alter oder Krankheit. Der HV hat bei Vertragsschluss über bestehende oder wahrscheinlich zu erwartende Krankheiten zu informieren. Gleiches gilt für das Alter, sofern deshalb eine ausgleichserhaltende Kündigung in naher Zukunft möglich wäre; erst recht wenn sie zu erwarten ist. Das Unterlassen ist eine Pflichtverletzung, mit der Folge, dass ggf. Schadenersatz geschuldet wird.2404 Eine Offenbarungspflicht über eine ausgleichserhaltende Krankheit bei Vertragsschluss ist im Grundsatz zu bejahen, weil der Unternehmer sachgerecht und informiert entscheiden muss, ob er den HV beschäftigt. Ob man so weit gehen darf wie das OLG München,2405 bei fehlender Aufklärung des HV über eine Krankheit die Zahlung des Ausgleichs unter dem Gesichtspunkt der entstehenden Schadenersatzverpflichtung, nach Treu und Glauben oder wegen unzulässiger Rechtsausübung zu verweigern, ist fraglich. Denn der Unternehmer erhält auch in diesem Fall einen aufgebauten Kundenstamm und schuldet dafür eine Gegenleistung. Mglw. greift aber der Ausgleichsauschlussgrund gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 oder eine Billigkeitsreduzierung ein, weil die Pflichtverletzung einen Kündigungsgrund nach dieser Vorschrift, ggf. analog, gegeben hätte.

402 f) Frist zur Kündigungserklärung. Eine Frist zur Kündigungserklärung sieht Abs. 3 zwar nicht vor. Auch bei Vorliegen der Umstände des § 89b Abs. 3 Nr. 1 und etwa eines dem Unternehmer zurechenbaren Umstandes, der dem HV begründeten Anlass zur Kündigung bzw. vorzeitigen Auflösung gibt, ist es erforderlich, dass dieser Umstand innerhalb angemessener Zeit nach Kenntnis zur Kündigung führt. Die Monatsfrist zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung gem. § 89a kann, selbst wenn die Kündigung nicht als außerordentliche erklärt wurde, als erstes Leitbild dienen2406 (s. Kommentierung zu § 89a), muss aber angesichts des Ausnahmecharakters der Norm wohl verlängert werden. Das gilt gerade für den Fall der Kündigung wegen Alters oder Krankheit, bei der dem HV eine eher längere Überlegungszeit und auch überobligationsmäßiger Einsatz nicht schaden darf. Im Falle der fristlosen Kündigung ist die leitbildartige Monatsfrist jedoch immer einzuhalten. Zögert der HV zu lange, lässt sich daraus mglw. herleiten, ihn habe das Verhalten des Unternehmers nicht in einer „begründeten Anlass“ gebenden Weise belastet (Selbstwiderlegung der Betroffenheit)2407 (jedoch geringere Anforderungen als bei § 89a, da Alter, Krankheit oder ein begründeter Anlass keinen wichtigen Grund fordern).

403 g) Der Eigenkündigung gleichstehende Fälle – analoge Anwendung auf ähnliche Fallgestaltungen? § 89b Abs. 3 Nr. 1 ist eine Ausnahmebestimmung, die wie alle Ausschlussgründe eng auszulegen ist.2408 Deshalb kann im Regelfall eine Beendigung des Vertrages auf andere Weise als durch Eigenkündigung nicht einer ausgleichsvernichtenden Eigenkündigung gleichgestellt werden. Zwar ist eine Analogie bei einer Ausnahmevorschrift zulässig, soweit die ihr zugrunde 404 liegende Wertung ihrem Sinne nach auch für einen nicht geregelten SV gilt.2409 Jedoch ist eine

OLG München, Urt. v. 16.9.1997 – 7 U 4275/86, HVR Nr. 639; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 58. OLG München, Urt. v. 16.9.1997 – 7 U 4275/86, HVR Nr. 639. Großzügiger Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 53: Nur Verwirkungsgrundsätze maßgeblich. BGH BB 1989, 1076 = NJW-RR 1989, 862; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 164. BGH, Urt. v. 30.6.1966 – VIII ZR 124/65; BGHZ 45, 385 = NJW 1966, 1965; v. 13.3.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 (14) = BB 1969, 640; BGHZ 129, 290 (294); v. 10.12.1997 – VIII ZR 329/96, BB 1998, 390. 2409 Semmler WRP 2007, 247 (252).

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enge Auslegung geboten.2410 Eine Analogie ist damit nur in Ausnahmefällen möglich.2411 § 89b Abs. 3 Nr. 2 erlaubt den Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber den Ausgleich in Konstellationen, in welchen die zur Kündigung berechtigenden Umstände dem HV nicht vorzuwerfen sind oder gar nicht aus seiner Sphäre stammen, nicht – jedenfalls nicht zwingend vollständig – ausschließen will.2412 Berücksichtigt das Gesetz diese Merkmale bereits dergestalt, dürfen dieselben Umstände nicht herangezogen werden, um die wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Ablehnung eines Vertragsangebots mit der Eigenkündigung des HV zu begründen.2413 Es fehlt eine planwidrige Gesetzeslücke, weil nach dem gesetzlichen Wertungsplan analogiefähigen Umständen bei der Billigkeitsprüfung Rechnung getragen werden soll.2414 Die Ausschlussgründe sind nur eine spezielle Ausprägung des Billigkeitsgrundsatzes. Er steht also für vergleichbare Fälle als Auffangtatbestand zur Verfügung.2415 Die vom BGH angenommene aber 2020 weitgehend aufgegebene2416 Analogie im Falle der verweigerten Fortsetzung eines Kettenvertrages2417 begründet kein anderes Ergebnis. Abgesehen davon, dass die Entscheidung in der Literatur zu Recht abgelehnt wird2418 und es sich um eine unzulässige Analogie handeln dürfte,2419 führt der Kettenvertrag den ursprünglichen Vertrag mit praktisch unveränderten Bedingungen fort. Die Ablehnung der Fortführung mag also vielleicht am ehesten einer Eigenkündigung gleichgestellt werden2420 (Grenzfall). Wie dargelegt wurde die Ablehnung der Verlängerung eines HV-Vertrages mit Verlänge- 405 rungsoption2421 oder eines Kettenvertrages2422 ausnahmsweise einer Eigenkündigung gleichgestellt. Bei der Ablehnung einer Verlängerung eines befristeen Vertrages ist bereits fraglich, ob dieser Fall nicht eher einer Kündigung des Unternehmers ähnelt, wenn jener den Vertrag mit der Befristung formuliert hat. Regelmäßig sollte die Ablehnung eines Folgevertrages2423 durch einen gekündigten HV oder eines nach fester Befristung abgelaufener Vertrages2424 keiner ausgleichsausschließenden Eigenkündigung i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 gleichgestellt werden. Die Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 sind wegen ihres abschließenden Ausnahmecharakters eng auszulegen und analogieunfähig.2425 Vor allem für den Ausschlussgrund der Eigenkündigung

2410 Semmler WRP 2007, 247 (252). S. a. BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19, WM 2020, 2386, das die Analogie im Rahmen des Abs. 3 Nr. 1 ablehnte. AA Ströbl/Faatz WRP 2006, 1199 (1201) unter Hinweis auf BGH NJW 1996, 848 sowie NJW 1999, 2668. Bieder NJW 2007, 3471 (3472). Bieder NJW 2007, 3471 (3472). Semmler WRP 2007, 247 (252). Semmler WRP 2007, 247 (253). BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19, WM 2020, 2386. BGH, Urt. v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 884; ebenso LG Frankfurt/M. WRP 2004, 1506 mit zust. Anm. Wendel. 2418 Thume BB 1998, 1425 (1429); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 19. 2419 Siehe etwa Wendel WRP 2004, 1507 (1510), der selbst aber aA ist. 2420 Semmler WRP 2007, 247 (253). 2421 BGH, Urt. v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 884; LG Frankfurt/M. WRP 2004, 1506 mit zust. Anm. Wendel; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 243; Hopt § 89b Rn 54; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 157; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 83; aA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 49. 2422 BGH NJW 1996, 848; 1999, 2668; Hopt § 89b Rn 54; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 242; aA Ebenroth/Löwisch; Thume BB 1998, 1425 (1429). 2423 Semmler WRP 2007, 247 (248); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 49; Westphal I Rn 1121; Hopt § 89b Rn 54; aA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 243. 2424 AA Schröder KTS 1960, 149; DB 1962, 896; wohl auch Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 242. 2425 BGH NJW 1984, 2529; 1989, 35 (36); 1995, 1958; 2000, 1866 (1867); Hopt § 89b Rn 69; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 153; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 80; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 82.

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aus § 89b Abs. 3 Nr. 1 ist eine Analogie abzulehnen. Folglich hat der BGH2426 in Abgrenzung zur o. g. Rspr. die schon zuvor geltende hM bestätigt, dass die Ablehnung der Vertragsfortführung mit geänderten Bedingungen durch einen HV oder Vertragshändler nach einer Änderungskündigung des Unternehmers keiner Eigenkündigung des HV oder Vertragshändlers i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 gleichsteht. Auf die Gründe, die den Unternehmer zur Änderungskündigung veranlasst haben, kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die angebotene Vertragsänderung für den HV oder Vertragshändler zumutbar war. Diese Gesichtspunkte können – so auch der BGH – allenfalls im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsprüfung nach § 89b Abs. 1 Nr. 3 Berücksichtigung finden.2427 Zur Begründung wird auch auf die Verfassungswidrigkeit2428 der Regelung verwiesen, und darauf, dass sie gravierend in die Dispositionsfreiheit des HV eingreift.2429 Aus diesem Grund dürften andere Beendigungsgründe nicht in den Anwendungsbereich des § 89b Abs. 3 Nr. 1 gerückt werden, selbst wenn sie von dem HV veranlasst oder verursacht worden seien.2430 Dies gelte etwa für die Vertragsbeendigung wegen selbstverschuldeten Todes des HV, die einvernehmliche Vertragsaufhebung auf Initiative des HV oder die Ablehnung eines Verlängerungsangebotes des vertretenen Unternehmers für einen auslaufenden oder gekündigten HV-Vertrag (Beispiele unten). An eine Gleichstellung zwischen ausgleichsschädlicher Eigenkündigung und Ablehnung des Folgevertrages könnte allenfalls gedacht werden, sofern der Folgevertrag keine Änderungen oder Ungewissheiten für den Mittler mit sich bringt.2431 Aber auch dann dürfte es dabei bleiben, dass rechtstechnisch eine ausgleichsbegründende Vertragskündigung vorliegt und die Ähnlichkeit der Verträge unter Billigkeitsgesichtspunkten bewertet wird. Eine Gegenansicht2432 wird für den Fall der flächendeckenden Strukturkündigung, eingenommen, weil der Hersteller, etwa im Falle der Kündigung nach Änderung der Freistellungsvoraussetzungen einer GVO, kein dauerhaftes Vertragsende erstrebe. Aber auch hier handelt es sich richtigerweise bei der Kündigung um ein Verhalten aus der Risikosphäre des Unternehmers, weshalb es bei der Grundregel bleiben sollte,2433 zumal der Unternehmer die einer Freistellung bedürftigen Vertragsbestimmungen forderte. Außerdem wird für den Fall der Ablehnung eines Folgevertrages durch den HV vertreten, dass nicht der Ausschlusstatbestand des § 89b Abs. 3 Nr. 1 eingreife, sondern der des § 89b Abs. 3 Nr. 2. Eine analoge Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 auf diesen Fall sei abzulehnen.2434 Der Fall der Kündigung durch den Unternehmer werde in § 89b Abs. 3 Nr. 2 ausdrücklich und abschließend geregelt.2435 § 89b Abs. 3

2426 BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 = WRP 2007, 653 = ZIP 2007, 970 = WM 2007, 1042; ebenso OLG Frankfurt/M., Urt. v. 1.2.2006 – 21 U 23/05, OLGR 2006, 736; v. 17.1.2006 – 11 U 34/05 (Kart); v. 1.2.2006 – 21 U 21/05; v. 5.4.2006 – 21 U 10/05; OLG Köln, Urt. v. 31.3.2006 – 19 U 139/05; OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.3.2006 – 1 U 74/05–26; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 245; aA Ströbl/Faatz WRP 2006, 1199 (1201) zum Kfz-Vertrieb: planwidrige Regelungslücke wegen Einführung der GVO 1400/02. Dem widerspricht bereits, dass ein Teil der Hersteller bei der Einführung der GVO 1400/02 ihre Händlerverträge nicht kündigte, siehe Emde GRUR 2006, 997. 2427 BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020; LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08 n. v.; Niebling WRP 2012, 1361 (1364); Semmler WRP 2007, 247 (252); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 245. 2428 Moritz DB 1987, 875 (879); Haas BB 1991, 1441; BB 1992, 941; Noetzel DB 1993, 1557 (1559); Retzer BB 1993, 668; 963; Laber DB 1994, 1275 (1278); aA BVerfG NJW 1996, 381. 2429 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 48. 2430 BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19, WM 2020, 2386; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 69. 2431 OLG Frankfurt/M. OLGR 2006, 736 (738); Urt. v. 1.2.2006 – 21 U 21/05; v. 5.4.2006 – 21 U 10/05; LG Frankfurt/ M., Urt. v. 26.7.2006 – 3/13 O 127/04; LG Saarbrücken, Urt. v. 19.1.2005 – 7 IO 56/04; n. v.; Schönbohm WRP 2004, 695 (699); LG Saarbrücken, Urt. v. 13.11.2001 – 7 II O128/00; Niebling WRP 2012, 1361 (1364); WRP 2010, 81 (83) – nachteilige Abweichungen; Emde BB 2005, 389 (400). 2432 Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 960. 2433 Im Ergebnis wohl Niebling WRP 2012, 1361 (1364). 2434 BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1021; LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08, S. 7, n. v. 2435 LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08, S. 7, n. v. Emde

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Nr. 1 regele nur die Kündigung durch den HV. § 89b Abs. 3 Nr. 2 bewirke eine Sperre gegenüber einer analogen Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 auf Fälle, in denen eine Kündigung des Unternehmers vorliege.2436 Der Ausgleichsanspruch sei selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die Vertragsaufhebung auf die Initiative des HV zurückgehe.2437 Erst recht gelte dies, falls die Vertragsbeendigung – wie nach einer Kündigung des Unternehmers – nicht auf die Initiative des HV zurückgehe. Sachlich liege der Fall einer Änderungskündigung nahe. Bei jener stehe es dem HV jedoch frei, ob er sich für die angebotene Fortsetzung des Vertragsverhältnisses entscheidet. Ausgleichsrechtlich sei dies irrelevant.2438 Jedenfalls kann der Mittler nicht gezwungen werden, Verträge mit völlig abweichenden Bestimmungen zu akzeptieren.2439 Die Ablehnung eines Folgevertrages, z. B. mit einem geänderten Margensystem, oder die Herabstufung des Händler- zum Werkstattvertrag,2440 kann auch deshalb keiner Eigenkündigung gleichgestellt werden. Dem Mittler muss ausreichend Zeit gewährt werden, um den Folgevertrag zu prüfen, weshalb er einen zu kurz vor dem Vertragsende übermittelten Vertrag ablehnen darf.2441 Die Beweislast für ein unverändertes Angebot trifft den Hersteller.2442 Eine Reduzierung des Ausgleichs unter Billigkeitsgesichtspunkten dürfte entweder gering ausfallen, wenn nicht sogar ausscheiden,2443 jedenfalls soweit der Folgevertrag über die Umsetzung des Änderungsbedarfs einer auslösenden GVO hinausgeht.2444 Ein Billigkeitsabschlag ist nur möglich, falls es sich bei dem abgelehnten Folgevertrag um eine nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB geforderte Vertragsanpassung handelt,2445 was regelmäßig auszuschließen ist. Wird nach einer außerordentlichen Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens des HV – meist im Interesse des HV – eine Aufhebungsvereinbarung geschlossen, bleibt der Ausgleich ausgeschlossen.2446 406 Es steht keiner Eigenkündigung gleich, falls – die Initiative zu einem Aufhebungsvertrag vom HV ausgeht.2447 Die Gegenansicht2448 will solche Fälle der Eigenkündigung durch den HV gleichstellen. Die Frage ist dann, wie man daraufhin die Begrenzung vorzunehmen habe. Bildet eine Initiative des HV schon die vorsorglich gehaltene Anfrage, ob der Unternehmer bereit sei, in eine einverständliche Aufhebung einzuwilligen, man selbst wolle jedoch nicht von sich aus kündigen – der Unternehmer hatte daraufhin sich einverstanden erklärt? Soll es einen Unterschied machen, ob die Einigung auf Grund von Gegenvorschlägen des Unternehmers nach längerem Aushandeln schließlich zu anderen Bedingungen zustande kommt als denjenigen, die der HV zunächst 2436 BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022). 2437 BGH, Urt. v. 13.3.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 = NJW 1969, 1023; v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022). BGH, Urt. v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98; v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022). Emde BB 2005, 389 (400). Niebling WRP 2012, 1361 (1364). OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.3.2006 – 1 U 74/05–26; LG Saarbrücken, Urt. v. 19.1.2005 – 7 I O 56/04; LG Frankfurt/M., Urt. v. 3.3.2005 – 3/10 O 129/04; v. 3.3.2005 – 3/10 O 134/04; vgl. Semmler WRP 2007, 247 (250). 2442 LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2005 – 3 – 13 O 138/04; Semmler WRP 2007, 247 (250) Fn. 34. 2443 OLG Düsseldorf HVR Nr. 130; Hopt § 89b Rn 34; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 146; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 121; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 55; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 112; aA Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 962. 2444 OLG Köln OLGR 2006, 651 (654); OLG Köln, Urt. v. 31.3.2006 – 19 U 139/05; vgl. Semmler WRP 2007, 247 (251); aA LG Frankfurt/M., Urt. v. 26.7.2006 – 3-13 O 127/04: Billigkeitsabschlag von 5 %. 2445 OLG Nürnberg HVR Nr. 571, 4; OLG Hamm HVR Nr. 511, 4; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 74. 2446 OLG Hamm, Urt. v. 3.7.1997, NJW-RR 1988, 54. 2447 BGH, Urt. v. 13.3.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 = BB 1969, 460; v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022) = WRP 2007, 653 = ZIP 2007, 970 = WM 2007, 1042 = NJW 2007, 3493 Rn 19; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 69; LG Hamburg, Urt. v. 1.10.1969, HVR Nr. 403; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 231; aA LG Saarbrücken, Urt. v. 3.2.1975, VW 1976, 1061. 2448 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 28a sowie in KTS 1960, 148/149 und in DB 1962, 896.

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vorgeschlagen hatte? Das Gesetz kennt keine Unterscheidung nach „Initiativen“. Im Übrigen können die hinter einer einverständlichen Vertragsaufhebung stehenden Anlässe den Ausgleich immer noch im Billigkeitswege (Abs. 1 S. 1 Nr. 3) beeinflussen;2449 wenn der HV eine auflösende Bedingung herbeiführt.2450 Nach der Gegenansicht ist der Ausgleich daher ausgeschlossen, sofern die Auflösung nicht aus begründetem Anlass oder wegen Alters oder Krankheit erfolgt.2451 der HV Selbstmord begeht;2452 angeblich auch nicht, falls der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht nach § 103 InsO ausübt2453 (sofern es ihm zusteht, dazu § 89 Rn 22). Mglw. ist eine Lösung des Falles eher über eine Kündigung des Insolvenzverwalters aus begründetem Anlass (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) zu suchen.

3. § 89b Abs. 3 Nr. 2: Kündigung des Unternehmers aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV 408 a) Europarechtliche Präformation. § 89b Abs. 3 Nr. 2 findet sein europarechtliches Vorbild in Art. 18 lit. a RL. Dessen Grundgedanke ist, dass dem HV der Ausgleichsanspruch nur zustehen soll, wenn dies den Interessen des Unternehmers entspricht. Der Anspruch besteht daher nur, falls der HV nicht gegen die Interessen des Unternehmers gehandelt hat. Sofern dagegen der HV, indem er die in Art. 3 RL genannten Pflichten verletzt hat, die Interessen des Unternehmers missachtet und damit das zwischen ihm und dem Unternehmer bestehende Vertrauensverhältnis zerstört hat, ist er nicht mehr schutzwürdig. In diesem Fall kann von dem Unternehmer nicht verlangt werden, dass er dem HV einen Ausgleich zahlt, mit welchem der HV für seine Anstrengungen, den Kundenstamm unter Einhaltung seiner Pflichten auszubauen, entschädigt werden soll.2454 Die Gewährung eines Ausgleichs für einen HV, von dem feststeht, dass er seine Pflichten verletzt hat, würde eine Bereicherung darstellen, die auf einem betrügerischen Verhalten beruhen würde, was nicht die Absicht bei der Annahme von Art. 18 lit. a RL war.2455 Art. 18 lit. a RL ist als Ausnahmebestimmung eng auszulegen,2456 was insb. die analoge Anwendung in Fällen der Vertragsverletzung ohne Beendigung des Vertrages durch den Unternehmer wegen eines schuldhaften Verhaltens des HV ausschließt. Wie oben, A III., dargelegt, fordert Art. 18

2449 BGHZ 52, 15. 2450 BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19, WM 2020, 2386; aA Schröder DB 1962, 896; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 243.

2451 BGH BB 1996, 235 (dort wurde die Ablehnung einer neuen Provisionsberechnung als begründeter Anlass angesehen); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 244. Diese Ansicht wurde von BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19 ausdrücklich aufgegeben. 2452 BGH BB 1973, 815; 1966, 876; BGHZ 60, 350 (352 f.); 45, 385 (387); Urt. v. 6.2.1964, BGHZ 41, 129 = BB 1964, 328, jedenfalls wenn der HV nicht mit unmittelbarem oder bedingtem Vorsatz in den Tod geht. Diese ohnehin kaum praktische Einschränkung wird sich heute angesichts der engen Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 nicht mehr aufrechterhalten lassen; siehe Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VIII Rn 129; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 231; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 164. Deshalb hat der BGH in seinem Urt. v. 30.6.1966, BB 1966, 876 einschränkend entschieden, die entsprechende Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 auf den Selbstmord sei nur dann gerechtfertigt, wenn hierfür einleuchtende Gesichtspunkte sprächen. Davon könne jedoch keine Rede sein, weil sowohl die Gründe, aus denen sich ein Mensch das Leben nehme, als auch das Maß seiner Verantwortlichkeit für einen solchen Schritt zu unterschiedlich seien. 2453 Ströbl EWiR 2010, 159 (160). 2454 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 49. 2455 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 50. 2456 EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495 (2496) Rn 42. Emde

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lit. a RL jedoch keine tatsächlich erklärte fristlose Kündigung des Unternehmers. Es genügt, dass der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des HV beendet hat (engl.: „terminated“).2457 Vorliegen müssen also lediglich eine Vertragsbeendigung durch den Unternehmer, wozu ein Aufhebungsvertrag oder eine ordentliche Kündigung genügt, und die entsprechende Motivation des Unternehmers („wegen eines schuldhaften Verhaltens des HV“).

b) Analoge Anwendung auf HV-ähnliche Vertriebsmittler. Abs. 3 Nr. 2 wird analog auf HV- 409 ähnliche Vertriebsmittler angewandt.2458

c) Beendigung des Vertrages. § 89b Abs. 3 Nr. 2 fordert eine Kündigungserklärung. Dies ist 410 nicht RL-konform. Es muss lediglich eine Beendigung des Vertrages durch den Unternehmer vorliegen. Dabei ist im Grundsatz irrelevant, ob es sich um eine Vertragsaufhebung, eine außerordentliche oder auch nur um eine ordentliche Kündigung handelt2459 (etwa um den HV nicht in seinem Fortkommen zu hindern, oder weil für den Unternehmer nicht sofort Ersatz zur Verfügung stand2460), solange nur die Kausalität zwischen schuldhaftem Verhalten und Vertragsbeendigung durch den Unternehmer existiert. Selbst der Wortlaut des Abs. 3 Nr. 2 fordert nur eine Kündigung, gleich welcher der beiden vorgenannten Arten. Auch Art. 18 lit a RL verlangt keine außerordentliche Kündigung. Jedoch muss ein wichtiger Grund vorliegen. Und daran wird es häufig fehlen, falls der Unternehmer mit ordentlicher Kündigungsfrist kündigt. Denn darin kann eine Selbstwiderlegung der Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung liegen (s. die Kommentierung zu § 89a). Die harschen Folgen des Ausgleichswegfalls lassen es aber auch im Falle einer ordentlichen Kündigung erforderlich erscheinen, dass vor Ausspruch der Kündigung abgemahnt wird, sofern dies im Falle einer Kündigung nach § 89a erforderlich wäre.

d) Wichtiger Grund. Der Begriff des wichtigen Grundes ist der gleiche wie in § 89a,2461 so dass 411 insb. wegen der Kasuistik auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden kann. Der Grund braucht bei der Kündigung nicht genannt zu werden.2462 Beweisen muss ihn der Unternehmer ohnehin. Der Ausgleichsausschluss nach Abs. 3 Nr. 2 ist nicht allein wegen der in der Kündigungserklärung genannten Gründe möglich. Sonst müsste der Unternehmer endlose Sequenzen möglicher Kündigungsgründe auflisten. Auch ein Nachschieben von Gründen wäre ausgleichsrechtlich unzulässig. Das im Rahmen der Analogie (Rn 414 ff.) streitige TB-Merkmal „wegen“ besagt nicht, dass der Grund erwähnt werden muss. Es bezeichnet nur die Motivation, die nicht nach außen treten muss. Die Angabe der Gründe mag aber einen Hinweis auf die wahre Motiva2457 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 29. 2458 Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) = BB 2010, 335 m. Anm. Salomon/Wegstein Rn 27 (Vertragshändler); Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 49. 2459 Siehe BGHZ 48, 222 (224 ff.) = BGH NJW 1967, 2154 f.; NJW 1958, 1967; WM 1975, 856; KG HVR (94) Nr. 811; OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 29; Hopt § 89b Rn 64. 2460 OLG Düsseldorf BB 1956, 376. 2461 BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) = BB 2010, 335 m. Anm. Salomon/Wegstein Rn 27 (Vertragshändler); Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 = VersR 2009, 355; v. 16.2.2000, NJW 2000, 1866 = VersR 2000, 582 = BB 2000, 736 (m. Anm. Emde); v. 21.3.1985, HVR Nr. 600; v. 11.7.1975 – I ZR 172/74, zitiert bei v. Gamm NJW 1979, 2194; v. 21.11.1960, VersR 1961, 51; OLG Düsseldorf v. 12.9.1972, HVR Nr. 464; Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 53; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 247; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65; aA noch die Vorinstanz zu BGH VersR 2000, 582, nämlich das OLG Bamberg NJW-RR 1999, 1195 mit krit. Anm. Emde EWiR 1999, 891. 2462 BGHZ 24, 30. 431

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tion geben, weshalb in der Literatur die Angabe des Kündigungsgrundes empfohlen wird.2463 Im Rahmen des weiten, alle Umstände einbeziehenden Billigkeitsgrundsatzes könnten ohnehin alle Gründe berücksichtigt werden, auch ungenannte. Wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung eines HV-Vertrages i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 2 ist jeder während der Vertragsdauer eintretende2464 tatsächliche oder rechtliche Umstand bzw. jedes Ereignis oder Verhalten, welcher/welches bei Beachtung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Wesen und Zweck des HV-Vertrages sowie der durch den Vertrag begründeten beidseitigen Rechte und Pflichten dem kündigenden Vertragspartner die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dem im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen oder einem durch fristgerechte Kündigung nach § 89 herbeizuführenden Vertragsende unzumutbar macht, weil es trotz Beachtung des Grundsatzes der Vertragstreue Treu und Glauben sowie der Billigkeit widerspricht, den Kündigenden am Vertrag festzuhalten.2465 Ein Schaden braucht dem Unternehmer nicht entstanden zu sein.2466 Ergänzend kann auf die Ausführungen zu § 89a verwiesen werden.

412 e) Schuldhaftes Verhalten des HV. § 89a gestattet die außerordentliche Kündigung bereits bei bloßer Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung. Die Voraussetzungen des Ausgleichsausschlusses nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 sind strenger: Zum Ausgleichsausschluss kommt es nur, sofern die Kündigung wegen „schuldhaften Verhaltens“ des HV erklärt wird.2467 Eine außerordentliche Kündigung ohne schuldhaftes Verhalten wirkt ausgleichserhaltend.2468 Sowohl wichtiger Grund wie schuldhaftes Verhalten des HV sind vom Unternehmer nachzuweisen.2469 Folglich genügt es nicht, wenn der Kündigungsgrund nur aus der Sphäre des HV stammt,2470 von ihm aber nicht verschuldet ist. Fahrlässigkeit des HV ist gem. § 276 BGB ausreichend.2471 Der Schuldvorwurf muss den HV aber persönlich treffen,2472 wobei ein Organisations-, Auswahl- oder Überwachungsverschulden ausreicht.2473 § 278 BGB ist nicht anwendbar (s. u.).2474 Bei HV-Gesellschaften muss ein Verschulden ihrer Organe vorliegen.2475 Das Gesetz spricht nicht von „vertretenmüssen“. 413 Ein schuldhaftes Verhalten von Angestellten, überhaupt: von Erfüllungsgehilfen des HV (z. B. [echter] Untervertreter2476) genügt nicht,2477 sondern kann allenfalls zu einer Herabsetzung des Ausgleichs im Billigkeitswege führen. Eigenes Verschulden kann jedoch die mangelnde Überwachung der Mitarbeiter darstellen. Der Grundsatz, dass ein Verschulden von Hilfspersonen nicht geeignet ist, den Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 auszuschließen, greift 2463 Koch ZIP 2011, 1752 (1757); Thume IHR 2011, 7 (16); Köhnen BB 2011, 977. 2464 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 51; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.11.2001-16 U 149/00, OLGR 2002, 164. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 63. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 246. BGH, Urt. v. 16.2.2000 – VIII ZR 134/99, NJW 2000, 1866; OLG München NJW-RR 1995, 1186; BB 1997, 1553; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 250. 2469 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2470 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 63. 2471 BGH, Urt. v. 13.7.1972 – VII ZR 166/71, WM 1972, 1095 (1096); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2472 BGH, Urt. v. 5.2.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878; v. 18.7.2007 – VIII ZR 267/05, ZIP 2008, 80 = DB 2008, 2528; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 247; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2473 OLG Celle BB 1958, 894; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 247; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2474 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 5; § 89b Rn 30; aA Hirsch JR 1960, 60. 2475 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 247. 2476 OLG Hamm MDR 1959, 1016. 2477 BGH NJW 2007, 3068 Rn 7; BB 1959, 317; BGHZ 29, 275; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 247.

2465 2466 2467 2468

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aber dann nicht ein, wenn ein Dritter, etwa ein Familienangehöriger,2478 der nicht Vertragspartner ist, nach dem übereinstimmenden Willen der Beteiligten in Wahrheit den Vertrag ausführt. Beispiel: der HV-Vertrag wird nur zum Zwecke des Ausschlusses der gegen den Ehemann als wirtschaftlich Vertragsführenden gerichteter Pfändungen Dritter mit dessen Ehefrau abgeschlossen. Wirtschaftlich besehen sei der Ehemann Vertragspartner, so dass sein Verhalten und Verschulden zum Ausgleichsausschluss führen könne.2479 In einem solchen Fall kann sich der HV nicht darauf berufen, dass der Dritte nur sein Erfüllungsgehilfe gewesen sei.2480 Wird bei Vertragsschluss ein Dritter vorgeschoben, kommt es also auf das Verschulden der Person an, die den Vertrag tatsächlich ausführt.2481 Daher lässt sich eine Spaltung der Verantwortlichkeit nicht schon erreichen, indem der HV aus Gründen der Tarnung vor seinen Gläubigern sein Agenturgeschäft nach außen unter der Firma seiner Ehefrau laufen lässt, während er selbst als deren „Angestellter“ es in Wahrheit weiter betreibt; alsdann soll unverändert auf sein Verschulden für die anspruchszerstörende Berechtigung zur fristlosen Kündigung abzustellen sein.2482 Zur Behandlung von Umgehungsfällen § 86 Rn 126 ff.

f) Analoge Anwendung auf andere als Kündigungssituationen nach § 89a aa) Einleitung. Mehrfach ist versucht worden, die Vorschrift analog anzuwenden, etwa wenn 414 der Unternehmer nach Ablauf einer festen Vertragslaufzeit eine Verlängerung ablehnt, weil ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt,2483 eine Kündigungserklärung unterbleibt, obwohl ein wichtiger Grund tatsächlich vorlag2484 oder der HV-Vertrag einverständlich aufgehoben wird, obwohl ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV existierte;2485 mit Wirkung für den Ausgleich aber auch die dem Unternehmer nach dem Vertrage gestattete einseitige Verkleinerung des Bezirks oder Kundenkreises, falls er eine solche Maßnahme wählt (und sie gestattet ist), statt zur fristlosen Kündigung zu schreiten. Der BGH2486 will das gleiche Ergebnis, da er eine analoge Anwendung des Abs. 3 S. 2 auf solche Fälle wegen des Ausnahmecharakters der Bestimmung ablehnt, nur im Wege der Billigkeitsklausel des Abs. 1 S. 1 Nr. 2 erreichen.2487 Man kann sich darüber streiten, ob in diesen Fällen eine Analogie angebracht ist oder ob der Ausschluss auf dem Billigkeitsgrundsatz beruht.2488 Eine Erweiterung des Ausschlusstatbestandes im Wege einer Analogie dahingehend, dass der Ausgleichsanspruch gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 auch dann entfällt, wenn ein Kündigungsgrund i. S. d. Vorschrift zwar nicht vorliegt, der Unternehmer aber für seine Kündigung andere vernünftige Gründe hat und eine Fortsetzung des Vertrages zu geänderten Bedingungen angeboten hat, kommt nicht in Betracht.2489 2478 BGH, Urt. v. 18.7.2007 – VIII ZR 267/05, ZIP 2008, 80 = DB 2008, 2528. 2479 BGH, Urt. v. 23.1.1964, BB 1964, 409 = VersR 1964, 428; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2480 BGH, Urt. v. 18.7.2007 – VIII ZR 267/05, ZIP 2008, 80 = DB 2008, 2528; v. 23.1.1964 – VII ZR 172/62, VersR 1964, 428.

2481 BGH, Urt. v. 23.1.1964 – VII ZR 126/62, VersR 1964, 428; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2482 BGH DB 1964, 582. 2483 BGH, Urt. v. 7.3.1957, BGHZ 24, 30 = NJW 1957, 871; OLG München NJW 1958, 873; OLG Stuttgart BB 1960, 957; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 64. 2484 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 68. 2485 Für einen Ausgleichsausschluss: OLG Nürnberg, Urt. v. 19.12.1958 – 1 U 100/57, BB 1959, 318 = VersR 1959, 307; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 253; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 64; Hopt § 89b Rn 64; aA Oetker/Busche5 § 89b Rn 40. Nach LG Münster, Urt. v. 22.12.2008, zit. nach Küstner VW 2010, 131 (132) sowie Küstner a. a. O. scheidet bei Abschluss in Kenntnis des wichtigen Grundes ein Ausgleichsausschluss aus. 2486 BGH, Urt. v. 16.2.2000 – VIII ZR 134/99, ZIP 2000, 618; v. 30.6.1966 – VII ZR 124/65, BGHZ 45, 385 (388) = NJW 1966, 1965; BGHZ 52, 12 (15); deutlicher in LM § 89b HGB Nr. 5. 2487 Zustimmend Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 146. 2488 So der Weg des BGH, Urt. v. 6.2.1964, BGHZ 41, 129 = NJW 1964, 915; v. 12.4.1973, BB 1973, 815. 2489 BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1021. 433

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415 bb) Kausalitätserfordernis im Falle nachträglicher Kenntnisnahme vom wichtigen Grund. Zu unterscheiden sind folgende Situationen2490: • Der Unternehmer kündigt berechtigt wegen schuldhaften Verhaltens des Mittlers aus wichtigem Grund. Dies ist der im Gesetz geregelte Standardfall des § 89b Abs. 3 Nr. 2. Dabei ist irrelevant, ob es sich um eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung handelt (s. o.). • Der Unternehmer erlangt nach einer ausgleichswahrenden Kündigung, jedoch vor Ablauf der laufenden Kündigungsfrist, Kenntnis vom schuldhaften Verhalten des Mittlers. Er kann jetzt die den Ausgleich ausschließende fristlose Kündigung nach §§ 89a, 89b Abs. 3 Nr. 2 nachschieben. • Der Unternehmer kündigt ordentlich oder außerordentlich; das schuldhafte Verhalten des HV motivierte diese Kündigung aber nicht. • Der Unternehmer erlangt erst nach Vertragsende Kenntnis von (vertragsbegleitend – vor oder nach Ausspruch der Kündigung – bestehenden) wichtigen Kündigungsgründen, so dass eine ausgleichsvernichtende Kündigung nach den §§ 89a, 89b Abs. 3 Nr. 2 nicht nachgeschoben werden kann.2491 Denn der Vertrag ist bereits beendet. 416 Problematisch und im Folgenden besprochen werden die zwei letztgenannten Konstellationen. 417 Die lange herrschende und z. T. auch heute noch vertretene Meinung2492 ließ in diesen Situationen trotz fehlender außerordentlicher Kündigung den Ausgleich analog Abs. 3 Nr. 2 entfallen, solange nur objektiv während der Vertragszeit ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens des HV vorlag. Dabei war unerheblich, ob gar keine Kündigung vorlag oder jedenfalls eine Kündigung, diese allerdings als ordentliche Kündigung ggf. nicht aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV erklärt war (etwa um den HV nicht in seinem Fortkommen zu hindern, oder weil für den Unternehmer nicht sofort Ersatz zur Verfügung stand2493). In beiden Fällen genügte also das objektive Vorliegen eines wichtigen Grundes und ggf. das Nachschieben von Kündigungsgründen in einem Gerichtsverfahren2494 (s. unter aa). Sogar das gänzliche Fehlen einer Kündigung war analog Abs. 3 Nr. 2 ausreichend, sofern vertragsbegleitend nur ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV vorlag, der, zum eventuellen Kündigungsausspruch hinzukommend, den Unternehmer zur fristlosen Lösung des Vertragsverhältnisses hätte berechtigen können.2495 Dies ließ konsequenterweise sogar eine Rückforderung des Ausgleichs nach Zahlung zu, falls der Unternehmer erst danach Kenntnis des Kündigungsgrundes erlangte (zum Rückforderungsanspruch s. u.). Das gefiel einer neueren Ansicht nicht. Sie entnimmt Art. 18 RL, dass der Unternehmer den Vertrag „wegen“ eines schuldhaften Verhaltens des HV kündigen (besser: „beenden“, s. u.)

2490 Vgl. Küstner VW 2010, 131 (132). 2491 Koch ZIP 2011, 1752 (1757). Die Frage, ob nach Vertragsende noch außerordentlich gekündigt werden kann lassen Salomon/Wegstein BB 2010, 339 (340) offen.

2492 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde); BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) mit umfassender Darstellung der Rspr.; Urt. v. 16.2.2000, NJW 2000, 1866 = VersR 2000, 582 = BB 2000, 736 (m. Anm. Emde); v. 6.7.1967 – VII ZR 35/65, BGHZ 48, 222 = NJW 1967, 2154; v. 7.3.1957 – II ZR 261/55, BGHZ 24, 30 = NJW 1957, 871; v. 12.6.1963 – VII ZR 72/61, BGHZ 40, 13 = NJW 1963, 2069; LG Stralsund, Urt. v. 18.12.2007 – 4 O 220/07, n. v.; Pauly MDR 2013, 694 (697); Ayad BB 2010, 3048 (3049); Balke/ de Groot NJOZ 2010, 1551 (1555). So wohl auch das französische Recht, welches die Entscheidung EuGH C-203/09 eng auslegt, siehe Stade IHR 2016, 49 (53). 2493 OLG Düsseldorf BB 1956, 376. 2494 Vgl. BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde); Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1555); Ebenroth/Löwisch1 § 89b Rn 66. 2495 BGH, Urt. v. 6.7.1967 – VII ZR 35/65, BGHZ 48, 222 = NJW 1967, 2154. Emde

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musste, um den Ausgleichsausschluss nach Abs. 3 Nr. 2 herbeizuführen.2496 Nach jener Meinungsgruppe entspricht es innerhalb des Anwendungsbereichs der RL sowohl dem Ausnahmecharakter des § 89b Abs. 3 Nr. 2 wie einer europarechtskonformen Auslegung,2497 dass während der Vertragsdauer eine zumindest ordentliche Kündigung erklärt werden und jene kausal durch das schuldhafte Verhalten des HV verursacht sein musste,2498 was auch außerhalb der RL – richtigerweise aufgrund der Einheit des Vertriebsrechts – zu berücksichtigen sei.2499 Ein Nebeneinander der „Kündigung“ sowie des „schuldhaften Verhaltens“ und ein Zusammenführen beider TB (erst) im Prozess oder ganz allgemein ein Nachschieben wichtiger Kündigungsgründe trotz fehlender außerordentlicher Kündigung2500 war ihrgemäß im Anwendungsbereich der RL unzulässig. Es streiten also 2 Prinzipien: die starre Rechtsfolge des § 89b Abs. 3 Nr. 2 analog (völliger Ausgleichswegfall) und der flexiblere Billigkeitseinwand. Der BGH argumentierte zunächst aus der Genese der RL, dass das Wortlautargument der neueren Meinungsgruppe nicht zwingend sei.2501 Eine verheimlichte Vertragswidrigkeit, welche eine zeitnahe Kündigung verhinderte, würde belohnt; der versteckt handelnde Mittler gegenüber dem offen agierenden bevorzugt.2502 Der vom BGH angerufene EuGH gab dann in einer recht „kurzsilbigen“2503 Entscheidung in einem Fall, in welchem die zur Kündigung nach § 89a berechtigende Vertragswidrigkeit erst nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung begangen wurde (aber bis zum Vertragsende unbekannt blieb), dem Wortlautargument und der neueren Ansicht den Vorrang2504 und forderte eine vom Unternehmer zu beweisende2505 unmittelbare Kausalität2506 des wichtigen Grundes für die Kündigung, wobei Mitkausalität genügen dürfte.2507 Der BGH schloss sich daraufhin der neueren Ansicht an.2508 Auch die vom EuGH2509 in einer anderen Entscheidung geforderte HVfreundlichste Auslegung der RL sprach wegen des abschließenden Charakters der Ausschlussgründe zugunsten der neueren Ansicht. Für die Praxis dürfte der Streit durch die Entscheidungen des EuGH sowie des BGH i. S. d. neueren Ansicht entschieden sein, wohl auch für den vom EuGH nicht entschiedenen Fall, in welchem der wichtige Grund zur Kündigung zum Zeitpunkt der (ggf. sogar außerordentlichen) Kündigungserklärung existierte, dem Unternehmer jedoch 2496 EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495 (2496) Rn 38 f.; 41 – auch zur Wertung in anderen Amtssprachen; kritisch gegenüber dem Wortlautargument Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 38. 2497 Siehe dazu auch BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19, WM 2020, 2386. 2498 EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495; BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 = EWiR 2007, 525 (Döpfer); OLG Rostock, Urt. v. 4.3.2009 – 1 U 57/08, NJW-RR 2009, 1631 = EWiR 2009, 385 (Emde) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 8.3.2011 – VIII ZR 75/09 – in Abweichung von BGH NJW 1967, 2154 und BGH NJW 2000, 1866 (1868); Küstner VW 2010, 131 (132); Thume BB 2004, 2473 (2476); Salomon/Wegstein BB 2010, 339; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 93; Canaris Handelsrecht, 24. Aufl., § 15 Rn 119; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 150; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 137; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 173; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 65; Hopt § 89b Rn 66; Oetker/Busche, 5. Aufl., § 89b Rn 40; Roth in: Koller/Roth/Morck, § 89b Rn 17; Fischer ZVglRWiss 2002, 143 (156); krit. Koch ZIP 2011, 1752 (1756 f.). 2499 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 19; aA Pauly MDR 2013, 694 (697). 2500 AA Ebenroth/Löwisch1 § 89b Rn 66. 2501 BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) = BB 2010, 335 Rn 19 m. Anm. Salomon/Wegstein BB 2010, 339. 2502 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 55 ff.; zust. Koch ZIP 2011, 1752 (1756 f). 2503 Ayad BB 2010, 3048 (3049). 2504 EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495 Rn 38 f.; 41. 2505 Semler GWR 2010, 311309. 2506 EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495 Rn 389. 2507 Semler GWR 2010, 311309. 2508 BGH, Beschl. v. 8.3.2011 – VIII ZR 75/09; Urt. v. 16.2.2001 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620. 2509 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = EWiR 2009, 239 (Emde). 435

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unbekannt blieb und die Kündigung daher nicht motivieren konnte2510 sowie außerhalb des Anwendungsbereichs der RL2511 (zumal der EuGH2512 einen Vertragshändlerfall entschied). Die Mitkausalität des wichtigen Grundes kann auch im Falle einer ordentlichen Kündigung existieren.2513 Das vom EuGH gefundene Ergebnis leitet sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Abs. 3 Nr. 2 her, eine RL-konforme Auslegung ist unnötig.2514 Wenngleich die analoge Anwendung einer auf der RL fußenden Vorschrift auch im direkten Anwendungsbereich der RL2515 zulässig ist und Zweifel bestehen, ob eine RL-konforme Auslegung außerhalb des Anwendungsbereichs der RL im Wege „quasi-richtlinienkonformer Auslegung“2516 eine analoge Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 2 ausschließt, steht Art. 18 lit. a RL nach Ansicht des EuGH wohl auch einer Analogie des Abs. 3 Nr. 2 entgegen.2517 Nach beiden Meinungsgruppen, insb. nach der die Analogie ablehnenden Ansicht,2518 418 könnte die Vertragswidrigkeit des HV wohl (hilfsweise) im Rahmen des auch von der RL anerkannten, flexibleren Billigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen sein2519 und ggf. zu einer partiellen2520 Ausgleichsreduzierung oder zu einer solchen auf Null führen,2521 z. B. wenn der HV heimlich einen Wettbewerber des Unternehmers vertritt2522 oder das Verhalten des HV nicht schuldhaft erfolgte und § 89b Abs. 3 Nr. 2 unanwendbar ist (hier wird man eine Sperrwirkung des Abs. 3 Nr. 2 wohl ablehnen müssen). So widerspricht es der Billigkeit, dem HV einen Ausgleich zuzusprechen, nur weil der Unternehmer die verbotene Konkurrenztätigkeit des HV bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht bemerkte.2523 Der Berücksichtigung aller Umstände im Rahmen der Billigkeitsprüfung steht die RL nicht entgegen (Art. 17 Abs. 2 lit. a, 2. Spiegelstrich

2510 2511 2512 2513 2514 2515

Koch ZIP 2011, 1752 (1757); Semler GWR 2010, 311309. Semler GWR 2010, 311309. EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495. Semler GWR 2010, 311309. AA Semler GWR 2010, 311309. Siehe BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde), der diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorlegt; Emde DStR 2009, 1478 (1483); Emde EWiR 2009, 386; 2009, 612. 2516 Vgl. MünchKommBGB/Lorenz 5. Aufl, vor § 474 Rn 4 m. w. N. 2517 Wenngleich EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495 nur zur RL entschied, wird man – auch da ein Vertragshändlerfall entschieden wurde – Rn 45 der Entscheidung so verstehen müssen; aA Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde); Emde EWiR 2009, 386; zur europarechtl. Analogie bei Ausnahme-TB: Borchardt in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, § 15 Rn 22. 2518 EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495 (2496) Rn 44. 2519 EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495 (2496) Rn 44; BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 41 (Kfz-Vertragshändler). 2520 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 Rn 41 (Kfz-Vertragshändler) – 10 % Kürzung wegen Vertragswidrigkeit; OLG Rostock, Urt. v. 4.3.2009 – 1 U 57/08, NJW-RR 2009, 1631 = EWiR 2009, 385 (Emde) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 8.3.2011 – VIII ZR 75/09: Das OLG nahm nach einem vertragsbegleitend unentdeckten Wettbewerbsverstoß des HV lediglich einen Teilausschluss des Ausgleichs (mit entsprechendem Rückforderungsrecht nach überhöhter Ausgleichszahlung) an. Der Ausgleich wird also in Höhe des durch den Verstoß entstehenden Wegfalls der Vorteile des Unternehmers reduziert. Ebenso Koch ZIP 2011, 1752 (1757); Köhnen BB 2011, 977. 2521 BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) Rn 21; Urt. v. 16.3.1972 – VII ZR 179/79, VersR 1972, 534 (535); in diese Richtung bereits BGH, Urt. v. 6.7.1967 – VII ZR 35/65, BGHZ 48, 222 = NJW 1967, 2154 (2155); OLG München, Verf. v. 29.11.2005 – 23 U 4612/05, n. v.; Koch ZIP 2011, 1752 (1757); Köhnen BB 2011, 977; Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1555); Döpfer EWiR 2007, 526; Küstner VW 2010, 131 (132); Salomon/Wegstein BB 2010, 339; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 13; Canaris § 15 Rn 119; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2522 OLG München, Verf. v. 29.11.2005 – 23 U 4612/05, n. v.; OLG Rostock, Urt. v. 4.3.2009 – 1 U 57/08, NJW-RR 2009, 1631 = EWiR 2009, 385 (Emde) – best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 8.3.2011 – VIII ZR 75/09. 2523 OLG München, Verf. v. 29.11.2005 – 23 U 4612/05, n. v. Emde

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RL).2524 Solche Auslegungsfragen beurteilen nationale Gerichte.2525 Bei ähnlichem Fehlverhalten spricht das Leitbild des § 89b Abs. 3 Nr. 2 auch unter dem Billigkeitsgrundsatz für einen völligen Ausgleichsausschluss.2526 Die Praxis zeigt aber, dass die Gerichte davon nur selten Gebrauch machen. Sie neigen in vielen Fällen dazu, dem Mittler allenfalls einen etwas geringeren Ausgleich zuzusprechen.2527 An die flexiblere Billigkeitsabwägung wäre insb. zu denken, falls der Unternehmer in Kenntnis des wichtigen Grundes eine ordentliche Kündigung ausspricht, ohne zum Ausdruck zu bringen, er halte eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für unzumutbar. Denn damit gibt er rglm. zu erkennen, er empfinde den Vertragsverstoß des HV nicht als so schwerwiegend, als dass ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar werde.2528 Eine ausgleichsvernichtende Kündigung nach Abs. 3 Nr. 2 scheidet dann aus. Das Problem stellt sich ferner, wenn der Unternehmer nach Abs. 3 Nr. 2 hätte kündigen 419 können, aber der Tod des HV der Kündigung zuvorkommt, oder wenn der Unternehmer, etwa um es im Interesse des HV nicht zu einer Kündigung kommen zu lassen, sich zu einem Aufhebungsvertrag2529 bereit findet. Hier könnte man mit der neueren Ansicht eine analoge Anwendung des Abs. 3 Nr. 2 ablehnen und die Versagung oder Reduzierung des Ausgleichs, wenn man keine Sperrwirkung des Abs. 3 annimmt, allein unter dem Billigkeitsgesichtspunkt des Abs. 1 S. 1 Nr. 3 vornehmen.2530 Bei RL-konformer Auslegung wird auch ein Aufhebungsvertrag, der durch ein schuldhaftes Verhalten des HV motiviert war, für eine Kürzung unter Billigkeitsgesichtspunkten genügen. Das gleiche gilt für jede andere Form der Vertragsbeendigung durch den Unternehmer (wobei Mitursächlichkeit des Unternehmers genügt), die wegen eines schuldhaften Verhaltens des HV zustande kam. Bei der Beendigung des Vertrages mittels Krankheit soll der Ausgleich auch dann nicht ausgeschlossen sein, wenn der Unternehmer zur Kündigung nach § 89a berechtigt gewesen wäre. Der Umstand sei unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu berücksichtigen.2531 Ebenso liegt es, wenn eine beabsichtigte, die Kündigung nach § 89a im Interesse des HV (oder des Unternehmers, der eine geräumigere Umstellungsfrist erreichen will) vermeidende einverständliche Aufhebung des Vertrages durch den dazwischen tretenden Tod des HV nicht mehr zur Sprache kommt. Der BGH wollte sogar gegenüber einer einverständlichen Lösung des Vertragsverhältnisses, die nicht zur Vermeidung einer Kündigung nach § 89a erfolgt ist, weil Gründe hierfür zunächst nicht bekannt waren, ein „Nachschieben“ später bekannt gewordener wichtiger Kündigungsgründe aus Verschulden des HV zulassen, offenbar mit Wirkung gegen den daraufhin streitig gewordenen Ausgleichsanspruch.2532 Angesichts des weiten Wertungsspielraums für Billigkeitserwägungen kann der Ausgleichs- 420 ausschluss vermöge des Billigkeitseinwandes nicht die gleiche, dem Leitbild des Art. 18 lit. a RL = Abs. 3 Nr. 2 gemäße Rechtssicherheit ermöglichen.2533 Denn er eröffnet einen weiten Beur2524 2525 2526 2527 2528

EuGH, Urt. v. 28.10.2010 – C-203/09, DB 2010, 2495 (2496) Rn 44. Emde EWiR 2009, 612. Emde EWiR 2009, 613; aA mglw. BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, WM 2011, 620 Rn 41. Christoph LMK 2010, 311441. BGH, Urt. v. 16.2.2000, NJW 2000, 1866 = VersR 2000, 582 = BB 2000, 736 (m. Anm. Emde); OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045) = EWiR 2007, 525 (Döpfer); Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 69 (dann mglw. Billigkeitsprüfung). 2529 Für einen Ausgleichsausschluss: OLG Nürnberg, Urt. v. 19.12.1958 – 1 U 100/57, BB 1959, 318 = VersR 1959, 307; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 253; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 64; Hopt § 89b Rn 64; aA Oetker/Busche5 § 89b Rn 40. Nach LG Münster, Urt. v. 22.12.2008, zit. nach Küstner VW 2010, 131 (132) sowie Küstner a. a. O. scheidet bei Abschluss in Kenntnis des wichtigen Grundes ein Ausgleichsausschluss aus. 2530 BGH, Urt. v. 3.5.1995, BB 1995, 1437; NJW 1958, 1966; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 52. 2531 BGH, Urt. v. 3.5.1995, BB 1995, 1437; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 52. 2532 Wie der kurze Bericht über das Urteil v. 18.12.1975 – VII ZR 75/75 VW 1976, 517 erschließen lässt. 2533 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 65 ff. 437

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teilungsspielraum und führt nicht zwingend zum völligen Ausgleichswegfall. Außerdem sind Billigkeitserwägungen revisionsrichterlich nur eingeschränkt überprüfbar;2534 Rechtsunsicherheit und abweichende Ergebnisse verschiedener Gerichte sind zu erwarten.2535 Zudem bietet der Billigkeitseinwand Staaten, die sich für die von Art. 17 Abs. 3 RL gewiesene Schadenersatzlösung (ohne Billigkeitseinwand) entschieden haben, keine Ausschlussmöglichkeit.2536 Dem Unternehmer ist zu raten, bei (noch) vertragsbegleitender Kenntnis des Kündigungsgrundes trotz bereits erklärter ordentlicher Kündigung erneut außerordentlich zu kündigen, um den Ausschluss-TB des § 89b Abs. 3 Nr. 2 herbeizuführen.2537 Ein bereits beendeter Vertrag kann allerdings kaum noch außerordentlich gekündigt werden.2538 Schon auf der Basis der früher h. M. durfte der Unternehmer den wichtigen Grund auch 421 nachschieben.2539 Nichts anderes gilt nach der neueren Ansicht, die den Ausgleichsanspruch unter Billigkeitserwägungen kürzt. Denn Billigkeitserwägungen dürfen jederzeit vorgetragen werden.2540 Das kann geschehen: während der laufenden Kündigungsfrist (hier als nachgeholte sofortige Kündigung) als auch im Streit um den Ausgleich nach Vertragsende, sofern der Unternehmer erst jetzt von dem vertragswidrigen Verhalten des HV Kenntnis erlangt hat und dieses Verhalten vor oder nach Ausspruch der ursprünglichen Kündigung in der Zeit bis Vertragsende betätigt worden war. Eine Abmahnung ist in dieser Situation nicht erforderlich.2541 Der Unternehmer kann nicht mittels Abmahnung eine Vertragsbeendigung androhen, weil der Vertrag bereits beendet ist und der HV kann deswegen auch nicht durch vertragskonformes Verhalten nach Abmahnung das Vertrauen in seine Loyalität und pflichtgemäßes Verhalten wiederherstellen. Auch braucht der Unternehmer die wichtigen Gründe nicht binnen der üblichen Entschlussfrist von einem Monat (s. Kommentierung zu § 89a) nachzuschieben. Vielmehr gilt § 195 BGB. Im Einzelfall können Verwirkungsgrundsätze eingreifen.2542 Vor Ablauf der Verjährung ist eine Verwirkung jedoch kaum denkbar.

422 g) Beispiele. In folgenden Fällen wird der Ausgleichsausschluss aufgrund einer vom Unternehmer erklärten außerordentlichen Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens des HV diskutiert: „Ja“ bedeutet Ausgleichsauschluss, „Nein“ keinen Ausgleichsausschuss. – Abschiedsschreiben des HV unter Verwendung des Logos des bisher vertretenen Versicherers an alle VN unter Angabe der Kontaktdaten eines neuen Versicherers, für den nun vermittelt werden soll: Ja;2543 – Ausgliederung und Rechtsformwechsel des HV-Unternehmens: Ja, wenn ohne Zustimmung des Unternehmers und der Unternehmer hätte zustimmen müssen, weil die Maßnahme zu wirtschaftlich-faktischer Diskontinuität führt (s. Kommentierung zu Vor § 84): Regel-

2534 Christoph LMK 2010, 311441. 2535 BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) Rn 21; Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 65 ff. 2536 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 = EWiR 2010, 673 (Emde) Rn 68 ff.; Koch ZIP 2011, 1752 (1757). 2537 Koch ZIP 2011, 1752 (1757); Döpfer EWiR 2007, 526; Ayad BB 2010, 3048 (3049); Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1555); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2538 Koch ZIP 2011, 1752 (1757); Semler GWR 2010, 311309; aA offenbar Ayad BB 2010, 3048 (3049). 2539 BGHZ 48, 222. 2540 Im Ergebnis auch Thume IHR 2011, 7 (16). 2541 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 146. 2542 OLG Saarbrücken, Urt. v. 25.1.2006 – 1 U 101/05-35. 2543 In der mündlichen Verhandlung v. 13.12.2006 durch das LG Potsdam zur Geschäftsnr. 52 O 79/06 vertreten, der klagende HV nahm daraufhin die Klage zurück. Emde

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mäßig ist dies nicht der Fall.2544 Das Verhalten der Gesellschafter muss dem HV nicht notwendigerweise zurechenbar sein (u. U. Durchgriff). Aber man kann mglw. argumentieren, dass bereits die Fortsetzung des Vertrages trotz Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung ein höchstpersönliches Verschulden des aktuellen Vertragspartners begründet.2545 Außerdem besteht meist Rechtsidentität und Gesamtrechtsnachfolge, die auch für das Verschuldenserfordernis maßgeblich sein dürfte;2546 Datenmissbrauch: Ja, falls der Ehemann der Handelsvertreterin, der im allseitigen Einvernehmen den Vertrag durchführt, unbefugt umfangreiche Datensätze auf seinen privaten PC herunterlädt und dort speichert, die zur Erfüllung seiner Tätigkeit für den Unternehmer nicht erforderlich waren. Das gilt insb. wenn viele Dokumente sich auf Vorgänge beziehen, die zum Teil Jahre zurück liegen und längst abgeschlossen sind.2547 Dabei war zu berücksichtigen, dass innerhalb eines kurzen Zeitraums von nicht einmal 14 Stunden in 48 Downloads umfangreiche Datensätze heruntergeladen wurden, nachdem ein Hausverbot erteilt worden war;2548 Faktische Einstellung der Tätigkeit durch den HV: Ja;2549 Erwerb des HV durch Konkurrenten: Da das Verhalten der Gesellschafter dem HV nicht notwendigerweise zuzurechnen ist (s. o. zu „Ausgliederung und Rechtsformwechsel“), kommt eine ausgleichsvernichtende Kündigung in erster Linie bei einem Durchgriff in Betracht; Fälschung der Unterschrift eines Kunden auf einem Versicherungsantrag durch den VV: Ja;2550 Frist, Kündigung mit: Es erscheint zweifelhaft, ob ein ausgleichsvernichtender wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegt, wenn der Unternehmer mit einer Frist von über 6 Monaten kündigt und als Grund lediglich nicht ordnungsgemäße Besuchsberichte des HV anführt;2551 Geringerer Pro-Kopf-Umsatz des HV im Vergleich zu anderen HV: Nein, solange keine Pflichtverletzung vorliegt. So können etwa in ländlichen Räumen mit anderen Fahrtwegen und in einem größeren Bezirk andere Pro-Kopf-Umsätze als in günstiger oder schlechter erschlossenen Bezirken erzielt werden;2552 Insolvenz des Vertriebsmittlers: Regelmäßig Nein. Auch im Falle der Insolvenz des Mittlers ist ein Ausgleichsanspruch denkbar.2553 Die Insolvenz des HV/Vertragshändlers berechtigt den Unternehmer zwar zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 89a Abs. 1. Der Ausgleichsanspruch entfällt nach § 89b Abs. 3 S. 2 gleichwohl nur dann, wenn der Unternehmer darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass der Insolvenzgrund auf ein schuldhaftes Verhalten des HV/Vertragshändlers zurückzuführen ist.2554 Dazu muss das Ver-

2544 OLG Stuttgart, Urt. v. 30.5.2011 – 5 U 189/10, BB 2011, 1811 = BeckRS 2011, 16755 m. Anm. Henne GWR 2011, 319814 sowie Hilgard BB 2011, 1811; Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 248 (Rechtsformwechsel). 2545 AA Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333), die dem nach UmwG aktuellen Vertragspartner das Verschulden des die Maßnahme planenden und durchführenden Rechtsvorgängers nicht zurechnen lassen wollen. 2546 AA Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333). 2547 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 18. 2548 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 29. 2549 LG Hamburg, Urt. v. 9.8.2013 – 418 HKO 157/12. 2550 OLG München, Urt. v. 1.7.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. 2551 OLG München, Beschl. v. 21.5.2015 – 23 U 1151/15, BeckRS 2015, 09713 Rn 14. 2552 OLG Celle, Urt. v. 8.10.1958, HVR Nr. 217. 2553 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 24 – VOLVO-Vertragshändler. 2554 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 = EWiR 2007, 203 (Klasen); OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2004 – 35 W 5/04, NJW-RR 439

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schulden deutlich über das übliche Risiko des Scheiterns hinausgehen.2555 Die Erfahrung spricht dafür, dass viele HV die eigene Insolvenz zu vertreten haben, wofür nach den Umständen eine Vermutung sprechen kann.2556 Allerdings ist ebenso wie bei der Unternehmerinsolvenz eine unverschuldete Insolvenz denkbar, falls die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf Umstände zurückzuführen sind, die nicht der Risikosphäre des HV zuzurechnen sind.2557 Deshalb bleibt es bei der Grundregel, derzufolge die Beweislast für das Verschulden als Ausschlussgrund rglm. der Unternehmer trägt.2558 Nach der Rspr. des BGH ist es ferner denkbar, dass der Ausgleichsanspruch trotz verschuldeter Insolvenz des HV bestehen bleibt, wenn im Rahmen der Billigkeitserwägungen gem. § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 festzustellen ist, dass sich die schlechten Vermögensverhältnisse des HV nicht nachteilig, sondern eventuell sogar förderlich auf das HV-Verhältnis ausgewirkt haben. Es fehlt dann an der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrages;2559 Öffentlich-rechtliche Erlaubnisse, Fehlen: Fehlen dem Mittler die für seine Tätigkeit erforderlichen öffentl.-rechtl. Erlaubnisse, etwa nach § 34d GewO, § 32 KWG i. V. m. § 1 KWG, so kann bei mangelndem Bemühen um den Erhalt oder einem Verlust nach den Umständen des Falles ein schuldhaftes Verhalten des HV vorliegen; Fortgesetztes kollusives Zusammenwirken mit Dritten gegen die Zuschussbedingungen des Unternehmers: Ja;2560 Unterlassene Kündigung im Rahmen der Liquidation einer HV-Gesellschaft: Ist der HV eine Gesellschaft, so bleibt es Sache des Liquidators, das HV-Verhältnis zu beenden. Würde er die Kündigung verzögern, gäbe er dem Unternehmer einen Grund, wegen (insoweit) schuldhafter Verletzung der dem HV obliegenden Pflichten aus wichtigem Grunde seinerseits zu kündigen. In beiden Fällen ist dem Ausgleichsanspruch die Grundlage entzogen (Abs. 3 Nr. 2). Eine Analogie zum Recht auf Kündigung wegen eingetretener „Alters oder Krankheit“ des HV verbietet sich, da dieser Kündigungsgrund dem berufsunfähig gewordenen HV aus sozialen Gründen zugestanden worden ist: die Gesellschaft, die nach Auflösung ihre Eigenschaft als werbende eingebüßt hat, ist zwar damit unfähig zur Erfüllung ihrer Aufgaben geworden, aber einen sozialen Schutz kann sie regelmäßig nicht beanspruchen. Zudem erfolgt die Liquidation freiwillig, die Berufsunfähigkeit nicht; Restrukturierung des Vertriebsnetzes auf Grund wirtschaftlicher und rechtlichen Notwendigkeiten: Nein;2561 Übernahme weiterer Vertretungen: Übernahme zusätzlicher Vertretungen ohne Genehmigung des Unternehmers: Ja, wenn die Zustimmung vertraglich vereinbart war.2562 Ohne eine solche vertragliche Vereinbarung ist der HV frei in der Übernahme zusätzlicher Vertretungen, sofern keine Wettbewerbstätigkeit vorliegt;

2004, 1554; OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406 = EWiR 2005, 601 (Pütz); Wagner/WexlerUhlich BB 2010, 2454 (2456); dies. BB 2011, 519 (521) – zum Vertragshändlervertrag; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 251; s. a. Emde/Kelm ZVI 2004, 382; Emde BB 2005, 396. 2555 Wagner/Wexler-Uhlich BB 2010, 2454 (2456). 2556 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 = EWiR 2007, 203 (Klasen); OLG Köln, Beschl. v. 31.3.2004 – 19 W 12/04; aA OLG München NJOZ 2006, 3489 (3491 f.); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 251, falls der Unternehmer aufgrund detaillierter Berichts- und Mitteilungspflichten über die Situation des HV informiert sein müsste. 2557 Küstner/Thume II, 7. Aufl. 2003, Rn 368. 2558 OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371. 2559 BGH, Urt. v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (294 f.). 2560 BGH, Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) Rn 25 ff. 2561 BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1021. 2562 OLG Bamberg, Urt. v. 26.4.1979 – 1 U 10/79, BB 1979, 1000; OLG Nürnberg, Urt. v. 13.12.1962, BB 1963, 203. Emde

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Umsatzrückgang: Nein. Der bloße Umsatzrückgang lässt keinen Rückschluss auf ein schuldhaftes Verhaltes des HV zu.2563 Der Umsatzrückgang muss also durch den HV verschuldet sein, was der Unternehmer nachzuweisen hat.2564 Beispiel: Der HV in den letzten drei Monaten seine Tätigkeit nicht mehr ordnungsgemäß ausgeübt, insb. die Kunden nicht mehr regelm. besucht und an verschiedenen Messen nicht mehr wie früher teilgenommen;2565 Unberechtigte Kündigung des HV mit anschließender Kündigung des Unternehmers: Ja;2566 Vertragsanpassung: Weigerung des HV, den Vertrag anzupassen: Nein, es sei denn, es besteht etwa nach §§ 86 Abs. 1 HGB (Interessenwahrungspflicht), 313 BGB, 242 BGB, 19, 20 GWB eine Anpassungspflicht des Mittlers. Aber auch dann ist ein Rechtsirrtum des HV zu prüfen; Wettbewerbsverstoß: Ja. Er wird regelmäßig schuldhaft erfolgen und führt daher zum Ausgleichsausschluss;2567 Wettbewerbstätigkeit von Angehörigen: Sofern der HV auf sie bei Vertragsschluss nicht hinweist und auch nicht für eine ausreichende räumliche Trennung der Bürowelten gesorgt wird (Unterlassen: Organisationsverschulden),2568 kann die verheimlichte Tätigkeit das Vertrauen entfallen lassen und ein schuldhaftes Verhalten des HV konstituieren.2569 Eine fehlende Trennung der Büros legt etwa bei einer Bürogemeinschaft vor,2570 es sei denn, der Unternehmer hat ausdrücklich – nach umfassender Aufklärung – seine Zustimmung erteilt.

h) Eintritt ausgleichswahrender Tatbestände trotz vorherigen Entfallens des Aus- 423 gleichs. Es kann sein, dass zunächst eine Kündigung mit ausgleichssperrender Wirkung ausgesprochen worden ist – sei es vom HV nach Abs. 3 Nr. 1, sei es vom Unternehmer gem. Abs. 3 Nr. 2 –, und dass bis zum Wirksamwerden der Kündigung, d. h. während des auslaufenden Vertragsverhältnisses ein Umstand eintritt, der sich als ausgleichswahrend hätte auswirken können. Beispiel: der HV stirbt,2571 er erkrankt so nachhaltig, dass ihm bei ungekündigtem Vertragsverhältnis eine Fortsetzung der Tätigkeit nicht mehr hätte zugemutet werden können oder es wird ein Aufhebungsvertrag geschlossen;2572 oder der Unternehmer verhält sich nunmehr so, dass er dadurch dem HV, unterstellt man das Vertragsverhältnis als ungekündigt, begründeten Anlass zur Kündigung gegeben hätte (ggf. führt dieses Verhalten des Unternehmers 2563 OLG Düsseldorf v. 16.12.1975, HVR Nr. 478; LG Wuppertal, Urt. v. 11.1.1955, HVR Nr. 75; LG Stuttgart, Urt. v. 19.4.1968, HVR Nr. 378.

2564 BGH, Urt. v. 4.7.1960, VersR 1960, 707; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.10.1975; VW 1978, 195 = HVR Nr. 495; v. 1.12.1970, BB 1971, 888; v. 11.4.1957, BB 1957, 561; OLG Nürnberg, Urt. v. 28.2.1963, BB 1963, 447; OLG Stuttgart, Urt. v. 9.6.1960, BB 1960, 956; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.1.1967, DB 1967, 329; OLG Köln, Urt. v. 4.3.1970, MDR 1970, 594; Cour de cassation, Chambre commerciale, Urt. v. 9.6.2015 – Pourvoi Nr. 14 – 14.396, ZVertriebsR 2016, 63 m. Anm. Bottiau. 2565 Cour de cassation, Chambre commerciale, Urt. v. 9.6.2015 – Pourvoi Nr. 14 – 14.396, ZVertriebsR 2016, 63 m. Anm. Bottiau. 2566 LG Hannover, Urt. v. 26.1.2004 – etwa: 21 O 152/03, r+s 2004, 351; best. durch OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2004, etwa: 11 U 61/04, r+s 2004, 349. 2567 BGH NJW 1984, 2101; OGH Österreich, Beschl. v. 23.1.2013 – 3 O b 237/12 t, ZVertriebsR 2013, 339; OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08 (dort wegen fehlenden Beweises abgelehnt); OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15.10.2003 – 1 U 159/03, VersR 2005, 940; LG Stralsund, Urt. v. 18.12.2007 – 4 O 220/07, n. v.; Hopt § 89b Rn 67. 2568 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65. 2569 Küstner/Thume II Rn 1345. 2570 Siehe BGH, Urt. v. 20.1.1969, VersR 1969, 372; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.2.1969, VW 1969, 566. 2571 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 230. 2572 OLG Hamm NJW-RR 1988, 45 = BB 1987, 1761; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 230; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 160. 441

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sogar zur Kündigung aus wichtigem Grund durch den HV2573). Von diesen drei Fällen kann der letztgenannte allerdings nur bei vorausgegangener normaler (befristeter) Eigenkündigung des HV praktisch werden. Grundsätzlich sind zwei Lösungswege denkbar: Die eine Ansicht stellt auf die zum Ausschluss führende Kündigungserklärung des HV ab und belässt es beim Wegfall des Ausgleichs.2574 Die andere Ansicht betont den tatsächlichen Beendigungsgrund, der nicht zum Ausgleichsausschluss führt. Nach ihr lebt der Ausgleichsanspruch wieder auf.2575 Bei der ausgleichsschädlichen Eigenkündigung des HV fordert die letztgenannte Meinungsgruppe die Kausalität der Kündigungserklärung für das Vertragsende.2576 Es handelt sich um einen Fall überholender Kausalität. Im Falle der Eigenkündigung wegen Krankheit kann sich bei nachfolgender Verschlechterung des Gesundheitszustandes die Frage nur stellen, wenn man – anders als hier vertreten – für den Ausgleichserhalt nicht auch die Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung zum Zeitpunkt des Vertragsendes genügen lässt. Da der Gesetzestext („gekündigt hat“) auf die Kündigungserklärung als ausgleichsausschließenden Umstand abhebt,2577 spricht in anderen Fällen im Grundsatz mehr für die Ansicht derjenigen, die den Ausgleich ausschließen wollen. Wird z. B. ein Aufhebungsvertrag nach ausgleichsfeindlicher Kündigung geschlossen, hat der Unternehmer wenig Anlass, durch den Aufhebungsvertrag einen Ausgleich wieder aufleben zu lassen, den er bei normalem Fortgang der Dinge nicht zahlen müsste.2578 Kündigt der HV nach einer früheren, ausgleichsfeindlichen Vertragsbeendigung später 424 grds. ausgleichswahrend gem. Abs. 3 Nr. 1 aus begründetem Anlass, wird ihm nach der ein „Wiederaufleben“ des Ausgleichsanspruchs befürwortenden Ansicht in Parallele zum Nachschiebungsrecht des Unternehmers die Möglichkeit eröffnet, seinen Ausgleichsanspruch zu retten, indem er nun ausgleichswahrend kündigen darf.2579 Die ursprüngliche, ohne rechtfertigenden Anlass ausgesprochene Eigenkündigung des HV soll dem Unternehmer keinen Freibrief geben, sich während der restlichen Zeit des Vertrages so zu verhalten, dass er dem HV jetzt einen Anlass zur Kündigung gäbe, ohne einen Ausgleich befürchten zu müssen, und dies nur deshalb, weil eine Kündigung schon ausgesprochen vorliegt. Letztgenannte Auffassung ist diskutabel. Ihr widerspricht aber mglw., dass spätere Ereignisse den einmal begründeten Ausgleichsausschluss nicht entfallen lassen sollen. Vor vertragswidrigen Verhalten des Unternehmers schützen den HV mögliche Schadenersatzansprüche sowie § 89a. 425 Der Fall des dazwischentretenden Ablebens des HV ist für eine Situation entschieden worden, in welcher der HV ebenfalls ohne begründeten Anlass gekündigt hatte. Das OLG Frankfurt/M. sieht den Ausgleich trotz vorheriger ausgleichsfeindlicher Eigenkündigung als gewahrt an, weil der Vertrag durch Tod und nicht durch Kündigung endete.2580 Konow2581 ist in seiner Urteilsanmerkung zum Urt. d. OLG Frankfurt mit Recht der gegenteiligen Meinung. Hier hat das Ende des bereits auslaufenden Vertragsverhältnisses sich durch den Tod des HV auf einen früheren Zeitpunkt vorverschoben. Der Verlust des Ausgleichs war bereits durch den Kündigungsausspruch präfixiert. Was der Tod bewirkt, beschränkt sich darauf, das weitere AushaltensMüssen des Vertragsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist gegenstandslos zu machen. 2573 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 67a. 2574 OLG Hamm NJW-RR 1988, 45 = BB 1987, 1761; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 140; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 230; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 159/160. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 12.7.1960 – 5 U 317/59, NJW 1961, 514; Oetker/Busche5 § 89b Rn 33. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 67b; Oetker/Busche5 § 89b Rn 33. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 140. BGH, Urt. v. 13.3.1969, BGHZ 52, 12 (14) = NJW 1969, 1023; v. 20.10.1960, VersR 1960, 1111; OLG Hamm, Urt. v. 3.7.1987, BB 1987, 1761; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 230; Hopt § 89b Rn 53; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 160; aA Oetker/Busche5 § 89b Rn 33. 2579 Siehe Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 67a. 2580 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 12.7.1960 – 5 U 317/59, NJW 1961, 514 m. Anm. Konow; zust. Oetker/Busche5 § 89b Rn 33. 2581 Zustimmend Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 139 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 230; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 160.

2575 2576 2577 2578

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Weitere Wirkungen hat er nicht. Der HV, der die Anwartschaft auf den Ausgleich bereits durch seine Eigenkündigung eingebüßt hatte, erwirbt ihn für seine Erben nicht dadurch erneut, dass das Zufallsmoment seines Todes dazwischentritt. Nichts anderes kann für eine nunmehrige Erkrankung des HV rechtens sein. Erst recht gilt das für das Ableben und die Erkrankung Gesagte, wenn eine Kündigung durch den Unternehmer nach Abs. 3 Nr. 2 unter Einräumung einer Kündigungsfrist vorausgegangen oder das Vertragsverhältnis einverständlich mit einer Auslauffrist aufgehoben worden war, obwohl der Unternehmer nach Abs. 3 S. Nr. 2 hätte kündigen können und der Tod bzw. die Erkrankung nunmehr während der Frist eintritt. Der Ausgleich bleibt versagt. Hat wiederum der Unternehmer mit wichtigem, vom HV verschuldeten Grunde gekündigt, 426 so soll der Ausgleichsanspruch auch versagt bleiben, wenn der HV seinerseits schon vorher wegen Verhaltens des Unternehmers begründeten Anlass gehabt hätte, die Kündigung auszusprechen.2582 Denn selbst, so die Begründung, wenn der HV diese vorher gegeben gewesene, den Ausgleichsanspruch wahrende Kündigungsmöglichkeit wahrgenommen und (befristet) gekündigt hätte, würde er dadurch nicht den „Freibrief“ gewonnen haben, sich nunmehr in der Zeit bis zum Auslaufen des Vertragsverhältnisses so zu verhalten, dass er dem Unternehmer Grund gab, das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung unter den Voraussetzungen des Abs. 3 Nr. 2 zum Erlöschen zu bringen.2583 Dies ist im Hinblick darauf, dass der Unternehmer im spiegelbildlichen Fall Ausgleichsausschlussgründe nachschieben darf (Rn 300) problematisch.

4. Eintritt eines Dritten in das Vertragsverhältnis (§ 89b Abs. 3 Nr. 3) a) Überblick. Gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 3 entfällt der Ausgleichsanspruch, sobald der HV sich mit 427 dem Unternehmer darüber einigt, dass ein Dritter in das Vertragsverhältnis eintritt. Dieser Ausgleichsausschlussgrund ist wenig praktisch, möglicherweise deshalb, weil Anwälte wegen der vielen Zweifelsfragen bei seiner Anwendung von der Wahl des in dieser Norm gewiesenen Weges abraten. Die Vorschrift wird als methodisch unglücklich und ungenau bezeichnet2584 und engt die Möglichkeiten des HV zum Verkauf seiner Vertretung ein.2585 Die Amortisation seiner Investitionen durch Verkauf seines Unternehmens wird dem HV durch § 89b Abs. 3 Nr. 3 erschwert.2586 Ohne Zustimmung des Unternehmers lässt sich der HV-Vertrag nicht durch Verkauf übertragen.2587 Der HV hat keine gute Verhandlungsposition. Wegen der Notwendigkeit der Mitwirkung des Unternehmers bei der Übernahme der Handelsvertretung hat jener eine starke Stellung, die er gegenüber dem Nachfolger zum Ausdruck bringen wird. Letzterer wird wiederum versuchen, die ihm vom Unternehmer aufgrund seiner Verhandlungsstärke aufgezwungenen nachteiligen Übernahmebedingungen, z. B. eine Einstandszahlung,2588 durch Vereinbarungen mit dem ausscheidenden HV, etwa durch eine Minderung des an den Vorgänger zu leistenden Kaufpreises,2589 zu kompensieren.2590 § 89b Abs. 3 Nr. 3 kann nach einer Meinungsgruppe (dazu unten) zu einem untragbaren Ergebnis führen: Der Unternehmer braucht keinen Ausgleich an den austretenden HV zu leisten. Er darf aber vom neu eintretenden HV Einstandszahlungen fordern, so dass der austretende

2582 2583 2584 2585 2586 2587 2588 2589 2590 443

OLG Hamburg JR 1961, 22. OLG Hamburg JR 1961, 22. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 68. Ensthaler BB-Special 3/2007 1, Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (231). Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (231). Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (231). Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (231). Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (231). Ensthaler BB-Special 3/2007; Ensthaler/Würmann BB 2008, 230. Emde

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HV leer ausgeht.2591 Die Höhe des Kaufpreises muss zumindest die Größe des Ausgleichsanspruches erreichen, weil dieser nach § 89b Abs. 3 Nr. 3 in Folge des Verkaufes verloren geht.2592 Der Gesetzgeber hat damit in die Gestaltungsfreiheit der Parteien eingegriffen, weil der HV sein Unternehmen nicht „preisgünstig“ an einen Dritten veräußern kann.2593 Es wird vorgeschlagen, die Wirksamkeit einer nach Vertragsbeendigung geschlossenen Nachfolgevereinbarung davon abhängig zu machen, ob der Abfindungsanspruch zum Vorteil des Unternehmers beeinträchtigt wird und § 89b Abs. 3 bzw. die zugrundeliegende RL entsprechend zu ändern.2594 Der ausscheidende HV stehe auch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses wegen der Zustimmungsbedürftigkeit der Übertragung in Abhängigkeit zum Unternehmer. Interessengerecht sei eine Regelung, die den Verlust des Ausgleichsanspruchs davon abhängig mache, dass bei der Unternehmensnachfolge der Unternehmer den verdienten Abfindungsanspruch nicht „kassiert“.2595 Leitbild sei die 2013 ausgelaufene Kfz-GVO 1400/02. Bei ihr bedurfte die Vertragsübernahme nicht mehr der Zustimmung des Herstellers.2596

428 b) Zweck. Es wird vermutet, dass der HV von seinem Nachfolger ein Entgelt für die Übertragung der Vertretung erhält.2597 Es soll verhindert werden, dass der HV „doppelt kassiert“ und zusätzlich zu dem vom Dritten geleisteten Entgelt einen Ausgleich vom Unternehmer erhält.2598 § 89b Abs. 3 Nr. 3 hat die Funktion einer Billigkeitsschranke.2599 Die Norm dient nicht dem Schutz des Unternehmers vor Doppelbelastung, sondern soll aus Billigkeitsgründen eine Doppelzahlung an den HV unterbinden.2600 Ob der HV tatsächlich eine Vergütung von dem Dritten erhält, ist für den Ausschlusstatbestand unerheblich.2601 Darin liegt eine gewisse Ungerechtigkeit und ein Widerspruch zum Normzweck. Gerade bei Übergang des Vertrages zwischen Verwandten fehlt häufig eine solche Kompensation. Erfolgt keine Zahlung vom Nachfolger, sollte vereinbart werden, dass der Ausgleich nur in der Höhe ausgeschlossen ist, welcher der HV von seinem Nachfolger tatsächlich Geld erhält.2602 Zumindest de lege ferenda müsste der Ausgleichsausschluss auf die Konstellation beschränkt werden, in der der Erst- von dem Zweitvertreter eine Kompensation für den Ausgleichsverlust erhält.

429 c) Europarechtliche Präformation. § 89b Abs. 3 Nr. 3. wurde aus dem französischen in das deutsche Recht überführt2603 und entspricht im Ergebnis Art. 18 lit. c RL.2604 Geringe Differenzen zum RL-Text sind gegeben: Art. 18 lit. c RL spricht lediglich von einer Abtretung der Rechte und Pflichten, die der HV nach dem Vertrag besitzt. Eine Abtretung erhält die Stellung als Vertragspartner. Aus deutscher Sicht sind in HGB und RL mithin zwei verschiedene Dinge geregelt, einerseits Abtretung, andererseits Vertragsübergang. Wahrscheinlich ist dies zu sehr aus lokalem Rechtsverständnis der aus dem französischen Recht in die RL über2591 2592 2593 2594 2595 2596 2597 2598

Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (232). Ensthaler BB-Special 3/2007, 1. Ensthaler BB-Special 3/2007, 1; Ensthaler/Würmann BB 2008, 230. Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (234); Ensthaler BB- Special 3/2007, 1. Ensthaler BB-Special 3/2007, 1. Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (233); Ensthaler BB-Special 3/2007, 1. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 256. Kiene NJW 2006, 2007 (2008); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 256; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 68. 2599 Kiene NJW 2006, 2007 (2008); Kiene RIW 2006, 344 (345). 2600 Kiene NJW 2006, 2007 (2008). 2601 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 68. 2602 Westphal I Rn 1170. 2603 Kiene RIW 2006, 344; Hankele DB 1987, 569; Ebenroth/Hakenberg2 § 89b Rn 188. 2604 Vgl. Ensthaler BB-Special 3/2007, 1. Emde

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führten2605 Regelung betrachtet.2606 Auch Art. 18 lit. c RL setzt die vollständige Übertragung der Rechtsposition des HV voraus (dazu unten). Hier ist also der Wortlaut der RL i. S. d. wirklich Gewollten auszulegen. Abweichend von der Rechtslage in Deutschland kennt das Vorbild gebende französische Recht die Berechtigung des HV, einen Nachfolger zu präsentieren (Art. 13c des Transformationsgesetzes vom 25.6.1991; Art. L 134-13 al. 3 und Art. L 134-16 C. CuM.).2607 Der agent commercial kann daher sowohl während der Vertragslaufzeit dem Unternehmer einen Nachfolger vorschlagen, als auch, wie im deutschen Recht, bei Vertragsbeendigung eine Nachfolgevereinbarung eingehen. Beschränkt ein HV-Vertrag jenes Recht des HV, so stellt dies eine nachteilige Abweichung dar und gilt als nicht vereinbart. Im Gegensatz zur deutschen Regelung greift der Ausschluss des Ausgleichs allerdings nur bei einer entgeltlichen Übertragung des Kundenstammes ein.2608

d) Historie. Bereits vor Einführung des § 89b Abs. 3 Nr. 3 waren Abreden über die Nachfolge 430 von HV auch in Deutschland gängig,2609 entsprechend heute üblicher Praxis.2610 Allerdings blieb strittig, ob bei Vorliegen einer Nachfolgevereinbarung der alte Vertrag endete und ein neuer Vertrag begründet wurde oder ob der bisherige Vertrag weitergeführt wurde.2611 Seit der Normierung ist anerkannt, dass trotz Übernahme des HV-Vertrages eine Vertragsbeendigung i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 1 vorliegt.

e) Gestaltungsvarianten. Theoretisch sind mehrere Gestaltungsvarianten denkbar: 431 – Vereinbarung zwischen Unternehmer und HV mit Zustimmung des Eintretenden; – Vereinbarung zwischen Unternehmer und Eintretendem mit Zustimmung des HV; – Dreiseitiger Vertrag zwischen Unternehmer, HV und Eintretendem.2612 Mit Zustimmung des Unternehmers ließe sich das Ergebnis auch gesellschaftsvertraglich errei- 432 chen: Der Alt-HV nimmt seinen Nachfolger in eine OHG auf, auf die der Vertrag übergeleitet wird und scheidet dann aus. Der Nachfolger wird durch Anwachsung alleiniger Vertragspartner. Unter den Wortlaut des § 89b Abs. 3 Nr. 3 fallen streng genommen nur Nachfolgevereinba- 433 rungen, die zwischen Unternehmer und HV unter Zustimmung des Dritten vereinbart wurden. Eine (entsprechende) Anwendung erfolgt auf dreiseitige Verträge sowie Fälle, in denen zwischen dem ausscheidenden HV und seinem Nachfolger eine Vereinbarung unter Zustimmung des Unternehmers getroffen wird.2613 Die Einbeziehung des Falles, in welchem die Vereinbarung zwischen Unternehmer und neu eintretenden Dritten erfolgt und der ausscheidende HV lediglich zustimmt, wird zum Teil abgelehnt.2614 f) Rechtsdogmatische Einordnung. Die Rechtsnatur des in Abs. 3 unglücklich formulier- 434 ten2615 Vorgangs ist umstritten: Nach einer Ansicht handelt es sich um eine Vertragsübernah-

2605 2606 2607 2608 2609 2610 2611 2612 2613 2614 2615 445

Kiene RIW 2006, 344; Hankele DB 1987, 569; Ebenroth/Hakenberg2 § 89b Rn 188. Emde DStR 2009, 1478 (1484); vgl. auch Ensthaler BB-Special 3/2007, 1. Kiene RIW 2006, 344 (348). Kiene RIW 2006, 344 (350). Kiene RIW 2006, 34; Kiene NJW 2006, 2007. Kiene NJW 2006, 2007. Kiene NJW 2006, 2007. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 198. Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (232). Thume BB 1991, 490 (492); MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 183. Thume BB 2009, 1026 (1030). Emde

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me, wie der Wortlaut des Art. 18 lit. c RL dokumentiere.2616 Wegen fehlender Beendigung des HV-Verhältnisses würde der Ausgleichsanspruch aus diesem Grunde ohnehin nicht entstehen.2617 Die Formulierung des Gesetzes, welches von einer „Beendigung“ des Vertrages spreche, sei Ausdruck einer unpräzisen Umsetzung der RL bei fehlendem Systemverständnis des deutschen Gesetzgebers.2618 Der Wortlaut des Abs. 3 Nr. 3 beruhe deshalb auf der Historie: Man habe das Erfordernis einer Beendigung des ursprünglichen HV-Vertrages vermutet.2619 Es handele sich auch nicht um einen Vertragsbeitritt, weil der Unternehmer keinen zusätzlichen HV gewählt habe, sondern der Alt-HV gegen einen Neu-HV ausgewechselt werde.2620 § 89b Abs. 3 Nr. 3 sei ferner von der Schuldersetzung zu separieren. Bei ihr werde ein altes Schuldverhältnis aufgehoben und durch ein neu begründetes, nicht notwendigerweise inhaltsgleiches Schuldverhältnis ersetzt (Novation). § 89b Abs. 3 Nr. 3 gehe hingegen von der Beendigung des Altvertrages und dem Beginn eines neuen aus. Der Vertrag zwischen Nachfolger und Unternehmer hebe den Neuvertrag jedoch nicht auf. Vielmehr geschehe dies infolge der zumindest rechtstechnisch separaten Eintrittsvereinbarung. Alt- und Neuvertrag verbinde daher keine konditionale Verknüpfung. Eine Novation sei abzulehnen.2621 Eine für alle Fälle überzeugende rechtsdogmatische Einordnung wird sich nicht leisten las435 sen. In den meisten Fällen dürfte eine rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme vorliegen,2622 jedenfalls dann, wenn der Vertrag ohne Beendigung von dem Vorgänger auf den Nachfolger übergeht. Wird der Vertrag jedoch beendet und dann mit dem Nachfolger neu (ggf. mit abweichendem Inhalt) geschlossen, fehlt eine vollständige oder weitgehende Vertragsidentität. Der Neuvertrag substituiert den Altvertrag nicht. Beide Verträge sind eigenständige Rechtsverträge ohne direkten Zusammenhang. Lediglich die von dem HV-Vertrag zu unterscheidende Nachfolgevereinbarung bringt diesen Fall in den Anwendungsbereich des § 89b Abs. 3 Nr. 3. Der Gesetzeswortlaut („eintritt“) geht einerseits vom Fortbestehen des Altvertrages unter Ausscheiden des bisherigen Vertragspartners aus, andererseits bestimmt er, dass die Vereinbarung nicht vor Vertragsende getroffen werden darf. Man könnte sich fragen, ob bei einem „Eintritt“ eine zur Ausgleichspflicht führende Vertragsbeendigung vorliegt (s. o.). Wäre dies zu verneinen, würde kein Ausgleich entstehen und die Vorschrift wäre überflüssig. Das Ausscheiden des bisherigen Vertragspartners ist jedoch für ihn eine Vertragsbeendigung,2623 und sie ist bei der Regelung des zulässigen Termins der Vereinbarung gemeint. Das scheinbar Unvereinbare, nämlich einerseits Eintritt in ein bestehendes Vertragsverhältnis und Vertragsende andererseits, ist daher derselbe Sachverhalt, lediglich aus der Warte verschiedener Personen betrachtet: Für den ausscheidenden HV endet der Vertrag, weshalb ihm grundsätzlich ein Ausgleich zustände. Aus Sicht des Unternehmers und des Nachfolgers wird der Vertrag fortgesetzt. § 89b Abs. 3 Nr. 3 verhindert den möglichen Streit über die Ausgleichsberechtigung und bestimmt das Entfallen des Ausgleichs. Die Nachfolgevereinbarung des § 89b Abs. 3 Nr. 3 ist daher nicht von der Absprache der Parteien zu separieren, in der es zu keiner Vertragsbeendigung i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 1 kommt und der Vertrag ohne eine solche Identität übergeht.2624 Beide Fälle sind von § 89b Abs. 3 Nr. 3 erfasst. Deshalb und weil die Vorschrift auch den Fall ergreift, in welchem der Altvertrag mit dem Dritten nicht fortgesetzt, sondern mit ihm ein Neuvertrag geschlossen wird, ist sie erforder-

2616 Thume BB 1991, 490 (492); Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (233); Emde DStR 2009, 1478 (1484); MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 183. 2617 Thume BB 1991, 490 (492); MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 183. 2618 Thume BB 1991, 490 (492); MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 183. 2619 Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (233). 2620 Kiene NJW 2006, 2007 (2008). 2621 Kiene NJW 2006, 2007 (2008). 2622 Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (233); Kiene NJW 2006, 2007 (2011). 2623 BGH, Urt. v. 14.4.1988 – I ZR 122/96, NJW 1989, 35. 2624 AA Kiene NJW 2006, 2010. Emde

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lich. Stets findet auf Seiten des HV eine Auswechslung statt.2625 Durch den Gesetzeswortlaut „anstelle“ wird deutlich, dass mit § 89b Abs. 3 Nr. 3 keine Vereinbarung gemeint ist, bei der ein weiterer HV hinzutritt.2626 § 89b Abs. 3 Nr. 3 geht davon aus, dass der neu eintretende HV zu gleichen oder ähnlichen Konditionen in den Vertrag eintritt.2627 Dies bringt der 2. Hs des § 89b Abs. 3 Nr. 3 zum Ausdruck, demzufolge „die Vereinbarung nicht vor Beendigung des Handelsvertretervertrages getroffen werden“ kann. Der Gesetzgeber geht also von einem Übergang des Vertrages in identischer Form aus. Gleichwohl wird die Eintrittsvereinbarung auch Regelungen zur Abänderung des Vertrags umfassen dürfen.2628 Folglich muss sich auch nicht aus der Vereinbarung ergeben, dass sämtliche Rechte und Pflichten auf den Dritten als Nachfolger des HV übergehen.2629

g) Eintrittsvereinbarung mittels AGB? Die zum Ausgleichsausschluss führende Zustim- 436 mungserklärung des HV soll – wie bereits die BR-Drucks.2630 zum Gesetz bemerkte – nur individualvertraglich2631 und unter maßgeblicher Beteiligung des ausscheidenden HV2632 erfolgen dürfen. Die eine AGB-Zustimmung ablehnende Ansicht betont die Schutzbedürftigkeit des HV, wird jedoch mglw. den Bedürfnissen vielgliedriger Vertriebssysteme, insbesondere im Versicherungsbereich, nicht gerecht. Sobald es mehr als einen Übernahmevertrag gäbe, wäre die Übernahme nur nach Einzelverhandlungen möglich, ein ernstlich nicht vertretbares Ergebnis. Allerdings besteht auch nach dieser Ansicht die Möglichkeit einer Abwälzungsvereinbarung zwischen Unternehmer und Nachfolger nach Kündigung des Vorgänger-HV oder bilateraler Vereinbarung zwischen Nachfolger und Vorgänger. Durch AGB darf aber vorweg das Recht zur – separat durchzuführenden – Übertragung zugebilligt werden, wie es die frühere Kfz-GVO 1400/ 2002 sogar vorschrieb.

h) Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten. Die Eintrittsvereinbarung nach § 89b Abs. 3 437 Nr. 3 ist von anderen Rechtsinstituten abzugrenzen. Vereinbarungen i. S. d. Abs. 3 Nr. 3 sind zunächst von sog. Abwälzungsabreden zwischen Unternehmer und eintretendem HV zu unterscheiden.2633 Bei den Abwälzungsvereinbarungen handelt es sich um rein zweiseitige Verträge, in denen sich meist der eintretende HV verpflichtet, den vom Unternehmer an den bisherigen HV zu zahlenden Ausgleichsanspruch auszugleichen (häufig auch als „Eintrittsgeld“ bezeichnet). Der Ausgleichsanspruch wird also von einem Dritten übernommen (auf ihn „abgewälzt“), mit der Folge, dass der Anspruch weiterhin besteht. Der Zahlende tritt bei der Abwälzungsvereinbarung nicht in den HV-Vertrag ein.2634 Bei der Nachfolgevereinbarung des § 89b Abs. 3 Nr. 3 wird der Ausgleichsanspruch jedoch ausgeschlossen,2635 anders als bei Abwälzungsvereinbarungen. Sie führen nicht zum Ausgleichsausschluss nach Nr. 3. Das separiert beide Rechtsinstitute. Die Rechtmäßigkeit von Abwälzungsvereinbarungen ist anerkannt.2636 Die Höhe des Abwälzungsbetrages orientiert sich an der des Ausgleichsanspruches 2625 2626 2627 2628 2629 2630 2631 2632 2633

Kiene NJW 2006, 2007; Küstner NJW 1990, 304 (305); Ankele DB 1989, 2211 (2213); Thume BB 1991, 490. Kiene NJW 2006, 2007; Oetker, Handelsrecht, 3. Aufl. 2000, S. 148. BT-Drucks. 11/3077 v. 7.11.1988, S. 9. Kiene NJW 2006, 2007; Westphal I, S. 231. AA Kiene NJW 2006, 2007. BR-Drucks. 339/88. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 68. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 69. BGH BB 1968, 927; Kiene NJW 2006, 2007 (2008); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 261; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 69. 2634 Kiene RIW 2006, 344 (346). 2635 Kiene NJW 2006, 2007 (2009). 2636 BGH NJW 1959, 1964; Kiene NJW 2006, 2007 (2009); Schröder DB 1969, 291. 447

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des ausscheidenden HV.2637 Praktiziert werden drei Varianten2638: Die Zahlung des Ausgleichs durch den Nachfolger an den ausscheidenden HV mit schuldbefreiender Wirkung zugunsten des Unternehmers, die (Einmal)Zahlung des Unternehmers an den ausscheidenden HV mit Refinanzierung durch den eintretenden HV und schließlich der teilweise Provisionseinbehalt bei dem eintretenden HV. Die Wirksamkeit dieser Abwälzungsvereinbarung orientiert sich an den unten wiedergegebenen Maßstäben für Einstandszahlungen. 438 Ähnlich grenzt sich der Vertretungskauf von der Abrede nach Abs. 3 Nr. 3 ab. Anders als bei der Vereinbarung des Abs. 3 Nr. 3 wird das Rechtsverhältnis des Unternehmers und des ausscheidenden HV von dem Vertretungskauf nicht berührt2639 und der Vorgänger ist an dem Vertretungskauf ebenfalls unbeteiligt. Der Vertretungskauf, auch Einstandsvereinbarung benannt, verspricht ebenfalls eine Zahlung für die Übernahme einer Handelsvertretung. Sie erfolgt aufgrund der Erwartung des HV, mit dem Unternehmer eine synallagmatische Beziehung einzugehen. Jedoch besteht kein rechtlicher, innerer Zusammenhang zwischen dieser Zahlung und einem evtl. von dem Unternehmer an den ausscheidenden HV zu leistenden Ausgleichsanspruch.2640 Eine dritte Partei muss bei dem Abschluss der Einstandsvereinbarung weder direkt noch indirekt beteiligt sein. Der Kaufpreis sollte sich danach richten, welchen Wert die Vertretung für den neuen HV hat.2641 439 Die Ausgliederung aus einem HV-Unternehmen oder ein Rechtsformwechsel bilden keinen Fall des § 89b Abs. 3 Nr. 3, selbst wenn der Unternehmer dieser Maßnahme zustimmt. Es fehlt an einer Vereinbarung im vorgenannten Sinne. Außerdem ist keine Doppelzahlung von Übernehmer und Unternehmer zu befürchten,2642 weil eine zumindest partielle Identität zwischen altem und neuem Vertragspartner vorliegt.

440 i) Zwingende Natur (§ 89b Abs. 3 Nr. 3 Hs. 2). Da es sich bei der Vereinbarung um eine ausgleichsbeschränkende Abrede handelt, darf sie gem. § 89b Abs. 3 Nr. 3 Hs. 2 nicht vor Vertragsende geschlossen werden. Die mit Abs. 4 S. 1 identische2643 Formulierung erstaunt auf den ersten Blick, weil die Vereinbarung über den „Übergang“ des Vertrages denklogisch vor Vertragsende getroffen werden muss. Denn nach Vertragsende könnte kein HV-Vertrag übergehen.2644 Gemeint ist jedoch, dass die Vereinbarung zur sofortigen, unbefristeten Beendigung des HV-Vertrages gegenüber dem Alt-HV führen muss.2645 Würde § 89b Abs. 3 Nr. 3 Hs. 2 fehlen, könnte der Unternehmer den HV bei Abschluss eines HV-Vertrages verpflichten, seine Handelsvertretung an einen vom Unternehmer zu benennenden Dritten zu übertragen.2646 Der HV soll die Möglichkeit haben, sich den wirtschaftlichen Wert des Ausgleichsanspruchs zu erhalten, indem er sich mit dem Nachfolger über einen zu zahlenden Betrag einigt.2647 Für den Nachfolger besteht das Interesse am Abschluss einer Nachfolgevereinbarung und der Überlassung eines bereits akquirierten Kundenstamms und darin, ohne langwierige Gebietsauswahl oder eine Zielgruppenanalyse von den Daten des Vorgängers zu profitieren und die Handelsvertretung nach seinen Bedürfnissen auszugestalten.2648

2637 2638 2639 2640 2641 2642 2643 2644 2645 2646 2647 2648 Emde

BGH NJW 1983, 1727; Kiene NJW 2006, 2007 (2009). Kiene NJW 2006, 2007 (2009) = Kiene RIW 2006, 344 (345). Kiene NJW 2006, 2007 (2009). Kiene NJW 2006, 2007 (2009) = Kiene RIW 2006, 344 (346). Kiene NJW 2006, 2007 (2009). Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1331 (1333). Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 70. Siehe Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 70. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 70. Kiene RIW 2006, 344 (345) = NJW 2006, 2007 (2008). Kiene RIW 2006, 344 (345). Kiene NJW 2006, 2007 (2008). 448

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j) Übertragung von Ausgleichsanwartschaften. Aufgrund der Formulierung des § 89b 441 Abs. 3 Nr. 3 wird in der Literatur überwiegend die Ansicht vertreten, dass nicht nur der ausscheidende HV seinen Ausgleich verliert, sondern im Gegenzug auch dessen Nachfolger im HV-Vertrag der übernommene Kundenstamm nicht als neu geworben i. S. d. § 89b Abs. 1 zugerechnet werden könne.2649 Nach dieser Ansicht sollen dem Übernehmer die vom Erst-HV geworbenen Kunden ausgleichsrechtlich nur dann als Neukunden zugerechnet werden, wenn derartiges mit dem Unternehmer vereinbart wurde.2650 Wenn aber aus der Sicht der den Vertrag fortsetzenden Parteien eine Identität des Vertrages vorliegt, müssen dem Nachfolger erworbene Ausgleichsanwartschaften des Alt-HV zuwachsen.2651 Die h. M. steht auch im Widerspruch zu Art. 18 lit. c RL. Danach entfällt der Ausgleich nur, wenn der HV gemäß einer Vereinbarung mit dem Unternehmer die Rechte und Pflichten an einen Dritten abtritt.2652 Das setzt die vollständige Übertragung der Rechtsposition und in der Sache Vertragskontinuität2653 voraus. Die h. A. sieht Kiene2654 bei Abwälzungsvereinbarung und Vertretungskauf als richtig an, nicht jedoch im Falle der behandelten Nachfolgevereinbarung. Es widerspreche dem Gedanken der Gesamtheit der Nachfolge, bei einer Nachfolgevereinbarung, keine umfassende Rechtsnachfolge anzunehmen.2655 Für diese Ansicht lässt sich immerhin anführen, dass bei der Abwälzungsvereinbarung und dem Vertretungskauf der Ausgleichsanspruch nicht gem. § 89b Abs. 3 Nr. 3 entfällt, jedoch bei der Nachfolgevereinbarung. Der Unternehmer wäre also ungerechtfertigt bereichert, falls der Nachfolge-HV keinen Ausgleich erhielte. Bestimmt der Vertrag einen Übergang mit allen Rechten und Pflichten, besteht kein Zweifel an dem Übergang der Ausgleichsanwartschaften. Eine während der Laufzeit eines Folgevertrags getroffene Vereinbarung, die regelt, dass der HV hinsichtlich der Zugehörigkeit zum Unternehmer so behandelt wird, als wäre das Eintrittsdatum der Beginn des ersten Vertrages, soll aber nicht dazu führen, dass ihm bezüglich der im Rahmen des ersten Vertrages von ihm vermittelten Verträge ein Ausgleichsanspruch zusteht.2656 Richtigerweise wird es auf eine Vertragsauslegung ankommen.

5. Mehrstufige Vertragsverhältnisse Erhält der Hauptvertreter einen Ausgleich von seinem Unternehmer, so steht der Ausgleich 442 für den „Vorteil“, den er, vom Untervertreter her gesehen, aus der künftigen Nutzbarkeit des durch den Untervertreter geschaffenen Kundenstammes zieht. Die Lage ist insoweit die gleiche wie bei einer entgeltlichen Unternehmensveräußerung; er hat den Untervertreter hieran zu beteiligen. Erhält der Hauptvertreter keinen Ausgleich, so kommt es darauf an, auf welche Weise das Hauptvertreterverhältnis sein Ende gefunden hat. Das Risiko der Unternehmensinsolvenz, der Produktionseinschränkung sowie der Betriebsstilllegung aus wirtschaftlich gebotenen Gründen hat der Untervertreter genauso zu tragen wie der Hauptvertreter. Entfällt der Ausgleich

2649 MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 184; Steinhauer/Weppner ZIP 2010, 1330 (1333); Wauschkuhn BB 1996, 1517 (1519); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 24; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 68; Thume BB 1991, 490 (492); aA Küstner/v. Manteuffel BB 1990, 1713 (1715). 2650 BGH, Urt. v. 1.5.1984 – I ZR 36/82, NJW 1985, 58 = DB 1984, 2507, Westphal MDR 2005, 421; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 184; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 68, aA Küstner BB 1990, 1714. 2651 Thume BB 2009, 1026 (1031); Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (233). 2652 Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (233). 2653 Thume BB 2009, 1026 (1030 f.). 2654 Kiene VersR 2006, 1024 (1029 f.). 2655 Kiene VersR 2006, 1024 (1029). 2656 OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440. 449

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des Hauptvertreters gem. § 89b Abs. 3, hat dies keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Ausgleichsanspruch des Untervertreters gegen den Hauptvertreter. Da die Beendigung des Hauptvertrages dem Hauptvertreter keinen Grund zur fristlosen Kündigung wegen eines schuldhaften Verhaltens des Untervertreters i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 2 gibt, bleibt der Hauptvertreter dem Untervertreter zur Ausgleichszahlung verpflichtet. Erhält der Hauptvertreter jedoch wegen fehlender Ausgleichszahlung keinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Vertragsbeendigung und fehlt auch ein anderer, unter Umständen mittelbarer Vorteil, so verbleiben beim Hauptvertreter keine Vorteile. Der Ausgleich entsteht nicht. Verliert der Hauptvertreter seinen Ausgleichsanspruch, weil er selbst gekündigt hatte, ohne durch ein Verhalten des Unternehmers dazu begründetermaßen veranlasst gewesen zu sein, so ist der Fall, dass er nunmehr seinem eigenen Untervertreter kündigt, unter dem Gesichtspunkt der künftig nicht mehr gegebenen „Vorteile“ aus der Nutzbarkeit des vom Untervertreter geschaffenen Kundenstammes gleich demjenigen einer unternehmerisch nicht gebotenen Betriebseinstellung – Einstellung des „Betriebes“ des Hauptvertreters – zu behandeln.2657 Der Hauptvertreter darf sich nicht ohne einen sachlichen Grund über die schutzwürdigen Belange des Untervertreters hinwegsetzen. Entfällt der Ausgleich infolge einer außerordentlichen Kündigung des Unternehmers wegen schuldhaften Verhaltens des HV, so begründet das zum Ausgleichswegfall führende schuldhafte Verhalten des Hauptvertreters auch ein Verschulden gegenüber dem Untervertreter. Dieser kann entgangenen Gewinn bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fordern und zudem selbst aus wichtigem Grund, zumindest aber ausgleichserhaltend mit begründetem Anlass, kündigen. Der Hauptvertreter kann sich nicht darauf berufen, für den Kundenstamm keinen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten (Wegfall der Unternehmervorteile). Im Wege des Schadenersatzes ist der Untervertreter so zu stellen, als würde der Hauptvertreter einen Ausgleich erhalten. Der Hauptvertreter kann dem Untervertreter den Ausgleich nicht dadurch entwinden, dass er es durch schuldhafte Verletzung seiner eigenen Vertragspflichten zur Beendigung des Hauptvertretervertrages und damit zur Einstellung seines „Betriebes“ kommen lässt: er hat den Untervertreter daraufhin so zu stellen, als sei das Hauptvertreterverhältnis nicht oder doch nur so gekündigt worden, dass ihm (dem Hauptvertreter) der eigene Ausgleich erhalten blieb, an welchem der Untervertreter nunmehr partizipieren würde. Etwas anderes gilt, wenn der Hauptvertreter beweisen kann, dass der Vertrag mit dem Untervertreter ausgleichsvernichtend beendet worden wäre, etwa infolge einer Eigenkündigung des Untervertreters ohne begründeten Anlass. Ein solcher Beweis wird kaum gelingen. Löst man auch diesen Fall über die Grundsätze der willkürlichen Vertragsbeendigung, entfällt der Ausgleich ebenfalls nicht.2658 So sind auch die Fälle des § 89b Abs. 3 Nr. 3 zu lösen: Erhält der Hauptvertreter von dem Dritten einen Kaufpreis, ist dies ein wirtschaftlicher Vorteil, der auch in der Aufbauarbeit des Untervertreters wurzelt und zur Ausgleichsberechtigung führt. Unterlässt es der HV, ein solches Honorar zu vereinbaren, sind diese Fälle wie bei einer Betriebseinstellung zu beurteilen. Außerdem könnte man auch hier an einen Schadenersatzanspruch des Untervertreters denken. Wird der HV-Vertrag zwischen Untervertreter und Unternehmer oder einem neuen Hauptvertreter fortgesetzt, so gelten die Grundsätze zum Unternehmenskauf entsprechend. Rückt der Untervertreter in die Position des Hauptvertreters ein, so können „entgehende Provisionen“ i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 2 fehlen, und zwar auch dann, wenn der HV eine Einstandszahlung zahlt, damit der übernommene Bestand als neu geworben im Sinne der Ausgleichsberechnung gilt.2659

2657 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 214. 2658 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XI Rn 216. 2659 BGHZ 52, 5; Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der Richtlinie auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2; LG Oldenburg, Urt. v. 23.11.2012 – 9 O 1871/11, zit. n. Evers VW 2013, 47 – Münsterländische Versicherungsvermittlung. Emde

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C. Zwingende Natur des Ausgleichsanspruchs (§ 89b Abs. 4) I. Umfang des Derogationsverbots Gemäß § 89b Abs. 4 ist der Ausgleichsanspruch vor Vertragsbeendigung zwingend. Abs. 4 wi- 443 dersprechende Abreden sind gem. § 134 BGB nichtig.2660 Bei Vereinbarung deutschen Rechts kann der Ausgleich nur unter den Voraussetzungen des § 92c (siehe dort) derogiert werden, auch bei Vereinbarung eines Auslandsrechts ist gegenüber Waren-HV mit Tätigkeit innerhalb der EU zwingend ein Ausgleich zu leisten (s. Kommentierung zu § 92c). In anderen Fällen kann er wirksam nicht vor der rechtlichen Vertragsbeendigung ausgeschlossen oder reduziert werden. Eine Abweichung von der gesetzlichen Regel ist nur zulässig, falls sicher ist, dass sie sich bei Vertragsende nicht als für den HV nachteilig erweisen wird. Ein solcher Nachteil kann etwa bei italienischen Tarifverträgen zwischen Gewerkschaften der HV und der Unternehmer eintreten. Der bloße Umstand, dass der Tarifvertrag für den HV vorteilhaft sein kann, genügt nicht für den Nachweis fehlenden Nachteils. Das Verbot betrifft alle Abreden über Grund und Höhe des Anspruchs, welche die Rechte des HV in irgendeiner Weise, etwa materiell-rechtlich, beweisrechtlich oder prozessual, beinträchtigen können,2661 überhaupt sie irgendwie zu Lasten des HV modifiziert. Hierunter fallen etwa Abreden, die zum Gegenstand haben: eine quantitative Eingrenzung, d. h. die mehr oder weniger starke Einschränkung2662 (außer eine Beschränkung auf die Höhe der Höchstgrenze oder mehr), eine Beschränkung der Vererblichkeit, eine dem HV nachteilige, von der gesetzlichen abweichende Berechnungsart, einen über den gesetzlichen hinausgeschobenen Fälligkeitszeitpunkt, eine Verkürzung der Verjährung, eine Abrede über die zwingende Abgeltung durch eine demnächst zu gewährende Alterssicherung (dazu Beispiele Rn 442). Neutrale oder den Ausgleich erhöhende oder verbessernde Abreden sind jederzeit zulässig,2663 etwa die Vereinbarung eines Mindestbetrages des zu zahlenden Ausgleichs,2664 eine Berechnungsklausel, welche den Ausgleich nicht reduziert,2665 Erleichterungen an Darlegung, Beweisführung und Durchsetzung des Ausgleichs,2666 eine Regelung, mit welcher der Unternehmer sich verpflichtet, bei Vertragsbeendigung einen Ausgleich in Höhe einer durchschnittlichen Jahresprovision, berechnet aus den letzten fünf Vertragsjahren, zu zahlen und angeblich Abreden, welche Umstände im Rahmen der Billigkeitsprüfung, auch anspruchsmindernd, maßgeblich sein sollen2667 (das lädt aber zur Umgehung ein und darf nicht zwingender Maßstab sein). Bei AGB wird die Unwirksamkeit auch aus § 307 BGB hergeleitet.2668 Denn der Ausgleich bildet ein wesentliches sich aus dem Vertriebsvertrag ergebenes Recht. Ob § 89b Abs. 4 oder § 307 BGB vorrangig ist, mag diskutiert werden. Die Rechtsfolgen dürften sich im Hinblick auf § 139 BGB oder § 306 BGB nicht unterscheiden: Schon um des Schutzes des Mittlers wegen muss sich die Nichtigkeit auf den Ausgleichsausschluss begrenzen. Der Ausschluss des Ausgleiches ist insbesondere auch beim Vertragshändler2669 und Franchisenehmer unzulässig. Sofern er mittels AGB des Franchisevertrages erfolgt, liegt eine unangemessene Benachteili-

2660 BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 = NJW 1972, 477; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 180; Oetker/ Busche5 § 89b Rn 53; Stötter BB 1972, 1036 (1038) nimmt Vorrang des § 89b Abs. 4 an. 2661 BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 173. 2662 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (237) – Tankstelle. 2663 Mann ZVertriebsR 2017, 25 (28); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 174. 2664 BGH WM 1991, 196 (198); Mann ZVertriebsR 2017, 25 (28); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 267. 2665 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 190; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 174; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIII Rn 8. 2666 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 174. 2667 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (236). 2668 BGH, Urt. v. 26.11.1984, BB 1985, 218; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 978. 2669 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.2.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. 451

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gung nach § 307 BGB vor: Denn die analoge Anwendung des § 89b wird etwa in Fällen des Subordinationsfranchising nicht in Zweifel gezogen.2670 444 Verboten sind nicht nur den Ausgleich vollkommen ausschließende Regelungen, sondern auch ihn teilweise beschränkende.2671 Der HV kann folglich auch keinen Teilverzicht erklären. Er darf auch nicht einseitig vor Vertragsende auf den Ausgleichsanspruch verzichten, selbst wenn er hierfür eine Gegenleistung erhält.2672 Abreden, die einen unterhalb des § 89b liegenden Ausgleich versprechen und einen darüber hinausgehenden Ausgleich ausschließen, sind – soweit sie den Ausgleich ausschließen – nichtig. Der HV kann jedoch nach seiner Wahl jederzeit die beschränkende Leistung als Mindestausgleich oder auch allein fordern und auch innerhalb unverjährter Zeit den gesetzlichen Ausgleich nachfordern. Der Unternehmer darf sich lediglich nicht auf ihre beschränkende Wirkung berufen. Es handelt sich um eine „halbseitige“ Nichtigkeit.2673 Bei AGB steht dies in Einklang mit § 305b Abs. 1 BGB. Bei Individualvereinbarungen ist gem. § 139 BGB zu vermuten, der Unternehmer wolle jedenfalls einen Mindestausgleich versprechen. Eine Gesamtnichtigkeit widerspräche dem Schutzzweck des Abs. 4. Regelungen über nicht in § 89b niedergelegte Rechte, die sich nur mittelbar auf den Ausgleich auswirken, verstoßen nicht gegen § 89b Abs. 4,2674 sofern keine objektive Umgehung des § 89b vorgesehen ist. Hierzu zählen die grds. nicht vom Derogationsverbot erfassten und damit weitgehend dispositiven Abreden über die Berechnung der Provision2675 oder Vergütung, z. B. der Verzicht auf Provision für Nachbestellungen2676 – § 87 Abs. 1 – schon für die Vertragszeit, die Vereinbarung einer Einmalprovision, eines reduzierten Provisionssatzes oder Regelungen über die Konkretisierung fristloser Kündigungsgründe.2677 Der HV darf sich auch bei fehlender konkreter Schutzbedürftigkeit auf Abs. 4 berufen, ohne dass dies eine unzulässige Rechtsausübung bedeutet.2678

II. Zweck 445 Durch die strenge Regelung soll zum Einen verhindert werden, dass der HV, z. B. um die Vertretung zu erhalten, schon bei Vertragsschluss leichtfertig auf den mglw. erst in Jahren fälligen Ausgleich verzichtet – über den er sich zum Zeitpunkt der Abrede keine Gedanken machen wird2679 – oder angesichts seiner meist bestehenden wirtschaftlichen Unterlegenheit2680 von dem Unternehmer zu ihm benachteiligenden Abreden in der Hoffnung auf Vertragsfortsetzung

2670 OLG München, Urt. v. 26.6.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521. 2671 BGH, Urt. v. 20.11.2002, BGHZ 153, 6 (12) = ZIP 2003, 264; v. 30.12.1970, BGHZ 55, 124 (126) = WM 1971, 184; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (237) – Tankstelle; OLG Celle, Urt. v. 18.4.2002, HVR Nr. 1041; Hopt § 89b Rn 70; Oetker/Busche5 § 89b Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 34. 2672 Martin DB 1966, 1837; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIII Rn 3. 2673 BGH, Urt. v. 11.10.1990, NJW-RR 1991, 156. 2674 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 175; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 194. 2675 Christoph NJW 2010, 647 (649); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 194; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 175, § 87 Rn 60; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 57a. 2676 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 194. 2677 BGH NJW-RR 1992, 1059 (1062); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 198; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 175. 2678 BGH, Urt. v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868) = BB 1996, 1734 (1735); v. 29.3.1990, NJW 1990, 2889 (2890); Hopt § 89b Rn 70; Oetker/Busche5 § 89b Rn 51; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 196, 199; aA KG, Urt. v. 8.7.1960, NJW 1961, 124 (125); Hopt § 89b Rn 76. 2679 BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328 = BB 1972, 193. 2680 BGH, Urt. v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868) = BB 1996, 1734 (1735); v. 29.3.1990, NJW 1990, 2889; v. 6.2.1985, NJW 1985, 3076 (3077); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 265; Westphal. Emde

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bei gleichzeitiger Drohung der Kündigung bestimmt wird.2681 Es könne, so der BGH,2682 zwar darauf vertraut werden, dass der HV, soweit es um die Höhe der ihm laufend zu zahlenden Vergütung geht, seine Interessen bei Vertragsschluss in genügender Weise wahren werde. Denn wenn er das unterließe, bekäme er die ihm daraus erwachsenden Nachteile alsbald in Gestalt geringerer laufender Provisionszahlungen zu spüren. Er werde also i. d. R. dafür sorgen, daß er bei Vertragsschluss im Rahmen des Möglichen mit dem Unternehmer das aushandele, was er an laufender Provision brauche. Anders sei es beim Ausgleichsanspruch, der erst beim Ende des Vertragsverhältnisses entstehe, bei Vertragsschluss also nach Grund und Höhe noch in der Ferne und weitgehend im Ungewissen liege, für den HV daher im Augenblick noch keinen sofort greifbaren Vorteil darstelle. Der HV werde daher vielfach sehr viel eher geneigt sein, sich im voraus auf nachteilige, seinen künftigen Ausgleichsanspruch ausschließende oder beeinträchtigende Vereinbarungen einzulassen, als das beim laufenden Provisionsanspruch zu befürchten sei. Deshalb bedürfe es beim Ausgleichsanspruch einer zwingenden Vorschrift, um den HV wirksam vor eigener schädlicher Nachgiebigkeit in bezug auf den Bestand des künftigen Ausgleichsanspruchs zu schützen. § 89b Abs. 4 S. 1 soll den HV vor der Gefahr bewahren, sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von dem Unternehmer auf ihn benachteiligende Abreden einzulassen.2683 Diese Gefahr besteht im Allgemeinen fort, solange das Vertragsverhältnis andauert, auch wenn es sich seinem bereits bestimmten Ende nähert.2684 Aus Gründen der Rechtssicherheit gilt § 89b Abs. 4 S. 1 auch dann, wenn der HV im Einzelfall dieses gesetzlichen Schutzes nicht (mehr) bedarf2685 oder die Vereinbarung nur wenige Tage vor Beendigung des Vertrages getroffen wird.2686 Das Ausgleichsrecht wäre also lex imperfecta, würde es die Regelung über die zwingende Natur des Ausgleichs nicht geben. Dies ist auch bei der Bewertung von Einstandszahlungen zu berücksichtigen, die wirtschaftlich zum selben Ergebnis führen.

III. Europarechtliche Präformation Abs. 4 beruht auf der RL. Die RL ist zwar zwingend und legt einen Rahmen fest. Sie enthält 446 jedoch keine detaillierten Angaben zur Methode der Ausgleichsberechnung. Nationale Gesetzgeber sowie Parteien haben innerhalb des ihnen gegebenen Rahmens Gestaltungsspielraum.2687 Gem. Art. 19 RL können die Parteien vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarung treffen, die von den Artt. 17/18 RL zum Nachteil des HV abweicht. Nach § 89b Abs. 4 darf der Anspruch „im Voraus“ nicht ausgeschlossen werden. Der Begriff „im Voraus“ ist wenig klar,

Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in den Mitgliedsstaaten der EU, Diss. iur Köln 1994, S. 29 f; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 170; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 188; Oetker/Busche5 § 89b Rn 51. 2681 BGH, Urt. v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, BB 1996, 1734 = MDR 1990, 793; KG NJW 1961, 124; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 19. 2682 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 = NJW 1972, 477. 2683 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, a. a. O.; Urt. v. 29.3.1990 I ZR 2/89, NJW 1990, 2889 Rn 14. 2684 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868); v. 29.3.1990 – I ZR 2/89. 2685 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, 2890. 2686 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95. 2687 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218 und Anm. Franke IHR 2016, 100; v. 23.3.2006 – C-465/04, RIW 2006, 459 (462); Koch ZIP 2011, 1752 (1753). 453

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weil nicht deutlich wird, welches Ereignis dem „Voraus“ nachzugehen hat.2688 Klarer ist Art. 19 RL, wonach zum Nachteil des HV abweichende Vereinbarungen nicht „vor Ablauf des Vertrages“ getroffen werden können. Dies ist gemeint.2689 Die Worte „im Voraus“ des § 89b Abs. 4 könnten, anders als Art. 19 RL auch so ausgelegt werden, dass sie auf die Fälligkeit des Anspruchs abstellen, während Art. 19 RL auf den Zeitpunkt des Vertragsendes rekurriert.2690 Etwa bei Tankstellen-HV und erst Recht bei Eigenhändlern ist umstritten, wann die Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs eintritt, schon mit Vertragsende oder erst mit der Mitteilung der Berechnungsgrundlagen durch den HV. Zumindest wenn es für den HV günstig wäre, etwa falls er aus außerhalb des Vertrages liegenden Gründen selbst auf den Ausgleichsanspruch verzichten will, bliebe das HGB so auszulegen, dass der HV vor Fälligkeit des Ausgleichs verzichten darf.2691 Die Artt. 17, 19 RL verbieten Abweichungen vom RL-Ausgleichsrecht, die zum Zeitpunkt, zu dem sie ins Auge gefasst werden, zum Nachteil des HV wirken. Die Parteien dürfen keine Abweichung vereinbaren, von der sie nicht wissen, ob sie sich bei Beendigung des Vertragsverhältnisses für den HV als nachteilig erweisen wird.2692

IV. Verbot der Derogation „im Voraus“ 447 Der Begriff „im Voraus“ ist wie dargelegt unklar, weil nicht deutlich wird, welches Ereignis dem „Voraus“ nachzugehen hat. Klarer ist Art. 19 RL „Im Voraus“ besagt, dass eine den Ausgleich ausschließende oder einschränkende Abrede, also ein völliger oder teilweiser Verzicht, nach Entstehung des Ausgleichsanspruchs zulässig bleibt. Der Anspruch entsteht – und wird fällig – mit dem Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses. Die Vereinbarung über den Ausgleichsanspruch kann damit frühestens zum Zeitpunkt der vollständigen und rechtlichen Vertragsbeendigung getroffen werden.2693 Für den Zeitpunkt entscheidend ist die rechtliche Vertragsbeendigung, nicht die tatsächliche.2694 Erfasst werden von Abs. 4 sowohl Ausschlussvereinbarungen, die bei Vertragsschluss erfolgen,2695 solche während der Vertragszeit,2696 auch wenige Tage vor Vertragsende2697 oder während der Freistellung des HV nach ordentlicher Kündigung des Vertrages.2698 Das gilt selbst dann, wenn die vereinbarte Auflösung des HV-Vertrags erst in einem späteren Zeitpunkt wirksam werden soll.2699 Die Rspr. hat sich insoweit gewandelt. In einer ersten Entscheidung war eine Abfindungsvereinbarung für wirksam erklärt worden,

2688 2689 2690 2691 2692 2693

Vgl. Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280 (282). Oetker/Busche5 § 89b Rn 53. Emde DStR 2009, 1478 (1485 f.). Emde DStR 2009, 1478 (1485 f.). EuGH, Urt. v. 23.3.2006 – C-465/04, RIW 2006, 459 (462); Westphal DB 2010, 1333 (1338). BGH, Urt. v. 5.12.1968, BB 1969, 107 = WM 1986, 392 (393); v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248; Fröhlich ZVertriebsR 2015, 280 (282); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 172; Oetker/Busche5 § 89b Rn 53; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 34a; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIII Rn 9. 2694 BGH BB 1996, 1734; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 273; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 196. 2695 BGH, Urt. v. 21.5.1975, WM 1975, 856 (858); Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207; Oetker/Busche5 § 89b Rn 53. 2696 BGH, Urt. v. 29.6.1967, BB 1967, 935; Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207; Oetker/Busche5 § 89b Rn 53. 2697 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868) = BB 1996, 1734 (1735); v. 30.12.1970, BGHZ 55, 124 (126) = WM 1971, 184; OLG Celle, Urt. v. 18.4.2002, HVR Nr. 1041; Oetker/Busche5 § 89b Rn 53. 2698 BGH, Urt. v. 29.3.1990, NJW 1990, 2889 (2890); OLG München, Urt. v. 20.10.2004, BB 2005, 630 = HVR Nr. 1124; Hopt § 89b Rn 70; Oetker/Busche5 § 89b Rn 53. 2699 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868) Rn 16; Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). Emde

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die über ein Jahr nach der Kündigungserklärung des Unternehmers und einige Zeit nach der endgültigen Einstellung der Vertriebsbemühungen des HV, aber vor Wirksamwerden der Kündigung, geschlossen wurde.2700 Begründet wurde sie damit, dass das Vertragsverhältnis faktisch bereits beendet sei. Später wurde die Wirksamkeit des Ausgleichsausschlusses verneint, obwohl in der Vereinbarung zugleich der Vertriebsvertrag für einen späteren Zeitpunkt aufgehoben und der Vertriebsmittler mit sofortiger Wirkung freigestellt wurde.2701 Als Begründung wurde angegeben, es bestehe die Gefahr fort, dass der wirtschaftlich schwächere Vertriebsmittler sich mit nachteiligen Regelungen einverstanden erkläre, solange das Vertragsverhältnis andauere. Wenn der HV also freigestellt wird, obwohl der Vertrag fortdauert, ist ein Verzicht erst nach Ablauf der Freistellungsperiode zum Vertragsende möglich.2702 Nach einer Ansicht2703 soll dem Einwand der Unwirksamkeit der getroffenen Abrede mit dem Einwand der Arglist begegnet werden können, wenn der HV sie in voller Freiheit getroffen hat und nicht durch eine starke Stellung des Unternehmers hierzu bewogen worden ist. Das ist zweifelhaft. Es begegnet ferner Zweifeln, ob sich der Unternehmer erfolgreich auf Arglist berufen kann, falls der HV sich nach Abschluss einer unwirksamen Aufhebungsvereinbarung auf ihre Unwirksamkeit beruft.2704 Zumindest wird der HV einwenden können, ihm sei die Unwirksamkeit nicht bewusst gewesen. Etwas anderes mag gelten, wenn der Unternehmer beweisen kann, dass der HV die Unwirksamkeit kannte, etwa wenn der HV sie nach anwaltlicher Beratung schloss.2705 Der Arglisteinwand verwässert den Schutz des HV eher. Mit dem rechtlichen Vertragsende wirksam werdende Abreden sind gültig.2706 Theore- 448 tisch könnte eine solche Abrede auch konkludent2707 oder mittels AGB getroffen werden.2708 Sie darf vorher ausgehandelt werden, wenn die bindende Erklärung des HV erst bei Vertragsende wirksam wird.2709 Ob diese Rspr. angesichts des in Art. 19 RL ausgesprochenen Verbots ausgleichsbeschränkender Vereinbarungen „vor Ablauf des Vertrages“ aufrechterhalten werden kann, mag auf den ersten Blick zweifelhaft sein. Da jedoch Vertragsbeendigung und Ausgleichsverzicht gleichzeitig wirksam werden, liegt keine Vereinbarung „vor Ablauf des Vertrages“ sondern höchstens „mit Ablauf des Vertrages“ vor. Die Rspr. ist daher nicht zu beanstanden.2710 Wird die Aufhebungsvereinbarung hingegen erst später als unmittelbar nach Abschluss wirksam, tritt unzweifelhaft Nichtigkeit nach Abs. 4, § 134 BGB ein.2711 Für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts ist festzustellen, wann die Verzichtser- 449 klärung des HV beim Unternehmer eingeht: ist der Verzicht in einem Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages enthalten, so ist der für die Wirksamkeitsprüfung maßgebliche Zeitpunkt jener des Zugangs des Angebotes.2712 Wirksam soll deshalb eine Aufhebungsvereinbarung sein, wenn die Unterschrift des Letztunterzeichners nach dem vorgesehenen Vertragsende zu-

2700 BGHZ 55, 124 (126 f.) = NJW 1971, 465; ebenso Mann ZVertriebsR 2017, 25 (27). 2701 BGH NJW 1990, 2889. 2702 BGH, Urt. v. 29.3.1990, NJW 1990, 2889 m. Anm. Küstner/v. Manteuffel EWiR 1990, 797; aA MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 197. KG, Urt. v. 8.7.1960, NJW 1961, 124 (125); Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 34a. Mann ZVertriebsR 2017, 25 (28). Mann ZVertriebsR 2017, 25 (28). Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 172. BGH NJW 1989, 36 (36); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 198. BGH, Urt. v. 26.11.1984, BGHZ 93, 29 (44 f.) = NJW 1985, 623; Bunte NJW 1985, 600; Oetker/Busche5 § 89b Rn 53; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 198. 2709 OLG Köln, Urt. v. 20.1.2006 – 19 U 124/05, HVR Nr. 1163; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 172. 2710 Emde DStR 2009, 1478 (1486). 2711 BGH, Urt. v. 24.11.1969, BGHZ 53, 89 (91) = NJW 1970, 420; v. 10.7.1996, NJW 1996, 2867; v. 29.3.1990, NJW 1990, 2889; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 97; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 196; Oetker/Busche5 § 89b Rn 53. 2712 Mann ZVertriebsR 2017, 25, (27).

2703 2704 2705 2706 2707 2708

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geht.2713 Bei einer Kündigung ist ebenfalls der Zeitpunkt des Zugangs beim Unternehmer maßgeblich. Nur bei einer – wirksamen – außerordentlichen Kündigung ist deshalb der mglw. schon in der Kündigungserklärung enthaltene Verzicht des HV wirksam, weil der Vertrag mit Zugang der Erklärung endet. Bei der ordentlichen Kündigung ist der Verzicht hingegen erst mit Ablauf der Kündigungsfrist gestattet. Der BGH ist großzügiger: Für ihn bleibt maßgeblich, wann der Verzichtsvertrag durch die letzte Willenserklärung zustandekam.2714 Ist dies die Annahmeerklärung des Unternehmers, so soll es unschädlich sein, falls der HV seine Verzichtserklärung bereits vertragsbegleitend abgab. Das kann allenfalls richtig sein, falls der HV seine WE vertragsbegleitend noch widerrufen darf.2715 Jedoch besteht bei Willenserklärungen regelmäßig keine solche Widerruflichkeit. 450 In der Literatur2716 wird es für zulässig gehalten, dass der HV bereits während der Vertragslaufzeit ein wohl auch unwiderrufliches Angebot auf Abschluss eines Ausgleichsverzichtsvertrages abgibt.2717 Solange der Unternehmer jenes Angebot erst nach Vertragsende annehme, komme der Verzichtsvertrag nach Ende des HV-Vertrages zustande; der Ausgleichsverzicht sei wirksam. Jene Ansicht beruft sich auf Entscheidungen des BGH2718 sowie des OLG Stuttgart.2719 Die Entscheidung des OLG Stuttgart lässt jedoch offen, ob die Bindungswirkung des Angebots noch während der Vertragslaufzeit eintrat und vermutete zudem eine nachvertragliche Bestätigung des Ausgleichsverzichts. Das Urteil des BGH hält die Gestaltung nur für wirksam, wenn der HV vertragsbegleitend sein Angebot noch widerrufen dürfe – was bei Willenserklärungen regelmäßig unzulässig ist. Die vorgenannten Quellen der Literatur können sich daher nicht auf die zitierten Gerichtsentscheidungen berufen. Auch diese Gestaltung fällt unter den Wortlaut und vor allem unter Sinn und Zweck des Abs. 4. Der HV hat alles für seinen Verzicht Nötige vertragsbegleitend getan, also zu einem Zeitpunkt, zu welchem die schutzzweckbestimmende Drucksituation fortbestand.2720 Deshalb hat der BGH die Wirksamkeit des Ausgleichsverzichts, bei dem der HV vor Vertragsende sein Angebot auf Abschluss des Derogationsvertrages abgab, der Unternehmer dieses Angebot jedoch erst nach Vertragsende annahm, nur befürwortet, weil der HV sein Angebot bis zum Vertragsende habe widerrufen dürfen.2721 Unzulässig dürfte auch die Vereinbarung „in escrow“ sein: Die Parteien einigen sich auf den Wortlaut der Aufhebungsvereinbarung. Als Zeichen des guten Willens unterzeichnen beide Seiten den Vertrag, weisen aber einen Dritten, z. B. einen Rechtsanwalt, an, die Unterschriften treuhänderisch zurückzuhalten, bis sie für den Rechtsverkehr freigegeben sind. Die Willenserklärungen sollen erst mit Freigabe wirksam werden. Teilweise wird die Zulässigkeit dieser Gestaltung befürwortet, zumindest sofern ein Widerruf der Erklärung möglich ist2722: Eine wirksame Willenserklärung setze voraus, dass sie mit Willen des Abgebenden bzw. ihm zurechenbar an den Empfänger gelange. Daran fehle es, wenn die Willenserklärung lediglich einem Dritten übergeben werde.2723 Auch wenn die Parteien einschränkende Regelungen zum Ausgleichsanspruch zwar vor dem vereinbarten Beendigungsdatum treffen, das Zustandekommen der Aufhebungsvereinbarung aber vom Eintritt einer oder mehrerer aufschiebender Bedingungen abhängig ist, soll kein Verstoß gegen § 89b Abs. 4 S. 1 vorliegen, sofern die Bedingung erst nach dem vereinbarten Beendigungsda2713 Mann ZVertriebsR 2017, 25, (27). 2714 BGH, Urt. v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868) = BB 1996, 1734 (1735). 2715 Von dieser Widerruflichkeit geht auch BGH, Urt. v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868) = BB 1996, 1734 (1735) aus.

2716 Hopt § 89b Rn 70; Thume in: Röhricht/Graf v. Westphalen3 § 89b Rn 150; kritisch dazu: Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 146. 2717 Hierzu auch Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). 2718 BGH, Urt. v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868) = BB 1996, 1734 (1735). 2719 OLG Stuttgart HVR (95) Nr. 837. 2720 Im Ergebnis auch Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 172. 2721 BGH, Urt. v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 (2868) = BB 1996, 1734 (1735). 2722 Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). Im Falle einer Widerrufsöglichkeit ist die Gestaltung jedoch wertlos. 2723 Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). Emde

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tum eintritt.2724 Jedoch ist das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft bereits bei Abschluss tatbestandlich vollendet.2725 Der maßgebliche Zeitpunkt für die Verzichtserklärung des HV ist daher die Abgabe der Willenserklärung und nicht der Eintritt der aufschiebenden Bedingung. Die Gestaltung dürfte daher unzulässig sein.2726 Vorgeschlagen wird eine Vertragsgestaltung mit einem „signing“ und „closing“. Der HV verpflichtet sich in einer vor Beendigung des HV-Vertrags geschlossenen Aufhebungsvereinbarung zur Abgabe einer Verzichtserklärung auf weitergehende Abfindungsansprüche, z. B. Zug um Zug gegen Zahlung einer Abfindung. Formal wäre die Verzichtserklärung erst nach Beendigung des HV-Vertrags abgegeben. Diese Option ist jedoch gleichfalls unzulässig.2727 Es ist auf das Datum der Verpflichtung des HV abzustellen. Dieses liegt vor Vertragsende.2728 Falls ein HV-Vertrag durch einen anderen ersetzt wird, sei es ein HV-, Vertragshändler 451 oder Franchisevertrag,2729 und im Zusammenhang damit ausgleichsbeschränkende Abreden getroffen werden, sind diese Abreden ebenfalls unwirksam,2730 es sei denn, die „Ersetzung“ erfolgt mit sofortiger Wirkung oder die anderen vorgenannten Bedingungen für die Wirksamkeit greifen ein. Wirksam ist die „Ersetzung“ eines Vertrages durch einen anderen, also in erster Linie, falls der Abschluss des Neuvertrages und das Ende des Altvertrages zusammenfallen.2731 In dieser Konstellation soll es auch unschädlich sein, dass zwischen den Unterschriften beider Parteien einige Tage liegen.2732 Nach Beendigung des HV-Vertrages oder in einer Aufhebungsvereinbarung, die zum Zwecke der sofortigen Vertragsbeendigung geschlossen wird, darf der HV jedoch auf den Ausgleich verzichten.2733 Voraussetzung ist die sofortige Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung, also die Vereinbarung des sofortigen Vertragsendes mit Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages.2734 Ebenso unproblematisch ist, wenn der nach Vertragsende geschlossene Vertrag die Aufhebung mit Rückwirkung auf einen früheren Zeitpunkt vorsieht.2735 Der VIII. Zivilsenat des BGH2736 ließ den Ausschluss des Ausgleichs zu, falls der HV schon vor dem rechtlichen Vertragsende seine Tätigkeit im Einvernehmen mit dem Unternehmer auf Grund des Kündigungsausspruchs endgültig eingestellt hatte. Begründet wurde dies mit der faktischen Vertragsbeendigung. Demgegenüber hat der I. Zivilsenat des BGH2737 die Wirksamkeit einer Vereinbarung abgelehnt, in welcher der Vertriebsvertrag zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben und der Mittler mit sofortiger Wirkung freigestellt wurde. Maßgeblich sei der Zeitpunkt der rechtlichen und nicht der faktischen Vertragsbeendigung. Das Schutzbedürfnis des HV besteht fort, solange das Vertragsverhältnis andauert, auch wenn es sich nach einer Kündigung seinem bereits bestimmten Ende nähert. Richtigerweise dürfte die Gefährdung sogar andauern, bis alle wesentlichen Ansprüche mit 2724 2725 2726 2727 2728 2729 2730

Mann ZVertriebsR 2017, 25 (28). Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (209). Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (209). Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (209). Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (209). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 270. BGH, Urt. v. 12.12.1985 – I ZR 62/83; v. 14.11.1966, NJW 1967, 148; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 270; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 172. 2731 Mann ZVertriebsR 2017, 25, (27). 2732 Mann ZVertriebsR 2017, 25, (27). 2733 BGH, Urt. v. 10.7.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867; v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, NJW 1990, 2889 = HVR Nr. 693; v. 14.4.1988 – I ZR 122/86, WM 1988, 1207; v. 5.12.1968, BGHZ 51, 184 (188); OLG Köln, Urt. v. 20.1.2006 – 19 U 124/05; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 272; Oetker/Busche5 § 89b Rn 53; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 195; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 34a. 2734 KG, Urt. v. 8.7.1960, BB 1960, 1075; Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208); Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 34a. 2735 Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). 2736 Urt. v. 30.12.1970, BGHZ 55, 124 = BB 1971, 104. 2737 BGH, Urt. v. 29.3.1990, BB 1990, 1366; krit. Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 987. 457

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Ausnahme des Ausgleichs geregelt sind (zum Parallelproblem bei § 90a siehe die dortige Kommentierung). Dies wird besonders deutlich im Fall einer Änderungskündigung des Unternehmers oder wenn der HV sonst hoffen kann, doch noch eine Fortdauer des HV-Verhältnisses zu erreichen.2738 Deshalb wird die Ansicht von Staub/Brüggemann 4. Aufl.2739 aufgegeben, derzufolge der Ausgleich derogiert werden durfte, falls der HV kündigte und das Ende des Vertragsverhältnisses nicht nur fest-, sondern unmittelbar bevorstand. In diesem Fall sollte es nach Staub/Brüggemann 4. Aufl. nicht auf ein Abwartenmüssen bis zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung ankommen. Das Schutzbedürfnis dessen, der in Kürze gehe, weil er gehen wolle, sei nicht größer als zum Zeitpunkt des rechtlichen Vertragsendes. Zumindest spreche nach Staub/Brüggemann 4. Aufl. ein Bedürfnis dafür, die Abrede über einen Ausgleichsverzicht zuzulassen für den Fall, dass HV und Unternehmer im Einvernehmen das Vertragsverhältnis für einen demnächstigen Zeitpunkt beenden. Alsdann sollte eine globale Regelung – etwa unter Einbeziehung von Wettbewerbsabreden nach § 90a – getroffen werden können, anstatt das förmliche Vertragsende abzuwarten. Die Zulässigkeit einer solchen Abrede wurde (um Umgehungen zu vermeiden) begrenzt auf eine Zeitspanne, welche der gesetzlichen oder der vertraglichen Kündigungsfrist entsprach. Nur für den Fall einer vom Unternehmer ausgesprochenen Kündigung sollte es bei dem Zeitpunkt des rechtlichen Vertragsendes als Wirksamkeitszeitpunkt bleiben. Die strengen Voraussetzungen der Rspr. werden teilweise kritisiert. Sie sollen den praktischen Bedürfnissen der Parteien nicht ausreichend Rechnung tragen.2740 Beispiele: 452 – Abtretungsverbot in Hinblick auf den Ausgleichsanspruch: es ist wirksam.2741 – Alte Rechtslage: Die Parteien dürfen nicht eine dem Mittler nachteilige Altfassung des § 89b für sich als verbindlich vereinbaren.2742 – Altersversorgung: Unzulässig ist jede Begrenzung des Ausgleichs durch eine vor Vertragsende getroffene Vereinbarung, die eine zwingende Anrechnung der Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch vorsieht.2743 Vereinbart werden kann allenfalls, dass insoweit der Billigkeitsgrundsatz gilt. Die AGB „mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet der HV auf die unternehmerfinanzierte Altersversorgung“ verstößt nicht gegen die zwingende Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4), weil der Ausgleich selbst unberührt bleibt und lediglich die Altersversorgung entfällt2744: Die Frage, welchen Anspruch der HV wähle, stelle eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffende Entscheidung dar, berühre aber die Rechtsposition des Ausgleichs nicht.2745 Auch ein Verstoß gegen § 307 BGB scheide aus. Einen Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung über die Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Anrechnung der Altersversorgung (s. o.) fehle. Es gehe bei der Klausel nicht um die Anrechnung eines bestehenden Anspruchs auf den Ausgleich. Vielmehr habe der Unternehmer eine Gestaltung gewählt, welche die Altersversorgung unter der auflösenden Bedingung der Nichtgeltendmachung des Ausgleichs begründe. Der Umstand, dass bei Beendigung des Vertragsverhältnisses in vielen Fällen die Höhe des Ausgleichs noch nicht feststehe, so dass der HV bei Ausgleichsforderung u. U. die für ihn günstigere Altersversor-

2738 2739 2740 2741 2742 2743

BGH, Urt. v. 29.3.1990 – I ZR 289/88. § 89b Rn 106. Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (209). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIII Rn 38. Emde DStR 2009, 1478 (1485). OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.9.2012 – 5 U 101/09, BeckRS 2014, 11259; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 160; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 139. 2744 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110; Thume VersR 2009, 436 (441); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 161. 2745 BGH, Urt. v. 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229 = WM 2017, 728 Rn 43; v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110. Emde

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gung verliere, stelle keine unangemessene Benachteiligung dar. Mit der Jahresfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 stehe ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung, sich über die Höhe und den Umfang des Ausgleichs im Klaren zu werden. Das Gleiche gilt für eine Regelung, derzufolge der HV mit Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs auf die Leistung einer Vertreter-Hilfskasse (Treuegeld) verzichtet.2746 Ehrhard empfielt zum Schutz vor einer Unwirksamkeit der Abrede zu vereinbaren, dass das Treugeld an den Unternehmer abgetreten wird. Daneben solle vorsorglich eine Anrechnung des Treugeldes im Rahmen der Billigkeit nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 vereinbart werden.2747 Anerkenntnis: Dass der Ausgleichsanspruch erst nach Anerkenntnis fällig wird, widerspricht § 89b Abs. 4.2748 Vertraglicher Ausschluss des Ausgleichsanspruchs: er ist unwirksam, wenn ohne die Regelung ein Ausgleichsanspruch bestände. Eine Klausel, die den Ausgleichsanspruch ausschließt, stellt aber keinen Verstoß gegen das Derogationsverbotes dar, sofern ein solcher nicht besteht.2749 Das gilt insb., wenn die Voraussetzungen für eine Analogie zu § 89b nicht gegeben sind und die Klausel dies klarstellt.2750 Nur bei Vorliegen aller Analogievoraussetzungen ist der Ausgleichsanspruch zwingend. Bei dieser Gestaltung kommt jedoch ein Ausgleichsanspruch erst gar nicht zum Entstehen, so dass es auf die zwingende Natur nicht ankommt.2751 Der Ausschluss bestimmter Geschäfte von der Ausgleichsberechnung ist unzulässig,2752 etwa durch die scheinbar ausgleichssichernde Klausel: „Die vom HV seit Aufnahme der Tätigkeit geworbenen neuen Kunden sowie die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Altkunden, zu denen der HV die Geschäftsverbindung wesentlich erweitert oder wiederbelebt hat, bleiben auch nach Abschluss dieses Vertrages Neukunden des HV“.2753 Begrenzung der Höhe des Ausgleiches,2754 außer auf die Höhe der Höchstgrenze oder darüber. Ein Mindestbetrag darf aber vereinbart werden.2755 Bestandskunden: Eine Beschränkung des Ausgleichsanspruchs auf Bestandskunden ist unwirksam.2756 Billigkeit: Vereinbarungen, die zu Lasten des HV die Billigkeitskontrolle ganz oder teilweise ausschließen oder auf einzelne Billigkeitselemente begrenzen, verstoßen gegen Abs. 4.2757 Abreden, die der Konkretisierung der Billigkeitsgesichtspunkte dienen, sollen zulässig sein.2758 Letzteres ist zweifelhaft.2759

2746 2747 2748 2749

BGH, Urt. v. 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229 = WM 2017, 728 Rn 42. Ehrhard EWiR 2017, 273 (274). OLG Oldenburg, Urt. 12.10.1972, BB 1973, 1281; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 267. OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (37) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.). 2750 OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (37) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.). 2751 OLG München, Urt. v. 31.7.2013 – 7 U 516/13, IHR 2014, 107 = ZVertriebsR 2014, 35 (37) m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356 f.). 2752 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090. 2753 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090. 2754 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 266. 2755 BGH WM 1991, 196 (198); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 266. 2756 LG Berlin, Urt. v. 4.7.2018 – 11 O 52/14. 2757 Balke/Evke de Groot NJOZ 2010, 1551 (1553). 2758 BGH, Urt. v. 20.11.2002, BGHZ 153, 6 (13) = NJW 2003, 1241; OLG Köln, Urt. v. 19.9.1996, VersR 1997, 615 (616); Oetker/Busche5 § 89b Rn 54, zweifelhaft. 2759 Zutreffend Küstner BB 1994, 1590 (1592). 459

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Benennung wichtiger Kündigungsgründe: Werden wichtige Gründe zur Kündigung des HV-Vertrages so bestimmt, dass sie über die von § 89a gestattete Konkretisierung hinausgehen und eine außerordentliche Kündigung auch gestatten, wenn kein wichtiger Grund vorliegt, ist nicht nur § 89a sondern auch § 89b Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 verletzt, sofern die Kündigung auch in Fällen erleichtert wird, die ein schuldhaftes Verhalten des HV konstituieren. Meist ist dann bereits die Kündigung unwirksam, so dass der HV-Vertrag unbeendet bleibt. Beschränkung der Vererblichkeit: Sie ist unwirksam.2760 Beweis und Darlegung: Zulässig sind Vereinbarungen, die den Anforderungen an Darlegung, Beweisführung und Durchsetzung des Ausgleichs erleichtern.2761 Einmalprovision: Thume vertritt, ein Provisionssystem, welches – wie bei Einmalprovisionen – nachvertragliche Provisionsverluste nicht entstehen lässt, bilde eine den Ausgleichsanspruch begrenzende, nach § 89b Abs. 4 unzulässige Abrede.2762 Entschädigungssystem: § 89b Abs. 4 schließt nicht aus, dass die Parteien eines internationalen HV-Vertrages deutsches Recht ganz oder teilweise abbedingen und anstelle eines Ausgleichsanspruchs einen Schadenersatzanspruch gem. Art. 17 Abs. 3 RL vereinbaren.2763 Die Erweiterung der Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 ist unwirksam.2764 Erlass: Vor Vertragsende ist er unwirksam. Nach Vertragsende darf er vereinbart werden. Fälligkeitsabreden zum Nachteil des HV können gegen § 89b Abs. 4 verstoßen.2765 Gegenleistungen des HV: Gesetzesuntypische Abreden über vom HV zu erbringende Gegenleistungen können gegen Abs. 4 verstoßen,2766 sofern sie objektiv eine ausgleichsbeeinträchtigende Funktion haben. Ob das der Fall ist, hängt von dem jeweiligen Sachverhalt ab. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang etwa Einstandszahlungen (Rn 332 ff.). Höchstbetrag des Ausgleichs: der Höchstbetrag des § 89b Abs. 2 darf vertraglich erhöht werden.2767 Höhe der Provision: Da die Höhe der Provisionen frei vereinbart werden darf, verstoßen Abreden über die Provisionshöhe nicht gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz des § 89b Abs. 4. Zwar kann nicht ausgleichspflichtig werden, was nicht als Provision verdient ist. Es gibt jedoch keine für die Berechnung des Ausgleichs zugrunde zu legende Mindestprovision. Mittelbar benachteiligende Abreden über die Provisionshöhe sind daher zulässig, sofern sie in erster Linie das Leistungs-Gegenleistungsverhältnis für Vermittlungs- und Abschlussbemühungen des HV bestimmen und nicht den Ausgleich unmittelbar ausschließen oder reduzieren sollen. Die Grenze verläuft zwischen unzulässigen, unmittelbar den Ausgleich beschränkenden Abreden und zulässigen, den Ausgleich lediglich mittelbar beschränkenden Vereinbarungen.2768 Thume2769 nennt beispielhaft den zulässigen Ausschluss des Provisionsanspruches für Nachbestellungen von Kunden. Mindestausgleich: Die Vereinbarung eines Mindestbetrags des Ausgleichs ist zulässig.2770 Neukunden, Vereinbarung zur Neukundeneigenschaft: Eine solche Vereinbarung ist nur wirksam, wenn sie für den HV günstig ist.2771

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 267; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 173. Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). Thume BB 2015, 387 (392). Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 267; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 47. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 173; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 192; aA OLG Oldenburg 1973, 1281; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 268. 2766 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 173. 2767 Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). 2768 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568 unter II 2. 2769 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIII Rn 14. 2770 Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). 2771 Einen solchen Fall betraf die Entscheidung OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt.

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Abgeltung des Ausgleichs durch eine vertraglich vereinbarte Pauschale oder einen zu geringen Ausgleich: Die Vereinbarung ist nur insoweit wirksam, als der HV aus ihr einen Mindestausgleich fordern darf.2772 Der Unternehmer darf sich hingegen nicht auf eine eventuell ausgleichsreduzierende Wirkung berufen. Ordentliche Kündigung: Unwirksam ist die Regelung, wonach bei ordentlicher Kündigung kein Ausgleichsanspruch entsteht.2773 Persönliche Vermittlungsleistung: Der Ausschluss der Ziff. I 1 der „Grundsätze Leben“ für das von unechten Untervertretern vermittelte Geschäft soll wirksam sein.2774 Provisionsverzichtklausel: Sie ist nach h. M. wirksam. Prozessuale Durchsetzung: Nicht sicher zu beurteilen sind Abreden über die prozessuale Durchsetzung. Gerichtsstandsklauseln sind zulässig, sofern zu erwarten steht, dass das prorogierte Gericht international-zwingende Vorschriften des deutschen Rechts anwendet (s. § 92c zur Ingmar-Rechtsprechung). Schiedsvereinbarungen sind unter den gleichen Bedingungen zulässig, sofern sie nicht prohibitiv wirken, was bei gegenüber Kleinvertretern verwendeten Schiedsklauseln oft Motiv ihrer Verwendung ist. Der BGH hat auch in der Vereinbarung einer gütlichen Einigung vor Klagerhebung keinen Verstoß gegen die zwingende Natur gesehen: jedenfalls hat er dies nicht problematisiert.2775 Die Vereinbarung eines Anerkenntnisses des Unternehmers als Klagvoraussetzung ist hingegen unwirksam.2776 Ratenzahlungsvereinbarung.2777 So ist die Vereinbarung einer Auszahlung in drei Jahresraten unwirksam.2778 Rotationsvertrieb: Als dem Rechtsgedanken des § 89b Abs. 4 widersprechend hat der BGH es angesehen, wenn ein „Rotationsvertriebssystem“, bei welchem der HV in wechselnden Bezirken eingesetzt war, dazu führen würde, dass der HV wegen des Ausschlusses der Folgeprovisionen aus der Tätigkeit im letzten Bezirk und in Folge des zu erwartenden Bezirkswechsels keine Provisionsverluste aus diesem Bezirk erleiden konnte. Zulässig sei es nur, wenn man bei der Ausgleichsberechnung für die Zeit nach Vertragsende eine Tätigkeit des HV im letzten Gebiet untersellen würde.2779 Der Streit hat durch die Novelle 2009 an Bedeutung verloren, weil jetzt dem Grunde nach auch im Rotationsvertrieb aufgrund der bestehenden Unternehmervorteile ein Ausgleich zuzuerkennen sein wird, ohne dass es auf die dem HV entgehenden Provisionen ankommt.2780 Rückforderung des Ausgleichsanspruches: Eine Rückforderung des Ausgleichsanspruches ist zwar nicht generell ausgeschlossen. Eine Klausel, die die Rückforderung des Ausgleichs regelt2781 wird aber regelm. unwirksam sein, es sei denn, sie trifft genau von der Rspr, anerkannte Rückforderungsfälle. Sicherheiten oder Zahlungen des HV in Ausgleichshöhe, die bei Vertragsende verfallen und denen – anders als eine Ausgleichszahlung – kein reeller Gegenwert entspricht, sind unwirksam. Tod des HV: Unwirksam ist die Klausel, beim Tod des HV könne kein Ausgleichsanspruch von Dritten, insb. von Angehörigen des HV, geltend gemacht werden.2782

2772 2773 2774 2775 2776 2777

OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (238). OLG Stuttgart, Urt. v. 19.9.2012 – 3 U 195/11, BeckRS 2013, 15236. OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08, zweifelhaft. BGH, Urt. v. 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229 Rn 36 f. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 173; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 192. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 267 (angeblich nur, wenn keine Verzinsung vorgesehen ist). 2778 AA OLG Oldenburg, Urt. 12.10.1972, BB 1973, 1281; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 992. 2779 BGH, Urt. 25.10.1984, NJW 1985, 859; v. 28.4.1999, NJW-RR 1999, 2686 = BB 1999, 1399; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 267. 2780 Emde DStR 2009, 1478; Thume BB 2009, 2490 (2494). 2781 Beispiel OGH, Urt. v. 21.12.2011 – 6 Ob 88/11a, ZVertriebsR 2012, 134. 2782 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIII Rn 37. 461

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Vergleich: Ein Vergleich über den Ausgleich verstößt vor Vertragsende gegen Abs. 4,2783 sofern sich der HV auf einen Betrag unterhalb des nach § 89b Geschuldeten vergleicht. Das gilt angesichts des apodiktischen Wortlauts und der fehlenden Beratungspflicht des Gerichts auch für einen Prozessvergleich,2784 wobei allerdings eine Klage und ein Vergleich vor Fälligkeit des Ausgleichs – Vertragsende – kaum besonders wahrscheinlich sind. Der Widerspruch zwischen „Dürfen“ und „Wollen“ wird z. T. wie folgt gelöst: Wegen des zwingenden Charakters des § 89b erfasst ein vor Vertragsende geschlossener Vergleich „über alle gegenseitigen Ansprüche“ im Zweifel nicht den Ausgleichsanspruch.2785 Verschärfung der Anfordeungen an den Ausgleichsausschluss: Vereinbarungen, die die Voraussetzungen für das Nichtentstehen oder den Ausschluss des Anspruchs verschärfen, sind gestattet.2786 Ein Verzicht auf Provisionen widerspricht nicht der zwingenden Natur des § 89b Abs. 4 S. 1.2787 Siehe zur Provisionsverzichtsklausel unten. Einer Verkürzung der Verjährungsfrist steht § 89b Abs. 4 nicht entgegen, sofern die Frist zur Geltendmachung des Ausgleichsanspruches von einem Jahr gewahrt bleibt.2788 Vorauserfüllung: Nach dem BGH verstößt eine Vertragsbestimmung in einem HV-Vertrag, wonach ein Teil der dem HV laufend zu zahlenden Vergütung auf den künftigen Ausgleichsanspruch angerechnet werden soll, im Zweifel gegen § 89b Abs. 4 S. 1 und ist i. d. R. gem. § 134 BGB nichtig.2789 Eine solche Bestimmung ist nur dann rechtswirksam, wenn sich feststellen lässt, dass die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede keine höhere Provision vereinbart hätten, als dem Teil der Gesamtvergütung entspricht, der nach Abzug des abredegemäß auf den Ausgleichsanspruch anzurechnenden Teils verbleibt. Für den Unternehmer wird der Beweis schwer zu führen sein. Brauchbare Statistiken und übliche Provisionen gibt es nicht. Im Einzelfall mag es zwar gelingen, nachzuweisen, dass das dem HV gezahlte Gesamtentgelt höher ist als bei anderen HV. Dass dieser aber wirklich hinsichtlich Gebiet, Produkt und Vertragsgestaltung vergleichbar sind, muss der Unternehmer ebenfalls beweisen. Die Branchenüblichkeit bildet zudem nur ein Indiz.2790 Lilje2791 rät zur Vermeidung der Unwirksamkeit in die Vorauserfüllungsabrede folgende Klausel aufzunehmen „Die Geltendmachung eines weiteren (höheren) HV-Ausgleichs – bleibt durch diesen Vertrag unbenommen.“2792

V. Zwingende Natur des Ausgleichs in Auslandssachverhalten und Grenzen der Rechtswahl 453 Grundsätzlich können die Parteien des HV-Vertrages das anwendbare Recht gemäß Artt. 4 Rom I-VO, 27 Abs. 1 EGBGB ausdrücklich oder stillschweigend und auch nach Abschluss des Vertrages (Art. 27 Abs. 2 EGBGB) frei wählen.2793 Die Grenzen dieser Rechtswahl werden bei der Kom-

Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 179. AA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 179, 229. Ebenroth/Löwisch1 § 89b Rn 166. Fröhlich ZVertriebsR 2018, 207 (208). OLG München, Urt. v. 11.4.2018 – 7 U 1972/17, ZVertriebsR 2018, 176 Rn 63. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIII Rn 39; Oetker/Busche5 § 89b Rn 54; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 192; aA OLG Celle, Urt. v. 19.9.1978, HVR Nr. 559; offengelassen vom BGH in seinem Urt. v. 12.10.1979, BGHZ 1971, 169 = NJW 1980, 286. 2789 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60, 65 ff. 2790 Korte BB 2016, 2129. 2791 ZVertriebsR 2016, 302. 2792 Lilje ZVertriebsR 2016, 302 (304). 2793 Siehe etwa Mankowski MDR 2002, 1352 (1353).

2783 2784 2785 2786 2787 2788

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mentierung zu § 92c diskutiert.2794 Das Schutzbedürfnis des HV und die regelmäßig stärkere Stellung des Unternehmers sind zu berücksichtigen.

VI. Einstandszahlungen/Vertretungskauf Im Franchisebereich waren Eintrittsgelder schon immer üblich (s. Kommentierung zu Vor § 84). 454 Dort sollen sie die Übergabe des know-how honorieren. Außerhalb des Franchisebereichs dienen sie vorwiegend der Ausgleichsvermeidung. Nicht selten wird vereinbart, dass der Nachfolger eines HV dem Unternehmer die Ausgleichslast abnimmt. Durch interne Erfüllungsübernahme gegenüber dem Unternehmer ist das zeitlich jederzeit möglich; durch formelle Schuldübernahme2795 wegen Abs. 4 S. 1 nur nach Entlassung des Vorgängers aus seinem Vertrag, d. h. mit Inkrafttreten der Übernahme der Vertretung. Vorher kann es nur durch Schuldbeitritt neben dem demnächst ausgleichsverpflichteten Unternehmer geschehen.2796 Der BFH definiert die Einstandszahlung als Gegenleistung des HV für die ihm vom Geschäftsherrn verschaffte – rechtlich verfestigte – wirtschaftliche Chance, Provisionseinnahmen zu erzielen.2797 Nach dem BAG handelt es sich nicht um den Kauf eines Rechtes i. S. v. §§ 453, 433 BGB, weil der Erwerber das Recht nicht weiterveräußern darf.2798 Meist wird ein Vertrag sui generis vorliegen. Die Terminologie ist nicht einheitlich. Benutzt werden u. a. die Begriffe Einstandszahlung, Kaufpreis, Eintrittsgeld und Abwälzungsvereinbarung. Zwischen den ersten drei Termini sowie Abwälzungsvereinbarungen besteht nach der Motivation – wirtschaftliche Beteiligung des Eintretenden an dem dem Vorgänger geleisteten Ausgleich – häufig kein Unterschied. Jedoch orientiert sich die Höhe des vom Eintretenden geleisteten Entgelts bei der Abwälzungsvereinbarung an der Höhe des Ausgleichs, in den anderen Fällen nicht notwendigerweise. Für die hier diskutierte Frage sind die Gestaltungen gleichzubehandeln. Die Diskussion um die Zulässigkeit von Einstandszahlungen für den Kauf von Handelsvertretungen im Spannungsverhältnis zum Verbot ausgleichsbeschränkender oder -ausschließender Vereinbarungen (Umgehung2799 des Derogationsverbots) ist ein durch den Erfindungsreichtum der im Vertriebsrecht tätigen Berater geborenes Thema (vgl. Abs. 3 Nr. 3), welches wohl nur aufgrund steuerrechtlicher Nachteile keine flächendeckende Verbreitung gefunden hat. Ein HV scheidet aus und sein Nachfolger erwirbt die Vertretung vom Unternehmer. Er erwirbt also für Geld die Möglichkeit, durch eigene Arbeit die durch Kaufpreiszahlung verlorene Leistung zu amortisieren. Einstandszahlungen sind insb. bei der Vergabe lukrativer Vertretungen beliebt.2800 Ohne den Ausgleichsanspruch gäbe es kaum Einstandszahlungsabreden,2801 was ihre Intention offen legt: Da der Ausgleich zwingend ist, versuchen Unternehmer eine ausschlussgleiche Wirkung herbeizuführen, indem HV für den Kauf der Vertretung ein Kaufpreis in Rechnung gestellt wird, der in seiner Höhe in etwa dem geschätzten Ausgleichsanspruch – der Sicherheit halber meist einer Jahresbruttoprovision2802 – entspricht. Wirtschaftlich auf dasselbe hinaus läuft die Zahlung eines geringeren Provisionssatzes, als er dem ausgeschiedenen HV gewährt wurde,2803 entweder zum Zwecke der Amortisation des vom Unternehmer ausgelegten Ausgleichs oder durch Zuwendung der Provisionsdifferenz an den Vorgänger zwecks ratenweiser Tilgung des zunächst offen gebliebenen Aus-

2794 2795 2796 2797 2798 2799 2800 2801 2802 2803 463

Siehe bereits Emde MDR 2002, 190 ff. Sie kann vereinbart werden, s. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 29 f. BGH VersR 1964, 791. BFH, Urt. v. 18.1.1989 – X R 10/86, BFHE 156, 157. BAG, Beschl. v. 20.10.2009 – 5 AZB 30/09, NJW 2009, 3803 (3804). OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m. Budde DB 2005, 2177. Westphal MDR 2005, 421 (422). Westphal MDR 2005, 421 (422). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 8. Emde

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gleichsanspruchs.2804 Dann dient die Provisionsdifferenz dazu, den an den Vorgänger geleisteten Ausgleich dem Nachfolger aufzubürden.2805 Geschieht dies verdeckt, lässt sich das Gewollte kaum nachweisen – was zu dem an Unternehmer gerichteten Gestaltungshinweis einlädt, diese Variante zu wählen, am besten i. V. m. einer Verjährungskürzung, welche das Risiko einer Klage auf Auszahlung der ungekürzten Provision reduziert. Eine weniger verschleierte Alternative ist es, wenn der Unternehmer den schon an den Vorgänger gezahlten Provisionssatz beibehält und lediglich einen Teil der dem Nachfolger zu zahlenden Provision einbehält, bis der an den Vorgänger geleistete Ausgleich abgedeckt ist.2806 Besonders deutlich wird die Zielrichtung, falls der Kaufpreis bis zum Zeitpunkt der Ausgleichsfälligkeit gestundet und dann mit dem Ausgleichsanspruch verrechnet werden soll (Darlehensmodell).2807 Dies dürfte zur Unwirksamkeit der Verrechnungsabrede führen.2808 Rechtlich ist dieser Fall nicht anders zu beurteilen als eine Einstandszahlung ohne Verrechnungsabrede. Denn die Erfüllung der Einstandszahlungsabrede (direkte Zahlung) und Erfüllungssurrogat (Aufrechnung) sind gleich zu behandeln. Es dürfte also falsch sein, Aufrechnungssituationen an § 89b Abs. 4 scheitern zu lassen und Zahlungssituationen nicht. Diese Überlegungen lassen es angezeigt sein, die Zulässigkeit der Einstandszahlung am Leitbild der Fälle zu messen, in denen die Abrede als Investitionsentscheidung auch ohne das Motiv, den Ausgleichsanspruch auszuschließen, getroffen worden wäre, nämlich wenn eine geldwerte Vertretung erworben wird. 455 Von dem dem § 89b Abs. 3 Nr. 3 zugrunde liegenden Sachverhalt der meist dreiseitigen Eintrittsvereinbarung zwischen Unternehmer, Vorgänger und Nachfolger unterscheidet sich die Einstandszahlung dadurch, dass der Zahlungsfluss vom Nachfolger an den Unternehmer und nicht an den ausscheidenden HV erfolgt. Zudem ist der Vorgänger-HV weder an dem Vertretungskauf noch an einer Abwälzungsvereinbarung beteiligt. Die Höhe des an den Unternehmer geleisteten Kaufpreises ist unabhängig von der Höhe des zukünftig bei Vertragsende des Nachfolgers zu erwartenden Ausgleichsanspruches. Bei der Abwälzungsvereinbarung orientiert sich die Höhe des Kaufpreises dagegen an dem vom Unternehmer dem Vorgänger-HV geschuldeten Ausgleichsanspruch oder einer mit ihm getroffenen Abrede über die Ersetzung dieses Ausgleichs durch eine Zahlung in anderer Höhe. Auch kann es vorkommen, dass der Unternehmer den Nachfolger verpflichtet, direkt mit schuldbefreiender Wirkung für den Unternehmer an den Vorgänger-HV zu zahlen. Allerdings werden sowohl beim Vertretungskauf wie auch bei der Abwälzungsvereinbarung meist dieselben, nachfolgend angesprochenen Punkte streitig. 456 Zum ersten fragt sich, ob die Vereinbarung eines Kaufpreises überhaupt wirksam ist oder ob sie eine Umgehung der nach § 89b Abs. 4 zwingenden Bestimmungen darstellt (Wirksamkeitsproblematik). Zweitens ist fraglich, ob Einstandszahlungen mittels AGB getroffen werden dürfen. Drittens entstehen Streitigkeiten, falls der HV-Vertrag zu einem Zeitpunkt beendet wird, zu dem sich die Einstandszahlung noch nicht amortisiert hat und der HV Rückzahlung des noch nicht amortisierten Teiles fordert.2809 Wenn die Kaufpreisabrede wirksam sein sollte, fragt sich viertens, ob sie ggf. stillschweigend dazu führt, dass die vom Vorgänger geworbenen Kunden bei der Ausgleichsberechnung wie Neukunden des Käufers zu behandeln sind (inzidente Neukundenabrede). Fünftens ist zu prüfen, ob eine eventuelle Unwirksamkeit der Klausel nur dazu führt, dass der Unternehmer bei Vertragsende nicht mit einer versprochenen und gestundeten Einstandszahlung gegen den Ausgleichsanspruch aufrechnen darf oder ob die Unwirksamkeit 2804 2805 2806 2807

Fälle OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1046); OLG Hamm BB 1980, 1819. Semler BB 2005, 965. Siehe Westphal MDR 2005, 421. Siehe die Fälle des OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384); v. 14.12.1978, HVuHM 1979, 204; KG Berlin, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06 (Tankstellen-HV) – unwirksam; Küstner/ Thume/Thume II9 Kap. III Rn 17; Westphal MDR 2005, 421; nach dem OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/ 09m indiziert dies die Absicht, das Derogationsverbot zu umgehen. 2808 KG Berlin, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06; OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m. 2809 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 6. Emde

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den Unternehmer auch an der Einforderung des vereinbarten Einstandspreises hindert. Muss der Unternehmer bei Vertragsende eine vom HV geleistete Einstandssumme zurückzahlen, sofern den HV ein Verschulden an dem Vertragsende nicht trifft, obliegt ihm der Nachweis für das Verschulden des HV.2810 Einstandszahlungen eines HV fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 S. 3 457 EStG. Es handelt sich bei ihnen nicht um Anschaffungskosten auf einen Geschäfts- oder Firmenwert – verstanden als der Mehrwert, der einem gewerblichen Unternehmen über den Substanzwert der einzelnen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter abzüglich Schulden hinaus ohnehin innewohnt, – sondern um solche auf ein immaterielles Wirtschaftsgut „Vertreterrecht“, welches nicht typisierend auf 15 Jahre, sondern nach den allgemeinen Regeln auf die jeweils im konkreten Einzelfall zu ermittelnde betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer abzuschreiben ist.2811

1. Wirksamkeit der Einstandszahlung (Frage 1) Grundsätzlich darf der Unternehmer einen Kaufpreis (Einstandszahlung) für die Vertretung 458 fordern.2812 Es handelt sich um eine zulässige, den Ausgleichsanspruch nur mittelbar berührende Abrede.2813 Von der Rspr.,2814 auch der des BGH,2815 werden Einstandszahlungen anerkannt, es sei denn, es liegen Umstände vor, die eine Umgehung des zwingenden Ausgleichsanspruchs nahe legen, etwa ein ungerechtfertigt hoher Einstandspreis.2816 Einstandszahlungen sind auch europarechtlich nicht zu beanstanden.2817 Schwierig ist jedoch die Grenzziehung, wann im Spannungsverhältnis zur zwingenden Natur des Ausgleichs Unwirksamkeit eintritt, also ein Umgehungs-TB vorliegt.2818 Zunächst: Die in § 86a Abs. 1 genannten Leistungen sind kostenfrei bereitzustellen. Eine Gegenleistung darf auch als „Eintrittsgeld“ nicht gefordert werden. Der Gesetzgeber geht in § 89b Abs. 3 Nr. 3 zudem davon aus, dass der Nachfolge-HV an seinen Vorgänger für die Übernahme der Vertretung ein Entgelt leisten darf.2819 Daraus lässt sich zweierlei entnehmen: Zum einen ist der Verkauf von Handelsvertretungen zulässig. Zum anderen sieht der Gesetzgeber den möglichen Wert einer Handelsvertretung. Wie ausgeführt regelt § 89b Abs. 3 Nr. 2 jedoch die Zahlung des Kaufpreises an den Vorgängervertreter und nicht den Unternehmer. Wirtschaftlich führt diese Zahlung zu einem identischen Ziel, weil der Unternehmer infolge der Ausschlusswirkung des Abs. 3 keinen Ausgleich mehr leisten muss. Mittelbar lässt sich daraus die Zulässigkeit einer Kaufpreisabrede zwischen Unternehmer und 2810 OLG München NJW-RR 1998, 174 = EWiR 1997, 661 (Sellhorst). 2811 BFH, Urt. v. 12.7.2007 – X R 5/05, VersR 2008, 1110 (1111). 2812 Drossart IHR 2016, 7 (10); Thume BB 2009, 1026 (1028); Emde VersR 2004, 1499 (1515, 1516); Emde EWiR 2005, 471 (472); Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 62; Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 993; offen gelassen von BAG, Beschl. v. 20.10.2009 – 5 AZB 30/09, NJW 2009, 3803 für den dortigen Fall. 2813 Drossart IHR 2016, 7 (10). 2814 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384); OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt; KG, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06 – dort aufgrund der Besonderheiten des Falles Wirksamkeit verneint; OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1046); OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.1.2003 – 16 U 66/02; v. 16.3.2001 – 16 U 86/99, HVR Nr. 1424; zust. (für den Tankstellen-HV) Steinhauer BB 2009, 2386 (2389). 2815 Urt. v. 24.2.1983 – I ZR 14/81, NJW 1983, 1727 = MDR 1983, 727 = HVR Nr. 574. 2816 BGH, Urt. v. 24.2.1983 – I ZR 14/81, NJW 1983, 1727 = MDR 1983, 727 = HVR Nr. 574; OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384). 2817 Emde DStR 2009, 1478 (1484). 2818 Der OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m misst die Zulässigkeit der Einstandszahlung daran, an der Umgehung des Unabdingbarkeitsgrundsatzes: Eine Umgehung liege vor, falls der einzige oder hauptsächliche Zweck der Vereinbarung darin liege, die Zahlung des Ausgleichs zu ersparen. 2819 Westphal MDR 2005, 421 (422). 465

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eintretendem HV ableiten: Die Parteien müssen nicht die „Umgehungskonstruktion“ der Zahlung über den Vorgänger wählen. Ohnehin müsste es ein ausdrückliches Verbot des „Verkaufs“ und des „Eintrittsgeldes“ geben, sollte derartiges unzulässig sein (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Wirksamkeit ist allerdings an Bedingungen geknüpft: Sie setzt voraus, dass für den Kaufpreis tatsächlich etwas Geldwertes übergeben wird,2820 nämlich ein „reeler“2821 oder „besonderer“2822 Gegenwert. Der Preis darf nicht überzogen – und damit gegen Treu und Glauben verstoßen – oder gar sittenwidrig sein.2823 Das scheint auch der BGH zu fordern, wenn er eine Unwirksamkeit bei unangemessenem Einstandspreis erwägt.2824 Um die Werthaltigkeit festzustellen, muss im Wege einer Gesamtbetrachtung bestimmt werden, ob der HV einen Vorteil erlangt, welchen er ohne die Einstandszahlung nicht erhalten hätte.2825 Für die Prüfung der Angemessenheit soll in erster Linie auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und den Umsatz des Vorgängers im letzten Jahr vor Vertragsschluss abzustellen sein.2826 Dafür spricht, dass damit das „Verkaufte“ am besten bestimmt wird und die späteren Provisionseinnahmen und der Ausgleichsanspruch auch auf der Leistung des HV beruhen. Bei der Bestimmung der Angemessenheit sind folgende Umstände relevant: Seinen durch eigene Tätigkeit verdienten Ausgleich braucht der HV nicht vorweg im Wege einer Einstandszahlung zu entgelten, weil er durch eigene Leistung (Aufbau des Kundenstammes) erworben wird. Wirtschaftlich würde es sich um einen Ausgleichsausschluss handeln, der den Schutzbereich des § 89b Abs. 4 berührt. Wird der HV nicht Bezirksvertreter, so erhält er Provision nur für von ihm vermittelte Geschäfte und Folgegeschäfte, also für eigene Tätigkeit. Diese Provision/Gegenleistung steht im Synallagma zur Vermittlungspflicht. Bei Folgegeschäften wirkt die ursprüngliche Vermittlungsbemühung nach; bei der Bezirksprovision die geschuldete Bezirksbetreuung. Also erhält der HV auch diese Provisionen für eigene Tätigkeit. Fehlt ein geldwerter Vorteil, zahlt der HV den Einstand, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Dies könnte ein Fall des § 138 BGB sein,2827 so dass auch bei Individualverträgen Unwirksamkeit vorliegen kann. Dabei ist fraglich, inwieweit § 138 BGB die Kontrolle nachteiliger Investitionsentscheidungen des HV ermöglicht. Solange der Ermessensspielraum zur Sittenwidrigkeit nicht überschritten wurde, ist fraglich, ob die Einstandszahlungsabrede nichtig ist. Der HV ist berechtigt, den HV-Vertrag einschließlich der Regelung über den Kaufpreis (bei getrennten Verträgen liegt im Zweifel Einheitlichkeit i. S. d. § 139 BGB vor) gem. § 123 BGB anzufechten, falls die bei Vertragsschluss genannten Umsatzzahlen deutlich – im entschiedenen Fall etwa 10 % – von den tatsächlichen Umsatzzahlen abweichen.2828 Schwierig zu beurteilen ist die Frage der Beweislastverteilung für den geldwerten Vorteil. Nach allgemeinen Grundsätzen liegt die Beweislast beim Anspruchsteller. Fordert der Unternehmer den Kaufpreis, so ergibt sich sein Anspruch aus dem geschlossenen Vertrag. Für den gegen den vertraglichen Anspruch gerichteten Einwand nach §§ 89b Abs. 4 HGB, 307, 242, 138 BGB ist der HV darlegungs- und beweispflichtig. Jedoch kommen ihm Beweiserleichterungen zugute. Hat er einen Sachverhalt bewiesen, aus dem gewichtige Umgehungsindizien abzuleiten sind, ist es Angelegenheit des Unternehmers, nachzuweisen, aus welchen Gründen trotz der 2820 BGH, Urt. v. 24.2.1983 – I ZR 14/81, MDR 1983, 727 (728); OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m („reele Gegenleistung“); OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384); OLG Düsseldorf OLGR 2003, 183; OLG München BB 1997, 222; Emde VersR 2004, 1499 (1515/1516); Emde EWiR 2005, 471 (472); Kiene NJW 2006, 2007 (2009); Kiene VersR 2006, 1024 (1027); Steinhauer BB 2009, 2386 (2389) für den TankstellenHV. 2821 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384); OLG Düsseldorf OLGR 2003, 183; OLG München BB 1997, 222. 2822 Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (354). 2823 Thume BB 2009, 1026 (1030). 2824 BGH, Urt. v. 24.2.1983 – I ZR 14/81, NJW 1983, 1727 = MDR 1983, 727; ebenso Thume BB 2009, 1026 (1028). 2825 OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m. 2826 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384); OLG Celle OLGR 2001, 196; 2827 Drossart IHR 2016, 7 (10); Kiene VersR 2006, 1024 (1027); Budde DB 2005, 2177 (2181). 2828 OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.12.1998 – 1 U 50/98, HVR Nr. 976. Emde

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für eine Umgehung sprechenden Indizien eine Verletzung des Unabdingbarkeitsgrundsatzes ausscheidet.2829 Ohnehin wird meist nur der Unternehmer zum Geldwert des von ihm Geleisteten vortragen können. Insbesondere in von der Typik her keinen Geldwert nahe legenden Fällen muss der Unternehmer nachweisen, dass ein solcher existiert. Dafür spricht auch eine Verteilung der Beweislast nach Gefahrensphären. Üblicherweise ist der eintretende HV dem Unternehmer wirtschaftlich unterlegen und auf die Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen. Er unterscheidet sich damit von einem typischen Unternehmenskäufer durch seine Schutzbedürftigkeit. Der Unternehmer als „Verkäufer“ kann als Sachnächster am ehesten zur Werthaltigkeit vortragen. Dass er dem Vorgänger-HV einen Ausgleich gezahlt hat, beweist nicht den Geldwert des Kundenstammes für den Nachfolgevertreter. Denn je nach Vertragsgestaltung mag der vom Vorgänger aufgebaute Kundenstamm zwar für den Unternehmer einen Gegenwert besitzen, weil er ihn ausnutzen kann, nicht jedoch für den HV. Der Unternehmer tut also gut daran, den Wert des Vergebenen zu dokumentieren. Es genügt kaum, dass die Angemessenheit des Kaufpreises von beiden Parteien im HV-Vertrag versichert wird. Diese Versicherung kann infolge eines durch den Unternehmer ausgeübten wirtschaftlichen Drucks unrichtig sein, zudem gem. § 307 BGB (falls sie in nicht nur unwahrscheinlichen Einzelfällen unzutreffend wäre). So wird die überlassene Vertretung einen materiellen Wert typischerweise nur repräsentieren, wenn ein Bezirk mit zahlreichen Altkunden übergeben wird, übergebene Altkunden ausgleichsrechtlich als Neukunden vereinbart werden2830 oder der HV Bezirksvertreter wird (Anscheinsbeweis). Vor allem wenn die gewährte Provision über der Marktprovision liegt, kann ein Kaufpreis berechtigt sein. Wirtschaftlich besehen wurde dem Unternehmer dann vom HV mit dem Kaufpreis ein Darlehen gewährt. Es spricht ein Anscheinsbeweis dafür, die Vertretung repräsentiere nur in den o. g., einen Gegenwert nahe legenden Fällen einen reellen, im Synallagma zum Kaufpreis stehenden Wert.2831 Vertretbar ist es ferner, die Beweislast zum Nachteil des Unternehmers umzukehren, wenn er eine Verrechnung des Kaufpreises mit dem fällig werdenden Ausgleichsanspruch vorsieht bzw. die Einstandszahlung nur bei Fälligkeit des Ausgleiches2832 und mglw. gerade in Höhe der zu erwartenden Ausgleichszahlung2833 fordert. Denn derartige Gestaltungen sprechen im besonderen Maße für eine Umgehung des Ausgleichs2834 und berühren den Schutzbereich des § 89b Abs. 4. Es entstehen oft Liquiditätsprobleme, weil das Finanzamt angesichts der Abschreibung des Eintrittsgeldes (meist über eine 5–15jährige Abschreibungsdauer) Steuern auf den vollen Ausgleich fordert. Die Höhe des zulässigen Einstandspreises lässt sich nicht generell feststellen. Über Wirk- 459 samkeit und Unwirksamkeit entscheidet die Relation zwischen Einstandszahlung und Gegenwert. Nur so ist es zu erklären, warum das OLG Celle2835 die Einstandszahlung in Höhe einer Jahresdurchschnittsprovision für unangemessen hielt, das OLG Düsseldorf2836 diesen Einstandspreis jedoch unbeanstandet ließ. Thume2837 meint, es bedürfe keines unangemessen hohen Übernahmepreises, damit der Ausgleich umgangen werde. Die Unwirksamkeit trete bereits ein, 2829 OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m. 2830 OLG München, Urt. v. 20.10.2004, NJW-RR 2005, 1062 = EWiR 2005, 471 (Emde); offen gelassen von OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m.

2831 Emde EWiR 2005, 471 (472). 2832 KG Berlin, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06 (Tankstelle – Wirksamkeit deshalb nach § 89b Abs. 4 verneint); OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m.

2833 OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m. 2834 OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m zur Stundung bis zur Fälligkeit des Ausgleichs; im Ergebnis auch KG Berlin, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06 (Tankstelle); aA OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384), das keine Bedenken gegen die Stundung der Ausgleichszahlung bis zum Vertragsende hatte. 2835 Urt. v. 13.12.2001 – 11 U 90/01, OLGR 2002, 86 = HVR Nr. 1038, Nichtzulassungsbeschwerde durch BGH VIII ZR 26/02 zurückgewiesen; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 20. 2836 Urt. v. 16.3.2001 – 16 U 186/99, HVR Nr. 946. 2837 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 22. 467

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falls der neue HV mit einer durchschnittlichen Jahresprovision belastet werde, wohl weil auch hier infolge der Anlehnung an den Ausgleich eine Umgehung seiner zwingenden Natur nahe liegt. Tatsächlich dürfte die Vereinbarung eines Kaufpreises in dieser Höhe ein Indiz geben, nicht mehr. Denn der Kaufpreis kann auch bei dieser Bemessung zutreffend ermittelt worden sein. 460 Die den Kaufpreis rechtfertigende Gegenleistung des Unternehmers muss nicht in der Überlassung eines Kundenstamms liegen. Vielmehr wird ein geldwerter Vorteil – je nach Sachverhaltsgestaltung – auch in folgenden Fällen angenommen: 461 Bei – Übernahme einer Alleinvertretung, deren Gegenstand die Vermittlung von bereits gut eingeführten Produkten mit einer erheblichen „Sogwirkung der Marke“ bildet;2838 – langfristiger und fester Vertragsdauer;2839 – einem Kündigungsverzicht des Unternehmers für einen längeren Zeitraum;2840 – unüblich hohen Provisionssätzen2841. Die Diskussion weist Parallelen zu der bei der Vorausabgeltung des Ausgleichs2842 auf, die nur anerkannt wird, sofern der HV eine Vorausleistung erhält, die oberhalb der üblichen Gegenleistung – der Provision – liegt; – Vereinbarung der Altkunden als ausgleichsrechtliche Neukunden.2843 Orientiert sich der Kaufpreis an dem an den Vorgänger zu leistenden Ausgleich und erhält der Nachfolger die ausgleichsrechtliche Stellung des Vorgängers, spricht viel für einen wirtschaftlichen Wert; – Zufluss eines angemessenen Gegenwerts infolge der Vertretungsübernahme;2844 – Kauf einer gut eingeführten Bezirksvertretung. Ein HV, der einen eingeführten und regelmäßig bearbeiteten Vertreterbezirk übernimmt, soll dadurch einen greifbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangen.2845 462 Ein geldwerter Vorteil wird in folgenden Fällen verneint: – Bei fehlendem Kundenstamm;2846 – wenn der HV ein Jahr lang umsonst arbeiten müsste;2847

2838 OLG Stuttgart, Urt. v. 27.8.1998 – 11 U 153/97, HVR Nr. 99; OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m; Döpfer HVR 3/2003, 17; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 20: aA Westphal I Rn 1186; LG Paderborn, Urt. v. 19.2.1987 – 5 S 284/86, HVR Nr. 623. 2839 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384); OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.1.2003 – 16 U 66/02; OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m; Drossart IHR 2016, 7 (10); Westphal MDR 2005, 421 (423) bei Kontrolle nach § 307 BGB; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 281; Küstner/ Thume/Thume II9 Kap. III Rn 20. 2840 OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 20. 2841 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384); Drossart IHR 2016, 7 (10); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 37; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 281; Westphal MDR 2005, 421 (423) bei Kontrolle nach § 307 BGB. 2842 Westphal MDR 2005, 421 (424). 2843 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384) = BeckRS 2013, 17060; OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, HVR Nr. 1124 = BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 630 = EWiR 2005, 471 (Emde) = NJW-RR 2005, 1062 = DB 2005, 2189 m. Anm. Budde; LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2007 – 413 O 5/08 (Tankstellen-HV „Shell“); Drossart IHR 2016, 7 (10); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 20, Semler BB 2005, 965; aA Westphal MDR 2005, 421 (423/424), da ein Ausgleich wegen Abspringens der Altkunden auch dann nicht sicher sei; offen gelassen von OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m. 2844 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384) = BeckRS 2013, 17060; OLG Schleswig, Urt. v. 18.2.2000 – 14 U 18/99, HVR Nr. 998. 2845 BFH, Beschl. v. 25.10.2012 – X B 99/12, BeckRS 2012, 96593; Urt. v. 12.7.2007 – X R 5/05, BFHE 218, 343 = BStBl. II 2007, 959; v. 18.1.1989 – X R 10/86, BFHE 156, 110. 2846 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 20. 2847 OLG Celle v. 14.12.2000 – 11 U 61/00, HVR Nr. 940; v. 13.12.2001 – 11 U 90/01, HVR Nr. 1038; Küstner/Thume/ Thume II9 Kap. III Rn 20. Emde

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bei einem unangemessen hohen Übernahmepreis, so dass dieser auf eine Umgehung des Ausgleichsanspruchs hinausliefe.2848 Wann von einem so unangemessen hohen Übernahmepreis auszugehen ist, dass dies auf eine Umgehung des unabdingbaren gesetzlichen Ausgleichsanspruchs hinausliefe, wird in der Rspr. uneinheitlich beurteilt. Eine allgemeingültige starre Grenze existiert nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie hoch der Gegenwert der Einstandszahlung ist, ob also der HV einen reellen Gegenwert für die von ihm zu leistende Zahlung erhält.2849 In diesem Zusammenhang ist es anerkannt, dass eine Zahlungsverpflichtung des HV im Zusammenhang mit der Vertragsübernahme dann zulässig ist, wenn ihr gewichtige Vorteile gegenüberstehen, wie etwa eine besonders lange Vertragsdauer, eine besonders hohe Provision oder die Bestimmung, dass der Altkundenstamm ausgleichsrechtlich als vom HV selbst geworben gilt;2850 – falls die Parteien nicht vereinbaren, dass die übernommenen Altkunden für den zahlenden HV ausgleichsrechtlich als Neukunden gelten.2851 Gegen die Nichtigkeit spricht jedoch, dass übernommene Kunden nach einer deutlichen Meinungsgruppe mangels ausdrücklicher Abrede ohnehin nicht ausgleichspflichtig wären,2852 die beanstandete Klausel also dispositives Recht spiegelt.2853 Nach der Logik dieser Ansicht müsste jede Einstandsabrede ohne Vereinbarung der Neukundeneigenschaft des übernommenen Kundenstamms nichtig sein, was der Rechtsprechung des BGH2854 widersprechen dürfte, die keine derartige Einschränkung kennt; – bei einer Provisionszahlung im 1. Jahr nach dem Übergang der Vertretung von 16.523,67 EUR netto, sofern die Jahresprovision des Vorgängers lediglich 9.301,07 EUR netto entsprach und damit unterhalb des Einstandspreises lag.2855 Entscheidend sind letztlich die Verhältnisse des Einzelfalles. Es lässt sich nicht sagen, dass 463 generell bei einer bestimmten Gestaltung der Abrede immer der geldwerte Vorteil fehlt oder besteht. Ein solcher Vorteil kann z. B. eine Neukundenregelung bilden,2856 muss es aber nicht. Hat die Stundung der Einstandszahlung kündigungshemmende Wirkung, kann hierin 464 eine unbillige Beschränkung des nach § 89a Abs. 1 S. 2 unabdingbaren Rechts auf außerordentliche Kündigung liegen,2857 z. B. wenn infolge einer solchen Kündigung der gestundete Kaufpreis sofort fällig gestellt wird (vgl. Kommentierung zu § 89). Folge ist die Unwirksamkeit der Vereinbarung über die Einstandszahlung. Besteht für die sofortige Fälligstellung kein anerkennungswertes Interesse der Parteien, liegt eine Kündigungsbeschränkung vor, und zwar jedenfalls dann, wenn die Rückzahlung auch für den Fall eine Kündigung aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Unternehmers vorgesehen ist. Jeder HV wird es sich zweimal überlegen, ehe er kündigt, sollte wirtschaftlich besehen an die Kündigung die Verpflichtung zur Tilgung der Einstandszahlung oder ein Wegfall des Ausgleichs geknüpft sein. Entsprechend hat

2848 BGH, Urt. v. 24.2.1983 – I ZR 14/81, MDR 1983, 727; OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384) = BeckRS 2013, 17060. 2849 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384) = BeckRS 2013, 17060; OLG Düsseldorf OLGR 2003, OLGR 2003, 183; OLG München BB 1997, 222. 2850 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384) = BeckRS 2013, 17060; OLG Düsseldorf OLGR 2003, OLGR 2003, 183; OLG München OLGR 1997, 76. 2851 OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 965 = EWiR 2005, 471 (Emde) = NJW-RR 2005, 1062 = DB 2005, 2189 m. Anm. Budde DB 2005, 2177; aA Westphal MDR 2005, 421 (422). 2852 BGH NJW 1985, 58 – sofern die Einstandszahlung die Gegenleistung für die Nutzung des vom Vorgänger geschaffenen Kundenstammes bildet; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 262, 282. 2853 Emde EWiR 2005, 472. 2854 BGH, Urt. v. 24.2.1983 – I ZR 14/81, MDR 1983, 727 (728). 2855 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384). 2856 Semler BB 2005, 965. 2857 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. III Rn 19; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 21; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 84. 469

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das OLG Düsseldorf2858 – obwohl es grds. die Zulässigkeit einer Einstandszahlung befürwortete – in ihr eine gegen § 89a Abs. 1 S. 2 verstoßende Kündigungserschwerung gesehen. Das Verbot treffe nicht nur vertragliche Regelungen, nach denen lediglich bestimmte, von den Parteien festgelegte Sachverhalte als wichtiger Kündigungsgrund gelten sollen. Die Vereinbarung einer Einstandszahlung sei geeignet, das Recht des HV zur Kündigung aus wichtigem Grund zu beschränken, falls sie vorsehe, dass dem Unternehmer für den Fall einer vom HV ausgesprochenen vorzeitigen Kündigung der noch nicht durch Provisionseinbehalte getilgte Teil der Einstandssumme zustehen solle. Damit sehe sich der HV nach einer vorzeitigen Kündigung der Fälligkeit der gesamten noch offenen Kaufpreisforderung gegenüber, ohne die Möglichkeit zu gewinnen, diese Kosten aus vermittelten Geschäften mit den von seinem Vorgänger übernommenen oder den von ihm selbst neu geworbenen Kunden zu bestreiten. Es bestehe die Gefahr, dass der HV die Kündigung allein im Hinblick auf die Zahlungspflicht unterlasse. 465 Rspr. und Literatur zu dem Thema „Einstandszahlungen“ sind wechselhaft. Wie dargelegt stellte der BGH am 24.2.19832859 die grundsätzliche Gültigkeit der Einstandszahlungsabrede fest. Etwas anderes könne gelten, falls der HV einen so unangemessenen hohen Übernahmepreis zu leisten habe, dass dies auf eine Umgehung des unabdingbaren Ausgleichsanspruchs hinausliefe. Wann diese Grenze überschritten ist, bestimmte der BGH nicht. Ein geldwerter Vorteil des HV, der einen Einstandspreis rechtfertige, soll nach Ansicht des OLG München2860 die Vereinbarung bilden, die übernommenen Altkunden würden mit der Zahlung des Einstands als vom HV geworbene Neukunden („Neukundenklausel“) gelten. Eine solche Klausel kann erforderlich sein, da der BGH in seiner Entscheidung v. 10.5.1984 feststellte, trotz einer vom HV geleisteten Zahlung für übernommene Altkunden dürften jene bei der Ausgleichsberechnung nur berücksichtigt werden, sofern die übernommenen Altkunden als ausgleichsrechtliche Neukunden vereinbart wurden. Ohne die Zurechnung der übernommenen Kunden als Altkunden kann die Abrede über die Zahlung des Einstandes unwirksam sein2861: In einem vom OLG München2862 entschiedenen Fall forderte der Unternehmer vom HV 17.000 DM noch offene Einstandszahlung. Im HVVertrag hatte sich der HV verpflichtet, für die Handelsvertretung einen Kaufpreis von DM 100.000 zu leisten, welcher ratierlich durch Einbehalt von 1/4 der Provision ausgeglichen werden sollte. Vorgesehen war dieser Einstand zur hälftigen Tilgung des dem Vorgänger-HV von dem HV geleisteten Ausgleichsanspruchs in Höhe von 200.000 DM. Die Parteien vereinbarten, der vom Vorgänger aufgebaute Kundenstamm solle nicht als vom beklagten Nachfolger geworben i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 1 gelten. Das OLG hielt die Einstandszahlungsabrede für unwirksam. Der Ausgleich sei gem. § 89b Abs. 4 zwingend. Das Verbot ausgleichsschädlicher Vereinbarungen i. S. d. §§ 307 BGB, 89b Abs. 4 erfasse nicht nur die quantitative Beschränkung des Ausgleichs, sondern auch alle sonstigen, von der gesetzlichen Regelung zum Nachteil des HV abweichenden Übereinkünfte. Zwar stelle eine Einstandszahlung als solche noch keinen Verstoß gegen § 89b Abs. 4 dar. Zur Unwirksamkeit führe aber die Regelung, der vom Vorgänger aufgebaute Kundenstamm solle bei der Berechnung des Ausgleichs nicht als vom Nachfolge-HV geworben gelten. Da nur neu geworbene Kunden zum Ende des HV-Vertrages ausgleichspflichtig blieben, zahle der HV den Ausgleich des Vorgängers, ohne eine über den ihm bereits kraft Gesetzes (§ 89b Abs. 1 Nr. 1: Ausgleich nur für „neue Kunden“) zustehenden Ausgleich für neu geworbene Kunden reichende Gegenleistung zu erhalten. Der Vertrag bleibe jedoch im Übrigen nach

2858 Urt. v. 7.7.2000 – 16 U 186/99, HVR Nr. 946. 2859 I ZR 14/81, HVR Nr. 574. 2860 Urt. v. 4.12.1996 – 7 U 3915/96, NJW 1983, 1727 = MDR 1983, 727 = HVR Nr. 829. Für den spiegelbildlichen Fall fehlender Vereinbarung nahm das OLG München v. 20.10.2004, BB 2005, 630 Unwirksamkeit an.

2861 OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 965 = EWiR 2005, 471 (Emde) = NJW-RR 2005, 1062 = DB 2005, 2189 m. Anm. Budde DB 2005, 2177. 2862 OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 965 = EWiR 2005, 471 (Emde) = NJW-RR 2005, 1062 = DB 2005, 2189 m. Anm. Budde DB 2005, 2177. Emde

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§ 306 Abs. 1 BGB wirksam. Budde2863 widerspricht dem OLG München. Die Unwirksamkeit dürfe nicht aus dem Fehlen der Neukundenklausel hergeleitet werden. Insoweit werde lediglich die Gesetzeslage wiedergegeben.2864 Das OLG – so Budde – gehe offensichtlich bei einem Vertretungskauf von der stillschweigenden Vereinbarung einer solchen Neukundenregelung aus.2865 Damit werde die Einstandszahlung wirtschaftlich uninteressant.2866 Denn der Unternehmer zahle zweimal einen Ausgleich, einmal an den ausgeschiedenen HV, der den Kundenstamm akquiriere, und ein zweites Mal an den Neu-HV bei Beendigung des Vertrages.2867 Die Fälle seien über § 138 BGB, bei Falschangaben des Unternehmers über § 311 Abs. 2 BGB oder § 123 BGB zu lösen.2868 Auch könne über eine ergänzende Vertragsauslegung oder den WGG korrigierend eingegriffen werden. Eine Nichtigkeit gemäß § 89b dürfe nur angenommen werden, sofern die Einstandszahlung in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Provisionseinnahmen aus dem übernommenen Kundenstamm stehe und bis zum Ende des Vertrages gestundet sei.2869 Das OLG Hamm2870 entschied, das gesetzliche Leitbild der Risikoverteilung im HV-Recht werde unangemessen i. S. d. § 307 BGB zu Lasten des HV verschoben, wenn sich der HV mit einem wesentlichen Beitrag an den „Vorhaltekosten“ des Unternehmers beteiligen müsse. Zumindest müsse gefordert werden, dass die Zahlungspflicht des HV durch „hinreichend gewichtige Vorteile austariert“ werde oder sonst anerkennenswerte Interessen des Verwenders für die Beibehaltung der beanstandeten Klausel stritten.2871 Allerdings hat das OLG Stuttgart2872 den vom HV erhobenen Anspruch auf Rückzahlung des auf ihn abgewälzten Ausgleichsanspruchs für den Vorgänger aus ungerechtfertigter Bereicherung des vertretenen Unternehmens mit der Begründung abgelehnt, bei der Einräumung eines Alleinvertretungsrecht des HV ständen Leistung und Gegenleistung nicht in einem auffälligen Missverhältnis. Durch die Einräumung einer Alleinvertretungsberechtigung des HV im Vertretungsbezirk erhalte dieser die Möglichkeit, den Altkundenstamm des Unternehmers zu nutzen. Das LG Stuttgart judizierte mit Urt. v. 9.2.1998,2873 die formularmäßige Verpflichtung eines HV zur Zahlung eines Preises für die Übernahme einer Alleinvertretung sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 BGB unwirksam, falls ihr keine angemessene Gegenleistung gegenüberstehe. Mit Urt. v. 14.12.20002874 hat das OLG Celle bei einem Einstandsgeld in Höhe einer Jahresprovision angenommen, diese erscheine als Gegenleistung allein für die Chancen aus der Übernahme der Vertretung unangemessen, wenn man sich vor Augen halte, dass der HV bei gehaltenen Umsätzen ein Jahr lang umsonst für den Unternehmer arbeiten müsse. Das OLG Schleswig2875 sah in einem unangemessen hohen Übernahmepreis eine Umgehung des § 89b Abs. 4. In dem vom OLG entschiedenen Fall war die Werthaltigkeit der Vertretung zweifelhaft, da das Verkaufsgebiet längere Zeit brach lag, also kein Kundenstamm übergeben wurde, und die tatsächlichen Provisionseinkünfte im ersten Vertragsjahr nur 15 % der Einstandszahlung erreichten. Auch das OLG Celle2876 entschied, die Ver2863 Budde DB 2005, 2177. 2864 Budde DB 2005, 2177 (2180); zweifelhaft, da das Gesetz keine Regelung über die Leistungen der Parteien im Falle eines „Vertretungskaufs“ enthalten.

2865 So OLG München v. 8.8.2001, HVR Nr. 991. 2866 Budde DB 2005, 2177 (2180). 2867 Wirtschaftlich dürfte diese Diagnose unzutreffend sein: Denn der Einstandspreis ist von der „doppelten Ausgleichszahlung“ abzuziehen. Es kommt also auf die Höhe des Einstandspreises an, ob ein wirtschaftliches Interesse besteht. 2868 Budde DB 2005, 2177 (2181). 2869 Budde DB 2005, 2177 (2181). 2870 OLG Hamm, Urt. v. 10.12.1987, 18 U 10/87. 2871 OLG Frankfurt/M. DB 1987, 2518 = HVR Nr. 622. 2872 Urt. v. 27.8.1998 – 11 U 153/97, HVR Nr. 999. 2873 5 KfH O 139/97, n. v., zitiert nach Döpfer HVR 3/2003, 17. 2874 11 U 61/00, HVR Nr. 940. 2875 Urt. v. 18.2.2000 – 14 U 18/99, HVR Nr. 998. 2876 Urt. v. 13.12.2001 – 11 U 90/01, HVR Nr. 1038. 471

Emde

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1. Buch. Handelsstand

einbarung einer auf die Umgehung des gesetzlichen Ausgleichsanspruchs hinauslaufenden hohen Einstandssumme verstoße gegen § 89b Abs. 4 S. 1. Dieser Beurteilung stand nicht entgegen, dass der HV wählen konnte, die Einstandssumme durch den fortlaufenden Einbehalt von 20 % seiner Provision abzutragen, statt sich jene bis zur Beendigung des HV-Vertrages stunden zu lassen. Das Wahlrecht zur Art der Erfüllung sei faktisch eingeschränkt: Jeder wirtschaftlich denkende HV, welcher einen Bezirk neu übernehme, werde sich für die Stundung bis zum Vertragsende entscheiden. Auch der fortlaufende Einbehalt von 20 % der Provision habe zur Folge, dass der HV etwa ein Jahr umsonst für den Unternehmer arbeiten müsse und ein durchsetzbarer Ausgleichsanspruch lediglich dazu dienen würde, diese Provisionsverluste zu kompensieren. Das OLG Frankfurt/M.2877 hielt die in AGB enthaltene Klausel des HV-Vertrages, nach der der HV für den Erhalt von Alleinvertriebsrechten innerhalb eines Vertragsgebietes DM 70.000 zu zahlen hatte, gem. § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam: Es fehle an einer angemessenen Gegenleistung des Unternehmers. Einstandszahlungen, wie sie etwa beim Franchising üblich seien, zählten nicht zum gesetzlichen Leitbild des HV. Nach dem OLG Düsseldorf2878 bildet die Verpflichtung zur Einstandszahlung keinen Verstoß gegen § 307 BGB. Der HV erhalte für die Einstandszahlungen eine nicht unerhebliche Gegenleistung in Form einer hohen Provision und einer langen Vertragsdauer. Das OLG Saarbrücken judizierte, eine Provisionszahlung im 1. Jahr nach dem Übergang der Vertretung von 16.523,67 EUR netto gebe keinen die Einstandszahlung rechtfertigenden Vorteil.2879 Dies gelte jedenfalls, sofern die Jahresprovision des Vorgängers lediglich 9.301,07 EUR netto entsprach und damit unterhalb des Einstandspreises lag.2880

2. Einstandszahlungsabreden und §§ 305 ff. BGB (Frage 2) 466 Zu einzelnen Entscheidungen siehe vorstehend. Umstritten ist, ob sich Einstandszahlungsabreden auch anhand der §§ 305 ff. BGB kontrollieren lassen. Der BGH hat dies verneint,2881 das OLG München2882 und das KG2883 bejaht, das Ergebnis jedoch auch mit § 89b Abs. 4 begründet, so dass die Entscheidung bei Vorliegen einer Individualvereinbarung nicht anders ausgefallen wäre. Auch das OLG Frankfurt/M.2884 und das OLG Düsseldorf2885 nahmen eine Prüfung nach § 307 BGB vor.2886 Die Vereinbarung einer Einstandszahlung soll keine überraschende Klausel (§ 305 Abs. 1 BGB) darstellen.2887 Eine Inhaltskontrolle scheitert nach Ansicht des BGH2888 an § 307 Abs. 3 BGB, da die Einstandszahlungsvereinbarung unmittelbar den Preis regelt, welchen der HV für die Vertretungsrechte zu zahlen habe.2889 Es handele sich mithin um eine kontrollfreie Hauptleistung. Westphal2890 bezweifelt dieses Ergebnis. Die §§ 84 ff. sähen keine Verpflichtung des HV vor, sich mit einer Vorleistung in den Vertrag einzukaufen.2891 Westphal und 2877 Urt. v. 26.11.1986, NJW-RR 1987, 548. 2878 Urt. v. 24.1.2003 – 16 U 66/02. 2879 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384); OLG Düsseldorf OLGR 2003, 183; OLG München BB 1997, 222.

2880 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, ZVertriebsR 2013, 383 (384). 2881 BGH, Urt. v. 19.12.1992 – VIII ZR 23/92, BB 1993, 250 = NJW-RR 1993, 375 = WM 1993, 753 = MDR 1993, 1060. 2882 OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 965 und Emde EWiR 2005, 471 (472); zustimmend Thume BB 2009, 1026 (1028). KG Berlin, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06 (Tankstelle – Wirksamkeit der Klausel verneint). Urt. v. 26.11.1986 – 21 U 5/86, NJW-RR 1987, 548. Urt. v. 24.1.2003 – 16 U 66/02. Ebenso Ebenroth/Löwisch3 § 84 Rn 74. LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08 (Shell). BGH, Urt. v. 19.12.1992 – VIII ZR 23/92, BB 1993, 250 = NJW-RR 1993, 375 = WM 1993, 753 = MDR 1993, 1060. Zustimmend für den Tankstellen-HV Steinhauer BB 2009, 2386 (2389). MDR 2005, 421 (423). So OLG Frankfurt/M., Urt. v. 14.5.1987 – 16 U 79/86, DB 1987, 2518.

2883 2884 2885 2886 2887 2888 2889 2890 2891 Emde

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die vorgenannten OLG befürworten damit die Einordnung der Einstandszahlung als kontrollfähige Preisnebenabrede. Da in dem Verstoß gegen die zwingende Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4) zugleich eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild liegt, wäre der Einstandszahlungsabrede gem. § 307 Abs. 1 BGB die Wirksamkeit zu versagen, falls sie den HV unangemessen benachteiligt. In der Sache wird sich das Prüfungsergebnis nach § 307 BGB dem bei einer Individualvereinbarung nähern, weil eine unangemessene Benachteiligung bei Fehlen einer reellen Gegenleistung anzunehmen sein dürfte. Eine unangemessene Benachteiligung wird wohl bei bloßer Einräumung eines Alleinvertriebsrechts vorliegen, da dem HV in diesem Fall nur eine nicht hinreichend konkrete Chance eingeräumt werde, Provisionen durch die alleinige Tätigkeit im Bezirk zu verdienen.2892 Das Alleinvertriebsrecht sage noch nichts darüber aus, ob bereits ein Kundenstamm vorhanden sei, mit welchem der HV unmittelbar bei Beginn seiner Tätigkeit Provisionen erzielen könne. Westphal vertritt deshalb, bei Fehlen eines Altkundenstammes werde die formularmäßige Einstandszahlungsklausel nicht zu retten sein.2893 Nach Übernahme eines Altkundenstammes stelle sich die Frage, ob die Provisionen in einem angemessenen Verhältnis zur Einstandszahlung stünden. Die AGB muss hinreichend transparent sein, was das KG2894 bei selbst für Juristen gegebener schwerer Nachvollziehbarkeit infolge mehrfacher Ausnahmeregelungen verneinte.

3. Amortisation der Einstandszahlung (Frage 3) Gem. §§ 242 BGB, 307 BGB unwirksam ist eine Vereinbarung, die keine Regelung für eine Rück- 467 zahlung des Einstandes im Fall einer kurz nach Vertragsschluss eintretenden Vertragsbeendigung trifft, etwa für den Fall der schuldhaften Herbeiführung eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung durch den Unternehmer. Diejenigen, die Wirksamkeit annehmen, jedoch eine Verpflichtung zur Teilrückzahlung im Wege ergänzender Vertragsauslegung postulieren,2895 tragen Unsicherheit in das Vertragsverhältnis und schützen den HV nicht hinreichend. Der Unternehmer wird schadenersatzpflichtig, so dass er gem. § 280 BGB die noch nicht amortisierte Einstandszahlung des HV ausgleichen müsste. In all diesen Konstellationen kommt es zu einer Störung des Äquivalenzverhältnisses. Durch die kürzere Dauer des Vertrages wird dem Nachfolge-HV die Möglichkeit genommen, den entgeltlich übernommenen Kundenstamm wirtschaftlich sinnvoll zu verwerten. Wird der HV-Vertrag kurze Zeit nach Vertragsschluss aufgelöst und war es dem HV nicht 468 möglich, die geleistete Einstandszahlung zu amortisieren, muss der Unternehmer damit rechnen, dass Gerichte den HV von einer Restzahlung des Einstands freistellen werden bzw. dass der Mittler die Rückzahlung seiner bereits geleisteten Einstandszahlung aus § 812 BGB oder aus einer mittels ergänzender Vertragsauslegung2896 gefundenen Rückzahlungsklausel verlangen kann.2897 Sieht ein HV-Vertrag eine Einstandszahlung vor, die über eine gewisse Zeit nach und nach mit der Provision verrechnet werden soll, ohne dass geregelt ist, was bei nur kurzer Dauer des Vertrages gelten soll, so enthält der Vertrag eine Lücke, welche durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist.2898 Eine ausreichende Mindestlaufzeit wird als wesentliche

2892 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 26.11.1986 – 21 U 5/86, NJW-RR 1987, 548; Rothermel/Dahmen IHR 2017, 45 (53); Westphal MDR 2005, 421 (423). Westphal MDR 2005, 421 (423). KG Berlin, Urt. v. 26.3.2007 – 23 U 7/06 (Tankstelle). BGH, Urt. v. 10.6.1968 – VII ZR 48/66, JR 1969, 419; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 10. Thume BB 2009, 1026 (1030); Kiene VersR 2006, 1024 (1031). BGH, Urt. v. 10.5.1984 – I ZR 36/82, NJW 1985, 58; Thume BB 2009, 1026 (1030). BGH MDR 1968, 917 (918); OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1046 = EWiR 2007, 525 (Döpfer); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 262.

2893 2894 2895 2896 2897 2898

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Emde

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Geschäftsgrundlage und Mindestinhalt einer Abwälzungsvereinbarung angesehen.2899 In einem solchen Fall ist darauf abzustellen, welche Vorstellungen die Parteien mit der Einstandszahlung darüber verbanden, wie der HV die ihm eingeräumten Möglichkeiten wirtschaftlich nutzen könne, ob sich diese Erwartung während der Laufzeit des Vertrages verwirklichen ließ2900 sowie gem. § 242 BGB, welcher Vertragspartner aus welchen Gründen den Vertrag gekündigt hat oder aus welchen anderen Gründen er früher als beabsichtigt geendet hat.2901 Bereits der BGH hatte mit Urt. v. 10.5.19842902 auf eine teilweise Erstattung der geleisteten Zahlung erkannt. Auch das OLG Stuttgart entschied mit Urt. v. 13.5.1992,2903 der Unternehmer sei im Wege ergänzender Vertragsauslegung zur Erstattung eines Anteils der geschuldeten Einstandszahlung des HV verpflichtet, sofern dem HV die Nutzung des übernommenen Kundenstamms in dem vertraglich vorausgesetzten Ausmaß unmöglich werde. Das OLG München2904 nahm an, eine Einstandszahlungsabrede, die keine Regelung für den Fall treffe, dass der Vertrag vor Amortisation der Abstands durch Kündigung des vertretenen Unternehmers beendet werde, enthalte eine Regelungslücke. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf2905 entfällt die Zahlungspflicht nach den Grundsätzen des § 313 BGB, falls der HV-Vertrag vor vollständiger Amortisation der Einstandszahlung beendet werde. Der BGH2906 gab einer Klage auf Rückzahlung 2 Jahre nach dem Vertretungskauf statt: Die kurze Dauer des Vertrages habe dem Nachfolge-HV die Möglichkeit genommen, den übernommenen Kundenstamm auszunutzen. Der Verweis auf die getroffene Abrede sei mit Treu und Glauben unvereinbar. Das LG Konstanz2907 bestätigte jene Rspr.: Es entspreche Treu und Glauben, den HV so zu stellen, als wenn es nicht zu einem kurzfristigen Vertragsende gekommen wäre. Auch das OLG Hamm2908 gab einer Rückzahlungsklage statt. Es könne nach den Umständen des Falles nicht zweifelhaft sein, dass dem Kläger mit der Übernahme einer Bezirksvertretung die Chance eingeräumt werden solle, den Einstandspreis zu amortisieren. Weniger schützend judizierte das LG Waldshut-Tiengen2909: Ein HV hatte sich bei Vertragsschluss verpflichtet, für die Übernahme des Kundenstammes einen Betrag von DM 69.000 brutto („Kaufpreis“) zu leisten. Die Tilgung sollte durch Kürzung der Provisionen in den folgenden 5 Jahren um 20 % erfolgen. Als Gegenleistung für den Übernahmebetrag wurden die in der Kundenliste aufgeführten Kunden als vom HV neu geworbene Kunden vereinbart, wodurch auch Altkunden in die Ausgleichsberechnung einflossen. Der Unternehmer rechnete gegen den unstrittigen Ausgleichsanspruch des Mittlers mit einem noch offenen Kaufpreisanteil auf. Das LG urteilte: Wird ein HV-Vertrag vorzeitig durch ordentliche Kündigung beendet, so ist der HV zur Zahlung des vertraglich vereinbarten Übernahmebetrages verpflichtet, sofern er als Äquivalent einen HVAusgleich erhält. Die Anrechnungsanrede sei wegen des ausgleichsrechtlichen Erwerbs der Altkunden billig. Sie könne auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder nach den Grundsätzen des WGG beiseite geschoben werden, und zwar selbst im Falle einer Vertragsbeendigung vor Ablauf der vereinbarten 5-Jahresfrist. Die gleichen Maßstäbe gelten, wenn der Mittler den Kundenstamm aus anderen Gründen nicht nutzen kann, etwa weil der Unternehmer sein Produktionsprogramm umstellt2910 oder das vertretene Unternehmen nach erfolgter Zahlung in2899 Schröder DB 1969, 291 (294); Kiene VersR 2006, 1024 (1031). 2900 OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1046 = EWiR 2007, 525 (Döpfer); BGH NJW 1985, 58 (59). BGH, Urt. v. 10.5.1984 – I ZR 36/82, NJW 1985, 58; Thume BB 2009, 1026 (1030). I ZR 36/82, HVR Nr. 587. 4 U 238/91, HVR Nr. 883. Urt. v. 4.12.1996 – 7 U 3915/96, HVR Nr. 829. Urt. v. 7.7.2000 – 16 U 186/99, HVR Nr. 946; in diese Richtung auch Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 262. 2906 Urt. v. 29.6.1959, HVR Nr. 209 = MDR 1959, 823. 2907 Urt. v. 27.2.1976 – 2 HKO 178/75. 2908 Urt. v. 20.12.1996 – 35 O 35/96. 2909 Urt. v. 16.11.2000 – 3 HKO 46/00, NJW-RR 2001, 1546. 2910 BGH, Urt. v. 29.6.1959 – II ZR 99/58, NJW 1959, 1964; Thume BB 2009, 1026 (1030).

2901 2902 2903 2904 2905

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folge schwerer Erkrankung des Inhabers (etwa: Schlaganfall mit nachfolgender Pflegebedürftigkeit) liquidiert wird.2911 Nicht klar ist, wie eine angemessene Mindestlaufzeit zu bemessen ist. Auch dies hängt 469 von dem einzelnen Vertrag und der Höhe des gezahlten Betrages ab. Nach einer Ansicht ist der Zeitraum, in welchem der Einstand sich amortisieren soll, gleichzusetzen mit dem Zeitraum, über den er ratierlich bezahlt werden soll.2912 Die zu erwartende Vertragslaufzeit sollte sich in erster Linie an der Höhe der Einstandszahlung orientieren. Pro Jahr Vertragslaufzeit kann eine Amortisation allenfalls in Höhe von 50 % des Gewinns des HV erfolgen. Beträgt der Gewinn des HV (nicht die Provision!) daher EUR 50.000 und die Einstandszahlung ebenfalls EUR 50.000 so ist eine Amortisation frühestens nach 2 Jahren anzunehmen. Die Höhe einer Rückzahlung ist nach dem Verhältnis zwischen zu erwartender Vertragslaufzeit und tatsächlicher Vertragslaufzeit zu bestimmen.2913 So verfuhr auch das OLG Stuttgart.2914 Sind Unternehmer und VV von einer Vertragslaufzeit von 5 Jahren ausgegangen und endete das Vertragsverhältnis bereits nach 2 1/2 Jahren, so wurde dem VV ein Erstattungsanspruch in Höhe der Hälfte der geleisteten Abwälzungssumme zugesprochen. Diesen Interessenausgleich wird man auch bei Nachfolgevereinbarungen (§ 89b Abs. 3 Nr. 3) anwenden können, wobei jedoch der dort dem Nachfolger ggf. zustehende Ausgleichsanspruch dem Gewinn des HV zuzurechnen ist.2915 In diesen Fällen eine ergänzende Vertragsauslegung regelmäßig auszuschließen,2916 erscheint unangemessen. Es empfiehlt sich deshalb, eine (wirksame) Regelung entweder zur Rückzahlungspflicht2917 470 für den Fall der vorzeitigen Kündigung durch den Unternehmer oder den der außerordentlichen Kündigung durch den HV zu treffen bzw. die ordentliche Kündigung des Unternehmers für bestimmte Zeit auszuschließen. Für den Fall der berechtigten außerordentlichen Kündigung durch den HV müsste eine Teilrückzahlungsabsprache getroffen werden. Die Regelung unterfällt als Rückerstattungsbestimmung nicht der Kontrollfreiheit von Klauseln zur Hauptleistung.2918 Auch kann im Vertrag festgehalten werden, über welchen Zeitraum der Nachfolge-HV nach Ansicht der Parteien den ihm entgeltlich überlassenen Kundenstamm bis zur Amortisation nutzen und was geschehen sollte, falls sich die Erwartungen zur Vertragsdauer nicht erfüllen. Jene Abrede ist nur wirksam, sofern sie die tatsächlichen Verhältnisse zutreffend wiederspiegelt und eine angemessene Regelung trifft. Trotz einer Rückzahlungsklausel trägt der HV allerdings das wirtschaftliche Risiko der Unternehmerinsolvenz.

4. Übergang der Ausgleichsanwartschaften (Frage 4) Ob der gekaufte Kundenstamm infolge des Kaufvertrages automatisch ausgleichsrechtlich zum 471 Neukundenstamm wird, wird kontrovers diskutiert. Einige Autoren verlangen für die Zurechnung der Altkunden als Neukunden i. S. d. § 89b Abs. 1 S. 1 keine besondere Vereinbarung. Diese Einstufung ergäbe sich infolge der Nachfolgevereinbarung von selbst.2919 Andere hingegen fordern eine ausdrückliche Abrede in der Nachfolgevereinbarung und verneinen einen „Kauf“ der

2911 OLG Hamm, Urt. v. 20.12.1996 – 35 U 35/96, OLGR 1997, 217; Thume BB 2009, 1026 (1030). 2912 OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1046 = EWiR 2007, 525 (Döpfer); BGH NJW 1985, 58 (59). Kiene VersR 2006, 1024 (1031). Urt. v. 13.5.1992 – 4 U 238/91, VertR-LF 2. Vgl. Kiene VersR 2006, 1024 (1032). Vgl. Kiene VersR 2006, 1024 (1032). Döpfer HVR 3/2003, 20. Canaris § 18 Rn 35. Mittelbar OLG München, Urt. v. 20.10.2004, BB 2005, 630 = NJW-RR 2005, 1062 = EWiR 2005, 471 (Emde), siehe die Diagnose von Budde DB 2005, 2177 ff.; Ankele Handelsvertreterecht, Loseblatt-Kommentar, 13. Lieferung Sep. 2000, § 89b Rn 216; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts1 S. 257.

2913 2914 2915 2916 2917 2918 2919

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Altkunden und ihre durch den Kauf bedingte Einordnung als Neukunden2920: Die Übernahme der Ausgleichslast durch den Nachfolger berechtige jenen nicht zu der Folgerung, damit würden die vom Vorgänger geworbenen und durch den Ausgleich erfassten Geschäftsverbindungen in der Person des Nachfolgers wiederum zu „neuen“ und seien dessen eigenem Ausgleichsanspruch zusätzlich zugrunde zu legen.2921 Die Kunden blieben also Altkunden.2922 Der neue HV trete zwar in die Position des alten HV ein. Jedoch umfasse diese Übernahme keine nach Vertragsende entstehenden Forderungen wie den Ausgleichsanspruch.2923 Die bloße Chance auf eine spätere Vergütung könne nicht als Rechtsposition an einen Nachfolger übertragen werden. Auch nach dieser den Ausgleich einschränkenden Ansicht können die vom Vorgänger geworbenen Kunden jedoch als erweiterte Altstammkunden ausgleichsfähig werden.2924 Nach Auffassung von Thume,2925 der sich auf BGH v. 5.6.19962926 beruft, sei in der Rspr. eine Tendenz erkennbar, den Altkundenstamm des ausscheidenden HV dem neuen HV bei der Berechnung seines Ausgleichsanspruchs nicht zuzuerkennen. Kiene2927 verneint den automatischen Übergang der Ausgleichsanwartschaften bei Abwälzungsvereinbarungen sowie beim Vertretungskauf. Bei der Nachfolgevereinbarung i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 3 unter Beteiligung des Nachfolgevertreters sollen die Ausgleichsanwartschaften jedoch übergehen.2928 Diese Ansicht ist auf den ersten Blick konsequent, weil der Unternehmer nur bei Nachfolgevereinbarungen, die in den Anwendungsbereich des § 89b Abs. 3 Nr. 3 fallen, aus der Verpflichtung entlassen wird, dem Altvertreter einen Ausgleich zu zahlen. Dagegen spricht jedoch Folgendes: Nach § 89b scheitert das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs beim Nachfolger am Mangel einer Neukundenwerbung. Eine solche existiert nur, wenn der Kunde vom eintretenden HV während der Vertragslaufzeit für den Unternehmer neu geworben wurde und zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns noch nicht Kunde des Unternehmers war. Weder wurden aber bei Zahlung eines Kaufpreises dem Unternehmer vom Nachfolgevertreter neue Kunden zugeführt; diese waren vielmehr schon vor Beginn des Vertragsverhältnisses mit dem Nachfolger Kunden des Unternehmers, noch wurden jene Kunden vom Nachfolger neu geworben. Es handelt sich letztlich um eine Frage der (ergänzenden) Vertragsauslegung,2929 die sich am einzelnen Vertrag und der Zweckbestimmung der Zahlung orientiert. Wird vom Unternehmer der Altkundenstamm gekauft, dann in der Regel „komplett“ mit den auf ihn entfallenden Ausgleichsanwartschaften. Dies gilt sowohl bei Abwälzungsvereinbarung, Vertretungskauf wie bei der auch unter Beteiligung des Altvertreters zustande kommenden Nachfolgevereinbarung. Sie korreliert mit der oben dargestellten Frage, ob ein Geldwert übertragen wurde (dazu oben, zu Frage 1). Läge in der Vereinbarung über den Kaufpreis regelmäßig der Kauf von Neukunden, so ist die Übertragung eines geldwerten Gegenwertes eher anzunehmen. Diese Auslegung kann daher auch im Interesse des Unternehmers sein, wenn er die Wirksamkeit der Vereinbarung vorträgt.2930 Insgesamt scheinen mir trotz der dadurch eintretenden verjährungsrechtlichen Probleme die besseren Argumente (s. u.) dafür zu 2920 BGH NJW 1985, 58 (wenn die Einstandszahlung die Gegenleistung für die Nutzung des vom Vorgänger geworbenen Kundenstammes bildet); Wauschkuhn BB 1996, 1517 (1519), Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 262, 282; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 974; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 68; Thume BB 1991, 490 (493); Hopt § 89b Rn 12; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 186; Hiekel Der Ausgleichsanspruch des HV und des Vertragshändler, 1985, S. 58. 2921 Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 24; OLG Hamm BB 1980, 1819; LG Bielefeld BB 1972. 195; aA Sieg VersR 1964, 791; offen gelassen von Drossart IHR 2016, 7 (10). 2922 Thume BB 2009, 1026 (1029). 2923 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 36. 2924 Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 974. 2925 VersR 2006, 1024 (1026). 2926 VersR 1996, 1011. 2927 Kiene VersR 2006, 1024 (1028). 2928 Kiene VersR 2006, 1024 (1030). 2929 Kiene VersR 2006, 1024 (1030). 2930 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 283. Emde

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sprechen, dass ohne besondere Anhaltspunkte des Einzelfalles bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung zum Übergang der Ausgleichsanwartschaften diese Regelung nicht fingiert wird und der Ausgleich nicht unter Berechnung der Altkunden beziffert wird. Es kann jedoch ggf. die Ausgleichszahlung zurückgefordert werden.Vielleicht wird man vor dem Hintergrund der Wertung des § 89b Abs. 3 Nr. 3 sagen können, dass bei der Nachfolgevereinbarung eher eine Vermutung für den Übergang der Ausgleichsanwartschaften besteht als bei Abwälzungsvereinbarungen und Vertretungskauf. Als Grundsatzentscheidung zu dieser Frage wird meist das Urteil des BGH v. 10.5.19842931 472 verstanden.2932 Hier judizierte der BGH, die den Unternehmer entlastende, zwischen HV-Vorgänger und -nachfolger vereinbarte Zahlung des Ausgleichs führe nicht dazu, dass bei Beendigung des Nachfolgervertrages der Unternehmer dem Nachfolger einen Ausgleich für vom Vorgänger geworbene Kunden schulde. Jene Entscheidung gibt jedoch nicht mehr als einen einzelfallbezogenen Hinweis. Es ist unsicher, ob sie sich auf Abreden zwischen Unternehmer und Mittler und andere Situationen übertragen lässt.2933 Richtig erscheint folgendes: Der Kaufpreis wird für die Verdienstmöglichkeit gezahlt, regelmäßig also für die Provisionen. Hat diese Verdienstmöglichkeit Geldwert, ist der Vertrag wirksam. Hingegen zahlt der Nachfolgevertreter nicht für die ausgleichsrechtliche Einbeziehung des Kundenstammes. Daher kann ohne besondere Anhaltspunkte im Vertrag nicht davon ausgegangen werden, die gekauften Kunden seien ausgleichsrechtlich Neukunden des Nachfolgevertreters. Hat der HV für die Provision erheblich zu viel gezahlt, bleibt die Vereinbarung sittenwidrig und widerspricht dem Rechtsgedanken des § 89b Abs. 4. Ohnehin dürfte es schwierig sein, den Wert des erst bei Vertragsende zu bestimmenden Ausgleichsanspruchs bei der Prüfung des Leistungs-Gegenleistungsverhältnisses zu antizipieren, da sich nicht voraussagen lässt, wie viele der gekauften Kunden bei Vertragsende überhaupt noch Stammkunden sein werden oder ob andere Ausgleichsvoraussetzungen (§ 89b Abs. 3!) fehlen. Allerdings mag über dieser Ergebnis diskutiert werden. Der BGH2934 hat an eine ergänzende Vertragsauslegung gedacht. Auch das OLG München2935 nahm nach Übersendung einer Rechnung des Unternehmers in Höhe von 142.500 EUR als Ablösesumme für die Übernahme des HVGebietes eine ergänzende Vertragsauslegung vor und unterstellte, durch die Zahlung sollten die vom HV bereits übernommenen Altkunden bei der Berechnung des künftigen Ausgleichs Neukunden gleichgestellt werden. Das LG Bielefeld2936 lehnte eine ergänzende Vertragsauslegung ab. Die Begründung des LG Bielefeld, die Gleichstellung der Alt- und Neukunden widerspreche dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, welches ausschließlich auf „den neuen Kunden, die der HV geworben hat“ abstelle, überzeugt aber wenig: Es geht nicht nur um eine Anwendung des § 89b, sondern um die Feststellung, was über die Rechte des § 89b hinausgehend zwischen den Parteien vereinbart war. Wird dem einen Kaufpreis zahlenden HV-Nachfolger für den Fall des Vertragsendes ein Mindestausgleich versprochen, kommt eine Anpassung dieses Mindestbetrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, etwa wegen eines „heruntergewirtschafteten“ Bezirks, regelmäßig nicht in Betracht.2937 Das LG Koblenz entschied, der Unternehmer habe die Möglichkeit einer negativen Umsatzentwicklung bewusst in Kauf genommen. Dem ist zuzustimmen, weil der Mindestausgleich als Gegenleistung für den vom eintretenden HV gezahlten Kaufpreis und nicht den zu diesem Zeitpunkt nicht bestimmbaren Wert des Bezirks bei Vertragsende geleistet wird. Der Kaufpreis ist jedoch Äquivalent für den Bezirk zum Zeitpunkt der Übernahme vom Nachfolger und nicht zum Zeitpunkt der Überga-

2931 2932 2933 2934 2935 2936 2937 477

BGH DB 1984, 2507 = NJW 1985, 58. Kiene VersR 2006, 1024 (1028). Zutreffend Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 997. Urt. v. 10.5.1984, DB 1984, 2507 = NJW 1985, 58; Vorinstanz OLG Hamm v. 21.1.1982, DB 1982, 1167. Urt. v. 08.08. 2001 – 7 U 5118/00, HVR Nr. 991. Urt. v. 17.2.1971, BB 1972, 195. LG Koblenz, Urt. v. 8.10.1990, HVR Nr. 703. Emde

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be vom Nachfolger an den Unternehmer, so dass der Zustand beim letztgenannten Termin unbeachtlich bleibt.

5. Folgen der Unwirksamkeit (Frage 5) 473 Nach Ansicht des OLG München2938 führt die Unwirksamkeit der Einstandszahlung dazu, dass der Unternehmer keinen Einstandspreis fordern darf. Das ist konsequent, weil ohne die Abrede über den Einstandspreis keine Anspruchsgrundlage für dessen Zahlung besteht. Die Unwirksamkeit führt auch nicht dazu, dass der HV die übergebene Vertretung „herausgeben“ muss. Es gelten vielmehr die §§ 89, 89a, 89b. Denn nach der Gesetzestypik erwirbt der HV die Vertretung auch ohne Kaufpreis. Die Unwirksamkeit beschränkt sich also nicht nur darauf, die Aufrechnung gegen den Ausgleichsanspruch auszuschließen. Vielmehr ist der Unternehmer daran gehindert, die Einstandszahlung selbst zu verlangen. Die Entscheidung erging zu einem AGBSachverhalt, wurde jedoch in erster Linie mit dem Verstoß gegen die zwingende Natur des Ausgleichs nach § 89b Abs. 4 S. 1 begründet. Sie hätte daher – wie oben ausgeführt – zu einem Individualvertrag nicht anders lauten können. Andere Bestimmungen des HV-Vertrages sollen jedenfalls in AGB nach § 306 Abs. 1 BGB von der Unwirksamkeit nicht erfasst werden.2939 So ist wegen des Schutzzweckes auch im Bereich des § 139 BGB zu entscheiden. Folge der Unwirksamkeit der Einstandszahlungsabrede ist ein Recht des HV auf Rückzahlung einer geleisteten Einstandszahlung. Das Rückforderungsrecht verjährt gem. § 195 BGB. Es ist fraglich, wie ein Gericht nach Ablauf der Regelverjährungsfrist entscheidet (§ 199 Abs. 3 BGB? § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB wegen unklarer Rechtslage? – Wohl eher abzulehnen. § 242 BGB-Einwand gegen den Unternehmer?2940 Deliktsrechtlicher Verjährungsschutz [s. Kommentierung zu Vor § 84]?). Das Verjährungsrecht muss hier die materiell-rechtliche Position des Mittlers schützen, jedenfalls wenn die Unwirksamkeit der Klausel aus §§ 138, 826 BGB folgt. Möglicherweise gibt die tatsächliche, von den klassischen Umgehungsfällen (Aufrechnung des Einstandspreises gegen den Ausgleich) abweichende Zahlung auch ein Indiz für die Werthaltigkeit des Kaufpreises. Die Diskussion zur Einstandszahlung hat eine Parallele im Franchiserecht, wo die Rück474 zahlungspflicht von Eintrittsgeldern der FN strittig ist. Eine solche Rückzahlungspflicht wird dort etwa aus § 311 Abs. 2 BGB,2941 ergänzender Vertragsauslegung, den Grundsätzen des WGG (§ 313 BGB) oder § 812 BGB2942 hergeleitet (s. Kommentierung zu Vor § 84)2943: Es wird insoweit vertreten, bei einem Franchisevertrag, der durch Zeitablauf oder ordentliche Kündigung beendet wird, komme eine Rückerstattung der Eintrittsgebühr nicht in Betracht.2944 Das wird man jedoch in dieser Allgemeinheit nicht sagen können. Denn die Kündigungsfristen werden häufig vom FG/Unternehmer vorgegeben und nicht jede Eintrittsgebühr/Einstandszahlung muss in angemessener Relation zur Vertragslaufzeit und zum Zahlungszweck stehen. Zu denken ist in diesen Fällen an eine Anwendung der Grundsätze des Investitionsersatzanspruches.2945 Soweit der Un2938 Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 = NJW-RR 2005, 1062 m. Anm. Semler BB 2005, 965 und Emde EWiR 2005, 471.

2939 OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 965 und Emde EWiR 2005, 471.

2940 Zu einer Parallelsituation OLG Karlsruhe Urt. v. 26.3.1974, BB 1974, 904: Ist die Verjährung unzulässig verkürzt worden, hat der HV das jedoch aus Rechtsunkenntnis nicht erkannt und nach Ablauf der vermeintlichen „Verjährung“ die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs unterlassen, verstößt es gegen Treu und Glauben, falls der Unternehmer ihm nunmehr die Verjährungseinrede entgegensetzt. Beide Fälle eint zumindest die vom Unternehmer – er formuliert die Einstandszahlungsabrede – herbeigeführte Unwirksamkeit. 2941 Vgl. OLG München, Urt. v. 24.4.2001 – 5 U 2180/00, BB 2001, 1759 m. Anm. Böhner BB 2001, 1749. 2942 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 99. 2943 Siehe etwa Giesler WM 2001, 1441. 2944 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 93. 2945 AA Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 93: keine Rückerstattung. Emde

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ternehmer seinen Teil der Gegenleistung für das Eintrittsgeld bereits erbracht hat und sie für den FN werthaltig ist, kommt eine Rückerstattungspflicht nicht in Betracht.2946 Insb. sofern zukünftige Leistungen durch die Einstandszahlung/Eintrittsgebühr vergütet werden, kann eine Rückzahlungspflicht bestehen, wenn und soweit die Leistungen noch nicht „verbraucht“ wurden.2947 Musste der FG für das vertragsgegenständliche Know-How keine eigenen Vorleistungen aufbringen und handelte es sich um ein am Markt noch nicht erprobtes Geschäftskonzept, spricht dies für eine Rückzahlungspflicht.2948 Beweispflichtig für die Zweckbestimmung ist, nicht anders bei der Aufteilung zwischen werbenden und verwaltenden Provisionen, im Zweifel der den Vertrag formulierende Unternehmer. Der Zweck soll durch Auslegung anhand der Besonderheiten des einzelnen Franchisevertrages ermittelt werden.2949 Indizien für die Auslegung sollen die Höhe der Eintrittsgebühr und ihr wertmäßiges Verhältnis zu den laufenden, meist monatlich zu zahlenden Franchisegebühren bilden.2950 Ist die Eintrittsgebühr relativ hoch und sind die laufenden Franchisegebühren eher gering, so soll dies für eine Rückzahlungspflicht sprechen.2951 Eine relativ geringe Eintrittsgebühr soll darauf hindeuten, dass die Leistungen des FG mit Eingliederung des FN erbracht sind und keine weitere Rückzahlung zu leisten ist.2952 Sofern die Anspruchsgrundlage des Rückzahlungsanspruchs in §§ 812 ff. gesehen wird, wird mit der Eintrittsgebühr des Franchiserechts auch § 818 BGB, insb. sein Abs. 2 Alt. 1 BGB, angewandt.2953 Dabei wird die Anwendung der Saldotheorie befürwortet.2954 Nach der Saldotheorie sind die sich gegenüberstehenden Leistungen zu saldieren und der verbleibende Überschuss kann als Bereicherungsanspruch geltend gemacht werden.2955 Nach Ansicht des OLG Frankfurt/ M. ist eine lineare Berechnungsweise vorzugswürdig.2956 Danach wird eine zeitabhängige Eintrittsgebühr zunächst durch die vereinbarte Vertragslaufzeit geteilt und dann mit der tatsächlichen Laufzeit multipliziert. Dadurch lässt sich ohne größeren Aufwand ein Anspruchsbetrag errechnen.2957

6. Folgen der Einstandszahlung für die Ausgleichsberechnung Ergibt die Auslegung einen Übergang der Ausgleichsanwartschaften (s. o.), sind die vom HV 475 „gekauften“ Kunden sind in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen. Wird dem HV ein geschützter Kundenstamm gegen ratenweise Zahlung eines Entgelts übertragen und sollen mit vollständiger Zahlung des vereinbarten Betrages diese Stammkunden als ausgleichsrechtlich relevante Neukunden gelten, sind die mit ihnen erzielten Umsätze selbst dann in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen, wenn im Zeitpunkt der Beendigung des HV-Vertrages der Einstandspreis nicht vollständig beglichen war, weil ein Restbetrag vereinbarungsgemäß bis zur

2946 OLG Hamburg EWiR 1986, 899; Küstner/Thume/Schröder III, Kap. IV Rn 24; Rauser/Bräutigam DStR 1996, 587 (591); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 96.

2947 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1995, 1395; Küstner/Thume/Schröder III, Kap. IV Rn 24; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 97. OLG Hamburg, Urt. v. 30.12.2002 – 5 U 220/01, DB 2003, 1054. Rauser/Bräutigam DStR 1996, 587 (591); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 98. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 98. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 98. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 98. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 99. OLG Oldenburg DStR 1998, 903; OLG Dresden NJW-RR 1996, 1013; Rauser/Bräutigam DStR 1996, 587 (590); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 100. 2955 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 100. 2956 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1995, 1395 m. zust. Anm. Flohr WiB 1995, 346. 2957 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Vorb § 89 Rn 101.

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Beendigung des HV-Vertrages zinslos gestundet wird. Die spätere Zahlung des offenen Restbetrages genügt jedenfalls dann, wenn sie innerhalb der Frist des § 89b Abs. 4 erfolgt.2958

D. Keine Wettbewerbsbeschränkung infolge der Ausgleichszahlung 476 Zu diskutieren ist, ob der HV nach Zahlung des Ausgleichs daran gehindert ist, zu dem leistenden Unternehmer in nachvertraglichen Wettbewerb zu treten. Im VV-Recht wird erörtert, ob sich ein Unterlassungsanspruch aus § 3 UWG i. V. m. Ziff. VII etwa der Grundsätze Sach ergibt. Nach Ziff. VII der Grundsätze „Sach“ wird bei der Befriedigung des Ausgleichsanspruches davon ausgegangen, dass der wirtschaftliche Vorteil des ausgeglichenen Bestandes dem Versicherungsunternehmen verbleibt und vorausgesetzt, dass der HV keine Bemühungen anstellt oder unterstützt, die zu einer Schmälerung des Bestandes führen, für den er einen Ausgleich erhalten hat. Eine ähnliche spezielle Regelung gibt es außerhalb des VV-Rechts nicht. Nach h. M. regelt Ziff. VII der Grundsätze jedoch kein Wettbewerbsverbot.2959 Dies folge zum einen daraus, dass ein Wettbewerbsverbot für seine Wirksamkeit einer schriftlichen Vereinbarung und der Aushändigung einer vom Unternehmer unterzeichneten, die vereinbarten Bestimmungen aufnehmenden Urkunde an den HV bedürfe (§ 90a). Die Grundsätze hätten zudem allenfalls empfehlenden Charakter, ohne den VV unmittelbar zu verpflichten. Schließlich mangele es an der Zahlung einer Karenzentschädigung. Ein ausgeschiedener VV, dem ein Ausgleich gezahlt wurde, unterliegt damit grundsätzlich keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot,2960 ebenso wenig wie jeder andere HV.2961 Mit der Zahlung des Ausgleichs erhält der Unternehmer kein ausschließliches Nutzungsrecht am Kundenstamm.2962 Es bleibt ihm vielmehr unbenommen, für einen konkurrierenden Unternehmer vermittelnd tätig zu werden, und zwar beim VV auch im Hinblick auf die Vermittlung von Verträgen mit VN, die er für das ausgleichsverpflichtete Unternehmen zuvor geworben hatte.2963 Umstritten ist weiter, ob es dem HV wirksam untersagt werden kann, zugunsten konkurrie477 render Unternehmen Verträge auszuspannen, die ihm vom bisher vertretenden Unternehmen nach den „Grundsätzen“ ausgeglichen wurden. Die Rspr. vertritt hierzu überwiegend die Auffassung, ein solcher Unterlassungsanspruch bestehe i. d. R. nicht, es sei denn, der ausgeschiedene Agent verstieße bei seiner nachvertraglichen Tätigkeit gegen § 3 UWG und bediene sich unlauterer Mittel. So hat das OLG Karlsruhe in seinem Urt. v. 20.3.19862964 entschieden, dem HV stehe es grundsätzlich frei, in den Kundenkreis des Versicherers einzudringen, sofern er nicht die während seiner Tätigkeit erworbenen Kenntnisse in einer gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßenen Weise erlangt habe und die Werbung im Kundenkreis nicht durch besondere Umstände als sittlich anstößig gekennzeichnet werde. Eine nachvertragliche, zu Lasten des bisherigen Unternehmens gehende Tätigkeit sei wettbewerbsrechtlich nur dann zu beanstanden, wenn der bisherige Vermittler sich bei dem „Kampf um die Kundschaft“ unlauterer Mittel bediene. Dabei gewinne selbst das planmäßige, also zielbewusste und systematische, Abwerben von Kunden erst durch den Einsatz solcher verwerflicher Mittel oder durch die Verfolgung zu missbilligender Ziele den Charakter wettbewerbsrechtlicher Sittenwidrigkeit. Auch das OLG Hamm hat in einem Urt. v. 12.1.19892965 vertreten, eine Ausgleichszahlung führe nicht zu einer Wettbe2958 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 262. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 263. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 11. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 11. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 263. VersVerm 1986, 282. BB 1989, 1221.

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werbsbeschränkung. Eine solche widerspräche der gesetzlichen Wertung der §§ 89b und 90a. Nach diesen Normen würden die Ausgleichszahlung sowie die nachvertragliche Wettbewerbsabrede unabhängig voneinander geregelt. Die strengere Aufforderungen zur Wettbewerbsabrede des § 90a würden unterlaufen, falls sämtliche Verträge, für die eine Ausgleichszahlung erfolge, automatisch einem Wettbewerbsverbot unterlägen. Es erscheine widersprüchlich, wenn ein HV, der aus eigenem Verschulden seinen Ausgleichsanspruch verliere und deshalb nicht ausgleichsberechtigt sei, keinem Wettbewerbsverbot unterläge, wohl aber derjenige, dem seinerseits zu Unrecht gekündigt worden sei, der sich aber dann unter Hinnahme der Kündigung mit einem Ausgleichsanspruch begnüge. Das ist auch für Sachverhalte außerhalb des VV-Rechts überzeugend. Der BGH judizierte in seinem Urt. v. 28.1.1993,2966 es entspräche den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs und widerspreche nicht der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns, wenn ein ausgeschiedener HV in Konkurrenz zu dem früher von ihm vertretenen Unternehmen auch hinsichtlich dessen Kunden trete. Es stehe dem HV nach Beendigung des HVVerhältnisses frei, dem Unternehmer, für den er bis dahin tätig gewesen sei, auch in dem Bereich Konkurrenz zu machen, in welchem er ihn vorher vertreten habe. Der HV, dem nicht auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot auferlegt worden ist, bleibt deshalb berechtigt, nach Vertragsende Kunden des bisherigen Geschäftsherren zu bewerben.2967 Die Gegenauffassung zu Ziff. VII der Grundsätze wird vom OLG Köln vertreten. In seinem Urt. v. 3.4.19812968 hat es einem HV im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es zu unterlassen, VN, die er früher wegen bestehender Versicherungsverträge zu betreuen gehabt hatte, unmittelbar oder mittelbar zu veranlassen, die bei dem Versicherer bestehenden Versicherungsverträge aufzukündigen und neue Verträge bei einem anderen Versicherer abzuschließen. Sähe man dies anders, würde Ziff. VII leer laufen. Es stelle für die Versicherung einen erheblichen Vorteil dar, dass sich Versicherungsverhältnisse mehr oder weniger automatisch verlängern, sofern sie nicht rechtzeitig gekündigt werden. Es werde auf ein gewisses Behaarungsvermögen spekuliert. Deshalb würden Verträge so gestaltet, weil sie auf diese Art praktisch zu Dauerverträgen werden. Dass dies für die Versicherung eine wesentliche Rolle spiele, ergebe sich aus den Bestimmungen über den Ausgleichswert, welcher der Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines ausscheidenden VV nach den Grundsätzen zugrunde gelegt werde. Dort würden unter Ziff. 1b. bb Provisionen für Versicherungsverträge mit nur einjähriger Laufzeit in der Regel nicht berücksichtigt, falls sie ohne Verlängerungsklausel abgeschlossen seien. Es werde schon daraus klar, dass die Tatsache der Verlängerungsklausel einen entscheidenden Wert für die Versicherung darstelle, der auch deshalb bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs berücksichtigt werde. Damit sei es dem HV nicht schlechthin untersagt, mit Kunden des Unternehmers in Verbindung zu treten. Er dürfe ihnen z. B. andere Versicherungsverträge als die bestehenden und sich automatisch verlängernden anbieten. Die h. M. wird durch folgende Erwägungen unterstützt: Gem. § 89b Abs. 4 ist der Ausgleichsanspruch zwingend und dessen Voraussetzungen in § 89b abschließend bestimmt. Eine Regelung wie Ziff. VII der Grundsätze, die den Ausgleich unter den Vorbehalt fehlender Wettbewerbstätigkeit stellt, wäre eine Beschränkung des Ausgleichs. Sie verstößt daher wohl gegen § 89b Abs. 4. Dies dürfte auch der Judikatur des BGH2969 entsprechen, der in seinen Urteilen zur Anrechnung der Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch in Klauseln, die eine ausnahmslose Anrechnung der Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch postulierten, eine solche Einschränkung sah. Selbst wenn man daher die Ausgleichsberechnung nach den Grundsätzen für zulässig hält, weil sie als eine nach § 287 ZPO vorgenommene antizipierte Schätzung

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NJW 1993, 1786 (1787). OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.3.2003 – 16 U 139/02, OLGR Düsseldorf 2003, 252. VW 1981, 1067. BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenf. Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f.

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von Sachkennern darstellen,2970 dürfte die Beschränkung der Ziff. VII – die außerhalb der Ausgleichsberechung im eigentlichen Sinne steht – unwirksam sein.

E. Ausgleichsberechnung 478 Die Berechnung und Durchsetzung des Ausgleichsanspruches obliegt im Grundsatz dem HV.2971 Ausgleichsprozesse sind aufwendig und die Ausgleichsberechnung ist schwierig.2972 Angesichts der Vielzahl strittiger Einzelpositionen, denen umfangreiche Beweiserhebungen folgen und der solchen Verfahren eigenen materiell-rechtlichen wie prozessualen Fallstricke2973 sind sie forensisch unbeliebt. Da gerade von Unternehmern alles streitig gestellt wird, was streitig gestellt werden kann, werden Vertriebsmittlerstreitigkeiten zu Punktesachen. Dieses Problem ist teilweise durch die Rspr. verursacht worden. Sie sollte sich mehr auf Vermutungen und Schätzungen stützen, wie es etwa bei der Anwendung der Abwanderungsquote (meist jährlich 20 % oder gestaffelt nach Jahren zu unterschiedlichen Sätzen) oder der Abzinsung (Methoden Gillardon,2974 Hoffmann;2975 reziproke Zinses-Zins-Formel2976) seit Jahrzehnten ohne Beanstandung geschieht. Das gilt insb. für den Anteil verwaltender oder HV-untypischer Vergütungsanteile. Die Verfahren könnten dann durchentschieden werden. Bislang gilt: Nur bei sorgfältiger Buchführung2977 oder unter Nutzung der zur Vorbereitung einer Ausgleichsklage nach einer bislang starken Meinungsgruppe2978 nicht gegebenen Informationsrechte aus § 87c2979 kann der HV alle Informationen zur Begründung seines Ausgleichsanspruch zusammenstellen. Der materiellrechtliche Schutzgedanke des § 89b hat sein verfahrensrechtliches Pendant bisher nicht gefunden.2980 Gerade unerfahrene Kleinvertreter sehen sich bei der Ausgleichsberechnung erheblichen Hürden gegenüber. Oft berechnen sie den Anspruch das erste Mal; der Unternehmer mit umfangreichem Vertriebssystem und der Erfahrung zahlreicher Ausgleichsstreitigkeiten besitzt eine Wissensüberlegenheit.2981 Wohl keine andere Nation führt ihre Ausgleichsstreitigkeiten mit einem derartigen, mathematische Scheingenauigkeit vorspiegelnden Umstand.2982 Wenngleich es keine verbindlichen Formeln für alle Fälle geben kann,2983 ist ihre Nutzung für durchschnittliche Fälle auch nicht ausgeschlossen. Vordringlichste Aufgabe des Ausgleichsrechts ist die Entwicklung einer §§ 89b, 287 ZPO ausfüllenden Formel, die eine Deduktion der Ausgleichs-

2970 Vgl. OLG Düsseldorf VersR 1979, 831; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 198. 2971 BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568 unter II 3b. 2972 BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 461 (463). Nach Graf v. Westphalen WM 2011, 528 ist die Ausgleichsberechnung eine „Fron“.

2973 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 4. 2974 BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/95, WM 1998, 25; VIII ZR 150/96, WM 1998, 31; OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, BeckRS 2015, 03089 = IHR 2016, 79 Rn 31 – Kfz-Vertragshändler.

2975 B = (100 mal S): (100 + P mal a) – B = abgezinster Betrag, S = Summe vor Abzinsung, P = Prozentsatz, a = Anzahl der Jahre, befürwortet von BGH, Urt. v. 10.10.1991 – III ZR 308/89, BGHZ 115, 307; v. 8.7.1998 – VIII ZR 142/ 97; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (145). 2976 BGH, Urt. v. 8.10.1990 – I ZR 269/88, WM 1991, 602. 2977 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 4. 2978 OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2004, r+s 2004, 349 (350); aA OLG Hamburg, Urt. v. 19.6.1991 – 5 U 12/90; n. v.; OLG Hamm OLGR 1996, 54; Ebenroth/Löwisch3 § 87c Rn 4; einschränkend Rn 10: nur ergänzender Auskunftsanspruch gem. § 87c Abs. 3. AA LG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.15 – 33 O 119/12, ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14 (Auskunftsrecht aus § 87c Abs. 3). 2979 Schon deshalb zu Unrecht, weil sich die Bemessungsgrundlage und Ausgleichshöchstgrenze durch verheimlichte Provisionen erhöhen. 2980 Siehe bereits Emde RIW 2003, 505 (506). 2981 Bei großen HV und ausländischem Unternehmer können die Dinge aber auch umgekehrt liegen. 2982 Vgl. Thume IHR 2011, 7 (11). 2983 EuGH, Urt. v. 23.3.2006, C-465/04, HVR Nr. 1184; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 160. Emde

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höhe aus meist unstrittigen Daten zulässt und es Gerichten erlaubt, Ausgleichsstreitigkeiten mit Vermutungen und Beweislastverteilungen ohne vermeidbare Beweiserhebungen zu entscheiden2984 – wobei jeder Partei der Gegenbeweis zusteht. Ausgleichsurteile fordern keine mathematische Präzision;2985 gerechte Entscheidungen entziehen sich einer Zahlenspielerei. Das Rechtsstaatsgebot ruft nach unkomplizierter Durchsetzung des Anspruchs sowie der Vorhersehbarkeit des Ergebnisses. Die zum BMW-Vertrieb entwickelte Münchner Formel des LG München I2986 oder die Grundsätze in der Versicherungswirtschaft weisen den richtigen Weg,2987 zumindest als Schätzgrundlagen anerkannter Sachkenner nach § 287 ZPO.2988 Ohne derartige „Schablonen“ zur Ausgleichsberechnung wäre die Praxis in Teilbereichen des Vertriebsrechts überfordert: So ist es im VV-Recht kaum gelungen, außerhalb der „Grundsätze“2989 prozesssichere und allgemein anerkannte Ausgleichsberechnungen zu etablieren.2990 Klagen, die den Ausgleich von VV jenseits der Grundsätze darstellen, waren jedenfalls vor der Novelle 2009 meist unschlüssig.2991 Teilweise differiert die Ausgleichsberechnung von OLG zu OLG, gerade in Vertragshändlerfällen. Die RL steht der Schätzung nicht entgegen. Sie schreibt keinen präzisen Berechnungsweg vor und erlaubt Schematisierungen, soweit sie den Gegenbeweis nicht ausschließen: Bei der Rechenmethode des Ausgleichs haben die Mitgliedsstaaten Spielraum.2992 Dieser darf nur nicht so ausgeübt werden, dass die Vorgaben der RL verletzt werden.2993 Hiervon wäre nur auszugehen, wenn sich ein zwingendes Berechnungsschema etablieren würde, welches jede Besonderheit des Einzelfalls unberücksichtigt ließe und damit die Interessen des HV verletzte.2994 Das Bestreben und die Pflicht der Gerichte geht allerdings dahin, die Wirklichkeit in der Schätzung so nahe wie möglich abzubilden.2995 So hat BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 37 zu großzügige Schätzungen der Tatsacheninstanzen ausgeschlossen. Oft steht jedoch die nötige Beweiserhebung nicht im Verhältnis zum zu erwartenden Ergebnis. Zweifelhaft ist auch, ob der wirkliche Wert der Unternehmervorteile in den bisherigen Ausgleichsbemessungsgrundlagen Abbildung findet. Die nachfolgende Erläuterung beruht auf praktischen Erfahrungen und berücksichtigt, dass der auf Ausgleich beklagte Unternehmer meist besser als der HV über die Kundenbeziehungen informiert ist. Wie von § 87c vorausgesetzt, besitzt er als Vertragsschließender die Informationshoheit. Er darf daher nicht durch leicht hingeworfenes Bestreiten eine Ausgleichsklage zu Fall bringen.

2984 Emde BB Heft 34/2004, S. IX. 2985 Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140); Thume BB-aktuell 3/2005, S. IV. 2986 LG München I, Beschl. v. 3.8.1998 – 15 HKO 23905/97; vgl. die ausführliche Wiedergabe bei Emde VersR 1999, 1474; Kainz/Lieber/Puszkajler BB 1999, 434; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, S. 153 ff.; mitgeteilt auch von Kümmel DB 1998, 2407; s. auch MDR 1998, 1489. 2987 S. Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). Kritisch jedoch Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 160 (auch er sieht in ihr jedoch einen „Anhaltspunkt“); OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00; wiedergegeben bei Emde VersR 2004, 1499 (1516). 2988 Küstner VersR 2002, 513 (514). 2989 Kommentierung der Grundsätze bei Küstner/Thume II9 Kapitel XX. 2990 Vgl. Thume VersR 2009, 436 (437). 2991 Küstner BB-aktuell 3/2005, S. IV. 2992 Westphal DB 2010, 1333 (1338). 2993 EuGH, Urt. v. 23.3.2006 – Rs.C-465/04, RIW 2006, 459 (462); Westphal DB 2010, 1333 (1338). 2994 Westphal DB 2010, 1333 (1338). 2995 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 37; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 25 (Tankstellen-HV); wesentlicher großzügiger – Pauschalierung zulässig – und mit den vorg. Urt. mglw. unvereinbar BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 39 (zu den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft). 483

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I. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast 479 Grundsätzlich ist der Mittler für alle anspruchsbegründenden Umstände darlegungs- wie beweispflichtig.2996 Die RL regelt das Verfahrens- und Beweisrecht nicht. Der Grundsatz HVfreundlichster Auslegung gewinnt deshalb nur bei der Auslegung der RL-Vorschriften und nicht bei der Anwendung des Verfahrensrechts Geltung.2997 Insbesondere führt er nicht dazu, dass der Unternehmer das Nichtvorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 89b zu beweisen hätte.2998 Hierbei kommen ihm allerdings gewichtige Beweiserleichterungen zugute. Insbesondere darf sich der Mittler auf Anscheinsbeweise und Vermutungen stützen,2999 die seine Darlegungs- und Beweislast erleichtern: Ohne solche Beweiserleichterungen würde er in Beweisnot geraten. Solche Beweiserlechterungen tragen der Beweisnot Rechnung, in die der Mittler sonst fast stets geraten müsste. Gerade die nun im Vordergrund der Ausgleichsberechnung stehenden, zu prognostizierenden Unternehmervorteile kann er nicht kennen.3000 Dem Gericht steht nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum bei der Schätzung der Ausgleichshöhe zu,3001 welchen es orientiert an den Anspruchsvoraussetzungen des § 89b und soweit als möglich angenähert an die tatsächlichen Verhältnisse3002 auszuüben hat. Ausgleichsstreite dürfen auf der Basis von Generalisierungen, etwa – ggf. auch nur vergleichbare3003 – Statistiken,3004 entschieden werden. Sind im Eigenhändlerrecht der Umfang der Verkäufe des Händlers an seine Kunden strittig, können die korrespondierenden Verkäufe des Herstellers an den Mittler3005 abzüglich Rücknahmen eine Schätzung der Ausgleichshöhe zulassen. Schwer verständlich ist, warum etwa über den Anteil HV-untypischer Vergütungsbestandteile im Eigenhändlerrecht kostenintensive Gutachten gefertigt werden müssen,3006 während andererseits Fluktuationsquote oder Abzinsung gem. § 287 ZPO geschätzt werden dürfen. Die vollständige Aufklärung aller für die 2996 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 17; v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 Rn 20 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde) (Vertragshändler); v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, VersR 2008, 214 Rn 24; v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350 = VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568 unter II 3b („Berechnung und Durchsetzung des Ausgleichs obliegen dem HV“); v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WM 2003, 2107 unter II 1b aa; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499 unter II 1b aa; v. 28.4.1988 – I ZR 66/87, NJW-RR 1988, 1061 = WM 1988, 1204 unter II 2b; v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45; OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089 Rn 6 – Kfz-Vertragshändler; Thume BB 2016, 578 (582) – HV-ähnliche Vertriebsmittler; Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 (215); Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 14; Thume IHR 2011, 7 (9); Thume VersR 2009, 436 (zu VV); Eberstein9 S. 157; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 1018; Westphal I Rn 1344; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Koller/Roth § 89b Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 177; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 226; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 21. 2997 Emde DStR 2009, 1478 (1485). 2998 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 230. 2999 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 21. 3000 Genzow IHR 2014, 133 (135). 3001 BGH, Urt. v. 15.10.1964; BGHZ 42, 244; OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089 – Kfz-Vertragshändler; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – Kfz-Vertragshändler; Niebling WRP 2009, 153 (156) – KfzVertragshändlerrecht; Thume BB 1999, 2309 ff.; Emde VersR 2001, 148 (163 f.); Hopt § 89b Rn 22; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 90; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 20b. 3002 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 31 (Tankstellen-HV); v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 25 (Tankstellen-HV). 3003 Genzow IHR 2014, 133 (135). 3004 BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (935) = BB 1975, 1409 zu II. (Glückspielvertreter); OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 34; Genzow IHR 2014, 133 (135); Hopt § 89b Rn 22. 3005 Der Hersteller könnte ggf. nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast verpflichtet sein, zu ihrem Umfang vorzutragen. Oder der Händler trägt zu ihnen vor und der Hersteller müsste subtantiiert bestreiten. 3006 In die falsche Richtung weist daher BGH, Urt. v. 22.2.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759. Emde

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Ausgleichsberechnung maßgeblichen Umstände durch Beweiserhebung dürfte mit Schwierigkeiten verbunden sein, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung der jeweils streitigen Einzelposition stehen.3007 Dass Ausgleichstreite unter Anwendung von Formeln entschieden werden dürfen, hat Puszkajler, seinerzeit Vorsitzender Richter einer Kammer für Handelssachen des LG München I, in Verteidigung der Münchner Formel zum Vertragshändlerrecht zutreffend bemerkt3008: Anhand des Gesetzes könne der Ausgleich als Prognoseentscheidung für die Zukunft nicht exakt bestimmt werden. Die von der Rspr. anerkannte Praxis beruhe auf Konventionen, mit denen man dem Anliegen der gesetzlichen Regelung zu genügen versuche. Es gehe eher um eine informierte Schätzung nach § 287 ZPO,3009 als um eine mathematisch fehlerlose Berechnung. Der Vorteil der Pauschalierung3010 liege in der Vorhersehbarkeit. Weder die Feststellung, Ausgangspunkt der Ausgleichsberechnung seien die Vergütungen des letzten Vertragsjahres, noch zahlreiche weitere von der Rspr. herausgebildete und heute scheinbar selbstverständliche Prüfungspunkte ergäben sich aus dem Gesetz. Der Schätzcharakter des Ausgleichs wird durch die scheinbar mathematische und exakte Berechnung eher verschleiert.3011 Dem ist zuzustimmen. Denn zahlreiche in die Berechnung einzustellende Parameter beruhen auf Schätzungen, rechtlichen Wertungen sowie Billigkeitserwägungen.3012 Nach h. A. muss der Richter greifbare Anhaltspunkte für eine an den TB-Merkmalen der 480 Norm angelehnte Schätzung kennen. Allein aufgrund von Billigkeitserwägungen darf er keinen Ausgleich zusprechen. Dass hierbei gleichwohl kein zu strenger Maßstab anzulegen ist, hat die Rspr. mehrfach3013 zum Vertragshändlerrecht – es gilt entsprechend für Ausgleichsprozesse der HV – klargestellt: Auch wenn der Sachverhalt nicht in vollem Umfang erschöpft sei, bleibe zu prüfen, inwieweit er hinreichende Grundlage für die Schätzung eines in jedem Fall zu leistenden Mindestausgleichs biete. Eine Klage dürfe nicht abgewiesen werden, solange genügend Anhaltspunkte für eine solche Bewertung nach § 287 ZPO existierten. Jene seien der unstrittige Bruttoeinkaufsumsatz, die Rabatte sowie der Stammkundenanteil, welcher Rückschlüsse auf den Stammkundenumsatzanteil zulasse. Eine Schätzung darf nur unterbleiben, sofern sie mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde.3014 Voraussetzung für die Schätzung etwa eines Mindestausgleichs ist, dass greifbare Anhaltspunkte für eine Schätzung des gesamten Unternehmervorteils vorliegen und im Rahmen des § 287 ZPO der Mindestausgleich bestimmt werden kann.3015 § 287 ZPO will die normalen Darlegungs- und Beweisanforderungen insb. im Falle der Entstehung und der Höhe eines Schadens in mehrfacher Hinsicht reduzieren

3007 AA Intveen BB 1999, 1881 (1885); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 928. 3008 Siehe etwa: Puszkajler BB-aktuell 37/2000, S. IV; in diese Richtung auch OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035. 3009 Ähnlich Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1556); gegen eine zu großzügige Handhabung des § 287 ZPO Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 4. 3010 Eine Pauschalierung lässt BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 39 (zu den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft) ausdrücklich zu. 3011 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035. 3012 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – Kfz-Vertragshändler. 3013 BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 13; Urt. v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, NJW 2000, 1413 = DB 2000, 967 = WM 2000, 877 in Anlehnung an die Rspr. zu § 252 BGB; OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089 – Kfz-Vertragshändler; s. dazu Palandt/Heinrichs § 252 Rn 5; zust. Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 14. Ebenroth/Löwisch, 1. Aufl., § 89b Rn 165 meinte, sollte das Urteil dahin zu verstehen sein, dass es die Darlegungslast des Anspruchstellers für die seinen Anspruch rechtfertigenden, in der Vergangenheit liegenden Tatsachen erleichtern und § 287 ZPO über die reine Prognose Anwendung finden solle, sei dem BGH nicht zuzustimmen (in der 2. Aufl., § 89b Rn 178 wohl nicht aufrechterhalten). 3014 BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 13 – Kfz-Vertragshändler; Urt. v. 6.12.2012 – VII ZR 84/10, NJW 2013, 525 Rn 23; v. 22.5.1984 – III ZR 18/83, BGHZ 91, 257; OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/ 11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089. 3015 OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089 Rn 7. 485

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und so verhindern, dass materiell berechtigte Ansprüche an prozessualen Anforderungen scheitern. Aber auch in allen anderen Fällen, in denen einer Beweiserhebung über die Schadenshöhe besondere Schwierigkeiten entgegenstehen oder der Beweis einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, kann § 287 ZPO herangezogen werden. Das Gericht darf in Kauf nehmen, dass seine richterliche Schätzung keine exakte Berechnung ist und deshalb mit der (mglw. nur fiktiv vorhandenen) wirklichen Höhe nicht übereinstimmen muss.3016 Doch soll die Schätzung möglichst nahe an sie heranführen. Das Gericht muss daher die schätzungsbegründenden Tatsachen feststellen und berücksichtigen. Erachtet es wesentliche Tatsachen nicht für festgestellt, so kann es sie außer Acht lassen. Aber auch dann, wenn sich ein Tatbestand nicht voll aufklären lässt, ist eine Schätzung vorzunehmen, wenn und soweit die festgestellten Umstände hierfür noch eine genügende Grundlage geben.3017 Steht der geltend gemachte Ausgleich dem Grunde nach fest und bedarf es lediglich der Ausfüllung der Höhe, darf von seiner Zubilligung grds. nicht schon deshalb abgesehen werden, weil es an ausreichenden Anhaltspunkten für eine Schätzung des gesamten Unternehmervorteils (§ 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, ggf. analog) und des damit einhergehenden Verlusts (§ 89b Abs. 1 S 1 Nr. 2, ggf. analog) fehlt.3018 Anlass zu einer Schätzung besteht insbesondere, falls der Unternehmer seine Informationsrechte nach § 87c nicht erfüllt, etwa Abrechnungen verweigert.3019 Datenschutzrechtliche Gründe gegen die Weitergabe der von ihm zur Ausgleichsbegründung mitzuteilenden Daten an den Unternehmer bestehen nicht,3020 ebenso wenig existiert ein Verbot gerichtlicher Verwertung der Daten im Ausgleichsprozess. 481 Die Darlegungs- und Beweislastverteilung wird gewöhnlich wie folgt gesehen. „HV“ bedeutet „Beweislast beim HV“, „Unternehmer“ „Beweislast beim Unternehmer“: – Abwanderung des Kundenstammes: Unternehmer3021 (siehe „Vorteile des Unternehmers“ sowie „Provisionsverluste“). Denn es handelt sich um einen vom Unternehmer zu beweisenden, ausgleichsreduzierenden Umstand; zudem kann jedenfalls in HV-Verträgen meist nur der vertragsführende Unternehmer zur Abwanderung vortragen. Der HV muss aber, soweit zumutbar und ihm möglich, zu der bisherigen Abwanderung vortragen oder diese notfalls, ggf. aufgrund von Erfahrungswerten, schätzen.3022 Zudem besteht die Vermutung des Fortbestandes der vermittelten Geschäftsverbindungen und dass eine gleiche Zahl an Mehrfachkunden wie in der Vergangenheit auch in Zukunft abwandern werden.3023 In Eigenhändlerverträgen lässt sich zumindest eine Darlegungslast des Mittlers rechtfertigen, deren Verletzung dazu führt, dass von den vom Unternehmer vorgetragenen Zahlen auszugehen wäre. Auf den Abzug einer Abwanderungsquote kann verzichtet werden, wenn der Mittler beweist, dass der Umsatz mit Stammkunden über einen längeren Zeitraum (3–5 Jahre) einen gleich hohen Anteil am Gesamtumsatz erzielte.3024 Davon kann zumindest bei Schwankungen des Stammkundenanteils von unter 25 % ausgegangen werden.3025 Im Rahmen des tatPrütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO4 § 287 Rn 1 ff. BGH NJW 1964, 589 f. BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, unter Verweis auf BGH NJW 2000, 1413 ff. OLG Düsseldorf OLGR 1993, 197; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 228. So aber Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 8. BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668 (2670); OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/ 06, BeckRS 2010, 04763; aA Ströbl BB 2013, 1027 (1030) und mglw. BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/ 09, DB 2011, 173 Rn 16 f.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 319. 3022 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16 f. 3023 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 206. 3024 BGH, Urt. v. 26.2.1997, BB 1997, 852 (853) – Renault; hierzu Intveen BB 1999, 1881 (1885); Creutzig DAR 1999, 16; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 918 f. 3025 Annähernd gleicher Mehrfachkundenumsatz befürwortet: OLG München NJOZ 2002, 1419: Umsatzschwankung von ca. 15 % bei einmaligem Umsatzrückgang von 27 %; im Folgejahr voll ausgeglichen, Mehrfachkundenquoten von 28, 34, 37, 45 und 43 %; ebenso OLG Köln, Urt. v. 23.1.2009 – 19 U 63/08: Umsatzschwankungen 47, 48, 55, 43 und 37 %.

3016 3017 3018 3019 3020 3021

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richterlichen Schätzungsermessens (§ 287 Abs. 2 ZPO3026) darf eine Abwanderungsquote von 20 % pro Jahr geschätzt werden, wenn ausreichende Anhaltspunkte für die tatsächlichen Kundenbewegungen während der Vertragszeit nicht vorliegen.3027 Sofern ein Gericht die Provisionsverluste unter Berücksichtigung einer Abwanderungsquote konkret errechnet, muss es feststellen, welcher Anteil von Mehrfachkunden der Vergangenheit keine Nachbestellung mehr getätigt hat. Ein pauschaler Abzug mit festen Prozentsätzen, etwa 25 %, soll dann unzulässig sein.3028 Erst wenn sich daraus, z. B. wegen zur kurzer Vertragsdauer, keine ausreichenden Anhaltspunkte ergeben, soll es gerechtfertigt sein, sich auf Erfahrungswerte zurückzuziehen.3029 Zum Zwecke der Handhabbarkeit und der Schematisierung von Ausgleichsstreitigkeiten sollte möglichst häufig von der Schätzmöglichkeit Gebrauch gemacht werden. In der Praxis ist die Schätzung der Abwanderungsquote mit gegriffenen Schätzwerten der Regelfall. Abzinsung: Als ausgleichsreduzierender Umstand obliegt der Beweis dem Unternehmer. Analogievoraussetzungen bei HV-ähnlichen Mittlern: Vertriebsmittler.3030 Änderung der Bestimmungen des HV-Vertrages während des Prognosezeitraums: Unternehmer.3031 Änderung der Unternehmergewinne/Provisionsverluste während des Prognosezeitraums im Vergleich zur Zeit vor Vertragsende: derjenige, der sich auf eine Berücksichtigung der nach Vertragsende eingetretenen Entwicklung beruft, regelmäßig der Unternehmer.3032 Er muss beweisen, dass sie bereits bei Vertragsende abzusehen war,3033 weil in die Prognose einzubeziehende Umstände bei Vertragsende vorhersehbar gewesen sein müssen (Anlagerechtsprechung, Rn 198).3034 Anlagerechtsprechung: Derjenige, der sich darauf beruft, dass die Anlage zu einer Ausgleichserhöhung bei Vertragsende zu prognostizieren war, muss dies beweisen. Spiegelbildlich hat derjenige dies zu beweisen, der eine Anlage zur Reduzierung vorträgt.3035 Atypik des letzten Vertragsjahres als Basisjahr der Ausgleichsberechnung: Derjenige, der sich hierauf beruft, meist der Mittler.3036 Ausgleichserhaltende Kündigung des HV wegen Alters und Krankheit: HV,3037 auch gem. Art. 18 lit. b RL.3038 Der Unternehmer muss zwar die ausgleichsschädliche Eigenkündigung des HV darlegen und beweisen.3039 Dagegen stellt die Krankheit des HV eine Ausnahme von dieser Ausnahme und damit eine für den HV günstige Tatsache dar, deren Vorliegen er darlegen und beweisen muss. Solange ein Kläger nicht behauptet, generell erwerbsunfä-

3026 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16 f.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 209.

3027 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 17; Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 21 (Tankstellen-HV); v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 32 ff. = EWiR 2008, 721 (Emde); BGH BB 2007, 2475 Rn 50; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 206. 3028 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1506). 3029 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1506). 3030 BGH NJW 1996, 2298 (2300); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 1018; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 414. 3031 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37b. 3032 BGH, Urt. v. 6.2.1986 – I ZR 92/84, WM 1986, 622; NJW-RR 1991, 156 (157); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37b. 3033 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37b. 3034 BGH, Urt. v. 6.8.1997, NJW 1998, 71; ebenso OLG Düsseldorf OLGR 2000, 406, 410. 3035 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 319. 3036 OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler; Ströbl BB 2013, 1027 (1030). 3037 OLG Köln, Beschl. v. 1.3.2013 – 19 W 4/13, BeckRS 2013, 16612; Schröder DB 1976, 1269 (1271); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 56. 3038 Emde DStR 2009, 1478 (1485). 3039 OLG Hamburg, Hinweisbeschl. v. 25.2.2010 – 13 U 102/09 m. abl. Bespr. Döpfer EWiR 2010, 459. 487

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hig zu sein, und 4 Handelsvertretungen innehält, muss er angeblich vortragen, worin seine Tätigkeit besteht und weshalb sie nicht mehr ausgeübt werden kann.3040 Ausgleichshöchstgrenze, Unternehmer.3041 Nicht statthaft ist es, einfach die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 als Ausgleich zu fordern.3042 Sie bildet eine Begrenzung und nicht den Regelausgleich. Keine Partei darf sich aber auf bloßes Bestreiten beschränken. Es wird substantiierter Vortrag beider Parteien gefordert. Da jede Partei die verdienten Provisionen kennt, muss eine Partei nach substantiiertem Vortrag der anderen zur Ausgleichshöchstgrenze ebenso substantiiert erwidern (sekundäre Behauptungslast). Daran wird es häufig fehlen, so dass der substantiierte Vortrag einer Partei unstreitig werden kann. Das Gericht darf die Höchstgrenze ggf. schätzen und kann eine Klage nicht einfach wegen mangelnden Vortrags des Händlers zur Höchstgrenze abweisen. Eine abweichende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gilt im Vertragshändlerrecht. Hier hat der Händler substantiiert zur Ausgleichshöchstgrenze vorzutragen und sie ggf. zu beweisen.3043 Denn der Unternehmer kann deren Höhe nicht kennen. Die Klage soll unschlüssig sein, wenn eine Höchstwertberechnung fehlt.3044 Ausgleichsrelevante Provisionen während des Bemessungszeitraums (bei typischem Verlauf die letzten zwölf Monate vor Vertragsende): HV.3045 Eine Beweiserleichterung soll nicht eingreifen.3046 Ausschlussgründe nach Abs. 3: Grundsätzlich der Unternehmer,3047 es sei denn, Gegenteiliges wurde besonderes geregelt, wie in Abs. 3 Nr. 1; Art. 18 lit. b RL3048 (dazu oben „ausgleichserhaltende Kündigung“). Begründeter Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung durch den HV i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1: HV.3049 Der Unternehmer muss allerdings die ausgleichsschädliche Eigenkündigung des HV darlegen und beweisen.3050 Dagegen stellt das für die Eigenkündigung ursächliche Verhalten des Unternehmers eine Ausnahme von dieser Ausnahme und damit eine für den HV günstige Tatsachen dar, deren Vorliegen er darlegen und beweisen muss. Aus Art. 18 lit. b RL ergibt sich nichts Abweichendes.3051 Betriebsveräußerung: Hat der Unternehmer seinen Betrieb stillgelegt, veräußert oder verpachtet, ist es seine Sache, darzutun, aus welchen (betriebsbedingten) Gründen das geschehen ist. Der HV wäre damit überfordert. Ggf. muss er vortragen, dass er für die Stilllegung

3040 OLG Hamburg, Hinweisbeschl. v. 25.2.2010 – 13 U 102/09 m. abl. Bespr. Döpfer EWiR 2010, 459; Döpfer wohl zustimmend BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 22.5.2012 – 2 BvR 1352/10, das aber keine spezifisch verfassungsrechtlichen Probleme sah und daher die gegen den Beschl. des OLG Hamburg gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annahm. 3041 OLG Frankfurt/M. HVR Nr. 954; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 321; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 51; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 147; aA (Beweislast beim HV) Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 231: Der HV wird jedoch keinen Anlass haben, einen ausgleichsmindernden Umstand auch nur darzulegen. 3042 BGH, Urt. v. 11.12.1996, NJW 1997, 655; OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.12.1996 – 1 U 343/96, BB 1997, 1603 m. Anm. Küstner/Thume/Thume II9 Kap.V III Rn 13; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 115 ff.; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 1772. 3043 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz. 3044 LG Frankfurt/M., Urt. v. 6.2.2008 – 3-09 O 5/07 – Kfz. 3045 BGH NJW 1971, 463; Westphal I Rn 1344; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 79 Rn 35 f.; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33. 3046 BGH NJW 1971, 462; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33. 3047 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 322. 3048 Emde DStR 2009, 1478 (1485). 3049 OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 322; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 55, 231; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 26. 3050 OLG Hamburg, Hinweisbeschl. v. 25.2.2010; Beschl. v. 19.3.2010 – beide 13 U 102/09 m. abl. Bespr. Döpfer EWiR 2010, 459. 3051 Emde DStR 2009, 1478 (1485). Emde

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keine Stilllegungsprämie erhalten hat, und im Falle der Betriebsveräußerung oder Betriebsverpachtung, welche Gegenleistung bzw. Pachterlöse ihm hierfür zugeflossen sind oder noch zufließen. Billigkeit: Die Erfüllung der bis 2009 vorgeschriebenen TB-Merkmale 1–4, nämlich der in § 89b Abs. 1 Nr. 1 und 2 a. F. genannten Merkmale – zu denen bislang auch die Provisionsverluste des § 89b Abs. 1 Nr. 2 a. F. zählten – indizierte die Billigkeit: Der nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 berechnete Ausgleich trug die Vermutung seiner Billigkeit in sich.3052 Diese Vermutung wird nun bereits an die Erfüllung der TB-Elemente 1–3 geknüpft, in die Gesetzessprache übersetzt: an die Erfüllung des TB des § 89b Abs. 1 Nr. 1.3053 Die Billigkeit ist bei Vorliegen des TB des Abs. 1 S. 1 Nr. 1 indiziert.3054 Deshalb gewinnen die dort niedergelegten TB-Merkmale der Herstellung einer Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, welche der HV geworben hat, sowie der Unternehmervorteile3055 eine stärkere Stellung. Sie wird nicht mehr durch ein weiteres TB-Merkmal, die Provisionsverluste, verwässert. Demjenigen, der eine Erhöhung oder Reduzierung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit behauptet, obliegt folglich die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeitserwägungen (Regel-Ausnahmeverhältnis).3056 Billigkeitsmomente, die den Ausgleich herabzusetzen geeignet sind, hat der Unternehmer darzutun,3057 wogegen dem HV der Beweis von Billigkeitsumständen obliegt, welche den Ausgleich im Billigkeitswege erhöht oder mittels „Saldierung“ die absenkende Wirkung der vom Unternehmer vorgebrachten Momente abzufangen vermögen. Deshalb wird der Unternehmer auch eine Reduzierung des Ausgleichs unter dem Billigkeitsmerkmal der entgehenden Provisionen beweisen müssen (s. u.). Geschäftsverbindung: Grundsätzlich ist der HV für ihr Bestehen beweispflichtig: Zumindest bei 2 Geschäften im Basisjahr liegt eine Geschäftsverbindung vor;3058 ebenso bei einem Zweitgeschäft im Basisjahr und einem weiteren Geschäfts innerhalb eines angemessenen Zeitraums binnen des üblichen Nachkaufintervalls.3059 Bei der Vermittlung von Dauerschuldverhältnissen ergibt sich die Existenz einer Geschäftsverbindung aus der Natur des vermittelten Geschäfts. Erweiterung von Altkundenbeziehungen: HV.3060 Solange der Unternehmer die Zahlen des HV nicht bestreitet, dürfte der HV seiner Darlegungslast nachkommen, indem er – nicht anders als bei den Neukundenumsätzen – ohne Aufgliederung nach einzelnen Kunden pauschal die erzielten Provisionen mit allen erweiterten Altkunden vorträgt. Jedenfalls bei Be-

3052 BGH, Urt. v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, NJW 1990, 2891; v. 26.11.1976 – I ZR 154/74, NJW 1977, 671 = DB 1977, 721; v. 23.2.1967 – VII ZR 269/64; Schneider MDR 1970, 976; Saenger BB 2000, 129 (132); Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 59; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 46; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 236; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 44; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 17. 3053 Emde DStR 2009, 1478 (1483). 3054 BGH, Urt. v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, NJW 1990, 2889 (2891); v. 23.2.1967 – VII ZR 269/64; v. 26.11.1976 – I ZR 154/74, NJW 1977, 671 = DB 1977, 720 (721); Emde DStR 2009, 1478 (1483); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 46; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 312, 320; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 236; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 44. 3055 Emde DStR 2009, 1478 (1483). 3056 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 31; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 312; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 236; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 44. 3057 BGHZ 45, 385 (387); 73, 99 (105); BGH ZIP 1990, 1197; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 320; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 236; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 20b. 3058 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 23 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 26.2.1997, NJW 1997, 1503 = ZIP 1997, 841 (844), unter C II 1b, insoweit nicht in BGHZ 135, 14 abgedruckt. 3059 BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 93. 3060 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16 Rn 29, ZVertriebsR 2017, 230 = BB 2017, 1299 m. Anm. Thume; Ströbl BB 2013, 1027 (1028); Westphal I Rn 1344; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 232; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 177. 489

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streiten dieser Zahlen durch den Unternehmer, muss die Erweiterung unter konkreten Angaben zu ihrem Umfang bei jedem einzelnen Kunden vorgetragen (und notfalls bewiesen) werden.3061 Trägt der HV eine Erweiterung unter Nennung der Umsatzzahlen vor, obliegt es der sekundären Darlegungslast des Unternehmers, die „Altumsätze“ vorzutragen, soweit ihm dies zumutbar ist. Ob die Darlegung der Steigerung als solche ausreicht oder der HV auch darlegen sowie beweisen muss, dass die Steigerung aufgrund der von ihm geschuldeten Tätigkeit erfolgte, ist nicht ausdiskutiert. Es spricht einiges für eine vom Unternehmer zu entkräftende Vermutung, dass eine bewiesene Steigerung auf vertragsgemäßer Tätigkeit des HV beruhte.3062 Der Unternehmer muss also im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast andere Ursachen substantiiert darlegen.3063 Denn nur der Unternehmer kann hierzu vortragen. Der Vortrag des Unternehmers, die Steigerung sei durch „Aktionen für Promotion“ erfolgt, soll ungenügend sein.3064 Für eine Darlegung der Steigerung genügt es nicht, wenn der HV lediglich eine Steigerung der Umsätze im Vertragsgebiet insgesamt behauptet, weil damit nichts über die Steigerung bei den ausgleichspflichtigen Kunden (Stammkunden, geworbene Kunden) ausgesagt wird. Jedenfalls bei Bestreiten des Unternehmers zählt zu einer substantiierten Darlegung die Behauptung einer Steigerung innerhalb der einzelnen Geschäftsverbindung. Spiegelbildlich darf der Unternehmer die Ausgleichsverpflichtung jedoch nicht einfach bestreiten, indem er vorträgt, die Gesamt-Umsätze seien gesunken, sofern bei einzelnen Kunden die Geschäftsverbindung nach den vorgenannten Maßstäben erweitert wurde. In der Kautalarpraxis hat sich eingebürgert, die vor Vertragsbeginn bestehenden Umsätze mit übergebenen Altkunden in einer Vertragsanlage festzuhalten, damit Streitigkeiten über die Ausgleichsberechtigung bei Erweiterung vermieden werden.3065 Richtigerweise sollte dabei dargestellt werden, mit welchen Produkten diese Umsätze erzielt werden, um einen Streit über die – ausgleichspflichtige – Neuwerbung auf andere, mit den bisher vertriebenen Produkten nicht im Zusammenhang stehende Produkte auszuschließen. Sofern der HV einen Altkunden für ein bisher nicht bezogenes eigenständiges Produkt wirbt, liegt eine ausgleichspflichtige Neukundenwerbung vor. Freiwilligkeit von Leistungen: Es besteht zugunsten des HV die Vermutung, der Unternehmer habe erbrachte Leistungen in Ausführung einer vertraglichen Verpflichtung erbracht und jene seien daher ausgleichsrelevant.3066 Sonst wäre eine Auslagerung von Vergütungsbestandteilen in „freiwillige“ Leistungen die Folge. Geltendmachungsfrist des § 89b Abs. 4 S. 2, Einhaltung: HV.3067 HV-untypische Vergütungsbestandteile im Vertragshändlervertrag: Hier gilt das zum werbendem Anteil Gesagte im Grundsatz entsprechend. Die Unternehmer bestreiten häufig den vom Mittler bezifferten Anteil. Da der Unternehmer – insb. im Kfz-Vertragshändlerrecht – jedoch die Definitionshoheit besitzt, ist er für die Höhe des Vergütungsanteils HVuntypischer Vergütungsbestandteile beweispflichtig.3068 Der den Rabattsatz vorgebende

3061 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 232. 3062 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 89. 3063 BGH, Urt. v. 3.6.1971, BB 1971, 843 = NJW 1971, 1611; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 35; OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017, ZVertriebsR 2017, 230 = BB 2017, 1299 m. Anm. Thume: der Unternehmer soll Stichhaltiges dafür vortragen müssen, dass die Umsatzsteigerung nicht auf die Bemühungen des HV zurückzuführen ist; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 89; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene3 § 89b Rn 63. 3064 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 = BB 2017, 1299 m. Anm. Thume Rn 31. 3065 Thume BB 2017, 1300. 3066 Vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2353) Rn 32 – Volvo-Vertragshändler. 3067 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 231. 3068 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/ 06, BeckRS 2008, 12081 – Kfz; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 1023. Man könnte auch die Gegenansicht vertreten, mit der Begründung, der Vertriebsmittler müsse seinen Anspruch beweisen und damit die Analogie zum HV-Recht. Emde

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Unternehmer trägt zudem die Darlegungs- und Beweislast für den auf verwaltende Maßnahmen entfallenden, nicht ausgleichsfähigen Rabattanteil.3069 Das dürfte abweichend zu dem für verwaltende Tätigkeiten Vertretenen auch gelten, wenn HV-untypische Tätigkeiten besonders vergütet werden und erst recht – wie bei verwaltenden Vergütungsbestandteilen – sofern eine Einheitsvergütung gewährt wird. Die Beweislast obliegt ferner dem Unternehmer, falls der maßgebende Rabatt im Rahmenvertrag nicht geregelt wird, sondern sich der Höhe nach aus der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis der Einzelgeschäfte ergibt. Wären die Anteile im Rahmenvertrag ausgewiesen, unterläge dies einer AGB-Kontrolle. Dem können Unternehmer nicht entgehen, indem sie auf eine Separierung verzichten. Falls der Unternehmer konkret zu den maßgeblichen Kosten im Betrieb des Vertriebsmittlers vorträgt, ist es Sache des Mittlers, sich ebenso konkret zum Vortrag zu erklären und ihm entgegenzutreten, soweit die vom Unternehmer plausibel dargelegte Kostenverteilung nicht zutrifft.3070 Dies setzt voraus, dass es sich bei dem Vortrag des Unternehmers nicht um pauschalen Vortrag ins Blaue hinein handelt. Verfügt der Hersteller nicht über detaillierte Kenntnisse der Kostenstruktur im Betrieb des Händlers, kann er seiner Darlegungslast durch Angabe von Erfahrungswerten aus seiner Händlerorganisation genügen.3071 Ein Abzug für „indirekte“ Betriebskosten ist allerdings nicht hinreichend substantiiert.3072 Kundennamen: HV.3073 Kündigung des HV-Vertrages: HV.3074 Mehrfachkundeneigenschaft – Folgegeschäfte: HV.3075 Sofern der Unternehmer nicht bestreitet, genügt der HV und auch ein Kommissionsagent3076 seiner Darlegungslast, indem er lediglich die Gesamtumsätze aller ausgleichspflichtigen Mehrfachkunden ohne Separierung nach einzelnen Kunden darlegt,3077 bzw. welcher Anteil seiner Provisionen des Basisjahres auf Mehrfachkunden entfällt3078 und hierfür und unter Sachverständigenbeweis3079 stellt. Das gilt jedenfalls im HV-Bereich, in dem dem Unternehmer die Geschäfte ebenso wie dem HV bekannt sind. Kundenlisten brauchen jedenfalls dann nicht vorgelegt werden, wenn sie dem Unternehmer bekannt sind.3080 Zu fordern, schon bei Klagerhebung ein Folgegeschäft für jeden einzelnen Kunden vorzutragen,3081 geht zu weit und entspricht nicht der forensischen Praxis. War und ist es dem HV ohne Verschulden unmöglich, die Stammkundeneigenschaft nachzuweisen, weil allein der Unternehmer die maßgeblichen Informationen besitzt, so wendet sich die Beweislast. Dies hat etwa das OLG Düsseldorf3082 angenommen, sofern der HV in wechselnden Bezirken eingesetzt war und deshalb nicht wissen konnte, ob die von ihm geworbenen Kunden nach seiner Umsetzung weitere Bestellungen aufga-

3069 3070 3071 3072 3073 3074 3075

BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1506). OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 O 53/06, BeckRS 2008, 12081. BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1506). BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1506). Westphal I Rn 1344. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 32b. BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 55 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 62 – Kommissionsagent; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 44; Westphal I Rn 1344; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 231, 232; Hopt § 89b Rn 22. 3076 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126). 3077 BGH, Urt. v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, EBE 2000, 85 (86) = ZIP 2000, 540; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 232. 3078 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 10. 3079 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126). 3080 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035. 3081 Dafür Westphal I Rn 1344. Mit einem solchen Vortrag erfüllt der HV allerdings sicher seine Darlegungslast, so BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 11. 3082 Urt. v. 30.4.1993 – 16 U 30/92; zust. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 232. 491

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ben. Nicht nur bei langlebigen Wirtschaftsgütern3083 sondern bereits bei Gütern, die regelm. nicht mehr als einmal jährlich erworben werden, besteht bei mindestens einem Folgegeschäft der Vergangenheit eine Vermutung für den Abschluss weiterer Geschäfte im Prognosezeitraum und damit für die Mehrfachkundeneigenschaft. Der HV genügt seiner Darlegungslast, indem er vorträgt, sämtliche von ihm namentlich benannte Kunden seien Mehrfachkunden.3084 Die Angabe weiterer Details zu der Werbetätigkeit ist nicht erforderlich.3085 Auch ein Zweitkauf braucht nicht benannt zu werden.3086 Ein solcher während der Vertragsdauer ist nicht zwingende Voraussetzung der Qualifikation eines Kunden als Stammkunden.3087 Es ist dann Aufgabe des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die benannten Zeugen nach Einzelheiten zu befragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen.3088 Im Kfz-Vertragshändlerrecht genügt für eine substantiierte Darlegung der Mehrfachkundenkäufe jedenfalls wenn in einer Anlage sowohl dargestellt wird, wann der jeweilige Fahrzeugerwerb im letzten Vertragsjahr geschah und wann innerhalb des Prognosezeitraums ein Vorkauf stattgefunden hat und zudem in einem Anlagenkonvolut Kopien der Verkaufs- und Einkaufsrechnungen des letzten Vertragsjahres sowie Vorkaufsrechnungen zu den Mehrfachkunden vorgelegt wurden;3089 nach den vorstehenden Maßstäben dürften die Darlegungsvoraussetzungen damit übererfüllt sein. Einkaufs-/Verkaufsrechnungen und Gutschriften müssen nicht vorgelegt werden.3090 Die Einsichtnahme in derartige Rechnungen bzw. ihre Vorlage ist eine Frage der Beweiserhebung. Legt der Mittler Listen mit Kunden- und Verkaufsdaten sowie die jeweiligen Rechnungen vor, muss der Unternehmer sein Bestreiten der Mehrfachkundeneigenschaft auf bestimmt bezeichnete Käufer konkretisieren.3091 Neukundenwerbung – Herstellung geschäftlicher Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmer: HV.3092 Zu unterscheiden ist erstens die Neukundeneigenschaft und zweitens die Werbung des Neukunden durch den HV. Die Stellungnahmen in der Literatur beziehen sich überwiegend auf den zweiten Punkt. Richtigerweise braucht der HV nur die mitursächliche Tätigkeit bei einem Kundengeschäft vorzutragen. Diese Mitursächlichkeit ist, außer bei der Gewährung von Bezirksvertreterprovision (§ 87 Abs. 2), meist unstrittig. Denn

3083 Die Vermutung begrenzt BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 18; Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66 unter B I 1a; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 67 auf den Fall langlebiger Wirtschaftsgüter. 3084 BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 12 – Kfz-Vertragshändler; Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437. 3085 BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 19. 3086 BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 12 – Kfz-Vertragshändler; Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 18. 3087 BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 18. 3088 BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – VIII ZR 228/08, BeckRS 2010, 30437 Rn 19; Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, NJWRR 2007, 1483 Rn 23; Beschl. v. 12.6.2008 – V ZR 223/07 Rn 7; Beschl. v. 11.5.2010 – VIII ZR 212/07. 3089 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 73; s. auch LG Frankfurt/M., Urt. v. 6.2.2008 – 3-09 O 5/07: eine nach Jahren geordnete Aufstellung sämtlicher Neuwagenverkäufer und der Angaben (Datum, Fahrzeug-Ident-Nr., Kaufpreis etc) zu den Vorkäufen bei den betreffenden Mehrfachkunden. 3090 AA LG Frankfurt/M., Urt. v. 6.2.2008 – 3-09 O 5/07 – Kfz. 3091 BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1506). 3092 BGH, Urt. v. 11.10.1990 – I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156 (157); OLG München, Urt. v. 14.5.2014 – 7 U 2586/13, BeckRS 2014, 10205; v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 (332) = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045); Thume BB 2016, 578 (582) – HV-ähnliche Vertriebsmittler; Ströbl BB 2013, 1027 (1028); Christoph NJW 2010, 647 (649); Eberstein 8. Aufl. 1999, S. 125; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 21; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 231; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 62; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 177. Emde

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der Unternehmer hat Provision nach § 87 Abs. 1 geleistet, welche der Ausgleichsberechnung als „Provision des Basisjahres“ zugrunde liegt. Dass jene Provision unberechtigt gezahlt wurde, hätte wegen der Anerkenntniswirkung der Abrechnung nach § 87c Abs. 1 der Unternehmer zu beweisen. Ob der Kunde zuvor schon Geschäfte vergleichbarer Art mit dem Unternehmer führte, kann nur der Unternehmer wissen und hat er vorzutragen und zu beweisen.3093 Der Repräsentant braucht insb. nicht nachzuweisen, dass alle von ihm angeführten Kunden erstmals bei ihm und nicht bei konkurrierenden Mittlern kauften. Dies ist Aufgabe des Prinzipals, dem jener Nachweis weniger Probleme bereitet.3094 Trägt der Mittler vor, namentlich benannte Kunden seien von ihm geworben, ist der Gegenvortrag des Unternehmers nicht erheblich, „einige“ Kunden hätten auch bei anderen Mittlern gekauft. Die Werbung als solche darf wohl vermutet werden, falls der Auftrag über den Mittler an den Unternehmer weitergeleitet wurde. Ein das Produkt erstmalig bewerbender HV kann sich auf die – durch substanziierten Gegenvortrag des Unternehmers zu entkräftende3095 – Vermutung stützen, als „Mann der ersten Stunde“ sei der gesamte bei Vertragsende vorhandene Kundenstamm „neu geworben“.3096 Das soll auch gelten, sofern der Mittler jahrelang tätig war.3097 Löwisch relativiert diese Beweiserleichterung zu sehr, wenn er ausführt, der HV müsse dann die Kundenwerbung nachweisen, nicht hingegen die Neukundeneigenschaft.3098 Denn die Kundenwerbung ist noch schwerer zu belegen als die bloße Neukundeneigenschaft (letztere ergibt sich u. U. aus Abrechnung oder Buchauszug). Der Vortrag des HV muss nicht näher zur Art- und Weise der Werbung ausführen.3099 Das gilt auch, wenn sein Vortrag belegt, dass es Fälle gab, in welchen nicht er, sondern der Unternehmer, Kunden geworben hat.3100 Nach Ansicht von Eberstein3101 spricht für die Neukundenwerbung die Lebenserfahrung, nach Auffassung von Staub/Brüggemann 4. Aufl.3102 besteht die Vermutung, der gesamte Neukundenzuwachs sei der Werbetätigkeit des HV zu verdanken, sofern der Unternehmer mit ihr „zufrieden“ war – wobei die Zufriedenheit als innere Tatsache allerdings kaum einem Beweis zugänglich bleibt. Von einer derartigen Zufriedenheit müsste ein Gericht wohl mangels entgegenstehender substantiierter Bekundungen des Unternehmers während der Vertragslaufzeit ausgehen. Es gilt der Beweis des ersten Anscheins, dass die Kunden, die während der HV-Tätigkeit erstmalig Geschäftsbeziehungen zum Unter-

3093 BGH DB 2000, 967; Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668 unter 3a; NJW 1999, 714 unter II 2; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 65 – KfzVertragshändler; OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 29.11.2012 – 3 U 19/12, jedenfalls wenn der Unternehmer dem HV untersagt hatte, Unterlagen zum HV-Vertrag zu behalten. 3094 BGH DB 2000, 967. 3095 BGH NJW 2000, 1413 (1414); OLG Düsseldorf HVR Nr. 641; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 318. 3096 BGH, Urt. v. 26.10.2011 – VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 = DB 2012, 512 = WM 2012, 466 = EWiR 2012, 91 (Emde) = VersR 2012, 186 = ZVertriebsR 2012, 48 m. Anm. Semler sowie m. krit. Anm. Hilgard BB 2011, 3090; v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, EBE 2000, 85 (86) = ZIP 2000, 540; OLG München, Urt. v. 27.7.1994 – 7 U 7270/93, BeckRS 1994, 13986; OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.6.1986, HVR Nr. 641, Nr. 504; OLG Köln HVR Nr. 979; OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) (zu einem Franchisevertrag); Semler ZVertriebsR 2012, 48; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 318; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 77 Rn 31; Westphal I Rn 1346; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 232; Hopt § 89b Rn 22. 3097 OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.2.1977, HVR Nr. 504; krit. Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 1022. 3098 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 232. 3099 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 12; aA OLG Koblenz, Urt. v. 22.3.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045). 3100 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 12. 3101 Eberstein 8. Aufl. 1999, S. 125. 3102 Staub/Brüggemann4 § 89b Rn 118 m. w. N. 493

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nehmer aufnahmen, durch den HV geworben wurden.3103 Die Vermutung greift nicht ein, wenn der Erst-HV das später von ihm repräsentierte Unternehmen einschließlich Kundenstamm an den Unternehmer zu einem Kaufpreis veräußert hat, der einen Anteil für die Übertragung des Kundenstammes enthielt. In einem solchen Fall trifft ihn die volle Darlegungs- und Beweislast für die Akquise eines jeden von ihm nach Übertragung des Unternehmens als HV angeblich geworbenen Neukunden.3104 Im anonymen Massengeschäft kann die Akquisition von Kunden durch Vorlage nachvollziehbaren Zahlenmaterials/Statistiken ohne Nennung der Kundendaten bewiesen werden,3105 sofern sie sich anders nicht belegen lässt. Paradigma sind die Tankstellen-HV.3106 Umstritten ist, ob der HV die geworbenen Kunden schon bei Klagerhebung namentlich bezeichnen muss3107 oder – etwa im Vertragshändlerbereich – jedes Geschäft und einen Erstkauf durch Belege (etwa Rechnungen) nachweisen muss3108: Das dürfte nur bei Bestreiten des Unternehmers und angesichts der im HV-Vertrieb bestehenden Kenntnis des Unternehmers von den Kundennamen (die z. T. auch im Analogiebereich existiert) allenfalls im Vertragshändler- und Franchisegeschäft erforderlich sein. Der HV genügt also seiner Darlegungslast, wenn er die Summe der ausgleichsrelevanten Provisionen vorträgt oder behauptet, sämtliche Provisionen seien ausgleichsrelevant.3109 Bleibt der Vortrag des Mittlers unbestritten, die nicht nach Kunden separierten Vergütungen seien mit neugeworbenen Stammkunden oder erweiterten Altkunden erzielt, ist kein detaillierterer Vortrag notwendig.3110 Nach Bestreiten hat der HV zumindest eine Aufgliederung nach Kunden vorzunehmen, wobei sich die Substantiierungslast auch an der Informationsdichte der vom Unternehmer geleisteten Abrechnungen und Informationen orientieren dürfte.3111 Der Gegenbeweis des Unternehmers, die Geschäftsverbindungen wären auch ohne die Tätigkeit des HV entstanden, ist irrelevant.3112 Dass der Kunde bereits fest zur Bestellung entschlossen war, müsste der Unternehmer beweisen (sofern man nicht schon die Weitergabe der Bestellung als hinreichende Werbemaßnahme („Mitkausalität“) ansieht. Schuldhaftes Verhalten des HV nach § 89b Abs. 3 Nr. 2: Unternehmer.3113 Potentielle Mehrfachkunden: Mittler.3114 Preisnachlässe und Skonti: Die Vergütung des Vertragshändlers muss zur Ermittlung des nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 relevanten Provisionsverlustes um von ihm gewährte Preisnach-

3103 OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.7.2017 – 9 U 9/15, IHR 2018, 81 („Anscheinsbeweis“); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 62; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 77 Rn 31; Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1556); Semler ZVertriebsR 2012, 48. 3104 OLG Köln, Urt. v. 4.11.2002 – 19 U 77/02, NJW-RR 2003, 538 (539/540). 3105 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 35, 205; Hopt § 89b Rn 22. 3106 Zum österreichischen Recht beim Tankstellen-Shop, s. OGH v. 30.8.2006 – 7 Ob 122/06a, zit. nach Petsche/ Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 202. 3107 Dafür: BGH, Urt. v. 15.10.1964, BB 1964, 1399; OLG Celle, Urt. v. 29.3.1963, BB 1963, 711; LG Hamburg, Urt. v. 4.11.1955, HVR Nr. 190; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 25; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 317; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 1019; Westphal I Rn 1344; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 231; Hollmann BB 1985, 1023 (1032). 3108 Niebling WRP 2005, 717 (720) hält dies für den Vertragshändlerbereich wohl für erforderlich, jedoch – zu Recht – für außerordentlich lästig. 3109 Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 59; ablehnend Westphal I Rn 1345. 3110 Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 59. 3111 Wäre man anderer Ansicht, sollte man jedenfalls bei der Zubilligung der Auskunftsrechte des HV in Ausgleichstreitigkeiten großzügig sein. 3112 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 30. 3113 BGH, Urt. v. 16.2.2000 – VIII ZR 134/99, NJW 2000, 1866; OLG München NJW-RR 1995, 1186; BB 1997, 1553; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 250. 3114 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. Emde

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lässe und Skonti bereinigt werden.3115 In welchem Umfang seine Handelsspanne durch Preisnachlässe verringert worden ist, hat grundsätzlich der Vertragshändler darzulegen und zu beweisen.3116 Die ist angesichts der Beweislastverteilung nach Sphären richtig, dogmatisch jedoch inkonsequent, weil es sich um ein Abzugsposten handelt. Die pauschale Behauptung des Unternehmers, es gäbe verdeckte Preisnachlässe, ist aber unbeachtlich.3117 Prognosezeitraum: Mittler.3118 Er muss zur Dauer der Geschäftsverbindungen in der Vergangenheit konkret vortragen.3119 Anderenfalls wird deren Dauer gem. § 287 ZPO geschätzt. Provisionsverluste bzw. entgangene Provisionen: Nach bisher h. M. war der HV beweispflichtig.3120 Nach der Neufassung des § 89b sowie der jedenfalls für Warenvertreter geltenden Rspr des EuGH3121 bilden Provisionsverluste nun einen Unterfall der Billigkeit und kein notwendiges TB-Merkmal. Es gelten also die o. g. Beweisgrundsätze zur „Billigkeit“.3122 Dass das Billigkeitskriterium entgehender Provisionen eine Ausgleichsreduzierung rechtfertigt, wird daher der Unternehmer zu beweisen haben. Dass dies unter der Altfassung des § 89b anders gesehen wurde, beruhte auf der fehlerhaften Umsetzung der RL. Zweifel an der Existenz der Provisionsverluste gehen zu Lasten des Unternehmers. Eine Beweislastumkehr, jedenfalls aber die Grundsätze der sekundären Darlegungslast, können nur eingreifen, wenn der Unternehmer keine Kenntnis von den Provisions- oder Vergütungsverlusten besitzt, etwa beim Tankstellen-HV oder Eigenhändlern. Will sich der HV auf Provisionsverluste als billigkeitserhöhenden Umstand berufen, muss er sie darlegen und beweisen.3123 Insb. indiziert die Erfüllung der TB-Merkmale des Abs. 1 Nr. 1 die Billigkeit (s. o.). Es entspricht dem Regelfall, dass eine Vertragsbeendigung zu Provisionsverlusten führt. Auch deshalb streitet eine Vermutung (oder Schätzung3124) für Einbußen in Höhe der Provisionseinnahmen der letzten zwölf Monate vor Vertragsende.3125 Bei alternativen Berechnungsmethoden zu den Unternehmervorteilen knüpft sich die Vermutung der Billigkeit an diese, wenn sie den TB des Abs. 1 Nr. 1 ausfüllen. Die nötigen Anhaltspunkte für eine Analyse des Schwundes von Kunden durch Abwanderung sind vom Unternehmer beizubringen3126 (s. o., „Abwanderung des Kundenstammes“). Möglicherweise muss im Vertragshändler- und Franchiserecht der Mittler Anhaltspunkte zur Abwanderung vorbringen, soweit der Unterneh-

3115 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); Horn ZIP 1988, 137 (141, 146); Hollmann BB 1985, 1023 (1033); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972 (1978). 3116 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); Horn ZIP 1988, 137 (141, 146); Hollmann BB 1985, 1023 (1033); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972 (1978). 3117 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 7350/05, BeckRS 2009, 03035. 3118 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. 3119 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. 3120 BGH, Urt. v. 28.4.1988, NJW-RR 1988, 1061; Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, 8. Aufl. 1999, S. 125; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 234; Hopt § 89b Rn 30. 3121 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). 3122 Emde DStR 2009, 1478 (1485); Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 20 Rn 71; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 239. 3123 Emde DStR 2009, 1478 (1485). 3124 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 – Tankstellen-HV; Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09: BeckRS 2011, 03879 – Tankstellen-HV; Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2351) Rn 19 – Volvo; Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 20 – Volvo. 3125 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 14 – Kfz-Vertragshändler; v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 – Tankstellen-HV; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09: BeckRS 2011, 03879 – Tankstellen-HV; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 20; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 15 (Tankstellen-HV); OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; OLG Köln VersR 1986, 966; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Emde DStR 2009, 1478 (1485); Semler BB 2009, 2327 (2328). 3126 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 15; OLG Koblenz, Urt. v. 5.4.1957 – 2 U 351/56 –, zitiert bei Koch DB 1957, 423. 495

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mer auch diese nicht kennt. Denn die nachvertraglichen Verhältnisse, zu welchen der Unternehmer vortragen könnte, sind für die bei Vertragsende aufzustellende Prognose irrelevant. Stammkundenquote: Grds. HV, s. o. zur Mehrfachkundeneigenschaft. Der HV kann die Quote aber statistischen Untersuchungen, insb. solchen des Unternehmers, entnehmen.3127 Siehe dazu unten zum Tankstellenvertrieb. So darf die Stammkundenquote gem. § 287 Abs. 2 BGB auf der Basis eines vom Unternehmer erstellten Coachingbriefs mit 60 % geschätzt werden, in dem von einer „beeindruckend hohen Zahl“ von Stammkunden (54 % der Kunden besuchten die Märkte mehrmals im Monat, weitere 25 % einmal im Monat) berichtet wird.3128 Bei derartigem Material des Unternehmers kann erwartet werden, dass es auf einer zutreffenden Grundlage beruht.3129 Der Umstand, dass dieser Prozentsatz nicht notwendigerweise dem Anteil der Stammkunden am Umsatz entspricht und dass dies nicht ohne Weiteres auf den von dem jeweiligen Kommissionsagenten betriebenen Sonderpostenmarkt übertragen werden kann, kann bei der Schätzung durch einen Sicherheitsabschlag von 20 % berücksichtigt werden.3130 Übertragung von Beständen: Angeblich soll der VV beweisen müssen, welcher Teil der in die Ausgleichsberechnung eingeflossenen Beträge auf übertragenen Beständen beruht und welcher nicht.3131 Dafür spricht, dass es sich in der Sache um den Beweis der Neukundenwerbung handelt, dagegen, dass der Unternehmer viel eher in der Lage ist, die früheren Vertragsbeziehungen nachzuweisen. Jedenfalls wird sich der VV zum Beweis der Erweiterung auf statistische Aussagen durchschnittlicher Verläufe und Bestandsveränderungen stützen können. Unwirksamkeit einer ausgleichsbeschränkenden Abrede nach § 89b Abs. 4: Beweispflichtig ist derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit beruft. Meist wird dies der Mittler sein. Das gilt auch für die TB-Merkmale „Nachteiligkeit“ sowie „Abschluss vor Vertragsende“. Ursächlichkeit der Werbung des HV für eine Umsatzsteigerung der Altkunden: HV. Sie wird vermutet, falls der Unternehmer nicht andere Ursachen substantiiert darlegt,3132 wobei diese Beweiserleichterung vielleicht nicht für Bezirksvertreter mit Direktgeschäften des Unternehmers gelten dürfte. Verdeckte Nachlässe: Behauptet der Unternehmer ausgleichsreduzierende verdeckte Nachlässe, etwa bei der Inzahlungnahme von Gebrauchtwagen, muss sie der Unternehmer beweisen.3133 Verjährung: Verjährungseintritt: Unternehmer. Der HV hätte eine rechtserhebliche Unterbrechung der Verjährung zu beweisen.

3127 BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 (980) = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107 (Tankstellenvertreter); OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 34 – Kommissionsagent; Genzow IHR 2014, 133 (135). 3128 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 53 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 34 – Kommissionsagent. 3129 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 56 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 62. 3130 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 56 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 62 – Kommissionsagent. 3131 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125); Thume VersR 2009, 436; aA wohl Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 (217); OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 29.11.2012 – 3 U 19/12, falls der Versicherer dem VV die Mitnahme von Unterlagen untersagte. 3132 Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1556); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 89. 3133 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035; offen gelassen von BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 41 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. Emde

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Verkaufsfördernder, also werbender, Charakter von Boni und Gratifikationen: Der Unternehmer besitzt die Definitionshoheit und muss den nicht werbenden Charakter beweisen.3134 Im Zweifel besitzen Boni werbenden Charakter. Es gilt das zur Abgrenzung zwischen werbenden und verwaltenden Provisionsbestandteilen Ausgeführte entsprechend. Die dort angesprochene Beweisfrage setzt sich hier unter anderem Titel fort. Vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes: Der HV-ähnliche Mittler muss die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes darlegen und beweisen.3135 Bei der Nichtübermittlung der Kundendaten trotz dieser Verpflichtung handelt es sich um ein Gegenrecht (ZBR, Billigkeitseinwand), für das grds. der Unternehmer beweispflichtig ist. Der Mittler muss zwar nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zur Art und Weise der Übermittlung hinreichend präzise vortragen. Nach substantiiertem Vortrag des Mittlers obliegt aber dem Unternehmer der Beweis der fehlenden Übermittlung. Gegenteiliges ließe sich nur annehmen, wenn man den Mittler auch für die Erfüllung (§§ 362, 363 BGB) beweispflichtig halten wollte. Bei der Frage, ob eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes vorliegt, ist auch das Formulierungsrisiko des den Vertrag meist entwerfenden Unternehmers zu berücksichtigen, insb. § 242 BGB sowie die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Verbleiben Zweifel über die Existenz einer vertraglichen Verpflichtung, ist die Wechselwirkung zwischen allgemeiner Beweislast des Klägers und diesem Formulierungsrisiko abzuwägen. Vertragswidriges und unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgleichsmindernd zu berücksichtigendes bzw. zur ausgleichsvernichtenden außerordentlichen Kündigung des Unternehmers berechtigendes Verhalten des HV während des Prognosezeitraums: Unternehmer.3136 Verwirkung: Der Unternehmer hätte die Voraussetzungen einer Verwirkung aus sonstigem Grunde zu beweisen. Vorauserfüllung: Unternehmer.3137 Voraussichtliche Beendigung des HV-Vertrages während des Prognosezeitraumes: Unternehmer3138: Es handelt sich um einen Fall alternativer Kausalität. An den Beweis des Unternehmers sind höchste Anforderungen zu stellen. Vorteile des Unternehmers/Fortbestehen der vermittelten Geschäftsbeziehung nach Vertragsende: Grundsätzlich liegt die Beweislast beim HV.3139 Der HV kann die genauen Unternehmervorteile jedoch nicht kennen.3140 Es wird daher genügen, wenn er schlüssig Anknüpfungstatsachen3141 für solche Vorteile vorträgt; ihre Existenz ist eine Frage des Be-

3134 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081 – Kfz. 3135 AA Canaris § 17 Rn 26, der die Überlassungspflicht im Falle HV-ähnlicher Einbindung des Mittlers wegen des geschäftsbesorgenden Charakters als indiziert ansieht; die Überlassungspflicht ergebe sich dann aus §§ 675, 666 BGB. Der Unternehmer habe den Gegenbeweis zu führen. 3136 Nach Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37 unwiderlegbare Vermutung. 3137 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde); NJW 1972, 477 (478 f.) = BGHZ 58, 60; Korte BB 2016, 2129; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 323. 3138 Hopt § 89b Rn 22; nach Ansicht von Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37 wird der Fortbestand des HV-Vertrages während des Prognosezeitraums unwiderlegbar vermutet. 3139 BGH NJW 1971, 462; NJW-RR 1988, 1061; WM 2003, 499; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Thume BB 2016, 578 (582) – HV-ähnliche Vertriebsmittler; Thume VersR 2012, 665 (669); ders. BB 2009, 2490 (2493); Christoph NJW 2010, 647 (650); Eberstein 8. Aufl. 1999, S. 125; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 31; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 312; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 231; Hopt § 89b Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 20b; aA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 127 (Beweislast beim Unternehmer). 3140 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 313. 3141 Wohl noch großzügiger Thume IHR 2011, 7 (14); Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1556): „Anhaltspunkte“; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 32; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 313. 497

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weises. Zu dem Vortrag des HV besteht eine eingehende sekundäre Darlegungslast des rglm. besser informierten Unternehmers,3142 die umso höher liegt, je weiter der HV von den Vorteilen entfernt ist.3143 Die sekundäre Darlegungslast wendet jedoch nicht die Beweislast zum Nachteil des Unternehmers.3144 Der HV kann sich zudem auf Vermutungen und Beweiserleichterungen stützen. Sogar ein Anscheinsbeweis ist theoretisch denkbar.3145 Zunächst muss der HV substantiiert darlegen, dass und welche neuen Geschäftsverbindungen (oder nachhaltige Intensivierung der Geschäftsbeziehung zu einem Altkunden) er durch seine Werbetätigkeit geschaffen hat; dadurch genügt er seiner Darlegungslast. So besteht die Vermutung, dass die einmal begründete Geschäftsverbindung mit dem Kunden auch über die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Bestand haben werde.3146 Der Unternehmer hat die gegen ihn sprechende Vermutung der Fortdauer der Vorteile aus dem übernommenen Kundenstamm zu widerlegen. Der HV braucht folglich nicht nachzuweisen, dass die von ihm benannten Geschäftsverbindungen Bestand haben werden und ausgleichspflichtige Vorteile für den Unternehmer entstehen lassen.3147 Der Unternehmer muss detailliert darlegen, welche Kunden weshalb aus der Sicht bei Vertragsende voraussichtlich nicht mehr beliefert werden.3148 Zu denken ist etwa an eine Einstellung des Geschäftsbetriebs des Kunden oder des Unternehmers,3149 Abwerbung3150 etc. Da der Gewinn und die Umsätze des Unternehmers wegen der im Umsatz enthaltenen Kosten und der Unmaßgeblichkeit des Gewinns für die Vorteile (auch bei fehlendem Gewinn oder sogar Verlust kann eine Reduzierung der Verluste durch die Tätigkeit des HV eintreten),3151 wird ferner gem. § 287 ZPO3152 im Wege der Schätzung3153 angenommen, die Unternehmervorteile valutierten mangels greifbarer, entgegenstehender Anhaltspunkte3154 zumindest in Höhe der im Basisjahr entgangenen werbenden Provisionen (bis 2009: Provisionsver3142 Semler ZVertriebsR 2013, 53 (54); Thume VersR 2012, 665 (669); ders. IHR 2011, 7 (14); Balke/de Groot NJOZ 2010, 1551 (1556); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 32 f.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 127, 313. 3143 Genzow IHR 2014, 133 (135); Thume IHR 2011, 7 (14); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 33; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 315. 3144 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 33; aA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 127 (anders aber wohl Rn 314). 3145 Thume IHR 2011, 7 (14); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 34. 3146 BGH, Urt. v. 11.10.1990, NJW-RR 1991, 156; v. 25.10.1984, NJW 1985, 859; v. 20.11.1969, MDR 1970, 581 – die dort und von MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 83 für langlebige Verbrauchsgüter gemachte Einschränkung verkennt, dass die Aussicht auf Nachbestellungen bereits bei der Frage der Stammkundeneigenschaft geprüft sein muss; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); BB 1973, 212; OLG Koblenz HVR Nr. 123; LG Hamburg MDR 1955, 44; Eberstein 8. Aufl. 1999, S. 125; Küstner/Thume/ Thume II9 Kap. XVII Rn 23; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 198, 316; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 43; Westphal I Rn 1347; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37b, 100, 231; Glanegger/ Ruß § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 47; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 177. 3147 Küstner/Thume/Thume II9 Kap XVII Rn 23. 3148 Koch DB 1957, 423; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 2. 3149 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 100. 3150 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 100. 3151 Westphal DB 2010, 1333 (1335). 3152 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 17 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; Koch ZIP 2011, 1752 (1754); Semler BB 2009, 2327 (2328); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 126. 3153 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2351) Rn 19 – Volvo; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 20 – Volvo; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 17 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 15 (Tankstellen-HV). 3154 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 17 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; NJW 1998, 73; Hopt § 89b Rn 30. Emde

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luste) des HV3155 bzw. der Provisionen des Basisjahres mit neugeworbenen bzw. erweiterten Mehrfachkunden,3156 präziser, dass die Provision während des Prognosezeitraums, fortgeschrieben um den Saldo der Zu- und Abwanderungsquote, gleich bleibt.3157 Man könnte auch von der Unternehmerseite besehen formulieren: Die Höhe des Leistungsversprechens des Unternehmers indiziert seine Vorteile, womit es auf den Begriff der Provisionsverluste nicht mehr ankommt. Die Vermutung geht also dahin, dass der HV die Vergütung in den Folgejahren so hätte erzielen können wie im Basisjahr.3158 Und genau jene Vergütung erspart der Unternehmer in Folge des Vertragsendes (= Mindestvorteil). Das gilt auch im Vertragshändler-3159 und Kommissionsagentenrecht.3160 Bei dieser Vermutung kann es auch nach der Novellierung des § 89b bleiben.3161 Der Rechenweg widerspricht auch nicht der RL.3162 Sie erlaubt die Schätzung eines „angemessenen“ Ausgleichs3163 und erleichtert die Ausgleichsberechnung. Denn der Unternehmer darf die Angaben des HV zu den der Ausgleichsberechnung zugrunde liegenden Provisionen nicht pauschal bestreiten, insb. nicht

3155 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 12; v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, NJW 1990, 2889 (2891); BB 1959, 864; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; OLG Köln VersR 1968, 966; OLG Frankfurt/M. HVR Nr. 954; OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.2.1977, HVR Nr. 504; LG Berlin, Urt. v. 11.8.1998 – 102 O 72/98; Eckhoff BB 2009, 1609 (1610); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 878; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 70; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 90. 3156 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 – Tankstellen-HV; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 – Tankstellen-HV; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 12; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Emde DStR 2009, 1478 (1485); Semler BB 2009, 2327 (2328); Thume BB 2009, 2490 (2492); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 108. 3157 Vgl. BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95 Rn 22 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 3158 Die Vermutung knüpft daher nicht an die nachvertraglich entgehenden Provisionen (früher: Provisionsverluste) an (unzutreffend Pauly MDR 2013, 694 [696]), vielmehr an die Provisionen des letzten Vertragsjahres. 3159 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 17 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 3160 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 50 m. Anm. Wauschkuhn. 3161 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 – Tankstellen-HV; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09: BeckRS 2011, 03879 Rn 11 – Tankstellen-HV; v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2351) Rn 19 – Volvo; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 20 – Volvo; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 12 f. (Tankstellen-HV); v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 17 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 14 (Tankstellen-HV); v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 15 (Tankstellen-HV); OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume, Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188 – Vertragshändler; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (237) – Tankstelle; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler; v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82) – Vertragshändler; Wauschkuhn ZVertriebsR 2014, 1 (2); Pauly MDR 2013, 694 (695/696); Koch ZIP 2011, 1752 (1754); Korte DB 2011, 2761 (2762); Thume BB 2009, 2490 (2492); Christoph NJW 2010, 647 (649); Westphal DB 2010, 1333 (1336) – der darauf hinweist, dass diese Vermutung für den HV nicht nachteilig sei; Emde DStR 2009, 1478 (1485); ders. WRP 2010, 844 (848); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 26; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 126, 201; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 60; aA Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368) für den Bauspar-HV. Zweifelnd auch Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356), der die Frage stellt, ob die richterrechtlichen Grundsätze der bisherigen Ausgleichsberechnung noch verfassungsgemäß seien, nachdem das BVerfG gegen ausufernde freie Rechtsschöpfung der Gerichte vorgehe. Das Fortbestehen der klassischen Berechnungsweise führe dazu, dass trotz der Novelle 2009 der Ausgleich weiterhin anhand der Provisionsverluste und nicht der Unternehmervorteile bestimmt werde. 3162 OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188. 3163 Korte DB 2011, 2761 (2763). 499

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durch Nichtwissen.3164 Zumindest trifft ihn auch insoweit eine sekundäre Darlegungslast.3165 Nicht jeder Unternehmervorteil ist ausgleichspflichtig. Vielmehr müssen die Vorteile zwischen HV und Unternehmer verteilt werden, wofür die Provisionsabrede jedenfalls bei gleicher Verhandlungsstärke einen guten Anhalt geben kann. Zudem wird der Unternehmer durch die Vertragsbeendigung von der Pflicht zur Provisionszahlung befreit, was ihm den Vorteil der freien Verwertung dieses Gewinns gibt,3166 bzw. erhält bei Eigenhändlern die Möglichkeit, die Handelsspanne zum eigenen Vorteil einzusetzen, entweder durch Eigenvertrieb oder mittels anderer Eigenhändler. Die an den HV-Nachfolger gezahlten Vergütungen mindern den Vorteil nicht, da sie auf der Entscheidung des Unternehmers zur Verwertung der ihm zugefallenen Vorteile beruhen und im Rahmen der Prognose, welche Vergütungen bei Fortführung des Vertrages zu leisten wären, unberücksichtigt bleiben.3167 Zumindest kennzeichnet diese Vermutung den rglm. bestehenden Ausgleich, aber wohl keinen Mindestausgleich,3168 da der Unternehmer einen geringeren Ausgleich nachweisen darf (dazu unten). Ausgleichserhöhend können darüber hinausgehende Unternehmervorteile wirken, die der Mittler zu beweisen hätte.3169 Es wird folglich ausreichen, wenn der HV, wie bisher üblich, die Prognose über die zu erwartenden Vergütungsverluste erstellt und darauf hinweist, dass dem Unternehmer zumindest in gleicher Höhe Vorteile entstehen werden.3170 Dann ist es Sache des Unternehmers, jene Argumentation zu widerlegen und geringere Unternehmervorteile nachzuweisen,3171 etwa die Unangemessenheit der seinerzeitigen Provisionsabrede im Lichte neuerer Umstände,3172 angeblich auch die „Bewerberlage“ für Nachfolgevermittler.3173 Angesichts der Anlagerechtsprechung (Rn 198) könnte der Unternehmer theoretisch der auf der Basis der Provisionen des Basisjahres vorgenommenen Berechnungsweise den Beweisantritt entgegenhalten, es sei bei Vertragsende (Prognosedatum) zu prognostizieren gewesen, dass die Unternehmervorteile tatsächlich niedriger lagen. Eines Beweisantrittes der Parteien zu den der Schätzung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen bedarf es nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht unbedingt. Das Gericht darf nach dieser Vorschrift auch ohne einen solchen Beweisantritt Beweis erheben. Andererseits darf der Grundsatz der Parteidisposition nicht völlig missachtet werden: Die der Schätzung zugrunde liegende Tatsachen müssen von der darlegungsbelasteten Partei zumindest vorgetragen werden. Sonst fehlt es an den Grundlagen für einen Beweisantritt. 3164 3165 3166 3167

Semler ZVertriebsR 2013, 53 (54). Semler ZVertriebsR 2013, 53 (54). Kritisch gegenüber diesem Begründungsansatz Korte DB 2011, 2761 (2763). BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 19 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) Rn 24; Urt. v. 12.9.2007 – VII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 48; BGHZ, 42, 244 (248); Emde WRP 2010, 844 (848). 3168 AA Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 47. 3169 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 – Tankstellen-HV; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 Rn 11 – Tankstellen-HV; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler; Pauly MDR 2013, 694 (696) „nur Beweis plausibler Anhaltspunkte“; Emde WRP 2010, 844 (848); Westphal DB 2010, 1333 (1336). Dies erkennt auch die Begründung zur Novelle 2009 an. Zu Unrecht zweifelnd Christoph NJW 2010, 647 (649). Ob dadurch nachträglich das Vergütungssystem des Unternehmers verändert wird (so Christoph a. a. O.), ist angesichts der Derogationsfestigkeit des Ausgleichs irrelevant. Ausgleich und Vergütung stehen ohnehin nebeneinander. 3170 Emde WRP 2010, 844 (848). 3171 Pauly MDR 2013, 694 (696); Emde WRP 2010, 844 (848); Thume BB 2009, 2490 (2494); Westphal DB 2010, 1333 (1336). 3172 Korte DB 2011, 2761 (2763), nach Ansicht von Korte jedoch nicht, wenn diese Umstände bei Vertragsschluss absehbar waren. 3173 Korte DB 2011, 2761 (2764) – sehr zweifelhaft. Nach Ansicht von Korte spricht es für einen „Zuschlag“, wenn der Unternehmer nur schwer einen Nachfolg evermittler findet und für einen „Abschlag“, sofern die Bewerber „Schlange stehen“. Wenn überhaupt, dürfte es allenfalls umgekehrt sein. Emde

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Überhaupt ist fraglich, ob die unpräzise Beweisfrage/Prognose eines objektiven Beobachters (was sieht der eigentlich?) – eine kaum dem Sachverständigengutachten zugängliche Frage – zum Zeitpunkt des Vertragsendes präzisere Aussagen ermöglicht als die „klassische“ Berechnungsweise. Damit dürfte eine Beweisaufnahme oft unverhältnismäßig i. S. d. § 287 Abs. 2 ZPO sein. Zu prüfen wäre auch, ob der Sachvortrag der Parteien, was bei Vertragsende zu prognostizieren war, ins Blaue hinein erfolgte. Nach Ansicht von Dreyer/Haskamp3174 kann der Ansatz, Unternehmervorteile entsprächen dem Provisionsverlust des Mittlers, nach der Novelle 2009 des § 89b nicht mehr der richtige Ausgangspunkt zur Ermittlung der Vorteile eines Bausparunternehmers sein. Jedenfalls muss, schon da eine Festlegung der Berechnungsweise der Vorteile durch RL3175 und Gesetz nicht vorgegeben wird,3176 der Unternehmervorteil auch autonom bestimmt werden können. Der Mittler darf höhere Unternehmervorteile als durch die Provisionsverluste hervorgerufen vortragen und beweisen,3177 der Unternehmer niedrigere.3178 Werden der Berechnung in der Vergangenheit verdiente Provisionen zugrunde gelegt, spiegelt dies unter bestimmten Umständen nicht die tatsächlich erzielten künftigen Gewinne und Verluste wider, z. B. wenn der HV eine größere und erfolgreiche Marketingkampagne durchführt, kurz bevor das Vertragsverhältnis endet,3179 oder der Preis des im Namen des Unternehmers verkauften Erzeugnisses kurz vor oder kurz nach Beendigung des Vertragsverhältnisses stark steigt.3180 Dies nicht zu berücksichtigen, könnte sogar opportunistisches Verhalten des Unternehmers in Bezug auf die Frage fördern, wann er das Vertragsverhältnis beenden soll.3181 Unter solchen Umständen muss eine Berechnung des Ausgleichs, der die Endphase des Vertragsverhältnisses zugrunde gelegt wird, dergestalt angepasst werden, dass sie die tatsächlich erzielten künftigen Gewinne und Verluste widerspiegelt.3182 Schon im Urteil Honyvem hat der EuGH3183 entschieden, dass eine italienische Regelung, nach der sich die Höhe des Ausgleichs ausschließlich in festen %-Sätzen der in den vorhergehenden Jahren verdienten Provisionen bemaß, gegen die RL verstieß, weil HV, die nach einem anderen, auf der Betrachtung der dem Unternehmer zufließenden Vorteile beruhenden Ansatz besser gestellt gewesen wären, danach keinen höheren Ausgleich als diese festen %-Sätze erhalten konnten. Daraus ergibt sich zwingend, dass die Ausgleichsberechnung nicht allein auf die Provisionen des HV abstellen darf, sofern andere Unternehmervorteile vorgetragen werden.3184 Die Unternehmervorteile müssen aber auch „autonom“3185 und nicht angelehnt an die eben erwähnte Schätzung bestimmt werden können. Außerhalb der Schätzung wäre etwa eine konkrete Berechnungsweise möglich, derzufolge prognostiziert wird, wie sich das Vermögen des Unternehmers unter Einbeziehung der geworbenen Geschäfte entwickeln wird im 3174 Küstner/Thume Handbuch des gesamten Vertriebsrechts II, Kap. VII Rn 164; Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368).

3175 EuGH, Urt. v. 23.3.2006 – C-465/04, Slg. 2006, I2879 Rn 34; Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 19.11.2008, Rs. C-348/07 Rn 15.

3176 Steinhauer EuZW 2009, 887 (888). 3177 Vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2351) Rn 19 – Volvo; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 20 – Volvo; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/ 08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 14; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82) – Vertragshändler; Christoph NJW 2010, 647 (650); Westphal DB 2010, 1333 (1336); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 127. 3178 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82) – Vertragshändler. 3179 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 127. 3180 Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 19.11.2008, Rs. C-348/07, Rn 28. 3181 Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 19.11.2008 – C-348/07 Rn 28. 3182 Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 19.11.2008 – C-348/07 Rn 28. 3183 EuGH, Urt. v. 23.3.2006 – C-465/04, Slg. 2006, I2879. 3184 Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 19.11.2008 – C-348/07; Emde WRP 2010, 844 (848). 3185 Koch ZIP 2011, 1752 (1754). 501

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Vergleich zu der Entwicklung, die ohne solche Geschäfte eintreten würde3186 – auch über die entgehenden Provisionen des HV hinaus.3187 Es müsste also versucht werden, die Vorteile zu prognostizieren, welche der Unternehmer konkret aus den einzelnen Geschäften ziehen wird,3188 etwa den Kostendeckungsbeitrag,3189 den Gewinn aus dem Kundenstamm3190 oder den durch ihn gesteigerten Firmenwert.3191 Eine generalisierende Berechnungsweise3192 könnte versuchen zu ermitteln, ob der Kundenstamm als solcher einen ggf. durch SVBeweis3193 feststellbaren wirtschaftlichen Wert besitzt, wie er bei einem Verkauf des Unternehmens in den Kaufpreis einfließen würde. Damit könnte eine sehr HV-freundliche Auslegung eine Klage für schlüssig halten, die lediglich einen Unternehmervorteil ziffernmäßig behauptet und ihn unter den Sachverständigenbeweis stellt.3194 Schwierig wird die dem HV zufallende Darlegung der Kausalität, also die Darlegung welcher Teil der Vorteile durch die Tätigkeit des HV entstanden sind (konkreter Vortrag zu einzelnen Tätigkeiten?). Hier steht zu befürchten, dass zahlreiche Klagen an entsprechend subtantiiertem Vortrag scheitern. Da dem Gericht jedoch Schätzgrundlagen für den Unternehmervorteil gegeben werden müssen,3195 sollte wohl auch nach der Novellierung des § 89b rglm. das vorgetragen werden, was in der Vergangenheit zur Ausgleichsberechnung gesagt wurde. Nur falls der Unternehmervorteil auf andere Weise schlüssig dargelegt werden kann, darf hierauf verzichtet werden. Kann der HV die (ggf. über die Vermutung der Gleichsetzung mit den Provisionen des Basisjahres hinausgehenden) Unternehmervorteile nicht beziffern, soll ihm gegen den Unternehmer ein aus § 242 BGB hergeleiteter Auskunftsanspruch zur Höhe der Unternehmervorteile zustehen.3196 Das Problem wird zum einen die ungenügende Antwort des Unternehmers sein, zum anderen, dass der Unternehmer zur Kausalität der Tätigkeit des HV für den Vorteil nicht vortragen kann und braucht. Der Unternehmer wird ferner nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast verpflichtet sein, zu seinen Vorteilen vorzutragen.3197 Des Weiteren darf der Richter gem. § 142 ZPO die Vorlage von Urkunden und sonstigen Unterlagen anordnen, die sich im Besitz des Unternehmers befinden.3198 Werbende Provision/Abgrenzung zu verwaltenden Provisionen: Schon nach der Rspr. und Literatur vor der Novelle 2009 bestand Einigkeit, dass dem besser informierten Unternehmer weitgehend die Beweislast für die Ausgrenzung verwaltender Vergütungsbestandteile oblag. Sie leitet sich aus der „Zweistufigkeit“ des Problems her: Es muss nämlich zum einen verwaltende Kostenpositionen geben (was bereits zweifelhaft ist). Und des weiteren

Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 49. Koch ZIP 2011, 1752 (1754). Koch ZIP 2011, 1752 (1754); Semler BB 2009, 2327 (2328). Semler BB 2009, 2327 (2328); s. a. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume. 3190 Eckhoff BB 2009, 1609 und Handelsblatt v. 24.4.2009. 3191 Eckhoff BB 2009, 1609 und Handelsblatt v. 24.4.2009. 3192 Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 50. 3193 Semler BB 2009, 2327 (2328); Emde WRP 2010, 844 (848). 3194 Emde BB 2010, 2447 (2448). 3195 Vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 17 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 3196 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (128) – Kommissionsagent; OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345 (dort i. E. abgelehnt, auch Wiedergabe eines Klagantrages); OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.15 – 33 O 119/12, ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14 (Auskunftsanspruch auch zu den Deckungsbeiträgen, dort auch Wiedergabe eines Klagantrages) m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82) Fn 33 – Vertragshändler; Korte DB 2011, 2761 (2763); Genzow IHR 2014, 133 (135); Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Semler BB 2009, 2327 (2328); Eckhoff BB 2009, 1609 (1610); Evers VW 2010, 524; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 52. Graf v. Westphalen NJW 2013, 3566 rät sogar, regelmäßig (zuerst) eine Auskunftsklage zu erheben. 3197 Thume BB 2009, 2490 (2495); Christoph NJW 2010, 647 (650). 3198 Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Semler BB 2009, 2327 (2328).

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müsste hierfür eine zusätzliche Vergütung gewährt worden sein. Letzteres kann meist nur der Unternehmer wissen – und er hat es damit zu beweisen. Der BGH hat bereits früh in den Tankstellenurteilen3199 dem Mineralölunternehmer die Darlegungs- und Beweislast für einen geringeren als den vom Tankstellen-HV behaupteten %-Satz verwaltender Tätigkeiten auferlegt, weil in den dortigen Verträgen jeweils nur eine Einheitsprovision ohne wirksame Aufteilung auf werbende und verwaltende Tätigkeit vorgesehen war und die Mineralölunternehmen, die den Vertragsinhalt vorgegeben hatten, über Erfahrungswerte verfügen mussten, welcher Anteil der einheitlichen Provision zur Abgeltung verwaltender Tätigkeiten bestimmt sein sollte. Jetzt gilt dies – wollte man die Ausgrenzung verwaltender Provisionsbestandteile aus der Ausgleichsberechnung noch für erforderlich halten – umso mehr. Denn das der Abgrenzung zugrundeliegende TB-Merkmal der Provisionsverluste ist nun Billigkeitsmerkmal. Für Gesichtspunkte, die den Ausgleich unter Billigkeitserwägungen reduzieren, ist jedoch der Unternehmer beweispflichtig (s. zur Billigkeit). Bereits vor 2009 galt: Zwar wird grds. dem einen Ausgleichsanspruch fordernden HV die Darlegungs- und Beweislast für dessen Voraussetzungen zugewiesen, mithin auch dafür, dass dessen Berechnung nur solche Provisionsanteile zugrunde liegen, die auf seine werbende Tätigkeit entfallen.3200 Keine Aufteilung der Vergütung in werbende und verwaltende Teile: Wenn in dem vom 482 Unternehmer vorgegebenen Vertrag nicht nachvollziehbar und wirksam3201 geregelt ist, in welchem Umfang mit den Provisionen werbende und verwaltende Tätigkeiten vergütet werden, obliegt es dem Unternehmer, im Einzelnen darzutun, welche Aufteilung nach dem Vertrag angemessen ist, falls er von der Beurteilung seines Vertragspartners abweichen will.3202 Der Unternehmer ist aber nicht immer für die Verteilung der Vergütungsbestandteile beweispflichtig. Denn die Beweislast trägt regelm. derjenige, der den Vertrag formulierte: Hat der Vertriebsmittler den Vertrag vorgegeben, so obliegt ihm das Formulierungsrisiko (bei AGB: § 305c Abs. 2 BGB). Ausnahmen von der Risikozuweisung zum Formulierenden können bei Wissensüberlegenheit einer Partei bestehen (s. o.). Das „Haftungsrisiko“ des Formulierenden ist auch deshalb angebracht, da er durch die von ihm gewählte Formulierung das Vertrauen auf eine bestimmte Höhe der Ausgleichsvergütung weckte. Die Regelung, 30 % der Provision sei werbende, ließ das OLG Düsseldorf nach den Verhältnissen des Falles unbeanstandet.3203 Den Formulierenden trifft

3199 Grundlegend BGH, Urt. v. 28.4.1988 – I ZR 66/87 unter II 2; weiter BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, VersR 2003, 767 sub II 2; anders noch BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 462 = BB 1971, 185 – vollständige Beweislast beim HV. 3200 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 17; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01; v. 28.4.1988 – I ZR 66/87, NJW-RR 1988, 1061, unter II 2b; v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 462 = BB 1971, 185. 3201 Wobei die Wirksamkeit solcher Aufteilungen problematisch ist, siehe etwa BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 15; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt (dort Wirksamkeit bejaht). 3202 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 – Tankstellen-HV; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 – Tankstellen-HV; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 15 (Tankstellen-HV); v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1286) – VV; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095; v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); v. 28.4.1988 – I ZR 66/87, NJW-RR 1988, 1061 = BB 1988, 2199 = DB 1989, 170; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – Kfz; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 30; Emde BB 2005, 389 (398); aA für einen VV-Vertretervertrag BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483; für einen Kommissionsagentenvertrag BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 50 m. Anm. Wauschkuhn; wohl unzutreffend. 3203 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt (HV, der Tiefkühlwaren vertrieb). 503

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die Beweislast auch dann, wenn die die Aufteilung regelnde Klausel unwirksam ist, etwa nach § 307 BGB3204 und insb. falls die Zuordnung zweifelhaft ist.3205 Bei fehlender (wirksamer) Aufteilungsabrede genügt ein Mittler seiner Darlegungslast durch den Vortrag, alle3206 oder ein Teil, etwa ein bestimmter %-Satz,3207 z. B. 10 %,3208 der von ihm erbrachten Tätigkeiten seien werbender Natur gewesen und nicht als verwaltende Tätigkeiten einzustufen. Nimmt der HV also von sich aus einen Abzug für verwaltende Tätigkeit vor, besteht die Vermutung seiner Angemessenheit. Ferner spricht eine Vermutung für die Einordnung der Vergütung als Gegenleistung für die Hauptleistung des Vermittlers, seine Absatzförderungspflicht. Das gilt nicht nur für Provisionen oder Rabatte im klassischen Sinne, sondern auch für jede Zusatzvergütung, etwa Boni und Rabatte des Vertragshändlers.3209 Die Beweislast beim Vertragshändler soll sich nicht abweichend von der beim HV gestalten; dass der Händler seine verwaltenden Tätigkeiten mglw. freier bestimmen mag, steht nicht entgegen.3210 Eine Gegenansicht wäre vertretbar, weil der Unternehmer zu den tatsächlichen (Kalkulations-)Grundlagen des Vertriebs durch den Eigenhändler wenig vortragen kann, außer vielleicht innerhalb des hochintegrierten Vertriebs. Liegt die Beweislast beim Unternehmer, hat er „im Falle einer Auseinandersetzung um die Auslegung des von ihm geschaffenen Vertrages im Einzelnen darlegen, welche Aufteilung der Provision nach dem Vertrag angemessen ist, wenn seine Beurteilung von der seines Vertragspartners abweichen will“.3211 Die zum Gegenvortrag vorgebrachte Aufzählung der verwaltenden Tätigkeiten durch den Unternehmer wird von der Rspr. als kein ausreichender Vortrag angesehen. Er muss vielmehr eine plausible Gewichtung der verwaltenden Tätigkeiten im Verhältnis zum Umfang oder zur Bedeutung der werbenden Aufgaben darlegen.3212 Aufteilung der Vergütung in werbende und verwaltende Teile: Nimmt der Vertrag eine 483 wirksame Aufschlüsselung in werbende und verwaltende Provision vor und ordnet sie den Aufgaben und Tätigkeiten des HV zu, bleibt die vom Verwender gewählte Bezeichnung als „Verwaltungsprovision“ materiell-rechtlich für ihre wahre Einordnung irrelevant.3213 Letztlich entscheidend bleiben aber die tatsächlichen Verhältnisse.3214 Grund: Die Aufschlüsselung braucht nicht dem tatsächlichen Anteil der Verwaltungsprovision zu entsprechen.3215 Der Unternehmer stellt häufig die Verträge, der HV akzeptiert sie als die wirtschaftliche schwächere Partei. Der Unternehmer hat im Hinblick auf die bei Vertragsende drohende Ausgleichsforderung ein Interesse an der Bezeichnung eines möglichst hohen verwaltenden Anteils. Formularbücher sehen deshalb Klauseln vor, mit denen ein untypisch hoher Anteil verwaltender Provision im Vertrag

3204 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 15 (Tankstellen-HV). 3205 OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08 – zum Lebensversicherungsvertrag. 3206 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 – Tankstellen-HV; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 – Tankstellen-HV; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 15 (Tankstellen-HV); v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 17 (Tankstellen-HV); aA OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685. 3207 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 320. 3208 BGH – VIII ZR 90/96; VIII ZR 91/96; VIII ZR 92/96, VersR 1997, 1396 = NJW 1998, 71 = ZIP 1997, 1839; VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66 = ZIP 1997, 1832. 3209 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300) – Vertragshändlerrecht (wie sich dort den Worten „auch noch“ entnehmen lässt; OLG München, v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (Kfz). 3210 BGH, Urt. v. 6.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300). 3211 BGH, Urt. v. 28.4.1988, WM 1988, 1204 (1206). 3212 BGH, Urt. v. 6.8.1997, NJW 1998, 66. 3213 BGH, Urt. v. 14.6.2006 – VIII ZR 261/04, NJW-RR 2006, 1542 (1543). 3214 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 II 6a. 3215 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 72. Emde

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bestimmt werden soll. Eine Klausel, nach der 403216 bzw. 50 %3217 der Provision „für verwaltende Tätigkeiten“ gezahlt werde, enthält deshalb nur vordergründig eine der Vertragsfreiheit unterliegende Vereinbarung darüber, welche Provisionen der HV für bestimmte Tätigkeiten erhält. Tatsächlich hat sie keine Auswirkungen auf die Höhe und die Abrechnung der an ihn zu zahlenden Provision.3218 Ihr Zweck und ihre Wirkung soll ausschließlich darin bestehen, den Ausgleichsanspruch zu beschränken, weshalb sie gegen die in § 89b Abs. 4 S. 1 geregelte zwingende Natur des Ausgleichs verstoßen soll.3219 § 89b Abs. 4 S. 1 verbietet nicht nur Abreden, durch die der Ausgleichsanspruch ganz ausgeschlossen wird, sondern ferner solche, durch die er nur im Ergebnis mehr oder weniger eingeschränkt wird.3220 Zwar dürfen die Parteien die Provision nach § 87 frei aushandeln, auch wenn sich dies – mittelbar – auf die Höhe des Anspruches auswirkt. Eine den verwaltenden Anteil regelnde Klausel hat jedoch selten Auswirkung auf die Höhe und die Abrechnung der an den Kläger zu zahlenden Provision, sondern Bedeutung ausschließlich für die spätere Berechnung des Ausgleichs. Sie beinhaltet keine Vereinbarung über die Art verwaltender Tätigkeiten, sondern nimmt eine rechtliche Bewertung vor, indem sie festlegt, dass der hierauf entfallende Teil der Vergütung bei einer späteren Ermittlung des Ausgleichsanspruchs unberücksichtigt bleibt. Deshalb soll es schwierig sein, den werbenden und verwaltenden Provisionsanteil abstrakt mittels AGB zu bestimmen. Dies kann nach einer Auffassung nur konkret-individuell geschehen.3221 Eine vollständige Derogation der Vermittlungsprovisionen bzw. deren vollständige Ersetzung durch Verwaltungsprovisionen wäre ebenfalls mit der zwingenden Natur des Ausgleichs nach § 89b Abs. 4 S. 1 unvereinbar.3222 Auch eine solche Abrede wäre eine unzulässige, unmittelbar auf den Ausgleichsausschluss zielende und keine zulässige, nur reflexartig den Ausgleich reduzierende Gestaltung. Da der Unternehmer als die Vergütung bestimmende und vertragsformulierende Partei zur Aufteilung in werbende und verwaltende Anteile am besten vortragen und sie auch beweisen kann, sollte eine Vermutung für den werbenden Charakter sprechen. Im Einklang mit diesen Grundsätzen hat der BGH auch für das Versicherungsvertreter- 484 recht mit Urt. v. 22.12.20033223 sowie v. 1.6.20053224 geklärt, wer im Rahmen der Ausgleichsberechnung die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe des verwaltenden Anteils trägt. In sei3216 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 Rn 13 (Tankstellen-HV); v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/ 09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 15 (Tankstellen-HV).

3217 BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491 = VersR 2003, 242; v. 25.9.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279 = EWiR 2003, 435 (Just); zuvor OLG Hamm EWiR 1999, 1127 (v. Manteuffel/Evers). 3218 BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491 = VersR 2003, 242; v. 25.9.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279 = EWiR 2003, 435 (Just); zuvor OLG Hamm EWiR 1999, 1127 (v. Manteuffel/Evers). 3219 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 15 (Tankstellen-HV); v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 16; v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491 = VersR 2003, 242; v. 25.9.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279 = EWiR 2003, 435 (Just); zuvor OLG Hamm EWiR 1999, 1127 (v. Manteuffel/Evers). 3220 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde); v. 25.9.2002 – VIII ZR 253/99, BGHZ 152, 121 (133) = MDR 2003, MDR Jahr 2003 Seite 1123; BGHZ 55, BGHZ Band 55 Seite 124; WM 2003, 491; WM 2003, 687; OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.8.2013 – 1 U 161/12-52, BeckRS 2013, 17060. 3221 Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988. 3222 BGH, Urt. v. 14.6.2006 – VIII ZR 261/04, DB 2006,1953 = NJW-RR 2006, 1542 im Anschluss an BGH, WM 2006, 1788, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, DB 2002, 2321 = WM 2003, 491. Aber müsste das nicht auch für die Teilderogation gelten, weil auch der teilweise Ausgleichsausschluss unzulässig ist? 3223 BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483. 3224 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283. 505

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nem Urt. v. 22.12.20033225 hatte der BGH ausgeführt, sofern der VV-Vertrag gesonderte Provisionen für werbende und verwaltende Provisionsteile vorsehe, diese den Aufgaben des HV zuordne und jene Aufteilung plausibel sei, trage der HV für eine vom Vertragstext abweichende Verteilung werbender und verwaltender Provisionsteile die Beweislast. Fehle eine solche Aufteilung und werde lediglich eine „Einheitsprovision“ gewährt, bzw. sei die Zuordnung nicht „eindeutig und vollständig“3226 trage der Versicherer die Beweislast. Denn ihm sei auf der Grundlage von Erfahrungswerten zumutbar, anzugeben, zu welchen Teilen die einheitliche Provision zur Abgeltung einerseits werbender Vertragsvermittlung und andererseits verwaltender Tätigkeit bestimmt sein solle.3227 Gebe es eine eindeutige, klare und wirksame Verteilung der vereinbarten Provision zwischen werbenden und verwaltenden Tätigkeiten im Vertrag, trage der VV die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die dort versprochene Provision der eindeutigen Bezeichnung zuwider tatsächlich nach Art und Umfang der ihm übertragenen Aufgaben ganz oder teilweise ein Entgelt für seine Abschluss- oder Vermittlungstätigkeit darstelle.3228 Dies gelte jedenfalls, wenn die vom Versicherer vorgenommene Aufteilung zwischen verwaltender und werbender Provision plausibel sei. Dafür sprachen seinerzeit folgende Umstände: – Die im Vertrag als Verwaltungsprovision bezeichneten Vergütungsbestandteile bezogen sich nicht nur auf die von dem HV selbst geworbenen, sondern in nahezu gleicher Höhe auch auf die ihm übertragenen Verwaltungsbestände, so dass in der Verwaltungsprovision keine „versteckten“ Provisionen für werbende Tätigkeit enthalten sein konnten. – Die Verwaltungsprovisionen für die vom HV vermittelten Verträge wurden auch an dessen Nachfolger in voller Höhe ausgezahlt, der die Bestände nicht geworben hatte. – Die %-Sätze der Abschlussprovision (zwischen 30 und 75 %) überstiegen den Prozentsatz der Verwaltungsprovision (weit überwiegend 5 bis 7 %) erheblich. Eine solche Provisionsstruktur – so der BGH – sei typisch für eine Einmalprovision, durch die Vermittlungsleistungen vollständig abgegolten würden. 485 Die Plausibilitätsprüfung durch den BGH zeigt, dass er ihren positiven Ausgang fordert, damit die Abrede unbeanstandet bleibt.3229 Der Schwerpunkt der Begründung liegt daher nicht in der eher beliebigen vertraglichen Vereinbarung sondern in ihrer Plausibilität. Küstner betont in einer Urteilsbesprechung, damit sei der von „interessierter Seite“ vertretenen Ansicht ein Riegel vorgeschoben, einen Anteil werbender Provision von 90–95 % an der Gesamtprovision anzunehmen.3230 Sofern dem HV die Darlegungslast hinsichtlich des verwaltenden Provisionsanteils obliegt, 486 genügt er ihr, wenn er den Anteil der auf verwaltende Tätigkeiten entfallenden Folgevergütung auf der Grundlage seiner praktischen Erfahrung schätzt.3231 Das Gericht hat – ggf. unter Beiziehung eines Sachverständigen – die mglw. von der Vertragsregelung abweichende tatsächliche Höhe des verwaltenden Anteils zu ermitteln. Praktisch wird fast immer geschätzt (§ 287 ZPO).3232 Um die Praktikabilität zu gewährleisten, sollte derjenige, der einen höheren Anteil als 10 % verwaltender Provision behauptet, hierfür beweispflichtig sein, selbst wenn der Vertrag es anders bestimmt. An die vertraglichen Regelungen sind die Parteien allerdings gebunden, falls die Regelungen – beweispflichtig ist der Formulierende, im Zweifel der Unternehmer – Ausdruck von Verhandlungen bei Verhandlungsgleichgewicht sind sowie auf tatsächlichen Anhaltspunk-

3225 BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483; zust. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 348. BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 II 6 c. BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1286). Bereits BGHZ 55, 45 (52) = VersR 1971, 265 (266). Emde BB 2005, 389 (398). Küstner EWiR 2004, 387. BGH, Urt. v. 28.4.1988, WM 1988, 1204 (1206); v. 5.6.1996, NJW 1996, 2298 (2300); v. 6.8.1997, NJW 1998, 66. BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 Rn 33 (Kfz-Vertragshändler).

3226 3227 3228 3229 3230 3231 3232 Emde

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ten beruhen. Auch können bestimmte Branchen einen höheren Anteil verwaltender Provisionen rechtfertigen, was dem jeweiligen Gericht häufig als Sachkenner bekannt ist. – Wichtiger Grund zur ausgleichsvernichtenden Kündigung, schuldhaftes Verhalten des HV i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 2 sowie deren Kausalität3233 für die Kündigung: Unternehmer.3234 Aus der Pflichtverletzung dürfte sich das schuldhafte Verhalten des HV ergeben. Ist die Pflichtverletzung unstrittig und lediglich das schuldhafte Verhalten strittig, so wird der HV die möglichen Entschuldigungsgründe beweisen müssen.3235

II. Berechnungsbeispiel nach Literatur und Rechtsprechung3236 Die Höhe des Ausgleichs („wenn und soweit“) wird bestimmt durch die zwei ihn konstituieren- 487 den Elemente des Abs. 1 S. 1: Unternehmervorteile sowie Billigkeit. Bei der Berechnung des Ausgleichs ist in der Reihenfolge der Absätze, Sätze und Ziffern des § 89b vorzugehen.3237 An eine von den Parteien übereinstimmend vorgetragene Rechenweise ist das Gericht nicht gebunden,3238 sofern keine dahin gehende (konkludente) vertragliche Einigung der Parteien vorliegt. Es entsprach bis zur Entscheidung des EuGH v. 26.3.2009 h. A. in Deutschland, dass, wie schon beim Grund des Anspruchs, jede der oben genannten Messgrößen den Ausspruch über die Höhe selbständig steuert. Der Ausgleich sollte der Höhe nach (nur) begründet sein, „soweit“ eine jede von ihnen es zulässt: höher als die niedrigste sollte er im Endergebnis nicht sein.3239 Diese Ansicht dürfte bei RL-konformen Verständnis nicht zu halten sein. Denn der EuGH hat zum Ausdruck gebracht, der Ausgleich könne vermöge der Billigkeit bis zur Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 erhöht werden, also auch über die Unternehmervorteile des Abs. 1 Nr. 1 hinaus.3240 Ob dieser Wille des EuGH vermöge der Gesetzesänderung hinreichend umgesetzt wurde, wird unterschiedlich beurteilt.3241 Die fehlende Auseinandersetzung mit dieser Frage in der Gesetzesbegründung lässt befürchten, dass der Gesetzgeber sie entweder übersehen hat oder unter dem zeitlichen Druck nicht beantworten wollte. Sofern daher der Gesetzgeber mit der Änderung des § 89b Abs. 1 der Rspr. insoweit eine Hilfestellung geben wollte, ist dies misslungen.3242 Zumindest wird man den Worten „wenn und soweit“ entnehmen können, dass ein Mindestmaß an Unternehmervorteilen bestehen muss. Sonst wäre unverständlich, warum in Abs. 1 beide TB-Merkmale genannt werden und welche Bedeutung die Worte „wenn und soweit“ haben sollten. „Wenn und soweit“ bedeutet daher im Wege einer konditionalen Verknüpfung nicht mehr, als dass ein Ausgleich nur geschuldet wird, soweit beide Nrn. des Abs. 1 erfüllt sind. Das bezieht sich auf den Grund, bildet jedoch keine summenmäßige Begrenzung auf den geringeren der beiden Beträge. Steinhauer weist deshalb zutreffend darauf hin, dass es der Vor3233 Koch ZIP 2011, 1752 (1757); Semler GWR 2010, 311309. 3234 BGH, Urt. v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, HVR Nr. 872; v. 6.2.1986 – I ZR 92/84; Koch ZIP 2011, 1752 (1757); Semler GWR 2010, 311309; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 322; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 54; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 65; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 32b, auch nach der RL siehe Emde DStR 2009, 1478 (1485). 3235 BGH, Urt. v. 27.11.1963 – VII ZR 90/62; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 322; Küstner/ Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 54. 3236 Siehe etwa das Berechnungsbeispiel von Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 221. 3237 Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 11. 3238 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 26 – Volvo-Vertragshändler. 3239 Davon gingen auch die Vorlagefrage des LG Hamburg zu EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, BB 2009, 1607 und die Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 19.11.2008, Rs. C348/07, Rn 23, aus; wohl zu Unrecht, siehe Steinhauer EuZW 2009, 887 (888). 3240 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, BB 2009, 1607 Rn 24; aA Koch ZIP 2011, 1752 (1753); Westphal DB 2010, 1333. 3241 Siehe Steinhauer EuZW 2009, 887 ff. 3242 Steinhauer EuZW 2009, 887 (888). 507

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lagefrage des LG Hamburg zum EuGH nicht bedurft hätte. Eine RL-konforme Auslegung hätte genügt.3243 488 Der unter diesem Prinzip ermittelte Ausgleich unterliegt sodann, und zwar immer noch im Zusammenhang des Abs. 1, dem Urteil über seine Angemessenheit. Die neben der Billigkeit meist bedeutungslose Angemessenheit (s. o.) hat es – neben ihrer Bedeutung als Richtschnur für das im Vollzug des ersten Schrittes nahezu unausweichliche richterliche Schätzungsermessen – zu tun mit der Form der Abgeltung: sie ist als Einmalzahlung zu erbringen. Deshalb ist eine Abzinsung vorzunehmen. Erst wenn auch dieser zweite Schritt getan ist und damit die Ausgangsgrößen für den angemessenen Ausgleich feststehen, greift die Höchstgrenze des Abs. 2 ein. Sie modifiziert den Ausgleich ggf. neben der Billigkeit und ein zweites Mal. Beide Effekte können – müssen aber nicht – sich summieren. Es kann sein, dass der nach Abs. 1 unter Einschluss von Billigkeitsrestriktionen ermittelte, abgezinste Kapitalbetrag über dem Höchstsatz liegt: dann setzt dieser den Endbetrag weiter herab. Es mag auch sein, dass der nach Abs. 1 unter Einschluss von Billigkeitsrestriktionen ermittelte, abgezinste Kapitalbetrag den Höchstsatz unterschreitet, dann bleibt es hierbei; der Höchstbetrag kommt nicht zum Tragen. 489 Nach tradiertem, schon um eigene Nuancen angereichertem Verständnis (zum eigenen Ansatz unten) berechnet sich der Ausgleich wie folgt:3244

1. Basis der Ausgleichsberechnung 490 Berechnungsgrundlage für den Rohausgleich bilden nach ständiger Rspr. die Provisionen oder Vergütungen, welche der HV oder HV-ähnliche Mittler3245 in den letzten zwölf Monaten seiner Tätigkeit aus den in diesem Jahr geschlossenen Verträgen mit von ihm geworbenen oder erweiterten (ggf. nur potentiellen) Mehrfachkunden verdient hat,3246 bei kürzerer Vertragsdauer in diesem Zeitraum und dann hochgerechnet auf ein volles Jahr.3247 Nach h. M. wird von diesen Provisionen nur der werbende Vergütungsteil berücksichtigt (s. o.), jener aber

3243 Steinhauer EuZW 2009, 887 ff. 3244 Hopt § 89b Rn 29; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 161; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 148 ff.; siehe ferner die Darstellung des Verfassers in der Anmerkung zu OLG München, Urt. v. 22.3.2001 – 29 U 4997/00, EWiR 2001, 765. Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach der RL Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 der RL auf den HV, COM (96) 364 final, S. 4 ff.; zur Ausgleichsberechnung eines Markenlizenznehmers Emde WRP 2003, 468 (475 f.); ablehnend zu dessen Ausgleichsberechtigung Martinek/Wimmer-Leonhardt WRP 2006, 204 ff. 3245 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 14 – Kfz-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler. 3246 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879; v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78; Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 8; Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 12; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt; v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 201; krit. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368) für den Bauspar-HV Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368) für den Bauspar-HV; Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356), der die Frage stellt, ob die richterrechtlichen Grundsätze der bisherigen Ausgleichsberechnung noch verfassungsgemäß seien, nachdem das BVerfG gegen ausufernde freie Rechtsschöpfung der Gerichte vorgehe. Das Fortbestehen der klassischen Berechnungsweise führe dazu, dass trotz der Novelle 2009 der Ausgleich weiterhin anhand der Provisionsverluste und nicht der Unternehmervorteile bestimmt werde. 3247 BGH, Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, NJW-RR 1988, 42 (44); v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, ZIP 1997, 1832 (1834); v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499, 299; OLG Köln VersR 1968, 966; OLG Schleswig VersR 1958, 315; Küstner NJW 1969, 769 (771); ders. BB 1982, 274 (276); Hoffmann S. 73, 74; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 201; Hopt § 89b Rn 29. Emde

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vollständig.3248 Es kommt auf die verdienten und nicht die tatsächlich zugeflossenen (ausgezahlten) Provisionen an.3249 Denn sonst könnte der Unternehmer durch unberechtigte Abzüge über die Höhe des Ausgleichs disponieren. Auch nicht mehr durchsetzbare Provisionsansprüche sind einzubeziehen.3250 Maßgebend für die Einbeziehung der Vergütung (einschließlich Boni und Zuschüsse etc.) in das Basisjahr ist beim Eigenhändler das Datum des Vertragsschlusses innerhalb des Basisjahres, nicht der Lieferung3251 (da sonst die Zahlungsbedingungen des Drittgeschäfts über den Ausgleich disponieren würden). Damit wird bedeutsam, wann der Kundenvertrag geschlossen wurde,3252 etwa bei einer Annahme nach § 151 BGB. Beim HV dürfte grds. der Zeitpunkt der (wirksamen) Fälligkeit entscheidend sein (zu Überhangprovisionen unten). Da jedoch weder Gesetz noch RL die Provisionen des letzten Vertragsjahres und noch weniger den Umstand erwähnen, ob sie nur verdient oder auch zugeflossen sind, wäre es nicht rechtsfehlerhaft, die Schätzung auch auf der Basis der Lieferdaten vorzunehmen, wenn andere Daten von keiner Partei vorgetragen wurden. Denn oft ist es einfacher, den Zufluss festzustellen und (durch Abrechnung und Kontoauszüge) zu beweisen, als die oft strittige Fälligkeit. Mehrere Hilfsberechnungen wären erforderlich, wenn es prozessuale Diskussionen um den Fälligkeitszeitpunkt gibt. Es gibt kein TB-Merkmal des § 89b, welches die Berechnung des Rohausgleichs auf der 491 Basis der Vergütung des letzten Vertragsjahres fordert.3253 Das gilt insb. nach Degradierung des TB-Merkmals der Provisionsverluste zu einem von vielen Billigkeitsmerkmalen, aus dem sich während seiner Geltung als zwingende Ausgleichsvoraussetzung eine Anknüpfung der Ausgleichsberechnung an die Provisionen begründen ließ.3254 Der vom EuGH3255 geforderten HVfreundlichsten Auslegung entspricht das so bestimmte Basisjahr nicht unbedingt, weil im letzten Vertragsjahr oft die geringsten Erträge erzielt werden.3256 Dies beruht u. a. auf dem Eingreifen störender Einflüsse sowie dem Interessenwiderstreit zwischen Mittler und Unternehmer. Der Unternehmer hat oft für den Vertrieb nachvertragliche Dispositionen getroffen; der bisherige Mittler wird nicht in gleicher Weise unterstützt. Im Gegenteil: Unternehmer arbeiten in diesem Jahr häufig dem Mittler entgegen. Das letzte Vertragsjahr ist meist das für den Mittler schlechteste, die Verkaufserfolge des letzten Vertragsjahres werden gemindert, weil das Vertragsende am Markt bekannt wird, ggf. andere Vertragshändler eingesetzt werden3257 und Kaufzurückhaltung

3248 AA LG Berlin, Urt. v. 4.7.2018 – 11 O 52/14: Erscheint das Mitgliederverzeichnis eines Tennis-Clubs nur alle 2–4 Jahre, sollen die Provisionen für die für dieses Verzeichnis geworbenen Anzeigen nur zu 50 % in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden. 3249 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 161; Oetker/Busche5 § 89b Rn 26; aA mglw. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 131. 3250 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 161; ebenso die h. M. zu § 92a HGB, § 5 Abs. 3 ArbGG beim Parallelproblem zum Erreichen der Verdienstschwelle des § 5 Abs. 3 ArbGG. 3251 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 17 – Kfz-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 26 – Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 25 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 26.2.1997, NJW 1997, 1503, unter C I 1d, insoweit nicht in BGHZ 135, 14 abgedruckt; OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (1426) – BMW-Kfz. 3252 Etwa im Fall BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 17 – Kfz-Vertragshändler. 3253 Emde BB 2010, 2447 (2449). 3254 Vgl. Wauschkuhn ZVertriebsR 2014, 1 (2). 3255 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde) Rn 21, 23; zu dem Urteil Emde DStR 2009, 1478 ff.; ders. EWiR 2009, 239; Eckhoff BB 2009, 1609; Kindler/Menges DB 2010, 1109 (1110); Semler BB 2009, 2327 (2328); Steinhauer EuZW 2009, 887; Westphal DB 2010, 1333. 3256 Siehe etwa Niebling WRP 2009, 153 (155). 3257 Siehe BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 16 – Kfz-Vertragshändler; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler (dort aber nicht als eine Atypik begündender Umstand anerkannt). 509

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der Kunden besteht.3258 Zudem wird das Vertragsende von Wettbewerbern sowie vom Hersteller kolportiert. Insbesondere im Eigenhändlerbereich fürchten die Kunden, ihre Gewährleistungsansprüche nicht mehr durchsetzen zu können. Naturgemäß wird ein Mittler auch weniger werben, weil er nur noch eine begrenzte Zeit Nutzen aus diesen (kostspieligen) Werbebemühungen ziehen kann. Damit wird der Ausgleichsanspruch geschmälert.3259 Die Berücksichtigung eines längerfristigen Zeitraums ist auch gerechter, weil die Vergütungen des letzten Vertragsjahres nicht unbedingt den wirklichen Vorteilen des Unternehmers entsprechen müssen3260 (siehe Rn 479 ff. „Vorteile des Unternehmers“). Vielmehr erhält der Unternehmer auch Vorteile aus älteren Geschäften, etwa der letzten 5 Vertragsjahre. Diese Vorteile können nur wirklichkeitsnah abgebildet werden, wenn nicht das letzte Vertragsjahr Maßstab ist, sondern ein längerfristiger Zeitraum.3261 Ohnehin sind die Umsätze mehrerer Vertragsjahre aussagekräftiger als die eines Einzelnen. Alles spricht mithin für die Vermutung der Atypik des letzten Vertragsjahres. 492 Lässt sich eine vom HV unverschuldete3262 Untypik der Geschäfte des letzten Vertragsjahres nachweisen, sprechen nicht nur der Wegfall des TB-Merkmals der Provisionsverluste und der vom EuGH postulierte Grundsatz HV-freundlichster Auslegung dafür, einen längeren, ggf. mehrjährigen, Zeitraum der Ausgleichsberechnung zugrunde zu legen,3263 sondern auch der Wortlaut des § 89b Abs. 2.3264 Das gilt insb., wenn Querelen zwischen Hersteller und Mittler die geschäftlichen Aktivitäten hemmten,3265 der HV krank wurde,3266 im Zuge einer vom Unternehmer veranlassten Umstrukturierung kleinere Vertragshändler wegfallen sollten und deshalb im letzten Vertragsjahr kaum Umsatz erwirtschaftet werden konnte3267 oder der HV kurz vor Vertragsende einen bedeutenden Kunden warb, dessen Geschäfte noch nicht nennenswert provisionsrelevant wurden.3268 Im Falle eines nur alle zwei bis drei Jahre erscheinenden Mitgliederverzeichnusses sollen, um Verfälschungen auszuschließen, zugunsten des Anzeigenvertreters nur 50 % der Provisionen des letzten Vertragsjahres einbezogen werden.3269 Am sinnvollsten er-

3258 AA OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler mit der Ansicht, „erfahrungsgemäß“ werde der Händler im letzten Vertragsjahr besondere Kaufbemühungen entfalten. Niebling WRP 2009, 153 (155). Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro v. 19.11.2008, C348/07, Rn 28. Horn ZIP 1988, 137 (142) – Kfz; aA Graf v. Westphalen DB Beil. 8/1988, 8 – Kfz. OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt. 3263 Im Ergebnis BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 16 – Kfz-Vertragshändler; Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 26 – Volvo-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 – Vertragshändler; BGHZ 133, 391 = ZIP 1996, 2165; 135, 14 (23); 141, 252; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt; v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – MotorradVertragshändler (dort Atypik verneint); v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); Westphal DB 2010, 1333 (1338); Horn ZIP 1988, 137 (142) – Kfz; Graf v. Westphalen DB Beil. 8/1988, 8 – Kfz; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 201; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 70 – „Bereinigung“; Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 262; Beiser DB 2002, 2176; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 129; Hopt § 89b Rn 29; MünchkommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 131. 3264 Emde BB 2010, 2447 (2449). 3265 Horn ZIP 1988, 137 (142) – Kfz. 3266 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt (letzte 4 Monate der Tätigkeit werden als Bemessungsgrundlage des Ausgleichs außer Acht gelassen). 3267 BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – VII ZR 44/12, BeckRS 2013, 08691 Rn 16 – Kfz-Vertragshändler. 3268 Westphal DB 2010, 1333 (1338). 3269 LG Berlin, Urt. v. 9.7.2018 – 11 O 52/14.

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scheint es, in Anlehnung an die Höchstgrenze des Abs. 2 einen 5-jährigen3270 Durchschnitt der Provisionen/Vergütungen als Basisjahr zugrunde zu legen,3271 wobei das Gericht nicht an eine übereinstimmende Berechnungsweise der Parteien gebunden sein soll3272 (aber mglw. konkludente, nachvertragliche Abrede der Parteien zur Ausgleichshöhe?). Schwierig wird die Atypik zu bestimmen, wenn der Vertrag im ersten Vertragsjahr beendet wird. In diesem Fall muss die Atypik anhand der zu erwartenden Geschäfte während der zu prognostizierenden Vertragslaufzeit bemessen werden. Denn hinter der Bemessungsgrundlage eines typischen Vertragsjahres steht die Erwartung, dass weder Unternehmer noch HV von einer untypischen Abweichung nach oben oder unten profitieren sollen, wenn sich die Vorteile in einer Gesamtschau tatsächlich anders dargestellt hätten. Der BGH3273 hat ausgesprochen, es genüge nicht, wenn der Mittler sich lediglich auf einen atypischen Verlauf des Umsatzes im letzten Vertragsjahr berufe. Vielmehr müsse nachvollziehbar dargelegt werden, dass in Zukunft wieder „typische“ Umsätze zu erzielen gewesen wären. Diese Feststellung widerspricht dem Grundsatz, aus den Umsätzen der Vergangenheit könne auf jene der Zukunft geschlossen werden. Dabei sind die Umsätze mehrer Vertragsjahre aussagekräftiger als die eines Einzelnen. Für die Prüfung der Atypik ist nach Ansicht des BGH3274 in einem Urteil auf den Umsatz nur mit Mehrfachkunden abzustellen. Dies kann aber nicht abschließend gemeint sein. Denn wie oben dargestellt, ist auch ein Anteil potenzieller Mehrfachkunden in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen. Nur mit zunehmender Vertriebsdauer können Mehrfachkunden geworben werden, insb. beim Vertrieb langlebiger Produkte (etwa Kfz). Trotz atypischen Marktumfelds könnten sich daher die Mehrfachkundenerträge erhöhen oder zumindest gleich bleiben, was die Atypik verschleiert. Folglich hat der BGH in einer neueren Entscheidung auch nur erklärt, die Atypik sei anhand der Umsätze, und nicht nur der Mehrfachkundenumsätze,3275 festzustellen. Die Typizität des letzten Vertragsjahres ist keine Tatsache, sondern ein Wertungsergebnis, das vom Berufungsgericht nach §§ 513, 546 ZPO nicht hingenommen werden muss, wenn die Wertung auf unzutreffender Tatsachengrundlage erfolgt.3276 Der HV darf die ausgleichsrelevanten Provisionen den nach § 87c Abs. 1 erteilten Abrech- 493 nungen entnehmen; deren Unrichtigkeit hätte der Unternehmer zu beweisen. Nur Vermittlungsbzw. Abschlussprovisionen mit Mehrfachkunden, die auf Geschäften mit Neukunden bzw. intensivierten Altkunden beruhen, sind in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen.3277 Nicht verdiente Provisionen sind unmaßgeblich, etwa solche aus nicht provisionspflichtigen Rahmenverträgen (etwa Kundenkarten).3278 Dass die Berechnungsgrundlage des Rohausgleichs die Provisionen, also wohl die entge- 494 henden Provisionen, sind, ergibt sich auch nach der Neufassung des § 89b nicht aus dem Gesetz. Angesichts des Wegfalls der Provisionsverluste als notwendiges TB-Merkmal wäre es jetzt dogmatisch vielleicht zutreffender, die allerdings schwer quantifizierbaren Unternehmervorteile und nicht die Provisionsverluste des HV zur Basis der Ausgleichsberechnung zu erheben.3279 Es ist nämlich problematisch, ein fakultatives TB-Merkmal der Ausgleichsberechnung zu3270 5-jähriger Zeitraum etwa BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 27 – Volvo-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 – Vertragshändler. 3271 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler). 3272 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 26 – Volvo-Vertragshändler. 3273 Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde). 3274 Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 (1505). 3275 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde). 3276 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; v. 10.7.2007 – 5 O 63/06, S. 15, n. v. 3277 BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 16. 3278 BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821 = WM 2003, 2095; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 79. 3279 Emde DStR 2009, 1478 (1484); Semler BB 2009, 2327 (2328); Kindler/Menges DB 2010, 1109 (1110); Eckhoff BB 2009, 1609 und Handelsblatt v. 24.04.09, der zu erwägen gibt, auf den aus dem gewachsenen Kundenstamm erzielbaren Gewinn oder den gesteigerten Firmenwert abzustellen; zweifelnd Christoph NJW 2010, 647 (648), der sich 511

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grunde zu legen. Sogar verfassungsmäßige Bedenken werden geäußert.3280 Jedenfalls wird man auch die anderweitige Bestimmung der Unternehmervorteile akzeptieren müssen (s. Rn 479 ff. „Vorteile des Unternehmers“). Die Provisionsverluste bilden nur noch ein Kontrollmittel – sowohl über die Billigkeit als auch über die Höchstgrenze3281 – und nicht mehr zwingend den Ausgangspunkt der Berechnung. 495 Gleichwohl wurde die bisher praktizierte Berechnungsweise von der Kommission akzeptiert.3282 Vielleicht motivierte der Umstand, dass bessere Anknüpfungstatsachen für Unternehmervorteile und Billigkeit nicht erkennbar waren, die Unternehmervorteile dem HV nicht notwendigerweise bekannt sein müssen3283 und eine gewisse Schematisierung trotz aller Ungerechtigkeiten ihres Einzelfalls erforderlich ist. Man wird sich wohl mit der Hilfsvermutung begnügen, die Unternehmervorteile entsprächen den im Basisjahr gezahlten Provisionen3284 (479 ff.). Jedenfalls bei hohen, dem HV entgehenden Provisionen wäre eine solche Berechnung i. S. d. anspruchstellenden Mittlers.3285 Dabei wird man Obacht geben müssen, das frühere Merkmal der Provisionsverluste nicht auf diese Weise verkleidet in die Unternehmervorteile zu transportieren, was allerdings bei Fortsetzung der bisherigen Berechnungsweise wohl nicht der Fall wäre – denn sie spricht nur eine widerlegliche Vermutung zur Höhe der Unternehmervorteile aus. Dies ist zulässig, zumal das Basisjahr den vertragsbegleitenden Provisionen, nicht den zukünftigen Provisionsverlusten entspricht. Dass als Unternehmervorteil auch ein bei einem Unternehmenskauf erlangter Kaufpreis genügt,3286 entsprach schon bisheriger Rspr. 496 Die Rspr. nimmt die Rechenschritte ähnlich wie bisher vor,3287 mit der Ausnahme der Verlagerung der Provisionsverlustprüfung in die Billigkeit und der Möglichkeit, den Ausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten zu erhöhen. Die in die Ausgleichsberechnung einzubeziehenden TBaber auf die Begründungen der Gesetzestexte der Novellen 1953 und 1989 bezieht, also die Gesetzesfassungen, welche vom EuGH nicht akzeptiert wurden. 3280 Meyer ZVertriebsR 2014, 352 (356). 3281 Christoph NJW 2010, 647 (649) will aus der Bedeutung der Provisionsverluste für die Höchstgrenze herleiten, dass die bisherige Berechnungsweise fortbesteht. 3282 Bericht der Kommission über die Anwendung des Art. 17 RL auf den HV, COM (96) 364 final, S. 2; zu diesem Argument Emde DStR 2009, 1478 ff.; Christoph NJW 2010, 647 (649). 3283 Eckhoff Handelsblatt v. 24.4.2009. 3284 BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 15 (Tankstellen-HV); Emde DStR 2009, 1478 (1485); Semler BB 2009, 2327 (2328); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 107, 123. 3285 Weshalb die Provisionsverluste dann nach Ansicht von Wauschkuhn/Fröhlich BB 2010, 524 (527) weiterhin als Berechnungsgrundlage dienen werden. 3286 Dieses Beispiel bildet Eckhoff BB 2009, 1609. 3287 Siehe BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 15 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188 – Vertragshändler; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/ 12, IHR 2014, 231 (237) – Tankstelle; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82); Wauschkuhn ZVertriebsR 2014, 1 (2); Thume VersR 2012, 665 (668); Emde DStR 2009, 1478 (1485); Thume BB 2009, 2490 (2492); Steinhauer EuZW 2009, 887 (888) – wobei Steinhauer die wenigsten Veränderungen erwartet (bei Einmalprovisionen und im VV-Recht wohl zu konservativ); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny 7. Aufl. Rn 2185; weshalb es vermutlich bei den reinen Rechenschritten nicht zu erheblicher Rechtsunsicherheit kommen wird; aA Genzow IHR 2014, 133 (135) – zust. Thume BB 2015, 387 (388), der die bisherige Berechnungsweise für unzulässig hält und den Richter für verpflichtet, einen wie bisher rechnenden Kläger auf die Unschlüssigkeit seines Vortrages und das Erfordernis einer Berechnung anhand der Unternehmervorteile hinzuweisen. Dem ist zu entgegnen, dass der Kläger nach neuer Rspr. gerade die Unternehmervorteile berechnet.Gegen die alte Berechnungsweise wohl auch Eckhoff BB 2009, 1609; nach Niebling WRP 2010, 81 (83) ist im Kfz-Vertrieb nicht ersichtlich, dass bislang höhere Ausgleichszahlungen erfolgten. Meyer (ZVertriebsR 2014, 352 [356]) stellt die Frage, ob diese Berechnungsweise noch verfassungsgemäß sei, nachdem das BVerfG gegen ausufernde freie Rechtsschöpfung der Gerichte vorgehe. Das Fortbestehen der bisherigen Berechnungsweise führe dazu, dass trotz der Novelle 2009 der Ausgleich weiterhin anhand der Provisionsverluste und nicht der Unternehmervorteile bestimmt werde. Emde

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Merkmale haben sich durch die Novelle 2009 ja nicht verändert, allerdings die Prüfungsreihenfolge und die Beweislast (für Billigkeitsabzüge und damit mangelnde Provisionsverluste wäre nun der Unternehmer beweispflichtig). Die vorsichtige Rspr.3288 neigt mithin dazu, die Degradierung der „Provisionsverluste“ zum Billigkeitsmerkmal zu negieren oder sie bestenfalls als Umkehr der Beweislast vom durch den HV zu beweisenden TB-Merkmal zu einem vom Unternehmer nachzuweisenden billigkeitsreduzierenden Umstand anzusehen. Jedenfalls sind fehlende Provisionsverluste nun nicht mehr zwingend ein Ausgleichsausschlussgrund. Zumindest unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit wird man aber zugunsten des HV auch andere Anknüpfungstatsachen und Bemessungszeiträume als Grundlage der Ausgleichsberechnung akzeptieren müssen, wenn der HV dies substantiiert darlegt.3289 Im Ergebnis dürfte die bisherige Schätzung der Unternehmervorteile nach § 287 ZPO nach wie vor zulässig sein, zumal der HV auch höhere Unternehmervorteile beweisen kann. Für die Ausgleichsberechnung maßgeblich ist die Bruttovergütung oder -provision.3290 497 Die Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoprovision kennt das Gesetz nicht.3291 Nur wenn der Ausgleich auf der Basis der Nettoprovision berechnet wurde, ist auf den Ausgleich noch Umsatzsteuer aufzuschlagen.3292 Werden der Ausgleichsberechnung Bruttoprovisionen oder -umsätze zu Grunde gelegt, darf dem errechneten Ausgleichsanspruch keine Mehrwertsteuer hinzugesetzt werden.3293 Feste Vergütungsanteile werden in die Grundlage der Ausgleichsberechnung bildenden Pro- 498 visionen des Basisjahres einbezogen, sofern sie eine Vergütung für Neukunden bilden,3294 ebenso Überhangprovisionen aus Geschäften, die vor Beendigung des HV-Vertrages abgeschlossen, jedoch erst nach Beendigung ausgeführt wurden.3295 Letzteres ergibt sich (soweit die vermittelten Geschäfte vertragsbegleitend zustande kamen) schon daraus, dass es auf die im Basisjahr verdienten und nicht die ausgezahlten Provisionen ankommen soll, bei nach Beendigung des HV-Vertrages zustande kommenden Geschäften aus dem Umstand, dass der HV während der Vertragslaufzeit alles von seiner Seite zur Vermittlung Nötige getan hat (seine Leistungen darf er nur vertragsbegleitend erbringen). Zu erwartende und notfalls gem. § 287 ZPO zu schätzende, zukünftige Provision aus Bezugsverträgen sind – soweit sich die diesbetreffenden Unternehmervorteile nicht bereits in den Mehrfachkundenprovisionen des Basisjahres oder in den potentiellen Mehrfachkunden hinreichend widerspiegeln (was oft zu verneinen sein wird) – als Unternehmervorteil der Ausgleichsbemessungsgrundlage angemessen hinzuzusetzen.3296 Gerade hier hat der HV eine ausgleichspflichtige Kundenbeziehung mit den daraus resultierenden Unternehmervorteilen geschaffen und die Ausgleichsvergütung verdient. Auch Mehrjahresverträge, etwa 2-Jahresverträ3288 Siehe die Analysen bei Ströbl BB 2013, 1027; Thume IHR 2011, 7 (8). 3289 Emde DStR 2009, 1478 (1485). 3290 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 60 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent; v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde) Rn 31; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, WM 1998, 31 B II 4; BGHZ 61, 112 (115); OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 68. 3291 BGHZ 29, 83 (92 ff.) und seither ständig; OLG Düsseldorf BB 1959, 8; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 11b, Habscheid FS Schmidt-Rimpler S. 361; Eberstein BB 1957, 1059. 3292 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 31 = EWiR 2008, 721 (Emde); BGHZ 61, 112; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188. 3293 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard = EWiR 2008, 721 (Emde) Rn 31; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, WM 1998, 31 B II 4; BGHZ 61, 112 (115). 3294 BGH, Urt. v. 15.2.1965 – VII ZR 194/63, Bericht der Kommission zur Anwendung des Art. 17 der RL auf den Handelsvertreter, COM (96) 364 final, S. 2. 3295 BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, BGHZ 133, 391 = WM 1997, 232; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/ 2005, S. 17. 3296 BGH, Urt. v. 18.11.1957 – II ZR 33/56, NJW 1958, 180 = BB 1957, 1250 (zum vertraglich vereinbarten Ausgleichsanspruch); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 44. 513

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ge,3297 werden in die Ausgleichsberechnung eingeführt.3298 Addiert werden wohl 1/3, bzw. 2/33299 der um verwaltende Provisionen bereinigten Erträge des letzten Jahres aus Verkäufen an Einfachkunden, von denen erwartet werden kann, dass sie zukünftig Stammkunden werden (potentielle Stammkunden, s. o.). Das OLG München multipliziert diese Vergütungen (Rabatte) des letzten Vertragsjahres mit der Stammkundenquote, um den Anteil ausgleichspflichtiger Geschäfte mit potentiellen Mehrfachkunden zu bestimmen.3300 Nicht in die ausgleichsrelevanten Provisionen des Basisjahres sind folgende Provisionen einzubeziehen: – solche, die der HV mit Kunden erzielt hat, die keine weiteren Nachbestellungen tätigen werden;3301 – Provisionen aus Geschäften mit Kunden, die verloren sind.3302 499 Nach der von Staub/Brüggemann in der 4. Aufl.3303 vertretenen Ansicht ging die 12-Monats-Basis davon aus, dass die Kunden ihre Nachbestellungen in Abständen von wenigstens 12 Monate aufzugeben pflegten. Das sei weder individuell immer gegeben noch nach der Art der Objekte (langfristige Gebrauchsgüter!) immer möglich. Kämen Kunden mit länger als 12monatigen Nachbestellintervallen in Betracht, so müssten sie von der vorstehenden Methode der jährlichen Degression ausgenommen werden. Für sie sei je eine Sonderstaffel aufzustellen, die, bei gleicher Abwanderungsquote (oder einer für sie speziell ermittelten, abweichenden), mit Provisionsverlusten im jeweiligen Intervallsprung arbeite. Diese Ansicht wird in der Praxis nicht mehr vertreten und erschwert die Ausgleichsberechnung unnötig. Die Provisionen des letzten Vertragsjahres bleiben unmaßgeblich, sofern die Umsatzentwicklung in diesem Zeitraum untypisch verlaufen ist. Dann muss auf vorhergehende repräsentative Jahre, ggf. auf einen längerfristigen Jahresdurchschnitt, zurückgegriffen werden.3304 500 Ersparte Geschäftskosten mindern die Ausgleichsbemessungsgrundlage nicht.3305 Sie sind nicht abzusetzen. Deshalb ist auch unerheblich, ob der HV aus den Abschlüssen mit dem Neukundenstamm einen Reinverdienst erzielt hat oder nicht.3306 Allenfalls aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit (Abs. 1 S. 1 Nr. 2) käme eine Berücksichtigung übermäßig hoher und nunmehr ersparter Kosten in Betracht.

2. Prognosezeitraum 501 Als nächstes ist festzustellen, für welche Zeit nach Vertragsbeendigung der HV aus dem von ihm geschaffenen Kundenstamm noch hätte Vorteile ziehen können (Prognosezeitraum, s. o.). Denn die nach Ziff. 1 bestimmten Provisionen sind mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums zu multiplizieren.3307 Den Zwischenschritt Prognosezeitraum (2–5 Jahre) akzeptierte bereits die Kommission in ihrem Bericht zur Anwendung des Art. 17 RL, ebenso eine Abwanderungsquote 3297 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. 3298 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – I-16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. 3299 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298; 2301; OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 202. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 202. HGB, § 89b Rn 85. BGHZ 29, 83 (91); BGH ZIP 1999, 1094 (1096); OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (237) – Tankstelle; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 108; Hopt § 89b Rn 29. 3305 BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821, 825 = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095; Hopt § 89b Rn 29. 3306 BGH NJW 1961, 120. 3307 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 23 – Vertragshändler.

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sowie die Abzinsung.3308 Er ist RL-konform.3309 Sofern es sich bei den vertriebenen Produkten nicht um Alltagsprodukte handelt, kann bei einem nachgewiesenen Vorkauf innerhalb des Prognosezeitraums von einer Geschäftsverbindung ausgegangen werden.3310 Überwiegend wird im HV-Recht als Prognosezeitraum eine Spanne von 3–5 Jahren angenommen. Der Bericht der Kommission über die RL diagnostiziert einen Zeitraum von 2–3 Jahren.3311 In Österreich soll meist ein Regelprognosezeitraum von 4 Jahren angenommen werden.3312 Dabei tendiert die Rspr. dahin, den Prognosezeitraum eher am oberen Rand dieser Spanne anzusetzen, nämlich bei 4– 5 Jahren. Die gemäß dem oben genannten ersten Berechnungsschritt ermittelten Provisionen sind mit der Anzahl der Jahre des Prognosezeitraums zu multiplizieren. Mit dem Prognosezeitraum wird die Spanne erfasst, über die die Vertragsbeziehung mit einem neuen Kunden erwartungsgemäß durchschnittlich fortgeführt wird.3313 Die Dauer des Prognosezeitraumes ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu bestimmen, wozu es konkreten Sachvortrages bedarf3314 (notfalls Schätzung nach § 287 ZPO). Hierbei ist die Entwicklung der Geschäftsverbindungen im Zeitraum vor der Vertragsbeendigung Prognosemaßstab (§ 287 ZPO).3315 Rechtsdogmatisch korrekt wäre es zwar nur auf die Zukunftsprognose abzustellen, d. h. auf die voraussichtliche Entwicklung während des nachvertraglichen Prognosezeitraums. Da sich jene Entwicklung jedoch meist nur aus den Ereignissen der Vergangenheit herleiten lässt und die Prognose zum Zeitpunkt des Vertragsendes zu erfolgen hat (Rn 198), sind regelmäßig die Verhältnisse der Vergangenheit Basis jener Prognose. Ausgangspunkt der Prognose dürfte der ausgleichsfähige Kundenstamm des letzten Vertragsjahres und seine Bestandsfähigkeit sein. Hierfür ist es irrelevant, wie schnell der Mittler diesen Kundenstamm aufgebaut hat. Denn auch dann, wenn es sich nicht um langjährige Stammkunden handelt, können die Kundenbeziehungen bestandskräftig sein und einen ausgedehnten Prognosezeitraum rechtfertigen. Ohnehin wäre der Unternehmer für eine Abwanderung des Kundenstammes beweispflichtig (Rn 479 ff.). Haben sich die Verhältnisse zum Prognosezeitpunkt gegenüber denen der Vergangenheit erheblich verändert, muss diese Entwicklung – notfalls durch Sachverständigenbeweis – möglichst genau festgestellt werden; die Verhältnisse der Vergangenheit sind dann nicht allein entscheidend. Längere Prognosezeiträume führen im Falle der Orientierung am Nachkaufzyklus zu einer geringeren Ausgleichsbemessungsgrundlage, weil innerhalb des Basisjahrs bei längeren Nachbestellrhythmen weniger Geschäfte als bei kürzeren Kaufintervallen getätigt werden. Ein längerer Prognosezeitraum leitet also nicht automatisch zu einem höheren Ausgleich. Beide Zahlen stehen vielmehr in Wechselwirkung. Bei der Untersuchung, wie lange Vorteile aus der Geschäftsverbindung zu ziehen sind, wird weiter die Höhe der Abwanderungsquote (dazu im Folgenden) ein maßgeblicher Faktor sein. Ist die Abwanderungsquote erheblich, reduziert sich der Prognosezeitraum. Fraglich ist nur, ob deshalb schematisch so berechnet werden kann, indem bei einer Abwanderungsquote von jährlich 10 % ein 10-jähriger Prognosezeitraum und bei einer Abwanderungsquote von 5 % ein zwanzigjähriger Prognosezeitraum anzusetzen ist. Diese Kalkulation ist schon deshalb mathematisch nicht korrekt, weil ein jährlicher Abzug von 10 % von dem Ausgangswert zu einer sich absolut pro Jahr reduzierenden Kürzung führen würde, was bis zur völligen Auszehrung des Kundenstammes zu einem enorm langen Prognosezeitraum leitet. Damit würden entgegen

3308 Bericht über die Anwendung von Art. 17 der RL des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen HV, KOM (96) 364 endg, S. 3; siehe auch Emde DStR 2009, 1478 (1484).

3309 Westphal DB 2010, 1333 (1338). 3310 BGH, Urt. v. 2.7.1987, ZIP 1987, 1383 (1386); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 817. 3311 Bericht über die Anwendung von Art. 17 der RL des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen HV, KOM (96) 364 endg, S. 3; so auch Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 123; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 20 Rn 27. 3312 Breiter IHR 2015, 45 (51). 3313 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. 3314 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. 3315 BGH, Urt. v. 27.10.1960, NJW 1961, 120. 515

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dem Grundsatz, dass eine überschaubare und abschätzbare Zeitspanne zu Grunde gelegt werden soll, selbst kurze Vertragsverhältnisse erhebliche Prognosezeiträume nach sich ziehen, wobei allerdings die Ausgleichshöchstgrenze eine korrigierende Funktion einnähme. Der BGH hat eine solche Berechnungsweise abgelehnt.3316 Die Multiplikation der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums mit der Prozentzahl der jährlichen Abwanderungsquote muss also nicht 100 % ergeben. Deshalb ergibt sich etwa im Falle einer Abwanderungsquote von nur bis zu 5 % nicht automatisch ein Prognosezeitraum von 20 Jahren.3317 Der BGH3318 hat es etwa gebilligt, dass sich bei Multiplikation des Prognosezeitraums mit der Prozentzahl der jährlichen Abwanderungsquote lediglich eine Abwanderung von insgesamt 54 % ergab. Oft wird eine gegriffene Abwanderungsquote von 20 % pro Jahr3319 angenommen. Ist die Geschäftsverbindung durch langfristige Rahmenverträge gesichert, wird eher ein längerer Prognosezeitraum anzunehmen sein.3320 Richtigerweise ist für die Bemessung des Prognosezeitraums eher auf den Bestand der Geschäftsbeziehung3321 und nicht auf die Lebensdauer des vertriebenen Produktes (Produktzyklus) oder den Nachkaufintervall abzustellen. Das zeigt bereits der Umstand, dass auch im Tankstellenvertrieb ein mehrjähriger Prognosezeitraum angenommen wird, obwohl eine Benzinfüllung oft nur wenige Tage reicht. Gleiches gilt beim Vertrieb verderblicher Waren. Die Lebensdauer kann aber einen Anhalt auf den Prognosezeitraum geben, weil sich erst nach Ablauf des Produktzyklus herausstellt, ob der Kunde zu seinem Stammkunden wird.3322 Beide Indizien führen daher oft zum selben Prognosezeitraum. Der regelmäßige Prognosezeitraum beträgt 4 Jahre. Trägt keine Partei substantiiert etwas Abweichendes vor, dürfte dieser Regelprognosezeitraum maßgeblich sein.3323 Erweisen sich die Geschäftsbeziehungen als besonders dauerhaft, ist ein gestreckterer Prognosezeitraum angemessen. Abweichungen von diesem Regelprognosezeitraum sollte die sich auf eine Abweichung berufende Partei beweisen müssen. In unterschiedlichen Branchen sind etwa folgende Prognosezeitraume angenommen worden: – zwischen 2 und 5 Jahren;3324 – angeblich 2 Jahre bei der Vermittlung von Prepaid-Telefonkarten;3325 – 2–4 Jahre beim Verkauf von CDs, bei denen es sich nicht um langlebige Wirtschaftsgüter handelt;3326 – 3 Jahre, falls der Großteil der Wiederholungsbestellungen binnen eines Jahres erfolgte;3327 – 3 Jahre im Vertrieb von Tiefkühlwaren;3328 – zwischen 3 und 5 Jahren;3329 3316 BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97; ebenso OLG Celle, Urt. v. 1.2.2001, OLGR 2001, 168; v. 18.4.2002 – 11 U 120/01.

3317 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (978); aA wohl BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931 (935). 3318 BGH, Urt. v. 28.4.1999 – VII ZR 354/97, VersR 1999, 1238 (1240). 3319 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16; OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/ 16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 46; v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zu einem Franchisevertrag. 3320 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 132. 3321 Zeitraum, in dem noch mit Folgeaufträgen zu rechnen ist, siehe BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 65 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent. 3322 MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 82, Hopt § 89b Rn 16. 3323 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002, VersR 2002, 976 (978). 3324 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 45; OLG München, Urt. v. 14.5.2014 – 7 U 2586/13, BeckRS 2014, 10205; OLG Köln VersR 1968, 966; Korte DB 2011, 2761 (2762) – 2–4 Jahre. 3325 Ströbl BB 2013, 1027 (1031) – vielleicht etwas zu kurz. 3326 OLG München, Urt. v. 14.5.2014 – 7 U 2586/13, BeckRS 2014, 10205. Im konkreten Fall wurde wegen der Besonderheiten des Einzelfalls ein Prognosezeitraum von 3 Jahren angenommen. 3327 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763. 3328 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt. 3329 OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188 –Vertragshändler. Emde

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4 Jahre3330: Jedenfalls steht einem vierjährigen Prognosezeitraum nicht entgegen, dass Nachbestellungen infolge der Lebensdauer eines Erzeugnisses erst nach einer längeren, auch mehrjährigen Zeitspanne, in Betracht kommen;3331 4 Jahre bei der Vermittlung von Bausparverträgen, weil der Kläger nichts vorgetragen hatte, was eine Abweichung von jener Regelprognosezeit rechtfertigte;3332 4 Jahren bei einem Franchisevertrag;3333 3–4 Jahre für Telefonverträge, wenn sie durch einen Rahmenvertrag gesichert sind3334 4 Jahre bei Werbung von Anzeigenkunden für die „gelben Seiten“;3335 4 Jahre bei Rest- bzw. Sonderpostenmärkten.3336 Bei Betrieb eines derartigen Marktes u. a. mit Lebensmitteln, Getränken, Süßwaren, Waschmitteln, Seifen, Kosmetika sowie Gebrauchsgüter überwiegend für Haus und Garten sowie Gartenmöbel, Werkzeuge, Pflanzen, Textilwaren und Haushaltsgeräte, handelt es sich um Waren unterschiedlicher Lebensdauer, so dass ein solcher Prognosezeitraum angemessen ist;3337 5 Jahre;3338 6 Jahre für die Werbung von Anzeigenkunden;3339 8 Jahre im Kfz-Vertragshändlerrecht wegen der möglicherweise gesteigerten Lebensdauer der Kfz.3340 Auch nach früherer Rechtslage (Prognosezeitraum 5 Jahre3341) blieben aber 6 Jahre zurückliegende Erstkäufe ausgleichsrelevant, weil der 5-Jahreszeitraum lediglich einen Richtwert, aber keine zwingende Zäsur, bildete;3342 8 Jahre für Backöfen/Mehlsilos.3343 Das OLG Bamberg hielt den 8-jährigen Prognosezeitraum wegen der Langlebigkeit des Wirtschaftsgutes und des daraus folgenden, sich gleich-

3330 BGH, Urt. v. 3.6.1971, BB 1971, 843 = NJW 1970, 1611; v. 28.6.1973, DB 1973, 1740 – insoweit in BGHZ 61, 112 nicht abgedruckt – = NJW 1973, 1747; OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 45.

3331 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 65 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent. 3332 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002, VersR 2002, 976 (978). 3333 OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). 3334 Ströbl BB 2013, 1027 (1031). 3335 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; aA LG Berlin, Urt. v. 4.7.2018 – 11 O 52/ 14: 3 Jahre bei einer Vereinszeitschrift (Tennisclub, fraglich wegen der „Treue“ der Vereinsmitglieder). 3336 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 65 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 48; aA OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127): 3 Jahre im Textilbereich bei einer Abwanderungsquote von 33 %. 3337 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 65 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent. 3338 OLG Köln, Urt. v. 29.4.1968, VersR 1968, 966; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 8.12.1970, HVR Nr. 428; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 123 (bei langlebigen Produkten). 3339 BGH, Urt. v. 19.5.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668 = ZIP 1999, 1094 (1099). 3340 8 Jahre: BGH, Urt. v. 22.2.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759; nach den Verhältnissen des Einzelfalls OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089; regelm. 5 Jahre wieder BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 17. Einen 5jährigen Prognosezeitraum vertreten auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035; OLG Köln, Urt. v. 23.1.2009 – 19 U 63/08; OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/ 06; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 123. Anders kann mglw. entschieden werden, wenn greifbare Umstände bekannt werden, die für eine Verlängerung des der Schätzung zu Grunde zu legenden Nachkaufintervalls sprächen (OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08). 3341 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/ 09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425. 3342 OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). 3343 OLG Bamberg, Urt. v. 24.10.1983 – 4 O 186/82, HVR Nr. 932. 517

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1. Buch. Handelsstand

falls über einen erheblichen Zeitraum erstreckenden Bedarfs an Reparaturen, Ersatzteilen und Zubehör für angemessen; 10 Jahre bei der Vermittlung von Riester-Rentenversicherungen;3344 13 Jahre bei Gabelstaplern mit nämlicher Lebensdauer;3345 203346 bzw. 10 Jahre3347 bei einem Lotto-Unternehmer. Der BGH hat von der Provision des letzten Vertragsjahres für jedes Folgejahr eine Provisionsminderung von 5 % angenommen und kam zu dem Ergebnis, die Vorteile der HV-Tätigkeit würden erst 20 Jahre nach Vertragsbeendigung enden. Hierbei dürfte es sich eher um einen Ausnahmeentscheidung handeln.

3. Abwanderungsquote 502 Des Weiteren ist zu beachten, dass der Kundenstamm einer Fluktuation unterliegt und pro Jahr Kunden ihre Geschäftsbeziehungen zum Unternehmer lösen. Dem wird durch den Abzug einer Abwanderungsquote Rechnung getragen,3348 was ebenfalls RL-konform ist.3349 Wie unter Rn 479 ff. „Abwanderung“ ausgeführt, lässt es der BGH3350 zu, dass auf den Abzug einer Abwanderungsquote verzichtet wird, sofern der Umsatz mit Stammkunden über einen längeren Zeitraum einen gleich bleibenden Anteil am Gesamtgeschäft ausmacht. Der Rohausgleich wird dann ermittelt, indem der ausgleichsrelevante Umsatz mit neu geworbenen oder erweiterten Stammkunden (ohne potenzielle Stammkunden) mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums multipliziert wird. Das gilt auch außerhalb des Kfz-Vertragshändlerrechts. Das Umsatzvolumen aus dem Ausgangszeitraum darf also nicht ohne weiteres für die ganze Prognosedauer als unveränderte Größe angesetzt werden. Es ist daher eine Abwanderungsquote aus der Zeit vor Vertragsbeendigung zu ermitteln,3351 wobei nicht die Abwanderung von Kunden nach Kopfzahl, sondern die Umsatzminderung pro abgewanderten Kunden entscheidend ist. Lässt sich die Abwanderungsquote mangels ausreichender Anhaltspunkte für die Kundenbewegung während der Vertragszeit nicht konkret ermitteln, kann auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden;3352 notfalls unterliegt sie tatrichterlichem Schätzungsermessen nach §§ 286, 287 ZPO,3353 und zwar sowohl bei Neu- wie Altstammkunden.3354 Vorrangig vor einer Schätzung ist aber eine konkrete Berechnung anhand der Verhältnisse des Einzelfalls.3355 So kann bei langjährigen, hohen Kundenverlusten die Berücksichtigung einer höheren Abwanderungsquote angemessen sein.3356 Damit wäre die Höhe der Abwanderungsquote nicht ohne arbeitsintensive Berechnung bestimmbar, was geradezu nach Schematisierungen 3344 LG Hamburg, Urt. v. 28.11.2014 – 412 HKO 70/09, BeckRS 2015, 17876. 3345 BGH, Urt. v. 31.1.1991 – I ZR 142/89, NJW-RR 1991, 1050 (1052); Horn ZIP 1988, 137 (142); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 82. BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, WM 1975, 931. OLG Schleswig, Beschl. v. 31.7.2014 – 16 U 68/14, BeckRS 2015, 11000. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 206. Emde DStR 2009, 1478 (1485); Westphal DB 2010, 1333 (1338). BGH, Urt. v. 26.2.1997 (Renault), BB 1997, 852 ff. = NJW 1997, 1503 (1505). Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 206. BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16; Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, NJW 1997, 1503 C II 2, v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, NJW-RR 2002, 1548 B III. 3353 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16; Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 27 (Tankstellen-HV); v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 17 (Tankstelle); v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 33 = EWiR 2008, 721 (Emde); v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 50 m. Anm. Emde; BGHZ 59, 125 = NJW 1972, 1664; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 206. 3354 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 29. 3355 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16; Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, NJWRR 2002, 1548 B III; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/2005, S. 14. 3356 Ströbl BB 2013, 1027 (1030).

3346 3347 3348 3349 3350 3351 3352

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

ruft.3357 Der Tatrichter ist jedoch nicht auf eine bestimmte Berechnungsweise festgelegt.3358 Im Lotto-Geschäft soll die Abwanderungsquote gering sein. Aufgrund des Konzessionsvorbehalts und der quasi-monopolistischen Stellung der Lotto-Unternehmen finde nur ein eingeschränkter Wettbewerb statt. Kundenabwanderung gäbe es daher ausschließlich aus im Einzelfall entfallenden Interesse am Lotto-Spiel oder aus Veränderungen in der Person der Kunden, wie z. B. Wegzug oder Tod.3359 Im Anzeigengeschäft sollen 20 % angenommen werden.3360 Eine schematische Abwanderungsquote ist insb. dann nicht zu beanstanden, wenn zwar die Kunden wegen der hohen Bindung an eine Software gezwungen waren, stets nur diese zu verwenden, andererseits die Zahl der Distributoren jener Software wächst und die Kunden unter den Distributoren wählen konnten.3361 Meist wird heute ohne nähere Diskussion von einer Abwanderungsquote von jährlich 20 % ausgegangen,3362 etwa bei der Vermittlung von Telefonverträgen.3363 Der Tatrichter darf etwa einen jährlichen Abzug von 20 % von dem im vorgehenden Prognosejahres noch verbliebenem Altkunden-Bestand3364 (geringere Reduzierung) oder einen solchen von 20 % pro Prognosejahr von dem Betrag des bei Vertragsende vorhandenen Stammkundenumsatzes vornehmen (etwa 80, 60, 40, 20 % des Ausgangsjahres = höhere Abwanderungsquote).3365 Beide Berechnungswege sind zulässig.3366 Die Grenzen der Berechnung sind jedenfalls gewahrt, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung auf Grund der Kundenbewegung während der Vertragszeit oder anderer konkreter Umstände mit einer stärkeren oder geringeren Abwanderung der geworbenen Stammkunden zu rechnen ist.3367 Nicht als abgewandert gelten Kunden, die nach einer kurzen Unterbrechung wieder Geschäfte tätigen, etwa solche, die regelmäßig nach einjähriger Unterbrechung Zwei-Jahres-Verträge schließen.3368 Das Kunden mit einer höheren Kauffrequenz pro Jahr mit weniger hoher Wahrscheinlichkeit abwandern als solche mit einer geringeren soll eine bloße, nicht bewiesene Vermutung sein.3369 Anhand dieser Grundlagen können aus dem Provisionsverlust des HV die Unternehmervorteile errechnet werden. Sie betragen für das 1. Jahr nach Beendigung des HV-Verhältnisses die ermittelte Jahresprovision abzüglich der Abwanderungsquote. Für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung berechnen sie sich, indem von dem des 1. Jahres erneut die Abwanderungsquote abgezogen wird. Auch für das 3. Jahr und die nachfolgenden Jahre wird jeweils der Provisionsverlust des Vorjahres abzüglich der Abwanderungsquote zugrunde gelegt, und zwar für so viele Jahre, wie der HV aus dem von ihm geschaffenen Kundenstamm noch hätte Vorteile ziehen können. Schließlich sind die Provisionsverluste der einzelnen Jahre zusammenzuziehen. Als Ergebnis erhält man die gesamten Unternehmervorteile des HV. 3357 3358 3359 3360 3361 3362

Sie sind zulässig, s. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 207. BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 33 = EWiR 2008, 721 (Emde). OLG Schleswig, Beschl. v. 31.7.2014 – 16 U 68/14, BeckRS 2015, 11000. LG Berlin, Urt. v. 4.7.2018 – 11 O 52/14. BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 34 = EWiR 2008, 721 (Emde). BGH BB 2007, 2475 Rn 50; OLG München, Urt. v. 14.5.2014 – 7 U 2586/13, BeckRS 2014, 10205; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 209. 3363 Ströbl BB 2013, 1027 (1030). 3364 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 Rn 16; Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, WM 2003, 2095 B I 3 b. 3365 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 33 = EWiR 2008, 721 (Emde); v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06 – VIII ZR 194/06, VersR 2008, 214 Rn 24; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499, II 3 sowie VIII ZR 58/00, WM 2003, 491, B 3; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, WM 1998, 31, B 2 III sowie VIII ZR 92/96, WM 1998, 25, unter B I 3; LG Hamburg, Urt. v. 22.3.2013 – 418 HKO 97/10. 3366 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 33 = EWiR 2008, 721 (Emde). 3367 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 33 = EWiR 2008, 721 (Emde), v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, Rn 15; v. 2.2.2003 – VIII ZR 130/01, unter B I 3b, v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, unter II 3 sowie VIII ZR 58/00, unter B 3; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, unter B II 3 sowie VIII ZR 92/96, unter B I 3. 3368 OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. 3369 BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 17. 519

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Beispiel: Der HV hat in den letzten zwölf Monaten seiner Tätigkeit für den Unternehmer insgesamt 50.000 EUR an ausgleichsrelevanten Provisionen mit neugeworbenen Mehrfachkunden, erweiterten Altmehrfachkunden oder potentiellen Mehrfachkunden verdient. Der Prognosezeitraum ist auf vier Jahre festzusetzen, wobei die Abwanderungsquote mit 25 % angemessen ist: Damit beträgt der aus dem Provisionsverlust errechnete Unternehmervorteil: für das 1. Jahr nach Vertragsbeendigung: 50.000,00 EUR./. 25 % (12.500,00 EUR) = EUR 37.500,00 für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung: 37.500,00 EUR./. 25 % (9.375,00 EUR) = EUR 28.125,00 für das 3. Jahr nach Vertragsbeendigung: 28.125,00 EUR./. 25 % (7.031,25 EUR) = EUR 21.093,75 für das 4. Jahr nach Vertragsbeendigung: 21.093,75 EUR./. 25 % (5.273,44 EUR) = EUR 15.820,31 Unternehmervorteile insgesamt: EUR 102.539,06.

Teilweise werden auch jedes Jahr 20–25 % vom Betrag des Basisjahres, hier EUR 12.500, (bei 25 % Abwanderungsquote) abgezogen,3370 was jedoch tatsächlich zu einer sich jährlich steigernden und damit 25 % übersteigenden Abwanderungsquote und mithin zu einem geringeren Ausgleich führen würde. Die dem Nachfolger des HV gegenüber bestehende Provisionsverpflichtung ist bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nicht zu berücksichtigen,3371 selbst wenn aus den ausgleichspflichtigen Geschäften nach Abzug des Ausgleichsanspruchs und möglicher Provisionsverpflichtungen des Nachfolgers Verluste entstehen können.3372 Die Kommission hat in ihrem vorgenannten Bericht zur Anwendung des Art. 17 RL3373 ein 505 allerdings – schon wegen seiner Schematisierung – den EuGH und auch deutsche Gerichte nicht bindendes Beispiel für die Bezifferung des Ausgleichs wiedergegeben. Es steht zu vermuten, dass der EuGH den so definierten Rechenweg akzeptieren würde. Denn er orientiert sich häufig an den Aussagen dieses Berichts.3374 Der Ausgangspunkt des dort dargelegten Rechenwegs sind die dem HV in den letzten 12 Monaten seiner Tätigkeit gezahlten Provisionen. Der Bericht multipliziert sie bei einer angenommenen Abwanderungsquote von jährlich 20 % über einen 3-jährigen Prognosezeitraum, was bei Provisionen der letzten 12 Monate von 50.000 EUR zu einem Unternehmervorteil in Höhe von 97.600 EUR führt. Die Abzinsung beträgt 10 %; es folgt eine Billigkeitsanpassung und die Begrenzung durch den Höchstbetrag. 506 Allgemeine, für alle HV-Verträge geltende Erfahrungswerte zur Abwanderungsquote fehlen.3375 Die Kundenfluktuation kann aus der durchschnittlichen Abwanderungsquote der Vergangenheit ermittelt werden. Es besteht die Vermutung, auch in Zukunft werde eine der Vergangen-

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3370 Siehe etwa Berechnungsbeispiel von Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 224. 3371 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 22 – Vertragshändler.

3372 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2351) Rn 21 – Volvo-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 19 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Vorlagebeschl. v. 6.8.2009, EWS 2009, 440; Vorlagebeschl. v. 29.4.2009 – VIII ZR 226/07, RIW 2009, 640 = VersR 2009, 1116 = EWiR 2009, 611 (Emde) Rn 24; Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 48 m. Anm. Emde; BGHZ, 42, 244 (248). 3373 COM (96) 364 final, S. 4; hierzu Emde DStZ 2009, 1478 (1485). 3374 Emde DStR 2009, 1478. 3375 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 98. Emde

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heit entsprechende Zahl von Kunden abwandern,3376 es sei denn, zum Zeitpunkt des Vertragsendes ist eine abweichende Entwicklung konkret vorhersehbar.3377 Wenn in der Vergangenheit keine Fluktuation zu beobachten war, ist auch in der Zukunft von ihrem Fehlen auszugehen, es sei denn, es bestehen im Prognosezeitraum Anhaltspunkte für das Abspringen einzelner oder aller Kunden (im letztgenannten Fall kann der Ausgleich auf Null reduziert werden). Derartige Anhaltspunkte mögen etwa bestehen, falls bei Vertragsende eine Konkurrenztätigkeit abzusehen ist.3378 Wurde mit dem HV kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart, ist nicht allein deshalb eine höhere Abwanderungsquote anzusetzen.3379 Auch darf wegen der gebotenen „Als-ob-Betrachtung“3380 der Wegfall der Betreuung durch den HV nicht zu einer höheren Abwanderungsquote führen.3381 Semler3382 geht von Quoten zwischen 10 und 25 % aus. Das OLG Köln3383 hat die durchschnittliche Quote der jährlichen Abwanderung für einen Beobachtungszeitraum von 5 Jahren im dortigen Fall auf insgesamt 20 % ermittelt. Um die Abwanderungsquote müsste demnach das zuletzt errechnete Jahresprovisionsvolumen im Fortschreiten der Prognoselaufdauer degressiv gekürzt werden.3384 Die Summe der sich so errechnenden degressiven Jahresbeträge ergibt dann den Provisionsverlust. Eine Nivellierung durch mögliche Neuzugänge findet nicht statt. Das OLG Karlsruhe3385 bestimmte eine Abwanderungsquote von 15 %, der BGH bei LottoVertretern von 5 %,3386 wiederum von 38 % beim Vertrieb von Haushaltsgeräten.3387 In einem Fall hat der BGH3388 eine schematische Abwanderungsquote von jährlich 20 % innerhalb eines Prognosezeitraumes von 4 Jahren nicht anerkannt, sofern das beklagte Unternehmen detailliert und unter Beweisantritt vorgetragen habe, der Umsatz mit den vom Kläger geworbenen Kunden sei schon im ersten Jahr nach Vertragsbeendigung auf die Hälfte zurückgegangen. Der BGH hat eine solche Abwanderungsquote als Erfahrungswert an anderer Stelle aber akzeptiert.3389 Diese Entscheidung ist heute wohl überholt, weil es auch für die Abwanderung nur auf eine Prognose bei Vertragsende ankommen kann (Rn 198). Andererseits hat der BGH mehrfach gem. § 287 ZPO geschätzte Abwanderungsquoten von z. B. 10, 20,3390 20 % jeweils vom Vorjahresbetrag3391 und 25 % gebilligt. Zum Teil wurde eine Abwanderung von 25 % in den ersten drei Jahren und von 10 % in den letzten beiden Jahren unbeanstandet gelassen.3392 Man wird also sagen können, dass Vermutungen wie schematische Abwanderungsquoten zulässig sind, sofern nicht eine Partei die Vermutung durch substantiierten Gegenvortrag widerlegt. Diese trägt dann allerdings für die Widerlegung die Beweislast. Die Abwanderungsquote wird nicht um eine Zuwanderungsquote

BGH NJW-RR 1991, 1050 (1052); ZIP 1997, 841 (845); 1832 (1837); 1839 (1844); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 98. BGH NJW 2000, 109; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 98. BGH, Urt. v. 15.9.1999, NJW-RR 2000, 109; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 894. Emde EWiR 2000, 237 (238); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 98. Prognose der Entwicklung, wie sich die Verhältnisse entwickelt hätten, wenn der Vertrag durch den bisherigen HV fortgesetzt worden wäre. 3381 Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 43; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 98. 3382 Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 42. 3383 VersR 1968, 966 ff. 3384 Küstner Anm. zu OLG Karlsruhe BB 1982, 274. 3385 Urt. v. 27.3.1981 – 14 U 245/79, BB 1982, 274/275. 3386 BGH, Urt. v. 4.6.1975 – I ZR 130/73, BB 1975, 1409. 3387 BGH Urt. v. 23.2.1994 – VIII ZR 94/93, NJW 1994, 1350. 3388 Urt. v. 15.9.1999 – VIII ZR 137/98, NJW-RR 2000, 109. 3389 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 − VIII ZR 322/09, NJW 2011, 1143 Rn 17. 3390 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 − VIII ZR 322/09, NJW 2011, 1143 Rn 17; Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 17 (Tankstelle); v. 6.8.1997, NJW 1998, 66 (71); v. 10.7.2002, NJW-RR 2002 1548 (1553); v. 22.3.2006, 1403 (1407); OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – BMW. 3391 BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, BB 2008, 2594 m. Anm. Hilgard Rn 32 ff. = EWiR 2008, 721 (Emde). 3392 BGH, Urt. v. 5.6.1996 (Fiat/Lancia), BB 1996, 2265; v. 5.6.1996 (Volvo), BB 1996, 1683: OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003, NJW-RR 2003, 900.

3376 3377 3378 3379 3380

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potentieller Stammkunden bereinigt. Deren Zahl wurde bereits mittels einer Erhöhung der Ausgleichsbemessungsgrundlage berücksichtigt.3393

4. Abzinsung 507 Von dem so bestimmten Betrag ist eine Abzinsung vorzunehmen.3394 Sie rechtfertigt sich daraus, dass dem HV mit dem Ausgleichsanspruch eine Einmalzahlung zufließt, die er ohne Beendigung des Vertrages als Provision über einen längeren Zeitraum verteilt erhalten hätte. Diesem Zinsvorteil und Kapitalisierungseffekt ist durch einen Zinsabzug Rechnung zu tragen. Da es auf den den sofortigen Vermögenszuwachs beim HV und nicht beim Unternehmer ankommt, hat die Abzinsung auch zu erfolgen, wenn dem Unternehmer der Vorteil sofort zufällt, wie bei einem Unternehmensverkauf kurz nach Vertragsende.3395 Die Zinssätze werden sich an dem Zinsniveau des Kapitalmarktes zu orientieren haben. In der Vergangenheit ist wiederholt mit festen Zinssätzen abgezinst worden. Das OLG Köln3396 hat sie über die dortige Prognosedauer von fünf Jahren mit 20 % angenommen; vermutlich – die Gründe sagen das nicht – = 5 x jährlich 4 %. Das OLG Celle BB 1970, 227 rechnet konkret und gelangt zu einem Abzins von 10 % für eine vierjährige Prognosedauer,3397 in einer anderen Entscheidung von 15 % bei 4-jährigem Prognosezeitraum.3398 Das OLG Frankfurt/M. nimmt eine Abzinsung von 16 %3399 vor. Das OLG München schätzte bei einer niedrigen Inflationsrate den Abzinsungssatz auf jährlich 5 %.3400 Die Suche nach festen Zinssätzen dient der Rechtssicherheit, führt aber zu Ungerechtigkeiten in untypischen Hoch- und Niedrigzinssatzphasen. Ein für alle Fälle einheitlicher Satz wird sich nicht finden lassen. Der Tatrichter kann unter den in der Praxis gebräuchlichen Abzinsungsmethoden frei wählen.3401 Eben hier liegt die Bedeutung des Erfordernisses des „angemessenen“ Ausgleichs. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die Provisionsverluste sich auf den Prognosezeitraum ungleichmäßig verteilen können, was einem gleichbleibenden Abzinsungssatz entgegensteht. Folglich wird nur individuell vorgegangen werden können. Derzeit wird eine Abzinsung von rund 10 % über den gesamten Prognosezeitraum zu rechtfertigen sein.3402 Die Praxis nimmt häufig eine Abzinsung nach Gillardon3403 oder Hoffmann3404 vor. Die Abzinsung nach Hoffmann geschieht wie folgt: (100 x abzuzinsender Betrag): (100 + [Prozentsatz x Anzahl der Jahre des Prognosezeitraums]). Nach Gillardon wird bei einem 5jährigen Prognosezeitraum

3393 Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 896. 3394 BGH, Urt. v. 8.11.1990 – I ZR 269/88, NJW-RR 1991, 484; BGH ZIP 1997, 1832 (1838); Korte DB 2011, 2761 (2764); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 214; Westphal I Rn 707; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 164. 3395 AA Korte DB 2011, 2761 (2764). 3396 Urt. v. 29.4.1968, VersR 1968, 966 (967). 3397 OLG Celle BB 1970, 227; v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976; zustimmend Graf v. Westphalen/Westphal Handbuch des Handelsvertreterrechts in EU-Staaten und der Schweiz, Länderteil Deutschland, Rn 708. 3398 OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zu einem Franchisevertrag. 3399 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 8.12.1970 – VU 94/70. 3400 OLG München, Urt. v. 14.5.2014 – 7 U 2586/13, BeckRS 2014, 10205. 3401 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 51 m. Anm. Emde; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 164. 3402 So auch MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 149 in seinem Berechnungsbeispiel. 3403 Gillardon, Multifaktoren, Bretten 1976; siehe etwa OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089 Rn 31 – Kfz-Vertragshändler; Beschl. v. 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129- DucatiVertragshändler; OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); ebenso die Münchner Formel gem. Beschl. des LG München v. 3.8.1998, 15 HKO 23905/97. 3404 BGH, Urt. v. 10.10.1991 – III ZR 308/89, BGHZ 115, 307 (310) = NJW 1991, 3274; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2012 – I-16 U 47/11, IHR 2014, 154 = GWR 2013, 15 (Imhof) = BeckRS 2012, 24374 = BB 2013, 788 m. Anm. Lentrodt; v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310; v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; v. 17.12.1999, OLGR 2000, 354 (357); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (145); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 905; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 164. Emde

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(60 Monate) wie folgt abgezinst: 52,9907: 60. Andere anerkannte Methoden sind ebenfalls zulässig.3405 Abgezinst wird vom Rohausgleich und nicht von der Ausgleichshöchstgrenze. Denn würde von der Ausgleichshöchstgrenze abgezinst, könnte sie niemals erreicht werden. Die vom Gesetz vorgesehene Ausgleichshöchstgrenze wäre Makulatur.3406 Selbst wenn der Ausgleich erst lange Zeit nach Beendigung des HV-Verhältnisses, z. B. nach mehrjährigem Prozess, zur Auszahlung gelangt, ist eine Abzinsung vorzunehmen.3407 Als Kompensation sind auf den abgezinsten Ausgleichsbetrag seit dem auf die Vertragsbeendigung folgenden Tag (meist höhere) Fälligkeits- und Verzugszinsen zu leisten. Eine Abzinsung ist auch angebracht, falls die Ausgleichszahlung in Raten erfolgt. Der abgezinste Provisionsverlust ist schließlich noch um Billigkeitsgesichtspunkte zu korrigieren. Der sich so ergebende Betrag bildet den Rohausgleich.

5. Umsatzsteuer Der Ausgleich kann aus den Brutto-3408 oder Nettoprovisionen errechnet werden. Nur soweit er 508 aus den Nettoprovisionen errechnet wurde, darf nach Abschluss der Berechnung erneut Umsatzsteuer aufgeschlagen werden.3409 Wenn die Vermittlungstätigkeit für den Auftraggeber steuerfrei erbracht wurde, etwa weil sich der Leistungserfolg im Ausland verwirklichte (§ 4 Nr. 5 lit. c UStG), darf der Ausgleichsanspruch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht mit Umsatzsteuer belastet werden.3410 Maßgeblich für die Höhe der Umsatzsteuer ist der zum Datum der Fälligkeit des Ausgleichs geltende Umsatzsteuersatz. Unterliegt die Besteuerung des Ausgleichsanspruchs einem höheren Steuersatz als dem im Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs geltenden, hat der Mittler gegen den Hersteller unter den Voraussetzungen des § 29 UStG einen Anspruch auf Ausgleich der umsatzsteuerrechtlichen Mehrbelastung. Dieser Anspruch ist vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen.3411

6. Höchstbetragsberechnung Gem. § 89b Abs. 2 erreicht der Ausgleich höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf 509 Jahre der Tätigkeit des HV berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung. Dieser Höchstbetrag dient der Begrenzung des nach § 89b Abs. 1 ermittelten Rohausgleichs. Dem Höchstbetrag kommt damit nur Bedeutung zu, wenn er niedriger als der Rohausgleich ist und diesen deshalb der Höhe nach begrenzt. Falsch ist es, Billigkeitsabzüge vom Höchstbetrag vorzunehmen.3412 Eine Reduzierung unter Billigkeitsgesichtspunkten erfolgt ausschließlich vom Rohausgleich.

3405 BGH NJW-RR 2002, 1548; NJW 1998, 71 (75); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 215. 3406 AA Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 156: Abzinsung von den Provisionsverlusten des HV vor Berücksichtigung der Unternehmervorteile, weil bei den Unternehmervorteilen ein Kapitalisierungseffekt in Folge der Vertragsbeendigung nicht eintritt. Der BGH hat in seiner Entscheidung v. 8.11.1990, BB 1991, 368 = DB 1991, 1325 die Abzinsung von der Höchstgrenze vorgenommen. 3407 BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, ZIP 1997, 1832 (1838); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 164; aA noch Staub/ Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 88. 3408 Dafür Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 128. 3409 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVII Rn 14 ff. 3410 BFH BB 1998, 2297 = DB 1998, 2403. 3411 OLG Köln, Urt. v. 1.3.2002 – 19 U 182/01, OLGR Köln 2002, 221 = VersR 2002, 886. 3412 BGHZ 55, 45 (55); BGH NJW-RR 1993, 221; ZIP 1997, 238 (239); EBE 1999, 13 (16); EBE 2000, 109 (111); Westphal I Rn 710; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 116, 118. 523

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III. Eigener Ansatz zur Ausgleichsberechnung des HV 510 Über die dargestellten Vermutungen und Beweiserleichterungen hinaus wird hier die folgende Formel vorgeschlagen, welche der Entlastung von Ausgleichsstreitigkeiten und damit letztlich den Interessen aller Beteiligten dient. Der Gegenbeweis divergierender Daten steht jeder Partei frei. Ein solcher Beweis kann – nicht nur im anonymen Massengeschäft – auf Durchschnitts-, Erfahrungswerte und statistisches Material gestützt werden, an Hand dessen abweichende Zahlen geschätzt werden können (§ 287 ZPO).3413

1. Provisionseinnahmen 511 Ausgangspunkt der Berechnung des Rohausgleichs sind – wie dargelegt – bei typischem Geschäftsverlauf dieser Zeit alle Provisionen für Geschäfte mit sämtlichen Kunden, die der HV in den letzten zwölf Monaten seiner Tätigkeit verdient hat, unter Einschluss etwa von Verwaltungsund Bezirksprovisionen mit geworbenen Kunden. Generell hat der HV die Höhe dieser Provisionen darzulegen und zu beweisen (s. o.). Ihre absolute Höhe dürfte meist – sogar bezogen auf die einzelnen Kunden – nicht streitig sein, weil sie sich aus den nach § 87c Abs. 1 vom Unternehmer zu erteilenden Abrechnungen oder dem Buchauszug – so sie/er richtig sind/ist3414 – ergeben. Aus den so bestimmten Gesamtprovisionen lässt sich in den nachfolgend beschriebenen Schritten der Ausgleichsanspruch errechnen. Der Unternehmer kann die von ihm in die Abrechnung oder den Buchauszug eingestellten Zahlen nicht bestreiten. Mit der Abrechnung stellt der Unternehmer fest, welche Provision zur Auszahlung vorgesehen ist. Die Abrechnung ist ein Anerkenntnis des Unternehmers i. S. d. § 781 BGB,3415 welches gem. § 782 BGB nicht der Schriftform bedarf.3416 Für die Abrechnung spricht zugunsten des HV – nicht aber zu seinen Lasten – die Vermutung ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit,3417 weshalb der Unternehmer eine von ihm behauptete Unrichtigkeit der Daten beweisen müsste. Der Buchauszug enthält zwar keine Entscheidung, ob ein in ihn aufgenommenes Geschäft provisionspflichtig ist3418 sondern besagt nur, dass es provisionspflichtig sein kann. Soweit sich jedoch dem Auszug der hinreichend deutliche Wille des Unternehmers entnehmen lässt, ein bestimmtes Geschäft zu verprovisionieren (davon ist meist bei Fehlen eines Vorbehaltes auszugehen), ist dies – ebenso wie bei der Abrechnung – ein Anerkenntnis des Unternehmers. Legt der HV die in diesen Informationsträgern genannten Daten der Ausgleichsberechnung zugrunde, steht die Höhe des Ausgleichs fest, falls entsprechend dem hier vertretenen Weg berechnet wird. Von den Provisionsabrechnungen und dem Buchauszug abweichender Vortrag bleibt dem Mittler unbenommen, da er nicht an die nach § 87c vom Unternehmer angegebenen Zahlen gebunden ist. Der HV – so die hier eingenommene Ansicht – darf zur Vorbereitung einer Ausgleichsklage, notfalls im Wege der Stufenklage3419 (erste Stufe: Information, zweite Stufe: Ausgleich), einen Buchauszug oder andere Kontrollmittel des § 87c fordern,3420 was angesichts der Prozesswirtschaftlichkeit – Beweiserhebungen werden überflüssig – auch im Interesse der Gerichte liegen dürfte (s. Kommentierung

3413 BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (822) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095.

3414 Eine bewusst falsche Darstellung des Unternehmers wäre (versuchter) (Prozess-)Betrug. 3415 OLG Karlsruhe HVR Nr. 445; OLG München VersR 1961, 1090; Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VI Rn 43; Westphal I Rn 629; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3c. 3416 Westphal I Rn 629. 3417 Ebenroth/Löwisch3 § 87c Rn 65. 3418 Küstner/Thume/Riemer I5 Kap. VI Rn 103. 3419 LG Köln, Urt. v. 6.3.2018 – 8 O 158/15, ZVertriebsR 2019, 264 Rn 45. 3420 OLG Hamburg, Urt. v. 19.6.1991 – 5 U 12/90; n. v.; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.15 – 33 O 119/12, ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14 (§ 87c Abs. 3); Ebenroth/Löwisch3 § 87c Rn 3; einschränkend Emde

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zu § 87c). Jedenfalls wäre ein Auskunftsrecht nach §§ 259, 260 BGB3421 oder § 242 BGB3422 gegeben. Nur wenn eine Stufenklage zugelassen wird, kann der HV die Verjährung des Ausgleichsanspruchs während eines langjährigen Streits um die Erfüllung der Informationsrechte aus § 87c verhindern. In Ermangelung präziserer Daten kann die Gesamtprovisionshöhe aus lückenhaft übermittelten oder für Zeiträume außerhalb der genannten Zwölfmonatsspanne erteilten Provisionsrechnungen geschätzt werden, sofern der HV plausibel macht, warum die Abrechnungen nicht vollständig vorhanden, sie jedoch typisch sind und der Unternehmer – was ihm angesichts seiner Buchführungspflicht möglich sein dürfte – nicht substantiiert bestreitet.3423 Die Provisionen der letzten zwölf Monate als Rechenbasis werden jedoch regelmäßig bekannt sein.

2. Anteil werbender, ausgleichspflichtiger Provision Der Abzug eines verwaltenden Anteil von dieser Gesamtprovision sollte nicht anerkannt wer- 512 den. Dies gilt insbesondere, sofern der HV-Vertrag nicht – wirksam (Rn 479 ff. „Werbende Provision“) – eine Separierung werbender und verwaltender Provisionsanteile vornimmt, für deren Angemessenheit jedoch der der Provisionsberechnung näher stehende Unternehmer darlegungs- und beweisbelastet bleibt. Allenfalls ist über einen Abzug für „verwaltende Tätigkeiten“ von 10 % nachzudenken. Für einen höheren Abzug verwaltender Vergütungsanteile wäre der Unternehmer beweispflichtig. Die Vermutung spricht daher für keinen Abzug, höchstens jedoch einen solchen von 10 %.

3. Werbung von Neukunden oder Erweiterung von Altkunden Der HV muss die Werbung von Neukunden und/oder die Erweiterung bestehender Altkunden- 513 beziehungen darlegen und beweisen. Nur mit solchen Kunden erzielte Provision ist ausgleichsrelevant. Die sich aus den Abrechnungen ergebende absolute Provisionshöhe mit allen Kunden ist nach bisheriger Dogmatik für sich besehen kein ausgleichserheblicher Umstand. Den erteilten Abrechnungen oder dem Buchauszug lässt sich jedoch ohne Aufarbeitung kaum entnehmen, welche Kunden ausgleichspflichtige neugeworbene Stammkunden oder erweiterte Altstammkunden sind. Das wirkt prohibitiv. Für den HV ist die Neukundenwerbung schwierig zu beweisen.3424 In der Regel gelingt dies nur durch Zeugenbeweis der Kunden.3425 Eine solche Beweisaufnahme kompliziert und verlängert das Ausgleichsverfahren. Langjährige Streitigkei-

Rn 12: nur ergänzender Auskunftsanspruch gem. § 87c Abs. 3; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 77 Rn 47; Thume BB 2009, 2490 (2495) – für Auskunftsanspruch. Ablehnend BGH NJW 1996, 2100; OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2004, r+s 2004, 349 (350) (Buchauszug); LG Hamburg, Beschl. v. 10.11.1998 – 325 O 257/98 – n. v.; Wolff BB 1978, 1246; Emde MDR 1999, 1108 (1111); Emde NJW 2000, 796; Eberstein 8. Aufl. 1999, S. 125; Westphal I Rn 1224; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 227; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. 3421 Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. 3422 BGH, Urt. v. 10.3.1969 – VII ZR 246/59, BB 1960, 796; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.15 – 33 O 119/12, ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82) Fn 33 – Vertragshändler; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 79. 3423 BAG DB 1998, 1719 (zu einem Arbeitsvertrag). 3424 Der Verfasser hat Rechtsstreitigkeiten erlebt, in welchen HV ihre Ausgleichsklagen zurücknehmen mussten, weil sie die ausgleichsrelevanten Tatsachen nicht über die verdienten Gesamtprovisionen hinaus substanziieren konnten. 3425 Der allerdings oft den Kunden und damit dem mit ihnen in Geschäftsbeziehung stehenden Unternehmer missfällt. 525

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ten mit umfangreichen Beweisaufnahmen ändern am wirtschaftlichen Ergebnis meist wenig (= Scheinpräzision), vor allem dann nicht, wenn selbst nach einer für den HV ungünstig verlaufenen Beweisaufnahme der Rohausgleich noch immer die Ausgleichshöchstgrenze übersteigt und damit exakt das zu zahlen ist, was auch ohne Beweis zu leisten gewesen wäre. Die Gerichte prüfen zu wenig, ob Beweisangebote trotz Schätzmöglichkeit im Lichte der Ausgleichshöchstgrenze relevant sind. Zu Gunsten des HV sollte die Vermutung eingreifen, dass ein Kunde zum einen Neukunde ist, wenn er erstmals nach längerer Vertragsdurchführung in den Abrechnungen oder dem Buchauszug genannt wird und dass dieser Neukunde zum anderen von dem HV geworben wurde.3426 Das hilft jedoch nicht bei Kunden, die schon direkt nach Vertragsbeginn in Abrechnung oder Buchauszug bezeichnet werden und ebenso wenig nach kurzer Vertragsdauer. Deshalb sollte bei einem übernommenen Gebiet der Anteil der vom HV geworbenen Neukunden und erweiterten Altkunden gestaffelt nach Vertragsdauer wie folgt angenommen werden: Nach: sechs Monaten: 5 % dem ersten Vertragsjahr: 10 % dem zweiten Vertragsjahr: 20 % dem dritten Vertragsjahr: 30 % dem vierten Vertragsjahr: 40 % dem fünften Vertragsjahr: 50 % der nach obigen Maßstäben ermittelten Gesamtprovision aus Geschäften mit allen Kunden. 514 Handelt es sich beim HV um den Erstvertreter in dem übernommenen Gebiet, sind vermutlich alle Kunden Neukunden. 515 Bei weniger als sechs Monaten Vertragsdauer wird der HV den Vollbeweis der Neukundenwerbung bzw. der Erweiterung der Altkunden führen müssen. Wird der Vertrag über mehr als fünfzehn Jahren durchgeführt, steht zu vermuten, alle Kunden seien neu geworben oder erweitert. Diese Vermutung trägt der Lebenserfahrung Rechnung, ein Teil der Geschäftsverbindungen beruhe auf der Tätigkeit des HV.3427 Derjenige, der von dieser Vermutung abweicht, ist hierfür beweisbelastet. Dem Unternehmer wird es meist leichter als dem HV fallen, nachzuweisen, dass er schon vor Beginn des HV-Vertrages Geschäfte mit den im Streite stehenden Kunden getätigt hat.3428 Nur auf sein subtantiiertes Bestreiten hin ist daher Beweis über die Altkundeneigenschaft aufzunehmen.3429 Zum Gegenbeweis braucht der Unternehmer lediglich Dokumente zu früheren Lieferungen an den Kunden, etwa Rechnungen, vorzulegen, was angesichts der heutigen EDV, der ohnehin bestehenden Verpflichtung des Unternehmers, für die Informationsrechte nach § 87c solche Daten zu sichern und der Aufbewahrungsfristen für Handelsbücher kaum ein Problem darstellt. Außerdem befindet sich der Unternehmer regelmäßig in Kontakt zu den Kunden und kann sich von ihnen leichter als der dem Geschäft nun fern stehende HV eine Bestätigung geben lassen.

4. Mehrfach- oder Stammkundenquote 516 Der Stammkundenanteil darf durch den Tatrichter geschätzt werden.3430 Es sollte die Vermutung eingreifen, der Anteil der für Geschäfte mit Mehrfachkunden gezahlten Vergütung betrage 50 % des Umsatzes der nach den Maßstäben zu 3. bezifferten Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden (Stammkundenquote). Dann und bei Wegfall einer Abwanderungsquote könnte möglicherweise die Vermutung entfallen, aus bisherigen Einmalkunden würden wäh3426 3427 3428 3429 3430 Emde

Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 77 Rn 31. Eberstein 8. Aufl. 1999, S. 125. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 232. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 232. BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 (980) = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107. 526

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rend des Prognosezeitraums ein Teil Mehrfachkunden und deshalb seien 2/3 der um verwaltende Provisionen bereinigten Erträge des letzten Jahres aus Verkäufen an Einfachkunden zu addieren.3431 In einem anderen Fall hat der BGH3432 eine Erhöhung der Rabatte aus Käufen der Erwerber, welche mindestens zweimal Vertragswaren erwarben, um 30 % vorgenommen. Die eine wie die andere Quote ist angemessen, zumal auch bei einem Teil der bisherigen Einmalkunden als ausgleichspflichtige sog. „potentielle Mehrfachkunden“ erwartet werden kann, dass sie zu Stammkunden werden.3433 Dies entspricht sehr der Münchner Formel zum Vertragshändlerrecht, in der die Vorsitzenden Richter der Kammern für Handelssachen des LG München I von einer regelmäßigen Stammkundenquote der BMW-Händler zwischen 30 und 60 % ausgingen. Einer solchen Schätzung kommt ferner die Rspr. des BGH nahe: Der BGH entschied, für die Schlüssigkeit des Vortrags eines Vertriebsmittlers reiche es, eine Stammkundenquote von 80 % vorzutragen, sofern der Hersteller diesen Vortrag nicht dezidiert bestreite.3434 Also ist ein pauschaler Vortrag mit geschätzten Stammkundenzahlen zulässig und Entsprechendes gilt für eine solche Vermutung. Derjenige, der sich auf eine Abweichung von der Vermutung beruft, ist für sie beweispflichtig. Häufig werden die Parteien aber nicht abweichen wollen. Denn die Annahme trägt einen erheblichen Gerechtigkeitsgehalt in sich und vermeidet Beweisaufnahmen.

5. Vorteilsprognose Die gem. § 89b Abs. 1 Nr. 1 erforderliche Prognose der Unternehmervorteile kann im Wege der 517 Schätzung erfolgen.3435 Wie dargelegt besteht die Vermutung, der Unternehmer werde geschaffene Geschäftsverbindungen fortsetzen.3436 Zudem valutiert der Unternehmervorteil mindestens in Höhe der ausgleichspflichtigen Provisionen des Basisjahres (Rn 479 ff. „Vorteile des Unternehmers“). Diese Faustformel3437 darf prima facie als zutreffend gelten, so dass der HV im Prozess mit der Berufung auf sie seiner Darlegungs- und Beweispflicht zunächst genügt und der Unternehmer ihre Geltung im konkreten Fall zu erschüttern hat. Vorteile des Unternehmers werden angenommen, weil jeder wirtschaftlich denkende Unternehmer sie aus einem überlassenen Kundenstamm ziehen wird. Der Unternehmer müsste fehlende Vorteile darlegen und beweisen. Die so vermuteten Unternehmervorteile trägt der HV durch Bezifferung der nach den vorgenannten Maßstäben bestimmten, mit ausgleichspflichtigen Kunden erzielten Provisionseinnahmen des letzten Vertragsjahres vor.

3431 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2301); OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/ 01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde).

3432 Urt. v. 2.7.1987, NJW-RR 1988, 42 = WM 1987, 1462 = ZIP 1987, 1383 – Kfz. 3433 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2301); 1997, 841; ebenso Westphal MDR 1996, 130; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 99.

3434 BGH DB 2000, 967. Dabei handelt es sich um ein Urteil des BGH zum Vertragshändlerrecht. Der Unternehmer eines Vertragshändlers ist aber nicht in gleicher Weise über die Kundenbeziehungen informiert wie der Prinzipal des HV, welcher die Geschäfte selbst schließt. Umso mehr muss die vom BGH befürwortete Beweiserleichterung in das HV-Recht Eingang finden. 3435 Etwa Verlängerungen und Summenerhöhungen bei einem VV-Vertrages, siehe BGH DB 2000, 967. 3436 BGH, Urt. v. 11.10.1990, NJW-RR 1991, 156; Urt. v. 25.10.1984, NJW 1985, 859; v. 20.11.1969, MDR 1970, 581; OLG Koblenz HVR Nr. 123; Eberstein 8. Aufl. 1999, S. 125; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 77 Rn 31; Westphal I Rn 1347; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 37b, 100, 231; Glanegger/Ruß § 89b Rn 33; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 177; einschränkend MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 83: Vermutung nur bei längerer Geschäftsbeziehung, im Verlauf derer es immer wieder zu Nachbestellungen kam. 3437 OLG Oldenburg, Urt. v. 25.2.2014 – 13 U 86/13, IHR 2014, 112 = BeckRS 2014, 05367. 527

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6. Prognosezeitraum 518 Trägt keine Partei zur Dauer der Geschäftsbeziehungen Abweichendes vor, dürfte ein Regelprognosezeitraum von vier Jahren angemessen sein.3438 Ein solcher Prognosezeitraum ist – wie oben entwickelt – häufig in der Rechtsprechung anerkannt worden. Er ist für den Unternehmer eher günstig, sieht man auf die im Kfz-Vertragshändlerrecht meist angenommene Prognosedauer von 53439 oder 83440 Jahren.

7. Fluktuations- oder Abwanderungsquote 519 Die Münchner Formel des LG München I verzichtet völlig auf den Abzug einer Fluktuationsquote voraussichtlich nach Vertragsende abwandernder Kunden. Es ist mithin zweifelhaft, ob eine solche Kürzung überhaupt sinnvoll ist, da ihre Höhe zu erheblichem Streit führt und Ausgleichsprozesse belastet. Da bei der Berechnung des Ausgleichs zu unterstellen ist, dass es dem Mittler gelungen wäre, aus einem Teil der Einmalkunden während des Prognosezeitraums Stammkunden zu werben, sollte überlegt werden, ob im Einklang mit der Münchner Formel nicht gänzlich auf eine Abwanderungsquote verzichtet werden kann, da im Rahmen der Prognose davon ausgegangen werden kann, dass die Abwanderung der bisherigen Mehrfachkunden durch die Zuwanderung der Einfach- zu den Mehrfachkunden ausgeglichen wird.3441 Der BGH3442 hat ausgeführt, auf den Abzug für die Abwanderungsquote könne (nur) verzichtet werden, falls der Umsatz eines Händlers mit Mehrfachkunden über einen längeren Zeitraum einen annähernd gleich bleibenden Anteil am gesamten Neuwagenumsatz bildete. Diese wohl auch für die Ausgleichsberechnung anderer Mittler maßgebliche Einschränkung ist nicht auf dem ersten Blick plausibel. Denn gerade dann, wenn der Händler – etwa nach kurzer Vertragsdauer – lediglich im letzten Vertragsjahr besonders viele Mehrfachkunden warb, darf im Rahmen der Prognose zum Vertragsende nicht antizipiert werden, dass von jenen Mehrfachkunden ein höherer Prozentsatz abwandert, als wenn jene Kunden z. B. bereits vor fünf Jahren ihren Zweitkauf vornahmen. Das Erfordernis langjähriger Tätigkeit benachteiligt Mittler mit kurzer Vertragslaufzeit, die im letzten Vertragsjahr einen besonders hohen Anteil von Mehrfachkunden warben. Zumindest müsste mit dem OLG Saarbrücken3443 ein Anteil potentieller Mehrfachkunden unter den Einfachkunden der Ausgleichsbemessungsgrundlage nivellierend hinzugesetzt werden. Denn eine Steigerung der Mehrfachkunden wäre auch in Zukunft anzunehmen. 520 Solange eine Abwanderungsquote abgezogen wird, muss der Anteil potentieller Stammunter den Einfachkunden der Ausgleichsbemessungsgrundlage (Basisprovisionen) zugerechnet werden. Will man nicht vollkommen auf die Ausgleichsreduzierung mittels Abwanderungsquote verzichten, erscheint eine Standardfluktuationsquote von 25 % pro Jahr angemessen. Der BGH hat verschiedentlich ausgesprochen, er werde in diesem Punkt gem. § 287 ZPO vorgenommene Schätzungen erster Instanz dulden.3444 Auch hier trägt jene Partei die – dann ins Einzelne ge-

3438 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002, VersR 2002, 976 (978). 3439 Etwa OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); OLG Köln VersR 1968, 966; Horn ZIP 1988, 137 (142); Graf v. Westphalen DB Beil. 8/1988, 8; Hopt § 89b Rn 16. BGH, Urt. v. 22.2.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759. Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 536. NJW 1997, 1503 (1505); zustimmend OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 900. NJW-RR 2003, 900. Siehe etwa die Tankstellenurteile des BGH: Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491; v. 25.9.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279.

3440 3441 3442 3443 3444

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hende – Darlegungs- und Beweislast, welche von dieser Vermutung abweichen will.3445 Beide Rechenwege, mit oder ohne Abwanderungsquote, werden unten beispielhaft vorgestellt.

8. Abzinsung Die Höhe der Abzinsung regelt sich nach dem zur Zeit der Ausgleichsfälligkeit geltenden Zinsni- 521 veau. Derzeit sollte über den gesamten Prognosezeitraum eine Abzinsung von 10 % vermutet werden.3446 Die Abzinsung nach Gillardon oder Hoffmann ist ebenfalls möglich.

9. Billigkeitsabschlag Sofern keine besonderen billigkeitsrelevanten Umstände vorgetragen sind, ist ein Billigkeitsab- 522 schlag nicht vorzunehmen. Beweispflichtig für die Berechtigung eines Billigkeitsabschlags ist – wie dargelegt – der Unternehmer.

10. Höchstbetragsberechnung Der Höchstbetrag des Ausgleichs ergibt sich wiederum aus den Abrechnungen (§ 87c Abs. 1) 523 oder dem Buchauszug (§ 87c Abs. 2) und ist nach den oben zu den Provisionen genannten Maßstäben zu ermitteln. Der Inhalt der Kontrollmittel ist zugunsten des HV als zutreffend zu vermuten. In die Höchstbetragsberechnung sind die gesamten Provisionseinnahmen einzubeziehen, ohne Abzug eines verwaltenden Anteils.3447 Die Bestimmung des Höchstbetrages ist daher einfacher als die Bestimmung der auf ausgleichspflichtige Kunden entfallenden Provisionen. Beweispflichtig ist der Unternehmer. Der HV braucht zum Höchstbetrag nicht einmal vorzutragen. Er riskiert aber eine teilweise Klagabweisung, wenn der Unternehmer einen unterhalb der Höchstgrenze liegenden Ausgleich beweisen kann.

11. Beispielsrechnung Es ergibt sich folgende Formel: 524 Ohne Abzug einer Fluktuationsquote: Ausgleichspflichtige Bruttoprovisionen (im Zweifel: 525 Gesamtprovisionen der letzten zwölf Monate3448) x 0,5 (regelm. Stammkundenquote) x 0,05–1,0 (Anteil neugeworbener Kunden) x 0,9 (regelm. Abzinsung) x 4 (Prognosezeitraum) = Brutto-Rohausgleich. Der Brutto-Rohausgleich wird durch die Brutto-Höchstgrenze beschnitten. Auf das Hinzusetzen von 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden3449 kann eventuell bei Verzicht auf die Abwanderungsquote verzichtet werden. Ein Kompromiss wäre das Hinzusetzen von 1/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres. Wenn man eine jährliche Fluktuationsrate von 25 % abziehen will, so ergibt sich folgen- 526 de Ausgleichsberechnung: Die ausgleichspflichtigen Provisionen der letzten 12 Monaten der Tätigkeit werden nach der Formel „Ausgleichspflichtige Bruttoprovisionen (im Zweifel: Gesamtprovisionen) x 0,5 (regelm. Stammkundenquote) plus (eventuell) 2/3 der Einfachkunden des 3445 BGH NJW-RR 2000, 109 = EWiR 2000, 237 (Emde). 3446 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976; Graf v. Westphalen/Westphal Handbuch des Handelsvertreterrechts in EU-Staaten und der Schweiz, Länderteil Deutschland, Nr. 708.

3447 BGH, Urt. v. 4.6.1975, EBE 1975, 351 (354); OLG Nürnberg, Urt. v. 18.1.1984, HVR Nr. 583. 3448 Bei Untypik dieses Zeitraumes eine längere Spanne, meist 5 Jahre. 3449 So OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01 – 211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). 529

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letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden x 0,05–1,0 = Rechenposten für die Abwanderungsquote“ bestimmt. Unterstellt man, dass sich als Ergebnis die Summe von 50.000 EUR ergibt, wird wie folgt weitergerechnet: Der Regelprognosezeitraum beträgt vier Jahre, die Abwanderungsquote 25 % (s. o.): Provisionsverlust für das 1. Jahr nach Vertragsbeendigung: 50.000,00 EUR./. 25 % (12.500,00 EUR) = EUR 37.500,00 Provisionsverlust für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung: 37.500,00 EUR./. 25 % (9.375,00 EUR) = EUR 28.125,00 Provisionsverlust für das 3. Jahr nach Vertragsbeendigung: 28.125,00 EUR./. 25 % (7.031,25 EUR) = EUR 21.093,75 Provisionsverlust für das 4. Jahr nach Vertragsbeendigung: 21.093,75 EUR./. 25 % (5.273,44 EUR) = EUR 15.820,31 Rohausgleich insgesamt: EUR 102.539,06. 527

Hiervon ist eine 10 %ige Abzinsung vorzunehmen. Der so errechnete Rohausgleich wird durch die gem. Rn 395 bestimmte Ausgleichshöchstgrenze begrenzt.3450

IV. Berechnung des Ausgleichs im Vertragshändlerrecht 528 Bei vielen Vertragshändlerverträgen, zu denen ein Ausgleich zugesprochen wird, handelt es sich hinsichtlich der Eingliederungstiefe bereits um Franchisefälle.3451 Voraussetzung des Vertragshändlerausgleichs ist – wie dargelegt – die Erfüllung der oben 529 dargestellten Analogievoraussetzungen. Auch hier ist der in einem Referenzzeitraum, dem Basisjahr, erzielte Gewinn („Rabatt“, „Marge“) mit neu geworbenen oder erweiterten ausgleichspflichtigen Kunden (meist Mehrfachkunden) Grundlage der Ausgleichsberechnung.3452 Mitursächlichkeit für die Kundenwerbung genügt auch hier.3453 Er wird meist nach der Formel „Verkaufspreis minus Einkaufspreis plus Boni und Zuschüsse“ bestimmt. Die Anknüpfung an das letzte Vertragsjahr ist gerade im Vertragshändlerrecht problematisch. Denn hier wird es kaum „Überhangbestellungen“ am Ende des Vertrages für die Zeit nach Vertragsende geben, anders als in Vorjahren, in denen immer auf „Vorrat“ für die Zeit des nächsten Monats oder Jahres bestellt wird. Endet der Vertrag etwa zum 31.12. eines Jahres, müssen die Bestellungen des Händlers vermutlich bereits zum 30.9. enden, da ab dem 31.12 überhaupt nicht mehr verkauft werden darf oder zumindest ohne Unterstützung der Signalisation oder der Verkaufsförderung des Herstellers verkauft werden müsste. Das letzte Vertragsjahr ist also fast immer untypisch. 530 Ein Vertragshändler erhält nach h. M. einen Ausgleich nur für die einem HV in vergleichbarer Position zu zahlenden Vergütungsbestandteile. Zur Berechnung des Rohausgleichs muss der Rabatt nach dieser h. M. auf die einem HV gewährte Provision zurückgeführt werden.3454 3450 Kommentar zu dieser Formel bei Eberstein 9. Aufl. S. 146 Fn 146. 3451 Karsten Schmidt Handelsrecht § 28 III 2a. 3452 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 237; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (81, 83); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (144); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 373, 395. 3453 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (81). 3454 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 29 – Volvo-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2498) Rn 29 – Volvo-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142); Canaris § 17 Rn 29. Emde

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Für jene Rückführung des Rabattes eines Vertragshändlers auf das Niveau einer HV-Provisi- 531 on stehen dem Tatrichter verschiedene Wege offen.3455 Anerkannt sind im Wesentlichen vier Berechnungsmethoden: – In einer zweistufigen Vorgehensweise wird in einem ersten Rückführungsschritt der dem Händler eingeräumte Rabatt durch Reduzierung der händlertypischen Bestandteile auf das Niveau eines HV zurückgeführt. Dann werden in einem zweiten Rückführungsschritt die der Provision des HV für verwaltende Tätigkeiten entsprechenden Vergütungsanteile ausgesondert, so dass die für die werbende, vermittelnde Tätigkeit gewährte Vergütung übrig bleibt.3456 – Eine zweite, recht einfache3457 Bestimmungsmethode vergleicht die dem Vertragshändler gewährte Vergütung mit den Provisionen, welche dem HV in vergleichbarer Stellung gewährt werden. Diese sind dann nach Kürzung um ihre verwaltenden Anteile für die Ausgleichsberechnung maßgeblich.3458 – Eine dritte Ansicht geht von der ungekürzten Händler-Bruttospanne aus. Der dem Händler gewährte Bruttorabatt wird also ohne Abzug von Rabatten oder Preisnachlässen der Ausgleichsberechnung zu Grunde gelegt.3459 Begründung: Die Gewährung von Rabatt durch den Händler mindere zwar den Gewinn des Händlers, nicht jedoch den Vorteil, welchen der Hersteller aus dem übertragenen Kundenstamm erziele.3460 – Die vierte Methode berechnet den Ausgleich konkret3461 aus dem vom Vertragshändler tatsächlich erzielten Rohertrag, also der Differenz zwischen dem Händlereinkaufspreis und den hierauf entfallenden Einnahmen (Verkaufspreis) des Händlers, reduziert durch Preisnachlässe oder Rabatte, die der Händler gewähren muss. Der Vertragshändler habe die Möglichkeit, durch eigenständige Preiskalkulation am Preiswettbewerb teilzunehmen; durch Preisnachlässe verwirkliche sich sein Absatzrisiko, welches ihn im Gegensatz zum HV treffe. Vorzugswürdig dürfte im Ausgangspunkt die 4. Variante, die sogenannte Rohertragsmethode, 532 sein.3462 Denn sie bestimmt die Vergütung des Vertragshändlers und damit die Ausgleichsbemessungsgrundlage in der präzisesten Weise und berücksichtigt das höhere Risiko des Vertragshändlers gegenüber dem HV durch eine Erhöhung der Ausgleichsbemessungsgrundlage, da sie nicht auf das HV-Niveau zurückgeführt wird. Die bisher h. M. vertritt die erste Variante, so dass man bei der 2. Variante auch von der 4. Variante mit der Modifikation sprechen könnte, dass bei der 2. Variante im Anschluss händlertypische, also HV-untypische, Bestandteile von dem so

3455 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 30- Volvo-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 Rn 30, 38 – Volvo-Vertragshändler: Dort etwa insg. 29 % Abzug. Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142) reduziert die Zahl auf 2 Berechnungswege. 3456 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 24 – Kfz-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2498) Rn 30; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 29 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; ZIP 1996, 1299 (1230); BB 1997, 852; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 – Kfz-Vertragshändler; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972. 3457 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 377. 3458 BGH, Urt. v. 2.7.1987, WM 1987, 1462; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82); Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/ 1988, S. 6; Horn ZIP 1988, 137 (141); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972 (1978). 3459 OLG Köln OLGR 1996, 177. 3460 OLG Köln OLGR 1996, 177 (179). 3461 So die Wortwahl des OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 – Kfz-Vertragshändler. Für diese Rohertragsmethode etwa Genzow IHR 2014, 133. 3462 OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188; OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089. Nach Genzow IHR 2014, 133 hat sie mittlerweile allg. Anerkennung gefunden. 531

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ermittelten Rohertrag abzuziehen oder von vornherein zu eliminieren sind3463: Um eine Vergleichbarkeit zwischen Händlerrabatt und HV-Provision zu erzielen, ist es nach dieser h. M. notwendig, diejenigen Teile des Rabatts bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs herauszurechnen, welche der Vertragshändler aufgrund seiner vom HV abweichenden Stellung für Leistungen erhält, die ein HV üblicherweise nicht zu erbringen hat.3464 Der Ausgleich nach § 89b stelle eine Vergütung für die Überlassung des vom HV geschaffenen Kundenstamms an den Unternehmer dar, so dass bei der Ermittlung der bisher maßgeblichen Provisionsverluste andere Provisionen oder Provisionsanteile als solche für vertretertypische Tätigkeiten grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hätten.3465 Diese Ausgliederung der HV-untypischen Vergütungsbestandteile aus der Ausgleichsbemessungsgrundlage erfolgt sowohl bei gesonderter Vergütung dieser Tätigkeiten wie auch dann, wenn sie mit einem „Einheitsrabatt“ sowohl für HVtypische wie –untypische Tätigkeiten honoriert werden.3466 Es gibt keinen festen rechnerischen Weg, auf welchem die Bereinigung um händlertypische Zusatzrabatte zu erfolgen hat. Vom Tatrichter ist nur zu verlangen, dass er eine Berechnung wählt, die sicherstellt, dass die händlertypischen Zusatzrabatte herausgerechnet werden.3467 Der Abzug eines %-Satzes HV-untypischer Vergütungsbestandteile darf jedoch nur erfolgen, wenn und soweit mit der maßgeblichen Vergütung auch händlertypische Leistungen abgegolten werden sollten.3468 Ob diese h. M. zur Herabstufung auf das HV-Niveau nach der Novelle 2009 Bestand haben 533 kann, ist Gegenstand der Diskussion. Thume hält den Verzicht auf die Herabstufung für „überlegenswert“.3469 Gegen eine Rückführung sind die Argumente vorzubringen, die gegen den Abzug verwaltender Vergütungsbestandteile (s. o.) sprechen. Ohnehin bleibt fraglich, ob die angeblich im Vergleich zur Provision des HV den Rabatt des Händlers erhöhenden Risiken immer sehr erheblich sind: Soweit es das Absatzrisiko betrifft, ist es – wie auch andere Vergütungsbestandteile – in der Ausgleichsberechnung bereits berücksichtigt, sofern man die tatsächlichen Vergütungen – und nicht die unverbindliche Preisempfehlung oder eine theoretische Marge – zur Grundlage der Ausgleichsberechnung nimmt. Bei schnelllebigen und modischen Produkten kann das Absatzrisiko höher einzuschätzen sein als bei eingeführten Markenartikel.3470 Es besteht nicht, wenn in periodischen Abständen eine Rücknahmepflicht des Herstellers vereinbart ist.3471 Außerdem kann der Händler bei Vertragsende regelmäßig die Rücknahme der Lagerware verlangen. Das Lagerrisiko fängt der Vertragshändler zudem i. d. R. durch eine Versicherung der Lagerbestände auf. Dann bestimmen die Versicherungsprämien die Höhe des Lagerrisikos.3472 Die Art des Käuferkreises kann sich auf das Kreditrisiko auswirken, etwa soweit der Vertragshändler stets mit ihm bekannten Leasinggebern zusammenarbeitet.3473 Zur Berechnung des Kreditrisikos können ggf. in der Branche 3463 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 24 – Kfz-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 22.3.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – MotorradVertragshändler; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 – Kfz-Vertragshändler; Hopt § 84 Rn 11. 3464 BGHZ 29, 83 (91); Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, WM 1996, 1962, unter B I 2a aa, VIII ZR 7/95, WM 1996, 1558, unter B I 1a; v. 22.3.2006 – VIII ZR 173/04, WM 2006, 1403, Tz. 23; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler, jeweils m. w. N.; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 375. 3465 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08 BB, 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, WM 1996, 1962. 3466 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143). 3467 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 48 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 3468 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 49 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 3469 Thume BB 2009, 2490 (2491, linke Spalte). 3470 Westphal II Rn 238. 3471 Westphal II Rn 239. 3472 Westphal II Rn 240. 3473 Westphal II Rn 243. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

übliche Wertberichtigungen herangezogen werden.3474 Regelmäßig dürften HV-untypische Abzugsposten einen geringen Betrag ausmachen, da die Händlerspanne durch den erheblichen Wettbewerb oft bereits auf das Niveau eines HV herabgesetzt ist. Hier kann eine Kontrollrechnung helfen: Ergibt sich, dass vergleichbare Provisionen eines HV nicht niedriger liegen als die nach der Rohertragsmethode berechnete Händlerspanne oder jene Händlerspanne sogar übersteigen, sind keine Abzüge für HV-untypische Leistungen vorzunehmen. Außerdem bilden Gegenleistungen für produktspezifische Vertriebskosten keine HV-untypischen Vergütungsbestandteile. Händlertypische Vergütungsbestandteile fehlen mithin, sofern ein HV die gleichen Produkte mit nämlichen Kosten vertreiben müsste und deshalb vergleichbare Provisionen erhält.3475 Ein Händler wird versuchen nicht ineffizienter zu wirtschaften als ein HV und keine händleruntypischen Kostenpositionen schaffen. Sollte er ineffizienter als ein HV agieren, stellt sich die Folgefrage, ob der Hersteller hierfür bereit war, eine zusätzliche Vergütung zu leisten – was er zu beweisen hätte. Ohnehin gilt: Wer beim Vertrieb mit höherem Risiko arbeitet und den Unternehmer von diesem Risiko entlastet, muss dafür auch eine höhere Ausgleichsvergütung für den Aufbau eines treuen Kundenstammes erhalten. Von der Ausgleichsbemessungsgrundlage sind nach h. M. folgende Vergütungsbestandteile 534 abzuziehen: Für Werbung3476 (soweit nicht auch HV-typisch) und insb. Produktwerbung,3477 die Übernahme des Absatz-,3478 des Lager-,3479 des Preisschwankungs-3480 und des Kreditrisikos,3481 Finanzierung,3482 Kulanzen,3483 sonstige Zugaben,3484 Überführung,3485 Ablieferungsinspektionen,3486 Verwaltungstätigkeiten,3487 Lagerhaltung,3488 Auslieferung,3489 Kundendienst,3490 die

3474 Westphal II Rn 243; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 845. 3475 Die Gegenansicht u. a. in BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 46 m. Anm. Lang/Klein (KfzVertragshändler), derzufolge es sich um Kosten des Absatzes handelt, die ein HV, wie sich aus dem gesetzlichen Leitbild der §§ 84, 86a Abs. 1 ergebe, typischerweise nicht zu tragen habe, verkennt, dass es auf die Bedürfnisse beim Vertrieb des konkreten Produkts und nicht auf ein ohnehin fehlendes abstraktes Leitbild des HV ankommt. 3476 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 382. 3477 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 24 – Kfz-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300) – Kfz; Horn ZIP 1988, 137 (141, 146); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972 (1978); Hollmann BB 1985, 1023 (1033); Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587); aA Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 6. 3478 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82). 3479 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82). 3480 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82). 3481 BGHZ 29, 83 (91); BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – KfzVertragshändler; v. 22.3.2006 – VIII ZR 173/04, WM 2006, 1403 Tz. 23; v. 5.6.1996, WM 1996, 1962, unter B I 1 a bzw. B I 2a aa; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143). 3482 Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587). 3483 Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587). 3484 Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587). 3485 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035; aA Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/88, 7. 3486 Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587); aA Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 7. 3487 BGH, Urt. v. 15.11.1984, BB 1985, 352; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn4 Rn 889. 3488 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 24 – Kfz-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn4 Rn 889; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143); Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 8; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 382. 3489 Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn4 Rn 889. 3490 Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn4 Rn 889. 533

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nicht HV-typische personelle und sachliche Ausstattung des Betriebs,3491 insb. Personal,3492 Präsentation,3493 Ausstellungsraum,3494 Vorführprodukte,3495 angestellte Verkäufer3496 oder deren Provisionen;3497 Vorführwagenbestand3498 bzw. indirekte Betriebskosten.3499 Frachtkosten sind durchlaufende Kosten, die entweder sowohl auf der Einnahme- sowie der Ausgabenseite oder auf keiner der Seiten zu berücksichtigen sind.3500 Von der Ausgleichsbemessungsgrundlage abgezogen werden sollen nach h. M. außer den HV-untyischen Vergütungsbestandteilen – ebenso wie beim HV – auch alle verwaltenden Vergütungsbestandteile.3501 Der genaue Anteil dieser Abzugspositionen an der Gesamtvergütung soll gem. § 287 ZPO geschätzt werden.3502 Von diesen Abzugsposten abgesehen, ist ausgleichspflichtig der Gesamtkaufpreis des Pro535 dukts einschließlich des vom Hersteller gelieferten Zubehörs. Vergütungen aus Verkäufen an die Unterorganisation bzw. B-Händler sind, nicht anders als Superprovisionen,3503 in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einzubeziehen,3504 sofern der Haupthändler nicht nur als selbständiger Zwischenhändler sondern mit Kontroll- und Aufsichtsbefugnissen ausgestattet war.3505 Hat der Haupthändler gegenüber seinem Unterhändler Unterstützungs-, Vertriebs- und Betreuungspflichten, steht dem Haupthändler folglich bei Vertragsbeendigung ein Ausgleichsanspruch für mit den Unterhändlern abgeschlossene Geschäfte zu.3506 Dass der A-Händler nicht berechtigt ist, B-Händler auszusuchen, ist irrelevant.3507 Auch ein Vertragshändler darf aufgrund seiner Absatzförderungspflicht Kunden nicht grundlos abweisen; die für „Werbung“ oder

3491 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 24 – Kfz-Vertragshändler; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 382. 3492 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300) – Kfz; Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587). 3493 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 24 – Kfz-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Wauschkuhn/ Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 382. 3494 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 8; Horn ZIP 1988, 137 (141, 146); Hollmann BB 1985, 1023 (1033); Hopt § 84 Rn 12. 3495 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 382. 3496 LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425 – Kfz-Vertragshändler. 3497 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); Horn ZIP 1988, 137, 141 (146); Hollmann BB 1985, 1023 (1033); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972 (1978) – unsinnig, weil auch ein HV Angestellte haben darf; aA Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 6, 8. 3498 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 24 – Kfz-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587). 3499 Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587). 3500 OLG Frankfurt/M, Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081. 3501 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 29 m. Anm. Lang/Klein – Kfz; v. 22.3.2006 – VIII ZR 173/04, WM 2006, 1403 Tz. 27, v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, WM 1996, 1962 unter B I 2a; LG Frankfurt/M., Urt. v. 6.2.2008 – 3-09 O 5/07 – Kfz; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 383 f. 3502 BGH NJW-RR 2011, 614 Rn 33; NJW-RR 2011, 389 Rn 40; NJW-RR 2010, 1263 Rn 50; NJW 1997, 1503 (1505); Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (143). 3503 Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 11 (2–3 %). 3504 Graf v. Westphalen DB-Beil. 24/1984, 11 f. 3505 BGH NJW 1996, 2298 (2301); Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, NJW-RR 1988, 42. 3506 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298, 2301; OLG Köln, Urt. v. 9.7.1995 – 25 U 20/84; Giesler/ Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 511; Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 12. 3507 Graf v. Westphalen DB-Beil. 24/1984, 11 f.; aA Hollmann BB 1985, 1023 (1031); Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/ 1988, 12. Emde

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„Erweiterung“ ausreichende Mitursächlichkeit3508 wird durch das mangelnde Wahlrecht ohnehin nicht berührt. Voraussetzung ist aber immer, dass der A-Händler die Geschäfte mit den B-Händlern geworben hat. In vielen Fällen werden die B-Händler bereits vor der Tätigkeit des A-Händlers mit dem Unternehmer Geschäfte vergleichbarer Art getätigt haben. In diesem Fall wäre der Ausgleichsanspruch nicht eröffnet. Bei der Werbung weiterer Vertragshändler (BHändler) durch ein regionales Vertriebszentrum (A-Händler) soll gleichwohl der Ausgleichsanspruch auf der Basis der Verkäufe des B-Händlers an Endkunden berechnet werden,3509 nicht auf der Basis der Verkäufe an die geworbenen Vertragshändler. Es soll mithin darauf ankommen, ob die Abkäufer des B-Händlers Mehrfachkunden sind und nicht die geworbenen B-Händler.3510 Dies ist problematisch.3511 Denn die B-Händler sind durchweg Mehrfachkunden und es kann für die Ausgleichsberechnung keine Rolle spielen, ob sie die Fahrzeuge weiterveräußern oder nicht. Außerdem hat der A-Händler keine Kenntnis über das Ob und Wie der Weiterveräußerung und kann daher die Ausgleichsvoraussetzung „Mehrfachkundeneigenschaft“ nicht beweisen. Die Ausgleichsberechnung darf angesichts der zwingenden Natur des Ausgleichs nicht von nicht nachweisbaren Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Oft wird in solchen Fällen vereinbart, dass der (Haupt-)Unternehmer eventuelle vom B- gegen den A-Händler geltend gemachte Ausgleichsanprüche übernimmt. Diese Übernahme oder Freistellung kann unter Billigkeitsgesichtspunkten den Anspruch des A-Händlers gegen den Unternehmer reduzieren, weil eigene Ansprüche des A-Händlers auch wegen der gegen ihn gerichteten Ausgleichsansprüche des B-Händlers entstehen. Anders kann nach Lage des Einzelfalles entschieden werden, wenn dem B-Händler keine Ausgleichsansprüche gegen den A-Händler zustehen. Verkaufsfördernde Boni, Prämien und vom Hersteller gewährte Rabatte steigern die Han- 536 delsspanne und müssen bei der Berechnung des Rohertrags einbezogen werden.3512 Wenn Ausgangspunkt der Ermittlung des individuellen Rohertrages die Differenz zwischen Händlerverkaufs- und Händlereinkaufspreis ist, müssen derartige Leistungen ausgleichserhöhend berücksichtigt werden. Es handelt sich bei ihnen nicht um allein händlertypische Rabattanteile und nicht um Vergütungen, die Händlern nur für verwaltende Tätigkeiten gewährt werden und deshalb berücksichtigungsunfähig sind. Sie stellen vielmehr eine Vergütung für die einem HV vergleichbare werbende Tätigkeit des Händlers dar. Spiegelbildlich müssen vom Vertragshändler gewährte Rabatte zur Ermittlung der nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 relevanten entgehenden Provisionen und damit der Unternehmervorteile um Preisnachlässe und Skonti bereinigt werden.3513 Maßgeblich für die Bestimmung des Rohertrags ist jedoch ausschließlich die Differenz zwischen An- und Verkaufspreis zuzüglich Boni etc. Die Kosten des Geschäftsbetriebs sind nicht abzuziehen,3514 weil sie aus den Vergütungen gerade gezahlt werden sollen und damit auch aus ihrem Substitut, dem Ausgleichsanspruch. Im Falle eines Verkaufs an eine Leasinggesellschaft soll i. d. R. nicht sie sondern der Lea- 537 singnehmer Kunde des Händlers und damit bei der Ermittlung des ausgleichsrechtlich relevan-

3508 Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 11. 3509 OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08; LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/06; LG Hamburg – 418 O 90/ 97, n. v.; vgl. BGH v. 2.7.1987, NJW-RR 1988, 42.

3510 LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/06. 3511 Emde VersR 1999, 1174. 3512 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 32 m. Anm. Lang/Klein – Kfz; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – Kfz; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06, BeckRS 2008, 12081 – Kfz; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 374; Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 515; Genzow Rn 165. 3513 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); Horn ZIP 1988, 137 (141, 146); Hollmann BB 1985, 1023 (1033); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972 (1978). 3514 AA LG Frankfurt/M., Urt. v. 6.2.2008 – 3-09 O 5/07 – Kfz. 535

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1. Buch. Handelsstand

ten Mehrfachkundenumsatzes zu berücksichtigen sein.3515 Das kann aber nur gelten, wenn dem Leasingnehmer die Auswahl des Produkts überlassen wird, also nicht bei Eigengeschäften des Leasingunternehmens.3516 Ausgleichspflichtig sind auch Geschäfte mit einer Leasinggesellschaft, welcher der Hersteller in einem Großabnehmerabkommen besondere Einkaufskonditionen gewährt. Auch hier muss der Mittler vor Geschäftsabschluss einen Rest an Überzeugungsarbeit leisten. Denn das Leasingunternehmen könnte bei einem anderen Händler oder Hersteller kaufen.3517 Es kommt für die Ausgleichsverpflichtung nicht darauf an, ob die Vertragsprodukte direkt 538 beim Unternehmer oder etwa von einem anderen Vertragshändler im Wege der Querlieferung bezogen wurden.3518 Lediglich nicht – auch nicht mittelbar, etwa über Querlieferungen – aus der jeweiligen nationalen Vertriebsorganisation des Unternehmers bezogene Produkte, sind ausgleichsunfähig.3519 Dementsprechend hat der BGH in seiner Honda-Entscheidung3520 eine Klausel für unwirksam gehalten, derzufolge nur beim Hersteller erworbene Lagerwaren nach Vertragsende vom Hersteller zurückgekauft werden. Die Klausel erschwere Käufe von Vertragswaren bei anderen Händlern (Querlieferungen) entgegen Art. 6 und 9 der Alt-GVO 1475/95. Vor diesem Hintergrund wird man vertreten können, dass innerhalb eines einheitlichen Vertriebsnetzes auch eine Querlieferung dem Netzoberen, dem Unternehmer, zuzurechen ist und eine Mehrfachkundeneigenschaft begründet. 539 Die so bestimmten Rabatte des Basisjahres sind mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums unter Berücksichtigung der oben erwähnten Abwanderungsquote zu multiplizieren3521 und schließlich abzuzinsen.3522 Zum Prognosezeitraum s. o. Es dürfte jeweils auf die Tatsachenfeststellungen des einzelnen Falles ankommen. Er beträgt zwischen 53523 und 8 Jahren3524 (6 Jahre3525). Nicht ausgleichsfähig sind regelmäßig Vergütungen mit Kunden, die nach 11 oder 12 Jahren einen Zweitkauf tätigen.3526 Bei gewerblichen Kunden ist nicht notwendigerweise von einem kürzeren Nachkaufintervall auszugehen.3527 Dem Vertragshändler steht es frei, höhere Unternehmervorteile geltend zu machen.3528 So könnte der ausgleichswichtige Kundenstamm anhand der Grundsätze des IDW S 5 für die Bewertung immaterieller Vermögenswerte ermittelt werden, was im Regelfall sehr aufwendig ist.3529 Der Unternehmer dürfe auch niedrigere Unternehmervorteile geltend machen.3530

3515 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2497) Rn 24; OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 92; aA Steinhauer BB 2011, 211. 3516 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 ff. Rn 27 sowie 24/ 25. 3517 OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); ähnlich LG Frankfurt/M., Urt. v. 1.3.2006 – 3/09 O 44/02, BeckRS 2010, 26425. 3518 OLG Köln VersR 2002, 437 (438). 3519 BGH NJW-RR 1988, 42; BGHZ 56, 242 (248); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06. 3520 BGH, Urt. v. 20.7.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005; 1496 = EWIR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46. 3521 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (83). 3522 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (83). 3523 OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08 – Kfz; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – Kfz; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06; OLG Bremen, Urt. v. 16.11.2006 – 2 U 61/06. 3524 BGH, Urt. v. 22.2.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759 – Kfz. 3525 OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). 3526 OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). 3527 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – Kfz. 3528 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82). 3529 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82). 3530 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82). Emde

536

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

Die Ausgleichsfähigkeit des Teileverkaufs zwischen Vertriebsmittler und Hersteller wird 540 überwiegend bejaht,3531 bei Einbau in der Werkstatt jedoch verneint.3532 Ersatzteile, die ein Vertragshändler in Ausführung einer Vertriebspflicht in seinen Verkaufsräumen veräußert, sind ebenso ausgleichspflichtig wie in dessen Werkstatt eingebaute Teile;3533 das vertriebene Produkt ist ausgleichsrechtlich irrelevant.3534 Nach Ansicht des BGH3535 gilt dies jedenfalls, wenn werbliche Bemühungen des Händlers erforderlich waren, er also einer Vertriebspflicht unterliegt.3536 Die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes ergibt sich als Annex aus der Verpflichtung zur Benennung der Kunden der Ware, etwa des Kfz,3537 bei Lieferung unter verlängertem Eigentumsvorbehalt mglw. aus § 402 BGB. Das gilt insb., wenn der verlängerte Eigentumsvorbehalt im Rahmenvertrag geregelt wurde. Die Rechte aus § 402 BGB können aber vertraglich ausgeschlossen werden.3538 Die Mitteilung der Kundendaten ist im anonymen Bargeschäft, wie auch im Tankstellengeschäft, ohnehin nicht gefordert.3539 Eine namentliche Erfassung bzw. die Mitteilung der Namen an den Unternehmer kann deshalb nicht verlangt werden.3540 Im Übrigen sind jedenfalls im Kfz-Bereich dem Hersteller alle Kundendaten von Neufahrzeugen gemeldet worden und werden für die Werbung für alle Leistungen des Herstellers genutzt;3541 andere Käufer von Teilen gibt es regelmäßig nicht. Die Mehrfachkundenquote entspricht vermutungsweise der der Hauptprodukte;3542 Mitursächlichkeit der Werbung genügt3543 und wird bei Verkauf und Einbau – auch und gerade in der Werkstatt3544 – vermutet; auch hier genügt das Offenhalten der Verkaufsstätte. Nach Ansicht des OLG Köln3545 mangelt es an den für die analoge Anwendung des § 89b erforderlichen Voraussetzungen. Dem Erwerb etwa eines Neuwagens gingen umfangreiche Überlegungen und Vergleiche voraus, bei denen der Beratung des Händlers besondere Bedeutung zukommt. Dies spiele beim Ersatzteilgeschäft keine Rolle.3546 Die Streitfrage dürfte heute geringere Bedeutung haben. Denn das Ersatzteilgeschäft gibt dem Hersteller mittelbare Vorteile aus dem Vertrieb der Neufahrzeuge; solche mittelbaren Vorteile reichen zumindest nach der Novelle 2009 als ausgleichspflichtige Unternehmervorteile aus.3547 Jedoch müssen substantiiert Schätzgrundlagen zur Ausgleichsberechnung vorgetragen werden.3548 Die Sog3531 BGH, Urt. v. 31.1.1991 – I ZR 142/89, BB 1991, 1210 (1211); Öst. OGH, Urt. v. 17.12.1997 – 9 Ob 2065/96h (n. v.); Küstner/Thume III Rn 1530; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 27 Rn 95; Genzow Rn 160: Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. 2003, Rn 284 ff.; Emde MDR 2010, 537 (543); Emde GRUR 2006, 997 (1003); Wendel/Ströbl MDR 2004, 1208 (1213); Kümmel DB 1997, 27 (30); Niebling BB 1997, 2388 (2390); Niebling WRP 2001, 506 (511); Horn ZIP 1988, 137; Creutzig DAR 1999, 16 (18); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 126; aA OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06. 3532 BGH, Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, NJW-RR 1988, 42 (44) = ZIP 1987, 1383; für eine Ausgleichspflicht Emde GRUR 2006, 997 (1004); Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 7; OLG Köln – 25 U 20/84, zit. nach Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 7, Fn. 152. 3533 Emde MDR 2010, 537 (543); Emde GRUR 2006, 997 (1004); Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 7. 3534 Emde GRUR 2006, 997 (1004). Eine Ausnahme bilden Produkte, die nur Einmalgeschäfte erlauben. 3535 BGH NJW-RR 1988, 42 (44); BB 1991, 1210 (1211); Beschl. v. 4.3.2008 – VIII ZR 119/06, BeckRS 2008, 07111. 3536 Emde GRUR 2006, 997 (1003). 3537 Emde GRUR 2006, 997 (1005); Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. 2003, Rn 292. 3538 OLG Koblenz, Beschl. v. 12.3.2014, 3.4.2014 – 2 U 553/13, WM 2014, 1863. 3539 Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 293. 3540 AA OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06. 3541 Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 292, 304. 3542 Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 295; aA Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 11. 3543 Emde GRUR 2006, 997 (1004); Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 294, 296. 3544 Der Einbau erfolgt in Ausführung der Vertriebspflicht; die Rechtsnatur des Vertrages mit dem Kunden – Werkvertrag oder Kaufvertrag – ist ausgleichsrechtlich irrelevant, siehe Emde GRUR 2006, 997 (1004). 3545 OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08. 3546 OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08. 3547 BGH, Versäumnisurt. v. 17.11.2010 – VIII ZR 322/09, DB 2011, 173 = WM 2011, 574 Rn 14. 3548 OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08. 537

Emde

§ 89b

1. Buch. Handelsstand

wirkung der Marke entspricht meist der der Hauptprodukte.3549 Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Ersatzteilgeschäft s. u.

1. Ausgleichsformel für das allgemeine Vertragshändlerrecht 541 Auch der Ausgleichsanspruch eines Vertragshändlers ist ohne vereinfachende Formeln kaum rechtssicher bezifferbar.3550 In Variation der oben zum HV-Recht dargelegten Formel halte ich für das Vertragshändlerrecht folgende Formel für richtig: Brutto-Händlerrabatt (Differenz zwischen An- und Verkaufspreis der letzten zwölf Vertragsmonate + verkaufsfördernde Zusatzleistungen brutto) des letzten Vertragsjahres x 0,5 (regelmäßig vermutete Stammkundenquote) plus (eventuell) 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden x 7 /10 (= Berücksichtigung eines Abschlags von 30 % für HV-untypische und verwaltende Tätigkeit3551) x 0,05 bis 1,0 (Neukundenanteil)3552 x 0,9 (regelmäßiger Abzinsungsbetrag v. 10 %) x 5 (Regelprognosezeitraum 5 Jahre) x (0,7–0,9 = Billigkeitsabschlag analog § 89b Abs. 1 Nr. 2, zwischen 30 und 10 %) = Brutto-Rohausgleich. Dieser Rohausgleich wird durch die Bruttohöchstgrenze des Ausgleichs begrenzt.3553 Auch im Vertragshändlerrecht ist ein Brutto-Betrag einschließlich Umsatzsteuer geschuldet.3554 542 Auf das Hinzusetzen von 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden kann möglicherweise bei Streichung der Abwanderungsquote verzichtet werden. Ein Kompromiss wäre das Hinzusetzen von 1/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres. 543 Eine abweichende Formel mit wohl zu hoher Abwanderungsquote bildet Wauschkuhn.3555 Er bezieht im ersten Jahr 80 %, im zweiten 60 %, im dritten 40 % und im vierten Jahr 20 % des Ausgleichsbemessungsbetrages in die Ausgleichsberechnung ein, wobei auch er den Bemessungsbetrag aus den auf HV-Niveau reduzierten Rabatten des letzten Vertragsjahres (neugeworbene Stammkunden, erweiterte Altstammkunden, potentielle Stammkunden) errechnet. Dieser Betrag wird dann von ihm nach Hoffmann oder Gilladon abgezinst, um Billigkeitsgesichtspunkte vermindert und um den Ausgleichshöchstbetrag begrenzt. Im Einzelnen rechnet Wauschkuhn wie folgt: 544 Der Unternehmer, Hersteller eines sehr bekannten Markenproduktes, hat den Vertragshändlervertrag nach sechsjähriger Vertragsdauer zum 31.12.2012 gekündigt. Der auf die Listenpreise des Unternehmers bezogene Händlerrabatt oder Rohertrag des Vertragshändlers beträgt insg. 14 %, wobei sich dieser Rohertrag wie folgt zusammensetzt: – 10 % auf die Listenpreise für handelsvertretertypische (werbende) Tätigkeit des Vertragshändlers (sowohl bei der Berechnung des Rohausgleichs analog Abs. 1 als auch bei der Berechnung des Höchstbetrages analog Abs. 2 zu berücksichtigen); – 2 % auf Listenpreise für händlertypische Vergütungsbestandteile (wie z. B. für das Kreditrisiko, das der HV nicht trägt; bei der Berechnung des Ausgleichsanspruches nicht zu berücksichtigen); 3549 Nach Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 312 im Kfz-Bereich 10–40 %. Für eine höhere Sogwirkung spricht der Automatismus des Teilebezug nach Erwerb des Hauptprodukts der Marke; für die Sogwirkung des Händlers, dass sich der Kunde automatisch an „seinen“ Händler wenden wird. 3550 Siehe Ostendorf MDR 2008, 1377. 3551 So auch OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – Kfz. 3552 Es wird vermutet, dass der Neukundenanteil an den Gesamtprovisionen nach 6 Monaten 5 %, nach dem 1. Vertragsjahr 10 %, nach dem 2. Vertragsjahr 20 %, nach dem 3. Vertragsjahr 30 %, nach dem 4. Vertragsjahr 40 % und nach dem 5. Vertragsjahr 50 % der ermittelten Gesamtvergütung beträgt; ein Gegenbeweis bleibt zulässig. 3553 Eine weitere, ebenso handhabbare Formel entwickelt für den Ausgleich eines Peugeot-Vertragshändlers das OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). 3554 BGH, Urt. v. 11.12.1958, BB 1959, 7; v. 28.6.1973, BB 1973, 1092; v. 5.6.1996, BB 1996, 1683; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn Rn 875. 3555 Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (144/145); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 404 ff.; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 901 ff. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b



2 % auf die Listenpreise für „nicht werbende“ Tätigkeit des Vertragshändlers (nur bei der Berechnung des Höchstbetrages analog Abs. 2 zu berücksichtigen). Der Vertragshändler hat in den letzten fünf Jahren der Vertragsdauer durch den Händlerrabatt 545 folgende Roherträge erzielt:

2008 2009 2010 2011 2012

Insgesamt

Aus Geschäften mit von ihm geworbenen Neukunden und intensivierten Altkunden (im Hinblick auf den Mehrumsatz), soweit sie Mehrfachkunden sind (nur die Umsätze mit Mehrfachkunden sind ausgleichspflichtig)

Aus Geschäften mit NichtMehrfachkunden und Altkunden im Rahmen des vorgefundenen Umsatzvolumens

1.000.000 EUR 880.000 EUR 760.000 EUR 696.000 EUR 600.000 EUR

700.000 EUR 550.000 EUR 440.000 EUR 350.000 EUR 280.000 EUR

300.000 EUR 330.000 EUR 320.000 EUR 346.000 EUR 320.000 EUR

Der Rohausgleich analog Abs. 1 ist wie folgt zu berechnen: Verlust des Vertragshändlers bei einem Prognosezeitraum (= Zeitraum, in dem nach Vertragsende noch mit Folgeumsätzen der vom Vertragshändler geworbenen Stammkunden gerechnet werden kann) von vier Jahren, einer Abwanderungsquote von 20 % (es werden nicht alle Mehrfachkunden Folgeaufträge erteilen) und einer Abzinsung von 5 % (hat zu erfolgen, da der Vertragshändler eine Einmalzahlung erhält, die sich bei einer Fortsetzung des Vertrages auf einen längeren Zeitraum verteilt hätte). Basisbetrag: 200.000 EUR = Rohertrag im letzten Vertragsjahr 2012 i. H. v. insg. 280.000 EUR, gekürzt um 40.000 EUR für ausschließlich händlertypische Vergütungsbestandteile und 40.000 EUR für nicht werbende Tätigkeit (Ausgangspunkt für die Berechnung ist analog Abs. 1 der vom Vertragshändler in den letzten zwölf Monaten erzielte Rohertrag – abzüglich der händlertypischen und für nicht werbende Tätigkeit gezahlten Vergütungsbestandteile – aus Geschäften mit Neukunden und wesentlich intensivierten Altkunden – im Hinblick auf den Mehrumsatz –, soweit diese Kunden Mehrfachkunden sind). Gesamtverlust des Vertragshändlers:

Jahr nach Vertragsbeendigung

Verlust in % (bezogen auf Basisbetrag)

Verlust in EUR

1 (= 2013) 2 (= 2014) 3 (= 2015) 4 (=2016)

80 % 60 % 40 % 20 %

160.000 EUR 120.000 EUR 80.000 EUR 40.000 EUR 400.000 EUR

Abzinsung des Gesamtverlustes von 400.000 EUR nach der Hoffmann’schen Methode:

548 549

550

551

B = 100 x S____ 100 + (P x a)

B = abgezinster Betrag S = Summe vor Abzinsung P = Prozentsatz a = Anzahl der Jahre 100 x 400.000___ = 333.333,33 EUR 100 + (5 x 4) 539

546 547

Emde

§ 89b

1. Buch. Handelsstand

Anpassung aus Billigkeitsgesichtspunkten: Wegen der von der sehr bekannten Marke des Unternehmers ausgehenden Sogwirkung ist im Rahmen der Billigkeit analog Abs. 1 Nr. 2 noch ein Abzug in Höhe von 25 % vorzunehmen (dann beruht der Geschäftserfolg des Vertragshändlers entscheidend auch auf der vom Unternehmer durch seine Werbe- und Marketingaktivitäten aufgebauten, bekannten Marke der Vertragsprodukte): 333.333,33 EUR abzüglich 25 % = 250.000 EUR Der Rohausgleich beträgt somit 250.000 EUR. Der Höchstbetrag analog Abs. 2 ist wie folgt zu berechnen: 554 552 553

Gesamtbetrag Zu berücksichtigender Händlerra(= 14 % Händlerrabatt auf die Listen- batt von 12 % (2 % Rabatt auf die preise) Listenpreise entfallen auf händlertypische Vergütungsbestandteile und sind deshalb nicht zu berücksichtigen) 2007 2008 2009 2010 2011 Summe

555 556

1.000.000 EUR 880.000 EUR 760.000 EUR 696.000 EUR 600.000 EUR

857.142,85 EUR 754.285,70 EUR 651.428,56 EUR 596.571,42 EUR 514.285,70 EUR 3.373.714,23 EUR

3.373.714,23 EUR geteilt durch 5 = 674.742,85 EUR (Höchstbetrag). Der Vertragshändler erhält demnach in dem Beispielsfall eine Ausgleichszahlung analog § 89b i. H. v. 250.000 EUR plus Umsatzsteuer in gesetzlicher Höhe. Der Rohausgleich analog Abs. 1 übersteigt nicht den Höchstbetrag analog Abs. 2, so dass keine Begrenzung des Ausgleichsanspruches vorzunehmen ist.

2. Kfz-Vertragshändlerrecht a) Kfz 557 aa) Ausgleichspflichtigkeit. Ein üblicher Kfz-Vertragshändlervertrag führt zur Ausgleichspflicht des Herstellers oder Importeurs.3556 Die turnusmäßige Novellierung der kartellrechtlichen GVOs ändert hieran nichts3557: Sie hat kartellrechtliche, keine zivilrechtliche3558 und damit auch keine ausgleichsrechtliche Bedeutung. Die nach Auslaufen der GVO 1400/02 ohnehin nicht mehr gegebene, angeblich größere Freiheit im Kfz-Vertrieb, welche durch neue GVOs entstanden sein soll, hat den Händler nur dem Leitbild des durch vergleichbare GVOs nicht gebun3556 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein; OLG Köln VersR 2003, 105 mit eher launigen Worten; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035; Emde MDR 2010, 537 ff.; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (81). In diese Richtung auch Ostendorf MDR 2008, 1377. 3557 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 64; OLG München, Hinweisbeschl. v. 23.12.2009 – 7 U 3071/09, n. v.; LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08; LG München I, Urt. v. 17.4.2009 – 3 HK O 2148/07, S. 9 – BMW; Emde MDR 2010, 537. 3558 BGH, Urt. v. 28.6.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 (111) = GRUR Int. 2006, 57. Emde

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denen HV angenähert und konnte deshalb das Ausgleichsrecht nicht beseitigen. Da die TBVoraussetzungen des § 89b hierdurch nicht berührt werden, besteht es auch bei völliger Freiheit von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, zumal jene nur im Herstellerinteresse in die Verträge eingefügt werden.3559

bb) Ausgleichsbemessungsgrundlage. Ausgleichsbemessungsgrundlage sind auch im Kfz- 558 Vertriebsrecht die Rabatte eines Basisjahres aus Geschäften mit vom Händler geworbenen3560 oder erweiterten3561 (potentiellen) Mehrfachkunden, traditionell des letzten Vertragsjahres,3562 tatsächlich aber – jedenfalls bei atypischen Verlauf des letzten Vertragsjahres3563 – eines repräsentativen (Durchschnitts)Jahres.3564 Die für die Werbung ausreichende Mitursächlichkeit des Händlers3565 liegt meist im Offenhalten der Verkaufsstätte, jedenfalls aber in den Betreuungsund Werbetätigkeiten.3566 Mehrfachkunde ist zumindest, wer innerhalb eines überschaubaren Zeitraums vor Vertragsende, der dem Prognosezeitraum von 5–8 Jahren3567 entspricht, mindestens zwei Fahrzeuge erwarb,3568 etwa ein Mietwagenunternehmen.3569 Im Falle eines Verkaufs an eine Leasinggesellschaft soll i. d. R. nicht sie sondern der Leasingnehmer ausgleichsrechtlich relevanter (Mehrfach)Kunde sein, sofern dem Leasingnehmer die Auswahlentscheidung zum Kauf überlassen wird.3570 Zur Berücksichtigung der Verkäufe an B-Händler Rn 404. Ehegatten und Abkömmlinge des Erstkäufers bilden bei der Bestimmung des Mehrfachkunden „einen Kunden“;3571 jedenfalls sofern häusliche Gemeinschaft besteht,3572 ebenso wie ein Geschäftsführer und „seine“ GmbH.3573 Altkunden sind zwar nur ausgleichsfähig, wenn die Geschäftsverbin-

3559 Deshalb haben etwa der BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein – KfzVertragshändler sowie das OLG Köln, Urt. v. 5.5.2006 – 19 U 202/05 keine Bedenken gehabt, den Ausgleich auch nach der Einführung der Kfz-GVO 1400/02 entsprechend den bisherigen Maßstäben zu bestimmen. 3560 Käufer, die beim Erst- oder Zweitkauf von einem anderen Händler erwarben, bleiben unberücksichtigt, s. BGH ZIP 1987, 1383 (1386); zweifelnd Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 2. 3561 Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 2. 3562 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 14; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume Rn 72; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler; OLG Köln, Beschl. v. 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129 – Ducati. 3563 OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler (dort Atypik verneint). 3564 Siehe etwa BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496: Durchschnitt aus fünf Jahren; OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089; Beschl. v. 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129- Ducati. 3565 Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 3. 3566 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (81). 3567 8 Jahre: BGH, Urt. v. 22.2.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759; nach den Verhältnissen des Einzelfalls OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089; regelm. 5 Jahre: BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 17; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.3.2012 – I-16 U 199/10, BeckRS 2012, 13564 – Motorrad-Vertragshändler; OLG Köln, Beschl. v. 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129- Ducati. 3568 Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 263: mehr als ein Vorkauf wird nicht gefordert. 3569 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620. 3570 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 ff. Rn 24 f., 27 (anders also bei Eigengeschäften der Leasinggesellschaft); OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105. 3571 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2302 (2305). 3572 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; richtigerweise kommt es auf sie nicht an. 3573 Niebling WRP 2001, 506 ff. 541

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dung wesentlich erweitert wurde. Davon ist angesichts des Kaufpreises bei Kfz allerdings regelmäßig auszugehen.3574 Deshalb spielt diese Frage im Kfz-Vertriebsrecht meist keine Rolle. 559 Boni und Zuschüsse erhöhen die Ausgleichsbemessungsgrundlage des Basisjahres,3575 etwa Zulassungsboni,3576 (ggf. nicht konkreten Verkäufen zurechenbare3577) Zusatzleistungen, außerordentliche Verkaufshilfen,3578 Großabnehmer-,3579 Mietwagen-,3580 von der Leasinggesellschaft an den Mittler weitergeleitete Leasingzuschüsse,3581 Verkaufsprämien3582 oder solche für die Inzahlungnahme von Gebrauchtwagen3583 (wobei aber in der Gebrauchtwageninzahlungnahme „versteckte“ Rabatte auf der anderen Seite ausgleichsmindernd in Abzug gebracht werden müssen3584 – Problem: Feststellbarkeit; der BGH lässt eine Schätzung zu3585). Die Entscheidungen variieren z. T., weil es auch auf den Einzelfall ankommt. Tageszulassungen sind eine besondere Form des Neuwagengeschäfts und bei Ermittlung der ausgleichsrelevanten Rabatte dieses Basisjahres zu berücksichtigen.3586 Der Kunde erwirbt auch hier ein fabrikneues Fahrzeug;3587 die kurzfristige Zulassung dient, anders als bei Vorführwagen, nicht der Nutzung des Kfz. Tageszulassungen erfolgen im Absatzinteresse beider Seiten3588 und in Ausführung der Absatzförderungspflicht des Händlers. Rabatte des Basisjahres im Gebrauchtwagen-3589 und Vorführwagengeschäft3590 sollen bei Ermittlung der ausgleichsfähigen Vergütungsbestandteile unberücksichtigt bleiben, es sei denn, die Vertriebspflicht bezog sich auf derartige Geschäfte. Hinsichtlich der Gebrauchtwagen ist dem zuzustimmen, nicht jedoch bezüglich der Vorführfahrzeuge. Erwerb und Unterhalt der Vorführwagen sowie deren logische Fortsetzung, der Verkauf,

3574 3575 3576 3577

Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 2. BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 32 m. Anm. Lang/Klein – Kfz. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06; OLG Köln VersR 2002, 437 (438). BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 32 – KfzVertragshändler. 3578 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 35 – KfzVertragshändler. 3579 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 (Kfz-Vertragshändler); v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2353) Rn 35 – Volvo-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 35 ff. m. Anm. Lang/Klein – Volvo-Vertragshändler (finanzielle Verkaufshilfe); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler). 3580 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler). 3581 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 (Kfz-Vertragshändler); v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2353) Rn 36 – Volvo-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2499) Rn 34 – Volvo-Vertragshändler; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler); aA nach den Umständen des Einzelfalles BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 38 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 3582 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Kfz-Vertragshändler). 3583 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 39 f. m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 3584 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 Rn 38 ff. – Volvo-Vertragshändler; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 41 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler. 3585 Durch derartige Detailfragen wird die Ausgleichsberechnung ohne eine Vielzahl von Sachverständigengutachten – ggf. zu den Schätzgrundlagen – mit angemessenem Aufwand nicht mehr handhabbar und entscheidbar; der BGH verweist zurück und braucht sich um die Beweisaufnahme nicht zu kümmern. 3586 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2003 (2304); LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08 n. v.; Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587). 3587 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2003 (2304). 3588 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2003 (2305). 3589 Niebling WRP 2001, 506 ff.; Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 263. 3590 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035; OLG Köln – 25 U 20/84; Horn ZIP 1988, 137 (141, 146); Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 6; Hollmann BB 1985, 1023 (1033); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972 (1978); Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 263; Niebling WRP 2001, 506 ff.; Hopt § 84 Rn 12; aA Graf v. Westphalen DB Beil. 8/1988, 6. Emde

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erfolgen in Erfüllung der Absatzförderungspflicht; die mittels des Verkaufs der meist neuwertigen Vorführwagen geworbene Kundenbindung entspricht der bei Veräußerung eines Neuwagens. Aus Kundensicht sind solche Kfz mit geringer Laufleistung substituierbar. Auch ein ausgleichspflichtiger Vorkauf liegt sowohl beim Kauf eines Neufahrzeuges, einer Tageszulassung als auch eines Vorführwagens3591 vor, nach Lage des Falles ausnahmsweise auch eines Gebrauchtwagens.3592 Von einem Vorführwagen und keiner Tageszulassung wurde ausgegangen, wenn das Fahrzeug mindestens 2 und höchstens 5 Monate auf den Händler zugelassen und auch zu Probefahrten benutzt wurde,3593 weiter im Falle einer Laufleistung von 325 km bzw. 492 km.3594 Bei der Bestimmung der Höhe des Kfz-Händlerausgleichs ist häufig streitig, was ein Neu- und ein Gebrauchtwagen ist. Ein Neuwagen liegt zumindest bei einer KM-Leistung von Null sowie einem Zulassungsalter von einem Monat vor.3595 Der Praktikabilität halber ist die zeitliche Grenze so zu ziehen; die KM-Grenze bei 1000 KM.3596 Im Rahmen einer Klage auf Minderung, also in anderem Zusammenhang, hat das OLG Naumburg entschieden,3597 der Eigenschaft als Neuwagen stehe die Zulassung des Kfz für einen Tag auf den Händler entgegen. Das KG geht von der Neuwageneigenschaft sogar dann aus, sofern das Kfz mehrere Monate oder Jahre vor dem Verkauf gebaut wurde und eine Laufleistung von 2000 KM aufwies.3598 Auf den Bereich der Ausgleichsermittlung dürfte sich dies nur begrenzt übertragen lassen. Ein Neuwagengeschäft ist jedoch nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil zwischen der Auslieferung des Fahrzeugs an den Händler und dessen Verkauf an den Kunden ein Zeitraum von über einem Jahr liegt und das verkaufte Fahrzeug somit bei Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr fabrikneu ist.3599 Vielmehr kann von einem Neuwagengeschäft nur dann nicht mehr gesprochen werden, wenn das Fahrzeug bereits gebraucht war.3600 In der Werkstatt eingebaute Zubehörteile sind gemäß den Grundsätzen zur Ausgleichspflicht von Ersatzteilen ausgleichsfähig, wenn es sich um solche des Herstellers handelt – sogar falls sie über Querlieferungen erworben wurden – und sich die Vertriebspflicht auch auf diese Zubehörteile erstreckt.3601 Verkäufe an eine hauseigene Autovermietung erhöhen die Ausgleichsbemessungsgrundlage;3602 Transportund Überführungskosten, die dem Kunden in Rechnung gestellt werden, hingegen nicht.3603 Die Bemessungsgrundlage valutiert daher auch im Kfz-Bereich in Höhe der Differenz zwischen Verkaufspreis plus für Verkaufsförderungszwecke gewährte Boni3604 minus Einkaufspreis.

3591 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/ 06; aA Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 264. 3592 AA OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (Zulassungszeit 5 1/2 Monate, 1731 KM Laufleistung). 3593 BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2301). 3594 LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 U 10/08, n. v. 3595 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200. 3596 Emde MDR 2010, 537 (539); ebenso BGH, Urt. v. 21.12.2011 – I ZR 190/10, NJW 2012, 2276 zur Neuwageneigenschaft nach § 2 Nr. 1 Pkw-EnVKV. 3597 Urt. v. 2.9.1999 – 12 U 19/99, NJW-RR 2001, 461. 3598 KG, Beschl. v. 15.9.2009 – 5 U 116/08, WRP 2010, 562. 3599 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 22; v. 7.6.2006 – VIII ZR 180/05, WM 2006, 2008 Rn 10 f. m. w. N. 3600 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 22. 3601 Reufels/Lorenz BB 2000, 1586 (1587); aA wohl Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Der Vertragshändlervertrag4 Rn 889. Das gilt jedenfalls, wenn der Händler werbliche Bemühungen zum Ersatzteilverkauf vornimmt, vgl. ebenso BGH, Beschl. v. 4.3.2008 – VIII ZR 119/06, BeckRS 2008, 07111. 3602 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200. 3603 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035; aA OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4321/00; Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 7. 3604 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 28 m. Anm. Lang/Klein; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035. 543

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HV-untypische Vergütungsbestandteile werden nach h. M. auch in dieser Branche nicht in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen3605: Aufwendungen für die personelle und sächliche Ausstattung des Betriebs sowie für Werbung, Präsentation, Herrichten des Kfz, Gewährleistung, Kulanzen, Lagerhaltung, Vorführwagen und Zugaben bilden nach h. M. (s. aber oben) keine dem gesetzlichen Leitbild der HV-Tätigkeit entsprechenden Kostenfaktoren und sollen bei der Berechnung der Ausgleichsbemessungsgrundlage unberücksichtigt bleiben.3606 Das ist fraglich, weil bei Kfz-HV (Mercedes, Jaguar, VW-Phaeton VW-ID33607) gleiche Kosten anfallen (Statusvergleich) und händlertypische Vergütungsbestandteile Kosten ausgleichen sollen, welche durch die vorgeschriebenen Händlerstandards entstehen. Es handelt sich um eine Ungleichbehandlung zu Lasten der Vertragshändler. Ohne etwa einen Showroom, Personal und Vorführwagen und eine dafür gegebene Vergütung ist kein Verkauf möglich. Derartige Umfeldbedingungen sind im stationären Vertrieb zwingend und werden – nicht nur von den Herstellern – erwartet. Der Vergleich ist daher zu Kfz-HV zu ziehen; sie haben dieselben Kostenpositionen.3608 Die Gegenansicht,3609 derzufolge es sich um Kosten des Absatzes handelt, die ein HV, wie sich aus dem gesetzlichen Leitbild der §§ 84, 86a Abs. 1 ergebe, typischerweise nicht zu tragen habe, verkennt, dass es auf das konkrete Vertriebsumfeld für das beworbene Produkt und nicht auf ein ohnehin fehlendes abstraktes Leitbild des HV ankommt. Auch verwaltende Vergütungsbestandteile, die auch ein HV hätte, sollen wie beim HV nicht in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen werden.3610 Im stationären Tankstellenvertrieb wurde die Abgrenzung zwischen werbenden und verwaltenden Vergütungsbestandteilen praktisch aufgegeben. Insb. werden beim TankstellenHV Lagertätigkeiten als vertriebstypisch angesehen; gleiches sollte für den Vertragshändler gelten.3611 Den verwaltenden und händlertypischen Anteil (Buchführung,3612 Bestandsverwaltung3613 etc.) schätzen Gerichte3614 mit 2,5 % der unverbindlichen Preisempfehlung zu den Mehrfachkunden-Geschäften. Vortragspflichtig für einen darüber hinausgehenden Abzug ist der Unternehmer.3615 Nach Ansicht des OLG Frankfurt/M.3616 hat die Ausgrenzung nicht HVtypischer Bestandteile im Kfz-Vertriebsrecht durch eine dem Verhältnis von Gesamtrabatt und Zusatzrabatte entsprechende Reduzierung des Roherlöses zu erfolgen. Der so bestimmte Basisbetrag ist wie bei anderen Mittlern unter Abzug einer Abwanderungsquote mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums zu multiplizieren. Anschließend ist abzuzinsen.3617 3605 BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 Rn 30 ff.

3606 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 24; v. 5.6.1996 –VII ZR 7/95, NJW 1996, 2302 (2304); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; Hollmann BB 1985, 1023 (1033); aA Graf v. Westphalen DB Beil. 8/1988, 6 (8). 3607 Vgl. Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 6. 3608 Emde MDR 2010, 537 (540). 3609 BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 46 m. Anm. Lang/Klein; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; Hollmann BB 1985, 1023 (1033). 3610 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 26; OLG Köln, Beschl. v. 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129 – Ducati. 3611 Emde MDR 2010, 537 (540). 3612 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200. 3613 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200. 3614 BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 26; OLG Köln, Beschl. v. 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129 – Ducati; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200; der BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620; v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2354) Rn 45 – Volvo-Vertragshändler; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 Rn 40; v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 50 m. Anm. Lang/Klein ließ das unbeanstandet. 3615 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06. 3616 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200. 3617 BGH, Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 189/75, ZIP 1987, 1383 (1387); Graf v. Westphalen DB-Beil. 8/1988, 9. Emde

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cc) Billigkeitserwägungen. Billigkeitsrelevant ist in erster Linie die Sogwirkung der Marke. 561 Dazu vgl. bereits oben „Sogwirkung der Marke“. Die bisher h. M. erkennt den Abzug an. Für das prestigeträchtige Fabrikat BMW wird eine Reduzierung des Rohausgleichs (vor Kappung durch die Ausgleichshöchstgrenze) von 25 %3618 bzw. 1/33619 befürwortet, für Opel von 25 %,3620 für Mitsubishi von 20 %,3621 für Nissan von 25 %,3622 für Citroen zwischen 103623 und 25 %,3624 für Fiat von 10 %,3625 aber auch von 30 %,3626 für Renault von 10 %3627 bzw. 25 %,3628 für Peugeot von 15 %,3629 für Volvo von 25 %3630 und für Ducati von 25 %.3631 Bei der Durchschnittsmarke „S“ wurde ein Abzug von 25 % angenommen.3632 Die erheblichen Unterschiede ließen sich allenfalls durch regionale Besonderheiten erklären; sonst widersprächen sie Art. 3 GG. Nach Ansicht von Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper soll heute allenfalls ein Abzug von 10 % anerkannt bzw. kein Abzug vorgenommen werden.3633 Die Begründung für eine reduzierte Bedeutung der Sogwirkung liegt, so Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper,3634 auf der Hand: Der Kfz-Markt wird durch ein Oligopol starker Markennamen dominiert. Die Sogwirkung verschiedener Marken nivelliert sich damit; sie geht in alle Richtungen.3635 Es ist der Händler, der die Sogwirkung kanalisieren muss. Allenfalls im Vergleich zu anderen Marken besonders starke Markennamen könnten sich auf eine Sogwirkung berufen, was der Unternehmer als Billigkeitsabzug darlegen und beweisen müsste. Ist die Marke zudem bekannt, bleibt die Handelsmarge geringer, bei unbekannten Produkten liegt sie entsprechend höher. Folglich ist bereits in der Händlermarge die Sogwirkung der Marke berücksichtigt. Sie darf kein zweites Mal mindernd zum Abzug gebracht werden.3636 Eine Gegenansicht lässt sich nur vertreten, wenn man den Abzug für den Anteil des Herstellers an den werbenden Bemühungen vornimmt, ungeachtet des Marktumfeldes. Aber dann wäre es inkonsequent, bestimmten Marken wegen ihres starken Markennamens eine höhere Sogwirkung zuzubilligen, obwohl auch schwächere Marken werben. Als letzter Berechnungsschritt wird der so bestimmte Ausgleich, falls er die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 überschreitet, durch diese begrenzt. dd) Formeln zur Berechnung des Kfz-Vertragshändlerausgleichs. Nach der auf andere 562 Kfz-Vertragshändlerfälle übertragbaren, für den BMW-Vertrieb entworfenen Münchner For3618 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035. Die „Münchner Formel“ des LG München I ging noch von einem Abzug von 30 % aus. OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06 (Kart). BGH, Urt. v. 22.3.2006 – VIII ZR 173/04. LG Köln, Urt. v. 2.11.2009 – 86 O 10/08 n. v. OLG Köln, Urt. v. 2.3.2001 – 19 U 120/00; v. 23.2.1996 – 19 U 114/95. OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08; LG Köln, Urt. v. 10.7.2008 – 86 O 14/06. BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2301; LG Bremen, Urt. v. 11.5.2006 – 12 O 297/05. BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2302 (2305). BGH NJW 1997, 1505. BGH, Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 189/75, ZIP 1987, 1383 (1387). OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 29; v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, BB 2011, 208 m. Anm. Steinhauer = DB 2010, 2496 (2500) Rn 41; krit. Niebling WRP 2011, 1269 (1271), der diese Abzugshöhe als „Höchstsatz“ ansieht. 3631 OLG Köln, Beschl. v. 25.3.2010 – 19 U 169/09, BeckRS 2011, 29129. 3632 OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089 Rn 29. 3633 Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (265). 3634 Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (265). 3635 Dieses Argument hält BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 32 im Tankstellen-Shop-Geschäft für möglich; wohl aber nicht für überzeugend. Denn dort wird ein Billigkeitsabzug von 10 % nicht beanstandet. 3636 Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (266).

3619 3620 3621 3622 3623 3624 3625 3626 3627 3628 3629 3630

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mel3637 in ihrer Beschlussfassung v. 3.8.1998 errechnet sich der Kfz-Vertragshändlerausgleich wie folgt: HVK (1)./. WAP (2) + B/R (3) x 7/10 (4) x Pr. d. StK (5) x 5 (6) x 0,7 (7) x 52,9907: 60 (8) x 0,19 (Umsatzsteuer, siehe 9) + Verzugszinsen ab Fälligkeit (10). Zur Erläuterung der verwendeten Begriffe: 1. HVK = erzielter Netto-Händlerverkaufspreis für ausgleichsfähige, verkaufte Produkte an Endkunden (unter Berücksichtigung der gewährten Nachlässe/Rabatte/Skonti) des letzten Jahres vor Vertragsbeendigung. 2. WAP = Werksabgabepreis (ohne Berücksichtigung der vom Hersteller gewährten Rabatte, Boni und Prämien), bezogen auf das letzte Vertragsjahr für die zuvor genannten Produkte. 3. B/R = alle vom Hersteller im gleichen Zeitraum gewährten Boni, Rabatte u. ä. 4. 7/10 = Berücksichtigung eines Abschlags von 30 % für verwaltende Tätigkeit.3638 Für einen höheren Anteil wäre der Unternehmer darlegungs- wie beweispflichtig. Denn der BGH hat in den Tankstellenurteilen3639 den Mineralölunternehmen die Darlegungs- und Beweislast für einen geringeren als den vom Tankstellenvertreter behaupteten %-Satz verwaltender Tätigkeit auferlegt, weil in den dortigen Verträgen jeweils nur eine Einheitsprovision ohne Aufteilung auf werbende und verwaltende Tätigkeit vorgesehen war und das Mineralölunternehmen, welches jeweils den Vertragsinhalt vorgegeben hätte, über Erfahrungswerte verfügen musste, welcher Anteil der einheitlichen Provision zur Abgeltung verwaltender Tätigkeit bestimmt sein sollte. 5. Pr. D. StK = Prozentualer Stammkundenanteil. Das LG München I geht gem. § 287 ZPO von einem regelmäßigen Stammkundenanteil zwischen 30 % und 60 % aus. Diese Schematisierung wird man auf andere Fälle übertragen können. 6. Prognosezeitraum: 5 Jahre, nach neuerer wohl Rspr. 5–8 Jahre.3640 7. Billigkeitsabschlag nach § 89b Abs. 1 Nr. 2, vor allem Berücksichtigung eines prozentualen Abschlags wegen der „Sogwirkung der Marke“; das LG München wird insoweit kein Gutachten einholen, vielmehr nach § 287 ZPO schätzen, wobei von einem grds. Abzug von einem Drittel für die Marke BMW ausgegangen wird. Bei Vorliegen besonderer Umstände kann hiervon abgewichen werden. 8. Abzinsung nach Gillardon. 9. Berücksichtigung der MwSt. 10. Verzinsung ab Fälligkeit,3641 wobei streitig sein kann, ob die Fälligkeit der Ausgleichszahlung vor Kenntnis des Unternehmers von den Berechnungsgrundlagen des Ausgleichs angenommen werden kann. Denn anders als der Unternehmer eines HV kennt der Unternehmer eines Vertragshändlers die Berechnungsgrößen des Ausgleichs nicht notwendigerweise, insb. nicht zur Höhe der Rabatte. 563 Das OLG München3642 kritisiert die Ausgleichsberechnung nach der Münchner Formel. Die Formel dürfe einem Urteil nur zu Grunde gelegt werden, wenn die Zurechnung der Boni, die Bemessung des Verwaltungsanteils und des Prognosezeitraums sowie die Ermittlung des Billigkeitsabschlages auf den konkreten Einzelfall bezogen vorgenommen wird. Außerdem wird man – so ist zu ergänzen- den Stammkundenanteil konkret feststellen müssen. Ob dies nach § 287 ZPO tatsächlich notwendig ist, erscheint zweifelhaft. Die Ergebnisse werden nicht sehr weit auseinander fallen, wie auch das OLG München betont. Es ist daher praktikabler, wenn der Verwaltungsanteil – will man ihn überhaupt von der Ausgleichsbemessungsgrundlage abziehen – pauschal mit 30 % in Abzug gebracht wurde, wobei die Parteien den Nachweis erbringen könnten, dass im

3637 Wiedergegeben bei Kainz/Lieber/Puszkajler BB 1999, 434; Wiedergabe einer Entscheidung in MDR 1998, 1489. Kritisch zur Münchner Formel: OLG Frankfurt/M., Urt. v. 23.5.2005 – 5 U 94/05; OLG München, Beschl. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01 – 211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde), die aber Teilaspekte der Formel akzeptieren; Intveen BB 1999, 1881 (1885); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/ Wauschkuhn Rn 923 ff.; seinerzeit ebenfalls kritisch Emde VersR 1999, 1464 (1474). 3638 So auch OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035; OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (265). 3639 BGH, Urt. v. 28.4.1988 – I ZR 66/87 unter II 2; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, VersR 2003, 767 sub II 2. 3640 8 Jahre: BGH, Urt. v. 22.2.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759; regelm. 5 Jahre: BGH, Urt. v. 13.7.2011 – VIII ZR 17/09, ZIP 2012, 277 = MDR 2011, 1050 = EWiR 2011, 713 Rn 17. 3641 BGH BB 1991, 368/369. 3642 Beschl. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419. Emde

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konkreten Fall von einem anderen Abzug ausgegangen werden muss.3643 Ein weiteres Problem der Münchner Formel ist die fehlende Berücksichtigung des im Kfz-Händlerrechts besonders erheblichen Anteils potentieller Mehrfachkunden, den das OLG Saarbrücken3644 mit 2/3 der um verwaltende Anteile (30 %) gekürzten Erlöse aus Geschäften mit Einfachkunden des letzten Vertragsjahres bemessen hat. Dieser Betrag wäre der Ausgleichsbemessungsgrundlage zuzusetzen, sofern man die potentiellen Mehrfachkunden nicht bereits durch den nach der Renault-Entscheidung3645 zulässigen Verzicht auf die Abwanderungsquote (Rn 479 ff. „Abwanderung“) ausgeglichen sieht. Die Ausgleichsbemessungsgrundlage ergibt sich dann aus der Summe der Mehrfachkundenerträge sowie des genannten Anteils von 2/3 der um verwaltende Anteile gekürzten Einfachkundenerträge des letzten Vertragsjahres. Die Bemessung der Ausgleichshöchstgrenze des § 89b Abs. 2 nimmt die Münchner Formel wie folgt vor: (durchschnittlicher jährlicher HVK der letzten fünf Jahre abzüglich durchschnittlicher jährlicher WAP der letzten fünf Jahre + durchschnittliche jährliche Boni/Rabatte der letzten fünf Jahre) mal 7/10. Dabei soll wegen der gebotenen Analogie zum HV-Recht auch bei der Ermittlung der Kappungsgrenze der Verwaltungsanteil von 3/10 mindernd berücksichtigt werden, da nur der werbende Anteil der Boni/Rabatte der HV-Provision entsprechen soll. Weichen die Verkaufszahlen der 4 Jahre vor dem letzten Vertragsjahr nicht außergewöhnlich von denen des letzten Vertragsjahres aus, so wird in fast allen Fällen die Höchstsummenbegrenzung greifen. Wauschkuhn3646 stellt eine abweichende Berechnungsweise dar: er geht von einem fünfjährigen Prognosezeitraum und Vergütungsverlusten von 75 % des Ausgleichsbemessungsbetrages (auf HV-Niveau reduzierte Rabatte der letzten 12 Monate aus Geschäften mit neu geworbenen Stammkunden, erweiterten Altstammkunden sowie potentiellen Stammkunden) im ersten Jahr, 50 % im zweiten, 25 % im dritten und jeweils 10 % im 4. und 5. Jahr aus. Danach bestimmt sich der ausgleichspflichtige Verlust bei einem Bemessungsbetrag von EUR 200.000 wie folgt: Provisionsverlust für das 1. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 150.000,00 Provisionsverlust für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 100.000,00 Provisionsverlust für das 3. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 50.000,00 Provisionsverlust für das 4. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 20.000,00 Provisionsverlust für das 5. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 20.000,00 Rohausgleich insgesamt: EUR 340.000,00 Dieser Betrag wird dann nach Gillardon oder Hoffmann abgezinst und ggf. durch die Ausgleichshöchstgrenze begrenzt. Das OLG Köln stellt zur Ermittlung des Ausgleichsanspruchs auf die sogenannte Rohertragsmethode ab.3647 Danach ist a. zunächst auf der Grundlage der UPE des Herstellers der Gesamtumsatz des Vertragshändlers im Neuwagengeschäft des letzten Vertragsjahres zu ermitteln, b. sodann ist die Summe der vom Händler gezahlten Einkaufspreise von der Summe der Verkaufspreise zu subtrahieren, c. danach ist der Anteil der berücksichtigungsfähigen Boni zu ermitteln und mit der Zwischensumme zu addieren. Aus der Summe ergibt sich der Rohertrag (%) im Verhältnis zum UPEUmsatz, d. dieser %-Satz ist um die Anteile der Provision zu reduzieren, die HV-untypisch bzw. händlertypisch sind, e. sodann ist der Umsatz des Händlers auf der Grundlage der UPE mit Mehrfachkunden festzustellen (MfK-UPE-Umsatz),

3643 3644 3645 3646 3647 547

Niebling Vertragshändlerrecht2 Rn 261. OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/05, NJW 1997, 1503. In: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 902. OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089; Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08. Emde

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davon ist die Provision für das Mehrfachkundengeschäft unter Anwendung des reduzierten Prozentsatzes zu berechnen (MFK-Rohertrag), g. verlief das letzte Vertragsjahr nicht untypisch gegenüber den 4 Vorjahren, ist dieser Vertrag durch Multiplikation mit 5 auf die Dauer des Prognosezeitraums hoch zu rechnen. Der Prognosezeitraum beträgt 5 Jahre, kann aber, wenn das durchschnittliche Nachkaufintervall im Neuwagengeschäft auf 6–8 Jahre angestiegen ist, höher liegen,3648 h. im Rahmen der Billigkeitsprüfung bedarf die so gewonnene Zwischensumme einer Reduktion wegen der Sogwirkung der Marke, ggf. auch wegen weiterer Umstände, i. anschließend ist eine Abzinsung des Betrages nach der Methode Gillardon vorzunehmen, j. sodann ist die Mehrwertsteuer hinzuzurechnen, k. der ermittelte Betrag ist mit der Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 abzugleichen. 568 Eine Berechnung nach der Münchner Formel scheide aus.3649 Damit wird die Ausgleichsbemessungsgrundlage aus einer Relation zwischen Rohertrag und UPE-Umsatz bestimmt. Auf diese Weise wird allein dem Hersteller die Definition des Rohertrages überlassen. Durch eine im schlimmsten Fall beliebig und einseitig vorgegebene UPE (sie ist meist nicht Vertragsinhalt) kann er über den Ausgleich disponieren. Im Gegensatz zur Provision eines HV darf der Unternehmer durch die Veränderung der UPE also die Ausgleichsbemessungsgrundlage verändern. Dies widerspricht der Rspr., derzufolge einseitige Leistungsänderungsrechte unzulässig sind (s. zu AGB d. Kommentierung Vor § 84) sowie dem Stellenwert des Ausgleichs. Damit wird eine Berechnungsgrundlage zugrunde gelegt, die vertraglich vereinbart unzulässig wäre. Der Ausgleich soll die Vorteile des Unternehmers möglichst wirklichkeitsnah darstellen.3650 Dies ist ausgeschlossen, sofern der Unternehmer durch eine Änderung der UPE im letzten Vertragsjahr den Rohausgleich und damit die Ausgleichsberechnungsgrundlage einseitig ändern darf. Gerade bei einer Strukturkündigung hat der Hersteller ein Interesse an einer einseitigen Änderung der UPE im gesamten Vertriebsnetz. Auch in anderen Fällen wäre es faktisch nicht ausgeschlossen, gegenüber einigen Vertriebsmittlern oder gestaffelt nach Größenklassen unterschiedliche UPE zu vereinbaren, jedenfalls sofern der Hersteller die Gleichbehandlungspflicht missachtet.

569 b) Ersatzteile. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs kann auch im Teilegeschäft an Hand der Münchner Formel zum BMW-Vertrieb3651 erfolgen, selbst bei anderen Marken.3652 Danach ergibt sich folgender Rechenweg: (Netto-Händlerverkaufspreis für verkaufte Produkte an Endkunden des letzten Vertragsjahres) – (Werksabgabepreis aller im letzten Vertragsjahr verkauften Produkte) + (alle vom Hersteller gewährten Boni, Rabatte u. ä.) x (prozentualer Stammkundenanteil, wobei gem. § 287 ZPO von einem regelmäßigen Stammkundenanteil zwischen 30 % und 60 % ausgegangen wird) plus (eventuell) 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden x 7/10 (= Berücksichtigung eines Abschlags von 30 % für verwaltende Tätigkeit) x 5–8 (= Prognosezeitraum: 53653–8 Jahre)3654 x (0,7–0,9 = Billigkeitsabschlag nach § 89b Abs. 1 Ziff. 3 für die Sogwirkung der Marke, zwischen 10 und 30 %)3655 x 0,8831783 (Abzinsung nach Gillardon) x 1,19 (für 19 % Umsatzsteuer) + (Fälligkeits- und Verzugszinsen).3656 3648 OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089. 3649 OLG Köln, Urt. v. 6.2.2009 – 19 U 108/08. 3650 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 37; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 25 (Tankstellen-HV). Ablehnend zur Münchner Formel OLG Frankfurt/M., Urt. v. 23.5.2005 – 5 U 94/05. Emde VersR 2001, 148 (164); GRUR 2006, 997 (1006); Emde BB 2007, 2480. Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 310: Prognosezeitraum 5 Jahre. Der Prognosezeitraum entspricht dem bei den Hauptprodukten; im Durchschnitt haben Teile keine geringere Lebensdauer; bei Kfz sind Extrembeispiele auf der einen Seite Reifen, auf der anderen Karosserieteile, s. Emde GRUR 2006, 997 (1006). 3655 Die Sogwirkung entspricht der der Hauptprodukte (Emde GRUR 2006, 997 [1006]). 3656 S. auch die Formel bei Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 314 f.

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V. Ausgleichsanspruch des Tankstellen-HV Der Halter einer Tankstelle, auch einer Selbstbedienungstankstelle, ist HV.3657 Um ausgleichs- 570 berechtigt zu sein, muss er Neukunden geworben haben. Die Schwierigkeit der Ausgleichsberechnung beleuchten für Tankstellen bereits früh Veith DB 1963, 1277 und BGH NJW 1965, 248 (249). Die für die Neukundenwerbung mitursächliche Vermittlungstätigkeit liegt bei einer Selbstbedienungstankstelle darin, dass der HV die Tankstelle offen und die Vorrichtungen zur Abgabe von Kraftstoffen betriebsbereit hält.3658 Der Berechnung des Ausgleichsanspruchs wird – sofern das letzte Jahr nicht untypisch verlief3659 – die letzte Jahresprovision aus in diesem Zeitraum geschlossenen3660 Geschäften mit geworbenen Stammkunden oder erweiterten Altstammkunden zugrunde gelegt,3661 und zwar einschließlich Inkassoprovisionen3662 und nicht beschränkt auf den Vergütungsanteil, der nach Abzug der Betriebs- und Personalkosten als Gewinn verbleibt.3663 Eine Kürzung der in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einzubeziehenden Provisionen um verwaltende Anteile erfolgt nicht.3664 Nach aA sollen nur werbende Provisionsbestandteile ausgleichspflichtig sein;3665 der Anteil verwaltender Provisionsbestandteile soll jedoch mit 10 % geschätzt werden dürfen.3666 Eine „Dienstleistungspauschale“ kann in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen sein, auf der Basis der Ansicht derjenigen, die verwaltende Vergütungsbestandteile nicht in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbeziehen, jedenfalls dann, wenn sie für werbende Bemühungen geleistet wird.3667 Sämtliche mit dem Offenhalten der Tankstelle, der Aufrechterhaltung der Verkaufsbereitschaft einschließ-

3657 S. BGH, Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 = VersR 2009, 355; NJW 1985, 862; NJW 1998, 66; 1998, 71; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde; Steinhauer BB 2009, 2386 ff.; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (236); OGH Wien, Beschl. v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09n. Auch die österreichische Rspr. bejaht deshalb das Ausgleichsrecht des Tankstellen-HV, s. OGH v. 30.8.2006 – 7 Ob 122/ 06a, zit. nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 202. 3658 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 46; Urt. v. 6.8.1997 –VIII ZR 150/96, BB 1997, 66; BB 1985, 353; Thume BB 2020, 779 (780); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 76; zweifelnd Canaris § 17 Rn 107, da die meisten Kunden die billigste Tankstelle aufsuchten. 3659 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (236/237). 3660 Vertragsschluss mit Beginn des Tankvorgangs, s. BGH, Urt. v. 4.5.2011 – VIII ZR 171/10, MDR 2011, 836. 3661 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879; v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 12; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 14, 20; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 15; v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 = VersR 2009, 355; v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/ 02, WRP 2003, 979 = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (236 f.). 3662 Steinhauer BB 2009, 2386 (2387 f). 3663 Evers VW 2010, 524 zum VV. 3664 LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08; LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07; LG Itzehoe, Urt. v. 25.4.2006 – 5 O 155/04; auch von BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 18 für möglich gehalten. 3665 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 14; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 16; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 49 m. Anm. Emde; Steinhauer BB 2009, 2386 (2388); aA (kein Abzug für verwaltende Tätigkeiten): LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08; v. 15.5.2008 – 413 O 120/07; OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339; LG Itzehoe, Urt. v. 25.4.2006 – 5 O 155/04. 3666 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 14 (für Tankstelle und Shop); v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 19; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499; KG, v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 49 m. Anm. Emde; OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339. 3667 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (238). 549

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lich der dazu erforderlichen Tätigkeiten, der Lagerhaltung,3668 der Auslieferung,3669 dem Inkasso,3670 der Verwaltung und Sicherung von Bargeldbeständen3671 sowie Kontrolle und Meldung von Preisänderungen bei den umliegenden Tankstellen3672 zusammenhängenden Arbeiten sind jedoch untrennbar mit der Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit des Tankstellen-HV verbunden und rechtfertigen daher keinen Abzug hierfür gewährter, „verwaltender“ Vergütungsbestandteile. Ohne eine Inkassotätigkeit ist eine Verkaufstätigkeit undenkbar.3673 Die Buchführung soll der verwaltenden Tätigkeit zuzurechnen sein,3674 auch wenn sie den Anforderungen des Unternehmers entsprechen muss.3675 Für jene Verpflichtung sowie die Pflicht, sämtliche Agenturgeschäftsvorfälle elektronisch zu erfassen sowie mindestens 4 Jahre lang vorzuhalten, soll ein Abzug verwaltender Provisionsbestandteile von 10 % von der Ausgleichsbemessungsgrundlage zu schätzen sein.3676 Da die Tätigkeit eines Tankstellenhalters tatsächlich überwiegend werbender Natur ist, ist nicht von vorneherein auszuschließen, dass der hierin eingeschlossene Fremdverwaltungsanteil gering anzusetzen oder sogar insgesamt zu vernachlässigen ist.3677 Im Waschstraßengeschäft wurde in einem Fall ein verwaltender Anteil von 50 % für richtig gehalten.3678 Nach aA sollen für das Waschstraßengeschäft, das Fertigen von Berichten sowie das Führen eines Betriebstagebuches, Abzüge von 10 % zulässig sein (§ 287 ZPO).3679 Zur Beweislast für den verwaltenden Anteil Rn 487 ff. 571 Inhaber einer Kundenkarte des Mineralölkonzerns sind durch den Tankstellen-HV geworbene Kunden, weil der Inhaber der Karte nicht verpflichtet wird, Leistungen des Mineralölkonzerns in Anspruch zu nehmen (es bedarf also einer gesonderten Werbung um das Einzelgeschäft). Wer bei einer Tankstelle neuer Kunde wird, braucht nicht auch für die Mineralölgesellschaft ein „neuer“ Kunde zu sein. Es ist deshalb kein Umsatzanteil für solche Stammkunden abzuziehen, die zuvor an anderen Tankstellen des Mineralölunternehmens getankt haben,3680 es sei denn, jene Zahl lässt sich konkret bestimmen. Mehrfachkunden sind die Personen, die zwar nicht ausschließlich eine Stammtankstelle im eigentlichen Sinne frequentieren, aber dennoch eine Mindestzahl an Tankvorgängen bei einer Tankstelle ausführen. Sie werden als Stammkunden behandelt, wenn sie die erforderliche Mindestzahl an Tankvorgängen erreichen. Für die Stammkundeneigenschaft nicht erforderlich ist, dass der gesamte Kraftstoffbedarf oder ein bestimmter %-Satz desselben bei 3668 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 16; v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, WM 2003, 499 unter B II 2b; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821, unter III 1a; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239). 3669 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 16; v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, WM 2003, 499 unter B II 2b; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821, unter III 1a. 3670 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 16; v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, WM 2003, 499 unter B II 2b; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821, unter III 1a; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239). 3671 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 Rn 15; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 17; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 17 ff.; v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/ 00, unter II 2b; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821, unter B III 1a; jeweils m. w. N. 3672 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 19. 3673 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 88. 3674 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 17; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 20. 3675 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239). 3676 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239). 3677 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 16. 3678 BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821 (824). 3679 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 49 m. Anm. Emde; Steinhauer BB 2009, 2386 (2388); aA (kein Abzug für verwaltende Tätigkeiten): LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08; v. 15.5.2008 – 413 O 120/ 07; OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339; LG Itzehoe, Urt. v. 25.4.2006 – 5 O 155/04. 3680 BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107; Veith DB 1963, 1277. Emde

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einer Tankstelle gedeckt wird.3681 Der Tankstellenhalter hat die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 89b Abs. 1 S. 1 und damit für die auf Geschäfte mit Stammkunden entfallenden Anteile des Umsatzes bzw. der Provisionseinnahmen3682 (Rn 479 ff.). Angesichts des im Tankstellenbereich typischen anonymen Massengeschäfts erleichtert der BGH die Darlegungslast. Der HV muss zwar konkrete Anhaltspunkte für die Schätzung der Stammkundenquote vortragen.3683 Er braucht den Stammkundenumsatz aber nicht durch Vorlage von Kundenlisten mit Namen und Anschriften darlegen. Vielmehr können die ausgleichsrelevanten Daten durch die Verwertung statistischen Materials gewonnen werden, etwa die MAFO-Studie sowie durch Artikel aus Fachzeitschriften. Auf diese Weise darf der Stammkundenanteil geschätzt werden.3684 Voraussetzung einer auf statistisches Material gestützten Schätzung soll jedoch das Fehlen einer zumutbaren Möglichkeit sein, die Zahlungsvorgänge an der Tankstelle konkret auszuwerten und die Stammkundenanteile auf dieser Grundlage festzustellen.3685 Das Mineralölunternehmen darf einer auf Statistiken beruhenden Schätzung des Tankstellen-HV die auf einer Auswertung der Zahlungsvorgänge beruhende eigene Schätzung des Stammkundenanteils oder eine konkrete Gegenrechnung entgegenhalten;3686 das richtige Ergebnis ist eine Frage des Beweises. Die der Gegenrechnung des Unternehmens zugrunde liegenden Zahlen müssen auf Bestreiten durch einen Sachverständigen auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft werden,3687 falls das Gericht nicht nach § 287 ZPO schätzt. Soweit der BGH darauf hingewiesen hat, dass sich in Zukunft eine Heranziehung des weniger aussagekräftigen statistischen Materials erübrigen könnte, betrifft dies in erster Linie Kunden, welche mit weit verbreiteten Kreditkarten oder vergleichbaren Karten (MaestroKarten) bezahlen. Für diese Zahlungsvorgänge werden Belege ausgedruckt, die zumindest die Kartennummer und die Tankmenge ausweisen und die mit Hilfe eines Datenverarbeitungsprogramms daraufhin ausgewertet werden können, ob mit diesen Karten in einem bestimmten Zeitraum mehrfach getankt wurde. Der Tankstellen-HV besitzt aber derzeit meist keine zumutbare Möglichkeit, die Kartenumsätze auszuwerten, um auf dieser Grundlage den Stammkundenumsatzanteil der Tankstelle schätzen zu können. Denn die für eine Auswertung der elektronisch erfassten Zahlungsvorgänge geeignete Software ist bislang nicht Bestandteil der für die Buchhaltung von Tankstellen verwendeten EDV-Programme oder ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu beschaffen. Der Streit über die Möglichkeit konkreter Darlegung belastet Ausgleichsstreitigkeiten: Die konkrete Auswertung der Kartenkunden der Station müsste wieder durch statistische Gutachten zum typischen Zahlverhalten bestimmter Kartenkunden ergänzt werden. Einfacher ist es naturgemäß, den Vortrag nur durch Gutachten zum Stammkundenanteil zu führen; die Darlegung mittels statistischer Daten erleichtert den Ausgleichsprozess. Dem Tankstellen-HV steht es aber frei, auf Grund von Kassendaten über die erwähnten Kartenkunden den Stammkundenanteil an Hand des Stammkundenanteils unter den Kartenkunden zu schätzen.3688 Insbes. darf er hierzu – sofern sie einen repräsentativen Zeitraum betreffen, sonst Vorrang der Statistiken3689 – Belege über Zah3681 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. 3682 BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WM 2003, 2107; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499; VIII ZR 58/00, WM 2003, 491; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, WM 1998, 31; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde; Steinhauer BB 2009, 2386 (2388). 3683 BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, NJW-RR 2002, 1548 (1550); Steinhauer BB 2012, 526 (527). 3684 BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 (980) = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107; OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de BBL2009-298-1, insoweit in BB 2009, 298 nicht abgedruckt; zweifelnd wohl Steinhauer BB 2009, 2386 (2388) – Schätzung nach § 287 ZPO grds. nicht zulässig. 3685 BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 (980) = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107. 3686 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. 3687 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 32 m. Anm. Emde. 3688 BGH, Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 = VersR 2009, 355; KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163 = DB 2007, 1355. Ebenso OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126) für einen Sonderpostenmarkt (Kommissionsagent). 3689 OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de BBL2009-298-1, insoweit in BB 2009, 298 nicht abgedruckt. 551

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lungsvorgänge mit Maestro- und Kreditkarten bzw. vergleichbaren Karten auswerten, um jene daraufhin auszuwerten, ob in einem bestimmten Zeitraum mehrfach getankt wurde.3690 Das genügt für eine Hochrechnung zu den Geschäften mit Barzahlern3691 sowie eine Schätzung nach § 287 ZPO, falls keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das Verhältnis zwischen Mehrfach- und Einfachkunden bei den anonymen Barzahlern wesentlich anders ist als innerhalb der Kartenkundschaft.3692 Bestehen solche Anhaltspunkte, ist im Rahmen der tatrichterlichen Schätzung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine nur auf Kartenkunden basierende Feststellung erheblich von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen kann und ggf. zu korrigieren ist.3693 Solche Anhaltspunkte sind etwa: Unter den Barzahlern mag eine den Kartenkunden ähnliche Zahl von Geschäftskunden fehlen,3694 die Absatzmenge pro Tankvorgang kann bei Barzahlern im Durchschnitt signifikant niedriger liegen,3695 (was auf einen hohen Anteil von LKW-Fahrern unter den Kartenkunden oder darauf beruhen kann, dass Barzahler weniger häufig volltanken3696) oder bei Inhabern von Bonuskarten mit großem und häufigen Kraftstoffbedarf („Vielfahrern“) besteht ein besonderer Anreiz, möglichst hohe Umsätze bei einer an dem Bonussystem teilnehmenden Tankstelle zu tätigen.3697 Bei Existenz solcher Hinweise bedarf es näherer Feststellungen, ob es auch unter den Barumsätzen an der Tankstelle Absatzmengen pro Tankvorgang gibt, die darauf schließen lassen, dass sich unter den Barkunden in vergleichbarer Menge Fahrer befinden, die hinsichtlich ihres Tankverhaltens den Kartenkunden entsprechen.3698 Also sind Karten von Hochrechnung und Schätzung auszunehmen, bei denen an der betreffenden Tankstelle konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von Kunden eingesetzt werden, welche ihrer Art nach nicht mit derselben Häufigkeit und in demselben Umfang Bargeschäfte tätigen.3699 Stammkundenprovisionen werden ggf. durch einen Zuschlag für Kunden erhöht, welche nicht nur eine Karte einsetzen, sondern zwischen verschiedenen Karten wechseln3700 oder zeitweise bar bezahlen.3701 Ohne die genannten Verdachtsmomente bleibt es beim Grundsatz, nach dem eine statistische Auswertung zulässig ist: Sie wird nicht auf bestimmte Kartenarten begrenzt, insb. nicht auf Maestro-(EC)Karten.3702 Möglicherweise muss der Tankstellen-HV die Geschäfte konkret an Hand der Zahlungsvorgänge mit Kreditkarten oder vergleichbaren Karten (Maestro-Karten) auswerten, sofern der Umsatzanteil der Kreditkartengeschäfte an der Tankstelle mehr als 50 % erreicht. Eine nur mit Statistiken begründete Stammkundenquote reicht nach Ansicht des KG nicht aus, wenn der Gesamtumsatz der Karten-

3690 BGH, Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 = VersR 2009, 355; OLG Hamm, Urt. v. 27.1.2011 – 18 U 63/06, BeckRS 2011, 05225.

3691 BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266. 3692 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 24; v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 = VersR 2009, 355; OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2008 – 18 U 164/07, BeckRS 2011, 05225.

3693 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 37; OLG Hamm, Urt. v. 27.1.2011 – 18 U 63/ 06, BeckRS 2011, 05225.

3694 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 25 ff. 3695 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 30. 3696 OLG Hamm, Urt. v. 27.1.2011 – 18 U 63/06, BeckRS 2011, 05225. Lösungsansatz des OLG Hamm: Bei Barzahlern, die Mengen in einer durchschnittlichen Größenordnung tankten, welche auch Kartenkunden erreichten, wird der Stammkundenumsatzanteil aller Kartenzahler (ohne Stationskarten) übertragen. Bei der anderen „Hälfte“ des Barzahlerumsatzes mit durchschnittlich weniger l pro Tankvorgang wird der Stammkundenumsatzanteil der Kartenzahler angesetzt, der den geringsten durchschnittlichen Umsatz pro Tankvorgang hatten. 3697 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 40. 3698 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 30. 3699 BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 20 ff. (RoutexKarten, die vorwiegend von LKW-Fahrern verwendet werden). Kredit- und Maestro-Karten sind aber einzubeziehen, vgl. BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 26. 3700 BGH, Urt. v. 19.1.2001 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879 Rn 25; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 36. 3701 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 36. 3702 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 32. Emde

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zahler 53,4 % beträgt.3703 Es kommt jedoch nicht hierauf an, sondern auf die (Un)möglichkeit der Kartenauswertung. Grundsätzlich sind alle Kartenumsätze ohne Beschränkung auf einzelne Kartenarten maßgeblich. Einzubeziehen sind auch Umsätze mit Karten, mit denen auf Grund einer eingeräumten Vergünstigung preiswerter gezahlt werden kann, sind. Die Auswertung geschieht häufig durch die DOCUM (Dokumenten-Management & Archivierungs-Systeme).3704 Das LG Bochum3705 forderte bei Existenz einer Diskette mit den Buchungsvorgängen eine konkrete Berechnung. Kosten für die Auswertung von in digitalisierter Form vorliegenden Daten, die dem Tankstellenpächter vom Mineralölunternehmen überlassen worden waren, durch eine EDV-Fachkraft als notwendige und damit erstattungsfähige Kosten anzusehen, wenn der Tankstellenpächter diese Auswertung über sämtliche Kartenzahlungen für eine schlüssige Darlegung des Stammkundenanteils und eine Bezifferung seines Ausgleichs benötigt und er die Auswertung mangels eigener fachlicher Kenntnisse nicht selbst vornehmen kann,3706 jedoch nicht, wenn der Kläger die ausgewerteten Kartenzahlungsdaten nicht zur konkreten Berechnung des Stammkundenanteils verwendet.3707 Nach der MAFO-Studie übersteigt der prozentuale Anteil von Stammkunden 73 % nicht. 572 Gemäß einer vom KG3708 verwendeten Studie zum Tankverhalten sind 78 % der Tankkunden als „Stammtanker“ anzusehen, weitere 19 % als „Mehrfachkunden“. Dabei liegen die StammMehrfachkundenanteile in den alten etwas höher als in den neuen Bundesländern (80 % und 19 % in Westdeutschland gegenüber 73 % und 23 % in Ostdeutschland). Welcher Stammkundenanteil der Ausgleichsberechnung zugrunde zu legen ist, war bis zur Entscheidung des BGH v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06 umstritten: Vertreten wurde, Stammkunden seien Kunden, die mindestens 3,3709 4,3710 6 (LG Hamburg), 83711 oder 12 Mal3712 im Jahr an derselben Tankstelle tankten oder einkauften. Der BGH3713 ließ bereits früher die Feststellung, wer mindestens 12 Mal im Jahr an einer Tankstelle tanke, sei Stammkunde, unbeanstandet. Nach der aktuellen BGHRechtsprechung steht fest, dass die Stammkundeneigenschaft vorliegt, sobald innerhalb eines Jahres 4 Tankvorgänge – also durchschnittlich wenigstens einmal pro Quartal – festzustellen sind,3714 wobei es nicht darauf ankommt, wie sich die Tankvorgänge auf die Quartale verteilen.3715 Diese Annahme gründet sich u. a. darauf, dass es Tankkunden gibt, die weniger als 5.000 km pro Jahr mit ihrem Pkw fahren. Dies gilt etwa für Mütter, die einen Zweitwagen fahren und den Pkw nahezu ausschließlich zum Einkaufen am Ort und zum Transport der Kinder am

3703 3704 3705 3706 3707 3708 3709 3710 3711 3712

KG, Urt. v. 15.5.2006 – 23 U 95/05. Siehe etwa OLG Hamm, Urt. v. 27.1.2011 – 18 U 63/06, BeckRS 2011, 05225. Urt. v. 8.2.2006 – 13 O 104/03. OLG Hamburg, Beschl. v. 10.11.2009 – 4 W 284/09; Beschl. v. 5.5.2009 – 4 W 75/08; 4 W 63/09. OLG Hamburg, Beschl. v. 10.11.2009 – 4 W 284/09. KG, Urt. v. 24.3.2003 – 23 U 10568/99. KG, Urt. v. 24.3.2003 – 23 U 10568/99. KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163 = DB 2007, 1355. LG Bochum, Urt. v. 8.2.2006 – 13 O 104/03. LG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2006 – 3/15 O 22/04; OLG Frankfurt/M., Hinweisbeschl. v. 10.10.2006 – 5 U 66/

06.

3713 BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499. 3714 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 19 f.; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/ 08, BeckRS 2009, 88043 Rn 20; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 16; v. 17.12.2008 – VIII ZR 150/07, DB 2009, 341 (LS) = WRP 2009, 326 = VersR 2009, 355; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 42 m. Anm. Emde; OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2008 – 18 U 164/07; LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07; v. 17.7.2008 – 413 O 5/08. 3715 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 21; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 20; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJWRR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 16. Stammkunde ist also nicht nur derjenige, der tatsächlich wenigstens einmal im Quartal an der Tankstelle tankt. 553

Emde

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Wohnort nutzen. Wenig-Fahrer sind zudem ältere Autofahrer, die erfahrungsgemäß nur eine geringe Fahrleistung pro Jahr erreichen. Tankt ein solcher Kunde ausschließlich an 2 Tankstellen am Ort, so tankt er an jeder der beiden Stationen ca. 3 Mal pro Jahr. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass moderne Dieselfahrzeuge mit größeren Tanks nicht mehr so häufig Tankstellen aufsuchen müssen. Wer mit einer Tankfüllung 1.000 km fahren kann, wird i. d. R. nicht öfter als 12 Mal im Jahr sein Auto betanken,3716 eher deutlich weniger häufig. Siegert3717 kritisiert, dies führe zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass derjenige, welcher sich in einem einmonatigen Regionaleinsatz befinde und 4 Mal an der gleichen Tankstelle tanke, als Stammkunde gelte. Solche Ergebnisse sind jedoch einer Schematisierung immanent. Auf der anderen Seite bleiben Kunden unberücksichtigt, die seit Jahren an derselben Stelle tanken, sich aber ein Jahr auswärts befinden. Auf Urlaubs- oder Krankheitszeiten der Stammkunden kommt es nicht an.3718 Es ist also maßgeblich, wie oft ein Kunde tatsächlich getankt hat und nicht, wie oft er getankt hätte, wenn er daran nicht etwa durch Urlaub oder Krankheit – gehindert gewesen wäre.3719 Teilweise wird wegen der Anknüpfung des Waschvorganges an den Heimatort der Stammkundenanteil im Waschanlagengeschäft für höher gehalten als im Tankgeschäft.3720 Den Stammkunden hinzuzusetzen sind alle Stationskreditkunden3721 (d. h. Kunden mit 573 Stationskreditkarten3722); abzuziehen der Durchschnittswert des Anteils der tankfremden Geschäfte.3723 Bei Tankkarten3724 ist Stammkunde das begünstigte Unternehmen, nicht der einzelne Karteninhaber.3725 Nach Ansicht von Steinhauer3726 soll der HV nach dem früheren BDSG gehindert sein, die Namen dieser Kunden ohne ihre Zustimmung dem Unternehmer mitzuteilen, was die Schätzung ihres in die Ausgleichsberechnung einzubeziehenden Anteils nahe legen würde. Tatsächlich ist der Unternehmer der Geschäfts- und Datenherr; die Daten dürfen und müssen an ihn weitergeleitet werden. Die Kunden gehen ohnehin davon aus, das Geschäft mit dem Mineralölunternehmen zu schließen, und vermuten ihre Daten dort (häufig werden sie sogar online übertragen) = konkludente Einwilligung. Für die Stammkundeneigenschaft ist es nicht erforderlich, dass der Kunde spätestens nach 30 Tagen wieder zu einer bestimmten Tankstelle zurückkehrt.3727 Kartenwechsler sind nicht zu berücksichtigen, weil keinerlei nachvollziehbare Schätzgrundlagen über ihren Anteil an den Kunden vorliegen.3728 Auch den Pächtern von Autobahntankstellen kann ein Ausgleichsanspruch zustehen.3729 Solche Tankstellen pflegen regelmäßig einen geringeren Stammkundenanteil zu haben3730 (Gegenbeweis etwa wegen Pendlern zulässig). Die Lage der Tankstelle an der Autobahn ist bereits bei der Anzahl der

3716 3717 3718 3719 3720

KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. BB 2009, 278. BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 43 m. Anm. Emde. BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 43 m. Anm. Emde. OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08; aA Steinhauer BB 2009, 2386 (2388), da ein Unterschied im Service nicht erkennbar sei. 3721 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163, DB 2007, 1355. 3722 Zu solchen Kundenbindungsprogrammen Steinhauer BB 2009, 2386 (2387). 3723 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163, DB 2007, 1355. 3724 Zur Bedeutung der Tankkarten s. Conreder/Stolte BB 2017, 2700. 3725 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 30; VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 26; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 32 ff.; OLG Hamm, Urt. v. 27.1.2011 – 18 U 63/06, BeckRS 2011, 05225. 3726 Steinhauer BB 2009, 2386 (2387 f.), der dazu rät, mit den Kunden das Recht zur Weitergabe der Daten zu vereinbaren. 3727 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 41 m. Anm. Emde. 3728 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163, DB 2007, 1355. 3729 BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266; OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2008 – 18 U 164/07. 3730 BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266; im Fall OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2008 – 18 U 164/07 etwa von 8,37 %. Emde

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Stammkunden berücksichtigt und darf nicht zu einem erneuten Billigkeitsabschlag führen,3731 was der BGH3732 unbeanstandet ließ. Nicht diskutiert wird, ob nicht auch hier mit dem OLG Saarbrücken3733 ein Anteil potentieller Mehrfachkunden von 2/3 der ggf. um verwaltende Anteile (30 %) gekürzten Erlöse aus Geschäften mit Einfachkunden des letzten Vertragsjahres hinzuzusetzen ist. Die so ermittelte Jahresprovision aus Geschäften mit Stamm- und Mehrfachkunden wird 574 mit der Anzahl der Jahre des Prognosezeitraums multipliziert und eine Abwanderungsquote abgezogen. Auch die Abwanderungsquote kann nach § 287 ZPO geschätzt werden.3734 Bei als Tankstellenhalter tätigen HV wird von einem Prognosezeitraum von 5 Jahren3735 und einer jährlichen Stammkundenabwanderungsquote von 20 % ausgegangen.3736 In der Praxis wird ferner bei der Berechnung des Abwanderungsverlustes eine vereinfachte Methode angewandt, bei der der im Laufe eines Prognosejahres eingetretene Abwanderungsverlust so behandelt wird, als sei er bereits vollständig bei Beginn der Prognosejahres eingetreten. Bei einer 20 %igen Abwanderungsquote ergibt sich hiernach für das erste Jahr ein Provisionsverlust von 80 % der letzten Jahresprovision, für das zweite Jahr ein Verlust von 60 % und in den beiden folgenden Jahren ein Verlust von 40 % bzw. 20 %, so dass sich der Gesamtverlust auf 200 % summiert. Bei einer Vertragslaufzeit von mehr als fünf Jahren und einem jährlichen Abwanderungsverlust von 20 % ist kein Anteil von Altstammkunden zu berücksichtigen. Billigkeitsabschläge sind möglich. Ihre genaue Höhe ist nach § 287 ZPO zu schätzen.3737 575 Ein günstiger Preis sowie die Lage der Tankstelle, etwa in einem Einkaufszentrum,3738 können billigkeitsreduzierend wirken.3739 Allerdings dürfen beide Elemente nicht in vollem Umfang kumulativ berücksichtigt werden.3740 Im Rahmen der Billigkeitsprüfung darf wohl berücksichtigt werden, dass der Unternehmer sich zu dem Ausspruch der Kündigung veranlasst sah, weil seine Pachtverträge nicht verlängert wurden, selbst wenn es sich dabei um einen außerhalb des Vertrages liegenden Umstand handelt.3741 Ein Abzug für die Sogwirkung der Marke ist nicht anzuerkennen,3742 da der Tankstellenmarkt durch große Konzerne dominiert wird.3743 Häufig schrecken als „teuer“ angesehene Markentankstellen preissensible Kunden ab und üben eine „negative“ Sogwirkung aus. Umfragen haben ergeben, dass die Kunden ihre Stammtankstelle 3731 3732 3733 3734

OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2008 – 18 U 164/07. BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 29. OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.2.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 21; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 17. 3735 BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499; KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163; v. 24.3.2003 – 23 U 10568/99; aA OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239) – 4 Jahre; LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07 – 4 Jahre. 3736 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 21; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 17; v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239); KG, Urt. v. 24.3.2003 – 23 U 10568/99; v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163; LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07; v. 17.7.2008 – 413 O 5/08 (Shell). 3737 OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339; Steinhauer BB 2009, 2386 (2389). 3738 OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339. 3739 OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339. 3740 OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339. 3741 OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, BB 2009, 298 m. Anm. Dallmann = MDR 2009, 339; aA OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2008 – 18 U 164/07. 3742 LG Itzehoe, Urt. v. 25.4.2006 – 5 O 155/04. 3743 Siehe OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.8.2010 – VI-2 U Kart 6/09: Oligopol von Shell, Aral/BP, ConocoPhillips/ Jet, ExxonMobil/Esso auf dem ostdeutschem Tankstellenmarkt; befürwortend auch BGH, Beschl. v. 6.12.2011 – KVR 95/10 (Total/OMV), WuW DE-R 3591, der die Frage aber der Beurteilung der Tatsacheninstanz überlässt; auch Sektoruntersuchung Kraftstoffe des BKartA Mai 2011, WuW 2011, 732: fünf Oligopolisten (unter Einbeziehung von Total zum Oligopol). 555

Emde

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vor allem nach dem Standort (Nähe von Wohnsitz oder Arbeitsplatz) und nach dem Service des Tankstellenhalters (Schnelligkeit, freundliche Ansprache und Bedienung), mithin nicht nach der Marke, auswählen. Beispielhaft sei auf die von der Total Deutschland GmbH in Auftrag gegebene Studie der Gesellschaft für Konsumforschung hingewiesen, nach der 43 % der Kunden ihre Tankstelle nach dem Standort – nach seiner Erreichbarkeit und Nähe von Wohnsitz oder Arbeitsplatz – auswählen. Hervorzuheben ist, dass der Tankstellenhalter zur Förderung der Marke vertraglich verpflichtet ist. Er wirkt daher am Aufbau und Erhalt einer etwaigen Sogwirkung der Marke mit. Nach aA ist eine Sogwirkung der Marke großer Mineralölunternehmen anspruchsmindernd zu berücksichtigen,3744 und zwar von 10 % bei einer deutschlandweit bekannten und eingeführten Kraftstoffmarke.3745 Eine Abwanderungsquote von 20 % soll dem Billigkeitsabzug von 10 % nicht entgegenstehen.3746 Der BGH3747 beanstandete einen Billigkeitsabschlag in Höhe von 50 %. Nach Ansicht des KG soll eine Abzinsung von pauschal 10 % über den gesamten Prognosezeitraum nicht zu beanstanden sein.3748 Nur ausnahmsweise können besonders hohe, den Verdienst schmälernde Betriebskosten, welche der HV nach Vertragsbeendigung erspart, zur Kürzung eines Ausgleichsanspruchs unter Billigkeitsgesichtspunkten führen.3749 Demnach errechnet sich der Ausgleichsanspruch eines Tankstellen-HV beispielsweise wie 576 folgt3750: Letzte Jahresprovision in EUR mit neu geworbenen oder erweiterten Kunden EUR 241.500,00 EUR 24.150,00 – 10 % für verwaltende Tätigkeit3751 Saldo EUR 217.350,00 – 10 % Laufkundenprovisionsanteil EUR 21.735,00 EUR 195.615,00 (Stammkundenquote 90 %)3752 insgesamt Gesamtprovisionsverlust 200 % (jährliche AbwandeEUR 391.230,00 rungsquote 20 % = 20 % + 40 % + 60 % + 80 % = 200 %3753 (der BGH3754 akzeptierte auch Provisionsverluste von 150 %) abgezinst mit 8 % auf 4 Jahre mit Abzinsungs3744 BGH, Urt. v. 7.5.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107. 3745 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 42 ff. (Aral); OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239) – wg. erheblichem Vertrauen in die Marke; v. 27.1.2011 – 18 U 63/06, BeckRS 2011, 05225; v. 29.5.2008 – 18 U 164/07; KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163; KG, Urt. v. 27.8.2009 – 23 U 52/09, BeckRS 2009, 29646 (10 %) – mit Diskussion der Auswirkungen der RL auf die Sogwirkungsprüfung; LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08 (Shell); v. 15.5.2008 – 413 O 120/07. 3746 BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 45. 3747 BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499. 3748 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. 3749 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 60 m. Anm. Wauschkuhn – Kommissionsagent; v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821, 825 = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095. 3750 Siehe etwa BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. 3751 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879; v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 16; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 49 m. Anm. Emde; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239); v. 27.1.2011 – 18 U 63/06, BeckRS 2011, 05225; Steinhauer BB 2009, 2386 (2388); aA (kein Abzug für verwaltende Tätigkeiten): LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08; LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07; LG Itzehoe, Urt. v. 25.4.2006 – 5 O 155/04. 3752 Im Fall BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde bestimmte das OLG Hamburg als Vorinstanz den Stammkundenanteil mit 53,82 %. Auf die Multiplikation mit einer Stammkundenquote muss verzichtet werden, wenn der Ausgleichsbemessungsbetrag (erste Zeile) nur die Provision mit Mehrfachkunden ist. 3753 BGH, Urt. v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 50 m. Anm. Emde; OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (239) – bei Prognosezeitraum v. 4 Jahren; v. 27.1.2011 – 18 U 63/06, BeckRS 2011, 05225; v. 29.5.2008 – 18 U 164/07. 3754 BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499. Emde

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faktor 0,7353755 EUR 287.554,05 zuzüglich. 19 % Mehrwertsteuer EUR 54.635,26 insgesamt EUR 342.189,31 Ein Abzug von 20 % von dem Stammkundenumsatz kommt nicht in Frage, wenn dieser 577 auf der Grundlage der konkret erfassten Umsätze der Stationskunden und nicht auf der Basis statistischer Erhebungen geschätzt wird.3756 Der berechnete Ausgleich wird durch die Höchstgrenze beschränkt. Die OLG Hamburg und Düsseldorf kritisierten die Schätzung nach § 287 ZPO: Durch die 578 statistischen Daten werde nichts über die Kundenstruktur der einzelnen Tankstelle ausgesagt. Diese Bedenken überzeugen nicht, da die Rspr. gem. § 287 Abs. 2 ZPO schon früh die Verwendung statistischen Materials als Schätzgrundlage zur Höhe des Ausgleichs gebilligt hat. Deshalb wird, wenn der Tankstellenpächter nicht schlüssiges, beweismäßig nachprüfbares Zahlenmaterial beizubringen vermag, notfalls eine demoskopische Beweiserhebung Klarheit zu schaffen haben.3757 Anderenfalls wäre der Ausgleich im anonymen Massengeschäft kaum durchsetzbar. Den Bedenken der OLG wird Rechnung getragen, indem die statistischen Materialien nur als Ausgangspunkt der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO herangezogen werden. Das Gericht hat dann in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob die konkreten Verhältnisse an der Tankstelle des jeweiligen Klägers es rechtfertigen, von dem auf alle Tankstellen bezogenen statistischen Material auszugehen, oder ob der Anteil an Stammkunden eher zu reduzieren oder zu erhöhen sei. Eine Reduzierung kann etwa bei Autobahntankstellen infrage stehen, zudem mag der allgemeine Eindruck des Kunden, etwa hinsichtlich der Sauberkeit der Tankstelle oder der Freundlichkeit der Mitarbeiter eine Rolle spielen. Ob für das Waschstraßengeschäft ein Ausgleich zu leisten ist, wird unterschiedlich beur- 579 teilt.3758 Hier kommt es darauf an, ob das Waschstraßengeschäft HV-Tätigkeit ist. Dann wäre ein Ausgleichsanspruch zu zahlen. Wird die Waschanlage im eigenem Namen und auf eigene Rechnung betrieben, fehlt ein HV-Geschäft. Auch bei Eigengeschäft kann ein Ausgleich zu leisten sein, sofern das Waschgeschäft eine zum eigentlichen Tankstellengeschäft unselbständige Betätigung darstellt, so dass trotz der Ausgestaltung als Eigengeschäft eine Differenzierung im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch nicht hinnehmbar oder als unzulässiger Ausschluss gem. § 89b Abs. 4 S. 1 erscheint.3759 Selbst wenn das Marketingkonzept des Unternehmers den Betrieb einer Waschanlage vorsieht, stellt die Waschanlage ein zusätzliches Serviceangebot dar, welches für den Pächter mit spezifischen Chancen und Risiken verbunden ist, die beim eigentlichen Tankgeschäft nicht auftreten. Dies schließt es aus, den Pächter in Bezug auf das Waschgeschäft als HV anzusehen.3760 Als Eigengeschäft unterhalten handelt es sich bei dem Betrieb der Autowaschanlage um ein anonymes Massengeschäft, bei welchem der Pächter den Kundenstamm nicht kennt.3761 Damit dieses ausgleichsfähig ist, setzt es die Erfüllung der allg. Analogiekriterien voraus, nämlich die Eingliederung in die Absatzorganisation des Herstellers dergestalt, dass der Händler wirtschaftlich und in erheblichem Umfang einem HV vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hat und die Verpflichtung, dem Unternehmer spätestens bei Vertragsende den Kundenstamm zu übertragen, so dass er sich dessen Vorteile sofort und ohne weiteres nutzbar machen

3755 Oder Gillardon, vgl. BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 51 m. Anm. Emde. 3756 BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 45 m. Anm. Emde. 3757 OLG Stuttgart DB 1980, 1539 (1540) für den selbständigen, innerhalb eines Warenhauskomplexes betriebenen und dem Betreiber mietweise überlassenen Verkaufsstand.

3758 Dafür: OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de BBL2009-298-1, insoweit in BB 2009, 298 = MDR 2009, 339 nicht abgedruckt. Dagegen OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27; v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (240/241). 3759 OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. 3760 OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. 3761 OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. 557

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kann.3762 Sofern der Pächter zu einer Übertragung des Kundenstamms nicht verpflichtet war, eine solche nicht vornehmen konnte und nicht vorgenommen hat, scheitert der Ausgleichsanspruch.3763 Insb. soll für das Waschgeschäft kein Ausgleich zu zahlen sein, sofern der Stammkundenumsatzanteil nicht hinreichend dargelegt wurde.3764 So soll der Ausgleich im Eigengeschäft nicht anhand der Kunden berechnet werden können, die Inhaber von Waschkarten sind.3765 Der Kundenstamm bleibe gleichwohl anonym. Aus der Ausgabe solcher Karten folge keine Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes.3766 Da die Umsätze mit Stationskreditkunden deutlich unter 2 % der Gesamtumsätze lagen, konnte der Ausgleich auch nicht anhand jener Kartenkunden errechnet werden.3767 Der Kundenstamm bleibe angesichts dieser Statistik im Wesentlichen anonym.3768 Ferner soll es unter folgenden Voraussetzungen an der HV-ähnlichen Eingliederung fehlen3769: mangelnde Preisvorgaben,3770 Spielraum bei der Preisgestaltung,3771 der Pächter ist in der Nutzung der Waschmittel frei,3772 kein Wettbewerbsverbot3773 (aber welcher Tankstellen-HV betreibt 2 Waschanlagen für unterschiedliche Prinzipale?). Dabei komme es nicht darauf an, ob das Waschgeschäft sich den Voraussetzungen des Franchising nähere. Auch dem FN stehe ein Ausgleichsanspruch nur zu, wenn er einem HV vergleichbar in das Absatzsystem des Unternehmers eingegliedert sei.3774 Die Ausgleichspflicht des Shop-Geschäfts bestimmt sich nach den Besonderheiten des Ein580 zelfalls. Wird es mittels eines HV-Vertrages betrieben, ist die Ausgleichspflicht dem Grunde nach gegeben.3775 Wird es im Eigenhändlervertrieb,3776 etwa als Franchisegeschäft,3777 geführt, entzündet sich der Streit daran, ob die Analogievoraussetzungen gegeben sein müssen, nämlich die HV-gleiche Einbindung in das Vertriebssystem des Unternehmers und die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes. Aus der Einheitlichkeit des Shop-Vertrages mit dem Mineralöl-HV-Vertrag soll keine „automatische“ Erstreckung des Ausgleichs auf das ShopGeschäft folgen.3778 Im Eigenhändlerbereich müssen deshalb nach h. M. die Analogievoraussetzungen gegeben sein, um einen Ausgleich zu rechtfertigen.3779 Für die Erfüllung des ersten Analogiekriteriums, die HV-gleiche Einbindung, spricht es, wenn der Pächter an das vom Mineralölunternehmen vorgegebene Warensortiment tatsächlich gebunden ist.3780 Eine HV-gleiche Einbindung in das Vertriebssystem des Unternehmens soll hingegen fehlen, falls der Pächter seine

3762 3763 3764 3765 3766 3767 3768 3769 3770 3771 3772 3773 3774 3775

OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (240/141). OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 27. OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 29. OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 29. Aber Preisvorgaben sind ohnehin kartellrechtlich unzulässig. OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 29. OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (240/241). OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (240/241). BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343; ebenso zum österreichischen Recht, s. OGH v. 30.8.2006 – 7 Ob 122/06a, zit. nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 202. 3776 OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 30; vgl. auch Steinhauer BB 2009, 2386: „Eigenhändler“. 3777 OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 30. 3778 OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 30; LG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2005 – 35 O 21/05, BeckRS 2007, 15608. 3779 OLG Hamm, Urt. v. 21.1.2016 – 18 U 35/13, IHR 2016, 254 = ZVertriebsR 2016, 229 Rn 30; Thume BB 2007, 1752. 3780 Thume BB 2007, 1752; unentschieden Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. 1/2005, S. 21; zum österreichischen Recht, s. OGH v. 30.8.2006 – 7 Ob 122/06a, zit. nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 202. Emde

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Bezugsquellen selbst bestimmen kann und keiner Bezugsbindung unterliegt.3781 Es könne auch dahinstehen, ob dem Pächter für den Fall des Fremdbezugs von Waren für den Shop-Bereich die Kündigung angedroht worden sei. Denn dies ersetze keine Eingliederung in die Absatzorganisation des Vertragspartners.3782 Fehle es an den Analogiekriterien, sei § 89b sei weder direkt oder analog anwendbar.3783 Ob es im anonymen Massengeschäft einer vertraglichen Verpflichtung zur Übernahme der Kundendaten bedarf, ist fraglich.3784 Falls die Ausgleichspflicht besteht, ist auch für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Shopgeschäft die in diesem Bereich zuletzt erzielte Jahresprovision maßgebend.3785 Höhere Vorteile dürfen vorgetragen werden.3786 Der Stammkundenanteil des Shop-Geschäfts darf durch statistische Untersuchungen3787 oder durch eine Kartenauswertung3788 festgestellt werden. Er muss nicht identisch sein mit dem Anteil der Tankstammkunden,3789 ist es aber angesichts der engen faktischen Verknüpfung zwischen Tankund Shopgeschäft und der unterschiedlichen von Einkaufsmärkten und Tankstellenshops bedienten Kundenbedürfnisse meist. Gerade aufgrund des „Mitnahmeeffekts“ des Shop-Geschäfts liegt er meist mindestens in Höhe des Stammkundenanteils im Tankgeschäft,3790 regelm. sogar darüber, da viele Kunden aus der Nachbarschaft der Tankstelle dort einkaufen, ohne zu tanken. Die für eine Stammkundeneigenschaft erforderliche Nachhaltigkeit ist bei 4 Käufen innerhalb eines Jahres gegeben;3791 jedenfalls aber bei Käufen im Ein-Monats-Intervall;3792 verwaltende Provisionsbestandteile können mit 10 % geschätzt werden3793 und sollen auch hier nicht in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen werden3794 (zwh.). Bei einem Tankstellen-Shop scheidet ein Abzug unter dem Gesichtspunkt der Sogwirkung der Marke aus. Denn im Shop werden kaum Eigenmarken des Mineralölunternehmers verkauft. Diejenigen, die das Shop-Geschäft für ausgleichspflichtig halten, errechnen den Ausgleich 581 beispielsweise wie folgt3795: Letzte Netto-Jahresprovision aus Geschäften mit neugeworbenen oder erweiterten Stamm- und Mehrfachkunden EUR 70.867,87 (ggf. Abzug von 10 % Verwaltungsanteil3796)

3781 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (242); LG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2005 – 35 O 21/05, BeckRS 2007, 15608.

3782 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (242). 3783 BGH, Urt. v. 22.10.2003 – VIII ZR 6/03, BB 2004, 461; OLG München, Urt. v. 20.12.2002 – 23 U 3887/02, NJWRR 2003, 537; LG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2005 – 35 O 21/05, BeckRS 2007, 15608.

3784 Zum österreichischen Recht, s. OGH v. 30.8.2006 – 7 Ob 122/06a, zit. nach Petsche/Lager/Kutsche ZVertriebsR 2013, 202. Dort wird betont, die Anonymität des Kundenstammes stehe der Ausgleichsberechtigung des Shop-Inhabers nicht entgegen. 3785 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 14; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/ 09, BeckRS 2011, 03879. 3786 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 15; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/09, BeckRS 2011, 03879. 3787 LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08. 3788 LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07. 3789 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 23; v. 6.8.1997 – VIII ZR 91/96, Rn 47; VIII ZR 150/96, C I; VIII ZR 92/96, B II. 3790 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78 Rn 28; v. 19.1.2011 – VIII ZR 168/ 09, BeckRS 2011, 03879; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 25. 3791 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78; VIII ZR 169/09, BeckRS 2011, 03879; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 21 ff.; aA Steinhauer BB 2011, 515 (518). 3792 LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07; LG Hamburg, Urt. v. 17.7.2008 – 413 O 5/08. 3793 BGH, Urt. v. 19.1.2011 – VIII ZR 149/09, BeckRS 2011, 03878 = IHR 2012, 78; VIII ZR 169/09; BeckRS 2011, 03879; v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 14. 3794 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 14. 3795 LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07. 3796 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 14. 559

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davon 46,34 % Stammkunden-Umsatzanteil3797 EUR 32.840,17 EUR 65.680,34 x 200 % Verlustprognose (80 % + 60 % + 40 % + 20 %)3798 EUR 59.112,30 abzüglich 10 % Billigkeitsabschlag3799 abgezinst (5 % p.a. über 5 Jahre) EUR 53.475,70 + 19 % Mehrwertsteuer EUR 63.636,08 582 Die Ausgleichsansprüche des Tankstellen-HV für Tankstelle, Shop, Waschstraße und Getränkemarkt können separat ermittelt werden und müssen nicht als ein einheitlicher Anspruch geltend gemacht werden.3800 Wirtschaftliche Verluste bei der Führung des Geschäftsbetriebs schließen den Ausgleichsanspruch nicht aus. Der Bezirksleiter eines Mineralölunternehmens ist Empfangsvertreter für die Entgegennahme der Ausgleichsforderung gemäß § 89b Abs. 4 S. 2.3801

VI. Franchisenehmer 583 FN sind ausgleichsberechtigt, falls die oben genannten Analogievoraussetzungen gegeben sind.3802 Die Zahlung der Franchisegebühren steht nicht entgegen.3803 Beim Partnerschaftsfranchising wird die Ausgleichspflicht bestritten,3804 ebenso beim Produktions-3805 oder Dienstleistungsfranchisenehmer.3806 Begründung bei den letztgenannten: es würden keine Produkte des Unternehmers vertrieben. Aber auch der Dienstleistungs-HV erhält einen Aus-

3797 Das LG Hamburg, Urt. v. 15.5.2008 – 413 O 120/07 hat etwa im Shop-Geschäft eine Stammkundenquote von rund 45 % festgestellt.

3798 Für einen 4-jährigen Prognosezeitraum auch BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 27 f. (allerdings bei jährlicher Abwanderungsquote von 20 %).

3799 Von BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 31 nicht beanstandet. 3800 BGH, Urt. v. 12.2.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821, 822 = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095.

3801 BGH, Urt. v. 28.11.2001 – VIII ZR 38/01, MDR 2002, 345 = NJW 2002, 1041. 3802 Siehe BGH NJW-RR 1997, 170 (175); OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864); OLG Dresden, Urt. v. 27.9.2001 – 19 U 881/01, OLGR 2003, 298; OLG München, Urt. v. 26.6.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521 (2523); OLG Naumburg, Urt. v. 28.4.2006 – 10 U 45/05; LG Mainz, Urt. v. 20.6.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487; LG Hanau, Urt. v. 28.5.2002 – 6 O 106/01, n. v.; LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.11.1999 – 3-8 O 28/99 (best. durch OLG Frankfurt/M., Vergl. v. 16.9.2003 – 11 U 13/00), EWiR 2004, 69 (Albicker); LG Berlin, Urt. v. 6.9.2004 – 101 O 23/ 04; LG Kiel, Urt. v. 9.12.2003 – 16 O 56/02; Bodewig BB 1997, 637; Flohr Franchisevertrag3 S. 243 (244); Ekkenga Die Inhaltskontrolle von Franchise-Verträgen, S. 179 f.; Emde in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 550; Jacobsen/Prasse NWB 2002, 2877 (2887) Loseblattsammlung Fach 19, 1119; Canaris § 18 Rn 29; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 418; Graf v. Westphalen Vertrags- und AGB-Klauselwerke, Franchising, Rn 41; Hopt § 84 Rn 10, § 89b Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 24; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 33; Küstner/Thume/Thume II, Rn 150; Martinek Franchising, S. 353, 366 ff.; Niebling Vertragshändlerrecht 2. Aufl. Rn 240 ff.; Metzlaff Praxishandbuch Franchising, § 8 Rn 411 ff.; Martinek/ Floor in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 21 Rn 155; Kroll in: Giesler/Nauschütt, Franchiserecht2 S. 578 ff.; Giesler/Kroll 1. Aufl., § 4 Rn 468 ff., insb. 497; Köhler NJW 1990, 1689 (1691 f.); Rauser in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, § 16 Rn 200; Giesler Die Rückabwicklung gescheiterter Rückabwicklungsansprüche, in: FS für Dahs, S. 412–414; Liesegang Der Franchisevertrag6 S. 46 Fn. 56 mit der Betonung der Prüfung in jedem Einzelfall; Emde NJW 2003, 2593; Eckert WM 1991, 1237 ff.; Haager NJW 2002, 1463 (1471); Köhler NJW 1990, 1689 ff.; Matthießen ZIP 1988, 1089/ 1095 f.; Prasse MDR 2008, 122 ff.; Giesler ZIP 2000, 2098 ff.; Giesler WM 2001, 1441 ff.; Giesler NZS 1999, 483 f; Flohr DStR 1998, 572 ff.; Flohr BB 2006, 389 (400); Martinek ZIP 1988, 1362 (1378); Prasse MDR 2008, 122 ff.; aA Höpfner in: Giesler/Nauschütt, Franchiserecht1 § 7 Rn 47 ff.; Giesler/Nauschütt2 S. 854; offengelassen in BGH, Urt. v. 23.7.1997 – VIII ZR 130/96, NJW 1997, 3304 (3308 f.) – Benetton. 3803 Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 250. 3804 Canaris § 18 Rn 32. 3805 Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (55). 3806 Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (55). Emde

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gleichsanspruch, und der Kundenstamm des Geschäftsmodells fällt auch hier dem Unternehmer zu. Der Mangel an Judikatur zum Franchiserecht beruht auf der Zurückhaltung der Franchise- 584 systeme, es zu solchen Urteilen kommen zu lassen. Die Vergleichsbereitschaft steigt mit der Zahl der durchschrittenen Instanzen. Ein Ausgleichsanspruch ist sowohl beim Warenfranchising wie beim Dienstleistungsfranchising anzuerkennen.3807 Die HV-gleiche Einbindung soll sich bereits aus der Systemeingliederungs- und -förderungspflicht ergeben,3808 aber wohl nur, wenn zugleich eine Absatzförderungspflicht besteht. Teilweise wird gegen den Ausgleichsanspruch eingewandt, die maßgebliche Ursache für die Bildung des Kundenstammes setze der FG durch seine Entwicklungsleistung.3809 Der Einfluss des FN trete dahinter zurück. Auch wird eingewandt, § 89b stelle eine auf das HV-Recht bezogene Vergütungsregelung dar; sie beruhe auf dem Umstand, dass der HV mit von ihm geworbenen Kunden keinen Vertrag eingehe und damit gegen sie keinen Vergütungsanspruch erwerbe.3810 Dies ist nicht überzeugend, weil der durch den Ausgleich vergütete Aufbau des Kundenstammes infolge der Vertriebspflicht sich beim Franchise-, Vertragshändler- und HV-Vertrag gleicht. Viele FG sichern sich langfristig gute Standorte, indem sie jene dauerhaft anmieten und an den FN untervermieten. Die Laufzeit der Untermietverhältnisse entspricht mindestens der des Franchisevertrages, da dann dem FG bei Vertragsende mit dem Geschäftslokal der vom ausgeschiedenen FN geworbene Kundenstamm automatisch zufällt.3811 Ein FN, der einen Standort neu aufgebaut hat, wird regelmäßig dem FG erhebliche Vorteile nach der Vertragsbeendigung hinterlassen, falls der FG den Standort weiterführt oder an einen anderen FN übergibt.3812 Auch ansonsten wird er regelmäßig von der jahrelangen Kundenbindung profitieren.3813 Die Argumentation, der Kundenstamm „klebe“ stets an der Marke, weshalb dem FN wegen der „Sogwirkung der Marke“ kein oder nur ein geringer3814 Ausgleichsanspruch zustehe, verfängt nicht,3815 und zwar bereits, weil die Mitursächlichkeit des FN für die Kundenwerbung bestehen bleibt und der FN für diese Systemteilhabe Franchisegebühren leistet.3816 Außerdem tritt der Markenname nicht stärker als im Tankstellen- oder Kfz-Vertragshändlerrecht hervor. Sofern die Kunden namentlich beim FN erfasst sind, hat der FG Zugriff auf die Kundendaten. Aber auch im anonymen Massengeschäft, das häufig im Einzelhandel besteht, ist ebenso wenig wie im anonymen Tankstellengeschäft ein Grund erkennbar, der es dem FN verwehren würde, einen Ausgleichsanspruch zu erhalten.3817 Einer vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes bedarf es hier nicht. Ausgangspunkt der Berechnung des Ausgleichsanspruches sind wie beim Ausgleichsan- 585 spruch des Vertragshändlers die Roherträge (meist: VK minus EK (beim Produktions- und Dienstleistungsfranchising: minus Herstellungskosten3818) + Boni) aus Geschäften mit neu geworbenen Stammkunden, denen erweiterte Altstammkunden (Erweiterung inflationsbereinigt um ca. 100 %) gleichstehen. Hinzu treten auch hier die Geschäfte mit einem Teil der Einfachkunden, von denen die Zuwanderung zu Mehrfachkunden angenommen werden kann. Die Franchisegebühren haben wenig vertriebsrechtlichen Bezug; sie reduzieren die Ausgleichsbe3807 Prasse NJW 2008, 122 (126). AA für das Dienstleistungsfranchising Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 420. Canaris § 18 Rn 23. Höpfner in: Giesler/Nauschütt, § 7 Rn 47. Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 473. Prasse NJW 2008, 122 (123). Prasse NJW 2008, 122 (126). Kroll in: Giesler/Nauschütt, Franchiserecht2 Kap. 7 Rn 78; Prasse NJW 2008, 122 (126). Canaris § 18 Rn 30. Prasse NJW 2008, 122 (126). Bodewig BB 1997, 643 f. LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.11.1999 – 3/8 O 28/99; LG Berlin, Urt. v. 6.9.2004 – 101 O 23/04; Prasse NJW 2008, 122 (126); aA OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10. 3818 Eckert WM 1991, 1237 (1246); Niebling Vertragshändlerrecht2 Rn 254.

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messungsgrundlage nicht.3819 Von der Berücksichtigung dieses Einfachkundenanteils darf nur abgesehen werden, sofern auf den Abzug einer Abwanderungsquote verzichtet wird. Sofern das letzte Vertragsjahr nicht untypisch verlief sind die Geschäfte dieses Basisjahres Grundlage der Ausgleichsberechnung. Nach h. M. ist nur der Vergütungskern, der auch einem HV gewährt worden wäre, ausgleichsfähig. Von den Rabatten des Basisjahres abzuziehen sind HV-untypische Vergütungsbestandteile3820 und wie beim HV verwaltende Vergütungsbestandteile.3821 Beim Produktionsfranchising soll die Fertigung der werbenden Tätigkeit zuzurechnen sein.3822 Der so errechnete Wert ist, nicht anders als beim HV, unter gleichzeitigem Abzug der Abwanderungsquote, mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums zu prognostizieren. Die Zahl der Jahre entspricht vermutungsweise dem bei HV üblichen Vierjahreszeitraum. Kroll nennt einen Prognosezeitraum von 2–4 Jahren,3823 regelm. dürfte auch hier eher ein 4–5-jähriger Zeitraum angemessen sein. Die Abwanderungsquote liegt zwischen 10 und 30 %,3824 so dass man wie beim HV von einer vermuteten Abwanderungsquote von 25 % ausgehen darf. Die Sogwirkung der Marke ist unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit abzugsfähig,3825 sofern das System bekannt ist.3826 Etwas anderes gilt dann, wenn der Vertriebspartner durch eine Eintrittsgebühr die Nutzung des Markennamens bezahlt hat.3827 Die Abzinsung dürfte auch im Franchisebereich regelmäßig bei 10 % liegen.3828 Die Höchstgrenze des Ausgleichs bestimmt sich nach den im Durchschnitt der letzten 5 Jahre erzielten Rohgewinnen (meist VK – EK), wobei auch hier umstritten ist, ob bei der Höchstgrenzenberechnung ein Abzug für HV-untypische und verwaltende Vergütungsbestandteile vorzunehmen ist.3829 Den Ausgleich eines FN bestimmte das LG Hanau3830 wie folgt: Basis der Ausgleichsberechnung seien die einem HV in vergleichbarer Situation gezahlten Provisionen. Das Gericht wisse, dass HV in ähnlichen Situationen etwa 10 % des Umsatzes als Provision gezahlt werde. Diesen %-Satz schätze das Gericht gem. § 287 ZPO, ohne ein Gutachten einzuholen. Unter Berücksichtigung einer üblicherweise anzusetzenden Abwanderungsquote von 20 %, eines Prognosezeitraumes von 4 Jahren und einer Abzinsung von 8 % ergäbe sich der vom Gericht zugebilligte Ausgleichsanspruch.

VII. Kommissionsagent 586 Maßgeblich für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Kommissionsagenten ist erneut die zuletzt erzielte Jahresvergütung.3831 Dem liegt die Schätzung zugrunde, dass die dem Unternehmer nach Beendigung des Vertrags verbleibenden Vorteile aus der Geschäftsverbindung 3819 AA wohl Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. Rn 250. 3820 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 424. 3821 Canaris § 18 Rn 31; Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 501; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 424; Niebling Vertragshändlerrecht2 Rn 253; Köhler NJW 1990, 1689 (1694); aA Ekkenga AG 1972, 352 ff. (kein Abzug HV-untypischer Vergütungsbestandteile). 3822 Canaris § 18 Rn 31, siehe aber Metzlaff ZVertriebsR 2012, 54 (55); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 420, die zu Unrecht ein Ausgleichsrecht des Produktions-FN verneinen. 3823 Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 503. 3824 Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 504. 3825 Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 505; aA Bodewig BB 1997, 637 (643); Köhler NJW 1990, 1689 (1694), da der FN mit Werbekostenzuschüssen sowie seiner Tätigkeit selbst zur Sogwirkung beiträgt. 3826 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 425. 3827 Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 505. 3828 Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 506. 3829 Für einen Abzug verwaltender Vergütungsbestandteile, Giesler/Kroll 1. Aufl. 2005, § 4 Rn 508. 3830 Urt. v. 28.5.2002 – 6 O 106/01, n. v. 3831 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 50 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 60; OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126) – Sonderpostenmarkt. Emde

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mit neuen Kunden, die der Kommissionsagent geworben hat, der Höhe nach identisch sind mit den Provisionsverlusten, die der Mittler infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses erleidet.3832 Dabei sind nur solche Provisionsanteile zu berücksichtigen, die der HV für seine werbende Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit erhält, nicht dagegen Provisionen für vermittlungsfremde, verwaltende Tätigkeiten.3833 Ein pauschaler Abzug von 10 % für verwaltende Tätigkeiten soll nicht zu beanstanden sein.3834 Ein weiterer Abzug für HV-untypische Vergütungsbestandteile dürfte nur ausnahmsweise anzuerkennen sein. Denn das wirtschaftliche Risiko des Geschäftes trägt wie beim HV der Unternehmer, so dass die Risiken eines Eigenhändlers nicht gegeben sind. In die Berechnung des Ausgleichsanspruchs ist nicht nur der Vergütungsanteil einzubeziehen, der dem HV nach Abzug seiner gesamten Betriebs- und Personalkosten als Gewinn verbleibt3835 sondern die Bruttovergütung.3836 Der Stammkundenumsatz kann auf 60 % geschätzt werden, wenn sich dies aus einem „Coaching“-Brief des Unternehmers ergibt.3837 Folglich kann eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zugelassen und die Verwendung statistischen Materials gebilligt werden.3838 Der Umstand, dass der in der Statitik genannte Prozentsatz nicht notwendigerweise dem Anteil der Stammkunden am Umsatz entspricht und dass dies nicht ohne Weiteres auf den von dem jeweiligen Kommissionsagenten betriebenen Sonderpostenmarkt übertragen werden kann, kann bei der Schätzung durch einen Sicherheitsabschlag von 20 % berücksichtigt werden. Ein Prognosezeitraum von vier Jahren und eine Abwanderungsquote von 20 % mag nach den Verhältnissen des Einzelfalls angemessen sein.3839 Für die Annahme einer Geschäftsverbindung mit Vorteilen des Unternehmers ist nämlich die Zeitspanne maßgebend, innerhalb derer normalerweise noch mit Folgeaufträgen gerechnet werden darf. Es steht einem vierjährigen Prognosezeitraum nicht entgegen, dass Nachbestellungen infolge der Lebensdauer eines Erzeugnisses erst nach einer längeren, auch mehrjährigen Zeitspanne, in Betracht kommen.3840 Bei Betrieb eines Sonderpostenmarktes u. a. mit Lebensmitteln, Getränken, Süßwaren, Waschmitteln, Seifen, Kosmetika sowie Gebrauchsgütern überwiegend für Haus und Garten sowie Gartenmöbeln, Werkzeugen, Pflanzen, Textilwaren und Haushaltsgeräten, handelt es sich um Waren unterschiedlicher Lebensdauer, so dass ein Prognosezeitraum von vier Jahren angemessen ist. In der schnelllebigen Modebranche könnte eine Abwanderungsquote von 33 % jährlich und damit ein Prognosezeitraum von 3 Jahren in etwa zutreffen (§ 287 ZPO).3841

3832 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 50 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 60.

3833 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 51 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 60; OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126) – Sonderpostenmarkt. 3834 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 51 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 60. 3835 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 60 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 60. 3836 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 60 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 62. 3837 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 53 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 62. 3838 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 55 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 62. 3839 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 63 ff. m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 62. 3840 BGH, Urt. v. 21.7.2016 – I ZR 229/15, ZVertriebsR 2017, 99 m. Anm. Niklas = NJW 2017, 475 Rn 65 m. Anm. Wauschkuhn sowie Franke/Rohrßen IHR 2017, 62. 3841 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (127). 563

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F. Konkurrenz unterschiedlicher Rechenansätze 587 Unterschiedliche Rechenansätze bei der Ausgleichsberechnung führen ggf. zu unterschiedlichen Ergebnissen. So hat der BGH im Vertragshändlerrecht in seiner Renault-Entscheidung verschiedene Rechenwege für zulässig gehalten;3842 im Tankstellen-HV-Recht das Nebeneinander einer statistischen Schätzung und einer Hochrechnung des Unternehmers aus den Geschäften mit einem Ausschnitt der Kunden.3843 Für diese Fälle gibt es keine Spezialität eines Rechenweges. Vielmehr besteht Anspruchskonkurrenz. Es gilt wie in allen Fällen einer Anspruchskonkurrenz: Der Anspruchsteller kann sich auf die für ihn günstigste Anspruchsgrundlage stützen (Wahlkonkurrenz). Im Zweifel muss das Gericht diejenige Rechenweise wählen, die zum plausibelsten, angemessensten und billigsten Rechenergebnis führt.3844

G. Fälligkeit 588 Der Ausgleichsanspruch wird mit dem rechtlichen Vertragsende fällig,3845 was europarechtlich nicht zu beanstanden ist.3846 Bezifferbarkeit ist keine Voraussetzung der Fälligkeit; sie könnte höchstens für die Frage des Verzuges3847 und der Kenntnis der Anspruchsvoraussetzungen nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine Rolle spielen. Ein Teil der Rspr. und Lehre entnimmt der Formulierung des § 89b Abs. 1 S. 1 („nach Beendigung des Vertragsverhältnisse“), dass der Anspruch frühestens eine juristische Sekunde im Anschluss an das rechtliche Ende des HV-Vertrags entstehen kann, also meist am folgenden Tag.3848 Die Gegenansicht meint, der Ausgleich entstehe mit der Vertragsbeendigung, also am letzten Tag des Vertrages.3849 Richtigerweise gilt angesichts des Wortlauts des § 89b Abs. 1 S. 1: Endet der Vertrag zum 31.12. eines Jahres, tritt Fälligkeit am nächsten Tag, dem 01.01. des Folgejahres, ein (§ 187 Abs. 1 BGB). Das Verlangen nach dem Ausgleich bzw. seine Geltendmachung ist keine Fälligkeitsvoraussetzung.3850 Vielmehr ist das Nichtverlangen innerhalb des ersten Jahres nach Vertragsende Ausschlussgrund: Der Ausgleich entfällt, wenn die Forderung nicht binnen eines Jahres nach Vertragsende gestellt wird. § 89b Abs. 1 stellt ausdrücklich auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses als Zeitpunkt, nach dem der Ausgleich „verlangt“ werden kann, ab. Dies und der Umstand, dass der Unternehmer den Ausgleich eigenständig berechnen kann, spricht dafür, bereits die Beendigung des Vertragsverhältnisses, und nicht erst das Verlangen, als fälligkeitsbegründenden Umstand einzuordnen. Als bloße Erwerbschance ist der Ausgleich vor Fälligkeit nicht in ein Vermögensverzeichnis3851 aufzunehmen und fällt nicht in den Zugewinnausgleich.3852

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Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/05, NJW 1997, 1503. BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. Vgl. BGH, Urt. v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, MDR 1997, 1136 = NJW 1998, 71; v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, NJW 1997, 316 (318) = WM 1997, 232; v. 29.3.1990 – I ZR 2/89, NJW 1990, 2889 unter I 1 b m. w. N. 3846 Emde DStR 2009, 1478 (1485). 3847 Dazu BGHZ 80, 269 (276). 3848 BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, BB 1997, 59 = BGHZ 133, 391 = ZIP 1996, 215 (216); OLG Hamm, Urt. v. 5.5.1980 – 18 U 134/79, HVR Nr. 540; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; v. 25.2.2000 – 16 U 38/99, OLGR 2000, 406; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 297; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 22; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 24b. Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 114; Westphal I Rn 1187. 3849 Wohl MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 225; vielleicht auch BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/ 96, NJW 1998, 71; v. 8.11.1990 – I ZR 269/88, BB 1991, 368 – aber keine Entscheidungen zur Verjährung. 3850 OLG Köln, Urt. v. 29.4.1968 – 13 U 74/67, VersR 1968, 966; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 297; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 22. 3851 OLG Hamm BB 1979, 1579; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 23. 3852 BGH, Beschl. v. 4.12.2013 – XII ZB 534/12, NZFam 2014, 213 m. abl. Anm. Obermann – VV (mit eingehender Begründung) – das gilt nach dem BGH auch, wenn der Ausgleichsanspruch nach den „Grundsätzen“ der VersicheEmde

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Im Bereich des Tankstellenvertriebs führt die Vertragsbeendigung weder nach der ersten 589 noch nach der zweiten Meinungsgruppe zur Fälligkeit des Ausgleichs, weil der Unternehmer die Tankstellenkunden nicht kennt und den Anspruch daher nicht berechnen kann. Der HV soll vielmehr seine Forderung erst geltend machen müssen, um Fälligkeit herbeizuführen.3853 Ehe der Unternehmer den zu leistenden Betrag errechnen kann, wird man von ihm kaum Zahlungen erwarten dürfen und mithin die Fälligkeit ablehnen müssen. Jedoch brauchen dem Unternehmer nur die Ausgleichsbemessungsgrundlagen mitgeteilt zu werden, da er die Höhe des Ausgleichs im Anschluss ermitteln kann. Eine Bezifferung oder Berechnung durch den HV ist nicht Fälligkeitsvoraussetzung. Nach Ablauf einer angemessenen Prüfungs- und Berechnungsfrist von 2–4 Wochen tritt Fälligkeit ein. Gleiches gilt in anderen Bereichen, in welchen der Unternehmer, weil der Vertriebsmittler die Geschäfte ausführt, Ausgleichsdaten nicht kennt, etwa im Vertragshändler-3854 und Franchiserecht. Nach h. A. ist auch bei jenen Vertragstypen Voraussetzung der Fälligkeit, dass der Mittler den Unternehmer durch eine substantiierte Ausgleichsberechnung in Kenntnis der Anspruchsvoraussetzungen setzt.

H. Erfüllungsort des Ausgleichsanspruchs Nach h. M. besteht der Erfüllungsort für die Zahlung des Ausgleichsanspruch am Sitz des Unter- 590 nehmers.3855 Zu der hier vertretenen Auffassung siehe Kommentierung zu Vor § 84. Da der HV den Schwerpunkt seiner Dienstleistung am Sitz seiner Niederlassung erbringt, ist dort regelmäßig ein Einheitserfüllungsort zu finden.3856 Es lässt sich gut vertreten, dass die eigentlich als rein prozessuale Regel entstandene Legaldefinition des Art. 5 Abs. 1 lit. b VO (EG) Nr. 44/2001 auch außerhalb ihres Anwendungsbereiches Ausdruck einer generellen, materiell-rechtlichen Regel ist.3857

I. Verjährung Der Ausgleichsanspruch ist eine gesetzlich geordnete Nachwirkung des HV-Vertrages3858 und 591 verjährt wie alle Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis nach § 195 BGB binnen 3 Jahren seit Fälligkeit und Kenntnis der Anspruchsvoraussetzungen (s. Kommentierung zu Vor § 84). Für den Beginn der Frist ist gem. § 199 BGB der Schluss des Jahres maßgeblich, in dem der Anspruch entsteht und der HV von der Entstehung des Ausgleichsanspruchs erfährt. Die Frage seiner Verjährung steht folglich im engen Zusammenhang mit seiner Fälligkeit.3859 Wie oben dargelegt, entnimmt ein Teil der Rspr. und Lehre der Formulierung des § 89b Abs. 1 S. 1, dass der Anspruch frühestens eine juristische Sekunde im Anschluss an das rechtliche Ende des HVVertrags entstehen kann, also meist am folgenden Tag. Die Gegenansicht meint, der Ausgleich entstehe mit der Vertragsbeendigung, also am letzten Tag der Vertragsdauer. Entsteht der Ausrungswirtschaft zu berechnen wäre; Urt. v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, BGHZ 68, 163 (168); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.8.2012 – 16 UF 170/12, BeckRS 2014, 00977; OLG Hamm, Urt. v. 9.3.2011 – II-8 UF 207/10, NJW-RR 2011, 1443; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 23; aA AG Coesfeld, Urt. v. 7.9.2010 – 5 F 65/04. 3853 KG, Urt. v. 21.5.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163; aA OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebs-berater.de, BBL2009-298-1, insoweit in BB 2009, 298 = MDR 2009, 339 m. Anm. Dallmann nicht abgedruckt. 3854 Das OLG München Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – BMW-Vertragshändler – bejaht allerdings Fälligkeit unmittelbar nach Beendigung des Vertragshändlervertrages; ebenso OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (1431 f.) – BMW-Vertragshändler. 3855 BGH NJW 1988, 966. 3856 Siehe bereits Emde RIW 2003, 505. 3857 Emde RIW 2003, 505. 3858 Bruck/Möller Vor § 43 Anm. 370. 3859 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 88 Rn 7. 565

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gleich gemäß der erstgenannten Meinungsgruppe am Tag des Vertragsendes, so beträgt die Verjährungsfrist bei Vertragsbeendigung zum 31.12. (die Frage der Kenntnis nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beiseite gelassen) insgesamt nur 3 Jahre, weil sie mit dem Schluss dieses Jahres, also an seinem letzten Tag, beginnt. Nach der Gegenansicht entsteht der Anspruch erst am 01.01. des kommenden Jahres, mit der Konsequenz, dass erst am Schluss des folgenden Jahres die Verjährung laufen würde, die Gesamtfrist sich also auf 4 Jahre erstrecken würde.3860 Die Verjährung läuft, außer in den nachfolgend genannten Sonderfällen, unabhängig von der Frist zur Geltendmachung nach Abs. 4 S. 2. Ihr durch § 195 BGB festgelegter Lauf überlagert sich mit der Geltendmachungsfrist. Sofern die Verjährung mit Fälligkeit eintritt, beginnen beide Fristen nach wohl hM am Tag nach dem Vertragsende zu laufen. Nach Ansicht derjenigen, die die verjährungsauslösende Fälligkeit noch am Tag des Vertragsendes entstehen lassen, beginnt die Geltungmachungsfrist einen Tag später. Es ist zweifelhaft, ob die Verjährung gehemmt ist, bis eine Antwort des Unternehmers auf die Anmeldung der Ansprüche vorliegt. Unter Rn 435 wurde dargelegt, dass in Bereichen, in welchen der Unternehmer, weil der Vertriebsmittler die Geschäfte ausführt, Ausgleichsdaten nicht kennt, etwa im Tankstellen-, Vertragshändler- und Franchiserecht, die Vertragsbeendigung weder nach der ersten noch nach der zweiten Meinungsgruppe zur Fälligkeit des Ausgleichs führt. Der HV muss vielmehr seine Forderung erst geltend machen, um Fälligkeit herbeizuführen. Was für die Fälligkeit richtig ist, muss nach §§ 162, 242 BGB nicht zwingend für den Verjährungsbeginn gelten. Hier gewinnt der Terminus der Anspruchsentstehung in § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB Bedeutung, welcher heute abweichend von dem der zuvor den Verjährungslauf auslösenden „Fälligkeit“ verwendet wird. Er könnte auch im Tankstellen-, Franchise- sowie Vertragshändlerbereich zum Verjährungsbeginn mit Vertragsende führen. Jedoch sollte die Verjährung auch hier nicht anders angeknüpft werden als im allgemeinen HV-Recht: Durch eine verspätete Substantiierung seines Anspruchs darf dem Tankstellenvertreter, Vertragshändler oder FN keine längere Verjährungsfrist als dem typischen HV zugebilligt werden. Anderenfalls hätte er es in der Hand, wann die Verjährung eintritt – Rechtsmissbrauch und § 162 BGB analog einmal weggedacht. Derartiges würde der Rechtssicherheit und dem Gedanken der generellen Geltung der Verjährungsfristen widerstreiten. Die nach § 199 Abs. 1 BGB erforderliche Kenntnis der TB-Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs wird frühestens an dem der Vertragsbeendigung folgenden Tag vorliegen, bei Vertragsende zum letzten Tag des Monats nicht eher als am 1. des Folgemonats. Denn der Ausgleich wird sich erst jetzt berechnen lassen. Theoretisch könnte noch um 23.59 h des letzten Vertragstages ein für die Prognose über Vorteile und Verluste des § 89b Abs. 1 ausgleichsrelevantes Kundengeschäft hinzutreten. Regelmäßig wird dem HV Kenntnis der Anspruchsvoraussetzungen erst durch die letzte ausgleichsrelevante Abrechnung (§ 87c Abs. 1) des Unternehmers vermittelt. Hinzu tritt eine angemessene Prüfungs- und Berechnungszeit, vor der keine Kenntnis – weil keine Klagereife – vorliegt. Die Länge der Berechnungszeit differiert nach den Umständen des Einzelfalls. Regelmäßig angemessen ist eine Zeitspanne von mindestens 2–4 Wochen. Der HV braucht und sollte nicht warten, bis das letzte nachvertragliche Geschäft abgerechnet wurde. Denn von den nachvertraglichen Geschäften sind nur solche ausgleichsrelevant, die bei Vertragsende absehbar waren. Für die Ausgleichsberechnung kommt es nämlich ausschließlich auf eine Prognose bei Vertragsende an.3861 Verkürzungen der Verjährungsfrist (dazu generell d. Kommentierung zu Vor § 84) sind regelmäßig problematisch, falls sie zu einer unter einem Jahr dauernden Verjährungsfrist führen. Trotz des Unterschiedes zwischen materiell-rechtlichen Ausschlussfristen und Verjährungsfristen soll in der Verkürzung der Verjährungsfrist auch eine Reduzierung der gem. § 89b Abs. 4 zwingenden Forderungsfrist liegen, sofern die Verjährungsfrist auf weniger als 1 Jahr reduziert 3860 Emde VersR 2009, 889 (892 f.); Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 114; vgl. zum Ganzen: Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 87c Rn 7.

3861 BGH, Urt. v. 6.8.1997, NJW 1998, 71. Emde

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wird. Reduzierungen der Verjährungsfrist sind erst unproblematisch, wenn sie mindestens ebenso lang wie die Forderungsfrist des § 89b Abs. 4 sind.3862 Wird die Verjährungsfrist – was nach h. M. zulässig ist – auf 1 Jahr verkürzt, hindert der gleichzeitige Ablauf von Verjährungs- und Geltendmachungsfrist des Ausgleichs den HV nicht, die Geltendmachungsfrist auszuschöpfen. Er wird lediglich gezwungen, den Anspruch so geltend zu machen, indem zugleich die Verjährung unterbrochen wird.3863 Die Verjährung des Ausgleichs wird nicht schon durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehemmt, wohl aber durch die Anmeldung einer Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Um die Verjährung zu vermeiden, muss der HV innerhalb der Verjährungsfrist eine die Verjährung unterbrechende weitere Handlung – Klage, Mahngesuch – vornehmen, falls es nicht zu einer Vereinbarung über den Ausgleich oder mindestens zu einer Anerkennung des Ausgleichsanspruchs durch den Unternehmer kommt. Eine ggf. konkludente Anerkennung dem Grunde nach, und selbst unter Vorbehalt der Höhe, genügt, um die Verjährung zu unterbrechen.3864

J. Vorauserfüllung des Ausgleichs Die häufig gebrauchten Worte von der „Vorauserfüllung des Ausgleichsanspruchs“ während der 596 Vertragszeit sind irreführend. Der Ausgleichsanspruch ist vor Vertragsbeendigung nicht entstanden, nicht einmal als bedingter. Er kann deshalb nicht im Voraus erfüllbar sein. Worum es geht sind vertragliche Abreden über eine Anrechenbarkeit gewisser Leistungen auf den künftigen Ausgleich, die, um die Ausgleichsbelastung zeitlich zu verteilen, schon während der Vertragszeit vom Unternehmer erbracht werden sollen. Es wäre etwa an eine Anrechnung unter Billigkeitsgesichtspunkten zu denken. So wird z. B. von einer Abschlagszahlung3865 gesprochen. § 89b Abs. 4 schließt eine „Vorauserfüllung“ des Ausgleichs nicht aus.3866 Derartiges wird gelegentlich in der Form praktiziert, dass dem HV für die Gewinnung neuer Kunden Sonderzuschläge zur Provision gezahlt werden3867 oder ihm eine sonstige Vergütung,3868 ggf. unter dem Titel einer Gegenleistung für die erfolgreiche Arbeit am Goodwill des Unternehmens, zufließt; wobei dann – wegen Abs. 4 unwirksam3869 aber möglicherweise billigkeitsrelevant – vertraglich festgelegt zu werden pflegt, dass jene Leistungen auf einen etwaigen künftigen Ausgleichsanspruch angerechnet werden sollen. Gerade US-amerikanische Unternehmen zahlen lieber eine höhere Provision als einen Ausgleich.3870 Solche Abreden haben für den HV Vorteile. Sie geben sofortige Liquidität3871 und entheben ihn im Umfange der erfolgten Unternehmerleistungen des Risikos, dass ein Ausgleichsanspruch u. U. nicht durchsetzbar wird, weil der Unternehmer in 3862 3863 3864 3865 3866

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 300. KG, Urt. v. 2.5.2002 – 2 U 7/01, VersR 2002, 1554 (1555). BGH VersR 1974, 571; st. Rspr. seit RGZ 63, 382 (389). Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 176. BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje); v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328 = BB 1972, 193; OLG München NJW 1961, 1072 – dort allerdings nicht ganz korrekt mit dem Gesichtspunkt des Billigkeitsausschlusses verquickt –; ferner OLG Koblenz, Urt. v. 5.4.1957 – 2 U 555/56 –, zit. bei Seydel DB 1957, 476; Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 62; Westphal MDR 2005, 421. 3867 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje); v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328 = BB 1972, 193; Eberstein 9. Aufl. S. 161. 3868 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje. 3869 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje. 3870 Dathe NJOZ 2010, 2196 (2198). 3871 Korte BB 2016, 2129. 567

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Insolvenz fällt3872 oder den Betrieb aufgibt oder die Produktion umstellt. Für den Unternehmer ergibt sich ein Vorteil, weil die laufenden Zahlungen steuerlich berücksichtigungsfähige Betriebsausgaben bilden, während Rückstellungen für den Ausgleich nicht gebildet werden können.3873 Vorfälligkeitsabreden können getroffen werden, sofern sie weder nach Grund oder Höhe zu einer Beschränkung des Ausgleichs (Abs. 4) führen (wovon im Zweifel auszugehen sein soll)3874 und der HV an einer eventuell berechtigten Nachforderung nicht gehindert ist. Wird nach Vertragsende streitig, ob die Vorwegleistung insgesamt eine den gesetzlichen Ausgleich erreichende Abgeltung nach dem nunmehrigen Stand der Dinge darstellt, so hat der Richter zu entscheiden, der ggf. die Erfüllung des gesetzlichen Ausgleichs mit dem im Vorwege Erbrachten verneinen und das Gezahlte nur als Teilerfüllung zur Anrechnung bringen kann. Denn wenn die Parteien den Ausgleichsanspruch gem. Abs. 4 im Voraus nicht ausschließen können, so dürfen sie auch im Voraus nicht wirksam bestimmen, was als angemessene Ausgleichsleistung anzusehen ist. Lilje3875 rät zur Vermeidung der Unwirksamkeit in die Vorauserfüllungsabrede folgende Klausel aufzunehmen „Die Geltendmachung eines weiteren (höheren) HV-Ausgleichs – bleibt durch diesen Vertrag unbenommen.“3876 Ist eine Vorauserfüllungsabrede wegen Verstoßes gegen § 89b Abs. 4 S. 1 gem. § 134 BGB nichtig, so ist der zur Anrechnung vorgesehene Teil der Vergütung als vom Unternehmer geschuldeter Teil der Gesamtvergütung anzusehen,3877 d. h. mit Rechtsgrund geleistet. Selbst wenn der HV vorauserfüllte Beträge an den Unternehmer zurückgewährt oder dies verspricht, kann er jene vom Unternehmer zurückfordern.3878 Sollte es sich um vom Unternehmer gestellte AGB handeln, ist zu prüfen, ob nach den für AGB maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen unter Mitberücksichtigung von § 305c Abs. 2 BGB eine Auslegung in Betracht komme, dass der HV die erhaltenen Beträge bei Vertragsende nur in den Fällen des § 89b Abs. 3 zurückzuzahlen habe, in welchem ihm kein Ausgleich zusteht.3879 Die Vereinbarung und mit ihr in Zusammenhang stehende weitere Vereinbarungen, etwa Verpflichtungen des HV zur Rückzahlung „vorauserfüllter“ Vergütungsbestandteile in einer einige Tage vor Vertragsende getroffenen Aufhebungsvereinbarung,3880 sind jedenfalls insoweit nichtig, als mit ihr die Höhe des Ausgleichsanspruchs nach oben begrenzt wird.3881 Ein Verstoß gegen § 87a Abs. 5 dürfte zu verneinen sein,3882 weil die Höhe der Provision dispositiv ist. 597 Doch wird bei der Annahme einer echten Vorwegerfüllung Zurückhaltung geboten sein.3883 Der Vortrag einer Vorauserfüllung nährt den Umgehungsverdacht.3884 Bedingung einer Vorauserfüllung ist immer, dass der HV zusätzlich zur ihm ohne die Vorauserfüllungsabrede zuste-

3872 3873 3874 3875 3876 3877

Korte BB 2016, 2129. Stötter BB 1972, 1036 (1037); Eberstein 9. Aufl. S. 163. BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = NJW 1972, 477 = DB 1972, 328 = BB 1972, 193. ZVertriebsR 2016, 302. Lilje ZVertriebsR 2016, 302 (304). BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, a. a. O., S. 65 f., 71 f. 3878 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje. 3879 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje. 3880 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje. 3881 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje. 3882 AA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 176. 3883 Schröder DB 1962, 898. 3884 BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = NJW 1972, 477 = DB 1972, 328 = BB 1972, 193; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 284. Emde

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henden Provision3885 wertmäßig einen Ausgleich erhält, welchen er auch ohne die Abrede fordern könnte. Da die Erfüllung vom Unternehmer zu beweisen ist3886 – nicht etwa hat der HV die Unwirksamkeit zu beweisen3887 –, gilt dies auch für die Werthaltigkeit der Vorauserfüllung.3888 Für den Unternehmer wird der Beweis schwer zu führen sein. Brauchbare Statistiken und übliche Provisionen gibt es nicht. Im Einzelfall mag es zwar gelingen, nachzuweisen, dass das dem HV gezahlte Gesamtentgelt höher ist als bei anderen HV. Dass dieser aber wirklich hinsichtlich Gebiet, Produkt und Vertragsgestaltung vergleichbar sind, muss der Unternehmer ebenfalls beweisen. Die Branchenüblichkeit bildet zudem nur ein Indiz.3889 Leitentscheidungen bilden die Urt. des BGH v. 14.7.20163890 sowie v. 13.1.1972.3891 In beiden Urteilen bestätigte der BGH zum einen die grundsätzliche Zulässigkeit von Vorauserfüllungsabreden. Die Vorauserfüllungsabrede stehe jedoch im Spannungsverhältnis zum Unabdingbarkeitsgrundsatz. In dem vom BGH 1972 entschiedenen Fall wurde eine Grundprovision von 3,75 % sowie eine Sondervergütung in Höhe von 0,75 % zur Vorauserfüllung des Ausgleichs gezahlt. Der Unternehmer war jedoch jederzeit zur Unterbrechung der Zahlung der Sondervergütung berechtigt. Eine Rückzahlungsverpflichtung des HV im Fall des Nichtentstehens eines Ausgleichsanspruches wurde ausgeschlossen. Nach dieser Entscheidung ist eine Vorauserfüllungsabrede nur wirksam, falls die ausgleichserfüllende Leistung zusätzlich zur Provision gezahlt und eindeutig als Vorauszahlung auf den Ausgleich gekennzeichnet wurde. Im zitierten Fall hielt der BGH eine unzulässige Ausgleichsumgehungsabsicht für wahrscheinlich, wofür folgende Indizien sprachen – keine Zurückzahlungspflicht bei nicht oder nur im geringeren Umfang entstehenden Ausgleichsanspruch,3892 – Zahlung der Sondervergütung in Höhe von 0,75 % auch für Geschäfte mit nicht ausgleichsfähigen Altkunden, – Recht zur jederzeitigen Zahlungseinstellung. Hierbei handelt es sich nach dem BGH aber nur um Indizien oder Verdachtsmomente. Es ist 598 also ein Gesamtbild zu ermitteln. Wegen der naheliegenden Umgehungsabsicht3893 wäre nach Ansicht des BGH3894 die An- 599 rechnungsvereinbarung nur unbedenklich, falls der Unternehmer beweist, dass auch ohne die Verrechnungsabrede keine höhere Provision vereinbart worden wäre, als dem Teil der vereinbarten Vergütung entspricht, welcher nach Abzug des auf den Ausgleich zu verrechnenden Teils verbleibt.3895 Dieser Beweis ist – so der BGH – schwierig, jedoch nicht unmöglich.3896 Sofern

3885 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 51 ff.; OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08 (dort abgelehnt); Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 176. 3886 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje. 3887 So jedoch Stötter BB 1972, 1036 (1038). 3888 OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 176. 3889 Korte BB 2016, 2129. 3890 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde); = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje – der Fall wurde dort in erster Linie über die Beweislastverteilung gelöst. Ebenso OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 51 ff. 3891 BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328 = BB 1972, 193 m. Anm. Stötter BB 1972, 1036. 3892 So auch FG München, Urt. v. 26.2.2013 – 6 K 2742/12, DStRE 2014, 275. 3893 Vgl. Czaja IHR 2018, 1 (3). 3894 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328 = BB 1972, 193 (195) m. Anm. Stötter BB 1972, 1036. 3895 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje. 3896 Ähnlich Czaja IHR 2018, 1 (2, 3): eine gerichtsfeste Vorauserfüllungsabrede sei kaum möglich. 569

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der Unternehmer nachweise, dass die vereinbarte Vergütung über dem Üblichen liege und im Einzelfall keine besonderen Umstände vorlägen, welche eine Überschreitung des üblichen Provisionssatzes erklären könnten, stehe der Wirksamkeit der Verrechnungsabrede nichts entgegen.3897 Beispiel: andere HV im selben oder ähnlichen Vertriebssystem erhalten nur die ohne Vorauszahlung fällige Vergütung.3898 Die Bestimmung des Angemessenen kann ggf die Leistung eines Sicherheitszuschlages erfordern.3899 Dem BGH ist teilweise zu widersprechen: Nicht erforderlich dürfte sein, dass sich der Unter600 nehmer für den Fall des Nichtentstehens des Ausgleich nach § 89b – etwa im Fall der Eigenkündigung des HV – ein Rückforderungsrecht vorbehält, damit die Klausel über die Vorauserfüllung wirksam ist.3900 Dem Unternehmer ist es nicht verwehrt, die ausgleichersetzende Leistung selbst für Fälle zu versprechen, in denen ein Ausgleich nach dem Gesetz nicht entstehen würde. Großzügigkeit sollte nicht pönalisiert werden, zumal die Klausel den HV wirtschaftlich an der Ausübung des zwingenden Kündigungsrechts nach § 89 hindert und ein Spannungsverhältnis zur Rspr. entsteht, derzufolge kündigungserschwerende Klauseln unwirksam sind (dazu s. Kommentierung zu § 89). Folglich braucht sich der Unternehmer kein Rückzahlungsrecht für Situationen vorzubehalten, in denen der Ausgleich nicht entsteht, wenn er bereit ist, den (vorauserfüllten) Ausgleich selbst in dieser Situation zu leisten.3901 Ein solches Vorauserfüllungsversprechen kann auch dem HV Vorteile geben, weil für ihn die Gefahr entfällt, dass sein Ausgleichsanspruch, etwa auf Grund der Ausschlusstatbestände des Abs. 3 oder mangels Vorliegens sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen, erst gar nicht entsteht. Es muss dem Unternehmer überlassen werden, auf welche Geschäfte er die Sondervergütung zahlt. Folglich darf es keine Rolle spielen, dass die Sondervergütung auch für Geschäfte mit nicht ausgleichspflichtigen Kunden geleistet wird. Selbst durch eine an keinerlei Kundengeschäfte geknüpfte Einmalzahlung könnte der Ausgleich vorauserfüllt werden. Dann muss dies umso eher gelten, wenn die auf den Ausgleich anzurechnende Zahlung jedenfalls teilweise für Geschäfte mit ausgleichspflichtigen Kunden ausgeführt wird. Schließlich kann auch die „Warnfunktion“ der Rückzahlungspflicht das Erfordernis nicht rechtfertigen. Zwar mag es sein, dass weniger HV einen Vertrag mit einer die Rückzahlung bestimmenden Klausel unterzeichnen würden. Der Unternehmer darf aber deshalb nicht gezwungen werden, auf die Rückzahlung zu bestehen, sondern er muss auch eine für den HV günstige Kompromissfassung vorschlagen können, die zwar die Sondervergütung verspricht, jedoch eine Rückzahlung bei Nichtentstehung des Ausgleichs nicht vorsieht. Immer muss die Vorauserfüllung eine zusätzliche, ausgleichsvertretende Leistung sein.3902 Dem HV dürfen also infolge der Vorauserfüllung weder Provisionen noch Ausgleich oder andere Leistungen vorenthalten werden.3903 Zudem muss die Zahlung regelmäßig eindeutig als Vorauszahlung des Ausgleichsanspruchs gekennzeichnet sein,3904 also als ausgleichsvertretende Leistung. Eine etwa gewährte Zusatzprovision muss so hoch bemessen sein, dass sie die normale Geschäftsprovision – sowohl beim Unternehmer wie in der Branche, und zwar in dieser Prüfungsfolge3905 – über das branchenübliche Maß hinaus sichtbar steigert. Sie hat regelmäßig in der Abrechnung gesondert zu erscheinen, darf nicht mit einer reinen Bezirksprovision gekoppelt sein (weil das ihren Zweck verunklaren würde) und hat dem HV schon in der Form, wie sie vereinbart ist,

3897 BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328 = BB 1972, 193 (195) m. Anm. Stötter BB 1972, 1036. Czaja IHR 2018, 1 (3). Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 176. So aber: Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIII Rn 48. Stötter BB 1972, 1036 (1037). BGH, Urt. v. 14.7.2016 – VII ZR 297/15, NJW 2016, 3439 = BB 2016, 2127 m. Anm. Korte = EWiR 2016, 759 (Emde) = ZVertriebsR 2016, 300 m. Anm. Lilje; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 176. 3903 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 176. 3904 BGH NJW 1972, 477. 3905 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 176.

3898 3899 3900 3901 3902

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unübersehbar zum Bewusstsein zu bringen, dass hier eine Sondervergütung mit dem Zweck gewährt werde, das spezifische, mit der neuen Geschäftsverbindung geschaffene Aktivum über die Vermittlung des konkreten Auftrages hinaus angemessen abzugelten. Meist scheitert die Wirksamkeit der Abrede spätestens daran, dass sich die übliche Provision nicht feststellen3906 und der Nachweis, der HV hätte sich mit einer geringeren Provision begnügt, nicht führen3907 lässt. Weder die HV-Verbände noch die Handelskammern verfügen über ausreichend gesicherte Provisionsstatistiken. Zudem gibt es auch bei identischen Produkten erhebliche Provisionsspannen.3908 Der Ausgleich ist damit nicht stets bei besonders guter Bezahlung des HV vorauserfüllt.3909 Sonst würde Verhandlungsgeschick des HV bestraft und er würde einen Teil der herausgehandelten Provision selbst bezahlen. Wird der zur Vorauserfüllung dienende Teil einer Leistung neben der Provision geleistet, muss einerseits eine zumindest stillschweigende Abgrenzungsabrede dergestalt getroffen werden, dass der hierfür bezeichnete Teil der Vorauserfüllung des Ausgleichs dienen soll und andererseits der zur Vorauserfüllung dienende Teil zusätzlich zur marktüblichen Provision geleistet wird. Fehlt das erste TB-Merkmal, so mangelt es an der erforderlichen Voraussehbarkeit für den HV. Hier und bei Fehlen des zweiten TB-Merkmal scheitert die Abrede an § 89b Abs. 4. Der BGH hat im Urt. v. 1.10.19703910 eine Vorauserfüllung abgelehnt, weil es an einer hinreichend deutlichen Parteivereinbarung fehlte. Da sich die von der Rspr. geforderten Merkmale selten beweisen lassen werden, ist eine Vorauserfüllungsabrede für den Unternehmer mit Risiken behaftet.3911 Ist die Vorauserfüllungsabrede wirksam, so sind bei der Bestimmung eines (Rest)ausgleichs nur die Provisionen, nicht jedoch die zusätzlich zur Vorauserfüllung erbrachten Leistungen in die Berechnung des Rohausgleichs einzubeziehen. Die Vorauserfüllungsleistungen dürfen auch nicht in die Berechnung des Höchstbetrages einfließen. Ist die Vorauserfüllungsabrede unwirksam, scheidet eine Rückforderung der „überzahlten“ Provision aus dem Gesichtspunkt der Bereicherung wegen Wegfalls des mit der Leistung verfolgten Zweckes oder nach den Grundsätzen des WGG aus, da dieses Risiko i. d. R. vom Unternehmer bewusst übernommen wird.3912 Das Gezahlte ist Teil des geschuldeten Entgelts.3913

K. Zinsen Der Ausgleichsanspruch wird gemäß nationalem Recht verzinst,3914 in Deutschland nach §§ 286, 601 288 BGB, § 352. Auf den Ausgleichsanspruch sind seit Fälligkeit gem. §§ 352, 353 Fälligkeitszinsen in Höhe von 5 %-Punkten zu zahlen.3915 Seit Verzugseintritt, auch durch Rechnungsstellung i. S. d. § 286 Abs. 3 BGB,3916 sind Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz (Verbraucher) oder in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz (Unternehmer) zu leisten (§ 288 BGB).3917 Regelmäßig dürfte der Zinssatz von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB eingreifen. Es handelt sich bei dem Ausgleich um eine Entgeltforderung 3906 3907 3908 3909 3910 3911 3912 3913

Stötter BB 1972, 1036 (1037); Westphal MDR 2005, 421. Stötter BB 1972, 1036 (1037). Westphal MDR 2005, 421/422. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 34; Schulter DB 1967, 1303 (1305); Ahle DB 1962, 1329. BGH, Urt. v. 1.10.1970, NJW 1970, 1513. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 285 warnt deshalb vor solchen Abreden. Neflin DB 1962, 1531. BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = NJW 1972, 477 = DB 1972, 328 = BB 1972, 193; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 1001; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 284. 3914 Die RL gibt keine Vorgaben, siehe Emde DStR 2009, 1478 (1485). 3915 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 24. 3916 Vgl. Palandt/Grüneberg § 286 Rn 27. 3917 OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – BMW-Vertragshändler; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 303. 571

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i. S. d. § 288 Abs. 2 BGB (Entgelt für die Überlassung des Kundenstammes).3918 Die Mischnatur des Ausgleichs mit Entgelt- und Billigkeitskomponenten ändert daran nichts,3919 ebenso wenig die dadurch herausgeforderten Berechnungsschwierigkeiten.3920 Auch eine Teilung des Zinssatzes, etwa 8 %-Punkte über dem Basiszinssatz auf den Entgelt- und 5 %-Punkte auf den Billigkeitsteil, kommt nicht in Betracht,3921 einmal abgesehen von den Schwierigkeiten der Aufteilung. Eine kalendermäßige Bestimmtheit des Ausgleichs nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB dürfte ausscheiden, weil die Fälligkeit nicht vertraglich bestimmt ist. Jedoch werden oft die Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB vorliegen, weil der Leistung eine Kündigung vorauszugehen hat und sich mit der Kündigungsfrist eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmen lässt, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt. Bei Vertragshändlern kann der Unternehmer den Ausgleichsanspruch nicht berechnen, ohne durch den Händler nachprüfbar über die geschlossenen Geschäfte sowie den Verkaufspreis informiert zu werden. Deshalb soll dort Verzug und Fälligkeit nicht vor Mitteilung der Daten3922 sowie zusätzlich einer angemessenen Bearbeitungszeit eintreten. Nach aA sollen auch im Vertragshändlerbereich Fälligkeitszinsen in Höhe von 5 % bereits seit Ende des Vertragsverhältnisses gefordert werden dürfen.3923 Sollte die Finanzverwaltung die Fälligkeit der auf den Ausgleich zu leistenden Steuern bereits zum Zeitpunkt des Vertragsendes und nicht erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung annehmen, empfiehlt es sich, in einem (langwierigen) Ausgleichsprozess, zusätzlich zum Verzugszins Schadenersatz zu fordern (Freistellungs-, Feststellungsantrag). Denn der gesetzliche Fälligkeits- und Verzugszins dient nicht dazu, solche zusätzlichen Schadenspositionen abzudecken. Sonst würde der „Strafcharakter“ des Zinses entwertet.

L. Verwirkung 602 Der Ausgleich kann neben dem Sonderfall der Verfristung nach Abs. 4 S. 2 auch mittels einer aus § 242 BGB herzuleitenden Verwirkung ausgeschlossen sein.3924 Dazu siehe zunächst d. Kommentierung zu Vor § 84. Es gelten die allgemeinen Verwirkungsgrundsätze. Um Verwirkung anzunehmen muss sowohl ein Zeit- wie ein Umstandsmoment vorliegen. Vor Ablauf der einjährigen Anmeldefrist kann eine Verwirkung nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, weil der Unternehmer jederzeit mit einer Anmeldung des Ausgleichs rechnen muss.3925 Das Umstandsmoment müsste also entsprechend stark sein, womit kaum zu rechnen ist. Auch vor Ablauf der Verjährungsfrist ist der Verwirkungseintritt eher schwer vorstellbar3926 und könnte auch hier wohl allenfalls mit einem Umstandsmoment begründet werden. Dem HV muss eine 3918 BGH, Urt. v. 16.6.2010 – VIII ZR 259/09, DB 2010, 1641 = WM 2010, 1760 = EWiR 2010, 731 (Gillig); OLG Köln, Urt. v. 17.10.2014 – 19 U 81/11, IHR 2016, 79 = BeckRS 2015, 03089 Rn 32 – Kfz-Vertragshändler; OLG München, Urt. v. 2.4.2008 – 7 U 5350/05, BeckRS 2009, 03035 – BMW-Vertragshändler; v. 17.12.2008 – 7 U 3114/08, www.betriebsberater.de BBL2009-298-1, insoweit in BB 2009, 298 = MDR 2009, 339 nicht abgedruckt (Tankstelle); Gillig EWiR 2010, 732; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 11; aA KG NJOZ 2007, 3163 (3176); Schnabl NJW 2009, 955. 3919 BGH, Urt. v. 16.6.2010 – VIII ZR 259/09 (insoweit in DB 2010, 1641 nicht abgedruckt); aA Schnabl NJW 2009, 955. 3920 AA Evers VW 2010, 1091. 3921 Schnabl NJW 2009, 955 (956). 3922 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06 – Kfz. 3923 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 11 U 53/06 (Kart) – Kfz; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 – Kfz; OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (1431 f.) – BMW-Vertragshändler. 3924 Schmidt BB 1965, 732 (733); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 295; Hopt § 89b Rn 80; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 20 Rn 108; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 38; aA (Verwirkung generell ausgeschlossen) Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 28. 3925 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 296; Hopt § 89b Rn 80. 3926 Thume in: Röhricht/Graf v. Westphalen3 § 88 Rn 11; Hopt § 89b Rn 80. Emde

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angemessene Überlegungsfrist zugebilligt werden. Voraussetzung der Verwirkung wäre also, dass sich der Unternehmer nach dem Gesamtbild des Verhaltens des HV schon vor Ablauf der Verjährung darauf eingestellt hatte, der HV werde den Ausgleichsanspruch nicht oder nicht mehr verfolgen.3927 Praktisch hätte man sich allenfalls Fälle vorzustellen, in denen der HV den Unternehmer glauben macht oder dessen Glauben bestätigt, dass der Ausgleich nicht (mehr) gefordert wird. Ein solches Verhalten könnte beispielsweise darin liegen, dass der HV mit steigendem Lauf der Verjährungsfrist untätig bleibt und dem Unternehmer gegenüber – oder Dritten gegenüber in einer Weise, dass er annehmen musste, es werde dem Unternehmer zur Kenntnis gelangen – zu erkennen gibt, er sei an der Weiterverfolgung des Ausgleichs nicht mehr interessiert, etwa weil ihm das Prozessrisiko zu groß erscheine. Wenn dann hinzukommt, dass der HV wusste oder sich hätte sagen müssen, der Unternehmer werde durch mangelnde Rücklagen zum Zwecke des Ausgleichs der Fähigkeit zur Zahlung beraubt (die der Unternehmer, in Sicherheit gewiegt, nun nicht mehr vornimmt), dann kann unter derartigen Umständen der höchst seltene Fall der Verwirkung vor Ablauf der Verjährung gegeben sein. Gerade im Ausgleichsrecht genügt einfache Untätigkeit nicht, um Verwirkungsfolgen herbeizuführen. Dafür ist die Ausschlussfrist zu kurz und auf die notwendige schnelle Abwicklung von Ansprüchen unter Kaufleuten zugeschnitten.3928 Die Geltendmachungsfrist kennzeichnet auch nicht die Spanne, binnen derer der HV nach einer Zahlungsverweigerung des Unternehmers zwecks Meidung der Verwirkungsfolgen Klage erheben muss. Im Fall des OLG Stuttgart3929 war die Klageerhebung sieben Monate, im Fall des OLG Karlsruhe3930 elf Monate nach Ablehnung des zuvor geltend gemachten Ausgleichs durch den Unternehmer erfolgt. Beide Gerichte missbilligten mit Recht den Standpunkt des LG Wuppertal,3931 welches den Abs. 4 S. 2 dahin missverstanden hatte, nach Ablehnung des geltend gemachten Ausgleichsanspruchs habe der HV nur noch weitere drei Monate Frist (heute Jahresfrist), um bei Meidung der Verwirkungsfolge den Anspruch einzuklagen.

M. Aufrechnung Gegen oder mit dem Ausgleichsanspruch kann aufgerechnet werden.3932 § 89b will nicht ge- 603 währleisten, dass der HV bei Vertragsende unbedingt „Geld in die Hand bekommt“.3933 Spiegelbildlich verstößt ein vertragliches Aufrechnungsverbot nicht gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz,3934 da § 89b Abs. 4 die Aufrechnung nicht garantiert. Umstritten ist, ob trotz Ablaufs der einjährigen Ausschlussfrist und trotz fehlendem Ausgleichsverlangen des HV durch ihn noch aufgerechnet werden darf, sofern sich die Forderungen während des Laufs der Ausschlussfrist aufrechenbar gegenüberstanden.3935 Da der Zweck der Ausschlussfrist über den einer Verjährungsfrist hinausgeht, spricht einiges für die Ansicht, die Aufrechenbarkeit sei nach Ablauf der Ausschlussfrist ausgeschlossen. Andererseits ist es – nicht anders als bei der Ausschlussfrist – Zweck der Verjährungsfristen, Rechtsklarheit zu schaffen und § 390 S. 2 BGB hat für diesen Fall entschieden, dass die Aufrechnung gestattet ist.

3927 3928 3929 3930 3931 3932

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 296. OLG Stuttgart VersR 1957, 329. OLG Stuttgart VersR 1957, 329. OLG Karlsruhe BB 1957, 561. NJW 1956, 594. BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328 = BB 1972, 193; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIV Rn 35; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 27. 3933 BGH, Urt. v. 13.1.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328 = BB 1972, 193. 3934 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XIV Rn 35. 3935 Dafür: BGH, Urt., v. 30.1.1958, BB 1958, 304; dagegen: BGH BB 1987, 22; OLG München, Urt. v. 30.4.1958, BB 1958, 389; LAG Düsseldorf, Urt. v. 17.8.1965, DB 1965, 1407. 573

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N. Zurückbehaltungsrecht 604 Auch das ZBR ist nicht durch § 89b Abs. 4 ausgeschlossen. Beide Parteien können daher das kaufmännische oder nichtkaufmännische Zurückbehaltungsrecht bei Eingreifen seiner TB-Voraussetzungen nach den allgemeinen Grundsätzen ausüben.3936 Insbesondere ist der HV/Vertragshändler berechtigt, nach § 273 Abs. 1 BGB die Nutzung der Daten der geworbenen Kunden durch den Unternehmer von der Zahlung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b abhängig zu machen. Die Geltendmachung jenes ZBR lässt den gesetzlichen Ausgleichsanspruch grundsätzlich nicht entfallen.3937 Konsequenterweise müsste sich dieser Anspruch auf Unterlassung der Datenverwertung auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen lassen. Der Unternehmer besitzt kein ZBR wegen fehlender Zustimmung des Mittlers zur Verwertung der Kundendaten. Die Zustimmung liegt i. d. R. in Ausgleichsforderung oder Klage.3938

O. Abtretung, Vererblichkeit und Nachfolgebestimmung I. Abtretung 605 Dass der Ausgleichsanspruch erst mit der Vertragsbeendigung zur Entstehung gelangt, weil er in ihr seinen Entstehungsgrund hat, hindert nicht, ihn als künftigen schon während der Vertragszeit abzutreten und zu verpfänden (§ 1204 Abs. 2 BGB), so wie er auch schon während der Vertragszeit als künftiger gepfändet werden kann.3939 Die Abtretung des Ausgleichs vor oder nach Vertragsende ist also gestattet,3940 wie schon Art. 18 lit. c RL zeigt. § 89b Abs. 4 steht nicht entgegen,3941 sofern nicht vor Vertragsende an den Unternehmer selbst abgetreten wird (Umgehungstatbestand). Analog der Diskussion zur Unzulässigkeit der Abtretung von Bankdarlehen, konnte darüber nachgedacht werden, ob § 90 ein mittelbares Abtretungsverbot begründet. Jedenfalls an einen Wettbewerber des Unternehmers dürften die vertraulichen Ausgleichsdaten nicht bekannt gemacht werden. Erst recht dürfte ein solcher Wettbewerber keine Auskünfte zur Berechnung des Ausgleichs fordern. Sieht man in dem Ausgleich eine soziale Schutzvorschrift zu Gunsten des HV oder seinen Zweck darin, dem HV eine Altersversorgung zu bieten, so schließt diese „persönliche Zweckbestimmung“ des Ausgleichs die Abtretung nicht aus. Zudem kann die Abtretung des Ausgleichsanspruchs eines VV unzulässig sein, sofern hiermit gem. § 402 BGB geheimhaltungsbedürftige Informationen der Versicherungsnehmers bekannt gegeben werden müssen, etwa zwecks Durchsetzung des Ausgleichsanspruchs.3942 Die Rechte aus § 402 BGB können aber vertraglich ausgeschlossen werden, was die datenschutz-

Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 27. OLG München, Urt. v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371. OLG München, Urt. v. 16.1.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419 (1422 f.). Schuler NJW 1958, 1115; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 1; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 10, 298; Hopt § 89b Rn 6. 3940 OLG Hamm, Urt. v. 5.10.2009 – 18 U 104/08, BeckRS 2010, 05592; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.7.2005 – 5 U 146/03, WM 2005, 2134; LG Aachen, Urt. v. 17.7.2009 – 43 O 21/04, BeckRS 2011, 08422 (zu einem Ausgleichsanspruch nach türkischem Recht); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 10, 298; Ebenroth/Löwisch, 3. Aufl., § 89b Rn 26. 3941 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 1. 3942 Zu den Provisionsansprüchen des VV: BGH, Urt. v. 10.2.2010 – VIII ZR 53/09, NJW 2010, 2509; im Anschluss an BGHZ 115, 123 (124 ff.) (Zahnarzt); 122, 115 (117 ff.) (Rechtsanwalt vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO); BGH, Urt. v. 5.12.1995 – X ZR 121/93, NJW 1996, 775 (Zahnarzt); v. 17.10.1996 – IX ZR 37/96, NJW 1997, 188; v. 11.11.2004 – IX ZR 240/03, NJW 2005, 507 (jeweils zur Abtretung von Honoraransprüchen eines Rechtsanwalts vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO); ferner Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, NJW 2005, 1505 (Arzt); Köpke Die Bedeutung des

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rechtlichen Probleme ggf. beseitigt.3943 Eine formularmäßige Globalabtretung aller Ansprüche aus Warenlieferungen und Leistungen, insbes. aus Kfz-Verkäufen, Finanzierungsanträgen, Leasinganträgen, etc. gegen alle Kunden bzw. Schuldner mit dem Anfangsbuchstaben A bis T erfasst auch den Vertragshändlerausgleich. Die Abtretung ist hinreichend bestimmt.3944 Sie ergreift auch den HV-Ausgleich;3945 der Abtretende darf den Ausgleich im Wege der Prozessstandschaft für den Abtretungsempfänger geltend machen.3946

II. Vererblichkeit Der Ausgleichsanspruch ist vererblich.3947

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III. Nachfolgeregelung Vertragliche Bestimmungen, die den Fall einer Nachfolge in das HV-Verhältnis im Voraus 607 regeln, sind zulässig, aber immer nur in den durch das Verbot des Vorausverzichts (Abs. 4 S. 1) gezogenen Grenzen. So kann im Vertrag vorgesehen sein, dass der HV die Vertretung mit Einverständnis des Unternehmers auf einen Dritten übertragen darf,3948 dafür dann allerdings gehalten sei, den Nachfolger die Rechte und Pflichten aus dem Vertrage voll übernehmen zu lassen („ihn in den Vertrag eintreten zu lassen“). Die ausgleichsrechtliche Lage ist hier nur bei ausdrücklicher Vereinbarung dahin zu beurteilen, dass der Nachfolger dem Unternehmer die Ausgleichslast bei Eintritt des Nachfolgefalles in der einen oder anderen Form abzunehmen hat – der Unternehmer kann das unschwer durchsetzen, da er es in der Hand hat, seine Zustimmung zur Übertragung der Vertretung zu versagen. Nicht aber ist dadurch, entgegen einem Urteil des LG Frankfurt/M.,3949 der Unternehmer im Voraus von der Pflicht zur Zahlung des Ausgleichs gegenüber dem abgebenden HV befreit worden. Derartiges wäre nach Abs. 4 S. 1 unwirksam; das Bedenken wäre auch nicht mit der Annahme einer Nichtbeendigung des HVVerhältnisses dank der „Fortdauer des bestehen gebliebenen HV-Vertrages als solchen“ auszuräumen.3950 Ebenso ist nicht anzunehmen, dass diese Rechtslage einer Fortdauer des Vertragsverhältnisses unter Hinderung des Ausgleichsanspruchs gegeben sei, wenn der HV sich aus Altersgründen zurückziehe und die Vertretung im Einverständnis mit dem Unternehmer auf seinen Sohn überträgt. Der Vater mag nach seinem Ausscheiden auf einen Ausgleich verzichten gegen die Zusage, dass die von ihm neu geschaffenen Geschäftsverbindungen den vom Sohn zu schaffenden für dessen demnächstigen eigenen Ausgleich hinzuzurechnen seien. So etwas ist statthaft und würde, wenn zwischen Vater und Unternehmer getroffen, im Zweifel über § 328 BGB auch unmittelbar zugunsten des Sohnes wirken.

§ 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB für private Krankenversicherer, insb. bei der innerorganisatorischen Geheimnisweitergabe, 2003, S. 27: aA Evers/Eikelmann VW 2009, 529 f. 3943 OLG Koblenz, Beschl. v. 12.3.2014, 3.4.2014 – 2 U 553/13, WM 2014, 1863. 3944 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.7.2005 – 5 U 146/03, WM 2005, 2134. 3945 OLG Hamm, Urt. v. 5.10.2009 – 18 U 104/08, BeckRS 2010, 05592; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.7.2005 – 5 U 146/03, WM 2005, 2134. 3946 OLG Hamm, Urt. v. 5.10.2009 – 18 U 104/08, BeckRS 2010, 05592. 3947 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 10, 298. 3948 Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14. 3949 v. 9.1.1979 – 3/5 0 58/78. 3950 So aber LG Frankfurt/M., Urt. v. 9.1.1979 – 3/50 58/78. 575

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P. Pfändung 608 Der Ausgleichsanspruch kann im Wege der Zwangsvollstreckung gem. § 829 ZPO durch einen Gläubiger des HV gepfändet werden.3951 Die zur Pfändung erforderliche Bestimmtheit ist auch vor Vertragsende gegeben, wenn die Pfändungsunterlagen den Ausgleichsanspruch als „künftigen Ausgleichsanspruch gem. § 89b“ bezeichnen. Der HV behält trotz der Pfändung die volle Verfügungsbefugnis über den Vertrag und kann ausgleichsvernichtend kündigen. Auf das der Forderung zugrundeliegende Rechtsverhältnis, den HV-Vertrag, erstreckt sich die Pfändung nicht.3952 Eine Schadenersatzpflicht des HV wegen des Ausgleichsausschlusses besteht gegenüber den Gläubigern nur, falls der Gläubiger nachweist, dass der HV einen ausgleichsvernichtenden Umstand herbeiführte, um den Gläubiger zu schädigen oder seine Befriedigung zu hindern.3953 Bei der Pfändung sind die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. zu beachten, da es sich bei dem Ausgleich um „Arbeitseinkommen“ i. S. d. § 850 Abs. 2 ZPO handelt.3954 § 850i ZPO ist anwendbar.3955

Q. Anerkenntnis 609 Der Ausgleichsanspruch darf vom Unternehmer anerkannt werden. Hierzu kann nach den Umständen des Einzelfalls eine vorgerichtliche Ausgleichsberechnung genügen,3956 solange sie den dahin gehenden Rechtsbindungswillen hinreichend deutlich erkennen lässt. Ein vorprozessuales Anerkenntnis kann kondiziert werden, wobei sich jedoch die Beweislast umkehrt.3957 Der HV ist wegen Abs. 4 daran gehindert, vor dem Vertragsende einen Ausgleichsanspruch im Wege eines negativen Schuldanerkenntnisses in einer Höhe zu akzeptieren, die unterhalb des gesetzlichen Ausgleichsanspruches liegt.

R. Der Ausgleichsanspruch und konkurrierende Ansprüche 610 Regelmäßig besteht die Vermutung, dass die Gewinnerwartungen der Parteien während des laufenden Vertrages durch die vertragliche Vergütung hinreichend abgegolten werden und keine weitere Abfindung nach Vertragsende zu leisten ist. Bei § 89b handelt es sich damit um eine Ausnahmebestimmung. § 89b ist folglich kein Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens.

I. § 354 HGB 611 Fraglich ist jedoch, ob gem. § 354 eine Vergütung für den Aufbau des Kundenstammes zu zahlen ist, wenn ein Ausgleich nicht fällig wird. Dies ist regelmäßig abzulehnen, da auch die negativen TB-Merkmale des § 89b eine Aussage über die Umstände treffen, unter denen eine Vergütung für den Aufbau des Kundenstammes zu zahlen ist. Entfällt der Ausgleich z. B. wegen Eingreifens eines Ausschlussgrundes gem. § 89b Abs. 3 oder – im Vertragshändlerbereich – wegen fehlender Analogievoraussetzungen, dürfte auch über § 354 keine Vergütung für das Überlassen des Kundenstammes fällig werden. Die Parteien dürfen sie aber vereinbaren. § 89b ist daher lex specialis 3951 3952 3953 3954 3955 3956 3957 Emde

BGH NJW 1964, 1622; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 10. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 8. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 8. BGHZ 96, 324 (327); BAG AP ZPO § 850 Nr. 3; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 10. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 10. OLG Koblenz, Urt. v. 2.7.1998 – 6 U 624/96, HVR Nr. 883. Hopt § 89b Rn 81. 576

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und verdrängt § 354. Ohnehin wäre die Vergütung nach § 354 Abs. 1 nur nach „den an dem Ort üblichen Sätzen“ zu gewähren. Es gibt jedoch im deutschen Recht kein allgemeines Ausgleichsrecht für Kundenbeziehungen. Vielmehr besteht der oben genannte Grundsatz, dass die Gewinnerwartungen der Parteien durch die während der Vertragsdauer geleisteten Zahlungen ausgeglichen werden.

II. Karenzentschädigung (§ 90a Abs. 1) Die Karenzentschädigung des § 90a Abs. 1 darf neben dem Ausgleichsanspruch gefordert wer- 612 den.3958 Die Zahlung eines Ausgleichs hat keine Wettbewerbsbeschränkung zur Folge (Rn 350 f.), so dass ein Wettbewerbsverbot – wie die Existenz des § 90a beweist – gesondert zu vergüten ist. Beide Ansprüche verfolgen verschiedene Zwecke. Eine Anrechnung der Ausgleichszahlung auf die Karenzentschädigung und umgekehrt findet nicht statt.

III. Schadenersatzansprüche Hat der HV den Vertrag aus wichtigen Grund wegen eines schuldhaften Verhaltens des Unter- 613 nehmers gekündigt, könnte sich eine Schadenersatzverpflichtung des Unternehmers aus § 89a Abs. 2 ergeben.3959 Der Verletzung anderer Vertragspflichten des Unternehmers kann eine Schadenersatzverpflichtung aus § 280 BGB folgen (s. Kommentierung zu § 86a). Schadenersatz- und Ausgleichsanspruch bedienen unterschiedliche Zwecke3960 und stehen daher in Konkurrenz. Sie sind also nebeneinander zu befriedigen.3961 Die Zahlung des Ausgleichs kann sich nicht mindernd auf den Schadenersatzanspruch auswirken, etwa unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung.3962 Die Fälligkeit des Ausgleichs nach Vertragsende ist der Regelfall. Schon deshalb muss sie bei Vertragsende vermutet werden. Die durch die Vertragsverletzung eintretende Kündigung mit Ausgleichsfolge bildet keinen Vorteil, weil sie auch zu einem späteren Zeitpunkt eintreten würde: Der Ausgleich ist kein adäquat-kausal durch die zum Schadenersatz verpflichtende Handlung entstandener Vorteil.3963 Ein aus Anlass der Vertragsbeendigung gezahlter Schadenersatzanspruch ist auch nicht abzutreten.3964 Soweit die zum Schadenersatz verpflichtende Handlung zu einem geringeren Ausgleichsan- 614 spruch führt, kann dieser Schaden in Form einer Erhöhung des Ausgleichs geltend gemacht werden.3965 Hat der HV infolge der Pflichtwidrigkeit des Unternehmers außerordentlich gekündigt und fordert Zahlung entgangener Provisionen sowie den Ausgleichsanspruch, wäre die Ausgleichsklage zumindest nach der bis 2009 geltenden Fassung des § 89b Abs. 1 unbegründet gewesen. Denn der HV erhält wegen des Grundsatzes der Naturalrestitution bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist Schadenersatz in Provisionshöhe und ihm entgeht deshalb bei Vertragsende – zunächst – keine Vergütung.3966 Es könnte also an „entgehenden Provisionen i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 2 mangeln. Gleichwohl ist der Ausgleich zum Zeitpunkt des Vertragsendes

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 11. Siehe etwa OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.9.2003 – 1 U 9/03, NJW-RR 2004, 191 = EWiR 2004, 557 (Emde). BGH, Urt. v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678 = HVR Nr. 731. EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 m. Anm. Emde EuZW 2016, 218; BGH, Urt. v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678 = HVR Nr. 731. 3962 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 27; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 13. 3963 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 27. 3964 BGH, Urt. v. 9.4.1964 – VII ZR 123/62, BGHZ 41, 292 = NJW 1964, 1622; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 9. 3965 BGH, Urt. v. 12.1.1970, BGHZ 53, 150 = DB 1970, 339. 3966 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 23.

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nicht deshalb ausgeschlossen, weil zunächst Schadenersatz geleistet wird3967: Schadenersatzansprüche sind keine Provisionen. Schadenersatz und Ausgleich betreffen unterschiedliche Sachverhalte und Zeiträume.3968 Dem HV kann nicht zugemutet werden, den Ausgleich trotz der Vertragsbeendigung auf der Basis von Umständen zum Zeitpunkt des möglicherweise Jahre später eintretenden ordentlichen Vertragsendes zu berechnen, zumal wenn zwischenzeitlich Verjährung eintreten könnte und jene Umstände noch unbekannt sind. Auch müsste der HV den Nachteil einer Vernachlässigung des Kundenstammes durch den Unternehmer tragen. Der Ausgleich darf nicht reduziert werden, weil der Unternehmer eine Vertragsverletzung begangen hat. Also wird der Ausgleichsanspruch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der außerordentlichen Kündigung des HV ohne Berücksichtigung der zu leistenden Schadenersatzbeträge als Vorteile berechnet. Notfalls ließe sich dieses Ergebnis auch begründen, indem man als Anspruchsgrundlage der Forderung nach Ausgleich die §§ 89a Abs. 2 HGB, 280 BGB ansieht, und nicht § 89b. Da der Ausgleich eine vertragliche Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes ist, braucht sich der HV Leistungen, welche er aus Anlass der Vertragsbeendigung von Dritten erhält, nicht auf den Ausgleich anrechnen zu lassen.3969 Ein VV muss sich folglich auf seinen Anspruch auf Ersatz unfallbedingten Dienstausfalls nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung keine Berufsunfähigkeitsrente anrechnen lassen, die er von dem HV-Versorgungswerk erhält, wenn die Rente gemäß dem HV-Vertrag an die Stelle eines Ausgleichsanspruchs tritt.3970 Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind nur Vorteile anrechenbar, die dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Hieran mangelt es, weil die Rente nur den dem HV ohnehin zustehenden Ausgleich substituiert. Auch ein Dritter braucht sich die Zahlung des Ausgleichs nicht als Vorteil anrechnen lassen, wenn die pflichtwidrige Handlung – etwa ein tödlicher Unfall – zur Zahlung des Ausgleichs an die Erben führt.3971

IV. Informationsrechte nach § 87c 615 Die Rechte aus § 87c dürfen auch zur Kontrolle anderer als Provisionsansprüche ausgeübt werden,3972 auch des Ausgleichs.3973 Der HV braucht zu ihrer Kontrolle also nicht auf die §§ 242,3974 259, 260 BGB auszuweichen3975 (s. Kommentierung zu § 87c). Beide Ansprüche können nebeneinander oder im Stufenverhältnis gestaffelt geltend gemacht werden. Deshalb ist auch bei der Ausgleichsklage eine vorgeschaltete Informationsklage – selbst eine Buchauszugsklage3976 – zulässig, da die Entwicklung der Geschäftsverbindungen des Unternehmers für die Ausgleichs-

AA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 13. Siehe Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 13. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 9. OLG München, Urt. v. 2.2.2000 – 7 U 4410/99, VersR 2001, 1429; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 9. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XV Rn 28. So aber (für den Buchauszug) OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08; OLG Hamburg, Urt. v. 19.6.1991 – 5 U 12/90; n. v.; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.15 – 33 O 119/12, ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14 (§ 87c Abs. 3); Ebenroth/Löwisch3 § 87c Rn 3; einschränkend Rn 12: nur ergänzender Auskunftsanspruch gem. § 87c Abs. 3. Für den Buchauszug ablehnend OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2004, r+s 2004, 349 (350); offen gelassen in BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 54. 3974 OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08; OLG Hamburg, Urt. v. 12.4.2000 – 8 U 198/99, OLGR 2000, 465; OLG Hamm, Urt. v. 15.12.2000 – 35 U 77/99, VersR 2001, 1154. 3975 So jedoch BGH NJW 1996, 2100; LG Hamburg, Beschl. v. 10.11.1998 – 325 O 257/98 – n. v.; Wolff BB 1978, 1246; Westphal I Rn 1224; Emde MDR 1999, 1108 (1111); Emde NJW 2000, 796; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. 3976 OLG Hamm OLGR 1996, 54.

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höhe entscheidend ist.3977 Das ist insbesondere deshalb zutreffend, weil nach Ansicht des BGH3978 ein Teilurteil über den Ausgleich unzulässig sein soll. Wenn die ausgleichsrelevante Provision aber erst nach Erteilung des Buchauszuges feststeht, handelt es sich bei der zuvor erhobenen Ausgleichsklage um eine demnach unzulässige Teilklage. Zudem müsste der HV bis zum Entscheid über die Buchauszugsklage die Verjährung seiner Ausgleichsforderung befürchten, ein Ergebnis, welches ihm nicht zugemutet werden kann. Die Bezifferung darf bis zur ausgeurteilten Informationspflicht vorbehalten bleiben.3979 Der Nachteil der Kombination liegt darin, dass der Prozess über den Ausgleich durch den Streit über den auf erster Stufe geltend gemachten Informationsanspruch mit ggf. Beweiserhebung und Vollstreckung verzögert wird. Jede Partei muss der anderen die für die Ausgleichsberechnung erheblichen Umstände offenbaren, sofern sie auf die Ausgleichsberechnung Einfluss haben. Verweigert sie die Informationserteilung, ist das eine Schlechterfüllung des Schuldverhältnisses und berechtigt zu Schadenersatzansprüchen. So hat etwa das LG Düsseldorf3980 das Verschweigen der Konkurrenztätigkeit eines HV als zum Schadenersatz verpflichtende Handlung angesehen und einem Rückforderungsanspruch des Unternehmers stattgegeben. Dieser Gedanke gilt nicht nur für nachvertragliche Umstände.

S. Prozessfragen Siehe zunächst d. Kommentierung zu Vor § 84. Ausgleichsstreitigkeiten sind schiedsfähig.3981 616 Beklagter einer Ausgleichsstreitigkeit ist der Unternehmer, sofern es sich nicht um eine Widerklage oder Aufrechnung handelt. Der allgemeine Gerichtsstand des Unternehmers liegt gem. § 12 ZPO an dessen ggf. ausländischem Sitz. Zum Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 ZPO) s. Vor § 84. Außer an den Gerichtsstand der Widerklage, der eine bereits in Deutschland rechtshängige Klage des Unternehmers gegen den HV voraussetzt, ist deshalb vor allem an den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gem. § 29 ZPO3982 zu denken. Der Erfüllungsort bestimmte sich gem. § 29 ZPO nach den Vor § 84 dargestellten Regeln. Nach der hier vertretenen Ansicht liegt er am Sitz des HV. Die h. M. nimmt den Erfüllungsort des Ausgleichs am Sitz des Unternehmers an. Einen Einheitserfüllungsort am Sitz des Unternehmers gibt es nur im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 44/2001 und auch dort nur als prozessuale Regelung:

I. Klage 1. Klageantrag Der Klageantrag darf als sog. „unbezifferter Leistungsantrag“ gestellt werden.3983 Er ist insb. 617 ratsam, weil jetzt die für den HV unbekannten Unternehmervorteile Grundlage der Ausgleichsberechnung sind und sich aufgrund der Schwierigkeiten ihrer Bezifferung die Risiken einer

3977 Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Westphal I Rn 1338; aA mglw. Ebenroth/Löwisch3 § 87c Rn 84. 3978 BGH, Urt. v. 29.5.1967, NJW 1967, 2153; zustimmend OLG München, Urt. v. 15.1.1992, NJW-RR 1992, 1191; OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.1.2003 – 16 U 66/02, HVR Nr. 1080; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 229; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 77 Rn 45. 3979 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 227. 3980 LG Düsseldorf, Urt. v. 30.4.1993 – 39 O 145/92, zit. nach Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVI Rn 09. 3981 Zu vertriebsrechtlichen Schiedsverfahren eingehend Emde RIW 2016, 104. 3982 BGH NJW 1988, 966 = ZIP 1988, 436, dazu EWiR 1988, 489 (v. Hoyningen-Huene); Westphal I Rn 1330, 1355; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 343. 3983 BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, BB 1997, 2607; v. 24.9.1991 – VI ZR 60/91, NJW 1992, 311; OLG Bamberg EWiR 1999, 891 (Emde); OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.2.1977, HVR Nr. 504; LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 579

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Fehlbemessung erhöhen.3984 Das gilt auch für den Vertragshändler.3985 Auch bei ihm hängt die Bemessung des Ausgleichs von der Billigkeit und damit von einem unbestimmten Rechtsbegriff ab.3986 Bei einem unbezifferten Antrag wird die Höhe des Ausgleichs dem Ermessen des Gerichts anheimgestellt und lediglich ein Mindestbetrag oder die ungefähre Größenordnung angegeben.3987 Der Vorteil des Antrages liegt in der Kostenfolge: Ein Unterliegen liegt nach überwiegender Ansicht erst bei einer Abweichung zum Zugesprochenen in Höhe von rund 25 % vor.3988 Erforderlich ist aber immer, dass sich der geforderte Mindestbetrag aus dem Antrag oder jedenfalls aus den Gründen ergibt;3989 die Berechnungsgrundlagen sind zumindest in der Begründung offen zu legen (Begründungserfordernis des § 253 ZPO). Zudem müssen die zur Ermittlung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen vollständig wiedergegeben werden.3990 Bei der Bestimmung der Rechtsmittelbeschwer können sich aus der unbezifferten Fassung Probleme ergeben.3991 Nach Ansicht von Meyer3992 ist ein unbezifferter Zahlungsantrag ohne Angabe eines Mindestbetrages im Klagantrag zulässig. Meyer schlägt folgende Fassung vor: „Es wird beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen angemessenen Ausgleich nach § 89b Abs. 1 HGB, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu bezahlen, wobei sich die Höhe des Ausgleichs insbesondere an folgenden Parametern zu bemessen hat: a) den Vorteil der Beklagten aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Kläger erworben hat und aus denen die Beklagte auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat, b) der Billigkeit, d. h. dass die Zahlung des Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Kläger aus Geschäften mit diesen Kunden entstehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht“.

2. Feststellungsklage 618 Ein Antrag auf Feststellung, dass einen HV aufgrund der Kündigung des Unternehmers ein Ausgleichsanspruch nach § 89b zusteht, ist unzulässig. Das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsadresse für eine Feststellungsklage fehlt dann, wenn der Kläger seinen Anspruch im Wege der Leistungsklage, insb. einer Stufenklage3993 mit einer – zunächst noch unbezifferten – Leistungsklage folgen könnte.3994 Im Regelfall wird damit eine Feststellungsklage ausscheiden,3995 weil die Bezifferung des Ausgleichs aus den dem HV vorliegenden Provisionsabrech-

88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde (Vertragshändler); Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93); 2014, 352 (356); Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Thume IHR 2011, 7 (14); BB 2009, 2490 (2495); Emde VersR 2001, 148 (161); Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 306; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 35; Martinek/Schwab in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 79 Rn 33, Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 1015; Westphal I Rn 1343; Westphal II Rn 699; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 227; Hopt § 89b Rn 81; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 222; Baumbach/Hartmann ZPO, § 253 Rn 59; umfassend zum unbezifferten Klagantrag Ruttloff VersR 2008, 50. 3984 Thume IHR 2011, 7 (14); BB 2009, 2490 (2495). 3985 LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2011 – 404 HKO 88/10, ZVertriebsR 2012, 115 m. Anm. Emde. 3986 Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 869; aA Giesler/Vogels/Köhnen 1. Aufl. 2005, § 3 Rn 531. 3987 Westphal I Rn 1343; Baumbach/Hartmann, ZPO, § 253 Rn 59. 3988 AA Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 181: Kostentragung ab 10 %. 3989 Ruttloff VersR 2008, 50. 3990 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 227. 3991 Ruttloff VersR 2008, 50. 3992 ZVertriebsR 2014, 352 (356). 3993 BGH, Urt. v. 31.3.2009 – VIII ZR 240/08; Thume BB 2009, 2490 (2495); OLG München, Urt. v. 16.4.2015 – 23 U 3932/2014, BeckRS 2015, 07780. 3994 OLG München, Urt. v. 16.4.2015 – 23 U 3932/14, BeckRS 2015, 07780. 3995 BGH ZIP 1998, 2152 (2154); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 308; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 227. Emde

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nungen möglich sein muss, zumindest aber eine Stufenklage. Ist dies nicht der Fall, weichen HV entweder auf ihr Buchauszugsrecht (s. o.) aus oder notfalls auf die Informationsrechte aus § 242 BGB3996 und §§ 259, 260 BGB,3997 sofern sie entschuldigt über die Höhe des Ausgleichs keine Kenntnis haben oder weiterer Informationen zu den Unternehmervorteilen3998 bedürfen.

3. Auskunftsanspruch Auch bei der Ausgleichsklage ist im Wege der Stufenklage3999 eine vorgeschaltete Informati- 619 onsklage – etwa eine Auskunfts- oder Buchauszugsklage4000 – zulässig, da die Entwicklung der Geschäftsverbindungen des Unternehmers4001 sowie die dem HV unbekannten Unternehmervorteile4002 für die Ausgleichshöhe entscheidend sind.4003 Auch darf als Hauptantrag eine Stufenklage gestellt werden, als Hilfsantrag eine bezifferte Ausgleichsklage und umgekehrt. Der Antrag kann von einem bezifferten Ausgleichsanspruch nach § 89b auf eine Stufenklage gem. § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO geändert werden (Klagerweiterung).4004 Denkbar wäre es auch, den Ausgleich in der Höhe einzuklagen, wie er sich nach der klassischen Berechnungsweise (hergeleitet aus den Provisionen des letzten Vertragsjahres) bestimmt und im Wege der Klagehäufung daneben eine Stufenklage, gerichtet in 1. Stufe auf Auskunft über die darüber hinausgehenden und bis zur Höchstgrenze gereichenden Unternehmervorteile und in 2. Stufe auf Zahlung zu erheben. Es sollten nicht zu große Hoffnungen auf eine der Ausgleichsberechnung förderliche Unternehmerauskunft gesetzt werden. Der Auskunftsantrag könnte etwa wie folgt formuliert werden: „Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über die im letzten Vertragsjahr (1.1. – 31.12.) erzielten Unternehmervorteile, insb. den Deckungsbeitrag I (Verkaufskosten minus Einkaufskosten), mit den in der Anlage K 1 (Liste der neu geworbenen bzw. erweiterten Altkunden) genannten Kunden zu erteilen“.4005 Nicht hingegen darf i. d. R. nach zukünftigen, tatsächlichen Unternehmervorteilen gefragt werden, da es nach der Anlagerechtsprechung (Rn 198) nicht auf 3996 BGH, Urt. v. 10.3.1969 – VII ZR 246/59, BB 1960, 796; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 79; Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82) Fn 33 – Vertragshändler; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 307. 3997 So jedoch Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. 3998 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345 (dort i. E. abgelehnt; dort auch Wiedergabe eines Klagantrages); OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.8.15 – 33 O 119/12, ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14 (Auskunftsanspruch auch zu den Deckungsbeiträgen, dort auch Wiedergabe eines Klagantrages); Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (82) Fn 33 – Vertragshändler; Korte DB 2011, 2761 (2763); Genzow IHR 2014, 133 (135); Koch ZIP 2011, 1752 (1755); Semler BB 2009, 2327 (2328); Eckhoff BB 2009, 1609 (1610); Evers VW 2010, 524; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 22 Rn 52. Graf v. Westphalen NJW 2013, 3566 rät sogar, regelmäßig (zuerst) eine Auskunftsklage zu erheben. 3999 OLG Düsseldorf GWR 2013, 16; Koch ZIP 2011, 1752 (1755); LG Köln, Urt. v. 6.3.2018 – 8 O 158/15, ZVertriebsR 2019, 264 Rn 45; Thume BB 2009, 2490 (2495); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 307; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 237. 4000 BGH, Urt. v. 4.11.1998 – VIII ZR 248/97, ZIP 1998, 2152 (2153); OLG Hamm OLGR 1996, 54; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 227, der a. a. O. allerdings systemwidrig ein Informationsrecht allein zu dem Zweck der schlüssigen Darlegung des Ausgleichsanspruchs verneint. 4001 Westphal I Rn 1338; aA mglw. Ebenroth/Löwisch3 § 87c Rn 84. 4002 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.2019 – 12 U 37/18, ZVertriebsR 2019, 327 = BB 2019, 2260 m. Anm. Thume; Creutzig IHR 2017, 93 (94); Thume IHR 2011, 7 (14); BB 2009, 2490 (2495). 4003 Einschränkend BGH, Urt. v. 24.9.2020 – VII ZR 69/19, DB 2020, 2460 = EWiR 2021, 15 (Emde) zur Auskunft auf den DB. 4004 LG Frankenthal, Teilurt. v. 28.8.2012 – 1 HKO 8/11, BeckRS 2014, 04375. 4005 Weitere Klaganträge: „Die Klägerin wird verurteilt, der Beklagten für den Zeitraum vom … bis zum … Auskunft zu erteilen über die von der Klägerin realisierten Deckungsbeiträge für die Verkäufe von X-Geräten, über die mit diesen Geräten realisierten Deckungsbeiträge an Ersatz-Verbrauchsmaterialien sowie für diese Geräte abgeschlossenen Wartungsverträgen durch Mitteilung und Vorlage aller Unterlagen, die für die Entstehung, Fälligkeit und Berechnung der 581

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die tatsächlichen Unternehmervorteile sondern die bei Vertragsende zu prognostizierenden ankommt.4006 Jedoch soll kein Auskunftsrecht bestehen, wenn der Ausgleichsanspruch auf der Basis der klassischen Berechnungsmethode aus den Provisionsverlusten berechnet wird und der so berechnete Ausgleichsanspruch zumindest den Höchstbetrag erreicht. Denn dem HV kann dann kein weitergehender Anspruch zustehen.4007 Bleibt der Anspruch unter dem Höchstbetrag, so dass aus Billigkeitsgesichtspunkten eine Erhöhung denkbar ist, muss der HV konkret darlegen, dass diese Erhöhung naheliegt, weil etwa nur eine Einmalprovision gezahlt wurde, die Provision herabgesetzt wurde oder weitere besondere Umstände vorlagen, die eine Bewertung anhand der Provisionsverluste nicht zulassen. Nur wenn der HV darlegt, dass eine abweichende Beurteilung zumindest plausibel ist, kann nach Treu und Glauben hierzu ein Auskunftsanspruch bestehen.4008 Vorsichtshalber sollte hilfsweise ein bezifferter Antrag gestellt werden und der Vorteilsbegriff im Auskunftsklageantrag präzisiert werden.4009

4. Kombination mit einer Feststellung auf Fortbestand des Vertrages 620 Die Einforderung des Ausgleichs im Mahnverfahren hindert den HV nicht, die gerichtliche Feststellung des Fortbestandes des Vertrages zu suchen. Es fehlt an der Identität der Streitgegenstände beider Verfahren.4010 Allerdings kann ein widersprüchliches Verhalten vorliegen, welches u. U. zeigt, dass der Händler die Kündigung akzeptiert.4011 Der Ausgleich darf in Prozessstandschaft des Zedenten für den Zessionar eingeklagt werden.4012 Die Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs aus einem anderen Vertrag stellt eine Klageänderung dar.4013

5. Teilklage 621 Auch eine Teilklage (bei der tatsächlich über den geltend gemachten Teil kein Teil- sondern ein normales Endurteil erstrebt wird – und die Billigkeitserwägungen für diesen Teil vollständig

Deckungsbeiträge (bilanzrechtlicher Deckungsbeitrag I = Rohertrag) wesentlich sind.“ (LG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.15 – 33 O 119/12, ZVertriebsR 2015, 362 m. Anm. Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 14); „Auskunft zu erteilen, welche Vorteile dem Unternehmer aus der Geschäftsbeziehung mit vom Kläger während des HV-Vertrags vermittelten Kunden zufließen, durch Vorlage einer geordneten, prüffähigen Aufstellung über sämtliche erzielte Bruttoeinnahmen (ohne Abzug von Geschäfts-, Betriebs- Unkosten oder sonstigen Aufwendungen) aus nach Ablauf der vermittelten festen Vertragslaufzeit fortgeführten Verträgen, aus der insb. hervorgehen:Kundenname, postalische Adresse des Objekts der Leistungserbringung, Anzahl der Wohneinheiten, inhaltlicher Leistungsumfang unter Angabe der Spezifikation, inhaltlicher Leistungsumfang der Zusatzleistung unter Angabe der Spezifikation (wie z. B. Freischaltung, Digital TV-Gebühr, Paketpreis Digital- und Multimedia unter Angabe der jeweils für das Paket gewählten Geschwindigkeit, Digital Receiver, Modem), zeitliches Ende der festen Laufzeit des der Beklagten vermittelten Vertrages, Zahlungsdaten und Beträge, ggf. spätere Beendigung des Vertrages unter Angabe des Kündigungsgrundes für den Zeitraum seit 1.2.2012 bis längstens 31.1.2022“ OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345. 4006 OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 – 19 U 109/14, BeckRS 2015, 19345 (dort Auskunftsantrag i. E. abgelehnt); Eberstein9 S. 157. 4007 OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188. 4008 OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2017 – I-16 U 171/15, BB 2017, 464 m. abl. Anm. Thume; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (93) und Creutzig IHR 2017, 93, jedoch zust. Anm. Goßler ZVertriebsR 2017, 188. 4009 Thume BB 2019, 2260. 4010 OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191. 4011 Emde VersR 1999, 1464 (1472). 4012 OLG Hamm, Urt. v. 5.10.2009 – 18 U 104/08, BeckRS 2010, 05592. 4013 OLG Hamm, Urt. v. 29.7.2013 – 18 U 169/12, IHR 2014, 231 (237). Emde

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vorgetragen wurden) dürfte zulässig sein,4014 ebenso die Aufrechnung gegen eine nicht exakt den Ausgleich erreichende Forderung. Dieser Ansicht ist auch das OLG Stuttgart4015: Die Rechtskraft eines Urteils, das über eine Aus- 622 gleichsklage judiziert, erstrecke sich nur auf den bezifferten Teil des Anspruchs.4016 Das gelte sowohl bei einer offenen wie bei einer verdeckten Teilklage. Des Vorbehalts eines weitergehenden, nicht zum Streitgegenstand erhobenen Anspruchs bedürfe es nicht, da dieser – schon im Hinblick auf § 308 Abs. 1 ZPO – der Entscheidung des Gerichts nicht unterliege. Auch aus der Billigkeitsabwägung ergäbe sich nichts Abweichendes. Insoweit bestehe die Gefahr widerstreitender Entscheidungen im Erst- und Zweitprozess nicht stärker als bei allen anderen TB-Merkmalen des § 89b. Nichts anderes ergäbe sich aus dem Umstand, dass bei Klagen auf Zahlung eines HV-Ausgleichs der Erlass eines Teilurteils unzulässig sein solle. Wird nämlich eine Teilklage erhoben, so handele es sich bei der Entscheidung über die gesamte Teilklage um ein Endurteil i. S. d. § 300 Abs. 1 ZPO, nicht hingegen um ein Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO. Im Übrigen fehle bei Teilklagen, anders als bei Teilurteilen, die ungeschriebene TB-Voraussetzung einer mangelnden Widersprüchlichkeit zwischen Teilurteil sowie abschließender Entscheidung des Rechtsstreits. Auch das OLG Celle hielt eine Teilklage für zulässig: Werde in einer auf den Ausgleichsan- 623 spruch gerichteten Teilklage geltend gemacht, dass sich der Ausgleich auf „Kunden und Provisionen“ beschränkt, deren Umsätze in einer Anlage zur Klagschrift enthalten sind, ständen die Berechnungsgrundlagen und der damit abgegoltene Betrag fest, so dass sowohl die Teilklage als auch ein Teilurteil im Hinblick auf diesen Teil des Ausgleichs zulässig seien.4017 Das soll selbst dann gelten, wenn der HV mittels Buchauszug Informationen über weitere Provisionen fordert.4018 Diesen Entscheidungen ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Denn der Streitstoff ist 624 separierbar, nämlich EUR für EUR und Cent für Cent. Außerdem nimmt § 89b Abs. 2 selbst eine summenmäßige Begrenzung vor. Dem HV darf es dann nicht verwehrt werden, diesem gesetzlichen Vorbild zu folgen, und eine weitere Deckelung in der Klage vorzunehmen. Sofern die Berechnungsgrundlagen der Teilklage und der hiermit abgegoltene Betrag sich aus der Begründung ergeben, dürften eine Teilklage und Teilurteil gestattet sein, schon um die Verjährung abzuwenden. Ist dem HV die Unvollständigkeit seiner Klage unbekannt, besitzt er kein Mittel zur Korrektur. Ist sie ihm bekannt, so steht er zwischen Skylla und Charybdis: Erhebt er keine bezifferte Teil- sondern nur eine Stufenklage auf Auskunft, verbunden mit einer unbezifferten Zahlungsklage auf zweiter Stufe, könnte der schon bezifferbare Teil seines Anspruchs nach Ablauf der üblichen Dauer des Auskunftsprozesses aufgrund des Verjährungseintritts abgewiesen werden. Entscheidet sich der HV für eine bezifferte Teilklage, stehen vorstehenden Bedenken gegen eine Teilklage entgegen. Denn eine Kombination aus Auskunfts- und Zahlungsklage bleibt betreffs ihres bezifferten Zahlungsteils noch immer eine Teilklage. Ob eine „offene“ Teilklage hilft, ist fraglich. Denn sie müsste nach der vertretenen Ansicht zur Unteilbarkeit der Billigkeitserwägungen ebenso unzulässig sein. Ich sehe keine Gründe, warum die abschließende Billigkeitsprüfung unter Einschluss der Erkenntnisse aus beiden Klagen nicht im auf die letzte Klage folgenden Urteil vorgenommen werden kann,4019

4014 OLG Stuttgart, Urt. v. 16.7.2015 – 13 U 64/14, IHR 2016, 34 = ZVertriebsR 2015, 297 m. zust. Anm. Emde; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (90); Emde ZVertriebsR 2015, 46 (mit eingehender Erörterung der Frage); ohne Erläuterung ließen auch BGH NJW-RR 1996, 765; OLG München, Urt. v. 19.12.2012 – 7 U 465/12; OLG Celle, Urt. v. 29.3.2001- 13 U 53/00 (Kart) eine Teilklage zu. 4015 OLG Stuttgart, Urt. v. 16.7.2015 – 13 U 64/14, IHR 2016, 34 = ZVertriebsR 2015, 297 m. zust. Anm. Emde und Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (90). 4016 Ebenso zuvor Löwisch ZVertriebsR 2015, 150. 4017 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 12. 4018 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 12. 4019 I. E. auch Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (90). 583

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und zwar zu Gunsten wie zu Lasten des HV. Klagt er mittels der ersten Teilklage einen zu geringen Ausgleichsanspruch ein, so gefährdet dies allein seine Interessen. Der beklagte Unternehmer ist insoweit kaum schutzwürdig. Er kann sich über eine geringere als die vollständige Forderung nur freuen. Schützenswert ist der den zu niedrigen Ausgleich reklamierende Kläger. Folglich sollte man ihn, wenn er „im zweiten Anlauf“ die berechtigte, höhere Ausgleichsforderung stellt, kaum mit einer Klagabweisung „bestrafen“. Es wird nur die dem materiellen Recht entsprechende Lage hergestellt. Allenfalls könnte daran gedacht werden, den Ausgleich der zweiten Klage unter Billigkeitsgesichtspunkten um den aufgrund der Streitwertdegression höheren Kostenerstattungsanspruch zweier Klagen zu mindern, wobei auch jener Gedanke daran scheitern dürfte, dass der Unternehmer die erste und zweite Klage durch vorprozessuale Erfüllung der vollständigen Forderung – ggf. durch ein Anerkenntnis – und die zweite Klage durch Vortrag zu weiteren Ausgleichsforderungen im Erstprozess hätte verhindern können. Notfalls steht dem Unternehmer eine negative Feststellungsklage offen, gerichtet auf die Feststellung des Nichtbestehens weiterer Forderungen des HV. Falls schon die vollständige Ausgleichsforderung in der ersten Klage zu einer Erhöhung des Ausgleichsanspruchs unter Billigkeitsgesichtspunkten geführt hätte, ginge das ebenfalls nur zu Lasten des klagenden HV. Letztlich beruhen die billigkeitsrelevanten Folgen zweier Klagen auf der „Dispositionsmaxime“ und bedeuten keine einseitige Gefährdung der Interessen des beklagten Unternehmers. Aufgrund dieses „Verfügungsgrundsatzes“ werden dem Gericht die billigkeitsrelevanten Tatsachen ohnehin nur dann vollständig bekannt sein, sofern sie von den Parteien erschöpfend und zutreffend vorgetragen werden – also eigentlich nie. Es gibt infolge der Dispositionsmaxime kein Mittel, die Parteien zum vollständigen Vortrag aller billigkeitsrelevanten Tatsachen zu zwingen. Es obliegt also den Parteien lückenlos vorzutragen. Gefällt dem für billigkeitsreduzierende Umstände darlegungsbelasteten Unternehmer die unvollständige Tatsachengrundlage nicht, so steht es ihm frei, etwa zum Zwecke der Billigkeitsprüfung ergänzend auszuführen.4020 Unterlässt er dies, so muss das Gericht auf unvollständiger Tatsachenkenntnis urteilen, so wie in allen Fällen, in denen die Parteien fragmentarisch vortragen. Ob Teilklage –und – urteil zweckmäßig sind, bleibt eine andere Frage. Nicht um eine Teilklage handelt es sich, wenn ein noch nicht vom Unternehmer gezahlter „Restausgleich“ eingeklagt wird oder eine in einem ersten Verfahren (mglw. versehentlich) nicht eingeklagte Spitze in einer zweiten Ausgleichsklage.4021 Denn dann wird – jetzt – in der zweiten Klage der vollständige Ausgleichsanspruch gefordert.4022 Ebensowenig ist es eine Teilklage, falls der Vertriebsmittler aus verschiedenen Vertragsverhältnissen stammende Ausgleichsansprüche in separaten Klagen geltend macht.4023 Der HV braucht auch nicht die Vollständigkeit seiner Klage versichern, darlegungs- und beweispflichtig für eine unzulässige Teilklage wäre der Unternehmer.4024

4020 Anders mglw. im Tankstellen- und Eigenhändlervertrieb. Hier muss der Unternehmer die zur Berechnung des Ausgleichs herangezogenen Einzelforderungen nicht unbedingt kennen. Er kann sie dann aber bestreiten und der Mittler müsste daraufhin seine Ausgleichsberechnung in den Einzelheiten offenlegen und beweisen. 4021 AA LG Ulm, Urt. v. 8.4.2014 – 10 O 122/13 KfH, ZVertriebsR 2015, 43 m. abl. Anm. Emde ZVertriebsR 2015, 46 und Löwisch ZVertriebsR 2015, 150. Nach Ansicht des LG Ulm ist die Klage, mit der ein „Nachschlag“ in Höhe von 43.101,92 EUR zu einem bereits durch rechtskräftiges Urteil ausgeurteilten Ausgleichsanspruch von 103.940,51 EUR begehrt wird, wegen entgehenstehender materieller Rechtskraft des Vor-Urteils unzulässig, sofern es sich bei der Klage im Vorprozess um eine „verdeckte Teil-Klage“ handelt. Eine solche sei ebenso unzulässig wie ein Teil-Urteil über die Mindesthöhe des Ausgleichsanspruchs. 4022 Emde ZVertriebsR 2015, 46. 4023 Emde ZVertriebsR 2015, 46 (47). 4024 Emde ZVertriebsR 2015, 46 (47). Emde

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II. Prozessvergleich Ein Prozessvergleich über den Ausgleich ist zulässig.4025 Ein Vergleich über den Ausgleich vor 625 Vertragsende verstößt aber gegen Abs. 4,4026 sofern sich der HV auf einen Betrag unterhalb des von § 89b Gewährten vergleicht (Rn 452 „Vergleich“). Das gilt angesichts des apodiktischen Wortlauts und der fehlenden Beratungspflicht des Gerichts auch für einen Prozessvergleich,4027 wobei allerdings eine Klage und ein Vergleich vor Fälligkeit des Ausgleichs – Vertragsende – kaum besonders wahrscheinlich sind.

III. Urkundenverfahren Der Ausgleichsanspruch kann auch im Urkundenverfahren nach § 592 ZPO durchgesetzt wer- 626 den, sofern sich die Ausgleichshöhe unmittelbar oder notfalls mittelbar aus der Urkunde ergibt, ggf. i. V. m. den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft.4028 Sofern kein Billigkeitsaufschlag geltend gemacht wird, müssen sich die Billigkeitserwägungen nicht aus der Urkunde ergeben, weil der berechnete Rohausgleich die Vermutung der Billigkeit begründet und der Unternehmer billigkeitsreduzierende Umstände zu beweisen hätte.

IV. Arrest Die beabsichtigte Liquidation des Unternehmers soll keinen Arrestgrund darstellen.4029 Anderes 627 gilt aber in der Sondersituation eines ausländischen Gesellschafters und Geschäftsführers bei beharrlicher Verweigerung „vernünftiger wirtschaftlicher Sicherungsinteressen“.4030

V. Selbständiges Beweisverfahren Die Voraussetzungen einer Krankheit i. S. d. Abs. 3 Nr. 1 können im selbständigen Beweisverfah- 628 ren überprüft werden, wenn während eines langwierigen Prozesses die Feststellung des ausgleichserhaltenden Kündigungsgrundes mglw. Schwierigkeiten bereitet.4031

VI. Urteil Ein Grundurteil (§ 304 ZPO) über die Berechtigung zum Ausgleich ist zulässig.4032 Es 629 setzt voraus, dass sämtliche TB-Voraussetzungen des § 89b gegeben und bewiesen sind.4033 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 229. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 179. AA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 179, 229. LG Düsseldorf, Urt. v. 19.7.2005 – 32 O 217/04, NJOZ 2006, 2753. OLG München, Urt. v. 15.1.1992, NJW-RR 1998, 1563. LG Stuttgart, Urt. v. 13.7.1998, RIW 1999, 67. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 89b Rn 134. BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 Rn 40; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.4.2006 – 21 U 10/05, BeckRS 2006, 12472 – Kfz-Vertragshändler; v. 17.1.2006 – 11 U 33/05; wohl auch BGH, Urt. v. 28.2.2007 – VIII ZR 30/06, NJW 2007, 3493 (3496); LG München I, Urt. v. 23.12.2016 – 10 O 16326/14; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 309; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 1016; aA Westphal I Rn 1348; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 229. 4033 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 40; v. 13.12.1995, BB 1996, 235; v. 4.6.1986 – I ZR 161/84,

4025 4026 4027 4028 4029 4030 4031 4032

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Insb. muss feststehen, dass der Unternehmer erhebliche Vorteile aus der Geschäftsverbindung mit den geworbenen Kunden auch nach Beendigung des Vertrages besitzt und sein Ausgleich der Billigkeit entspricht.4034 Zudem müssen hinreichende Feststellungen dazu bestehen, ob der Mittler Stammkunden besaß.4035 Nicht hinreichend ist die Erwägung, der Unternehmer werde aller Voraussicht nach Vorteile aus der Geschäftsbeziehung erzielen und diese seien wahrscheinlich erheblich.4036 Jedoch ist von einem Grundurteil nach Ansicht des BGH4037 wegen der erheblichen Verzögerung und Verteuerung des Rechtsstreits nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. 630 Zum Teilurteil siehe zunächst oben zur Teilklage. Ein Teilurteil nach § 301 ZPO ist unzulässig, soweit die Gefahr besteht, dass es bei der Entscheidung über den noch anhängigen Streitgegenstand im Schlussurteil zu einer widersprechenden Entscheidung kommt.4038 Ein Teilurteil über eine Mindesthöhe des Ausgleichsanspruchs soll unzulässig sein, weil die Billigkeitsprüfung erst vorgenommen werden könne, sobald sämtliche für den Anspruch maßgebenden Tatsachen und der sich daraus ergebende rechnerische Ausgleichsbetrag festgestellt seien.4039 Nicht anders als ein Schadenersatzanspruch sei der Ausgleichsanspruch damit einheitlich und unteilbar. Auch bestehe die Gefahr widersprechender Entscheidungen. Nach Ansicht des OLG Frankfurt/M.4040 soll ein Teilurteil hingegen zulässig sein, sofern Unternehmervorteile und Provisionsverluste mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe bestehen, obgleich der Hersteller etwaige Mehrfachkundenverträge bestreitet. Die Existenz aller TB-Voraussetzungen soll nicht nachzuweisen sein, sofern der VV als Schätzung für einen Mindestausgleichsanspruch die Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs nutzt.4041 Denn bei einer Berechnung nach den Grundsätzen bedürfe es einer Prüfung der Frage nicht, ob der Versicherer auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile habe und ob die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspreche, weil die Grundsätze für den Normalfall davon ausgehen, dass jene Voraussetzungen vorliegen.4042 Kommt es jedoch im weiteren Verfahren darauf an, ob Provisionen zu zahlen sind und weist ein Gericht durch Teilendurteil die Klage auf Zahlung eines Ausgleichsanspruchs ab, soll die Gefahr widerstreitender Entscheidungen bestehen und das Teilendurteil nach § 301 ZPO unzulässig sein. Denn bei der Berechnung des Ausgleichs komme es wegen der Höchstgrenze des § 89b Abs. 2

VersR 1986, 1072 (1073); v. 11.3.1982 – I ZR 223/83, NJW 1982, 1757; v. 29.5.1967 – VII ZR 297/64, BB 1967, 776 = NJW 1967, 2153; OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 309; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Wauschkuhn, Rn 1016. Dazu zählen beim HV-ähnlichen Mittler die Analogievoraussetzungen, siehe Wauschkuhn a. a. O. 4034 BGH NJW 1967, 2153; NJW 1982, 1757 = MDR 1982, 821; NJW 1996, 848 = MDR 1996, 371; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.4.2006 – 21 U 10/05, BeckRS 2006 12472 – Kfz-Vertragshändler; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 309. 4035 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126). 4036 OLG München, Urt. v. 20.12.2017 – 7 U 260/17, IHR 2018, 123 (126). 4037 BGH, Urt. v. 29.5.1967 – VII ZR 297/64, BB 1967, 776 = NJW 1967, 2153; zust. Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts4 § 77 Rn 44. 4038 OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 11. 4039 OLG München, Urt. v. 15.1.1992 – 7 U 6923/90, NJW-RR 1992, 1191; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 229; i. E. auch OLG Düsseldorf – I-16 U 66/02, Urt. v. 24.1.2003 – 16 U 66/02, HVR Nr. 1080 (dort aber nur wegen der Besonderheiten des Falles und der daraus resultierenden Gefahr widersprechender Entscheidungen, ausdrücklich wird vom OLG ein Teilurteil i. V. m. einem Grundurteil für zulässig gehalten); aA mglw. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 309. 4040 Urt. v. 17.1.2006 – 11 U 33/05; ebenso Löwisch ZVertriebsR 2015, 150. 4041 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 40. 4042 BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 41. Emde

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darauf an, welche Provisionen der HV in der Vergangenheit erzielt hat.4043 Das könnte diskutiert werden. Denn bei einem ausgleichsabweisenden Teilendurteil kommt es nicht auf die Höhe des Ausgleichs an. Ein Teilurteil über den Ausgleichsanspruch soll ferner unzulässig sein, wenn der HV im selben Rechtsstreit Provisionsansprüche geltend macht, das Gericht über die Provisionsansprüche aber noch nicht entschieden hat.4044 Denn insoweit bestehe ebenfalls die Gefahr widersprechender Entscheidungen. Auch hier fragt sich, wie das Spannungsverhältnis zu §§ 199, 204 BGB zu behandeln ist. Eine Unabhängigkeit von Ausgleichs- und Provisionsanspruch kann bejaht werden, falls auch die Gerichte höherer Instanz zu dem Ergebnis gelangen, dass Ausgleichsansprüche bereits dem Grunde nach nicht bestehen oder der HV zwar neben dem Ausgleich auch Provisionen geltend macht, hinsichtlich des Ausgleichsanspruchs jedoch ausdrücklich eine abschließende Berechnung vornimmt.4045 Anderenfalls wird die Höhe des Ausgleichs aber zumindest mittelbar durch die Höhe der in der Vergangenheit erzielten Provisionen mit bestimmt (s. etwa § 89b Abs. 2). Sofern die Klage auf Zahlung eines Schadenersatzes nach § 89a Abs. 2 und auf einen HV-Ausgleich nach § 89b durch Teilurteil abgewiesen wird, ist dies unzulässig, wenn bei der Entscheidung über die sich aus dem Buchauszug nach § 87c Abs. 2 ergebenden und in der zweiten Stufe geltend zu machenden Provisionen und Boni erneut zu prüfen ist, zu welchem Zeitpunkt der HV-Vertrag beendet wurde.4046 Eine Feststellungsklage auf Bestehen des Ausgleichsanspruchs dürfte wegen des Vorran- 631 ges der Leistungsklage regelmäßig unzulässig sein. Hier gelten zudem die gleichen Bedenken wie zum Grund- und Teilurteil. Denn die Feststellung wird nur getroffen werden können, sofern alle TB-Elemente des § 89b nachgewiesen wurden.

VII. Berufung Die Berufung gegen ein Urteil kann auf einen bestimmten Betrag begrenzt werden. Es gelten 632 die Ausführungen oben, zum Teilurteil, entsprechend.

VIII. Revision Keinesfalls kann die Revision mit der Erwägung verneint werden, die Voraussetzungen des § 543 633 Abs. 2 ZPO seien angesichts des Charakters der Ausgleichsnorm als Billigkeitsregelung nicht gegeben.4047 Bei dieser Begründung wären Ausgleichsstreitigkeiten niemals revisionsfähig. Die ständige BGH-Rspr. beweist das Gegenteil. Die Bemessung der Höhe des Ausgleichsanspruchs4048 sowie die Vorteils- und Verlustprognose nach § 89b Abs. 1 obliegt grds. dem Tatrichter und ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar.4049 Das gilt insb. im Rahmen der Würdigung aller für die Vorteile des Unternehmers maßgebenden Umstände im Rahmen des § 287 Abs. 2 ZPO.4050 Auch die Sogwirkung von Lage, Markt oder Preis unterliegt dem Kernbereich tatrichterlichen Schätzungsermessens und kann von Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter ausreichende Feststellungen zu den für seine Schätzung maß-

4043 4044 4045 4046 4047

OLG München, Beschl. v. 21.5.2015 – 23 U 1151/15, BeckRS 2015, 09713 Rn 13. OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 240/06, OLGR 2007, 790. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2010 – 16 U 191/09, BeckRS 2010, 24310. OLG München, Beschl. v. 8.2.2018 – 23 U 1932/17, ZVertriebsR 2018, 103 Rn 12. So aber OLG Frankfurt/M., Urt. v. 4.9.2007 – 5 U 87/06; v. 31.7.2007 – 5 U 255/03, BeckRS 2009, 13200 (KfzVertragshändler). 4048 BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248 (249) unter III 3. 4049 BGH, Urt. v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242 (1243). 4050 BGH, Urt. v. 28.3.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242 (1243). 587

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geblichen Umständen getroffen hat.4051 Die Frage, ob ein begründeter Anlass i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 vorliegt, ist in der Revisionsinstanz nur darauf überprüfbar, ob das Berufungsgericht den rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend bestimmt hat und keine wesentlichen Tatumstände außer Acht gelassen hat.4052

T. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz I. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz des Unternehmers 1. Anspruchsentstehung 634 Der Ausgleichsanspruch des § 89b Abs. 1 setzt voraus, dass das Vertragsverhältnis zwischen HV und Unternehmer beendet ist. Diese Voraussetzung ist gegeben, da der HV-Vertrag ipso iure mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet (§§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO).4053

2. Insolvenzrechtliche Einordnung des Anspruchs 635 Zu den Unternehmervorteilen und den sich daraus ergebenden Problemen vgl. oben. Der Ausgleichsanspruch gem. § 89b Abs. 1 ist für gewöhnlich nur einfache Insolvenzforderung.4054 Er stellt nur dann eine vorab zu befriedigende Masseforderung dar, falls ein vom Insolvenzverwalter erst nach Verfahrenseröffnung mit dem HV abgeschlossenes Vertragsverhältnis beendet wird.4055 Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens können die gegen den Insolvenzschuldner gerichteten Ausgleichsansprüche nur noch gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.

II. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz des HV 636 Die TB-Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs nach § 89b werden im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des HV nicht immer erfüllt sein. Der Ausgleichsanspruch nach § 89b setzt voraus, dass das Vertragsverhältnis beendet wurde. Im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des HV erfolgt keine ipso iure Beendigung des HV-Vertrages wie im Falle der Unternehmerinsolvenz. Der Unternehmer hat aber die Möglichkeit, den Vertrag ordentlich oder aus wichtigem Grund zu kündigen. Das Vertragsverhältnis kann zudem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben oder durch Erreichen der Altersgrenze beendet worden sein.4056 Die ordentliche Kündigung (§ 89) des Unternehmers ohne wichtigen Grund führt gem. § 89b Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 zu seiner Ausgleichspflicht. Die außerordentliche Kündigung des Unternehmers gem. § 89a wäre nur

4051 BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, BB 2010, 1685 = DB 2010, 1343 Rn 31 (Tankstellen-HV); v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, BB 2010, 600 Rn 52 m. Anm. Lang/Klein – Kfz-Vertragshändler; v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 43; v. 4.5.2005 – VIII ZR 123/04, NJW-RR 2005, 1157; v. 12.9.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 54 m. Anm. Emde. 4052 BGH, Urt. v. 26.1.1984 – I ZR 188/81, BB 1984, 1893. 4053 Emde/Kelm ZIP 2005, 58 (62); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 75. 4054 Emde/Kelm ZIP 2005, 58 (63); Glanegger/Ruß § 89b Rn 6. 4055 Westphal I Rn 1303. 4056 Emde/Kelm ZVI 2004, 382 (384); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 663. Emde

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dann ausgleichsschädlich, wenn er sich auf einen wichtigen Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV berufen könnte (§ 89b Abs. 3 Nr. 2). Dazu oben. Dem HV gibt die eigene Insolvenz keinen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1. Gerät der HV nach einer bereits erklärten Kündigung, jedoch vor Vertragsbeendigung, in Insolvenz und stellt daraufhin seinen Geschäftsbetrieb vor Vertragsbeendigung ein, liegt eine zur ausgleichsschädlichen Kündigung des Unternehmers berechtigende Vertragsverletzung vor. Die Begründung, der Ausgleich entfiele, weil bei unterstellter Fortführung des Vertrages der HV keine Rabatte entsprechend § 89b Abs. 1 Nr. 2 erwirtschaftet werden könnten,4057 dürfte nach der Entscheidung des BGH v. 6.10.2010,4058 derzufolge die Insolvenz den Ausgleich nicht ausschließt, schwer zu begründen sein. Der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Ausgleichsanspruch fällt gem. § 35 InsO zu Gunsten der Gläubiger in die Insolvenzmasse.4059 Er ist kein insolvenzfreies Vermögen des HV. Kündigt der Unternehmer den Vertrag, weil der Mittler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt hat, ist die nach der Eröffnung erklärte Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen gem. §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO insolvenzrechtlich unwirksam.4060 Die Kündigung stellt eine Rechtshandlung nach § 129 Abs. 1 InsO dar, die auf dem Willen des Handelnden beruht und kraft Gesetzes die Ausgleichspflicht nach § 89b herbeiführt. Die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit ergreift nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage und nicht die Kündigung.4061 Ein Wertungswiderspruch zu § 95 InsO besteht nicht. Denn der Unternehmer darf auch dann nicht mit Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch aufrechnen, wenn er den Vertriebsvertrag erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt hätte. Auch nach der Eröffnung hätte der Vertrag gekündigt werden müssen, damit ein Ausgleichsanspruch entsteht und fällig wird, so dass die Voraussetzungen des § 95 InsO nicht gegeben sind.4062 Soweit die Kündigung eines Vertragshändlervertrages in der Entscheidung des BGH v. 25.9.2008 – IX ZR 223/05, Rn 2 für insolvenzrechtlich unanfechtbar gehalten wurde, hält der BGH an dieser Auffassung nicht mehr fest.4063

4057 Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211) für den Vertragshändlervertrag. Begründung dieser Ansicht: Für die Provisionsverluste sei nicht die Vertragsbeendigung ursächlich, sondern die Insolvenz und die Einstellung des Geschäftsbetriebs. 4058 BGH, Urt. v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, DB 2010, 2667 = ZIP 2010, 2350 (2352) Rn 24 – VOLVO-Vertragshändler. 4059 Emde/Kelm ZVI 2004, 382 (384);Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 663; aA: Glanegger/Ruß § 89b Rn 7, unter Hinweis darauf, dass im Fall der Kündigung durch den Unternehmer wegen der Insolvenz des HV das Ende des Vertragsverhältnisses und demzufolge auch die Anspruchsentstehung erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen. Hier wird offenbar verkannt, dass gemäß § 35 InsO gerade auch der Neuerwerb des Gemeinschuldners zum Schutz der Gläubiger in die Insolvenzmasse fällt. Zum alten Recht und dieser früher umstrittenen Frage vgl. nur Staub/Brüggemann HGB 4. Aufl. § 89b Rn 20. 4060 BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 191/12, NJW-RR 2013, 1142 = BB 2013, 2001 = MDR 2013, 877 = WM 2013, 1132 = EWiR 2013, 553 (Eckardt) – Vertragshändlervertrag; OLG Braunschweig, Urt. v. 20.7.2012 – 2 U 132/11, ZIP 2012, 1872 (1873) = EWiR 2012, 737 (Krüger) – Vertragshändlervertrag; aA wohl BGH, Beschl. v. 25.9.2008 – IX ZR 223/05 (in BGH v. 7.5.2013 – IX ZR 191/12, NJW-RR 2013, 1142 aufgegeben); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 40; auch die ältere Rechtsprechung zu § 55 Nr. 2 KO, etwa OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.12.1984 – 9 U 100/84, WM 1985, 235; LG Osnabrück, Urt. v. 16.2.1994 – 8 O 280/93, HVR Nr. 782; Hoffstadt DB 1983, 645 (648). 4061 BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 191/12, NJW-RR 2013, 1142 = NJW-RR 2013, 1142 = BB 2013, 2001 = MDR 2013, 877 = WM 2013, 1132 = EWiR 2013, 553 (Eckardt) Rn 8. 4062 BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 191/12, NJW-RR 2013, 1142 = NJW-RR 2013, 1142 = BB 2013, 2001 = MDR 2013, 877 = WM 2013, 1132 = EWiR 2013, 553 (Eckardt) Rn 11. 4063 BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 191/12, NJW-RR 2013, 1142 = NJW-RR 2013, 1142 = BB 2013, 2001 = MDR 2013, 877 = WM 2013, 1132 = EWiR 2013, 553 (Eckardt) Rn 12. 589

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U. Rückforderung des gezahlten Ausgleichs durch den Unternehmer I. Zum Rechtsgrund 637 Erfolgte die Ausgleichszahlung, obwohl eine der TB-Voraussetzungen des § 89b nicht erfüllt war, kann der Unternehmer den Ausgleich nach den in Anspruchskonkurrenz stehenden §§ 812,4064 826,4065 242 BGB, § 313 Abs. 1 BGB4066 bzw. einem aus Treupflichten begründeten vertraglichen Rückzahlungsanspruch (ggf. nach § 280 BGB) rückfordern.4067 Das LG Freiburg4068 hat die Rückforderung des Ausgleichs bei – an sich zulässiger Abwerbung ausgleichsrelevanter Kunden – aus § 313 Abs. 1 BGB hergeleitet. Indem der HV den Ausgleich nach den „Grundsätzen“ angenommen habe, habe er sich damit einverstanden erklärt, den Bestand für eine gewisse Zeit unangetastet zu lassen. Dies sei objektive Geschäftsgrundlage geworden. Zwar dürfe der HV in den Bestand eingreifen. Wenn er gleichwohl den geleisteten Ausgleichsanspruch behalte, komme dies einer Äquivalenzstörung gleich. Denkbar ist die Rückforderung insbesondere in folgenden Konstellationen: – es stellt sich nach Vertragsende das Fehlen eines TB-Merkmals des § 89b heraus, insbesondere, – es fehlen oder reduzieren4069 sich die Unternehmervorteile, – es findet sich nach Vertragsende ein wichtiger Kündigungsgrund, welcher zur Kündigung ohne Abmahnung berechtigt hätte (Ausgleichsausschlussgrund),4070 – es mangelt an der Billigkeit der Ausgleichsvergütung, wobei sich mangelnde Billigkeit auch aus nachvertraglichen Umständen, etwa aus nachvertraglichem Wettbewerb oder einer anderen wettbewerbswidrigen Verhaltensweise – etwa der Nutzung der Geschäftsgeheimnisse des bisherigen Unternehmers4071 bzw. einem erst nach Vertragsende bekannt gewordenen vertragswidrigen Verhalten des HV während der Vertragsdauer4072 – ergeben kann. 638 Ein Problem der Rückforderung ist die für die Ausgleichshöhe nötige Vorteilsprognose bei Vertragsende: Liegt der Rückforderungsgrund in Umständen begründet, die sich erst nach Vertragsende manifestieren, etwa in nachvertraglichem Wettbewerb des HV und deshalb entfallender Billigkeit oder wegfallenden Unternehmervorteilen – wird ein Rückforderungsrecht problematisch. Denn ein Rückforderungsrecht des Unternehmers oder ein gegen den HV gerichteter Nachzahlungsanspruch, insb. aus § 812 BGB, sollen ausscheiden, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsendes Vorteile prognostiziert werden durften.4073 In der Praxis wird dies nicht problemati-

4064 OLG Rostock, Urt. v. 4.4.2009 – 1 U 57/08, NJW-RR 2009, 1631 = EWiR 2009, 385 (Emde) – bestätigt durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 8.3.2011 – VIII ZR 75/09; LG Stralsund, Urt. v. 18.12.2007 – 4 O 220/07, n. v.

4065 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 28. 4066 LG Freiburg/Breisg., Urt. v. 20.3.2008 – 1 O 312/07; Ebenroth/Löwisch2 § 89b Rn 33. 4067 LG Düsseldorf, Urt. v. 30.4.1993 – 39 O 145/92, zit. nach Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVI Rn 9; OGH Wien, Urt. v. 21.12.2011 – 6 Ob 88/11a, ZVertriebsR 2012, 134. 4068 LG Freiburg/Breisg., Urt. v. 20.3.2008 – 1 O 312/07. 4069 OGH Wien, Urt. v. 21.12.2011 – 6 Ob 88/11a, ZVertriebsR 2012, 134. 4070 Etwa LG Düsseldorf, Urt. v. 30.4.1993 – 39 O 145/92, zit. nach Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVI Rn 9 bei verheimlichter Wettbewerbstätigkeit); LG Stralsund, Urt. v. 18.12.2007 – 4 O 220/07, n. v. Wie oben dargestellt genügt es gem. früher h. M. für den Ausgleichsauschluss nach § 89b Abs. 2 Nr. 2, wenn objektiv ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Unternehmers zu bejahen ist. Nach heute h. M. folgt dies nur aus dem Billigkeitsgrundsatz. 4071 In dem Verfahren LG Braunschweig – 81 AR 943/05 haben die Parteien in dieser Sachverhaltsvariante in einem vorgeschalteten Mediationsverfahren einen Vergleich geschlossen. 4072 OLG Rostock, Urt. v. 4.4.2009 – 1 U 57/08, NJW-RR 2009, 1631 = EWiR 2009, 385 (Emde), best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 8.3.2011 – VIII ZR 75/09. 4073 BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96; NJW 1998, 71; Hopt § 89b Rn 16; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 33. In dieser Entscheidung dürfte aber eine grundsätzliche Anerkennung eines Rückzahlungsanspruches zu finden sein. Emde

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siert.4074 Wie ausgeführt vertrat der BGH in seiner Entscheidung vom 6.8.1997,4075 Unternehmervorteile und Provisionsverluste seien durch eine Prognose zu ermitteln, die zum Zeitpunkt der Beendigung des HV-Vertrages (bei optimaler Kenntnis) erfolgen müsse. Die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse während des anschließenden Prognosezeitraums könne nur berücksichtigt werden, soweit sie zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung abzusehen sei. Das Urteil ergreift seinem Wortlaut nach zwar nicht alle TB-Voraussetzungen des § 89b, sondern nur die Vorteils- und Verlustprognose. Es dürfte aber auch für die übrigen TB-Merkmale gelten. Zweifelhaft kann dies allenfalls bei Billigkeitserwägungen sein, welche eine umfassende Abwägung und ein vollständiges Korrektiv ermöglichen sollen. In den insoweit maßgeblichen Fällen wird sich allerdings bereits ein Schadenersatzanspruch oder ein aus Treupflichten (§ 242 BGB) begründeter vertraglicher Rückforderungsanspruch darstellen lassen. Die zum Ausgleichsauschluss oder zur Ausgleichsreduzierung leitenden Umstände müssen daher – um ein Rückforderungsrecht zu begründen – aus der Sicht eines perfekt informierten, objektiven Dritten bei Vertragsende vorhersehbar gewesen und nur deshalb nicht in die Prognose eingeflossen sein, weil sie dem Unternehmer ohne Tatsachenblindheit verborgen blieben. Leitbild ist der vom HV verheimlichte, unzulässige Wettbewerb.4076 Waren dem Unternehmer die die Rückforderung begründenden Umstände zum Zeitpunkt der Zahlung des Ausgleichs bekannt, kann die Rückforderung ausnahmsweise nach § 814 BGB ausgeschlossen sein. Allenfalls in Evidenzfällen wäre eine Anpassung nach den §§ 242 BGB, 826 BGB oder den Grundsätzen des WGG denkbar. Es gilt daher: Fehlte bereits im Zeitpunkt des Vertragsendes (Prognosezeitpunkt) ein TB-Merkmals oder existierte ein Ausschlussgrund (Paradigma vertragsbegleitender, aber unerkannter Wettbewerb) bzw. war das Fehlen oder die Existenz absehbar (etwa: bei Vertragsende sichtbarer nachvertraglicher Wettbewerb) und blieb dieser Umstand dem Unternehmer ohne Rechtsblindheit unerkennbar, ist eine Pflicht zur Rückzahlung eines Teils oder des ganzen Ausgleichs vertretbar.4077 Die Anlagerechtsprechung (Rn 198) steht nicht entgegen. Das teilweise oder vollständige Zahlungsverweigerungsrecht war von vornherein angelegt. Auch nachvertraglicher Wettbewerb des HV kann zum Zeitpunkt des Vertragsendes angelegt sein, etwa infolge einer bereits vor Vertragsende erfolgten, aber zunächst unbekannten Unterzeichnung des HV-Vertrages mit einem Wettbewerber oder anderen Vorbereitungshandlungen.4078 Die Entscheidung des BGH v. 6.8.1997,4079 mit der die Anlagerechtsprechung begründet 639 wurde, betraf einen Sachverhalt, in welchem der Ausgleich noch nicht gezahlt worden war und in welchem um ihn bis zur Entscheidung prozessiert wurde. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Gerichte einen „rigorosen Schlussstrich“ um Ausgleichsstreitigkeiten ziehen wollen, in welchen der Unternehmer vorprozessual einen Ausgleich gezahlt hat. Dafür könnten sie sich auf die Ansicht von Thume stützen, nach Leistung des Ausgleichs bestehe kein Rückforderungsrecht des Unternehmers.4080 Eine Kondiktion der Zahlung scheide dann aus. Das Gegenargument lautet wie folgt: Es darf keinen Unterschied machen, ob der Ausgleich bereits gewährt wurde oder über ihn zur Zeit des Rückforderungsverlangens noch gestritten wird. Anderenfalls würde der Unternehmer benachteiligt, der leistet, ohne die Gerichte zu bemühen.4081 Allenfalls liegt, wollte man in der Zahlung ein bewusstes Anerkenntnis des Unternehmers sehen,4082 die 4074 Etwa OLG Rostock, Urt. v. 4.4.2009 – 1 U 57/08, NJW-RR 2009, 1631 = EWiR 2009, 385 (Emde), best. durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 8.3.2011 – VIII ZR 75/09. BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71. LG Düsseldorf, Urt. v. 30.4.1993 – 39 O 145/92, zit. nach Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVI Rn 9. Im Ergebnis OLG Rostock, Urt. v. 4.4.2009 – 1 U 57/08, NJW-RR 2009, 1631 = EWiR 2009, 385 (Emde). Siehe bereits Emde EWiR 2000, 238. NJW 1998, 71. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVI Rn 7. Vgl. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 32. Diese Einordnung dürfte zweifelhaft sein, weil sich der Unternehmer mit der Zahlung nicht zu Umständen erklärt, über die er im Leistungszeitpunkt keine Kenntnis hat. Hätte er Kenntnis wäre der Rückforderungsanspruch mglw. gem. § 814 BGB ausgeschlossen.

4075 4076 4077 4078 4079 4080 4081 4082

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Beweislast für die Voraussetzungen der Kondiktion beim HV. Diese Beweislastverteilung ergibt sich jedoch bereits aus § 812 BGB, weil derjenige, der rückfordert, die Anspruchsvoraussetzungen des § 812 BGB darlegen und beweisen muss. Außerdem fehlt fast durchweg Anerkenntnis im Bewusstsein aller relevanten Tatsachen.

II. Zur Höhe der Rückforderung 640 Eine Folgefrage ist, in welcher Höhe zurückgefordert werden kann. Je nach der Schwere des nach Zahlung bekannt werdenden Verstoßes kommt sowohl eine Reduzierung des Ausgleichs4083 oder seine vollständige Rückforderung in Betracht. Eine vorhersehbare nachvertragliche Konkurrenztätigkeit des HV sowie die Mitnahme seiner Kunden zu einem Konkurrenzunternehmer, der vergleichbare Produkte vertreibt, wird regelmäßig eine Minderung4084 oder den Wegfall der Unternehmervorteile und/oder Provisionsverluste zur Folge haben.4085 Der BGH hat für eine solche Wettbewerbstätigkeit einen Abzug von 25 % unbeanstandet gelassen4086 und dabei den weiten Ermessensspielraum des Tatrichters betont. Sofern sich der Anteil der abgeworbenen Kunden nicht konkret feststellen und sich eine Alternativberechnung des Ausgleichs ohne den abgeworbenen Kundenkreis nicht durchführen lässt, könnte an eine Rückforderung von 25 % des Ausgleichs als Schätzgröße nach § 287 ZPO gedacht werden. Das AG Walsrode4087 hat im Falle nachvertraglichen Wettbewerbs eine Rückforderung von einem Sechstel des gezahlten Ausgleichs für angemessen gehalten. Die Parteien hatten sich bei Ausgleichszahlung darauf geeinigt, dass der HV eine Tätigkeit in seinem bisherigen Versicherungsbestand unterlassen sollte. Der Ausgleich war zudem nach einem Schreiben des Versicherers in der Erwartung gezahlt worden, dass der HV alles unterlasse, was zu einer Schmälerung seines Bestandes führen könnte. Das AG unterstellte, eine Schmälerung des Bestandes um 30 % innerhalb von 20 Monaten könne nur auf eine Abwerbung des alten VV zurückzuführen sein. Diesen Erfahrungssatz habe der HV nicht widerlegt. 641 Die Frage der Rückforderung des Ausgleichs infolge nachvertraglichen Wettbewerbs hat im VV-Recht in den „Grundsätzen“ eine Sonderregelung erfahren. Denn gem. Ziffer VII der Grundsätze Sach-, Leben- und Kranken sowie Ziffer VIII zu den Grundsätzen Bauspar- und Finanzdienstleistungen setzt die Zahlung des Ausgleichs durch das Unternehmen voraus, dass der HV die Versicherungsverträge, für die er abgefunden wurde, unangetastet lässt. Dies ist nicht nur ein Gebot der Fairness; die Nichtbeachtung kann zu einem Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung führen. Der Rückforderungsanspruch – so Thume4088 – ließe sich damit rechtfertigen, dass der Ausgleich dem ausgeschiedenen VV gerade deshalb gezahlt werde, da ihm die bereits verdiente Provision für diesen Bestand infolge der Vertragsbeendigung verloren gehe, während der Versicherer den Bestand fortan nutzen könne. Wenn dieser Tatbestand durch den ausgeschiedenen VV „auf den Kopf“ gestellt werde, indem er den Bestand einem anderen Unternehmen zuführe, während das bisher vertretene Unternehmen den Bestand verliere, könne es als gerechtfertigt angesehen werden, dass der HV dem zuvor vertretenen Unternehmen den Ausgleich ganz oder teilweise zurückzahlen müsse. Nicht anders als im Fall rechtskräftiger Titel kann auch aus einer sittenwidrigen Täuschung nach § 826 BGB ein Korrekturrecht jeder Seite folgen. Ferner muss jede Partei die für die Ausgleichsberechnung erheblichen Umstände der anderen Seite offenbaren, sofern sie auf die Ausgleichsberechnung 4083 4084 4085 4086 4087 4088

OGH Wien, Urt. v. 21.12.2011 – 6 Ob 88/11a, ZVertriebsR 2012, 134. OGH Wien, Urt. v. 21.12.2011 – 6 Ob 88/11a, ZVertriebsR 2012, 134. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 145. BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, ZIP 1996, 1294 (1297). Urt. v. 21.1.1983 – 7 C 604/82, wiedergegeben bei Müller-Stein VW 1998, 260. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 272. Hopt Handelsvertreterrecht, 3. Aufl. 2003, 2. Teil, B I 1 Hinweise zur Anwendung der „Grundsätze Sach“. Emde

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wesentlichen Einfluss haben (§ 242 BGB). Unterlässt sie dies, liegt hierin eine Schlechterfüllung des nachvertraglichen Schuldverhältnisses. Sie berechtigt zu Schadenersatzansprüchen. So hat das LG Düsseldorf4089 das Verschweigen der Konkurrenztätigkeit eines HV als zum Schadenersatz verpflichtende Handlung angesehen und einem Rückforderungsanspruch des Unternehmers stattgegeben. Das folgt auch aus dem Billigkeitsgrundsatz, der bei heimlichem Wettbewerb ein Rückforderungsanspruch begründet, falls der Unternehmer im Falle offenen Wettbewerbs außerordentlich gekündigt hätte. Aus der Heimlichkeit dürfen dem Unternehmer keine Nachteile entstehen.

V. Steuer- und Bilanzrecht 1. Gewerbesteuerliche Erfassung des Ausgleichs beim HV Der HV mit dem ihm gezahlten Ausgleich gewerbesteuerpflichtig.4090 Die Ausgleichszahlung 642 erhöht auch dann den Gewerbeertrag, wenn sie auf Grund der Beendigung eines HV-Vertrags geleistet wird, die mit der Aufgabe der gewerblichen Tätigkeit zusammenfällt,4091 was mglw. im Spannungsverhältnis dazu steht, dass Rückstellungen nicht gebildet werden dürfen (s. u.). In der Entscheidung DB 1973, 2073 hebt der BFH auf die zivilrechtliche Betrachtung ab, wonach der Ausgleich auf der Ebene des laufenden Gewinnes stehe insofern, als er i. S. e. zusätzlichen Vergütung für in der Vertragszeit geleistete und nach Vertragsende fortwirkende Dienste bezahlt werde. Ist der HV eine natürliche Person und ermittelt seinen Gewinn durch Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG und gibt er zugleich mit dem HV-Vertrag jegliche werbende Tätigkeit auf, ohne die wesentlichen Betriebsgrundlagen zu veräußern oder in sein Privatvermögen zu überführen und ohne gleichzeitig zur Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich überzugehen, soll der Ausgleichsanspruch nicht der Gewerbesteuer unterliegen, weil die Gewerbesteuerpflicht bereits mit der tatsächlichen Betriebseinstellung endet und der Zufluss zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem keine Gewerbesteuerpflicht mehr besteht.4092

2. Umsatzsteuer Der Ausgleichsanspruch ist eine Gegenleistung auch für den Vermittlungserfolg und unterfällt 643 ebenso wie die für die Vermittlung gezahlten Honorare der Umsatzsteuer.4093 Wenn diese Leistungen für den Auftraggeber steuerfrei erbracht werden, etwa weil sich der Leistungserfolg der Vermittlungsleistung im Ausland verwirklicht (§ 4 Nr. 5 lit c UStG), es sich um die Vermittlung durch Bauspar- oder Versicherungsvertreter (§ 4 Nr. 11 UStG) oder von bestimmten Finanzdienstleistungen (§ 4 Nr. 8 lit. a) und f)) handelt, wird der Ausgleich nach Beendigung des Vertragsver-

4089 Urt. v. 30.4.1993 – 39 O 145/92, zit. nach Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVI Rn 9. 4090 BFH, Urt. v. 26.11.2009 – III R 110/07, BeckRS 2009, 25016159; DB 1981, 920; BB 1969, 483; 1965, 281; Flohr/ Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 325.

4091 BFH, Urt. v. 26.11.2009 – III R 110/07, BeckRS 2009, 25016159; v. 19.2.1987 – IV R 72/83, BFHE 149, 188, BStBl II 1987, 570; v. 2.4.2008 – X R 61/06, BFH/NV 2008, 1491; Beschl. v. 17.3.2009 – X B 225/08, BFH/NV 2009, 967; aA FinG Berlin DB 1978, 1312; FinG Karlsruhe DB 1979, 2349 sowie Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 89b Rn 141: Der Ausgleich werde dafür gezahlt, dass der HV die Vertretung aufgebe oder auf Grund einer nicht aus wichtigem Grunde ausgesprochenen Kündigung des Unternehmers aufzugeben gezwungen sei. Sie sei nicht der „letzte Akt der Einnahmen aus dem Gewerbebetrieb“, sondern habe dessen Einstellung zur Voraussetzung. 4092 BFH, Urt. v. 10.7.1973 – VIII R 34/71, BStBl. II 1973, 786 (787); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 325. 4093 OLG Celle, Urt. v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230 Rn 68; Otto in: Küstner/Thume II9 Kapt. XXII Rn 110 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 327. 593

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hältnisses nicht mit Umsatzsteuer belastet.4094 Sofern der HV teilweise steuerpflichtige und teilweise nicht steuerpflichtige Leistungen erbracht hat, ist der Ausgleich entsprechend aufzuteilen.4095

3. Einkommensteuer 644 Nach der st. Rspr. des BFH erhöht die Ausgleichsforderung nach § 89b auch dann den laufenden Gewinn (Gewerbeertrag), wenn sie aufgrund der Beendigung eines HV-Vertrages geleistet wird, der mit der Aufgabe der gewerblichen Tätigkeit zusammenfällt. Die Ausgleichszahlung ist – als letzter Geschäftsvorfall – Bestandteil des laufenden Gewinns,4096 wenn der Gewerbebetrieb mit der Beendigung des HV-Vertrages veräußert oder aufgegeben wird. Als zusätzlicher Vergütungsausschuss für die vor Vertragsende geleisteten und nach Vertragsende fortwirkenden Dienste folgt er unmittelbar aus dem HV-Verhältnis und setzt keinen besonderen Willensentschluss voraus, wie ihn die Aufgabe einer Tätigkeit oder eines Gewerbebetriebs erfordert.4097 Sie ist nicht dem Aufgabe- oder Veräußerungsgewinn zuzuordnen. Dies gilt auch dann, wenn die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs des HV zusammenfällt.4098 Provisionen, die VV für den Abschluss privater Versicherungsverträge durch sie selbst oder durch ihren Ehegatten erhalten, sind in gleicher Weise wie Provisionen für die Vermittlung von Verträgen an Dritte Betriebseinnahmen.4099 Führt der Anspruch zu laufendem Gewinn, so kommt hierfür die Steuerbegünstigung für außerordentliche Einkünfte nach § 34 EStG in Betracht,4100 es sei denn, der HV ist eine Kapitalgesellschaft.4101 Als Ausgleichszahlungen an HV i. S. der §§ 24 Nr. 1 lit. c, 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG gelten auch die Ausgleichsansprüche der VV. Denn diese erhalten über § 89b Abs. 5 einen Ausgleichsanspruch, der grds. dem eines HV entspricht.4102 Führt der Ausgleichsanspruch zu außerordentlichen Einkünften i. S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG, so ist eine Steuerbegünstigung nur nach Maßgabe des Abs. 1 der Vorschrift (sog. Fünftel-Regelung) zu gewähren; die in Abs. 3 der Norm geregelte Steuerbegünstigung kommt nicht zur Anwendung, denn sie wird auf Antrag nur für Veräußerungsgewinne i. S. v. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG gewährt. Soweit ein HV im Veranlagungszeitraum übergreifend Vorauszahlungen als Teilzahlungen auf einen Ausgleichsanspruch erhält, sind diese nicht in dieser Weise steuerlich begünstigt.4103 Wenn ein Vergleich Einbußen aus einer Provisionskürzung ausgleicht, liegt hingegen eine nach einem ermäßigten Steuersatz zu berechnende Entschädigung vor.4104 Auf die von einem HV gezahlte Ablösesumme des dem VorgängerHV zustehenden Ausgleichsanspruchs durch Vereinbarung mit dem Unternehmer findet die zwingende typisierende Regelung des § 7 Abs. 1 S. 3 EStG zur betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des 4094 4095 4096 4097

BFH BB 1998, 2297 = DB 1998, 2403; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 328, 330 f. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 328. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 324. BFH, Beschl. v. 11.4.2012 – X B 56/11, BeckRS 2012, 95369; v. 9.2.2011 – IV R 37/08, BFH/NV 2011, 120; v. 17.3.2009 – X B 225/08, BFH/NV 2009, 967. 4098 BFH, Urt. v. 9.2.2011 – IV R 37/08; v. 14.10.1980 – VIII R 184/78, BFHE 131, 520, BStBl II 1981, 97; v. 25.7.1990 – X R 111/88, BFHE 162, 38, BStBl II 1991, 218; im Zusammenhang mit der Bestimmung des Gewerbeertrags nach § 7 GewStG gleichfalls für laufenden Gewinn z. B. BFH, Urt. v. 24.11.1982 – I R 60/79, BFHE 137, 360, BStBl II 1983, 243; v. 19.2.1987 – IV R 72/83, BFHE 149, 188, BStBl II 1987, 570; v. 26.11.2009 III R 110/07, BFH/NV 2010, 1304, m. w. N.; BFH, Beschl. v. 17.3.2009 – X B 225/08, BFH/NV 2009, 967. 4099 BGH, Urt. v. 14.3.2012 – X R 24/10, BB 2012, 1337 = DB 2012, 1075; v. 14.3.2012 – X R 29/11, BeckRS 2012, 95765; BFHE 186, 256; BStBl. II 1998, 618. 4100 BFH, Urt. v. 27.10.2015 – X R 12/13, IHR 2016, 262 Rn 23; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 324. 4101 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 324. 4102 BFH, Urt. v. 9.2.2011 – IV R 37/08. 4103 BFH, Urt. v. 27.10.2015 – X R 12/13, IHR 2016, 262 Rn 25. 4104 BFH, Urt. v. 27.10.2015 – X R 12/13, IHR 2016, 262 Rn 30. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

Geschäfts- oder Firmenwerts keine Anwendung. Die auf das erworbene Recht vorzunehmende AfA bemisst sich nach der im Schätzungswege für den konkreten Einzelfall zu bestimmenden betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer.4105 Verzichtet eine mit dem Unternehmer gesellschaftsrechtlich verbundene Vertriebsgesellschaft auf den Ausgleichsanspruch, kann hierin eine unter Dritten üblicherweise nicht vereinbarte verdeckte Gewinnausschüttung liegen, die der Tochtergesellschaft zugerechnet wird. Auf der Ebene der Muttergesellschaft kann sie zu Einkünften aus Kapitalvermögen führen, die ebenfalls zu versteuern sind.4106 Vereinbaren die Parteien ein ausländisches Recht, welches einen Ausgleichsanspruch nicht kennt, ist dies auch steuerrechtlich anzuerkennen (und führt zu keiner verdeckten Gewinnausschüttung), wenn auch ein Dritter ein solches Recht vereinbart hätte.4107 Davon kann regelmäßig nicht ausgegangen werden, wenn es sich um ein unverbundenes Recht handelt, etwa ein Drittrecht.4108 Erhält ein HV wegen der Absenkung der ursprünglich vereinbarten Provisionssätze und der sich daraus ergebenden Entwertung seines künftigen Ausgleichsanspruchs eine Entschädigung, entfällt die gem. § ESTG § 34 Abs. ESTG § 34 Absatz 2 Nr. 2 i. V. m. § ESTG § 24 Nr. 1a EStG zu gewährende Tarifermäßigung nicht deshalb, weil die Vertragsparteien diese Entschädigungszahlung auch als Vorauszahlung auf den künftigen Entschädigungsanspruch deklariert haben.4109 Beendet der HV seine bisherige Vertretung und übernimmt er anschließend eine andere Vertretung, liegt keine tarifbegünstigte Betriebsaufgabe, sondern eine nicht steuerbegünstigte Betriebsverlegung vor. Eine Entschädigung für die Nichtausübung einer Vertretertätigkeit bis zur zivilrechtlichen Beendigung des HV-Vertrages im gleichen Jahr unterliegt – unabhängig von der Zahlung eines Ausgleichs nach § 89bHGB § – mangels Zusammenballung von Einkünften nicht dem ermäßigten Steuersatz gem. § 34 ESTG § Abs. 1 ESTG § 34 Absatz EStG.4110 Leistungen aus einer kapitalgedeckten Lebensversicherung, die aus Billigkeitsgründen auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen sind, stellen keine Betriebseinnahme dar, wenn der Ausgleichsanspruch wegen der Altersversorgung unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht entsteht. Dann bilden die Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag keine Entschädigung für einen entgangenen Ausgleichsanspruch, sondern eigenständige Altersversorgungsansprüche, die die Entstehung des Anspruchs nach § 89b verhinderten. Insoweit sind die Einnahmen aus dem Ausgleichsanspruch nicht ausgefallen, sondern gar nicht erst angefallen.4111 Wurde in einem VVVertrag vereinbart, dass eine mit Beiträgen des Versicherers aufgebaute Lebensversicherung auf den Ausgleichsanspruch angerechnet werden soll, richtet sich die steuerrechtliche Behandlung einer Kapitalzahlung, die aufgrund des Lebensversicherungsvertrages nach Erreichen der Altersgrenze geleistet wird, nach den für Einkünfte aus Kapitalvermögen geltenden Vorschriften. Der Umstand, dass die Kapitalzahlung an die Stelle des Ausgleichsanspruchs tritt, rechtfertigt es nicht, sie den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzuordnen.4112

4. Ausgleichsrücklagen des Unternehmers in der Steuerbilanz und in der Handelsbilanz Der Unternehmer wird bestrebt sein, für eine etwaige spätere Ausgleichsverpflichtung Rücklagen 645 in seine Bilanz einzustellen. Über die Berechtigung hierzu sind der BFH für die Steuerbilanz und der BGH für die Handelsbilanz gegenteiliger Auffassung. Der BFH vertritt, auch hier in ständiger

4105 4106 4107 4108 4109 4110 4111 4112 595

BFH, Urt. v. 12.7.2007 – X R 5/05, BeckRS 2007, 24003071. Port/Schnorberger/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 17 (24). Port/Schnorberger/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 17 (25). Port/Schnorberger/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 17 (25). FG München, Urt. v. 26.2.2013 – 6 K 2742/12, DStRE 2014, 275. Schleswig-Holsteinisches FG, Urt. v. 19.2.2013 – 3 K 111/12, DStRE 2013, 973. FG Niedersachsen, Urt. v. 10.4.2014 – 10 K 243/12, BeckRS 2014, 95675 = DStRE 2016, 1. BFH, Urt. v. 8.12.2016 – III R 41/14, VersR 2017, 1232. Emde

§ 89b

1. Buch. Handelsstand

Rechtsprechung seit BStBl. 1958, III S. 110 Nr. 68 den Standpunkt, Rückstellungen in der Steuerbilanz seien nicht zulässig.4113 Die etwaigen künftigen Ausgleichsverpflichtungen seien weder ausreichend konkretisiert noch konkretisierbar, um eine gegenwärtige Last des Unternehmers darstellen zu können. Im Übrigen sei der Ausgleich, wenn er gezahlt werde, eine Gegenleistung für das Wirtschaftsgut „Kundenstamm“, gehöre also zu dessen Anschaffungskosten und rechtfertige schon deshalb keine Rückstellung; anderenfalls müsste auch jenes Wirtschaftsgut demnächst aktiviert werden. Deshalb kann der Unternehmer nach Ansicht des BFH den Ausgleichsanspruch in seiner Steuerbilanz erst im Wirtschaftsjahr der Vertragsbeendigung aufwandswirksam passivieren.4114 Der Unternehmer passiviert den Ausgleichsanspruch als Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten, wenn am Bilanzstichtag des Wirtschaftsjahres der Vertragsbeendigung noch nicht feststeht, ob die Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs erfüllt sind oder in welcher Höhe der HV Ausgleich verlangen kann.4115 Liegen die Voraussetzungen des § 89b dagegen unstreitig vor und steht die Höhe des Ausgleichsanspruchs ebenfalls fest, hat der Unternehmer eine Verbindlichkeit auszuweisen, sofern die Zahlung noch nicht erfolgt ist.4116 Gewiss lässt sich nicht leugnen, dass der Ausgleichsanspruch erst mit der Vertragsbeen646 digung entsteht, nämlich nur nach Maßgabe des dann (noch) vorhandenen Kundenstammes aus den Neuwerbungen des HV, und auch nur für die weitere Ausnutzung künftiger Nachbestellchancen dieses Kundenstammes durch den Unternehmer (womit der Verlust der Provisionschancen für den HV in der Regel parallel geht). Vorher ist er in der Tat kaum konkret zu fassen. Seit Einführung der ausgleichserhaltenden Kündigung wegen „Alters“ im Jahre 1976 kann mindestens eine altersbedingte, ausgleichswahrende Kündigung durch den HV einigermaßen fest in Rechnung gestellt werden. Doch selbst abgesehen hiervon: Auch die Möglichkeit eines künftigen, noch nicht, auch nicht bedingt entstandenen, Anspruchs kann Rückstellungen in der Bilanz rechtfertigen. Dem lässt sich dann jedenfalls nicht mit der Erwägung des BFH entgegentreten, der Ausgleich sei seinem Wesen nach eine Gegenleistung für ein Wirtschaftsgut, und Rückstellungen hierfür seien nichts als die Bereitstellung der Anschaffungskosten. Eine solche Betrachtung verkennt, dass dem Unternehmer der Kundenstamm, wenn er ihm vorteilbringend zufällt, in jedem Falle nach Vertragsbeendigung zufällt, auch wenn ein Ausgleich nicht gezahlt werden muss. Der Ausgleich ist also bilanzmäßig gesehen das Risiko der Minderung dieses Vorteils, den der Unternehmer als Aktivum nicht einmal dann würde bilanzieren dürfen, wenn er tatsächlich anfällt: einer Minderung, die sogar in bar realisiert werden muss und der in der Bilanz kein aktivierbarer Posten gegenübersteht. Aus diesen Gründen werden Rückstellungen entgegen der Auffassung des BFH anzuerkennen sein. Um so weniger wird sich die Passivierbarkeit von Ausgleichsrückstellungen in der Handelsbilanz bezweifeln lassen. Der BGH hält sie für zulässig. Die dafür in BB 1966, 915 gegebene Begründung – der Ausgleichsanspruch sei (und werde laufend) schon während der Vertragszeit aus den Tatsachen heraus verwirklicht, die damals gesetzt worden seien – überzeugt zwar nicht. Gegen eine solche Betrachtungsweise hat sich mit Recht schon Schröder4117 gewandt. Richtig bleibt vielmehr nur die freilich knappe Erwägung des BGH, der Unternehmer müsse mit dem Ausgleich rechnen.

4113 Vgl. etwa BFH, Urt. v. 24.1.2001 – I R 39/00, DB 2001, 1227 = BB 2001, 1241; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 326; aA FinG Düsseldorf DB 1980, 2418 unter dem Gesichtspunkt der nach der Novelle von 1976 gegebenen besseren Konkretisierbarkeit. Kritisch zur mangelnden Zulässigkeit der Rückstellungen Valdini EWiR 2017, 692. 4114 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 326. 4115 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 326. 4116 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 326. 4117 BB 1954, 763. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

W. Der Ausgleichsanspruch des Bauspar- und Versicherungsvertreters Literatur Dreyer/Haskamp Die Unternehmervorteile bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Bausparkassenvertreters, ZVertriebsR 2016, 366; Emde Der Ausgleichsanspruch des Versicherungs- und des Bausparvertreters, VersR 2013, 1333; Emde Der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters, FS für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, 2009, S. 331 ff.; Lilje Die Unternehmervorteile bei der Berechnung des Handelsvertreterausgleichs im Versicherungsvertrieb, ZVertriebsR 2016, 211.

647

I. Einführung Versicherungsvermittler sind gem. § 89b Abs. 5 ausgleichsberechtigt, sofern sie die TB-Voraus- 648 setzungen der §§ 84, 92 erfüllen. Sie werden dann Versicherungsvertreter (VV) genannt, meist in Abgrenzung zum keiner ständigen Absatzförderungspflicht unterliegenden Versicherungsmakler. Gem. § 89b Abs. 5 S. 1 errechnet sich der Ausgleichsanspruch des VV in entsprechender Anwendung des § 89b Abs. 1, 3 und 4. Es gibt also eine Verweisung auf allgemeines Ausgleichsrecht, so dass es mit den in Abs. 5 geregelten Abweichungen bei den allg. Regeln bleibt.

II. Anwendbarkeit der RL Vgl. zunächst die Kommentierung zu Vor § 84 und § 92. Die Ausgleichsgewährung ist nach der 649 RL nicht zwingend, weil der VV – anders als der Warenvertreter – gem. Art. 1 Abs. 2 RL von ihr nicht erfasst wird. So wird etwa einem VV in Ungarn – RL-konform – kein Ausgleichsanspruch4118 gezahlt. Nach § 89b Abs. 5 i. V. m. § 89b Abs. 4 S. 1 ist der Ausgleich des VV allerdings nach deutschem Recht zwingend. Zum Teil wird eine mittelbare Anwendbarkeit bzw. Auslegung der RL auf den VV hergeleitet (s. Kommentierung zu § 92).4119 Der deutsche Gesetzgeber habe die Gleichstellung durch die Verweisung von § 89b Abs. 5 auf Abs. 1 HGB aufrechterhalten. Ein Redaktionsversehen scheine unmöglich. Durch die nationale Gleichstellung des Abs. 5 mit Abs. 1 sei das umgesetzte Recht der RL nationales Handelsrecht. Es gehe damit letztlich um eine Auslegung des § 89b Abs. 1 und um eine Auslegung des auf der RL beruhenden Rechts. Folglich sei zumindest eine mittelbare Auslegung der RL auf den VV und auch seinen Ausgleichsanspruch zu bejahen.4120 Dem ist zuzustimmen, da der eigentliche Regelungsgehalt des Abs. 5 gering ist.4121

III. Besonderheiten im Recht der VV Ausgleichsrechtlich war der VV zumindest vor der Novelle 2009 das „Aschenputtel“ des Ver- 650 triebsrechts.4122 Paradigmatisch sind etwa die Ausführungen von Küstner, der dem Krankenversicherungsvertreter nach dem Recht vor der Novelle 2009 den Ausgleichsanspruch verweigerte.4123 Die gegenüber dem Warenvertreter auf das dreifache angehobene Höchstgrenze des Ausgleichs verschleierte diese Benachteiligung eher. Die Höchstgrenze wurde fast immer verfehlt. Tatsächlich erreichte der Ausgleichsanspruch des VV im Vergleich zu dem eines über 4118 4119 4120 4121 4122 4123 597

Pajor-Bytomski RIW 2005, 263 (269). Lilje Die Berechnung des Handelsvertreterausgleichs im Versicherungsvertrieb. Lilje Die Berechnung des Handelsvertreterausgleichs im Versicherungsvertrieb. Emde IHR 2016, 266. Emde VersR 2013, 1333; Emde FS Karsten Schmidt zum 70. Geb. S. 331 (334). Küstner BB 1975, 493 (498). Emde

§ 89b

1. Buch. Handelsstand

einen vergleichbaren Zeitraum tätigen Warenvertreters oft recht niedrige Werte. Die bislang geringen Ausgleichssummen wurden mit den Eigenarten der Vermittlung begründet: Die Tätigkeit des VV führt regelmäßig – anders als die des Warenvertreters – nicht zu laufenden Nachbestellungen4124 und angeblich – jedenfalls i. d. R. – nicht zu einem Zweitabschluss.4125 Folglich mangelt es an entfallenden Provisionen aus solchen Nachbestellungen. Den Ausgleich erhöhende Folgegeschäfte infolge des Vertragsendes und aus ihnen entgehende Provision scheiden mithin meist aus4126 und sie waren nach h. M. auch nicht ausgleichsfähig. Versicherungsverträge pflegen für das selbe versicherte Risiko nur einmal geschlossen zu werden: Entweder wird der vermittelte Altvertrag verlängert – dann handelt es sich um keine „Nachbestellung“ – oder es wird ein neues Risiko versichert, was ebenfalls nicht als Nachbestellung der gleichen Art angesehen werden kann. Vielmehr sind neue Vermittlungsbemühungen des VV erforderlich, um ein i. d. R. anderes Risiko zu versichern.4127 Deshalb ist nach dem Wortlaut des Abs. 5 die Werbung von „Stammkunden“ nicht erforderlich;4128 an ihre Stelle tritt die Schaffung eines Bestandes von neuen (meist längerfristigen) Versicherungsverträgen.4129 Nicht der Kundenstamm sondern der geworbene Bestand der Dauerschuldverhältnisse (Summe der vom VV betreuten Verträge4130) ist Basis der Ausgleichsberechnung.4131 Die Berechnung des VV-Ausgleichs ist selbst nach den stark schematisierenden „Grundsätzen 651 der Versicherungswirtschaft“ (s. u.) kompliziert. Seine Bezifferung erfolgt rechnergestützt meist durch die Versicherer,4132 wozu sie angesichts der Komplexität der Ausgleichsberechnung nach Ansicht von Löwisch4133 verpflichtet sein sollen. Das ist risikoreich. Denn nach Ansicht des LG Hamburg4134 bindet eine vom Versicherer vorgenommene Ausgleichsberechnung den Versicherer. Der Unternehmer sei an Prognosefehler gebunden, wenn sie letztlich darauf beruhten, dass falsche Tatsachen zugrunde gelegt wurden. Das gelte auch für Programmierfehler im Programm für die Ausgleichsberechnung. Das gehe mit dem Sinn der Ausschlussfrist nach § 89b Abs. 4 S. 2 einher, eine möglichst rasche Klärung zu erwirken, um Rechtsfrieden bald nach Vertragsende eintreten zu lassen.4135 Das ist zweifelhaft, weil die Berechnung regelmäßig kein Anerkenntnis bildet und sogar als solches kondiziert werden könnte. Im Einzelfall kann ein widersprüchliches Verhalten des Unternehmers vorliegen. Wegen schwierigen Ausgleichsberechnung4136 – auf die Hilfe der Verbände der VV bei der Überprüfung wird meist verzichtet4137 – werden die nach den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft (s. u.) vom Versicherer bestimmten Ausgleichssummen meist akzeptiert. Die

4124 Höft VersR 1976, 205; VersR 1966, 104 ff.; VersR 1967, 524; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 334; Hopt § 89b Rn 86; Oetker/Busche5 § 89b Rn 56; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 23. 4125 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212). 4126 AA Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019, 321 (322): Nach ihrer Ansicht wird gegenüber VV und Bausparkassenvertretern mittels § 89b Abs. 5 das mögliche Folgegeschäft aus der Vermittlungsleistung honoriert, insb. wenn der Folgevertrag aus dem Erstvertrag hervorgegangen ist und der Folgevertrag dabei dem gleichen wirtschaftlichen Interesse des Kunden und dem gleichen Versicherungs-/Bausparbedürfnis dient. 4127 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 23; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 334. 4128 Reichelsdorfer in: Haag/Löffler, HGB, § 89b Rn 68. 4129 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 334. 4130 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 103. 4131 Thume VersR 2009, 436. 4132 Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 47. 4133 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 201. AA BGH, Urt. v. 21.5.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110 unter II 3b. 4134 LG Hamburg, Urt. v. 12.3.2019 – 322 O 34/19 m. krit. Anm. Evers VW 2019, Heft 8, S. 82. 4135 LG Hamburg, Urt. v. 12.3.2019 – 322 O 34/19 m. krit. Anm. Evers VW 2019, Heft 8, S. 82. 4136 Vgl. Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 47. 4137 Wobei es auf der Website des BVK jetzt eine Möglichkeit zur online-Berechnung gibt, s. www.bvk.de/oeffentlich/berufsfragen/ausgleichsanspruch/berechnung-des-ausgleichsanspruchs-excel-programm.htlm. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

Ausgleichsberechnung könnte durch die auch für VV und Bausparvertreter geltende4138 Novelle 2009 der des Warenvertreters angenähert und erleichtert worden sein, weil Ausgangspunkt der Bezifferung jetzt nur noch die Unternehmervorteile sind und auch Einmalprovisionen ausgleichsfähig sein können (s. o.). Zudem bilden die nachvertraglichen Provisionsverluste keine Anspruchsvoraussetzung mehr und anspruchsbegründende Unternehmervorteile entstehen mglw. auch aus verwaltenden Tätigkeiten des VV, etwa solchen, die der Sicherung des für den Unternehmer wichtigen Bestandes an Verträgen dienen (s. o.).

III. Zweck Der Zweck des Abs. 5 steht im Dunklen. In der Begründung zum RegE finden sich keine Ausfüh- 652 rungen zu Abs. 5. Grund hierfür ist, dass Abs. 5 erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Gesetzesentwurf eingefügt wurde.4139 Abs. 5 verweist auf Abs. 1, im Wesentlichen mit der Besonderheit, dass an Stelle der „Geschäftsverbindung“ der „Versicherungsvertrag“ tritt. So besehen ist Abs. 5 S. 1 entweder überflüssig. Denn ein Versicherungsvertrag ist eigentlich immer ein Dauerschuldverhältnis4140 und folglich eine Geschäftsverbindung.4141 Nur S. 2 mit seiner erhöhten Höchstgrenze hätte einen eigenständigen Regelungsgehalt. Oder man sieht Abs. 5 als Privilegierung gegenüber Abs. 1, weil auf das Erfordernis separater Folgegeschäfte ausdrücklich verzichtet wird.4142 Folgt man der letztgenannten Deutung, wird die eher schlechte Behandlung des VV durch die Rspr. umso weniger verständlich. Der Ausgleichsanspruch des VV war nach bislang h. M. ein durch Billigkeitsgesichtspunkte 653 modifizierter Vergütungsanspruch, welcher nach Vertragsende an die Stelle bereits verdienter Ansprüche auf Vermittlungsprovision trat und deren Verlust ausgleichen sollte.4143 Anders als der Ausgleichsanspruch nach Abs. 1 sollte er keine zusätzliche Vergütung geben, sondern lediglich bereits verdiente und infolge der Vertragsbeendigung entfallende Ansprüche erhalten.4144 Der Provisionsverlust sollte möglichst weitgehend aufgefangen werden.4145 Da § 89b Abs. 5 auf den einzelnen Vertrag und nicht auf die Geschäftsbeziehung abhebt, soll der Ausgleich auch kein dem Unternehmer zur alleinigen Nutzung zugefallenes, bisher gemeinsam genutztes Aktivum „Stammkundschaft“ abgelten. Der Ausgleich sollte lediglich eine Rest-Gegenleistung für die Vermittlungsdienste des VV gewähren, die sich in pauschalierter Form unter Einbeziehung der Vorteile des Versicherers und der Billigkeit bemaß. Wenn nach der Novelle 2009 ein Ausgleich auch ohne „entgehende Provisionen“ geleistet werden darf, kann der Provisionsverlust nun nicht mehr den Gesetzeszweck bilden. Ein nicht mehr zwingendes TB-Merkmal ist ungeeignet, den Gesetzeszweck zu begründen.4146 Literatur und Rspr. aus der Zeit vor der 4138 Siehe Thume BB 2009, 2490 (2491). Obwohl das die Novelle hervorrufende EuGH-Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, BB 2009, 1607 nur für den von der RL erfassten Warenvertreter und nicht für den VV und Bausparkassenvertreter galt, hat der novellierte Gesetzeswortlaut, dem vorherigen Leitbild folgend, nicht zwischen Warenvertreter und VV bzw. Bausparkassen-HV differenziert. 4139 Thume BB 2017, 906 (907). 4140 Thume VersR 2012, 665 (668). 4141 Emde BB 2011, 2766. 4142 Emde IHR 2016, 266. 4143 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 27 (zur Rechtslage vor der Novelle 2009); v. 01.06 2005 – VIII ZR 335/04, WM 2005, 1866 unter II 5; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 33; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 335. 4144 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 27 (zur Rechtslage vor der Novelle 2009); v. 01.06 2005 – VIII ZR 335/04, WM 2005, 1866 unter II 5; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 33; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 335. 4145 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 188. 4146 Daum VersR 2011, 565 (568); Zweifel am Fortbestand der bisherigen Rspr. äußert auch Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 92, 93; aA Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 335. 599

Emde

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Novelle 2009 darf mithin nur vorsichtig übertragen werden. Denn sie betont den Substitutionscharakter des Ausgleichs für verlorene Provisionen im Gegensatz zu den jetzt vorrangigen Unternehmervorteilen zu sehr. Zudem lässt sich auch beim Warenvertreter behaupten, der Ausgleich ersetze verlorene Provision: Wurde keine Einmalprovision geleistet, wird Waren- wie Versicherungsvertreter mittels des Ausgleichs entgangene Provision (Warenvertreter: aus zukünftigen Geschäften, VV: aus bereits bestehenden Verträgen die Provision zukünftiger Abrechnungsperioden – also ebenfalls Provision für zukünftige Geschäfte) abgegolten. Da der eher inhaltsleere Abs. 5 keinen abweichenden Gesetzeszweck rechtfertigen kann, bildet der Anspruch wie unter Abs. 1 eine vertragliche Gegenleistung für die durch Provisionen nicht abgegoltene Übergabe eines Bestandes meist langfristiger Versicherungsverträge und die daraus resultierenden gleichfalls langjährigen Unternehmervorteile aus jenen Geschäftsverbindungen. Die Unterschiede zwischen Abs. 1 und 5 sind also vernachlässigenswert.4147 Unbedingt zwingend erschien das frühere Verständnis zum Ausgleichszweck zu keiner Zeit. 654 Auf den ersten Blick blieb undeutlich, warum § 89b Abs. 5 nur etwas substituieren sollte, worauf gesetzestypisch (d. h. mangels Provisionsverzichtsklausel) ohnehin ein Recht bestand, nämlich die nachvertraglich fällige Provision. Das Gesetz regelt üblicherweise keine Gestaltungen, die nur infolge vertraglicher Vereinbarungen (Provisionsverzichtsklausel) relevant werden. Der Zweck des § 89b Abs. 5 i. V. m. der Provisionsverzichtsklausel beschränkte sich dann auf den einer Anspruchsverkürzung auf drei Jahresprovisionen. Eine solche erhebliche Abweichung zu Abs. 1 verbietet schon der Verweis des Abs. 5. Es ist zudem fraglich, ob die entgehenden Provisionen und der aus ihnen berechnete Ausgleich den durch den VV erbrachten Aufbau des Gesamtbestandes hinreichend honorieren. Mittels des Ausgleichs wäre dem VV 1953 nichts gewährt worden, worauf er in Form nachvertraglicher Provisionen nicht schon zuvor Anspruch besaß. Die Provisionsverzichtsklausel hätte dem VV auf der einen Seite etwas genommen (Provision), jedoch auf der anderen Seite weniger gegeben (Ausgleich); ein den unhandlichen § 89b kaum rechtfertigendes Saldo.4148 Für den so divergierend von Abs. 1 bestimmten Substitutionszweck sprach noch nicht einmal unter altem Recht der Wortlaut des Abs. 5, der „Provisionsverluste“ nicht erwähnte und insoweit auf Abs. 1 verwies. Eine Abweichung zu Abs. 1 war also nicht erkennbar. Zwar mussten vor der Novelle 2009 zwingend Provisionsverluste aus den vermittelten Verträgen existieren, wie der alte Abs. 1 zeigte. Aber der Verweis auf Abs. 1 umfasst auch den Verweis auf alle denkbaren und ggf. mittelbaren Unternehmervorteile, welche jetzt auch ohne Provisionsverluste bestehen können.

IV. Folgen aus der Novelle 2009 655 Aus der Novelle 2009 ließen sich zwei mögliche Konsequenzen zur Ausgleichsberechnung ableiten4149: Entweder wird der Ausgleich auf Grundlage aller im Basisjahr für neu vermittelte oder erweiterte Verträge – nicht nur mit Mehrfachkunden (denn nach Abs. 5 sind alle solchen Verträge ungeachtet einer Mehrfachkundeneigenschaft in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen) – verdienten Provisionen, jedenfalls aber ihrer werbenden Provisionsbestandteile (zum Streit um die Einbeziehung „verwaltender“ Provisionsbestandteile s. o.), berechnet und wie beim Warenvertreter mit der (angesichts der Bestandskraft der Verträge eher hohen) Zahl der Jahre des Prognosezeitraums unter Abzinsung und Berücksichtigung einer Fluktuationsrate abwandernder Verträge multipliziert. Eine solche Rechenweise ergäbe einen höheren Ausgleich. Die Ausgleichshöchstgrenze würde oft erreicht; die Ausgleichsberechnung vereinfacht (Rechenweg 1). Oder man belässt es im Ergebnis über das Billigkeitskriterium der „entgangenen Provisionen“ – früher anspruchsbegründende „Provisionsverluste“ – bei dem bisherigen Verständnis, 4147 Thume VersR 2012, 665 (668); aA Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 112. 4148 In diese Richtung auch Daum VersR 2011, 565. 4149 Siehe zu den Folgen Lilje ZVertriebsR 2016, 211; zur Berechnung S. 216. Emde

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demzufolge aus neu vermittelten Verträgen aufgrund der Zahlung von Einmalprovision sowie erhöhter Erstprovision vor Vertragsende und eines hohen Anteils verwaltender Teile4150 der Folgeprovision nach Vertragsende keine Provisionen i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 2 entgehen können. Man ignoriert also die Novellierung und die Degradierung der „Provisionsverluste“ zum Billigkeitsmerkmal oder nimmt sie bestenfalls als Umkehr der Beweislast vom durch den HV zu beweisenden TB-Merkmal zu einem vom Unternehmer nachzuweisenden billigkeitsreduzierenden Umstand (Rechenweg 2). Letztgenannte Ansicht würde bedeuten: Da Abs. 5 nur auf vermittelte Verträge und nicht wie beim Warenvertreter auf geworbene Kunden abstellt, können aus den bereits vermittelten und abgeschlossenen Verträgen keine künftig zustande kommenden, neuen Geschäfte – und damit keine entgehenden Provisionen i. S. d. § 89b Abs. 1 Nr. 2 – entstehen.4151 Dieser letztgenannte, enge Anwendungsbereich des Abs. 5 hat die Rspr. bisher zur Nothilfe in Form der eher sperrigen „Erweiterungsrechtsprechung“ (s. u.) bestimmt. Für beide Wege gibt es Argumente. 656 Zur Erläuterung: Rechenweg 1: Dieser Rechenweg4152 würde als Ausgleichsbemessungsgrundlage alle werben- 657 den (ggf. auch verwaltenden, dazu oben) Provisionen des letzten Vertragsjahres unter Einschluss von Einmalprovisionen für neu geworbene oder erweiterte Verträge in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbeziehen.4153 Diese würden mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums, etwa der Zahl 4 oder 5 (dazu oben), multipliziert und dann abgezinst. Außerdem würde eine Abwanderungsquote von Verträgen berücksichtigt. Dazu eine Beispielrechnung: Die wie vorstehend ermittelten Provisionen des letzten Vertragsjahres betragen 50.000 EUR. 658 Der Prognosezeitraum wird mit 4 Jahre unterstellt, wobei eine Abwanderungsquote von 25 % angemessen ist. Damit beträgt der errechnete Unternehmervorteil: für das 1. Jahr nach Vertragsbeendigung: 50.000 EUR./. 25 % (12.500 EUR) = EUR 37.500 für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung: 37.500 EUR./. 25 % (9.375 EUR) = EUR 28.125 für das 3. Jahr nach Vertragsbeendigung: 28.125 EUR./. 25 % (7.031,25 EUR) = EUR 21.093,75 für das 4. Jahr nach Vertragsbeendigung: 21.093,75 EUR./. 25 % (5.273,44 EUR) = EUR 15.820,31 Unternehmervorteile insgesamt: EUR 102.539,06 Diese 102.539,06 EUR werden ggf. durch Billigkeitsgesichtspunkte erhöht oder reduziert 659 und dann durch die Ausgleichshöchstgrenze von 3 Jahresbruttoprovisionen begrenzt. 660 Rechenweg 2: Dieser Rechenweg bestimmt den Ausgleich in der Systematik ähnlich. Nur werden geringere 661 oder gar keine Provisionen in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen. So hat das LG Hamburg4154 akzeptiert, dass die Provisionen des letzten Vertragsjahres entsprechend dem Rechenweg 1 zur Grundlage der Ausgleichsberechnung erhoben werden. Es könnten, so das LG, jedoch nicht sämtliche in dem letzten Vertragsjahr verdienten Provisionen zugrunde gelegt werden, sonKüstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 40. So zur Rechtslage vor der Novelle 2009 Emde FS Karsten Schmidt S. 333 f.; Staub/Emde 5. Aufl. § 89b Rn 369. Ablehnend Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217). Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217) lehnt insbesondere die Einbeziehung der Verwaltungsprovisionen in diese Berechnung ab. 4154 LG Hamburg, Urt. v. 25.7.2011 – 410 HKO 77/10; v. 14.11.2011 – 419 HKO 41/11.

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dern nur diejenigen, die dem VV zukünftig entgehen werden. Einmalprovisionen könnten nicht in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen werden. Folgeprovisionen seien in der Regel reine Verwaltungsprovisionen und als solche nicht ausgleichspflichtig. „Provisionsverluste“ träten demnach praktisch nur auf, wenn ein Verzicht auf die Folgeprovisionen vereinbart sei und diese auch anteilig Abschlussprovisionen enthielten. Damit könnten praktisch nur dynamische und werbende Folgeprovisionen in die Ausgleichsbemessungsgrundlage des letzten Vertragsjahres einbezogen werden und jene entsprechend dem Rechenweg 1 mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums multipliziert werden. Dies ergibt einen erheblichen Unterschied zum Rechenweg 1, da die Ausgleichsbemessungsgrundlage wesentlich geringer ist. Ähnlich hat das OLG Celle4155 gerechnet: Zum Ausgleichsanspruch eines Bausparvertreters wurde entschieden, dass nur Folgeverträge für die Bemessung des Ausgleichsanspruchs heranzuziehen sind, die in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Erstvertrag stehen und demselben Bausparbedürfnis dienen („Erweiterungsrechtsprechung“, dazu unten). Das OLG hat dann die so bezifferte Ausgleichsbemessungsgrundlage mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums, nach Ansicht des OLG die Zahl 7,4156 bestimmt, ansonsten aber wie oben gerechnet. Wahrscheinlich kann die Höhe des Ausgleichs jedoch nicht unterhalb des nach den „Grundsätzen der Versicherungswirtschaft“ (s. u.) berechneten Ausgleichs liegen. Dies hat der BGH wohl in seinem Urt. v. 23.11.20114157 vertreten. 662 Diskutiert werden könnte auch ein Mittelweg: Die Vorteile aus dem gewonnenen Bestand mögen für den Unternehmer erheblich sein, auch wenn der VV aus ihm zukünftig nur geringe Provisionen hätte erzielen können. Jedoch muss im Wege der vom Unternehmer zu beweisenden Billigkeit ein Blick auf die dem VV entgehenden Provisionen aus diesem Kundenstamm geworfen werden (Korrektiv). Die Unternehmervorteile müssen damit nicht immer den mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums multiplizierten und abgezinsten Provisionen des Basisjahres entsprechen.

1. Argumente für eine an das Warenvertreterrecht angenäherte Berechnungsweise 663 (Rechenweg 1, s. Rn 657): Wollte man sich dem Rechenweg 1 anschließen, wäre wie bei anderen HV auch beim VV die Schätzung des Ausgleichs von den für neu geworbene oder erweiterte Verträge gewährten Provisionen des Basisjahres4158 multipliziert mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums und abgezinst auf den (Mindest-)Rohausgleich möglich. Hierfür ließe sich anführen, dass sich die so geschätzten Unternehmervorteile aus allen derartigen Verträgen ergeben und sich die Frage nach „Provisionsverlusten“ allenfalls unter Billigkeitsgesichtspunkten stellt.4159 Die Provisionsbemessungsgrundlage beschränkt sich mithin – abweichend vom Warenvertreter – nicht auf Provisionen aus Geschäften mit Mehrfachkunden, da nach Abs. 5 alle solche Versicherungsverträge in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden und die Verträge (was für Abs. 5 aber irrelevant ist) als Dauerschuldverhältnisse wohl immer Geschäftsverbindungen i. S. d. Abs. 1 bilden.4160 Diese Annäherung an das Warenvertreterrecht dient der Einheit des Vertriebsrechts und angesichts uniformer Handhabung auch den durch die bisherige, sehr spezielle Berechnungsweise belasteten Gerichte. Die angenommenen Unterschiede in der Be-

4155 Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/11, VersR 2002, 976. 4156 Das OLG hat die dahingehenden Ausführungen der Vorintanz akzeptiert. Dem Urteil lässt sich aber wohl entnehmen, dass es auch einen 5-jährigen Prognosezeitraum nicht beanstandet hätte.

4157 VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = EWiR 2012, 207 (Emde). 4158 Im Bausparbereich ist das OLG Stuttgart, Urt. v. 21.7.1965 – 4 U 20/65 von den Provisionen der letzten 3 Jahre ausgegangen; z. T. wird von denen der letzten 5 Jahre ausgegangen, s. Hönsch RVR 1971, 99 (103).

4159 Siehe Emde BB 2011, 2755 (2765); so offenbar LG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 6.4.2011 – 39 O 19/10 KfH. Im Ausgangspunkt auch LG Hamburg, Urt. v. 25.7.2011 – 410 HKO 77/10; v. 14.11.2011 – 419 HKO 41/11, das allerdings nur die Dynamikprovisionen des letzten Vertragsjahres als Basisjahr in die Ausgleichsberechnung einbeziehen möchte; aA Oetker/Busche5 § 89b Rn 57. 4160 Emde BB 2011, 2766. Emde

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rechnungsweise nach Abs. 1 und 5 sind durch den Wortlaut des Abs. 5 nicht gefordert. Kein Argument gegen einen an Abs. 1 angenäherten Rechenweg 1 ist der Umstand, dass die Ausgleichsberechnung des Versicherungs- und Bausparkassenvertreters auf die geworbenen Verträge und nicht die Geschäftsverbindungen abstellt.4161 Denn der Unternehmer erzielt auch aus den einzelnen Verträgen (ggf. mittelbare) Vorteile; sie liegen nicht höher oder niedriger, nur weil der Unternehmer die Vermittlungsbemühungen des VV in ihm gefälliger Weise, etwa mittels Einmalprovision, honoriert4162 (s. zum Vorteilsbegriff unten). Erfolgt die Berechnung des Ausgleichs i. S. d. Berechnungsweges 1 auf der Grundlage der Provisionen eines typischen Basisjahres (meist des letzten Vertragsjahres), werden Zufälligkeiten des Provisionssystems nivelliert, z. B. die vom Unternehmer gewählte Aufspaltung zwischen erhöhter Erstprovision und niedrigerer, jährlich fälliger Folgeprovision. Das Basisjahr spiegelt am ehesten die typischerweise entgehenden Provisionen wider. Auch Unternehmer dürfen sich auf die Untypik des Basisjahres berufen, wodurch Exzedenten ausgeschlossen werden. Ohnehin muss das Basisjahr die Vorteile nicht vollständig abbilden: Denn aus den in den Vorjahren vom VV vermittelten und mittels (Einmal)Provisionen entlohnten Verträgen bleiben dem Unternehmer wegen der meist langjährigen Bestandskraft der vermittelten Dauerschuldverhältnisse oft dauerhafter als bei anderen HV Vorteile; die für vor dem Basisjahr vermittelten, gleichfalls vorteilsgebenden Verträge geleisteten Provisionen sind außerhalb des Basisjahres verdient worden und werden daher nicht in die Ausgleichsberechnung einbezogen. Die Langfristigkeit der Vorteile wäre zumindest bei der Bemessung des Prognosezeitraums zu berücksichtigen. Gegen einen gesetzgeberischen Willen zur Gleichbehandlung der Ausgleichsansprüche von 664 VV und anderen HV wurde vom BGH4163 zum Rechtszustand vor der Novelle 2009 angeführt, die 2009 erfolgte Anpassung des § 89b Abs. 1 an die RL sei 1988/1989 bereits Gegenstand eines Gesetzgebungsvorhabens gewesen.4164 Die Bundesregierung habe damals § 89b Abs. 1 – wie nunmehr geschehen – dergestalt ändern wollen, dass die Provisionsverluste als eigenständiges TB-Merkmal entfallen und nur noch im Rahmen einer Billigkeitsprüfung berücksichtigt werden sollten. Allerdings habe der damalige Gesetzentwurf für § 89b Abs. 5 eine ausdrücklich von der Neufassung des Abs. 1 abweichende Formulierung vorgesehen, nach der der Ausgleichsanspruch eines VV weiterhin voraussetzte, dass „dem Versicherungsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Provisionen aus von ihm vermittelten Versicherungsverträgen entgehen“.4165 Dieser Sonderweg sei mit den Eigentümlichkeiten des Ausgleichsanspruchs des VV im Vergleich zu dem des Warenvertreters begründet worden: „Beim Warenvertreter sollen mit dem Ausgleichsanspruch in erster Linie die Vorteile vergütet werden, die der Unternehmer aus dem vom HV geschaffenen Kundenstamm auch künftig hat. Dagegen geht es beim VV grundsätzlich darum, die Provisionsverluste aus den von ihm vermittelten … Versicherungsverträgen auszugleichen, die infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses eintreten“.4166 Die geplante eigenständige Regelung des § 89b Abs. 5 habe sich im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht durchgesetzt, weil der Gesetzgeber der Auffassung des Rechtsausschusses gefolgt sei, der damals geltende § 89b Abs. 1 mit seinen drei TB-Merkmalen entspreche bereits der RL, weswegen der bisherige Verweis in Abs. 5 ausreichend sei.4167 Nach der Novelle 2009 spricht das 4161 Das Argument des Unterschiedes zwischen „Geschäftsverbindung“ und einzelnem Vertrag nutzen BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 27 (zur Rechtslage vor der Novelle 2009); v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (316). 4162 Siehe Emde BB 2011, 2755 (2765). 4163 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 28; ebenso (gem. seiner Rn 2 ausdrücklich nur für den Rechtszustand zu § 89b a. F.) Beschl. v. 21.2.2013 – VII ZA 14/12, EWiR 2013, 485 (Emde). Siehe dazu auch BGH, Urt. v. 5.11.2020 – VII ZR 188/19, WM 2020, 2386. 4164 BT-Drs. 11/3077. 4165 BT-Drs. 11/3077, S. 4. 4166 BT-Drs. 11/3077, S. 9 f. 4167 Vgl. BT-Drucks. 11/4559, S. 9. 603

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Fehlen eines dem Gesetzgebungsvorhaben 88/89 gleichenden Sonderbestimmung in Abs. 5, die Argumente des BGH4168 spiegelbildlich angewandt, eher für eine Annäherung der Ausgleichsberechnung der Abs. 1 und 5.4169 Das gegenteilige und unnötige (da der BGH Altrecht anwendet und eine Rückwirkung der Novelle verneint) obiter dictum der Rn 29 seines Urt. v. 23.12.2011 – VIII ZR 203/10, angesichts dieser Umstände lasse die Tatsache, dass der Gesetzgeber bei der Novelle 2009 keine Spezialregelung für VV geschaffen habe, nicht auf einen gesetzgeberischen Willen zur – erstmaligen – Gleichbehandlung mit dem Ausgleich nach Abs. 1 schließen, halte ich daher für eine Unterstellung und für eher fernliegend.4170 Es besagt wenig, da aufgrund der unterschiedlichen Fassung der Abs. 1 und 5 niemand eine völlige Gleichstellung der Ausgleichsansprüche beider Abs. annimmt. Zudem ist diese Änderung vom Rechtsausschuss des BT gerade abgelehnt worden und damit nicht umgesetzt worden.4171 Der Gesetzeswille steht also nicht entgegen4172 und nicht über dem Wortlaut: Man würde dem Normgeber 2009 zudem Detailkenntnisse eines Rechtsetzungsverfahrens unterstellen, das selbst die Fachwelt vergessen hatte.4173 Jedenfalls dürfte, wie es Weske ausdrückt, die „Express-HGB-Novelle 2009“ über solche Erwägungen hinweggegangen sein.4174 Wegen des Verweises auf Abs. 1 erledigt sich auch das Argument, die Novelle habe nur von der RL erfasste HV betroffen. Auch insoweit ist der Verweis auf Abs. 1 klar: eine Auslegung gegen den Gesetzeswortlaut scheidet aus. Nach dem EuGH wäre Abs. 1 ohnehin i. S. d. RL anzuwenden, auch sofern es um die Verhältnisse eines VV geht.4175

2. Die Argumente der bisher h. M. 665 (Rechenweg 2, s. Rn 660) sind bereits dargestellt worden. Diese Ansicht stützt sich im Wesentlichen auf aus Quellen abseits des Gesetzestextes entnommenen Zweckerwägungen. Die bisher h. M. würde der Novelle 2009 wie bei der Paralleldiskussion zu Abs. 1 entgegenhalten, die „entgangenen Provisionen“ seien nach wie vor ein hervorgehobenes Billigkeitsmerkmal und alle bisherigen Argumente folglich unter diesem Titel übertragbar.4176 Irrelevant für den Entscheid über den „richtigen“ Rechenweg dürfte ein mögliches Redakti666 onsversehen des Gesetzgebers bleiben: Es könnte vertreten werden, auch in Abs. 1 Nr. 2 sollten die Worte „aus Geschäften mit diesen Kunden“ sinngemäß durch die Worte „aus der Vermittlung neuer (oder dieser) Versicherungsverträge“ ersetzt werden (jedenfalls könnte der Text so fortgedacht werden). Aber sowohl die eine wie die andere Auslegung führt zum selben Verständnis: Die entgehenden Provisionen müssen aus neuen Versicherungsverträgen entstehen, weil sie mit „diesen Kunden“ geschlossen wurden.

4168 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 28; ebenso Beschl. v. 21.2.2013 – VII ZA 14/12, EWiR 2013, 485 (Emde). 4169 Emde EWiR 2012, 208; aA Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 343 f. 4170 Emde EWiR 2012, 208; i. E. auch Thume BB 2015, 387; IHR 2012, 70. Die Ausführungen des BGH zu Rn 2 seines Beschl. v. 21.2.2013 – VII ZA 14/12, EWiR 2013, 485 (Emde) („im zeitlichen Anwendungsbereich von § 89b a. F.“) lassen gleichfalls eine gewisse Distanz zu dieser Aussage des VIII. Zivilsenats erkennen. 4171 Thume VersR 2012, 665 (668); Thume IHR 2012, 70. 4172 Emde EWiR 2012, 208; Thume VersR 2012, 665 (668); aA Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 343 f. 4173 Emde EWiR 2012, 208. 4174 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 333. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 343 f. will es gleichwohl bei der bisherigen Berechnungsweise belassen. 4175 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) Rn 31 zu einem ebenfalls nicht der RL unterfallenden Schifffahrtsvertreter – einheitl. Auslegung überschießend normierten Rechts. 4176 Im Ergebnis wohl Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 343 f. Emde

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V. Anspruchsberechtigter 1. Einführung: Anspruchsberechtigt ist jeder VV oder Bausparkassen-HV i. S. d. §§ 84 Abs. 1, 92, solange er 667 nicht nebenberuflich tätig ist (§ 92b Abs. 1). Das Kriterium der Nebenberuflichkeit kann bei der Mehrbranchentätigkeit zu Schwierigkeiten führen. Beispiele bilden das Reisebüro, welches auch Reiserücktrittskosten- und Gepäckversicherungen vermittelt oder ein Kfz-Händler, der die Vermittlung einer Kfz-Haftpflichtversicherung übernimmt.4177 Besteht die Aufgabe des VV in der Vermittlung von Finanzdienstleistungen generell für Versicherer, Bausparkassen und andere Unternehmen, die sich mit Finanzdienstleistungen im weitesten Sinne befassen, ist er in Hinblick auf seine gesamte berufliche Tätigkeit hauptberuflich tätig. Der Einwand eines von mehreren Unternehmen, der VV sei nebenberuflich tätig, bleibt unbeachtlich.4178 Des Weiteren gelten die allg. Grundsätze zur Anspruchsberechtigung nach § 89b. Der Versicherungsmakler i. S. d. §§ 93 HGB, 652 BGB ist nicht anspruchsberechtigt.4179

2. Bausparkassenvertreter: Die vor- und nachstehend dargelegten Grundsätze gelten für Bausparkassen-HV entspre- 668 chend,4180 sofern nichts Abweichendes ausgedrückt wird.

VI. Anspruchsverpflichteter Anspruchsverpflichteter ist der Unternehmer i. S. d. § 84 Abs. 1 S. 1, also entweder das Versiche- 669 rungsunternehmen, mit welchem der VV den Vertrag geschlossen hat oder die Bausparkasse als Vertragspartner des Bausparkassenvertreters. Auch hier gelten die allgemeinen Grundsätze zur Anspruchsberechtigung nach § 89b.

VII. Tatbestandsvoraussetzungen Den Wortlaut des Abs. 5 in Abs. 1 übertragen, wäre § 89b Abs. 1 – formuliert in Hinblick auf 670 VV – wie folgt zu lesen: „Der Versicherungsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit 1. der Unternehmer aus der Vermittlung neuer Versicherungsverträge durch den Versicherungsvertreter auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und 2. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Versicherungsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden (oder: „aus den vermittelten Versicherungsverträgen“) entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Der Vermittlung neuer Versicherungsverträge durch den Versicherungsvertreter steht es gleich, wenn der Versicherungsvertreter einen bestehenden Versicherungsvertrag (oder: die Geschäftsverbindung mit einem Kunden) so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages entspricht.“

4177 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 49. 4178 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 50. 4179 OLG Köln, Beschl. v. 21.11.2018 – 20 U 45/18, FD-VersR 2019, 414999; LG Köln, Urt. v. 6.3.2018 – 8 O 158/15, ZVertriebsR 2019, 264.

4180 Dazu Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366. 605

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673 Für den Bausparvertreter gälte diese Fassung ebenfalls, wobei „Versicherungsvertreter“ durch „Bausparvertreter“ und „Versicherungsverträge“ durch „Bausparverträge“ zu ersetzen wäre. Fraglich ist, ob auch in Abs. 1 Nr. 2 die Worte „aus Geschäften mit diesen Kunden“ sinngemäß durch die Worte „aus der Vermittlung neuer (oder dieser) Versicherungsverträge“ ersetzt werden sollten. Bei wörtlicher Auslegung des Abs. 5 ist dies nicht der Fall: Denn Abs. 5 ordnet keine Änderung des Abs. 1 Nr. 2 an. Es könnte also hinsichtlich Abs. 1 Nr. 2 bei dortigem Wortlaut mit folgendem Inhalt bleiben: 674

„… die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehende Provision, der Billigkeit entspricht.“

675 Damit wären die Provisionsverluste nicht auf solche aus neuen Versicherungsverträgen begrenzt. Die Rechtslage würde sich nicht abweichend von der nach Abs. 1 darstellen. Auch dort entfallen mit Vertragsende Provisionen aus laufenden Verträgen: Lediglich zukünftige Geschäfte mit geworbenen Kunden können zu Provisionsvorteilen führen. Die Gegenansicht würde argumentieren, sowohl die eine wie die andere Auslegung führe zum selben Verständnis: Die entgehenden Provisionen müssten aus neuen Versicherungsverträgen entstehen, weil sie mit „diesen Kunden“ geschlossen wurden. 676 Nicht anders als unter Abs. 1 müssen auch unter Abs. 5 fünf positive und zwei negative TBMerkmale erfüllt sein, damit eine Anspruchsberechtigung besteht. Dabei handelt es sich um die folgenden positiven Merkmale: – der HV-Vertrag muss beendet sein (TB-Merkmal 1). – Der HV muss dem Unternehmer neue Verträge vermittelt oder bereits bestehende Verträge wesentlich erweitert haben (TB-Merkmal 2, siehe § 89b Abs. 5). – Es ist erforderlich, dass der Unternehmer aus diesen neu vermittelten Verträgen voraussichtlich nach Auflösung des HV-Vertrages erhebliche Vorteile ziehen kann (TB-Merkmal 3). – Die Zahlung eines Ausgleichs hat unter Berücksichtigung aller Umstände, insb. der dem HV entgehenden Provisionen, der Billigkeit zu entsprechen (TB-Merkmal 4). – Der HV muss den Ausgleich innerhalb eines Jahres seit Beendigung des Vertrages gefordert haben (TB-Merkmal 5). 677 Darüber hinaus gibt es zwei negative TB-Merkmale, nach deren Eintritt der Ausgleich nicht oder nur in reduzierter Höhe entsteht: – Der zu leistende Ausgleich darf die Höchstgrenze des § 89b Abs. 5 S. 2 nicht übersteigen (TB-Merkmal 6). – Keiner der Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 darf vorliegen (TB-Merkmal 7). 678 Provisionsverluste (jetzt: entgangene Provision) sind – ebenso wie beim Warenvertreter – nicht mehr zwingend erforderliches TB-Merkmal des § 89b. Auch ohne Provisionsverluste mag ein Ausgleichsanspruch bestehen, sofern Unternehmervorteile existieren. Fehlende Provisionsverluste können jedoch zur Reduzierung oder zum Wegfall des Ausgleichs unter Billigkeitsgesichtspunkten führen. 679 Sofern nachfolgend nichts Abweichendes ausgeführt wurde, gelten die allgemeinen, zum Warenvertreter beschriebenen Grundsätze.4181 Daher nur ergänzend: 680

1. Beendigung des Vertrages (Tatbestandsmerkmal 1) 681 Es gilt im Wesentlichen das oben zum Waren-HV Geschriebene. Der Bezirksverkleinerung oder Bezirksumgliederung nach Abs. 1 entspricht in der Versicherungsvermittlung als der rechtlichen Vertragsbeendigung nahekommender faktischer Eingriff die Übertragung des vom VV gewor4181 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 184. Emde

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benen Versicherungsbestandes auf einen anderen VV. Ist der Eingriff erheblich, könnte die Bestandswegnahme – ebenso wie eine Teilkündigung – deshalb den Ausgleichsanspruch entstehen lassen.4182 Der BGH4183 hingegen hat die Ausgleichsklage eines VV, dessen Bestand Verträge entzogen wurden, abgewiesen. Der Ausgleichsanspruch verbinde sich mit der rechtlichen und nicht der faktischen Vertragsbeendigung. Es könne aber ein Schadenersatz für die Bestandsentziehung entstehen.4184 Dadurch mögen sowohl entgangene Provisionen wie ein entgangener Ausgleich nach § 280 BGB kompensiert werden. In der Sache führt dies unter dem Gewande des Schadenersatzes zum selben Ergebnis, Verschulden des Unternehmers vorausgesetzt. Hat der VV die Bestandswegnahme akzeptiert, dürfte wegen der hierin liegenden Einigung ein (Teil-)Vertragsende vorliegen. Schließt der Versicherer in einer bestimmten Sparte Versicherungen nicht mehr ab, steht dies einer Teil-Stilllegung der Produktion beim Waren-HV gleich. Der VV mag sich entscheiden, ob er das Vertragsverhältnis (ggf. aus begründetem Anlass i. S. d. Abs. 3 Nr. 1) kündigen will. Ein Ausgleichsanspruch kann entstehen, wenn der Unternehmer für die Aufgabe des Geschäftsbereichs ein Äquivalent erhalten hat (dann Vorteile des Unternehmers).

2. Neue oder erweiterte Versicherungsverträge (Tatbestandsmerkmal 2) a) Neue Versicherungsverträge. Neu ist jeder vor Vertragsbeendigung vermittelte Vertrag, 682 der ein neues Wagnis oder Bausparbedürfnis deckt.4185 Soweit nicht zulässigerweise abweichende Bestimmungen im VV-Vertrag getroffen wurden, setzt die Neuheit voraus, dass der Vertrag aufgrund einer „Tätigkeit“ des VV i. S. d. § 92 Abs. 3, also aufgrund eigener Vermittlungsbemühungen, vermittelt wurde.4186 Mitursächlichkeit des VV für die Werbung genügt auch hier,4187 ebenso wie unter Abs. 1. Die Neuheit bezieht sich nicht personenbezogen auf den VN4188 oder Bausparer, sondern sachbezogen auf das zu versichernde Risiko bzw. den abzuschließenden Vertrag.4189 Grund soll das – zweifelhafte (s. Kommentierung zu § 92) – Verständnis sein, in der Versicherungsvermittlung seien kaum Folgeverträge zu werben. Daraus ergeben sich mehrere Folgen: Nicht die Vorteile aus der Geschäftsverbindung – die geworbenen Mehrfachkunden – begründen den Ausgleich, sondern die Vorteile aus dem einzelnen Vertrag.4190 In der Praxis bedeutet beides dasselbe, da ein Versicherungsvertrag als Dauerschuldverhältnis eine Geschäftsverbindung darstellt.4191 Ob bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages Geschäftsbeziehungen zwischen VN und Versicherer bestanden, ist für die Einordnung als „neu“ ebenso

4182 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. V Rn 106, 115. 4183 BGH, Urt. v. 13.5.1957 – II ZR 318/56, BGHZ 24, 214; v. 2.10.1958, NJW 1958, 1966; v. 6.2.1964, BB 1964, 328; v. 27.10.1993, BB 1994, 99; s. a. OLG Hamm NJW 1956, 350; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 12.7.1960, NJW 1961, 514; offen gelassen von BGH, Urt. v. 27.10.1993 – VIII ZR 46/93, BB 1994, 99 = WM 1994, 206. Der BGH hat die Klage des VV abgewiesen, weil die Bestandsentziehung den VV-Vertrag nicht rechtlich beendete. Der BGH verwies den VV auf Schadenersatzansprüche. 4184 Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. 1/2005, S. 12. 4185 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 80; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 337; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 186; Keßler in: Heidel/Schall, HGB, § 89b Rn 60; Oetker/Busche5 § 89b Rn 56. 4186 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 80. 4187 Küstner BB 1975, 493; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 80. 4188 Vgl. BGHZ 59, 125 (131). 4189 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 80; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 337; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 186; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 41. 4190 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 27 (zur Rechtslage vor der Novelle 2009); v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (316); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 337. 4191 Siehe Emde BB 2011, 2755 (2766). 607

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unerheblich.4192 Denn es kommt auf die Neuheit des Vertrages und nicht des Kunden an. Ausgleichspflichtig ist folglich auch die Vermittlung eines Vertrages mit einem Altkunden über ein anderes Risiko als das bisher versicherte.4193 Das wäre keine Erweiterung des Versicherungsvertrages (dazu Rn 683) sondern ein Neuabschluss.4194 Auf den VV übertragene Bestände von Altkunden bilden für ihn bei einer Ausgleichsberechnung unmittelbar nach § 89b und abseits der Grundsätze der Versicherungswirtschaft keine ausgleichsrelevanten Neuverträge.4195 In die Ausgleichsberechnung können Verträge aus übertragenen Beständen nur insofern einbezogen werden, als der VV sie wesentlich erweitert hat oder falls sie kraft Vereinbarung ausgleichsrelevant werden, etwa dann, wenn sich die Ausgleichsberechnung den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft gemäß bestimmt (s. u.). Der VV soll beweisen müssen, welcher Teil der in die Ausgleichsberechnung eingeflossenen Beträge auf übertragenen Beständen beruht und welcher nicht.4196 Dafür spricht, dass es sich um den Beweis der Neukundenwerbung handelt. Andererseits muss der Unternehmer Altkundenbeziehungen nachweisen (s. Rn 479 ff. „Neukundenwerbung“). Jedenfalls wird sich der VV zum Beweis der Erweiterung auf statistische Aussagen durchschnittlicher Verläufe und Bestandsveränderungen stützen können. Die entsprechenden Informationen könnte er dem Buchauszug entnehmen. Die „Grundsätze“ sehen nach Ablauf bestimmter Fristen die ausgleichsrechtliche Berücksichtigung übertragener Bestände vor (dazu unten). Auch wenn der VV den erneuten Abschluss eines abgelaufenen Versicherungsvertrages zu den gleichen Bedingungen zustande bringt, hat er einen „neuen“ Vertrag vermittelt.4197 Neu ist ferner ein Versicherungsvertrag, welcher erst nach Beendigung des HV-Vertrages abgeschlossen, jedoch noch vom ausgeschiedenen HV herbeigeführt wurde.4198 Gleiches gilt für Verträge, die vom VV vor Vertragsbeendigung eingeleitet und so vorbereitet wurden, dass der nach Vertragsbeendigung erfolgte Abschluss überwiegend auf die Tätigkeit des VV zurückzuführen ist und innerhalb angemessener Frist nach der Beendigung des HV-Vertrages zustande kommt.4199 Verlängert sich ein vom VV nicht vermittelter, jedoch verwalteter, Vertrag aufgrund einer Verlängerungsklausel automatisch, weil eine Kündigung nicht erfolgt ist, ohne dass eine Tätigkeit des VV für die Verlängerung ursächlich wurde, so handelt es sich um keine Vermittlung eines neuen Vertrages; die Vermittlung beruht auf der Tätigkeit des Vorgängers.4200

683 b) Erweiterung von Versicherungsverträgen. Gemäß § 89b Abs. 5 S. 1 steht die wesentliche Erweiterung eines bestehenden Versicherungsvertrages durch den VV der Vermittlung eines neuen Vertrages gleich, falls die Vertragserweiterung wirtschaftlich der Vermittlung eines Neuvertrages entspricht.4201 Die Vertragserweiterung muss „wesentlich“ sein. Das ist der Fall, wenn sie sich wirtschaftlich für den Versicherer aufgrund des zusätzlichen Beitrags- oder Prämienaufkommens wie der Neuabschluss eines Vertrages auswirkt.4202 Generelle Aussagen dazu, wann eine Wesentlichkeit vorliegt, werden sich nicht treffen lassen. Deshalb können die Feststellun-

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 80. Hopt § 89b Rn 87 f.; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 80; Glanegger/Ruß § 89b Rn 35. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 80. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 84; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 337; Oetker/Bu5 sche § 89b Rn 56. 4196 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125); Thume VersR 2009, 436. 4197 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 81; Hopt § 89b Rn 88; Oetker/Busche5 § 89b Rn 56; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 40; aA Geßler S. 88. 4198 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 82. 4199 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 83. 4200 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 81; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 186; Hopt § 89b Rn 88. 4201 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 338; Oetker/Busche5 § 89b Rn 56. 4202 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 187; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 106; Oetker/Busche5 § 89b Rn 56; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 239.

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gen, eine Erhöhung der Prämieneinnahmen um mehr als 25 %,4203 die Erhöhung der Versicherungs- und Bausparsumme um 25 %4204 oder eine Verlängerung eines Versicherungsvertrages um ein weiteres Jahr4205 stelle eine wesentliche Erhöhung dar, eher als willkürliche Abgrenzungen angesehen werden.4206 Unter Abs. 1 wird bislang eine Erweiterung um 100 % gefordert; dieser Wert dürfte, sofern die Diskussion zum Merkmal der wesentlichen Erweiterung nicht fortschreitet, indiziell zu übertragen sein. Systematisch betrachtet erhebt sich beim von der RL nicht erfassten VV allerdings nicht die für den Warenvertreter diskutierte Frage der RL-konformen Auslegung des Wesentlichkeitsmerkmals. Tatsächlich wird man die Frage wegen der Einheitlichkeit der Gesetzesauslegung nur in gleicher Weise wie beim Warenvertreter beantworten können. Zum Beweis der Erweiterung darf sich der VV außer auf den Buchauszug auf statistische Aussagen stützen. Beispiele: Einbeziehung weiterer,4207 auch verwandter Risiken,4208 Ausweitung der Versicherungsleistungen, Verlängerung des Vertrages oder nicht nur inflationsbedingte Aufstockung auf höhere Deckungssumme unter entsprechend wesentlicher Erhöhung der Prämie, Fälle der „Erweiterungsrechtsprechung“4209 (s. u.).

3. Unternehmervorteile (Tatbestandsmerkmal 3) a) Überblick.4210 Die Unternehmervorteile sind seit der Novelle 2009 das maßgebliche TB- 684 Merkmal des Ausgleichsanspruchs des VV.4211 Die Unternehmervorteile aus dem Versicherungsbestand können sehr hoch sein; die entgangenen Provisionen des Billigkeitskriteriums gerade bei Entlohnung mittels Einmalprovisionen gering. Das stärkere TB-Merkmal (da zwingend) ist wohl der Unternehmervorteil. Ein ausgleichsrelevanter Vorteil des Unternehmers liegt etwa vor, sofern der VV während des Vertragsverhältnisses neue Versicherungsverträge vermittelt oder Altverträge erweitert hat und der hierdurch generierte Vorteil nach Beendigung des VVVertrages fortwirkt.4212 Nicht anders als gem. Abs. 1 sind die Vorteile im Wege einer Prognose bei Vertragsende 685 zu bestimmen, jeder Vorteil im weitesten Sinne ist maßgeblich (s. o.). Es gelten die oben zum Vorteil dargestellten Grundsätze. Der Vorteil des Versicherers aus den vermittelten Neuverträgen liegt etwa in der bei Vertragsende vorhandenen Erweiterung der Gewinnchancen,4213 eventuell auch durch den vom VV vermittelten oder erweiterten, größeren Bestand an Versicherungsverträgen dank der damit verbundenen besseren Streuung der einzelvertraglichen Risiken auf eine höhere Zahl von Versicherungskunden.4214 Der Mindestvorteil liegt in den ersparten Provisionen des Unternehmers.4215 Er sollte in etwa den zu erwartenden Provisionsverlusten

4203 Möller Recht und Wirklichkeit der Versicherungsvermittlung, S. 859; Bruck/Möller Vor § 43, 375; Flohr/ Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 338; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 239; s. a. Küstner/ Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 85. 4204 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 338. 4205 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 338. 4206 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VI Rn 86. 4207 Küstner VersR 2002, 980. 4208 Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 187. 4209 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 338. 4210 Überblicksaufsatz Lilje ZVertriebsR 2016, 211. 4211 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 92. 4212 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 158 ff. 4213 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 339. 4214 OLG Nürnberg, Urt. v. 22.9.1961, BB 1962, 155; OLG Stuttgart, Urt. v. 26.3.1957, VersR 1957, 329 (330); Geßler S. 89; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 164; Glanegger/Ruß § 89b Rn 35; Keßler in: Heidel/Schall, HGB, § 89b Rn 61; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57; aA Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 341. 4215 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212); Glanegger/Ruß § 89b Rn 35. 609

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des HV entsprechen, wovon auch die Rspr. ausgeht.4216 Auch wenn es kein Recht des VV am Behalt seines Bestandes geben sollte4217 und der Versicherer angeblich Bestände auf andere VV übertragen darf,4218 sind vor Vertragsende vom ausgleichsberechtigten VV geworbene oder erweiterte, ihm jedoch entzogene und an den Versicherer oder andere VV übertragene Bestände in die Vorteilsprognose einzubeziehen. Zumindest aber mag dann statt des Basisjahres ein mehrjähriger Provisionsdurchschnitt unter Einschluss der Jahre mit dem entzogenen Bestand Ausgleichsbemessungsgrundlage werden. Oder die so generierten Vorteile werden als ausgleichserhöhendes Billigkeitsmerkmal gewertet. Jede gegenteilige Ansicht würde eine zeitgerechte Auslagerung des Bestandes vor Vertragsende provozieren. Zu einem Unternehmervorteil führen lediglich Verträge, die vom anspruchstellenden VV in vertragsgemäßer Ausführung des HV-Vertrages vermittelt wurden. 686 In gleicher Weise wie unter Abs. 1 ist auf die Zahl der vermittelten Neuverträge, nicht auf eine Differenzrechnung, d. h. einen Vergleich zwischen dem Volumen des beim VV laufenden Versicherungsbestandes zu Beginn und bei Ende seines HV-Verhältnisses,4219 und auch nicht auf die Gesamtlage des Unternehmens, die (mglw. erhöhten4220) Gesamtgewinne des Versicherers,4221 den Gesamtschadensverlauf4222 oder die Entwicklung des Gesamtbestandes aller HV4223 abzustellen. Denn die Vorteilsprognose knüpft an die Vermittlung neuer Versicherungsverträge, nicht an das Abspringen von Altkunden oder das nicht zu prognostizierende Risiko des Schadensfalles (welches der Versicherer und nicht der HV tragen muss4224) an. Lediglich in Evidenzfällen kann eine solche Entwicklung oder die Gesamtlage des Unternehmens die Ausgleichshöhe unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit oder durch Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch beeinflussen,4225 wobei allerdings außerhalb der eigentlichen Vertragsbeziehung stehende Umstände eher weniger geeignet erscheinen, die Höhe des Ausgleichs im Billigkeitswege zu beeinflussen. Zwar mögen die Unternehmervorteile in diesen Fällen geringer sein als bei anderen Verträgen. Der VV hat jedoch dazu beigetragen, gewinnbringende Einzelverträge zu vermitteln. Ohne die Tätigkeit des VV wäre die Gesamtbilanz schlechter.4226 Für den Schadenersatzanspruch gedacht werden könnte an Situationen, in welchen der VV bewusst schlechte Risiken vermittelt4227 oder die Bestandspflege vernachlässigt hat. Einen gängigen Abfluss im Versicherungsbestand muss der Versicherer hinnehmen. Ein ungünstiger Risikoverlauf mindert den Vorteil des Versicherers nur, soweit er speziell die vom VV vermittelten Verträge betrifft, und allenfalls, wenn er gerade darauf beruht, dass der VV pflichtwidrig überwiegend oder sogar ausschließlich Verträge mit schlechten Risiken hereingebracht hatte, die nicht als regional oder konjunkturell typisch angesprochen werden müssen.4228 Ein regional bedingtes Risikogefälle ist dem Versicherer bekannt und muss von ihm bei Vergabe eines Gebiets einkalku4216 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 3.12.2010 – 4 U 76/10, VersR 2011, 492 (493). 4217 Siehe etwa die zum Versicherungsmakler ergangene Entscheidung BGH, Urt. v. 13.1.2005 – III ZR 238/04, VersR 2005, 550, die wie selbstverständlich von einem Recht zur Übertragung der Betreuung von Versicherungsverträgen ausgeht. 4218 Dazu Emde VersR 2019, 791. 4219 OLG Stuttgart, Urt. v. 26.3.1957, VersR 1957, 329; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 164; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 340; Keßler in: Heidel/Schall, HGB, § 89b Rn 61. 4220 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212). 4221 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212). 4222 Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 77. 4223 OLG Stuttgart, Urt. v. 26.3.1957, VersR 1957, 329 (330); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 161/162; Flohr/ Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 340. 4224 Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 77. 4225 OLG Stuttgart, Urt. v. 26.3.1957, VersR 1957, 329 (330), Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 165 ff.; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 10, 18; Schröder BB 1954, 477; Franta MDR 1953, 530. 4226 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 161/162. 4227 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 340 verneint hier Vorteile. 4228 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 166 ff. Emde

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liert werden, so dass das verwirklichte Risiko nicht – wohl auch nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten – ausgleichsmindernd wirkt. Ein generell ungünstiger Risikoverlauf im Gesamtgeschäft des Versicherers wirkt sich in keinem Falle mindernd auf die Ausgleichsberechtigung aus. Kosten mindern, ebenso wie unter Abs. 1, den Vorteil nicht,4229 genauso wenig die an den Nachfolger geleisteten Provisionen.4230 Letzteres zeigt bereits der Rückschluss aus § 89b Abs. 3 Nr. 3. Denn die an den Nachfolger geleisteten Provisionen werden meist den dem ausscheidenden HV gewährten entsprechen, so dass in der Situation des Abs. 3 Nr. 3 regelmäßig kein Anspruch entstehen könnte. Der Ausgleichausschluss dieses Abs. wäre also überflüssig. Der Unternehmervorteil ist weit zu fassen.4231 Auch nach der Novelle 2009 muss der Vorteil 687 des Unternehmers jedoch aus den einzelnen, vom VV vermittelten neuen Versicherungsverträgen (selbst mit Altkunden4232), etwa durch weitere Provisionseinnahmen, und nicht, wie unter Abs. 1, aus der allgemeinen Geschäftsbeziehung zu neuen Kunden entstehen. Da aber mittelbare Vorteile genügen, reicht jeder im weitesten Sinne aus der Vermittlung der Verträge resultierende geldwerte Vorteil. Entscheidend ist nur, dass der Vorteil ursprünglich aus diesen Verträgen herrührte (Quelle). Das Gesetz bestimmt nicht, welcher Art die Vorteile aus dieser Quelle (= vermittelte Verträge) sein müssen. Insoweit kommt angesichts des weiten Vorteilsbegriffs jeder geldwerte Vorteil in Frage. Es ist also zwischen der gegenwartsbezogenen Quelle der Vorteile und den aus der Quelle zukünftig entspringenden Vorteilen zu separieren. Die aus der Quelle (existierende Verträge) entstehenden künftigen Vorteile dürfen nicht auf die bereits in der Vergangenheit geschlossenen Verträge, getätigten Geschäfte, zukünftige Geschäfte gleicher Art oder entgehende Provisionen des VV beschränkt werden. Als Beispiele werden genannt: Folgegeschäfte,4233 ersparte Ausgleichsansprüche,4234 688 Nutzung überlassener Kundendaten4235 bzw. eine Betriebsstilllegung oder Betriebsverpachtung.4236 Auch zukünftige mittelbare Vorteile, z. B. durch Aufbau eines Vertriebsnetzes von Untervertretern welches nach Vertragsende beim Unternehmer verbleibt4237 oder Empfehlungsketten aus dem Versicherungsbestand, sollen genügend sein.4238 Die Kenntnis der Kundendaten zählt gleichfalls dazu, sofern der Nutzung der Datenschutz nicht entgegensteht. Insbesondere mittelbare geldwerte Vorteile jeder Art zählen zu den Unternehmervorteilen.4239 Es gehören nicht nur die auf Grund der Provisionsverzichtsklausel ersparten Vermittlungs-Folgeprovisionen des ausgeschiedenen VV hierzu. Auch die Chance, durch einen in den Versicherungsvertrag eingebauten Automatismus in Gestalt laufend indexierter Anpassung an bestimmte Verhältnisse demnächst zu höheren Prämieneinnahmen zu kommen, ist mitzuzählen; ebenso die Chance, dass Versicherungsverträge mit einer bestimmten, in %-Sätzen ausdrückbaren Wahrscheinlichkeit späterhin aufgestockt werden, ohne dass ein Nachfolge-HV werbend tätig

4229 OLG Oldenburg, Urt. v. 27.10.2015 – 13 U 40/15, IHR 2016, 215 = ZVertriebsR 2016, 182 Rn 40 – Kommissionsagent. AA Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 339.

4230 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 340. 4231 Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 – zum Bausparkassenvertreter; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 158; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 342. Hopt § 89b Rn 87 f.; Thume VersR 2009, 436. Vgl. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019, 32 (322), die dabei aber eher auf die Erweiterungsrspr. rekurrieren. Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212). Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212). Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212). Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212). Vgl. Trinkhaus S. 391 (Vorteile daraus, dass sich ein Teil der VN nach Vertragsende an den Versicherer wenden werde); Thume IHR 2011, 7 (11), der auch Vorteile aus der fortwährenden Sicherung und Erhalt des Versicherungsbestandes genügen lässt; aA noch Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 89; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 339. 4239 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 39 – Thume begrenzt die mittelbaren Gewinne aber auf solche, die auf die Vermittlungstätigkeit zurückzuführen sind.

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geworden ist. Deshalb führen etwa automatische Vertragserweiterungen nach Beendigung des Versicherungsvertrages zu einem Unternehmervorteil. 689 Vor allem vor 2009 vertrat man, ein nachvertraglicher Vorteil aus einem weiteren, separaten Vertrag (etwa über andere versicherte Risiken) mit demselben Kunden gelte – abweichend von dem in Bezug genommenen Abs. 1 – nicht als ausgleichsrelevanter Vorteil und könne nicht zu entgehenden Provisionen führen (wobei auch dieses Prinzip durch die unten erklärte „Erweiterungsrechtsprechung“ aufgeweicht wurde).4240 Heute sollen auch im Versicherungsbereich Vorteile und Provisionsverluste aus Folgegeschäften genügen.4241 Gleichwohl vertreten noch immer viele einen engeren Vorteilsbegriff: So vertritt Weske, es seien nicht alle denkmöglichen Unternehmervorteile einzubeziehen, für die der HV mitursächlich sei.4242 Das Korrektiv sei insoweit die Billigkeit nach Abs. 1 S. 1 Nr. 2.4243 Dieses enge Verständnis erscheint nun zweifelhaft. Wie das Beispiel der bei der Unternehmensveräußerung entstehenden Vorteile zeigt, braucht der Vorteil nicht einmal vom Kunden als vertragliche Gegenleistung der geschlossenen Verträge zu stammen; es genügt die Leistung eines Dritten, im Falle des Unternehmenskaufes des Käufers. Eine Beschränkung der Ausgleichsschuld auf die Summe der Vermittlungsprovision, die der Unternehmer bei Fortsetzung des Vertrages zu leisten hätte, kennt das Gesetz nicht.4244 Denn diese Provision kann, muss aber nicht, Berechnungsgrundlage des Ausgleichs sein. Der Ausgleich darf auch auf Basis anderer Vorteile beziffert werden. 690 Ein Vorteil bleibt aber unberücksichtigt, wenn bei der erforderlichen Prognose zum Zeitpunkt des Vertragsendes abzusehen ist, dass er nach Vertragsbeendigung nicht eintreten wird, z. B. weil die Beendigung eines Versicherungsvertrages absehbar ist.4245 Bei der Bestimmung der Unternehmervorteile ist zu berücksichtigen, dass Versicherungs691 und Bausparverträge üblicherweise mit langfristiger Bindungsdauer abgeschlossen werden. Im Vergleich zum Unternehmer eines Warenvertreters, bei dem eher punktuelle Geschäfte, noch dazu der Vergangenheit mit unspezifischer Wiederholungswahrscheinlichkeit (Beispiel: Kaufverträge), ausgleichsbegründend wirken, kann der Versicherer oder das Bausparunternehmen aufgrund der langfristig geschlossenen Verträge mit VN und Bausparkunden Vorteile dauerhafter nutzen.

692 b) Unternehmervorteile bei Verwaltungsprovisionen. Nicht anders als beim Warenvertreter ist umstritten, ob Unternehmervorteile aus verwaltenden Tätigkeiten des VV entstehen, d. h. ob verwaltende Vergütungsbestandteile die Ausgleichsbemessungsgrundlage erhöhen. Bislang wurde die Abgrenzung verwaltender von werbender Provision allein unter dem gemäß der Aneinanderreihung der TB-Merkmale nachrangigen Titel der „Provisionsverluste“ geführt. Bei der Betonung der entgehenden ausgleichsrechtlich relevanten Leistung des Unternehmers – der Provision – mag die Diskussion unter diesem Titel Berechtigung gehabt haben. Insb. nach Wegfall der Provisionsverluste als notwendigem TB-Merkmal des § 89b ist die Entfernung verwaltender Provisionsbestandteile aus der Ausgleichsberechnung schwerer zu begründen.4246 Die im Warenvertreterrecht geführte Diskussion ist zu übertragen. Nach bisher h. M. sind für die Ausgleichsberechnung bedeutsam nur die für die Neuvermittlung dem VV geschuldeten Abschluss-

4240 Siehe etwa Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 188/258. 4241 Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019, 32 (322), die dabei aber eher auf die Erweiterungsrechtsprechung rekurrieren.

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Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 342. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 342. AA Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 279. Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (212). Für den VV lehnt etwa Evers VW 2010, 524 den Ausgrenzung verwaltender Vergütungsbestandteile aus der Ausgleichsberechnung ab. Auch Thume IHR 2011, 7 (11) befürwortet nach Diskussion die Einbeziehung verwaltender Vergütungsbestandteile in die Ausgleichsberechnung des VV. Emde

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bzw. Vermittlungsprovisionen, nicht hingegen Verwaltungsprovisionen.4247 Nur werbende Provisionsbestandteile sollen zu ausgleichsrechtlich relevanten Unternehmervorteilen bzw. entgangenen Provisionen führen. Teilweise wird der Begriff der „werbenden“ Tätigkeit des VV noch enger gesehen als unter Abs. 1.4248 Gegen die Ausgleichsfähigkeit sollte sprechen, dass die Verwaltungsprovision, anders als die Vermittlungsprovision, ein Entgelt für laufend geleistete Tätigkeit und folglich nicht für die „Vermittlung“ i. S. d. Abs. 5 darstellt. Sie war nach dieser Ansicht ausschließlich tätigkeitsbezogen, nicht erfolgsbezogen, und konnte nur durch zukünftige, noch nicht erbrachte und wegen des Vertragsendes nicht mehr geschuldete Verwaltungstätigkeit verdient werden.4249 Der HV habe während seiner Vertragszeit bei der Bestandspflege nicht mehr und nicht weniger getan als sein Nachfolger tun müsse, und wofür die Verwaltungsprovision dem letztgenannten weitergezahlt werde.4250 Außerdem wurde darauf verwiesen, dass die bei Gewährung werbender Einmalprovision infolge der Vertragsbeendigung allein entfallende Bestandspflegeprovision immer verwaltenden Charakter trage. Es fehlten Unternehmervorteile, weil die Verwaltungstätigkeit des Nachfolgers weder kosten- noch arbeitsmäßig durch die Tätigkeit des ausgeschiedenen VV beeinflusst werde.4251 Die durch „Bestandspflegeprovisionen“ honorierte, nach der Akquise einsetzende Pflege des Vertragsbestandes sei nicht auf eine zukunftsgerichtete Werbung bezogen. Diese Argumentation war schon immer umstritten. Denn auch Verwaltungsprovisionen entgehen durch das Vertragsende. Es liegen mithin (immer) Provisionsverluste vor. Grunds. ist Werbung ohne verwaltende Tätigkeit unmöglich. Die bestandserhaltende Tätigkeit des VV ist gleichzeitig Fortsetzung und wieder Neubeginn der „Absatzförderungspflicht“.4252 Der VV kann mit diesem „Service“ auch bei der Vermittlung werben4253 und dient sich für weitere Abschlüsse an. Dass der Bestand erhalten bleibt, bildet einen Unternehmervorteil. Eine gute Verwaltungstätigkeit hilft also bei weiteren Vermittlungen; Verwaltung und Vermittlung sind miteinander verwoben.4254 Gerade der VV muss den Versicherungsvertrag „pflegen“, damit die Kundenbindung bestehen bleibt und Neugeschäfte möglich werden. Folglich können auch aus verwaltender Tätigkeit und insb. aus der Bestandspflege ausgleichspflichtige Unternehmervorteile entstehen,4255 und deshalb werden Bestandspflegeprovisionen geleistet. Für den Tankstellen-HV hatte der BGH entschieden, Provisionen für Lagerhaltung besäßen werbenden Charakter.4256 Dies gilt dort, weil die Lagerhaltung geeignet ist, Kundenbindungen zu erzeugen, welche sich nach dem Ausscheiden des Tankstellenvertreters in Folgegeschäften des

4247 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 30; v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, WM 2004, 1483 unter II 2 b; v. 19.11.1970, BB 1971, 105 = VersR 1971, 265; v. 23.2.1961, BGHZ 34, 310 = BB 1961, 381; v. 4.5.1959, BGHZ 30, 98 = NJW 1959, 1430; Höft VersR 1966, 104 ff.; 1970, 97 ff.; OLG München, Urt. v. 10.3.1993, BB 1993, 1754; Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217); Küstner/ Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 90 (dort Hinweis, dass es sich um die „bisherige“ Meinung handelt); Küstner/Thume/ Küstner II8 Kap. VIII Rn 151 ff.; 185 ff., 283 ff., der sich unter Rn 159 auf die Amtl. Begr. BT-Drs. I/3856 beruft; Küstner/ Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 208/59; Thume VersR 2009, 436 ff.; vgl. auch Emde FS Karsten Schmidt S. 339; Flohr/ Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 347; Glanegger/Ruß § 89b Rn 35; Keßler in: Heidel/Schall, HGB, § 89b Rn 62; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57; aA Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 11, 41c; Schröder in: FS für Nipperdey, 1965, S. 750. 4248 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 347. 4249 Geßler S. 92, 71; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 207/208. 4250 BGH, Urt. v. 4.5.1959, BGHZ 30, 98 (102) = NJW 1959, 1430; v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, DB 1971, 185; OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685 (kein VV) – das OLG verkennt hier mglw. die Beweislast, weil es mangelnden Vortrag des HV zum werbenden Charakter vermisst und damit dem HV die Beweislast zuweist; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 160. 4251 BGH, Urt. v. 19.11.1970, BB 1971, 105; Höft VersR 1966, 104 (107); Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 161. 4252 AA Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 233. 4253 AA Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 347 f. 4254 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 286. 4255 Thume BB 2009, 2490 (2494). 4256 BGH, Urt. v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, VersR 1997, 1398. 613

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Mineralölunternehmens mit dem vom Tankstellen-HV geworbenen Kunden niederschlagen können. Gleiches lässt sich für eine gute Bestandspflege sagen. Betont man das so identifizierte Vertriebsinteresse, liegt werbende Provision vor.4257 Wird hingegen die Pflege und Verwaltung des Bestandes in den Vordergrund gerückt, wäre ein Abzug vertretbar. Die oben geführte Argumentation aus der RL lässt sich wegen der Geltung der RL nur für Warenvertreter zwar nicht unmittelbar übertragen, u. U. aber über ihre Ausstrahlungswirkung und der Übertragung aufgrund einheitlicher Auslegung des Gesetzestextes für beide Vertretertypen. 693 Zumindest nach Streichung der Provisionsverluste als zwingendes TB-Merkmal des § 89b ist die Begründung der bislang h. M. weniger erheblich. Auch das in Abs. 5 genannte Merkmal der „Vermittlung“ dürfte weniger entscheidend sein. Es könnte zwar so verstanden werden, als seien verwaltende als nicht die Vermittlung betreffende Vergütungsbestandteile aus der Ausgleichsbemessungsgrundlage auszuklammern. Es ist aber gerade die Frage, welche Tätigkeiten des VV der Vermittlung dienen und damit werbend sind. Möglicherweise spielt auch die Umständlichkeit der Ausgrenzung verwaltender Vergütungsbestandteile aus der Gesamtprovision eine Rolle, wobei hier ebenfalls eine Beweislastverteilung helfen könnte (Rn 479 ff.). In jedem Fall gelten für die Aufteilung der gezahlten Gesamtprovisionen in Vermittlungs- und Abschlussprovision die allgemeinen Maßstäbe und Beweislastgrundsätze (Rn 479 ff.), und zwar sowohl bei Einmal- wie Folgeprovisionen. Sowohl für die Ausklammerung wie die Einbeziehung „verwaltender“ Vergütungsteile in die Ausgleichsberechnung gibt es mithin Argumente. 694 Die Grundsätze der Versicherungswirtschaft für die Sachversicherung verzichten wegen der schwierigen Separierung auf eine Unterscheidung zwischen werbenden Vermittlungs- oder Abschlussprovisionen einerseits und Verwaltungsprovisionen andererseits. 695 Ratierlich fällig werdende Abschlussfolgeprovisionen für bereits vermittelte Versicherungsverträge wurden bislang meist als verwaltende Vergütungsbestandteile begriffen. Als verwaltend angesehen wurden mit zum Teil wechselnder Rspr. ferner die für die Stornoabwehr,4258 die Bearbeitung von Schadensfällen und deren Regulierung,4259 die Kontaktpflege und Kundenbetreuung, das Inkasso,4260 u. U. auch die zur Führung von unechten Untervertretern geleistete Provision4261 (vgl. unten zu Superprovisionen), vorbehaltlich einer Falschbenennung im Vertrag. Paradigma der Verwaltungsprovision war die meist ungenau als „Bestandspflegeprovision“4262 oder „Inkassoprovision“ für die Betreuung und Erhaltung des Vertragsbestandes titulierte Vergütung, welche nach h. M. den weit überwiegenden Teil der Folgeprovision einnahm. Denn die Bestandspflege beziehe sich auf bereits abgeschlossene, also

4257 So OLG München, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, BKR 2011, 21; v. 5.10.2010 – 5 U 4438/09, jedoch nicht zu einem Ausgleichsfall.

4258 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 212. 4259 OLG München, Urt. v. 10.3.1993, BB 1993, 1754. 4260 BGH, Urt. v. 4.5.1959, BGHZ 30, 98 = NJW 1959, 1430; OLG München, Urt. v. 10.3.1993, BB 1993, 1754; Küstner/ Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 212. 4261 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284); vgl. dazu Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 351. 4262 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284); v. 22.12.2003, VersR 2004, 376; v. 6.8.1997 – VIII ZR 150/96, VersR 1997, 1398; BGHZ 30, 98; 34, 310 – Bausparkassen-HV; BGH VersR 1963, 556 (557) – dort als „Inkassoprovision“ bezeichnet; v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, DB 1971, 185; OLG München, Urt. v. 10.3.1993, BB 1993, 1754; OLG Celle, Urt. v. 11.3.1961 – 3 U 116/60; BAG, Urt. v. 21.5.1985 – 3 AZR 283/83, BB 1986, 1017 = DB 1986, 919; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 212; Hoffmann S. 55 ff.; Höft VersR 1966, 104 ff.; ders. 1970, 97 ff.; Bruck/Möller Vor § 43 Anm. 377; aA OLG München, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, BKR 2011, 21; v. 5.10.2010 – 5 U 4438/09: „entgeltliche Leistung für die vom HV erbrachte Gegenleistung der Kundenwerbung und Kundenpflege“; Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 108; Thume BB 2009, 2490 (2494); Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 11, 41c ff. und FS Nipperdey (1965) 715 ff.; Leuze Recht des Versicherungsvertreters (1953) S. 22 ff. Emde

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geworbene Versicherungsverträge.4263 Der VV ist meist (nicht notwendig) mit solcher sich aus der Langfristigkeit der vermittelten Verträge ergebenden Bestandspflege- und Inkassotätigkeit betraut. Sie besteht in der Beratung des VN, dem Inkasso – sofern der Versicherer kein Zentralinkasso eingeführt hat – und der Mitarbeit bei der Abwicklung von Versicherungsfällen, insb. bei Schadensfällen. Vertraglich durfte Abweichendes vereinbart werden. Andererseits wurde der werbende Anteil an den Gesamtprovisionen z. T. als Erfahrungssatz mit bis zu 95 % angenommen.4264 Die Probleme werden hervorgerufen, weil in den Provisionen, wie auch immer sie berechnet 696 oder bezeichnet wurden (Einmalprovision für die Vermittlung, daran anschließend „Verwaltungsprovision“), die beiderseitigen Anteile ununterschieden in einem einheitlichen Provisionssatz zusammengefasst werden,4265 während es sich wirtschaftlich betrachtet um unterschiedliche Vergütungsarten handeln könnte. Häufig enthält die vom Versicherer als rein verwaltend angesehene oder sogar bezeichnete Folgeprovision sowohl laufende Vermittlungs(Teil-)Provision wie auch Verwaltungsprovision.4266 Versicherungen mit erheblicher Laufzeit, die schon während der Dauer des Vertragsverhältnisses jahrelang bestanden und im Gefüge der Folgeprovisionen auch die Vermittlungsvergütung laufend abgeworfen haben, können bei Beendigung des Vertragsverhältnisses noch langjährig fortlaufen. Nach bisheriger Auffassung war zu bedenken, ob die ursprüngliche Vermittlung längst abgegolten war und die Folgeprovision in steigendem Grade den Charakter einer reinen Vergütung für die verwaltende Tätigkeit annahm.4267 Dafür spricht der zeitliche Abstand zur Vermittlungstätigkeit, dagegen, dass sich der Wert dieser Vermittlungstätigkeit angesichts der Bestandskraft des Vertrages mit wachsender Vertragsdauer erhöht, also mit jeder Folgeprovision auch eine Rate der zunehmend in höherer Summe verdienten Vermittlungsprovision geschuldet wird. Die Antwort wird man nur einzelbezogen finden können. Nach bisher h. M. sollten die meisten Folgeprovisionen keinen4268 oder nur einen geringen 697 Anteil werbender Provision enthalten. Deshalb war im Streitfalle der in der Provision enthaltene Anteil an Vermittlungsprovision – welcher auf Grund der Provisionsverzichtsklausel entfiel – durch Schätzung gem. § 287 ZPO auf betriebskalkulatorischer Grundlage zu ermitteln.4269 § 87b Abs. 3, demzufolge bei Gebrauchs-, Überlassungs- und Nutzungsverträgen von bestimmter Dauer die Provision vom Entgelt für die gesamte Vertragsdauer und bei unbestimmter Dauer die Provision vom Entgelt bis zu dem Zeitpunkt zu berechnen ist, zu dem erstmals von dem geworbenen Kunden gekündigt werden kann, lässt sich kein Hinweis entnehmen, ob die nach dem ersten Jahr gezahlten Folgeprovisionen vermittelnden oder verwaltenden Charakter tragen. Maßgeblich für die Aufteilung zwischen verwaltendem und werbendem Teil der Provi- 698 sion ist wegen der unterschiedlichen Provisionssysteme und Versicherungszweige kein starres Schema4270 (etwa die im Maklerbereich angenommene Regel, 50 % der Gesamtvergütung sei

4263 FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2; Klingmüller Anm. zu KG, Urt. v. 6.3.1964, VersR 1961, 1295. 4264 Vgl. Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 288; Küstner VersR 2002, 520; Küstner VW 2003, 61, der selbst aA ist. 4265 BGH, Urt. v. 21.3.1963 – VII ZR 95/61, VersR 1963, 566; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 222; Oetker/ Busche5 § 89b Rn 57; siehe zur Abgrenzungsproblematik aus steuerrechtlicher Sicht FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2 (4). 4266 So bereits die Amtl. Begr. BT-Drs. I/3856, S. 36: in der „Inkassoprovision“ sei ein Teil Abschlussprovision enthalten. 4267 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 205. 4268 Hopt § 89b Rn 91. 4269 FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2 (4). 4270 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 239; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 348. 615

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werbend4271), sondern sind es Art und Höhe des Risikos,4272 Höhe des Jahresbeitrages,4273 Umfang der Verwaltungstätigkeit,4274 Inkassotätigkeit des VV,4275 also insb. die Relation zwischen aufgewendeter Zeit für verwaltende und werbende Tätigkeit.4276 Anhand einer Analyse kann festgestellt werden, in welchem zeitlichen Verhältnis der Verwaltungsaufwand zum werbenden Aufwand steht.4277 Allerdings hilft diese Prüfung in der Praxis wenig. Denn meist wird streitig sein, ob die jeweilige Tätigkeit werbend oder verwaltend ist. Außerdem brauchen die Verhältnisse bei einem VV nicht notwendiger Weise die eines anderen zu treffen. 699 Unerheblich für die Zuweisung zu Vermittlungs- oder Verwaltungsprovisionen ist die Bezeichnung der Provision.4278 Sie besitzt keinen genügenden Unterscheidungswert, da es in manchen Versicherungszweigen üblich ist, mit der als Verwaltungs- und Inkassoprovision bezeichneten Vergütung auch Vermittlungs- und Abschlusstätigkeiten zu vergüten.4279 Ob und in welchem Umfang dies ggf. anzunehmen ist, bedarf im Einzelfall tatrichterlicher Feststellung.4280 Auch werden alle Arten der Folgeprovision häufig als Inkassoprovision tituliert, selbst wenn der VV neben dem Inkasso andere Aufgaben wahrnimmt.4281 Die Bezeichnung als werbende oder verwaltende Provision beruht zudem ohne darin liegende rechtliche Wertung oft auf betrieblicher Übung der betroffenen Unternehmen.4282 Eine vollständige Derogation des Anspruchs auf Vermittlungsprovision bzw. deren vollständige Ersetzung durch eine Verwaltungsprovision ist mit der zwingenden Natur des Ausgleichs nach § 89b Abs. 4 S. 1 unvereinbar.4283 Unklarheiten bei der Terminologie durch die begriffsbestimmenden Versicherer gereichen nicht zu ihrem Vorteil, da im Zweifel die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB anzuwenden ist. Die Neigung der VV geht dahin, in den Folgeprovisionen nur geringe Anteile verwaltender Provision zu sehen, die der Versicherer dahin, den Anteil vermittelnden Entgelts eher zu reduzieren.4284 Aus der steuerlichen Behandlung der Provision darf kein Rückschluss auf die Einordnung 700 als werbende oder verwaltende Provision gezogen werden.4285 Nach § 4 Nr. 11 UStG sind die Umsätze der VV insoweit steuerfrei, als sie tätigkeitsbezogen und für den Beruf charakteristisch, also berufstypisch sind. Bloße Hilfsgeschäfte sind von der Steuerbefreiung ausgeschlossen. Im Versicherungsvertrieb sind auch Verwaltungs- und Bestandspflegeleistungen des VV berufstypisch, die durch Verwaltungs- oder Bestandspflegeprovisionen vergütet werden.4286 Auch Ent-

Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 287. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 239. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 239. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 239, 285 („Zeit-Analyse“). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 239. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 239. FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2 (4). BGH, Urt. v. 4.5.1959, BGHZ 30, 98 = NJW 1959, 1430; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 216 ff.; Flohr/ Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 348. Küstner a. a. O. Rn 180 empfiehlt Formulierungen wie „einmalige Vermittlungsprovision“ oder „Vermittlungsprovision als Einmalprovision“. 4279 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1383 (1285). 4280 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283. 4281 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 215. 4282 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 216; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 348. 4283 BGH, Urt. v. 14.6.2006 – VIII ZR 261/04, DB 2006, 1953 im Anschluss an BGH WM 2006, 1788, v. 10.7.2002 – VIII ZR 58/00, DB 2002, 2321 = WM 2003, 491. 4284 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 220 ff. 4285 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284); zur steuerlichen Begriffsbestimmung etwa FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2 (4). 4286 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1383 (1284).

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gelte, die ein VV für Bestandspflegemaßnahmen bezieht, die seiner selbständigen gewerblichen Vertretertätigkeit hinzuzurechnen sind, bleiben in diesem Sinne berufstypisch.4287 Jede nach der Erstprovision geleistete Folgeprovision enthält meist auch einen Teil 701 (werbender) Abschlussprovision,4288 der zu bestimmen wäre. Dieser werbende Bestandteil wird z. T. als „echte Folgeprovision“ bezeichnet.4289 Bestimmt der VV-Vertrag, dass der VV bereits im ersten Versicherungsjahr keine Abschluss- oder Verlängerungsprovision, sondern nur Verwaltungsprovision erhält, so müssen in jenen „Verwaltungsprovisionen“ Entgelte für die Vermittlung enthalten sein, die ggf. geschätzt werden.4290 Mit den Worten des BGH4291 wäre die vertragliche Aufteilung nicht plausibel. Abschluss- und nicht Bestandspflegeprovision werden trotz der Bezeichnung als Bestandspflegeprovision für Besprechungen im Zusammenhang mit Laufzeitverlängerungen und Anpassungen der Beitragssumme (soweit es sich um Erhöhungen der Versicherungssumme handelt) gezahlt, weil es sich insoweit um die Akquisition von Neugeschäft handelt.4292 Bei gleich bleibenden Provisionen, die im Bausparbereich unüblich sein sollen,4293 soll 702 in jeder einzelnen Provisionsrate anteilig eine Abschlussvergütung enthalten sein,4294 was allerdings kaum auf den in § 354 Abs. 1 enthaltenen Grundsatz, ein Kaufmann erbringe seine Dienste nicht umsonst,4295 sondern eher auf den Erfahrungssatz, dass der Unternehmer den Abschluss besonders langfristiger Verträge honorieren will, gestützt werden kann. Bei erhöhter Erstprovision und niedrigeren Folgeprovisionen besitzt die Erstprovision 703 unstreitig werbenden Charakter,4296 wahrscheinlich sogar ausschließlich, zumindest aber überwiegend. Der BGH vertrat in Entscheidungen aus der Zeit vor der jetzt maßgeblichen Rspr., die bei Gewährung von Einheitsprovision dem Versicherer die Beweislast für den verwaltenden Anteil zuweist,4297 die Folgeprovision sei ausschließlich Verwaltungsprovision.4298 Diese Aussage kann nicht für alle Fälle richtig sein4299 und ist beweistechnisch durch die neuere Rspr. überholt (siehe Rn 479 ff.). Es gibt auch hier Mischtypen; bei ihnen ist die erhöhte Erstprovision nicht Einmalprovision, sondern ihrerseits erst Teilabgeltung der werbenden Tätigkeit, die Folgeprovisionen enthalten weitere, die Bestandskraft honorierende Vergütungsteile für die Vermittlung. 4287 BGH DB 1961, 1603; HFR 1963, 68; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 219 unter Hinw. auf die Amtl. Begründung zu § 89b, BT-Drucks. I/3856. 4288 BGH, Urt. v. 21.3.1963, VersR 1963, 556; OLG Celle, Urt. v. 11.3.1961 – 3 U 116/60, n. v.; Amtliche Begründung zu § 89b, BT-Drucks. 1/3856, derzufolge in der Inkassoprovision ein Teil der Abschlussprovision enthalten ist; Geßler S. 57 ff.; 92 f.; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 238; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57. 4289 Oetker/Busche5 § 89b Rn 57. 4290 FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2 (4) zum Steuerrecht. 4291 BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483. 4292 OLG München, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, BKR 2011, 21; v. 5.10.2010 – 5 U 4438/09; FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2 (4); ebenso KG VersR 1964, 1295 (mit ablehnender Anm. Klingmüller) auf Grund tatbestandlich eingeschätzter Bedeutungslosigkeit des Verwaltungsanteils. 4293 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 288. 4294 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 237. 4295 So aber Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 192. 4296 Geßler S. 56 f.; Bruck/Möller VVG, Anm. 275 vor §§ 43–48; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 241. 4297 BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483; zust. Keßler in: Heidel/Schall § 89b Rn 62; Hopt § 89b Rn 91; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 89b Rn 260. 4298 BGH, Urt. v. 4.5.1959, BGHZ 30, 98 = NJW 1959, 1430 für die Krankenversicherung; ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 26.3.1957, VersR 1957, 329 für die Krankenversicherung bei der Erstprovision von 40 % des Jahresbeitrages und einer Folgeprovision von 15,5 % des Jahresbeitrages. 4299 Wie hier i. E. KG, Urt. v. 6.3.1964, VersR 1964, 1295 m. Anm. Klingmüller; OLG München, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, BKR 2011, 21; v. 5.10.2010 – 5 U 4438/09: „entgeltliche Leistung für die vom HV erbrachte Gegenleistung der Kundenwerbung und Kundenpflege“. Dies ist auch die Auffassung der Praxis, s. d. Nachw. b. Küstner/Thume/ Thume II9 Kap. IX Rn 216. 617

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Maßgeblich sind die Verhältnisse des Einzelfalls. Die Rspr. hat einzelfallbezogen Anhaltspunkte für die Beurteilung herausgearbeitet. So bejahte das KG4300 einen Anteil von Abschlussprovision in der Folgeprovision von 15 % der Jahresprämie. Das Gericht wertete die Bestandspflege als Teil der Vermittlungstätigkeit und konnte damit einen höheren Anteil werbender gegenüber verwaltender Tätigkeit begründen.4301 Ist die Erstprovision gegenüber den Folgeprovisionen nur geringfügig höher, so muss in den Folgeprovisionen ein Vermittlungsprovisionsanteil enthalten sein. Dies gilt besonders, sofern der Versicherer die Erstprovision normalerweise nicht erhöht, sondern sie als höhere nur in Anbetracht des besseren Risikos im konkreten Falle gewährt hat. So etwa beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, der das kombinierte Geschäft (für Mitglieder und für Nichtmitglieder) betreibt und für den der Abschluss mit einem Mitglied wegen der geringeren Storno- und Schadensanfälligkeit ein „besserer“ ist als bei Abschlüssen mit Nichtmitgliedern.4302 Die Folgeprovision enthält werbende Bestandteile, wenn der VV zwischen einer 100 %igen Erstprovision ohne Folgeprovision und einer 60 %igen Erstprovision mit Folgeprovisionen wählen darf.4303 Wird dem Nachfolgevertreter eine gegenüber dem Vorgänger reduzierte Folgeprovision gewährt, bleibt es bei der Vermutung, sie enthalte einen Anteil werbender Provision.4304 Bestimmt der VV-Vertrag, ein nicht verdienter Provisionsteil müsse vom VV zurückgezahlt werden, falls die der Bemessung der Erstprovision zugrunde gelegte Versicherungsdauer nicht erreicht wird, spricht dies für einen Anteil werbender Provision in den Folgeprovisionen.4305 Sonst aber soll eine höhere Erstprovision, und namentlich eine deutlich höhere, nach der recht strengen Rspr. auf den Charakter der Einmalprovision als werbende hinweisen, die Folgeprovisionen sollen reine Verwaltungsprovisionen bilden.4306 Gegen einen Anteil von Abschlussprovision in der Folgeprovision spricht insb., wenn die Folgeprovision in derselben Höhe einem den Bestand übernehmenden VV gezahlt wird, wie sie auch an den den jeweiligen Versicherungsvertrag werbenden, abgebenden Altvertreter geleistet wurde.4307 Im Bausparbereich sollen erhöhte Erst- und reduzierte Folgeprovision kaum vorkommen.4308 Bei der Hausrat-, Feuer- und Einbruch-Diebstahlversicherung wird im ersten Vertragsjahr oft eine Provision von 90 % der durch den VN gewährten Jahresprämie an den VV ausgezahlt. Die Folgeprovisionen belaufen sich durchgehend nur noch auf 15 % der Jahresprämie, bei der Rechtsschutzversicherung auf 10 %.4309 In der Schadensversicherung besteht die Vermutung, dass bei erhöhter Erstprovision die im 2. Jahr geleistete Provision einen Teil Vermittlungsentgelt enthält.4310 Dies gilt, obwohl die Verwaltungstätigkeit des VV in der Schadensversicherung umfangreicher ist als in der Lebensversicherung, weil sich die Bearbeitung von Schadensfällen arbeitsintensiver als die bloße Bestandspflege bei Lebensversicherungen gestaltet.4311 Letztlich ist alles eine Frage des Einzelfalles. Notfalls muss der Beweispflichtige die Höhe 4300 KG, Urt. v. 6.3.1964, VersR 1964, 1295 m. Anm. Klingmüller; i. E. auch OLG München, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, BKR 2011, 21; v. 5.10.2010 – 5 U 4438/09: „entgeltliche Leistung für die vom HV erbrachte Gegenleistung der Kundenwerbung und Kundenpflege“. 4301 Kritisch Klingmüller VersR 1964, 1298 und Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 230 mit der Begr., die Bestandspflege könne sich schon begrifflich allein nur auf bereits abgeschlossene Versicherungsverträge beziehen. 4302 BGH VersR 1963, 556 (Tierversicherung). 4303 BAG, Urt. v. 21.5.1985 – 3 AZR 283/83, BB 1986, 1017 = DB 1986, 919. 4304 LG Berlin, Urt. v. 1.11.1932, JRPV 1933, 30; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 207, 224. 4305 Trinkhaus S. 253 ff.; aA Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 220, weil sich aus einer solchen Regelung kein Anhaltspunkt auf die Zusammensetzung der Provision ergeben soll. 4306 BGHZ 30, 98 (106); OLG Stuttgart, Urt. v. 26.3.1957, VersR 1957, 329 (Erstprovision 40 % des Jahresbeitrages, Folgeprovisionen 15,5 %); Geßler S. 56 f.; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 242; aA Trinkhaus S. 253, 260 ff. 4307 BGH, Urt. v. 21.3.1963, VersR 1963, 556; v. 4.5.1959, BGHZ 30, 98 = NJW 1959, 1430; LG Berlin, Urt. v. 1.11.1932, JRPV 1933, 30; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 242. 4308 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 288. 4309 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 241. 4310 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 246. 4311 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 211. Emde

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des werbenden Anteils durch SV-Gutachten beweisen.4312 Eine generelle Regel, dass die Folgeprovisionen nur nicht ausgleichspflichtige verwaltende Bestandteile erhalten, wird damit fraglich.4313 Nicht anders als nach Abs. 1 müssen die Unternehmervorteile „erheblich“ sein. Letztlich 704 sollen auch hier nur Evidenzfälle ausgeschlossen werden. Nach Ansicht von Weske4314 sind Unternehmervorteile erheblich, wenn die in die Vorteilsbetrachtung einzubeziehenden Verträge die Einnahmen und Gewinnchancen des Unternehmers in einer nach wirtschaftlicher Sicht nicht zu vernachlässigenden Weise erhöhen. Auch im Bausparbereich entstehen ausgleichsbegründende Unternehmervorteile aus dem 705 vom Vermittler geschaffenen Bausparvertragsbestand und nicht aus dem Kundenstamm.4315 Der Ausgleichsanspruch des Bausparkassenvertreters soll eine Bestandsvergütung gleichzeitig im Hinblick auf die vollständige Vergütung des bis zum Vertragsende aufgebauten Vertragsbestandteils wie auch ein „Provisionssurrogat“ bilden.4316 Nach einer Ansicht4317 sollen die Unternehmervorteile in der Chance liegen, aus dem Vertragsbstand materielle Gewinne zu erzielen. Z. B. könne das Bausparunternehmen aus der Anlage der Sparbeiträge Zinsen erzielen, in der Darlehensphase könne sich der Unternehmer refinanzieren, also Kapital am Markt günstiger erwerben, als er dem Sparer zur Verfügung stelle. Hopt4318 sieht einen Vorteil der Bausparkasse darin, dass Ergänzungsverträge abgeschlossen werden und es zu Bausparsummenerhöhungen kommt. Vorteile fließen dem Bausparunternehmen auch aus Verträgen zu, die im engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit den bereits vom HV vermittelten Verträgen stehen und dem gleichen Bausparbedürfnis dienen4319 (s. u.). Auch soll der Bausparbeitrag im Rahmen des Gesamtbestandes der vermittelten Verträge zum Gewinn beitragen.4320 Eine Rückläufigkeit des Gesamtbestandes mindert die Vorteile nicht, weil ohne die vom Vermittler akquirierten Verträge der Bestand noch weiter abnehmen würde.4321 Schadensfälle aus der Akquisition mindern die Vorteile nicht, es sei denn, der HV hat grobe Pflichtverletzungen begangen.4322 Dreyer/Haskamp bezweifeln,4323 ob Bausparkassen aus der Vermittlung von Bausparverträgen wesentliche Vorteile gewinnen. Die Bausparkasse sei verpflichtet, dem Bausparer den vereinbarten oder tariflich festgelegten Zins zu zahlen. Den Zeitpunkt der Zuteilung könne sie nicht im Voraus bestimmen (§ 4 Abs. 5 BausparkassenG). Ein Gewinn sei für den Bausparunternehmer somit nicht in Sichtweite, weil die Ansparphase – je nach Tarif und Höhe der Sparleistungen – mehrere Jahre betragen könne.4324 Ob aufgrund der Zuteilung des Bausparvertrages Vorteile in Form von Zinserträgen an die Bausparkasse flössen, sei nicht sicher. Denn der Bausparer müsse die Zuteilung des Vertrages nicht annehmen. Er könne darauf verzichten. Dann habe die Bausparkasse nur Guthabenzinsen geleistet, würde jedoch aus dem vermittelten Vertrag keine Vorteile ziehen.4325 Der Vorteil der Abschlussgebühr werde im Laufe der Ansparzeit durch die Zinszahlung auf das Bausparguthaben mehr als beseitigt.4326 Aus der Anlagemöglichkeit der Sparguthaben durch die Bausparkasse könnten in Zeiten der Niedrigzinsphase, wie derzeit, ebenfalls kaum Unter4312 4313 4314 4315 4316 4317 4318 4319 4320 4321 4322 4323 4324 4325 4326 619

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 246. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 246. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 341. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366. Flohr/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 359. § 89b Rn 90. Flohr/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 340. Küstner/Thume Handbuch des gesamten Vertriebsrechts II, Kap. VII Rn 162. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366. Küstner/Thume Handbuch des gesamten Vertriebsrechts II, Kap. VII Rn 164. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (367). Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (367). Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (367). Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (367). Emde

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nehmervorteile hergeleitet werden. Letzteres mag richtig sein. Da Bausparkassen jedoch noch immer Verträge schließen, scheinen sich diese zu lohnen. Außerdem ändert dies nichts an dem Umstand, dass der Mindestvorteil des Unternehmers in der Höhe der durch das Vertragsende ersparten Provisionen liegt. Dreyer/Haskamp4327 schlagen vor, die Vorteile der Bausparkasse aus dem Durchschnitt der vom HV in den letzten 4 Jahren erzielten Provisionseinkünfte, abzüglich Verwaltungsprovisionen, Erfolgsprämien und sonstigen Erfolgsvergütungen, zu berechnen. Erfolgsprämien etc. seien dem Mittler bereits vergütet worden und könnten daher bei den Unternehmervorteilen nicht nochmals in Ansatz gebracht werden. Von dem so ermittelten Betrag könnten anerkannte Fachkreise, etwa Verbände, einen bestimmten %-Satz als Grundausgleich festlegen und entscheiden, ob für die Zeitdauer des HV-Vertrages bestimmte Multiplikatoren zu berücksichtigen seien. Die Grundaussage würde also lauten: „Die Vorteile des Bausparunternehmers betragen x % des Durchschnitts des vom Mittler in den letzten 4 Vertragsjahren erzielten Provisionsaufkommens. Verwaltungsprovisionen und Erfolgsvergütungen jeglicher Art werden bei der Berechnung nicht in Ansatz gebracht. Bei einer Tätigkeitsdauer von y Jahren beträgt der Multiplikator z, bei einer Dauer des Vertragsverhältnisses erhöht sich dieser auf den Faktor x1.“ Diese Lösung habe den Vorteil, dass sie in der Praxis zu schnellen und vertretbaren Ergebnissen führe.4328 Beweislast. Siehe zunächst Rn 479 ff. Die Rspr. zieht sich oft auf Erfahrungen der Vergan706 genheit als Schätzgrundlage zurück. Grds. trifft den Versicherer die Beweislast für den verwaltenden Charakter.4329 Sieht der VV-Vertrag gesonderte Provisionen für werbende und verwaltende Provisionsteile vor und ist diese Aufteilung plausibel, trägt jedoch der HV für eine vom Vertragstext abweichende Verteilung werbender und verwaltender Provisionsteile die Beweislast.4330 Fehlt eine solche Aufteilung und wird lediglich eine „Einheitsprovision“ gewährt, trifft den Versicherer die Beweislast.4331 Der BGH4332 hat die Schätzung der dortigen Vorinstanz4333 unbeanstandet gelassen, der Anteil ausgleichspflichtiger Nachtragsverträge betrage 50 % aller Zweitverträge.

4. Billigkeit (Tatbestandsmerkmal 4) 707 a) Überblick. Zur Billigkeit gelten grds. die unten entwickelten, allgemeinen4334 Maßstäbe. Insbesondere die früheren „Provisionsverluste“ und heutigen „entgangenen Provisionen“ sind nun ein Billigkeitskriterium. Eine unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgleichsreduzierende Altersversorgung wird gelegentlich in Gestalt einer sog. Provisionsrente gewährt. Ihre Höhe errechnet sich auf der Basis des bei Vertragsende maßgebenden Provisionssatzes i. V. m. der Laufzeit der vermittelten Versicherungsverträge. Sie ist keine ausgleichsrelevante Provision4335 und nicht Folgeprovisionsabgeltung, zumal sie oft voraussetzt, dass Folgeprovisionen nach Vertragsende nicht zustehen; kann aber auf den Ausgleich mit ihrem Kapitalwert unter Billigkeitsgesichtspunkten anrechenbar sein (s. o.). Weil für die Festsetzung der Provisionsrente die wirkliche 4327 Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368). 4328 Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368). 4329 BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483.

4330 BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 348.

4331 BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483; Hopt § 89b Rn 91.

4332 BGH, Urt. v. 6.7.1972, BGHZ 59, 125 = NJW 1972, 1664; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 306 warnt vor einer Generalisierung.

4333 OLG Stuttgart, Urt. v. 22.2.1971, VersR 1972, 44 m. Anm. Höft = RVR 1972, 42 m. Anm. Küstner. 4334 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 352. 4335 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 351. Emde

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Laufzeit der vermittelten Verträge, und nicht nur die prognostizierbare, wie beim Ausgleich, zugrunde gelegt wird und deshalb deren Dauer abgewartet werden muss, ist eine endgültige Entscheidung über einen nach Billigkeit etwa verbleibenden Restausgleich bei Vertragsende schwer möglich. Daher ist eine Prognose vorzunehmen. Unzulässig wäre es, falls der Ausgleich zunächst unter Außerachtlassung des Billigkeitsgesichtspunktes errechnet und ein etwaiger Rest bis zum völligen Auslaufen der Provisionsrente gestundet wird.

b) Entgangene Provisionen aa) Überblick. Die Provisionsverluste waren gem. § 89b Abs. 1 Nr. 2 in der bis 2009 geltenden 708 Fassung Anspruchsvoraussetzung. Voraussetzung der Ausgleichsgewährung war folglich, dass dem VV infolge der Vertragsbeendigung Verluste in Form werbender Provisionen entstanden.4336 Wenn der VV sämtliche verdienten Provisionen schon vertragsbegleitend erhalten hatte, fehlte bis 2009 eine Anspruchsvoraussetzung des Ausgleichsanspruchs.4337 Der EuGH4338 hatte die Altfassung des Abs. 1 als im Widerspruch zur RL stehend angesehen (Rn 170). Der VV ist zwar kein Warenvertreter, so dass die RL für ihn nicht gilt und die bisherige Rspr. zum VV mglw. hätte fortgeführt werden können.4339 Der Gesetzgeber hat § 89b Abs. 1 2009 jedoch an die EuGH-Rspr. angepasst und in Abs. 5 umfassend auf den novellierten Abs. 1 Bezug genommen. Damit gilt die novellierte Fassung des Abs. 1 auch für den VV (s. o.); entgangene Provisionen (bis 2009 „Provisionsverluste“) sind nun auch bei ihm keine Anspruchsvoraussetzung.4340 Weske fürt dies auf ungenügende Sorgfalt des Gesetzgebers zurück.4341 Provisionsverluste dürfen aufgrund der klaren Gesetzesfassung auch nicht als zwingende TB-Voraussetzung in Abs. 5 „hereingelesen“ werden. Auch ohne Provisionsverluste kann ein Ausgleich entstehen. Wegen des Derogationsverbots des § 89b darf die bisherige Rspr. auch nicht als fortgeltend vereinbart werden.4342 Zumindest als Billigkeitselement mit veränderter Beweislast könnte eine konservative An- 709 sicht die bisherige Rspr. fortleben lassen.4343 Dazu Rn 655. Jedenfalls besonders hohe „Provisionsverluste“ einerseits oder teilweise oder völlig fehlende „Provisionsverluste“ andererseits können billigkeitsrelevant werden, und zwar in die eine oder die andere Richtung. Es könnte den Gerichten folglich zustehen, den Ausgleich bei fehlenden Provisionsverlusten entfallen zu lassen, ebenso wie es unter altem Recht entschieden wurde. Nur sollte dabei als Leitbild beachtet werden, dass ein Ausgleich nur Unternehmervorteile voraussetzt und nicht mehr zwingend Provisionsverluste. Da die infolge des Vertragsendes entfallende Chance des VV zur Neuwerbung von Verträgen 710 ausgleichsrechtlich so irrelevant bleibt wie beim Warenvertreter, kann nur aus den vertragsbegleitend neu geworbenen oder erweiterten Verträgen ein den Ausgleich begründender, durch die Provisionsverzichtsklausel hervorgerufener Provisionsverlust aufkommen. Allerdings ist jeder mittelbare Vorteil aus diesen Verträgen relevant. Entgangene Provisionen betreffen grds. alle Provisionsarten, die nach dispositiven Recht oder Vertrag infolge des Vertragsendes entfallen. Im Gegensatz zu werbenden, für die Vermittlung geleisteten Provisionsbestandteilen führten aber gem. bisher h. M. nach Vertragsende fortbezahlte Verwaltungsprovisionen zu keinem Provisionsverlust. In der Rspr. stehen als entfallende Provisionen die unten genannten Provisio4336 4337 4338 4339 4340 4341 4342 4343 621

Thume VersR 2009, 436. Thume IHR 2012, 70; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 186. EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). Emde DStR 2009, 1478 ff. Unsicher zum neuen Recht Thume IHR 2012, 70. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 343. Emde DStR 2009, 1478 ff. So Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 343 f. Emde

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nen für den Abschluss eines in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Erstvertrag stehenden Zweitvertrages (Erweiterungsrechtsprechung; insb. bei Gruppenverträgen, Vertragserweiterungen, Vertragsverlängerungen und Dynamikprovisionen) im Vordergrund. Bei ihnen überwiegt der werbende Provisionscharakter.

711 bb) Provisionsverzichtsklausel. Wurde, wie vor allem in der Schadensversicherung, die Vergütung für den Vermittlungserfolg ratenweise in die Folgeprovisionen verlagert, so würde der VV sie nach Vertragsende weiterhin beanspruchen können, da sie ja bereits vorher verdient waren. Ihm entgehen keine Provisionen. Der VV würde, soweit ein nachvertraglicher Provisionstatbestand erfüllt ist, u. U. noch jahrelang Folgeprovisionen erhalten, nämlich dann, wenn nach dem Vertrag die Zahlung von Folgeprämien bei langjähriger Gebundenheit des VN zu Folgeprovisionen führt.4344 Auch ohne Provisionsverzichtsklausel erhält der HV aber keine Provisionen, die an eine (nicht erbrachte) nachvertragliche Leistung des Vermittlers anknüpfen, etwa Inkasso- oder Bestandspflegeprovisionen, wenn nachvertraglich keine Leistung (Inkasso, Bestandspflege) erbracht wird.4345 Bestandsbetreuungsvergütung wird als Gegenleistung für Betreuungsleistungen gezahlt, welche zumindest das „Bereitstellen“ des Betreuungsangebots voraussetzt.4346 Nach bis 2009 geltender Rechtslage war daher von Provisionsverlusten (heute: entgangene Provision) nur auszugehen, soweit infolge des Vertragsendes sonst fortzuzahlende Provision entfällt.4347 Der VV erlitt einen Provisionsverlust auf Grund der Vertragsbeendigung nur, wenn er auf die nach Vertragsende anfallenden nachvertraglichen Provisionen wirksam verzichtet hatte. Folglich war eine Provisionsverzichtsklausel bis 2009 Bedingung für das Entstehen des Ausgleichsanspruchs4348: Der Ausgleichsanspruch sollte als Surrogat an die Stelle der bereits dem Grunde nach infolge der erfolgreichen Vertragsvermittlung verdienten zukünftigen Provisionsansprüche treten, deren Fälligkeit durch die Provisionsverzichtsklausel gehindert wurde. Er sollte also jene Provisionsverluste kompensieren. Nach seit der Novelle 2009 geltendem Recht ist auch ohne Provisionsverluste4349 und Verzichtsklausel4350 ein Ausgleichsanspruch möglich. Denn auch ohne sie mögen nach den Umständen des Einzelfalles Unternehmervorteile eintreten. Provisionsverluste könnten ferner denkbar sein, wenn im System der Einmalprovision eine Provisionsverzichtsklausel ausbedungen worden ist und im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung die Provision nicht fällig war, etwa weil das Wirksamwerden des Versicherungsvertrages bis zur Zahlung der ersten Prämie noch ausstand oder die Einmalprovision (s. o.) in Raten geleistet werden sollte.4351 Eine Parallele zum Sukzessivlieferungsvertrag des Warenvertreters, bei welchem der HV ohne Provisionsverzicht infolge fortlaufender Provisionszahlungen nach Vertragsende ebenfalls keinen Anspruch auf Provisionen verlieren würde, ist gegeben.4352

4344 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 345; zu Riester-Verträgen Daum VersR 2011, 565. Zu einem solchen Fall BGH, Urt. v. 20.12.2018 – VII ZR 69/18, BB 2019, 850 = EWiR 2019, 269 (Emde).

4345 Vgl. LG Köln, Urt. v. 21.9.2017 – 27 O 519/15, ZVertriebsR 2018, 313 für die „laufende Courtage“ eines Maklers. 4346 LG Köln, Urt. v. 29.9.2017 – 27 O 519/15, ZVertriebsR 2018, 313 Rn 34. 4347 Vgl. BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 40.

4348 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, VersR 2003, 368 = NJW 2003, 1244 = WM 2003, 691 = MDR 2003, 277 = EWiR 2003, 231 (Emde); OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/08, VersR 2010, 1645; OLG Köln, Urt. v. 17.8.2001 – 19 U 206/00, VersR 2001, 1377; LG Darmstadt, Urt. v. 13.8.2009 – 27 O 142/09, VersR 2010, 1646; Krämer VersR 2010, 1647; Thume VersR 2009, 436; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 196. 4349 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 343. 4350 Evers VW Heft 11/2018, S. 88; Daum VersR 2011, 565 (568). 4351 Hier ist allerdings fraglich, ob der darin liegende vollständige Ausschluss der Vermittlungsprovision gestattet ist (§§ 138, 307 BGB). 4352 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 35. Emde

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Eine Provisionsverzichtsklausel enthalten heute praktisch alle VV-Verträge.4353 Demzu- 712 folge entsprechen nachvertraglich fortlaufende Provisionen im Versicherungsvertrieb keinem Handelsbrauch.4354 Ohne eine Provisionsverzichtsklausel wäre die Abwicklung des HV-Vertrages bei langjährigem Fortlaufen der vermittelten Versicherungsverträge, insb. nach Dynamisierungen, zu kompliziert.4355 Die langzeitige Bindung des Unternehmers an periodisch zu erfüllende Provisionszahlungspflichten soll verhindert werden.4356 Der ausgeschiedene und mglw. für einen Konkurrenten des Versicherers werbende VV soll mit der Provisionsabrechnung und den Hilfsrechten des § 87c nachvertraglich keine wettbewerbsrelevanten Informationen erhalten. Auch würden denkbare Rechtsstreitigkeiten, mglw. mit Erben des VV, zu vermeidbaren Belastungen führen,4357 jedenfalls betrachtet aus der Warte der Versicherer. Die Versicherer bevorzugen daher die Provisionsverzichtsklausel, welche jahrelange Auseinandersetzungen mit dem VV – ggf. unter druckartigem Einsatz der Kontrollrechte des § 87c4358 – verhindert. Denkbar – jedoch seltener – ist eine Provisionsverzichtsklausel auch außerhalb des Versicherungsvertriebs.

(1) Form und Transparenz. Die Provisionsverzichtsklausel muss hinreichend transparent 713 sein,4359 selbst als Individualvereinbarung.4360 Ein Formgebot besteht jedoch nicht. Nach aA kann eine Verzichtsklausel auch stillschweigend vereinbart sein. So soll etwa die Regelung „Der Vermögensberater erhält für seine Tätigkeit Provision entsprechend seiner Provisionsstufe“. Die zunächst anfallende Provision ist die Gegenleistung für die Vermittlung des Abschlusses. Alle weiteren Provisionszahlungen setzen eine nachhaltige Kundenbetreuung voraus“ nach Ansicht des OLG Frankfurt/M.4361 eine „versteckte“ Provisionsverzichtsklausel für die weiteren Provisionen bilden. Diese Klausel sei so auszulegen, dass Folgeprovisionen wegen Beendigung des HV-Vertrages nicht zur Entstehung kämen.

(2) Wirksamkeit der Provisionsverzichtsklausel. Die Diskussion über die Wirksamkeit der 714 Verzichtsklausel hat auch nach der Novelle 2009 Bedeutung, weil der Verzicht auf nachvertragliche Provision einen erheblichen Eingriff in die Rechte des VV bildet.4362 Der Streit könnte sich eher verschärfen. Denn der Verzicht wird nun nicht mehr durch den hierdurch eröffneten Ausgleichsanspruch kompensiert (der Substitutionszweck entfällt); ein Ausgleich wäre wegen des Wegfalls des zwingenden TB-Merkmals der Provisionsverluste vielmehr auch ohne Verzichtsklausel denkbar (s. o.). 715 Im Wesentlichen stehen sich zwei Auffassungen gegenüber:

4353 BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483 Rn 47; Thume BB 2019, 835 f.; Thume BB 2012, 975 (979).

4354 OLG Düsseldorf DB 1956, 1132; Hopt § 92 Rn 5. 4355 Nach Ansicht des LG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2018 – 2-05 O 222/16, ZVertriebsR 2018, 252 Rn 75 führt jedoch eine Provisionsverzichtsklausel, derzufolge bei Beendigung des Vertrags Vergütungsansprüche erlöschen, nicht dazu, dass vor Beendigung des Agenturvertrages entstandene und nach Beendigung fällig gewordene Dynamikprovisionen nicht mehr entstehen, soweit deren Entstehen vereinbart war. 4356 BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VII ZR 286/07, VersR 2010, 249 Rn 16 = BB 2010, 533 m. Anm. von Bodungen/Hesse = NJW 2010, 298 = EWiR 2010, 119 (Emde). 4357 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 145. 4358 Siehe Emde MDR 2003, 1151 (1152); Emde MDR 1999, 1108; Emde EWiR 2001, 731; 1999, 327. 4359 Thume BB 2019, 835 (839): Dazu müsste die Klausel stets von solcher Klarheit sein, dass der HV sie ohne weiteres erkennen kann. 4360 Thume BB 2019, 835 (839). 4361 Urt. v. 18.9.2012 – 5 U 101/09, BeckRS 2014, 11259. 4362 Thume BB 2012, 975 (980). 623

Emde

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(a) Für die Wirksamkeit der Provisionsverzichtsklausel sprechende Argumente: Nach einer Ansicht soll die Provisionsverzichtsklausel schon wegen ihrer historischen Anerkennung,4363 kraft Handelsbrauches4364 sowie der Dispositivität des Provisionsrechts4365 wirksam sein4366 und nicht im Widerspruch zu den zwingenden §§ 92 Abs. 4, § 89b Abs. 3, 5 stehen,4367 auch nicht als AGB.4368 Der Gesetzgeber sei – wie die Erwähnung und fehlende Beanstandung der Verzichtsregelung in der Gesetzesbegründung 1953 zeige4369 – bei Schaffung des § 89b Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 a. F. von der Wirksamkeit einer Verzichtsklausel ausgegangen.4370 Denn ohne eine solche Klausel hätte es vor der Novelle 2009 jedenfalls dann, wenn der Vermittlungserfolg durch Folgeprovisionen in Abhängigkeit von der Laufzeit des vermittelten Versicherungsvertrages vergütet wurde, mangels entgehender Provision keinen Ausgleichsanspruch des VV gegeben.4371 Außerdem profitiere der VV bei seinem Eintritt von dem Verzicht des Vorgängers. Denn infolge dieses Verzichts ständen ihm die Provisionen aus dem übergebenen Bestand ungekürzt zu.4372 Auch § 87a Abs. 1 S. 3 soll nicht entgegenstehen. Die Norm betreffe nur Vereinbarungen über die Fälligkeit des Provisionsanspruchs, nicht über den Provisionsanspruch selbst.4373 717 (b) Gegen die Wirksamkeit der Provisionsverzichtsklausel sprechende Argumente: Die Gegenansicht4374 verneint die Wirksamkeit einer Provisionsverzichtsklausel. Nach Ansicht von Graf v. Westphalen4375 widerspricht sie – vereinbart als AGB – § 92 Abs. 4. Nach dieser Norm hat der VV Anspruch auf Provision, sobald der VN die Prämie gezahlt hat, aus der die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet wird. Eine Abweichung von § 92 Abs. 4 benachteilige den VV unangemessen i. S. d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.4376 Die Klausel sei sowohl individualvertraglich wie als AGB unwirksam.4377 Zum Teil wird die Provisionsverzichtsklausel sogar als sittenwidrig bezeichnet4378 oder als dem Gedanken widerstreitend, dass die Provision des HV nur

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4363 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 198; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 345: „jahrzehntelange Rspr. hat die Wirksamkeit inzident bestätigt“.

4364 Offen gelassen von Thume BB 2012, 975 (980), der einen solchen Handelsbrauch vor allem im Bereich der Riester-Verträge für problematisch hält.

4365 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 3.12.2010 – 4 U 76/10, VersR 2011, 492 (493); Krämer VersR 2010, 1647. 4366 BGHZ 30, 107; OLG München, Urt. v. 11.4.2018 – 7 U 1972/17, ZVertriebsR 2018, 176 Rn 56; OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/08, VersR 2010, 1645; OLG Köln, Urt. v. 17.8.2001 – 19 U 206/00, VersR 2001, 1377 (1378); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 3.12.2010 – 4 U 76/10, VersR 2011, 492; v. 18.2.1986, DB 1986, 1174 = BB 1986, 697; LG Darmstadt, Urt. v. 13.8.2009 – 27 O 142/09, VersR 2010, 1646 (im dortigen Fall war die Klausel aber wohl wegen Verstoßes gegen § 87a Abs. 5 unwirksam); Krämer VersR 2010, 1647; Sieg VersR 1964, 789; Hopt § 92 Rn 5; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 201; aA Graf v. Westphalen DB 2000, 2256 und Daum VersR 2011, 565 (bei AGB); offen gelassen in BGH NJW 2003, 1244 = VersR 2003, 1244. 4367 OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/08, VersR 2010, 1645; LG Darmstadt, Urt. v. 13.8.2009 – 27 O 142/ 09, VersR 2010, 1646. 4368 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 3.12.2010 – 4 U 76/10, VersR 2011, 492; OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/ 08, VersR 2010, 1645; Krämer VersR 2010, 1647; aA Daum VersR 2011, 565; Graf v. Westphalen DB 2000, 2555 (2556); Ebenroth/Löwisch3 § 92 Rn 23. 4369 BT-Drucks. 1/3856, S. 35. 4370 Fuchs-Baumann DB 2001, 2133 (2135); Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 143. 4371 Anders möglicherweise seit 2009, s. Daum VersR 2011, 565 (568). 4372 OLG Köln, Urt. v. 17.8.2001 – 19 U 206/00, VersR 2001, 1377; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 147. 4373 OLG München, Urt. v. 11.4.2018 – 7 U 1972/17, ZVertriebsR 2018, 176 Rn 62. 4374 Außer den Genannten wohl auch Niebling MDR 2015, 616 (618). 4375 DB 2000, 2555 (2556); aA OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/08, VersR 2010, 1645; Krämer VersR 2010, 1647. 4376 Zum Recht Österreichs Breiter IHR 2015, 45 (49). Gegen dieses Argument Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 345, da der Ausgleichsanspruch ein Äquivalent bildet. 4377 Zum Recht Österreichs Breiter IHR 2015, 45 (49). 4378 Siehe Nachweise bei Bruck/Möller Anm. 369, S. 849 vor §§ 43–48 VVG; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 144. Emde

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vom Abschluss des Geschäfts abhängt und allein unter den Voraussetzungen des § 87a Abs. 2, 3 entfallen soll.4379 Ihre Wirksamkeit könne nicht aus der gegenüber Abs. 1 auf das 3fache angehobenen Ausgleichshöchstgrenze des Abs. 5 hergeleitet werden,4380 weil sie zum ersten selten erreicht werde, zum zweiten eine gesetzliche Entscheidung sei, die mit der Frage der Wirksamkeit einer Provisionsverzichtsklausel keinerlei Verbindung habe und drittens ein ausgleichsbegrenzendes TB-Merkmal kaum Anlass sein könne, andere den VV benachteiligende Regelungen zu rechtfertigen. Jedenfalls sei ein umfassender Verzicht auf jegliche dem HV zustehenden, aber noch nicht beglichenen Vergütungsansprüche wegen unangemessener Benachteiligung gem. §§ 305 Abs. 1, 307 Abs. 1, 310 Abs. 1 BGB unwirksam.4381 Deshalb sei eine Verzichtsklausel i. S. ihrer Wirksamkeit so auszulegen, dass sie lediglich Provisionen betreffe, die erst nach Vertragsende entstanden seien.4382 Nach Ansicht von Thume sind Klauseln, die § 87 abbedingen, gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen und unwirksam, wenn sie von einem wesentlichen Grundgedanken der dortigen Regelung abweichen.4383 Auch wird eine unzulässige Kündigungsbeschränkung (Verstoß gegen die zwingenden §§ 89, 89a) gerügt4384 (dazu Kommentierung zu § 89). So sah der OGH Wien eine AGB-Provisionsverzichtsklausel als sittenwidrige Benachteiligung nach § 879 Abs. 1 ÖstAGBG an, weil der HV bei unbegründeter Eigenkündigung weder Ausgleich noch Provisionen erhalte.4385 Die Gesetzesbegründung 1953 könne für die heutige Klauselkontrolle nach § 307 BGB keine Rolle spiele, da 1953 eine AGB-Kontrolle allenfalls nach § 138 BGB möglich gewesen sei.4386 Teilweise wird die Unwirksamkeit auch dem Missverhältnis zwischen dem infolge der Provisionsverzichtsklausel zu zahlenden Ausgleich und der ohne Provisionsverzichtsklausel zu leistenden Provision entnommen.4387 Eine Verzichtsklausel, die sich auf nachvertragliche Provision erstreckt, soll zudem unwirksam sein, falls sie auch Provisionen für verspätet ausgeführte Geschäfte ausschließt (§ 87 Abs. 3 S. 1).4388 Eine teilweise Aufrechterhaltung der Provisionsverzichtsklausel soll nicht in Betracht kom- 718 men, sofern die Klausel unteilbar ist.4389 Eine salvatorische Klausel soll nicht dazu führen, dass das in einer Verzichtsklausel intendierte Erlöschen der Provisionsansprüche weitmöglichst ausgedehnt wird.4390 Selbst wenn der HV einen Ausgleich nach den Grundsätzen verlangt und ausgezahlt hält, soll die Geltendmachung weiterer Provisionsansprüche wegen der Unwirksamkeit der Provisionsverzichtsklausel nicht treuwidrig sein.4391 (c) Stellungnahme: Zu konzedieren ist zunächst, dass die Herleitung der Wirksamkeit aus 719 der Gesetzesbegründung heute weniger überzeugend ist. Denn sie wird mit dem mittlerweile zum Billigkeitsmerkmal „degradierten“ und damit nicht mehr zwingenden TB-Merkmal der Provisionsverluste begründet.4392 Andererseits könnte dieses Argument auch nach der Novelle 2009 valide bleiben,4393 wenn der seinerzeitige gesetzgeberische Wille als Wertungsentscheidung 4379 4380 4381 4382 4383 4384 4385 4386 4387 4388

Thume BB 2012, 975 (980). So aber Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 143. LG Köln, Urt. v. 30.6.2015 – 4 O 355/14, ZVertriebsR 2016, 112. LG Köln, Urt. v. 30.6.2015 – 4 O 355/14, ZVertriebsR 2016, 112. Thume BB 2019, 835 (839). Offen gelassen von Daum VersR 2011, 565 (566). Entscheidung 3 Ob 138/14m, zit. n. Breiter IHR 2015, 45 (49). Siehe Daum VersR 2011, 565 (568). Siehe Küstner VersR 2001, 513 (519); Fuchs-Baumann DB 2001, 2131 (2133). So das OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17 in der Interpretation von Evers VW Heft 11/2018, S. 88. Tatsächlich hat das OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17, ZVertriebsR 2018, 375 Rn 101 diese Frage offen gelassen. 4389 OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17, zit. n. Evers in VW Heft 11/2018, S. 88. 4390 OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17, zit. n. Evers in VW Heft 11/2018, S. 88. 4391 OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17, zit. n. Evers in VW Heft 11/2018, S. 88. 4392 Siehe Geßler S. 57 ff., 62 f.; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 203. 4393 Skeptisch Daum VersR 2011, 565 (568) im Fall des Provisionsverzichts mittels AGB, weil die AGB-Kontrolle 1953 praktisch unbekannt war und allenfalls aus § 138 BGB hergeleitet wurde. 625

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überlebt hätte, weil die entgangenen Provisionen in § 89b Abs. 1 Nr. 2 auch jetzt als Billigkeitsmerkmal eine hervorgehobene Rolle spielen. Voraussetzung der Wirksamkeit der Verzichtsklausel ist, dass sie die nach § 87a Abs. 5 zwingenden Provisionen der Abs. 2 und 3 des § 87a vom Verzicht ausnimmt.4394 Auch bei Gewährung von Einmalprovision können solche Provisionen als Überhangprovision entstehen, z. B. weil der Unternehmer das vermittelte Geschäft nicht oder verspätet ausführt.4395 Wird das missachtet, bleibt die Verzichtsklausel sowohl als AGB nach § 307 BGB wie als Individualvereinbarung nach § 87a Abs. 5 unwirksam.4396 Daran ändert auch eine salvatorische Klausel nichts.4397 Diskutiert werden mag, ob die Unwirksamkeit, sofern nicht aus anderem Grunde ein Verstoß gegen § 87a Abs. 5 vorliegt, vermieden werden kann, indem die Provision bereits mit der Vermittlung des Vertrages fällig gestellt wird und Überhangprovisionen nicht entstehen können.4398 Es würde dann darauf ankommen, wie der Begriff der „Vermittlung“ definiert wird und ob sie oder die Fälligkeit (einschließlich der Fälligkeit der nach § 87a Abs. 5 zwingenden Ansprüche) provisionsschädlich in den Zeitraum nach Vertragsende und folglich in den Zeitraum nach dem Eintritt des Verzichtes verzögert werden könnte4399 – was erneut zur Unwirksamkeit der Verzichtsklausel führen würde. 720 § 89b Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 selbst lässt sich schon vom Wortlaut her keine Aussage über Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Provisionsverzichtsklausel entnehmen. Da Prüfungsmaßstab der Unwirksamkeit in VV-Verträgen – die wohl immer AGB bilden – vor allem § 307 BGB (dazu Vor § 84) bleibt, fragt sich zunächst, ob die Höhe des Ausgleichs eine nicht vom Gesetz abweichende, kontrollfreie Preisabrede ist. Dies ist kaum anzunehmen, da der Ausgleich sich aus dem Gesetz ergibt und ausgleichsbeschränkende Abreden unwirksam sind. Das Gleiche gilt aber nicht für die Provisionshöhe und den Zahlungszeitraum der der Ausgleichsberechnung zugrunde liegenden Provision. Insoweit handelt es sich um eine kontrollfreie Regelung der Hauptleistung. Der Ausgleich selbst wird durch solche Vereinbarungen nicht begrenzt. Aus dem Ausschluss der Folgeprovision alleine kann wegen der Dispositivität der Provisionsbestimmungen jedenfalls in Individualverträgen kein Unwirksamkeitsgrund hergeleitet werden, solange nicht die Sittenwidrigkeitsschranke des § 138 BGB wegen der Unverhältnismäßigkeit von Vermittlungsbemühung zu verbleibender Provision erreicht ist. In AGB dürfte nichts Abweichendes gelten. Weil für das Entfallen der Provision z. T. ein Surrogat,4400 etwa der Ausgleichsanspruch4401 oder andere Zahlungen,4402 gefordert wird, könnten Provisionsverzichtsklauseln vor

4394 BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 286/07, VersR 2010, 249 = NJW 2010, 298 = BB 2010, 533 m. Anm. von Bodungen/Hesse = EWiR 2010, 119 (Emde); OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17, ZVertriebsR 2018, 375 Rn 101; OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 4025/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein, NJW-RR 2009, 1699 (1701) = MDR 2009, 703; LG Stuttgart, Urt. v. 3.8.2011 – 39 O 19/10 KfH; Krämer VersR 2010, 1647 (1648); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 345. 4395 BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 286/07, VersR 2010, 249 = NJW 2010, 298 = BB 2010, 533 m. Anm. von Bodungen/Hesse = EWiR 2010, 119 (Emde); OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 4025/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein = NJW-RR 2009, 1699 (1701) = MDR 2009, 703 = BBL 2009-225-4; LG Stuttgart, Urt. v. 3.8.2011 – 39 O 19/ 10 KfH. 4396 BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 286/07, VersR 2010, 249 = NJW 2010, 298 = BB 2010, 533 m. Anm. von Bodungen/Hesse = EWiR 2010, 119 (Emde); OLG München, Urt. v. 17.12.2008 – 7 U 4025/08, BB 2010, 600 m. Anm. Lang/Klein, NJW-RR 2009, 1699 (1701) = MDR 2009, 703; OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17, ZVertriebsR 2018, 375 Rn 101; LG Stuttgart, Urt. v. 3.8.2011 – 39 O 19/10 KfH; Krämer VersR 2010, 1647 (1648). 4397 OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17, ZVertriebsR 2018, 375 Rn 105. 4398 BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 286/07 Rn 27, VersR 2010, 249 = NJW 2010, 298 = BB 2010, 533 m. Anm. von Bodungen/Hesse = EWiR 2010, 119 (Emde). 4399 Etwa im Falle einer Vermittlung am letzten Vertragstag (Extremfall 23.59 h), bei Fälligkeit erst am Folgetag (also nach Vertragsende) – womit der Provisionsanspruch einschließlich seines nach § 87a Abs. 5 zwingenden Teils erneut abgeschnitten wäre. 4400 Thume BB 2012, 975 (980). 4401 Thume BB 2012, 975 (980). 4402 Thume BB 2012, 975 (980). Emde

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allem nach Ansicht derjenigen bedenklich sein, die sie nicht als Ausgleichsvoraussetzung ansehen, sowie in Fällen, in denen kein Ausgleichsanspruch anfällt und die Provision gleichwohl entfallen soll.4403 Solange infolge der Verzichtsklausel ein Ausgleichsanspruch entsteht, mag trotz der unterschiedlichen Zweckbestimmung von Ausgleich und Provision (Ausgleichsanspruch: Aufbau eines Kunden- bzw. Versicherungsbestandes; Provision: laufende Werbung und Bestandspflege) ein Provisionsverzicht hingenommen werden. Schwieriger wird die Begründung, falls ein Ausgleich nicht entsteht und die Vermittlungsleistungen des VV zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verzichtsklausel noch nicht vollständig entlohnt waren, etwa bei ratierlich gezahlten Vermittlungsprovisionen.4404 Dies könnte wegen des entfallenen Entgeltes für die Vermittlungsleistung sogar als Verstoß gegen § 138 BGB aufgefasst werden. Am ehesten wird man den Ausschluss hier mit dem Gedanken einer durch das Vertragsende hinfälligen „Treueprämie“ für einen fortbestehenden Vertrag rechtfertigen können. Möglicherweise lässt sich das Problem wirtschaftlich durch die Gewährung von Einmalprovision abfedern, womit ein dem Verzicht auf Folgeprovision vergleichbares Ergebnis entsteht.4405 Der Hinweis auf die Dispositivität des Provisionsrechts und der Vergleich zu Einmalprovisionen4406 mag helfen; bei letzteren wird der Vermittlungserfolg allerdings schon vor dem Vertragsende vollständig abgegolten. Wurde die Vermittlungsleistung bereits vertragsbegleitend vollständig oder zumindest weitgehend durch Einmalprovisionen ausgeglichen und ist die Klausel nicht so missverständlich formuliert, dass sie versehentlich die Zahlung einer solchen bereits vertragsbegleitend verdienten, jedoch nachvertraglich fälligen Provisionen ausschließt, so dürfte die Verzichtsklausel zu rechtfertigen sein. Ob ein Verstoß gegen §§ 89, 89a vorliegt, ist im Einzelfall anhand des entfallenden Anteils des werbenden Provisionsanteils festzustellen. Die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an einen derartigen Verstoß. Reine Bestandsprovisionen können nachvertraglich ohnehin nicht verdient werden, da sie nur durch die laufende, nachvertraglich entfallende Bestandspflege gerechtfertigt sind. Insoweit wäre der Ausschluss unbedenklich, jedoch auch überflüssig. Obwohl die Vertragsbeendigung nach dem gesetzlichen Leitbild niemals zum Entfallen der Provisionsansprüche für bereits erbrachte, werbende Tätigkeiten führt,4407 wird man daher davon ausgehen dürfen, dass die Provision – auch nachvertragliche – mittels einer Provisionsverzichtsklausel beschränkt werden darf.4408 Eine gegenteilige Ansicht könnte man nur einnehmen, sofern man die Fortzahlung nachvertraglicher Provisionen trotz kompensierenden Ausgleichs als auch in AGB dispositionsfestes gesetzliches Leitbild ansähe (hierzu Vor § 84 Rn 43 „Provisionsverzichtsklausel“).4409 Ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der Verzichtsklausel sind bislang in der Rspr. nicht geäußert worden. Bleibt die Verzichtsklausel wirksam, darf der Versicherer für den nachvertraglichen Zeitraum geleistete Provisionsvorschüsse zurückverlangen.4410 Sollte die Verzichtsklausel unwirksam sein, so gilt: Da sie nicht mehr TB-Voraussetzung 721 des Ausgleichs ist, bleibt es theoretisch möglich, dass im Falle ihrer Unwirksamkeit neben dem Ausgleich nachvertragliche Provisionen gefordert werden können. Weil ein Unternehmer sich nicht auf die Unwirksamkeit eigener AGB berufen kann, darf der HV trotz Nichtigkeit der Klausel den Ausgleich fordern, selbst wenn man Verzichtsklauseln weiterhin als Ausgleichsvoraus-

4403 Thume BB 2012, 975 (980); Daum VersR 2011, 565 (567 f); aA OLG Frankfurt/M., Urt. v. 3.12.2010 – 4 U 76/10, VersR 2011, 392 (494). Daum VersR 2011, 565. Thume BB 2012, 975 (980). Thume BB 2012, 975 (980). Vgl. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 3.12.2010 – 4 U 76/10, VersR 2011, 492 (493), das allerdings von der Wirksamkeit der Verzichtsklausel ausgeht. 4408 OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/08, VersR 2010, 1645. 4409 Dies verneint OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/08, VersR 2010, 1645. 4410 OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/08, VersR 2010, 1645; LG Darmstadt, Urt. v. 13.8.2009 – 27 O 142/ 09, VersR 2010, 1646; AG Karlsruhe, Urt. v. 29.3.2009 – 9 C 126/09, VersR 2010, 626.

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setzung ansehen wollte. Denkbar wäre es weiter, dass der HV darüber hinaus Provisionsfortzahlung verlangt.4411 Diskussionswürdig wird dann, ob er sich für einen Anspruch entscheiden muss (Billigkeitseinwand unter § 89b?). Sollten die Ansprüche auf nachvertragliche Provision und Ausgleich kumulativ nebeneinander bestehen, wird dies den Streit um die Unbilligkeit (§ 307 BGB) solcher Verzichtsklauseln neu beflügeln.

722 cc) Provisionsfortzahlungsregelung. Spiegelbildlich zu Provisionsverzichtsklauseln finden sich gerade in Verträgen mit marktstarken HV Regelungen, die eine Provisionsfortzahlung nach Vertragsende zusichern. Es stellt sich die Frage, ob solche Regelungen lediglich deklaratorischen oder sogar konstitutiven Charakter tragen. Sollte es sich um eine bloß deklaratorische Regelung handeln, so würde es sich lediglich um eine Bestätigung der Rechtslage ohne Provisionsverzichtsklausel handeln: nur von einer Leistung des HV nach Vertragsende unabhängige Provisionen wären nach Ende des HV-Vertrages fortzuzahlen. Darüber hinaus könnte die Klausel auch so verstanden werden, dass sie die Rechtslage des HV verstärkt: auch Provisionen, die eine nach Ende des HV-Vertrages nicht erbrachte Leistung als Voraussetzung der Provisionsfortzahlung fordern, wären fortzuzahlen, und dies selbst dann, wenn die als Voraussetzung der Provisionspflicht tatbestandlich definierte Leistung nicht erbracht wurde. Im Zweifel ist nicht von einer solchen „Verstärkung“ auszugehen. Es kann regelm. nicht angenommen werden, dass die Provision gewährt werden soll ohne dass die Gegenleistung erbracht wurde (§§ 273, 320 BGB). Gerade bei Provisionstatbeständen, die je nach Leistung der Höhe nach variieren, ergeben sich zudem Bemessungsprobleme, falls keine Leistung erbracht wurde. Was gewollt war, ist nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu bestimmen, wobei ein non liquet zu Lasten des für den Provisionstatbestand Beweispflichtigen geht.

723 dd) Einmalprovisionen. Die Vergütung mittels Einmalprovisionen ist zulässig.4412 Sie werden insb. im Bereich besonders bestandskräftiger, langfristiger Verträge geleistet, bei denen eine kurzfristige Beendigung des Vertrages unwahrscheinlich ist,4413 etwa in der Lebensversicherung,4414 Krankenversicherung,4415 aber auch im Bausparwesen.4416 Vermittelt der VV hingegen wenig bestandsfeste Verträge, wird der Versicherer die Provisionsbelastung eher auf die gesamte Vertragsdauer in Form von Folgeprovisionen verteilen.4417 Weniger bestandskräftig ist die Schadensversicherung,4418 z. B. die industrielle Feuer-, die Transport-, Maschinen- und Kfz-Versicherung.4419 Der BGH lässt offen, ob § 87b Abs. 3 auf Versicherungsverträge Anwendung findet. § 87b Abs. 3 sei jedoch abdingbar. Es sei daher gestattet, Provisionen für die Vermittlung eines Dauerschuldverhältnisses mit einer Einmalprovision abzugelten und zu vereinbaren, dass die nach dem 1. Jahr gezahlten Folgeprovision allein für die Betreuung und Bestandspflege, also nach bisheriger Ansicht verwaltende Tätigkeit, gewährt wird (soweit die Aufteilung plausibel ist).4420 Bei Gewährung von Einmalprovisionen oder erhöhten Erstprovisi-

4411 Emde EWiR 2010, 119 (120). 4412 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1285); Thume VersR 2009, 436; Flohr/Wauschkuhn/ Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 346; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 125, 190; Keßler in: Heidel/Schall, HGB, § 89b Rn 62; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57. 4413 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 182. 4414 Krämer VersR 2010, 1647; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 108; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 183. 4415 BGHZ 30, 98 (106); OLG Stuttgart VersR 1957, 329 (332); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 108. 4416 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 108, Kap. VIII Rn 303. 4417 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 183. 4418 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 108. 4419 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 184. 4420 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1285). Emde

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onen4421 sollten deshalb nach der bis 2009 geltenden Rechtslage ganz (im Fall von Einmalprovision) oder partiell (im Fall erhöhter Erstprovision) Provisionsverluste ausscheiden, da der Vermittlungserfolg bereits vollständig mit diesen Provisionen vergütet wurden.4422 Da die (Einmal-)provision bereits vollständig geleistet wurde, entfiel infolge des Vertragsendes keine Provision und ein Ausgleichsanspruch war nicht fällig. Diese Ansicht dürfte nun eher schwerer vertretbar sein.4423 Gerade im Versicherungsvertrieb sind die vermittelten Verträge recht langfristig. Zwar wird man das Problem im Falle der Berechnung des Ausgleichs auf der Grundlage der Provisionen des Basisjahres als solches der Unternehmervorteile und nicht der entgehenden Provisionen ansehen müssen. Für die Unternehmervorteile trifft aber den VV die Beweislast, im Gegensatz zu den entgehenden Provisionen (insoweit Beweislast beim VV). Häufig werden die im Vergleich zur Gesamtheit der über die Laufzeit der Versicherungsverträge ratierlich geleisteten Provisionen insgesamt geringeren Einmalprovisionen die Unternehmervorteile nicht in gleicher Weise wie eine ratierliche Folgeprovision ausgleichen. Ob das der Fall ist, wird letztlich nur der Unternehmer unter Darlegung der Kalkulationsgrundlagen vortragen können, so dass ihm bei entsprechendem Vortrag des VV zumindest eine dahin gehende sekundäre Darlegungslast treffen könnte.4424 Jedenfalls wird der VV andere Unternehmervorteile nachweisen dürfen.

ee) Fallgruppen möglicherweise entgehender und damit ausgleichsrelevanter Provisi- 724 onen. Paradigma billigkeitsrelevanter Provisionsverluste ist der Verlust einer der nachfolgend genannten Provisionen infolge der Vertragsbeendigung:

(1) Neugeschäfte. Die Möglichkeit des VV mit Neugeschäft Provision zu erzielen, bleibt wie 725 beim Warenvertreter außer Betracht. Aus infolge der Vertragsbeendigung dem VV entgehendem Neugeschäft folgen daher keine Provisionsverluste. Gleichwohl kann es einen Unternehmervorteil geben, falls der Unternehmer aufgrund der Tätigkeit Neugeschäft schließen kann (s. o.).

(2) § 87 Abs. 3 Ziff. 1. Gem. § 87 Abs. 3 Nr. 1 erhält der VV Provision, wenn der HV-Vertrag vor 726 dem Abschluss des Versicherungsvertrages beendet wird, dem VV aber gleichwohl der Hauptverdienst an diesem Abschluss zukommt, weil er den Vertrag vermittelt oder so vorbereitet hat, dass er überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist.4425 Weitere Voraussetzung ist, dass der Abschluss innerhalb einer angemessenen Frist nach Vertragsbeendigung erfolgt. (3) § 87 Abs. 3 Ziff. 2. Der VV erhält gem. § 87 Abs. 3 Nr. 2 nachvertragliche Provision, falls 727 ihm oder dem Unternehmer vor Beendigung des HV-Vertrages das Angebot des Dritten zum 4421 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 40. 4422 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde); v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (126) = NJW 1972, 1664 = BB 1972, 1073 = DB 1972, 1960; Küstner BB 1975, 493 (494); ders. RVR 1969, 149 (150); Thume VersR 2009, 436 ff.; Emde FS Karsten Schmidt S. 343 ff.; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 91, 121; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 230 ff.; Keßler in: Heidel/Schall, HGB, § 89b Rn 62; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 107; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 190; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 245; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 41a. 4423 AA zum Versicherungsvertrieb Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 346. 4424 Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 183. 4425 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 255 f. 629

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Abschluss des Geschäftes zugegangen ist. Auch die hierdurch entstehenden Provisionen entfallen infolge einer Provisionsverzichtsklausel, was zur Ausgleichsberechtigung führt.4426

728 (4) Fortsetzungen, Vertragserweiterungen und Summenerhöhungen. Die in der Praxis bedeutendste Fallgruppe entgehender Provisionen bilden solche für Fortsetzungen, Vertragserweiterungen, -ergänzungen und Summenerhöhungen, welche in engem wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag stehen, einem gleichen Versicherungs- oder Bausparbedürfnis (Zweck) dienen,4427 nach Beendigung des Vertragsverhältnisses vorausschaubar anfallen und dann provisionspflichtig gewesen wären4428 („Erweiterungsrechtsprechung“, umfassend s. Kommentierung zu § 92).4429 Die Chance solcher Folgeverträge war, den Nachbestellungen eines Stammkunden vergleichbar, mit der Vermittlung des Erstvertrages verbunden und hätte ohne Beendigung des HV-Verhältnisses beiden Teilen zur Nutzung offengestanden. Solche Anschlussgeschäfte (Zweitverträge) im Nachgang zu einem vom VV vermittelten und abgeschlossenen Erstgeschäft lösen trotz des Grundsatzes, dass der VV nur für eigene Tätigkeit Provision erhält (§ 92 Abs. 3), einen Provisionsanspruch des VV ohne neues Tätigwerden aus, sofern die Anschlussverträge mit dem Erstgeschäft in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.4430 Die eigentlich nur die Provisionsberechtigung des VV betreffende „Erweiterungsrechtsprechung“ entstand, weil trotz prima vista fehlender – gem. § 92 Abs. 3 allein provisionspflichtiger – Tätigkeit des VV beim Zustandekommen des Anschlussvertrages (besonders deutlich wird dies, falls der Zweitvertrag nach Beendigung des VV-Vertrages zustande kam) die Anschlussgeschäfte noch auf der Tätigkeit des VV für den Urabschluss beruhend angesehen werden.4431 Die Tätigkeit des Erstgeschäfts färbt auf das Zweitgeschäft ab. Die Chance solcher Folgeverträge war, den Nachbestellungen eines Stammkunden vergleichbar, mit der Vermittlung des Erstvertrages verbunden. Für ein Provisionsund Ausgleichsrecht erforderlich soll sein, dass der neue Versicherungsvertrag „automatisch“ aufgrund des Erstvertrages zum Folgevertrag führt. Nur dann wirkt die provisionsbegründende (§ 92 Abs. 3) Tätigkeit des VV, die zum Abschluss des Erst- und damit mittelbar zum Abschluss 4426 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 257. 4427 BGHZ 34, 310 (319); 59, 125 zu Bausparverträgen. Diese weitere Voraussetzung wird nach Küstner/Thume/ Thume II9 Kap. IX Rn 290 häufig übersehen. Zur Unterscheidung LG Hannover, Urt. v. 28.5.2001 – 21 O 2196/99. 4428 BGH, Urt. v. 20.12. 2018 – VII ZR 69/18, ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde); v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 30; v. 3.4.1996 – VIII ZR 54/95, MDR 1996, 696; v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (130) = NJW 1972, 1664 = BB 1972, 1073 = DB 1972, 1960 (für Bausparverträge); v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45 (46) = NJW 1971, 462 = BB 1971, 105 = DB 1971, 185; v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (319); OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 m. Anm. Küstner VersR 2002, 980 und Thume VersR 2002, 981; Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019, 321 (322); Küstner BB 1975, 493 (494) zum Krankenversicherungsvertreter; Küstner/Thume/Thume I4 Kap. IX Rn 129 ff.; Küstner/Thume/ Thume II9 Kap. IX Rn 101; 258 ff., 290; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 349; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 16; Koller/Roth/Morck § 92 Rn 4; aA Ebenroth/Löwisch3 § 92 Rn 14. Kritisch auch Evers VW 2/2020, S. 68 f., der für die Periode nach dem nächsten ordentlichen Kündigungstermin (wohl des Versicherungsvertrages?) ein eigenständiges, nicht provisionspflichtiges Geschäft sieht. 4429 Küstner VersR 2002, 980. 4430 BGH, Urt. v. 20.12. 2018 – VII ZR 69/18, ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde); v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 30; v. 3.4.1996 – VIII ZR 54/95, MDR 1996, 696; v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (130) = BB 1972, 1073 = DB 1972, 1960 (für Bausparverträge); v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45 (46) = NJW 1971, 462 = BB 1971, 105 = DB 1971, 185; v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (319); OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 m. Anm. Küstner VersR 2002, 980 und Thume VersR 2002, 981; Küstner BB 1975, 493 (494) zum Krankenversicherungsvertreter; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 91.; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 101; 258 ff., 290; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 16; Koller/Roth/Morck § 92 Rn 4; aA Ebenroth/Löwisch3 § 92 Rn 14. 4431 Hopt § 92 Rn 4. Emde

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des Zweitvertrages führte, fort. Die Erweiterungsrechtspr. wird durch das Urteil des EuGH4432 zu den Provisionsverlusten insoweit berührt, als dass sie über das TB-Merkmal der „entgangenen Provision“ jetzt nur noch als Billigkeitsmerkmal ausgleichsrechtliche Bedeutung besitzt. Um ein Provisionsrecht des VV auszulösen, welches über das TB-Merkmal der entgangenen 729 Provision ausgleichsrechtlich bedeutsam wird, muss es sich um eine Fortsetzung und Erweiterung der ursprünglichen Versicherung handeln, die mit dieser in engem wirtschaftlichen Zusammenhang steht, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses vorausschaubar anfällt und dann provisionspflichtig gewesen wäre. Ein solcher Fortsetzungs- und Erweiterungsvertrag wird nach Art von „Nachbestellungen“ in die Provision des Basisjahres als Ausgleichsbemessungsgrundlage sowie die entgehenden Provisionen des § 89b Abs. 1 Nr. 2 einbezogen.4433 Der enge wirtschaftliche Zusammenhang wird angenommen, falls sich die nach Ausscheiden des VV zustande gekommenen Versicherungsverträge bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung (Verlängerung) oder Erweiterung (Summenerhöhung) der von ihm zuvor vermittelten Verträge darstellen, jene Erweiterungen sowie Summenerhöhungen aus diesen Verträgen hervorgegangen sind und das gleiche Versicherungs- bzw. Bausparbedürfnis betreffen.4434 Diese Bedingungen verfehlende Zweitabschlüsse nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sind unter der Erweiterungsrechtsprechung nicht zu berücksichtigen.4435 Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen Ergänzungsvertrag und bloßem, ohne erneute Tätigkeit keine Tätigkeitsprovision auslösendem Zweitvertrag ist nicht die äußere Form der Vertragsgestaltung, sondern das Vorliegen des engen wirtschaftlichen Zusammenhangs bei gleichem Zweck.4436 Ob die Fortsetzung oder Erweiterung in Form eines äußerlich selbstständigen Vertrages erfolgt, ist unerheblich.4437 Ein solcher Zusammenhang ist insb. bei Erhöhungen dynamischer Lebensversicherungen („Dynamisierungen“) anzunehmen,4438 z. B. die Anpassung der Versicherungssumme und damit der Prämienentwicklung an die Einkommenssituation des VN, die Kostenentwicklung, den Umsatz oder die Zahl der Beschäftigten4439 (s. Kommentierung zu § 92). In Betracht kommen weiter: Aufstockung der Versicherungssumme (um etwa in der Krankenversicherung gestiegene Behandlungskosten aufzufangen), Anschlussverträge nach Ablauf der ursprünglich abgeschlossenen Versicherung (wenn die Bedingungen im Wesentlichen die gleichen geblieben sind); ferner in der sog. echten Gruppenversicherung4440 (nach h.M aber nicht in der unechten Gruppenversicherung, s. Kommentierung zu § 92) die Einbeziehung eines neuen Gruppenmitglieds durch Nachmeldung seitens des Versicherungskunden (etwa des Betriebsinhabers, der mit einer Gruppenpensionsversicherung seine Belegschaft so versichert hat, dass Neuzugänge

4432 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, EWS 2009, 150 = BB 2009, 1607 = EWiR 2009, 239 (Emde). 4433 BGHZ 34, 310; 59, 125 – beide Entscheidungen ergangen für Bausparkassen-HV; BGH VersR 1963, 556; Urt. v. 10.7.1969 – VII ZR 111/67, DB 1969, 1980.

4434 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 30; v. 3.4.1996 – VIII ZR 54/95, MDR 1996, 696; v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (130) = BB 1972, 1073 = DB 1972, 1960 (für Bausparverträge); v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45 (46) = NJW 1971, 462 = BB 1971, 105 = DB 1971, 185; v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (319); OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 m. Anm. Küstner VersR 2002, 980 und Thume VersR 2002, 981; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 290. 4435 BGH, Urt. v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (319); v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71,BGHZ 59, 125 (130) = NJW 1972, 1664 = BB 1972, 1073 = DB 1972, 1960; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 241. 4436 BGH, Urt. v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (319); v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (130) = NJW 1972, 1664 = BB 1972, 1073 = DB 1972, 1960; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 241. 4437 BGH, Urt. v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (319). 4438 BGH, Urt. v. 20.12. 2018 – VII ZR 69/18, ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde): die Vereinbarung der Grundsätze der Versicherungswirtschaft schließt die Dynamikprovision nicht aus. 4439 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. VII Rn 172. 4440 Zur Gruppenversicherung im Bausparbereich Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019, 92. 631

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automatisch in den Versicherungsschutz einbezogen sind).4441 Im Bausparwesen stellen Folgeverträge aus steuerlichen Gründen, zur Finanzierung einer nachträglich geplanten Einliegerwohnung oder zur Ablösung einer Hypothek (anders, wenn eine Zwischenfinanzierung für die ursprüngliche Bauplanung abgelöst werden soll) den engen wirtschaftlichen Zusammenhang nicht her, ebenso wenig Folgeverträge mit Verwandten des Bausparers (sog. Verwandtenverträge4442), auch sofern sie für dasselbe Objekt abgeschlossen werden.4443 Typische Fälle sind dagegen die Aufstockung des Bausparvertrages im Hinblick auf gestiegene Baukosten, erhöhte qualitative Ansprüche des Bausparers an das Bauvorhaben oder eine erweiterte Bauplanung wegen inzwischen vergrößerten Familienstandes. Die Abgrenzung, wann eine Fortsetzung oder Erweiterung und der erforderliche enge wirtschaftliche Zusammenhang vorliegt, ist schwierig.4444 Statistische Erleichterungen können helfen. Es dürfen nach h. M. keinesfalls sämtliche Zweitund weiteren Folgeverträge einbezogen werden, sondern nur solche, die die vom BGH festgelegten Voraussetzungen erfüllen.4445 Dazu wird (wohl unzutreffend) bemerkt, die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass ebenso wie unter Abs. 1 auf die geworbenen Kunden abgestellt werden (also die Geschäftsverbindung entlohnt) würde, und nicht auf die vom VV vermittelten Verträge. Dann sei § 89b Abs. 5 überflüssig, weil die Geschäftsverbindung zum Kunden das entscheidungserhebliche Kriterium und nicht einsichtig wäre, warum das Gesetz die Anspruchsvoraussetzung der Geschäftsverbindung durch eine andere ersetzen wollte.4446 Diese Argumentation ist fraglich. Denn niemand bestreitet, dass in die Provisionen des Basisjahres nur die Vergütungen aus den geworbenen oder erweiterten Verträgen und nicht aus Geschäftsverbindungen mit Kunden einbezogen werden. Außerdem bildet ein Versicherungs- oder Bausparvertrag als Dauerschuldverhältnis per se eine Geschäftsverbindung.4447 Liegen die Voraussetzungen der Erweiterungsrechtsprechung vor, zählen zu den in die Ausgleichsberechnung einzubeziehenden Vergütungen alle für diese Verträge gewährten Provisionen und nicht nur solche aus Ergänzungen.

730 (6) Beweislast. Zur Beweislast gelten die allgemeinen Maßstäbe. Insb. der Zweck, aber auch der wirtschaftliche Zusammenhang, sind schwer nachweisbar. Gerade bei der im Bausparwesen häufigen Erweiterung (Aufstockung) des Urvertrages ist der enge wirtschaftliche Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag (s. o.) nicht leicht zu erkennen. Der BGH gestattet eine Überbrückung der Beweisschwierigkeiten durch Auswertung statistischen Materials und äußerstenfalls durch richterliche Schätzung nach § 287 ZPO.4448 Außerdem besteht eine Pflicht des Unternehmers zu eingehender sekundärer Darlegung.4449 So BGHZ 59, 125 (130); im dortigen Fall wurde eine vom Berufungsgericht angenommene Quote von 50 % der insgesamt auf dieselben Objekte abgeschlossenen Folgeverträge gebilligt.4450 Ist der Eintritt von Dynamikerhöhungen auflösend dadurch bedingt, dass der VN von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, trifft den Versicherer und nicht den HV für den für den Versicherer günstigen Umstand die Darlegungs- und Beweislast.4451 4441 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 264; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 254 hält hier einen Anspruch unmittelbar aus Abs. 1 für denkbar. Aber Abs. 5 verweist ohnehin auf Abs. 1. 4442 BGH, Urt. v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (130) = NJW 1972, 1664 = BB 1972, 1073 = DB 1972, 1960. 4443 OLG Stuttgart VersR 1972, 44 mit zust. Anm. Höft. 4444 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 260 ff. 4445 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976; Oetker/Busche5 § 89b Rn 57. 4446 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976. 4447 Siehe Emde BB 2011, 2755 (2766). 4448 Zust. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 293. 4449 Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 183. 4450 Nach LG Heilbronn DB 1980, 1819 ein „Erfahrungswert“ (hiergegen Küstner Beiheft 12 zu BB 1981, Heft 10, S. 8); vgl. auch OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002, 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (977). 4451 BGH, Urt. v. 20.12. 2018 – VII ZR 69/18, ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde). Emde

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(7) Superprovisionen. Superprovisionen, die einem VV für die Überwachung ihm unterstellter 731 echter oder unechter Untervertreter gezahlt werden, führen zu Provisionsverlusten, sofern sie dem VV infolge des Vertragsendes entgehen.4452 Diese Provisionsform ist im Versicherungsvertrieb häufiger als im Warenvertrieb, weil der Versicherungsvertrieb angesichts der Vielzahl der tätigen Vermittler ausnehmend hierarchisch gegliedert ist. Es gelten im Wesentlichen die Maßstäbe zur Einbeziehung anderer Provisionsarten in die Ausgleichsberechnung, auch hinsichtlich der Folge- und Einmalprovision.4453 Nicht anders als jede Provision, führten Superprovisionen nach bisher h. M. insoweit zu keinen Provisionsverlusten, als sie für verwaltende und organisatorische Aufgaben gewährt wurden.4454 Daran kann insb. bei in der Hierarchie oberen Vermittlern gedacht werden.4455 Um schwierige Abgrenzungsfragen zu vermeiden4456 sollte ihnen auch für die Ausgleichsberechnung die Vermittlungstätigkeit eigener Angestellter oder unterstellter (echter oder unechter) VV zugerechnet werden. Anderenfalls würden gerade besonders erfolgreiche VV benachteiligt, obwohl sie die Vermittlungstätigkeit der ihnen unterstellten Mittler leiten bzw. ermöglichen und hohe Unternehmervorteile verantworten. Für die Beweislast zum verwaltenden Anteil dieser Superprovisionen gelten die oben Rn 479 ff., 730 dargestellten Kriterien. Zur Ausgleichsfähigkeit von Superprovisionen unter den „Grundsätzen der Versicherungswirtschaft“ s. u. ff) Prognosedauer. Nicht anders als beim Warenvertreter muss im Wege einer Prognose die 732 künftige Laufzeit der vom VV vermittelten Versicherungsverträge abgeschätzt werden, um die Höhe entgangener Provision zu ermitteln.4457 Dabei gelten generell die zu Abs. 1 dargelegten Grundsätze, jedoch modifiziert durch die Besonderheiten des Versicherungsvertriebs. Ein kurzer Prognosezeitraum führt dazu, dass der VV kein ausreichendes Äquivalent für die entgehenden Provisionen erhält; ein zu langer dazu, dass immer noch fiktive Provisionszahlungen in die Ausgleichsberechnung einfließen, obwohl die entgehenden Provisionen längst abgegolten sind.4458 Die Prognose auf den voraussichtlichen Vorteil des Versicherers und die voraussichtlich entgehende Provision des VV richtet sich darauf, welche Bestandsdauer bei den ausgleichspflichtigen Versicherungsverträgen als wahrscheinlich zugrunde zu legen ist.4459 Hierzu kann der VV aus seiner Erfahrung vortragen, den Versicherer trifft aufgrund seiner Erfahrungswerte4460 eine eingehende sekundäre Darlegungslast. Die Prognose muss sich auf eine überschaubare und in ihrer Entwicklung abschätzbare Zeitspanne beziehen.4461 Dabei können das versicherte Risiko oder Alter und Beruf des VN eine Rolle spielen.4462 So ist es wenig wahrscheinlich, dass ein 80-jähriger VN seine Kfz-Haftpflichtversicherung noch mehr als 10 Jahre fortführen wird. Wahrscheinlicher ist es, dass ein 35-jähriger Beamter mit neugebautem Einfamilienhaus seine Hausrat- und Wohngebäudeversicherung noch in 10 Jahren benötigen wird. Auf diese Weise lassen sich konkrete Anhaltspunkte für jeden einzelnen 4452 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 247 ff. 4453 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 252. 4454 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 31; v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 251. 4455 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 351. 4456 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 31 betont diese Schwierigkeit ausdrücklich. 4457 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 276. 4458 Küstner VersR 2002, 519. 4459 Thume VersR 2009, 436 (437). 4460 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 160. 4461 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 101 ff.; Küstner VersR 2002, 518; Thume VersR 2009, 436 (437). 4462 Oetker/Busche5 § 89b Rn 57. 633

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Vertrag finden, die in die Ermittlung der Restlaufzeit einfließen. Wegen der Masse der zu beurteilenden Verträge wird meist eine generelle Sicht auf den Bestand genügen, z. B. auf die durchschnittliche Dauer von Versicherungsverträgen in den einzelnen Sparten, die Lebenserwartung der versicherten Personen etc. Für deren wahrscheinliche Bestandsdauer können Erfahrungswerte oder Statistiken (§ 287 ZPO) des jeweiligen Versicherungszweiges herangezogen werden. Das gilt auch für die Prognose hinsichtlich der zu erwartenden ausgleichsfähigen Fortsetzungen und Erweiterungen. Das OLG Stuttgart hat den Jahresdurchschnitt der Provisionseinnahmen des HV aus Zweitverträgen für die letzten 3 Jahre des HV-Verhältnisses zugrunde gelegt und, nachdem es den Anteil der ausgleichsfähigen unter den Zweitverträgen mit 50 % geschätzt hatte, die darauf entfallenden Provisionen mit dem Faktor 4 multipliziert, indem es die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Anfalles solcher ausgleichsfähigen Zweitverträge – bedingt durch Anlass und durch Motivierbarkeit des Bausparkunden – auf die Dauer von 4 Jahren nach Ende des HV-Verhältnisses begrenzte.4463 In die gleiche Richtung gehen LG München I BB 1981, 513 m. Anm. Brych und LG Heilbronn BB 1980, 1819; auch dort ist der Prognosezeitraum gleichfalls auf 4 Jahre veranschlagt worden. Das OLG Celle akzeptierte den von der Vorinstanz ermittelten 7-jährigen Prognosezeitraum,4464 Thume4465 und das LG Hamburg vertreten eine 5-jährige Spanne.4466 Das LG Münster4467 ist davon ausgegangen, dass mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Ausscheiden des Vertreters die Zahl der ausgleichspflichtigen Folgeverträge auf unter 50 % sinkt, um schließlich die Nullgrenze zu erreichen. Es hat die Verlustprognose auf 3 Jahre angesetzt und den Anteil der berücksichtigungsfähigen Folgeverträge für das 1. Jahr nach Vertragsende mit 50 %, für das 2. Jahr mit 30 % und für das 3. Jahr mit 10 % aller zustande gekommenen Anschlussverträge geschätzt. Die Regelprognosedauer sollte daher im Versicherungs- und Bausparvertrieb 44468 bis 54469 Jahre betragen. Auch hier sind Verlustminderungen entsprechend der Abwanderungsquote des Abs. 1 in Abzug zu bringen.4470 Ein etwa mit Statistiken geführter Gegenbeweis ist zulässig. Nach 7 Jahren soll sich regelm. eine weitere Prognose nicht mehr mit hinreichender Sicherheit treffen lassen.4471 Auch ein Prognosezeitraum von bis zu 12 Jahren soll Bedenken begegnen.4472 Teilweise werden Prognosezeiträume von 15–43 Jahren für zutreffend gehalten.4473 Für solch ausgedehnte Prognosezeiträume sprechen die Erwägungen, die zu der gegenüber Warenvertretern angehobenen Höchstgrenze geführt haben. Da jedoch trotz der oft langjährigen Bestandskraft von Versicherungsverträgen die Vertragsfortsetzung nur für eine überschaubare und in ihrer Entwicklung noch abschätzbare Zeitspanne unterstellt werden darf (s. o.), dürfte von einem Prognosezeitraum von 4 bis 5 Jahren auszugehen sein.4474

4463 OLG Stuttgart VersR 1972, 44 m. Anm. Höft. Der BGH hat dessen Entscheidung im Revisionsurteil BGHZ 59, 125 (130) gebilligt.

4464 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 m. Anm. Küstner und Thume Rn 12. Wie sich den Ausführungen des OLG entnehmen lässt, hätte es wohl auch einen 5-jährigen Prognosezeitraum akzeptiert. 4465 Thume VersR 2009, 436 (437). 4466 LG Hamburg, Urt. v. 12.3.2012 – 419 O 39/11. 4467 Urt. v. 9.5.1975 – 7c O 1/74. 4468 BGH, Urt. v. 6.7.1972, BGHZ 59, 125 = NJW 1959, 1664 (Bauspar-HV); OLG Stuttgart, Urt. v. 22.2.1971, VersR 1972, 44 m. Anm. Höft (Bauspar-HV); LG München I BB 1981, 513 m. Anm. Brych; LG Heilbronn BB 1980, 1819; Oetker/ Busche5 § 89b Rn 57. 4469 Thume VersR 2009, 436 (437); LG Hamburg, Urt. v. 12.3.2012 – 419 O 39/11; vom OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 m. Anm. Küstner und Thume Rn 12 offen gelassen. 4470 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 306 zum Bauspar-HV. 4471 Thume VersR 2009, 436 (437). 4472 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125). 4473 Küstner VersR 2002, 518, der aber aA ist; kritisch auch Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 278. 4474 Küstner VersR 2002, 518; nach Oetker/Busche5 § 89b Rn 57 beträgt der Regelprognosezeitraum 4 Jahre. Emde

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5. Ausgleichshöchstgrenze (Tatbestandsmerkmal 6) Gem. § 89b Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 beträgt der Ausgleichsanspruch des VV, dreifach höher als beim 733 Warenvertreter, höchstens 3 Jahresdurchschnittsprovisionen oder -vergütungen, berechnet aus den letzten fünf Tätigkeitsjahren des VV. Bei kürzerer Vertragsdauer ist der Durchschnitt während der Tätigkeitsdauer maßgebend. Da der Ausgleich des VV aus der Sicht bei Einführung der Bestimmung hauptsächlich die Funktion hatte, anders als beim Waren-HV, eine bereits verdiente, nur infolge Provisionsverzichts nicht mehr zur Entstehung gelangende, aber u. U. jahrelang fortzuzahlende Vermittlungsprovision abzugelten, erschien dem Gesetzgeber das Modell der Begrenzung des Ausgleichs auf den geringeren einfachen Jahresbetrag des Provisionseinkommens (Abs. 2) nicht übertragbar.4475 Denn die dem VV entgehende Provision wäre bei Fortdauer des Vertrages sicher – der der Provisionszahlung zugrundeliegende Vertrag ist ja bereits vermittelt. Es besteht nur die Unsicherheit der Fortdauer. Die geringere Höchstgrenze des Abs. 2 rechtfertigt sich bei dieser Sicht daraus, dass der dort geregelte Ausgleich meist nur die weniger sichere Chance zukünftiger Geschäfte und keine infolge eines Rahmenvertrags (Versicherungsvertrags) weitgehend sichere Provision abgilt.4476 Zudem ist die Laufdauer der vom Verzicht betroffenen Folgeprovisionen in den meisten Fällen erheblich länger als beim Warenvertreter.4477 Im Übrigen aber gilt alles, was zum Höchstbetrag nach Abs. 2 oben ausgeführt ist. Auch für die Höchstgrenze des Ausgleichs des VV sind die gesamten Bruttoprovisionen 734 maßgebend, die ihm in den letzten 5 Tätigkeitsjahren zugeflossen sind.4478 Maßgebend ist das Dreifache der nach dem Modus des Abs. 2 zu errechnenden Jahresbruttoprovision (Einjahresprovision nach dem Durchschnitt der letzten fünf Vertragsjahre, nicht etwa die Summe der Bruttoprovisionen aus den letzten 3 Jahren vor Vertragsbeendigung).4479 Auch sind in die Ausgangszahlen für diese Berechnung sämtliche Provisionen des HV einzurechnen, eingeschlossen die Verwaltungsprovisionen,4480 Superprovisionen sowie Provisionen aus bei Vertragsbeginn übernommenen Beständen4481 und wiederum eingeschlossen Verwaltungsprovisionen für den übernommenen Versicherungsbestand.4482 Allgemeine Kosten des VV sind nicht abzuziehen. Soweit jedoch vom Unternehmer geleistete Kostenerstattungen durchlaufende Posten sind, etwa Provisionen, die an Untervertreter weiterzuleiten sind, bleiben sie in der Berechnung der Ausgleichshöchstgrenze unberücksichtigt.4483

VII. Die „Grundsätze“ der Versicherungswirtschaft Die sog. Grundsätze der Versicherungswirtschaft, insb. die Grundsätze Sach, Leben, Kran- 735 ken, Bauspar- und Finanzdienstleistungen, sind infolge mehrerer Urteile des BGH verstärkt in den Fokus der Diskussion geraten. Angesichts der schwierigen Ausgleichsberechnung des VV4484 und ihrer wenig einheitlichen Handhabung, haben sich die an der Erstellung der Grundsätze beteiligten Verbände auf Maßstäbe zur Ausgleichserrechnung geeinigt, welche die Aus4475 4476 4477 4478 4479 4480 4481

Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 353. Küstner/Thume/Thume I4 Kap. IX Rn 126. Siehe Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 45; Oetker/Busche5 § 89b Rn 58. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 47. Hopt § 89b Rn 94. BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, DB 1971, 185. Leuze Das Recht des Versicherungsvertreters, Heft 6 der Schriftenreihe des Wirtschaftsverbandes Versicherungsvermittlung S. 27; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 47; Möller Recht und Wirklichkeit der Versicherungsvermittlung Anm. 384, S. 873; Geßler S. 81, Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 42. 4482 Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 42. 4483 Möller Anm. 384, S. 873; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 23c; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XII Rn 47; Lohmüller VW 1955, 151. 4484 Siehe Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 354. 635

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gleichsberechnung vereinfachen sollen, und zwar getrennt nach Sparten. Tatsächlich ist eine Vereinfachung4485 und vor allem Standardisierung4486 Folge der Einführung der Grundsätze geworden. Ebenso ist es aber eine Folge der Grundsätze, dass sich – anders als etwa beim Warenvertreter – keine Standards etabliert haben, wie der Ausgleich des VV aus § 89b Abs. 5 direkt zu ermitteln wäre (dazu unten). Die Dogmatik der Ausgleichsberechnung des VV außerhalb der Grundsätze hinkt deshalb der Ausgleichsberechnung des Warenvertreters um mindestens zwei Jahrzehnte hinterher.4487 Zunächst wurden die Grundsätze im Schadensbereich (Grundsätze Sach) entwickelt. Anlass 736 war die kaum durchführbare Aufteilung in ausgleichsfähige Abschluss- und nicht ausgleichsfähige Verwaltungsprovisionen.4488 Deshalb wurden 1958 zwischen dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft und dem seinerzeitigen Verband der bevollmächtigten Generalagenten und Assekuradeure4489 die Grundsätze Sach vereinbart. Dem traten später der damalige Wirtschaftsverband Versicherungsvermittlung4490 und 1968 der jetzt mit dem BVK zusammengeschlossene Verband der Versicherungskaufleute (VVK) bei. Heute unterstützen alle Spitzenverbände der Versicherungswirtschaft die Grundsätze Sach, die mehrfach geändert und auf den neuesten Stand gebracht wurden.4491 1961 erkannte der BGH4492 die Ausgleichsberechtigung von Versicherungs- und Bausparkassenvertretern auch außerhalb der Schadensversicherung an. Zuvor hatte man in diesen Bereichen wegen der üblicherweise gezahlten Einmalprovision einen Ausgleichsanspruch abgelehnt, so dass nach der seinerzeitigen Fassung des § 89b Abs. 1 kein Anlass für die Einführung ausgleichserläuternder Grundsätze bestand. Der BGH urteilte, dem VV entgingen infolge der Provisionsverzichtsklausel auch Abschlussprovisionen aus nach seinem Ausscheiden zustande gekommenen Versicherungsverträgen, wenn sich diese Verträge bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung oder Erweiterung der von ihm zuvor vermittelten Verträge darstellten (s. o.). Damit wurde es notwendig, auch für die mit Einmalprovisionen entlohnten Versicherungssparten, insb. die Lebens- und Krankenversicherung, Grundsätze zur Berechnung zu vereinbaren. Im Bereich der Lebensversicherung tragen die Grundsätze der Rspr. des BGH allerdings nur unvollkommen Rechnung.4493 Nach den Grundsätzen steht einem VV der Ausgleich nur zu, soweit in seinem Bestand dynamisierte Verträge enthalten sind. Ausgleichspflichtig sind – wie dargestellt (s. o.) – jedoch auch Vertragserweiterungen und Summenerhöhungen. Die Grundsätze „Leben“ und die Grundsätze „Kranken“ folgen in ihrer Konzeption den Grundsätzen „Sach“.4494 Am 27.8.1984 wurden dann zwischen dem Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), dem Verband der privaten Bausparkassen sowie den Bundesgeschäftsstellen der Landesbausparkassen die Grundsätze für den Bausparbereich vereinbart, die zum 1.10.1984 gültig wurden. Ausgleichsansprüche wegen Vermittlung von Riester-Rentenversicherungen werden hingegen nicht nach den Grundsätzen berechnet, da es insoweit keine passenden Grundsätze gibt. Anwendbar sind die allgemeinen Regeln.4495 4485 Die Praxis behilft sich mit den Grundsätzen. Das gilt auch im Bausparbereich, s. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366. 4486 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 354. 4487 Siehe Emde VersVerm 2001, 440 ff. 4488 Höft ZVersWiss 1976, 439 (446, 451); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 2; die Schwierigkeiten referiert BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 32 ff. 4489 Heute: Bundesverband der Geschäftsstellenleiter und Assekuranz (VGA). 4490 Heute: BVK. 4491 Vgl. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 2. 4492 BGH, Urt. v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310. 4493 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 3. 4494 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 5. 4495 LG Hamburg, Urt. v. 28.11.2014 – 412 HKO 70/09, BeckRS 2015, 17876: Unter Berücksichtigung eines Prognosezeitraums von 10 Jahren, einer Abwanderungsquote von 10 % und einer Abzinsung von 4 % errechnete das LG den Ausgleichsanspruch. Emde

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1. Zweck der Grundsätze Zweck der Grundsätze war es zum einen, die Ausgleichsberechnung der VV zu vereinfachen.4496 737 Zum anderen sollte ein angemessener, also ein billiger Ausgleich, bestimmt werden. Ob dieses zweite Ziel erreicht wurde, ist umstritten. Ein solcher Streit ist einem Kompromiss4497 immanent. Dem Kompromisscharakter der Grundsätze entspricht es, dass sie nur einheitlich als Ganzes angewendet werden können,4498 nicht anders als z. B. die VOB/B. Sind etwa zwischen dem VV und der Versicherung für die Berechnung der Höhe des Ausgleichs die Grundsätze einvernehmlich zugrunde gelegt worden und haben die Parteien zu erkennen gegeben, dass sie jene als angemessenen und der Billigkeit entsprechenden Ausgleich der unterschiedlichen Interessen akzeptieren, ist es jeder Partei verwehrt, bei der Berechnung des Ausgleich lediglich die für sie günstigen Regelungen der Grundsätze heranzuziehen.4499 Sonst entfiele die Überzeugungskraft als Schätzgrundlage. Zwar ist es jeder Partei gestattet, eine ihr günstigere Ausgleichsberechnung vorzunehmen, als es der anderen Partei genehm ist. Jedenfalls ein Gericht wird die Grundsätze aber wohl nur ganz oder gar nicht anwenden. Billigkeitsgesichtspunkte können jedoch ergänzend anwendbar sein,4500 obwohl oder gerade weil sie in den Grundsätzen nicht erwähnt werden. Die Grundsätze gelten nur für den hauptberuflichen VV und nicht für Versicherungsmakler.4501 Für die Versicherer soll die Anwendung der „Grundsätze“ zu einer erheblichen finanziellen Entlastung in Ausgleichsfällen geführt haben. Denn ein nach den Grundsätzen bestimmter Ausgleich kann selbst unter optimalen Voraussetzungen kaum die Höhe der Höchstgrenze erreichen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass ohne die Grundsätze vielen VV eine Berechnung des Ausgleichs kaum möglich wäre. Vor- und Nachteile gibt es also für beide Vertragspartner. Da die Grundsätze den gesetzlichen Ausgleichsanspruch wegen dessen zwingender Natur 738 nicht ausschließen können, bleibt eine Ausgleichsberechnung aus § 89b direkt möglich (s. u.), faktisch jedoch (noch) die Ausnahme.4502 Eine solche Ausgleichsberechnung ist tatsächlich schwierig und gelingt dem anspruchstellenden VV meist nicht.4503 Nicht selten scheitern deshalb die Versuche der VV, nach § 89b den Ausgleich zu beziffern.4504 Die jahrelange Anwendung der Grundsätze hat die Entstehung einer unmittelbar aus § 89b abgeleiteten Ausgleichsberechnung erschwert, anders als im Bereich der Warenvertreter, bei denen sich gewisse Üblichkeiten etabliert hatten.4505 Gerade die Abgrenzung zwischen verwaltenden und vermittelnden Provisionsanteilen bei der Ausgleichsberechnung der VV wurde kaum fortgebildet, weil es auf

4496 Siehe BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 32 ff.

4497 Zum Kompromisscharakter der Grundsätze BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 11. 4498 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252; OLG Köln, Urt. v. 28.11.2014 – 19 U 71/14, BeckRS 2015, 10251 Rn 31; LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 11. 4499 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371 = VersR 2006, 1124. 4500 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252; v. 21.5.1975 – I ZR 141/74, VersR 1975, 807; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 11. 4501 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 12. 4502 Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. Nach Ansicht von Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 14 sollte eine Ausgleichsberechnung außerhalb der Grundsätze die absolute Ausnahme darstellen. Nach Auffassung von Graf v. Westphalen WM 2011, 528 werden die Grundsätze in der Praxis nach wie vor angewandt. 4503 Thume VersR 2009, 436 (437). 4504 Vgl. OLG Celle VersR 2002, 976; OLG Hamm, Urt. v. 19.1.2003 (n. v., Berufungsurteil vor der Entscheidung des BGH v. 22.12.2003, VersR 2004, 376 = WM 2004, 1483); Thume VersR 2009, 436 (437). 4505 Emde VersVerm 2001, 440 ff. 637

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diese Abgrenzung im Rahmen der Grundsätze nicht ankommt.4506 Es gibt hierzu also wenig Rspr. Zu einer Formel für die Ausgleichsberechnung unmittelbar aus § 89b Abs. 5 s. u.

2. Widerspruch zu § 89b Abs. 4/Grundsätze als dispositive Berechnungsmethode 739 Die Grundsätze sind empfehlende, jedoch unverbindliche Vereinbarungen.4507 Kein VV kann gezwungen werden, den Ausgleich nach den Grundsätzen zu berechnen.4508 Die zwingende Vereinbarung der Grundsätze wäre wegen Verstoßes gegen § 89b Abs. 4 unwirksam,4509 falls die Berechnung zu einem niedrigeren Ergebnis als nach dispositivem Recht gelangte.4510 Zulässig bleibt die Vereinbarung als billigkeitsrelevanter Umstand. Eine solche Vereinbarung ist aber überflüssig, da die Grundsätze ohnehin als Schätzgrundlage etabliert sind (Rn 742) und auch ein Billigkeitsmaßstab nicht zwingend vereinbart werden darf. Meist folgt die Unwirksamkeit auch aus § 307 BGB (Rn 740). Dem VV bleibt es mithin unbenommen, seinen Ausgleich allein nach Maßgabe des § 89b Abs. 1 und 5 sowie der hierzu ergangenen Rspr. darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen.4511 § 89b Abs. 4 S. 1 steht der Berechnung des Ausgleichs des VV anhand der Grundsätze nur dann nicht entgegen, wenn die Parteien die Bezifferung auf der Basis der Grundsätze nach Vertragsende vereinbart oder zumindest akzeptiert haben,4512 was auch konkludent geschehen darf,4513 etwa durch übereinstimmende Berechnung des Ausgleichs nach den Grundsätzen im Prozess.4514 Nur dann können die Grundsätze als eine Möglichkeit zur Ausgleichsberechnung herangezogen werden. Bei diesem Verständnis handelt es sich bei den Grundsätzen allenfalls um eine nach der Novelle 2009 fortbestehende4515 Option zur Berechnung.4516 Auch der Versicherer braucht sich nicht auf eine von § 89b abweichende Ausgleichsberechnung verweisen zu lassen, es sei denn, er hat in dem von ihm formulierten Vertrag die Berechnung nach den Grundsätzen zugesagt4517 (auf die Unwirksamkeit der eigenen AGB darf er sich nicht berufen4518). Wegen des Vereinfachungseffekts der Ausgleichsberechnung fragt sich, wer sich über den nachträglichen Vereinbarungszwang mehr freuen kann, die durch die Grundsätze finanziell bevorzugten Versicherer oder der darlegungs- und beweisbelastete

4506 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 13. 4507 OLG Köln, Urt. v. 5.6.1974, BB 1974, 1093 = VersR 1974, 995; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 21.11.1995 – 8 O 110/ 95 – NJW-RR 1996, 548 und v. 30.6.2000 – 10 O 217/99, n. v.; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 16; Flohr/ Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 356; Oetker/Busche5 § 89b Rn 59; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 198. 4508 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 38; LG Düsseldorf, Urt. v. 19.7.2005 – 32 O 217/04, NJOZ 2006, 2753; Thume VersR 2009, 436 (437). 4509 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002, VersR 2002, 976 (977); Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (zu AGB der Bausparkassen); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 356. 4510 Thume VersR 2009, 436 (437). 4511 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 38; Thume IHR 2012, 71. 4512 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 34; OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 = DB 2006, 1371; hierzu Thume VersR 2009, 436 (437 f); Thume IHR 2012, 71; aA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 200. 4513 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125) = DB 2006, 1371. 4514 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125) = DB 2006, 1371; Thume VersR 2009, 436 (438). 4515 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (216); Thume VersR 2012, 665 (668). 4516 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252; v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 38; LG Düsseldorf, Urt. v. 19.7.2005 – 32 O 217/04, NJOZ 2006, 2753. 4517 LG Düsseldorf, Urt. v. 19.7.2005 – 32 O 217/04, NJOZ 2006, 2753. 4518 Emde EWiR 2012, 208. Emde

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VV.4519 Allerdings wird dem VV mit einer unmittelbar aus § 89b hergeleiteten Berechnung nicht mehr zugemutet als dem Warenvertreter,4520 der gleichfalls für alle anspruchsbegründenden Umstände darlegungs- wie beweispflichtig ist und nach einer Meinungsgruppe die geworbenen Kunden und die ihm entgehenden Provisionen bereits bei Klageerhebung namentlich bezeichnen muss.4521 Die Forderung oder Entgegennahme des nach den Grundsätzen ermittelten Ausgleichsbetrags enthält im Zweifel nicht den Verzicht auf einen höheren unmittelbar auf gesetzlicher Grundlage ermittelten Ausgleich,4522 es sei denn, die Parteien haben sich nachvertraglich (konkludent) auf die angewandte Berechnungsweise geeinigt. Ob die Ermittlung und Errechnung des Ausgleichsanspruchs auf der Grundlage der Grundsätze aufgrund nachvertraglicher Treupflicht Aufgabe des Versicherers oder der Bausparkasse ist, erscheint sehr zweifelhaft. Insbesondere der BVK kann für seine Mitglieder die Berechnung des Ausgleichsanspruchs übernehmen.

3. Unwirksamkeit der Grundsätze nach § 307 BGB? Da VV-Verträge eigentlich immer AGB sind, ist Prüfungsmaßstab auch § 307 BGB. Einen Versi- 740 cherer mit nur einem VV gibt es nicht; die Verträge werden einheitlich gestaltet. Mehrere Gerichte4523 haben die „Grundsätze“ als mit § 307 BGB unvereinbar angesehen. Sie nähmen die Berechnung nach gänzlich anderen Kriterien als § 89b Abs. 5 vor, weshalb gerade dann, wenn der VV nur kurze Zeit für den Versicherer tätig gewesen sei, sich die Anwendung der „Grundsätze“ nachteilig gegenüber der üblichen Berechnungsweise auswirken könne. Setze man einen hohen Anteil werbender und einen geringen Anteil verwaltender Provisionen sowie einen langen Prognosezeitraum an, könne die Ausgleichsberechnung auf der Basis der unmittelbaren Anwendung des § 89b Abs. 5 zu einem für den VV günstigeren Ergebnis als auf Basis der Grundsätze führen. Zudem lässt sich nicht im Voraus bestimmen, was ein „angemessener“ Ausgleich ist.4524 Bereits durch diese Abweichung von § 89b, und nicht erst durch den Nachweis eines geringeren Rechenergebnisses, könnte der VV bei abstrakt-genereller Betrachtung unbillig benachteiligt werden. Deshalb könnte man argumentieren, die Grundsätze könnten nur individualvertraglich vereinbart werden. Das würde jedoch den Bedürfnissen des Versicherungsvertriebs mit einer Vielzahl von Mittlern kaum gerecht. Die Unwirksamkeit der zwingenden Vereinbarung der Grundsätze vor Vertragsende folgt 741 auch aus den Urteilen des BGH über die Anrechnung des Barwerts der Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch.4525 In diesen Urteilen hatte der BGH die in den Grundsätzen vorgesehene zwingende Anrechnung der vom Unternehmer gewährten Altersversorgung für unwirksam gehalten, gleichwohl jedoch im Einzelfall den Abzug des Anwartschaftsbarwerts der Altersversorgung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit nicht beanstandet.

4519 Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368) weisen für den Bausparbereich darauf hin, dass die Berechnung nach den Grundsätzen dem HV auch Vorteile geben kann. Emde BB 2006, 1121 (1122). OLG Celle, Urt. v. 29.3.1963, BB 1963, 711. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 201; aA OLG Celle OLGR 2002, 262 = HVR Nr. 1041. OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002, VersR 2002, 976 (977); LG Düsseldorf, Urt. v. 19.7.2005 – 32 O 217/04, NJOZ 2006, 2753. 4524 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1125) = DB 2006, 1371; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 21.11.1995, VersR 1996, 1367 = NJW-RR 1996, 548. 4525 BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, VersR 2003, 368 = NJW 2003, 1244 = WM 2003, 691 = MDR 2003, 277 = EWiR 2003, 231 (Emde); VIII ZR 146/01, VersR 2003, 323 = ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = EWiR 2003, 229 (Küstner); aA Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 200 (vertragsbegleitende Vereinbarung zulässig).

4520 4521 4522 4523

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Emde

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4. Rechtsnatur der Grundsätze – Schätzungsgrundlage 742 Die Grundsätze sind aus wirtschaftlichen Erwägungen gefasst worden. Sie geben keine Rechtsauffassung der beteiligten Verbände wieder und können weder Rechtsanwender noch Gerichte binden. Sie bilden auch keinen Vertrag zugunsten Dritter, und zwar bereits deshalb nicht, weil die empfehlenden Verbände Verbandsmitgliedern außerhalb der Verbandsangelegenheiten keine Rechte und Pflichten zuweisen können.4526 Ferner handelt sich bei den Grundsätzen wohl um keinen Handelsbrauch.4527 Angesichts der Diskussion um ihre Rechtsnatur spricht wenig für eine solche Einordnung.4528 Auch dürfen sich Handelsbräuche gegen zwingendes Gesetzesrecht – hier: das Verbot des Vorausverzichts nach Abs. 4 S. 1 – nicht bilden. Zwar mag angesichts der Häufigkeit der Ausgleichsberechnung auf ihrer Basis noch von einer allgemeinen, oft genutzten tatsächlichen Übung gesprochen werden. Die freiwillige Anerkennung durch die maßgeblichen Handelskreise ist jedoch zweifelhaft. Ob es sich bei den Grundsätzen um einen Handelsbrauch handelt, bestimmt der Tatrichter. Das Revisionsgericht ist daran gebunden. Möglicherweise handelt es sich um im Rahmen des § 287 ZPO maßgebliche Schätzwerte anerkannter Sachkenner4529 bzw. um einen Ausdruck der Vorstellungen der beteiligten Wirtschaftskreise zur Höhe eines angemessenen Ausgleichs.4530 In nicht wenigen Entscheidungen dienten die „Grundsätze“ zur Schätzung eines Mindestaus-

4526 OLG Köln BB 1974, 1093; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 18; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 198; aA BAG, Urt. v. 21.5.1985, DB 1996, 919 (920); Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 43 (Ausgleichsberechtigung aus dem Gesichtspunkt des Vertrags zu Gunsten Dritter). 4527 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 21.11.1995, NJW-RR 1996, 548; v. 9.5.1986, VersR 1986, 814; v. 22.10.1985, BB 1986, 896 = VersR 1986, 388; v. 17.2.1970, DB 1970, 228 = NJW 1970, 418 = VersR 1970, 271; Thume BB 2002, 1325; VersR 2009, 436; Martin VersR 1970, 796; Oswald VersR 1979, 509; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 20; Ebenroth/ Löwisch3 § 89b Rn 198; Oetker/Busche5 § 89b Rn 59; offen gelassen vom OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/ 05, VersR 2006, 1124 (1125); aA OLG München, Urt. v. 21.12.1973, VersR 1974, 288; LG München, Urt. v. 30.9.1975, VersR 1976, 467; v. 10.3.1975, VersR 1975, 736; v. 4.7.1974, VersR 1975, 81; v. 22.3.1973 – 4 HK O 292/72, n. v.; LG Wiesbaden, Urt. v. 21.11.1974, VersR 1975, 145; LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.9.1974, VW 1974, 1280; LG Hamburg, Urt. v. 1.7.1971, VersR 1972, 742; Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368) für den Bausparbereich. 4528 Glanegger/Ruß § 89b Rn 37; Oetker/Busche5 § 89b Rn 59. BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 37 lässt die Feststellung der Tatsacheninstanzen in Frankfurt unbeanstandet, ein solcher Handelsbrauch bestehe nicht. 4529 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 36 ff.; BAG, Urt. v. 21.5.1985, DB 1986, 919 (920); OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/ 2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 34; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.9.2012 – 5 U 101/09, BeckRS 2014, 11259; v. 9.5.1986, VW 1986, 894; OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.7.1979, VersR 1979, 837; OLG München, Urt. v. 10.5.1988, VersR 1988, 1069; OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.3.1981, VersR 1981, 979; v. 5.10.1979, VersR 1980, 186; OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.7.1979 – 3 U 15/79, VersR 1979, 837; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.4.1997 – 16 U 119/95, OLGR 1996, 259; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 9.5.1986 – 10 U 48/85, VersR 1986, 815; v. 30.6.2000 – 10 U 217/99, VW 2001, 1048, OLG Hamburg, Urt. v. 26.3.1992 – 8 U 97/90, VersR 1993, 476; OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.5.1988 – 1 U 144/86, VW 1988, 1375; LG Hannover, Urt. v. 4.7.1979, VW 1979, 1270; v. 16.11.1976, VW 1978, 558; v. 4.3.1976, BB 1976, 664 m. Anm. Küstner; LG Bielefeld, Urt. v. 28.6.1982 – 16 O 192/81, VW 1983, 251; LG Dortmund, Urt. v. 25.8.1999 – 10 O 95/99, LG Düsseldorf, Urt. v. 5.10.1979 – 9 O 129/79, VersR 1980, 186, LG Düsseldorf, Urt. v. 5.3.1981 – 34 O 73/79, VersR 1981, 979; LG Frankfurt/M., Urt. v. 2.5.2001 – 3/9 0 47/99, LG Hamburg, Urt. v. 1.7.1971 – 28 O 138/70, VersR 1972, 742; LG Köln, Urt. v. 4.11.1982 – 91 O 170/82, VW 1983, 250; LG Köln, Urt. v. 9.1.2003 – 2 O 305/99, LG München I, Urt. v. 10.5.1988 – 5 HKO 905/88, VersR 1988, 1069; LG Osnabrück, Urt. v. 4.12.2001 – 14 O 366/00, LG Stuttgart, Urt. v. 23.9.1974 – 2 KfH O 107/73, VersR 1975, 1005; LG Wiesbaden, Urt. v. 31.10.1984 – 12 O 78/84, VW 1985, 411; LG Wiesbaden, Urt. v. 29.7.1999 – 2 O 235/ 97; Küstner VW 1998, 704 (705); Thume VersR 2009, 436 (437); Westphal I Rn 1233; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 198; Glanegger/Ruß § 89b Rn 37; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 110; Oetker/Busche5 § 89b Rn 59; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 268. Das OLG Düsseldorf VersR 1979, 837 (838) betont, dass die Grundsätze „auf kompetentester Sachkunde beruhen und deshalb die Vermutung der Gerechtigkeit und Billigkeit für sich haben“; LG Düsseldorf VersR 1980, 186; VersR 1981, 979 f. 4530 Martin VersR 1970, 796. Emde

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gleichs.4531 Insbesondere in seinem Urt. v. 23.12.2011 – VIII ZR 203/104532 meint der BGH zu Rn 39 ff., einer Heranziehung der „Grundsätze“ als Schätzgrundlage stehe nichts entgegen. Eine nähere Betrachtung der vorzunehmenden Rechenschritte zeige, dass die gesetzlichen Maßstäbe in den Grundsätzen berücksichtigt werden und lediglich eine – der Zulässigkeit einer Schätzung nicht entgegenstehende – Pauschalierung4533 erfolgt. Im Bereich der „Grundsätze Sach“ werde der Ausgleich zwar auf der Grundlage der durchschnittlichen Brutto-Jahresprovision des VV berechnet. Allerdings würden u. a. erstjährige erhöhte Abschlussprovisionen – die nach der gesetzlichen Konzeption nicht berücksichtigungsfähig seien, da sich aus der Vertragsbeendigung meistens keine Verluste ergäben – aus der Berechnung herausgenommen, so dass nur die gleich hohen Folgeprovisionen den maßgeblichen Ausgleichswert bestimmten. Ebenfalls in die Berechnung einbezogen würden Superprovisionen. Für die im Rahmen des Ausgleichswerts zu berücksichtigenden Provisionen müsse nach den Grundsätzen zwar nicht im Einzelnen ermittelt werden, inwieweit durch sie vermittelnde oder verwaltende Tätigkeiten abgegolten würden. Dies bedeute jedoch nicht, dass jene Abgrenzung für die „Grundsätze Sach“ völlig irrelevant bleibe. Von dem beschriebenen Ausgleichswert werde nämlich nur ein bestimmter Teil angesetzt. Die Höhe dieses Teils sei nach den einzelnen Versicherungssparten unterschiedlich ausgestaltet und liege zwischen 25 % und 50 %. Hier komme – neben der für den Ausgleichsanspruch relevanten Frage der Bestandsfestigkeit der einzelnen Versicherungsverträge – auch eine unterschiedliche Bewertung der Verteilung von Folgeprovisionen auf Abschluss- und Verwaltungsfolgeprovisionen zum Ausdruck. Die in den „Grundsätzen-Sach“ vorgesehenen Multiplikatoren seien Ausfluss der Billigkeit. Auch die „Grundsätze Bauspar“ verzichteten zwar auf die bei einer gesetzlichen Berechnung gebotene Einzelfallbestimmung i. S. d. Erweiterungsrspr. (s. o.), jedoch nur zur Vermeidung der dazu erforderlichen „überaus schwierigen und zeitraubenden“ Ermittlungen. Der BGH hat also keine Bedenken gegen die Anwendung der Grundsätze, falls der VV sie selbst als Schätzungsgrundlage heranzieht: Denn es obliege dem VV, ob er die Grundsätze als Schätzgrundlage heranzieht, was ihm freistehe, wozu er aber nicht gezwungen sei.4534 Das dürfte zu akzeptieren sein und bildet wohl keinen Verstoß gegen die zwingende Natur des Ausgleichsanspruchs (§ 89b Abs. 4), solange die Schätzung den Vortrag eines höheren oder niedrigeren Ausgleichs durch eine der Parteien zulässt und deren Beweisantritte nicht mittels der Schätzung übergangen werden.4535 Das gilt auch für entsprechenden Vortrag des Versicherers. Denn § 89b Abs. 4 ist nicht nur halbseitig zwingend, so dass sich beide Parteien auf Abs. 4 berufen dürfen, sofern der Versicherer in seinen AGB keine Berechnung nach den Grundsätzen zugesagt hatte. Nach der Gegenansicht darf niemand gezwungen werden, den Ausgleich nach den Grundsätzen zu berechnen, auch nicht über den Weg der „Schätzgrundlage“. Würden die Grundsätze wider Willen und entgegen dem Vortrag einer der Parteien gemäß § 287 ZPO als Schätzgrundlage herangezogen, könnte dies § 89b Abs. 4 widersprechen.4536 Sähe man die Grundsätze als „antizipiertes Sachverständigengutachten“ i. S. d. § 287 ZPO an, wäre dies gleichfalls eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion der unwirksamen Ausgleichsbere4531 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252; v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde); ebenso Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 355; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 202. Ablehnend Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 168. 4532 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde). 4533 Gegenüber einer Pauschalierung ablehnend BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 249/08, BeckRS 2009, 88043 Rn 37; v. 15.7.2009 – VIII ZR 171/08, NJW-RR 2010, 43 = DB 2009, 2038 = WRP 2009, 1266 Rn 25 (Tankstellen-HV). 4534 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252. 4535 Emde EWiR 2012, 208. 4536 Emde BB 2006, 1121 (1122). 641

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chungsvereinbarung. Man entzöge den Parteien und insb. dem nach § 307 BGB geschützten VV mit der einen Hand (§ 287 ZPO) das, was man ihnen zuvor mit der anderen Hand (§ 89b Abs. 4 HGB, § 307 BGB) gab. Für diese Auffassung könnte ferner sprechen, dass die Grundsätze die Berechnung abweichend von den gesetzlichen Maßstäben vornehmen4537: Sie verzichten, wie erläutert, auf eine Abgrenzung werbenden von verwaltenden Provisionsanteilen, während gem. § 89b Abs. 5 nur werbende Provisionsanteile ausgleichspflichtig sind.4538 Der Versicherer braucht jedoch ohne vertragliche Abrede keine verwaltenden Anteile auszugleichen, soweit er dies nach dem Gesetz nicht schuldet.4539 Zudem könnte für jene Gegenansicht angeführt werden, dass die Grundsätze vor der Novelle 2009 gefasst wurden. Sie könnten deshalb die durch sie hervorgerufenen Änderungen, insb: die Rückstufung der in den Grundsätzen verschiedentlich bedeutsamen „Provisionsverluste“ alten Rechts zu einem dispositiven Billigkeitsmerkmal, nicht abbilden. Deshalb könnte trotz der das vor 2009 geltende Ausgleichsrecht betreffenden BGH-Entscheidung fraglich sein, ob ein Gericht den Ausgleich auf der Basis der Grundsätze nach § 287 ZPO schätzen darf.

5. Auslegung und revisionsrichterliche Überprüfung 743 Die Grundsätze sind wie reversible Rechtsnormen zu behandeln, da sie über den Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus Anwendung finden. Sie sind nach dem objektiven Inhalt und typischen Sinn der in Rede stehenden Bestimmung einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut vom verständigen und redlichen Durchschnittsadressaten unter Berücksichtigung der von den beteiligten Verbänden verfolgten Zwecke verstanden wird.4540

6. Beweislast 744 Für die nach den Grundsätzen ausgleichsbegründenden Umstände trägt der VV grds. die Darlegungs- und Beweislast.4541 Den Versicherer soll auch keine sekundäre Darlegungslast treffen, wenn er dem klagenden VV einen 27 Kartons umfassenden Buchauszug zur Verfügung gestellt hat, den dieser aber nicht auswertet, sondern ihn nur unaufbereitet als Anlage zu einem Schriftsatz beim Gericht einreicht.4542 Einerseits sind die Anforderungen des Gerichts verständlich und mglw. auch durch das Desinteresse des VV am Buchauszug und die „Lagerung“ der 27 Kartons bei Gericht motiviert. Andererseits dürfte als Grundregel gelten, dass Provisionszahlen vom Unternehmer substantiiert zu bestreiten sind. Je mehr der VV vorträgt, umso eher muss auch der Versicherer substantiiert bestreiten. Einzelheiten Rn 479 ff., 765 ff. Ist der VV über die Ausgleichsbemessungsgrundlagen, etwa falls sich die als Berechnungsgrundlage einzusetzende Versicherungssumme nicht aus dem Buchauszug ergibt, unentschuldigt nicht informiert, steht ihm gegenüber dem Versicherer ein Informationsrecht aus § 242 BGB zu.4543 4537 AA BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 39 ff. 4538 Siehe im Einzelnen Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 13, sowie OLG München, Urt. v. 10.3.1993, BB 1993, 1754. 4539 Garde VW 1959, 100; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 16; KG VersR 1964, 1295 mit abl. Anm. Klingmöller VersR 1964, 1298. 4540 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252. 4541 OLG München, Urt. v. 9.2.2017 – 23 U 4079/15, IHR 2017, 219 = ZVertriebsR 2017, 194; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 202. 4542 OLG München, Urt. v. 9.2.2017 – 23 U 4079/15, IHR 2017, 219 = ZVertriebsR 2017, 194. 4543 OLG München, Urt. v. 10.6.2009, Az. 7 U 4522/08. Emde

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7. Anspruchsberechtigung nach den Grundsätzen Hinsichtlich der Person des Anspruchsstellers und ihrer Auswirkungen auf die Ausgleichsbe- 745 rechtigung gelten die vorgenannten Maßstäbe. Der Ausgleichsanspruch ist auch nach den Grundsätzen ein mit Vertragsende fälliger Vergütungsanspruch, der in vollem Umfange vererblich4544 und von der Rechtsform des VV unabhängig4545 ist. Ausgleichsberechtigt sind allein HV i. S. d. §§ 84 ff, die in den von den Grundsätzen erfassten Sparten tätig sind. Sofern eine in den Grundsätzen nicht geregelte Sparte betroffen sein sollte, wäre der Ausgleich nach Abs. 5 zu bestimmen. Eine Analogie zu anderen Grundsätzen dürfte eher abzulehnen sein. Angestellte Versicherungsvermittler sind nicht anspruchsberechtigt.4546 Nebenberuflich tätige VV bleiben auch nach den Grundsätzen nicht ausgleichsberechtigt.

8. Rückwirkungen der Grundsätze für den Provisionsanspruch? Dass sich die Parteien auf die „Grundsätze“ der Versicherungswirtschaft für die Ausgleichsbe- 746 rechnung geeinigt haben, führt zu keinem stillschweigenden Ausschluss eines Provisionsrechts, etwa der nachvertraglichen Dynamikprovision.4547 Die Mitteilung, „wie“ im Falle von Provisionsverlusten berechnet werden soll besagt nichts darüber, „ob“ Provisionsverluste eintreten.4548

a) Die „Grundsätze Sach“. Die Grundsätze Sach4549 erklären sich – wie die übrigen Grundsät- 747 ze – weitgehend aus ihrem Wortlaut. Ob ein Ausgleich dem Grunde nach zu zahlen ist, regeln sie nicht. Ebenso wenig werden Ausschlussgründe geregelt. Es gilt insoweit § 89b. Allerdings sollten die TB-Voraussetzungen des § 89b Abs. 1 dem Streit entzogen werden, weil die Grundsätze die Berechnung der dort wiedergegebenen, unbestimmten TB-Merkmale regeln und eine Vermutung für deren Existenz begründen.4550 Die Präambel der Grundsätze Sach lässt hinsichtlich des heutigen Billigkeitsmerkmals entgehender Provisionen (§ 89b Abs. 1 Nr. 2) zwar eine gegenteilige Deutung zu. Tatsächlich existiert jedoch eine Spezialität der Grundsätze gegenüber den TB-Merkmalen „Unternehmervorteile“ (§ 89b Abs. 1 Nr. 1) sowie „entgehender Provisionen“ (§ 89b Abs. 1 Nr. 2). Der Ausgleichsanspruch nach den Grundsätzen Sach soll ein Vielfaches der nach anderen Grundsätzen berechneten Ausgleichsansprüche betragen und damit besondere Bedeutung besitzen.4551 Der Anwendungsbereich der Grundsätze Sach liegt im Bereich der Sachversicherungen, 748 unter Einschluss der Rechtsschutzversicherungen. Sie gelten ferner für die Tätigkeit bei der Vermittlung von Verkehrsserviceversicherungen, mit der Abweichung, dass anstelle der in Ziff. I der Grundsätze Sach vorgesehenen 50 % (Rechtsschutzversicherung) lediglich ein Ausgleichswert von 25 % in Ansatz gebracht wird. Die Außendienstverbände und der GDV haben mit Wirkung zum 1.10.1990 vereinbart, dass auch im Bereich der Vertrauensschaden- und Kautionsversicherung Ausgleichsfälle nach diesen Grundsätzen geregelt werden. In der Kautionsversicherung soll die Berechnung nach einem Ausgleichswert gem. Ziff. I 3 der Grundsätze Sach von 40 % und der Maßgabe durchgeführt werden, dass als Berechnungsbasis für die 4544 4545 4546 4547 4548 4549 4550 4551 643

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 10, 298. Küstner/Thume/Küstner II7 Rn 1884. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 46; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht § 89b Rn 19. BGH, Urt. v. 20.12. 2018 – VII ZR 69/18, ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde). BGH, Urt. v. 20.12. 2018 – VII ZR 69/18, ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde). Siehe zu ihnen Emde VersR 2020, 796. Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 202; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 44. Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. Emde

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Ausgleichshöhe die dem VV in den letzten drei Tätigkeitsjahre ratierlich gezahlten Provisionen für abgerufene Bürgschaften herangezogen werden.4552 749 Die Systematik der Grundsätze-Sach ist einfach. Sie wurde Beispiel der nachfolgenden Grundsätze, die ihr in der Konzeption entsprechen. Auszugehen ist von einem Ausgangswert, der nach Ziff. I der Grundsätze berechnet wird. Dieser Ausgangswert, den es so oder ähnlich bezeichnet in allen Grundsätzen gibt, ist Basis der weiteren Ausgleichsberechnung. Der Ausgleichswert wird mit einer unter Ziff. II bestimmten Zahl multipliziert („Multiplikatoren“). Das Rechenergebnis ist der Rohausgleich. Jener wird gem. Ziff. III durch die Höchstgrenze des Ausgleichs in Höhe einer Dreijahresprovision oder -jahresvergütung (§ 89b Abs. 5) begrenzt. Die Grundsätze verweisen hier auf das Gesetz. Die Regelung der Ziff. IV über die Anspruchsberechtigung von Erben ist überflüssig, weil sie sich aus der ständigen Rspr. ergibt, nach der auch der Erbe eines HV anspruchsberechtigt ist. Ziff. V bestimmt, dass der kapitalisierte Barwert einer Alters- oder Hinterbliebenenversorgung abzuziehen ist. Diese Klausel ist gem. Abs. 4 unwirksam,4553 weil sie den zwingenden Ausgleich unabhängig von Billigkeitserwägungen des Einzelfalls in jedem Fall begrenzt. Dies ist allerdings unschädlich, da die Grundsätze ohne nachvertragliche Einigung ohnehin nicht binden. Gem. Ziff. VI der Grundsätze Sach kann jede Partei die bei dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft bestehende Gutachterstelle anrufen. Faktisch hat diese Bestimmung kaum Bedeutung, da in der Regel die ordentlichen Gerichte zur Klärung eines Streites angerufen werden. Nach Ziff. VII der Grundsätze Sach wird bei Zahlung des Ausgleichs vorausgesetzt, dass der VV keine Bemühungen anstellt oder unterstützt, die zu einer Schmälerung des ausgleichspflichtigen Bestandes führen. Gem. Ziff. VIII gelten die Grundsätze nicht für die Lebens- und Krankenversicherung. Nach Ziff. VIII sind die Grundsätze-Sach in der Transportversicherung einschließlich Nebenzweigen und in der Einheitsversicherung nur gegenüber ausschließlich auf ein Versicherungsunternehmen reversierten VV anzuwenden.

750 aa) Der Ausgleichswert (Ziffer I der Grundsätze Sach). Die Basis der Berechnung des Ausgleichs nach den Grundsätzen bildet – wie skizziert – der Ausgleichswert.4554 Maßgeblich für die Ausgleichsberechnung ist der neue Bestand an Versicherungsverträgen zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung, der vom VV geworben wurde.4555 Um den ausgleichsrelevanten Tätigkeitserfolg des VV zu messen, muss jener Versicherungsbestand bewertet werden.4556 Nach den Grundsätzen handelt es sich – abweichend von Abs. 5 – bei dem Ausgleichsanspruch des VV um eine Bestands-, nicht um eine Kundenvergütung.4557 Stornierte Versicherungsverträge bleiben unberücksichtigt.4558 Irrelevant ist die Höhe der Schadensquote.4559 Um den Bestand festzustellen, wird die nach dem Durchschnitt der letzten 5 Jahre der Tätigkeit des VV oder bei kürzerer Vertragsdauer nach dem Durchschnitt der Gesamtdauer der Tätigkeit des VV verdiente Brutto-Jahresprovision aus dem vom VV aufgebauten Versicherungsbestand festgestellt.4560 Durch diesen langen Zeitraum soll eine repräsentative Basis geschaffen werden.4561 Maßgeblich ist die Gesamtprovision der Verwaltungs- und Abschlussprovision unter Abzug

4552 4553 4554 4555 4556 4557 4558 4559 4560 4561

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 9. BGH, Urt. v. 20.11.2002, DB 2003, 144 = EWiR 2003, 231 (Emde). OLG München, Urt. v. 9.2.2017 – 23 U 4079/15, IHR 2017, 219 = ZVertriebsR 2017, 194 Rn 25. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 71. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 23. Küstner VersR 2002, 513 (516); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. I Rn 24. Schäfer VersVerm 1983, 86 (87); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 71. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 71. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.9.2012 – 5 U 101/09, BeckRS 2014, 11259; dazu Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 ff. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 76.

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(Ausschluss)4562 der in lit. b und Gliederungspunkt I 4 genannten Provisionsarten (so dass nicht nur – aber oft – die Bestandspflegeprovision4563 (z. T. in den VV-Verträgen als Bestands-, Betreuungs-, Folge- oder Verwaltungsprovision benannt4564) ausgleichsrelevant bleibt. Die ausgleichsberechtigte Provision kann meist den Provisionsabrechnungen entnommen werden.4565 Dabei sollen auch Jahre einbezogen werden, in denen der HV arbeitsunfähig erkrankt war.4566 Die in die Ausgleichsberechnung einzubeziehende Provision muss konkret bestimmt werden. Es ist nicht zulässig, sie einfach um die fiktiven Provisionen eines vor Jahren übergebenen Bestandes zu kürzen.4567 Denn die mit dem vom VV aufgebauten Bestand erzielten Bestandspflegeprovisionen sind nach den realen Gegebenheiten zu bestimmen, ebenso wie die separat zu bestimmende,4568 ggf. anzurechnende Quote der Provisionen mit nicht geworbenen, übertragenen Bestände (s. u.). Unzulässig ist daher die sog. „Bruttodifferenzmethode“, nach der die Jahresprovisionen eines zu einem früheren Zeitpunkt übertragenen Bestandes in dem fiktiven Umfang des Zeitpunkts der Übertragung und nicht in dem tatsächlichen Umfang, in dem dieser zum Zeitpunkt der Berechnung noch vorhanden sind, abgezogen wird4569 (s. auch unten). Sonst würde ein ursprünglich übertragener Bestand, obwohl er zum Stichtag nicht mehr vorhanden ist, zu Abzügen beim Ausgleichswert führen.4570 Gerade bei länger laufenden VV-Verträgen ist der Schwund besonders hoch, so dass sich die Differenz vergrößert.4571 Die Berechnung des Ausgleichswertes erfolgt aus dem vor der Vertragsbeendigung liegen- 751 den Zeitraum von 5 Vertragsjahren, nicht von 5 Kalenderjahren.4572 In die Summe der nach I 1 a bestimmten Provision nicht einbezogen werden: 752 – Abschlussprovisionen (erstjährige Provisionen abzgl. der Inkassoprovision), ausgenommen die Abschlussprovision für eine Versicherung mit gleich bleibenden, laufenden Provisionen.4573 Inkassoprovisionen werden in die Ausgleichsberechnung einbezogen.4574 Das gilt aber nur, wenn solche gezahlt wurden. Ist der VV mit dem Inkasso beauftragt, können sich Inkassoprovisionen auch in der Abschlussprovision „verstecken“. Dass mit Inkassoprovisionen in Wahrheit Abschlussfolgeprovisionen gemeint sein sollen,4575 halte ich für eher unwahrscheinlich. Richtig ist allerdings, dass in den Folgejahren gezahlte, in Bestandspflegeprovision versteckte „Abschlussfolgeprovision“ von der Ausgleichsberechnung nicht ausgeschlossen wird;

Kritisch gegenüber der Terminologie eines „Abzuges“ Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 77. So jedoch Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.9.2012 – 5 U 101/09, BeckRS 2014, 11259. OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 42; Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. Es handelt sich bei der Berechnung der voll einzubeziehenden Provisionen des geworbenenen Bestandes (Ziff. I 1) und der nach entsprechendem Zeitablauf ggf. nur quotal einzubeziehenden Provisionen übertragener Bestände (Ziff. I 2) um zwei separate, unabhängige Rechenschritte, die nicht vermischt werden dürfen. Das wird aus der lesenswerten Ausarbeitung von Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 nicht auf den ersten Blick deutlich. 4569 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 42; OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 29.11.2012 – 3 U 19/12; LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 1.3.2013 – 5 HKO 8765/12; LG München I, Hinweisbeschl. v. 12.6.2013 – 8 HKO 364/13; v. 12.6.2012 – 10 HKO 18358/ 11; v. 8.5.2012 – 16 HKO 2884/12; v. 19.1.2012 – 12 HKO 9892/11; Hinweisbeschluss des LG München I; Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 21; Küstner/Thume/Thume II, 8. Aufl., Kap. XX Rn 102 ff., S. 752; Hopt4 S. 305. 4570 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/14, BeckRS 2015, 19346 Rn 42; Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. 4571 Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 (211). 4572 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 76. 4573 Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. 4574 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 81. 4575 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 81.

4562 4563 4564 4565 4566 4567 4568

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Provisionen für Versicherungsverträge mit unterjähriger Laufzeit sowie für einjährige Versicherungsverträge ohne Verlängerungsklausel,4576 es sei denn, dass letztere mindestens dreimal hintereinander verlängert worden sind; – An Untervertreter abzugebende Provisionen, wenn und soweit die Untervertreter auf das ausgleichspflichtige Versicherungsunternehmen reversiert sind;4577 – Überweisungs- und Führungsprovisionen4578 aus Beteiligungsgeschäften sowie Maklercourtagen. 753 Der Ausschluss erstjähriger Abschlussprovisionen aus der Ausgleichsberechnung gem. I 1b) aa) Grundsätze Sach erfolgt zum einen, um die oft komplizierte Aufteilung der Folgeprovisionen in Abschluss- und Verwaltungsanteile zu vermeiden.4579 Zum anderen wird die erhöhte Erstprovision nicht in die Ausgleichsberechnung einbezogen, weil insoweit entgehende Vergütungen fehlen sollen. Denn erhöhte Erstprovisionen wiederholen sich nach Vertragsende nicht. Neu vermittelte Versicherungsverträge sind also nur insoweit ausgleichsfähig, als der Vermittlungserfolg nicht bereits durch eine Einmalprovision bzw. eine erhöhte Erstprovision vergütet wurde.4580 Wurde der Vermittlungserfolg bereits vollständig vergütet, fehlte es bis 2009 an zukünftig entgehenden Provisionen und damit zwingend an einer Ausgleichsberechtigung. Die Überzeugungskraft des letztgenannten Arguments steigt oder sinkt mit der Bedeutung des – seit 2009 – Billigkeitsmerkmals „entgehende Provision“. Hier spiegelt sich die Diskussion um die Ausgleichsfähigkeit der Einmalprovision. Jedenfalls sollen nur gleich bleibende Vergütungen,4581 also gleich hohe Folgeprovisionen, in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden. Mangelt es an einer Honorierung des Vermittlungserfolges durch eine Einmalprovision, erhält der VV jedoch nachvertraglich fortlaufende Vermittlungsprovisionen, weil es an einer (wirksamen) Provisionsverzichtsklausel fehlt, so entsteht ebenfalls kein im Rahmen des „Ausgleichswertes“ zu berücksichtigendes Provisionsaufkommen.4582 Gem. Ziff. I 4 der Grundsätze Sach sind Zuschüsse und sonstige zusätzliche Vergütun754 gen des Versicherers, wie z. B. Bürozuschüsse, Ersatz von Porti, Telefon- und Reklameaufwendungen, bei der Errechnung des Ausgleichswertes ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Dieser Ausschlusstatbestand ist recht weit gefasst. Gemeint sind Zuschüsse, die ergänzend zur Provision geleiste werden. Bei diesen Vergütungen handelt es sich um zusätzliche Vergütungen, weil sie über die eigentliche Vermittlungs- und Abschlussprovision hinaus gezahlt werden, ohne im Zusammenhang mit einem bestimmten Tätigkeitserfolg zu stehen.4583 Von der Provision selbst darf kein Abzug effektiver „Zuschussanteile“ der Gesamtprovision vorgenommen werden. Anderenfalls besteht die Gefahr der Auslagerung werbender Provisionsanteile in Zuschüsse und der Vereinfachungsgedanke der Berechnung nach den Grundsätzen würde verfehlt. Eine solche Verlagerung kann zudem § 89b Abs. 4 widersprechen. Beweispflichtig für das Fehlen des Zuschusscharakters ist nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des Gliederungspunktes I der Versicherer, der meist die Aufteilung der Provisionen vornimmt und über Erfahrungswerte verfügen muss.4584 Es erhebt sich das generelle Problem, welches sich auch bei Verwaltungsprovisionen stellt: In den Vergütungen können nach Gliederungspunkt I 1 a) ausgleichsfähige Provisionsbestandteile enthalten sein. Die Bezeichnung als „Zuschuss“ gibt

4576 4577 4578 4579

Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 74, 82 f. 4580 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 72. 4581 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 82. 4582 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 70 f. 4583 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 119. 4584 Giesler/Emde Praxishandbuch Vertriebsrecht, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn 704 ff. Emde

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wahrscheinlich kein Indiz für ihren wahren Charakter. Es kommt auf die realen Verhältnisse an. 755 Zuschüsse im vorgenannten Sinne sind insb.: – Einarbeitungs- und Aufbauzuschüsse, insb. in der Anfangstätigkeit des VV, in der häufig noch keine Provisionen verdient werden.4585 Hingegen handelt es sich bei den „Zuschüssen“ in Wahrheit um ausgleichsfähige Provisionen, wenn sie Entgeltcharakter in Hinblick auf den Vermittlungserfolg haben.4586 Der BGH hat in seinem Urt. v. 15.2.19654587 ein Fixum bei der Ermittlung der Provisionsverluste nach § 89b Abs. 1 Nr. 2 in die Ausgleichsberechnung einbezogen, weil dieses Fixum als Gegenleistung für Geschäfte mit den vom HV geworbenen Kunden anzusehen war. – Überbrückungszuschüsse beim Übergang von der Angestelltentätigkeit zu der eines HV.4588 – Einarbeitungs- und Aufbauzuschüsse.4589 Nachvertraglich entstehende Provisionsansprüche – also Überhangprovisionen – sind 756 gleichfalls nicht in die Vorteilsberechnung einzubeziehen, wie sich aus I 1b) aa) Hs. 2 der Grundsätze Sach ergibt, in denen es heißt, dass § 87 Abs. 3 unberührt bleibt.4590 Die Vertragsbeendigung soll insoweit nicht zu entgehenden Provisionen führen.4591 Provisionen für Verträge mit unterjähriger Laufzeit sowie für einjährige Versicherungsverträge ohne Verlängerungsklausel bleiben unberücksichtigt, weil der nachvertragliche Provisionsverlust umso geringer ist, je kürzer die vereinbarte Laufzeit eines vermittelten Versicherungsvertrages bleibt.4592 Zugleich gibt die Klausel dem VV einen Anreiz, möglichst mehrjährige Versicherungsverträge zu vermitteln. Werden diese Versicherungsverträge mindestens dreimal hintereinander verlängert, wird unterstellt, dass sie wie mehrjährige Verträge behandelt werden sollen.4593 Untervertreterprovision zur Weiterleitung an „unechte Untervertreter“, also solche, bei 757 denen der Vertrag zwischen Versicherer und Untervertreter geschlossen wurde, werden ebenfalls nicht in die Ausgleichsberechnung einbezogen.4594 Provisionen, welche der VV an echte Untervertreter, also HV, deren HV-Vertrag mit dem Hauptvertreter gezeichnet wurde, aus eigenen Vergütungen zu zahlen hat, fallen nicht unter diese Regelung und sind ausgleichspflichtig.4595 Dies ist folgerichtig, weil der Hauptvertreter gegenüber dem Untervertreter entweder – bei Bestehen einer Provisionsverzichtsklausel – ausgleichspflichtig ist oder ihm Provisionen zu leisten hat.4596 Ausgleichspflichtig sind auch Superprovisionen,4597 die der VV für die Betreuung von Untervertretern erhält. Überweisungs- und Führungsprovisionen sind bei der Ausgleichsberechnung auszuklammern, da es sich hierbei ausschließlich um Verwaltungsprovisionen handelt.4598 Solche Provisionen kommen insb. bei der Mitversicherung vor, bei der mehrere Versicherungsunternehmen sich ein versichertes Risiko teilen und eine Versicherung die Ver-

4585 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 117. 4586 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 120. 4587 VII ZR 1994/63, BGHZ 43, 154 = NJW 1965, 1134; ebenso OLG Oldenburg, Urt. v. 25.2.2014 – 13 U 86/13, IHR 2014, 112 = BeckRS 2014, 05367 (kein VV). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 118. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 117. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 84. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 84. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 85. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 85. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 86; Westphal I Rn 1242. Hopt Ausgl 1 B I 1 Ziff. 3. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 86; Hopt Ausgl 1 B I 1 Ziff. 3. BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 40; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 88; Hopt Ausgl 1, B I 3; Westphal I Rn 1242. 4598 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 89.

4588 4589 4590 4591 4592 4593 4594 4595 4596 4597

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waltung und Abwicklung übernimmt, die auf den VV delegiert wird.4599 Dabei ist einer der Versicherer „führender“ Versicherer.4600 758 Übertragene Bestände wären ohne Regelung in den Grundsätzen nicht ausgleichspflichtig. Denn sie wurden nicht vom VV geworben.4601 Erweiterte Verträge wären nur unter den in § 89b Abs. 5 genannten Bedingungen ausgleichsfähig, also wenn der VV einen bestehenden Versicherungsvertrag so erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Vertrages entspricht. Zur Vereinfachung der Ausgleichsberechnung4602 werden übertragene Bestände gem. Ziffer Nr. 2 der Grundsätze nach den dort genannten 10 und 15jährigen Zeitabläufen nur mit einem Teilbetrag in die Ausgleichsberechnung einbezogen. Voll einbezogen werden sie lediglich, wenn die Bestandsübertragung vor mehr als 20 Jahre erfolgte. Das bedeutet: Die übertragenen Bestände werden zu 331/3% einbezogen, sofern die Bestände vor mehr als 10 Jahren übertragen wurden, zu 662/3%, wenn die Übertragung vor mehr als 15 Jahren erfolgte und mit 100 %, falls die Übertragung vor mehr als 20 Jahren erfolgte.4603 Bei der Kraftverkehrsversicherung findet eine volle Anrechnung schon nach 10 Jahren statt. Der Gedanke entspricht § 89b Abs. 5 S. 1, demzufolge es ausgleichsrechtlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages gleichsteht, wenn der VV einen bestehenden Vertrag so wesentlich erweitert, dass dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages entspricht.4604 Ausgleichsrechtlich wächst der Bestand dem VV allmählich zu.4605 Dem liegt die Erfahrung zugrunde, dass die Erhaltung eines übertragenen Bestandes erhebliche Mühe erfordert, auf die Tätigkeit des VV zurückgeht4606 und dem Aufbau eines eigenen Kundenstammes gleichsteht. Der zugewachsene Bestand wird in den Grundsätzen pauschal nach Quoten i. V. m. der Betreuungszeit und damit vereinfacht berechnet, so dass nicht bei jedem einzelnen Vertrag eine Intensivierung geprüft werden muss.4607 Die Gesamtdauer der Tätigkeit des VV ist hingegen irrelevant.4608 Umstritten ist, ob die (fiktiven) Provisionen des übertragenen Bestandes in seinem 759 Umfang zum Zeitpunkt der Bestandsübertragung, die tatsächlichen Provisionen zum Zahlungszeitpunkt oder gar die Provisionen aus dem Bestand bei Vertragsbeendigung anzusetzen sind4609 (s. bereits oben). Richtig ist folgendes: Gem. I 1 lit a der Grundsätze Sach ist Basiswert der Ausgleichsberechnung („Ausgleichswert“) die durchschnittliche Jahresbruttoprovision aus den letzten 5 Jahren der Tätigkeit des VV. Dies gilt auch bei der Bestimmung der Provisionen aus übertragenen Beständen gem. Ziff. I 2 der Grundsätze. Allerdings wird bei ihnen nur der o. g. prozentuale Anteil der Durchschnittsprovisionen aus den übertragenen Beständen dem Ausgleichswert der Ziffer I 1 lit. a hinzuaddiert, nämlich zwischen 0 (Jahr 1–10) und 100 % (letzteres nach mehr als 20 Jahren). Maßgeblich sind also auch insoweit die Durchschnittsprovisionen des übertragenen Bestandes aus den letzten 5 Jahren, ggf. in Höhe eines prozentualen Anteils. Damit kommt es weder auf den Zeitpunkt der Bestandsübertragung noch auf den Zeitpunkt des Vertragsendes4610 an, sondern auf den Durchschnittswert der gezahlten Provisionen aus dem jeweils zum Zahlungszeitpunkt vorhandenen Bestand. Für eine BerückKüstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 89. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 89. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1125); Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210. Vgl. LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). Siehe etwa LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239. LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 96. LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 97. Vgl. OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346; LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239; Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 ff., der allerdings nicht ganz deutlich macht, ob es sich auch um ein Problem der Berechnung der Ziff. I 2 oder nur um ein Problem des „Abzugspostens“ der übertragenen Bestände unter I 1 der Grundsätze handelt. 4610 Diesen Zeitpunkt bevorzugt das LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239.

4599 4600 4601 4602 4603 4604 4605 4606 4607 4608 4609

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sichtigung eventueller Veränderungen spricht, dass die Pflege des Bestandes durch den VV Anerkennung finden sollte. Wie sehr sich der VV um den übertragenen Bestand gekümmert hat, ergibt sich – auch – aus dem übergebenen Endbestand bei Vertragsende. Andererseits kann die Höhe der Provisionen aus dem Bestand durch Umstände außerhalb des Einflussbereichs des VV gemindert oder erhöht werden, etwa infolge von Indexanpassungen, Bestandsangleichungen, Bestandswegnahmen u. a.4611 Der Wortlaut der Grundsätze spricht eher dafür, dass die Provisionen aus übertragenen Beständen in Höhe des jeweiligen Prozentsatzes so einbezogen werden, wie sie im in Ziff. I 1 lit. a Grundsätze genannten Durchschnittszeitraum tatsächlich geleistet wurden, und nicht berechnet auf der Basis des bei Vertragsende vorhandenen oder der (fiktiven) Provisionen des übergebenen Bestandes. Wollte man einen ggf. niedrigeren Wert der fiktiven Provisionen, berechnet nach dem Wert zum Zeitpunkt der Bestandsübertragung oder zum Vertragsende einbeziehen, würde dies zu einem Ausgleich führen, der die tatsächlichen Verdienste des VV nicht berücksichtigt. Das Gleiche gälte, wann man die fiktiven Provisionen eines übertragenen Bestandes vom Ausgleichswert abzieht: Abzüge wegen einer früheren Bestandsübertragung können nur in dem Umfang vorgenommen werden, in dem der übertragene Bestand in dem der Berechnung zugrunde liegenden Basiswert (Jahresschnitt) erhalten ist.4612 Anderenfalls würde ein ursprünglich übertragener Bestand, obwohl er zum Stichtag nicht mehr vorhanden ist, zu Abzügen beim Ausgleichswert führen.4613 Auch würde das Ziel der Grundsätze, die Ausgleichsberechnung zu vereinfachen, verfehlt, wollte man die Provisionen fiktiv berechnen. Die tatsächlich geleisteten Gesamtprovisionen lassen sich relativ einfach errechnen. Der zusätzliche Abzugsfaktor „verlorener Bestandsteile“ würde die Ausgleichsberechnung erschweren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass dem VV eine Kontrollrechnung nur schwer möglich ist. Man könnte sogar vertreten, Bestandseinbußen nicht zu Lasten des VV zu berücksichtigen.4614 Diskutiert wird dies für Bestandseinbußen, für die den VV keine Verantwortung trifft, etwa weil der übertragene Bestand überaltert ist oder infolge eines Maklereinbruchs reduziert wird.4615 Der erhöhte Prozentsatz ist jeweils von dem maßgeblichen Datum an zu berechnen. Endet 760 der HV-Vertrag beispielsweise nach 101/2 Jahren, sind die übertragenen Bestände des letzten halben Jahres der Vertragsdauer mit 331/3% anzusetzen. Endet der Vertrag nach 151/2 Jahren, so sind die übertragenen Bestände fünf Jahre lang mit 331/3% in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen, für ein halbes Jahr mit 662/3%. Endet der HV-Vertrag sechs Monate nach Ablauf des Zwanzigjahreszeitraumes sind die Provisionszuflüsse aus den übertragenen Beständen in den letzten sechs Monaten in vollem Umfang anzusetzen.4616

bb) Prozentsatzberechnung nach Sparten. Von der so ermittelten Jahresprovision sind 761 gem. Ziff. I 3 der Grundsätze in den verschiedenen Versicherungssparten unterschiedliche Prozentsätze zwischen 25 und 50 % in Ansatz zu bringen, und zwar zwischen 25 % in der Einheitsversicherung und 50 % in der Sach-, Haftpflicht-, Unfall- und Rechtsschutzversicherung. Der Ausgleichsanspruch des VV soll Provisionsverluste aus nachvertraglichen Provisionen ausgleichen. Sind erfahrungsgemäß in bestimmten Sparten die Verträge sehr langlebig, entstehen höhere Unternehmervorteile.4617 Die maßgeblichen Prozentsätze von 50, 35 und 25 % für die unterschiedlichen Sparten beruhen einerseits auf Erfahrungswerten hinsichtlich 4611 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. XX Rn 105. 4612 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240); OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.11.2012 – 3 U 19/12; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 1.3.2013 – 5 HKO 8765/12; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. XX Rn 102 ff. 4613 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 42; LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/ 15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). 4614 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 42. 4615 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. XX Rn 108. 4616 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 105. 4617 Siehe Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 111. 649

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der Bestandsfestigkeit und andererseits auf der unterschiedlichen Aufteilung werbender und verwaltender Provisionsanteile in den verschiedenen Sparten.4618

762 cc) Abzinsung. Eine Abzinsung4619 des nach den Grundsätzen berechneten Ausgleichsanspruchs kommt nicht in Betracht. Die Kompromissfassung der Grundsätze sieht eine solche Abzinsung nicht vor. Es kann als sicher angesehen werden, dass sie ein Abzinsungserfordernis bestimmt hätte, sofern es die beteiligten Verbände für richtig gehalten hätten.4620 Wollte man im Wege der „ergänzenden Vertragsauslegung“ ein Abzinsungserfordernis hinzudenken, wäre weiteren Ergänzungen Tür und Tor geöffnet, ohne dass eine Grenze ersichtlich wäre. Es liegt keine Lücke vor, welche durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen wäre.

763 dd) Multiplikatoren (Ziff. II der Grundsätze Sach). Der nach Ziff. I errechnete Ausgleichswert ist in verschiedenen Versicherungssparten mit bestimmten Multiplikatoren zu multiplizieren, die Ausdruck der Billigkeit sein sollen.4621 Der Wortlaut der Grundsätze sieht unterschiedliche Multiplikatoren für den Tod des VV und den Erlebensfall vor. Durch Schreiben des Gesamtverbandes v. 6.4.1995 haben jedoch der GDV und BVK gemeinsam die Auffassung vertreten, dass es sachlich gerechtfertigt sei, wenn beim Tod des VV bzw. im Erbfall bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs die Multiplikatoren für den Erlebensfalls zugrunde gelegt werden. Dieses Verständnis steht allein im Einklang mit der vollen Vererbbarkeit des Ausgleichsanspruchs. Zudem wird im Rundschreiben des Gesamtverbandes vom 14.11.1972, Ziff. 1, empfohlen zu prüfen, inwieweit eine Erhöhung des Multiplikators bei einer Tätigkeitsdauer bis zu einschließlich vier Jahren bzw. einer Tätigkeitsdauer vom beginnenden fünften Jahr an bis zum neunten Jahr in Betracht kommen kann, um Ungerechtigkeiten bei kurzer Vertragsdauer entgegenzuwirken. Tätigkeitszeiten aus anderen Vertragsverhältnissen bleiben unberücksichtigt.4622 Umstritten ist, ob Angestelltenzeiten einzuberechnen sind. Teils wird dies befürwortet,4623 teils abgelehnt.4624 Im Schreiben des GDV v. 14.11.1972 wird es in Ziff. 3 für richtig gehalten, eine Tätigkeit des VV für das ausgleichsverpflichtete Unternehmen als Angestellter im Versicherungsaußendienst bei Anwendung der Multiplikatorenstaffel unter Ziff. II mit zu berücksichtigen.4625 Jedoch sind Angestelltenzeiten, nur „in der Regel“ in die Tätigkeitsdauer einzubeziehen. Die Berücksichtigung darf also nicht zu einem unbilligen Ergebnis führen.4626 Das wäre z. B. der Fall, wenn ein Missverhältnis zwischen der Dauer der Angestelltentätigkeit und der Tätigkeit als selbständiger VV besteht, z. B. die Angestelltentätigkeit einen sehr langen Zeitraum einnahm, die Tätigkeit als VV hingegen nur eine sehr kurze.4627 Ein Missverhältnis soll vorliegen, sofern die Angestelltentätigkeit länger als die Hälfte der Zeit als selbständiger VV gedauert hat.4628 So soll bei einer Tätigkeit als selbständiger VV von 10 Jahren 3 Monaten und als Angestellter von 20 Jahren nur eine Zeit als Angestellter von 5 Jahren und 1,5 Monaten be-

4618 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 41; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 112 ff.; Westphal I Rn 1252. 4619 Zur Abzinsung generell: Giesler/Emde Praxishandbuch Vertriebsrecht, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn 1043 ff. 4620 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 130. 4621 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 42; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 122 ff. 4622 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 55. 4623 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (241): „in der Regel“. 4624 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 55. 4625 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 122. 4626 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (241). 4627 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (241). 4628 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (241). Emde

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rücksichtigt werden.4629 Den Anwendungsbereich dieses Schreibens wird man mglw. auf die Tätigkeit des späteren VV als einziger Außendienstmitarbeiter einer Einfirmen-Generalagentur des Versicherers (mittelbare Tätigkeit für das Unternehmen) ausdehnen dürfen. Probleme entstehen ferner, wenn Bestände infolge des Rechtsformwechsels eines HV in eine Gesellschaft eingebracht werden.4630 Es stellt sich die Frage, welche Multiplikatoren für die Vertragsdauer angewandt werden. Dies hängt davon ab, ob der vom Einzelkaufmann begonnene Vertrag durch die Gesellschaft fortgeführt wird. Die in Ziff. II 2 im Bereich der Kfz-Versicherung niedergelegten Höchstbeträge bezüglich der 764 Multiplikatorenstaffel sind infolge der Aufhebung der Tarifverordnung v. 20.11.1967 im Jahre 1994 gegenstandslos geworden. Die 2/8-, 3/8- und 4/8-Regelung sowie die Ausklammerung der zusätzlichen Verwaltungsentgelte wurden also bedeutungslos.4631

ee) Beweislast. Der VV muss beweisen, dass:

765 Versicherungsverträge von ihm geworben wurden, d. h. der Bestand durch ihn aufgebaut wurde,4632 – Bestandsveränderungen für ihn unter Ziff. I 2 zum Vorteil gereichen,4633 – der Bestand bei Vertragsende noch vorhanden ist, sowie – die Höhe des übergebenen Bestandes.4634 Je nach Situation kann es zu einer Beweislastverteilung nach Gefahrensphären4635 kommen. Auch 766 können die Grundsätze der sekundären Darlegungslast eingreifen4636 oder ein ggf. als Hilfsantrag einklagbares4637 Auskunftsrecht des VV erster Stufe nach § 87c oder § 242 BGB bestehen.4638 Da dem grds. beweisbelasteten VV die Beweisführung durch Ermittlung des bereits weggefallenen oder noch vorhandenen Bestands unzumutbar sein kann und dem Versicherer der Tatsachenstoff eher bekannt sein mag, soll nach den Grundsätzen der Zumutbarkeit der Beweisführung davon auszugehen sein, dass der Versicherer den Sachverhalt darzulegen bzw. substantiiert zu bestreiten hat.4639 Das gilt insb., wenn dem VV mangels eigener aussagekräftiger Unterlagen eine substantiierte Darlegung, welche der übertragenen Verträge im Berechnungszeitpunkt noch vorhanden waren, unmöglich ist,4640 z. B. weil ein VV alle Geschäftsunterlagen herauszugeben hatte.4641 Das soll ferner gelten, wenn sich aus übergebenen Bestandslisten die zur Ausgleichsberechnung erforderlichen Daten nicht entnehmen lassen4642 oder der VV zur Berechnung einen Buchauszug –

4629 4630 4631 4632 4633

LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (241). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 55 ff. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 124. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 109. OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 45; OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125); Thume VersR 2009, 436; aA wohl Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 (217); OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 29.11.2012 – 3 U 19/12, falls der Versicherer dem VV die Mitnahme von Unterlagen untersagte. 4634 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 109. 4635 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 45; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. XX Rn 111. 4636 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). 4637 Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 (217): Klagantrag auf erster Stufe gerichtet auf Informationen zum Datum der Bestandsübertragung, Tarifart, Sparte, Name des Versicherungskunden, Jahresbeitrag der Versicherung. 4638 Eggebrecht ZVertriebsR 2014, 210 (217). 4639 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 45 f.; LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/ 15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). 4640 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). 4641 OLG Köln, Urt. v. 23.10.2015 – 19 U 43/2014, BeckRS 2015, 19346 Rn 47 f. 4642 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (240). 651

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fordern könnte.4643 Die Berechnung kann meist nur durch die mit EDV ausgestattete Versicherung oder einen Verband der VV erfolgen.

b) Die „Grundsätze-Leben“ 767 aa) Systematik. Die Präambel der Grundsätze-Leben entspricht im Wesentlichen der der Grundsätze-Sach. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs ist vorwiegend in den Ziff. I-III der Grundsätze-Leben geregelt. Ziff. I bestimmt, welche Provisionen ausgleichspflichtig sind. Ziff. II regelt die Errechnung des Rohausgleichs und enthält damit den Kern der Ausgleichsberechnung. Ziff. III bestimmt, dass die Höhe des Ausgleichsanspruchs insgesamt eine Dreijahresprovision oder Jahresvergütung nicht übersteigen darf (Ausgleichshöchstgrenze). 768 Gem. Ziff. II der Grundsätze werden Versicherungen mit dynamischen Lebensversicherungen i. S. d. Ziff. I mit drei Faktoren multipliziert. Den ersten Faktor bildet der mit dem VV für Erhöhungen von dynamischen Lebensversicherungen vereinbarte Provisionssatz. Der zweite Faktor wird in den Grundsätzen bestimmt. Der dritte Faktor ist bei einer Tätigkeit des VV bis zum neunten Jahr 1, ab dem zehnten Jahr 1,25 und ab dem zwanzigsten Jahr 1,5. Ziff. IV bestimmt, dass auch Erben des VV anspruchsberechtigt sind. Ziff. V regelt die Berücksichtigung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung in der von den Grundsätzen-Sach bekannten Weise. Ziff. VI gibt das Recht auf Anrufung einer Gutachterstelle. Ziff. VII regelt wie bei den Grundsätzen Sach die Ausspannung von Versicherungsverträgen.

769 bb) Zweck der Grundsätze-Leben. Die Grundsätze-Leben haben die Ausnahmerechtsprechung des BGH4644 in jene standardisierende Grundsätze übertragen.4645 Nach dieser Rspr. steht dem VV ein Ausgleichsanspruch für nachvertragliche Ergänzungs- und Nachtragsverträge zu, die aus den Ursprungsverträgen hervorgegangen sind, sofern sich die Ergänzungs- und Nachtragsverträge bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung oder Erweiterung des Ursprungsvertrages darstellen und mit ihm in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, d. h. das gleiche, also identische Versicherungsbedürfnis betreffen, welches dem Ursprungsvertrag zugrunde lag (s. o.). Typischerweise war bei Lebensversicherungsverträgen außerhalb der Ausnahmerechtsprechung nach bis 2009 geltendem Ausgleichsrecht ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen, weil es selbst bei Vereinbarung einer Provisionsverzichtklausel keine entgehenden nachvertraglichen Provisionen gab. Denn in der Lebensversicherung wurde der Vermittlungserfolg des VV regelm. durch Einmalprovisionen vergütet.4646 Die Grundsätze setzen diese Rspr. – allerdings begrenzt auf den Bereich der dynamischen Lebensversicherung – mit Hilfe eines Faktors um, mit dem – im Verhältnis zur Versicherungssumme aus sämtlichen zum Zeitpunkt der Beendigung des VV-Vertrags bestehenden und zum letzten Erhöhungszeitpunkt tatsächlich angepassten dynamischen Lebensversicherungen – die verbleibende Laufzeit und der geschätzte Umfang der Erhöhung berücksichtigt wird.4647 Beides sind Umstände, die auch im Rahmen der Berechnung allein nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für die dabei erforderliche Prognose zu berücksichtigen wären.4648 Die Umsetzung der Ausnahmerechtsprechung ist allerdings nicht 4643 LG Köln, Urt. v. 29.5.2015 – 89 O 14/15, ZVertriebsR 2016, 239 (241). 4644 BGH, Urt. v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310. 4645 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 44. 4646 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 145. 4647 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 44. 4648 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 44. Emde

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vollkommen geglückt. Wie dargelegt, gelten nämlich die Grundsätze nicht für alle Lebensversicherungen, bei denen die Ausnahmerechtsprechung zu einem Provisionsverlust führen kann, sondern lediglich für dynamische Lebensversicherungen (Ziff. I).4649 Im Bereich anderer Lebensversicherungen ist also entweder eine analoge Anwendung der Grundsätze angezeigt oder eine Ausgleichsberechnung unmittelbar auf der Basis des § 89b, sofern die Voraussetzungen der Ausnahmerechtsprechung greifen und eine Provisionsverzichtsklausel existiert. Die analoge Anwendung wird auch deshalb nahe liegen, weil es in Ziff. I Nr. 2 S. 2 heißt, dass dann, wenn für dynamische Gruppen- und Risikoversicherungen und Gruppenversicherungen mit Andienungspflicht ein Ausgleichsanspruch erhoben wird, die Gutachterstelle gemäß Ziff. VI der GrundsätzeLeben angerufen werden kann, um eine Regelung nach billigem Ermessen zu erreichen. Die Grundsätze gehen also selbst von einer Ausgleichsberechtigung in anderen Fällen aus.

cc) Geltungsbereich (Ziffer I der Grundsätze-Leben). Der Geltungsbereich wird in den 770 Grundsätzen definiert. Unmittelbar sind die Grundsätze nur in diesem Geltungsbereich anwendbar. Als „antizipiertes Sachverständigengutachten“ können sie möglicherweise auch im Bereich anderer Lebensversicherungen von den Gerichten entsprechend angewandt werden, nämlich als Schätzgrundlage (s. o.). Das ist u. U. der Fall, wenn bei solchen Versicherungen die Voraussetzungen der Ausnahmerechtsprechung vorliegen. Ausgeschlossen ist die Anwendung der Grundsätze insb., sofern der VV eine erhöhte Erstprovision erhalten hat.4650 Dem VV, dessen Ausgleich sich nach den „Grundsätze Leben“ bestimmt, soll gem. Ziff. I 1 ein Ausgleich nur für von ihm selbst vermittelte Versicherungsverträge zustehen, für die er infolge der Vertragsbeendigung Provisionsansprüche verliert.4651 Ob der Beschränkung auf „selbst vermittelte“ Verträge zu entnehmen ist, dass durch unechte Untervertreter vermittelte Verträge nicht in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden sollen, ist unsicher. Bei wörtlichem Verständnis, zumindest aber im Umkehrschluss, würde „selbst vermittelt“ die Einbeziehung solcher Verträge in die Ausgleichsberechnung ausschließen. Andererseits gilt im gesamten Ausgleichsrecht, dass die Vermittlung durch unechte HV dem Hauptvertreter zugerechnet wird. Würde man sich der Ansicht anschließen, dass die Grundsätze mit den Worten „selbst vermittelt“ abweichend vom übrigen Ausgleichsrecht die Einbeziehung der durch Untervertreter vermittelten Verträge in die Ausgleichsberechnung ausschließen, so stellt sich die Folgefrage, ob dies der zwingenden Natur des Ausgleichsanspruchs widerspricht. Wenn Superprovisionen nach § 89b ausgleichspflichtig sind, könnten sie wegen der zwingenden Natur des Ausgleichsanspruchs in den Grundsätzen nicht wirksam ausgeschlossen werden. Das Urt. BGH v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 scheint, wenngleich es die Frage nicht ausdrücklich anspricht, mit Selbstverständlichkeit davon auszugehen, dass die Superprovisionen unter den Grundsätzen ausgleichspflichtig sind. Es fragt sich dann weiter, ob bei Unwirksamkeit einzelner Teile der Grundsätze, nämlich der Beschränkung auf „selbst vermittelte“ Verträge, eine Berechnung nach den Grundsätzen überhaupt noch möglich ist oder ob diese Schätzgrundlage nicht „ganz oder gar nicht“ zur Verfügung steht. Eine während der Laufzeit des Folgevertrags getroffene Vereinbarung, die regelt, dass der VV hinsichtlich der Zugehörigkeit zur Versicherung so behandelt wird, als wäre das Eintrittsdatum der Beginn des ersten Vertrages, soll nicht dazu führen, dass ihm bezüglich der im Rahmen des ersten Vertrages von ihm vermittelten dynamischen Lebens- und Rentenversicherungsverträge, für die er keine Dynamikprovisionen erhielt, Ausgleichsansprüche zustehen.4652

4649 4650 4651 4652 653

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 145 f. Vgl. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 156. OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440; v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08, VersR 2010, 344. OLG München, Urt. v. 14.9.2011 – 7 U 1348/11, VersR 2012, 440. Emde

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Die Grundsätze Leben verzichten – anders als die übrigen Grundsätze – auf die Bestimmung von Multiplikatoren in Ziff. II. Ziff. I bestimmt den Geltungsbereich. Ziff. II enthält die Berechnung des Rohausgleichs, Ziff. III regelt die Ausgleichshöchstgrenze. 772 Gemäß Ziff. I.1 gelten die Grundsätze nur für dynamische Lebensversicherungen. Dynamische Lebensversicherungen i. S. d. Grundsätze sind Lebensversicherungen, deren Versicherungsbedingungen ein Anwachsen von Beitrag und Leistung in regelmäßigem Zeitabstand von Anbeginn oder aufgrund einer späteren, vom VV bewirkten Vereinbarung vorsehen, soweit der VV diese Versicherungen selbst vermittelt hat, sie bei der Beendigung des VV-Vertrages die Voraussetzungen für künftige Erhöhungen erfüllen und zum letzten Erhöhungszeitpunkt tatsächlich angepasst worden sind. Für dynamische Gruppenversicherungen, Gruppenversicherungen mit Andienungspflicht und dynamische Risikoversicherungen sollen die Grundsätze nicht gelten.4653 Auch alle übrigen Lebensversicherungen sollen nicht unter die Grundsätze fallen. Grundsätzlich lässt der Begriff „Lebensversicherung“ jedoch verschiedene Interpretationen zu und ist insoweit nicht ausschließlich auf eine Versicherung des Todesfalls bzw. des „Erlebensfalls“ beschränkt.4654 Auch die private Rentenversicherung als reine Erlebensfallversicherung und die Versicherung über die betriebliche Altersversorgung wird zu den Lebensversicherungen gezählt, versicherungstechnisch genauso kalkuliert und betrieben und angesichts ihrer Vergleichbarkeit von den Grundsätzen erfasst.4655 Ausgleichspflichtig wird die Dynamisierung aber nur, soweit der VV diese Versicherung selbst vermittelt hat, bei der Beendigung des VVVertrages die Voraussetzungen für künftige Erhöhungen erfüllt sind und die Versicherung zum letzten Erhöhungszeitpunkt tatsächlich angepasst worden ist. Gem. Ziff. I 1. der Grundsätze hat der VV also nur einen Provisionsanspruch für selbst vermittelte Verträge und nicht für die von unechten Untervertretern geworbenen, wenn sie zwar für den Hauptvertreter tätig waren, er sie akquiriert, geschult und betreut hat, sie jedoch ihrerseits selbstständige Verträge schlossen. Im Widerspruch zu § 89b Abs. 4 S. 2 soll dies nicht stehen.4656 Die Ausgleichszahlung setzt voraus, dass der VV während der Dauer des VV-Vertrages bei Erhöhung dynamischer Lebensversicherungen jeweils einen vertraglichen Anspruch auf eine zusätzliche Vermittlungsprovision hätte. 773 Eine Ausgleichszahlung entfällt, wenn der VV beim Abschluss der dynamischen Lebensversicherung eine entsprechend erhöhte Erstprovision erhalten hat, durch die der in künftigen Erhöhungen fortwirkende Vermittlungserfolg vereinbarungsgemäß bereits voll abgegolten worden ist. Gem. Ziff. I.2 gelten die Grundsätze nicht für dynamische Gruppenversicherungen, Gruppenversicherungen mit Andienungspflicht und dynamische Risikoversicherungen. Falls für derartige Lebensversicherungen ein Ausgleichsanspruch erhoben wird, kann die Gutachterstelle gem. Ziff. VI der Grundsätze Leben angerufen werden, um eine Regelung nach billigem Ermessen zu treffen. Alle übrigen Lebensversicherungen fallen nicht unter die Grundsätze (Ziff. I 3). 771

774 dd) Die Bestimmung des Rohausgleichs (Ziff. II). Ausgangsbasis des Rohausgleichs sind die Versicherungssummen der dynamischen Lebensversicherungen, welche in Ziff. I. genannt sind.4657 Maßgebend ist die Versicherungssumme zur Zeit der Beendigung des Vertretervertrages. Die Summe der so ermittelten Versicherungen wird mit bestimmten Faktoren multipliziert. Der erste Faktor ist der mit dem VV für Erhöhungen von dynamischen Lebensversicherungen vereinbarte Provisionsersatz. Der zweite Faktor beträgt je nach dem Jahr, in dem der VV-Vertrag beendet wurde: 1975 0,11 1976 0,10 4653 4654 4655 4656 4657 Emde

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 157. OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08. OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08. OLG München, Urt. v. 10.6.2009 – 7 U 4522/08. OLG München, Urt. v. 9.2.2017 – 23 U 4079/15, IHR 2017, 219 = ZVertriebsR 2017, 194 Rn 36. 654

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1977 0,09 1978 0,09 1979 0,09 1980 ff. 0,08 Praktisch ist nur noch der Faktor für die Jahre seit 1980, also 0,08. Mit diesem Faktor wird 775 die verbleibende Laufzeit der dynamischen Lebensversicherungsverträge nach der Beendigung des VV-Vertrages und der geschätzte Umfang der Erhöhung berücksichtigt, der stets von den Umständen abhängt, die von den Beteiligten nicht beeinflusst werden können.4658 Bei der Bestimmung dieses Faktors sollen die Lebensversicherer von einer durchschnittlichen Anpassungsquote von 90 % ausgegangen sein, wobei Storno, Rückkauf und vorzeitiger Verfall mit je 1,5 des Bestands berücksichtigt wurden.4659 Ein Zustand, der mit dem Faktor 0,08 bewertet werden kann, tritt statistisch besehen ein, wenn sich die Zahl der Zu- und Abgänge von dynamischen Lebensversicherungen deckt.4660 Langjährig tätige VV erhalten zudem eine Belohnung für ihre Vertragstreue. Unter dem 776 Gesichtspunkt der Billigkeit wird der Ausgleichswert mit einem dritten Faktor multipliziert. Bei einer Tätigkeit bis zum neunten Jahr einschließlich beträgt er 1, ab dem zehnten Jahr 1,25 und ab dem 20. Jahr 1,5. Unter Ziff. II wird geregelt, dass bei der Berechnung der Tätigkeitsdauer geprüft werden sollte, ob eine vorausgegangene und ununterbrochene Tätigkeit als Angestellter im Außendienst mitberücksichtigt werden kann. Eine Tätigkeit als nebenberuflicher VV soll hingegen unberücksichtigt bleiben. Die Differenzierung wird nicht auf dem ersten Blick verständlich. Die Grundsätze rücken insoweit von dem Prinzip ab, dass ein Ausgleich nur für die HV-Tätigkeit selbst gezahlt wird, nicht hingegen für die Tätigkeit als Angestellter. Für die Errechnung des Provisionssatzes ist nur der für die Erfüllung maßgebliche Provisionssatz einzubeziehen.4661 Das Ergebnis ist die Ausgleichszahlung in Euro. Gemäß Ziff. III der Grundsätze darf die 777 Höhe des Ausgleichsanspruchs insgesamt drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen nicht übersteigen. Dies entspricht § 89b Abs. 5.

c) Die Grundsätze Kranken. Die Grundsätze Kranken gelten seit dem 1.11.1976. Auch im Kran- 778 kenversicherungsbereich erfolgt die Vergütung der VV üblicherweise in Form von Einmalprovisionen. Dies schließt grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch aus.4662 Ziff. I der Grundsätze Kranken regelt den Geltungsbereich. Gem. Ziff. II wird die Höhe der Ausgleichszahlung bestimmt. Ziff. III begrenzt den Ausgleichsanspruch im Einklang mit § 89b Abs. 5 auf insgesamt drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen. aa) Ziff. I Geltungsbereich. Gem. Ziff. I gelten die Grundsätze Kranken nur für Aufstockungs- 779 fälle in der privaten Krankenversicherung. Ein Aufstockungsfall ist die unter Einschaltung eines Vermittlers erfolgte Erhöhung des für eine Person und das gleiche Risiko bestehenden Versicherungsschutzes, die über die Wiederherstellung des bisherigen Verhältnisses zwischen den gestiegenen Heilbehandlungskosten und den Versicherungsleistungen bzw. zwischen dem durchschnittlichen Entgelt und dem Krankenhaustagegeld hinausgeht. Nicht erfasst werden damit von den Grundsätzen 780 – die Abwicklung zusätzlicher Risiken durch Erweiterung eines Krankenversicherungsvertrages. Sie fallen nicht unter die Ausnahmerechtsprechung des BGH v. 23.11.1961 und v. 4658 4659 4660 4661 4662 655

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 161. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 161. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 161. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 159. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 169. Emde

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6.6.1972, weil es sich um Versicherungsverträge handelt, die neue Risiken betreffen.4663 Auch wird nicht das gleiche Versicherungsbedürfnis befriedigt. Der neue Vertrag versteht sich damit bei natürlicher Betrachtungsweise lediglich als Fortsetzung oder Erweiterung des Ursprungsvertrages.4664 – Beitragsanpassungsklauseln: Beitragsanpassungsklauseln sind Indexklauseln, die einen stabilen Versicherungsschutz sicherstellen. Es handelt sich um eine Anpassung des vom VN zu leistenden Entgelts für Veränderungen der Heilbehandlungskosten.4665 Die Möglichkeit einer Anpassung ergibt sich, wenn der tatsächliche den kalkulierten Schadensaufwand des Krankenversicherungsvertrages um einen bestimmten Prozentsatz übersteigt.4666 Die Beitragsanpassungsklausel behandelt also keine Erweiterung des eigentlichen Vertragsvolumens, sondern passt das Leistungsversprechen des VN lediglich den gestiegenen Kosten an. Von Dynamisierungsklauseln unterscheiden sie sich, indem die Dynamisierungsklausel den Versicherungsschutz erhöht, während durch Beitragsanpassungsklauseln der vereinbarte Versicherungsschutz sichergestellt wird, ohne dass eine Vertragserweiterung vorliegt.4667 Die Beitragsanpassungsklausel hat auch keine provisionsrechtlichen Konsequenzen.4668 – Leistungsanpassungsklausel: Sie sollen die ursprüngliche Relation zwischen dem Bedarf des VN einerseits und der Bedarfsdeckung des Versicherers andererseits wiederherstellen, falls diese Relation durch steigende Heilbehandlungskosten verloren geht. Die Leistungsanpassungsklauseln geben dem Versicherer das Recht, gegen Erhebung entsprechender Mehrprämien die für die vereinbarten Leistungen geltenden Höchstgrenzen bezüglich der zu erbringenden Leistung anzuheben. Auf diese Weise soll die bei Abschluss des Versicherungsvertrages bestehende Relation zwischen entstehenden Kosten und zu erbringenden Leistungen wiederhergestellt werden.4669 Im Gegensatz zu Verträgen mit Beitragsanpassungsklauseln kann der VN, wenn das Versicherungsunternehmen von einer Leistungsanpassungsklausel Gebrauch macht, verlangen, die Anpassung ganz oder teilweise rückgängig zu machen. Bei der Beitragsanpassungsklausel besteht ein solches Anspruchsrecht des VN nicht.4670 Leistungsanpassungsklauseln fallen nicht unter die Ausnahmerechtsprechung des BGH. Sie führen zu keinem Provisionsanspruch des VV.4671 Folglich kommt es auch zu keinem Provisionsverlust bei Vertragsende.4672 – Die Einbeziehung weiterer Personen: Bei Ausdehnung des Krankenversicherungsvertrages auf weitere Familienangehörige fehlt ebenfalls ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Ursprungsvertrag und dem Folgevertrag. Beide Verträge betreffen nicht das gleiche Versicherungsbedürfnis.4673 Die Einbeziehung einer weiteren Person fällt nicht unter das gleiche Versicherungsbedürfnis.4674 781 Enthält der Krankenversicherungsvertrag weder eine Beitrags-, noch eine Leistungsanpassungsklausel, kann eine Anpassung des Versicherungsvertrages an eine eingetretene Kostensteigerung nur durch eine Aufstockung erfolgen.4675 Denkbar sind sowohl eine Höherstufung in dem

4663 4664 4665 4666 4667 4668 4669 4670 4671 4672 4673 4674 4675 Emde

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 171. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 181. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 172. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 172. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 174. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 174. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 176. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 176. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 177. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 177. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 178. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 178. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 180. 656

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bisher verwendeten Tarif oder die Umstufung in Tarife, die höhere Leistungen vorsehen.4676 Derartige Aufstockungen sind provisionspflichtig.4677 Die Ausgleichspflichtigkeit ergibt sich aus der Ausnahmerechtsprechung des BGH (Rn 528 ff.): Es handelt sich bei der Aufstockung um eine zusätzliche ergänzende Versicherung des gleichen Risikos, die in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag steht, aus diesem Ursprungsvertrag hervorgegangen ist, das gleiche Versicherungsbedürfnis betrifft und sich bei natürlicher Betrachtungsweise lediglich als Erweiterung des Ursprungsvertrages darstellt.4678 Die nach Vertragsende vorgenommene Aufstockung erfordert regelmäßig Vermittlungsbemühungen des Vertreternachfolgers. Wie ausgeführt genügt Mitursächlichkeit des ausgeschiedenen VV, um eine ausgleichspflichtige Tätigkeit des VV anzunehmen.4679 Ziff. I der Grundsätze fingiert, dass die Tätigkeit des ausgeschiedenen VV, der den betreffenden Vertrag vermittelt hat, im Lichte der Bemühungen des neuen VV i. d. R. nur als begrenzt mitursächlich für den neuen Versicherungsschutz angesehen wird. Da jedoch Mitursächlichkeit des ausgeschiedenen VV für seine Ausgleichsberechtigung genügt, wäre selbst eine begrenzte Mitursächlichkeit ausreichend, um den Ausgleichsanspruch des ausgeschiedenen VV zu begründen. Auch die Grundsätze Kranken enthalten unter Ziff. II den Hinweis, dass zur Errechnung der Ausgleichszahlung von der durchschnittlich „selbst vermittelten“ Gesamtjahresproduktion auszugehen ist. Es stellt sich hier also die bei den Grundsätzen Leben (s. o.) angesprochene Frage, ob dies die Einbeziehung der Provisionen ausschließt, die von unechten Untervertretern vermittelt wurden.

bb) Ziff. II Errechnung der Ausgleichszahlung. Die in Ziff. II festgelegten vier Faktoren be- 782 rücksichtigen die Gesamtbestandszusammensetzung, den Umfang der darin enthaltenen Aufstockungsfälle4680 und den Grad der Mitursächlichkeit des ausgeschiedenen VV in Hinblick auf die ausgleichsrelevanten Aufstockungsfälle.4681 Zur Errechnung der Ausgleichszahlung wird von der durchschnittlichen selbst vermittelten 783 Gesamtjahresproduktion in Monatsbeiträgen ausgegangen, wobei die letzten fünf Jahre, und bei kürzerer Vertretertätigkeit dieser kürzere Zeitraum, zugrunde gelegt werden. Der Betrag der somit ermittelten durchschnittlichen Gesamtjahresproduktion aus dem Bestand wird mit bestimmten Faktoren multipliziert. Der erste Faktor ist der mit dem VV für Geschäft aus dem Bestand während seiner Tätigkeit vereinbarte Provisionssatz. Der zweite Faktor berücksichtigt die Bestandszusammensetzung und damit die möglichen Auswirkungsfälle, die für einen Ausgleichsanspruch in Betracht kommen. Der Faktor beträgt 0,2. Der dritte Faktor bemisst die Mitursächlichkeit der Tätigkeit des ausgeschiedenen VV für eine spätere Aufstockung. Er lautet 0,4. Unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit4682 wird die langjährige Vertragstreue des VV mit einem vierten Faktor belohnt, allerdings nur für VV, die in der Krankenversicherung ausschließlich für ein Unternehmen tätig waren. Der Faktor 4 beträgt – im 1. bis 3. Jahr = 0,7 – im 4. bis 6. Jahr = 1,0 – im 7. bis 9. Jahr = 1,6 – im 10. bis 12. Jahr = 2,5

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 180. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 181. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 181. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 182. BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 45. 4681 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 185. 4682 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 45.

4676 4677 4678 4679 4680

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– im 13. bis 15. Jahr = 3,5 – ab dem 16. Jahr = 4,0. 784 Das Ergebnis ist der Ausgleich in Euro.

785 cc) Berechnungsbeispiel. Nach 20-jähriger Vertragsdauer wird der Vertrag mit einem Krankenversicherungsvertreter beendet. Die durchschnittliche, aus den letzten Vertragsjahren berechnete Jahresproduktion belief sich auf EUR 12.000 in Monatsbeiträgen. Die Monatsproduktion erreichte also durchschnittlich EUR 1.000. Die Provision betrug fünf Monatsbeiträge. Der Ausgleichsanspruch errechnet sich wie folgt: a) Faktor 1 = 5,0 x EUR 12.000,00 = EUR 60.000,00 b) Faktor 2 = 0,2 x EUR 60.000,00 = EUR 12.000,00 c) Faktor 3 = 0,4 x EUR 12.000,00 = EUR 4.800,00 d) Faktor 4 = bei mehr als 16-jähriger Vertragsdauer = 4 x 4.800,00 EUR = EUR 19.200,00 786 Der Ausgleichsanspruch beträgt EUR 19.200,00.4683

787 d) Grundsätze im Bausparbereich. Die Grundsätze im Bausparbereich gelten seit dem 1.10.1984 (Ziff. IX der Grundsätze). Gerade im Bausparbereich wurde die Frage der Vertragserweiterungen und Summenerhöhungen fast immer streitig.4684 Deshalb behilft sich die Praxis auch in diesem Bereich mit einer Ausgleichsberechnung nach den Grundsätzen.4685 Sie kann dem HV auch Vorteile bringen.4686 Der Aufbau der Grundsätze im Bausparbereich gleicht den seit 1996 geltenden Grundsätzen für Finanzdienstleistungen. Ziff. I der Grundsätze bestimmt den Ausgleichswert, der die Bemessungsgrundlage der Ausgleichsberechnung regelt. Ziff. II nennt die Multiplikatoren, mit denen der Ausgleichswert der Ziff. I zu multiplizieren ist. Ziff. III der Grundsätze bezeichnet einen Treuebonus für langjährige Tätigkeit des VV, der allerdings nur zugunsten hauptberuflicher VV eingreift.

788 aa) Ziff. I: Ausgleichswert. Gem. Ziff. I 1 ist der Bemessungsgrundlage der Ausgleichsberechnung die durchschnittliche Jahresprovision der letzten vier Jahre aus dem eingelösten Geschäft abzüglich etwa vereinbarter Verwaltungsprovision und abzüglich etwa nicht verdienter Einarbeitungsprovision bzw. Garantieprovision. Einarbeitungsprovisionen sind Zahlungen, denen nicht in gleicher Höhe Provisionsansprüche aus vermittelten Verträgen gegenüberstehen,4687 d. h. vom Unternehmer gewährte Vorteile während der Phase der Einarbeitung. Maßgeblich ist die Jahresprovision der letzten vier Vertragsjahre, also nicht Kalenderjahre.4688 Bei kürzerer Tätigkeit ist der Durchschnitt aus diesem Zeitraum maßgeblich. Als Verwaltungsprovisionen gelten gem. Ziff. I 1 Vergütungen, welche der VV für das Neugeschäft von Vermittlern erhält, die dem VV nicht organisatorisch zugeordnet sind oder zu deren Vermittlung er akquisitorisch nicht beiträgt. Diese Definition der Verwaltungsprovisionen lässt offen, ob sie abschließend ist oder ob auch andere, nach allgemeinen Maßstäben als Verwaltungsprovisionen anerkannte Provisionen abzuziehen sind. Für den Abzug anderer Provisionen spricht die Einheitlichkeit des HVRechts. Gegen den Abzug streitet der Vereinfachungsgedanke der Grundsätze sowie die Vermutung ihrer Vollständigkeit und Abgeschlossenheit. Die Grundsätze sollen die Ausgleichsberechnung gerade von der schwierigen Abgrenzung zwischen werbenden und verwaltenden Provisio4683 4684 4685 4686 4687 4688 Emde

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 190. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 6. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366. Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2016, 366 (368). Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 194. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 194. 658

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nen befreien. Es darf daher von dem abschließenden Charakter der Definition ausgegangen werden.4689 Weiter wird man der Definition im Umkehrschluss entnehmen können, dass solche Vergütungen keine Verwaltungsprovisionen bilden (und damit ausgleichspflichtige Provisionen sind), die der VV für organisatorisch zugeordnete Vermittler erhält und zu deren Vermittlung er i. S. d. BGH-Urt. v. 23.11.20114690 beigetragen hat. Außerdem wird man den Zusatz „oder zu deren Vermittlung er akquisitorisch nicht beiträgt“ entnehmen können, dass in den Fällen, in denen dieses BGH-Urteil eine Kausalität des Hauptvertreters für die Tätigkeit der Untervertreter annahm, eine Einbeziehung der Superprovisionen in die Bemessungsgrundlage des Ausgleichswerts zulässig ist. Superprovision ist also grds. ausgleichsfähig.4691 Gemäß Ziff. I 2. der Grundsätze sind diejenigen Folgeverträge auszugleichen, bei denen 789 derselbe VV einen Erst(vor-)vertrag vermittelt hat und die mit dem Erst(vor-)vertrag in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und demselben Bausparbedürfnis dienen. Um schwierige und zeitraubende Einzelermittlungen zu vermeiden, wird der Anteil des ausgleichspflichtigen Folgegeschäfts mit einem Mittelsatz von 20,25 % des Ausgangswertes nach Ziff. I 1 pauschal festgelegt.4692 Die Bestimmung dieses Mittelsatzes resultiert aus Ermittlungen bei öffentlichen und privaten Bausparkassen.4693 Dabei ergab sich, dass das Gesamtfolgegeschäft rund 45 % beträgt, und dass darin ausgleichsfähiges Folgegeschäft mit 20,25 % enthalten ist. Der Mittelsatz von 20,25 % bildet eine feste Berechnungsgröße. Sie soll nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten herauf- oder herabgesetzt werden,4694 was den Aussagen des EuGH4695 und des deutschen Gesetzgebers widerspricht (s. o.) – und damit ebenfalls für die Unwirksamkeit der Grundsätze spricht. Insbesondere bei kurzzeitig tätigen VV übersteigt dieser Mittelsatz in aller Regel den des wirklichen ausgleichspflichtigen Folgegeschäfts erheblich. Um gleichwohl einen einheitlichen Mittelsatz für alle VV anwenden zu können, setzen die höheren Multiplikatoren der Ziff. II erst nach längerer Tätigkeitsdauer ein und bleiben in den ersten drei Jahren unter dem Faktor 1. Diese Ausgleichsberechnung gilt auch für wesentliche Teilgebietskündigungen (Bezirks- 790 oder Bestandsverkleinerung), wobei die spätere Berücksichtigung einer Alters- oder Hinterbliebenenversorgung unberührt bleibt. Damit erkennen die Grundsätze im Bausparbereich die Ausgleichsberechtigung bei Bezirks- und Bestandsverkleinerung und Teilkündigungen an. Diese gemeinsame Überzeugung der Parteien lässt Rückschlüsse auf die Ausgleichsfähigkeit nach Teilkündigungen zu (s. o. zur „Teilbeendigung“). Eine Berücksichtigung von Billigkeitsgesichtspunkten ist wie bei jeder Ausgleichsberechnung zulässig.4696

bb) Multiplikatoren (Ziff. II). Der nach Ziff. I errechnete Ausgleich soll unter dem Gesichts- 791 punkt der Billigkeit entsprechend der Dauer der hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit des VV für das Bausparunternehmen mit folgenden Faktoren multipliziert werden: Tätigkeitsdauer Multiplikator ab dem 1. Jahr 0,20 ab 2 Jahren 0,40 ab 3 Jahren 0,70 ab 4 Jahren 1,00 ab 5 Jahren 1,30 So wohl auch Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 195. VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 207/208; Westphal I Rn 1289. Ausdrücklich gebilligt durch BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 43. 4693 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 197. 4694 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 197. 4695 EuGH, Urt. v. 26.3.2009 – C-348/07, DStR 2009, 759. 4696 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 197.

4689 4690 4691 4692

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ab 6 Jahren 1,60 ab 7 Jahren 1,90 ab 8 Jahren 2,20 ab 9 Jahren 2,50 ab 10 Jahren 3,00 ab 12 Jahren 4,00 792 Durch diese Multiplikatorenstaffel wird der Vertragsdauer einerseits und dem mit längerer Vertragsdauer allmählich umfangreicher werdenden Folgegeschäft Rechnung getragen.4697 Die bei kurzer Vertragsdauer geringen Multiplikatoren sollen ein Äquivalent für den relativ hohen Bewertungsfaktor des ausgleichspflichtigen Folgegeschäfts bilden (s. o.).

793 cc) Ziff. III: Treuebonus. Ab einer Dauer des hauptberuflichen VV-Vertrages von 15 Jahren erhält der VV bei seinem Ausscheiden neben dem Ausgleichsanspruch einen Treuebonus. Dieser beträgt 10,125 % der gem. Ziff. I 1 ermittelten Bemessungsgrundlage und verdoppelt sich gem. Ziff. II auf 20,25 % bei einem hauptberuflichen HV-Verhältnis von 19 Jahren, tätig bei derselben Bausparkasse. Der Treuebonus honoriert also die Unternehmenstreue.4698 Veränderungen hinsichtlich des zu bearbeitenden Bezirks oder der zu betreuenden Kunden sind mithin irrelevant. Der Treuebonus knüpft allein an die Länge des HV-Vertrages und nicht an die Kundenzahl an. Wird der Bezirk während des Vertrages verkleinert, ist für den Treuebonus gleichwohl die gesamte Vertragsdauer zugrunde zu legen.4699 Der Treuebonus ist zusätzlich zu dem nach Multiplikation mit den Multiplikatoren errechneten „Grundausgleich“ zu zahlen. Auch der Treuebonus ist Teil des Ausgleichsanspruchs. Er unterfällt damit der Steuerfreiheit des § 4 Nr. 11 EStG.4700 Der Text dieser Ziff. III der Grundsätze ist insoweit missverständlich, als der VV den Treuebonus bei seinem Ausscheiden „neben dem Ausgleichsanspruch“ erhalten soll.4701

794 dd) Fälligkeit (Ziff. V.). Gem. Ziff. V der Grundsätze im Bausparbereich und ebenso der Grundsätze im Finanzdienstleistungsbereich, ist der Ausgleichsanspruch innerhalb von zwei Monaten nach Vertragsbeendigung, frühestens zwei Monate nach Geltendmachung, fällig. Diese Regelung dürfte der zwingenden Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4) widersprechen. Nach dispositivem Recht ist der Ausgleich schon bei Vertragsende fällig. Abweichende Vereinbarungen sind unwirksam. Der Ansicht von Küstner,4702 der die Regelung gleichwohl für wirksam hält, ist daher zu widersprechen. Küstner meint, gem. § 271 Abs. 1 BGB trete die Fälligkeit des Ausgleichs nur im Zweifel sofort nach Vertragsende ein. Abweichende Vereinbarungen seien damit zulässig.

795 e) Grundsätze Finanzdienstleistungsbereich. Die Grundsätze für den Finanzdienstleistungsbereich wurden durch den Verband der Privaten Bausparkassen e.V. und den Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. erarbeitet. Dementsprechend empfehlen nach der Präambel der „Grundsätze Finanzdienstleistungen“ auch nur diese Verbände ihren Mitgliedern eine darauf basierende Abwicklung. Die „Grundsätze Finanzdienstleistungen“ sind – außer bei wirksamer vertraglicher Vereinbarung – angesichts dessen nicht maßgeblich, sofern der HV nicht für eine private Bausparkasse, sondern für ein eigenständiges Finanzdienstleistungsunter-

4697 4698 4699 4700 4701 4702 Emde

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 200. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 202. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 202. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 204. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 204. Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. XX Rn 226. 660

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nehmen tätig ist.4703 Deshalb sollen die „Grundsätze Finanzdienstleistungen“ außerhalb ihres Anwendungsbereichs auch nicht als Schätzgrundlage herangezogen werden dürfen.4704 Sie gelten seit dem 1.10.1996 (Ziff. IX der Grundsätze). Ihr Aufbau gleicht den Grundsätzen im Bausparbereich: In Ziff. I der Grundsätze wird der Ausgleichswert bestimmt, Ziff. II regelt die Multiplikatoren, Ziff. III den Treuebonus. Die Ziff. IV-IX gleichen im Aufbau den übrigen Grundsätzen. Der Begriff der Finanzdienstleistung ist weit zu fassen.4705 Er umfasst – außer die Vermittlung von Bauspar- und Versicherungsverträgen – alle Dienstleistungen, die ein VV im Auftrage, im Namen und auf Rechnung eines Bausparunternehmens aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung erbringt.4706 Nur wenn der von diesen Grundsätzen Betroffene VV oder Bausparkassenvertreter ist, gilt die Höchstgrenze des § 89b Abs. 5 S. 2/3, sonst die des § 89b Abs. 2 S. 1.4707

aa) Ziff. I: Ausgleichswert. Gemäß Ziff. I 1 ist Ausgangspunkt für die Berechnung des Aus- 796 gleichsanspruchs die durchschnittliche Jahresprovision der letzten vier Jahre aus dem Finanzdienstleistungsgeschäft abzüglich etwa vereinbarter Verwaltungsprovisionen und abzüglich etwa nicht verdienter Einarbeitungsprovisionen bzw. Garantieprovisionen. Bei kürzerer Tätigkeit ist der Durchschnitt aus diesem Zeitraum maßgeblich. Der Begriff der Verwaltungsprovisionen wird für den Bereich des Finanzdienstleistungsbereiches – wie bei den Grundsätzen im Bausparbereich – in Ziff. I 1 definiert: Als Verwaltungsprovisionen gelten Vergütungen, die VV für das Neugeschäft von Vermittlern erhalten, welche den VV organisatorisch nicht zugeordnet sind oder zu deren Vermittlung sie akquisitorisch nicht beitragen. Wie oben dargestellt ist diese Definition abschließend. Andere Provisionsteile, die üblicherweise als Entgelt für verwaltende Tätigkeiten angesehen werden, gelten daher für den Bereich der Grundsätze im Finanzdienstleistungsbereich nicht als Verwaltungsprovisionen. Das trifft insb. die Superprovisionen. In Ziff. I 2 wird das ausgleichspflichtige Folgegeschäft definiert. Um schwierige und zeitrau- 797 bende Ermittlungen zu vermeiden, wird der Anteil des ausgleichspflichtigen Folgegeschäfts mit einem Mittelsatz von 10 % des Ausgangswertes nach Ziff. I 2 pauschal festgelegt. Diese Pauschalisierung erleichtert die Berechnung des Ausgleichs. Das Verfahren soll – wie bei den Grundsätzen im Bausparbereich – auch für Teilvertragsbeendigungen (etwa: Bezirks- und Bestandsverkleinerungen) gelten, wobei die spätere Berücksichtigung einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung unberührt bleibt.

bb) Ziff. II: Multiplikatoren. Ziff. II bestimmt die Multiplikatoren, und zwar in Übereinstim- 798 mung mit dem Wortlaut der Grundsätze im Bausparbereich. Gem. Ziff. II ist der nach Ziff. I errechnete Ausgleichswert um – wie die Grundsätze betonen – dem Gesichtspunkt der Billigkeit (§ 89b Abs. 1 Nr. 2) Rechnung zu tragen – entsprechend der Dauer der hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit des VV für „das Bausparunternehmen“ in der von den Grundsätzen Bausparbereich bekannten Weise zu multiplizieren. Ab dem ersten Jahr der Tätigkeit des VV beträgt der Multiplikator 0,20, ab dem zweiten Jahr 0,40, ab dem dritten Jahr 0,70 etc. Nach 12 Jahren wird der höchste Multiplikator von 4,00 erreicht. Die Multiplikatoren sollen den Ausgleich mit zunehmender Vertragsdauer erhöhen. Dafür gibt es zwei Gründe: Die Vorteile des Unternehmens steigern sich mit zunehmender Tätigkeitsdauer des VV. Spiegelbildlich erhöhen sich die

4703 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 57; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 267; Westphal I Rn 1296. 4704 BGH, Urt. v. 23.11.2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 = WM 2012, 469 = IHR 2012, 63 m. Anm. Thume = EWiR 2012, 207 (Emde) Rn 58; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 89b Rn 355. 4705 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 231. 4706 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 231. 4707 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 246. 661

Emde

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Verluste des VV bei Vertragsende. Ob das erstgenannte eine Frage der Billigkeit ist, mag bezweifelt werden. Für den Berechnungsmodus bleibt die Frage unerheblich.

799 cc) Ziff. III: Treuebonus. Ab einer Dauer des hauptberuflichen HV-Vertrages von 15 Jahren erhält der VV bei seinem Ausscheiden neben dem gem. Ziff. I 2 errechneten Ausgleichsanspruch einen Treuebonus. Dieser beträgt 10,125 % der gem. Ziff. I 1 ermittelten Bemessungsgrundlage und verdoppelt sich auf 20,25 % ab einem hauptberuflichen HV-Vertrag von 19 Jahren bei derselben Bausparkasse. Mit diesem Treuebonus soll der VV zum einen motiviert werden, den Vertrag mit einem Unternehmen über einen möglichst langen Zeitraum laufen zu lassen. Zum anderen erhöhen sich seine Verluste bei Vertragsende und vergrößern sich die Vorteile des Unternehmers, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt ein Treuebonus gerechtfertigt ist. Der Ansatz von 10 % des Ausgangswertes für das ausgleichspflichtige Folgegeschäft soll – ebenso wie beim Ausgleichsanspruch im Bausparbereich – auf entsprechenden Erhebungen beruhen.4708 Küstner4709 weist darauf hin, dass bei diesem Berechnungsmodus regelmäßig die Ausgleichshöchstgrenze nicht erreicht wird. Seine Erklärung geht dahin, dass für den Ausgleichsanspruch nur das ausgleichspflichtige Folgegeschäft in Betracht kommt, welches mit 10 % des Ausgleichswertes anzusetzen sei und nicht die im Durchschnitt der letzten vier Vertragsjahre insgesamt zugeflossenen Vermittlungsprovisionen.

800 dd) Fälligkeit (Ziff. V). Die Fälligkeitsregel gleicht der der Grundsätze im Bausparbereich. Auch sie dürfte der zwingenden Natur des § 89b widersprechen.

f) Gemeinsame Regeln für alle Grundsätze 801 aa) Überblick. Soweit in den jeweiligen Grundsätzen nichts Abweichendes geregelt wurde, gelten für die Ausgleichsberechnung nach den Grundsätzen die allgemeinen Regeln.4710 Insbesondere gelten ergänzend die in den Grundsätzen nicht angesprochenen Regelungen zu § 89b, etwa Abs. 3. Die spezielleren Normen gehen jedoch den allgemeineren vor. Deshalb bildet sich – falls die Geltung der Grundsätze wirksam vereinbart wurde – folgende Rangfolge: – zwingendes Recht außerhalb des HV-Rechts – Grundsätze – § 89b Abs. 5 i. V. m. den speziell für Versicherungs- und Bausparvertretern herausbearbeiteten Maßstäben zur Ausgleichsberechnung – allgemeines Ausgleichsrecht (§ 89b Abs. 1–4). 802 Nach Ansicht des BGH4711 bedarf es keiner Prüfung der Frage, ob der Versicherer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat, weil die Grundsätze für den Normalfall davon ausgingen, dass jene Voraussetzungen vorliegen. Damit ist der Gegenbeweis zulässig. Der nach den Grundsätzen errechnete Ausgleichsanspruch unterliegt der Billigkeitsprü803 fung.4712 Hierauf weisen die Grundsätze ausdrücklich hin. Die Präambel etwa der Grundsätze Sach bestimmt in Abs. 3 S. 3 ausdrücklich, bei Anwendung der Grundsätze bedürfe es keiner besonderen Prüfung der Billigkeit, weil die Grundsätze für den Normalfall von der Wahrung des Billigkeitsgrundsatzes ausgingen. Damit wird die Billigkeit, wie auch sonst im Rahmen des Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 246. In: Küstner/Thume II, 8. Aufl., Kap. XX Rn 267. Emde VersR 2020, 796 (806 f.) BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 41. 4712 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 251.

4708 4709 4710 4711

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§ 89b, indiziert.4713 Eine Billigkeitsprüfung wird jedoch nicht ausgeschlossen. Ohne gravierende Umstände kann der nach den Grundsätzen errechnete Ausgleich jedoch unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht reduziert werden. Das gilt jedenfalls, wenn sich der VV zur Ausgleichsberechnung auf die Grundsätze beruft, weil er sich dann auf sie nur in Gänze stützen darf.4714 Eine Modifikation der Ausgleichsbemessung durch einen in den Grundsätzen nicht vorgesehenen (Billigkeits-)Zuschlag wegen fallbezogener Besonderheiten soll ausscheiden, wenn ein VV die Grundsätze, obwohl er nicht dazu gezwungen ist, als Grundlage der Schätzung eines Mindestausgleichsbetrags heranzieht.4715 Selbst wenn der HV einen Ausgleich nach den Grundsätzen verlangt und ausgezahlt hält, soll die Geltendmachung weiterer Provisionsansprüche, etwa wegen der Unwirksamkeit einer Provisionsverzichtsklausel, nicht treuwidrig sein.4716

bb) Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Sämtliche Grundsätze regeln in ihren Ziff. V 804 bzw. VI, dass eine vom Unternehmer aufgebaute und finanzierte Altersversorgung bei der Ausgleichsberechnung zu berücksichtigen ist. Diese Regel ist vom BGH wegen Verstoßes gegen § 89b Abs. 4 für unwirksam erklärt worden, weil sie die Anrechnung eines Anwartschaftsbarwertes der Altersversorgung zwingend ohne die im Einzelfall gebotene Ermessensausübung vorschreibt. Auf die Ausführungen oben zur Anrechnung der Altersversorgung wird verwiesen. Der BGH lässt aber die Anwendung dieser Bestimmungen und der Grundsätze zu, falls der VV die Ausgleichsberechnung nach den Grundsätzen wünscht. Denn es obläge ihm, ob er die Grundsätze als Schätzgrundlage heranziehe, was ihm freistehe, wozu er aber nicht gezwungen sei.4717 Das Gleiche gelte, sofern ein VV sich mit dem Unternehmer nach Beendigung des Vertrages auf die Anwendung der Grundsätze einige.4718 Das entspricht dem Grundsatz, demzufolge sich der HV auf unwirksame AGB des Unternehmers berufen darf. Die Anrechnung des Kapitalwerts einer Altersversorgung setzt jedoch voraus, dass die Altersversorgung – von ihm zu beweisen – aus Mitteln des Unternehmers aufgebracht wurde, also wirtschaftlich nicht dem HV zuzurechnen ist.4719 cc) Ausgleichshöchstgrenze. Die Grundsätze Sach, Leben und Kranken bestimmen in Ein- 805 klang mit § 89b Abs. 5, dass die Höhe des Ausgleichsanspruchs insgesamt drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen nicht übersteigen darf. Diese Regelung fehlt in den später entwickelten Grundsätzen für den Bauspar- und Finanzdienstleistungsbereich, weil sie sich ohnehin aus § 89b Abs. 5 S. 2 i. V. m. Abs. 2 S. 1 ergibt.

4713 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 251.Zu weitgehend BGH, Urt. v. 13.8.2015 – VII ZR 90/14, ZVertriebsR 2015, 301 = BB 2015, 2253 = ZIP 2015, 1823 = DB 2015, 2141 = WM 2015, 1760 = EWiR 2015, 693 (Seulen/Berjasevic) Rn 41: ein Grundurteil über den Ausgleichsanspruch sei zulässig. Denn es bedürfe einer Prüfung der Frage nicht, ob der Versicherer auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile habe und ob die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspreche, weil die Grundsätze für den Normalfall davon ausgingen, dass jene Voraussetzungen vorliegen. Denn dies unterschätzt die Möglichkeit des Gegenbeweises. 4714 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252. 4715 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252. 4716 OLG Hamm, Urt. v. 14.5.2018 – 18 U 85/17, zit. n. Evers in VW Heft 11/2018, S. 88. 4717 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252. 4718 BGH, Urt. v. 8.5.2014 – VII ZR 282/12, ZVertriebsR 2014, 252 = WM 2014, 1197 = NJW-RR 2014, 928 = BeckRS 2014, 11252. 4719 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.9.2012 – 5 U 101/09, BeckRS 2014, 11259. 663

Emde

§ 89b

1. Buch. Handelsstand

806 dd) Ausspannung von Versicherungsverträgen. Gem. Ziff. VII der Grundsätze Sach-, Lebenund Kranken oder Ziff. VIII der Grundsätze Bauspar- und Finanzdienstleistungen wird davon ausgegangen, dass der wirtschaftliche Vorteil des ausgeglichenen Bestandes dem Versicherer verbleibt. Deshalb wird vorausgesetzt, dass der VV keine Bemühungen anstellt oder unterstützt, die zu einer Schmälerung des Bestandes führen, für den er einen Ausgleich erhalten hat. Zu den Einzelheiten dieser Vorschrift wurde oben Rn 350 f. im Zusammenhang mit der Frage ausgeführt, ob der Ausgleich zu einem Wettbewerbsverbot des HV führt. Wie ein Rückschluss aus § 90a zeigt, ist dies nicht der Fall. Jedoch kann nachvertraglicher Wettbewerb des VV gemäß dem Billigkeitsgrundsatz zu einer Reduzierung des Ausgleichs führen. Für den Grundsatz ist damit daran festzuhalten, dass eine bloße Wettbewerbstätigkeit – auch wenn sie den ausgeglichenen Bestand berührt – dem VV nicht verboten ist. Da eine gewisse Berührung des Bestandes Folge jeder Wettbewerbstätigkeit ist, kann nicht jede unerhebliche Berührung des Bestandes ausgleichsreduzierende Folgen haben.

807 ee) Gutachterstelle. Gem. Ziff. VI der Grundsätze, Sach-, Leben- und Kranken sowie der Ziff. VII der Grundsätze Bauspar- und Finanzdienstleistung kann jeder der Parteien zur Herbeiführung einer gerechten Regelung die Gutachterstelle anrufen, sofern im Einzelfall die Auffassung besteht, eine andere Regelung als in den Grundsätzen niedergelegt erscheine angemessen. Die Gutachterstelle wird aber nur tätig, wenn beide Parteien ihrer Inanspruchnahme zustimmen. Die Gutachterstelle ist kein Schiedsgericht.4720 Ein solches wäre ohne Vereinbarung in der Form des § 1031 ZPO auch nicht zuständig. Nach dem Wortlaut der Grundsätze soll die Gutachterstelle nur bei Eintritt „besonderer Umstände“ tätig werden, „die nach Auffassung eines der Betroffenen eine andere Regelung zur Errechnung des Ausgleichsanspruchs gerechtfertigt erscheinen lassen“. Da die Gutachterstelle über besondere Umstände entscheiden soll, genügt die Behauptung solcher besonderen Umstände. Damit wird ausgedrückt, dass im Regelfall der nach den Grundsätzen errechnete Ausgleich angemessen ist. Küstner4721 nennt folgende Beispiele: Es ist streitig, ob der Mittler selbstständiger VV ist, die Erben eines VV fordern den Ausgleich und der Versicherer lehnt dies wegen des angeblich entfernten Verwandtschaftsgrades zu dem Erblasser ab, die Höhe des Multiplikators ist streitig, der Umfang der für die Bemessung maßgeblichen übertragenen Bestände, die Anrechnung des Anwartschaftsbarwertes einer Altersversorgung etc. Tatsächlich hat die Gutachterstelle eher geringe Bedeutung. Fühlen sich VV durch eine Ausgleichsberechnung benachteiligt, werden sie meistens Gerichte anrufen. 808 Die Zuständigkeit der Gerichte wird durch die Gutachterstelle nicht ausgeschlossen.4722 Ihre Zuständigkeit ist nicht erst eröffnet, falls die von der Gutachterstelle getroffenen Feststellungen offenbar unbillig sind und damit den in § 319 BGB niedergelegten Grundsatz des billigen Ermessens verletzen.4723 Offenbare Unbilligkeit liegt beispielsweise dann vor, wenn die Gutachterstelle die vertraglich getroffene Vereinbarung unberücksichtigt lässt, die Interessen einer Partei bevorzugt und die Grundsätze von Treu und Glauben verletzt, wobei auf den Zeitpunkt der gutachterlichen Feststellung abzustellen ist.4724 Denn die Grundsätze können ohne individualvertragliche und ausdrückliche nachvertragliche Vereinbarung – die bloße Bezugnahme auf die Grundsätze reicht nicht – den üblichen Rechtsweg zwischen den Parteien nicht ausschließen.

4720 4721 4722 4723 4724 Emde

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 275. Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. XX Rn 302. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 274. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 280. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XX Rn 280. 664

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

9. Ausgleichsberechnung nach § 89b Abs. 5 direkt a) Einleitung. Nicht sicher geklärt ist, wie die Ausgleichsberechnung nach § 89b Abs. 5 direkt 809 erfolgt. Teils wird die Ausgleichsberechnung analog den Grundsätzen zur Ausgleichsberechnung des Warenvertreters vorgenommen: Aus den geschuldeten Provisionen des letzten Vertragsjahres (Basisjahr) wird, ggf. nach Abzug eines verwaltenden Anteils und nach Abzug einer Verlustquote von Verträgen (Abwanderungsquote), auf die TB-Merkmale „Unternehmervorteile“ sowie „entgangene Provision“ des § 89b geschlossen. Der aus der Multiplikation der so bestimmten Provisionen des Basisjahres mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraumes errechnete Ausgleichsrohbetrag wird dann abgezinst, etwa nach Gillardon. Der Unternehmervorteil soll dem so errechneten „Provisionsverlust“ entsprechen. Diese Berechnung trage die Vermutung der Billigkeit in sich und der so bezifferte Rohausgleich werde durch die Ausgleichshöchstgrenze des § 89b Abs. 5 S. 2 beschnitten. Jedenfalls bis zur Novelle 2009 war fraglich, ob tatsächlich so gerechnet werden durfte. Wie 810 ausgeführt fehlten beim VV regelmäßig infolge der Vertragsbeendigung eintretende „Provisionsverluste“, sie waren jedoch bis 2009 Anspruchsvoraussetzung. Nach h. M. führten allein die infolge der Provisionsverzichtsklausel entgehenden nachvertraglichen Folgeprovisionen in Höhe ihres werbenden Anteils zu Provisionsverlusten, sie konnten jedoch aufgrund der Vereinbarung von Einmalprovisionen oder wegen des weit überwiegend verwaltenden Charakters der der Erstprovision nachfolgenden Provisionen i. d. R. lediglich bei Dynamisierung und mit dem Erstvertrag verwandten Verträgen auftreten. Die beim Warenvertreter existierende Vermutung, von den Provisionen der Vergangenheit könne auf zukünftig entgehende Provisionen geschlossen werden, wurde abgelehnt, da die Provisionen der Vergangenheit im größeren Umfang ausgleichsunfähige Einmalprovisionen beinhalteten. Eine recht plastische Darstellung der zum alten Recht vertretenen Auffassung zur Ausgleichsberechnung nach § 89b geben das Urteil des OLG Celle v. 16.5.20024725 sowie die Ausführungen von Thume.4726 Nach dem bis 2009 geltenden Ausgleichsrecht war der VV nach h. M. für alle Ausgleichsvo- 811 raussetzungen beweispflichtig.4727 Das bleibt auch jetzt so. Nicht selbst geworbene Verträge waren aus der Ausgleichsberechnung auszuklammern (das gilt ebenfalls nach der Novelle), gem. der zu § 89b a. F. vertretenen Ansicht zudem solche, für die Einmalprovision geleistet wurden (sie fällt kein 2. Mal an und sollte folglich nicht zu entgehender Provision führen; heute nur noch billigkeitsrelevant), schließlich nicht ausgleichspflichtige verwaltende Provisionsanteile.4728 Der VV müsse darlegen, welche konkreten Versicherungsverträge er bis zum Vertragsende vermittelt bzw. erheblich erweitert habe und welche Vermittlungsprovisionen (ohne verwaltende Anteile) er hierfür im letzten Vertragsjahr erhalten habe. Ein Hinweis auf Erfahrungswerte oder statistisches Material reiche nicht aus.4729 Sodann sei für die einzelnen ausgleichspflichtigen Verträge – je nach Sparte – eine auf den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung gerichtete Prognose über deren wahrscheinliche zukünftige Entwicklung vorzunehmen, bezogen auf das Ende des letzten Vertragsjahrs.4730 So wie sich in jenem Zeitraum der Versicherungsbestand entwickelt habe, könne im Regelfall auch die Weiterentwicklung prognostiziert werden. Der Prognosezeitraum betrage rglm. 5 Jahre.4731 Anschließend sei zu prüfen, ob Billigkeitsgründe vorlägen, welche den Ausgleich reduzieren oder erhöhen könnten, wobei entgehende Provision seit der 4725 Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 977; s. a. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 = DB 2006, 1371. VersR 2009, 436. Thume VersR 2009, 436 ff.; Ebenroth/Löwisch3 § 89b Rn 202. Thume VersR 2009, 436 ff. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 = DB 2006, 1371; Thume VersR 2009, 436 (437). 4730 Thume VersR 2009, 436 (437). 4731 Thume VersR 2009, 436 (437).

4726 4727 4728 4729

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Emde

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1. Buch. Handelsstand

Novelle 2009 nur noch ein Billigkeitsumstand bildet. Danach sei abzuzinsen. Schließlich werde der Ausgleich durch die Höchstgrenze des § 89b begrenzt.4732 812 Nach diesem Rechenweg entgehen dem VV infolge der Provisionsverzichtsklausel in erster Linie Abschlussprovisionen aus nach seinem Ausscheiden zustande gekommenen Versicherungsverträgen, wenn sich jene Verträge bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung (Verlängerung) oder Erweiterung (Summenerhöhung) der von ihm zuvor vermittelten Verträge darstellten, jene Erweiterungen sowie Summenerhöhungen aus diesen Verträgen hervorgegangen sind und das gleiche Versicherungs- bzw. Bausparbedürfnis betreffen4733 (s. o.). Die Feststellung entgehender Provisionen wurde nach bisherigem Verständnis verfälscht, falls man aus allen im Basisjahr erzielten Provisionen (ggf. unter Einschluss aller Provisionsarten) auf die Unternehmervorteile sowie die nachvertraglich entgehenden Provisionen schließen wollte. Da seit 2009 Provisionsverluste keine Ausgleichsvoraussetzung mehr bilden, wird dieser aus mangelnden Provisionsverlusten hergeleiteten Absage an eine an das Warenvertreterrecht angelehnte Berechnungsweise an Kraft genommen, zumal die Vorteile des Unternehmers durchaus den entgangenen Provisionen des VV entsprechen mögen: Einem Nachfolger müsste der Unternehmer für den Aufbau eines vergleichbaren Bestandes nämlich Provision in gleicher Höhe leisten. Möglicherweise ist daher die im Warenvertreterrecht anerkannte Gleichung „geschuldete Provision des Basisjahres = Unternehmervorteile“ auch im VV-Recht gerechtfertigt. Das würde dann auch bei Zahlung von Einmalprovisionen gelten (s. o.), da der Unternehmer auch aus ihnen Vorteile generiert.

813 b) Eigener Ansatz zur Ausgleichsberechnung im Versicherungsvertreter- und Bausparbereich. Die Ausgleichsberechnung auch des VV oder Bausparvertreters fordert Schematisierungen, zu denen das Gericht notfalls nach § 287 ZPO gehalten ist. Ohne sie ist die Ausgleichsberechnung nicht handhabbar.4734 Immer muss das Ziel im Blick behalten werden: Die Unternehmervorteile wirklichkeitsnah abzubilden. Die Unternehmervorteile wurden nach der bis 2009 geltenden Fassung des § 89b mittels der Gleichung „Provisionsverluste = Unternehmervorteile“ aus dem Betrag der zu erwartenden nachvertraglichen und werbenden Provisionen hergeleitet, etwa aus Folgeverträgen, die mit dem Erstvertrag im engen wirtschaftlichen Zusammenhang standen und demselben Bedürfnis dienten4735 (s. o.). Der Grundsatz der Hilfsherleitung der Unternehmervorteile aus den vermutlich entstehenden Provisionsverlusten (jetzt: „entgehende Provision“) kann beibehalten werden. Über die Bemessung der Provisionsverluste und damit der in das Basisjahr einzubeziehenden Provisionsarten muss aber diskutiert werden. 814 Nach der vom Verfasser in der FS für Karsten Schmidt4736 entwickelten Formel wurden in das Basisjahr als Ausgleichsbemessungsgrundlage lediglich die Folgeprovisionen des letzten Vertragsjahres aus neu vermittelten oder wesentlich erweiterten Versicherungsverträgen einbezogen, bei Untypik des letzten Vertragsjahres eines typischen Durchschnittsjahres. Grund dessen war, dass nach seinerzeitiger Gesetzeslage und seinerzeitigem Verständnis nur aus solchen Folgeprovisionen Provisionsverluste entstehen konnten und Provisionsverluste Anspruchsvoraussetzung nach dem gestrichenen § 89b Abs. 1 Nr. 2 a. F. waren. Die Folgeprovisionen werden auch als Abschlussfolgeprovisionen4737 bezeichnet, also Provisionen, welche der Erstprovision folgen. Teilweise wird der Begriff Bestandsprovision verwendet, was mit der bisher vorherr4732 Thume VersR 2009, 436 (437). 4733 BGH, Urt. v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 = BB 1961, 381; OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/ 01, VersR 2002, 976 m. krit. Anm. Küstner VersR 2002, 980 und Thume VersR 2002, 981; s. a. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 259. 4734 Vgl. Thume VersR 2009, 436 (437, 438) „dorniger Weg“. 4735 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (977). 4736 Emde FS Karsten Schmidt S. 354. 4737 Zutreffend die Terminologie des OLG Stuttgart, Urt. v. 22.2.1971 – 5 U 89/70, VersR 1972, 44. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

schenden Ansicht den verwaltenden Anteil betont, und Verträge i. S. d. Erweiterungsrechtsprechung ausschließt. Folgeprovisionen werden insb. im Sachbereich gezahlt, aber auch als Provisionen für dynamisierte Lebensversicherungsverträge, bei denen sich das Vertragsvolumen durch Anpassung an die Geldentwicklung automatisch erweitert oder für die Erweiterung eines ursprünglich abgeschlossenen Versicherungsvertrages, weil jener für den ursprünglich beabsichtigten Zweck nicht mehr ausreicht und deshalb z. B. nach der Beendigung des VV-Vertrages erweitert wird. Endet der VV-Vertrag vorzeitig, also ehe der neu vermittelte Versicherungsvertrag seinerseits endet, verliert der VV infolge einer mit dem Unternehmer vereinbarten Provisionsverzichtsklausel jene Folgeprovisionen mit teilweise werbendem Charakter, welche er im Zeitpunkt der Vertragsvermittlung zwar bereits in vollem Umfang für die gesamte künftige Laufzeit des neu vermittelten Versicherungsvertrages dem Grunde nach erworben hatte und die ihm bei Fortsetzung des Vertrages weiterhin zufließen würden.4738 Jetzt bilden Provisionsverluste nur noch ein Billigkeitsmerkmal des § 89b Abs. 1 Nr. 2. Sie sind damit nicht mehr zwingend Teil der Ausgleichsberechnung. Nur noch der Unternehmervorteil ist zwingend in allen Fällen Grundlage der Ausgleichsberechnung. Es könnte deshalb daran gedacht werden, im Einklang mit der oben, Rn 663 wiedergegebenen Meinung die gesamten geschuldeten Provisionen (Einmalprovisionen + Folgeprovisionen + alle weiteren Vergütungsbestandteile, und nicht nur Folgeprovisionen) des letzten oder eines typischen Vertragsjahres in das Basisjahr als Bemessungsgrundlage des Ausgleichs einzubeziehen, ggf. unter Abzug eines verwaltenden Provisionsanteils. Diese Summe der Provisionen des Basisjahres würden mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraumes multipliziert (vertreten werden wie dargelegt Prognosezeiträume zwischen 4 und 43 Jahren), unter gleichzeitigem Abzug einer Abwanderungsquote (besser: Verlustquote von Verträgen) und eines Abzinsungsbetrages von vielleicht 10 %. In einem „Rückführungsschritt“ wäre dieses Ergebnis unter Billigkeitsgesichtspunkten mit den entgangenen Provisionen abzugleichen und ggf. eine angemessene Kürzung vorzunehmen. Eine solche Berechnung würde aufgrund der recht hohen Ausgleichsgrenze von 3 Jahresprovisionen und der fehlenden Begrenzung auf Mehrfachkundenprovisionen jenes Basisjahres zu substanziell höheren Ausgleichsbeträgen führen. Zudem wäre sie wesentlich einfacher handhabbar und folglich gerichtsfreundlicher. Verlief das letzte Vertragsjahr untypisch, ist auf den Durchschnitt dieser Provisionen aus einem längeren Zeitraum, etwa einen Fünfjahreszeitraum, abzustellen. Da entgangene Provisionen nach wie vor zumindest hervorgehobenes Billigkeitsmerkmal sind, bleibt jedoch auch die bisherige Rechenweise vertretbar. Basis der hier vorgeschlagenen Ausgleichsberechnung bilden die im Basisjahr geschuldeten gesamten Provisionen, sofern sie für neu geworbene oder erweiterte Verträge geleistet werden, unter Einschluss von Einmal- und Folgeprovisionen, zudemvon Provisionen für Verträge i. S. d. Erweiterungsrechtsprechung. Übertragene Bestände bleiben bei der Ausgleichsberechnung außer Betracht, es sei denn, die einzelnen Verträge sind vom VV so erweitert worden, dass dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages entspricht (§ 89b Abs. 5 S. 1, 2. Hs.).4739 Maßgeblich für die Höhe der Provisionen des Basisjahres sind nur Provisionen, die für vom VV neu geworbene Verträge oder erweiterte Verträge (Erweiterung wird bei 100 %iger Steigerung vermutet) versprochen wurden. Entsprechend der zum Warenvertreter zu Rn 510 ff. dargelegten Vermutung sollte nach 6monatiger Vertragsdauer von einem diesbetreffenden Anteil solcher Versicherungsverträge von 5 % der nach dem obigen Maßstab ermittelten Folgeprovisionen, nach dem 1. Vertragsjahr von 10 %, nach dem 2. Vertragsjahr von 20 %, dem 3. Vertragsjahr von 30 %, dem 4. Vertragsjahr von 40 % und ab dem 5. Vertragsjahr von 50 % ausgegangen werden. Der verwaltende Anteil der Provision ist nach h. M. nicht ausgleichspflichtig4740 und im VV-Recht – will man nach der Novellierung überhaupt einen Abzug für verwaltende Provisions4738 Küstner VersR 2002, 517. 4739 OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124, 1125; Thume VersR 2009, 436. 4740 Thume VersR 2009, 436 (437). 667

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bestandteile vornehmen (s. o.) – wegen der bislang als verwaltend angesehenen, hohen Bestandspflegeprovision4741 als Vermutung mit weiteren 50 % anzusetzen.4742 Deshalb müsste von dem bis hierher errechneten Zwischenergebnis ein nicht ausgleichsfähiger, verwaltender Anteil von 50 % abgezogen werden. Der verbleibende Betrag ist mit der Zahl 4–5 für den 4–5-jährigen Prognosezeitraum zu multiplizieren (zum Prognosezeitraum Rn 532) und mit 10 % abzuzinsen. Das OLG Celle4743 hat eine Abzinsung von jährlich 4 % für angemessen gehalten. Dieser Rohausgleich begründet für sich die Vermutung der Billigkeit. Es ist dann zu überprüfen, ob der dergestalt errechnete Betrag die Ausgleichshöchstgrenze des § 89b Abs. 5 überschreitet. 820 Es ergibt sich daher mit aller Vorsicht vermutungsweise diese Formel: Alle Provision des letzten Vertragsjahres x 0,05–0,50 (Anteil neu geworbener oder erweiterter Verträge) x (ggf.) 0,5 (Abzug verwaltender Vergütungsanteile) x 4–5 (Prognosezeitraum) x 0,9 (Abzinsung). 821 Höhere oder niedrigere Unternehmervorteile können nachgewiesen werden. Allerdings trägt diejenige Partei die Beweislast, die einen höheren oder niedrigeren Ausgleich als nach dieser Vermutung errechnet, behauptet. 822 Nach Ansicht von Lilje4744 scheitert eine ausschließlich konkrete Berechnung des Ausgleichsanspruchs des VV daran, dass sich viele Vorteile – insb. die immateriellen – konkret nicht berechnen lassen. Ein klarer Wert des infolge des Vertreteranteils verbleibenden, beim Unternehmer verbleibenden Nutzen existiert nicht bzw. ist nicht isolierbar.4745 Eine rein abstrakte Berechnung setze sich dem Einwand einer zu großen Pauschalierung und damit der Unbilligkeit bis Willkür aus.4746 Lilje4747 schlägt vor, dass der Gesamtvorteil durch die Gleichung Provisionsverlust + Zusatzvorteile – (ggf.) Diskontierung = Gesamtvorteil bestimmt wird. Als abstrakten Berechnungsweg schlägt Lilje4748 vor, vom Basiswert der Provisionen aus den Versicherungsverträgen auszugehen. Denkbar sei es, den Basiswert der Grundsätze der Versicherungswirtschaft zum Ausgangspunkt zu nehmen.4749 Die Berechnung könnte sich alternativ betriebswirtschaftlicher Größen bedienen, da jene den Vorteil hätten, eine Aussage über einen wirtschaftlichen Nutzen treffen zu können.4750 Ausgangspunkt könnte der Umsatz, d. h. die dem VV bekannten Prämienzahlungen der geworbenen oder erweiterten Verträge bilden.4751 Dieser Wert wäre mit einem Multiplikator zu multiplizieren.4752 Bei Einmalprovisionen könne er sich nur noch im Promillebereich bewegen.4753 Bei einer Mehrfachprovision greife die Vertragsbeendigung hingegen in die Provisionsanwartschaft des VV ein. Hier rechtfertige sich ein Multiplikator im Prozentebereich.4754

4741 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 6.2.2013 – 19 U 145/12, BeckRS 2013, 16685; Nach Thume BB 2009, 2490 (2494) können auch aus Bestandspflegeprovisionen Unternehmervorteile entstehen; nach dem OLG München, Urt. v. 5.10.2010 – 5 U 4438/09; v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, BKR 2011, 21; v. 5.10.2010 – 5 U 4438/09 handelt es sich bei der Bestandspflegeprovision um eine entgeltliche Leistung für die vom HV erbrachte Gegenleistung der Kundenwerbung und Kundenpflege. 4742 OLG Hamm, Urt. v. 8.12.1994, VersR 1995, 658 = VersVerm 1995, 376 m. Anm. Hoheisel/Wesemann = r+s 1995. 279: v. 28.4.1986. VersR 1987. 155; LG München I, Urt. v. 30.3.1994, VW 1994, 708; AG München, Urt. v. 13.8.1993, BB 1993. 2270 = VW 1994, 708; LG Hagen, Urt. v. 11.3.1985, VersR 1986, 144 (zum Makler). 4743 OLG Celle, Urt. v. 16.5.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (978) m. krit. Anm. Küstner VersR 2002, 980 und Thume VersR 2002, 981. 4744 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (216). 4745 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (216). 4746 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217). 4747 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217). 4748 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217). 4749 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217). 4750 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217). 4751 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217). 4752 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (217). 4753 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (218). 4754 Lilje ZVertriebsR 2016, 211 (218). Emde

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§ 90 [Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse] Der Handelsvertreter darf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, die ihm anvertraut oder als solche durch seine Tätigkeit für den Unternehmer bekanntgeworden sind, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht verwerten oder anderen mitteilen, soweit dies nach den gesamten Umständen der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmannes widersprechen würde.

Schrifttum Mautz/Löblich Nachvertraglicher Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, MDR 2000, 67.

Übersicht 1

A.

Zweck und Gegenstand

B.

Genese und europarechtliche Präforma2 tion

H.

Widerspruch zur Berufsauffassung eines or19 dentlichen Kaufmanns

I.

Zurechnung des Geheimnisverrats des HV 20 zum Unternehmer?

J.

Verstoß gegen das GeschGehG sowie § 17 21 UWG

K.

Folgen einer Verletzung des Geheimnisschut23 zes

L.

Verfahrensrechtliche Durchsetzung

M.

Abweichende Vereinbarungen

N.

Beweislast

3

C.

Geltungsbereich

D.

Treupflichten/Interessenabwägung

E.

Tatbestandsmerkmale

I.

Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse

II.

Anvertraut/Bekanntgeworden

F.

Umfang des Geheimnisschutzes

G.

Zeitliche Geltung

4

5 5

25

15 26

16 27

18

A. Zweck und Gegenstand § 90 handelt von den Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen des Unternehmers. Zwangsläu- 1 fig wird der HV im Verlauf der Vertragsbeziehung Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Unternehmers erfahren. Am häufigsten gilt dies für die Kalkulation der Preise sowie den Händlerrabatt. Bereits aufgrund der Interessenwahrungs- und Treuepflicht des § 86 schuldet er deren Geheimhaltung.1 § 90 stellt klar, dass die Geheimhaltungspflicht nicht nur vertragsbegleitend besteht, sondern auch nach Vertragsende fortbesteht.2 Diese Klarstellung hielt die Begr. z. RegE3 für erforderlich, da der HV durch seine Tätigkeit im verstärkten Maße mit Geschäftsgeheimnissen in Kontakt gerät. Das ergäbe sich allerdings auch aus den nachwirkenden

1 Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288 (290); Klapperich in: Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 252; Ensthaler/Genzow § 90 Rn 1; Hopt § 90 Rn 1; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 1.

2 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 37; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 1. 3 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 37. 669 https://doi.org/10.1515/9783110744385-004

Emde

§ 90

1. Buch. Handelsstand

Treupflichten.4 In der Sache handelt es sich daher bei § 90 um einen „Merkposten“. Der materielle Inhalt würde bereits aus § 86 und den nachwirkenden Treupflichten folgen. Die Vorschrift steht im Spannungsverhältnis zu § 90a5: Grundsätzlich ist der HV frei, nachvertraglichen Wettbewerb auszuüben. Nur darf er dabei keine Geschäftsgeheimnisse des Unternehmers verwenden. Ohne Nutzung irgendwelcher Erkenntnisse aus dem Vorvertrag ist aber kaum ein Nachfolgevertrieb möglich. Geschützt sein kann daher nur spezielles Wissen aus dem Altvertrag, kein allgemeines Vertriebswissen. Vertragsbegleitend wird eine bewusste Preisgabe von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen kaum sehr oft vorkommen, da mit der Schädigung des Unternehmers der HV sich in seinen Provisionsaussichten selbst benachteiligen würde. Nachvertraglich sieht es häufig anders aus: Hier ist § 90 eine der am meisten verletzten Vorschriften des HV-Rechts. Umso mehr kann während der Vertragszeit eine Fahrlässigkeit durch unbedachte Preisgabe eine Rolle spielen. Auch sie macht schadensersatzpflichtig.

B. Genese und europarechtliche Präformation 2 § 90 wurde erst durch die Novelle 1953 in das HGB eingefügt. Zuvor war in den §§ 84 ff. keine vergleichbare Bestimmung enthalten. Die Verschwiegenheitspflicht des HV wurde jedoch aus der ihm obliegenden Treuepflicht hergeleitet.6 § 90 hat keine Entsprechung in der RL.

C. Geltungsbereich 3 Normadressat ist wie bei allen Vorschriften der §§ 84 ff. „der Handelsvertreter“. Ein (ggf. ehemals) bestehender HV-Vertrag wird vorausgesetzt,7 zumindest aber ein faktisch durchgeführter.8 Die Bestimmung ist Ausdruck der Treupflicht und damit eines allgemeinen Rechtsgedankens. § 90 gilt deshalb entsprechend für die HV-ähnlichen Mittler, z. B. Vertragshändler,9 FN10 und Kommissionsagenten.11 Soweit sie Normadressaten sind, ist immer zu prüfen, welche Reichweite ihnen gegenüber die Geheimhaltungspflicht einnimmt, weil jene Mittler einen „eigenen Kundenstamm“ führen. Auf Makler ist § 90 unanwendbar.12 Jedoch sollen auch Makler dem Verbot unterliegen, nach Beendigung der Zusammenarbeit durch die weitere Verwendung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen den Auftraggeber zu schädigen.13 Außerdem gälten in diesem Fall die Vorschriften des UWG bzw. StGB,14 insb. § 202a StGB.15

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So wohl auch Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 37. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 4. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 1. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 2; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 8. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 4. Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288 (292); Ulmer Der Vertragshändler, S. 397 Fn. 14; Vogels in: Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 3 Rn 196; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 21; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 6; aA wohl Ensthaler/Genzow § 90 Rn 9. 10 Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288 (292); Metzlaff in: Praxishandbuch Franchising, § 8 Rn 286; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 2. 11 Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288 (292); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 2, 19; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 6. 12 OLG Hamm, Urt. v. 19.3.2009 – 18 U 137/08, BeckRS 2009, 24245. 13 OLG Hamm, Urt. v. 14.4.2016 – I-18 U 11/16; OLG Hamburg, Urt. v. 25.2.1994 – 9 U 99/93. 14 OLG Hamm, Urt. v. 14.4.2016 – I-18 U 11/16. 15 OLG Hamm, Urt. v. 14.4.2016 – I-18 U 11/16. Emde

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D. Treupflichten/Interessenabwägung Wie unter Rn 1 erläutert, schuldet der HV nicht nur Geheimnisschutz sondern aufgrund seiner 4 Interessenwahrungspflicht auch Loyalität und Verschwiegenheit.16 Selbst wenn daher die Qualität eines Geschäftsgeheimnisses noch nicht erreicht ist, muss der HV schweigen, falls die Interessenwahrungspflicht dies fordert, weil nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls die Interessen des Unternehmers solche des HV überwiegen oder den Interessen des HV gleichwertig sind. Das betrifft etwa Tatsachen, deren Bekanntwerden für den Unternehmer nachteilig wären,17 auch wenn sie privater Natur sind,18 oder Umstände des Vertragsverhältnisses, die noch nicht die Qualität eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses erreichen. Hier zeigt sich der Unterschied zu § 90, der nur Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse schützt.19 Anders gewendet: Gem. § 90 sind nur Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse geschützt, während die aus der Interessenwahrnehmungspflicht hergeleitete Schweigepflicht auch andere Umstände schützt. Zudem verpflichtet die Treupflicht auch den Unternehmer: Auch er kann deswegen zum Geheimnisschutz gehalten sein.

E. Tatbestandsmerkmale I. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind nach einer viel verwendeten Definition Tatsachen oder 5 Rechte, welche in einem Zusammenhang zu dem Betrieb oder Gewerbe des Unternehmers stehen und nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt, also nicht offenkundig sind, und nach dem erklärten oder den Umständen nach zu vermutenden Willen des Unternehmers nicht bekannt werden sollen.20 Relevant wird eher die letztgenannte Fallgruppe der „vermuteten Geheimnisse“, da die ausdrückliche Bezeichnung als Geheimnis selten ist. Falsch an dieser Definition ist, dass der Unternehmer frei bezeichnen darf, was ein Geschäftsgeheimnis ist. Tatsächlich ist der Begriff objektiv aus der Warte eines verständigen Dritten zu bestimmen, wobei allerdings auch den subjektiven Befindlichkeiten des Unternehmers und einem angemessenen Ermessensspielraum Rechnung getragen werden muss. Würde man allein auf die Bezeichnung als Geschäftsgeheimnis durch den Unternehmer abstellen, hätte er es in der Hand, durch willkürliche Apostrophierung Pflichtverletzungen sowie außerordentliche Kündigungsgründe zu schaffen. Letzteres würde schon § 89a widersprechen, weil dann Pflichtverletzungen und wichtige Kündigungsgründe entgegen der zwingenden Natur des § 89a frei bestimmt werden könnten. Gleichwohl besitzt der Unternehmer Befugnis zur Klarstellung der Reichweite der Geheim- 6 haltungsbedürftigkeit. Er unterliegt dabei aber Grenzen. Zu unterscheiden ist die einseitige Bestimmung der Geheimhaltungsbedürftigkeit und die vertragliche Regelung dieser Frage. Die einseitige Bestimmung ist – nicht anders als die vertragliche Bezeichnung als Geschäftsge-

16 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 3. 17 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 57; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 39.

18 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 39. 19 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 2. 20 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte) (zu § 17 UWG), v. 15.5.1955 – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424 (425) = DB 1957 Beil. 2 unter Nr. 12; OLG Koblenz, Urt. v. 24.7.1986 – 6 U 604/86, NJW-RR 1987, 95 (97); Höld NJW 2016, 2774 (2776); Blankenburg VersR 2010, 581 (582); Mautz/Löblich MDR 2000, 67 (70); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 90 Rn 5; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 4; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90 Rn 3, 4; Oetker/Busche6 § 90 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 7, 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 3, 4. 671

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heimnis (dazu gleich) – nur innerhalb des objektiven Geheimnisbegriffs zulässig und maßgeblich, also nicht, wenn der Begriff des Geheimnisses überdehnt, insb. erheblich überdehnt (§§ 242, 307 BGB) wird. Vorbehaltlich der Richtigkeitsprüfung und eines gewissen Ermessensspielraums des Unternehmers, darf dieser also nicht offenkundige Tatsachen durch Erklärung zu Geschäftsgeheimnissen erheben. Das kann auch konkludent geschehen oder sich aus den Umständen ergeben,21 wenngleich es auch hier der notwendigen Bestimmtheit bedarf – was in der Praxis zu vielen Fragezeichen führt. Für die vertragliche Regelung der Eigenschaft als Geschäftsgeheimnis gilt nicht Abweichendes: Individualvertraglich wird man bis zur Grenze der §§ 138, 242 BGB auch objektiv nicht Geheimhaltungsbedürftiges dem Schutz des 90 unterstellen und an die Bekanntgabe, Nutzung oder Verwertung weitgehende Rechtsfolgen knüpfen dürfen. Jedoch fordert § 242 BGB ein anerkennenswertes Interesse an der Vereinbarung und eine Anwendungsprüfung im Einzelfall. Für AGB gilt § 307 BGB (siehe Vor § 84 Rn 79 ff.): Mittels AGB kann vorbehaltlich eines schmalen Ermessensspielraumes nichts zum Geheimnis erklärt werden, was es nach § 90 objektiv nicht wäre. Die Folgen der Bestimmung sind gesondert zu prüfen, im Rahmen des § 89a etwa die Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung (bei mangelndem Verschulden oder geringem Verstoß u. U. fehlend), im Rahmen des § 280 BGB insb. das Verschulden. Bei Unerkennbarkeit der Geheimhaltungspflicht kann es fehlen. 7 Die Bekundung des Geheimhaltungsbedürfnisses durch den Unternehmer bleibt irrelevant, sofern die Tatsache offenkundig ist.22 Deshalb bestimmt nicht in jedem Fall der Unternehmer, was ein Geschäftsgeheimnis sein soll,23 wie schon der Umstand zeigt, dass es nach Ansicht der Befürworter eines subjektiven Bestimmungsrechts genügen soll, wenn der HV weiß oder bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte wissen müssen, dass der Unternehmer das Geheimnis geheimzuhalten wünscht.24 Selbst nach der Ansicht derjenigen, die eine subjektive Bestimmung des Unternehmers genügen lassen, muss der Unternehmer zudem die Absicht der Geheimhaltung gegenüber dem HV zu irgendeinem Zeitpunkt bis zum Vertragsende eindeutig und unmissverständlich, jedoch ohne Bindung an Formvorschriften, mitteilen.25 Im Zweifel ist von einem Geheimhaltungsinteresse auszugehen26 und der HV müsste vor Verwertung, Nutzung oder Bekanntgabe beim Unternehmer nachfragen. Bereits die unterlassene Nachfrage kann eine Pflichtverletzung begründen. 8 Kein Geschäftsgeheimnis ist, was allgemein-27 oder branchenkundig ist28 oder es ohne großen Aufwand werden kann.29 Dann kann es wider die tatsächlichen Umstände auch nicht zu einem solchen bestimmt werden. Allgemeinkundig bzw. offenkundig bekannt und folglich kein Geheimnis ist alles, was ein mit der Branche vertrauter Dritter erfahren kann.30 So stellen zwar allgemein bekannte oder in den entsprechenden Unternehmen übliche Verfahren und Vorgänge, einschließlich der Namen und Anschriften von Personen, die in der Branche als potenzielle Abnehmer branchenzugehöriger Waren allgemein bekannt sind, ebenso wenig Geschäftsoder Betriebsgeheimnisse des Unternehmers dar wie Tatsachen, die sich ohne Mühe und Sammelarbeit (bereits sie kann ein Geschäftsgeheimnis begründen) aus öffentlichen Registern und etwa Telefonbüchern31 ergeben. Nicht geschützt sind ferner Daten solcher Kunden, die der HV

Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 5. Hopt § 90 Rn 5. AA Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 5. Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 7. Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 5. Hopt § 90 Rn 5. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 8; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 2. BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 6; Oetker/Busche6 § 90 Rn 3. 29 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte). 30 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 7. 31 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 7.

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rechtmäßig32 aus anderen Quellen, etwa aufgrund der Vermittlung für andere Unternehmer, erhielt.33 Es kann aber ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis des Unternehmers sein, dass jener nach einem bestimmten Verfahren arbeitet.34 Problematisch bleibt die Zuordnung von Tatsachen, welche dem HV bekannt waren, bevor er für den Unternehmer tätig war. Derartiges deutet regelmäßig auf die fehlende Eigenschaft als Geheimnis hin, es sei denn, der HV wechselte von einem Geheimnisträger zum nächsten und erfuhr das Geheimnis beim ersten Geheimnisträger. Dann wäre zu klären, ob die Geheimhaltungspflicht sich auf den zweiten Unternehmer überträgt, was häufig der Fall sein wird. Gleichwohl muss der HV auch über ihm Bekanntes und nicht Geheimes schweigen, wenn es die Treupflicht fordert, weil der Unternehmer daran in Wechselwirkung mit den Interessen des HV ein überwiegendes und anerkennungswürdiges Interesse hat. § 90 dürfte nicht abschließend sein, falls die Treupflicht ein größeres Maß an Rücksichtnahme fordert. Im Zweifel hat der HV das Geheimnis zu wahren, bis er auf Nachfrage beim Unternehmer die Freigabe erhält. Die Art der Kenntniserlangung durch den HV ist unerheblich.35 Selbst vom HV rechtswidrig erlangte Tatsachen sind durch die Vertragsbeziehung bekannt geworden und damit schützenswerte Geschäftsgeheimnisse.36 Ob an der Geheimhaltung ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse besteht37 dürfte bei 9 objektiver Geheimhaltungsbedürftigkeit für die Geheimhaltungspflicht unerheblich sein, weil auch solche Tatsachen dem Geheimnisschutz unterliegen, die keinen wirtschaftlichen Wert besitzen. Unerheblich ist, aus wessen Sphäre die Geheimnisse ursprünglich stammen, solange es sich um Betriebsgeheimnisse des Unternehmers handelt. Insbesondere ist es nicht notwendig, dass sie aus der Sphäre des Unternehmers herrühren. Geschützt ist nämlich alles, was dem HV aus seiner Tätigkeit für den Unternehmer bekannt wird. Es kann sich sogar um Dokumente handeln, welche der HV selbst erst geschaffen hat, zum Beispiel von ihm erstellte Kundenlisten (Rn 11) und Reiseberichte.38 Das ist naheliegend, falls die Dokumente im Rahmen der HV-Tätigkeit für den Unternehmer hergestellt wurden. Nicht erforderlich ist, dass der Unternehmer die maßgeblichen Tatsachen ausdrücklich als Geschäftsgeheimnis bezeichnet hat. Die Möglichkeit einer solchen Bezeichnung gibt dem Unternehmer nur ein Recht und keine Pflicht. Die Geheimhaltungspflicht kann sich auch aus den Umständen ergeben. Die Geschäftsgeheimnisse brauchen sich auch nicht auf die dem HV obliegende Vermittlungstätigkeit zu beziehen. Die Abgrenzung zwischen Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ist schwierig, meist 10 aber irrelevant.39 Geschäftsgeheimnisse sind eher Tatsachen, die den allgemeinen Geschäftsverkehr des Unternehmens im Hinblick auf den Kundenstamm, die Lieferanten und dergleichen betreffen,40 während sich Betriebsgeheimnisse eher auf den technischen Ablauf, insbesondere die Herstellung, angewandte Herstellungsverfahren, technische Daten, Kalkulationsunterlagen und ähnliches beziehen.41 Zu den Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gerechnet werden nicht nur technische Daten einschließlich Arbeitsmuster, sondern auch betriebliche wie Kalkulationsunterlagen,42 Computerprogramme,43 Informationen zur Handelsspanne, Preisangebote bei 32 Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht oder das Wettbewerbsverbot? 33 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06 Rn 25, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte). 34 RGZ 149, 329 (332 f.); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 8. 35 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 13. 36 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 7. 37 So Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 5. 38 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 13. 39 Blankenburg VersR 2010, 581 (582). 40 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 2. 41 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 2. 42 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6. 43 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6; Hopt § 90 Rn 5. 673

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Submissionen, Ergebnisse betriebsintern aufgestellter Bilanzen, Unternehmensanalysen,44 Zahlungsbedingungen45 u. dgl. Selbst bei an sich bekannten Fabrikations- und Vertriebsverfahren kann es – wie dargestellt – ein Betriebsgeheimnis sein, dass der Unternehmer nach ihnen arbeitet.46 11 Geschützt sind ferner: – Allgemeine Akquisedaten,47 etwa Informationen über den VN, wie z. B. Vertragsdaten, Personenstammdaten, Familien- und Berufsstand oder auch nur der Name eines Haustiers des VN;48 – Informationen zu Bezugsquellen;49 – Informationen zur Geschäftsstrategie des Unternehmers.50 – Kundenlisten und -namen,51 insb. wenn der in ihnen genannte Kunde in Geschäftsbeziehung52 oder Vertragsverhandlungen mit dem Unternehmer steht und nicht zu dem Kreis derjenigen gehört, die schon wegen ihrer Zugehörigkeit zur Branche53 als potentielle Abnehmer allgemein oder für jeden Kundigen ersichtlich in Betracht kommen. Es darf sich nicht um Angaben handeln, die jederzeit ohne großen Aufwand aus allgemein zugänglichen Quellen erstellt werden können.54 Die Qualifizierung als Geheimnis kann fraglich sein, wenn die Daten über Internet, Telefonbücher oder andere Quellen problemlos erlangt werden können.55 Selbst dann ist ein Geheimnis jedoch die implizit zugrunde liegende Tatsache, dass die Kunden in Vertragsbeziehungen oder -verhandlungen mit dem Unternehmer stehen.56 Zudem gilt, dass zur Recherche eines Kontakts (Adresse, E-Mail, Telefonnummer etc.) zumindest Vor- und Zuname benötigt werden und auch die Informationskombination aus Name und Bestandskundeneigenschaft ein Betriebsgeheimnis darstellt.57 Ob zu erwarten steht, dass der Kunde auch in Zukunft als Abnehmer der angebotenen Produkte in Frage kommt, dürfte irrelevant sein,58 ebenso ob es sich um Stammkunden oder sonstige Kunden des Unternehmers handelt.59 Ein ausgeschiedener HV darf zwar die während der Beschäftigungszeit erworbenen Kenntnisse auch

Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6. Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 4. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6. Und zwar nicht nur dann, wenn hierin implizit die geheimhaltungsbedürftige Tatsache inbegriffen ist, dass der VN einen Vertrag bei einem bestimmten Versicherer abgeschlossen hat (für diesen Fall Blankenburg VersR 2010, 581 [583]). 49 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6. 50 Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v. 3.6.2010 – C-203/09, BeckRS 2010, 90677 Rn 44; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6. 51 OLG Hamm, Urt. v. 19.3.2009 – 18 U 137/08, BeckRS 2009, 24245; OLG Koblenz, Urt. v. 24.7.1986 – 6 U 604/86, NJW-RR 1987, 95; Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288 (292); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 90 Rn 8; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 10 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 8. 52 Höld NJW 2016, 2774 (2776). 53 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 11; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90 Rn 4; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 90 Rn 24. 54 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); v. 27.4.2006 – I ZR 126/03, GRUR 2006, 1044 = WRP 2006, 1511; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 5. 55 Siehe Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 90 Rn 8; Höld NJW 2016, 2774 (2776) – kein Geheimnis. Deshalb hat das LG Düsseldorf K&R 2002, 101 (102) allgemein zugängliche Kundendaten nicht als Geschäftsgeheimnis angesehen. 56 Blankenburg VersR 2010, 581 (583); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 90 Rn 8. 57 OLG Koblenz, Urt. v. 24.7.1986 – 6 U 604/86, NJW-RR 1987, 95; Hopt § 90 Rn 7; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 90 Rn 10; Höld NJW 2016, 2774 (2778). 58 Missverständlich BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte). 59 OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.7.2002 – 1 U 901/01, GRUR-RR 2002, 359.

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später uneingeschränkt verwenden, sofern er keinem Wettbewerbsverbot unterliegt.60 Die Berechtigung, erworbene Kenntnisse nach Beendigung des Vertrages auch zum Nachteil des Unternehmers einzusetzen, bezieht sich aber nicht auf Informationen, welche dem HV nur bekannt sind, weil er auf (schriftliche) Unterlagen zugreifen kann, die er während der Beschäftigungszeit zur Kenntnis erhalten hat, auch wenn er sie selbst angefertigt hat.61 Entnimmt der HV derartigen Unterlagen – z. B. in Form angeblich privater Aufzeichnungen oder einer auf dem privaten Notebook abgespeicherten Datei – ein Geschäftsgeheimnis seines früheren Unternehmers, verschafft er sich jenes unbefugt.62 Privates Wissen gibt es eben nicht, wenn es sich um eine Geschäftsbeziehung handelt. Eine Separierung wäre auch schwierig.63 Das Verwertungsverbot nach § 90 betrifft grds. alle Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, welche dem HV während des Vertragsverhältnisses bekannt geworden sind. Es ist daher nach h. M. irrrelevant, ob er die Kunden selbst geworben und an den Unternehmer vermittelt hat,64 es sei denn, der HV nutzt Daten von Kunden, die er auch für andere Unternehmer vermittelt hat (weswegen Mehrfachvertreter im Vorteil sind65). Eine Gegenansicht zu diesem Punkt wird vertreten.66 Von dieser Gegenansicht wird angenommen, der Unternehmer dürfe die Adressen der vom HV selbst geworbenen Kunden nicht einseitig zum Geheimnis erklären (hierzu bedürfe es einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung, Rn 667). Zumindest spricht viel für eine Interessenabwägung im Einzelfall.68 Für die Gegenansicht streitet, dass der Kundenstamm die Grundlage der beruflichen Tätigkeit des HV darstellt, ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nicht besteht und deshalb die Verwertung eigengeworbener Kundendaten nicht unbedingt der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns widersprechen mag.69 Die Herausgabepflicht nach § 667 BGB ist kein Argument für die h. M.70 Denn die Herausgabepflicht regelt nicht die Frage der Geheimhaltung. Sicher handelt es sich um ein Geschäftsgeheimnis, falls der Unternehmer die Kundenliste erstellt und in das Vertragsverhältnis eingebracht hat: Sie ist dann im Zweifel71 dessen Geschäftsgeheimnis,72 und zwar sowohl hinsichtlich aktiver wie nicht aktiver Kunden73 (letztere können mglw. wieder zu Kunden werden). Der HV verwertet auch unzulässig die Kundenliste des Unternehmers, sofern die Namen der Kunden im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit 60 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); v. 3.4.2001 – I ZR 153/99; GRUR 2002, 91 (92) = WRP 2001, 1174; Höld NJW 2016, 2774 (2776).

61 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); v. 19.12.2002 – I ZR 119/00, NJW-RR 2003, 833 = GRUR 2003, 453 (454) = WRP 2003, 642; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 4. 62 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); GRUR 2006, 1004 Rn 14; Höld NJW 2016, 2774 (2777) – VV; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 4. 63 Höld NJW 2016, 2774 (2777) – VV. 64 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Höld NJW 2016, 2774 (2777) – VV; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 8. 65 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte). 66 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 10. 67 BGH, Urt. v. 14.4.1999 – I ZR 2/97, GRUR 1999, 934 (935) = WRP 1999, 912; OLG Koblenz, Urt. v. 24.7.1986 – 6 U 604/86, NJW-RR 1987, 95 (97); Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 10. 68 Korte EWiR 2009, 677 (678); aA (keine Interessenabwägung) BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, BeckRS 2009, 09800 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613. 69 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 14. 70 AA Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 24; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9. 71 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 10. 72 BGH, Urt. v. 19.12.2002 – I ZR 119/00, VersR 2003, 1414 = GRUR 2003, 453 (454) = NJW-RR 2003, 833 = EWiR 2003, 731 (Dittmer); v. 14.1.1999 – I ZR 2/97, EBE 1999, 204 (206); v. 10.5.1995 – VIII ZR 144/94, ZIP 1995, 1260 (1262); OLG Koblenz, Urt. v. 24.7.1986 – 6 U 604/86, NJW-RR 1987, 95; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 57. 73 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 8. 675

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in die persönlichen Unterlagen des HV gelangt sind und von ihm bei der Ausübung seiner Geschäftstätigkeit außerhalb des Unternehmens verwertet werden.74 Auf ein überwiegendes Verwertungsinteresse des HV kommt es rglm. nicht an,75 ebenso wenig auf dessen wirtschaftliche Lage.76 Ferner bleibt irrelevant, ob die Verwertung branchenintern oder branchenfremd erfolgt.77 Anders liegt es, wenn der Mittler als Versicherungsmakler gem. § 59 Abs. 3 VVG tätig wird. Dann handelt es sich bei den Kundendaten um seine Kunden, so dass ein Verstoß gegen § 90 HGB und das GeschGehG zu verneinen ist.78 Hat der HV die Kundenliste selbst in das Vertragsverhältnis eingebracht, wird er sie in dieser Form (Erweiterungen während des Vertrages bleiben ein Geheimnis) für eigene Zwecke verwerten dürfen, sogar wenn sie während der Dauer des HV-Vertrages geheimhaltungsbedürftig war.79 Was vor dem Vertrag nicht für den Unternehmer geschützt war, wird es auch nicht durch das nachfolgende Vertragsverhältnis.80 Dem HV ist es aber verwehrt, anderen mitzuteilen, dass es sich um (ehemalige) Kunden des Unternehmers handelt.81 Zudem darf er sein Wissen um Vertragskonditionen sowie schwebende Verhandlungen des Unternehmers mit dem Kunden, vielleicht sogar solche, die er (der HV) selbst noch angebahnt hatte oder mit welchen der Unternehmer in Vertragsverhandlungen steht,82 nicht ausnutzen, um sich jetzt seinerseits einzuschalten und den Kunden zu sich herüberzuziehen.83 Hierbei handelt es sich um kaum zu erfüllende Erwartungen. In jedem Fall darf der HV Kundenlisten für die Zwecke der eigenen Rechtsverfolgung, etwa für den Ausgleichsprozess, im nötigen Umfang sichern und auswerten. Gegenüber dem Unternehmer besteht kein Geheimnisschutz; die Offenbarung gegenüber dem Gericht ist durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt. Für Eigenhändler, deren Kundenliste nicht den Kundenstamm des Unternehmers, sondern den eigenen, bezeichnet, gilt das Vorgesagte nicht. Sie dürfen ihre Kundenliste auch nachvertraglich nutzen und auswerten.84 Eine gegenteilige Ansicht stände auch im Widerspruch zur nachvertraglichen Wettbewerbsfreiheit (s. § 90a). Greift der HV unter Verstoß gegen § 17 Abs. 2 UWG auf Kundenlisten seines früheren Unternehmers zurück, so ist ihm jegliche Verwertung untersagt.85 Zu AGB Vor § 84 Rn 79 ff. „Kundenadressen“; Nach § 87c erteilte Informationen, etwa Abrechnungen und Buchauszug, denen weitreichende Vertragsdetails entnommen werden können, dienen ausschließlich der Abrechnung

74 BGH, Urt. v. 19.12.2002 – I ZR 119/00, VersR 2003, 1414 = GRUR 2003, 453 (454) = NJW-RR 2003, 833 = EWiR 2003, 731 (Dittmer). 75 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 8. 76 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = BeckRS 2009, 09800 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); vgl. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 20, 23. 77 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = BeckRS 2009, 09800 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); aA Hopt § 90 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 24; OLG Koblenz, Urt. v. 24.7.1986 – 6 U 604/86, NJW-RR 1987, 95 (98). 78 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte). 79 Oetker/Busche6 § 90 Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 23; aA Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 16. 80 Gegenansicht vertretbar, insb., wenn der HV für die eingebrachten Kunden einen Ausgleichsanspruch erhielt. 81 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 23. 82 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 13. 83 Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 7b, 13. 84 BGH, Urt. v. 28.6.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 mit krit. Anm. Klasen EWiR 2007, 203. Entgegen Klasen und Vogels in: Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 3 Rn 196 verbietet der Geheimnisschutz nicht die Verwertung der Kundenliste durch einen Vertragshändler, weil es sich um eigene Kunden des Händlers handelt. Anders mglw. beim HV. 85 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.7.2002 – 1 U 901/01, GRUR-RR 2002, 359. Emde

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der Provision bzw. ihrer Überprüfung.86 Selbst wenn sie nachvertraglich erteilt und archiviert werden, handelt sich bei diesen in Ausführung des Vertrages übermittelten Unterlagen um Geschäftsgeheimnisse;87 – Namen der Kunden, mit denen der Unternehmer in Vertragsverhandlungen steht;88 – Namen von Lieferanten;89 – Musterkollektionen90 und deren Zusammensetzung; – Vertragsdaten der vermittelten Verträge;91 – Nach den Umständen des Falles der Vertriebsvertrag selbst. Denn der Unternehmer befindet sich im Markt um Vertriebsmittler in einer Wettbewerbssituation zu anderen Unternehmer und hat daran Interesse, die Konditionen der Beschäftigung seiner Vertriebsmittler geheim zu halten. 12 Nicht geschützt sind: – Informationen, die ein HV als Untervermittler des Hauptvermittlers erhielt. Denn es handele sich zumindest auch um eigene Geschäfte des HV. In solchen Fällen betreffe der anfallende Datenbestand zumindest auch den HV, weil die Provisionsabrechnung über ihn vorgenommen werde und er sich um den Bestand der Verträge zu kümmern hatte.92 Man wird jedoch beachten müssen, dass ohne gesonderte Vereinbarung kein nachvertragliches 13 Wettbewerbsverbot des HV besteht und der Unternehmer auf nachvertraglichen Schutz seines Kundenstammes keinen grundsätzlichen Anspruch besitzt.93 Der HV soll deshalb, soweit der Anspruch auf § 90 gestützt wird, z. B. ihm in Erinnerung gebliebene Kundendaten verwerten94 und jene Kunden mit anderen Produkten bewerben dürfen. Das ist problematisch, weil es auf die objektive Geheimhaltungsbedürftigkeit und nicht auf den Träger der Information (Gedächtnis oder etwa EDV) ankommt. § 90 schützt nicht das Papier, welches das Geschäftsgeheimnis verkörpert, sondern das Geschäftsgeheimnis selbst.95 Die Rspr., die in Erinnerung des HV gebliebene Daten vom Geheimhaltungsschutz ausnimmt, hat dazu geführt, dass sich HV nach Vertragsende auf ein vertragsbegleitend nie aufgefallenes, außerordentlich bemerkenswertes Gedächtnis berufen.96 Derartigen Auffälligkeiten ist mit einer Beweislastumkehr zu begegnen. Erhalten Kunden vom (ausgeschiedenen) HV detaillierte Angebote des Wettbewerbers, z. B. unter Nutzung von Vertragsdetails ggf. mehrerer Kunden,97 mit einer Gegenüberstellung der alten und neuen Prämien, wortlautgleiche oder optisch identisch aufbereitete Unterlagen98 (etwa Vertragstexte, die 1:1 übernommen werden99), spricht jene Detaillierung gegen eine (rein) gedächt-

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BGH NJW 2001, 2333; Höld NJW 2016, 2774 (2778) – VV. BGH NJW 2001, 2333; Höld NJW 2016, 2774 (2778). Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 9. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 6. Blankenburg VersR 2010, 581 (582) – zum Versicherungsvertreter. OLG Hamm, Urt. v. 14.4.2016 – I-18 U 11/16 – sehr zweifelhaft. Denn die Untervermittlerverträge wurden von dem HV in seiner Eigenschaft als Untervermittler des Hauptvermittlers geschlossen und unterfielen damit dem Geheimnisschutz des § 90. 93 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 7. 94 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); v. 14.4.1999 – I ZR 2/97, GRUR 1999, 934 (935) = WRP 1999, 912; LG Köln, Urt. v. 21.1.2010 – 31 O 675/09; 31 O 678/ 09; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 14; Höld NJW 2016, 2774 (2776); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 23. 95 Blankenburg VersR 2010, 581 (584). 96 Siehe etwa Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232). 97 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9. 98 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232). 99 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232). 677

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nisgetragene Information.100 Ganz generell spricht die hohe Anzahl verwendeter Details gegen eine Gedächtnisleistung.101 Jedenfalls ein zielgerichtetes „Abgrasen“ einer bemerkenswert großen Zahl von Kunden102 oder gar der Gesamtkundenliste ohne Streuverluste103 ist verdächtig und indiziert einen Verstoß gegen § 90,104 ebenso die Verwendung eventuell vom Unternehmer geführter falscher oder veralteter Daten mit Fehlern.105 Um einen solchen Evidenzfall handelte es sich in einer vom BGH106 entschiedenen Konstellation. Dort hat der BGH die Möglichkeit einer gedächtnisbedingten Verwendung verneint, wenn 200–220 ehemalige Kunden vom HV angeschrieben wurden. Weiteres Indiz kann sein, dass es sich um Interna aus einem Bereich handelt, mit dem der ausgeschiedene HV fachlich oder tatsächlich keine bis wenige Berührungspunkte hatte.107 Insbesondere falls sich die Kommunikation mit dem Kunden auf maximal 2 Gespräche pro Jahr beschränkt hat, ist eine Gedächtnisleistung fraglich.108 Auch kann geprüft werden, welcher Zeitraum zwischen Ausscheiden und Tathandlung des ehemaligen HV liegt. Ab einer gewissen Zeitspanne ist es wenig überzeugend, sofern der ausgeschiedene HV sich auf seine Gedächtnisleistung beruft.109 Ein HV auf dem Lande mag mglw. ein engeres Verhältnis zu seinen Kunden (und damit eher deren Namen in Erinnerung) haben als ein solcher in der Stadt.110 Nach Ansicht von Weske111 darf der HV Aufzeichnungen nutzen, die er nach Vertragsende aus seinem Gedächtnis rekonstruiert. Diese soll er jedoch nicht an Dritte, etwa seinem neuen Prinzipal, weiterleiten dürfen.112 Der Einwand der „Gedächtnisleistung“ verfängt nicht, sofern mit dem HV ein vertragliches Geheimhaltungsverbot vereinbart war.113 Man wird zumindest auch sagen können, dass der HV den Einwand der Gedächtnisleistung nicht in Hinblick auf Informationen nutzen kann, die er in Ausübung der Informationsrechte des § 87c erhielt. Denn diese Informationen dienen nur der Kontrolle der Vergütungsansprüche des HV. 14 Der HV ist nicht verpflichtet, strafbares oder unredliches Verhalten zu verschweigen.114 Es ist naheliegend, dass die Rechtsprechung zumindest Straftaten keinen Schutz zuteil werden lässt (s. a. §§ 242, 227 BGB). Außerdem zählt die Begehung solcher Taten nicht zur „Tätigkeit“ des HV und man wird diesbetreffende Tatsachen auch nicht als „Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse“ einordnen dürfen. Die Offenbarung widerspricht dann auch nicht der „Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmannes“. Darüber hinaus will Schröder115 die nachvertragliche Schweigepflicht des HV u. U. relativiert sehen je nach dem Grade, in welchem die wirtschaftliche Existenz des HV durch Ausgleichszahlungen nach § 89b oder Karenzentschädigung nach § 90a gesichert sei oder nicht. Sofern damit das sonst unbefugte Gebrauchmachen von Kundenlisten gemeint sein soll, scheint das nicht unbedenklich: müsste dann nicht auch eine Rolle spielen, aus welchem Grunde der HV keine Ausgleichszahlung erhält, etwa weil er sie verwirkt hat (§ 89b Abs. 3)? Richtig verstanden kommt es für den Umfang des Geheimnisschutzes nicht darauf an, ob ein Ausgleich geleistet wird. Blankenburg VersR 2010, 581 (585); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9. Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232). Blankenburg VersR 2010, 581 (584). Blankenburg VersR 2010, 581 (585). Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9. Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232); Blankenburg VersR 2010, 581 (585); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9. 106 BGH, Urt. v. 19.12.2002 – I ZR 119/00, NJW-RR 2003, 833 = GRUR 2003, 453 (454) = VersR 2003, 1414. 107 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232). 108 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233). 109 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233). 110 Blankenburg VersR 2010, 581 (585); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9. 111 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9. 112 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 9. 113 LG Hagen, Urt. v. 22.8.2012 – 10 O 149/12, BeckRS 2016, 05942. 114 Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 39. 115 § 90 Rn 12.

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II. Anvertraut/Bekanntgeworden Die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse müssen dem HV anvertraut oder ihm als solche durch 15 seine Tätigkeit für den Unternehmer bekannt geworden sein. Es genügt jede Form des Bekanntwerdens,116 die auf den HV zurückzuführen ist. „Anvertraut“ bedeutet Bekanntgabe als vertraulich.117 Bekannt-geworden-sein als Oberbegriff118 schließt jeden beliebigen Weg der Kenntniserlangung ein, selbst den unbefugten,119 wenn nur der HV den geheimhaltungsbedürftigen Charakter der betreffenden Tatsache erkannt hat oder bei gehöriger Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte erkennen müssen.120 Deshalb ist das TB-Merkmal des Anvertrauens überflüssig, weil die bloße Bekanntgabe oder besser: das Bekanntwerden im Verlauf der Vertragsbeziehung ausreicht, um den Geheimnisschutz auszulösen. Im Zweifel hat der HV von der Geheimhaltungsbedürftigkeit auszugehen.121

F. Umfang des Geheimnisschutzes Der HV darf die unter § 90 fallenden Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse weder für sich noch 16 für Dritte in irgendeiner Weise ausnutzen, bekannt geben oder wirtschaftlich verwerten.122 Verwerten erfordert mehr als das bloße Innehaben des Geheimnisses und umfasst jede Art der wirtschaftlichen Nutzung.123 Eine Verwertung ist gegeben, falls der HV das Geheimnis, um Vermögensvorteile zu erzielen, für sich oder einen Dritten ausnutzt.124 Irrelevant ist, ob ein Gewinn erzielt wird oder erzielt werden könnte125 bzw. ob dies in selbständiger oder abhängiger Form geschieht.126 Der HV hat für umfassenden Geheimhaltungsschutz zu sorgen und Kenntnisnahme durch Dritte zu verhindern. Das pflichtwidrige Unterlassen gebotener Vorkehrungen zur Geheimhaltung kann ebenfalls die Rechtsfolgen des § 90 auslösen,127 da den HV aus dem geschlossenen Vertrag eine Garantenstellung trifft. Es handelt sich dann um einen Geheimnisbruch durch Unterlassen.128 17 Beispiele von Verstößen: – Das Abwerben und Anschreiben von Kunden unter Nutzung von Kundendaten129 – die Nutzung von Unterlagen des Unternehmers für eigene Zwecke.130

Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 10; Hopt § 90 Rn 3. AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 6. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 10; Hopt § 90 Rn 3. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 10; Ensthaler/Genzow § 90 Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 3. 120 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 10; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 7; Ensthaler/Genzow § 90 Rn 1; Oetker/Busche6 § 90 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 7; aA Hopt § 90 Rn 6. 121 Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 5. 122 BGH NJW 2009 1420 (1421); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 11; Hopt § 90 Rn 3. 123 BGH GRUR 2012, 1048; Höld NJW 2016, 2774 (2776). 124 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 18. 125 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 18. 126 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 18. 127 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 11; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 17; Oetker/Busche6 § 90 Rn 12; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 9. 128 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht § 90 Rn 11. 129 BGH GRUR 2012, 1048; Höld NJW 2016, 2774 (2776). 130 BGH GRUR 2012, 1048; Höld NJW 2016, 2774 (2776).

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G. Zeitliche Geltung 18 Die Geheimhaltungspflicht wirkt vertragsbegleitend – außer aus § 90 der Interessenwahrungspflicht entnommen – und nachvertraglich – aus § 90 S. 1 sowie den nachvertraglichen Treupflichten hergeleitet – im Grundsatz zeitlich unbegrenzt,131 es sei denn, die ursprünglich geheimhaltungsbedürftige Tatsache hat inzwischen das Schutzbedürfnis eingebüßt, z. B. mittels ausdrücklicher oder schlüssiger Aufhebung der Geheimhaltungspflicht durch den Unternehmer,132 Bekanntwerden auf anderem Wege, Offenkundigkeit oder allgemeiner Branchenkundigkeit,133 falls dadurch der Geheimhaltungszweck entfällt.134 Letzteres ist bei Freigabe durch den Unternehmer regelmäßig anzunehmen, es sei denn, es liegt ein erkennbarer Irrtum des Unternehmers vor. Die Geheimhaltungspflicht besteht nach Beendigung des Vertragsverhältnisses – wie schon vorher – weiterhin fort, ohne Rücksicht auf den Grund, aus dem der Vertrag sein Ende gefunden hat.135 Vorvertraglich wird aus § 242 BGB und den Grundsätzen des vorvertraglichen Vertrauensschutzes eine Geheimhaltungspflicht hergeleitet.136 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse können auch im Zuge von Verhandlungen über den Abschluss eines HV-Vertrages bekannt gegeben oder offenbar geworden sein: kommt der Vertrag nicht zustande, wird man gleichwohl eine Geheimhaltungspflicht aus vorvertraglichem Vertrauensverhältnis137 anzunehmen haben; ebenso, wenn der HV-Vertrag sich als nichtig erweist.138 Letzteres folgt bereits daraus, dass die Anwendung des § 90 nicht mehr als einen faktisch durchgeführten Vertrag verlangt (Rn 3). Dem Wort „auch“ lässt sich entnehmen, dass dem HV die Geheimhaltungspflicht schon während des Vertragsverhältnisses obliegt (vertragsbegleitende Verschwiegenheitspflicht).139 Sie trifft ihn hier sogar noch stärker und nach strengeren Maßstäben.140 Denn auch das entspricht der „Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns“; da den HV vertragsbegleitend die Interessenwahrungspflicht trifft, aus welcher die vertragsbegleitende Verschwiegenheitspflicht ebenfalls entnommen wird,141 ist jene auch deshalb stärker als die nachvertragliche.142 Die vertragsbegleitende Verschwiegenheitspflicht erfasst alles, was der Unternehmer für den HV erkennbar geheim halten will.143 Im Zweifel trifft solches auf alle Umstände zu, deren Bekanntwerden dem Unternehmer nachteilig sein kann,144 womit insb. Kundenkreis, Preiskalkulation und Kundenlisten, Entwicklungsvorhaben sowie Marktstrategien des Unternehmers unter die vertragliche Verschwiegenheitspflicht fallen.145 Es widerspricht bereits dem vertragsbegleitenden Geheimnisschutz, ein rechtmäßig bekanntes Geschäftsgeheimnis für eine nachvertragliche Nutzung zu

131 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 12. 132 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 12. 133 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 12; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 15; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90 Rn 2. 134 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 2; Hopt § 90 Rn 4. 135 Oetker/Busche6 § 90 Rn 9. 136 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 8; Hopt § 90 Rn 1. 137 Vgl. Rumpf AcP 119, 88. 138 Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 14, 15. 139 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 2, 5. 140 Klapperich in: Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 252; Ebenroth/Löwisch4 § 86 Rn 14; Hopt § 90 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 90 10, 12. 141 Martinek/Flohr/Pohl Handbuch des Vertriebsrechts3 § 17 Rn 62. 142 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 57. 143 Ebenroth/Löwisch4 § 86 Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 39; zur Verschwiegenheitspflicht bei der HVGmbH: Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 180–188. 144 Ebenroth/Löwisch4 § 86 Rn 14; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 57; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 39. 145 Ebenroth/Löwisch4 § 86 Rn 14. Emde

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konservieren.146 Hat sich der Täter das Geheimnis unbefugt beschafft, ist auch die (spätere) Verwertung unbefugt.147 Die größere Strenge der vertragsbegleitenden Geheimhaltungspflicht im Vergleich zu der nachvertraglichen zeigt sich bei der Kundenliste. Sie ist Betriebsgeheimnis, soweit sie die Beziehungen des Unternehmers zu Kunden ausweist, die nicht ohne weiteres kraft ihrer Branche dem allgemein zugänglichen potentiellen Abnehmerkreis zuzurechnen sind (Rn 11). In diesem Umfange ist die Liste, mag auch der HV die Beziehungen selbst geschaffen haben oder in das Vertreterverhältnis eingebracht haben, während das Bestehens des Vertragsverhältnisses schlechthin geschützt. Der HV darf ihren Inhalt in dem geschützten Umfang anderen nicht bekannt geben, auch die gegen Preisgabe geschützten Kundenbeziehungen nicht zu eigenen, dem Vertreterverhältnis fremden Zwecken auswerten. In der nachvertraglichen Zeit liegt es teilweise anders; darüber Rn 11, 13, 19. Strenger als gegenüber der Zeit nach Beendigung des Vertretervertrages ist die Verschwiegenheitspflicht des HV aber auch insofern, als sie über die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse hinausgeht. Der HV hat, solange er mit dem Unternehmer im Vertrag steht, Schweigen zu bewahren auch über alle sonstigen Umstände, die ihm zur Kenntnis gekommen sind und deren Bekanntwerden dem Unternehmen nachteilig werden könnte. Dazu gehören abfällige Äußerungen Dritter, Aufnahme in „schwarze Listen“, kreditgefährdende Auswirkungen von Vorgängen bei wichtigen Geschäftspartnern u. ä. Der HV dürfte gehalten sein, diese Dinge seinem Unternehmer vertraulich mitzuteilen: nach außen gelangen lassen darf er sie nicht. Ob es sich nur um Gerüchte handelt, die der HV vielleicht nicht einmal für stichhaltig ansieht, macht keinen Unterschied. Ob seine Loyalitätspflicht so weit geht, den Unternehmer gegenüber ungünstigen Behauptungen von dritter Seite in Schutz zu nehmen, lässt sich nicht allgemein sagen. Regelmäßig ist dies der Fall. Der Grund des Vertragsendes ist für die Geheimhaltungspflicht irrelevant.148 Selbst eine Kündigung, die der HV als fristlose wegen groben Vertragsbruchs des Unternehmers auszusprechen Veranlassung hatte, entbindet ihn nicht von der Verschwiegenheitspflicht. Auch die Insolvenz des Unternehmers149 setzt die Geheimhaltungspflicht nicht beiseite, jedoch dessen Liquidation, sofern es keinen Rechtsnachfolger oder in den Schutzbereich einbezogenen Dritten (ggf. verbundene Unternehmen oder Gesellschafter?, gesellschafterfreundlicher Durchgriff) gibt.150 Auch Schadensersatz- oder Ausgleichsansprüche151 einer Partei beseitigen die Geheimhaltungspflicht nicht, da § 90 keine dahingehende Einschränkung enthält, obwohl zumindest Ausgleichsansprüche gesetzestypisch bestehen und damit Anlass zur Regelung bestanden hätte.

H. Widerspruch zur Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns Gem. § 90 ist der HV nach Vertragsende nur dann zum Geheimnisschutz verpflichtet, soweit dies 19 nach den gesamten Umständen der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmannes entspricht. Dies ist eine Lockerung gegenüber dem strengeren, aus § 90 i. V. m. der Interessenwahrungspflicht hergeleiteten vertragsbegleitenden Geheimnisschutz152 („Härtefallregelung“153). Durch diese Einschränkung gewährleistet § 90 die für die Zeit nach Vertragsende notwendige Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Unternehmers und den in gleicher Weise berechtigten Interessen des HV, seine während der vorangegangenen Tätigkeit gewonnenen Kenntnisse 146 147 148 149 150 151 152 153 681

BGH GRUR 2012, 1048; Höld NJW 2016, 2774 (2776) – VV. BGH GRUR 2012, 1048; Höld NJW 2016, 2774 (2776) – VV. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 12; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 16. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 12; Oetker/Busche6 § 90 Rn 9. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 12; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 16. Hopt § 90 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 1. Hopt § 90 Rn 7: „Geheimnisschutz reicht nach Vertragsende weniger weit“. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 14. Emde

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und Erfahrungen bei der Ausübung seines Gewerbes für einen anderen Unternehmer nutzen zu können.154 Das Verbot der Eigennutzung geworbener Kunden würde schwerwiegend in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübung des HV eingreifen, dessen Kundenstamm die Grundlage seiner beruflichen Tätigkeit ist, weswegen er grundsätzlich berechtigt ist, nach Vertragsende die Kunden des bisherigen Geschäftsherrn für einen Konkurrenzunternehmer zu werben,155 ohne gegen die Berufsauffassung ordentlicher HV zu verstoßen.156 Für ein Verbot der Eigennutzung müsste ein erhebliches Interesse bestehen. Außerdem enthält eine solche Vereinbarung regelmäßig ein unter § 90a fallendes nachvertragliches Wettbewerbsverbot.157 Dessen TB-Voraussetzungen müssten mithin erfüllt sein.158 Ein Verstoß gegen eine solche Regelung fehlt, wenn die Kunden ihre Geschäftsbeziehung zu dem Unternehmer ohne Geheimnisbruch endgültig beenden.159 Zur Feststellung, was der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmannes entspricht, sind nach Feststellung der Üblichkeiten am Sitz des HV die Interessen beider Parteien gegeneinander abzuwägen,160 wobei nicht grundsätzlich das Unternehmerinteresse wesentlich überwiegt. Maßstab ist die Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns. In die Abwägung einzustellen sind alle vertraglichen und außervertraglichen Umstände sowie die Wertung des Gesetzes, der zufolge der HV nach Vertragsende grundsätzlich keinem Wettbewerbsverbot unterliegt (§ 90a).161 So kann im Wege einer Interessenabwägung das Geheimhaltungsinteresse des Unternehmers hinter dem Verwertungsinteresse des HV zurücktreten.162 Das OLG Karlsruhe163 hat etwa berücksichtigt, dass eine Weinkellerei den durch den gesetzwidrigen Weinverschnitt verursachten sog. Glukoseskandal zumindest mitverschuldet hat, wodurch der HV einen erheblichen, existenzbedrohenden Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte. Die wirtschaftliche Lage des HV sowie eine erhaltene Abfindungs- oder Ausgleichszahlung können für die Abwägung ebenso von Bedeutung sein wie die branchenfremde Verwertung der Geschäftsgeheimnisse,164 der Umstand, dass der HV für die weitere Berufsausübung auf die Ausnutzung der erworbenen Kenntnisse angewiesen ist.165 Allerdings erlaubt die grundsätzliche Berufsfreiheit des HV ihm nicht, Geheimnisse des Unternehmers zu brechen. Der HV darf daher, sofern er keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot des § 90a unterliegt, zwar um dieselben Kunden wie der vormalige Unternehmer werben.166 Jedoch darf er auch nachvertraglich keine geheimhaltungsbedürftige Informationen zur Geschäftsanbahnung verwenden, etwa Kundenlisten und Kalkulationsgrundlagen. Dass der (ehemalige) HV mit der Absicht der Schädigung des Unternehmers, ja auch nur vorsätzlich tätig werde, ist für die Anwendung der Vorschrift nicht vorausgesetzt; ebenso wenig ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs. Der Bewertungsmaßstab des § 90 ist nicht identisch mit dem Grundsatz des § 3 UWG, welcher auch für den HV nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gilt; denn die Verwertung oder Mitteilung von Geschäftsgeheimnissen kann auch dann kaufmännischer Berufsauffassung widersprechen, wenn sie nicht zu Zwecken des Wettbewerbs erfolgt. Die Verwertung widerrechtlicher Kenntnisse ent-

154 OLG Koblenz NJW-RR 1987, 95 (97); Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 11, 12. 155 BGH ZIP 1993, 703; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 12; Oetker/Busche6 § 90 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 13. 156 S. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 14. 157 OLG Koblenz NJW-RR 1987, 95 (97); Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 13. 158 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 18. 159 BGH ZIP 1993, 703; OLG Koblenz NJW-RR 1987, 95; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 9. 160 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 21. 161 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 14. 162 in: Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 23. 163 Urt. v. 23.7.1986 – 6 U 86/86, n. v.; aA OLG Koblenz, Urt. v. 24.7.1986, NJW-RR 1987, 95 (99). 164 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 24. Regelmäßig wird sie aber nicht mildernd wirken können, zumal ein „Durchsickern“ in die Branche droht. 165 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 14; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 12. 166 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 14. Emde

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spricht regelmäßig nicht der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns.167 Umgekehrt mag eine Offenbarung von Straftaten oder rechtswidrigen Handlungen durchaus dieser Berufsauffassung entsprechen (Rn 14).

I. Zurechnung des Geheimnisverrats des HV zum Unternehmer? Dem (Nachfolge-)Unternehmer ist der Geheimnisverrat des HV nicht über § 8 Abs. 2 UWG zuzu- 20 rechnen, weil es um eine wettbewerbswidrige Verwertung von Geheimnissen des früheren Unternehmers und damit nicht um eine von § 8 Abs. 2 UWG vorausgesetzte Gefährdung durch das arbeitsteilige Zusammenwirken von HV und Unternehmer geht. Der Unternehmer kann jedoch eigenverantwortlich als Störer oder als Tatbeteiligter am Geheimnisverrat haften. Eine Haftung des Unternehmers aus § 8 Abs. 2 UWG kommt in Betracht, wenn der Unternehmer dem HV für „mitgebrachte“ Kunden eine Zusatzprovision von 15 % verspricht.168 Für Spionage oder Geheimnisverrat eines HV haftet also der Inhaber eines hiervon profitierenden Betriebs, falls er den Verstoß fördert.169

J. Verstoß gegen das GeschGehG sowie § 17 UWG Nach § 2 Nr. 1 GeschGehG170 ist ein Geschäftsgeheimnis eine Information, die geheim ist und 21 mittels angemessener Geheimhaltungsmaßnamen durch den rechtmäßigen Inhaber geschützt wird. Infolge dieses Gesetzes ist umstritten, ob ein Großteil bisher geschützter Informationen nicht mehr durch das GeschGehG geschützt ist. Denn § 2 Nr. 1 b GeschGehG fordert, damit ein Geschäftsgeheimnis vorliegt, angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen. Für das Vertriebsrecht ist dies weitgehend irrelevant, da § 90 als lex specialis nicht geändert wurde und daher nach wie vor direkt oder analog anwendbar ist.171 Man wird auch nicht annehmen können, dass die analoge Anwendung des § 90 im Eigenhändlerbereich durch die Spezialität des GeschGehG ausgeschlossen ist. Wahrscheinlich werden auch künftig Informationen wie die Kundenliste des Unternehmers durch das GeschGehG geschützt sein, insb. wenn der Unternehmer den Mittler zu Sicherungsmaßnahmen anhält. Der Mittler kann sich nicht selbst vom Geheimnisschutz dispensieren, indem er sorglos mit der Kundenliste umgeht. Umstritten ist, ob der Geheimnisverrat eine Straftat nach, soweit nach Einführung des 22 GeschGehG noch anwendbar, § 17 UWG bildet. Täter im Sinne des § 17 UWG konnte nach dem früheren Gesetzestext lediglich ein „Angestellter, Arbeiter oder Lehrling“ sein. Wegen des strafrechtlichen Analogieverbots kam eine Anwendung des § 17 UWG auf den HV nicht in Betracht.172 Das RG173 hatte in einer Strafsache entschieden, die strafrechtliche Auslegung des Begriffs sei nicht an die arbeitsrechtliche (und steuerrechtliche) gebunden. Daraus schlossen Schröder174

Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 14; Oetker/Busche6 § 90 Rn 13. BGH, Urt. v. 19.12.2002 – I ZR 119/00, GRUR 2003, 453 (454) = NJW-RR 2003, 833 = EWiR 2003, 731 (Dittmer). Dittmer EWiR 2003, 731 (732). Beruhend auf der EU-RL über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (2016/943). Hierzu etwa Vetter/Lehmann DB 2019, 2507; Ernst MDR 2019, 897; Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288. 171 AA Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288 (292). Nach ihrer Ansicht werde die Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses zwangsläufig auf das Vertriebsrecht übergreifen. Damit gehe einher, dass der Unternehmer nachweisbar die vorgeschriebenen „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ treffen muss. 172 RG LZ 1914, 399; JW 1927, 2387; Martinek/Flohr/Pohl Handbuch des Vertriebsrechts3 § 18 Rn 35; Schmidt-Rimpler S. 88; aA RG MuW 1932, 235 (237); Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 12. 173 JW 1933, 953. 174 § 90 Rn 12.

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und das RG,175 auch der HV unterfalle § 17 UWG. Anders allerdings die den HV betreffenden Stellungnahmen in RG LZ 1914, 399 und JW 1927, 2387 sowie bei Schmidt-Rimpler S. 88. Hingegen wird eine Strafbarkeit nach § 17 Abs. 2 UWG für möglich gehalten.176 Täter eines Geheimnisverrats nach § 17 Abs. 1 UWG kann nach heutiger Gesetzesfassung nur sein, wer bei einem Unternehmen beschäftigt ist, dem das Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis zusteht. Der Begriff des bei einem Unternehmen Beschäftigten i. S. v. § 17 Abs. 1 UWG ist weit auszulegen.177 Selbständige Gewerbetreibende178 oder HV179 sollen nach wohl h. M. gleichwohl nicht darunter fallen. Nachdem jetzt als tauglicher Täter aber ganz allgemein eine bei einem Unternehmen im Rahmen eines Dienstverhältnisses beschäftigte Person genannt wird und der HV-Vertrag ein Dienstverhältnis (mit Geschäftsbesorgungscharakter) ist, wird auch der HV tauglicher Täter sein können.180 Aus dem Wort „beschäftigt“ wird man nicht entnehmen können, dass es sich zwingend um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handeln muss. Auch eine Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist möglich.181 „Täter“ i. S. d. § 17 Abs. 2 UWG kann „jeder“ sein.182 Der Täterbegriff erfasst auch ausgeschiedene HV und ist deshalb von praktischer Relevanz.183 Die Überprüfung der Wettbewerbswidrigkeit soll zweistufig erfolgen: Zunächst ist die Frage zu klären, ob der ehemalige Mittler die streitbefangenen Daten überhaupt zur Verfügung haben durfte. Wird schon diese Frage verneint, handelt er wettbewerbswidrig. Wird die Frage bejaht, ist weiter zu überprüfen, ob die rechtmäßig verfügbare Information zu Akquisezwecken genutzt werden darf.184 In der Praxis erfolgt meistens der zweite Prüfungsschritt, weil er zu praktikablen Ergebnissen führt und oft den visibelsten Verstoß darstellt. Regelmäßig fehlt das öffentl. Interesse an einer Strafverfolgung nach § 376 StPO; die Unternehmer sind auf den meist – nicht eingeschlagenen – Privatklageweg zu verweisen.185

K. Folgen einer Verletzung des Geheimnisschutzes 23 Verletzt der HV die Verschwiegenheitspflicht, so macht er sich schadenersatzpflichtig,186 und zwar gem. § 280 Abs. 1 BGB, § 826 BGB, § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen zum eingerich-

175 MuW 1932, 235 (237) – Zivilsache. 176 BGH GRUR 2003, 453 (454); OLG Hamm, Urt. v. 14.4.2016 – I-18 U 11/16; Höld NJW 2016, 2774 (2776); Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 16. 177 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte). Hier wird allerdings die Qualifikation eines HV als Täter abgelehnt. 178 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler UWG27 § 17 Rn 14; Piper/Ohly/Ohly UWG 4. Aufl. § 17 Rn 13; MünchKomm/ UWG/Brammsen § 17 Rn 32. 179 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Blankenburg VersR 2010, 581 (582) – für den VV; Fezer/Rengier UWG § 17 Rn 29; Harte-Bavedamm/Harte/Hennig/ Harte-Bavedamm UWG § 17 Rn 8. 180 So wohl auch Höld NJW 2016, 2774 (2776). 181 BGH, Urt. v. 19.12.2002 – I ZR 119/00, NJW-RR 2003, 833 = GRUR 2003, 453 (454) = WRP 2003, 642; Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232); Höld NJW 2016, 2774 (2776); Blankenburg VersR 2010, 581 (582) – für den VV; Flohr/ Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 4. 182 Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Harte-Bavedamm UWG, § 17 Rn 27; Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 17 Rn 37. 183 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (232). 184 BGH GRUR 2012, 1048; Höld NJW 2016, 2774 (2776). 185 Blankenburg VersR 2010, 581 (584). 186 OLG Hamm, Urt. v. 19.3.2009 – 18 U 137/08, BeckRS 2009, 24245; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15; Klapperich in: Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 252; Martinek/Flohr/Pohl Handbuch des Vertriebsrechts3 § 17 Rn 63; Ensthaler/Genzow § 90 Rn 7; Hopt § 90 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 27. Emde

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teten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Darüber hinaus ist § 90 Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB.187 Der Schadenersatz richtet sich auf das negative Interesse. So namentlich bei Fahrlässigkeit; die Einstandspflicht für Agenturpersonal und Untervertreter188 nach § 278 BGB kann hier besondere Bedeutung gewinnen. Der HV braucht Untervertretern189 oder Mitarbeitern den Schutz der Geheimnisse des Unternehmers nicht ausdrücklich aufzuerlegen; dieser Schutz obliegt ihnen kraft Gesetzes (allerdings nur gegenüber ihrem Vertragspartner), dem Untervertreter mittelbar aus § 90. Gem. § 90 sowie § 1004 BGB bestehen Unterlassungsansprüche,190 ferner Beseitigungsansprüche.191 Denn der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch ist wesensmäßig ein „Minus“ zum Schadenersatzanspruch. Wer einen Schadensersatzanspruch zulässt, muss konsequenterweise auch diese Ansprüche befürworten. Handelt der HV zum Zwecke des Wettbewerbs, besteht ein Schadenersatzanspruch nach § 3 UWG.192 Das OLG Hamm193 entnahm § 90 HGB i. V. m. §§ 1004 BGB, 8 Abs. 1 S. 1 i. V. m. §§ 3, 4 Nr. 10, 11 UWG sowie §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 17 Abs. 2 UWG bzw. §§ 202a, b StGB, dass es einem ehemaligen HV des Unternehmers untersagt ist, Kunden des Unternehmers zu kontaktieren, mit ihnen Verträge abzuschließen, Schadensfälle zu bearbeiten, sich ihnen als Betreuer, Sachbearbeiter oder Ansprechpartner zu benennen oder zur Verfügung zu stellen oder Dritte damit zu beauftragen, die vorgenannten Handlungen vorzunehmen. Eine Pflicht zur Herausgabe des Erlangten kann sich aus § 667 BGB ergeben, da HV-Verträge – ebenso wie HV-ähnliche Vertriebsverträge – als Geschäftsbesorgungsverträge einzuordnen sind.194 Die Pflicht zur Herausgabe trifft etwa genutzte Kundendaten,195 nicht aber den Ausgleichsanspruchs (wegen seiner anderweitigen Zielsetzung).196 Muss der HV nach Vertragsende gem. § 667 BGB die Kundendaten herausgeben, darf er sie auch nicht behalten und verwerten.197 Im Übrigen stellt das Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis ein Rechtsgut des Unternehmers dar; rechtswidrige Verwertung derselben kann daher auch als Führen eines fremden Geschäfts im eigenen Interesse nach §§ 667, 687 Abs. 2 BGB erscheinen und gleichfalls die Pflicht zur Herausgabe des Erlangten begründen.198 Grundsätzlich regelt § 90

187 BGH NJW 2009, 1420 (1422); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 18; Ensthaler/Genzow § 90 Rn 7.

188 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 15. 189 AA Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 15. 190 LG Berlin, Beschl. v. 5.1.2006 – 16 O 5/06, n. v.; Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233); Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 40 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15; Hopt § 90 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 26; unter Verweis auf § 823 Abs. 2 BGB und § 8 UWG so wohl auch Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 18. 191 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (234). 192 OLG Hamm, Urt. v. 14.4.2016 – I-18 U 11/16; Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233); Oetker/Busche6 § 90 Rn 17. 193 Urt. v. 14.4.2016 – I-18 U 11/16 – wohl recht weitgehend. 194 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06 Rn 19/20, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.6.2009 – 7 U 24/09, BeckRS 2011, 15930 – zum Maklervertrag; Flohr/ Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15. 195 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte) (für einen Verstoß nach § 17 UWG); OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.6.2009 – 7 U 24/09, BeckRS 2011, 15930 – zum Maklervertrag; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 6. 196 Schröder DB 1964, 323 (325); Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 42. 197 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06 Rn 19/20, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Höld NJW 2016, 2774 (2777). 198 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); v. 28.1.1993 – I ZR 294/90, NJW 1993, 1786 (1787); v. 10.5.1995 – VIII ZR 144/94, NJW-RR 1995, 1243 f.; Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (234); Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 18; Ensthaler/Genzow § 90 Rn 7; Oetker/Busche6 § 90 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 17 ff. 685

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jedoch nur das Verwertungsverbot;199 zur vertraglichen Herausgabepflicht s. d. Kommentierung zu § 86. Verbotswidrig gefertigte Aufzeichnungen, Fotokopien und dergleichen sind nach Wahl des Unternehmers herauszugeben oder zu vernichten (Beseitigungsanspruch200). Der Unternehmer kann vom HV gem. §§ 242, 259, 260 BGB Auskunft fordern,201 insb. über Geschäfte, die mit Hilfe eines Verstoßes gegen § 90 geschlossen wurden, sofern hierdurch ein Schadenersatzanspruch möglich erscheint202 (zum Parallelproblem bei der Auskunft infolge eines Verstoßes gegen das Konkurrenzverbot des § 86 s. d. Kommentierung zu § 86). Der Auskunftsanspruch ist nicht bloß auf das beschränkt, was man ohnehin schon weiß oder vermutet. Vielmehr erfasst er auch im Kern gleichartige Verletzungshandlungen (sog. kerngleiche Verstöße).203 Hierunter versteht man Handlungen, in denen das charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Im Fall des Verrats von Kundendaten oder Vertragsinhalten aus einem Geschäftsbereich des Unternehmens würde z. B. auch zulässig sein, danach zu fragen, ob noch Daten (Kunden-/Objektdaten und Vertragsinhalte) aus anderen Geschäftsbereichen verwertet wurden.204 Ist der Verletzte ein ehemaliger Vertragspartner des Auskunftssuchenden, etwa ein HV, geht der Auskunftsanspruch sogar noch über den Anwendungsbereich der kerngleichen Verletzungshandlung hinaus.205 Zudem darf der Unternehmer den Verstoß zum Anlass nehmen, dass Vertragsverhältnis fristlos zu kündigen,206 wobei je nach der Schwere des Verstoßes das Vertrauensverhältnis so erheblich gestört sein kann, dass eine Abmahnung nicht erforderlich ist. Sie ist ohnehin sinnlos, wenn der Geheimnisbruch geschehen ist und sich durch eine Abmahnung nicht mehr verhindern lässt. Abmahnungsbedürftig sind nur die Fälle, in denen der Geheimnisbruch keine erhebliche Schwere erreicht und folglich nicht zur sofortigen Kündigung berechtigt. Auch darf eine Vertragsstrafe für den Fall der Verletzung vereinbart werden.207 Im Falle eines Verstoßes gegen § 17 UWG folgt ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 S. 1 i. V. m. §§ 3, 4 Nr. 11 UWG.208 § 17 UWG verdrängt die Generalklausel des § 3 UWG nicht. Vielmehr sind beide Tatbestände selbstständig und nebeneinander zu prüfen.209 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nach § 4 Nr. 11 UWG sind etwa Kundenlisten (auch solche nur potentieller Kunden), Umsätze, Ertragslage, Kalkulationsunterlagen, Konditionen, Marktstrategien, Prozessbeschreibungen, Prozesskosten, Gemeinkosten, Absatzmenge, Kosten und Deckungsbeiträge, Werbemethoden, Zahlungsbedingungen sowie im Rahmen von Ausschreibungen erlangte Angebotsunterlagen eines Unternehmens.210 Die Verpflichtung zum Schadensersatz ergibt sich aus § 9 S. 1 UWG.211 Herausgabe oder Vernichtung der geheimen Informationen, etwa Kunden-

199 Vgl. Hopt § 86 Rn 17. 200 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15; Hopt § 90 Rn 8. 201 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233). 202 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = NJW 2009, 1420 (1422) = EWiR 2009, 677 (Korte); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15. 203 BGH, Urt. v. 23.2.2006 – I ZR 27/03, GRUR 2006, 504 Rn 34; Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233). 204 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233). 205 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233). 206 BGH, Urt. v. 5.2.1959 – II ZR 107/57, NJW 1959, 878; OLG Nürnberg, Urt. v. 18.9.1958, BB 1958, 1151 = MDR 1959, 929; Klapperich in: Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 252; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 17. 207 Martinek/Flohr/Pohl Handbuch des Vertriebsrechts3 § 17 Rn 63. 208 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); LG Hagen, Urt. v. 22.8.2012 – 10 O 149/12, BeckRS 2016, 05942; Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233); Blankenburg VersR 2010, 581 (584). 209 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (233). 210 Czernik ZVertriebsR 2015, 231. 211 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (234); Blankenburg VersR 2010, 581 (584). Emde

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daten, Aufzeichnungen, Dateien oder anderer Verkörperungen der geheimen Information kann mit dem Anspruch auf Beseitigung nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG verlangt werden.212 Über § 8 Abs. 1 UWG kann auch verlangt werden, dass eine unter Verstoß gegen § 17 UWG begründete Kundenbeziehung aufgelöst wird.213 Darüber hinaus können Ansprüche nach der DSGVO entstehen, sofern die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nicht nach dieser zulässig ist.214 Mangels Sonderrechtsbeziehung scheiden Ansprüche gegen den Mitteilungsempfänger 24 als Dritten aus (s. a. Rn 20).215 Dieser kann dem Unternehmer jedoch aus Delikt, etwa § 826 BGB, und zudem als Anstifter, Beihelfer oder Mittäter aus unerlaubter Handlung zum Schadenersatz verpflichtet sein, wenn er im kollusiven Zusammenwirken mit dem HV den Geheimnisverrat vornahm oder den HV hierzu angestiftet hat (§ 840 Abs. 1 BGB).216 Unter diesen Umständen können auch andere Dritte haften.217

L. Verfahrensrechtliche Durchsetzung Die Bekanntgabe, Nutzung oder Verwertung von Geschäftsgeheimnissen des Unternehmers 25 gem. § 90 darf dem HV in Form eines Unterlassungsanspruchs gerichtlich untersagt werden. Beispiele: im Falle der drohenden oder erfolgten Verwertung der Kundendaten, falls der HV nach seinem Ausscheiden Kundendaten218 oder Kundenlisten des früheren Unternehmers, die er unbefugt an sich gebracht hat, zum Zwecke des Wettbewerbs für ein Konkurrenzunternehmen nutzt.219 Der Anspruch ist mittels einstweiliger Verfügung sicherbar,220 sofern der Unternehmer die Verwertung glaubhaft macht.221 Beantragt der Unternehmer eine einstweilige Verfügung, braucht dem Verfügungsantrag keine Liste mit Namen und Anschriften der Kunden beigefügt zu werden, auf die sich das Verwertungsverbot des HV bzw. seine Geheimhaltungspflicht bezieht. Anderenfalls würde gerade durch die Antragstellung eine besondere Gefährdung der Interessen des Unternehmers eintreten, zu deren Schutz das einstweilige Verfügungsverfahren dient.222 Wird die Unterlassung der Verwendung einer Kundenliste verlangt, muss sie in einer die Zwangsvollstreckung ermöglichenden Weise unter bestimmbarer Beschreibung der Kunden beschrieben werden.223 Im Antrag einer Klage muss auch widergegeben werden, wen der (ehemalige) Agent zu welcher Zeit auf welcher Informationsbasis mit welcher Verfahrensweise nicht kontaktieren darf.224

212 BGH, Urt. v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, NJW 2009, 1420 = DB 2009, 839 = WRP 2009, 613 = EWiR 2009, 677 (Korte); Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (234). 213 Czernik ZVertriebsR 2015, 231 (234). 214 Höld NJW 2016, 2774 (2779). 215 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 29. 216 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 29. 217 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 15. 218 LG Köln, Urt. v. 21.1.2010 – 31 O 675/09; 31 O 678/09. 219 OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.7.2002 – 1 U 901/01, GRUR-RR 2002, 359; LG Hagen, Urt. v. 22.8.2012 – 10 O 149/ 12, BeckRS 2016, 05942. 220 LG Hagen, Urt. v. 22.8.2012 – 10 O 149/12, BeckRS 2016, 05942 zu UWG-Ansprüchen – Anspruch wegen fehlenden Verfügungsgrundes verneint; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 8. 221 LG Berlin, Beschl. v. 5.1.2006 – 16 O 5/06, n. v. 222 BAG, Urt. v. 15.12.1987 – 3 AZR 474/86, DB 1988, 1020, v. 6.11.1963 – 1b ZR 41/62, 40/63, DB 1963, 1758; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90 Rn 8. 223 OLG Brandenburg, Urt. 22.4.2010 – 6 U 18/10, WRP 2011, 510; OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.12.2010 – 20 U 18/10, BeckRS 2011, 07387; Höld NJW 2016, 2774 (2778) – VV. 224 Höld NJW 2016, 2774 (2778). 687

Emde

§ 90

1. Buch. Handelsstand

M. Abweichende Vereinbarungen 26 § 90 ist dispositiv.225 Von ihm kann daher zumindest durch Individualvertrag abgewichen werden, und zwar bis zur Grenze der Verbotsnormen, etwa §§ 134, 138, 242, 226 BGB.226 Wird ein über § 90 hinausgehender nachvertraglicher Geheimnisschutz vereinbart,227 nähert sich die Klausel unter Umständen einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot (§ 90a) und müsste dessen TB-Voraussetzungen erfüllen.228 Dazu müsste die Abrede sich aber wie eine Wettbewerbsabrede i. S. d. § 90a auswirken. Ich habe Zweifel, ob bei jedem noch so geringen Überschreiten der tatbestandsmäßigen Grenzen des § 90 gleichsam „automatisch“ eine Wettbewerbsabrede nach § 90a vorliegt. Vertreten lässt sich dies gleichwohl, weil der über den Wortlaut des § 90 hinausgehende Teil der Abrede sich als partielle Beschränkung des Erwerbs auswirken kann. Zu AGB Vor § 84 Rn 79 ff., Stichworte „Kundenadressen“, „Geschäftsgeheimnisse“).

N. Beweislast 27 Der Unternehmer muss beweisen, dass es sich um ein dem HV anvertrautes oder durch seine Tätigkeit bekannt gewordenes Geheimnis handelt und dieses offenbart bzw. verwertet wurde,229 zudem den Fortbestand (in Abgrenzung zur Aufhebung, s. u.) der Geheimhaltungspflicht.230 Der HV muss diejenigen Umstände, aus denen sich ausnahmsweise die fehlende Geheimhaltungsbedürftigkeit, Offenkundigkeit oder die Aufhebung bzw. die Verpflichtung zur Aufhebung der Geheimhaltung ergeben sollen darlegen und beweisen.231 Macht der HV geltend, dass der Unternehmer auf die Geheimhaltung keinen Wert gelegt hat oder der Unternehmer kein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung hat, so trifft die Beweislast gleichfalls den HV.232 Beide Parteien können sich auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises berufen.233

225 Otte-Gräbener/Kutscher-Puis ZVertriebsR 2019, 288 (292); Oetker/Busche6 § 90 Rn 20; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 18. 226 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 18; Oetker/Busche6 § 90 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 31. 227 Zu einem solchen Fall LG Hagen, Urt. v. 22.8.2012 – 10 O 149/12, BeckRS 2016, 05942. 228 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 19, 13; Oetker/Busche6 § 90 Rn 20 (regelmäßig bei Überschreiten der tatbestandlichen Grenzen des § 90); Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 18. 229 BGH, Urt. v. 10.5.1995 – VIII ZR 144/94, BB 1995, 1437; Mautz/Löblich MDR 2000, 67, (71, 72); Küstner/Thume/ Schröder I5 Kap. X Rn 28 zur Kundenliste; Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 17; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 21; Oetker/Busche6 § 90 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 14. 230 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 21 (nur Darlegungspflicht des HV). 231 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 17; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 21 (nur Darlegungspflicht des HV); Oetker/Busche6 § 90 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 14. 232 Flohr/Wauschkuhn/Weske Vertriebsrecht2 § 90 Rn 17; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 21; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 28. 233 Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 21; Oetker/Busche6 § 90 Rn 19. Emde

688

§ 90a [Wettbewerbsabrede] (1)

1

Eine Vereinbarung, die den Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt (Wettbewerbsabrede), bedarf der Schriftform und der Aushändigung einer vom Unternehmer unterzeichneten, die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden Urkunde an den Handelsvertreter. 2Die Abrede kann nur für längstens zwei Jahre von der Beendigung des Vertragsverhältnisses an getroffen werden; sie darf sich nur auf den dem Handelsvertreter zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis und nur auf die Gegenstände erstrecken, hinsichtlich deren sich der Handelsvertreter um die Vermittlung oder den Abschluß von Geschäften für den Unternehmer zu bemühen hat. 3Der Unternehmer ist verpflichtet, dem Handelsvertreter für die Dauer der Wettbewerbsbeschränkung eine angemessene Entschädigung zu zahlen. (2) Der Unternehmer kann bis zum Ende des Vertragsverhältnisses schriftlich auf die Wettbewerbsbeschränkung mit der Wirkung verzichten, daß er mit dem Ablauf von sechs Monaten seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung frei wird. (3) Kündigt ein Teil das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des anderen Teils, kann er sich durch schriftliche Erklärung binnen einem Monat nach der Kündigung von der Wettbewerbsabrede lossagen. (4) Abweichende für den Handelsvertreter nachteilige Vereinbarungen können nicht getroffen werden.

Schrifttum Hohn Wettbewerbsverbote für Arbeitnehmer und Handelsvertreter, DB 1963 1500, 1538; DB 1967 1852, 1895; Martin Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters und Wettbewerb zum Nachteil des Unternehmers, VersR 1968 117; Ordemann Die Entschädigung des Handelsvertreters für Wettbewerbsbeschränkungen (§ 90a HGB), BB 1965 932; Schröder Wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Ausgleichsleistung? BB 1960 605.

Übersicht 1

c)

A.

Einordnung

B.

Wettbewerbsverbote unter dem Grundsatz 2 der bezahlten Karenz

C.

Konkurrenzen

D.

Gesetzgebungsgeschichte

E.

Europarechtliche Präformation

F.

Zweck

G.

Der Tatbestand des § 90a

I. 1.

7 Absatz 1 8 Satz 1 8 a) Vereinbarung b) Handelsvertreter (persönlicher Anwen9 dungsbereich)

3 4 5

6 2. 7

689 https://doi.org/10.1515/9783110744385-005

Analoge Anwendung auf handelsvertreter18 ähnliche Vertriebsmittler d) Beschränkung der gewerblichen Tätig19 keit 24 e) Wettbewerbsabrede f) Nach Beendigung des Vertragsverhältnis25 ses g) Vom Unternehmer unterzeichnete, die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden Ur26 kunde 27 h) Schriftform 29 i) Aushändigung der Urkunde 30 Satz 2 a) Geltungsdauer (zeitliche Beschrän30 kung) aa) „Längstens zwei Jahre von der Beendigung des Vertragsverhältnisses 30 an“ bb) Folgen des Verstoßes gegen die Gel31 tungsdauer

Emde

§ 90a

1. Buch. Handelsstand

b)

3.

II. 1. 2.

Räumlich-gegenständliche Beschränkung („nur auf den dem Handelsvertreter zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis und nur auf die Gegenstände erstrecken, hinsichtlich deren sich der Handelsvertreter um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften für den Unternehmer zu be32 mühen hat“) 33 aa) Bezirk oder Kundenkreis bb) Gegenständliche Beschränkung „Ge34 genstände“ 35 cc) Erstrecken dd) Rechtsfolgen des Verstoßes gegen die räumlich-gegenständliche Be36 schränkung 37 Satz 3 a) Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädi37 gung aa) Gesetzliche und vertragliche Grund37 lage 40 bb) Angemessene Entschädigung 47 cc) Fälligkeit b) Übergang von Rechten und Pflich48 ten c) Rechtliche Schranken und die Folgen ihrer 49 Nichtbeachtung 49 aa) Nichtigkeit (1) Nichtigkeit nach §§ 90a, 134 49 BGB (2) Nichtigkeit nach § 138 51 BGB bb) Unwirksamkeit gemäß § 307 52 BGB 53 cc) Kartellrecht dd) Folge der Nichtigkeit für den Gesamt54 vertrag 55 ee) Schadenersatz

III. 1.

56 Absatz 2 Verzicht des Unternehmers auf die Innehaltung 56 der Wettbewerbsabrede 57 Tatbestandsvoraussetzungen

2.

59 Absatz 3 59 Lossagung von der Abrede (Abs. 3) a) Kündigung aus wichtigem Grund wegen 60 schuldhaften Verhaltens 61 b) Form und Frist c) Anwendung auf andere Fälle als der Kündi62 gung nach § 89a 63 d) Wirkungen 64 Sonstige Beendigungsgründe? a) Aufhebung der Wettbewerbsab64 rede 65 b) Außerordentliche Kündigung c) Gegenstandsloswerden der Wettbewerbsabrede infolge Todes oder Geschäftsauf66 gabe? 67 d) Insolvenz 67 aa) Insolvenz des Unternehmers (1) Vertragsbeendigung durch Ver68 fahrenseröffnung (2) Verfahrenseröffnung nach Ver71 tragsbeendigung bb) Insolvenz des Handelsvertre75 ters 76

IV.

Abs. 4

H.

Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbs77 abrede

I.

Zuwiderhandlungen von Seiten des HV

II.

Zuwiderhandlungen von Seiten des Unterneh79 mers

I.

Verjährung

80

J.

Beweislast

81

K.

Gerichtliche Durchsetzung und einstweilige 82 Verfügung

78

A. Einordnung 1 Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot des § 90a schließt sich zeitlich an das von ihm zu separierende,1 aus der Interessenwahrungspflicht des § 86 Abs. 1 hergeleitete vertragsbegleitende an und setzt es ggf. fort. § 90a regelt nur das nachvertragliche Wettbewerbsverbot. Es ist von der während der Vertragsdauer ausgesprochenen Freistellung (s. Kommentierung zu § 89) zu unterscheiden. Sie löst die Rechtsfolge des § 90a nicht aus;2 dem HV steht aber eine Freistellungsvergütung zu. Mit Vertragsende darf der HV gesetzestypisch in Wettbewerb zum Unterneh1 Hopt § 90a Rn 1. 2 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 15. Emde

690

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 90a

mer treten,3 selbst wenn ihm ein Ausgleich nach § 89b gewährt wurde (s. u., Rn 3 sowie d. Kommentierung zu § 89b). Einen generellen Anspruch auf Erhalt seines Kundenkreises besitzt der Unternehmer nicht.4 Eine solche Wettbewerbssituation tritt häufig ein. Einem gut vernetzten HV gelingt es nach Vertragsende oft, die Kunden bei sich und bei seinem neuen Prinzipal zu halten.5 Auch ein dem HV lediglich für die Vertragszeit auferlegtes vertragliches Wettbewerbsverbot wirkt nicht nach Vertragsende fort; für eine gegenteilige Auslegung müsste es klare Anhaltspunkte geben.6 Der HV, dem kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot auferlegt worden ist, bleibt deshalb berechtigt, nach Vertragsende Kunden des bisherigen Geschäftsherrn zu bewerben.7 Im Zweifel ist ein Wettbewerbsverbot lediglich als vertragsbegleitendes einzuordnen. Jedoch muss der HV nachvertraglich die Schranken der Gesetze beachten,8 etwa den Geheimnisschutz nach § 90, die Vorschriften des UWG,9 §§ 138, 242 BGB,10 das Verbot des Verleitens der Kunden zum Vertragsbruch11 oder die jeweiligen Standesrichtlinien, z. B. die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, diese jedenfalls dann, wenn sie Vertragsbestandteil wurden. Während des laufenden Vertrages erhält der HV als Entschädigung den vereinbarten Verdienst, nach Vertragsende wird ihm, wenn ihm ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot auferlegt wird, für das hiermit verbundene zumindest partielle Berufsverbot eine Karenzentschädigung gewährt, ohne die das (teilweise) Berufsverbot unzulässig wäre (Art. 12 GG12). § 90a ist damit Ausprägung des Art. 12 GG; die Norm besagt eine Selbstverständlichkeit, nämlich, dass niemand unangemessen und ohne Entschädigung an seinem beruflichen Erwerb gehindert werden soll. Der Schutzgedanke des § 90a ist weit auszulegen, auch über den von ihm erfassten „Normalfall“13 hinaus. Fehlt eine vertragliche Vereinbarung über das nachvertragliche Wettbewerbsverbot, ist der HV in einer Wettbewerbstätigkeit frei.

B. Wettbewerbsverbote unter dem Grundsatz der bezahlten Karenz Das Interesse des Unternehmers, zu verhindern, dass die in seinen Diensten stehenden Perso- 2 nen nach Ausscheiden zu ihm in Wettbewerb treten und erlangte Fertigkeiten, Kenntnisse und Verbindungen auch jenseits der eigentlichen Betriebsgeheimnisse (§ 90) zu seinem Schaden nutzen können, ist in Grenzen legitim.14 Dieses Interesse liegt umso höher, je stärker die persönlichen Beziehungen zwischen HV und Kunden sind. Ihm trugen schon früher die §§ 74 ff. für Handlungsgehilfen und trägt § 110 GewO für die Gewerbegehilfen durch die Möglichkeit der vertraglichen Unterwerfung unter ein Wettbewerbsverbot Rechnung. Solche

3 Blankenburg VersR 2010, 581 (582) – für den VV; Hohn DB 1963, 1540; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 1; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 5; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 2; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 6; Hopt § 90a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 2. 4 BGH NJW 1993, 1786. 5 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 5. 6 OLG Düsseldorf HVR Nr. 1081; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 12; Oetker/Busche6 § 90a Rn 14. 7 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.3.2003 – 16 U 139/02, OLGR 2003, 252. 8 OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.3.2003, OLGR 2003, 252; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 6. 9 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 2, 7. 10 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 2. 11 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 2. 12 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469. Dass der Schutzbereich des Art. 12 GG berührt ist, setzt auch LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (312) m. Anm. Martenstein voraus. 13 Canaris § 17 Rn 124. 14 Linder SpV 2014, 15; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 2. 691

Emde

§ 90a

1. Buch. Handelsstand

Regelungen standen und stehen zum Schutz des wirtschaftlich meist unterlegenen15 HV unter dem Grundsatz der zeitlichen Befristung und unter dem Gebot der bezahlten Karenz, da anderenfalls, schon um den HV an einer Kündigung und der Verwertung der erworbenen Kenntnisse zu hindern, jeder Unternehmer ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vorschreiben würde. Der Gesetzgeber suchte einen Mittelweg16 und hat dabei die Interessen beider Parteien abgewogen17: Derartige Abreden wurden nicht wie in Österreich verboten,18 aber strengen Voraussetzungen und der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung unterworfen.

C. Konkurrenzen 3 Betätigungen, die dem HV schon gesetzlich untersagt sind (Rn 1) – unlauterer Wettbewerb, Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§ 90) – werden durch § 90a nicht erfasst. Sie sind auch ohne Wettbewerbsverbot und Karenzentschädigung unzulässig. Geht die vereinbarte nachvertragliche Beschränkung über das gesetzliche Geschuldete hinaus, ist sie an § 90a zu messen.19 Die Zahlung des Ausgleichs führt zu keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot,20 weil dieser als Gegenleistung für den vertraglich nicht geschuldeten Aufbau des Kundenstammes (s. d. Kommentierung zu § 89b) und nicht für ein Wettbewerbsverbot geleistet wird. Ob die §§ 74 ff. im Rahmen des § 90a analog angewandt werden können ist umstritten. Teils wird dies wegen der bewussten Regelungslücke21 generell verneint22 (auch keine Anwendung über §§ 138, 242 BGB),23 teils im Einzelfall abgelehnt, etwa für § 74a Abs. 2,24 insb. S. 2,25 § 74c Abs. 1 S. 1.26 Andererseits wird die Anwendung der §§ 74a Abs. 1 S. 127 befürwortet, wobei sich die Regelung des § 74a Abs. 1 S. 1 bereits aus Art. 12 GG ergeben dürfte.28 Richtigerweise ist dies im Einzelfall unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der jeweiligen Norm zu prüfen. So dürfte etwa die Auskunftspflicht des § 74c Abs. 2 des zum Wettbewerbsverbot Verpflichteten über anderweitigen Erwerb analog anwendbar sein, sofern es ausnahmsweise auf einen solchen grds. unbeachtlichen Erwerb (Rn 38) ankommt. Insbesondere ist bei Identität der TB-Merkmale ein Rückgriff auf die Literatur und Rechtsprechung zu den §§ 74 ff zulässig.29

15 16 17 18 19 20

Hopt § 90a Rn 2. Hopt § 90a Rn 2. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 2. Oetker/Busche6 § 90a Rn 3. Hopt § 90a Rn 6. BGH BB 1989, 1576; Hohn DB 1967, 1897; Schröder DB 1964, 324; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 20; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 2; Hopt § 90a Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 40. 21 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 6. 22 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 4; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 3; Hopt § 90a Rn 9; Oetker/ Busche6 § 90a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 1. 23 Hopt § 90a Rn 9; Oetker/Busche6 § 90a Rn 5. 24 OLG Nürnberg BB 1960, 1261; Hopt § 90a Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 9. 25 BAG NJW 1964, 1641; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 8; Hopt § 90a Rn 9. 26 BGHZ 63, 353 (355) = NJW 1975, 388 (389); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 31; Hopt § 90a Rn 9; Oetker/Busche6 § 90a Rn 5; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 14; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 90a Rn 44. 27 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 22. 28 Vgl. Gehle DB 2010, 1981. 29 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 8. Emde

692

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 90a

D. Gesetzgebungsgeschichte Für HV galt bis zur Novelle 1953 der Grundsatz der bezahlten Karenz nicht. Während des Ver- 4 tragsverhältnisses unterlag (und unterliegt) er einem Wettbewerbsverbot kraft seiner allgemeinen Loyalitätspflicht – jetzt normiert als Interessenwahrnehmungspflicht des § 86a. Nach Ende desselben war (und ist) der HV durch wettbewerbliche Rücksichten gegenüber dem früheren Unternehmer grundsätzlich nicht gebunden. Bindungen solcher Art müssen vielmehr vertraglich vereinbart sein. Früher konnten vertragliche Wettbewerbsbeschränkungen frei und ohne den Zwang zur Entschädigung akkordiert werden; sie unterlagen nur der Schranke des § 138 BGB.30 Seit 1953 ist, in Anerkennung der Schutzbedürftigkeit des HV gerade auf diesem Gebiet, durch § 90a die Rechtslage derjenigen der Handlungsgehilfen angeglichen. Ein Rückgriff auf die dortige Rspr. ist also partiell möglich.31 Die Angleichung hat nicht weniges aus der Regelung für die Handlungsgehilfen übernommen, unterscheidet sich jedoch von ihr in charakteristischen Einzelzügen. Denn vieles aus dem Recht der Handlungsgehilfen ist nicht abgebildet worden, etwa die Anrechnung anderen Erwerbs auf die Karenzentschädigung (§ 74c Abs. 1, S. 1), der Mindestsatz der Entschädigung (§ 74 Abs. 2), die Prüfung auf ein berechtigtes geschäftliches Interesse des Unternehmers und auf unbillige Erschwerung des Fortkommens des Gebundenen (§ 74a Abs. 1 S. 1, 2), das Verbot der Wettbewerbsabrede bei sehr niedrigem Einkommen oder unter Ehrenwort zu Lasten Dritter (§ 74a Abs. 2), der ausdrückliche Vorbehalt zu Gunsten des § 138 BGB (§ 74a Abs. 3), die Einschränkung der Abrede nach Vertragskündigung durch den Unternehmer (§ 75 Abs. 2), das Verbot der Erweiterung der Vertragsstrafenfolgen (§ 75c Abs. 1). Dem HV als selbständigen Gewerbetreibenden mutet das Gesetz mehr Vertragsfreiheit und Vertragsrisiko als dem Handlungsgehilfen zu.32 Um den Regeln der RL zu entsprechen, wurde bestimmt, dass sich die Wettbewerbsabrede auf den Bezirk oder Kundenkreis des Vertreters zu beschränken hatte. Durch das am 1.7.1998 in Kraft getretene HRefG vom 22.6.199833 sind gemäß Vorschlag der Bundesregierung34 der bisherige Abs. 2 S. 2 aufgehoben und Abs. 3 neu gefasst worden.35 Mit der Novellierung wurde ferner die Verfassungswidrigkeit des bisherigen Abs. 2 S. 236 beseitigt.37 Nach Abs. 2 S. 2 a. F. hatte, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grunde wegen schuldhaften Verhaltens des HV kündigte, der HV keinen Anspruch auf Entschädigung. Allerdings blieb in diesem Falle das Wettbewerbsverbot bestehen; die Vorschrift beschränkte sich auf die Aberkennung des Anspruchs auf Karenzentschädigung, was das BVerfG38 für unzulässig erklärte. Durch Erstreckung des bisher nur für den HV geltenden Abs. 3 auch auf den Unternehmer werden beide Vertragsparteien nun für den Fall der außerordentlichen Kündigung des Vertrags aus wichtigem, von der Gegenpartei zu vertretendem Grund, gleich gestellt. Die Neufassung gilt seit dem 1.1.1994 für alle an diesem Tag bestehenden Verträge.39 Die Novellierung ist infolge gleichzeitiger Änderung des Art. 29a EGHGB ferner auf Ansprüche aus vor dem 1.7.1998 begründeten Verträgen anzuwenden, über die an diesem Tag noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist.40

30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 693

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner2 § 90a Rn 1; Oetker/Busche6 § 90a Rn 3. Hopt § 90a Rn 8. Hopt § 90a Rn 9. BGBl. I S. 1474. BR-Drucks. 340/97 – auszugsweise ZIP 1997, 942. Oetker/Busche6 § 90a Rn 3. BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469. Kritisch hierzu Eberstein S. 30 f.: Sinn der Wettbewerbsabrede wird verfehlt. BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 1. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 1; Schaefer HRefG 1999 S. 52 ff., 215, 216. Emde

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1. Buch. Handelsstand

E. Europarechtliche Präformation 5 § 90a ist innerhalb des Anwendungsbereichs der die Ungleichbehandlung in den Mitgliedsstaaten41 nivellierenden RL europarechtlich unterlegt42 und damit möglicherweise Gegenstand von Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV.43 Art. 20 Abs. 1–3 RL entsprechen weitgehend § 90a Abs. 1–3.44 Anders als in § 90a wurde in der RL jedoch keine zwingende Karenzentschädigung vorgesehen.45 Zwar hatte die Kommission angeregt, eine unabdingbare Karenzentschädigung zu regeln. Dies wurde aber von den meisten Mitgliedstaaten abgelehnt.46 Gem. Art. 20 Abs. 4 RL dürfen einzelstaatliche Rechtsvorschriften aber weitere Beschränkungen der Wirksamkeit oder Anwendbarkeit der Wettbewerbsabreden vorsehen oder einzelstaatliche Gerichte die Verpflichtungen der Parteien aus einer solchen Vereinbarung mindern. Von dieser Befugnis ist in zahlreichen Mitgliedsstaaten Gebrauch gemacht worden.47 So bedarf etwa auch in Frankreich nach gefestigter Rspr. ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot einer zeitlichen und geographischen Beschränkung und es muss im Hinblick auf die legitimen Interessen des Prinzipals angemessen sein. Die französische Rspr. orientiert sich insoweit an der Vertikal-GVO.48 Art. 20 RL zeigt, die fehlende Unterstellung echter HV unter Art. 101 AEUV (s. d. Kommentierung zu Vor § 84) beiseite gedacht, dass nachvertragliche Wettbewerbsverbote trotz Art. 101 AEUV zulässig sind. Gem. Art. 20 RL ist eine nachvertragliche Wettbewerbsabrede nur unter den in Art. 20 Abs. 2 RL genannten Bedingungen „gültig“. Die Fassung, dass die Wettbewerbsabrede nur unter diesen Umständen „gültig“ ist, fehlt in § 90a Abs. 1. Fraglich ist deshalb, ob die geltungserhaltende Reduktion, die die deutsche Rspr. bei Überdehnung der Wettbewerbsabrede annimmt,49 mit der RL verträglich ist. Die in § 90a Abs. 4 bestimmte zwingende Natur des § 90a regelt etwas anderes und bildet keinen hinreichenden Ersatz.

F. Zweck 6 § 90a dient dazu, den HV davor zu schützen, dass ihm der Unternehmer, von dem er wirtschaftlich abhängig ist, eine Wettbewerbsabrede aufzwingt.50

G. Der Tatbestand des § 90a I. Absatz 1 7 Abs. 1 S. 1 regelt die Form, Abs. 1 S. 2 die zulässige Reichweite und Abs. 1 S. 3 die Gegenleistung des Unternehmers. 41 Zum Rechtszustand vor der RL Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 22 f. Zur Umsetzung in den Mitgliedsstaaten Westphal EWS 1996, 43 (48/49). Hopt § 90a Rn 2. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 1. Westphal EWS 1996, 43 (49). Hierzu eingehend OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08, das deshalb Abs. 1 S. 3 nicht auf nachvertraglich geschlossene Wettbewerbsverbote anwenden will. 46 Ankele DB 1987, 569, 571; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 67. 47 Westphal EWS 1996, 43 (48/49) nennt Dänemark, Niederlande und Spanien. Zu Frankreich (keine gesetzliche Karenzentschädigung) Kutscher-Puis ZVertriebsR 2013, 58 (60). Zu Dänemark, Großbritannien oder Irland Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (279). 48 Kutscher-Puis ZVertriebsR 2013, 58 (60). 49 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098. 50 BT-Drucks. 1/3856, S. 37; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 28 m. Anm. Hilgard; v. 5.12.1968 – VII ZR 102/66, BGHZ 51, 184 (187); Oetker/Busche6 § 90a Rn 2.

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1. Satz 1 a) Vereinbarung. Es muss eine „Vereinbarung“ vorliegen. Hierzu gehört jede nach allgemeinen 8 Vertragsregeln,51 auch durch einen Stellvertreter52 (keine Höchstpersönlichkeit), durch Angebot und Annahme – auch als AGB – zustande gekommene, ggf. konkludente53 (dann aber Verstoß gegen das Schriftformgebot, Rn 26 f.) Abrede. Die Parteien müssen die Einschränkung des nachvertraglichen Wettbewerbs konsensual verbindlich vorschreiben wollen, so dass ein vertraglicher Unterlassungsanspruch begründet werden soll.54 Der einseitige Vorbehalt einer Partei genügt nicht, um eine Vereinbarung zu finden.55 Ob diese Voraussetzungen eingehalten sind, ist Auslegungsfrage des Einzelfalls,56 insoweit und für alle Fragen der Auslegung gelten die allg. Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB).57 Die Formfrage (Rn 26 f.) ist von der Vorfrage zu separieren, ob eine Vereinbarung vorliegt. Die Vereinbarung kann auch bedingt gewollt sein, etwa für den Fall des vom HV verschuldeten wichtigen Grundes.58 Die Unsicherheit, ob dieser Tatbestand eintritt, steht der Wirksamkeit nicht entgegen59 (vgl. aber zur Bestimmtheit unten, Rn 22). Es kommt nicht darauf an, ob der Vertrag „in Vollzug“ gesetzt wird.60 Liegt im „Nichtvollzug“ eine Vertragsverletzung, kann die benachteiligte Partei den Vertrag nach § 89a kündigen und nach Abs. 3 vorgehen. b) Handelsvertreter (persönlicher Anwendungsbereich). Die Vereinbarung muss den 9 „Handelsvertreter“ beschränken. Wer HV ist, ergibt sich aus § 84 (siehe dort). Auch hier ist nicht der HV als Person angesprochen, sondern das Vertragsverhältnis. § 90a gilt deshalb für alle HV, etwa Versicherungs- und Bausparkassenvertreter,61 auch während einer für die Anwendung des HV-Rechts ohnehin irrelevanten Probezeit62 und unabhängig von der Rechtsform, in welcher die Handelsvertretung betrieben wird.63 Es besteht kein Grund, etwa die Ein-Personen-Gesellschaft im Falle der Karenzregelung in § 90a anders zu behandeln, als wenn statt ihr die allein hinter ihr stehende natürliche Person gehandelt hat.64 Das mit einem Minderjährigen vereinbarte Wettbewerbsverbot fällt unter § 112 BGB65 und nicht unter § 74a Abs. 2 S. 2.66 Auch der dem Unternehmer wirtschaftlich überlegene HV darf sich auf § 90a berufen,67 weil das HV-Recht auf das Rechtsverhältnis und nicht auf die ohnehin schwer zu bestimmende Schutzbedürftigkeit 51 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 12; Hopt § 90a Rn 13. 52 OLG Düsseldorf BB 1962, 731; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 12; Oetker/Busche6 § 90a Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 30. Hopt § 90a Rn 13. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 10. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 10. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 16. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 12. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 4. BGH, Urt. v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, LM Nr. 7; OLG Düsseldorf BB 1962, 731; BAG, Urt. v. 5.10.1982, DB 1983, 834; v. 2.5.1970, NJW 1971, 74 = BAGE 22, 324 zum Arbeitsrecht; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 16; aA LG Tübingen, Urt. v. 1.3.1976, BB 1977, 671; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 70 ff. 60 AA Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 52. 61 Martin VersR 1968, 118; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 3; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 1. 62 BAG, Urt. v. 10.5.1971 – 3 AZR 126/70, BB 1971, 1196; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7. 63 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 3; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 5. 64 OLG München BB 1997, 115 (116); Budde BB 2007, 731 (733). 65 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 5b; BAG NJW 1964, 1641; Hohn DB 1967, 1899. 66 BAG NJW 1964, 1641; Hopt § 90a Rn 9. 67 AA Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7.

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abstellt, wie zu § 89b entschieden ist. Auch im Verhältnis Unter-/Hauptvertreter darf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart werden. Sein mit dem Unternehmer verabredetes Wettbewerbsverbot muss der Hauptvertreter an den Untervertreter weiterleiten, weil er sich dessen Vertragsverletzungen und nachvertraglich wettbewerbswidriges Verhalten zurechnen lassen müsste.68 Die Aufhebung des Verbots in einem Verhältnis (Unter-/Hauptvertreter bzw. Hauptvertreter/Unternehmer), die berechtigte Lossagung des Untervertreters von dem Wettbewerbsverbot oder der Verzicht des HV gegenüber dem Untervertreter bleiben ohne Wirkung für das im anderen Verhältnis bestehende Verbot.69 Die Gesellschafter und Geschäftsführer einer als juristischer Person tätigen HV-Gesellschaft werden, sofern dies nicht ausdrücklich vereinbart wurde, durch das die Gesellschaft treffende Verbot nicht ohne weiteres gebunden.70 Es kommt jedoch ein Durchgriff in Betracht (s. Kommentierung zu § 86). Nachvertragliche Wettbewerbsverbote, die mit den Geschäftsführern oder Gesellschaftern einer solchen Gesellschaft getroffen wurden, unterfallen nicht § 90a,71 wobei auch hier ein Durchgriff erwogen werden kann. 10 Da das Wettbewerbsverbot nach Beendigung des Vertragsverhältnisses eintreten soll, wird streng genommen nicht mehr „der Handelsvertreter“ beschränkt. Es kann also nur gemeint sein, dass der Anlass der Wettbewerbsbeschränkung der HV-Vertrag sein soll und sich das Wettbewerbsverbot zeitlich, räumlich und gegenständlich auf die HV-Tätigkeit beziehen muss (siehe S. 2). Das zeigen neben dem auf nachvertragliche Wirkungen gerichteten Anwendungsbereich des § 90a insb. §§ 87 Abs. 1 S. 3, 87 Abs. 3 S. 1, 87c (gerade dessen Abs. 2), 89a Abs. 2, 89b, 90, die entweder rechtlich den ausgeschiedenen HV ansprechen oder zumindest faktisch nach Vertragsende ihre hervorragende Bedeutung besitzen. Zeitlich vorgelagert, jedoch vergleichbar, unterfällt auch die vor Vertragsbeginn getroffene Vereinbarung § 90a, sofern sie im Vorgriff auf den Vertrag getroffen wird.72 Sofern die Wettbewerbsabrede innerhalb des in S. 2 genannten Zeitraums nach Vertragsende und des dort niedergelegten sachlich-gegenständlichen Rahmens getroffen wurde, wird der Abschluss anlässlich des HV-Vertrages vermutet.73 Ob man dem TBMerkmal „Handelsvertreter“ entnehmen darf, dass die Wettbewerbsabrede vor Beendigung des HV-Verhältnisses getroffen sein muss und nach Vertragsende gezeichnete Wettbewerbsabreden nicht den strengen Tatbestandsvoraussetzungen des § 90a unterfallen,74 ist sehr fraglich. Die bislang mglw. h. A.75 nimmt dies an, leitet es jedoch nicht aus dem TB-Merkmal „Handelsvertreter“ her, sondern konzediert, dass der Wortlaut des Gesetzes eine derartige Beschränkung des Schutzbereiches des § 90a nur auf vertragsbegleitend getroffene Abreden nicht kennt.76 Die Begrenzung ergebe sich – so wird man ergänzen müssen: als vom Unternehmer zu beweisende Ausnahme – aus dem Schutzzweck77 bzw. Sinnzusammenhang des Gesetzes,78 nämlich aus Abs. 2, im Übrigen auch aus der Unabdingbarkeitsvorschrift des Abs. 4, weil der HV nach Been-

Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 3. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 3. Hopt § 90a Rn 11. Das OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08 fordert einen Abschluss der Wettbewerbsabrede zumindest „unmittelbar“ nach Vertragsende. 74 So Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 9. 75 OLG Nürnberg, Urt. v. 26.1.2011 – 12 U 1503/10, BeckRS 2011, 03953; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 6; Hopt § 90a Rn 11; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 13; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 5. 76 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 27 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde); OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 77 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; OLG Nürnberg, Urt. v. 26.1.2011 – 12 U 1503/10, BeckRS 2011, 03953; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 478; Hopt § 90a Rn 11. 78 Vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 28 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde), wobei der BGH im entschiedenen Fall eine einschränkende Auslegung des Gesetzeswortlautes aus dem Sinn und Zweck ablehnte.

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digung des Vertragsverhältnisses nicht mehr unter dem Druck stehen soll, um dessentwillen die Mindestbedingungen für das Wettbewerbsverbot für unabdingbar erklärt worden seien. Entscheidend soll nach jener h. M. sein, ob im Zeitpunkt der Verabredung des Verbots das Vertragsverhältnis rechtlich noch besteht.79 Selbst wenn die Wettbewerbsabrede gleichzeitig mit einer sofort wirksam werdenden oder einer rückwirkenden Beendigung/Aufhebung des Vertretervertrags vereinbart wird, soll § 90a nicht eingreifen,80 damit die Parteien nicht gezwungen seien, im Anschluss an die Vertragsaufhebung eine gesonderte Wettbewerbsvereinbarung zu treffen. Die simultan mit einer erst zukünftig wirksam werdenden Vertragsaufhebung oder nach ausgesprochener Kündigung noch während der Auslaufzeit bis zum Kündigungstermin vereinbarte Wettbewerbsabrede soll jedoch auch gemäß dieser Auffassung dem Schutz des § 90a81 unterfallen. Damit soll nach h. M. die Möglichkeit, nach Beendigung des HV-Verhältnisses eine Abrede über Wettbewerbsbeschränkungen mit dem ausgeschiedenen HV zu treffen, von § 90a unberührt bleiben. Solche Abreden unterfielen nicht (mehr) dem § 90a.82 Sie seien formlos gültig,83 unterlägen grundsätzlich keiner zeitlichen Begrenzung, ebenso wenig dem Gebot der bezahlten Karenz und hätten lediglich die Schranken der §§ 138, 242 BGB zu beachten.84 Diese Ansicht ist abzulehnen85: Unter Schutzzweckgesichtspunkten muss zunächst ein während der Vertragszeit bedingt vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot unabhängig vom nachvertraglichen Eintritt der Bedingung dem § 90a unterfallen.86 Das Rechtsgeschäft selbst wird vertragsbegleitend geschlossen. Lediglich seine Rechtswirkungen treten nachvertraglich ein. Ein Großteil der Wettbewerbsabreden wird dergestalt bedingt geschlossen.87 § 90a ist die auf das HV-Recht angepasste, spezielle Norm zu nachvertraglichen Wettbewerbsverboten. Sie ist sachnah und sollte in allen Fällen Anwendung finden, in denen es um zukünftige, gegenwärtige oder ehemalige HV-Verträge geht. Anspruchsvoraussetzung des § 90a ist lediglich die Existenz einer Vereinbarung, die den HV nach Beendigung des Vertragsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt. Die Wirkungen der Wettbewerbsabrede müssen also nach Vertragsende eintreten. Ob die Vereinbarung vor oder nach Vertragsende gezeichnet wird, ist hingegen für die Anwendung des § 90a ebenso unmaßgeblich wie es ein Abschluss vor Vertragsbeginn wäre88 – ein solcher liegt meist vor, weil ein HV-Vertrag oft deutlich vor Vertragsbeginn geschlossen wird. Eine gegenteilige Ansicht ist im Schutzbereich des Art. 12

79 BGH, Urt. v. 5.12.1968 – VII ZR 102/66, BGHZ 51, 184 = NJW 1969, 504 – Abgrenzung zu diesem Urt. in BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde); v. 24.11.1969 – VII ZR 146/67, BGHZ 53, 89 = NJW 1970, 420 (dort wurde die Anwendung des § 90a aber im Ergebnis befürwortet); OLG Nürnberg, Urt. v. 26.1.2011 – 12 U 1503/10, BeckRS 2011, 03953; Hopt § 90a Rn 11; Oetker/Busche6 § 90a Rn 15; Rietschel Anm. LM HGB § 90a Nr. 3. 80 RGZ 67, 333; RG LZ 1909 Spalte 318, 2; BGHZ 51, 184; BGHZ 53, 89; OLG Nürnberg, Urt. v. 26.1.2011 – 12 U 1503/ 10, BeckRS 2011, 03953; Hopt § 90a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 13; aA OLG Hamburg MDR 1968, 53; OLG Köln VersR 1998, 97; OLG Oldenburg HVR Nr. 994; ArbG Hamburg und ArbG Krefeld, zit. in BB 1953, 203; Düringer LZ 1909, S. 210. 81 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 11. 82 Mann ZVertriebsR 2017, 25, (29); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 10; Oetker/Busche6 § 90a Rn 15. 83 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 478. 84 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 10. 85 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 83. 86 LG Hamburg, Verf. v. 17.10.2011 – 307 O 340/07; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 16. 87 Zu einem solchen Fall OLG München, Urt. v. 1.6.1956 – 6 U 1032/56, HVR Nr. 152: Wettbewerbsverbot für den Fall der außerordentlichen Kündigung des HV. 88 Linder SpV 2014, 15. 697

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GG89 schwer vertretbar, und zwar schon wegen des Gesetzesvorbehalts: Anderenfalls könnte dem HV nach Vertragsende ein zeitlich unbeschränktes Wettbewerbsverbot ohne Karenzentschädigung auferlegt werden. Wegen der wertsetzenden Bedeutung des Art. 12 GG wird auch diskutiert, ob gem. § 92c abweichend von § 90a Abs. 1 S. 3 eine entschädigungslose nachvertragliche Wettbewerbsabrede getroffen werden darf90 (s. Kommentierung zu § 92c). Auch gibt es keinen Grund dafür, den sachnahen und speziellen § 90a entgegen seinem Wortlaut nicht anzuwenden. Es wäre schwer verständlich, den speziellen § 90a in einem nahe liegenden und wichtigen Anwendungsfall nicht eingreifen zu lassen, nämlich dann, wenn die Wettbewerbsabrede unmittelbar bei (Aufhebungsvertrag) oder nach Vertragsende, also im nahen zeitlichen Zusammenhang zum HV-Vertrag, gezeichnet wird. Dies gilt gerade in Umgehungsfällen, in denen das Wettbewerbsverbot zwar formal nach Vertragsende begründet wird, de facto jedoch die mit ihm verbundenen Abreden – etwa ein Provisionsabzug für die Karenzentschädigung ausscheidender, strukturniedriger HV – bereits vor Vertragsende durchgeführt werden. 16 Zunächst: Auch nach der BGH-Rspr. bleibt § 90a Kontrollmaßstab, falls bei Abschluss des Wettbewerbsverbots noch Streitigkeiten aus dem HV-Vertrag fortwirken. So hat der BGH91 § 90a angewandt, nachdem der Unternehmer das Vertragsverhältnis fristlos gekündigt hatte und der HV dieser Kündigung widersprach, möglicherweise, weil über die Ansprüche aus dem Vertrag noch Streit bestand. Ähnlich auch das OLG Oldenburg.92 Hier war in der Aufhebungsvereinbarung das nachvertragliche Wettbewerbsverbot an die Stelle einer während der Vertragszeit geschlossenen Wettbewerbsabrede getreten, die eine Karenzentschädigung vorgesehen hat und auf die der vertretene Unternehmer zuvor im Rahmen der Verhandlungen über die Vereinbarung verzichtet hatte. Hieraus ist zu entnehmen, dass jedenfalls bei einem Streit über fortbestehende Rechte aus dem HV-Vertrag – wie etwa die Wirksamkeit einer Kündigung oder den Ausgleichsanspruch – die handelsvertretertypische Drucksituation fortwirkt und § 90a Anwendung findet.93 Schutzzweckgesichtspunkte rechtfertigen hier keine Ausnahmesituation, in der § 90a im Wege der teleologischen Reduktion unanwendbar bleibt. Die vorgenannte BGH-Entscheidung kennzeichnet folglich den Regelfall: grundsätzliche Anwendbarkeit des § 90a auch auf nach Vertragsende geschlossene Abreden. Zumindest besteht dann eine der Vertragslaufzeit entsprechende Anfälligkeit für Druck und der Schutzzweckgedanke der bisher h. M. fordert keine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 90a. Weiter kommt eine Einschränkung des auch nachvertraglich geschlossene Wettbewerbsabreden erfassenden Wortlauts des § 90a nach Schutzgesichtspunkten nicht in Betracht, wenn ein wesentliches Element der späteren Wettbewerbsabrede bereits während der Laufzeit des HV-Vertrages und damit zu einer Zeit, in der der HV typischerweise vom Unternehmer abhängig ist, vereinbart wurde.94 Einen solchen Fall der „Anlage“ in vertragsbegleitenden Abreden nimmt der BGH95 an, wenn eine vertragsbegleitende Abrede dem HV die Chance eröffnet, nach Vertragsende Ansprüche gegen den Unternehmer zu erwerben, die jedoch davon abhängig waren, dass der HV sich einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterwarf. So begründet etwa die vertragsbegleitende Vereinba-

89 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469. Vgl. auch LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (312) m. Anm. Martenstein. 90 Wengler ZHR 146, 1982, 30 (42 ff.); siehe hierzu MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 18. 91 BGH, Urt. v. 30.4.1962 – VII ZR 21/61, MDR 1962, 646 (insoweit in NJW 1962, 1346 nicht abgedruckt). 92 Urt. v. 9.12.1993, HVR Nr. 994. Ebenso Mann ZVertriebsR 2017, 25, (29). 93 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 5. 94 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 28 ff. m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde) in Abgrenzung von BGH, Urt. v. 5.12.1968 – VII ZR 102/66, BGHZ 51, 1840; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 11. 95 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 29 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde). Emde

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rung eines „Geschäftswertmodells“ eine solche Anlage, falls dessen Unterzeichnung für den HV nur dann Sinn macht, wenn er schon zum Zeitpunkt der vertragsbegleitenden Unterzeichnung prinzipiell bereit war, die nachvertragliche Wettbewerbsabrede zu treffen. Denn hierdurch wird der HV einem faktischen Druck zur nachvertraglichen Unterzeichnung unterworfen.96 Die Entscheidung dürfte als vorsichtige Distanzierung des BGH von der bislang h. M. zu deuten sein. Von einer durch den HV-Vertrag unbeeinflussten Situation wird man mithin nur sprechen können, sofern keinerlei wesentliche, also allenfalls unbedeutende, für objektive Dritte unwichtige Ansprüche aus dem HV-Vertrag unbefriedigt blieben oder bis Vertragsschluss zwischen den Vertragspartnern im Zusammenhang mit der Vertragsbeendigung alle wesentlichen Vereinbarungen getroffen sind, welche die nachvertraglichen Parteibeziehungen regeln97 bzw. der HV vom Unternehmer nicht mehr wirtschaftlich abhängig ist.98 Solange noch mehr als unbedeutende, offene Fragen der Regelung harren, kann von einer unabhängigen und auch wirtschaftlich selbstständigen Stellung des HV gegenüber dem bisher vertretenen Unternehmer keine Rede sein. Das gilt gerade dann, wenn der Unternehmer noch zu leisten hat. Es kann jedoch auch gelten, falls der Unternehmer sich offener Forderungen berühmt. Denn auch hierdurch mag Druck auf den HV ausgeübt werden. Der Anwendungsbereich des § 90a bleibt in solchen Situationen eröffnet.99 Das gilt im Falle einer gefundenen Einigung über derart offene Posten auch dann, wenn der Unternehmer damit droht, infolge dieser Einigung geschuldete Zahlungen zurückzuhalten. Hiermit wird erneut eine der Vertragssituation vergleichbare Abhängigkeitssituation geschaffen. Beweispflichtig für seine ausnahmsweise bestehende Freiheit von § 90a ist der Unternehmer. Die Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 90a rechtfertigt sich nur in Fällen, in denen sich nach der Beendigung des HV-Vertrages der HV und der Unternehmer gleichberechtigt gegenüber stehen.100 Fehlt es an dieser Gleichberechtigung, findet § 90a auch auf Wettbewerbsabreden Anwendung, die erst im Anschluss an die Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen werden.101 Im Ergebnis ist der Streit über den Schutzbereich des § 90a mglw. von geringerer Ergebnis- 17 relevanz: Die Nichtanwendung des § 90a würde dazu führen, dass dem HV nachvertraglich ein Wettbewerbsverbot ohne Karenzentschädigung auferlegt werden könnte, was Art. 12 GG widerspricht, mit der Folge der Nichtigkeit entsprechender Abreden nach § 134 BGB.102 Es fragt sich auch, wie sich nach h. M. das Verhältnis einer nach Vertragsende getroffenen Wettbewerbsabrede zu Art. 101 AEUV und dem GWB darstellt. Art. 20 RL bzw. § 90a sollen nach h. M. unanwendbar sein (da nach h. M. der Anwendungsbereich dieser Vorschriften auf die vertragsbegleitend getroffene Abrede beschränkt bleibt), so dass eine die nachvertragliche Wettbewerbsbeschränkung rechtfertigende Norm fehlt. Die Abrede könnte dann den Verbotstatbeständen dieser Regelungswerke unterfallen. Ein „echter HV-Vertrag“ i. S. d. LL zur GVO (s. d. Kommentierung zu Vor § 84) könnte fehlen, weil mit dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot wirtschaftliches Risiko getragen wird. Für die hier vertretene Ansicht spricht auch Art. 20 RL: Dessen – allerdings nicht zwingender – Wortlaut erfasst jede Vereinbarung, die den HV nach Beendigung des Vertrages in seiner gewerblichen Tätigkeit einschränkt, unabhängig davon, ob diese Vereinbarung vor oder nach Vertragsende getroffen wird. Insbesondere der Rückschluss aus Art. 19 RL zeigt, dass

96 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 29 m. Anm. Hilgard sowie zust. Anm. Stoffels LMK 2013, 342065 = EWiR 2013, 13 (Emde). 97 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 83. 98 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 5. 99 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 83. 100 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 5. 101 BGH, Urt. v. 29.3.1990 – I ZR 2/98, NJW-RR 1991, 105; OLG Oldenburg, Urt. v. 9.12.1993 – 1 U 113/93. 102 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469 unter II 2 und III. Siehe auch LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (312) m. Anm. Martenstein. 699

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der Anwendungsbereich des Art. 20 RL auch eröffnet sein soll, sofern die Wettbewerbsabrede nach Vertragsende getroffen wurde. Gem. Art. 19 RL können die Parteien vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarung treffen, die von Artt. 17 und 18 RL zum Nachteil des HV abweicht; gem. Art. 20 RL ist eine Vereinbarung, die den HV nach Beendigung des Vertrages in seiner gewerblichen Tätigkeit einschränkt, unwirksam. Anders als in Art. 19 RL sind gem. Art. 20 RL daher nicht nur Abreden vor Ablauf des Vertrags unwirksam.103 Dass der deutsche Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich übernommen hat, spricht nicht hiergegen. Denn, so das OLG Hamburg, es sei nicht erkennbar, dass der deutsche Gesetzgeber den dargelegten systematischen Zusammenhang erkannt habe.104 Die englische und französische Fassung der RL bestärkt dieses Verständnis.105 Da nun Art. 20 RL in deutsches Recht überführt wurde, ist dies bei einer richtlinienkonformen Auslegung und bei der Leitbildkontrolle nach § 307 BGB zu beachten.106 § 90a Abs. 4 erlaubt zudem – anders als § 89b Abs. 4 S. 1 – keine nachvertraglich abweichenden Regelungen. Der Umkehrschluss zu § 89b Abs. 4 S. 1 zeigt, dass auch nach Vertragsende keine derogierenden Abreden getroffen werden können. OLG Köln107 sowie OLG Hamburg108 hielten es daher für zweifelhaft, ob der Ansicht zuzustimmen sei, eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung, die gleichzeitig die Beendigung des Vertragsverhältnisses herbeiführe oder den Zeitpunkt der Beendigung vorverlege, unterfalle nicht § 90a. Soweit dies aus dem Schutzzweck gefolgert werde, um den HV im Hinblick auf das bestehende Vertragsverhältnis und die damit verbundenen Abhängigkeiten zu schützen, beständen derartige Abhängigkeiten in einer Vielzahl von Fällen auch beim Abschluss einer Vereinbarung, die zu einer Beendigung des HV-Vertrages führe.109 Das LG Hamburg misst § 90a bei der Prüfung berechtigter Interessen des Unternehmers am Wettbewerbsverbot Leitbildwirkung i. S. d. § 307 BGB zu, auch wenn das Konkurrenzverbot nach Vertragsende geschlossen wurde.110 Kein Argument für die h. M. ist es zu sagen, die Parteien müssten eine Gesamtschlussvereinbarung treffen können, ohne eine gesonderte Wettbewerbsabrede zu vereinbaren.111 Denn eine solche Regelung steht ihnen frei. Nur müssen sie die Grenzen des § 90a beachten. Was während des laufenden Vertrages gegen § 90a als sachnahe Regelung verstößt, wird nicht plötzlich nach Vertragsende zulässig. § 90a regelt auch nach diesem Datum einen angemessenen Interessenausgleich. Das gilt auch für Abs. 1 S. 3.112 Wenn man die Anwendung des sachnahen § 90a ablehnt, wäre Kontrollmaßstab Art. 12 GG. Denn es handelt sich um eine die Handlungs- und Vertragsfreiheit einschränkende Abrede.113 Art. 12 GG fordert aber zumindest die Zahlung einer Karenzentschädigung. Ihr kann der Unternehmer also keinesfalls entgehen.

18 c) Analoge Anwendung auf handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler. § 90a gilt grundsätzlich analog im Recht HV-ähnlicher Vertriebsmittler, etwa im Kommissionsagenten-,114 Ver-

103 104 105 106 107 108 109 110 111 112

OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; aA wohl BGH, Urt. v. 24.11.1969, BGHZ 53, 89 = NJW 1970, 420. OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 11. VersR 1998, 98. Urt. v. 14.7.1967, RVR 1968, 239 = MDR 1968, 53, vom BGH allerdings aufgehoben. OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; OLG Köln VersR 1998, 98. LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06. So Hopt § 90a Rn 11. Offen gelassen vom OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08, weil die RL eine Karenzentschädigung nicht zwingend vorschreibt. 113 LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06. 114 BGH NJW-RR 1987, 612 (613); OLG München BB 1963, 1194; Canaris § 16 Rn 12; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 73; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7; Oetker/Busche6 § 90a Rn 46. Emde

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tragshändler115- und Franchiserecht116 (sofern die Einbindungskriterien gegeben sind117), jedoch nicht zugunsten von Unternehmenspächtern.118 Nachvertragliche Wettbewerbsverbote sind im Vertragshändlerrecht – wohl wegen der kartellrechtlichen Probleme – unüblich.119 Nach der GVO 330/10 sind sie sowohl im Vertragshändler- wie Franchiserecht,120 aber auch gegenüber sog. „unechten“ HV (s. Kommentierung zu Vor § 84), gem. Art. 5 Abs. 1 lit. b GVO 330/10 nur unter den in Art. 5 Abs. 3 GVO 330/10 genannten Bedingungen zulässig und damit wirksam,121 sofern man sie nicht – was wegen der kartellrechtlichen Spezialität der Regelung in der GVO wohl unzulässig wäre – als vertragsimmanent ansieht122 (s. Kommentierung zu Vor § 84).123 Die in Art. 5 Abs. 3 GVO 330/10 genannten Voraussetzungen sind Beschränkung des Konkurrenzverbots auf Wettbewerbsprodukte, die bisherige Verkaufsstätte und Erforderlichkeit zum Schutz des übertragenen know how. Weiter darf das Verbot ein Jahr nicht übersteigen,124 es sei denn, der Schutz des know how erfordert einen längeren Schutz. Im Bereich des Kfz-Vertriebs ergab sich bis 2013 die Unzulässigkeit aus Art. 5 Abs. 1 lit. a Kfz-GVO 1400/02.125 Seitdem galt auch im Kfz-Vertriebsrecht Art. 5 Abs. 1 lit. b, Abs. 3 GVO 330/10. Damit ist eine Vereinbarung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nur möglich, wenn der Vertrag nicht der Freistellung nach diesen GVOs bedarf. Für den Bereich des Franchising sollen wegen der Schutzbedürftigkeit der Franchisegeber Besonderheiten zu beachten sein, die allerdings zunächst die kartellrechtliche Wirksamkeit des Verbots voraussetzen würden: Eine solche Abweichung von den oben wiedergegebenen Grundsätzen ist jedoch zweifelhaft. Analog § 90a Abs. 1 S. 2 unterliegt ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gegenüber HV-ähnlichen Mittlern zumindest der zeitlichen Grenze von 2 Jahren, sofern nicht bereits Art. 5 Abs. 1 lit. b, Abs. 3 GVO 330/10 eine Einjahresgrenze fordert. Ein längeres Wettbewerbsverbot, etwa zu Lasten des Franchisenehmers, ist insgesamt unwirksam und eine geltungserhaltende Reduktion ausgeschlossen.126 Das Wettbewerbsverbot ist analog § 90a Abs. 1 S. 2 räumlich zu beschränken. Eine Beschränkung auf das Vertragsgebiet (oder mangels Gebietsschutz auf den früheren Einzugsbereich) ist erforderlich. Für die Dauer des Wettbewerbsverbotes ist dem Franchisenehmer oder Vertragshändler analog § 90a Abs. 1 S. 3 eine Karenzentschädigung zu gewähren.127 Welche Entschädigungshöhe angemessen ist, bestimmt sich nach den unten wiedergegebenen Maßstäben. Anerkannt ist ferner die Anwendbarkeit von § 90a Abs. 3. Der Franchisenehmer hat bei vorzeitiger Beendigung des

115 Karsten Schmidt Handelsrecht, § 28 III 1a; Weber JA 1983, 353; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 59; Hopt § 90a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 6. 116 BGH, Urt. v. 12.11.1986 – I ZR 209/84, NJW-RR 1987, 612; OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1865); OLG München, Urt. v. 26.6.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521; BB 1963, 1194; KG MDR 1974, 144; LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (311) m. Anm. Martenstein; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 6. Zu den kartellrechtlichen Besonderheiten Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 65 ff. 117 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 59. 118 BGHZ 24, 165; Hopt § 90a Rn 5. 119 So Ensthaler/Genzow § 90a Rn 23. 120 Siehe Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 65 ff. 121 Bauer/De Bronett Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, Rn 167; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 61 ff.; Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 (403). 122 Das wird insb. im Franchisebereich in Anlehnung an die Pronuptia-Entscheidung EuGH GRUR Int. 1986, 193 (195) diskutiert, s. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 65 ff. 123 In diese Richtung Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 (404). 124 Unzutreffend daher wohl OLG Naumburg, Urt. v. 18.7.2013 – 2 U 76/13 (Kart), WRP 2013, 1402 (5 Jahre). Ablehnende Besprechung der Entscheidung daher von Rahlmeyer ZVertriebsR 2014, 111 und Gruber WuW 2014, 596. 125 Siehe 2. Aufl. Vor § 84 Rn 196 ff. und Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, GVO-Kfz, Rn 45; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 23. 126 So Höpfner in: Giesler/Nauschütt § 7 Rn 60; aA OLG Zweibrücken NJW-RR 1990, 482. 127 BGH DB 1987, 1039 f; OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1865). 701

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Franchisevertrages ein Lossagungsrecht von dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot analog § 90a Abs. 3, wenn ein Verhalten des Franchisegebers Grund der Beendigung war.128

19 d) Beschränkung der gewerblichen Tätigkeit. Die Vereinbarung muss den HV in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränken. Der Ausdruck ist dem § 74 entlehnt, bleibt aber genauso unscharf wie dort. Beschränkung ist jede Begrenzung des ansonsten zulässigen,129 also gesetzeskonformen Tätigkeitsrahmens gegenüber dem Zustand nach dispositivem Recht. Dort ist der HV, außer durch nachvertragliche Treupflichten und den Geheimnisschutz in Bezug auf nachvertragliche Wettbewerbshandlungen nicht gebunden, wobei die nachvertraglichen Treupflichten den HV keinem Wettbewerbsverbot unterwerfen. Ihrem Zweck nach erfasst die in § 90a angesprochene Vereinbarung nicht nur die „gewerbliche“ Tätigkeit im klassischen Sinne, d. h. die erwerbswirtschaftliche Betätigung als (selbständiger) Gewerbetreibender, sondern gerade auch jegliche (Erwerbs-)Tätigkeit mindestens bei der Konkurrenz, einschließlich einer solchen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Ob eine gleiche Trennungslinie bei der selbständigen Erwerbstätigkeit verläuft – dahin, dass jene nur für wettbewerblich-konkurrierende Tätigkeit verbietbar sein soll –, bleibt unklar. Wenn und soweit eine gewerbliche Tätigkeit nach der getroffenen Abrede verboten ist, ist sie es nach dem Wortlaut des Gesetzes umfassend. Man wird also sagen können, dass der Unternehmer nicht beschränkt ist, frei darüber zu bestimmen, auf welche Art der Wettbewerbstätigkeit das Verbot erstreckt werden soll, sofern die räumlich/ gegenständlichen/zeitlichen Grenzen des § 90a eingehalten werden.130 Nicht nur ist damit eine Tätigkeit als HV gemeint (und verbietbar), sondern auch die als selbständiger Unternehmer, unselbständiger Angestellter,131 als Vertragshändler eines anderen Unternehmers,132 als Teilhaber oder Organ133 einer Personenhandelsgesellschaft, nach der Zielsetzung des Gesetzes wohl auch als stiller Gesellschafter und sogar als Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft134 (es sei denn, es handelt sich um eine reine Kapitalanlage), sowie schließlich als Mitglied des Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft.135 Grundsätzlich genügen hierzu auch Minderheitsbeteiligungen oder untergeordnete Tätigkeiten.136 Voraussetzung ist aber immer, dass die TB-Voraussetzungen des Abs. 1 S. 2 eingehalten werden. Der völlige Ausschluss der gewerblichen Tätigkeit ist innerhalb des von § 90a erlaubten räumlich/gegenständlichen/zeitlichen Rahmens zulässig, aber nicht gefordert, es genügt eine Beschränkung.137 Anders als im französischen Recht138 wird daher auch die nachvertragliche Verpflichtung des Mittlers erfasst, sich keinem Konkurrenzvertrieb anzuschließen. Den nachvertraglichen Wettbewerb des HV erleichternde oder für ihn günstige Abweichungen von § 90a sind, ebenso wie neutrale oder ergänzende Abreden, unabhängig von den TB-Voraussetzungen des § 90a gültig,139 selbst ohne Einhaltung der Schriftform. Eine Abrede, derzufolge die Kundendaten Eigentum des Unternehmers bleiben sollen, entspricht § 90 (vgl. d. Kommentierung zu § 90) und bildet deshalb keine Wettbewerbsbe-

128 129 130 131

LG Magdeburg, Urt. v. 22.1.1997 – 31 O 671/96; OLG München NJW-RR 1997, 812. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 19. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 22. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 18; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 7; Oetker/Busche6 § 90a Rn 8. 132 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 22. 133 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 18; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 10. 134 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 18; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 10; Hopt § 90a Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 10. 135 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 21. 136 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 21. 137 Oetker/Busche6 § 90a Rn 8. 138 Cour de Cassation, Urt. v. 28.9.2010 (pourvoi 09-13.888), ZVertriebsR 2012, 121 m. Anm. Kutscher-Puis. 139 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 3. Emde

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schränkung i. S. d. § 90a.140 Bloße Zustimmungspflichten des Unternehmers zu einer Wettbewerbstätigkeit sind nach den Entscheidungen des BGH zu § 92a141 (s. § 92a Rn 8) mglw. unerheblich, wenn kein Vetorecht des Unternehmers besteht. Das Gleiche gilt für die Fälle der Einwilligung oder Genehmigung des Unternehmers. Zumindest stellt sich in diesen Fällen die Frage nach der Höhe einer „angemessenen“ Karenzentschädigung für die kurzzeitige Prüfungszeit. Auch mittelbare Wettbewerbsverbote sind von § 90a erfasst,142 etwa solche, bei denen 20 das Unterlassen von Wettbewerb durch wirtschaftlichen Druck oder Vorteile erreicht wird, z. B. eine umfassende, nicht unter § 90 fallende Geheimhaltungs- oder Verschwiegenheitspflicht143 mit Vertragsstrafeversprechen. Dazu müsste die Abrede sich aber wie eine Wettbewerbsabrede i. S. d. § 90a auswirken. Ich habe Zweifel, ob bei jedem noch so geringen Überschreiten der tatbestandsmäßigen Grenzen des § 90 gleichsam „automatisch“ eine Wettbewerbsabrede nach § 90a vorliegt. Vertreten lässt sich dies gleichwohl, weil der über den Wortlaut des § 90 hinausgehende Teil der Abrede sich als partielle Beschränkung des Erwerbs auswirken kann. Erfasst werden weiter die vereinbarte Weitergeltung des gesetzlichen oder vertraglichen Wettbewerbsverbots, die Pflicht zur Rückgewähr erhaltener Leistungen bei nachvertraglichem Wettbewerb des HV,144 das Verbot, jede Kenntnisse über Kunden auszunutzen,145 ehemalige Kunden abzuwerben,146 ihnen Hilfe bei der Abwanderung zu einem anderen Unternehmer zu leisten,147 bzw. sich an ehemalige Kunden mit dem Hinweis auf die Tätigkeit für einen neuen Geschäftsherrn zu wenden.148 Derartige Abreden können auch wegen Umgehung des Abs. 4 unwirksam sein.149 Sich ohne vertragliche Vereinbarung bereits aus dem Gesetz ergebende, vertragsimmanente 21 nachvertragliche Wettbewerbsverbote fallen nicht unter § 90a,150 weil es an einer gesonderten, auf die Wettbewerbsabrede zielenden Vereinbarung mangelt. Solche vertragsimmanenten Verbote sind im HV-Recht mit Ausnahme der Geheimhaltungspflicht des § 90 und darüber hinausgehend kaum erkennbar, allenfalls in besonders krassen, kaum vorstellbaren Ausnahmefällen, z. B. zum Schutz von know how des Unternehmers.151 Denn das HGB geht – wie der Umkehrschluss aus § 90a zeigt – gerade vom Fehlen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots aus. Gleiches gilt im Grundsatz für nur mittelbar wettbewerbsbeschränkend wirkende vertragliche Verbote. Im Zweifel ist von der Anwendbarkeit des § 90a auszugehen. Der Inhalt des Wettbewerbsverbots richtet sich nach der vertraglichen Vereinbarung152 22 und kann innerhalb des gem. §§ 90a HGB, 138, 307 BGB zulässigen Rahmens frei bestimmt werden. Das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot muss so klar gefasst sein, dass es tituliert und vollstreckungsfähig bezeichnet werden kann (Bestimmtheitsgebot).153 Unklarheiten gehen zu Lasten dessen, der sich auf die Vorteile der Wettbewerbsabrede beruft. Das erfasste Gebiet ist hinreichend beschrieben, wenn es in einer Karte schraffiert dargestellt und außerdem 140 LG Koblenz, Urt. v. 28.9.2009 – 15 O 190/08. 141 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Erhard/von Bodungen = WM 2013, 1702 = DB 2013, 2196. 142 AA Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 10. 143 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 19; Ebenroth/Löwisch4 § 90 Rn 18, 22; Oetker/Busche6 § 90 Rn 20 (regelmäßig bei Überschreiten der tatbestandlichen Grenzen des § 90). 144 AA Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 10. 145 BGH ZIP 1993, 703; BGH, Urt. v. 10.5.1995 – VIII 144/94, ZIP 1995, 1260; Ebenroth/Löwisch3 § 90a Rn 19. 146 Schröder DB 1964, 324; Hohn DB 1967, 1897; Ebenroth/Löwisch3 § 90a Rn 19. 147 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 19. 148 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 19. 149 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 10. 150 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 10. 151 Dieses wird dann aber wohl auch von § 90 erfasst sein. 152 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 17. 153 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 17. 703

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mit einer Postleitzahlbeschreibung versehen wurde.154 Sollte das Gebiet größer sein als der schraffierte Bereich, würde der kleinere Bereich gelten.155 Ein nicht näher bezeichnetes Wettbewerbsverbot umfasst im Zweifel alles, was dem HV gem. § 90a untersagt werden kann. Anders aber mglw. in AGB wegen des Transparenzgebotes sowie der verwenderfeindlichen Auslegung. Zum arbeitsrechtlichen § 75 Abs. 3 entschied das BAG,156 ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, welches sich auf jede denkbare Form der Unterstützung eines Konkurrenzunternehmens beziehe, untersage auch das Belassen eines zinslosen Darlehens, das der Arbeitnehmer einem Konkurrenzunternehmen während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zum Zwecke seiner Gründung ausgereicht hat. Nur im Einzelfall könne der Umfang des Wettbewerbsverbots nach § 74a Abs. 1 S. 1 reduziert werden. Die Wettbewerbsabrede kann auf den Fall der ordentlichen Kündigung beschränkt werden.157 Staub/Brüggemann 4. Aufl.158 hielt im Einklang mit anderen Stimmen159 die Wettbewerbs23 abrede analog § 74a Abs. 1 S. 1 u. 2 insoweit für unverbindlich, als sie nicht dem Schutze eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Unternehmers dient. Als Anhaltspunkt und Leitlinie sollte gelten, dass ein für die Zeit nach Vertragsbeendigung vereinbartes Wettbewerbsverbot nicht wesentlich über den Umfang eines solchen hinausgehen dürfe, welches sich vertragsbegleitend für den HV ergab, da das während der Vertragsdauer bestehende Verbot gleichfalls nur soweit auszudehnen sei, als die berechtigten Interessen des Unternehmens es erforderlich machten. Wenngleich die Motive des Unternehmers für die Wettbewerbsabrede unbedeutend sind, dürfte das Ergebnis in vielen Fällen zutreffend sein, ergibt sich nach der Novelle 1989 aber wohl nicht aus dem unscharfen Begriff des geschäftlichen Interesses, sondern aus den speziell geregelten Beschränkungen des S. 2 und aus Art. 12 GG.160

24 e) Wettbewerbsabrede. Der sich so ergebende, funktional nahezu unbeschränkte Kreis verbotener gewerblicher Betätigung verlangt nach einer gegenständlichen Begrenzung. Sie liegt bereits in dem gesetzlichen Terminus „Wettbewerbsabrede“, den § 90a als Legaldefinition einführt. Die dem HV durch die Abrede zu sperrende Tätigkeit muss im Verhältnis zum Unternehmer eine solche mit Wettbewerbscharakter sein. Denn nur an ihrer Unterbindung hat der Unternehmer ein anerkennungswürdiges Interesse. Zudem findet sich die Beschränkung in den unten, Rn 32, genannten räumlichen/gegenständlichen/zeitlichen Grenzen.

25 f) Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses. Die Beschränkung muss nach Vertragsende eingreifen, also wirksam werden. Nicht aber muss die Abrede vor Vertragsbeendigung getroffen worden sein (Rn 12 ff.). Regelmäßig wird sie mit dem rechtlichen Vertragsende wirksam161 und durchsetzbar, wobei die Parteien unter Beachtung der Höchstgrenze des S. 2 (d. h.

154 LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (311) m. Anm. Martenstein. 155 LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (311) m. Anm. Martenstein - Franchisevertrag.

156 Urt. v. 7.7.2015 – 10 AZR 260/14, ZIP 2015, 2090 = DB 2015, 2516. 157 OLG München, Urt. v. 18.10.1996 – 21 U 3748/96, OLGR 1997, 219; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 4.

158 Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 90a Rn 4. 159 BezG Dresden DB 1991, 1620; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 23; OLG Nürnberg BB 1960, 1261; aA Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 97, 120; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 11a. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 98 verneint gleichwohl die Wirksamkeit, wenn die Abrede den HV mehr als zumutbar und damit unangemessen benachteiligt. 160 Vgl. Gehle DB 2010, 1981. 161 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 476. Emde

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bei kürzerer Gesamtlaufzeit) auch einen späteren Beginn vereinbaren können. Immer aber muss das Wettbewerbsverbot zwei Jahre nach Beendigung des HV-Vertrages enden. Wann die Abrede vereinbart wurde ist hingegen irrelevant, solange sie in sachlich-zeitlichem Zusammenhang mit dem HV-Vertrag steht (Rn 12 ff.). Der Grund des Vertragsendes ist für die beiderseitigen Verpflichtungen ebenfalls ohne Belang, sowohl ordentliche wie außerordentliche Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens162 (aber Lossagungsrecht nach Abs. 3) einer Partei kommen in Betracht, zudem ein Aufhebungsvertrag. Wettbewerbsverbot und Entschädigungspflicht bleiben auch dann bestehen. Während des Vertrages gilt das aus der Interessenwahrungspflicht des HV hergeleitete vertragsbegleitende Wettbewerbsverbot, welches nach Vertragsende nicht fortwirkt.163 § 90a ist insoweit nicht einschlägig.

g) Vom Unternehmer unterzeichnete, die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden 26 Urkunde. Gemeint ist eine Urkunde i. S. d. § 416 ZPO. Jene muss die vereinbarten Bestimmungen der Wettbewerbsabrede enthalten,164 wobei auch andere Regelungen, etwa der vollständige HV-Vertrag, Teil der Urkunde sein können. Stellvertretung bei der Unterzeichnung ist zulässig.165

h) Schriftform. Sämtliche für die Wettbewerbsabrede maßgeblichen Umstände müssen i. S. d. 27 § 126 BGB166 in einer Urkunde niedergelegt werden. Bei Nichteinhaltung der Schriftform, die jederzeit – auch mit ex tunc Wirkung – nachgeholt werden kann,167 ist die Wettbewerbsvereinbarung nach § 125 Abs. 1 BGB unwirksam,168 nach aA über Abs. 4 gem. § 134 BGB.169 Das dient der Klarstellung, dem Beweis, der Warnung sowie dem Übereilungsschutz.170 Die Schriftform fordert aber keine eigenständige Urkunde für die Wettbewerbsabrede. Sie kann auch im Hauptvertrag enthalten sein, sofern er der Schriftform genügt. Wird die Wettbewerbsabrede in getrennte Urkunden „aufgespalten“, ist dies nach den zu § 126 BGB entwickelten Maßstäben zulässig, soweit sie entweder fest miteinander verbunden sind171 oder aufeinander Bezug nehmen und von beiden Parteien unterzeichnet sind.172 Das Wort „einer“ bedeutet nicht, dass getrennte Urkunden unzulässig sind, wenn die Einheitlichkeit dergestalt hergestellt wird. Textform genügt nicht. Es soll allerdings nur die Wettbewerbsabrede schriftlich gefasst werden müssen; das Schriftformerfordernis soll sich nicht auf den gesamten Vertrag erstrecken müssen.173 §§ 139, 306 Abs. 3 BGB gelten nicht, sofern Hauptvertrag und Wettbewerbsabrede getrennt werden und der Hauptvertrag der Form des § 90a mangelt. Es müssen aber alle Essentialia der Wettbewerbsabrede in der der Schriftform genügenden Urkunde gefasst sein, d. h. sämtliche Regelungen zu Leistung und Gegenleistung, mit Ausnahme der gesetzlichen Karenzentschädigung (siehe unten). Ist das Wettbewerbsverbot in einer nicht mit dem Hauptvertrag verbundenen Anlage geregelt, muss jene der Schriftform genügen.174 Da Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 48, 54; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 64. LG Krefeld NJW-RR 1988, 1063; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 15; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer§ 90a Rn 8. Oetker/Busche6 § 90a Rn 17. OLG Düsseldorf BB 1962, 731; Hopt § 90a Rn 14; Oetker/Busche6 § 90a Rn 17. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 49; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 13; Ensthaler/ Genzow § 90a Rn 8; Hopt § 90a Rn 14. 167 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 13a. 168 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 13a. 169 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 13. 170 BAG, Urt. v. 15.1.2014 – 10 AZR 243/13, NJW 2014, 2379 Rn 19 zu § 74. 171 Hopt § 90a Rn 14. 172 Zum vergleichbaren Problem im Mietrecht Emde WuM 1996, 740. 173 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 24. 174 LAG Hamm DB 1974, 1532; Hopt § 90a Rn 14.

162 163 164 165 166

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die Rechtsfolge der Entschädigungspflicht zwingende Folge der Wettbewerbsabrede ist, wird das Schriftformerfordernis auch eingehalten, falls eine schriftliche Einigung über die zu leistende Karenzentschädigung fehlt.175 Soweit allerdings ausgeführt wird,176 Details der Entschädigungsregelung unterlägen nicht der Schriftform, ist zumindest dem nicht zuzustimmen. Natürlich kann nichts der Schriftform unterliegen, was nicht vereinbart wurde. Gibt es aber Regelungen zur Entschädigung, so müssen diese vollständig in der Urkunde verkörpert sein. Dies folgt aus § 90a Abs. 1 S. 1, nach dem „eine Vereinbarung, die den Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt“, also die gesamte Vereinbarung, der Schriftform unterliegt. Diese muss auch in einer „die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden Urkunde“ an den HV übergeben werden. Sollte nach dem Willen der Parteien eine (schriftliche) Regelung über die Höhe der Entschädigung niedergelegt werden, wird vorher wegen § 154 Abs. 2 BGB eine rechtsgültige Wettbewerbsvereinbarung fehlen.177 Falls die Schriftform eingehalten wurde, darf die Wettbewerbsabrede auch mittels AGB vereinbart werden (Kontrollmaßstab dann § 307 BGB, Rn 52). Ein Wettbewerbsverbot soll auch durch Briefwechsel vereinbart werden können, wenn inhaltlich gleichlautende und unterzeichnete Erklärungen ausgetauscht werden.178 Ein einseitiges kaufmännisches Bestätigungsschreiben wahrt hingegen die Schriftform nicht.179 Wird ein neuer HV-Vertrag abgeschlossen, der keine nachvertragliche Wettbewerbsabrede enthält oder auf die Altabrede verweist, ist diese im Zweifel aufgehoben,180 es sei denn, die Weitergeltung des Verbots wurde außerhalb des Neuvertrages schriftlich181 vereinbart. Vereinbarungen über die Fortgeltung eines HV-Vertrags, etwa nach Fristablauf oder im Fall der Rücknahme einer Kündigung,182 erfassen i. d. R. auch die im Vertrag enthaltene Wettbewerbsabrede. Möglicherweise wird man in diesem Fall eine mündliche Vereinbarung genügen lassen dürfen, da die in Bezug genommene Wettbewerbsabrede schriftlich gefasst wurde.183 Das ganze gilt auch für Vorverträge; sie müssen ebenfalls schriftlich abgeschlossen werden.184 Im Arbeitsrecht sollen die Worte „im Übrigen gelten die gesetzlichen Vorschriften der 28 §§ 74 ff. HGB“ ausreichen, um trotz eines Schriftformgebotes185 ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung zu begründen.186 Entsprechendes müsste auch im HV-Recht bei Verweis auf § 90a gelten, wobei jedoch angesichts der Kontrollfähigkeit nachvertraglicher Wettbewerbsverbote an Hand der §§ 305 ff. BGB187 bei mehreren Auslegungsvarianten die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB gilt188 und zudem

175 OLG Düsseldorf BB 1962, 731; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 16; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 479; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 32; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 9. 176 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 16. 177 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 25. 178 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 12a; vgl. MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 90a Rn 31. 179 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 50; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 24; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 8; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 13; Oetker/Busche6 § 90a Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 31; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 9. 180 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 24. 181 AA mündlich: Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 24. 182 Hopt § 90a Rn 14. 183 Vgl. BGH BB 1984, 237; Hopt § 90a Rn 14. 184 BAG, Urt. v. 19.12.2018 – 10 A ZR 130/18, BB 2019, 1403 Rn 28 – Arbeitsrechtliche Entscheidung. 185 BAG, Urt. v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NJW 2006, 3659 ff.; ablehnend Gravenhorst NJW 2006, 3609 (3610). 186 BAG, Urt. v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NJW 2006, 3659; BAG AP HGB § 74 Nr. 35; aA Gravenhorst NJW 2006, 3609 (3610); Grunsky NZA 1988, 713; Bauer/Diller Wettbewerbsverbote, 4. Aufl. 2006, Rn 288 ff. 187 BAG, Urt. v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NJW 2006, 3659 (3660); Gravenhorst NJW 2006, 3609 (3611). 188 Gravenhorst NJW 2006, 3609 (3611). Emde

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das Transparenzgebot des § 307 BGB.189 Letztlich kommt es darauf an, ob im schriftlichen Teil der Erklärung hinreichend klar ein Wettbewerbsverbot erkennbar wurde.

i) Aushändigung der Urkunde. Die Wettbewerbsabrede bedarf der (qualifizierten) Schrift- 29 form. Die allgemein geltenden Anforderungen des § 126 Abs. 2 BGB sind wie bei § 74 Abs. 1 verschärft. Es genügt nicht die Aufnahme zweier gleichlautender Urkunden, von denen eine jede die Unterschrift des anderen Teils zu tragen hätte, sondern dem HV muss zusätzlich eine vom Unternehmer unterzeichnete Urkunde behändigt werden, um die Abrede gültig zu machen: Errichtung der vollständigen Urkunde + Realakt der Aushändigung zum Besitz.190 Es handelt sich also bei Schriftform und Aushändigung um zwei separate Wirksamkeitsanforderungen.191 Das soll sicherstellen, dass der HV Kenntnis über die ihn treffende Beschränkung hat192 und er jederzeit über den Inhalt des Verbots informieren kann.193 Zugang der Urkunde i. S. d. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB reicht nicht.194 Der HV muss an ihr vielmehr tatsächlichen Besitz erlangen195 (Beweislast beim Unternehmer,196 Rn 81) und dieser muss nach dem Vertragsschluss (zunächst) auch bei ihm verbleiben. Die einem Jo-Jo gleichende Aushändigung mit sofortiger Rückgabe einer Urkunde genügt nicht.197 Unberechtigte Annahmeverweigerung des zur Entgegennahme der Urkunde verpflichteten HV198 steht der Aushändigung gleich.199 Nur im Falle berechtigter Annahmeverweigerung kommt die Abrede nicht zustande.200 Irrelevant ist aber, ob der HV nach der Übergabe die Urkunde zerstört oder verliert.201 Insofern genügt die einmalige Erfüllung sowie die potentielle Möglichkeit der Einsichtnahme. Nach § 242 BGB, § 85 HGB analog hat der Unternehmer u. U. eine Ersatzurkunde zu stellen. Ob man mit Staub/Brüggemann 4. Aufl.202 und weiteren Stimmen203 zu fordern hat, dass die Urkunde binnen angemessener Zeit nach Abschluss der Wettbewerbsvereinbarung zum dauernden Verbleib behändigt sein muss, erscheint schon wegen des Fehlens einer dahin gehenden gesetzlichen Verpflichtung zweifelhaft. Dies ist keine Frage des § 148 BGB.204 Der Unternehmer soll sie angeblich nicht beliebig zurückhalten dürfen, um das Verbindlichwerden der Abrede nach seinem Belieben zu steuern, damit der HV weiß, mit welchen Einschränkungen seines Betätigungsfeldes und mit welcher Entschädigung hierfür er für den Fall seines Ausscheidens aus den Diensten des Unternehmers zu rechnen hat.205

189 190 191 192 193 194 195

BAG, Urt. v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NJW 2006, 3659 (3660); Gravenhorst NJW 2006, 3609 (3611). Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 11. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 13. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 14. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 11. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 15. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 15; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 26; Oetker/Busche6 § 90a Rn 18. 196 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 15. 197 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 11. 198 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 26. 199 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 26; Koller/Roth/Morck § 90a Rn 5; Oetker/Busche6 § 90a Rn 18; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 36. 200 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 26; Hopt § 90a Rn 15. 201 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 15. 202 § 90a Rn 9. 203 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 51; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 26; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 8; Hopt § 90a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 35; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 12b. 204 So aber Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 26. 205 Siehe hierzu die Entscheidung des LG Tübingen BB 1977, 671 betreffend den Fall eines in der Abrede enthaltenen Vorbehalts des Unternehmers, nach seinem Belieben von ihr Gebrauch machen zu dürfen: der Vorbehalt ist unwirksam. 707

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2. Satz 2 a) Geltungsdauer (zeitliche Beschränkung) 30 aa) „Längstens zwei Jahre von der Beendigung des Vertragsverhältnisses an“. Das Wettbewerbsverbot kann nicht weiter als auf zwei Jahre nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erstreckt werden. Maßgeblich ist das rechtliche, nicht das faktische Ende der Tätigkeit,206 was etwa im Falle der Freistellung bedeutsam sein kann. Der Zeitraum der Freistellung ist nicht in die Zweijahresfrist einzurechnen und verkürzt sie nicht. Kürzere Fristen dürfen vereinbart werden.207 Die 2-Jahresfrist kann weder verlängert noch unterbrochen, gehemmt oder hinausgeschoben werden.208 Die Zweijahres-Dauer ist damit eine zusammenhängende,209 sie beginnt mit dem Vertragsende zu laufen.210 Eine Zusammenrechnung getrennter Teilzeiträume und damit eine Verlängerung um die Zeit der Unterbrechung findet nicht statt,211 und zwar schon deshalb nicht, weil der HV in den kurzen, nicht durch ein Wettbewerbsverbot beschränkten Intervallen keine Gelegenheit finden wird, einen Wettbewerber zu vertreten. Selbst wenn die Wettbewerbsabrede daher nur für bestimmte Monate oder bestimmte Zeiträume im Jahr vereinbart wird, verlängert dies nicht die Höchstdauer von zwei Jahren ab Vertragsbeendigung.212 Durch eine mit (kurzen) Zwischenzeiten der Wettbewerbsfreiheit versehene Bindungsfrist könnte der Unternehmer den HV also weit über den 2-Jahreszeitraum binden. Insbesondere verlängert sich die Frist nicht um die Dauer einer Zeit, in der der HV an der Ausübung einer Wettbewerbstätigkeit infolge von Krankheit,213 Arbeitslosigkeit214 oder anderen Gründen verhindert gewesen wäre215: dies schon deshalb nicht, weil eine aktive Wettbewerbstätigkeit (Tätigkeit z. B. als Kommanditist in einer Konkurrenz-KG; stiller Gesellschafter, Gesellschafter einer GmbH wird gleichfalls erfasst) ohnehin nicht vorausgesetzt ist. Auch im Anschluss an die Zwei-Jahres-Frist dürfen die Parteien wohl nur im Ausnahmefall eine Verlängerung vereinbaren, nämlich wenn besondere Gründe oder ein berechtigtes Interesse des Unternehmers vorliegen.216 Insbesondere ist eine während der Laufzeit des HV-Vertrages vereinbarte Pflicht, die Wettbewerbsabrede zu verlängern, unwirksam.217 Die Wettbewerbsabrede kann aber vor Ablauf der vereinbarten Dauer enden, z. B. durch Verzicht oder durch den Tod des HV.218

31 bb) Folgen des Verstoßes gegen die Geltungsdauer. Siehe zunächst Rn 31, 36, 49. Nach weit überwiegender Ansicht führt eine Überschreitung der gesetzlich zulässigen Dauer des Wettbewerbsverbots von 2 Jahren nicht insgesamt zu seiner Unwirksamkeit. Vielmehr soll sich nach dem gesetzlichen Schutzumfang die unzulässig lange Frist auf die gesetzliche Höchstdauer von

206 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 27; Hopt § 90a Rn 16. 207 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 9. 208 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 27; Hopt § 90a Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 18. 209 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17; Hopt § 90a Rn 16. 210 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 476; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 6. 211 Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 15. 212 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17. 213 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17. 214 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17. 215 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17. 216 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17. 217 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17. 218 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 18. Emde

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2 Jahren reduzieren,219 das Wettbewerbsverbot also nach Ablauf der Zweijahresfrist unverbindlich werden.220 Das soll auch aus Art. 20 Abs. 3 RL folgen.221 Dies widerspricht jedoch der aus § 134 BGB hergeleiteten Rechtsfolge und könnte sich allenfalls (analog) § 139 BGB ergeben. Dann allerdings müsste der Unternehmer dazu vortragen (und es notfalls beweisen), dass die Parteien die Vereinbarung auch mit dem aufrecht erhaltenen Mindestinhalt geschlossen hätten.222 Zwar spricht eine gewisse Plausibilität dafür, dass die Parteien – wenn sie schon ein längeres Wettbewerbsverbot vereinbarten, auch ein kürzeres akzeptiert hätten. Sicher wissen kann dies aber niemand, so dass es auch nicht unterstellt werden darf.223 Auch ist der der h. M. zugrundeliegende Gedanke, dass dem HV trotz der „Überdehnung“ des Anwendungsbereichs die Karenzentschädigung verbleiben soll,224 im Grundsatz richtig. Andererseits kann es für den HV wirtschaftlich vorteilhafter sein, einen Schadenersatzanspruch durchzusetzen, den er wegen der Verwendung der unwirksamen Klausel jedenfalls nach Aufforderung, auf diese zu verzichten, besitzt.225 Es lässt sich sogar vertreten, dass der Mindestschaden in Höhe einer angemessenen Karenzentschädigung liegt. Es ist angesichts dieser Schadenersatzansprüche auch auf der Basis der h. M. nicht risikolos, den HV einem zeitlich überdehnten Wettbewerbsverbot zu unterwerfen.226 Ob eine Reduktion auch bei Vereinbarung des Wettbewerbsverbots in AGB anzunehmen ist, bleibt wegen des Verbots geltungserhaltender Reduktion und des Fehlens eines entgegenstehenden Normbefehls in § 90a mehr als fraglich (Rn 52).227 Ein zeitlich über das rechtlich Zulässige hinausgehende Wettbewerbsverbot kann dann nicht im Wege der geltungserhaltenden Reduktion auf das zeitliche zulässige Maß zurückgeführt werden, wenn die Unzulässigkeit der wettbewerbsbeschränkenden Regelung nicht allein in der zeitlichen Ausdehnung liegt, sondern weitere zur Unzulässigkeit (im entschiedenen Fall gem. § 138 BGB) führende Gründe hinzutreten.228 Dann nämlich geht es nicht mehr lediglich darum, eine bloß quantitativ zu weit gehende, im Übrigen aber von dem anzuerkennenden Willen der Parteien getragene Regelung auf das zulässige Maß zurückzuführen. Vielmehr müsste bei einer bloß aus quantitativer Überschreitung der zulässigen Grenzen hergeleiteten Unwirksamkeit das Gericht auf den übrigen Inhalt des sittenwidrigen Geschäfts rechtsgestaltend einwirken, um den Einklang mit der Rechtsord219 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 32 m. Anm. Hilgard sowie zust. Anm. Stoffels LMK 2013, 342065 = EWiR 2013, 13 (Emde); v. 25.11.1963 – VII ZR 29/62, BGHZ 40, 235 (239); v. 16.11.1972 – VII ZR 53/72, BGHZ 59, 387 (391); BAGE 15, 335; OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; OLG München BB 1963, 1194; OLG Naumburg, Urt. v. 18.7.2013 – 2 U 76/13 (Kart), WRP 2013, 1402 (zur kartellrechtlichen Grenze nachvertraglicher Wettbewerbsverbote); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 17, 50 f.; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 27; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 32; Hopt § 90a Rn 31; Oetker/Busche6 § 90a Rn 45; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 29; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 15. 220 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 m. Anm. Hilgard sowie zust. Anm. Stoffels LMK 2013, 342065 = EWiR 2013, 13 (Emde); OLG München, Urt. v. 11.4.1963, BB 1963, 1194; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 9. 221 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 39 m. Anm. Hilgard sowie zust. Anm. Stoffels LMK 2013, 342065 = EWiR 2013, 13 (Emde). 222 AA BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde). 223 Emde EWiR 2013, 13 (14). 224 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 50. 225 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 46 = EWiR 2013, 13 (Emde); OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; in diese Richtung auch BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147 = MDR 2008, 373 = ZIP 2008, 458 demzufolge die unbegründete Geltendmachung eines Nachbesserungsrechts eine zum Schadenersatz verpflichtende Handlung sein kann, falls der Fordernde weiß, dass die Mängelbeseitigung einen nicht unerheblichen Kostenaufwand verursachen wird. 226 Linder SpV 2014, 15 (16). 227 AA Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 27. 228 BGH, Urt. v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089 (3090) m. w. N.; aA BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde). 709

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nung herzustellen. Derartiges überschreitet nicht nur den den Gerichten eingeräumten Gestaltungsspielraum, weil die unterschiedlichsten Regelungen denkbar sind. Es widerspricht auch dem mit der Unwirksamkeit verfolgten Zweck, den Vertragspartnern das Risiko zuzuweisen, ob eine zwischen ihnen getroffene Vereinbarung unwirksam ist.229 Beweispflichtig für die Länge des Wettbewerbsverbots ist die Partei, zu deren Vorteil sie gereicht, meist der Unternehmer, und in Zweifelsfällen der Formulierende.230 Wurde keine Frist vereinbart, wird oft eine Zweijahresfrist gewollt sein (ggf. ergänzende Vertragsauslegung).231 Bei AGB gilt die Unklarheitenregel.

32 b) Räumlich-gegenständliche Beschränkung („nur auf den dem Handelsvertreter zu-

gewiesenen Bezirk oder Kundenkreis und nur auf die Gegenstände erstrecken, hinsichtlich deren sich der Handelsvertreter um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften für den Unternehmer zu bemühen hat“). Diese Beschränkung wurde im Einklang mit Art. 20 RL im Jahre 1989 nach englischem, französischem und italienischem Vorbild232 Gesetz. Bei kleinen Vertragsgebieten hat sie zur Folge, dass der HV trotz der Wettbewerbsabrede in Wettbewerb zum Unternehmer treten kann.233 Dies ist aber hinzunehmen, weil der Unternehmer jenes Risiko vorher einschätzen und den Wert der Wettbewerbsabrede beurteilen kann.

33 aa) Bezirk oder Kundenkreis. Die Begriffe „Bezirk“ und „Kundenkreis“, die auf den dem Bezirksvertreter nach § 87 Abs. 2 zugewiesenen Bezirk und Kundenkreis verweisen,234 sind nach h. M. zu eng gefasst und weit auszulegen. Nach jener h. M. darf auch dem Gebietsvertreter ohne Bezirksschutz ein Wettbewerbsverbot nur in seinem Gebiet auferlegt werden;235 er wird ebenso wie ein Bezirksvertreter durch § 90a geschützt. Das Gesetz und auch der deutsche Text der RL formulieren in dieser Frage nach herrschender Auffassung so unpräzise wie schlecht entworfene Verträge, welche die Begriffe „Gebiet“ und „Bezirk“ verwechseln. Nach dieser h. M. hätte es richtigerweise „Bezirk, Gebiet oder Kundenkreis“ lauten müssen. Weder der Wortlaut des § 87 noch der der deutschen Fassung des Art. 20 Abs. 2 lit. b RL unterstützen allerdings die Deutung der h. M. Vielmehr legt es deren Wortlaut näher, dass entweder dem Gebietsvertreter überhaupt kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot auferlegt werden (Verstärkung des Schutzes gegenüber der h. M.) oder der Gebietsvertreter über sein Gebiet hinaus einer Wettbewerbsabrede unterstellt werden darf (Reduzierung des von der h. M. gewährten Schutzes). Zumindest die letztgenannte Reduzierung des durch § 90a gewährten Schutzes ist ersichtlich nicht gewollt, weshalb die h. M. auch beim Gebietsvertreter eine nachvertragliche Wettbewerbsbeschränkung über das zugewiesene Gebiet hinaus als unzulässig ansieht. Letzteres wird man akzeptieren können, wenn man sieht, dass ein Bezirks- nicht besser als ein Gebietsvertreter geschützt sein kann und § 90a die Frage der Bezirksvertreterbestellung sowie der Bezirksvertreterprovision nicht regeln will. Klarheit gibt ein Blick auf den englischen Text des Art. 7 Abs. 2 Spiegelstrich 2 RL im Vergleich zu Art. 20 Abs. 2 lit. b RL. Er unterstützt die Ansicht der h. M. Denn gemäß Art. 7 Abs. 2 Spiegelstrich 2 RL in ihrer englischen Fassung ist Bezirksvertreter nur ein HV, der „an exclusive right to a specific geographical area or group of customers“ besitzt, also eine Exklusivität i. S. einer Vergütungsexklusivität. Art. 20 Abs. 2 lit b RL in der englischen Fassung hebt 229 BGH, Urt. v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089 (3090) m. w. N.; aA BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde). 230 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 27. 231 Hopt § 90a Rn 16; aA Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 27. 232 Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 23. 233 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 19. 234 Hopt § 90a Rn 17. 235 Küstner BB 1997, 1753 (1754); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 19; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 25. Emde

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seinen Wortlaut deutlich von der vorgenannten Definition der Bezirksvertretung ab: „it relates to the geographical area or the group of customers and the geographical area entrusted to the commercial agent and to the kind of goods covered by his agency under the contract“. Das zeigt, dass mit dem Bezirksvertreter des Art. 7 und dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot des Art. 20 unterschiedliche Vertragsinhalte gemeint sind. In Art. 7 wird nur der Bezirksvertreter mit Exklusivitätsabrede angesprochen, in Art. 20 die Wettbewerbsabrede jedes HV auf ein geographisches Gebiet beschränkt, unabhängig von dem Begriff des Bezirksvertreters aus Art. 7 RL/ § 87 Abs. 2 HGB. Eines Rückgriffes auf §§ 138, 242 BGB236 bedarf es deshalb bei einer Gebietszuweisung nicht, die Situation ist ebenfalls von § 90a erfasst. Es genügt, dass der HV nach den ggf. konkludent zum Vertragsinhalt bestimmten Vorstellungen beider Vertragspartner in einem bestimmten Gebiet, Bezirk oder Kundenkreis tätig werden sollte und seine Tätigkeit dergestalt beschränkt hat,237 wie es etwa bei vielen HV, z. B. VV, auch ohne eindeutige Bestimmung auf das Gebiet Deutschland, den Schwerpunkt der Tätigkeit238 (Unklarheiten gehen zu Lasten des Unternehmers) oder die betreffende Sparte239 angenommen werden kann. In diesem Umfang darf sich das Verbot auf alle auch potentiellen Kunden240 erstrecken, welche zum Kundenkreis des HV gehören sollen. Fehlt es an einem übertragenen geographischen Gebiet oder einem zugewiesenen Kundenkreis, darf das Wettbewerbsverbot entsprechend weit gefasst werden,241 soweit es nicht gegen Art. 12 GG verstößt. Eine gegen diese Beschränkungen verstoßende Wettbewerbsvereinbarung ist unwirksam.

bb) Gegenständliche Beschränkung „Gegenstände“. Das Wettbewerbsverbot darf sich nur 34 auf „Gegenstände“ erstrecken, welche der HV nach der ggf. stillschweigenden Vereinbarung bei Vertragsende oder in den letzten beiden Jahren zuvor für den Unternehmer abzusetzen hatte.242 Trotz der Verwendung des Wortes „Gegenstände“ sind auch andere Vertriebsprodukte erfasst, etwa Dienstleistungen.243 Bei Bausparkassen- und Versicherungsvertretern wird die Wettbewerbsabrede durch die relevante Sparte, für die der Bausparkassen- oder Versicherungsvertreter Geschäfte vermittelt, begrenzt.244 Richtigerweise sind also die Begriffe „Produkte“ oder „Leistungen“ gemeint. Die RL hilft bei der Auslegung nicht weiter, weil sie sich ohnehin nur auf „Waren“ erstreckt und folglich in der englischen Fassung die Worte „kind of goods“ verwendet. Andererseits steht sie damit auch einer über ihren Anwendungsbereich hinausgehenden, erweiternden Auslegung des § 90a nicht entgegen. Die normale Fortentwicklung der Angebotspalette darf der Wettbewerbsabrede unterstellt werden.245 U. U. gilt eine solche Erstreckung der Wettbewerbsabrede auch als stillschweigend vereinbart oder kann durch ergänzende Vertragsauslegung gefunden werden: Hat z. B. ein Unternehmen durch einen Rahmenvertrag ein zeitlich befristetes Vertriebsrecht für ausdrücklich benannte Typen erlangt und einer nachvertraglichen Wettbewerbsbeschränkung zugestimmt, so setzt eine ergänzende Vertragsauslegung hinsichtlich der möglichen Einbeziehung weiterer Typen in technischer Fortentwicklung in den Rahmenvertrag die Feststellung einer Regelungslücke voraus.246 In der Sache handelt es sich um 236 237 238 239 240 241 242

So Hopt § 90a Rn 17. Küstner BB 1997, 1753 (1754); Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 28. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 6a. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 63; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 10. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 28. Ensthaler/Genzow § 90a Rn 11. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 31; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 477; Oetker/Busche6 § 90a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 28. 243 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 21. 244 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 21; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 63; Ankele DB 1989, 2211 (2213); aA Hopt § 90a Rn 17. 245 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 31; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 6. 246 OLG Naumburg, Urt. v. 18.7.2013 – 2 U 76/13 (Kart), WRP 2013, 1402. 711

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eine Vergleichbarkeit der Marktsektoren nach Austauschbarkeit der Produkte aus Verbrauchersicht, ähnlich wie im Kartellrecht. Gemäß einer zweifelhaften Entscheidung des OLG Hamm247 soll im Franchisebereich eine Verletzung des Wettbewerbsverbots nur im Falle einer illoyalen Verwertung gemeinsamer Arbeitsprodukte vorliegen.

35 cc) Erstrecken. Das Verbot erstreckt sich auf das Gebiet, den Bezirk, Kundenkreis oder die Gegenstände, welche dem HV bei Vertragsende und in den letzten beiden Vertragsjahren zugewiesen waren.248 Maßgebend ist der u. U. konkludent vereinbarte Vertragsinhalt, nicht dessen ggf. vertragswidrige Handhabung oder Auslegung.249 Die tatsächliche Handhabung ist aber Indiz für das Gewollte. Bei den Gegenständen erfasst das Wettbewerbsverbot mangels (stillschweigender) vertraglicher Abrede die Produkte, welche bei objektiv vernünftiger, wirtschaftlicher Auslegung aus der Sicht eines objektiven Dritten mit den vertriebenen Produkten substituierbar sind.250 Wenn der HV laufend in wechselnden Gebieten und Kundenkreisen oder im Vertrieb wechselnder Produkte (Rotationssystem) eingesetzt wird, kann sich der Unternehmer nur hinsichtlich der möglichen Kunden aus den Bezirken vor Wettbewerb schützen, welche der HV in den letzten beiden Jahren vor Vertragsende beworben hat.251 Anderenfalls wäre er zu sehr in seiner durch Art. 12 GG geschützten Berufstätigkeit beschränkt. Nach aA soll auf das Gesamtgebiet abgestellt werden.252 Bei einer Verkleinerung des Vertragsgebiets kommt es auf das letzte Tätigkeitsgebiet an.253 Bestand eine notfalls stillschweigend gefundene Zuweisung nicht, darf hinsichtlich Gebiet, Bezirk oder Kundenkreis ein örtlich und persönlich uneingeschränktes Wettbewerbsverbot festgelegt werden.254 Hinsichtlich des gegenständlichen Verbots ist eine solche fehlende Bestimmtheit allerdings kaum denkbar. Ein derart unbestimmtes Verbot ist wegen Art. 12 GG ggf. im Wege ergänzender Vertragsauslegung auf das angemessene Maß zurückzuführen. Zweifel über die Reichweite des Verbots gehen zu Lasten desjenigen, der sich auf die Vorteile der Vereinbarung beruft, notfalls zu Lasten des Formulierenden.

36 dd) Rechtsfolgen des Verstoßes gegen die räumlich-gegenständliche Beschränkung. Siehe zunächst Rn 45, 28 (letztere zum Verstoß gegen die Geltungsdauer). Grundsätzlich führt ein Verstoß zur Nichtigkeit der Abrede gem. § 134 BGB,255 und zwar unabhängig von der konkreten Situation des HV oder seiner Schutzbedürftigkeit. Anders die h. M.: Bei Überschreitung der in § 90a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 genannten örtlichen und gegenständlichen Grenzen eines Wettbewerbsverbots findet nach h. M. eine Reduktion auf den von § 90a Abs. 1 S. 2 vorgesehe-

247 248 249 250 251

OLG Hamm, Urt. v. 28.4.2009 – 4 U 13/09, NJW-RR 2009, 1707. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 28. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 28. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 31. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 27; weiter wohl Küstner/Thume/Schröder I, 5. Aufl., Kap. X Rn 64. 252 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 27. 253 AA Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 20: Es ist im Einzelfall zu prüfen. Eine Erstreckung der Wettbewerbsabrede auf das Gesamtgebiet sei unangemessen, wenn die Verkleinerung des Vertragsgebiets schon mehrere Jahre zurück liege. Gleichermaßen sei eine Beschränkung auf das letzte Gebiet nicht interessengerecht, falls die Verkleinerung erst kurz vor Beendigung des HV-Vertrages erfolgt ist. Aber das führt zur Rechtsunsicherheit. 254 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 30; aA Küstner BB 1997, 1753 (1754). 255 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 66; Hopt § 90a Rn 31; zum Handlungsgehilfen umfassend Gehle DB 2010, 1981. Emde

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nen gesetzlich zulässigen Gehalt statt.256 Im Gegensatz zu anderen Rechtsgebieten und der Rspr. des BGH zu Wettbewerbsverboten von aus Sozietäten ausgeschiedenen Freiberuflern257 sehe § 90a Abs. 1 S. 2 eine gesetzliche Vorgabe für die Zulässigkeit von Wettbewerbsabreden in örtlicher und gegenständlicher Hinsicht vor.258 Dem Gericht wird daher nicht angesonnen, aus einer Vielzahl denkbarer Gestaltungsvarianten zu wählen.259

3. Satz 3 a) Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung aa) Gesetzliche und vertragliche Grundlage. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Karenz- 37 entschädigung konkretisiert ein aus Art. 12 GG hergeleitetes Recht.260 Im Gegensatz zur Wettbewerbsabrede beim Handlungsgehilfen (§ 74 Abs. 1, 2)261 braucht die Pflicht, Karenzentschädigung zu leisten, nach h. M. (jedenfalls in Individualverträgen262) nicht in der Urkunde (Abs. 1 S. 1) versprochen zu werden. Sie soll nicht notwendiger Bestandteil der Abrede sein, sondern ergebe sich aus dem Gesetz unmittelbar.263 Richtig daran ist, dass die Entschädigungspflicht Rechtsfolge, nicht Wirksamkeitsvoraussetzung, der Wettbewerbsvereinbarung ist.264 Das ändert jedoch nichts daran, dass die Urkunde schon zu Beweiszwecken in schriftlicher Form die maßgeblichen Abreden vollständig wiedergeben muss, auch und gerade dann, wenn das Gesetz konkretisiert oder (ggf. unzulässig) abgeändert wird. Wenn es also Regelungen zur Karenzentschädigung gibt, müssen sie in der Urkunde verkörpert sein (oben, Rn 27). Der Unternehmer schuldet die Karenzentschädigung auch dann kraft Gesetzes, wenn er von der Vergütungsfreiheit des Wettbewerbsverbots ausging.265 Weder § 119 Abs. 1 BGB (Anfechtung wegen Irrtums) noch §§ 154, 155 BGB (Dissens) sind in diesem Fall anwendbar.266 Sofern die Parteien die Karenzentschädigung nicht ausgeschlossen, sie aber nicht in einer für den HV angemes256 Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drucks. 11/3077, S. 10; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 33 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde); OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08 (Vorinstanz zum BGH); BezG Dresden DB 1993, 1620; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 50; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 32; Oetker/Busche6 § 90a Rn 45; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 20; großzügiger Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner2 § 90a Rn 2; Röhricht/v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 6; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 90a Rn 29, 69; Glanegger/Ruß § 90a Rn 2. 257 BGH, Urt. v. 18.7.2005 – II ZR 159/03, BB 2005, 2098; NJW 2005, 3061 (3062); v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089 (3090). 258 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 34/35 mit Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde). 259 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 35 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde). 260 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469. 261 BAG, Urt. v 22.3.2017 – 10 AZR 448/15; v. 15.1.2014 – 10 AZR 243/13, NJW 2014, 2379. Allerdings ist diese Verpflichtung auch dort sehr weitgehend reduziert, s. BAG, Urt. v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NJW 2006, 3659; AP HGB § 74 Nr. 35; aA Straube BB 2013, 117 (118) – auch im Zweifel keine Vereinbarung des gesetzlichen Mindestanspruchs; Gravenhorst NJW 2006, 3609 (3610); Grunsky NZA 1988, 713; Bauer/Diller Wettbewerbsverbote, 4. Aufl. 2006, Rn 288 ff. 262 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 263 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; OLG Düsseldorf BB 1962, 731; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 479; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 16, 25; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 12. 264 BAG NJW 1964, 1641; OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; OLG Nürnberg BB 1960, 1261; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 25; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 34; Oetker/Busche6 § 90a Rn 12; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 39; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 12. 265 Hopt § 90a Rn 18. 266 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 25; Hopt § 90a Rn 18; Oetker/Busche6 § 90a Rn 12. 713

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senen Höhe vereinbart haben, ist folglich nicht die gesamte Wettbewerbsabrede nichtig. Vielmehr besitzt der HV einen Anspruch unmittelbar aus § 90a Abs. 1 S. 3 auf Entschädigung in angemessener Höhe.267 Die gesetzliche Karenzentschädigung darf jedoch nicht ausdrücklich ausgeschlossen werden.268 Ein solcher ausdrücklicher Ausschluss hat regelmäßig die Nichtigkeit jedenfalls des Ausschlusses zur Folge,269 was auch Ansicht des BVerfG sein dürfte.270 Gesamtnichtigkeit des Vertrages oder (nur) der Wettbewerbsabrede kann nach §§ 139, 306 BGB eintreten.271 Nach Ansicht des OLG Hamburg ist nur „ausnahmsweise“ eine Gesamtnichtigkeit der Wettbewerbsabrede nach § 139 BGB zu prüfen, wenn die Parteien eine Karenzentschädigung gänzlich ausgeschlossen haben, diese Vereinbarung aber wegen § 90a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 unwirksam ist und es sich bei der dann gebotenen Vertragsauslegung ergibt, dass zumindest eine Partei bei einem zwingenden Entschädigungsanspruch auf die Wettbewerbsabrede verzichtet hätte.272 Gäbe es § 90a nicht, wäre die Unwirksamkeit einer Wettbewerbsabrede bei Ausschluss der Karenzentschädigung aus Art. 12 GG, § 134 BGB herzuleiten.273 Der Entschädigungsanspruch ist übertragbar und pfändbar,274 soweit nicht Pfändungsschutzvorschriften eingreifen (hier gelten die gleichen Regeln wie zum Schutz von Provisionsforderungen).275 Der Rechtscharakter der Karenzentschädigung ist nicht der eines Schadensersatzanspru38 ches,276 sondern einer vertraglichen Gegenleistung für die geschuldete Unterlassung des Wettbewerbs.277 Ihr zwingender Charakter wird aber nur erklärt, wenn man den Zweck dieses Synallagmas sieht: Letztlich soll der potentielle Einkommensverlust (ob er sich realisiert ist irrelevant) des HV infolge des (partiellen) Berufsverbots und der geringeren Erwerbschancen ausgeglichen werden,278 weshalb ein derartiger Eingriff ohne eine solche Kompensation unzulässig wäre (Art. 12 GG). Wegen des Charakters als vertragliche Gegenleistung ist – auch hier anders als beim Wettbewerbsverbot des Handlungsgehilfen – grundsätzlich ein anderweitiger Erwerb des HV auf die Entschädigung nicht anzurechnen,279 kann aber als einer von vielen Faktoren eine – da vertragsfremd eher untergeordnete – Rolle bei der Bemessung der angemessenen Entschädigung bilden,280 gleiches gilt generell für Einkommensvor- und -nachteile, die auf per-

267 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 479; Hopt § 90a Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 68.

268 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 16; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 33.

269 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 16; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 25, 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 33. BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 16. OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 33. BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – I BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469 unter II 2 und III; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 12. 274 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 34. 275 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 109 f.; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 33. 276 BGHZ 63, 353; BGH WM 1987, 512; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 24; Hopt § 90a Rn 18; Oetker/Busche6 § 90a Rn 21. 277 BGH, Urt. v. 19.12.1974, NJW 1975, 388; BFH, Urt. v. 29.10.1969, BB 1970, 383 = DB 1970, 664; OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers; Küstner/Thume/ Schröder I5 Kap. X Rn 86; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 24; Hopt § 90a Rn 18; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 480; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 13. 278 AA wohl BGH, Urt. v. 19.12.1974 – VII ZR 2/74, BGHZ 63, 353 = NJW 1975, 388; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 34. 279 Hopt § 90a Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 19; aA BGHZ 63, 353 (356); Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 89; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 37; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 18; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 45; Hohn DB 1967, 1898; einschränkend Ordemann BB 1965, 934. 280 OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers; Hopt § 90a Rn 20.

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sönlichen Entschließungen des HV beruhen.281 Keine Rolle bei der Bestimmung der Höhe der angemessenen Entschädigung spielt die Dauer des HV-Vertrages. Denn ungeachtet seiner Dauer muss der HV ggf. längere Zeit nach einer neuen Stelle suchen. Selbst bei einer Tätigkeit von lediglich 11 Wochen kann deshalb eine Karenzentschädigung angemessen sein.282 Ebenso irrelevant ist es, ob der nur als Gegenleistung für den Aufbau eines Kundenstammes dienende, selbst ohne Wettbewerbsabrede geschuldete Ausgleichsanspruch nach § 89b geleistet wurde,283 seine Zahlung bleibt auch unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung ohne Bedeutung. Der HV erhält die Karenzentschädigung als Kompensation für die geringere Verdienstchance. Falls er außerhalb der Unterlassungspflicht – zulässigerweise – tätig ist und zulässigerweise anderweitigen Verdienst erzielt, berührt dies das Leistungs-Gegenleistungsverhältnis ebenso wenig, wie es die durch die Karenzentschädigung substituierte Pflicht zur Zahlung von Provisionen eines Unternehmers tangiert, falls der HV für andere Unternehmer tätig wird.284 § 74c Abs. 1, der für den Handlungsgehilfen die Anrechnung bestimmt, ist nicht anwendbar.285 Jedenfalls wird überobligationsmäßiger Verdienst nicht angerechnet,286 wobei sich die Frage stellt, wie man ihn von pflichtgemäßem abgrenzt. Weil sie die geringere Verdienstchance honoriert, darf der HV die Karenzentschädigung unabhängig davon beanspruchen, ob und wieweit er zur Ausübung einer Wettbewerbstätigkeit im Laufe der Karenzzeit überhaupt in der Lage oder allgemein verhindert gewesen wäre.287 Deshalb hat der HV auch einen Anspruch auf Karenzentschädigung, wenn er sich – etwa wegen Alters oder Krankheit288 – ohnehin zur Ruhe setzen wollte289 und seine Erben dürfen – nicht anders als beim Ausgleichsanspruch nach § 89b – die Karenzentschädigung fordern, falls der HV infolge seines Versterbens keinen Wettbewerb hätte ausüben könnte („Als-ob-Betrachtung“). Der Unternehmer mag nach Abs. 2 S. 1 vorgehen.290 Eine (wohl vollständig – sonst nur partielle Anrechnung) mit Mitteln des Unternehmers aufgebaute Altersversorgung – aber nur diese – soll wieder anrechenbar sein,291 wofür immerhin spricht, dass sie nicht geleistet würde, wenn der HV noch erwerbstätig wäre. Sie darf aber nicht „doppelt“ angerechnet werden, einmal auf den Ausgleichsanspruch und dann wieder auf die Karenzentschädigung. Den Beteiligten bleibt es unbenommen, die Verpflichtung des Unternehmers zur Zahlung 39 der Entschädigung nach Grund und Höhe zum Bestandteil der Wettbewerbsabrede zu erheben. Das kann Bedeutung gewinnen dann, wenn die Bedingungen der vertraglichen von der

281 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529); Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 95; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 14. 282 OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers. 283 BGH, Urt. v. 10.2.1993 – VIII ZR 47/92, WM 1993, 1464 (1470); OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529); Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 94; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 24, 29; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 37; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 18; Hopt § 90a Rn 20; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 17; Hohn DB 1967, 1898; Ordemann BB 1965, 934; Schröder DB 1964, 325; Weber BB 1961, 1221; aA für VV: Martin VersR 1968, 120. 284 AA (Frage der Angemessenheit) BGHZ 63, 353 (355) = NJW 1975, 388 (389); BAG AP GewO § 133 f. Nr. 23; Ordemann BB 1965, 932 (934); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 31; Hopt § 90a Rn 20; Oetker/Busche6 § 90a Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 45. 285 BGHZ 63, 353 (355) = NJW 1975, 388 (389); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 31; Hopt § 90a Rn 9; Oetker/Busche6 § 90a Rn 5; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 14; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 90a Rn 44. 286 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 37. 287 BGHZ 63, 353 (356); OLG München, Urt. v. 11.6.1999 – 23 U 6625/98, OLGR 2001, 56 (57); Küstner/Thume/ Schröder I5 Kap. X Rn 87; Hopt § 90a Rn 18; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 13; Oetker/Busche6 § 90a Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 16a; Ordemann BB 1965, 933. 288 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 13. 289 BAG, Urt. v. 3.7.1990 – 3 AZR 96/89, BB 1991, 911; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 13. 290 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 13. 291 OLG Stuttgart, Urt. v. 18.5.1979, BB 1980, 527; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 94, 103. 715

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gesetzlichen Wettbewerbsabrede abweichen, etwa hinsichtlich der Gründe, sich von dieser zu lösen (Abs. 2, 3). Einer vertraglich zugesicherten Entschädigung geht der HV verlustig, wenn dies vereinbart wurde, der des § 90a nicht. Ob der Unternehmer gegen sie mit Schadensersatzansprüchen z. B. aus § 89a Abs. 2, aufrechnen kann, ist eine andere Frage. Die vertraglich ausbedungene Entschädigung muss, um wirksam zu werden, in der behändigten Urkunde vereinbart sein, anderenfalls könnte, da ein Teil der Vereinbarung nicht in der Urkunde enthalten ist, entweder die Schriftform oder die Aushändigung fehlen, mit der Folge der Gesamtunwirksamkeit der Wettbewerbsbabrede.

40 bb) Angemessene Entschädigung. Das Gesetz legt, im Gegensatz zu § 74 Abs. 2, demgemäß das Wettbewerbsverbot nur verbindlich ist, wenn sich der Prinzipal verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Entschädigung zu zahlen,292 die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der von dem Handlungsgehilfen zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erreicht, und § 74b Abs. 2 der regelt, bei der Berechnung der Entschädigung sei der Durchschnitt der letzten drei Jahre in Ansatz zu bringen, Art und Ausmaß der Entschädigung nicht fest. Es begnügt sich in gleicher Weise wie beim Ausgleichsanspruch nach § 89b mit der Angemessenheitsformel. Die gem. § 287 ZPO zu schätzende Entschädigung muss zum Zeitpunkt der Zahlung nach Art, Höhe sowie Zeitpunkt der Leistung eine angemessene und billige Gegenleistung für das Wettbewerbsverbot bilden.293 Ein zu geringer Betrag wird auf den angemessenen erhöht.294 Dieser Maßstab soll einen weiten Rahmen eröffnen.295 Ob dies auch für AGB gilt, ist offen.296 Möglicherweise entspricht es dem gesetzlichen Leitbild, hier eine Karenzentschädigung zu vereinbaren; ein keine Karenzentschädigung versprechendes Wettbewerbsverbot wäre dann unwirksam. Das geringste Risiko geht der AGB-Verwender ein, wenn er gleich dem Gesetzestext eine „angemessene“ Karenzentschädigung verspricht. Das Transparenzgebot wird durch eine solche Formulierung wohl nicht verletzt, zumal sich feste Sätze abstrakt-generell schwer bestimmen lassen. Immer muss eine tatsächlich werthaltige Leistung gewährt werden. Deshalb sind Regelungen bedenklich, bei denen die HV durch Refinanzierung der Karenzentschädigung vorweg ausscheidender Vertreter, etwa im Strukturvertrieb, die Karenzentschädigung wirtschaftlich besehen selbst tragen. Denn es kann bei solchen Gestaltungen im Mittel erwartet werden, dass jeder HV einen seiner Karenzentschädigung gleichenden Betrag vorweg an zuvor ausscheidende HV leisten musste. Eine feste Quote für die Ermittlung zur Höhe der Entschädigung gibt es nicht, ebenso wenig – abweichend von § 74 Abs. 2297 – eine gesetzliche Mindestentschädigung.298 Wohl überwiegend wird vertreten, dass die Interessen beider Parteien, präziser die Vorteile des Unternehmers durch die Unterlassung von Wettbewerbstätigkeit einerseits und die Nachteile für den HV wegen des Wettbewerbsverbots andererseits, gegeneinander abzuwägen sind.299 Maßgeblich für die Höhe ist der objektive Wert des Unterlassens regelmäßig bei Vertragsende300 und nicht der subjektive Wert für Unternehmer oder HV.

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BAG, Urt. v. 22.7.2017 – 10 AZR 448/15, ZIP 2017, 1387. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 14. BAG NJW 1964, 1641; OLG Nürnberg BB 1960, 1261; Hopt § 90a Rn 31. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 92. Vgl. Hopt § 90a Rn 31; Preis/Stoffels ZHR 160 (96), 490. Die Norm kann nicht analog angewandt werden, OLG Nürnberg BB 1960, 1261; Hopt § 90a Rn 9. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 39; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 481; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 6; Hopt § 90a Rn 9. 299 BGHZ 63, 353 (355 f.) = NJW 1975, 388 (389); Ordemann BB 1965, 932 (933); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 28; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 18, MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 42; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume § 90a Rn 14. 300 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529); Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 37; Oetker/ Busche6 § 90a Rn 25. Emde

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In die Bewertung einfließen können die Möglichkeit des HV, eine anderweitige Tätigkeit 41 auszuüben, der wirtschaftliche Verlust, den er erleidet,301 ersparte Kosten302 sowie gravierende Vertragsverletzungen.303 Auch die Einbußen, welche der HV durch Verzicht auf eine (vielleicht besser bezahlte) Stellung bei der Konkurrenz hinnehmen muss oder müsste, sind als Indiz für den objektiven Wert zu berücksichtigen.304 Da die Entschädigung Entgelt für die Wettbewerbsenthaltung305 – sie soll dem HV den Lebensunterhalt während der Zeit seiner Verpflichtung sichern306 – und nicht für einen konkreten Einkommensverlust307 ist, sind derartige Umstände allerdings weniger gewichtig, ebenso wenig Tatsachen, die in vertragsfremden Entschließungen oder persönlichen Umständen des Verpflichteten ihren Grund haben,308 etwa die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Sicherstellung des HV,309 die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit außerhalb des Konkurrenzbereichs und damit die Frage, ob der Mittler als Ein- oder Mehrfirmenvertreter310 tätig ist, schließlich, ob die Höhe der Entschädigung der Billigkeit entspricht.311 Auch die Dauer des Vertriebsvertrages ist, wenngleich sie berücksichtigt werden kann,312 eher unwichtig, da sie nichts über die zu vergütende Gegenleistung des HV, das Wettbewerbsverbot, aussagt. Trotz dieser objektiven Sicht kann aber der Wert, den das Konkurrenzverbot für Vertreter und Unternehmer hat, insb. die Vorteile des Unternehmers und die Bedeutung des Wettbewerbsverbots für ihn,313 mitentscheidend sein. Auch Umstände aus der Sphäre des Unternehmers können also in die Billigkeitsprüfung einfließen.314 Kommt nicht spätestens bei Inkrafttreten des Wettbewerbsverbots eine Einigung zwischen Unternehmer und HV über die Höhe der Entschädigung zustande, ist notfalls die vom Gericht als angemessen festzusetzende Entschädigung zu zahlen.315 Maßgeblich für die Bewertung der Angemessenheit soll der Zeitpunkt sein, zu dem die Wettbewerbsabrede Wirkung entfaltet und die Entschädigung erstmals zu zahlen ist.316 So kann etwa eine bei Beginn der Wettbewerbsabrede geleistete Einmalzahlung eine geringere Zahlung rechtfertigen, auch unter dem Gesichtspunkt der Abzinsung. Ob – anders als beim Ausgleichsanspruch – nach Vertragsende eingetretene Umstände in die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen sind, ist offen, dürfte jedoch eher angenommen werden. 301 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 28. 302 OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers. 303 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529); vgl. dazu BGHZ 63, 353 (356) = VersR 1975, 277 (278); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 28; Oetker/Busche6 § 90a Rn 37; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 45; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 37. 304 BGH – VII ZR 2/74, NJW 1975, 388; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 28; Hopt § 90a Rn 19; differenzierend: OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers als einer der maßgeblichen Faktoren zu berücksichtigen. 305 Ensthaler/Genzow § 90a Rn 13; Oetker/Busche6 § 90a Rn 21. 306 Ensthaler/Genzow § 90a Rn 13. 307 Hopt § 90a Rn 20. 308 BGHZ 63, 353; OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers; OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 29; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 14; Hopt § 90a Rn 20. 309 AA wohl Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 28. 310 Hohn DB 1967, 1898; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 36; aA OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529), das diesen Umstand für bedeutsam hält. 311 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 89; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 36; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 14. 312 OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers. 313 OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 37; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 28; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 481; Oetker/Busche6 § 90a Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 42; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 17. 314 BGH, Urt. v. 19.12.1974, NJW 1975, 388; Ordemann BB 1965, 932 (933); Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 89. 315 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529); OLG Nürnberg BB 1960, 1261. 316 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 28. 717

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Deshalb wird man nicht ausschließen können, dass eine sich bereits bei Vertragsende oder wegen nachträglich eintretender Umstände als zu hoch erweisende Leistung auf das geschuldete angemessene Maß – möglicherweise auf Null – zurückzuführen ist und der gezahlte Mehrbetrag über § 812 BGB zurückverlangt werden darf.317 Problematisch ist, ob dieses Recht auch besteht, wenn dem Unternehmer ein zur Lossagung gem. § 90a Abs. 4 berechtigender wichtiger Kündigungsgrund – vielleicht sogar aufgrund der Heimlichkeit durch den HV – unerkannt blieb.318 Beim Ausgleich darf sich der Unternehmer über § 89b Abs. 3 (analog) oder nach dem Billigkeitsgrundsatz auf den unerkannten Ausgleichsausschlussgrund berufen. Dort entfällt oder reduziert sich der Ausgleich aber automatisch kraft Gesetzes (s. Kommentierung zu § 89b), obwohl der Unternehmer den Kundenstamm als Gegenleistung zur Ausgleichszahlung bereits erhielt. Dies ist beim Wettbewerbsverbot anders. Denn der HV erbringt mit dem Wettbewerbsverbot eine grundsätzlich werthaltige Leistung, die er im Falle der rechtzeitigen Lossagung nicht erbringen müsste. Richtigerweise handelt es sich um eine Frage des Schadensersatzes, da die fehlende Aufklärung des HV über den wichtigen Kündigungsgrund eine Pflichtverletzung bildet. Im Ausnahmefall kann die Leistung des HV für den geschädigten Unternehmer keinen Wert bilden. Für das dem Gesellschafter einer HV-GmbH auferlegte Wettbewerbsverbot ist bei wirtschaftlichfaktischer Identität keine gesonderte Karenzentschädigung zu zahlen.319 Es soll auch nicht dem Anwendungsbereich des § 90a unterfallen, bleibt aber einer Prüfung nach den §§ 133, 157, 242 BGB zugänglich.320 Insbesondere ist keine Karenzentschädigung an den Gesellschafter zu zahlen, wenn es sich bei seiner Beteiligung lediglich um eine Kapitalanlage des Gesellschafters handelt. 42 Indiz für den objektiven Wert des Wettbewerbsverbots und rechnerische Grundlage für die Ermittlung der Karenzentschädigung sind regelmäßig die durchschnittlichen Vergütungen des HV in den letzten Jahren aus der untersagten Tätigkeit, insb. die Durchschnittsprovisionen321 des HV aus der nachvertraglich untersagten Tätigkeit in den vorhergehenden 3–5 Jahren, sofern der HV nicht nachweist, dass ihm durch das Wettbewerbsverbot die konkrete Chance zu erheblich höheren Verdienstmöglichkeiten genommen wird.322 Eine feste Quote für die Ermittlung der Entschädigung gibt es nicht.323 Das OLG München324 berechnete die Entschädigung auf der Basis der zugesicherten Mindestprovision. Über dem bisherigen, inflationsbereinigten Verdienst des HV wird deren Höhe meist nicht liegen, weil sich der Vertreter sonst besser als zur Vertragszeit stände.325 Das gilt grundsätzlich auch, wenn der HV für den bisherigen Unternehmer nur Teilzeit tätig war, jedoch an einer Vollzeittätigkeit gehindert wird.326 Ausnahmen sind denkbar, etwa wenn der Wert seines Unterlassens sich erhöht hat oder der HV auf eine außergewöhnlich gut dotierte Tätigkeit verzichten muss.327 Eine Karenzentschädigung von 75 % der Durchschnittsprovisionen der letzten 3–5 Jahre,328 bei kurzer Vertragsdauer der Durchschnittsprovisionen hochgerechnet auf ein Jahr,329 dürfte in den meisten Fällen angesichts entfallender Kosten angemessen sein, sofern nicht die hiervon begünstigte Partei einen

Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 37. Vgl. BR-Drucks. 340/97 S. 44; Schaefer HRefG 1999, S. 197 (198). OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08 – danach reicht das dem Gesellschafter auferlegte Wettbewerbsverbot nicht weiter als das die Gesellschaft treffende. 321 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 482. 322 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 39; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 17. 323 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 45. 324 OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers. 325 Hopt § 90a Rn 19. 326 BAG, Urt. v. 22.10.2008 – 10 AZR 360/08, NJW 2009, 2395 zu § 74. 327 Hopt § 90a Rn 19. 328 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 39; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 19. 329 Zur Hochrechnung auf ein Jahr: Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 39.

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für sie günstigeren Wert nachweist.330 Die gem. § 74 Abs. 2 bestimmte Höhe von mindestens der Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen sollte, auch wenn diese Vorschrift unmittelbar unanwendbar ist, nicht unterschritten werden.331 Eine Karenzentschädigung von 20 % des zuletzt bezogenen Entgelts ist zu gering.332 Die Höhe der Karenzentschädigung muss aber nicht zwingend anhand der durchschnittlichen Monats-Brutto-Provision bestimmt werden. Auch eine gezahlte Mindest-Brutto-Provision kann Bemessungsgrundlage sein.333 Der Nachweis eines günstigeren Wertes durch den Unternehmer ist denkbar, falls die Provisionen des letzten Vertragsjahres untypisch ansteigen. Ebenso wird eine Reduzierung oder Erhöhung der Vergangenheit in den betroffenen Zeitraum fortgeschrieben werden müssen. Eine Anrechnung anderen Erwerbs auf die Karenzentschädigung findet, anders als nach § 74c Abs. 1 S. 1, nicht statt. Selbst eine Analogie zu dieser Norm ist unzulässig.334 Der Terminus „zahlen“ darf nicht strapaziert werden: es genügt die Gewährung eines jeden 43 wirtschaftlichen oder rechtlichen Vorteils.335 Außer in Geld darf die Entschädigung – jedenfalls mit Zustimmung des HV – z. B. in Sachwerten,336 Gebrauchsvorteilen337 oder jeder sonstigen sich für den HV objektiv als Vorteil darstellenden Weise gewährt werden;338 ein Zugeständnis des Unternehmers kann als Vorteil ausreichen.339 Auch eine Einigung auf ein nachvertragliches Vergütungssystem soll möglich sein, mit dem gleichzeitig mehrere gesetzliche Ansprüche des HV abgegolten werden sollen.340 Regelmäßig ist aber Geld zu leisten, weil meist nur solches den Lebensunterhalt sichert. Der Unternehmer hat zu beweisen, dass dem HV ein sonstiger Vorteil einen dem Leitbild der Geldzahlung vergleichbaren Vorteil gibt. Da die Höhe der Entschädigung der richterlichen Schätzung nach § 287 ZPO unterliegt,341 44 nicht anders als beim Ausgleichsanspruch nach § 89b, dürfte ein unbezifferter Klagantrag zulässig sein, wenn die ungefähre Höhe der Forderung oder eine Mindestforderung angegeben wird. Vereinbarungen über die Höhe der Entschädigung können einem Streit über Grund und 45 Höhe vorbeugen. Sie stellen als den HV berechtigende Abreden keine unzulässige Derogation nach Abs. 4 dar, sofern die Entschädigung mindestens die Angemessenheitsschwelle des Gesetzes passiert.342 Die von den Parteien festgelegte Entschädigung ist als Mindestbetrag verbindlich.343 Eine (nachträgliche) Reduzierung zugunsten des Unternehmers auf den angemessenen Betrag ist nicht möglich,344 da es sich um eine vertragliche Vereinbarung handelt, die wirksam 330 Das OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529) sah eine vom HV-Vertrag vorgesehene Karenzentschädigung von 50 % der Durchschnittsvergütungen der letzten 3 Jahre als angemessen an. 331 Nach Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 92 ist dieser in §§ 74 Abs. 2, 74b bestimmte Satz die mangels Besonderheiten geschuldete Regelvergütung. 332 BAG, Urt. v. 15.1.2014 – 10 AZR 243/13, NJW 2014, 2379 Rn 35 ff. zu § 74. 333 OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/Alpers. 334 BGH BB 1975, 197; Hopt § 90a Rn 9. 335 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 336 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 105; Flohr/Wauschkuhn/ Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 34; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 17. 337 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 338 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 34; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 35; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 14; Hopt § 90a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 46. 339 Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 18a; BGH, Urt. v. 30.4.1962 – VII ZR 21/61, LM Nr. 2 = NJW 1962, 1346: im Vergleichswege eingeräumte Weiterzahlung der bisherigen Vergütung gegen eingeschränkte Arbeitsleistung zu dem Ziel, dem HV die Gründung einer in Ruhe aufzubauenden neuen Stellung zu ermöglichen. 340 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 341 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 27. 342 Hopt § 90a Rn 29. 343 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.2.2010 – 1 U 113/09, VersR 2011, 526 (529); Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 18; Ordemann BB 1965, 933; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 41; teilweise aA Schlegelberger/ Schröder § 90a Rn 17b. 344 Im Ergebnis Ordemann BB 1965, 932 (933) unter Hinweis auf Abs. 4; aA Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 102. 719

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ist, soweit sie nicht §§ 138, 242 BGB widerspricht. Sie kann also nicht unter dem Verdikt der „Angemessenheit“ auf den angemessenen Betrag reduziert werden.345 Die Vereinbarung darf aber bei von vornherein zu geringer Festsetzung, jedoch auch bei Eintritt nachträglicher Umstände,346 die zur Unangemessenheit führen – etwa bei nachträglichem Auftreten namhafter Wettbewerber347 – auf den angemessenen Betrag erhöht werden.348 Denn die Verpflichtung zur Zahlung der angemessenen Entschädigung ist unverzichtbar (Abs. 4). Bei einer Individualvereinbarung soll die Einigung auf ein dem HV vorteilhaftes nachvertragliches Vergütungssystem möglich sein, mit dem gleichzeitig mehrere gesetzliche Ansprüche des HV abgegolten werden.349 Es müsse im Vertrag keine bestimmte Summe genannt werde. Vielmehr sei es zulässig, eine einheitliche Abgeltung für Ausgleich und Karenzentschädigung (ohne Abgrenzung beider Summen) zu vereinbaren.350 Intransparenz i. S. d. § 307 Abs. 1 Nr. 2 BGB liege nicht vor.351 Das gesetzliche Leitbild zwinge die Parteien nicht dazu, eine der Höhe nach bestimmte Summe oder einen prozentualen Anteil für die Verrechnung vorzuschreiben. Auch die Vereinbarung einer „angemessenen“ Entschädigung genüge.352 Die vertragliche Vereinbarung zur Höhe ist zu unterscheiden von der vertraglichen Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung, welche auch den Anspruchsgrund auf eine erweiterte Basis stellt. In Ansehung der Höhe freilich laufen beide Vereinbarungen auf das gleiche hinaus. Für die Erfüllung und Werthaltigkeit der Entschädigung ist der Unternehmer darlegungs- und beweispflichtig. 46 Die Karenzentschädigung ist, ebenso wie Provision und Ausgleichsanspruch, ein Bruttoentgelt,353 bemessen nach der Höhe der Bruttoprovisionen.354 Auf die Karenzentschädigung sind die üblichen Abgaben zu entrichten, insbesondere Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer.355

47 cc) Fälligkeit. Zur Art und Weise der Erbringung, ob in Raten, als laufende Zahlung oder in einer Summe, lässt das Gesetz der Einigung der Beteiligten, ggf. der Festsetzung durch das Gericht, freien Spielraum, Abs. 4 steht nicht entgegen.356 Grundsätzlich wird davon auszugehen sein, dass die Entschädigung – ggf. angemessen abgezinst – in einer Summe gem. § 271 Abs. 1 BGB um 00.00 h des Tages nach dem letzten Tag der Vertragsdauer zu zahlen und fällig ist (anders beim Handlungsgehilfen, § 74b).357 Der HV als selbständiger Kaufmann kann auf eine Abgeltung in einer Summe angewiesen sein, um Vorbereitungen zur Gründung einer neuen Existenz nach Ablauf der Karenzzeit treffen zu können.358 Nur bei ausdrücklicher Einigung, die angesichts des Leitbildes monatlicher Provisionszahlung wohl auch als AGB zulässig sein dürf-

Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 27. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 100. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 100. BGHZ 63, 353 (355) = NJW 1975, 388; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 41. 349 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 350 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 351 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; aA LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06 als Vorinstanz. 352 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 353 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 35; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 12; Hopt § 90a Rn 19; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 17; Oetker/Busche6 § 90a Rn 25. 354 BGHZ 63, 353; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 41; Hopt § 90a Rn 19. 355 Im Einzelnen: Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 112 ff. 356 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 107; Hopt § 90a Rn 18; Oetker/Busche6 § 90a Rn 24. 357 BFH DB 1970, 664; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 107; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 40; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 16; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 487; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 16; Hopt § 90a Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 49; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 18. 358 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 47.

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te, darf die Karenzentschädigung in Raten etwa gleicher Höhe geleistet werden,359 eine solche Einigung ist auch wegen der disziplinierenden, zur Vertragstreue anhaltenden Wirkungen der Ratenzahlung zu empfehlen.360 In der Praxis wird – ohne Verstoß gegen Abs. 4361 – der Klagantrag häufig auf eine zukünftige, ratierliche, meist monatliche Zahlung gerichtet wird.362 Abs. 3 enthält keine Regelung zur Entstehung und zur Zahlung, so dass man ihm keine monatliche, ratierliche Fälligkeit entnehmen kann.363 Die Karenzentschädigung muss der Unternehmer ohne Aufforderung anbieten364 und ihre Höhe berechnen.

b) Übergang von Rechten und Pflichten. Verpflichtet zur Unterlassung von Wettbewerb ist 48 grundsätzlich der HV, zur Zahlung der Karenzentschädigung der Unternehmer. Die Abtretung durch den HV ist möglich.365 Für den Übergang der Aktiv- und Passivlegitimation, etwa bei Rechtsformwechsel, Spaltung und Verschmelzung gelten die oben, im Rahmen der Kommentierung zu § 84 dargestellten Grundsätze: Verpflichtet ist derjenige, der nach diesen Grundsätzen Vertragspartner wurde, im Falle der Gesamtrechtsnachfolge nur der Rechtsnachfolger. Eine davon abweichende Erweiterung oder Reduzierung der Zahl der verpflichteten Personen bzw. der Verbleib beim ursprünglichen Vertragspartner ist – vorbehaltlich einer ergänzenden Vertragsauslegung – nur möglich, wenn sich alle Betroffenen entsprechend geeinigt haben.366 Bei Übernahme des Vertrages durch eine Kapitalgesellschaft erstreckt sich das Wettbewerbsverbot ohne entsprechende Vereinbarung regelmäßig nicht auf deren Gesellschafter oder Organmitglieder.367 Wahrscheinlich gelten aber die zu § 86 niedergelegten Durchgriffserwägungen, etwa um einen Wettbewerb des Gesellschafters als Umgehungs-TB zu verhindern.368 Deshalb wird man jedenfalls bei wirtschaftlichfaktischer Identität zwischen GmbH und ihren Geschäftsführern/Gesellschaftern das die HVGmbH treffende Wettbewerbsverbot auch auf ihre GF/Gesellschafter erstrecken dürfen.369 c) Rechtliche Schranken und die Folgen ihrer Nichtbeachtung aa) Nichtigkeit (1) Nichtigkeit nach §§ 90a, 134 BGB. Nach h. M. gilt: Überschreitet die Wettbewerbsabrede 49 die durch § 90a Abs. 1 S. 2 gezogenen Grenzen, so führt das nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Sie bleibt vielmehr in diesen Grenzen wirksam. Dies soll sowohl im Fall der Überschreitung der Höchstdauer des Wettbewerbsverbots nach § 90a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 (dazu oben) als auch bei der Überschreitung seiner örtlichen und gegenständlichen Vorgaben nach Hs. 2 der Vorschrift gelten370 (s. o.). So kann nach Ansicht des BGH371 und des OLG Hamburg372 im Wege der geltungsEbenroth/Löwisch4 § 90a Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 48. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 32. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 32; Hopt § 90a Rn 18, 29. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 32. AA Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 32. OLG Karlsruhe VersR 1973, 857. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 109. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7. Das OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08 sieht diesen Schutzzweck als Grund eines im entschiedenen Fall geprüften, auch auf den Gesellschafter der HV-GmbH erstreckten Wettbewerbsverbots. 369 Im Ergebnis OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 370 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 31 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde); Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 50. 371 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 31 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde). 372 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08.

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erhaltenden Reduktion eine nachvertraglich geschlossene und gegen § 90a Abs. 1 S. 2 verstoßende Klausel mit 3jähriger Bindung und weltweiter Geltung (trotz Beschränkung des Vertriebsgebietes des betroffenen VV auf das Inland) auf das gesetzlich noch zulässige zeitliche (zwei Jahre) und räumliche Maß (Vertriebsgebiet, hier das Inland) zurückgeführt werden. Teilweise wird eine solche Reduktion auf das gesetzlich Gewollte nur bei zeitlicher Überdehnung vertreten, nicht jedoch bei räumlich-gegenständlicher und auch nur bei (einzeln vorliegend) räumlicher oder gegenständlicher Übertretung.373 Tatsächlich dürfte die Folge eines Verstoßes gegen § 90a, auch gegen die Formvorschrift des 50 Abs. 1 S. 1, im Grundsatz die Nichtigkeit der getroffenen Abrede nach § 134 BGB sein.374 Das Wettbewerbsverbot sowie synallagmatische Gegenleistungen entfallen also. An Stelle der nichtigen Abrede tritt das dispositive Recht, welches kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kennt.375 Die o. g. h. M. legt den Vertrag nicht aus, sondern gestaltet ihn inhaltlich neu.376 Nichtig wegen Verstoßes gegen den Schutzzweck des § 90a sind auch Umgehungsmanöver, insb. Abreden, durch die ohne Entschädigungspflicht des Unternehmers Druck auf den HV ausgeübt werden soll, sich einer nachvertraglichen Konkurrenztätigkeit zu enthalten. Beispiel: ein HV hatte sich verpflichtet, bei Leistung von Diensten für die Konkurrenz nach Ausscheiden bestimmte vom Unternehmer während des Vertragsverhältnisses gezahlte Vergütungen zurückzuerstatten (selbständiges Strafversprechen i. S. d. § 343 Abs. 2 BGB).377 Bei Vorliegen der TB-Voraussetzungen des § 92c brauchen die Bedingungen des § 90a nicht eingehalten zu werden,378 jedenfalls nicht, wenn die Abweichung von § 90a individualvertraglich erfolgte (s. Kommentierung zu § 92c). Ebenso ist das Gericht bei seinem Urteil über die angemessene Entschädigung nicht an eine vereinbarte Festsetzung der Parteien gebunden, sofern sie nicht das Maß des Angemessenen erreicht. Handelt es sich bei der Wettbewerbsabrede um AGB, tritt wegen des Verbots einer geltungserhaltenden Reduktion sicher Unwirksamkeit ein.

51 (2) Nichtigkeit nach § 138 BGB. Grundsätzlich gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Wirksamkeits- und auch Nichtigkeitsgründe unter Einschluss der Anfechtungsregeln,379 vor allem § 138 BGB.380 § 90a Abs. 1 S. 2 bildet eine Spezialregelung zu § 138 BGB, soweit es um die Wirksamkeit einer Wettbewerbsabrede in zeitlicher, örtlicher und gegenständlicher Hinsicht geht. Eine Nichtigkeit nach § 138 BGB ist daher nur denkbar, wenn Umstände vorliegen, die über die genannten Aspekte hinausgehen.381 Innerhalb seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ist folglich die Prüfung anhand des speziellen § 90a vorrangig.382 Damit hat § 138 BGB, ebenso wie 373 Gehle DB 2010, 1981 m. w. N. 374 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990, NZA 1990, 389 (390) sub 2; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 21, 58; Hopt § 90a Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 73; aA Hillgruber AcP 191 (1991), 69 (77).

375 BGHZ 40, 235 (239); Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 58; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 73; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 31.

376 BGH, Urt. v. 28.4.1986 – II ZR 254/85, DB 1986, 1915 mit Bezugnahme auf die Rspr. des BVerfG; Gehle DB 2010, 1981 m. w. N.; Emde EWiR 2013, 13 (14).

377 BGH DB 1973, 63. 378 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 7; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 5; differenzierend Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 4.

379 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 21. 380 BezG Dresden BB 1991, 2030; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 8; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 59.

381 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 36 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde); OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08 (§ 90a lex specialis) – Vorinstanz zum BGH; KG MDR 1997, 1041; Hopt § 90a Rn 7 (§ 138 BGB nur im Einzelfall anwendbar). 382 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 36 m. Anm. Hilgard; KG MDR 1997, 1041; Hopt § 90a Rn 7; aA BezG Dresden BB 1991, 2030; mglw. lehnt auch das OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08 eine solche Prüfung dem Grunde nach ab; es führt sie aber gleichwohl durch. Emde

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§ 242 BGB,383 in erster Linie die Aufgabe eines zweiten Filters, etwa wenn eine gem. § 90a vereinbarte Abrede mit den guten Sitten unvereinbar bleibt.384 Auch gem. Art. 12 GG, § 138 BGB sind Wettbewerbsverbote nur wirksam, wenn sie durch ein schutzwürdiges Interesse des Berechtigten gefordert werden385 und sich nach ihrem örtlichen, zeitlichen und gegenständlichen Bereich im Umfang des Angemessenen halten.386 Das gilt jedenfalls bei räumlicher und/oder gegenständlicher Überdehnung.387 § 90a konkretisiert diese allgemeinen Voraussetzungen. Wie nach Abs. 1 darf auch nach § 138 BGB die Schutzfrist in der Regel zwei Jahre nicht überschreiten.388 Die Wettbewerbsabrede kann etwa wegen Knebelung des HV sittenwidrig sein (Beispiel: der HV hat auf dem Gebiet der von ihm vertriebenen Erzeugnisse, aber unabhängig von seiner Vertretertätigkeit, eine bahnbrechende Neuheit entwickelt. Er ist dadurch hoch in Schulden geraten. Der Unternehmer nimmt ihm gegen noch als angemessen geltende, die Schulden deckende Entschädigung die Zusage ab, die Erfindung binnen zwei Jahre nicht zum Patent anzumelden; er hat eine unternehmenseigene Entwicklungsabteilung und hofft, in dieser Zeit eine ähnliche Neuheit patentanmeldungsfähig entwickelt zu haben). Ein örtlich unbegrenztes Wettbewerbsverbot kann sittenwidrig sein, sofern es die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG zu sehr beschränkt.389 Im Anwendungsbereich des speziellen § 90a tritt wegen der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung keine Nichtigkeit nach § 138 BGB ein, selbst wenn vergleichbare Verbote in anderen Branchen nicht akzeptiert würden: So soll die Wettbewerbsabrede sogar dann wirksam sein, wenn sie sich wie ein Berufsverbot auswirkt, weil dem HV etwa ganz Deutschland als Tätigkeitsbereich zugewiesen war und die gesamte von ihm bisher vertriebene Produktpalette von dem Verbot erfasst wird. Diesem Umstand soll bei der Bemessung der Karenzentschädigung angemessen Rechnung getragen werden und die Wettbewerbsvereinbarung trotz dieser Auswirkungen wirksam bleiben,390 sofern sie dem Schutz eines berechtigten Interesses des Unternehmers dient – aber nur dann.391 Es liegt kein Verstoß gegen Art. 12 GG i. V. m. § 138 BGB vor, falls nicht die Betätigung im Fitnessstudio-Bereich insgesamt verwehrt wird sondern nur der Betrieb von Fitnessstudios, die als Schwerpunkt „XX-Training“ anbieten.392 Die Wettbewerbsabrede kann vertragsstrafegesichert werden.393 Dies wird weder durch § 138 BGB noch durch § 90a ausgeschlossen, solange das Vertragsstrafeversprechen, etwa aufgrund unangemessener Höhe, nicht nach allgemeinen Grundsätzen unwirksam ist. Sofern Unternehmer die Erwerbschancen der HV durch Vereinbarung wechselseitiger Beschäftigungsverbote beeinträchtigen, können derartige Abreden nach Abs. 4,394 Art. 101 AEUV, § 138 BGB,395 § 75 f. HGB (analog) nichtig sein. Die in der Versicherungswirtschaft bekannten Auskunftsstellen (AVAD), denen die Versicherer Beendigungsgründe melden, verstoßen nicht gegen § 90a.396 Jedoch dürfen nur wahrheitsgemäße Auskünfte erteilt und weitergegeben werden; der HV ist davon zu unterrichten.397

Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 8. Hopt § 90a Rn 7. Gehle DB 2010, 1981. BGHZ 91, 6; BGH NJW 1986, 2944; NJW-RR 1996, 741, st. Rspr.; vgl. Palandt/Heinrichs § 138 Rn 104. Gehle DB 2010, 1981; Thüsing NZG 2004, 9. BGH NJW 1994, 384; 2004, 66; NJW-RR 1990, 226; 1996, 741; Staudinger/Sack (2003) § 138 Rn 309. Staudinger/Sack (2003) § 138 Rn 307. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 21; Flatten ZIP 1999, 1791 (1705). Gehle DB 2010, 1981. LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (312) m. Anm. Martenstein. BGH WM 1992, 829; LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (312) m. Anm. Martenstein; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 54; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 76. 394 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 4. 395 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 8. 396 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 8. 397 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 37.

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52 bb) Unwirksamkeit gemäß § 307 BGB. Nachvertragliche Wettbewerbsabreden dürfen auch mittels AGB vereinbart398 und derart durch Vertragsstrafe gesichert werden.399 Nachvertragliche Wettbewerbsverbote sind i. S. d. §§ 305 ff. BGB kontrollfähig;400 sie sind nicht als kontrollfreie Leistungsbeschreibung der Inhaltskontrolle entzogen.401 Dies gilt jedenfalls, soweit vom Wortlaut des § 90a abgewichen und damit eine Abweichung von Rechtsvorschriften i. S. d. § 307 Abs. 3 BGB vorliegt, aber auch über den Wortlaut des § 90a hinaus (der Kontrollmaßstab ist dann Art. 12 GG).402 Anhand des Maßstabes des § 90a Abs. 3 S. 3 kann auch die Angemessenheit der Karenzentschädigung geprüft werden. Verstößt ein in AGB vereinbartes Wettbewerbsverbot gegen § 90a, ist es nach § 307 BGB unwirksam.403 Dies hat der BGH für das Verhältnis zwischen § 89b und § 307 BGB ausgesprochen.404 Bedeutung hat die Prüfung vor allem wegen der von § 139 BGB abweichenden Rechtsfolge des § 306 BGB und des Verbots geltungserhaltender Reduktion. Zu einzelnen Klauseln siehe Vor § 84 zu AGB.

53 cc) Kartellrecht. Das Wettbewerbsverbot des § 90a beruht auf europarechtlicher Präformation in der RL und ist bei Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 90a bereits deshalb beim „echten“ HV (s. Kommentierung zu Vor § 84), der nicht Art. 101 AEUV untersteht, kartellrechtlich unbedenklich, auch nach dem insoweit mit Europarecht „gleichgeschalteten“ GWB.405 Jedoch können zwischen Unternehmern vereinbarte Beschäftigungsverbote gegen Art. 101 AEUV, § 19 GWB verstoßen (dazu oben), mit der Folge einer Schadenersatzpflicht aus § 33 GWB, §§ 826406 sowie § 823 Abs. 2 i. V. m. den Grundsätzen des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Zu Vertragshändlern und FN oben. Soweit das Verbot unwirksam ist, tritt Nichtigkeit nicht nur nach Art. 101 AEUV sondern auch nach § 307 BGB ein.

54 dd) Folge der Nichtigkeit für den Gesamtvertrag. Da die Wettbewerbsabrede nicht selten getrennt, auch zeitlich getrennt, vom HV-Vertrag geschlossen wird, mindestens aber nach ihrem sachlichen Gehalt einen gegenüber dem eigentlichen HV-Verhältnis gesonderten Gegenstand betrifft, ergibt sich die Frage nach der Auswirkung ihrer Nichtigkeit auf den HV-Vertrag. Sie ist bei einer Individualvereinbarung aus §§ 139, 306 Abs. 3 BGB zu beurteilen. Siehe auch oben. Die Frage stellt sich meist nur bei laufendem Vertrag. Man wird im Zweifel davon ausge-

398 BGH, Urt. v. 28.1.1993 – I ZR 294/90, ZIP 1993, 703; Preis/Stoffels ZHR 160 (96), 490; OLG München DB 1996, 422; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 10; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 31; Hopt § 90a Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 72. 399 LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (312) m. Anm. Martenstein; Ebenroth/ Löwisch4 § 90a Rn 10; Hopt § 90a Rn 7. 400 OLG München, Urt. v. 26.6.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521 (zu einem Franchisevertrag); LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Handelsvertreterrecht, Rn 65; BAG, Urt. v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/2005, NJW 2006, 2659 (3660); Gravenhorst NJW 2006, 3609 (3611) zu einem arbeitsrechtlichen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot. 401 So aber für das Wettbewerbsverbot des § 74a Bauer/Diller Wettbewerbsverbote Rn 233; Diller NZA 2005, 250 (251); kritisch dazu Koch RdA 2006, 28 (39 f.); siehe Staub/Weber § 74a Rn 4. 402 Im Arbeitsrecht besteht hingegen eine größere Kontrollfreiheit, weil die §§ 74 weniger enge Regeln für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot treffen, siehe LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18.12.2008 – 2 Sa 378/08, LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 30.1.2008 – 10 Sa 60/07, NZA-RR 2008, 508; Straube BB 2013, 117. 403 OLG München, Urt. v. 26.6.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521 (zu einem Franchisevertrag). 404 Siehe die Entscheidungen des BGH zur Anrechnung der Altersversorgung auf den Ausgleich, etwa Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenfassend Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f.; Emde VersR 2004, 1513. 405 Hopt § 86 Rn 37. 406 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 32–36. Emde

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hen dürfen, dass die Nichtigkeit der Wettbewerbsabrede nicht auch die des HV-Vertrages nach sich zieht, weil der Kernbereich des Vertrages unberührt bleibt.407 Nicht im Zusammenhang mit der Wettbewerbsabrede stehende Vereinbarungen bleiben damit regelmäßig wirksam.408 Allgemein gehaltene salvatorische Klauseln wehren die Unwirksamkeitsfolge nicht ab.409 Eine Wettbewerbsabrede ist im Zweifel jedoch gänzlich unwirksam, wenn ihr wesentlicher Teil unwirksam sein sollte. Für den umgekehrten Fall gilt: Ist der HV-Vertrag nichtig, so ergreift die Nichtigkeit im Zweifel auch die Wettbewerbsabrede.410 Denn sie verliert mit jenem ihre Basis.411 Folge der Nichtigkeit des Gesamtvertrages wäre ein Eingreifen der Grundsätze zum faktischen Vertrag. Bereits „verdiente“ Karenzentschädigung steht deshalb dem HV zu; nach „Entdeckung der Nichtigkeit“ fällige darf er jedoch nicht fordern.

ee) Schadenersatz. Die Vereinbarung eines unwirksamen nachvertraglichen Wettbewerbsver- 55 bots ist eine Verletzung vertragsbegleitender oder nachvertraglicher Treupflichten,412 was bei Verschulden dem Grunde nach zu einer Schadensersatzpflicht aus § 280 BGB413 führt, ggf. aus § 122 BGB,414 § 826 BGB415 sowie § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den Grundsätzen des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Zumindest nach § 812 BGB wäre der Wert des Unterlassens auszugleichen, wobei § 90a mit der „angemessenen Entschädigung“ Anhalt für den Wert des Unterlassens gibt. Es handelt sich um eine Frage des Einzelfalls. Zwar soll die unberechtigte Geltendmachung einer Forderung, jedenfalls sofern keine Prüfungspflicht besteht, keine zum Schadenersatz verpflichtende Handlung darstellen.416 Dies gilt aber nicht, sofern ein Prüfungsanlass bestand und er wird rglm. existieren, wenn ein Vertragspartner – wie bei Abschluss eines vertraglichen Wettbewerbsverbots – besonders tief in die Rechte des anderen Partners eingreift.417 Besteht daher der Unternehmer auf das Wettbewerbsverbot, so kann dies eine zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots darstellen.418 Vom Verschulden hat sich der Unternehmer gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu entlasten, wobei Fahrlässigkeit fehlt, wenn er seinen Rechtsstandpunkt sorgfältig überprüft und dieser plausibel ist.419 Sendet der HV ein ausführlich und auch rechtlich begründetes Schreiben, mit dem er mit guten Gründen auf die Unwirksamkeit der Wettbewerbsabrede hinweist, scheidet

407 BGHZ 40, 235 (239); Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 21, 58; Hopt § 90a Rn 31; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 90a Rn 73; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 6. 408 BGH, Urt. v. 9.5.1968 – II ZR 158/66, DB 1968, 1263 = NJW 1968, 1717; OLG Köln, Urt. v. 5.10.2000 – 12 U 62/00, BB 2001, 538; Gehle DB 2010, 1981. 409 Gehle DB 2010, 1981 (1982 f.). 410 Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 7. 411 Vgl. auch RGZ 146, 116 (für die Wettbewerbsabrede im Angestelltenverhältnis). 412 Niebling WRP 2009, 153 (155); Palandt/Grüneberg Vor § 307 Rn 14; aA LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06. 413 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 45 m. krit. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde); OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 414 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 21. 415 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 32–36. 416 BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZR 167/05. 417 Vgl. Haertlein MDR 2009, 1 (3) linke Spalte. 418 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 45 m. krit. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde). 419 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 46 = EWiR 2013, 13 (Emde); OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; in diese Richtung auch BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147 = MDR 2008, 373 = ZIP 2008, 458 demzufolge die unbegründete Geltendmachung eines Nachbesserungsrechts eine zum Schadenersatz verpflichtende Handlung sein kann, falls der Fordernde weiß, dass die Mängelbeseitigung einen nicht unerheblichen Kostenaufwand verursachen wird. 725

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eine solche Entlastung eher aus.420 Der Verwender des Wettbewerbsverbots kann sich dann nicht auf mangelndes Verschulden (Rechtsirrtum) berufen.421 Dem HV ist es unzumutbar, gegen ein unwirksames nachvertragliches Wettbewerbsverbot ohne Verzicht des Unternehmers auf dieses Wettbewerbsverbot zu verstoßen.422 Bei Nichtigkeit nach § 138 BGB ist insb. an einen Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB zu denken, zugleich – da das Wettbewerbsverbot auf einer vertragsbegleitenden Vereinbarung beruht – aus § 280 BGB oder wegen Schlechterfüllung nachvertraglicher Treupflichten.423 Der Anspruch valutiert in Höhe des entgangenen Gewinns, etwa aus einer entgangenen anderen Stellung,424 mindestens jedoch in Höhe einer angemessenen Karenzentschädigung. Dies ergibt sich bereits aus dem Schutzgedanken des § 90a. Wenn es ein einfaches Mittel wäre, den HV gegenständlich und zeitlich zu weit einzuschränken, um der Karenzentschädigung zu entgehen, könnte nur dieser Gestaltungshinweis gegeben werden. Der Unternehmer würde dann durch eine zu weit einschränkende, nachvertragliche Wettbewerbsabrede sogar belohnt. Er darf den HV jedoch nicht schlechter behandeln, als unterläge er einem wirksamen Wettbewerbsverbot: Der Unternehmer schuldete Karenzentschädigung. Ein Schadenersatzanspruch begrenzt sich nicht auf die Höhe der Karenzentschädigung.425 Den Schadensersatz berechnete das OLG Hamburg426 wie folgt: Durchschnittsprovision der letzten drei Jahre: 12 x Monate des Wettbewerbsverbots – Betriebsaufwand von 10 %.

II. Absatz 2 1. Verzicht des Unternehmers auf die Innehaltung der Wettbewerbsabrede 56 Nach Abs. 2 hat, vergleichbar der in § 75a für den Handlungsgehilfen getroffenen Regelung, der Unternehmer das Recht, einseitig von der Vereinbarung zurückzutreten. Dies muss durch eine spätestens bei Beendigung des Vertragsverhältnisses dem HV gegenüber abzugebende, schriftliche (§ 126 BGB427) Erklärung des Unternehmers erfolgen, dass er auf das Wettbewerbsrecht verzichte. Durch sie kann der Unternehmer das Risiko einer Fehldisposition bis zum Vertragsende in gewissem Maße auf den HV verlagern, was dadurch ausgeglichen wird, dass der Unternehmer Karenzentschädigung bis zur längsten denkbaren Kündigungsfrist nach § 89 leisten muss. Abs. 2 ist auf mittelbare Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar (Rn 20).

2. Tatbestandsvoraussetzungen 57 Es muss eine Erklärung des Unternehmers vorliegen, also eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung.428 Nur der Unternehmer hat das Recht aus Abs. 2, nicht der HV. Die Erklärung muss, ebenso wie nach 75a, schriftlich erfolgen, also die Schriftform des § 126 BGB wah-

420 BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 Rn 46 m. Anm. Hilgard = EWiR 2013, 13 (Emde); ebenso die Vorinstanzen OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06. 421 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08; LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06. 422 LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06. 423 BGHZ 99, 106, BGH NJW 2001, 1127 (1129); Palandt/Heinrichs § 138 Rn 22. 424 Eberstein9 S. 176. 425 AA Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 21: Der Höhe nach auf die Karenzentschädigung begrenzt. 426 OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.2011 – 3 U 260/08. 427 Oetker/Busche6 § 90a Rn 31. 428 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 37. Emde

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ren.429 Der Unternehmer muss in dieser Erklärung hinreichend deutlich430 „verzichten“, also einseitig, rechtsgestaltend und bedingungslos alle Wirkungen der Wettbewerbsabrede fallen lassen und zum dispositiven Recht zurückkehren. Ein Widerspruch des HV ist, außer im Fall des § 174 BGB, rechtlich unbeachtlich.431 Enthält die Wettbewerbsabrede Regelungen, deren Einhaltung sich schon aus dispositivem Recht ergibt, etwa aus der Interessenwahrungspflicht oder dem Geheimnisschutz, braucht der Unternehmer nicht auf diesen Schutz des dispositiven Rechts zu verzichten. Regelmäßig ergreift der Verzicht den Schutzgehalt des dispositiven Rechts auch nicht. Als einseitige Erklärung ist der Verzicht bedingungsfeindlich.432 Einmal erklärt, kann er nicht zurückgenommen werden.433 Er ist allerdings anfechtbar.434 Eine formunwirksame oder verspätete Erklärung kann als Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrages ausgelegt werden,435 welches der HV ggf. gem. § 151 BGB annehmen kann, aber nicht muss. Fraglich ist die Zulässigkeit eines Teilverzichts.436 Er scheidet aus, sofern ein berechtigtes Vertrauen des HV auf das „Alles oder Nichts“ besteht. Da dem HV durch den intransparenten Teilverzicht eine völlig neue Abrede aufgezwungen wird, die vom vorhersehbaren „Alles oder Nichts“ des vollständigen Verzichtsrechts abweicht, bin ich hinsichtlich der Zulässigkeit ebenso skeptisch wie bei der Teilkündigung. Nur so lange Vertrauensschutz nicht entgegensteht, wird man einen Teilverzicht des Unternehmers für zulässig halten dürfen,437 mit der Folge der Minderung der Karenzentschädigung pro rata. Eine der Höhe nach durch Vereinbarung festgesetzte Entschädigung ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung anteilig zu reduzieren. Ist der Teilverzicht zulässig, kann er sich auf einen Teil der vereinbarten Karenzzeit beziehen, aber auch auf gegenständliche Modalitäten des Wettbewerbsverbots (örtliche Eingrenzung, Beschränkung auf bestimmte Konkurrenz). Die Verzichtserklärung muss, durch einen zeichnungsberechtigten Vertreter des Unternehmers erklärt, dem HV während des rechtlich wirksamen – nicht faktisch beendeten – HV-Vertrags zugehen,438 also vor Vertragsende. § 193 BGB ist unanwendbar. Fristgerechter Zugang eines Telefaxschreibens genügt, falls das Schreiben mit der Originalunterschrift in der postüblichen Laufzeit nachfolgt. Nach Vertragsende ist ein einseitiger Verzicht auf das Wettbewerbsverbot nicht möglich.439 Die Parteien dürfen das Recht des Unternehmers zum Verzicht derogieren. Abs. 4 steht nicht entgegen, da eine solche Regelung für den HV keine Nachteile bringt.440 Da dem Anspruch des Unternehmers auf Unterlassung des Wettbewerbs der Anspruch des 58 HV auf Karenzentschädigung gegenübersteht, ist im Interesse des HV bestimmt, dass die Ver429 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 489; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 120; Hopt § 90a Rn 23; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 20. 430 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 121. 431 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 45. 432 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 37; Hopt § 90a Rn 23; Oetker/Busche6 § 90a Rn 31. 433 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 37; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 44; Hopt § 90a Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 53; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 24b. 434 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 37; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 44; Hopt § 90a Rn 23; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 23; Oetker/Busche6 § 90a Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 53. 435 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 125; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 37; Ebenroth/ Löwisch4 § 90a Rn 44; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 25; Hopt § 90a Rn 23; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 53, 55; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 22. 436 Für die Zulässigkeit des Teilverzichts: Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 53. 437 Großzügiger Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 22: Teilverzicht regelmäßig gestattet. 438 Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 23. 439 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 490; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 120, 125; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 20. 440 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 53. 727

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pflichtung des Unternehmers, die Karenzentschädigung zu zahlen, erst mit Ablauf von sechs Monaten seit Abgabe der Verzichtserklärung entfällt.441 Während also der HV mit Zugang der Verzichtserklärung des Unternehmers sofort frei wird,442 bleibt die Zahlungspflicht des Unternehmers für den genannten Zeitraum bestehen. Damit gilt: Die Entschädigungspflicht entsteht nicht, wenn der Verzicht dem HV 6 Monate vor Vertragsende zugegangen ist, andernfalls wird der Unternehmer mit Ablauf von 6 Monaten nach Zugang der Erklärung bei dem HV von der Leistungspflicht frei; es gelten § 188 Abs. 2 und 3 BGB. Für die Zwischenzeit ist – trotz Wegfalls der Unterlassungspflicht – die angemessene Entschädigung zu zahlen.443 Offenbar orientiert sich das Gesetz mit der 6-Monatsfrist an der längsten Kündigungsfrist des § 89. Die Ungleichgewichtigkeit – Zahlungspflicht des Unternehmers einerseits, sofortige Freiheit des HV andererseits – ist nur eine scheinbare; das Gesetz geht davon aus, dass im Grenzfalle (Verzichtserklärung des Unternehmers unmittelbar vor Vertragsbeendigung) der HV, welcher sich auf das Wettbewerbsverbot eingestellt hatte, nicht so schnell in der Lage sein wird, anderweitigen Erwerb zu finden. Ohnehin wird die hier angeordnete Karenzzahlungspflicht des Unternehmers praktisch nur für einen Teil jener sechs Monate, der in die Zeit nach Vertragsbeendigung fällt, wenn und weil die Verzichtserklärung innerhalb des letzten halben Jahres des Vertragsverhältnisses abgegeben worden war. Gerade deshalb ist diese Regelung nicht unproblematisch. Denn sie nimmt dem HV ein Stück Planungssicherheit und steht im Spannungsverhältnis zum Grundsatz pacta sunt servanda. Nicht anders als die Kündigungsfrist des § 89 ist auch die in Abs. 2 geregelte Spanne sehr kurz.

III. Absatz 3 1. Lossagung von der Abrede (Abs. 3) 59 Kündigt ein Teil (bis 1998: nur der HV) das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des anderen Teils (bis 1998: des Unternehmers), so kann er sich durch schriftliche Erklärung (Rn 61) binnen einer Überlegungsfrist von einem Monat nach der Kündigung von der Wettbewerbsabrede lossagen (Abs. 3). Mit Zugang der Erklärung beim Vertragspartner ist der Lossagende nicht mehr gebunden.444 Die Kündigung als solches führt also noch nicht zur Lossagung von der Wettbewerbsabrede.445 Allenfalls könnte dies dem Inhalt der Kündigungserklärung konkludent entnommen werden, bei hinreichenden Anhaltspunkten. Sowohl § 75 Abs. 1 wie auch § 90a Abs. 3 liegt dieselbe ratio zugrunde: keiner Partei kann zugemutet werden, auf die Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen und sich beim Aufbau einer neuen Existenz oder eines neuen Vertriebssystems Beschränkungen aufzuerlegen, wenn der andere Teil durch sein schuldhaftes Verhalten die fristlose Kündigung veranlasst hat.446 Gewollt ist eine Pönalisierung des der Kündigung zugrunde liegenden Verhaltens, welches erschwert werden soll.447 Hier wie nach § 75 Abs. 1 steht es dem Kündigenden nach seiner Wahl frei, sich an das Wettbewerbsverbot zu halten und die Karenzentschädigung zu verlangen, oder durch schriftliche Erklärung sich einseitig loszusagen.448 Auch Abs. 3 ist auf die unter Rn 20 genannten mittelbare Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden. 441 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 489; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 20. 442 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 126; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 54. 443 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 44; Oetker/Busche6 § 90a Rn 32; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 24. 444 Hopt § 90a Rn 26; Oetker/Busche6 § 90a Rn 34. 445 Oetker/Busche6 § 90a Rn 34. 446 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 38; Oetker/Busche § 90a Rn 35. 447 Ensthaler/Genzow § 90a Rn 18. 448 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 24. Emde

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a) Kündigung aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens. Es muss eine Kün- 60 digung vorliegen. Das ist zunächst eine solche nach § 89a. Aber der Wortlaut lässt auch eine fristgemäße Kündigung als Lossagungsgrund zu,449 anders als bei § 89b Abs. 3 Nr. 2 aufgrund der dort abweichenden europarechtlichen Präformation. Die Kündigung – auch die mit Frist – muss jedoch auch gem. § 90a Abs. 3 wegen schuldhaften Verhaltens des anderen Teils, also wegen schuldhaften Verhaltens des Kündigungsempfängers, erfolgen.450 Eine Kündigung aus „begründetem Anlass“ i. S. d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 reicht mithin nicht.451 Endet der Vertrag ohne wichtigen Grund wegen schuldhaften Verhalten, etwa durch ordentliche Kündigung, Vertragsaufhebung oder Zeitablauf, ist nach h. M. keine Lossagung möglich452 (dazu Rn 62). Die Bestimmung entspricht auch insoweit § 75 Abs. 1; die Verschiedenheit in der Formulierung beider Vorschriften begründet keinen sachlichen Unterschied, weshalb auch in § 90a das „schuldhaft“ (= „vertragswidrig“, § 75 Abs. 1) aus der Vertragsbeziehung zwischen HV und Unternehmer zu beurteilen ist. Die Terminologie und die aus ihr zu ziehenden Folgerungen sind zudem im Wesentlichen die gleichen wie beim Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 3 Nr. 2. Denn auch den Ausgleich verliert der HV nur unter den nämlichen Voraussetzungen (s. d. Kommentierung zu § 89b). Allerdings können die Auslegungsergebnisse von § 89b Abs. 3 Nr. 2 und § 90a Abs. 3 insoweit unterschiedlich sein, als sie sich aus der abweichenden europarechtlichen Präformation des § 89b Abs. 3 ergeben. Fraglich ist weiter, ob wie bei § 89b Abs. 3 Nr. 2 ein Verschulden des Gekündigten – bzw. bei Tätigkeit einer Gesellschaft der für sie handelnden Organe (§ 31 BGB) – persönlich erforderlich ist, damit das Lossagungsrecht besteht oder ob die Zurechnung gem. §§ 278, 831 BGB ausreicht, etwa des Verschuldens von Angestellten. Der gemeinsame Ausnahmecharakter sowohl des § 89b Abs. 3 Nr. 2 wie auch des § 90a Abs. 3 spricht für das einheitliche Verständnis beider Vorschriften auch in diesem Punkt. Andererseits ist der Verlust des Ausgleichsanspruchs, obwohl der HV seinen Teil des Synallagmas (Aufbau des Kundenstammes) erbracht hat, besonders schwerwiegend, während die außerordentliche Kündigung des Vertrages grundsätzlich zum sofortigen Entfallen aller Vertragspflichten führt, d. h. auch des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Dass überhaupt eine weitere, neben die ganzheitlich wirkende Kündigungserklärung tretende Willenserklärung – ein „Lossagen“ – erforderlich ist, um eine vollständige Vertragsbeendigung herbeizuführen, ist eine Ausnahme von der Grundregel umfassender Befreiung von sämtlichen Vertragspflichten, die auch insoweit abweichend von § 89b Abs. 3 Nr. 2 eher weit auszulegen ist und letztlich den zur Kündigung Berechtigten schützt: Denn er kann entscheiden, ob er den Kündigungsempfänger an dem Wettbewerbsverbot festhält bzw. an dem Wettbewerbsverbot mit Karenzentschädigung festhalten will453 und damit gewissermaßen eine „Teilkündigung“ ausspricht. Weil die Befreiung vom Wettbewerbsverbot zudem als Folge des schuldhaften Verhaltens nach § 249 BGB geschuldet sein mag und auch in dessen Rahmen die Zurechnung nach §§ 278, 831 BGB unbestritten ist, streitet wenig für ein Abweichen von der Grundregel, derzufolge ein „schuldhaftes Verhalten“ auch infolge eines Zurechnungstatbestandes möglich bleibt.454 Die unberechtigte Lossagung ist ohne rechtliche Wirkung.

449 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 132. Meist wird die Kündigungsfrist aber länger als die Einmonatsfrist sein, so dass die Wettbewerbsabrede kaum wirksam werden kann. 450 Schröder in: Küstner/Thume I5 Kap. X Rn 133; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 40; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 491; Oetker/Busche6 § 90a Rn 35. 451 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 137. 452 BGH, Urt. v. 29.3.1995 – VIII ZR 102/94, ZIP 1995, 839 (842); Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 44. 453 Amtl. Begr. RegE, BT-Drucks. 1/3856, 38; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 39, 43; Oetker/ Busche6 § 90a Rn 35. 454 So auch Ebenroth/Löwisch2 § 90a Rn 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 58. 729

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61 b) Form und Frist. Die „Lossagungserklärung“ ist wie unter Abs. 2 eine der Schriftform des § 126 BGB455 bedürftige (Abs. 3), einseitig wirksame, empfangsbedürftige (Zugang),456 rechtsgestaltende und bedingungsfeindliche sowie nicht rücknehmbare oder widerrufliche Willenserklärung,457 mit der sich der Erklärende von den Wirkungen der Wettbewerbsabrede befreit und zum dispositiven Recht zurückkehrt (s. o.). Zeitlich muss die Lossagung binnen einer Überlegungsfrist458 von einem Monat nach der Kündigung erfolgen (maßgeblich für Fristwahrung: Zugang, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB).459 § 188 Abs. 2 und 3 BGB gelten wie bei Abs. 2. Die Überlegungsfrist soll vor übereilten Entscheidungen schützen.460 Andererseits ist sie kurz genug, auch das Interesse des Gekündigten an schneller Klärung der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen.461 Der HV muss sich während der Bedenkzeit (Monatsfrist) jedoch an ein ggf. schon wirksames nachvertragliches Wettbewerbsverbot halten.462 Wird die fristlose Kündigung wiederholt ausgesprochen, ist eine erneute Lossagung entbehrlich, sofern erkennbar ist, dass der Kündigende an der ersten Loslösung festhalten will.463

62 c) Anwendung auf andere Fälle als der Kündigung nach § 89a. Schon der Wortlaut des Abs. 3 lässt es zu, dass er auch im Falle der ordentlichen Kündigung464 nach § 89 Anwendung findet, sofern ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens vorlag. Denn es wird nur eine Kündigung aus diesem Grund gefordert, keine solche nach § 89a. Auch soll Abs. 3 trotz seines Ausnahmecharakters und über seinen Wortlaut hinaus auf eine Vertragsaufhebung465 oder die Beendigung nach §§ 115, 116 InsO466 (analog467) angewandt werden, wenn die jeweilige Beendigungsform gewählt wurde, um im Interesse des prospektiven Kündigungsempfängers den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu vermeiden.468 Es gilt insoweit nichts anderes als früher im Rahmen des § 89b Abs. 3 Nr. 2 vertreten wurde. Dazu muss allerdings ein nicht verfristeter, wichtiger Kündigungsgrund vorliegen. Die Monatsfrist beginnt in diesem Falle von der Kenntnis des wichtigen Kündigungsgrundes an zu laufen, bei einer in Kenntnis des Kündigungsgrundes erfolgten Aufhebung ab dem Datum des Aufhebungsvertrages469 und im Falle der ordentlichen Kündigung mit dem Zugang der Kündigungserklärung.470

455 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 45; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 135; Hopt § 90a Rn 26; Oetker/Busche6 § 90a Rn 37. 456 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 135. 457 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 66; vgl. Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 28. 458 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 46. 459 OLG Düsseldorf HVR (57) Nr. 151; Hopt § 90a Rn 26. 460 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 46. 461 Begr. RegE, BT-Drucks. 1/3856, 38; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 46. 462 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 43. 463 BAG, Urt. v. 19.5.1998 – 9 AZR 327/96, ZIP 1999, 152 (153) = NJW 1999, 1885 f. für § 75; Flohr/Wauschkuhn/ Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 40; Oetker/Busche6 § 90a Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 37. 464 Oetker/Busche6 § 90a Rn 36; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 40. 465 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 139; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 40; Ebenroth/ Löwisch2 § 90a Rn 49; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 27; Koller/Roth/Morck § 90a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 58, 65; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 26. 466 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 49. 467 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 40. 468 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 40; Hopt § 90a Rn 26; Oetker/Busche6 § 90a Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 59. 469 Begr. RegE, BT-Drucks. 1/3856, 37; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 47. 470 Oetker/Busche6 § 90a Rn 38; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 47. Emde

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d) Wirkungen. Mit rechtzeitigem Zugang der Erklärung enden Wettbewerbsverbot und Ent- 63 schädigungspflicht.471 Fehlt eine der Voraussetzungen des Abs. 3, bleibt die Wettbewerbsabrede bestehen. Beide Parteien können Leistung bzw. Unterlassung fordern.472 Eine vereinbarte Vergütung kann in diesem Fall nicht herabgesetzt werden. Unterlässt der Unternehmer die Lossagung trotz außerordentlichen Kündigungsrechts, kann dieser Umstand mit Zurückhaltung bei der Prüfung der Angemessenheit der Karenzentschädigung Berücksichtigung finden.473 Bei unwirksamer Kündigung entfaltet die Lossagung keine Wirkung.474 Im Falle einer unberechtigten Lossagung durch den HV kann der Unternehmer die Einhaltung des Wettbewerbsverbot per einstweiliger Verfügung durchsetzen.475 Daneben kann Schadenersatz geschuldet sein476 und der Ausgleichsanspruch gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 entfallen.477 2. Sonstige Beendigungsgründe? a) Aufhebung der Wettbewerbsabrede. Eine vertragliche Aufhebung der Wettbewerbsabre- 64 de im Ganzen ist möglich,478 auch schon während der Vertragszeit.479 Sie unterliegt wohl nicht der in § 90a geforderten Schriftform,480 da nur die Begründung der Wettbewerbsabrede und nicht ihre Aufhebung der Schriftform bedarf. Abs. 4 steht der formlosen Aufhebung also nicht entgegen; sogar konkludent wäre sie möglich.481 Allerdings ließe sich aufgrund der für den Fall der Aufhebung jedoch nicht ausdrücklich vom Gesetzeszweck erfassten Warnfunktion – Wegfall der Karenzentschädigung – auch eine gegenteilige Ansicht einnehmen. § 90a Abs. 2 S. 1 mit seiner Sechsmonatsfrist gilt nicht.482 Denn wenn die Parteien das Wettbewerbsverbot aufheben können, dürfen sie auch über den Zeitpunkt und Zeitraum disponieren, in dem die Karenzentschädigung zu leisten ist. Das ist jedenfalls der Fall, wenn aus der Aufhebungsvereinbarung der Wille zur fristlosen Beendigung folgt.

b) Außerordentliche Kündigung. Fraglich ist, ob die Wettbewerbsabrede für sich – also un- 65 abhängig von einer Kündigung des HV-Vertrages – außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden darf. Wenn man dies für eine unzulässige Teilkündigung hält (dazu s. d. Kommentierung zu § 89), ist die Antwort vorgezeichnet: Die außerordentliche Kündigung nur der Wettbewerbsabrede wäre unzulässig. Auch könnte man § 90a Abs. 3, 4 als § 89a verdrängende Spezialregelungen ansehen. Trotzdem dürfte eine auf die Wettbewerbsabrede beschränkte außerordentliche Teilkündigung zulässig sein, wenn sich der wichtige Kündigungsgrund auf diese Abrede beschränkt. 471 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 45; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 491; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 29; Hopt § 90a Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 66. 472 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 136. 473 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 42; Hopt § 90a Rn 25; aA Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 138. 474 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 40. 475 OLG Stuttgart BB 1959, 792; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 140; Hopt § 90a Rn 26. 476 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 41. 477 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 41. 478 Ensthaler/Genzow § 90a Rn 17; BAG, Urt. v. 22.10.2008 – 10 AZR 617/07, NZA 2009, 139 (zum Arbeitsrecht). 479 Hopt § 90a Rn 24; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 21. 480 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 117; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 4; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 22; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 25. 481 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 119. 482 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 490; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 118. 731

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66 c) Gegenstandsloswerden der Wettbewerbsabrede infolge Todes oder Geschäftsaufgabe? Das Wettbewerbsverbot erlischt als vertragliche Abrede (pacta sunt servanda!) nicht, indem es „gegenstandslos“ wird. Es entfällt insbesondere nicht, wenn der HV483 oder Unternehmer484 nachträglich seinen Betrieb einstellt485 oder das Betriebsprogramm umstellt. Zum Fall der Insolvenz Rn 67 ff. Auch eine außerordentliche Kündigung der Wettbewerbsabrede, eine Vertragsanpassung über § 313 BGB oder eine ergänzende Vertragsauslegung wird in diesem Fall regelmäßig ausscheiden,486 beide Parteien bleiben gebunden. Das Risiko des Zweckverlustes haben beide Parteien zu tragen; Betriebsinterna können die vertragliche Verpflichtung nicht abändern. Der Unternehmer mag nach Abs. 2 verfahren. Gegenstandslos wird die Wettbewerbsabrede auch nicht, falls der HV stirbt,487 selbst wenn das Wettbewerbsverbot an seine Person gebunden ist. Dies zeigt schon der Fall der schweren Krankheit, der nach h. M. das Entstehen des Anspruchs auf Entschädigung ebenfalls nicht hindert.488 Nur im Extremfall kann § 313 BGB helfen.489 Die Karenzentschädigung als vertragliche Gegenleistung ist uneingeschränkt gem. §§ 1922, 1967 BGB vererblich.490 Das gilt sicher, wenn die Erben den HV-Vertrag fortführen,491 worauf es aber nicht ankommen dürfte. Falls der HV die Wettbewerbsabrede unter seiner Agenturfirma eingegangen war und die Agenturfirma von dem oder den Erben fortgeführt wird, treffen die Pflichten aus dem Wettbewerbsverbot auch den Firmennachfolger – dies nicht anders als im Falle der Veräußerung der Agenturfirma, die mit Zustimmung des Unternehmers erfolgt; §§ 25, 27. Eintretende Geschäftsunfähigkeit und Erkrankung des HV sind auf den Bestand der Wettbewerbsabrede ebenfalls ohne Einfluss. Wird die Einhaltung der Abrede gem. § 275 BGB unmöglich, darf der Unternehmer die Zahlung der Karenzentschädigung gem. § 326 BGB verweigern.492

d) Insolvenz 67 aa) Insolvenz des Unternehmers. Im Falle der Insolvenz des Unternehmers stellt sich die Frage, ob die zwischen HV und Unternehmer vertraglich vereinbarten Wettbewerbsbeschränkungen bzw. Wettbewerbsverbote ihre Wirksamkeit einbüßen. Für den HV ist dies von besonderer Relevanz, weil er seinen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Wettbewerbsentschädigung verliert, sobald er keinen Wettbewerbsbeschränkungen mehr unterliegt (vgl. § 90a Abs. 1 S. 3).

68 (1) Vertragsbeendigung durch Verfahrenseröffnung. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers führt unmittelbar zur Vertragsbeendigung (§§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO), so dass die Grundvoraussetzung für das Inkrafttreten der Wettbewerbsab-

483 Hopt § 90a Rn 16. 484 Hopt § 90a Rn 18. 485 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 50; aA Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 484; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 143. 486 Ordemann BB 1965, 933; aA Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 50. 487 AA Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 484; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Thume4 § 90a Rn 22. 488 Siehe Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 486; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Thume4 § 90a Rn 22. 489 S. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 144. 490 AA Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 144; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 485; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 22. 491 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 145. 492 Vgl. Ensthaler/Genzow § 90a Rn 21. Emde

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rede und die Entstehung des Entschädigungsanspruchs vorliegt. Umstritten ist nun, ob die Wettbewerbsabrede aufgrund der Verfahrenseröffnung ebenfalls automatisch erlischt. Folgt man der teilweise vertretenen Auffassung, dass der Anspruch auf Zahlung einer Wett- 69 bewerbsentschädigung bestehen bleibt,493 so ist der HV weiterhin an das Wettbewerbsverbot gebunden. Als Begründung wird angeführt, auch der einseitige Verzicht sei nur bis zum Vertragsende möglich.494 Nimmt man dagegen an, dass die Wettbewerbsabrede mit der Eröffnung des Verfahrens erlischt,495 so geht gleichzeitig der Anspruch auf Zahlung einer Wettbewerbsentschädigung verloren. Die Vertreter dieser Auffassung beziehen sich hierbei teilweise auf eine analoge Anwendung des § 74a Abs. 1 S. 1.496 Angesichts des Schutzzweckes des Art. 12 GG497 und des auch von § 90a erstrebten Schutzes des HV, der keiner Unsicherheit über sein Recht auf eine Karenzentschädigung ausgesetzt werden soll, dürfte auch im Falle der Insolvenz des Unternehmers der Anspruch bestehen. Teils wird entsprechend der Regelung in § 74a Abs. 1 S. 1 danach differenziert, ob die getroffene Wettbewerbsabrede noch dem Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen dient. Diene die Abrede noch dem Schutz berechtigter Interessen, so bleibe sie wirksam498 und der Entschädigungsanspruch bestehen. Überschreite das Wettbewerbsverbot diese Grenze, so sei es unwirksam.499 Eine Wettbewerbsvereinbarung dient beispielsweise weiterhin dem Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen, falls der Insolvenzverwalter das Unternehmen fortführt oder er es mitsamt vorhandenem Kundenstamm an einen Käufer veräußert. Im Unterschied hierzu entfällt ein Schutz berechtigter Interessen erst dann, wenn objektiv feststeht, dass niemand mehr ein berechtigtes Interesse an der Einhaltung der Wettbewerbsvereinbarung hat.500 Dem HV steht es zur Sicherheit frei, den HV-Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen 70 und sich binnen eines Monats nach der Kündigung von dem Wettbewerbsverbot gem. Abs. 3 loszusagen.501 In diesem Fall erlischt auch der Anspruch auf Zahlung einer Wettbewerbsentschädigung.502 Die ordentliche Kündigung sowie die einvernehmliche Vertragsbeendigung sind in diesem Fall der außerordentlichen Kündigung gleichgestellt und führen zum Erlöschen des Entschädigungsanspruchs, vorausgesetzt der HV sagt sich fristgerecht vom Wettbewerbsverbot los.503 War die Wettbewerbsabrede bereits vor Insolvenzeröffnung begründet, ist sie grundsätzlich einfache Insolvenzforderung nach § 38 InsO.504 Bei dem Anspruch auf Karenzentschädigung handelt es sich nur dann um eine Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 InsO, wenn der Insolvenzverwalter zugunsten der Masse sein Wahlrecht gem. § 103 Abs. 2 InsO ausübt und auf die Einhaltung des Wettbewerbsverbots besteht.505 Jedoch liegt keine Masseforderung vor, falls der Insolvenzverwalter nicht auf die Einhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots besteht, sondern mit der vorzeitigen Freistellung des Berechtigten zum Ausdruck bringt, dass dieser über seine Arbeitskraft frei verfügen kann.506

493 Hopt § 90a Rn 18. 494 Hopt § 90a Rn 18. 495 Holling DB 1957, 349 zu Ziff. 6; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 148; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 23. 496 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 148; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 484; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume, 4. Aufl. § 90a Rn 23. 497 Gehle DB 2010, 1981. 498 Gehle DB 2010, 1981; Oetker/Busche6 § 90a Rn 41. 499 Gehle DB 2010, 1981 m. w. N. 500 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 148. 501 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 148. 502 Hopt § 90a Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 57, 62. 503 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 64. 504 Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 60. 505 LAG Nürnberg, Urt. v. 1.10.2014 – 4 Sa 273/14, ZIP 2015, 334 – arbeitsrechtl. Entscheidung. 506 LAG Nürnberg, Urt. v. 1.10.2014 – 4 Sa 273/14, ZIP 2015, 334 – arbeitsrechtl. Entscheidung. 733

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71 (2) Verfahrenseröffnung nach Vertragsbeendigung. Anders verhält es sich dagegen, wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Vertretervertrag bereits beendet ist und die Wettbewerbsabrede ihre Wirksamkeit entfaltet. In diesem Fall liegt ein von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllter gegenseitiger Vertrag vor. Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, gem. § 103 InsO vom HV die Einhaltung des Wettbewerbsverbots zu verlangen.507 Tut er dies, so bleibt im Gegenzug auch der Anspruch des HV auf Zahlung der Karenzentschädigung bestehen. Dieser Anspruch ist eine vorab zu befriedigende Masseforderung, weil er eine Verbindlichkeit aus einem gegenseitigen Vertrag darstellt, dessen Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Schließt der Insolvenzverwalter mit dem HV nach Insolvenzeröffnung eine Wettbewerbsabrede, handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.508 72 Wählt der Insolvenzverwalter die Nichterfüllung des Vertrages, so befreit dies den HV automatisch von den getroffenen Wettbewerbsbeschränkungen. Gleichzeitig verliert er aber auch seinen Anspruch auf Zahlung der Karenzentschädigung. Ihm steht dann zwar ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung der gemeinsamen Wettbewerbsabrede zu. Dieser Anspruch ist allerdings bloß einfache Insolvenzforderung, welche der HV zur Insolvenztabelle anmelden muss.509 Ist der Anspruch auf Wettbewerbsentschädigung zu Beginn des Insolvenzverfahrens bloß 73 teilweise beglichen, weil z. B. Ratenzahlung vereinbart wurde, so steht dem Insolvenzverwalter wiederum das Wahlrecht nach § 103 InsO zu. Wählt er Erfüllung der noch ausstehenden Leistung, so hat er die nach Insolvenzeröffnung fälligen Raten als Masseverbindlichkeit zu begleichen, während die auf die Zeit vor Eröffnung entfallenden Raten einfache Insolvenzforderungen sind. Das Wettbewerbsverbot bleibt in diesem Fall bestehen. Lehnt der Verwalter die Erfüllung der offenen Raten ab, so entfällt das Wettbewerbsverbot 74 und der HV hat gegebenenfalls einen Anspruch auf Schadensersatz, der einfache Insolvenzforderung ist.

75 bb) Insolvenz des Handelsvertreters. Dem HV kann im Falle seiner eigenen Insolvenz ein Anspruch auf Zahlung einer Wettbewerbsentschädigung gemäß § 90a zustehen. Sowohl Wettbewerbsverbot als auch Entschädigungspflicht können aber in Anwendung von § 90a Abs. 3 entfallen, sofern der Unternehmer das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV kündigt. Die Insolvenz des HV berechtigt möglicherweise zu einer Kündigung aus wichtigem Grund (siehe dazu die Kommentierung zu § 89a „Insolvenz des Mittlers“). Zusätzlich muss sich der Unternehmer durch schriftliche Erklärung binnen eines Monats nach der Kündigung von der Wettbewerbsabrede lossagen (§ 90a Abs. 3). Alternativ kann der Unternehmer die Einhaltung der Wettbewerbsabrede verlangen, er ist dann aber zur Zahlung einer Wettbewerbsentschädigung verpflichtet (§ 90a Abs. 1 S. 3).

IV. Abs. 4 76 § 90a ist in seinem vollen Regelungsgehalt nicht zum Nachteil des HV abdingbar, selbst wenn dieser des Schutzes im konkreten Fall nicht bedarf.510 Unabdingbarkeit bedeutet, dass den HV gegenüber der gesetzlichen Regelung benachteiligende Abreden nicht getroffen werden kön-

Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 149; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 51. Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 60; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 149. Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 149. BGHZ 53, 89 (92) = NJW 1970, 420; 51, 184 (188) = NJW 1969, 504 (505); Hopt § 90a Rn 27; Oetker/Busche6 § 90a Rn 42.

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nen. Seine Position verbessernde Abreden sind ebenso gestattet511 wie den Unternehmer schlechter stellende, etwa der Ausschluss des Rechts des Unternehmers zum Verzicht nach Abs. 2 S. 1512 oder die Vereinbarung einer konkreten Entschädigung bei Vertragsschluss, solange sie die Angemessenheitsgrenze nicht unterschreitet.513 Beispiele für unwirksame Abreden: Der Verlust des Entschädigungsanspruchs bei gleichzeitigem Erhalt der Wettbewerbsabrede, wenn der Unternehmer den HV-Vertrag wegen schuldhaften Verhalten des HV aus wichtigem Grund kündigt;514 der Verzicht auf das Schriftformerfordernis oder die Aushändigung der Urkunde; ein Wahlrecht, erst später, z. B. nach Vertragsende oder bis zu sechs Monate vor Vertragsbeendigung, zu entscheiden, ob von einer Wettbewerbsabrede Gebrauch gemacht wird,515 die Wettbewerbsabrede bleibt wirksam und der HV behält den Anspruch auf Karenzentschädigung.516 Der HV müsste bis zum letzten Tag die Wahl des Wettbewerbsverbots befürchten und könnte sich nicht um eine Nachfolgevertretung bemühen, was eine Umgehung des § 90a Abs. 2 S. 1 bedeutet.517 Auch mittelbar wettbewerbsbeschränkend wirkende vertragliche Verbote, etwa wirtschaftlicher Druck,518 die vertragliche Verpflichtung zur Rückgewähr erhaltener Leistungen bei nachvertraglichem Wettbewerb des HV519 (z. B. von Provisionsgarantiezahlungen520 oder Inkassopauschalen521), die Kürzung einer Altersversorgung nach Wettbewerb,522 Vertragsstrafen,523 ein über den nachvertraglichen gesetzlichen Geheimnisschutz hinausgehender vertraglicher Geheimnisschutz524 oder die Verrechnung der Karenzentschädigung mit während des Vertragsverhältnisses geschuldeten und geleisteten (Provisions-)Zahlungen,525 können – sofern keine angemessene Kompensation für das Wettbewerbsverbot geleistet wird – wegen Umgehung des Abs. 4 unwirksam sein526 (vgl. zu § 89 dort) und unterliegen den gleichen Voraussetzungen wie ausdrückliche Wettbewerbsverbote. Auch im Vertragshändlerbereich sind die Schriftform und die Entschädigungspflicht zwingend und entfallen nicht aufgrund „der geringen Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers“.527 Fraglich ist, ob der HV sich gleichwohl auf die unwirksame Abrede berufen kann. Im AGB-Recht ist dies anerkannt. Auch im Rahmen einer Individualvereinbarung – erst recht – wird man das nach dem Schutzzweck der Norm und im Wege der Analogie aus § 75d befürworten können.528 Das gilt für nach Vertragsende getroffene Vereinbarungen, so511 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; Hopt § 90a Rn 27. 512 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; Hopt § 90a Rn 29; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 90a Rn 67. 513 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; Oetker/Busche6 § 90a Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 67. 514 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; Oetker/Busche6 § 90a Rn 44; aA zum früheren Recht BGH, Urt. v. 6.10.1983, BB 1984, 235 (236); OLG Düsseldorf BB 1962, 731; OLG München NJW 1956, 1323 f. 515 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; Ebenroth/Löwisch, 4. Aufl., § 90a Rn 61; Oetker/Busche6 § 90a Rn 44. 516 LG Tübingen BB 1977, 671 m. Anm. Küstner; Küstner/v. Manteuffel BB 1987, 413; Hopt § 90a Rn 23, 28, 31; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 21, 60, 61; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner2 § 90a Rn 34. 517 Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner2 § 90a Rn 34. 518 Hopt § 90a Rn 27. 519 BGHZ 59, 387; krit. Schwerdtner JR 1973, 200; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 61; Hopt § 90a Rn 27; aA Blomberg VersR 1968, 329 (330); Martin VersR 1968, 123. 520 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 73; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 31. 521 BGHZ 59, 387 (390) = NJW 1973, 144; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 66. 522 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 61. 523 Ensthaler/Genzow § 90a Rn 20. 524 Hopt § 90a Rn 6. 525 BGHZ 59, 387 (390 f.) = NJW 1973, 144 f.; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; Ebenroth/ Löwisch4 § 90a Rn 61; Oetker/Busche6 § 90a Rn 44; aA Martin VersR 1968, 123; Blomberg VersR 1968, 330 (331). 526 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 58. 527 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 60. 528 AA Hopt § 90a Rn 32: nur venire contra factum proprium und Verwirkung. 735

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lange die wettbewerbsbeschränkende Wirkungen zeitigende Abrede im Zusammenhang und aus Anlass des HV-Vertrages getroffen wurde. Liegt eine wirksame Vereinbarung vor, sind beide Parteien gebunden. Zulässig sind Vereinbarungen, die § 90a lediglich ergänzen,529 da § 90a insoweit schweigt und nicht derogiert wird. Diese ergänzenden Vereinbarungen unterliegen dann nur den allg. Grenzen gem. §§ 138, 242, 307 ff. BGB.530 So kann bspw. die Zahlung der Karenzentschädigung in angemessenen Raten531 oder eine Vertragsstrafe für den Fall der Zuwiderhandlung gegen ein im Einklang mit den TB-Voraussetzungen des § 90a stehendes Wettbewerbsverbot532 vereinbart werden. Ein Verzicht auf die Karenzentschädigung ist erst nach ihrer Fälligkeit, d. h. nach Vertragsende und nach Regelung aller wesentlichen offenen Abwicklungsfragen (Rn 10 ff.), gestattet.533

H. Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsabrede 77 Mit der rechtsförmlichen534 Beendigung des Vertragsverhältnisses oder einem ggf. zulässigerweise vereinbarten späteren Zeitpunkt treten die gegenseitigen Verpflichtungen aus der Wettbewerbsabrede in Kraft.

I. Zuwiderhandlungen von Seiten des HV 78 Eine Zuwiderhandlung liegt in jeglicher auf Geschäftsanbahnung zielender,535 während der Wirksamkeit der Wettbewerbsabrede (im Rahmen des § 90a also erst nachvertraglicher) erfolgter Kontaktaufnahme zu einem nach der Wettbewerbsabrede gesperrten – namentlich dem bisherigen – Kundenkreis.536 Es braucht also kein Geschäftsabschluss vorzuliegen, die Zuwiderhandlung liegt in Versuch und Vollendung. Eine solche Kontaktaufnahme dürfte nicht schon darin zu erblicken sein, dass der HV durch Rundschreiben seinen ehemaligen Kunden mitteilt, der Unternehmer habe ein Wettbewerbsverbot durch einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt, er hoffe jedoch, nach Aufhebung des seiner Ansicht nach zu Unrecht erlassenen Verbots die regelmäßigen Besuche demnächst wieder aufnehmen zu können537 oder indem er eine nach Ablauf des Wettbewerbsverbots vorgesehene Tätigkeit vorbereitet, ohne gegenüber den Kunden in Anbahnungsabsicht aufzutreten.538 Auch die Beteiligung an einem ruhenden Unternehmen ohne Vermittlungstätigkeit soll keinen Verstoß bilden; der in das HR eingetragene Satzungszweck soll irrelevant sein.539 Der HV muss ggf. durch geeignete organisatorische Maßnahmen, etwa Kontrollen, die Einhaltung der Wettbewerbsabrede in seinem Unternehmen sicherstellen.540 Versuche einer Umgehung des Wettbewerbsverbots (vorgeschobenes Tätigwerdenlassen der Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 59; Hopt § 90a Rn 30. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49. Hopt § 90a Rn 18, 29. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 49; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 59; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 31; Hopt § 90a Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 72; vgl. auch BGH, Urt. v. 21.11.1991 – I ZR 87/90, WM 1992, 829. 533 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 61. 534 Vgl. LAG München BB 1977, 1049 für den angestellten Reisenden. 535 Schröder DB 1964, 324; Hohn DB 1967, 1897; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 53; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 10; aA Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 90a Rn 26; OLG Nürnberg BB 1960, 1261; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 20. 536 Oetker/Busche6 § 90a Rn 28. 537 OLG Nürnberg BB 1961, 729. 538 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 53. 539 LG Hamburg, Urt. v. 8.8.2008 – 332 O 351/07, n. v. 540 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 53.

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Ehefrau,541 von Familienangehörigen bzw. nahestehender Dritter,542 Gründung einer Scheinfirma,543 Beteiligung an einem von ihnen oder vom HV beherrschten Konkurrenzunternehmen) fruchten nicht; sie werden dem HV als Verletzungshandlung zugerechnet (s. Kommentierung zu § 86). Dem Unternehmer steht das Recht zu, den HV auf Erfüllung der Wettbewerbsabrede gerichtlich in Anspruch zu nehmen und ein Urteil nach § 890 ZPO zu vollstrecken.544 Die Rechtsnatur der Wettbewerbsabrede als eines gegenseitigen Vertrages nach §§ 320 ff. BGB545 eröffnet dem Unternehmer die Möglichkeit, die Zahlung der Karenzentschädigung nach §§ 320, 323 (Rücktritt)546 sowie gem. §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB547 für die Zeit, während welcher der ausgeschiedene HV dem Wettbewerbsverbot zuwider handelt, zu verweigern: Gem. § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB verliert der HV seinen Anspruch auf die Karenzentschädigung, da die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsverbot die ihm obliegende Leistung für die entsprechende Zeit unmöglich macht.548 Man könnte das auch aus § 242 BGB herleiten. Der Anspruch auf Karenzentschädigung wird also auf die Zeit der Innehaltung der Wettbewerbsabrede anteilig reduziert; der Rest ist zurückzuerstatten.549 Der Unternehmer darf die Wettbewerbsabrede wohl auch separat außerordentlich kündigen („Problem: „unzulässige“ Teilkündigung), verliert dann aber den Anspruch, dass der HV das Wettbewerbsverbot weiterhin respektiert. Jedoch kommt § 314 BGB kein Anwendungsvorrang zu.550 Unberührt bleibt das Recht des Unternehmers, Schadensersatz gem. § 280 BGB zu verlangen551 und eine Vertragsstrafe552 in Anspruch zu nehmen. Der Ersatzanspruch bemisst sich in erster Linie nach dem Schaden des Unternehmers, etwa in Höhe des vom HV vertragswidrig erzielten Umsatzes;553 zur Vorbereitung des Anspruchs besteht ein Auskunftsanspruch des Unternehmers.554 Der HV schuldet keine Auskehrung eines vertragswidrig erzielten Verdienstes. Er führt mit dem unzulässigen Wettbewerb ein eigenes Geschäft nach § 687 Abs. 2 BGB.555 Die vom Unternehmer nach § 320 BGB ersparte Karenzentschädigung ist auf eine Schadensersatzleistung oder Vertragsstrafe anzurechnen;556 durch AGB darf diese Anrechnung nicht ausgeschlossen werden.557 Nimmt ein HV unmittelbar im Anschluss an die außerordentliche Kündigung eine Tätigkeit für einen Konkurren541 BGH BB 1970, 1374; OLG Celle DB 1971, 865; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53; Oetker/ Busche6 § 90a Rn 28.

542 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 53; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 78. 543 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53. 544 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 25. 545 BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 392/17, DB 2018, 1092 = EWiR 2018, 317 (Oetker) (zu § 74); v. 7.7.2015 – 10 AZR 260/14, ZIP 2015, 2090 = DB 2015, 2516 Rn 28 f. 546 BGH VersR 1960, 398; NJW 1964, 1641; BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 392/17, ZIP 2018, 798 = EWiR 2018, 317 (Oetker) (zu § 74); BAGE 15, 335; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 153; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 55; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 21; Hopt § 90a Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 76; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 25; Schlegelberger/ Schröder § 90a Rn 10a. 547 BAG, Urt. v. 7.7.2015 – 10 AZR 260/14, ZIP 2015, 2090 = DB 2015, 2516 Rn 29 f.; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 55. 548 BAG, Urt. v. 7.7.2015 – 10 AZR 260/14, ZIP 2015, 2090 = DB 2015, 2516 Rn 29, 30; LG München I, Urt. v. 25.2.2016 – 5 O 16652/15, ZVertriebsR 2017, 310 (312) m. Anm. Martenstein. 549 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 27. 550 BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 392/17, DB 2018, 1092 = EWiR 2018, 317 (Oetker) – Arbeitsrecht. 551 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 21; Hopt § 90a Rn 21; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 25; Oetker/Busche6 § 90a Rn 28. 552 BGH WM 1992, 829 (830 f.); BAG DB 1968, 1360 f.; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 55; Ensthaler/Genzow § 90a Rn 21; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 25; Oetker/Busche6 § 90a Rn 28. 553 Eberstein 9. Aufl. S. 179. 554 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53; Oetker/Busche6 § 90a Rn 28. 555 Hohn DB 1967, 1899; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 53. 556 LG Tübingen, Teilurteil v. 1.3.1976 – II HO 55/75, BB 1977, 671; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 27. 557 BGH WM 1992, 829. 737

Emde

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1. Buch. Handelsstand

ten auf, so stehen dem bisherigen Unternehmer nur dann Schadenersatzansprüche zu, wenn im Vertrag ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart war.558 Es soll irrelevant sein, wenn sich der HV auf einen Rechtsirrtum beruft, weil bereits Fahrlässigkeit zu Schadenersatz sowie den Folgen aus §§ 89a Abs. 2 und § 89b Abs. 3 führt.559 Ggf. können dem Unternehmer die Rechte aus §§ 3, 8, 9 UWG zustehen.560

II. Zuwiderhandlungen von Seiten des Unternehmers 79 Siehe zunächst oben zu I. Leistet der Unternehmer die geschuldete Karenzentschädigung nicht, kann der Verpflichtete Erfüllung561 und Verspätungsschaden562 verlangen oder gem. §§ 273, 280, 281, 320, 323563 BGB vorgehen.564 Der HV besitzt also gem. §§ 273, 320 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht und braucht das Verbot nicht zu beachten.565 Er behält den Anspruch auf Entschädigung bis zum Rücktritt;566 danach geht der Anspruch unter.567 Für die Rücktrittserklärung genügt die Mitteilung, dass der HV sich trotz ausdrücklicher Zahlungsaufforderung nicht mehr an das nachvertragliche Wettbewerbsverbot gebunden fühlt.568 Eine Vertragsstrafe darf der Unternehmer dann nicht fordern.569 Der Einforderung einer Vertragsstrafe wegen einer verbotenen Wettbewerbshandlung kann die Einrede unzulässiger Rechtsausübung entgegengestellt werden.570 Die Alternative der § 280, 281 BGB, Schadensersatz statt Leistung zu wählen, gibt dem HV auch den Anspruch darauf, wegen der bisherigen Bindungen an das Wettbewerbsverbot den Schaden aus einer nicht wahrgenommenen besseren Verdienstmöglichkeit zu liquidieren, wenn er sich an die Wettbewerbsabrede hielt.

I. Verjährung 80 Der Anspruch auf die Karenzentschädigung unterliegt der regelmäßigen Verjährung gemäß § 195 BGB.571

558 559 560 561 562 563

OLG Köln, Urt. v. 9.8.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642. Eberstein9 S. 179. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53; Oetker/Busche6 § 90a Rn 28. Hopt § 90a Rn 21; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 28. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 56. Höft VersR 1973, 861; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 151; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 42; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 90a Rn 21; Hopt § 90a Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 90a Rn 10a, 20; aA OLG Karlsruhe DB 1971, 572; VersR 1973, 857. 564 BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 392/17, DB 2018, 1092 = EWiR 2018, 317 (Oetker) – Arbeitsrecht; Ebenroth/ Löwisch4 § 90a Rn 42. 565 OLG Karlsruhe DB 1971, 572; VersR 1973, 857 m. abl. Anm. Höft VersR 1973, 861; aA (nur wenn die Voraussetzungen des § 323 BGB gegeben sind) Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 56; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 42; Hopt § 90a Rn 21; Oetker/Busche6 § 90a Rn 29. 566 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 28. 567 BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR, DB 2018, 1092 = EWiR 2018, 317 (Oetker) – Arbeitsrecht. 568 BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 392/17, DB 2018, 1092 = EWiR 2018, 317 (Oetker) – Arbeitsrecht. 569 Nach Ansicht von BAG NJW 1964, 1641; Hopt § 90a Rn 21 handelt es sich um einen Fall unzulässiger Rechtsausübung. 570 BAG, Urt. v. 20.4.1964, BAGE 15, 335 = NJW 1964, 1641; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 152; Flohr/ Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 56; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 42. 571 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 33; Hopt § 87 Rn 52; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90a Rn 50. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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J. Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast trägt derjenige, dem der zu beweisende Umstand zum Vorteil 81 gereicht. Hilfsweise kann eine Rolle spielen, wer das Formulierungsrisiko trägt. Will der Unternehmer die Unterlassungspflicht gegenüber dem HV durchsetzen, hat er die wirksame Wettbewerbsvereinbarung,572 die Schriftform, den Zugang und die Aushändigung der Urkunde573 sowie den unzulässigen Wettbewerb574 des HV zu beweisen,575 der HV den Verzicht des Unternehmers oder ein rechtzeitiges Lossagen vom Verbot.576 Kann der Unternehmer den Zugang der Urkunde beweisen, besteht eine vom HV zu widerlegende Vermutung, dass die Urkunde ihm ausgehändigt wurde.577 Der Unternehmer sollte sich daher den Empfang der Urkunde durch den HV quittieren lassen. Weniger sicher ist es, zwei Exemplare zuzusenden, mit dem Hinweis, dass ein Exemplar unterzeichnet an den Unternehmer zurückgesandt werden soll und das zweite Exemplar für die Unterlagen des HV bestimmt ist.578 Denn der HV könnte behaupten, das zweite Exemplar nicht erhalten zu haben, mit den unter Rn 29 genannten Folgen. Besser wäre es, wenn der Unternehmer dem HV bei Erstunterzeichnung des HV ein vom Unternehmer gegengezeichnetes Exemplar per Einschreiben oder per Boten/Kurier zuleitet, mit Bestätigung des Zugangs durch den Boten/Kurier,579 wobei auch hier der HV behaupten könnte, ihm sei ein leeres Kuvert übersandt worden. Fordert der HV Karenzentschädigung, trägt er die Beweislast für eine wirksame Wettbewerbsabrede und die Höhe der geforderten Leistung,580 der Unternehmer für Verzicht oder Lossagen nach Abs. 3 sowie ggf. einen zum Wegfall der Entschädigungspflicht führenden Verstoß des HV gegen das Wettbewerbsverbot.581

K. Gerichtliche Durchsetzung und einstweilige Verfügung Die aufgrund einer Wettbewerbsvereinbarung zugunsten beider Vertragspartner entstandenen 82 wechselseitigen Ansprüche sind gerichtlich durchsetzbar.582 Insbesondere darf der HV die Karenzentschädigung durch Klage583 und Vollstreckung durchsetzen. Wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache ist jedoch die Karenzentschädigung regelm. nicht im Wege der einstweiligen Verfügung (Regelungsverfügung) sicherbar. Das wäre nur bei existenzieller Betroffenheit denkbar. Ein Unterlassungsbegehren gegenüber unzulässigem Wettbewerb des HV darf hingegen im Wege der (vorbeugenden) einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden.584 Auch bei unberechtigter Lossagung durch den HV ist an eine einstweilige Verfügung zu

Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 57. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 15. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 57. Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 65. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 57; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 65. Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 15. So die Empfehlung von Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 15. Ebenfalls von Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 15 empfohlen. OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, ZVertriebsR 2012, 330 (332) = BB 2012, 220 m. Anm. Salomon/ Alpers; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 53. 581 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht § 90a Rn 58; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 65; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 495. 582 Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 54, 64. 583 Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 56; Hopt § 90a Rn 22; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 28. 584 OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.6.1959, BB 1959, 792; Flatten ZIP 1999, 1701 (1706); Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 154; Flohr/Wauschkuhn/Spenner Vertriebsrecht2 § 90a Rn 55; Ebenroth/Löwisch4 § 90a Rn 54; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Thume4 § 90a Rn 26.

572 573 574 575 576 577 578 579 580

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denken.585 Da es sich um ein vertragliches Wettbewerbsverbot handelt, greift zwar die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG nicht ein. Die Eilbedürftigkeit liegt aber in der Natur der Sache. Gerade bei vertraglichen Wettbewerbsverboten ist es wichtig, dass eine verbotswidrige Wettbewerbstätigkeit gleich im Keim erstickt wird. Wenn z. B. der Vertriebsmittler (hier ein FN) seine Kenntnisse aus der Vertragszeit erst einmal verbotswidrig verwertet hat, ist es für den Unternehmer nur schwer möglich, die Einbußen aus der verbotenen Konkurrenztätigkeit wieder auszugleichen.586 Die Parteien können weiter die Sekundäransprüche einklagen, etwa Schadenersatzansprüche587 und auch eine Vertragsstrafe.588

585 OLG Stuttgart BB 1959, 792; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 140; Hopt § 90a Rn 26; Oetker/Busche6 § 90a Rn 28.

586 OLG Hamm, Urt. v. 28.4.2009 – 4 U 13/09, NJW-RR 2009, 1707 (1708). 587 BGH, Urt. v. 9.11.1979, BB 1980, 594; Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 155. 588 Küstner/Thume/Schröder I5 Kap. X Rn 155. Emde

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§ 91 [Vollmacht des Handelsvertreters] (1) § 55 gilt auch für einen Handelsvertreter, der zum Abschluß von Geschäften von einem Unternehmer bevollmächtigt ist, der nicht Kaufmann ist. (2) 1Ein Handelsvertreter gilt, auch wenn ihm keine Vollmacht zum Abschluß von Geschäften erteilt ist, als ermächtigt, die Anzeige von Mängeln einer Ware, die Erklärung, daß eine Ware zur Verfügung gestellt werde, sowie ähnliche Erklärungen, durch die ein Dritter seine Rechte aus mangelhafter Leistung geltend macht oder sich vorbehält, entgegenzunehmen; er kann die dem Unternehmer zustehenden Rechte auf Sicherung des Beweises geltend machen. 2Eine Beschränkung dieser Rechte braucht ein Dritter gegen sich nur gelten zu lassen, wenn er sie kannte oder kennen mußte.

Schrifttum Fricke Die Empfangsvollmacht des Vermittlungsagenten bei der Antragsaufnahme und die vergessene Risikoanzeige, VersR 1993, 399; Luckey Der Ausschluß der Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters, VersR 1993, 151.

Übersicht A.

Stellung der Vorschrift im System des Geset1 zes

B.

Europarechtliche Präformation

C.

Anwendungsbereich

D.

Abs. 1: Bevollmächtigungsrahmen des Abschlussvertreters eines nichtkaufmänni5 schen Unternehmers

I.

3

II.

Erstreckung der §§ 54, 55 auf Abschlussvertreter 13 nichtkaufmännischer Unternehmer

E.

Abs. 2: Begrenzte Ermächtigungen für den Vermittlungsvertreter (Parallele zu §§ 55 15 Abs. 4, 54 Abs. 3)

F.

Versicherungsvertreter

G.

Derogation

21

H.

Beweislast

22

4

Inhalt der Rechte nach §§ 54, 55

5

20

A. Stellung der Vorschrift im System des Gesetzes Die §§ 54 und 55 regeln den gesetzlichen Umfang der Vertretungsmacht des von einem kauf- 1 männischen Unternehmer bestellten Abschlussvertreters.1 Dieser Abschlussvertreter ist kraft der ihm erteilten Abschlussvollmacht zugleich Handlungsbevollmächtigter i. S. d. § 54: er ist „zur Vornahme einer bestimmten zu einem Handelsgewerbe gehörigen Art von Geschäften (nämlich zu Abschlüssen auf dem Gebiet der ihm übertragenen Vertretung) ermächtigt“. Insofern gelten nach § 55 für den Inhalt seiner Ermächtigung Sondervorschriften, die deshalb dort ihren Ort haben, weil sie zugleich für den angestellten Reisenden mit Abschlussvollmacht bestimmt sind. § 91 erstreckt die in §§ 54, 55 geregelten Zuständigkeiten und Befugnisse in doppelter Richtung: (a) gem. Abs. 1 in vollem Umfange auf solche Abschlussvertreter, die nicht Handlungsbevollmächtigte sind, weil ihr Unternehmer nicht Kaufmann ist; (b) gem. Abs. 2 im beschränkten Umfange2 des § 55 Abs. 4 auf HV, die nicht Abschlussvertreter, sondern lediglich Vermittlungsvertreter (eines kaufmännischen oder nichtkaufmännischen Unternehmers) sind. Damit begründet § 91 Abs. 2 S. 1 zugunsten des Vermittlungsvertreters 1 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91 Rn 1. 2 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 1. 741 https://doi.org/10.1515/9783110744385-006

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§ 91

1. Buch. Handelsstand

ohne Abschlussvollmacht dieselbe eingeschränkte Vertretungsbefugnis, wie sie der Abschlussvertreter nach der gleichlautenden Vorschrift des § 55 Abs. 4 besitzt.3 2 § 91 bildet im System der §§ 84 ff. einen Fremdkörper: Die Vorschrift regelt nicht das Innenverhältnis zwischen HV und Unternehmer, sondern das Außenverhältnis zum Kunden.4 Die Regelung hätte daher auch in § 55 getroffen werden können. Abs. 1 hätte als § 55 Abs. 5, Abs. 2 durch eine Klarstellung in § 55 Abs. 4 eingefügt werden können.

B. Europarechtliche Präformation 3 § 91 ist ohne europarechtliches Vorbild in der RL.

C. Anwendungsbereich 4 § 91 gilt für jeden HV5 einschließlich echter Untervertreter,6 naturgemäß aber nicht für Vertragshändler,7 FN8 oder Kommissionsagenten,9 welche die Geschäfte in eigenem Namen schließen und daher keiner Bevollmächtigung für ein Handeln im Namen ihres Prinzipals benötigen. Ebenso wenig sind die §§ 54, 55 auf Vertragshändler,10 FN11 oder Kommissionsagenten12 anwendbar. Aufgrund des § 84 Abs. 4 kann § 91 auch zwischen zwei Nichtkaufleuten gelten.13

D. Abs. 1: Bevollmächtigungsrahmen des Abschlussvertreters eines nichtkaufmännischen Unternehmers I. Inhalt der Rechte nach §§ 54, 55 5 Die §§ 54, 55 statuieren im Interesse des Geschäftsverkehrs einen gleichförmigen Inhalt der von einem Kaufmann für den Betrieb seines Handelsgewerbes außerhalb der Prokura erteilten Vollmacht (Handlungsvollmacht). § 54 regelt den Umfang einer Handlungsvollmacht. § 55 Abs. 1 erstreckt den Regelungsgehalt des § 54 der Klarstellung halber auf den Abschlussvertreter (nicht auf den Vermittlungsvertreter14), Abs. 3–4 des § 55 begründet einzelne Rechte des Abschlussvertreters oder schließt sie aus. Im Einzelnen ist auf die Erläuterungen zu §§ 54, 55 im Großkommentar von Staub zu verweisen. Nach § 54 Abs. 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 ist der HV, dem der Abschluss von Geschäften im Namen des Unternehmers übertragen ist (Abschlussvertreter), befugt, alle Geschäfte und Rechtshandlungen mit Wirkung für und gegen den Unternehmer vorzunehmen, die die Vornahme von Geschäften der Art, wie sie dem HV zum Abschluss für den Unternehmer übertragen sind, gewöhnlich mit sich bringt.15 Der von § 54 Abs. 1 verwendete 3 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 1; Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 2. 4 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 2. 5 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 4. 6 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 4; Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 4. 7 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 13; Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 4. 8 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 14; Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 4. 9 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 15; Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 4. 10 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 55 Rn 59. 11 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 55 Rn 62. 12 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 55 Rn 67. 13 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 4. 14 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 55 Rn 13. 15 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 54 Rn 26; Oetker/Busche6 § 91 Rn 4; vgl. auch Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 3. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 91

Begriff „Handelsgewerbe“ muss hier in „Unternehmen“ umgedacht werden. Andererseits ermächtigt den Abschlussvertreter die ihm erteilte Abschlussvollmacht nicht zur Vornahme solcher Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen, die die Vornahme von Geschäften der ihm zum Abschluss anvertrauten Art von Geschäften gewöhnlich nicht mit sich bringt.16 Derartige Geschäfte oder Rechtshandlungen darf der HV mit Wirkung für und gegen den Unternehmer nur dann vornehmen, wenn die ihm erteilte Abschlussvollmacht über deren gesetzlichen Rahmen hinaus durch besondere Vollmachtserteilung von dem Unternehmer allgemein oder im Einzelfall erweitert ist.17 Welche Geschäfte oder Rechtshandlungen die Vornahme der dem Abschlussvertreter von dem Unternehmer zum Abschluss anvertrauten Art von Geschäften gewöhnlich mit sich bringt, richtet sich nach den Umständen, insb. der Aufgabenstellung des HV im einzelnen Fall, wobei auf die Anschauung sowie Gepflogenheiten in dem betreffenden Wirtschaftszweig das entscheidende Gewicht zu legen ist.18 Hierbei sind die Besonderheiten des Betriebs, die Umstände des Einzelfalls19 sowie ggf. die Üblichkeiten der Branche des Unternehmers zu berücksichtigen. Als nicht gewöhnliche Geschäfts- und Rechtshandlungen sind solche anzusehen, die im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmers ungewöhnlich große Verbindlichkeiten und Risiken begründen oder durch die ungewöhnliche Geschäftsbedingungen eingeräumt werden.20 So wird der HV bei entsprechender Branchenüblichkeit befugt sein, dem Kunden bei Vertragsschluss Ratenzahlungen oder Zahlungsfristen einzuräumen21 sowie Altgeräte in Zahlung zu nehmen.22 Der sich aus § 54 Abs. 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 VVG ergebene gesetzliche Umfang der Abschlussvollmacht kann durch Bestimmung des Unternehmers eingeschränkt oder erweitert werden.23 Derartige Einschränkungen können in jeder Richtung getroffen werden, etwa dahin, dass der HV den Unternehmer nicht allein, sondern nur zusammen mit einem anderen HV, rechtsgeschäftlich binden darf, weiter dahin, dass der HV bestimmte Geschäfte oder Rechtshandlungen, die an sich die Vornahme der dem HV anvertrauten Art von Geschäften gewöhnlich mit sich bringt, nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen vornehmen darf.24 Zur Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, zur Eingehung von Wechselverbind- 6 lichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozessführung ist der Abschlussvertreter nach § 54 Abs. 2 nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis besonders erteilt ist. Das Verbot der Eingehung von Wechselverbindlichkeiten hat Bedeutung für den Einkaufsvertreter. Dieser kann nicht für die Kaufpreisschuld des Unternehmers Wechselverbindlichkeiten begründen, es sei denn, seine Vollmacht wurde über den gesetzlichen Umfang der Abschlussvollmacht hinaus erweitert.25 Eine Darlehensaufnahme vom Unternehmer liegt jedoch dann nicht vor, wenn der Einkaufsvertreter Stundung des ganzen oder eines Teils des von dem Unternehmer geschuldeten Kaufpreises vereinbart.26 Der Abschlussvertreter darf, wenn ihm nicht eine zusätzliche Vollmacht erteilt ist, für den 7 Unternehmer gem. § 54 Abs. 2 keine Prozesse führen. Damit sind sowohl Aktiv- wie Passivprozesse gemeint.27 Wohl aber kann der HV im eigenen Namen als Partei (Kläger oder Beklagter) Prozesse führen, auch wenn diese Prozesse im Interesse des Unternehmers angestrengt werden. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der HV Rechte des Unternehmers als Kläger 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 743

Vgl. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 3. Vgl. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 3. Vgl. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 4. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 3. RGZ 89, 52; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 4. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 7. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 4. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 4. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 6. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 6. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 6a. Emde

§ 91

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gerichtlich geltend machen darf, gelten die allgemeinen Grundsätze des Prozessrechts.28 Danach darf der HV Rechte des Unternehmers nicht nur dann geltend machen, wenn jene durch Abtretung oder kraft Gesetzes auf ihn übergegangen sind, sondern auch dann, wenn der HV ein eigenes berechtigtes Interesse an der Erfüllung der Verbindlichkeiten des Geschäftsgegners hat. Dies kann dann der Fall sein, wenn der HV die Delkrederehaftung übernommen hat.29 Im eigenen Namen darf der HV jedoch auf Herausgabe von Unterlagen, die ihm der Unternehmer nach § 86a zur Verfügung gestellt hat, gegen den Geschäftsgegner, welchem er die vorübergehende Nutzung überlassen hat, klagen.30 Einer Klage gegen den Kunden steht § 54 Abs. 2 nicht entgegen, sofern der HV das Recht des Unternehmers in gewillkürter Prozessstandschaft geltend macht, wozu schon wegen des Rücksichtnahmegebots gegenüber dem mglw. klageunwilligen Unternehmer das bloße Provisionsinteresse nicht berechtigt.31 Nach § 55 Abs. 2 ist der Abschlussvertreter nicht befugt, abgeschlossene Verträge zu ändern, 8 insb. Zahlungsfristen zu gewähren. Ein geschlossener Vertrag darf also nicht abgeändert werden.32 Bis zum Vertragsschluss liegt es aber in der Hand des Abschlussvertreters, den Inhalt des Vertrages im Rahmen der ihm erteilten Abschlussvollmacht zu bestimmen.33 Er kann also bis dahin auch Abreden treffen, die bei der Vornahme von Geschäften, deren Abschluss ihm anvertraut waren, gewöhnlich getroffen werden, und zwar einschließlich der Abreden über die Fristen, innerhalb derer der Dritte die ihm nach dem Vertrag obliegende Leistung zu erbringen hat.34 Ist der Vertrag zustande gekommen, so kann ihn der HV weder ganz durch Gegenvertrag beseitigen, noch den Inhalt des Vertrages verändern, auch die Leistung des Dritten nicht hinausschieben.35 Nachträgliche Vertragsänderungen darf der Abschlussvertreter gem. § 55 Abs. 2 auch dann nicht wirksam vereinbaren, wenn er den Gegenstand der Änderung bei Vertragsschluss in den Vertrag hätte einbeziehen können. 9 Zahlungen mit Erfüllungswirkung für den Unternehmer darf der Abschlussvertreter gem. § 55 Abs. 3 nur bei besonders erteilter Inkassovollmacht (s. Kommentierung zu § 87) entgegennehmen.36 Der Schuldner hat durch eine solche Zahlung nicht erfüllt.37 Zum VV unten, Rn 20. 10 Der Abschlussvertreter ist nach § 55 Abs. 4 als Empfangsvertreter des Unternehmers38 (nicht als Erklärungsbote des rügenden Kunden)39 zur rechtsverbindlichen Entgegennahme von Erklärungen berechtigt, mit denen Kunden des Unternehmers Rechte wegen mangelhafter Lieferung geltend machen oder sich vorbehalten wollen.40 Nur zur Entgegennahme der Erklärungen des Dritten (= Kunden) ist der HV nach § 55 Abs. 4 befugt. Seine Befugnis erstreckt sich also nicht darauf, nach Entgegennahme der Erklärung des Dritten seinerseits Erklärungen als Gegenerklärungen im Namen des Unternehmers abzugeben,41 es sei denn, dies ist ihm rechtsgeschäftlich gestattet worden.42 Deshalb kann der HV nicht mit Wirkung für und gegen den Unternehmer

28 29 30 31 32 33 34 35 36

Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 6a. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 6a. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 6a. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 8. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 7. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 55 Rn 43; Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 8a und § 87 Rn 51. 37 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 55 Rn 43. 38 LG Frankfurt/M. NJW 1985, 1167 (1168); Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 11; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91 Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 11. 39 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 11. 40 BGH, Urt. v. 22.10.1987 – VII ZR 5/87, BGHZ 102, 80 (83) = NJW 1988, 488. 41 Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9b. 42 Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9b. Emde

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die von dem Dritten ihm gegenüber erklärte Mangelhaftigkeit der Ware anerkennen.43 Auch darf er nicht in die von dem Dritten wegen Mangelhaftigkeit der Ware verlangte Rückgängigmachung des Geschäfts namens des Unternehmers einwilligen, die Ware rücknehmen oder geltend gemachte Schadensersatzansprüche anerkennen.44 § 55 Abs. 4 berechtigt den HV auch nicht, namens des Unternehmers Mängelanzeige zu erstatten, es sei denn, dass sich aus den Umständen eine besondere einschlägige Ermächtigung zugunsten des HV ergibt.45 Der HV ist nach § 55 Abs. 4 nicht ermächtigt, die zur Verfügung gestellte Ware entgegen zu nehmen.46 Die Vorschrift ist, da es sich um eine Erweiterung des gesetzlich begrenzten Inhaltes der Abschlussvollmacht handelt, einschränkend auszulegen.47 Es muss sich immer um Erklärungen bezüglich der nach dem Geschäft zu liefernden und gelieferten Ware handeln, wie schon § 55 Abs. 2 zeigt. Erklärungen, welche das Geschäft selbst betreffen, fallen nicht unter die Regelung. Die Erklärung des Dritten, er fechte das Geschäft wegen Willensmangels an, ist gegenüber dem Unternehmer abzugeben48 (Argument aus § 55 Abs. 2). Ausnahmsweise kann sie jedoch dem HV gegenüber abgegeben werden, wenn die von dem Dritten geltend gemachten Willensmängel mit der Beschaffenheit der Ware in unmittelbarem Zusammenhang stehen, etwa falls der Dritte geltend macht, er sei bei Vertragsabschluss über die Beschaffenheit der Ware getäuscht worden.49 Fristen werden bereits mit Zugang der Erklärung an den HV gewahrt, wenn HV üblicherweise zur Entgegennahme derartiger Erklärungen für den Unternehmer befugt sind.50 Die in § 55 Abs. 4 erwähnten Erklärungen dürfen auch, ggf. fernmündlich,51 gegenüber Angestellten des HV abgegeben werden, sofern diese Angestellten nach der Verkehrsauffassung zur Entgegennahme befugt sind.52 Streitig ist, ob die in § 55 Abs. 4 enthaltene gesetzliche Ermächtigung des HV nur für diejeni- 11 gen Geschäfte gilt, die er selbst abgeschlossen hat. Die dahingehende Auffassung erscheint zu eng.53 Man denke an den Bezirksvertreter oder den HV mit zugewiesenem Kundenkreis, aber auch an den Nachfolger in der Vertretung. Hier überall muss der Bezirksvertreter oder der Nachfolger für den Funktionsbereich des § 55 Abs. 4 legitimiert sein; der Kunde muss sich an ihn als die „zuständige“ Außenstelle des Unternehmers wenden dürfen, auch dann, wenn das Geschäft nicht gerade mit diesem HV abgeschlossen worden war.54 Die Ermächtigung nach Abs. 2 hängt nicht daran, ob der HV selbst das Geschäft vermittelt hatte. Damit gilt die gesetzliche Ermächtigung für jeden HV des Unternehmers, nicht nur den Bezirksvertreter, sofern der HV nicht evident unzuständig ist.55 Sonst würde der Dritte gerade wieder mit Fragen des Innenverhältnisses zwischen HV und Unternehmer belastet – etwa in Form der lokalen Zuständigkeit – von der er nach der Intention des § 91 entlastet werden sollte. De facto postulieren die §§ 54, 55 Beschränkungen der in der Abschlussvollmacht enthalte- 12 nen Handlungsvollmacht. Diese Einschränkungen der Vertretungsmacht des Abschlussvertreters bestehen kraft Gesetzes auch ohne Kenntnis des HV oder des Kunden.56 Die Einschränkungen entfallen nur, wenn dem Abschlussvertreter ausdrücklich eine über die gesetzlichen Beschränkungen reichende Vollmacht erteilt wurde, was der Begünstigte beweisen müsste. 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 745

Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9b. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9b. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9b. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9b. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 10. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9. RGZ 105, 295. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9a. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 9a. AA Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 14. Ebenroth/Löwisch2 § 91 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 5. Emde

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Weitergehende Einschränkungen der Abschlussvollmacht, wohl auch mittels AGB,57 sind zulässig. Ein Dritter (Kunde) braucht derartige Vollmachtsbeschränkungen aber gem. § 54 Abs. 3 nur bei Kenntnis oder Kennenmüssen gegen sich gelten zu lassen.58 Der Unternehmer darf den HV auch von den gesetzlichen Beschränkungen befreien und ihm Vertretungsbefugnisse übertragen, die über das gesetzliche Maß hinausreichen.59

II. Erstreckung der §§ 54, 55 auf Abschlussvertreter nichtkaufmännischer Unternehmer 13 Zur Abgrenzung zwischen Abschluss- und Vermittlungsvertreter vgl zunächst d. Kommentierung zu § 86. Vermittlungsvertreter i. S. d. § 84 Abs. 1 sind im Gegensatz zu Abschlussvertretern nicht berechtigt, im Namen und in Vollmacht des Unternehmers Verträge abzuschließen. Weder § 84 noch § 55 gewähren ihnen eine solche Vertretungsmacht.60 Diese Vollmacht müsste der kaufmännische oder der nichtkaufmännische Unternehmer dem HV vielmehr besonders einräumen, wozu im Regelfall, wie § 55 Abs. 1 klarstellt, die Bestellung zum Abschlussvertreter ausreicht. Ein Abschlussvertreter darf hingegen für den Unternehmer die ggf. von ihm zuvor vermittelten Geschäfte auch in Vollmacht des Unternehmers mit Wirkung für und gegen ihn abschließen, das Geschäft also perfekt machen. Der Umfang der Vollmacht des Abschlussvertreters bestimmt sich in Zweifelsfällen oder bei Fehlen konkreter Vorgaben gem. § 91 Abs. 1 oder § 55 Abs. 1 nach den §§ 54, 55 Abs. 2–4.61 14 Der Geschäftsverkehr kann nicht immer zuverlässig erkennen, ob der hinter dem Tätigwerden des Abschlussvertreters stehende Auftraggeber Kaufmann oder (§ 84) „bloßer“ Unternehmer ist. Das müsste die Verlässlichkeit des Bevollmächtigungsverhältnisses in Zweifel ziehen. Die Abschlussvollmacht wäre, von einem Nichtkaufmann erteilt, nach bürgerlichem Recht beliebig beschränkbar; der Verhandlungspartner müsste, um sicher zu gehen, vor jedem Abschluss sich vom HV eine schriftliche Vollmacht vorlegen lassen (§ 172 Abs. 1 BGB), was wiederum mit Stellung und Arbeitsweise des HV schwer verträglich wäre. Er benötigt, einmal zum Abschlussvertreter bestellt, den im kaufmännischen Verkehr standardisierten Handlungsrahmen, ohne Rücksicht darauf, ob sein Auftraggeber Kaufmann ist oder nicht.62 Deshalb bestimmt Abs. 1, dass § 55 auch für einen HV gilt, der von einem nichtkaufmännischen Unternehmer zum Abschluss von Geschäften bevollmächtigt ist (als Abschlussvertreter beauftragt wurde, die Tätigkeit als Vermittlungsvertreter genügt nicht, s. Rn 5). Ziel ist die Gleichstellung des Vollmachtsumfangs63 ungeachtet der Kaufmannseigenschaft des Unternehmers. Denn für eine unterschiedliche Behandlung gegenüber Dritten aufgrund des Innenverhältnisses zum Unternehmer besteht kein Anlass.64 Indem Abs. 1 auf § 55 Bezug nimmt, diese Vorschrift wiederum den § 54 für anwendbar erklärt und ihn ergänzt, unterliegt die Abschlussvollmacht eines für einen nichtkaufmännischen Unternehmer tätigen HV den §§ 54, 55 in gleicher Weise wie jene, welche ein kaufmännischer Unternehmer seinem HV erteilt. Anwendbar ist daher auch § 54 Abs. 3, demzufolge sich der Kunde bei Kenntnis oder Kennenmüssen Vollmachtsbeschränkungen entgegenhalten

57 Ebenroth/Löwisch2 § 91 Rn 3. 58 Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 6; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume

4 § 91 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 13. 59 Ebenroth/Löwisch2 § 91 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 4; 5. 60 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 8; Ebenroth/Löwisch2 § 91 Rn 2. 61 Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 5. 62 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 3. 63 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 91 Rn 1; Oetker/Busche6 § 91 Rn 1, 3; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 91 Rn 1, 3. 64 Begr. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 9, 38; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 3; Oetker/Busche6 § 91 Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 3.

Emde

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lassen muss. Sinngemäß sind auch die §§ 57, 58 anzuwenden. Bei Missbrauch der Vertretungsmacht kann § 91a eingreifen.65 Zum Widerruf der Vollmacht s. Kommentierung zu § 86.

E. Abs. 2: Begrenzte Ermächtigungen für den Vermittlungsvertreter (Parallele zu §§ 55 Abs. 4, 54 Abs. 3) § 91 weggedacht, wäre der HV nur als vom Unternehmer zum Abschluss von Geschäften bevollmächtigter Abschlussvertreter nach §§ 54, 55 berechtigt und verpflichtet, nicht hingegen als vom Unternehmer nicht zum Geschäftsabschluss bevollmächtigter Vermittlungsvertreter. Abs. 2 entspricht § 55 Abs. 4 und erstreckt – unnötigerweise durch eine Sondervorschrift (Rn 2) – dessen Regelungsgehalt auf Vermittlungsvertreter.66 Die Abs. 1–3 des § 55 beziehen sich auf den Umfang einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht, sind hier also ohne Interesse. Der Vermittlungsvertreter verfügt aufgrund seiner Bestellung zum HV grundsätzlich über keine Vertretungsmacht zur Verpflichtung des Unternehmers. Während der mit Handlungsvollmacht versehene Abschlussvertreter die in § 91 Abs. 2 genannten Erklärungen entgegennehmen und die dort genannten Rechte des Unternehmers wahrnehmen darf, weil dies nach § 55 Abs. 4 zum gesetzlichen Inhalt seiner Abschlussvollmacht zählt, bedarf dies für den Vermittlungsvertreter einer besonderen Regelung. Sie ist in Abs. 2 erfolgt, um ihm die in § 55 Abs. 4 genannten Rechte zu geben.67 Damit ist ein Vermittlungsvertreter, auch wenn ihm keine Vollmacht zum Abschluss von Geschäften erteilt ist zwecks Verkehrsschutzes,68 aber auch im Interesse des HV selbst,69 ermächtigt, die im Gesetz genannten Anzeigen oder Erklärungen des Dritten entgegenzunehmen.70 Die Vollmacht wird des Vermittlungsvertreters wird insoweit „fingiert“.71 Darüber hinaus ist er auch befugt, die dem Unternehmer zustehenden Rechte auf Sicherung des Beweises geltend zu machen (Rn 19). Die dem Abschlussvertreter in § 55 Abs. 4 eingeräumten Rechte stehen damit auch dem Vermittlungsvertreter zu.72 Zum Inhalt dieser Rechte siehe Rn 10. Als Ausnahmevorschrift ist Abs. 2 eng auszulegen.73 Zumindest über die Gleichstellungsklausel des Abs. 2 ist jeder HV gegenüber den Kunden des Unternehmers berechtigt und im Verhältnis zum Unternehmer verpflichtet,74 die unter § 55 Abs. 4 und § 91 Abs. 2 fallenden Erklärungen entgegenzunehmen75 und an den Unternehmer weiterzuleiten,76 selbst wenn er das Geschäft, aufgrund dessen die Erklärung abgegeben werden soll, nicht vermittelt hat noch in sonstiger Weise damit befasst gewesen ist. Die Rechte stehen damit nicht nur dem für den jeweiligen Bezirk zuständigen HV zu, sondern auch anderen Vermittlungsvertretern des Unternehmers.77 Sonst würde der Dritte mit Fragen des Innenverhältnisses zwischen HV und Unternehmer belastet – hier in Form der lokalen Zuständigkeit – von der er nach der Intention des § 91 entlastet werden sollte. A maiore ad minus § 55 Abs 2 gilt auch § 91 Abs. 2 nur für Erklärungen, die sich auf die nach dem Vertrag mit dem Kunden zu liefernden oder gelieferten Produkte oder Waren, nicht

65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 747

Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 1. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 9. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 14. Hopt § 91 Rn 2. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 4. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 10; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91 Rn 4. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 9. Ensthaler/Genzow § 91 Rn 2. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 13. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 12. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 11; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91 Rn 7; Oetker/Busche6 § 91 Rn 6. LG Frankfurt/M. NJW 1985, 1167. AA Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 14. Emde

15

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aber auf den Vertrag selbst beziehen, d. h. auf das Kundengeschäft.78 Ausnahmen sind nur vorsichtig zuzulassen: Da der Vermittlungsvertreter „Auge und Ohr“ des Unternehmers am Markt ist, hat die Rspr. seine Befugnisse gleichwohl erweitert: Er ist berechtigt, als Empfangsvertreter nach § 164 Abs. 3 BGB Vertragsangebote für den Unternehmer entgegenzunehmen;79 Kenntnisse des HV bei der Vermittlungstätigkeit, etwa bei Verhandlungen und Vermittlungsgesprächen, sind dem Unternehmer nach § 166 BGB zuzurechnen.80 Das gilt auch, wenn der HV die Tatsachen lediglich hätte kennen müssen.81 In gleicher Weise muss sich der Unternehmer unrichtige Erläuterungen des HV gegenüber dem Kunden zurechnen lassen.82 Dies ist allerdings eher ein Fall des § 278 BGB. Die Versprechungen des HV sind unbeachtlich, sofern der Kunde erkennt, dass der HV seine Befugnisse überschritten hat.83 Darüber, ob die Ermächtigung, für den Unternehmer handeln zu dürfen, auch die Pflicht einbegreift, von ihr im gegebenen Falle Gebrauch zu machen, s. Kommentierung zu § 84. 19 Gem. § 91 Abs. 2 Hs. 2 ist auch der Vermittlungsvertreter – wie sich schon aus § 55 Abs. 4 Hs. 2 für den Abschlussvertreter ergibt – zur Beweissicherung berechtigt und verpflichtet.84 Dieses Recht erfasst alle vorgerichtlichen oder in zulässiger Prozessstandschaft getroffenen gerichtlichen Maßnahmen, die auch dem Unternehmer zustehen würden.85 Die hierfür entstehenden Kosten sind regelmäßig nicht mit der üblichen Vergütung abgegolten. Der Unternehmer schuldet dem HV Aufwendungsersatz nach § 670 BGB86 und ggf. Vorschuss gem. § 669 BGB.87 In aller Regel werden derartige Aufwendungen zu Zwecken der Beweissicherung folglich nicht als erstattungsunfähige Aufwendungen i. S. d. § 87d anzusehen sein.88

F. Versicherungsvertreter 20 Eine Sonderregelung für die Vollmacht von VV beinhalten die §§ 69–72 VVG (früher: 43–48 VVG).89 Zum VV mit Abschlussvollmacht siehe § 71 VVG. Zu den §§ 69–72 VVG s. Kommentierung zu § 92.

G. Derogation 21 Die Regelung in Abs. 2 ist sowohl im Innenverhältnis gegenüber dem HV, wie auch im Außenverhältnis gegenüber dem Kunden, abdingbar.90 Während beim bevollmächtigten Abschlussvertreter eine interne Beschränkung der ihm nach § 55 Abs. 4 zustehenden Ermächtigung zur Entgegennahme von Erklärungen des Dritten und zur Ausübung der Rechte auf Beweissiche78 Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 10. 79 BGH, Urt. v. 19.11.1981 – VII ZR 238/80, BGHZ 82, 219 (221) = NJW 1982, 377; Hopt § 91 Rn 2; Oetker/Busche6 § 91 Rn 6.

80 BGH, Urt. v. 14.6.1957 – VIII ZR 73/56, LM BGB § 307 Nr. 1; Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 11; Oetker/Busche6 § 91 Rn 6. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 11. BGH, Urt. v. 9.5.1951 – II ZR 8/51, BB 1951, 488; Ensthaler/Genzow § 91 Rn 3. Ensthaler/Genzow § 91 Rn 3. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91 Rn 2. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 12. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 11. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 12. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 11. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 12–23; Fricke VersR 1993, 399; Luckey VersR 1993, 151. 90 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 9, 11; Oetker/Busche6 § 91 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 14.

81 82 83 84 85 86 87 88 89

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rung Dritten gegenüber nur nach Maßgabe des § 54 Abs. 3 wirkt, musste für den Vermittlungsvertreter in Abs. 2 S. 2 ausdrücklich bestimmt werden, dass ein Dritter eine etwa im Innenverhältnis zwischen HV und Unternehmer vereinbarte Beschränkung dieser Rechte gegen sich nur gelten zu lassen braucht, wenn er sie kannte oder kennen musste.91 Es stimmt mithin auch insoweit die Rechtslage nach § 91 Abs. 2 für den Vermittlungsvertreter mit der beim Abschlussvertreter nach § 54 Abs. 3 überein.92 Die gleiche Kongruenz ist in § 75g für den reisenden Handlungsgehilfen, der keine Abschlussvollmacht hat, hergestellt worden.93 Damit ist eine Vollmachtsbeschränkung zwar möglich. War sie dem Dritten (Kunden) jedoch unbekannt und beruht die Unkenntnis nicht auf Missachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, darf sich der Unternehmer nicht auf jene Vollmachtsbeschränkung berufen.94

H. Beweislast Wer Rechte aus einer Vertretungsmacht herleitet, hat deren Voraussetzungen und Bestehen zu 22 beweisen.95 Den Unternehmer trifft die Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich eine Beschränkung der Vertretungsmacht des HV oder eine Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis des Kunden hinsichtlich der Beschränkung ergeben soll.96

91 92 93 94 95 96 749

Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91 Rn 11; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91 Rn 4. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 15; Hopt § 91 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 12. Ebenroth/Löwisch2 § 91 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 14. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 14. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 10. Ebenroth/Löwisch4 § 91 Rn 16; Baumgärtel § 54 HGB Rn 3. Emde

§ 91a [Mangel der Vertretungsmacht] (1) Hat ein Handelsvertreter, der nur mit der Vermittlung von Geschäften betraut ist, ein Geschäft im Namen des Unternehmers abgeschlossen, und war dem Dritten der Mangel an Vertretungsmacht nicht bekannt, so gilt das Geschäft als von dem Unternehmer genehmigt, wenn dieser nicht unverzüglich, nachdem er von dem Handelsvertreter oder dem Dritten über Abschluß und wesentlichen Inhalt benachrichtigt worden ist, dem Dritten gegenüber das Geschäft ablehnt. (2) Das gleiche gilt, wenn ein Handelsvertreter, der mit dem Abschluß von Geschäften betraut ist, ein Geschäft im Namen des Unternehmers abgeschlossen hat, zu dessen Abschluß er nicht bevollmächtigt ist.

Übersicht 2

A.

Zweck

B.

Gesetzesgeschichte

C.

Europarechtliche Präformation

D.

Absatz I

I.

Handelsvertreter

II.

Unternehmer

III.

Mit der Vermittlung von Geschäften = Vermitt7 lungsvertreter

3

5. 4

5 5

c) Zum Inhalt der Benachrichtigung d) Folgen unzureichender Information 19 Die Ablehnung a) Die Ablehnung als Willenserklärung b) Person des Ablehnungsempfängers 22 c) Unverzügliche Ablehnung 24 d) Anfechtung der Ablehnung

17 18 20 21

VIII. Die Rechtslage bei unverzüglicher Ableh25 nung

6 IX.

8

1. 2. 3.

Die Rechtslage, wenn der Unternehmer nicht un26 verzüglich ablehnt 26 Wirkungen 27 Anfechtung des Schweigens Substitution der Genehmigungswirkung mittels 28 Schadenersatz? Wirkung der Genehmigung zu Gunsten 29 des HV?

IV.

Abschlussvertreter

V.

Das vermittelte Geschäft und sein Zustandekom9 men

4.

VI.

Anwendungsfall des Rechtssatzes vom Schwei10 gen im kaufmännischen Verkehr

E.

Absatz 2

F. VII. 1. 2. 3.

11 Die Voraussetzungen im Einzelnen 11 Abschluss 12 Vollmachtsüberschreitung Fehlende Kenntnis des Kunden vom Mangel 13 der Vertretungsmacht 14 Benachrichtigung 15 a) Zur Person des Benachrichtigenden. b) Zur rechtlichen Einordnung der Benachrich16 tigung

Verhältnis des § 91a zu anderen Vorschrif32 ten

I.

Zur Scheinvollmacht (Anscheins- und Duldungs32 vollmacht)

II.

Zum Missbrauch der Vertretungsmacht

III.

Zu den §§ 177 ff. BGB

G.

Zur Beweislast

4.

30

33

34 40

1 In § 84 und § 92 werden Vermittlungsvertreter und Abschlussvertreter unterschieden. Die Vorschrift des § 91a Abs. 1 bezieht sich auf den Vermittlungsvertreter, der keine Abschlussvollmacht besitzt, aber trotzdem abschließt; Abs. 2 überträgt die Regelung des Abs. 1 auf den Abschlussvertreter, soweit er seine Vollmacht überschreitet. Abs. 2 hätte auch in den Absatz 1 integriert werden können, wodurch die Vorschrift kürzer ausgefallen wäre.

Emde https://doi.org/10.1515/9783110744385-007

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 91a

A. Zweck § 91a schafft wie § 75h für den Handlungsgehilfen ohne Vertretungsmacht einen speziellen HV- 2 rechtlichen Vertrauenstatbestand,1 welcher in Regelungsgrund sowie z. T. Voraussetzungen und Rechtsfolgen § 362 entspricht,2 aber über den konkurrierenden § 177 BGB hinausgeht.3 Ein Kunde (= Dritter in der Sprachregelung des HGB), der um die Regelung des Innenverhältnisses, präziser: der Vollmacht, im Verhältnis zwischen Unternehmer und HV nicht weiß, soll in seinem Vertrauen auf jene Vollmacht des HV geschützt werden, solange er deren Mangel nicht definitiv kennt. Dadurch wird verhindert, dass der Unternehmer ein Geschäft des HV mit der Begründung zurückweist, dem HV habe die Vertretungsmacht gefehlt, obwohl der Dritte auf das Zustandekommen des Vertrages vertraut hat.4 Der dem Risiko – seinem HV – im Gegensatz zum Kunden näher stehende Unternehmer muss den Vertrag im Interesse des auf das Vorhandensein der Vertretungsmacht vertrauenden Vertragspartners unverzüglich nach Kenntniserlangung ablehnen, andernfalls der Vertrag als genehmigt gilt und Wirksamkeit beansprucht.

B. Gesetzesgeschichte § 91a entspricht im Wesentlichen § 85 der ursprünglichen Fassung des HGB,5 der jedoch nur das 3 Handeln des Vermittlungsvertreters ohne Vertretungsmacht regelte. Die heutige Fassung wurde 1953 in das Gesetz eingefügt und berücksichtigt in Abs. 2 auch das Überschreiten der Vollmacht durch den Abschlussvertreter.6

C. Europarechtliche Präformation § 91a ist durch die RL nicht europarechtlich vorgebildet.

4

D. Absatz I I. Handelsvertreter Das Geschäft muss durch einen HV i. S. d. § 84 abgeschlossen worden sein. Auf HV-ähnliche 5 Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler,7 FN8 oder Kommissionsagenten9 ist § 91a ebenso wenig wie § 91 anwendbar, weil solche HV-ähnlichen Vertriebsmittler keine Geschäfte im Namen des Unternehmers abschließen.10 Die Norm passt nicht zur Situation dieser poteniellen Normad1 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 1; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 1; Hopt § 91a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 2. 2 Schweigen gilt als Zustimmung, ungeachtet dessen, ob diese Rechtsfolge dem Willen des Erklärungspflichtigen entspricht, siehe Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 2; Hopt § 91a Rn 1; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 2. 3 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 2. 4 Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 3; Oetker/Busche6 § 91a Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 3. 5 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 38; Oetker/Busche6 § 91a Rn 1. 6 Vgl. Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 38. 7 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 13; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 4. 8 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 14; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 4. 9 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 15; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 4. 10 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 4. 751

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ressaten. Da § 91a die Tätigkeit als HV voraussetzt, kann die Norm auch nicht analog auf Fälle angewandt werden, in denen der Unternehmer einem anderen eine Rechtsstellung nach außen hin einräumt, die der eines Vermittlungsvertreters entspricht.11 Auf den Vertrag zwischen einem Hauptvertreter und seinem Untervertreter ist die Norm unanwendbar,12 soweit der Hauptvertreter nicht selbst Geschäfte schließt. Jedoch kann der für den HV tätig gewordene Untervertreter durch Benachrichtigung des Unternehmers die Rechtsfolgen des § 91a auslösen,13 weil der HV – hier der Hauptvertreter – die Benachrichtigung des Unternehmers nicht persönlich erklären muss, sondern durch seine Mitarbeiter, auch einen Untervertreter, als Erklärungsvertreter oder -boten handeln darf.

II. Unternehmer 6 Das Geschäft muss im Namen des Unternehmers geschlossen sein. Gemeint ist jeder Unternehmer, ungeachtet seines rechtlichen (natürliche Person, Gesamthandsgemeinschaft, Gesellschaft) oder rechtstatsächlichen Auftritts. Der Schutzbereich der Vorschrift ist auch dann berührt, wenn der Unternehmer Nichtkaufmann ist (§ 84 Abs. 4).14 Näheres siehe d. Kommentierung zu § 84.

III. Mit der Vermittlung von Geschäften = Vermittlungsvertreter 7 Normadressat des Abs. 1 ist allein der Vermittlungsvertreter (s. dazu d. Kommentierung zu § 84), nicht der Abschlussvertreter.15 Besitzt der HV keine Abschlussvollmacht, so ist seine Tätigkeit auf die Vermittlung von Verträgen beschränkt. Er erörtert mit dem Dritten (= Kunden) die Vertragsbedingungen, darf auch die bindende Offerte für den Unternehmer entgegennehmen, die er in der Regel in Form des von ihm auszustellenden (vom Kunden nicht notwendig zu unterschreibenden) Bestellscheins dem Unternehmer weiterleitet. Allenfalls kann er den Abschluss unter Vorbehalt der Genehmigung durch den Unternehmer tätigen. Die den Vertrag zustande bringende Willensentschließung aber – mag sie in der Annahme der Offerte oder in der Genehmigung des unter Vorbehalt vom HV geschlossenen Vertrages zum Ausdruck kommen – ist ausschließlich Sache des Unternehmers, der seine Entschließung dem Dritten durch den HV als Boten übermitteln lassen oder durch eine Willenserklärung unmittelbar gegenüber dem Kunden, etwa ein Bestätigungsschreiben, zum Ausdruck bringen kann. Die Ermächtigung, den Vertragsantrag des Kunden mit Wirkung für den Unternehmer entgegenzunehmen, ist für den VV in § 69 VVG ausdrücklich ausgesprochen; jene Bestimmung gibt noch einige weitere verwandte Ermächtigungen (vgl. d. Kommentierung zu § 92).

IV. Abschlussvertreter 8 Im Gegensatz zu dem „schwachen“ Vermittlungsvertreter steht der in Abs. 2 (Rn 30 ff.) angesprochene „starke“ Abschlussvertreter (s. d. Kommentierung zu den §§ 84, 86). Wer als HV damit betraut ist, Geschäfte des Unternehmers in dessen Namen abzuschließen, tätigt die Abschlüsse mit voller Wirkung für und gegen den Unternehmer. Der Umfang, in welchem sich diese Wirkung entfaltet, wird durch § 55 Abs. 1 i. V. m. § 54 Abs. 1 bestimmt (siehe auch d. Kommentierung zu § 91): der HV ist ermächtigt, namens des Unternehmers abzuschließen, soweit 11 12 13 14 15

Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 4. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 4. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 37. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 4. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 4; Oetker/Busche6 § 91a Rn 3.

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die Ausübung der übertragenen Vertretung „derartige Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt“. Nicht ermächtigt ist der Abschlussvertreter danach zu Abschlüssen mit außergewöhnlichem Umfang oder außergewöhnlichen Risiken.16 Weitere Einschränkungen, beim HV regelmäßig durch Zuweisung eines bestimmten Bezirks oder Kundenkreises mit Außenwirkung sind möglich, wirken gegenüber dem Geschäftspartner dann aber nur, wenn er sie kannte oder kennen musste (§ 54 Abs. 3). Bloße interne Beschränkungen der Abschlussbefugnis, z. B. Limitierung auf Abschlüsse bis zu einer bestimmten Höhe mit der Weisung, bei weitergehenden Abschlüssen zuvor die Einwilligung des Unternehmers einzuholen, äußern grundsätzlich keine Außenwirkung – ob die eine oder andere Art der Beschränkung gemeint ist, bleibt Auslegungsfrage – und können daher dem Kunden, falls der HV solche internen Weisungen unbeachtet gelassen hat, nicht entgegen gehalten werden. Das gilt sogar dann, wenn dem Kunden das weisungswidrige Abschlussverhalten des HV bewusst war, außer er hätte in dieser Kenntnis mit dem HV zum Schaden des Unternehmers gemeinsame Sache gemacht (§ 826 BGB, Einrede der Arglist). Die Möglichkeiten für den Unternehmer, einen durch den Abschlussvertreter innerhalb der Grenzen seiner Ermächtigung getätigten Abschluss anzufechten, bestimmt sich nach den Regeln der §§ 166, 119 ff. BGB.

V. Das vermittelte Geschäft und sein Zustandekommen Kommt das vom HV vermittelte Geschäft durch ggf. in seinem Namen vom Abschlussvertreter 9 abgegebene Willenserklärung des Unternehmers zustande, muss der Unternehmer grundsätzlich den Inhalt des Geschäfts so gegen sich gelten lassen, wie es der HV mit dem Dritten (= Kunden) festgelegt hat. Der Inhalt der Annahme- bzw. Zustimmungserklärung des Unternehmers ist aus den Vertragsverhandlungen, wie sie zwischen dem HV und dem Kunden geführt wurden, zu bestimmen. Denn schon bei Entgegennahme der Offerte des Kunden ist auch der Vermittlungsvertreter nicht nur als Bote, sondern als Empfangsvertreter des Unternehmers aufzufassen; vorausgesetzt ist nur, dass das Geschäft sich im Rahmen der Mittlertätigkeit eines HV der in Betracht kommenden Art überhaupt hält. Die Offerte ist mit dem Inhalt abgegeben, wie er sich als Ergebnis der mit dem HV gepflogenen Verhandlungen darstellt: auf ihren Inhalt bezieht sich die Annahmeerklärung des Unternehmers. So schon die Rechtsprechung des RG.17 Der Unternehmer muss nicht nur die Geschäftsbedingungen, die der HV mit dem Kunden besprochen hat, gegen sich gelten lassen, sondern auch das Kennen und Kennenmüssen von Tatsachen, welche dem HV bekannt waren oder bekannt sein mussten (§ 166 BGB).18 In alledem trägt der Unternehmer die Gefahr, wenn er sich für die Vermittlung seiner Geschäfte einer unzuverlässigen Zwischenperson bedient hat. Übermittelt der HV den Vertragsantrag unrichtig oder unvollständig, so kommt durch die Annahme des Unternehmers das Geschäft dennoch so zustande, wie es zu Händen des HV angetragen war – es sei denn, die Unterrichtung durch den HV habe zu einer entsprechend spezifizierten und damit von der Offerte abweichenden Annahmeerklärung oder Bestätigung seitens des Unternehmers geführt (Fall des offenen Dissenses). Hat sich hiernach der Unternehmer über den Inhalt der Annahmeerklärung geirrt, so kann er sie nach §§ 119, 122 (vgl. auch § 120) BGB anfechten. Will er aber aus seiner Annahmeerklärung Rechte ableiten, so muss er die Offerte des Kunden gelten lassen, wie sie dem HV abgegeben worden ist – gleichviel wie der Unternehmer deren Inhalt auf Grund der an ihn gelangten Mitteilungen des HV versteht oder verstehen muss. Auch soweit Erklärungen des HV selbst, z. B. über Beschaffenheit und Eigenschaften der Ware, für den Inhalt des Vertragsantrags des Dritten be-

16 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 4. 17 Grundsätzlich insb. RGZ 51, 147 (151); 60, 188; WarnRspr. 1929, Nr. 82 S. 144; ebenso OLG Hamburg HRR 1930 Nr. 304; ausführlich dazu, teilw. abw. Schmidt-Rimpler § 64 S. 225/226. 18 BGH LM § 307 BGB Nr. 1; WM 1955, 1125. 753

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deutsam sind, muss der Unternehmer das vom HV Erklärte gelten lassen;19 er kann auch hier die Annahmeerklärung wegen Irrtums anfechten, wenn er von den Angaben des HV erst nachträglich Kenntnis erhalten hat.

VI. Anwendungsfall des Rechtssatzes vom Schweigen im kaufmännischen Verkehr 10 § 91a Abs. 1 betrifft den Fall, dass ein Vermittlungsvertreter im Namen des Unternehmers einen seinem Inhalt nach (mit Ausnahme der fehlenden Vollmacht) rechtsverbindlichen Vertrag abschließt. Alsdann hängt die Verbindlichkeit des Vertrages für den Unternehmer von dessen Genehmigung ab, § 177 Abs. 1 BGB. Diese Genehmigung jedoch gilt unter den Voraussetzungen des § 91a kraft unwiderleglicher Rechtsvermutung als erteilt. Darin liegt der Unterschied zu der Rechtslage nach allgemeinem bürgerlichen Recht. Während im Bereich des § 177 BGB der ohne Vollmacht abgeschlossene Vertrag nur und erst durch erklärte Genehmigung des Vertretenen wirksam wird und bloßes Schweigen der Genehmigung nicht gleichsteht (im Falle des § 177 Abs. 2 S. 2 Hs 2 BGB sogar Ablehnung bedeutet), gilt das Schweigen hier als Genehmigung. Das dient dem Beschleunigungs- und Vereinfachungsgedanken des HGB.20 Diese Rechtswirkung des Schweigens tritt in Anwendung eines allgemeinen handelsrechtlichen Grundsatzes21 (vgl. auch § 362) auch gegen den nichtkaufmännischen Unternehmer ein, welcher wegen der Einschaltung des HV in seine Absatzbemühungen auch insoweit dem sonst für Kaufleute anerkannten Rechtssatz unterworfen wird, dass, wenn Geschäftssitte und Treu und Glauben die Erklärung einer ablehnenden Antwort erfordern, das Schweigen als Zustimmung ausgelegt wird, ohne Rücksicht darauf, ob dies mit dem Willen des Erklärungspflichtigen übereinstimmt oder nicht. Ob der Kunde Kaufmann ist oder nicht, spielt keine Rolle.

VII. Die Voraussetzungen im Einzelnen 1. Abschluss 11 Ein Abschluss im Namen des Unternehmers muss vorliegen.22 Hat der HV im eigenen Namen oder im Namen eines anderen Unternehmers abgeschlossen, kommt § 91a nicht zur Anwendung.23 Gemeint ist ein vorbehaltloser Abschluss, welcher den Unternehmer nach den Regelungen des intendierten Geschäfts endgültig binden soll.24 Ein Abschluss unter Vorbehalt der Genehmigung durch den Unternehmer fällt nicht unter § 91a;25 der Unternehmer kann einen solchen Abschluss unbeachtet lassen, ohne dass sein Schweigen als Genehmigung gewertet wird; außerdem liegt dann Kenntnis des Kunden vor.26 Kein Abschluss liegt vor, falls der HV lediglich ein Angebot des Dritten entgegengenommen und an den Unternehmer weitergeleitet

19 BGH MDR 1951, 474 u. DB 1963, 617 (selbst eine Schriftlichkeitsklausel nützt dann nichts); RGZ 51, 147; 60, 188; OLG Marienwerder OLGE 12, 29; OLG Hamburg OLGE 16, 401. Oetker/Busche6 § 91a Rn 1. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 3. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 5. Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 5. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 5; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 7, 13; Oetker/Busche6 § 91a Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 4, 21. 25 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 5. 26 Hopt § 91a Rn 3.

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hat.27 § 91a greift auch bei einem Vertragsschluss mit einem Kunden im Ausland ein28 und ferner, wenn der Vermittlungsvertreter Verträge mit Kunden zeichnet, die nach seinem HV-Vertrag nicht zu seinem Kundenkreis, Gebiet oder Bezirk gehören.29 Denn diese Fragen des Innenverhältnisses zwischen HV und Unternehmer sollen den Kunden nicht belasten.30 In jedem Fall gilt dann § 177 BGB.31 Oft wird in dieser Situation aber eine die Anwendung des § 91a ausschließende Kenntnis des Kunden vorliegen.

2. Vollmachtsüberschreitung Der HV muss seine Vollmacht überschritten haben, etwa weil ihm eine Abschlussvollmacht 12 nicht erteilt wurde, eine eingeräumte Bevollmächtigung den Vertragsschluss wegen nach außen wirkender Beschränkungen nicht deckt32 oder sonstige Gründe einer wirksamen Vertretungsbefugnis entgegenstehen.33 Liegt eine wirksame, stillschweigende oder ausdrückliche Vollmacht oder eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht34 vor oder überschreitet der nach außen unbeschränkt vertretungsberechtigte HV eine im Innenverhältnis bestehende Beschränkung seiner Vollmacht,35 so bedarf es des Rückgriffs auf § 91a nicht; der Abschluss wirkt dann ohne weiteres für und gegen den Unternehmer, es sei denn, es liegt Kollusion oder einer der anerkannten Fälle des Missbrauchs der Vertretungsmacht vor. Der Unternehmer wird ferner gebunden, sofern der mit Abschlussvollmacht versehene HV, der diese Vollmacht auch ausgeübt hatte, wahrheitswidrig erklärt, der Unternehmer habe genehmigt.36 Ein Überschreiten der Vollmacht liegt beim Vermittlungsvertreter schon per definitionem vor: er soll ja gerade nicht abschließen dürfen. Die bloße Nichtbeachtung interner Weisungen durch den bevollmächtigten HV genügt für Abs. 1 nicht, auch dann nicht, wenn der Kunde hiervon Kenntnis besaß.37 Jedoch ist § 91a entsprechend anzuwenden, falls der HV laut interner Weisung nur unter Vorbehalt der Genehmigung abschließen darf, mit dem Dritten indessen vorbehaltlos kontrahiert.38

3. Fehlende Kenntnis des Kunden vom Mangel der Vertretungsmacht Dem Dritten (Kunden) darf der Mangel der Vertretungsmacht nicht bekannt gewesen sein.39 13 Das ist verständlich, denn dann ist er nicht schutzbedürftig sondern eher Mittäter. Maßgebender Zeitpunkt der Kenntnis ist der Abschluss des Geschäfts. Spätere Kenntnis schadet nicht. Bei 27 RG in Seuff. Arch. 78, 68; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 5; Oetker/Busche6 § 91a Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 1a. 28 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 2a; aA OLG Hamburg DB 1959, 1396; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 8. 29 AA Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 8. 30 Anders wohl OLG 14, 347; RGZ 96, 288; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 4: Vermittlung muss in den Aufgabenkreis des HV fallen. 31 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 7. 32 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 1. Dieser Fall kann auch unter Abs. 1 eintreten, wenn der HV zwar keine generelle Abschlussvollmacht i. S. d. Abs. 2 besaß, jedoch eine Einzelvollmacht zum Abschluss. 33 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 5. 34 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 1. 35 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 13; Hopt § 91a Rn 3; Schlegelberger/ Schröder § 91a Rn 1a, 20. 36 RG LZ 1932, 1076; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 1a. 37 Hopt § 91a Rn 3. 38 RGZ 113, 261. 39 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 7. 755

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Kenntnis gilt § 177 Abs. 2 BGB.40 Fahrlässige Unkenntnis oder spätere positive Kenntnis stehen der Anwendbarkeit des § 91a nicht entgegen.41 Im Einzelfall kann die Genehmigungswirkung jedoch nach § 242 BGB ausgeschlossen sein. Hat der Kunde, selbst unter grobfahrlässiger Verkennung der Sachlage, den HV als – allgemein oder im Einzelfalle – mit Abschlussvollmacht versehen angesehen, so ist die Voraussetzung der Nichtkenntnis erfüllt. Im Allgemeinen wird der HV sich als Abschlussvertreter ausgegeben haben, mindestens konkludent durch Unterzeichnung einer Annahmeerklärung auf dem Bestellschein für den Unternehmer mit dem Zusatz „i. V.“.

4. Benachrichtigung 14 Das ohne Vertretungsmacht geschlossene Geschäft gilt nach § 91a kraft Gesetzes als genehmigt, wenn der HV oder der Vertragspartner den Unternehmer von Abschluss und Inhalt des Geschäfts benachrichtigen und der Unternehmer es nicht unverzüglich ablehnt.

15 a) Zur Person des Benachrichtigenden. Die Benachrichtigung hat entweder von dem HV oder von dem Dritten (= Kunden) auszugehen.42 Nur der das Geschäft schließende HV und kein anderer HV darf die Benachrichtigung vornehmen. Ein anderer HV des Unternehmers kann die Benachrichtigung mit den Wirkungen aus § 91a nicht vornehmen, es sei denn, er ist Bote oder Vertreter des abschließenden HV.43 Der benachrichtigende Dritte (= Kunde) kann wiederum nur die Person sein, mit welcher der HV als Geschäftsgegner abgeschlossen hat.44 Der Begriff des „Dritten“ ist dabei nicht präzise, weil eben nicht die Information durch jeden beliebigen Dritten ausreicht.45 Vielmehr muss sie durch den Kunden erfolgen, welchen das HGB als „Dritten“ bezeichnet, keinesfalls durch einen außenstehenden „Vierten“.46 Die Benachrichtigung ist jedoch kein höchstpersönliches Geschäft, auf beiden Seiten können Boten oder Vertreter eingeschaltet werden,47 auf Seiten des HV etwa dessen Angestellte oder Untervertreter. Der Erhalt der Information auf andere Weise führt nicht zum Verlust des Ablehnungsrechts, da die Rechte des Unternehmers nur durch eine gesicherte Information tangiert werden sollen.48

16 b) Zur rechtlichen Einordnung der Benachrichtigung. Die Benachrichtigung ist formlos möglich.49 Sie ist eine empfangsbedürftige Wissenserklärung.50 Die Vorschriften über Willenserklärungen sind auf diese Wissensmitteilung entsprechend anwendbar. Die Benachrichti40 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 3; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 91a Rn 8. 41 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 7; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 7; Hopt § 91a Rn 3; Oetker/Busche6 § 91a Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 6, 20. 42 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 39; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 8. 43 Oetker/Busche6 § 91a Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 11. 44 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 8; Hopt § 91a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8. 45 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4. 46 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 8; Hopt § 91a Rn 5; Oetker/Busche6 § 91a Rn 7. 47 Hopt § 91a Rn 5. 48 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 8. 49 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 9; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 11; Hopt § 91a Rn 5; Oetker/Busche6 § 91a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 10; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4. 50 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 9; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 11; Oetker/Busche6 § 91a Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 11. Emde

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gung muss dem Unternehmer, mit welchem der Vertrag zustande kommen soll, oder seinem für die Entgegennahme derartiger Erklärungen bestellten Vertreter gem. § 130 BGB analog zugehen.51 Eine Kenntnisnahme durch den Unternehmer ist wie bei Willenserklärungen nicht erforderlich.52

c) Zum Inhalt der Benachrichtigung. Die Benachrichtigung muss den Unternehmer von dem 17 als verbindlich gewollten Abschluss des Vertrags im Namen des Unternehmers durch den HV mit dem präzise bezeichneten Vertragspartner und über den wesentlichen Inhalt53 der getroffenen Vereinbarung unterrichten; sie muss alles enthalten, was bei objektiver Würdigung nach der Lage des Einzelfalls für die Entscheidung des Unternehmers betreffend die Erteilung oder Versagung der Genehmigung von Bedeutung sein kann.54 Dazu zählen etwa – je nach Einzelfall – Angaben zum Gegenstand des Vertrages, Preis, zu Leistung und Gegenleistung, Zeit und Ort der Leistung, Lieferbedingungen, Garantien, Haftungsausschlüssen, Eigenschaften (etwa Bonität) des dem Unternehmer bisher nicht bekannten Vertragspartners oder unbekannten Eigenschaften eines früheren Vertragspartners sowie zu Abweichungen des Vertragsinhalts vom sonst Üblichen.55 Es genügt also nicht die Nachricht von der Tatsache des Geschäftsabschlusses oder der Zustimmungsbedürftigkeit von Seiten des Unternehmers.56 Der Unternehmer muss vielmehr auch den wesentlichen Kern des Vertragsinhalts erfahren haben: im Extremfalle dadurch, dass der Dritte in der Annahme, der Vertrag sei bindend geschlossen, dem Unternehmer ein (kaufmännisches) Bestätigungsschreiben übersendet, sofern sich aus ihm die Einzelheiten des Vertragsschlusses, die Person des Vertragspartners sowie die erforderlichen Daten hinreichend klar ergeben.57 Dass der Vertrag der Genehmigung bedarf, braucht nicht mitgeteilt zu werden.58 Jedoch muss der Unternehmer aufgrund der Benachrichtigung erkennen können, dass sich sein nur mit der Vermittlung betrauter HV nicht auf die Vermittlung beschränkt, sondern statt dessen im Namen des Unternehmers abgeschlossen59 und seine Vertretungsbefugnis überschritten hat. Juristische Wertungen sind überflüssig; auch Kaufleute müssen die Benachrichtigung wirkungssicher vornehmen können. Kann der Unternehmer aus der ihm übermittelten Nachricht nicht entnehmen,60 dass der HV seine Befugnis überschritten hat,61 oder muss er gar annehmen, dass der HV die Grenzen der Ermächtigung eingehalten hat, so gibt es keine Veranlassung für den Unternehmer, die Ablehnung des Geschäftsabschlusses dem Dritten gegenüber ausdrücklich zu erklären.62 Gleiches gilt, falls der Unternehmer aus der Benachrichtigung nur folgern kann, dass es sich allein um ein den Kunden bindendes Angebot handelt, nicht aber um einen bereits im Namen des Unternehmers vorgenommenen Abschluss.63 Die

51 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 9; Hopt § 91a Rn 5. 52 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 11; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4; Hopt § 91a Rn 5; Oetker/Busche6 § 91a Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8, 9, 11. 53 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4. 54 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 11; Hopt § 91a Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 10; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8, 10, 10a. 55 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 9; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 11; Ensthaler/Genzow § 91a Rn 3; Hopt § 91a Rn 6; Oetker/Busche6 § 91a Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 10a. 56 Ensthaler/Genzow § 91a Rn 3. 57 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 11. 58 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8. 59 RGZ 97, 2; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8. 60 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 10. 61 RGZ 97, 1 a. E. 62 RG LZ 1924, 463. 63 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8. 757

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unzureichende Benachrichtigung kann allerdings jederzeit vervollständigt werden. Die Frist zur Ablehnung läuft dann ab dem Moment des vollständigen Erhalts der Information.64

18 d) Folgen unzureichender Information. Eine nicht den Anforderungen des § 91a genügende, inhaltlich unzureichende oder nicht vom HV, seinen Hilfspersonen oder dem Vertragspartner stammende Benachrichtigung löst die Rechtsfolge des § 91a nicht aus.65 Schweigt der Unternehmer dann – aus welchem Grunde auch immer –, so tritt die Genehmigungsfiktion nicht ein.66 Sie kann erst eintreten, wenn und nachdem die Benachrichtigung später vervollständigt oder nachgeholt wird und der Unternehmer nunmehr im Schweigen verharrt.67 Haben der HV und der Kunde keine Benachrichtigung vorgenommen, darf der Kunde nicht geltend machen, zu Lasten des Unternehmers greife § 91a ein, weil der HV Erfüllungsgehilfe des Unternehmers sei, für dessen Kenntnis der Unternehmer einzustehen habe.68 Denn die auf Verschulden beruhende Unkenntnis des Unternehmers steht nicht dem Zugang der Benachrichtigung gleich.69 Auch besteht keine vertragliche Pflicht des Unternehmers dem Kunden gegenüber, sich von dem durch einen HV abgeschlossenen Geschäft benachrichtigen zu lassen. Der HV ist daher nicht Erfüllungsgehilfe des Unternehmers hinsichtlich der Erfüllung einer solchen Rechtspflicht.70

5. Die Ablehnung 19 Hat der Vermittlungsvertreter des Abs. 1 ein Geschäft im Namen des Unternehmers ohne dessen Vollmacht abgeschlossen und war dem Geschäftspartner der Mangel der Vertretungsmacht unbekannt, so gilt das Geschäft als durch den im Gegensatz zum Kunden nicht schutzbedürftigen Unternehmer als genehmigt, sofern dieser nicht unverzüglich, nachdem er vom HV, dem Dritten oder einer ihrer Hilfspersonen (§§ 278, 166 BGB) über Abschluss und wesentlichen Inhalt des Geschäftes benachrichtigt worden ist, jenes dem Dritten gegenüber ablehnt.71

20 a) Die Ablehnung als Willenserklärung. Die Ablehnungserklärung ist eine formfreie, einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung (§ 130 BGB),72 sie reist auf Gefahr des Unternehmers73 (weil ihn nicht nur die Obliegenheit der Erklärung, sondern auch des beweissicheren Versendens trifft), wird mit Zugang (§ 130 BGB) wirksam74 und kann nicht widerrufen,75 allenfalls (vorsorglich) wiederholt werden; dann ist aber die Frage, ob sie noch als „unverzüglich“

64 Hopt § 91a Rn 6; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4. 65 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 9; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 12; Oetker/Busche6 § 91 a Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8, 10b. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 12. Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 10b. Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8. Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8. Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 10; Martinek/Flohr/Pohl3 § 18 Rn 40; Oetker/Busche6 § 91a Rn 8; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4. 72 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 10; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 15; Ensthaler/Genzow § 91a Rn 3. 73 BGH NJW-RR 2006, 1106 (1108); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 10; Hopt § 91 a Rn 7; aA Ritter § 85 Rn 4; s. auch RG BayZ 1923, 214. 74 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 10. 75 BGHZ 13, 179 (187); BGH NJW 1989, 1672 (1673); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 11.

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erfolgt gelten kann. Einer Begründung bedarf die Ablehnung nicht.76 Der HV ist von der Ablehnung zu unterrichten (§ 86a Abs. 2 zumindest analog), im Grundsatz hat er aber keinen Anspruch auf Mitteilung der Gründe,77 weil § 87a Abs. 3 nicht eingreift. Denn das Geschäft wurde ohne Genehmigung nicht wirksam geschlossen, so dass kein Provisionsinteresse des HV und damit auch kein Informationsinteresse besteht. Es ist Begründung genug, dass der Unternehmer ohne Vertretungsmacht abgeschlossene Geschäfte nicht genehmigen will. Die Ablehnung des Unternehmers darf durch Bevollmächtigte erfolgen; sie kann etwa vom HV78 oder anderen als Boten oder Vertreter erklärt werden;79 der Unternehmer darf dem HV sogar die Entscheidung über Ablehnung oder Schweigen übertragen.80 Da der HV nicht im eigenen Namen handelt, ist die durch den HV als rechtsgeschäftlichen Vertreter des Unternehmers – erst recht als Boten – erklärte Ablehnung des zuvor vom HV ohne Vertretungsmacht geschlossenen Vertrags nicht treuwidrig.81 Erklärt der HV, ohne durch den Unternehmer dazu ermächtigt zu sein, dieser lehne das Geschäft ab, so mangelt es an einer wirksamen Ablehnung seitens des Unternehmers, es sei denn, dieser genehmigt nachträglich die von dem HV eigenmächtig erklärte Ablehnung gem. § 180 BGB.82 Durch eine derart eigenmächtige Ablehnungserklärung kann sich der HV gegenüber dem Unternehmer nach § 280 BGB schadenersatzpflichtig machen, gegenüber dem Kunden nur aus § 826 BGB.

b) Person des Ablehnungsempfängers. Die Ablehnung kann nur dem Dritten (Vertrags- 21 partner) gegenüber erfolgen83 (während die Genehmigung, wenn sie als ausdrückliche geschehen soll, dem HV oder dem Dritten gegenüber erklärt werden könnte, § 182 Abs. 1 BGB; Ausnahme: § 177 Abs. 2 S. 1 BGB). Eine dem HV bekannt gegebene Ablehnung wirkt gegen den Dritten nur, falls dieser den HV zum Empfangsboten bestellt hatte und der HV die Ablehnungserklärung unverzüglich an den Dritten weitergibt, sonst nur, wenn der HV vom Dritten zum Empfang einer etwaigen Ablehnung über die bloße Boteneigenschaft hinaus förmlich bevollmächtigt worden war. c) Unverzügliche Ablehnung. Die Ablehnung muss unverzüglich erfolgen, nachdem der 22 Unternehmer über Abschluss und wesentlichen Inhalt des Geschäftes benachrichtigt worden ist. Unverzüglich heißt auch hier: ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB).84 Die Länge der dem Unternehmer zuzusprechenden Entschlussfrist bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls85 und dem Umfang der bei objektiver Würdigung gebotenen Prüfung, z. B. hinsichtlich der Person des Kunden86 (etwa Auslandssachverhalt). In keinem Fall darf der Unternehmer so lange zögern, dass der Dritte den Eindruck haben muss, das Geschäft sei genehmigt.87 Theoretisch ist sogar eine Verwirkung des Ablehnungsrechts vor Ablauf der von § 91a voraus76 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 12; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 15; Hopt § 91a Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4.

77 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 12. 78 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 10. 79 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 10; Ensthaler/Genzow § 91a Rn 3; Hopt § 91a Rn 7; Oetker/Busche6 § 91a Rn 8. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 10; Hopt § 91a Rn 7. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 15; Hopt § 91a Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 13. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 15; Oetker/Busche6 § 91a Rn 8; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 13; Oetker/Busche6 § 91a Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4; Westphal I Rn 79. 85 Oetker/Busche6 § 91a Rn 9. 86 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. 87 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14.

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gesetzten Entschlussfrist oder eine stillschweigende Genehmigung denkbar,88 jedoch wegen des engen Zeitrahmens kaum praktisch. Wird der Unternehmer vom Dritten dahingehend getäuscht, eine Ablehnungserklärung sei unnötig, läuft die Frist nicht. Eine auch im Lichte des Beschleunigungsgedankens angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist ist dem Unternehmer zuzubilligen,89 damit er die Fakten untersuchen und überlegen kann, ob er das Geschäft gegen sich gelten lassen will.90 So muss ihm die Gelegenheit eingeräumt werden, über Person, Leistungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit des Dritten Erkundigungen einzuziehen,91 wobei in Anwendung des Beschleunigungsgebots des HGB92 und des Rechtsgedankens des § 177 Abs. 2 S. 2 BGB (eine starre Anwendung verträgt sich jedoch nicht mit dem handelsrechtlichen Vertrauenstatbestand93) die Überlegungs- und Erkundungsfrist als Obergrenze leitbildartig kaum länger als 14 Tage laufen kann.94 Sie beginnt mit dem Zugang der vollständigen Benachrichtigung beim Unternehmer.95 Verzögerungen bei der Bearbeitung in seinem Geschäftsbetrieb hat der Unternehmer zu vertreten.96 Soll der HV die Ablehnung als Bote oder Vertreter des Unternehmers erklären, gilt die Ablehnung nicht bereits dann als erfolgt, sobald dieser Auftrag den HV erreicht, sondern erst, wenn der HV als Bote oder Vertreter des Unternehmers dem Dritten die Ablehnung seitens des Unternehmers mitteilt.97 Unterlässt der HV die ihm aufgetragene Weiterleitung, tritt die Bindungswirkung der Nichtabgabe einer Ablehnungserklärung zu Lasten des Unternehmers ein.98 Der insoweit schuldhaft handelnde HV ist dem Unternehmer nach § 280 BGB ersatzpflichtig.99 Dem Unternehmer wird es durch § 91a also nicht unmöglich, Rückfragen zu halten oder 23 sonstige Ermittlungen anzustellen. Nur muss dies so rasch geschehen, dass die Ablehnung noch unverzüglich erklärt werden kann.100 Bei außergewöhnlich umfangreichen, schwierigen oder risikobehafteten Verträgen kann ein Zeitraum von mehr als zwei Wochen angemessen sein. In diesen Fällen hat der Unternehmer den Vertragspartner unverzüglich von der noch nicht abgeschlossenen Prüfung, der verlängerten Prüfungszeit sowie ihrer voraussichtlichen Dauer zu unterrichten.101 Das gilt, da es auf das Vertrauen des Kunden in die Bestandskraft des Geschäftes ankommt, jedenfalls wenn die Notwendigkeit verlängerter Prüfung dem Kunden nicht erkennbar war. Der Unternehmer mag die Dauer der benötigten Frist klarstellen durch die Mitteilung, er könne aus bestimmten Gründen zurzeit über Genehmigung oder Nichtgenehmigung noch nicht entscheiden. Soweit nicht bereits zuvor wegen der Komplexität die angemessene Frist eine über die sonst übliche Höchstgrenze hinausgehende war, verlängert sich dann unter Berücksichtigung von Treu und Glauben im Lichte der beiderseitigen Interessen die maßgebliche Frist;102 der Zwischenbescheid erhält dem Unternehmer für den angemessenen

88 Hopt § 91a Rn 8. 89 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 12; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. 90 Westphal I Rn 79. 91 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. 92 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 13; Oetker/Busche6 § 91a Rn 9. 93 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 12. 94 BGH NJW-RR 2006, 1106 (1108); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 13 (Leitbild); Ensthaler/ Genzow § 91a Rn 3; Hopt § 91a Rn 8; Oetker/Busche6 § 91a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 12; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. 95 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. 96 Oetker/Busche6 § 91a Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. 97 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 13. 98 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 13. 99 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 13. 100 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. 101 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 16. 102 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 4. Emde

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Zeitraum das Ablehnungsrecht.103 Denn die Schutzbedürftigkeit des Kunden reduziert sich, falls er über Verzögerungen informiert wird. Den Eintritt der Genehmigungsfiktion kann der Unternehmer durch den Zwischenbescheid allein freilich nicht aufhalten, wenn er die mit dem Begriff „unverzüglich“ ihm zumutbar einzuräumende Überlegungsfrist überdehnt, ohne endgültig abzulehnen.104

d) Anfechtung der Ablehnung. Die Ablehnung ist der Anfechtung wegen Willensmängeln 24 zugänglich.105 Mit der Anfechtung der Ablehnungserklärung wird diese gem. § 142 Abs. 1 BGB ex tunc beseitigt und der ursprüngliche Schwebezustand tritt wieder ein.106 Der Anfechtende kann nunmehr genehmigen oder die unwiderlegliche Rechtsvermutung durch Schweigen herbeiführen.107 Vielfach wird die Anfechtung der Ablehnungserklärung zugleich als Genehmigung des Geschäfts auszulegen sein.108 Dies ist aber eine nach §§ 133, 157 BGB zu bestimmende Frage des Einzelfalls. Ein Recht des Unternehmers, nach der Anfechtung erneut über die Genehmigung des Geschäfts zu entscheiden, kann nicht mit der Begründung verneint werden, der Dritte dürfe auf die Versagung der Genehmigung vertrauen, weil jene den Schwebezustand endgültig vernichte.109 Der Gesetzgeber hat bei Vorliegen eines Anfechtungsgrundes den Interessen des Anfechtenden Vorrang vor den Interessen des Vertragsgegners eingeräumt.110 Der ursprüngliche Schwebezustand ist durch die Ablehnungserklärung also nicht endgültig dahin geklärt worden war, dass das Geschäft als nicht zustande gekommen anzusehen sei; die Versagung der Genehmigung ist nicht unwiderruflich.111 Sie vernichtet den Schwebezustand nicht in jedem Fall112 und hat das Rechtsverhältnis nicht in diesem Sinne unumkehrbar gestaltet.113

VIII. Die Rechtslage bei unverzüglicher Ablehnung Nach unverzüglicher Ablehnung braucht der Unternehmer das Geschäft nicht gegen sich gelten 25 zu lassen. Die Ablehnung führt zur Haftung des HV gegenüber dem Kunden nach § 179 BGB114 und zur Schadensersatzpflicht aus § 280 BGB gegenüber dem Unternehmer.115 Eine Haftung aus § 179 BGB entfällt gem. § 179 Abs. 3 BGB, wenn der Kunde wissen musste, dass der HV die zum Abschluss erforderliche Vertretungsmacht nicht besaß.116 Für seine Haftung aus § 179 BGB oder aus anderen Vorschriften kann der HV vom Unternehmer keinen Ersatz, etwa gem. § 87d, fordern. Weder der HV noch der Kunde haben einen Anspruch darauf, dass der Unternehmer von der Ablehnung Abstand nimmt.117 Insbesondere der HV kann, falls durch die Ablehnung das Geschäft nicht zustände kommt und damit ihm eine Provision nicht gebührt, einen Scha103 104 105 106 107 108 109 110 111

Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 16. Etwas anders Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 16. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 11. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 13. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 13. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 13. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 13; aA Staub/Brüggemann4 § 91a Rn 17. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 13. AA RGZ 139, 118 (125 ff.); BGHZ 13, 179 (187); BGH NJW 1989, 1673; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14; Hopt § 91a Rn 7; Staub/Brüggemann4 § 91a Rn 17. 112 AA RGZ 139, 126/127. 113 AA Thiele Die Zustimmung in der Lehre vom Rechtsgeschäft [1966] S. 259. 114 BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 18/76, BGHZ 68, 391 = NJW 1977, 1535; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 18; Hopt § 91a Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 18. 115 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 18; Hopt § 91a Rn 7. 116 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 18. 117 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. 761

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densersatzanspruch gegen den Unternehmer nicht erheben.118 § 87a Abs. 3 ist gleichfalls unanwendbar.

IX. Die Rechtslage, wenn der Unternehmer nicht unverzüglich ablehnt 1. Wirkungen 26 Das Schweigen des Unternehmers bringt die Genehmigungsfiktion zum Entstehen, falls unverzügliche Ablehnung hätte erwartet werden müssen.119 Vorher bestand sie nicht. Es handelt sich daher beim Schweigen um eine aufschiebende Bedingung und nicht bei der unverzüglichen Ablehnung um eine auflösende Bedingung.120 Das Geschäft gilt daraufhin für die Beteiligten, also Kunde, Unternehmer und HV sowie alle Dritten als vom Unternehmer genehmigt, und zwar so, wie der HV es im Einzelnen ausgehandelt und abgeschlossen hat,121 gleichviel ob der Unternehmer alle Bestimmungen des Abschlusses kennt oder nicht,122 sofern er nur über die wesentlichen unterrichtet worden ist. Unwesentliche Absprachen, welche nicht in die Benachrichtigung an den Unternehmer aufzunehmen waren, werden also Vertragsinhalt123 (nach § 91a ist dem Unternehmer nur der wesentliche Inhalt des Vertrages mitzuteilen, Rn 16). Auch einseitige Erklärungen und Zusagen des HV muss der Unternehmer gegen sich gelten lassen. § 166 BGB ist anwendbar, so dass der Unternehmer alle Umstände gegen sich gelten lassen muss, die der HV kannte oder kennen musste,124 sofern sie im Rahmen der Verhandlungen liegen.125 Worauf das Schweigen beruht – Vergesslichkeit, Nichtausführung einer Weisung des Unternehmers an sein Personal, die Ablehnungserklärung zu veranlassen, Verlust oder Verzögerung des Ablehnungsschreibens, etwa auf dem Beförderungswege (der Unternehmer trägt unabhängig von einem Verschulden126 die Verlust- und Verzögerungsgefahr,127 die Erklärung reist also auf seine Gefahr; eine Ausnahme wie in § 377 Abs. 4 ist nicht statuiert), bewusstes Nichtreagieren, weil der Abschluss genehmigt werden und die Genehmigungswirkung schon auf diesem Wege herbeigeführt werden soll –, ist ohne Belang.128 In allen Fällen wirkt die Genehmigungsfiktion. Das Schweigen des Unternehmers als Genehmigung ist eine im Grundsatz unwiderlegliche Rechtsvermutung129: der Unternehmer kann nicht mit dem Einwand gehört werden, durch sein Stillschweigen habe keine Genehmigung erklärt werden sollen. Weiß der Dritte oder muss er nach den Umständen wissen, dass der HV eine ihm zwar zustehende Vertretungsmacht missbräuchlich zum Nachteil des Unternehmers ausübt, so kann ihm ausnahmsweise die Einrede der Arglist entgegengesetzt werden.130

118 119 120 121 122 123 124 125 126 127

Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 14. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 14. AA Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner2 § 91a Rn 2, 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 2. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 19; Oetker/Busche6 § 91a Rn 10. OLG Dresden SächsAR 1910, 307; OLGR 12, 29. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 15. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 19; Oetker/Busche6 § 91a Rn 10. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 14; Oetker/Busche6 § 91a Rn 10. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 16. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 14; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 16; Schlegelberger/ Schröder § 91a Rn 13; vgl. Hopt § 91a Rn 8. 128 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 14. 129 Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 11; Oetker/Busche6 § 91a Rn 10; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 91a Rn 15; differenzierend Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 18 ff.: unwiderlegliche Rechtsvermutung nur bei bewusstem, d. h. gewollten, Schweigen, sonst Fiktion. 130 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 20. Emde

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2. Anfechtung des Schweigens Umstritten ist, ob der Unternehmer das Schweigen wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung 27 anfechten darf. Staub/Brüggemann 4. Aufl. hat dies verneint;131 es sei denn, das Schweigen habe echten Erklärungswert als eine konkludente Willenserklärung gehabt, z. B. wenn der Unternehmer sich die ausdrückliche Erklärung der Genehmigung habe ersparen wollen und dem auch irgend Ausdruck gegeben habe. Der Unternehmer sei auf den Neuabschluss des Vertrages oder ggf. auf Schadensersatzansprüche beschränkt.132 Es wird also zwischen dem bewussten, gewollten Schweigen unterschieden, das lediglich eine unwiderlegliche Rechtsvermutung und ein Anfechtungsrecht begründet und dem unbewussten Schweigen (Beispiel: verspäteter Zugang der Erklärung), welches eine Fiktion begründet, die keiner Anfechtung zugänglich sei.133 Richtigerweise wird dem Unternehmer in keinem Fall das Recht genommen, das Schweigen und damit das Geschäft wegen Willensmangels anzufechten.134 Dies gilt natürlich, falls bei dem HV Willensmängel gegeben sind, etwa, sofern er sich über den Inhalt der von ihm abgegebenen Erklärungen oder über wesentliche Eigenschaften der Person des Dritten bzw. über den Inhalt des Geschäfts geirrt hat oder arglistig getäuscht worden ist.135 Bereits nach der h. M. darf der Unternehmer anfechten, wenn er in Kenntnis der Folgen dieses Verhaltens bewusst von einer Ablehnung Abstand genommen hat, um das Geschäft bindend zu machen136: Der Unternehmer kann in diesem Fall die in der bewussten Unterlassung der Ablehnung liegende Willenserklärung anfechten. Sofern die Anfechtung ausgeschlossen wird, falls der Unternehmer nicht bewusst in Genehmigungsabsicht die Ablehnung unterlassen, sondern lediglich die rechtzeitige Ablehnung versäumt habe,137 so ist dem in dieser Allgemeinheit nicht beizutreten.138 Dass das Schweigen nur unter der besonderen Voraussetzung, dass damit bewusst die Bindung herbeigeführt werden sollte, Willenserklärung sei,139 wird man wegen der einer Willenserklärung gleichenden Folge des unbewussten Schweigens (Genehmigungsfiktion) nicht sagen können. Allerdings fehlt in diesen Fällen oft ein Anfechtungsgrund. Denn der Unternehmer hat sich dann keine bestimmten Vorstellungen gebildet und es mangelt folglich am Anfechtungsgrund.140

3. Substitution der Genehmigungswirkung mittels Schadenersatz? Tritt die Genehmigungsfiktion nicht ein, weil der Unternehmer vom HV nur unzureichend 28 über Abschluss und wesentlichen Inhalt desselben unterrichtet worden war, so kann der Kunde, der sich auf zuverlässige Unterrichtung durch den HV verlassen hatte, nicht verlangen, auf dem Wege des Schadensersatzes (§ 278 BGB) so gestellt zu werden, als wäre die Unterrichtung vollständig erfolgt und deshalb die Grundlage für eine Genehmigungswirkung geschaffen gewesen. Nicht nur müsste dazu feststehen, dass der Unternehmer auch dann geschwiegen haben würde. Es gibt auch keine Verpflichtung des Unternehmers gegenüber dem Dritten, sich vom HV über Fälle von Vollmachtsüberschreitungen erschöpfend unterrichten zu 131 Wie Staub/Brüggemann4 § 91a: Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 18 ff.; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 15; vgl. BGH, Urt. v. 28.4.1954 – II ZR 8/53, BGHZ 13, 179 (187) = NJW 1954, 1155. Für ein Anfechtungsrecht: Hopt § 91a Rn 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 15. 132 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 15. 133 Siehe Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 18 ff. 134 Oetker/Busche6 § 91a Rn 10. 135 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 15. 136 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 16. 137 Siehe etwa Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 20. 138 Oetker/Busche6 § 91a Rn 10. 139 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 16. 140 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 20. 763

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lassen, für deren Nichterfüllung er einzustehen hätte.141 Ohnehin ist kaum zu erwarten, dass der seine Vollmacht überschreitende HV darüber zuverlässig berichten wird und der Unternehmer diesbezüglich ein verlässliches Berichtswesen wird einrichten können.

4. Wirkung der Genehmigung zu Gunsten des HV? 29 Darauf, dass das Geschäft als genehmigt gilt, kann sich jeder, insb. der Kunde und der Unternehmer,142 berufen. Auch der HV? Die dem HV durch den Vertragsschluss zur Last fallende Überschreitung seiner Vertretungsmacht ist als solche durch die Genehmigung nicht geheilt. Die Rechtsfolge der Genehmigung nach § 91a tritt im Interesse des Dritten ein, nicht zur Entlastung des HV von einem gegen den HV-Vertrag verstoßenden Verhalten. Es ist auch offenbar, dass der Unternehmer wohl des Willens sein kann, dem Dritten gegenüber das Geschäft zur Rechtswirksamkeit erstarken zu lassen, etwa, um ihn als Kunden nicht zu verärgern, nicht aber zu der Vollmachtsüberschreitung des HV als einer Verletzung des HV-Vertrags seine Billigung zu geben. Vorbehaltlich einer abweichenden Provisionsvereinbarung und einer möglichen Aufrechnung mit einem Schadenersatzanspruch kann der HV die Provision verlangen,143 da die Voraussetzungen des § 87 erfüllt sind. Die Überschreitung der Vertretungsmacht, welche dem HV zur Last fällt, ist für den vertraglichen Anspruch ohne Belang. Insbesondere ist es ohne Bedeutung, ob das Geschäft erst durch das Schweigen des Unternehmers zustande gekommen ist, weil die erforderliche Mitursächlichkeit für das Geschäft ebenso vorliegt, als wenn das Geschäft durch eine ausdrückliche Willenserklärung des Unternehmers zustande gekommen wäre. Der Provisionsanspruch setzt daher kein Gutheißen des Verhaltens des HV seitens des Unternehmers voraus.144 Bei entsprechender Schwere des Verstoßes kann der Unternehmer das Verhalten des HV zum Anlass einer fristlosen Kündigung nehmen.145 Die Hauptfrage, ob der Unternehmer, wenn er durch die Ausführung des unter Vollmachtsüberschreitung abgeschlossenen Geschäfts Schaden erleidet, dafür vom HV Schadenersatz verlangen kann, ist entgegen Staub/Brüggemann 4. Aufl.146 und der h. M.147 wohl zu bejahen.148 Es ist daher zweifelhaft, ob dem Unternehmer nur in engen Grenzen ein Anspruch gegenüber dem HV zugebilligt werden kann.149 Teilweise wird hinsichtlich des Schadensersatzanspruches eine vermittelnde Ansicht eingenommen150: Danach besteht ein gegen den HV gerichteter Ersatzanspruch aus § 280 BGB, falls die Nichtablehnung durch ein schuldhaftes vertragswidriges Verhalten des HV veranlasst worden sei. Dies könne z. B. der Fall sein, wenn der Unternehmer durch die Nichtabgabe der Ablehnungserklärung auch an solche Abreden gebunden werde, die er infolge mangelnder Information des HV nicht kannte, deren Kenntnis ihn aber veranlasst hätte, das Geschäft abzulehnen.151 Tatsächlich liegt ein pflichtwidriges Verhalten des HV vor. Die Wirksamkeit des Geschäfts beruht zwar ggf. auch auf eigenem – mglw. aber sogar 141 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 8. 142 Nach Hopt § 91a Rn 9 strittig, nach aA Wahlrecht wie bei § 362. 143 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 15; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 5; Hopt § 91a Rn 9; Oetker/Busche6 § 91a Rn 10; aA Schmidt-Rimpler S. 249 Fn. 22a. 144 AA Düringer/Hachenburg Anm. 9. 145 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 19; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 17. 146 § 91a Rn 14. 147 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 19; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 12; Hopt § 91a Rn 9, 10; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 17; Oetker/Busche6 § 91a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 17. 148 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 16; Hopt § 91a Rn 9. 149 So aber Hallermann ZHR 89 [1926], 225 (239 ff.); Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 16. 150 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 17. 151 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 17. Emde

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unbeabsichtigten (siehe fehlende Information, Verzögerungs- und Verlustgefahr) – Verhalten des Unternehmers. Das ist aber eher eine Frage des Mitverschuldens des Unternehmers nach § 254 BGB;152 welches fehlen kann, falls er das Geschäft aus Kulanz zum Kunden ausführt.153 Fraglich bleibt oft, welcher Schaden bei einem guten Geschäft entstanden sein soll. Handelt es sich um ein schlechtes Geschäft und führt es der Unternehmer nur in Hinblick auf das mögliche Eintreten des HV aus, so wird sein Mitverschulden das Verschulden des HV mglw. überwiegen und zu einem Entfallen des Anspruchs führen. Das Schweigen des Unternehmers darf keinesfalls als Haftungsentlassung des HV ausgelegt werden154: Schweigen ist keine Willenserklärung. Es müsste also ein ausdrücklicher oder stillschweigender (letzterer kann im Ausnahmefall in der Genehmigungserklärung liegen155) Haftungsverzicht des Unternehmers vorliegen, um den Schadenersatzanspruch auszuschließen.156 Ob und in welchem Ausmaß sonst der Unternehmer gegen den HV aus der Verletzung des HV-Vertrags Schadensersatzansprüche herleiten kann, wird sich nur nach der Lage des Einzelfalls beurteilen lassen (Zwang zur Ablehnung des Geschäfts, unnütze Aufwendungen zur Feststellung der mangelnden Solvenz des Dritten etc).

E. Absatz 2 Das Gleiche wie unter Abs. 1 für den Vermittlungsvertreter, der ohne Vollmacht für den Unter- 30 nehmer endgültig abschließt, soll für den Abschlussvertreter gelten, wenn er mit dem Abschluss seine Vollmacht überschritten hat.157 Auf die Ausführungen zum Vermittlungsvertreter unter D. wird verwiesen. Der Anwendungsbereich des Abs. 2 ist eher gering, da sich die rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Unternehmers bei vorausgegangener Vollmachtserteilung regelmäßig schon aus § 55 i. V. m. § 54 ergibt.158 § 91a ist gegenüber § 54 Abs. 3 nicht lex specialis,159 ebenso wenig, wie § 54 Abs. 3 bei Eingreifen seiner TB-Voraussetzungen die Anwendung des § 91a ausschließt.160 Die §§ 55, 54 sind vielmehr neben § 91a Abs. 2 anwendbar, da 55 Abs. 1 die Anwendung des § 54 auf HV ausdrücklich bestimmt. Abs. 2 ist schon dem Wortlaut der Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 nach unanwendbar, wenn der Abschlussvertreter die sich aus dem Innenverhältnis ergebenden Beschränkungen missachtet, aber seine Abschlussvollmacht nicht überschreitet.161 Sind diese Beschränkungen dem Kunden bekannt, läge ein Missbrauch der Vertretungsmacht vor (Rn 33). Abs. 2 setzt einen definitiven Abschluss voraus, und dazu einen solchen, der unter Nichtbe- 31 achtung der dem HV mit Außenwirkung gesetzten Abschlussgrenzen zustande gekommen ist. Das abgeschlossene Geschäft wird regelmäßig in den Rahmen der allgemeinen Vollmacht des Abschlussvertreters und damit im Zweifel unter § 54 fallen, muss es aber nicht.162 In den Fällen, in denen das Geschäft schon nach § 54 Abs. 3 wirksam ist, gibt § 91a Abs. 2 dem Kunden eine zusätzliche Möglichkeit, Rechtsklarheit zu schaffen. Beispiel: ein an sich in den Rahmen der normalen Ermächtigung „gewöhnlicher“ Geschäfte fallender Abschluss, der aber gleichwohl von der Abschlussermächtigung ausgenommen war, etwa weil die Vertretungsmacht auf bestimmte Kunden, Bezirke, Geschäfte, Geschäftswerte oder in sonstiger Weise wirksam beFlohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 17; Hopt § 91a Rn 9. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 17. I. E. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 16 f. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 17. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 17; Hopt § 91a Rn 9. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 23; Oetker/Busche6 § 91a Rn 13; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 1. 158 MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 22. 159 AA Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 27. 160 AA mglw. Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 6. 161 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 6; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 22. 162 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 9.

152 153 154 155 156 157

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schränkt war.163 In den Fällen, in denen das Geschäft nicht nach § 54 Abs. 3 wirksam ist, gibt § 91a Abs. 2 ein zusätzliches Recht. Beispiele, in denen § 54 Abs. 3 nicht eingreift, sind: ein „ungewöhnliches“ Geschäft i. S. d. § 54 Abs. 1164 oder die Fälle des § 55 Abs. 2. Sofern der Dritte um die Einschränkung der Abschlussermächtigung hätte wissen oder sie erkennen können, scheidet die Anwendung des § 54 Abs. 3 aus.

F. Verhältnis des § 91a zu anderen Vorschriften I. Zur Scheinvollmacht (Anscheins- und Duldungsvollmacht) 32 Gemeinsam ist beiden Fällen der äußere Tatbestand, dass ein HV, ohne bevollmächtigt zu sein, im Namen des Unternehmers abschließt, oder dass ein Abschlussvertreter seine Vollmacht überschreitet. In beiden Fällen muss dem Dritten das Fehlen der Vollmacht oder die Überschreitung derselben unbekannt sein; es entfällt also die Zurechnung, falls der Dritte den Mangel der Vertretungsmacht kennt (bei der Scheinvollmacht freilich schon, wenn er ihn kennen musste). In beiden Fällen wird das vom HV abgeschlossene Geschäft dem Unternehmer zugerechnet,165 bei der Scheinvollmacht nach § 164 BGB, in den Fällen des § 91a durch die Rechtsvermutung einer Genehmigung nach § 177 Abs. 1 BGB. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch in dem rechtspolitischen Grund der Zurechnung, worin zugleich die Verschiedenheiten der tatbestandlichen Voraussetzungen enthalten sind. Bei der Scheinvollmacht wird das vom HV abgeschlossene Geschäft dem Unternehmer zugerechnet, weil der Unternehmer bei dem Geschäftsgegner durch sein bisheriges, jenem bekannte Verhalten, insbesondere durch Duldung der Abschlüsse seines Geschäftsmittlers, die begründete Vorstellung und Überzeugung hervorgerufen hat, dass der Geschäftsmittler bevollmächtigt sei. Es handelt sich hier um einen Anwendungsfall der Lehre von der Zurechnung des eigenen Verhaltens. Dem Unternehmer wird hiernach, weil er für sein Verhalten einzustehen hat, das Geschäft des HV auch dann zugerechnet, wenn er den Inhalt desselben nicht gekannt hat. Nur sofern er nachweist, dass er das Verhalten des Geschäftsmittlers weder kannte noch erkennen und verhindern konnte, hat die Zurechnung zu entfallen. In den Fällen des § 91a hingegen ist Grund der Zurechnung, dass der Unternehmer, nachdem er von dem Abschluss seines Vermittlers, sei es von diesem selbst, sei es von dem Geschäftsgegner, Mitteilung erhalten hat, schweigt, obgleich von ihm bei Nichtbilligung Widerspruch hätte erwartet werden müssen. Während also die Scheinvollmacht aus der vom Unternehmer selbst veranlassten Überzeugung des Dritten von dem Vorhandensein der Vollmacht abgeleitet wird, welche nur auf Grund wiederholten geschäftlichen Verkehrs mit demselben HV begründet sein kann, genügt bei § 91a die Unkenntnis des Dritten von dem Fehlen der Vollmacht. Bei der Scheinvollmacht wird dem Unternehmer sein bisheriges Verhalten gegenüber demselben Dritten zugerechnet. Deshalb kommt es auf die Kenntnis des neuen Geschäftsinhaltes nicht an. Bei § 91a wird dem Unternehmer sein Schweigen auf das konkrete Geschäft hin als Billigung ausgelegt. Dieses setzt voraus, dass er den Inhalt des Geschäftes kennt. Beide Rechtsgrundsätze sind mithin nach TB und Rechtswirkung verschieden und schließen sich nicht aus; durch § 91a wird die Anwendung der Grundsätze über die Scheinvollmacht nicht verdrängt.

II. Zum Missbrauch der Vertretungsmacht 33 Überschreitet der HV die ihm gewährte Vollmacht, ist er Vertreter ohne Vertretungsmacht und haftet dem Kunden bei fehlender Genehmigung des Geschäftes durch den Unternehmer als 163 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 69. 164 MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 22. 165 Oetker/Busche6 § 91a Rn 3. Emde

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solcher gem. § 179 Abs. 1 BGB, der nicht durch § 91a verdrängt wird.166 Die allgemeinen Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht bleiben neben § 91a anwendbar, da die Norm nur einen zusätzlichen handelsrechtlichen Vertrauenstatbestand schafft.167 Nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht gilt: Schließt der HV Geschäfte, die er nach den im Innenverhältnis mit dem Unternehmer getroffenen Abreden nicht schließen durfte, liegt ein Vollmachtsmissbrauch vor, mit den aus den §§ 138, 242, 177 ff. BGB hergeleiteten Folgen168: Das Risiko eines Missbrauchs der Vertretungsmacht trägt grds. der vertretene Unternehmer. Ausnahmen gelten in den Fällen der Kollusion und des offensichtlichen Missbrauchs. Wirken HV und Vertragsgegner bewusst zum Nachteil des Unternehmers zusammen (Kollusion), wird jener nicht verpflichtet (§ 138 BGB).169 § 242 BGB steht dem Anspruch des Erklärungsempfängers entgegen, sofern er den Missbrauch der Vertretungsmacht kannte.170 Die Inanspruchnahme des Vertretenen verstößt auch dann gegen § 242 BGB, wenn der HV von seiner Vertretungsmacht in verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so dass sich dem anderen Teil der begründete Verdacht eines Treueverstoßes aufdrängen musste (offensichtlicher Missbrauch).171 Erforderlich ist eine massive, Verdacht erweckende objektive Evidenz des Missbrauchs.172 Greifen die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht ein, wäre das Geschäft nicht in Vollmacht für den Unternehmer geschlossen worden. Der Anwendungsbereich des § 91a ist aber gleichwohl nicht eröffnet. Denn wie unter Rn 30 erläutert, greift § 91a schon dem Wortlaut der Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 nach nicht ein, wenn der Abschlussvertreter die sich aus dem Innenverhältnis ergebenden Beschränkungen missachtet, aber seine Abschlussvollmacht nicht überschreitet.173

III. Zu den §§ 177 ff. BGB Auch die §§ 177 ff. BGB und die darin vorgesehenen Möglichkeiten, den Schwebezustand hin- 34 sichtlich der Gültigkeit des vollmachtlos abgeschlossenen Geschäfts anderweit zu beenden, werden durch § 91a nicht verdrängt; § 91a steht in Konkurrenz zu den §§ 177 ff. BGB.174 Bestehen bleibt vor allem die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit, seinerseits die Initiative zur Klärung zu ergreifen. Nach § 91a kann er das nur in der Form, indem er von sich aus den Unternehmer über den Abschluss und dessen wesentlichen Inhalt in Kenntnis setzt; daraufhin muss er warten, ob der Unternehmer unverzüglich ablehnt – auf die Länge der dafür anzusetzenden Zeitspanne hat er weder Einfluss noch hierüber einen zuverlässigen Überblick – und bleibt jedenfalls ohne festen Anhalt, wann er nun angesichts einer Nichtäußerung des Unternehmers sicher sein darf, dass der Abschluss durch Schweigen als genehmigt zu gelten habe (zur maßgeblichen Frist Rn 18 ff.). Demgegenüber kann der Dritte nach § 177 Abs. 2 BGB den Unternehmer unter einen mit 35 einer Zweiwochenfrist genau befristeten Erklärungszwang (ein „Entweder-Oder“) setzen.175 Er kann ihn auffordern, sich über die Genehmigung zu äußern, und dazu braucht er ihn – anders als im Rahmen des § 91a – nicht einmal über den Inhalt des Abschlusses zu unterrichten.

166 167 168 169 170 171 172 173 174

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6d. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 2a; Westphal I Rn 81. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6d. RGZ 136, 356; BGH NJW 1989, 26; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 737; Palandt/Ellenberger § 164 Rn 13. BGHZ 113, 315 (320); BGH NJW 1990, 384. BGHZ 113, 315 (320); BGH NJW 1990, 384; 1995, 250; 1997, 1940; Palandt/Ellenberger § 164 Rn 14. BGH NJW 1994, 2082; 1995, 250; 1999, 2883. MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 22. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 3; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 20; Oetker/Busche6 § 91a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 2a. 175 Ensthaler/Genzow § 91a Rn 2. 767

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Er darf es dem Unternehmer überlassen, sich vom HV unterrichten zu lassen.176 Damit er (der Dritte) ganz sicher gehen kann, bestimmt § 177 Abs. 2 BGB weiter, dass eine etwa dem HV gegenüber bereits ausgesprochene Genehmigung oder Verweigerung derselben unwirksam wird, und dass die Genehmigung – so wie die Ablehnung im Falle des § 91a – nur noch ihm (dem Dritten) gegenüber ausgesprochen werden könne, ggf. also wiederholt werden müsste. Die Aufforderung zur Erklärung braucht die Zweiwochenfrist nicht zu nennen. 36 Die beiden entscheidenden Unterschiede zwischen § 91a HGB und § 177 Abs. 2 BGB liegen zum einen in dem Umfang der mit der Mitteilung zu verbindenden Informationen sowie in der Wirkung des Schweigens des Unternehmers. Will der Kunde die Genehmigungsfiktion des § 91a durch Schweigen erreichen, muss er den Unternehmer über die wesentlichen Bedingungen des vereinbarten Geschäftes unterrichten. Im Rahmen des § 177 Abs. 2 BGB hat sich der Unternehmer selbst zu informieren und ggf. Nachforschungen beginnen. Dazu wird ihm allerdings zwei Wochen Zeit gewährt und er muss mithin nicht unverzüglich reagieren. In der Realität besteht die Nachforschungsobliegenheit allerdings auch im Fall des § 91a. Denn der Unternehmer wird möglicherweise weder vom HV noch vom Kunden mit der ersten Benachrichtigung vollständig informiert. 37 Bei § 91a wird das Schweigen der Genehmigung, bei § 177 Abs. 2 BGB der Versagung der Genehmigung gleichgesetzt. Die Frage, die sich daraufhin stellt, geht dahin, ob die vom Dritten nach § 177 Abs. 2 BGB an den Unternehmer gerichtete Aufforderung, sich über die Genehmigung zu erklären, zugleich bewirkt, dass der Weg einer fiktiv eintretenden Genehmigung (durch Schweigen) nach § 91a versperrt ist. Das wird indessen zu verneinen sein. Beide Möglichkeiten einer Beendigung des Schwebezustandes sind im Interesse des Dritten gegeben (Wahlrecht).177 Beschreitet der Dritte den Weg des § 177 Abs. 2 BGB – der das Risiko birgt, dass ein Schweigen des Unternehmers den Vertragsabschluss zu Fall bringt –, so kann er dadurch allein nicht der Wohltat der speziellen handelsgesetzlichen Regelung, die ihm eine etwa schon vorher eintretende Genehmigungswirkung durch Schweigen des Unternehmers sichert, verlustig gehen. Von der Gegenseite aus gesehen: Der Unternehmer, nach § 177 Abs. 2 BGB zur Erklärung über die Genehmigung aufgefordert, gewinnt dadurch nicht etwa zwei Wochen Zeit (§ 177 Abs. 2 S. 2 BGB), sich über die Genehmigung oder deren Verweigerung schlüssig zu werden, wenn er bereits mit den umfassenderen Informationen gem. § 91a unterrichtet worden ist und daraufhin unverzüglich reagieren müsste. Schweigt er stattdessen, so hat er dadurch und ggf. schon vor Ablauf der Zweiwochenfrist die Genehmigung „erteilt“ und hätte damit gleichzeitig dem ihm gestellten Präjudiz genügt. Erfüllt also die Aufforderung nach § 177 Abs. 2 BGB zugleich die Voraussetzungen der vollständigen Benachrichtigung nach § 91a, muss der Unternehmer unverzüglich ablehnen, weil sein Schweigen andernfalls zur Genehmigung nach § 91a führt; insoweit ist § 91a (zeitlich) vorrangig.178 § 177 Abs. 2 BGB und § 91a HGB schließen sich damit nicht aus.179 Der Kunde darf sich mit der Aufforderung nach § 177 BGB zusätzliche Sicherheit geben. Ergreift der Dritte den Hebel des § 177 Abs. 2 BGB zur Klärung des Schwebezustandes allerdings gerade deshalb, weil er von vornherein wusste, dass der HV zum Abschluss keine Vollmacht hatte und nur abschloss in der Hoffnung, der Unternehmer werde genehmigen, so ist für § 91a daneben kein Raum.180 Wohl aber kann der Dritte die Aufforderung nach § 177 Abs. 2 BGB an den Unternehmer richten, weil er nachträglich von der mangelnden Vollmacht des HV erfahren hat oder 176 Oetker/Busche6 § 91a Rn 7; aA Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 9; Hopt § 91a Rn 6: Wenn der Unternehmer auf der Grundlage einer unvollständigen Benachrichtigung das Geschäft zunächst nach § 177 BGB genehmigt hatte, führt die nachgeholte, vollständige Benachrichtigung zu einer Wiedererlangung des Ablehnungsrechts des Unternehmers, weil § 91a Abs. 1 gegenüber § 177 BGB die speziellere Regelung sei. 177 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 3; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 20; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 19. 178 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 3; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 20. 179 Hopt § 91a Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 2a. 180 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 3. Emde

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einfach deshalb, weil er sich über das Bestehen einer Bevollmächtigung nicht klar war oder ist. Alsdann kann eine Anwendung der §§ 177 ff. BGB und des § 91a HGB nebeneinander in Betracht kommen, zumal, wenn der Dritte die Aufforderung mit der Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt des Abschlusses verbindet. Die Genehmigungserklärung nach § 177 Abs. 1 BGB kann – anders als die Ablehnungserklärung – auch dem HV gegenüber abgegeben werden.181 Die Bestimmung des § 178 BGB ordnet sich dann so ein: Bis zur erfolgten Genehmigung 38 des Abschlusses darf der Dritte ihn widerrufen.182 Wie die Genehmigung zustande kommt, ob nach § 91a oder durch Erklärung des Unternehmers, letzterenfalls, ob der Unternehmer dazu nach § 177 Abs. 2 BGB aufgefordert worden war oder aus freien Stücken vorgeht, gilt gleich. Wenn § 178 Abs. 1 Hs. 2 BGB die Widerrufsmöglichkeit ausschließt für den Fall, dass der Dritte den Mangel der Vertretungsmacht gekannt hatte, trifft das die Rechtslage des § 91a ohnehin nicht. Der Widerruf kann nach § 178 S. 2 BGB auch dem HV gegenüber erklärt werden. Die Ablehnung der Genehmigung des Abschlusses macht den HV nach § 179 BGB unmit- 39 telbar dem Dritten gegenüber haftbar.183 Auch das ist bei § 91a nicht anders. Seine Haftung kann sich höchstens verschärfen, wenn er durch unvollständige Unterrichtung des Unternehmers den Zeitpunkt der Ablehnbarkeit der Genehmigung hinausgezögert hat. Denn er wird, gerade wenn und weil der Mangel der Abschlussvollmacht dem Dritten nicht bekannt war, diesem gegenüber als verpflichtet angesehen werden müssen, die Frage der Genehmigung einer baldigen Klärung zuzuführen.

G. Zur Beweislast Die Vertretungsmacht des HV muss derjenige beweisen, der Rechte aus dem im Namen des 40 Unternehmers geschlossenen Vertrag herleitet (§ 164 Abs. 2 BGB).184 Ist die Abschlussvollmacht unstrittig, trägt der Unternehmer aber eine Beschränkung unterhalb des Standards des § 54 vor, hat solches der Unternehmer zu beweisen.185 Beruft sich der Kunde für einen Anspruch aus dem Vertrage gegenüber dem Unternehmer darauf, dass jener entgegen § 91a das Geschäft nicht rechtzeitig abgelehnt habe, so ist der Kunde für sein Vorbringen beweispflichtig,186 weil die Genehmigung und die dadurch bedingte Wirksamkeit des Vertrages ebenso wie im Normalfall die den Vertrag schließende Willenserklärung zu den von ihm zu beweisenden Voraussetzungen des Anspruchs gehören. Insbesondere hat der Kunde den Abschluss187 nachzuweisen, ferner dass der Unternehmer vollständig informiert wurde188 und gleichwohl geschwiegen hat. Die rechtzeitige Ablehnung hat wieder der Unternehmer zu beweisen, weil ihm dies regelmäßig leichter möglich ist.189 Es empfiehlt sich, die Ablehnung zu dokumentieren, etwa per Einschrei181 Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 2a. 182 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 3; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 20; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 91a Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 91a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91a Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 2a. 183 BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 18/76, BGHZ 68, 391 = NJW 1977, 1535; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 18; Ensthaler/Genzow § 91a Rn 4; Hopt § 91a Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 18. 184 Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 22; Oetker/Busche6 § 91a Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 10. 185 Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 10. 186 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 22. 187 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 17. 188 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 22; Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 22; Schlegelberger/ Schröder § 91a Rn 17. 189 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 22; aA RG Recht 1923, Nr. 1250: Der Unternehmer könne nicht schlechthin deshalb verurteilt werden, weil er den Beweis der unverzüglichen Ablehnung nicht erbracht habe. Der Dritte müsse deshalb beweisen, dass der Unternehmer erst nach Ablauf einer Zeitspanne abgelehnt habe, die nach durchschnittlichen Maßstäben (objektiv) als verzögerlich gelten müsse. 769

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ben, kouvertiert unter Zeugen. Steht die Tatsache der Verzögerung objektiv fest, dann nützt dem Unternehmer nur der von ihm zu erbringende Beweis, dass er (bzw. sein Personal – § 278 BGB) mit der Absendung der Erklärung nicht schuldhaft lange gewartet haben190 (etwa nachdem ihm die Mitteilung über den Vertragsschluss von Seiten des HV ungebührlich spät zugegangen gewesen sei). Alle übrigen Verzögerungsgründe, selbst unverschuldete (z. B. verspätete Zustellung des Briefes), scheiden als Entlastung aus, da der Unternehmer insb. die Gefahr der postalischen Verzögerung trägt.191 Hat der Unternehmer von der Tatsache des Geschäftsabschlusses durch eine Benachrichtigung Kenntnis erlangt, so wird zu seinen Lasten grundsätzlich davon auszugehen sein, dass er ebenfalls von dem Inhalt des Geschäftes unterrichtet ist, sofern dieser Inhalt nicht evident von dem sonst üblichen Inhalt derartiger Geschäfte abweicht.192 Der Dritte hat darzulegen und zu beweisen, dass ihm der Mangel der Vertretungsmacht unbekannt war.193 Denn diesen negativen Umstand kann niemand anderes beweisen, als derjenige, den er betrifft. Die mangelnde Kenntnis wird aber vermutet, sofern der Anspruchsgegner keine Umstände darlegt, aus welchen die Kenntnis des Kunden folgt.194

190 191 192 193 194

Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 91a Rn 22. AA RG Recht 1923, Nr. 1250. Schlegelberger/Schröder § 91a Rn 10a. AA Ebenroth/Löwisch4 § 91a Rn 23. Baumgärtel Rn 1.

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§ 92 [Versicherungs- und Bausparkassenvertreter] (1) Versicherungsvertreter ist, wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen. (2) Für das Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherungsvertreter und dem Versicherer gelten die Vorschriften für das Vertragsverhältnis zwischen dem Handelsvertreter und dem Unternehmer vorbehaltlich der Absätze 3 und 4. (3) 1In Abweichung von § 87 Abs. 1 S. 1 hat ein Versicherungsvertreter Anspruch auf Provision nur für Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind. 2§ 87 Abs. 2 gilt nicht für Versicherungsvertreter. (4) Der Versicherungsvertreter hat Anspruch auf Provision (§ 87a Abs. 1), sobald der VN die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet. (5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 4 gelten sinngemäß für Bausparkassenvertreter.

Schrifttum Blankenburg Verzicht auf Beratung und Informationsrechte nach dem neuen VVG, VersR 2008, 1446; Blomberg Rückzahlungsklauseln in Provisionsgarantievereinbarungen, VersR 1968, 328; Bonvie Der Provisionsanspruch des ausscheidenden Versicherungsvertreters bei stornogefährdeten Verträgen, VersR 1986, 119; Fischer Versicherungsvermittlung im Internet – Der Vertriebskanal der Zukunft, BB 2012, 2773; Fleischmann Zur Frage der Provisionspflicht des Lebensversicherers bei nicht eingeklagter Erstprämie, VersR 1957, 9; Hans Die Provision des Handelsvertreters – insbesondere des Versicherungsvertreters – bei Nichtausführung des vermittelten Geschäfts, BB 1957, 1060; ders. Die Provision des Versicherungsvertreters bei Nichtausführung des vermittelten Geschäfts, BB 1958, 544; Herzog Übersendung von Stornogefahrmitteilungen an den Versicherungsvertreter, VersR 1979, 797; Höft Die provisionsrechtlichen Sonderregelungen für die Versicherungswirtschaft – Gründe und Unverzichtbarkeit, VersR 1976, 205; Jestaedt Zur Darlegungs- und Beweislast beim Anspruch auf Rückzahlung von zu Unrecht geleisteten Provisionsvorschüssen gegen den Versicherungsvertreter, VersR 1981, 613; Kieninger Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten beim Abschluss von Versicherungsverträgen, AcP 199 (1999), 190; Koch Geschichte des Rechts der Versicherungsvermittlung in Deutschland, VersR 2014, 916; Müller Die Einklagung der Erstprämie in der Lebensversicherung, VersR 1974, 950; Platz Schicksal der Provision bei der Stornierung von Versicherungsverträgen, VersR 1985, 621; Stancke Versicherungsvertrieb und Kartellrecht VersR 2009, 1168; Stötter Zur Anwendung des § 87a Abs. 3 HGB auf die Provisionsvorschuß-Rückgewähransprüche der Versicherungen in den sog. Stornofällen, MDR 1981, 269; Sundermann Die Provision des Versicherungsvertreters bei Nichtausführung des vermittelten Geschäfts, BB 1958, 542, 546.

Übersicht A.

Der Versicherungsvertreter nach dem 1 HGB

B.

Bedeutung des § 92

C.

Gesetzgebungsgeschichte des § 92

D.

Europarechtliche Präformation

E.

Geltungsbereich

F.

Unternehmer

G.

Wert der Versicherungsagentur

3

H.

Der Versicherungsvertreter als Handelsver9 treter

I.

Begriff des Versicherungsvertreters 9 (Abs. 1)

II.

Unterstellung unter das allgemeine Recht 12 des Handelsvertreters (Abs. 2) 13 § 87 Abs. 3 14 § 87a Abs. 3 a) Fehlende Nachbearbeitung eines von der Kündigung oder dem Vertragsende be15 drohten Versicherungsvertrages 17 b) Klagepflicht

4 5 1. 2.

6 7

771 https://doi.org/10.1515/9783110744385-008

8

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§ 92

1. Buch. Handelsstand

c)

3. 4. 5. 6.

III. 1.

Stornoreserve, Stornohaftung und Anfech18 tung 19 § 87b Abs. 1 20 § 87b Abs. 2 S. 2 21 Vorteilsausgleich 22 Sonderrecht außerhalb des § 92 22 a) HGB 25 b) VVG aa) Versicherungsvermittlerrichtli26 nie 30 bb) Einzelbestimmungen 60 c) § 34d GewO 62 aa) § 34d Abs. 1 GewO 86 bb) § 34d Abs. 2 GewO 88 cc) § 34d Abs. 3 GewO 89 dd) § 34d Abs. 4 GewO 90 ee) § 34d Abs. 5 GewO 97 ff) § 34d Abs. 6 GewO 99 gg) § 34d Abs. 7 GewO 109 hh) § 34d Abs. 8 GewO 110 ii) § 34d Abs. 9 GewO 114 jj) § 34d Abs. 10 GewO 115 kk) § 34d Abs. 11 GewO 116 ll) § 34d Abs. 12 GewO 117 mm) UWG 118 d) VAG 121 e) RDG und RBerG 122 f) VersVergV 123 g) Vergaberecht 124 h) StGB 125 Das Sonderrecht des § 92 (Abs. 3, 4) Abs. 3: Entstehen der Provisionsanwartschaft 126 nur durch „Tätigkeit“ des VV 126 a) Provisionsanwartschaft

127 In Abs. 3 gemeinte Provisionen 128 Nur Tätigkeitsprovision Provision bei engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag 132 („Erweiterungsrechtsprechung“) 132 aa) Überblick 133 bb) Gruppenverträge 135 cc) Vertragserweiterungen 136 dd) Vertragsverlängerungen 137 ee) Dynamikprovisionen 138 ff) Beispiele gg) Abschluss während der Laufzeit 141 des VV-Vertrages? 142 e) Keine Bezirksprovision 143 Abs. 4: Fälligkeit der Provision 143 a) Provision i. S. d. Abs. 4 144 b) Regelungsgehalt c) Geltung ergänzender Vorschriften des allge145 meinen HV-Rechts 152 d) Untervertreter 153 e) Zahlung 154 Bausparkassenvertreter (Abs. 5) 156 Dispositivität a) Zulässige Abweichungen von § 92 157 Abs. 3 158 b) Zwingende Natur des § 92 Abs. 4? c) Zulässige Abweichungen von § 92 159 Abs. 4 d) Zulässige Provisionsabreden im Einzel161 nen 163 e) Provisionsabgabeverbot

b) c) d)

2.

3. 4.

I.

Darlegungs- und Beweislast

J.

Steuerrecht

171

177

A. Der Versicherungsvertreter nach dem HGB 1 2009 wurden noch rund 400 Versicherer sowie 300.000 Versicherungsvermittler in Deutschland gezählt,1 und zwar in den verschiedensten Branchen. 2015 waren noch ca. 240.000 Vermittler in das Vermittlungsregister eingetragen, davon rd. 1/3 als gebundene VV ohne eigene Erlaubnis.2 Seit Anfang 2011 hat sich die Zahl der VV um knapp 69.000 oder 32 % verringert.3 Deren Anzahl hat sich weiter reduziert,4 obwohl die Versicherer den Vertrieb über Angestellte in den letzten 30–40 Jahren zugunsten von HV abgebaut haben.5 Der klassische VV steht damit, auch

1 Umhau Vergütungssysteme der Versicherungsvermittlung im Wandel, Karlsruhe 2003; Stancke VersR 2009, 1168. Davon dürfte nur ein Teil HV sein.

2 Reiff VersR 2015, 649 (651). Koch VersR 2014, 916 nennt 246.000 Vermittler, davon 165.000 gebundene Vermittler, die in das Register eingetragen sind. Will NVwZ 2015, 389; WM 2015, 597 wiederum spricht von 190 000 gewerblichen Versicherungsvertretern, ca. 160 000 von ihnen würden als gebundene Versicherungsvertreter tätig. 3 Schmidt-Kasparek VW 3/2020, 18 ff. 4 Schmidt-Kasparek VW 3/2020, 18; Reiff VersR 2015, 649 (651). 5 Beenken VW 4/2017, S. 12. Emde

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vor dem Hintergrund von Online-Portalen, Überalterung und mangelndem Beratungsbedarf wirtschaftlich unter Druck. Auch künftig ist das Ausscheiden einer nennenswerte Zahl von Vermittlern aufgrund verän- 2 derten Kundenverhaltens, der Digitalisierung, verschärften regulatorischen Vorgaben zur Vergütung, des demografischen Wandels und des damit einhergehenden Nachwuchsmangels an Vermittlern zu erwarten.6 Neben den klassischen VV der Versicherung treten eher untypische Formen auf, z. B. Kfz-Händler, die als VV tätig sind7 oder Kaffeeunternehmen, die Versicherungen online vermitteln.8 Dem und den tatsächlichen Besonderheiten des Versicherungsvertriebs9 trägt § 92 Rechnung: Grundsätzlich sind die Vorschriften des HV-Rechts auch auf den Versicherungsvertreter (VV) anwendbar (§ 92 Abs. 2). Rechtstatsächlich ist er häufig Gegenstand obergerichtlicher Rspr.10 Insbesondere die Einfirmen- oder jedenfalls Einkonzernvertretung ist im Versicherungsgewerbe vielfach üblich oder vorherrschend,11 von § 92 aber nicht gefordert.12 Auch steht sie der rechtlichen Einordnung als selbständiger HV nicht entgegen.13 Gemäß Abs. 3–5 des § 92 werden einige Vorschriften der §§ 84 ff. abgeändert bzw. für nicht anwendbar erklärt. Der Unterschied zwischen Versicherungs- und Warenvertretern zeigt sich besonders im Ausgleichsrecht.14 Zugunsten des VV entstehen nach Vertragsbeendigung meist keine Folgeprovisionen, so dass der Ausgleich nach bis 2009 geltendem Recht weit geringer als beim Warenvertreter ausfiel. Die für Versicherungs- und Bausparkassenvertreter maßgeblichen ausgleichsrechtlichen Besonderheiten sind allerdings nicht in § 92, sondern unmittelbar in § 89b Abs. 5 niedergelegt (s. Kommentierung zu § 89b). VV ist, wer als HV damit betraut wurde, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen. Da eine Tätigkeit als HV vorausgesetzt wird, ist in Abs. 2 bestimmt, dass die Vorschriften für das Vertragsverhältnis zwischen HV und Unternehmer ebenso für das Vertragsverhältnis zwischen VV und Versicherer gelten. Dies trifft jedoch nur insoweit zu, als nicht für den VV Sondervorschriften bestehen, welche als lex specialis vor den allgemeinen für HV maßgeblichen Grundsätzen den Vorrang einnehmen. Sondervorschriften solcher Art bilden § 89b Abs. 5 (Ausgleichsanspruch), § 92a Abs. 2 (Mindestarbeitsbedingungen für arbeitnehmerähnliche HV) sowie § 92b Abs. 4 (VV im Nebenberuf). Zudem finden sie sich im VVG (Rn 25 ff.). Die §§ 69–73 VVG beziehen sich auf das Außenverhältnis des VV zum Dritten (Rn 25 ff.). Durch sie wird den Besonderheiten des VV-Vertrages nur zum Teil Rechnung getragen. Andere Besonderheiten ergeben sich aus der Natur der Sache: Der Begriff der „Ausführung des Geschäfts“ auf Seiten des Versicherers wird für eine Anwendung des § 87a problematisch; die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Lebens- und Sachversicherung bedingen verschiedenartige Provisionsstrukturen, welche nicht ohne Auswirkung auf das rechtliche Schicksal des Provisionsanspruchs sind; die Gewinnung und Erhaltung des Kunden für die „unsichtbare Ware Versicherung“ hat ihre eigenen Gesetzlichkeiten – um nur einiges zu nennen. Hieraus und aus einer durch lange Tradition fest gefügten Vertragspraxis im Versicherungswesen formt sich in zunehmendem Grade das Recht der Versicherungsvermittlung als ein Sonderrecht, welches neben dem selbständigen auch den unselbständigen VV, andererseits auch den Versicherungsmakler, umfasst.

6 7 8 9

Berndt VW 8/2018, S. 8. EuGH, Urt. v. 14.3.2013 – C-32/11, EWS 2013, 154. BGH, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 7/13, WM 2014, 553 = BeckRS 2014, 05327. Siehe hierzu MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 9; § 92 Rn 2; zum Abschluss des Versicherungsvertrages unter Einschluss von Vermittlern Schimikowski r + s 2012, 577. 10 Siehe etwa BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, BB 2012, 3098. 11 Reiff VersR 2015, 649 (651). 12 OLG Nürnberg NJW-RR 1995, 227; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 41. 13 LAG Nürnberg ZIP 1999, 769 m. Anm. Plagemann EWIR 1999, 363; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 41. 14 Küstner VersR 2002, 153; Graf v. Westphalen DB 2000, 2256; BB 2001, 1593; Emde VersVerm 2001, 440. 773

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B. Bedeutung des § 92 3 Die Legaldefinition15 des § 92 Abs. 1 versteht sich weitgehend von selbst. Ihr Inhalt ist wenig erstaunlich und sie ist unnötig: „VV kann nur sein, wer HV ist“.16 Die TB-Merkmale des § 84 müssen also erfüllt sein. Die Benennung im VV-Vertrag ist irrelevant.17 Überflüssig ist ferner § 92 Abs. 2, dessen es angesichts seiner deklaratorischen Fassung18 nicht bedurft hätte. Das Gesetz braucht nicht anzuordnen, was mangels Sondervorschriften ohnehin gilt.19 Also haben nur die Provisionsregeln der Abs. 3 und 4 konstitutive Bedeutung, ebenso Abs. 5, der diese Provisionsregeln auf den Bausparkassenvertreter erstreckt.20 Jene Vorschriften enthalten Sonderregelungen betreffend den Umfang der provisionspflichtigen Geschäfte sowie die Entstehung des Provisionsanspruchs.21 § 92 Abs. 3 regelt lediglich eine Abweichung zu § 87 Abs. 1 S. 1 und § 87 Abs. 2. § 92 Abs. 4 trifft eine Sonderbestimmung zu § 87a Abs. 1. Kern der Regelung ist damit die Feststellung des § 92 Abs. 3, dass der VV lediglich Tätigkeitsprovision erhält22 und gem. § 92 Abs. 4 ein Provisionsanspruch erst entsteht, nachdem der VN seine Prämie gezahlt hat. Wie überflüssig § 92 Abs. 1 ist, zeigt das Fehlen einer Parallelvorschrift für Bausparkassenvertreter. Bei ihnen hat das Gesetz eine Legaldefinition für unnötig gehalten. Der Verweis auf die Legaldefinition des § 92 Abs. 1 macht keinen Sinn, weil ein Bausparkassenvertreter keine Versicherungsverträge abschließt oder vermittelt.

C. Gesetzgebungsgeschichte des § 92 4 In der ursprünglichen Fassung des HGB waren keine Sonderbestimmungen über die Rechtsverhältnisse der Versicherungs- und Bausparkassenkassenvertreter enthalten. Die §§ 84 ff. galten unmittelbar. Erst angesichts der wachsenden Bedeutung dieser Vermittlungszweige wurde die Bestimmung 1953 in das HGB aufgenommen.23 Zur Geschichte der Versicherungsvermittlung s. Koch VersR 2014, 916.

D. Europarechtliche Präformation 5 Das Recht des VV ist nicht europarechtlich präformiert. Die RL gilt nach der allgemein vertretenen engen Auslegung des in Art. 1 Abs. 2 RL geregelten Warenbegriffs (s. Kommentierung zu Vor § 84) nur für den Warenvertreter, und nicht für den VV. Von den Bestimmungen der RL abweichende Regelungen nationalen Rechts wären daher zulässig. Im deutschen Recht ist davon kein Gebrauch gemacht worden. Vielmehr wurde die RL „überschießend“ umgesetzt und die in Ausführung der RL geschaffenen Vorschriften der §§ 84 ff. gelten für alle HV, auch für VV und Bausparkassenvertreter. Zu den daraus entstehenden Folgen s. Vor § 84. Die Nichtanwen-

15 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 3, 6; Hopt § 92 Rn 1. 16 Hopt § 92 Rn 1. 17 BFH, Urt. v. 10.6.1999 – V R 10/98, DB 1999, 1988 (1989); LG Berlin JW 1939, 76015 m. Anm. von Groschuff; Schlegelberger/ Schröder § 92 Rn 2; Ind.- u. Handelsk. Berlin III Nr. 282; Hopt § 92 Rn 1.

18 Hopt § 92 Rn 3; Oetker/Busche6 § 92 Rn 3. 19 Hopt § 92 Rn 3. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 3 weist auf die fehlende Bedeutung dieser Diskussion hin. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 4. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 9. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 5. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 1.

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dung der RL auf den VV ist allerdings Gegenstand der Diskussion. Der VV wurde nach Art. 1 Abs. 3 sowie Art. 2 RL nicht ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen. Die in ersten Entwürfen der RL noch vorgesehene Bereichsausnahme für den VV ist in der RL ohne belegten Grund nicht mehr enthalten.24 Daraus wird eine mittelbare Anwendbarkeit bzw. Auslegung der RL auf den VV hergeleitet.25

E. Geltungsbereich § 92 gilt für VV i. S. d. Abs. 1 sowie für Bausparkassenvertreter i. S. d. Abs. 5. Anwendbar ist § 92 6 auch auf unselbständige Vermittler, die Provision erhalten. Denn der Verweis des § 65, der sich lediglich auf die §§ 87 Abs. 1 und 3, 87a bis 87c bezieht, ist unvollständig.26

F. Unternehmer Vertragspartner des HV ist der jeweilige Versicherer bzw. die jeweilige Bausparkasse. Wie 7 sich aus Abs. 2 und wohl auch aus Abs. 4 ergibt, kann Unternehmer eines VV nur derjenige sein, der Versicherungsprodukte anbietet oder vertreibt, nämlich ein Versicherer oder der VV im Verhältnis zu seinem Untervertreter.27 Ein Versicherer ist ein Unternehmer, welcher Versicherungsgeschäfte betreibt und nicht Träger der Sozialversicherung ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG).28 Kaufmann braucht das Versicherungsunternehmen nicht zu sein,29 so dass auch die Versicherungsvereine a.G. VV beschäftigen können,30 mit Einschluss der „kleineren“ (§ 53 VAG), deren Verhältnis zu ihren VV dann allerdings den Vorschriften der §§ 343 ff. nur insoweit untersteht, als sie die (auf Seiten des HV) einseitigen Handelsgeschäfte betreffen. Wie § 84 Abs. 3 zeigt, kann auch ein Hauptvertreter VV beschäftigen.31 Im Falle des Vertragsschlusses mit einem Unternehmen in einem Versicherungskonzern, in dem mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen zusammengefasst sind, entspricht es in der Regel dem Interesse des VV, dass der HV-Vertrag mit der Gesellschaft innerhalb des Konzerns zu Stande kommt, die Versicherer i. S. d. § 92 Abs. 2 ist. Denn allein dieser ist im Zweifel in der Lage, die Abrechnung nach § 87c vorzunehmen.32 Vertragspartner des Bausparkassenvertreters ist i. d. R. eine Bausparkasse,33 möglicherweise ein mit der Vermittlung von Bausparverträgen beauftragter Hauptvertreter (§ 84 Abs. 3). § 1 Abs. 1 BauSpG definiert Bausparkassen als Kreditinstitute, deren Geschäftsbetrieb darauf gerichtet ist, Einlagen von Bausparern (Bauspareinlagen) entgegenzunehmen und auf die angesammelten Beträge den Bausparern für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen Gelddarlehen (Bauspardarlehen) zu gewähren (Bauspargeschäft). Bauspargeschäfte dürfen nur von Bausparkassen betrieben werden.

24 25 26 27 28 29

S. Nocker wbl 2004, 53 (54–55). Lilje Die Berechnung des Handelsvertreterausgleichs im Versicherungsvertrieb. BFH v. 27.5.1998 – II R 54/96; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 5. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 4. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 5a. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 12; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 41; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 92 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 2. 30 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 12. 31 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 5a. 32 OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.2.2009 – 7 U 219/07, BeckRS 2010, 16911. 33 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 13. 775

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G. Wert der Versicherungsagentur 8 Der Unternehmenswert einer Versicherungsagentur bemisst sich grds. nach dem Substanzwert. Ein Goodwill ist für eine derartige Agentur am Markt nicht zu realisieren, da die persönliche Leistung des Versicherungskaufmanns im Vordergrund steht.34 Der Ausgleichsanspruch gem. § 89b gebietet keine andere Beurteilung, wenn ein solcher Anspruch am maßgeblichen Stichtag noch keinen Vermögenswert hatte, weil die Voraussetzungen für die Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht bestand.35

H. Der Versicherungsvertreter als Handelsvertreter I. Begriff des Versicherungsvertreters (Abs. 1) 9 VV ist ausweislich der Legaldefinition des Abs. 1, wer als HV damit betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen.36 Es müssen also alle TB-Voraussetzungen eines HVVertrages i. S. d. § 84 vorliegen37 und die Aufgabe des HV muss es weiter sein, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen. Es handelt sich bei dem VV also um einen HV mit besonderem Vertriebsprodukt.38 Der Versicherungsvertrag ist gem. § 1 VVG ein Vertrag, der ein bestimmtes Risiko eines Vertragspartners (des VN) oder eines Dritten durch eine Leistung absichert,39 die der andere Vertragspartner (der Versicherer) bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. Die Art der zu vermittelten oder abzuschließenden Versicherungsverträge (Abs. 5) ist irrelevant.40 10 Wie ausgeführt ist die in § 92 Abs. 1 eingefügte Legaldefinition inhaltsleer. Man könnte jedes andere zu vertreibende Produkt in die Definition einsetzen, etwa Waren, und würde im Beispielsfall dann zum Begriff des Waren-HV gelangen. Der VV unterscheidet sich folglich von anderen HV nur durch die vertriebenen Produkte, nämlich Versicherungsprodukte.41 § 92 Abs. 4 lässt sich allerdings entnehmen, dass der „Einkaufsvertreter“, welcher für einen VN Versicherungsschutz einkaufen soll, kein VV ist.42 Der „Einkaufsvertreter“ des VN ist im Regelfall ein Versicherungsmakler. Ist der Unternehmer VN, so gelten damit die allgemeinen Vorschriften über HV,43 nicht jedoch § 92. 11 Sonst aber gelten für den VV die allgemeinen Begriffsmerkmale des § 84 in vollem Umfange. Das Merkmal des ständigen Betrautseins wird in der Abgrenzung zum Versicherungsmakler wichtig44 (s. Kommentierung zu § 84). Da damit auch eine ständige Betrauung gegeben sein muss, reicht es für die Eigenschaft als VV nicht, wenn dem Tätigen nur der Abschluss eines einzelnen oder einer bestimmten Zahl von Versicherungsverträgen übertragen wird (s. Kommen-

34 BGH, Beschl. v. 4.12.2013 – XII ZB 534/12, NZFam 2014, 213 m. abl. Anm. Obermann; OLG Hamm, Urt. v. 9.3.2011 – II-8 UF 207/10, NJW-RR 2011, 1443. 35 OLG Hamm, Urt. v. 9.3.2011 – II-8 UF 207/10, NJW-RR 2011, 1443. 36 Oetker/Busche6 § 92 Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 4a. 37 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 2. 38 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 6. 39 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 5. 40 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 5. 41 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 5a. 42 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 4. 43 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 4. 44 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 7. Vgl. dazu die Fälle OLG Hamm VersR 1957, 460; OLG München VersR 1975 150. Emde

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tierung zu § 84).45 Der nicht ständig mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen betraute Vermittler ist nach dem HGB nicht VV sondern Versicherungsmakler.46 Im Versicherungsvertrieb werden nach Auffassung des OLG Düsseldorf47 mehr und mehr Makler statt VV beschäftigt. Es48 führt aus, dem Gericht seien Versicherer bekannt, die keine VV mehr beschäftigten, sondern ihr Geschäft ausschließlich über Personen abwickeln, denen sie formell-rechtlich die Stellung eines Maklers einräumten, die jedoch im gleichen Maße wie VV schutzbedürftig seien.49 Die Grenzziehung zum nichtselbständigen Vermittler erschwert eine Fülle verwirrender Titulaturen (Agent, Unter-, Haupt-, Generalagent, Bezirksdirektor, Subdirektor, Generalvertreter u. a.): die Bezeichnung im Vertrag ist rechtlich nicht kennzeichnend.50 Generalagent bezeichnet häufig den Vermittler, der allgemein die geschäftlichen Angelegenheiten eines Versicherers in einem bestimmten Bezirk besorgt und kraft der ihm zukommenden verwaltenden Stellung eine unselbständige Hilfskraft des Unternehmens (Handlungsgehilfe) sein kann. In der Sache gilt das bei § 84 zu den Selbständigkeitskriterien Gesagte uneingeschränkt; für die VV in grundlegenden Ausführungen: BAG DB 1966, 546. Darauf hinzuweisen bleibt, dass die unselbständigen Versicherungsvermittler, welche im Anstellungsverhältnis zu einem „kleinen“ Versicherungsverein a.G. (§ 53 VAG) stehen, nicht die Eigenschaft von Handlungsgehilfen i. S. d. §§ 59 ff. haben, wohl aber für ein vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot dem § 90a, für ihre Provisionsberechtigung – Geltung der §§ 87 Abs. 1, 87a–87c – dem § 65 in analoger Anwendung unterfallen, wie andererseits zum Schutz des Publikums die §§ 75g, 75h analog eingreifen. Typisch für VV ist ihre enge Einbindung in die vom Versicherer geschaffene Hierarchie. Dabei unterstehen sogenannten Generalvertretern Stäbe von echten oder unechten Untervertretern. Auf die obigen Ausführungen zum Strukturvertrieb (s. Kommentierung zu § 84) und zu Untervertreterverhältnissen (s. Kommentierung zu § 84) kann verwiesen werden.

II. Unterstellung unter das allgemeine Recht des Handelsvertreters (Abs. 2) Soweit in § 92 nichts Abweichendes geregelt ist, sind gem. Abs. 2 die § 84 ff. auf den VV anwend- 12 bar.51 Das versteht sich eigentlich von selbst, da der VV nach Abs. 1 HV ist. Für den Abschluss des HV-Vertrages, Wirksamkeit und Nichtigkeit, die Pflichten des VV und des Versicherungsunternehmens, Provisionsabrechnung, Aufwendungsersatz, Verjährung, Zurückbehaltungsrecht, Kündigung, nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht des VV und nachvertragliches Wettbewerbsverbot gilt nichts anderes als für jeden HV.52 Es besteht die aus § 86 hergeleitete Interessenwahrungspflicht des VV, etwa bei seiner laufenden Tätigkeit die Gewinnung von Versicherungsverträgen mit „guten“ Risiken nicht zugunsten der leichter zu vermittelnden mit „schlechten“ hintanzusetzen. Geltung beanspruchen insb. § 87 Abs. 3,53 87a Abs. 1 S. 3, § 87a

45 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 3. 46 OLG Nürnberg NJW-RR 1995, 227; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 395; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 6. Urt. v. 27.5.2016 – I-16 U 187/14, NJW-RR 2016, 1315 Rn 48. OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.5.2016 – I-16 U 187/14, NJW-RR 2016, 1315 Rn 48. OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.5.2016 – I-16 U 187/14, NJW-RR 2016, 1315 Rn 48. BFH, Urt. v. 10.6.1999 – V R 10/98, DB 1999, 1988 (1989); LG Berlin JW 1939, 76015 mit Anm. von Groschuff; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 7; Oetker/Busche6 § 92 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 2; Ind.- u. Handelsk. Berlin III Nr. 282; Hopt § 92 Rn 1. 51 Vgl. OLG Zweibrücken NJW-RR 1996, 285; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 8; Oetker/Busche6 § 92 Rn 1. 52 Vgl. hierzu Höld NJW 2016, 2774. 53 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7c, 10.

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Abs. 2,54 § 87a Abs. 3,55 § 87a Abs. 3 S. 2, § 87a Abs. 4,56 § 87 a Abs. 557 (zum Nachteil des VV darf daher nicht von § 87a Abs. 2, erster Hs, Abs. 3 und 4 abgewichen werden) sowie § 87b.58 Auch ist § 87b Abs. 2 S. 1 anwendbar: Schadensfreiheitsrabatte, um die sich die Versicherungsprämie mindert, können nach dieser Norm zu einer reduzierten Provision führen.59 Für § 87b Abs. 3 hat der BGH offen gelassen, ob die Vorschrift auf Versicherungsverträge Anwendung findet.60 Rechtstatsächlich erhebliche Bedeutung hat § 87c61 über die Kontrollrechte des HV (s. Kommentierung zu § 87c). Wegen der meist langfristig angelegten und auf besonderem gegenseitigen Vertrauen beruhenden Vertragsbeziehungen, welche der VV oder der Bausparkassen-HV herbeiführen soll, kommen der sachgerechten sowie vollständigen Aufklärung und Beratung des Kunden durch den HV, der insoweit als Erfüllungsgehilfe des Unternehmers tätig wird, erhebliche Bedeutung zu62 (Rn 25 ff. zur VVG-Novelle). Besonders hervorzuheben sind die nachfolgenden Rechtsprobleme:

1. § 87 Abs. 3 13 Für Verträge, welche erst nach Ende des VV-Vertrages zustande kommen, erhält der VV gem. dem anwendbaren63 § 87 Abs. 3 eine ggf. einer Provisionsteilung unterliegende Provision, wenn entweder die Voraussetzungen des § 87 Abs. 3 Nr. 1 vorliegen (weil dann der TB des § 92 Abs. 3 S. 1 ebenfalls erfüllt ist) oder vor Ende des VV-Vertrages dem VV oder Unternehmer das Angebot des VN zum Vertragsschluss zugegangen ist,64 sofern die Kausalkette nicht durch die Tätigkeit eines anderen VV vollständig unterbrochen worden ist.65

2. § 87a Abs. 3 14 Nach dem auch für VV geltenden66 § 87a Abs. 3 entfällt der Provisionsanspruch eines VV nur, falls der Unternehmer das vermittelte Geschäft nicht (vollständig) ausführt und er dies nicht

54 Müller VersR 1974, 950; Hopt § 92 Rn 10; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 26. 55 BGH, Versäumnisurt. v. 1.12.2010 – VIII ZR 310/09; DB 1983, 2135; OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (379); OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582 (für analoge Anwendung); OLG Frankfurt/M. DB 1983, 1591 (1592); Krämer VersR 2010, 626; Bonvie VersR 1986, 121; Hans BB 1958, 544; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 271; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1436; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 20; Hopt § 92 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 26. 56 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 271; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl 2011, § 2 Rn 1436; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 2; Hopt § 92 Rn 10. 57 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 271; Hopt § 92 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 4. 58 Hopt § 92 Rn 10. 59 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 411; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 3. 60 BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283. 61 Ebenroth/Löwisch4 § 87c Rn 107. 62 Kieninger AcP 199 (1999), 190; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 31. 63 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 10. 64 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 9. 65 BGHZ 59, 125 (127). 66 BGH, Versäumnisurt. v. 1.12.2010 – VIII ZR 310/09; DB 1983, 2135; OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 13.11.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02421; Beschl. v. 18.12.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02422; OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582 (für analoge Anwendung); OLG Frankfurt/M. DB 1983, 1591 (1592); Krämer VersR 2010, 626; Bonvie VersR 1986, 121; Hans BB 1958, 544; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 271; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1436; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 20 ff.; Hopt § 92 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 26. Emde

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zu vertreten hat67 (s. Kommentierung zu § 87a). Eine Vereinbarung über den Wegfall des als Anwartschaft bedingt entstandenen Provisionsanspruchs für den Fall, dass die maßgebliche Prämie nicht bis zum Vertragsende gezahlt wird, ist wegen Verstoßes gegen § 87a Abs. 3 unwirksam. Der VV büßt seinen Provisionsanspruch nur ein, sofern der Versicherer die unterbliebene Zahlung des Kunden nicht gem. § 87a Abs. 3 S. 2 zu vertreten hat.68 Hat der Unternehmer den Zahlungsausfall der Prämie nicht zu vertreten, muss der VV auch einen eventuell erhaltenen Vorschuss zurückzahlen69 (s. Kommentierung zu § 87a).

a) Fehlende Nachbearbeitung eines von der Kündigung oder dem Vertragsende be- 15 drohten Versicherungsvertrages. Siehe in erster Linie d. Kommentierung zu § 87a. Der Versicherer kann, jedenfalls wenn beide Maßnahmen den gleichen Erfolg versprechen, wahlweise eigene geeignete Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen („Nachbearbeitung“) oder sich darauf beschränken, dem VV durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten.70 Diese Wahlmöglichkeit existiert auch nach beendetem VV-Verhältnis.71 Nur ist der Versicherer dann nicht mehr zur Übermittlung von Stornogefahrmitteilungen verpflichtet. Unterlässt der Versicherer die Nachbearbeitung eines von der Stornierung bedrohten Vertra- 16 ges, hat er aus den Rechtsgedanken der §§ 87a Abs. 3 HGB, 242 BGB (Treupflicht),72 162 BGB das Nichtentstehen des Provisionsanspruches zu vertreten.73 Die Nachbearbeitung hat der Unternehmer zu beweisen,74 ebenso, dass ausnahmsweise eine Nachbearbeitung erfolglos geblieben wäre75 (s. Kommentierung zu § 87a). Insb. bei einer schlichten Nichtaufnahme der Beitragszahlung durch den VN trifft den Unternehmer die Verpflichtung, die Nacharbeit des Versicherungsvertrages zu veranlassen.76 Die Nachbearbeitung ist das Bemühen des Versicherers, den VN zur Vertragsfortführung und zur Prämienzahlung zu veranlassen. Versicherung ist als langfristiges, unsichtbares Gut etwas anderes als Ware, und der VV hat keine Anwartschaft auf Folgeaufträge von einem einmal geworbenen Kunden. Aus beidem resultiert eine auch die Nachbearbeitung fordernde erhöhte Loyalitätspflicht des Versicherers, auf die Provisionsinteressen des VV aus dem einzelPlatz VersR 1985, 621; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 276; Westphal I Rn 671. Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 27. Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 27; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 15. BGH, Urt. v. 28.6.2012 – 130/11, WM 2012, 1600 Rn 15; Versäumnisurt. v. 1.12.2010 – VIII ZR 310/09 Rn 15; Urt. v. 25.5.2005 – VIII ZR 279/04, NJW-RR 2005, 1196 unter II 4; VIII ZR 237/04 Rn 14; VersR 1983, 372; OLG Schleswig, Urt. v. 4.3.2011 – 14 U 86/10, BeckRS 2011, 28743; OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582; OLG Düsseldorf OLGR 1999, 202; 469 (470); OLG Frankfurt/M. VersR 1997, 875; OLG Karlsruhe VersR 1989, 511 (512); OLG Koblenz VersR 1980, 623 (624); OLG Köln NJW 1978, 327 = VersR 1978, 920; LAG Hamm VersR 1981, 1054; Bonvie VersR 1986, 121; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 22; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 33; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 16; aA OLG Zweibrücken NJW-RR 1996, 285. 71 BGH, Urt. v. 25.5.2005 – VIII ZR 279/04, VersR 2005, 1078. 72 BGH LM § 87a Nr. 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 28. 73 BGH, Urt. v. 12.11.1987 – I ZR 3/86, NJW-RR 1988, 546; VersR 1983, 372; BAG NJW 1968, 520; OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582; OLG Köln, Urt. v. 9.9.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71; OLG Düsseldorf OLGR 1999, 202; OLG Frankfurt/M. VersR 1986, 461 (462); 1991, 1135; OLG Karlsruhe VersR 1989, 512; OLG Köln VersR 1976, 87; LAG Nürnberg, Urt. v. 14.11.2013 – 8 Sa 485/12, BeckRS 2014, 66700; LAG München VersR 1992, 183; Nauschütt in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1320; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 20; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 16, 17; Hopt § 92 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 28 ff.; einschränkend Höft VersR 1976, 208. 74 BGH, Urt. v. 28.6.2012 – 130/11, WM 2012, 1600 Rn 16; Versäumnisurt. v. 1.12.2010 – VIII ZR 310/09 Rn 15; OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 13.11.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02421; Beschl. v. 18.12.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02422; OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582. 75 LAG München VersR 1992, 183; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 24, 52. 76 OLG Celle, Urt. v. 28.6.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267.

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nen Vertrag Rücksicht zu nehmen77 und sie – nachdem der Versicherungsantrag im Rahmen unternehmerischer Entschließungsfreiheit einmal angenommen worden ist – nach Möglichkeit zu fördern. Art und Umfang der dem Versicherer gem. § 87a Abs. 3 S. 2 obliegenden Nachbearbeitung bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.78 Entschließt sich der Versicherer, eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr zu ergreifen, müssen sie nach Art und Umfang ausreichend sein.79 Im Einzelnen s. Kommentierung zu § 87a. Unter dem Gesichtspunkt der dem Versicherer gegenüber dem VV obliegenden Treuepflicht, Rücksicht auf dessen Provisionsinteresse zu nehmen,80 reicht, wie generell unter § 87a, im Regelfall die bloße Übersendung eines Mahnschreibens an den VN als Maßnahme der Stornoabwehr nicht aus81 Ob man mit dem BAG82 die Nachbearbeitung des Versicherungsvertrages als „Ausführung des Geschäfts“ ansehen will, ist zweifelhaft, kann aber auf sich beruhen.

17 b) Klagepflicht. Mit Rücksicht auf Besonderheiten, die sich aus der Natur des Versicherungsverhältnisses ergeben, soll der Versicherer im Regelfall nicht gehalten sein, im Klagewege gegen säumige VN vorzugehen, wenn außergerichtliche Maßnahmen erfolglos geblieben sind. Die Nichtausführung (Stornierung) des Vertrages sei vielmehr schon dann von dem Versicherer nicht zu vertreten, wenn er notleidende Verträge in dem gebotenen Umfang „nachbearbeitet“ habe.83 Das wird man in dieser Allgemeinheit aber nicht gelten lassen können. Vielmehr gelten die allg. Regeln zu § 87a Abs. 3. Eine Klagerhebung gegen den VN ist dem Versicherer zwecks Erfüllung seiner Obliegenheit aber unzumutbar, wenn die durch Klagerhebung und Zwangsvollstreckung zu erwartenden Kosten außer Relation zum erstrebten und erreichbaren Zweck stehen. Das ist der Fall, sofern mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erfolglosigkeit der Zwangsvollstreckung anzunehmen ist.84 Ob diese Rspr. auf Abs. 2 zu übertragen ist, könnte zumindest diskutiert werden. Denn dann hätte Abs. 2 im Versicherungsrecht kaum einen Anwendungsbereich. Andererseits wird sich eine unterschiedliche Handhabung innerhalb der Abs. 2 und 3 kaum begründen lassen. Eine Obliegenheit, im Interesse des VV auf die erste Prämie klagbar zu werden, war bei der Lebensversicherung nach Ansicht von Staub/Brüggemann 4. Aufl. auch wegen deren Wesensgesetzlichkeit abzulehnen. Es sei widersinnig, ein Vertragsinstrument, welches vor wirtschaftlicher Not sichern solle, schon im Beginn als Waffe für Klage und Vollstreckung gegen den zu Sichernden einzusetzen; die Klage beschwöre die Gefahr einer Kündigung des Vertragsverhältnisses herauf, und die Klagedurchführung werde wirtschaftlich sinnlos; auch drohe Verlust an geschäftlicher Reputation im Konkurrenzkampf mit anderen Lebensversicherern. Nur Willkür bei Abstandnahme von gerichtlichen Schritten oder Stornierung des Versi-

77 OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582. 78 BGH, Versäumnisurt. v. 1.12.2010 – VIII ZR 310/09 Rn 15, 22. 79 BGH, Urt. v. 28.6.2012 – 130/11, WM 2012, 1600; Versäumnisurt. v. 1.12.2010 – VIII ZR 310/09 Rn 22; Urt. v. 25.5.2005 – VIII ZR 279/04, NJW-RR 2005, 1196; VIII ZR 237/04. 80 BGH, Urt. v. 19.11.1982 – I ZR 125/80, VersR 1983, 371 unter I 2b aa. 81 BGH, Versäumnisurt. v. 1.12.2010 – VIII ZR 310/09 Rn 22; BAG NJW 1968, 520; OLG Köln, Urt. v. 9.9.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71; OLG Karlsruhe VersR 1989, 511 (512); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.2.2007 – I-16 W 70/06 Rn 12; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 23; Hopt § 87a Rn 27; vgl. auch BGH, Urt. v. 25.5.2005 – VIII ZR 237/04 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 28 ff.; aA OLG Frankfurt/M. BB 1977, 1170 (1171); DB 1983, 1592, VersR 1978, 326 (327); VersR 1991, 1135; OLG Schleswig MDR 1984, 760, für den Fall wiederholter Mahnungen und Kündigungsandrohungen. 82 BAG NJW 1968, 518. 83 BGH, Versäumnisurt. v. 1.12.2010 – VIII ZR 310/09 Rn 15; Urt. v. 25.5.2005 – VIII ZR 279/04, NJW-RR 2005, 1196 unter II 2; VIII ZR 237/04 Rn 11. 84 Westphal I Rn 677. Emde

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cherungsvertrages ließe die Provisionspflicht des Versicherers nicht entfallen.85 Tatsächlich ist die Klage des Lebensversicherers auf die erste Prämie grundsätzlich unzumutbar,86 nur mit den o. g. Einschränkungen bleibt sie bei sonstigen Versicherungsverträgen zumutbar.87 Die gerichtliche Durchsetzung der Erstprämie ist bei Lebensversicherungsverträgen wirtschaftlich sinnlos, da jene vom VN spätestens nach Jahresfrist kündbar sind,88 oft bleibt sie zudem angesichts kleinerer Prämienbeträge unwirtschaftlich. Die gleichen Grundsätze dürften auch bei Folgeprämien gelten,89 wenn sie nicht seit längerem abgeschlossene Zeiträume betreffen, für die der Versicherer bereits die Gefahr getragen hat. Etwas anderes gilt bei Abstandnahme von einer wirtschaftlich sinnvollen Klage,90 z. B. bei Lebens- oder Sachversicherungsverträgen91 mit hohen Prämien oder Einmalprämien. Ob ein gegenüber dem VV wirksames Recht des Versicherers, von einer Klage abzusehen, darin gefunden werden kann, den Ruf eines rücksichtslosen Prozessierers zu vermeiden,92 erscheint zweifelhaft. Es ist schließlich nicht der Versicherer, der Anlass zur Klage setzt, sondern der säumige VN.

c) Stornoreserve, Stornohaftung und Anfechtung. Zur Absicherung eventueller Rückfor- 18 derungsansprüche des Versicherers enthalten fast alle VV-Verträge eine Regelung über den Einbehalt von Teilen der Vergütung des VV mittels Stornoreserve als Sicherheit für mögliche Provisionsrückforderungen des Unternehmers. Gedacht ist die Stornoreserve insb. für Fälle, in denen eine an den HV gezahlte Provision nach § 87a Abs. 2, 3 entfallen ist93 oder Provisionsvorschüsse zurückzuzahlen sind. Dazu wird ein Teil der fälligen Provision in ein Sicherungskonto – das Stornoreservekonto94 – eingestellt. Die Stornoreserve ist folglich mit der Gewährleistungsreserve im Bauhandwerkerbereich oder der Mieterkaution vergleichbar.95 Eine solche Regelung soll nach wohl allg. Ansicht zulässig sein,96 etwa in Höhe eines 85 BAG NJW 1968, 520; OLG Frankfurt/M. VersR 1981, 480; DB 1983, 1592; OLG Karlsruhe VersR 1989, 511 (512); 1982, 267; OLG Koblenz VersR 1980, 623 (624); OLG Köln VersR 1976, 87; OLG München VersR 1958, 599; OLG Oldenburg VersR 1961, 658 m. Anm. Franke; LAG Frankfurt/M. NJW 1982, 254 (255); LG Essen VersR 1955, 387; Ebenroth/ Löwisch4 § 92 Rn 28; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 31; Müller VersR 1974, 950; Sundermann BB 1958, 544 (546); im Ergebnis auch Fleischmann S. 9 ff.; aA LG Gießen MDR 1981, 938 (Absehen von der Einklagung nur, wenn Versicherungskunde zahlungsunfähig); Hans BB 1957, 1061 und 1958, 545. 86 LG München I NJW 1957, 186; für diese Teilfrage auch OLG Frankfurt/M. VersR 1956, 61 und VersR 1981, 480. 87 AA Behrend NJW 2003, 1563 (1566). 88 Westphal I Rn 678. 89 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 28. 90 OLG Frankfurt/M. VersR 1978, 326; VersR 1969, 510; OLG Koblenz VersR 1980, 623 (624); OLG München VersR 1958, 599; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 28. 91 OLG Frankfurt/M. VersR 1986, 461 (462); Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 28. 92 So OLG Frankfurt/M. DB 1983, 1591 (1592); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 31. 93 OLG Hamm, Beschl. v. 12.3.2004 – 35 W 2/04, NJW-RR 2004, 1266; Christoph/Effenberger VersR 2007, 593. 94 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381); LAG Nürnberg, Urt. v. 14.11.2013 – 8 Sa 485/12, BeckRS 2014, 66700; LG München I, Urt. v. 21.2.2017 – 13 HKO 23526/15; AG Kiel, Beschl. v. 25.7.2014 – 115 C 274/14; Niedersächsisches FG, Urt. v. 21.11.2012 – 2 K 38/12, BB 2013, 560 (561); Hopt § 92 Rn 9; Giesler/Nauschütt/ Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1440. Zur steuerlichen Behandlung vgl. etwa die Verfügung betr. bilanzsteuerliche Behandlung stornobehafteter Provisionen eines VV v. 1.8.2014 (ESt-Kartei ND § 5 EStG Nr. 1.1 – OFD Niedersachsen S 2133 – 37 – St 221/St 222, DStR 2014, DSTR Jahr 2014 Seite 1876. 95 Niedersächsisches FG, Urt. v. 21.11.2012 – 2 K 38/12, BB 2013, 560 (561); Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1440. 96 BAG, Urt. v. 21.1.2015 – 10 AZR 84/14, BeckRS 2015, 67796 = NJW 2015, 2364 Rn 57; OLG Köln VersR 2002, 355; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.1990 – 16 U 97/89, BB 1990, 1086 (aber Auszahlung erst 3 Jahre nach Vertragsende benachteiligend i. S. d. § 307 BGB); LAG Nürnberg, Urt. v. 14.11.2013 – 8 Sa 485/12, BeckRS 2014, 66700; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2012 – I-16 U 134/11, NJOZ 2013, 894 m. Anm. Evers VW 2013, 46; LG Wuppertal, Urt. v. 17.8.2011 – 3 O 85/11, BeckRS 2013, 13395; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1440; Hopt § 92 Rn 9. 781

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10 %igen Anteils der verdienten Provision.97 Gleiches gilt für die Regelung, derzufolge die Stornoreserve im Fall der Kündigung des VV-Vertrages durch Provisionseinbehalt auf 20 % der Abschlussvergütungen der zum Zeitpunkt der Kündigung zurückliegenden 12 Monate zzgl. 10 % der Abschlussvergütungen der wiederum davor liegenden 12 Monate erhöht werden darf.98 Voraussetzung der Wirksamkeit soll die Kontogutschrift am Tag der Fälligkeit sein,99 was aber nicht zwingend erscheint. Insb. in den fast immer vorliegenden AGB muss der Einbehalt transparent vereinbart werden (vgl. zu AGB d. Kommentierung zu Vor § 84). Die Auffassung, die die Bildung eines Stornoreservekontos zulässt, steht (bei Abzug von der Provision) im Spannungsverhältnis zur zwingenden Natur des § 87a Abs. 1 S. 3, demzufolge der Provisionsanspruch mit Ausführung des Geschäfts durch den VN auszuzahlen ist, zudem zu § 87a Abs. 4, demzufolge die Provision zwingend zum dort genannten Zeitraum fällig wird. Begründen lässt sich die beinahe zur Verkehrssitte erstarkte Stornoreserve – sofern man § 87a Abs. 1 S. 3 nicht durch § 92 Abs. 4 im Wege der Spezialität als verdrängt ansieht – nur mit den Treupflichten der Parteien und damit dem legitimen Sicherungsbedürfnis des Unternehmers, ggf mit einer „Vorwirkung“ der § 87a Abs. 2, 3, § 273 BGB. Der Zeitraum, in dem der VV dergestalt für die Rückzahlung nicht verdienter Provisionen haftet, wird als „Stornohaftungszeitraum“ bezeichnet.100 Er differiert je nach VV-Vertrag und nach Versicherungssparte und darf nach § 242 BGB, § 307 BGB nicht ungebührlich lang sein.101 Nicht mehr für die Sicherung der Provisionsrückforderungsansprüche des Unternehmers benötigte Beträge sind an den HV auszuzahlen, sofern der Vertrag nicht – wirksam – den weiteren Einbehalt gestattet. Während der Vertragsdauer bedeutet dies, dass auszuzahlen ist, sofern ein den Einbehalt rechtfertigender Sicherungszweck entfällt. Er entfällt vorbehaltlich einer wirksamen, abweichenden Vereinbarung insb., wenn die Höhe der Stornoreserve die Höhe der Ansprüche des Unternehmers aus noch stornogefährdeten Verträgen übersteigt.102 Mangels anderweitiger (wirksamer) Abrede ist die Reserve also spätestens mit dem Ablauf der Stornohaftzeit freizugeben und nach Abrechnung auszuzahlen,103 es sei denn, es beständen noch (nachweisbare) Ansprüche des Unternehmers. Nach Vertragsende ist, sofern es keine wirksame abweichende Abrede gibt, die Stornoreserve grds. innerhalb eines angemessenen Abrechnungszeitraums nach Ende des HV-Vertrages auszuzahlen, der spätestens abgelaufen ist, wenn das vorgenannte Sicherungsinteresse des Unternehmers wegfällt. Das OLG Düsseldorf104 bemaß den angemessenen Auszahlungszeitraum gem. § 307 BGB mit einem Jahr nach Vertragsende. Ein Auszahlungszeitraum von 2 Jahren soll nach aA ebenfalls nicht zu beanstanden sein,105 wegen § 49 VAG (früher: 80 Abs. 5 VAG). Ein Auszahlungszeitraum – jedenfalls vereinbart als AGB – von 3 Jahren sollte nach früherem Rechtsverständnis zu lang sein.106 In den von § 49 VAG betroffenen Versicherungssparten dürfte wohl ein Rückzahlungszeitraum von 5 Jahren auch gem. § 307 BGB zulässig und gefordert sein.107 Sofern die Regelungen des VV-Vertrages über den Einbehalt der Stornoreserve unwirksam sind, steht dem HV gem. § 271 BGB bei seinem Ausscheiden ein Anspruch auf Auszahlung der gesamten 97 BAG, Urt. v. 21.1.2015 – 10 AZR 84/14, BeckRS 2015, 67796 Rn 57. 98 AG Köln, Urt. v. 1.8.2018 – 113 C 549/17. 99 Ebenroth/Löwisch4 § 87a Rn 69; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 43a. 100 Christoph/Effenberger VersR 2007, 593 (594). 101 OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2012 – 16 U 134/11, NJOZ 2013, 894 m. Anm. Evers VW 2013, 46. 102 LG Bonn, Teilurt. v. 13.6.2012 – 16 O 4/11, BeckRS 2013, 17651. 103 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381) – VV; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1440. 104 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.1990 – 16 U 97/89, BB 1990, 1086. 105 Das OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.1990 – 16 U 97/89, BB 1990, 1086 lässt einen Auszahlungszeitraum von einem Jahr nach Vertragsende gem. § 307 BGB unbeanstandet. 106 OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.1990 – 16 U 97/89, BB 1990, 1086 –VV – heute wohl überholt. 107 LG München I, Urt. v. 21.2.2017 – 13 HKO 23526/15 – VV. Ein solcher Zeitraum wurde auch von OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381) – VV nicht beanstandet. Emde

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Stornoreserve und nicht nur ein ratierlicher Anspruch auf Abrechnung und Auszahlung verdienter Provisionen zu.108 Der Stornoreserve-Auszahlungsanspruch ist nur dann von einem Kontokorrent erfasst, wenn sich die Parteien auf Kontokorrentperioden, d. h. regelmäßige Zeitabschnitte zur Saldierung der aufgenommenen Posten, geeinigt haben.109 Jedenfalls wird mit der Kündigung des HV-Vertrages das Kontokorrentverhältnis gekündigt.110 Kündigt der Versicherer den VV-Vertrag aus von ihm nicht i. S. d. § 87a Abs. 3 zu vertretenen Gründen nach § 37 VVG, darf die Abschlussprovision ebenfalls von dem VV zurückgefordert werden.111 Die Stornohaftungsfälle haben i. d. R. eines gemeinsam: Das vermittelte Geschäft kommt zustande und wird eine Zeit lang vertragsgemäß ausgeführt. Nachträglich tritt eine Störung ein. Das kann beispielsweise eine Kündigung des vermittelten Vertrages nach sich ziehen. Eine solche Kündigung wirkt nur ex nunc, d. h., der Vertrag bleibt für die Vergangenheit bestehen und wird erst für die Zukunft aufgelöst. Gem. § 22 VVG steht dem Versicherer ein Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB zu, wenn der VN bei Vertragsschluss über Gefahrumstände arglistig getäuscht hat. Der Versicherungsvertrag wird dann von Anfang an als nichtig angesehen (§ 142 Abs. 1 BGB). Gem. § 39 Abs. 1 S. 2 VVG gilt abweichend von §§ 142, 812 BGB, dass dem Versicherer auch im Fall der Anfechtung des Versicherungsvertrags die Prämien zustehen, welche bis zum Wirksamwerden der Anfechtungserklärung fällig werden. Für sie steht dem VV ein Provisionsanspruch analog §§ 87 Abs. 1, 92 Abs. 3 und 4 zu.112 Nach Ansicht von Christoph/Effenberger113 sind AGB, die diesen Anspruch des VV ausschließen, gem. § 307 BGB unwirksam. Dem VV fließen im Sinne des Steuerrechts die seinem Stornoreservekonto gutgeschriebenen Beträge nicht zu, wenn sie im Zeitpunkt der Gutschrift nicht zur Auszahlung fällig sind und das Guthaben nicht verzinst wird.114 Gegen den Anspruch des HV auf Auszahlung eines Guthabens aus dem Stornoreservekonto darf der Unternehmer sowohl vertragsbegleitend wie nachvertraglich mit allen Forderungen aufrechnen, die in dem Vertragsverhältnis ihren Rechtsgrund haben.115 Bei der Klage auf Auszahlung eines Stornoreserveguthabens handelt es sich dem Wesen nach um eine Provisionsklage.116 Denn gefordert wird letztlich die Auszahlung der Provision. Es gilt also die für die Provision maßgebliche Darlegungs- und Beweislast (dazu bei §§ 87, 87a).

3. § 87b Abs. 1 Mangels abweichender Vereinbarung ist auch dem VV die übliche Provision zu zahlen.117 Prak- 19 tisch gibt es keine VV-Verträge ohne ausdrückliche Provisionsvereinbarung.118 Zweifelsfälle können bei Einführung neuer Vertragsprodukte ohne Vertragsänderung entstehen. Zu obrigkeitlichen Festsetzungen im Versicherungsbereich, s. d. Kommentierung zu § 87b.

108 OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2012 – 16 U 134/11, NJOZ 2013, 894 m. Anm. Evers VW 2013, 46; aA OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.2.1993 – 16 U 79/92. 109 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381) m. Anm. Lost. 110 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381) m. Anm. Lost. 111 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 36. 112 Christoph/Effenberger VersR 2007, 593 (597). 113 Christoph/Effenberger VersR 2007, 593 (596). 114 BFH, Urt. v. 12.11.1997 – XI R 30/97, BB 1998, 303. 115 OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2012 – 16 U 134/11, NJOZ 2013, 894 m. Anm. Evers VW 2013, 46; differenzierend Ebenroth/Löwisch4 § 87a Rn 69: während des bestehenden HV-Vertrages nur mit Forderungen, deren Sicherung das Stornoreservekonto dienen soll. 116 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381) m. Anm. Lost. 117 Westphal I Rn 683. 118 Westphal I Rn 683. 783

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4. § 87b Abs. 2 S. 2 20 Fehlt eine abweichende vertragliche Regelung, sind auch beim VV – kaum praktische – Nachlässe bei Barzahlung nicht von der Provisionsbemessungsgrundlage abzuziehen und Nebenkosten nur insoweit, wie sie gesondert in Rechnung gestellt wurden.119 Skontoabzüge kommen in der Versicherungswirtschaft kaum vor. Schadensfreiheitsrabatte der Kfz-Versicherung führen zu einer Provisionsminderung.120 Die Versicherungssteuer ist in die Provisionsberechnungsbasis einzubeziehen, es sei denn, sie wird gesondert in Rechnung gestellt.121

5. Vorteilsausgleich 21 Ein VV muss sich auf seinen Anspruch auf Ersatz unfallbedingten Dienstausfalls nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung eine Berufsunfähigkeitsrente nicht anrechnen lassen, die er von dem Vertreterversorgungswerk erhält, wenn die Rente gemäß dem HV:Vertrag an die Stelle eines Ausgleichsanspruchs i. S. d. § 89b tritt.122 Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind nur solche Vorteile anrechenbar, die dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zuflossen. Hieran fehlt es, weil die Rente nur den dem VV ohnehin zustehenden Ausgleich ersetzt.

6. Sonderrecht außerhalb des § 92 22 a) HGB. Hier ist in erster Linie die sich aus § 89b Abs. 5 ergebenden Besonderheiten der Ausgleichsberechnung zu nennen. Sie hängen damit zusammen, dass die Versicherungsvermittlung keine Stammkunden kennt. Siehe hierzu d. Kommentierung zu § 89b. 23 Selbständige VV werden vielfach HV sein, die auf Grund eines Vertrages oder mehrerer Verträge damit betraut sind, Geschäfte für mehrere Versicherer zu vermitteln oder abzuschließen, die zu einem Versicherungskonzern oder zu einer zwischen ihnen bestehenden Organisationsgemeinschaft gehören, so dass die Beendigung des Vertrages mit einem dieser Versicherer „im Zweifel“ auch die Beendigung des Vertrages mit den anderen Versicherern zur Folge hat. § 92a Abs. 2 stellt diese HV den Einfirmenvertretern für die Ermächtigung zum Erlass der vorgesehenen Rechtsverordnung gleich, die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festzusetzen, welche als Mindestbetrag alsdann zwingend ist. Die Verordnung darf bestimmen, ob die festgesetzten Leistungen von allen Versicherern als Gesamtschuldnern oder anteilig oder nur von einem der Versicherer geschuldet werden und wie der Ausgleich unter ihnen zu erfolgen hat. Dazu d. Kommentierung zu § 92a. 24 Eine weitere Nennung der VV in § 92b Abs. 4 ist für das HV-Recht des HGB nur redaktionell. Sie stellt klar, dass die für HV im Nebenberuf gegebenen Spezialbestimmungen auch für VV im Nebenberuf gelten.

25 b) VVG. Für das Außenverhältnis des VV zu Dritten enthält das VVG in seinen §§ 69–73 Sonderrecht; es betrifft teils den Umfang der Vertretungsmacht des zum Abschluss bevollmächtigten VV, teils Ermächtigungen des nicht vertretungsbefugten Vermittlungsvertreters.

119 120 121 122

Westphal I Rn 687. Westphal I Rn 688. Westphal I Rn 688. OLG München, Urt. v. 2.2.2000 – 7 U 4410/99, VersR 2001, 1429.

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aa) Versicherungsvermittlerrichtlinie. Einschneidend waren die Änderungen des VVG sowie 26 der GewO (dazu Rn 60 ff.) durch die Versicherungsvermittlerrichtlinie und ihre Umsetzung: Nachdem die EU-Kommission im September 2000 einen Richtlinien-Entwurf123 und dann die Richtlinie v. 9.12.2002 über die Versicherungsvermittlung (Versicherungsvermittlerrichtlinie)124 vorstellte, wurde mit erheblicher Verspätung125 (Folge: Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland126) am 22.12.2006 das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts im BGBl.127 verkündet und die Versicherungsvermittlerrichtlinie umgesetzt. Das Gesetz trat am 22.5.2007 in Kraft. Versicherungsvermittler und -berater müssen sich seither in das Register der IHK eintragen lassen. Gewerbetreibende, die vor dem 1.1.2007 Versicherungen vermittelt haben, hatten bis Ende 2008 Zeit, um Registereintragungen und ggf. Erlaubniserteilungen herbeizuführen. Zeitgleich wurde auch die seinerzeitige VO über die Versicherungsvermittlung (VersVermV) zur Konkretisierung, insb. der künftig vorgeschriebenen Sachkundeprüfung für Vermittler und zum Registrierungsverfahren, in Geltung gesetzt. Wegen der verspäteten Umsetzung konnten betroffene Vermittler vom Staat Schadenersatz wegen Versäumung der Umsetzungsfrist fordern, soweit sie durch die Richtlinie unmittelbar berechtigt werden. Ein Schaden war z. B. wegen mangelnder Umsetzung der Regelungen über die Einführung des Vermittlerregisters denkbar. Nach Einschätzung von Reiff128 waren die Auswirkungen der Umsetzung auf die Kreditwirtschaft gering. Das Gesetz erstrebte, ein hohes berufsfachliches Niveau der Versicherungsvermittler, die Vereinfachung der grenzüberschreitenden Versicherungsvermittlung im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr in der EU sowie ein hohes Schutzniveau für den Verbraucher zu sichern.129 Zu Übergangsvorschriften vgl. Jahn/Klein DB 2007, 957 (961 ff.). Die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes musste sehr schnell durch das BVerfG130 überprüft 27 werden. Nach dem BVerfG stellt das Gesetz keine unzulässige Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Versicherungsberater dar, weil ihre Tätigkeit nicht mehr nach dem RBerG oder RDG sondern, ebenso wie die der Versicherungsvermittler, nach der GewO erlaubnispflichtig ist.131 Der Annahme, die neue Rechtslage würde einer flexiblen, auf besonderen Beratungsbedarf abstellenden Vereinbarung mit dem Mandanten entgegenstehen, sei nicht zu folgen. Es stelle keine i. S. d. Art. 3 GG ungerechtfertigte Gleichbehandlung der Versicherungsberater mit den Versicherungsvermittlern dar, wenn beide Berufe der Erlaubnispflicht nach der GewO unterworfen würden. Weder verstoße es gegen Art. 12 GG, noch läge eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darin, dass nach § 68 VVG Versicherungsberater, anders als Versicherungsvermittler, die Beratungs- und Informationspflichten gem. § 60 Abs. 1 S. 1 und § 61 Abs. 1 VVG nicht durch Vereinbarung mit dem Mandanten einschränken oder abbedingen dürften. Hiermit solle nach der Gesetzesbegründung dem vom Versicherungsvermittler abweichenden besonderen Berufsbild des Versicherungsberaters Rechnung getragen werden.132 Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 S. 1 und § 61 Abs. 1 VVG n. F. ergebe, könnten die Beratungs- und Dokumentationspflichten den konkreten Bedürfnissen des Mandanten und der Art der Beratungstätigkeit im Einzelfall angepasst werden. 123 RL-Entwurf KOM (2000), 511. 124 Richtl. 2002/92/EG, ABlEG Nr. L 9 v. 15.1.2003, S. 3. 125 Vgl. zu den ursprünglichen Planungen Teichler VersR 2002, 385; Abschlussbericht des BMin für Justiz VersRSchriftenreihe Heft 25 = www.BMJ.bund.de/Media/Archive/647.pdf, S. 427–429; hierzu Abram VersR 2005, 43. 126 EuZW 2005, 739. Auch gegen Belgien, Griechenland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Malta, Portugal und Spanien wurden Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. 127 BGBl. I, 3232. 128 WM 2006, 1701 (1705 ff). 129 Koban in: Fenyves/Koban/Schauer, Die Versicherungsvermittlungsrichtlinie – Umsetzung in das Österreich. Recht, 2003, S. 1 ff.; Eriff ZVersWiss 2001, 453; Jahn/Klein DB 2007, 957. 130 Beschl. v. 8.5.2007 – 1 BvR 999/07, WM 2007, 1224. 131 Ebenso Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 3. 132 BT-Drucks. 16/1935, S. 26. 785

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Die Vermittlerrichtlinie wurde fortentwickelt. Am 3.7.2012 legte die Kommission eines weiteren RL-Vorschlages vor.133 Am 20.1.2016 lag die RL (EU) 2016/97 v. 20.1.2016 über den Versicherungsvertrieb (IDD)134 vor. Am 18.1.2017 entstand der Gesetzesentwurf der BR zur Umsetzung der RL.135 Das Gesetz wurde am 28.7.2017136 verkündet und trat am 23.2.2018 in Kraft.137 Reiff138 spricht wegen der dieser erneuten, umfangreichen Änderungen von einem „Regulierungstsunami“.139 Nach seiner Auffassung140 war die Versicherungsrichtlinie 2002 besser als ihr Ruf. Dies erkenne, wer sie ihrer Nachfolgerin, der Vertriebsrichtlinie 2016, gegenüberstelle. Jene sei um ein vielfaches umfangreicher, in Aufbau und Sprache redundanter und inhaltlich – meist unnötig – sehr viel komplizierter. Wegen ihrer zahlreichen Einzelheiten, etwa hinsichtlich der Kenntnis und Fertigkeiten des VV, der Weiterbildungspflicht, der Informationspflichten etc. wird auf Reiff141 sowie Reiff/Köhne142 verwiesen. Die IDD sollte Versicherer nur verpflichten, wenn sie im Direktvertrieb143 tätig waren, nicht aber wenn sie ihre Produkte unter Einschaltung von VV vertreiben. Dahinter stand der Gedanke, dass die Pflichten ohnehin von diesen zu erfüllen sind. Eine Doppelung erschien unnötig.144 Der deutsche Gesetzgeber hat die Beschränkung auf den Direktvertrieb verstanden, sie aber in die Umsetzungsgesetze nicht aufgenommen.145 Die Umsetzung der IDD in deutsches Recht aus digitalem Blickwinkel sowie im Hinblick auf den OnlineVertrieb behandelt Goretzky.146 Eine Pflicht zur Offenlegung der Provision findet sich aich in der IDD nicht.147 Am 27.9.2018 wurde auch die neue VersVermV im BT verabschiedet, der BR gab am 23.11.2018 seine Zustimmung. Wegen der Einzelheiten der Regelungen sei auf die Kommentare zu den jeweiligen Vor29 schriften verwiesen.

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30 bb) Einzelbestimmungen. Versicherer und VV werden nach dem neuen § 1a VVG verpflichtet, gegenüber VN stets ehrlich redlich und professionell in deren bestmöglichen Interesse zu handeln. Hierbei dürfte es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. d. § 3a UWG handeln.148 Der Begriff der Vertriebstätigkeit i. S. d. § 1a Abs. 1 VVG erfasst auch Vorbereitungshandlungen149 (zur Einbeziehung in den Vermittlerbegriff s. bei § 59 VVG). Vorbereitungshandlungen betreffen etwa das Versenden von Informationsmaterial vor einem Beratungsgespräch.150 Die Verpflichtung des § 1a VVG bestand ihrem Rechtsgehalt nach schon bisher151: Sie sollte sich schon aus

133 COM (2012), 316 final; hierzu Reiff VersR 2015, 649; Werber VersR 2012, 1467; Schönleiter r+s 2014, 53. 134 RL (EU) 2016/97 v. 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung) ABlEU L 26 v. 2.2.2016, S. 19; hierzu Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285; Reiff/Köhne VersR 2017, 649. 135 Dazu Werber VersR 2019, 321; Reiff/Köhne VersR 2017, 649. 136 BGBl. I 2789. 137 Zum Gesetz Reiff VersR 2018, 193 ff. 138 VersR 2016, 1596 (1534); ebenso Reiff/Köhne VersR 2017, 649. 139 Siehe auch Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285 (286). 140 Reiff VerR 2016, 1533 (1542). 141 Reiff VersR 2016, 1596 (1534). 142 Reiff/Köhne VersR 2017, 649. 143 Unter dem Blickwinkel des österreichischen Rechts s. Gruber/Baier VersR 2019, 1457 (1458). 144 Werber VersR 2019, 321 (322). 145 Werber VersR 2019, 321 (322). 146 Goretzky VersR 2018, 1. 147 Reiff VersR 2016, 1533 (1539). 148 Armbrüster VW Nr. 9/63. 149 Wendt VersR 2019, 257 (262). 150 Wendt VersR 2019, 257 (262). 151 Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285 (288); Armbrüster VW Nr. 9/63. Emde

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§ 242 BGB ergeben.152 Allerdings unterliegt der VV gegenüber seinem Unternehmer der Interessenwahrungspflicht nach § 86 Abs. 1. Sie steht ebenso im Spannungsverhältnis zu § 1a VVG wie zu den gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Versicherers.153 Dieses Spannungsverhältnis lässt sich auflösen: Der VV kann nur über Produkte aufklären, die er vertreibt. Die Pflichten des § 1a VVG beziehen sich daher nur auf jene Produkte154: innerhalb „seines“ Produktportfolios muss der VV ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse des VN handeln155 und den Kunden von seinen Produkten diejenigen anzubieten, die dessen Interessen am meisten entsprechen.156 Der VV muss und darf aber aufgrund seiner Interessenwahrungspflicht keine Wettbewerbsprodukte vertreiben. Der Kunde weiß infolge der statusbezogenen Erstinformation, dass er mit einem HV und keinem Makler spricht – der meist ebenfalls nur ein begrenztes Portfolio vertreibt.157 Es würde eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB begründen, wenn ein HV dem Kunden bewusst im Provisionsinteresse ein schlechtes Produkt anbietet.158 Auch in Zukunft muss ein Versicherer einen Interessenten nicht zur Konkurrenz schicken, weil dieser ein besseres Produkt entworfen hat. Er muss allerdings von den Produktvarianten, die er selber herstellt, die für den VN am besten geeignete Variante anbieten, nicht die rentabelste. Hingegen müssen echte Mehrfachvertreter eine Auswahlentscheidung im Interesse des VN treffen.159 Es spricht dafür, dass sich im Kern nichts ändert und durch die Vorschrift auch nicht der „Tod des HV“160 eintritt. Nach § 6 Abs. 1 VVG hat der Versicherer hat den VN, soweit nach der Schwierigkeit, die 31 angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des VN und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom VN zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren. Die Vorschrift richtet sich an den Versicherer, der sie jedoch über seine VV umsetzen muss. Die Ermittlung des Deckungsbedarfs ist im Grundsatz Aufgabe des VN.161 Jedoch kann es angezeigt sein, den VN nach seinem konkreten Bedarf zu befragen.162 Gem. §§ 6, 61 VVG ist der Versicherungsbedarf anhand eines subjektiven Kriteriums – den Wünschen des VN – und zum anderen anhand eines objektiven – den Bedürfnissen des VN – zu bestimmen.163 Hierzu muss sich der VN erklären.164 Die Bedarfsermittlung ist allein im Hinblick auf Versicherungsprodukte angezeigt, die mit dem angefragten im Zusammenhang stehen.165 Sie beschränkt sich nur auf die vom Vermittler angebotenen Produkte (s. o.). In § 59 VVG finden sich in Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie die im Hinblick 32 auf die Einordnung der Versicherungsvermittler relevanten Begriffsbestimmungen. Definiert werden die Begriffe Versicherungsvermittler, Versicherungsvertreter, Versicherungsmakler und Versicherungsberater. Die jeweiligen Definitionen sind mit denen des HGB nicht deckungs152 BT-Drucks. 18/11627, S. 42 zu § 1a Abs. 1 VVG; Werber VersR 2019, 321 (328); Wendt VersR 2019, 257 (263); VW 1/2019, 100 (102); Reiff VersR 2018, 193 (200).

153 Wendt VersR 2019, 257 (262); Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285 (288). 154 Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285 (288). 155 Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285 (288); Emde BB 2018, 1859 (1861); Reiff VersR 2018, 193 (198); Wendt VW 1/2019, 100 (102). Zum Recht Österreichs Gruber/Baier VersR 2019, 1457 (1462). 156 Wendt VersR 2019, 257 (262). 157 Emde BB 2018, 1859 (1861). 158 Emde BB 2018, 1859 (1861). 159 Reiff VersR 2018, 193 (200). 160 So Finanzpraxis v. 19.7.2017. 161 Wendt VersR 2019, 257 (260). 162 Wendt VersR 2019, 257 (261). 163 Wendt VersR 2019, 257 (261). 164 Wendt VersR 2019, 257 (261). 165 Wendt VersR 2019, 257 (261). 787

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gleich,166 wenngleich dies auch vor dem Hintergrund der Einheitlichkeit der Rechtsauslegung wünschenswert wäre. Die IDD- (wie die IMD-)RL enthält eine weite Definition der Versicherungsvermittlung, die das Anbieten, Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten oder das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insb. im Schadensfall, regelte.167 Dieser weite Vermittlerbegriff wurde vom deutschen Gesetzgeber schon bei der Umsetzung der IMD in § 59 VVG fälschlich auf die Vermittlung des Versicherungsvertrags im engeren Sinne, d. h. auf die Anbahnung und den Abschluss eines konkreten Vertrags, reduziert. Damit wurde der Anwendungsbereich der RL verkürzt.168 Vertritt man einen weiten Vermittlerbegriff wäre auch der Bereich erlaubter Nebentätigkeit unter dem RDG zu erweitern.169 Versicherungsvermittler i. S. d. VVG sind Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler (§ 59 Abs. 1 VVG). Versicherungsvertreter ist, wer von einem Versicherer oder als Untervertreter eines Versicherungsvertreters mit der gewerbsmäßigen Vermittlung oder dem Abschluss von Versicherungsverträgen betraut wird (§ 59 Abs. 2 VVG). In Abweichung vom HV-Begriff der § 84 Abs. 1, § 92 Abs. 1 reicht auch die gelegentliche Betrauung aus.170 Der von mehreren Versicherern betraute Mehrfirmenvertreter ist ebenfalls Versicherungsvertreter i. S. d. § 59 Abs. 2 VVG, angeblich jedoch nicht ein HV, der als Untervertreter für einen Makler tätig wird.171 Der Versicherungsmakler ist definiert als jemand, der gewerbsmäßig für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherer oder Versicherungsvertreter damit betraut zu sein (§ 59 Abs. 3 S. 1 VVG). Die Abgrenzung zwischen Versicherungsmakler und Versicherungsvertreter i. S. d. VVG richtet sich also danach, ob der Vermittler von einem Versicherer (Versicherungsvertreter) oder dem Kunden (Versicherungsmakler) mit der Vermittlung beauftragt wurde.172 Auch die Definition des Versicherungsmaklers stimmt mit dem Begriff des Handelsmaklers nach § 93 Abs. 1 nicht überein. Wegen der Erweiterung des Versicherungsvertreterbegriffs auf Gelegenheitsvermittler und Mehrfirmenvertreter ist nicht entscheidend, ob der Vermittler vom Versicherer „ständig“ mit der Versicherungsvermittlung betraut ist oder nicht. Aus diesem Grund disponiert die Eintragung in das Register nicht über die zivilrechtlichen Rechtsfolgen, und zwar bereits deshalb nicht, weil die Parteien nicht auf diese Weise die zivilrechtlichen Folgen verschieben dürfen (zur Paralleldiskussion bei der Abgrenzung zum Arbeitnehmer d. Kommentierung zu § 84). 33 Der Oberbegriff der Versicherungsvermittlung ist nicht zu eng auszulegen173 (s. o.). Sie ist abzugrenzen von Tätigkeiten, die ausschließlich darauf gerichtet sind, Möglichkeiten zum Abschluss von Versicherungsverträgen namhaft zu machen oder Kontakte zwischen einem potentiellen VN und einem Versicherungsvermittler bzw. Versicherer herzustellen,174 zudem von der Bestandsverwaltung.175 Die Versicherungsvermittlung erfordert eine Tätigkeit, die objektiv betrachtet176 auf den konkreten Abschluss eines Versicherungsvertrages gerichtet ist.177 Auf den Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 8. Werber VersR 2019, 321 (324). Werber VersR 2019, 321 (324). Werber VersR 2019, 321 (325). Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (155); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 8. KG, Urt. v. 10.5.2016, 4 U 109/13, zit. nach Evers VW 12/2017, S. 59. BGH, Urt. v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797 Rn 20; Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (155). BGH VersR 2018, 1383, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 7/13, WM 2014, 553 = BeckRS 2014, 05327; Werber VersR 2019, 321 (325); Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 34d GewO Rn 6. 174 Begr. zum RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlungsrechts, S. 17; BGH, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 7/13, WM 2014, 553 = BeckRS 2014, 05327; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 11. Dazu auch EuGH, Urt. v. 31.5.2018 – C-542/16, BeckRS 2018, 9757 Rn 40, 43. 175 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 10. 176 EuGH, Urt. v. 31.5.2018 – C-542/16, BeckRS 2018, 9757 Rn 40, 43. 177 BGH, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 7/13, WM 2014, 553 = BeckRS 2014, 05327; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 9; Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 34d GewO Rn 7; Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 32.

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Erfolg des Vermittlungsversuches kommt es nicht an.178 Maßgeblich ist das objektive Erscheinungsbild der Tätigkeit. Bloße Vorbereitungshandlungen179 und die Tätigkeit als Tippgeber,180 wie sie auch in den Kommentaren zu § 84 aus dem Bereich der Handelsvertretertätigkeit ausgenommen werden,181 gelten aber trotz des weiten VV-Begriffs zumindest im Rahmen des § 34d GewO nicht als Versicherungsvermittlung.182 Eine Bestandspflege kann aber in die Versicherungsvermittlung übergehen, wenn damit – insb. eine werbende Provision generierende – Vertragsänderung intendiert wird, etwa bei der Anpassung, Änderung oder Neubegründung von Verträgen.183 Das Gleiche soll gelten, sofern die Verwaltung eines Versicherungsbestandes die laufende Pflicht zur betreuenden Beratung ergibt, z. B. ob die Risiken noch vollständig abgedeckt sind. Denn dies könne regelmäßig zu einem Vertragsschluss oder einer Änderung führen.184 Das ist in dieser Weite problematisch, kann aber jedenfalls nicht richtig sein, wenn die zur Vermittlung erforderlichen Informationen vom Handelnden nur an den Außendienst weitergeleitet werden. Die Versicherungsvermittlung muss – objektiv bestimmt, so der EuGH185 – auf den Abschluss eines Versicherungsvertrages zwischen dem Versicherungsinteressenten und dem Versicherer abzielen. Dies entspricht der Definition der Versicherungsvermittlung in Art. 2 Nr. 3 Vermittlerrichtlinie oder der Definition des Versicherungsvertriebs in Art. 2 (1) IDD-RL, in der von Verträgen die Rede ist.186 Wörtlich heißt es in den Erwägungsgründen der IDD187: „Diese Richtlinie sollte keine Anwendung auf rein vorbereitende Tätigkeiten finden, bestehend in der Weitergabe von Daten und Informationen über potenzielle Versicherungsnehmer an Versicherungs- oder Rückversicherungsvermittler bzw. -unternehmen oder in der Weitergabe von Informationen über Versicherungs- oder Rückversicherungsprodukte, oder über einen Versicherungs- oder Rückversicherungsvermittler bzw. ein Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen an potenzielle Versicherungsnehmer“. Vor dem Hintergrund dieser Erwägungsgründe ändert auch der Umstand, dass gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 IDD-RL auch Vorbereitungsarbeiten zum Abschluss von Versicherungsverträgen von dem Begriff des Versicherungsvertriebs und damit von dem der Versicherungsvermittlung gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 IDD-RL erfasst sind,188 nichts an der hier vertretenen Abgrenzung der Vorbereitungsmaßnahmen. Denn gleichwohl kann nicht jede Vorbereitungshandlung, auch eine solche untergeordneter Natur, als Versicherungsvermittlung eingeordnet werden. Ersichtlich wollte bereits der IDD-Richtliniengeber, sollte es darauf für die Auslegung der GewO ankommen, untergeordnete Tätigkeiten und einige Vorbereitungshandlungen aus dem Anwendungsbereich der RL ausnehmen. Die Abgrenzung ist letztlich eine solche des Einzelfalls189. So sollen reine Werbemaßnahmen als vorbereitende Handlung,190 das bloße Herstellen des Kontaktes zwischen Interessenten 178 Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 43. 179 Emde ZVertriebsR 2018, 292 (293); Emde/van der Veer VersR 2018, 1285 ff.; Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 34d GewO Rn 7. 180 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/1935, S. 17; Reiff VersR 2015, 649 (650); Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 34d GewO Rn 7; Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 37. 181 Diese zivilrechtliche Qualifikation ist zumindest indiziell heranzuziehen, weil § 34d Abs. 1 GewO auf die zivilrechtlichen Begriffe des VV sowie des Versicherungsmaklers rekurriert. 182 Emde/van der Veer VersR 2018, 1285 (1290); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 9/10. 183 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 10. 184 Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 30. 185 EuGH, Urt. v. 31.5.2018 – C-542/16, BeckRS 2018, 9757 Rn 40, 43. 186 Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34 Rn 34. 187 IDD Erwägungsgrund Nr. 13. 188 Siehe dazu EuGH, Urt. v. 31.5.2018 – C 542/16, BeckRS 2018, 9757 Rn 36 ff.; Emde/van der Veer VersR 2018, 1285 ff. 189 Emde ZVertriebsR 2018, 292 (293). 190 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 10. 789

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und Anbieter,191 das Namhaftmachen von Geschäftsmöglichkeiten,192 das Handeln mit Namensund Adressdaten193 sowie das Erheben und Weitergeben von Daten des potentiell zu versichernden Risikos194 keine Versicherungsvermittlung darstellen. Letztlich kommt es auf den Grad der Konkretisierung des potentiellen Vertragsschlusses an.195 Je mehr der Tätige berät und empfiehlt und je näher er dem Vertragsschluss steht, umso eher dürfte eine Versicherungsvermittlung anzunehmen sein.196 Zielt die Tätigkeit nicht auf eine konkrete Willenserklärung des Interessenten, die gegenüber dem Handelnden abgegeben werden soll, spricht dies für eine bloße Vorbereitungshandlung.197 Das ist aber nur ein Indiz. Versicherungsvermittlung kann gleichwohl vorliegen, obwohl die Willenserklärung gegenüber einem Dritten oder dem Versicherer abgegeben wird. Bloße Serviceleistungen durch Tochtergesellschaften von Versicherern, soweit die Tätigkeit nicht ohnehin (analog) § 6 GewO von den Vorschriften der GewO befreit ist, sind u. U. nicht als Versicherungsvermittlung zu qualifizieren, etwa Tätigkeiten bis hin zur Aufnahme von Daten potentiell am Versicherungsschutz Interessierter und deren Weitergabe an den Außendienst.198 Die Art der Vergütung, am Abschluss orientiert oder nicht, mag ein Indiz für die Einordnung als Versicherungsvermittler sein. Ebenso wenig wie die HV-Tätigkeit jedoch an der Zahlung einer Provision hängt, lässt sich der Art der Vergütung Abschließendes entnehmen.199 Die vertraglichen Absprachen zwischen dem Tätigen und dem Versicherer sind wie auch ihre Betitelung gleichfalls nicht entscheidend.200 So kann selbst ein HV als Tippgeber tätig werden,201 ebenso ein allgemeiner Geschäftsbesorger als Versicherungsvermittler. Insbesondere umgangssprachliche Bezeichnungen und Schlagworte, wie etwa die des CallCenters, sind für sich unergiebig. Wie auch ein Call-Center HV sein kann, ist es theoretisch denkbar, dass es je nach der Aufgabengestaltung als Versicherungsvermittler i. S. d. § 34d GewO einzuordnen ist. Dies setzt aber voraus, dass das Call-Center selbst über die Tätigkeit eines Tippgebers und Hilfeleisters hinaus beauftragt ist, auf den Kunden im Sinne eines Vertragsschlusses einzuwirken.202 Eine bloße Hilfstätigkeit, wie die Aufnahme von Daten und die Weitergabe an den Außendienst, damit dieser endgültig im Sinne eines Vertragsschlusses auf den prospektiven VN einwirkt, genügt meist nicht. Zu beachten ist der Rechtsscheintatbestand des § 59 Abs. 3 S. 2 VVG. Hiernach ist auch derjenige als Makler anzusehen, der den Anschein erweckt, er erbringe seine Leistung als Versicherungsmakler. Erfasst sind damit auch sog. Pseudomakler, die den Schein hervorrufen, sie seien freie Versicherungsmakler, tatsächlich aber an ein oder mehrere Versicherungsunternehmen gebunden sind.203 Ob der VN von einem solchen Anschein ausgehen kann, beurteilt sich nach denselben Kriterien wie für die Duldungs- und Anscheinsvollmacht.204 Durch einen Hinweis in der Versicherungspolice, dass die Betreuung von einem namentlich mit Kontaktdaten angeführten Versicherungsmakler erfolgt, wird der Anschein eines besonderen Näheverhält191 192 193 194

Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 10. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 10. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 10. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 10; Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 37/

38. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 11/12. Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 34d GewO Rn 8. Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 34d GewO Rn 7. Emde/van der Veer VersR 2018, 1285. Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 34d GewO Rn 7. BGH, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 7/13, WM 2014, 553 = BeckRS 2014, 05327. Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 34d GewO Rn 7. Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 40. Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (157); Jahn/Klein DB 2007, 957 (960); s. a. BGH, Urt. v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797. 204 OGH Wien, Urt. v. 16.10.2015 – 7 Ob 161/2015z, VersR 2016, 485 zum Recht Österreichs.

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nisses gegeben.205 Gegenüber dem Kunden liegt im Falle einer solchen Tätigkeit ein Interessenkonflikt vor. Denn der HV ist aufgrund des HV-Vertrages verpflichtet, die Unternehmerinteressen wahrzunehmen und kann deshalb nicht so, wie es ein Makler müsste, die Interessen des Kunden wahren.206 Versicherungsberater ist, wer gewerbsmäßig Dritte bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen oder bei der Wahrnehmung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen im Versicherungsfall berät oder der den Versicherer außergerichtlich vertritt, ohne von einem Versicherer einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten oder in anderer Weise von ihm abhängig zu sein (§ 59 Abs. 4 VVG).207 VV, die einen digitalen Vertriebsweg nutzen, haben die rechtlichen Vorgaben für Versicherungsvermittler zu beachten208. Die unter § 60 VVG geregelten und auch im Internetvertrieb209 geltenden Informations- 42 pflichten betreffen den durch den Versicherungsvermittler zu vermittelnden Versicherungsvertrag210 und sind von den sog. statusbezogenen Informationspflichten zu unterscheiden, wie sie sich aus § 15 VersVermV ergeben.211 Nach Ansicht von Werber212 begründen sowohl die RL zum Versicherungsvertrieb und auch Art. 20 Abs. 1 IDD213 keine strikte Beratungspflicht. § 61 VVG gehe über deren Vorgaben hinaus.214 Nach § 15 Abs. 1 VersVermV hat der Gewerbetreibende dem VN beim ersten Geschäftskontakt u. a. folgende Angaben zu geben: 1. seinen Familiennamen und Vornamen sowie die Firmen der Personenhandelsgesellschaf- 43 ten, in denen der Eintragungspflichtige als geschäftsführender Gesellschafter tätig ist, 2. seine betriebliche Anschrift, 3. ob er a) als Versicherungsmakler aa) mit einer Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO, bb) mit Ausnahme von der Erlaubnispflicht nach § 34d Abs. 6 GewO als produktakzessorischer Versicherungsmakler, b) als Versicherungsvertreter aa) mit einer Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO, bb) nach § 34d Abs. 7 S. 1 Nr. 1 GewO als gebundener Versicherungsvertreter, cc) mit Ausnahme von der Erlaubnispflicht nach § 34d Abs. 6 GewO als produktakzessorischer Versicherungsvertreter oder c) als Versicherungsberater mit Erlaubnis nach § 34d Abs. 2 GewO bei der zuständigen Behörde gemeldet und in das Vermittlerregister nach § 34d Abs. 10 GewO eingetragen ist und wie sich diese Eintragung überprüfen lässt, 4. ob er eine Beratung anbietet, 5. die Art der Vergütung, die er im Zusammenhang mit der Vermittlung erhält, 6. ob die Vergütung direkt vom Kunden zu zahlen ist oder als Provision oder sonstige Vergütung in der Versicherungsprämie enthalten ist, 7. ob er als Vergütung andere Zuwendungen erhält, 8. ob seine Vergütung aus einer Verknüpfung der in den Nrn. 6 und 7 genannten Vergütungen besteht, 9. Anschrift, Telefonnummer und die Internetadresse der gemeinsamen Stelle im Sinne des § 11a Abs. 1 Gew und die Registrierungsnummer, unter der er im Register eingetragen ist, 10. die unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen von über 10 %, die er an den Stimmrechten oder am Kapital eines Versicherungsunternehmens besitzt, 11. die Versicherungsunternehmen oder Mutterunternehmen eines Versicherungsunternehmens, die eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von über 10 % an den Stimmrechten oder am Kapital des Informationspflichtigen besitzen, 12. die Anschrift der Schlichtungsstelle, die bei Streitigkeiten zwischen Versicherungsvermittlern oder Versicherungsberatern und Versicherungsnehmern angerufen werden kann.

205 OGH Wien, Urt. v. 16.10.2015 – 7 Ob 161/2015z, VersR 2016, 485 zum Recht Österreichs. 206 BGH, Urt. v. 1.3.2012 – III ZR 213/11, r+s 2012, 627; v. 1.4.1992 – IV ZR 154/91, NJW 1992, 2818. 207 Dazu etwa Werber VersR 2019, 321 (322 f.), der die Abgrenzung vom Makler vorwiegend auf formale Aspekte begrenzt sieht. 208 Fischer BB 2016, 3082. 209 OLG München, Urt. v. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, VersR 2017, 1270. 210 Speziell zu den Aufklärungspflichten bei der Vermittlung von Lebensversicherungsverträgen Reinecke VersR 2015, 533. 211 Baumann in: Looschelders/Pohlmann, VVG, § 60 Rn 24. 212 Werber VersR 2019, 321 (325). 213 Werber VersR 2019, 321 (328). 214 Werber VersR 2019, 321 (325). 791

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Ein Verstoß bildet ein Unterlassungsbegehren sowie Schadenersatz rechtfertigendes wettbewerbswidriges Verhalten.215 § 15 Abs. 1 VersVermV stellt eine Marktverhaltensregelung gem. § 3a UWG dar, § 4 Nr. 11 UWG.216 Denn § 15 Abs. 1 VersVermV stellt eine Marktverhaltensregelung gem. § 3a UWG dar, § 4 Nr. 11 UWG.217 Der Kunde soll u. a. wissen, ob der Außendienstmitarbeiter „provisionsgetrieben“ ist.218 Es muss nur über die Art der Vergütung, nicht aber über deren Höhe informiert werden.219 Dass die Höhe der Provision nicht mitgeteilt werden soll ist angesichts des Transparenzkonzeptes inkonsequent.220 Um der angestrebten Warnfunktion nachzukommen, ist allein zu fordern, dass die in § 15 VersVermV genannten Informationen rechtzeitig vor dem ersten konkreten Geschäftsabschluss mitgeteilt werden.221 Das Gleiche gilt aber nicht bei schriftlichen Kontakten, wenn sie ohne vorherige Beratung auf fernmündliche Voranfrage übermittelt werden.222 Der „erste Geschäftskontakt“ ist dabei von der bloßen Anbahnungsphase zu unterscheiden. Eine telefonische Voranfrage eines Interessenten liegt noch im Bereich der Anbahnungsphase. Dies gilt ebenso für ein daraufhin abgegebenes „Angebot“, welches im Bereich der Versicherungsvermittlung regelmäßig erst zu einem persönlichen Beratungsgespräch und erst danach eventuell zum Vertragsschluss führt.223 Darin, dass der Mittler Informationen nicht schon bei Abgabe telefonisch erbetener Angebote vollständig erteilt, liegt kein Verstoß gegen § 15 VersVermV. Die bloße Abrufbarkeit der Angaben auf einer gewöhnlichen Website des VV soll nicht ausreichen, die Anforderungen des § 15 VersVermV (Textform) zu erfüllen.224 Das bloße Bereitstellen der statusbezogenen Informationen am Ende einer Website genügt nicht den Anforderungen des § 15 VersVermV.225 Ein „erster Geschäftskontakt“ liegt bei einem digitalen Umfeld erst vor, wenn aus dem Verhalten des Nutzers klar hervorgeht, dass er an einer Vermittlung eines Versicherungsvertrages interessiert ist. Das bloße Aufrufen der Website genügt nicht. Es ist erforderlich, dass konkrete Versicherungsfragen geklärt werden sollen,226 z. B., sofern der VN sich über die Website Informationen zu einer bestimmten Versicherungsart beschafft.227 Bei Versicherungsvermittler-Apps tritt der erste Geschäftskontakt mit der Registrierung ein. Dies gilt jedenfalls für Apps, bei denen für den normalen Nutzer nicht unmittelbar erkennbar ist, dass es sich bei den angebotenen Leistungen um Versicherungsvermittlung handelt.228 45 Der Versicherungsmakler ist gem. § 60 Abs. 1 VVG dazu verpflichtet, seinen Rat auf Grundlage einer hinreichenden Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen zu erteilen, um nach fachlichen Kriterien eine Empfehlung abgeben zu können, welcher der angebotenen Verträge die Bedürfnisse des Kunden erfüllt, es sei denn, der Makler weist gem. § 60 Abs. 1 S. 2 VVG den Kunden vor Abgabe seiner Vertragserklärung darauf hin, dass er nur auf Grund einer eingeschränkten Versicherer- und Vertragsauswahl berät.229 Korrespondierend besteht eine entsprechende Informationspflicht des Unternehmers.230

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Hansen VersR 2011, 119. OLG München, Urt. v. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, WM 2018, 274 (277). OLG München, Urt. v. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, WM 2018, 274 (277). Gruber/Baier VersR 2018, 1093 (1097). Gruber/Baier VersR 2018, 1093 (1097). Gruber/Baier VersR 2018, 1093 (1097). OLG Schleswig, Urt. v. 25.5.2010 – 6 U 19/10, VersR 2011, 114 m. Anm. Hansen; Hansen VersR 2011, 119. AA Hansen VersR 2011, 120. OLG Schleswig, Urt. v. 25.5.2010 – 6 U 19/10, VersR 2011, 114 m. Anm. Hansen. OLG München, Urt. v. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, WM 2018, 274 (277). LG München I, Urt. v. 13.7.2016 – 37 O 15268/15. Fischer BB 2016, 3082 (3085). Fischer BB 2016, 3082 (3086). Fischer BB 2016, 3082 (3086). Hierzu Werber VersR 2010, 553 ff. OLG Köln, Urt. v. 12.4.2013 – 19 U 101/12, BeckRS 2013, 16685.

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Der VV hat dem VN mitzuteilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage er seinen 46 Rat erteilt und den Namen der Versicherer zu nennen, die seinem Rat zu Grunde liegen (§ 60 Abs. 2 S. 1 VVG). Zudem hat der VV anzugeben, für welche Versicherer er tätig ist und ob er ausschließlich für jene tätig ist (§ 60 Abs. 2 S. 2 VVG). Die Angaben nach § 60 Abs. 2 VVG sind dem VN vor Abgabe seiner Vertragserklärung zu übermitteln (§ 62 Abs. 1 VVG). Bei Gewährung vorläufiger Deckung oder wenn der VN dies wünscht, können die in § 62 Abs. 1 VVG genannten Daten auch mündlich erteilt werden (§ 62 Abs. 2 S. 1 VVG). Die Informationen sind unverzüglich nach Vertragsschluss und spätestens mit dem Versicherungsschein dem VN in Textform zur Verfügung zu stellen (§ 62 Abs. 2 Hs. 1 VVG). Bei einer Pflichtversicherung ist die Information in Textform nicht nachzuholen, § 62 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 VVG.231 Für die Erfüllung der Beratungspflicht haften Versicherer und Vermittler gesamtschuldnerisch.232 Eine schuldhafte Verletzung führt gem. § 6 Abs. 5 S. 1 bzw. § 63 S. 1 VVG zum Schadenersatzrecht des VN gegenüber Versicherer bzw. Vermittler.233 § 61 Abs. 1 VVG normiert als eine seiner zentralen Pflichten234 die schadenersatzbewehr- 47 235 te Befragungs- und ggf. Beratungspflicht des Vermittlers.236 Sie ist zu unterscheiden von der Informationspflicht der Versicherer, welche durch die aufgrund des § 7 Abs. 2 und 3 VVG erlassene InformationspflichtenVO (VVG-InfoV)237 konkretisiert wird und ausschließlich den Versicherer trifft. Der Vermittler ist verpflichtet, den VN nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen,238 ihn ggf. zu beraten und die Gründe für jeden erteilten Rat anzugeben. Jene Beratungspflicht239 besteht, sobald die Schwierigkeiten der angebotenen Versicherung oder die Person des VN zur Beratung Anlass geben. Diese anlassbezogene Beratung basiert im Wesentlichen auf der Rspr.240 vor der Umsetzung der Vermittlerrichtlinietraflichch den VRn VR tritt.n.erhalten, herungsmakler trifft. Erfüllungshaftung nun auch den Versicherungsvertreter und ai. Eher fernliegend ist die Ansicht, § 61 Abs. 1 S. 1 VVG begründe keine eigenständige Prüfungspflicht des VV gegenüber dem VN.241 Bei der Beratung ist ein angemessenes Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und den zu zahlenden Prämien zu berücksichtigen ist. Die Art und der Umfang der Beratung hängt von dem erkennbaren Aufklärungsbedarf des Kunden und den sonstigen Umständen des Einzelfalls ab.242 In der Literatur243 werden die in § 61 Abs. 1 VVG statuierten Beratungspflichten regelmäßig in eine bedarfsbezogene und produktbezogene Beratung untergliedert. Bei der bedarfsbezogenen Beratung geht es um die Ermittlung des Versicherungsbedarfs und die Empfehlung eines geeigneten Versicherungsprodukts. Die produktbezogene Be-

231 BT-Drucks. 16/1935, S. 25. 232 Blankenburg VersR 2008, 1446; Werber VersR 2007, 1153 (1154). Die dafür erforderlichen Rückstellungen der Versicherer sollen nach Werber VersR 2010, 553 (555) zur Reduzierung der Zahl der VV und Entlassung in die „Pseudomaklerschaft“ geführt haben. 233 Blankenburg VersR 2008, 1446. 234 BGH, Urt. v. 12.12.2013 – III ZR 124/13, DB 2014, 176 Rn 14; v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797 = WRP 2014, 57 Rn 21. 235 BGH, Urt. v. 12.12.2013 – III ZR 124/13, DB 2014, 176 Rn 14; v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797 = WRP 2014, 57 Rn 21; OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481). 236 Blankenburg VersR 2008, 1446. 237 VVG Informationspflichtenverordnung vom 18.12.2007; Begründung in VersR 2008, 183; hierzu Präve VersR 2008, 151. 238 Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285 (289). 239 Es handelt sich um eine Pflicht, die von Art. 20 Abs. 1 IDD vorgegeben ist, s. Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285 (289). 240 BGH VersR 1964, 36; 67, 25; OLG Köln r+s 1989, 124; VersR 1996, 1265; 1997, 1530; OLG Hamm VersR 1992, 49; r+s 1996, 30; OLG Koblenz r+s 1997, 93; OLG Frankfurt/M. VersR 2008, 406. 241 AA OLG München, Urt. v. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, WM 2018, 274 (275). 242 OLG Hamm, Beschl. v. 23.8.2017 – 20 U 38/17, VersR 2018, 222 (223). 243 Vgl. MünchKomm/VVG/Reiff 1. Aufl. 2010 § 61 Rn 10 ff.; Prölss/Martin/Dörner, VVG 28. Aufl. 2010 § 61 Rn 8; Looschelders/Pohlmann/Baumann, VVG, 1. Aufl. 2010, § 61 Rn 5 ff. 793

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ratung beschreibt die persönliche, speziell auf die die versicherungsbezogene Situation des einzelnen VN abgestimmte Produktaufklärung. Ausgehend von den gesetzlichen Regelungen unterscheidet sich die Beratungsleistung des VV von der des Versicherungsmaklers bei der Bedarfsermittlung nur durch die unterschiedliche Beratungsgrundlage. Versicherungsmakler müssen ihrer Produktempfehlung eine Marktuntersuchung zugrunde legen, während VV nur Produkte des mit ihnen verbundenen Versicherers empfehlen. Die Beratung ist gem. § 61 Abs. 1 S. 2 VVG unter Berücksichtigung der Komplexität des Vertrages zu dokumentieren244 (dazu unten, zu § 62 VVG); die nach § 61 Abs. 1 VVG zu erteilenden Informationen sind dem VN vor Abschluss des Vertrages in klarer und verständlicher Weise in Textform zu übermitteln. Allerdings stehen § 62 Abs. 1 VVG und § 59 Abs. 1 S. 2 VVG, denen zufolge die Informationen nach § 61 Abs. 1 VVG in Textform zu erteilen sind, sowie § 6a VVG, demzufolge der zu erteilende Rat und die Gründe hierfür dem VN auf Papier zu übermitteln sind, in Widerspruch.245 Im Zweifel dürfte die für den Mittler günstigere Textform maßgeblich sein.246 Der VV schuldet im Vergleich zum Versicherungsmakler nur eine eingeschränkte Produktberatung, weil sich diese zunächst nur auf die Versicherungsprodukte bezieht, welche von der Beratungsgrundlage umfasst sind.247 Es kann von einem VV auch nicht erwartet werden, dass er seine eigene Marktposition etwa durch einen Hinweis auf die günstigeren Tarife der Konkurrenz oder den geringeren Deckungsumfang des eigenen Produkts verschlechtert.248 Ebenso wenig wie der Anlagen vermittelnde HV muss ein VV über die Höhe seiner Provision und sein dahin gehendes Eigeninteresse aufklären.249 Bei Maklern könnte eine solche Aufklärungspflicht diskutiert werden.250 Die anlassbezogene Beratungspflicht umfasst jedenfalls alle Umstände, die für den Entschluss des künftigen VN von wesentlicher Bedeutung sein können; sie beschränkt sich nicht nur auf den vermittelten Vertrag, sondern kann sich auch auf weitere Konsequenzen des Vertragsschlusses erstrecken.251 Halbwahre oder beschönigende Angaben stellen einen Beratungsmangel dar.252 Die Beratungspflicht ist bei komplexeren Produkten i. d. R. höher als bei einfachen Standardverträgen.253 Bei einer Nettopolice zählt zur Beratung ein deutlicher Hinweis auf das Schicksal der eingezahlten Prämien und die etwaige Verpflichtung, Provisionszahlungen auch nach einer vorzeitigen Vertragskündigung weiter erbringen zu müssen.254 Auch der VV hat aber über solche Punkte, die für den Abschluss des konkreten Vertrages üblicherweise von wesentlicher Bedeutung sind, aufzuklären und Irrtümer und Fehlvorstellungen in zentralen Punkten richtig zu stellen,255 etwa zum Deckungsumfang256 (erkennbarer Beratungsanlass). Gibt ein HV vor, Makler zu sein, so liegt gegenüber dem Kunden ein Interessenkonflikt vor. Denn der HV ist aufgrund des HV-Vertrages verpflichtet, die Unternehmerinteressen wahrzunehmen und kann deshalb

244 Jahn/Klein DB 2007, 957 (960); zur Verkörperung dieser Dokumentation auf einer Internet-Homepage EFTAGerichtshof, Urt. v. 27.1.2010 (E-4/09), VersR 2010, 793 m. Anm. Reiff zur Bedeutung für § 62 VVG.

245 Reiff VersR 2018, 193 (202). 246 Reiff VersR 2018, 193 (202). 247 OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481); OLG München, Schlussurt. v. 22.6.2012 – 25 U 3343/11, BeckRS 2012, 15241. 248 OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481); OLG München, Schlussurt. v. 22.6.2012 – 25 U 3343/11, BeckRS 2012, 15241. 249 Witte/Weber VersR 2011, 1103 (1105). 250 Witte/Weber VersR 2011, 1103 (1105). 251 LG Saarbrücken, Urt. v. 16.4.2013 – 14 S 11/02, VersR 2013, 759 (760). 252 OLG München, Schlussurt. v. 22.6.2012 – 25 U 3343/11, BeckRS 2012, 15241. 253 LG Saarbrücken, Urt. v. 16.4.2013 – 14 S 11/02, VersR 2013, 759 (760). 254 OLG Hamm, Beschl. v. 23.8.2017 – 20 U 38/17, VersR 2018, 222; LG Saarbrücken, Urt. v. 16.4.2013 – 14 S 11/02, VersR 2013, 759 (760) m. insoweit krit. Anm. Reiff. 255 OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481); OLG München, Schlussurt. v. 22.6.2012 – 25 U 3343/11, BeckRS 2012, 15241. 256 OGH Wien, Urt. v. 28.10.2009 – 7 Ob 94/09p, VersR 2010, 1342 (1343) – zum österreichischen Recht. Emde

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nicht so, wie es ein Makler müsste, die Interessen des Kunden wahren.257 Bei einer Kapitallebensversicherung handelt es sich regelmäßig um einen komplizierten und damit besonders beratungsbedürftigen Versicherungsvertrag.258 Der Beratungsbedarf ist besonders hoch, wenn der VN beabsichtigt, zu einem neuen Versicherer zu wechseln.259 Ein VV muss seine Kunden etwa darüber aufklären, welche Konsequenzen und Risiken ein Wechsel in die private Krankenversicherung für einen schon 56-jährigen VN ohne Altersrückstellung und mit geringer, zu erwartender Altersrente haben kann.260 Geht es um einen beabsichtigten Versichererwechsel unter Kündigung des Vertrages von bisherigen Mitbewerbern in einem existenziell bedeutsamen Bereich, in dem Versicherungsschutz, insb. wegen des Erfordernisses einer Gesundheitsprüfung, nicht ohne Weiteres erlangt werden kann, so sind die an den VV gestellten Anforderungen an eine sachgerechte Aufklärung und Beratung besonders hoch.261 Der Vermittler muss seinen Kunden insb. auf die Folgen und Risiken des Versicherwechsels deutlich hinweisen.262 Es ist zu beachten, dass der VN i,d.R. weder eine Deckungslücke noch eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes in Kauf nehmen will.263 Daher besteht eine Aufklärungspflicht über einen Risikoausschluss, wenn erkennbar ist, dass der VN den Versicherungsschutz gerade für ein ausgeschlossenes Risiko anstrebt.264 Stellt sich der Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft dar, ist der Versicherer zur Aufklärung entsprechend den Grundsätzen bei Anlagegeschäften verpflichtet und hat über alle Umstände verständlich und vollständig zu informieren, die für den Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind.265 Dies ist der Fall, wenn bei einer Kapitallebensversicherung der geschuldete 6-stellige Einmalbetrag vom VN kreditfinanziert wurde266 oder die Todesfallleistung bei Vertragsschluss zunächst 110 % des Deckungskapitals beträgt und sodann über die Anschubzeit auf 100 % absinkt.267 Über Vertragsänderungen während der Vertragslaufzeit muss der Versicherer, jedoch nicht der Vermittler, aufklären.268 Der Mittler muss folglich nicht über Umstellung des Vertrages auf neue Versicherungsbedingungen aufklären.269 Weil der VV nur eine anlassbezogene Beratung schuldet, muss er angeblich nicht prüfen, ob die Versicherungsbedingungen das erkennbare Versicherungsbedürfnis voll abdecken.270 Insbesondere liegt ein pflichtwidriges Verhalten vor, sofern der VN in irrigen Vorstellungen über den Inhalt des Versicherungsprodukts bestärkt wird.271 § 61 Abs. 1 S. 1 VVG enthält eine Marktverhaltensregelung

257 BGH, Urt. v. 1.3.2012 – III ZR 213/11, r+s 2012, 627; v. 1.4.1992 – IV ZR 154/91, NJW 1992, 2818. 258 Gesetzbegründung der BR, BT-Drucks. 16/1935 S. 24; BGH, Urt. v. 13.11.2014 – III ZR 544/13, WM 2015, 126 = DB 2015, 183 = EWiR 2015, 215 (Weber) Rn 12; OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481); LG Saarbrücken, Urt. v. 16.4.2013 – 14 S 11/02, VersR 2013, 759 (760); MünchKommVVG/Reiff, § 61 Rn 6. 259 OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481); OLG München, Schlussurt. v. 22.6.2012 – 25 U 3343/11, BeckRS 2012, 15241. 260 OLG Hamm, Urt. v. 24.6.2015 – 20 U 116/13, VersR 2016, 394. 261 OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481). 262 BGH, Urt. v. 13.11.2014 – III ZR 544/13, WM 2015, 126 = DB 2015, 183 = EWiR 2015, 215 (Weber) Rn 12; OLG Stuttgart BeckRS 2011, 02562 m. w. N.; OLG Saarbrücken VersR 2011, 1441, (1443) – für Versicherungsmakler; OLG München VersR 2012, 1292 (1293) – für eine Krankenversicherung; Prölss/Martin/Dörner § 61 Rn 27; MünchKommVVG/Reiff § 61 Rn 11. 263 OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481). 264 OGH Wien, Urt. v. 28.10.2009 – 7 Ob 94/09p, VersR 2010, 1342 (1343). 265 OLG Dresden, Urt. v. 3.7.2018 – 4 U 1189/17, VersR 2019, 681; LG Saarbrücken, Urt. v. 16.4.2013 – 14 S 11/02, VersR 2013, 759 (760). 266 KG, Hinweisbeschl. v. 30.1.2018 – 6 U 57/16, NJW-RR 2018, 608. 267 OLG Dresden, Urt. v. 3.7.2018 – 4 U 1189/17, VersR 2019, 681. 268 LG Ingolstadt, Urt. v. 29.12.2010 – 33 O 136/10, VersR 2012, 1301. 269 LG Ingolstadt, Urt. v. 29.12.2010 – 33 O 136/10, VersR 2012, 1301. 270 OGH Wien, Urt. v. 28.10.2009 – 7 Ob 94/09p, VersR 2010, 1342 (1343) – zum österreichischen Recht. 271 OGH Wien, Urt. v. 28.10.2009 – 7 Ob 94/09p, VersR 2010, 1342 (1343). 795

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i. S. d. § 3a UWG.272 Verkennt der VV, dass eine Befragung und Beratung erforderlich ist, darf er auch wettbewerbsrechtlich in Anspruch genommen werden.273 48 Der VV hat seine Beratung nach § 62 VVG zu dokumentieren. Aus dieser Dokumentation muss in Ansätzen nachvollzogen werden können, was der wesentliche Gesprächs- und Beratungsinhalt war. Ein schematisches Ankreuzen nach bestimmten Themenbereichen ohne Erläuterung dazu, ob einzelne Punkte ausführlich oder weniger ausführlich besprochen wurden und ohne Angaben, welche konkrete Motivation der Beratung zugrunde lag und was die wesentlichen Gründe für den Rat zu einer bestimmten Versicherung waren, reicht nicht aus, zumal wenn die Eckdaten des gewählten Produkts entgegen dem gewählten Formular nicht angegeben wurden und bei den Hinweisen zum empfohlenen Versicherungsschutz unterschiedslos „Ja“ angekreuzt wurde.274 Die Bearbeitung von ausdrücklich im Antrag festgehaltenen Fragen ist keine Information i. S. d. § 62 Abs. 1 Alt. 2 VVG.275 Diese Norm bezieht sich auf Informationen nach § 61 Abs. 1 VVG, also auf die Wünsche und Bedürfnisse des VN sowie die Gründe für den erteilten Rat.276 Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht nach § 61 Abs. 1 S. 2, § 62 VVG kann Beweiserleichterungen zugunsten des VN bis hin zu einer Beweislastumkehr nach sich ziehen (dazu unten, zur Beweislast). 49 Die Aufklärungspflicht kann nicht wirksam ausgeschlossen werden, da von §§ 6, 7, 67 VVG nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden darf.277 Versicherer und Vermittler können jedoch von ihren Pflichten entbunden werden (§§ 6 Abs. 3, Abs. 4 S. 2, 7 Abs. 1 S. 2, 61 Abs. 2 VVG). Der Verzicht auf Beratung oder Dokumentation ist nach § 61 Abs. 2 VVG nur durch gesonderte Erklärung des VN möglich, die gem. § 6 Abs. 3 S. 2, 61 Abs. 2 VVG im Fernabsatz und anlässlich der Beratung im laufenden Versicherungsverhältnis in der Textform des § 126b BGB278 erklärt werden darf. Dies setzt ein eigenes Dokument voraus, mithin ein „Extrablatt“.279 Die Verzichtserklärung muss den Hinweis enthalten, dass sich ein solcher Verzicht nachteilig auf die Geltendmachung eines möglichen Schadenersatzanspruches nach § 63 VVG auswirken kann. 50 Nachdem § 61 VVG Beratungspflichten des VV vorschreibt, besteht auch zwischen VN und VV ein haftungsrechtliches Band. Regelungen zur Haftungsbeschränkung sind daher denkbar.280 Sofern Versicherer und VV gesamtschuldnerisch haften, beantwortet sich die Frage des Innenausgleichs nach dem Agenturvertrag bzw. in Ermangelung entsprechender Regelung nach dem Maß der Mitverursachung.281 Nach Ansicht von Werber282 kommt die Haftungsbeschränkung zwischen Vertreter und VN auch dem Versicherer zugute und damit mittelbar über das Fehlen einer gesamtschuldnerischen Haftung auch dem VV. Da eine gesonderte schriftliche Erklärung vorliegen muss, darf die Entbindung von den Beratungspflichten nicht mittels AVB erfolgen.283 Wird eine gesonderte Verzichtserklärung als AGB vorgelegt, soll dies gem. § 307 BGB nicht zu beanstanden sein.284 Auch aus der mglw. massenhaften Verwendung solcher Verzichtserklärungen folgt keine Unwirksamkeit.285 272 273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284

OLG München, Urt. v. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, WM 2018, 274 (275). OLG München, Urt. v. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, WM 2018, 274 (275). OLG München, Schlussurt. v. 22.6.2012 – 25 U 3343/11, BeckRS 2012, 15241. OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2019 – 20 U 145/18, VersR 2019, 1295 (1296). OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2019 – 20 U 145/18, VersR 2019, 1295 (1296). Blankenburg VersR 2008, 1446 (1447). Reiff VersR 2018, 193 (201). LG Saarbrücken, Urt. v. 16.4.2013 – 14 S 11/02, VersR 2013, 759 (761). Werber VersR 2010, 553 (558). Werber VersR 2010, 553 (558). Werber VersR 2010, 553 (558). Blankenburg VersR 2008, 1446 (1447). Blankenburg VersR 2008, 1446 (1449); Gaul VersR 2007, 21 (23); aA Meixner/Steinbeck Das neue Versicherungsvertragsrecht, 2008, Rn 71. 285 Blankenburg VersR 2008, 1446 (1450). Emde

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Die Beratungs- und Dokumentationspflichten der §§ 60, 61 VVG gelten nach § 66 VVG nicht 51 für Bagatellvermittler i. S. d. § 34d Abs. 8 Nr. 1 GewO und gem. § 66 VVG auch nicht für Vermittler von Großrisiken i. S. d. des Art. 10 Abs. 1 S. 2 EGVVG. Dessen Begriff ist durch die IDD-RL komplizierter und umfangreicher geraten.286 Die Konformität der Umsetzung mit der IDD wird in Zweifel gezogen.287 Die Ausnahme des § 6 Abs. 6 VVG a. F., derzufolge die Beratungspflicht im Fernabsatz nicht besteht, wurde gestrichen. Damit erledigt sich auch das in Vertriebsrecht3 § 92 Rn 35 angesprochene Problem der analogen Anwendung.288 VV, die nach § 61 VVG verpflichtet sind greifen zunehmend auf Angebots- und Vergleichsprogramme im Internet zurück. Diese sollen in Ermangelung einer Wettbewerbsbeschränkung kartellrechtlich unbedenklich sein.289 Hinsichtlich der Beweislast gilt zu §§ 61, 62 VVG: Grundsätzlich ist es Sache des VN, eine 52 von ihm geltend gemachte Beratungspflichtverletzung darzulegen und zu beweisen.290 Der VN muss insb. beweisen, dass der Vermittler die ihm obliegende Beratungs-, Frage-, Begründungsund Dokumentationspflicht291 nach § 61 Abs. 1 VVG verletzt hat. Weiter trägt der VN die Beweislast für das Bestehen einer Beratungspflicht und den Beratungsanlass.292 Dies fällt schwer, weil dem VN damit der sog. „Negativbeweis“, also der Beweis einer negativen Tatsache, aufgebürdet wird.293 Deshalb obliegt dem VV eine sekundäre Beweislast294: Die Schwierigkeit der Beweisführung wird behoben, indem der Aufklärungs- und Beratungsverpflichtete, also der Vermittler, je nach Lage des Falles die Behauptung substantiiert bestreiten muss und dann der Aufklärungsberechtigte, also der VN, die Unrichtigkeit der Gegendarstellung zu beweisen hat.295 Der verklagte VV muss folglich die Behauptungen des VN zur objektiven Pflichtverletzung substantiiert bestreiten.296 Der VV hat darzulegen, inwieweit er den VN befragt, informiert, aufgeklärt und beraten haben will,297 zumal ihm dies mit Blick auf die ihm gesetzlich auferlegte Dokumentationspflicht (§§ 61 Abs. 1 S. 2, 62 VVG) i. d. R. unschwer gelingen dürfte298 Das Nichtvertretenmüssen ist als Einwendungstatbestand des Vermittlers formuliert.299 Auch für den Vermögensschaden ist der VN beweispflichtig.300 Zudem besteht die Vermutung beratungs- und aufklärungsgerechten Verhaltens des VN.301 Weiter kann die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des VV nach § 61 Abs. 1 S. 2, 53 § 62 VVG die Beweislast des VN bis hin zu einer Beweislastumkehr ändern.302 Die Funktion der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dokumentationspflicht liegt vornehmlich darin, dass der VN 286 Reiff VersR 2018, 193 (196). 287 Reiff VersR 2018, 193 (196). 288 Siehe hierzu Reiff VersR 2018, 193 (202) und zuletzt OLG München, Urt. v. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, WM 2018, 274 (276).

289 Schwintowski NZKart 2016, 575. 290 OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2019 – 20 U 145/18, VersR 2019, 1295 (1296); v. 23.8.2017 – 20 U 38/17, VersR 2018, 222 (223). 291 Reiff VersR 2015, 649 (654); Reiff VersR 2010, 1315. 292 Reiff VersR 2015, 649 (654). 293 Reiff VersR 2015, 649 (654). 294 OLG Hamm, Beschl. v. 23.8.2017 – 20 U 38/17, VersR 2018, 222 (223); Reiff VersR 2015, 649 (654); Reiff VersR 2010, 1315. 295 Reiff VersR 2015, 649 (654). 296 Reiff VersR 2015, 649 (654). 297 Reiff VersR 2010, 1315. 298 OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.1.2010 – 5 O 337/09 – 82, VersR 2010 1181; LG Saarbrücken, Urt. v. 16.4.2013 – 14 S 11/02, VersR 2013, 759 (761). 299 Reiff VersR 2015, 649 (654). 300 Reiff VersR 2015, 649 (655). 301 OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (482); Reiff VersR 2015, 649 (655). 302 BGH, Urt. v. 13.11.2014 – III ZR 544/13, WM 2015, 126 = DB 2015, 183 = EWiR 2015, 215 (Weber), v. 25.9.2014 – III ZR 440/13, BeckRS 2014, Rn 34; OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2019 – 20 U 145/18, VersR 2019, 1295 (1296); v. 23.8.2017 – 20 U 38/17, VersR 2018, 222 (223); OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.3.2016 – 12 U 144/15, VersR 2016, 856 (857); 797

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mit einer Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt und an die Hand bekommt; hierdurch wird er in die Lage versetzt, seine Entscheidung des Näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen. Wird ihm diese Nachweismöglichkeit durch das Fehlen einer Dokumentation abgeschnitten, so hat dies zu seinen Gunsten Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast. Ist ein erforderlicher Hinweis oder eine erforderliche Information von wesentlicher Bedeutung nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grds. der VV beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist.303 Gelingt dem VV dieser Beweis nicht, so ist zugunsten des VN davon auszugehen, dass der Hinweis oder die Beratung nicht erteilt worden ist, der VV mithin pflichtwidrig gehandelt hat.304 Es ist aber nicht jede Behauptung, zu der sich im Beratungsprotokoll keine Angabe findet, vom VV zu widerlegen. Das gilt insb. für den Rat, vorzeitig zu kündigen.305 Von einem VV, der beauftragt wird, einen bestehenden Krankheitskostenschutz preisgünstiger zu gestalten, ist z. B. zu erwarten, dass er – regelmäßig durch Vorlage seiner Dokumentation – darlegt, wie er den VN über die damit verbundenen Risiken beraten hat.306 Die Verletzung der Pflicht des § 62 Abs. 1 VVG, die Information nach § 61 Abs. 1 VVG vor Abschluss des Vertrages klar und verständlich in Textform zu übermitteln, soll nicht schadensersatzbewehrt sein307 (zweifelh.). Die Verletzung der Übermittlungspflicht wird etwa relevant, wenn der VN vorträgt, durch eine zusammenfassende Dokumentation des Beratungsgesprächs wäre ihm eine Deckungslücke vor Augen geführt worden.308 Der VV kann mit dem von ihm zu beweisenden Vortrag antworten, der VN hätte bei Erhalt des Versicherungsscheins die Deckungslücke erkennen müssen.309 Nach § 63 VVG ist der Versicherungsvermittler zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der 54 dem VN durch die Verletzung einer Pflicht nach § 60 oder § 61 VVG entsteht.310 Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsvermittler die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Dem Versicherer ist das Verhalten seines VV über § 278 BGB zuzurechnen.311 Beide haften ggf. gesamtschuldnerisch.312 § 63 VVG dürfte die vorvertragliche Haftung aus Vertragsanbahnung ergänzen, aber nicht ausschließen.313 Ein Schadenersatzanspruch, den der VN gegen den VV nicht wegen einer Pflichtverletzung bei einer Vertragsanbahnung, sondern wegen einer Pflichtverletzung bei der Abwicklung eines Versicherungsfalls geltend macht, hat seine Grundlage nicht in den §§ 60 ff. VVG sondern in § 280 Abs. 1 BGB.314 Ob die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung des Versicherers für die Angaben seines Agenten unter der Geltung des VVG n. F. fortbesteht, ist

OLG Hamm, Urt. v. 24.6.2015 – 20 U 116/13, VersR 2016, 394; LG Krefeld, Urt. v. 17.12.2015 – 3 O 29/15, VersR 2016, 1248 (1251); Reiff VersR 2015, 649 (654); s. auch BT-Drucks. 16/1935 S. 26. 303 BGH, Urt. v. 13.11.2014 – III ZR 544/13, WM 2015, 126 = DB 2015, 183 = EWiR 2015, 215 (Weber); OLG Hamm, Beschl. v. 23.8.2017 – 20 U 38/17, VersR 2018, 222 (223); OLG München VersR 2012, 1292 (1293); OLG Saarbrücken VersR 2011, 1441 (1443); Urt. v. 27.1.2010 – 5 U 337/09-82, VersR 2010, 1181 m. Anm. Reiff VersR 2010, 1314; LG Krefeld, Urt. v. 17.12.2015 – 3 O 29/15, VersR 2016, 1248 (1251); LG Saarbrücken, Urt. v. 16.4.2013 – 14 S 11/02, VersR 2013, 759 (761); MünchKommVVG/Reiff, § 63 Rn 49. 304 BGH, Urt. v. 13.11.2014 – III ZR 544/13, WM 2015, 126 = DB 2015, 183 = EWiR 2015, 215 (Weber); OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.3.2016 – 12 U 144/15, VersR 2016, 856 (857); LG Krefeld, Urt. v. 17.12.2015 – 3 O 29/15, VersR 2016, 1248 (1251). 305 LG Krefeld, Urt. v. 17.12.2015 – 3 O 29/15, VersR 2016, 1248 (1251). 306 OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.1.2010 – 5 U 337/09-82, VersR 2010, 1181 m. Anm. Reiff VersR 2010, 1314. 307 OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.1.2010 – 5 U 337/09-82, VersR 2010, 1181; aA Reiff VersR 2010, 1315. 308 Reiff VersR 2010, 1315. 309 Reiff VersR 2010, 1315. 310 BGH, Urt. v. 12.12.2013 – III ZR 124/13, DB 2014, 176 Rn 14; v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797 = WRP 2014, 57 Rn 21; OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480 (481); Wendt VersR 2019, 257 (264). 311 Wendt VersR 2019, 257 (264). 312 Wendt VersR 2019, 257 (264). 313 AA Dörner in: Prölss/Martin, § 63 Rn 1. 314 BGH, Urt. v. 30.11.2017 – I ZR 143/16, WM 2018, 542. Emde

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umstritten. Teilweise wird dies verneint315: der Gesetzgeber habe es in der Hand gehabt, die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung ins VVG zu übernehmen; er hat dies nicht getan. Daraus wird gefolgert, jene Erfüllungshaftung sei nach der VVG-Reform ausgeschlossen zur Fussnote. Allerdings spricht einiges für die Annahme, dass der Gesetzgeber ihre weitere Ausformung durch die Rspr. überlassen wollte. Der Grund, warum die Rspr. dieses Rechtsinstitut entwickelt hat, besteht auch nach Inkrafttreten des § 6 Abs. 5, § 63 VVG weiter: Das Gesetz gibt dem VN Schadenersatzansprüche. Diese versagen, wenn der Versicherer bzw. der VV über die Reichweite der Deckung eine unzutreffende Auskunft gibt, ein Versicherungsschutz wie der zugesagte am Markt aber gar nicht erhältlich ist. Für jene Konstellation ist die Erfüllungshaftung entwickelt worden. Dem VN ist zu gewähren, was der Versicherer oder sein VV zugesagt haben, solange der VN auf die Richtigkeit der Aussage vertrauen durfte. Für eine solche Rspr. besteht auch nach neuem Recht ein Bedürfnis. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit Einführung der Beratungspflicht in § 6 Abs. 1 VVG und der Verankerung der Schadenersatzpflicht Sie befinden sich im Beitrag: in § 6 Abs. 5 VVG den VN schlechter stellen wollte als er vor der Reform stand zur Fussnote.316 Im Gegensatz zur Rechtslage vor der VVG-Reform hat die Rspr. nur in Ausnahmefällen den VV persönlich in die Haftung genommen.317 Mit der Schaffung des § 63 VVG stellt sich daher die Frage, ob die Erfüllungshaftung nun auch den VV und den Versicherungsmakler trifft. Will man das Rechtsinstitut aufrechterhalten, wird man dies wohl bejahen müssen. Angestellte eines VV soll keine Außenhaftung nach § 63 S. 1 VVG treffen.318 Als Schaden kommt insb. die fehlende Deckung in Frage. Hätte der VN den Vertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen, ist er so zu stellen, als wäre der Vertrag derart zustande gekommen.319 Bei Mehrfachvertretern wird diskutiert, ob sie für Beratungsfehler allein haften, die zum Zeitpunkt der allg. Bedarfsermittlung und Beratung geschehen. Denn in diesen Fällen hat sich die Beratung noch nicht auf einen bestimmten Versicherer und dessen Produkt konzentriert. Jedoch handeln auch Mehrfachvertreter als Erfüllungsgehilfe jenes Versicherers, mit dem später ein Vertrag zustande kommt.320 VV dürfen auch ohne Abschlussvollmacht gem. § 69 Abs. 1 VVG Anträge, die auf den 55 Abschluss eines Versicherungsvertrags gerichtet sind, und deren Widerruf sowie die vor Vertragsschluss abzugebenden Anzeigen und sonstigen Erklärungen vom VN entgegennehmen (Nr. 1), Anträge auf Verlängerung oder Änderung eines Versicherungsvertrags und deren Widerruf, die Kündigung, den Rücktritt und sonstige das Versicherungsverhältnis betreffende Erklärungen sowie die während der Dauer des Versicherungsverhältnisses zu erstattenden Anzeigen vom VN entgegennehmen (Nr. 2) und die vom Versicherer ausgefertigten Versicherungsscheine oder Verlängerungsscheine dem VN übermitteln (Nr. 3).321 Damit gilt ein Antrag oder Widerruf dem Versicherer als zugegangen, sobald er dem VV zugegangen ist. Von da aus reist bei Weiterleitung der Erklärung durch den VV an den Versicherer diese auf Gefahr 315 E. Lorenz in: FS Canaris, 2007, S. 757, 775; Wandt in: Halm/Engelbrecht/Krahe (Hrsg.), Handbuch Fachanwalt Versicherungsrecht, 4. Aufl. 2010, Kap. 1 Rn 410; Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn 221. 316 OLG Frankfurt/M. VersR 2012, 342; Schimikowski r + s 2012, 577 (582). 317 Den Versicherungsvermittler trafen nach überwiegender Auffassung vor der VVG-Reform keine eigenen Beratungs- oder Aufklärungspflichten, da der VV als Erfüllungsgehilfe des Versicherers auftritt. Wenn der VV den VN daher fehlerhaft oder unvollständig aufklärte oder beriet, haftete hierfür zunächst der Versicherer. Mangels einer vertraglichen Sonderbeziehung zwischen dem VV und dem Versicherungsinteressenten haftete der VV persönlich für eine fehlerhafte Beratung nur aufgrund gesetzlicher Vorschriften. Vor allem wenn der VV im besonderen Maße persönlichen Vertrauen in Anspruch nahm oder ein wirtschaftliches Eigeninteresse am Vertragsschluss hätte, wofür allerdings das Provisionsinteresse nicht ausreichte, kam eine Haftung gem. § 311 Abs. 3 BGB in Betracht. Insgesamt war die Rspr. zur persönlichen Haftung des VV restriktiv (vgl. Kiesinger AcP 1999, 190 (195) m. umfangreichen weiteren Nachweisen). 318 LG Krefeld, Urt. v. 17.12.2015 – 3 O 29/15, VersR 2016, 1248 (1250). 319 Wendt VersR 2019, 257 (264). 320 Wendt VersR 2019, 257 (264). 321 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 91 Rn 13. 799

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des Versicherers.322 Der Versicherungsvertrag kommt jedoch erst zustande, falls der Versicherer den Antrag annimmt. Für die Angaben des VV dem Antragsteller gegenüber hat der Versicherer auch dann noch einzustehen, wenn die Frist für die Annahme des Versicherungsantrages verstrichen ist.323 Auch die Anzeigen gelten mit dem Zugang der Erklärung oder Anzeige bei dem VV dem Versicherer gegenüber selbst als zugegangen.324 Ein nach § 130 BGB noch zulässiger Widerruf der Erklärung des VN gilt dem Versicherer gegenüber als rechtzeitig, sofern er bei dem VV zeitgerecht eingegangen ist.325 Gesetzliche oder vertragliche Anzeigepflichten326 des VN sind dem Versicherer gegenüber rechtzeitig erfüllt, wenn sie zeitgemäß dem VV zugingen.327 VV können selbst dann Empfangsboten des Versicherers sein, wenn in den Versicherungsbedingungen bestimmt ist, dass sie zur Entgegennahme von Erklärungen nicht bevollmächtigt sind.328 Leitet ein solcher Agent eine ihm vom VN übergebende Erklärung nicht an den Versicherer weiter, ist diese Erklärung dem Versicherer im Rechtssinne zugegangen, sobald nach dem regelmäßigen Lauf der Dinge mit dem Eingang zu rechnen war.329 Der VV ist jedoch nicht berechtigt, namens des Versicherers Gegenerklärungen auf die von dem VV entgegengenommenen Erklärungen abzugeben.330 Deshalb darf der VV z. B. nicht auf die zugegangene Schadensanzeige mit bindender Wirkung für den Versicherer die Erstattung des Schadens zusagen oder ablehnen.331 Der mit der Vermittlung beauftragte VV kann keinen Versicherungsschutz zusagen, falls der Versicherer ihn abgelehnt hat.332 Hinsichtlich der vom Vermittlungsvertreter erteilten Deckungszusagen ist der Versicherer an eine solche Zusage gebunden, soweit er es duldet, dass sich der VV wie ein Abschlussvertreter geriert und derartige Zusagen erteilt (Anscheins- und Duldungsvollmacht).333 Der VV gilt gem. § 69 Abs. 2 VVG zudem als bevollmächtigt, Zahlungen, die der VN im 56 Zusammenhang mit der Vermittlung oder dem Abschluss eines Versicherungsvertrags an ihn leistet, anzunehmen. Diese Vollmacht kann beschränkt werden, jedoch wirkt eine solche Beschränkung nach § 69 Abs. 2 S. 2 VVG nur dann gegen den VN, falls er die Beschränkung zum Zeitpunkt seiner Leistung kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Zahlung der Prämien befreit den VN von seiner Zahlungspflicht gegenüber dem Versicherer und löst alle Wirkungen einer Zahlung an den Versicherer selbst aus. Sofern der VN den VV bevollmächtigt, Leistungen von Versicherern auf Grund eines Versicherungsvertrages entgegenzunehmen, muss die Vollmacht in einer gesonderten schriftlichen Erklärung erfolgen, § 64 VVG. Zur Stundung fälliger Prämien ist der VV nicht befugt, es sei denn, es besteht eine gesonderte Vollmacht des Versicherers.334 Eine stillschweigende Bevollmächtigung zur Stundung oder jedenfalls eine Anscheinsvollmacht in diese Richtung kann darin liegen, dass der Versicherer derartige Maßnahmen des VV duldet.335 Der VN trägt nach § 69 Abs. 3 VVG die Beweislast für die Abgabe oder den Inhalt eines Antrags oder einer sonstigen Willenserklärung nach Abs. 1 Nr. 1 und 2

322 323 324 325 326 327 328 1499

329 330 331 332 333 334 335

Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 13. RGZ 147, 103. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 14. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 14. RGZ 147, 180. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 14. OLG Hamm, Urt. v. 25.2.2008 – 20 U 89/07, NJW 2008, 2660 = NJW-RR 2008, 982; OLG Hamm VersR 2001, = r+s 2001, 399. OLG Hamm, Urt. v. 25.1.2008 – 20 U 89/07, NJW 2008, 2660 = NJW-RR 2008, 982. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 14a. BGH VersR 1953, 13. RGZ 155, 103. RGZ 133, 97; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 14a. RGZ 114, 347; OLG Hamburg VersR 1951, 266; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 16b. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 16b.

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VVG. Die Beweislast für die Verletzung der Anzeigepflicht oder einer Obliegenheit durch den VN trägt der Versicherer. Soweit nach dem VVG die Kenntnis des Versicherers erheblich ist, steht nach § 70 VVG 57 die Kenntnis des VV der Kenntnis des Versicherers gleich. Der VV ist das „Auge und Ohr“ des Versicherers. Sein Wissen wird daher dem Versicherer zugerechnet.336 Dies gilt nicht für die Kenntnis des VV, welche er außerhalb seiner Tätigkeit als VV und ohne Zusammenhang mit dem betreffenden Versicherungsvertrag erlangt hat. Nach österreichischem Recht soll eine Wissenszurechnung vom VV an den Versicherer ausgeschlossen sein, wenn es sich um Kenntnisse handelt, die vom VV nicht in Ausübung der ihm vom Versicherer erteilten Vollmacht erlangt wurden.337 Dem Versicherer solle im Allgemeinen beim Abschlussagenten alles Wissen zuzurechnen sein, beim Vermittlungsagenten hingegen nur das anlässlich der Antragsentgegennahme erlangte, nicht jedoch das sog. Privatwissen338 (wohl nicht auf deutsches Recht übertragbar). Beweispflichtig für die Zurechnung ist der VN.339 Gem. § 71 VVG ist der VV befugt, Änderungen oder Verlängerungen von Versicherungsver- 58 trägen zu vereinbaren sowie namens eines Unternehmers Kündigungs- und Rücktrittserklärungen abgeben.340 Dies gilt sogar hinsichtlich solcher Verträge, welche der VV nicht selbst abgeschlossen hat.341 § 71 VVG bezieht sich nur auf den Abschlussvertreter. Die Besonderheit liegt darin, dass der Abschlussvertreter auch Verträge ändern kann.342 Hierzu reicht die dem Warenvertreter zustehende Abschlussvollmacht nach § 55 Abs. 2 nicht aus. Diese Befugnis erstreckt sich auch auf solche Verträge, die der VV nicht selbst abgeschlossen hat.343 Rechtsgeschäftliche Beschränkungen der sich aus §§ 69–71 VVG ergebenden Vertre- 59 tungsmacht sind grds. zulässig.344 Praktisch ist das jedoch nicht. Denn die Beschränkung der dem VV nach den §§ 69 und 71 VVG zustehenden Vertretungsmacht durch allg. Versicherungsbedingungen ist gem. § 72 VVG gegenüber dem VN und Dritten jedoch unwirksam.345 Der Versicherer müsste beweisen, dass eine Beschränkung eindeutig vorgenommen wurde.346

c) § 34d GewO. Der durch das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts 2007 60 in die GewO aufgenommene und durch die IDD-RL wesentlich novellierte § 34d GewO regelt im Wesentlichen, welche Versicherungsvermittler in das Vermittlerregister einzutragen sind.347 Bis dahin war die Tätigkeit des Versicherungsvermittlers unreguliert. Er benötigte lediglich eine Gewerbeanmeldung nach § 14 Abs. 1 GewO.348 § 34d GewO dient dem Schutz des Publikums vor unzuverlässigen Vermittlern und ist vor 61 dem Hintergrund des Zwecks der RL zur Versicherungsvermittlung zu sehen, eine Harmonisierung dieses Schutzrechts zu erreichen.349 Grundsätzlich gilt § 34d GewO auch für Vermittler, die mit Versicherungen verwoben sind,350 etwa als Konzernunternehmen der Gesellschaften. § 6 336 337 338 339 340 341 342 343 344 345

OLG Dresden, Urt. v. 22.11.2016 – 4 U 864/15, VersR 2017, 819. OGH Wien, Urt. v. 28.10.2009 – 7 Ob 94/09p, VersR 2010, 1342 (1344). OGH Wien, Urt. v. 28.10.2009 – 7 Ob 94/09p, VersR 2010, 1342 (1344). OLG Dresden, Urt. v. 22.11.2016 – 4 U 864/15, VersR 2017, 819. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 7a. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 7a. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 20. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 20. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 18. Anders früher BGH, Urt. v. 10.2.1999 – IV ZR 324/97, ZIP 1999, 1008 (1011): Die Vertretungsmacht des VV konnte mittels AGB beschränkt werden. 346 RGZ 141, 410. 347 Zu § 34d GewO eingehend Emde ZVertriebsR 2018, 292 ff. Zum Recht Österreichs Gruber/Baier VersR 2019, 1457. 348 Siehe Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 1. 349 Siehe Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 2. 350 Siehe Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 57 zu den sogenannten firmenverbundenen Vermittlern. 801

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GewO kann aber unter den dort genannten Voraussetzungen zumindest in analoger Anwendung eine Befreiung von den Vorschriften der GewO bewirken. Wie bekannt sind Versicherungsunternehmen oder deren Angestellte gem. § 6 GewO von den Einschränkungen der GewO befreit.351 Ferner gilt § 34d GewO für gesetzliche Krankenkassen, soweit jene auf der Grundlage des § 194 Abs. 1 a SGB V Krankenzusatzversicherungen eines privaten Krankenversicherers vermitteln.352 § 34d GewO als Bundesrecht unterliegt nicht der Prüfung anhand von Landesverfassungsrecht.353

62 aa) § 34d Abs. 1 GewO. (1) Der hypertroph geratene § 34d GewO mit zahlreichen teilweise schlecht zusammenpassenden Regelungen definiert u. a., neu mit der IDD-RL in Abs. 1 eingefügt, die Begriffe des Versicherungsvertreters und des Versicherungsmaklers.354 (2) Nach § 34d Abs. 1 S. 2 GewO ist Versicherungsvermittler, wer (Nr. 1) als Versiche63 rungsvertreter eines oder mehrerer Versicherungsunternehmen bzw. eines Versicherungsvertreters damit betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen oder (Nr. 2) als Versicherungsmakler für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherungsunternehmer oder einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein. Versicherungsvermittler sind damit sowohl Versicherungsmakler wie VV. Der Obergriff ist 64 der des Versicherungsvermittlers. Unterbegriffe sind die des Versicherungsvertreters und Versicherungsmaklers. Wesentliche Änderungen dieser beiden Termini erstrebte die IDD nicht. Nun definiert § 34d Abs. 1 S. 2 GewO den Versicherungsvermittler in fast wörtlicher Übereinstimmung mit § 59 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 VVG. Ein Rückgriff auf § 59 VVG soll deshalb nicht mehr erforderlich355 sein. Allerdings wurde der funktionale Vermittlerbegriff aus Art. 2 Nr. 3 Unterabschnitt 1 Vermittlerrichtlinie nicht übernommen. Der Gesetzgeber zog es vor, den (erlaubnispflichtigen) Versicherungsvermittler zu beschreiben. An dieser Regelungstechnik wurde auch bei der Umsetzung der IDD-RL im Grundsatz festgehalten. Immerhin verweist Abs. 1 auf die zivilrechtlichen Begriffe des VV sowie des Versicherungsmaklers, so dass angesichts der auf die Begriffe VV (§§ 84, 92) und Versicherungsmakler (§ 93) aufbauenden Fassung aus § 34d Abs. 1 GewO allein nicht ermittelt werden kann, welche Tätigkeiten als Versicherungsvermittlung zu qualifizieren sind und die Erlaubnispflicht des § 34d GewO auslösen. Deshalb kann und muss nach wie vor auf die im HGB geregelten Legaldefinitionen zurückgegriffen werden.356 Dass die Begriffe Versicherungsmakler und VV in der GewO, im VVG und im HGB nach Möglichkeit identisch auszulegen sind, weil Abhängigkeiten bestehen, steht zudem im Interesse der Einheit der Rechtsordnung. Der Oberbegriff der Versicherungsvermittlung ist, wie oben zu § 59 VVG ausgeführt, nicht zu 65 eng auszulegen. Sie ist abzugrenzen von Tätigkeiten, die ausschließlich darauf gerichtet sind, Möglichkeiten zum Abschluss von Versicherungsverträgen namhaft zu machen oder Kontakte zwischen einem potentiellen VN und einem Versicherungsvermittler bzw. Versicherer herzustellen, zudem von der Bestandsverwaltung. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen. Ein Unternehmen, das sog. echte Gruppenversicherungsverträge abschließt, bedarf hierfür auch dann keiner Erlaubnis als VV nach § 34d GewO, wenn der Gruppenversicherungsvertrag dazu dient, einem nicht bestimmbaren Kreis von Personen Versicherungsschutz zu verschaffen.357 351 BT-Drucks. 16/1935, S. 18; Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 34d Rn 4. 352 BGH, Urt. v. 28.9.2013 – I ZR 183/12, DB 2014, 174 = VersR 2013, 1578; Reiff VersR 2015, 649 (653); Landmann/ Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 45; aA Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d Rn 22. 353 VfGH Saarbrücken, Beschl. v. 27.4.2018 – Lv 11/17, VersR 2018, 815 (816). 354 Emde ZVertriebsR 2018, 292. 355 Reiff VersR 2018, 193 (194). 356 Reiff VersR 2018, 193; Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154; Beenken/Sandkühler r+s 2007, 182 (183). 357 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 27.6.2019 – 6 U 108/18, ZVertriebsR 2020, 103. Emde

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Ein wesentlicher Unterschied zur Rechtslage nach dem HB ergibt sich daraus, dass der VV 66 des § 34d Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GewO nicht Untervertreter eines Versicherungsmaklers sein kann, anders als nach § 84.358 Denn gem. § 34d Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GewO darf der VV nur ein solcher eines Versicherers oder eines anderen Versicherungsvertreters sein. Der Status folgt insoweit dem des auf der nächst höheren Stufe Stehenden.359 Folglich muss der im Innenverhältnis zu seinem Makler als VV agierende Untervermittler im Außenverhältnis, nämlich am Markt, als Versicherungsmakler auftreten, und zwar mit entsprechender Erlaubnis und Registereintragung.360 (3) § 34 Abs. 1 S. 1 GewO stellt fest, dass Versicherungsvermittler nur ist, wer gewerbsmä- 67 ßig den Abschluss von Versicherungs- oder Rückversicherungsverträgen vermitteln will.361 Das hätte man, wie in § 59 VVG, eleganter zusammenfügen können. Wegen des Merkmals „gewerbsmäßig“ werden nicht gewerbsmäßig agierende Vermittler weder von § 34d GewO noch von § 59 VVG erfasst.362 Sie benötigen also weder eine Erlaubnis der IHK noch gelten für sie die vertraglichen Informationspflichten.363 Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit ist unionsrechtskonform, obwohl sich in der RL 2002/92/EG keine Entsprechung findet.364 Eine vermittelnde Tätigkeit von nur geringem Ausmaß ist jedoch, da nicht gewerbsmäßig, erlaubnisfrei.365 2007 wurde die Grenze für die Praxis erstmals mit jährlich höchstens sechs Versicherungsverträgen bzw. EUR 1.000 Gesamtprovision umschrieben.366 Eine Anpassung entsprechend der Inflation bzw. Einkommensentwicklung bei Versicherungsvermittlern dürfte angebracht sein.367 Eine ausdrückliche Bagatellgrenze sieht die GewO gleichwohl nicht vor.368 Deshalb werden auch Gelegenheitsvermittler erfasst.369 Reiff370 schlägt eine richtlinienkonforme Auslegung des Merkmals „gewerbsmäßig“ vor, welches zur Einbeziehung der Gelegenheitsvermittler führt. (4) Gem. § 34d Abs. 1 S. 3 GewO gilt als Versicherungsmakler auch eine Person, die gegen- 68 über dem VN den Anschein erweckt, sie erbringe ihre Leistungen als Versicherungsmakler.371 Dieser Begriff des Pseudomaklers stimmt fast wörtlich mit § 59 Abs. 3 S. 2 VVG (s. o.) überein.372 Theoretisch könnte auch ein Versicherungsvermittler, der im Verhältnis zu den Versicherern VV oder Mehrfachagent ist, als Versicherungsmakler auftreten und mit dem VN Maklerverträge schließen, mit der Folge, dass er für Pflichtverletzungen aus dem Vertrag selbst einzustehen hat.373 Streng genommen dürfte es den Pseudomakler nicht geben. Denn nach der unten wiedergegebenen h. M. darf ein Vermittler nur entsprechend seiner Eintragung handeln, also als Makler oder VV. Korrektes Handeln des Vermittlers unterstellt, könnte das Problem des Pseudomaklers also nur in Fällen entstehen, in denen ein „Makler“ mit einer lediglich beschränkten Anzahl

Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 8. Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 59. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 8. Emde ZVertriebsR 2018, 292 (294). BGH VersR 2013, 1578, Reiff VersR 2015, 649 (653). Krit. Reiff VersR 2015, 649 (653). BGH, Urt. v. 28.9.2013 – I ZR 183/12, DB 2014, 174; Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 34d GewO Rn 11. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 21; Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 34d GewO Rn 11. 366 Siehe Schönleiter GewA 2007, 265 (267); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 21; Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 61. 367 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 21. 368 Reiff VersR 2015, 649 (653). 369 Reiff VersR 2015, 649 (653). 370 VersR 2015, 649 (654). 371 Emde ZVertriebsR 2018, 292 (294). 372 Reiff VersR 2018, 193 (194). 373 Sog. Pseudomakler: OLG Hamm, Urt. v. 8.10.2009 – 18 U 26/08, VersR 2010, 388 = NJOZ 2010, 601; VersR 1995, 167; OLG Oldenburg NVersZ 1999, 359; OLG Köln r+s 1991, 32; Beckmann VersRHdb., 2. Aufl. [2009] Rn 39 f.

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von Versicherern verbunden ist, so dass er faktisch nicht den mit der Bezeichnung eines Maklers einhergehenden Ansprüchen gerecht werden kann.374 (5) Direkt an die Regelung zum Versicherungsmakler, präziser zum Pseudomakler, schließen sich § 34d Abs. 1 S. 4 Nr. 1 und 2 GewO an. Danach „umfasst“ die Tätigkeit als Versicherungsvermittler auch (Nr. 1) das Mitwirken bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insb. im Schadensfall, sowie Nr. 2, wenn der VN einen Versicherungsvertrag unmittelbar oder mittelbar über die Website oder ein anderes Medium abschließen kann, a) die Bereitstellung von Informationen über ein oder mehrere Versicherungsverträge aufgrund von Kriterien, die ein VN über eine Website oder andere Medien wählt, sowie b) die Erstellung einer Rangliste von Versicherungsprodukten, einschließlich eines Preis- und Produktvergleichs oder eines Rabatts auf den Preis eines Versicherungsvertrages. Diese Regelung ist ebenfalls eine Neuerung der IDD-RL.375 Was in § 34d Abs. 1 S. 4 Nr. 1 und 2 GewO konkret geregelt werden soll, nämlich die vorgelagerte Statusfrage, d. h. ob diese Tätigkeiten dazu führen, dass der Betroffene als Versicherungsvermittler einzuordnen ist, oder die nachfolgende Frage, was ein bereits als Versicherungsvermittler Qualifizierter tun darf („rechtliches Dürfen“), ist schwer bestimmbar. Ebenso schwer bestimmbar ist, ob es sich hierbei (wofür die systematische Stellung innerhalb der Norm spricht) nur um Regelungen handelt, die den Makler betreffen oder (wofür der Wortlaut, insbesondere das Wort „Versicherungsvermittler“) streitet, Regelungen, die für jeden Versicherungsvermittler gelten sollen. Die Frage, ob § 34 Abs. 1 S. 4 GewO den Status der Versicherungsvermittler oder deren daran anknüpfendes rechtliches Dürfen regelt, wird man trotz ihrer Einbindung in eine den Erlaubnisvorbehalt regelnde Norm dahin beantworten können, dass zumindest Nr. 1, das Mitwirken bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insb. im Schadensfall, eher das rechtliche Dürfen (die „Annexkompetenz“) und nicht die Statusfrage regelt.376 Für die Tätigkeit im Schadensfall ergibt sich dies bereits aus der Begründung zum Gesetz. Denn nach der Begründung zum Gesetzesentwurf377 werden vom Begriff der Versicherungsvermittlung entsprechend Art. 2 Abs. 2 lit. b RL nicht die Schadensregulierung und die Sachverständigenbegutachtung von Schäden erfasst.378 Zudem handelt es sich um der Vermittlung eines Versicherungsvertrages nachfolgende, nicht auf die Vertragsanbahnung gerichtete Tätigkeiten, mithin nicht um eine Versicherungsvermittlung. Aber auch Nr. 2 könnte mit guten Gründen nur als Regelung des rechtlichen Dürfens, also als eine der Statusbestimmung nachfolgende Frage, angesehen werden. Das ist für Nr. 2 aber fraglicher, weil dort zumindest teilweise (sicher gilt dies für lit. b) der Versicherungsvermittlung vorhergehende Tätigkeiten genannt werden. Durch Nr. 2 wird die Informationsbereitstellung über eine Website und von Vergleichsportalen ausdrücklich geregelt, sofern dem VN dadurch direkt oder indirekt der Abschluss eines Versicherungsvertrags ermöglicht wird. Eine indirekte Möglichkeit liegt etwa vor, wenn der Vertrag nach Weiterleitung auf eine andere Website geschlossen wird.379 Das entspricht dem bisherigen Verständnis, demzufolge Versicherungsvermittlung vorlag, falls ein Internetportal die Möglichkeit, Versicherungsprodukte zu vergleichen und damit das Interesse des potenziellen VN auf ein bestimmtes Produkt zu verdichten, mit der Möglichkeit verband, einen konkreten Versicherungsvertrag abzuschließen. Das sei anzunehmen, wenn aus Verbrauchersicht eine Beratung stattfindet und eine konkrete Empfehlung ausgesprochen wird.380 Auch hier bestätigt sich die Nähe zum Vertragsschluss als Abgrenzungsmerkmal. 374 375 376 377

Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 52. Vgl hierzu Emde/van der Veer VersR 2018, 1285 (1293). Siehe Emde/van der Veer VersR 2018, 1285 (1293); Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 29. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der RL (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, S. 38. 378 Emde/van der Veer VersR 2018, 1285 (1293). 379 Reiff VersR 2018, 193 (195). 380 Lehmann/Reddig VersR 2017, 1370 (1372). Emde

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Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Versicherungsvermittlung auf den Internetvertrieb ist aus Sicht des Verbraucherschutzes und zur Förderung eines fairen Wettbewerbs zu begrüßen. Ohne die Ausweitung wären Vermittler im engeren Sinn und Versicherer, wenn sie eine Website betreiben, im Wettbewerb gegenüber anderen Websitebetreibern benachteiligt.381 (6) Die in § 34d Abs. 1 GewO genannten Vermittler bedürfen gem. § 34d Abs. 1 S. 1 GewO einer Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer.382 Sie bedürfen vor Aufnahme ihrer Tätigkeit neben der Gewerbeanzeige (§ 14 GewO) also zusätzlich einer Erlaubnis der örtlich zuständigen IHK. Die Regelung dient dem Schutz der Allgemeinheit, der Solidargemeinschaft der Versicherten und der Verbraucher vor einer Gefährdung durch unzuverlässige Versicherungsvermittler und schützt daher das Vertrauen der Gesellschaft in den Berufsstand der Versicherungsvermittlung als ein Vertrauensgewerbe,383 mit dessen Betrieb besondere Risiken verbunden sind. Dies ist höher zu gewichten als das Interesse etwa eines durch eine Straftat im Vermögensbereich in Erscheinung Getretenen, gerade ein solches Vertrauensgewerbe ausüben zu dürfen.384 In der Erlaubnis ist gem. § 34d Abs. 1 S. 5 GewO anzugeben, ob sie einem VV oder Versicherungsmakler erteilt wird385. Die statusbezogene Unterscheidung muss gem. § 8 S. 1 Nr. 3 VersVermV auch im Register genannt werden. Über www.vermittlungsregister.org und www.vermittlungsregister.info ist der öffentliche Teil des Registers für die Allgemeinheit zugänglich. Über die Seite www.vv-register.de können Mitarbeiter der IHK und der Versicherer nichtöffentliche Bereiche zur Recherche und Datenpflege aufrufen. Es obliegt der Entscheidung des Vermittlers, ob er sich als VV oder als Makler eintragen lassen will.386 Registerrechtlich muss sich der Versicherungsvermittler also bereits beim Antrag entscheiden, in wessen Lager er tätig sein will. Hierdurch soll Transparenz geschaffen werden, auf wessen Seite er steht387 und die Zuordnung eindeutig werden.388 Eine gemischte Tätigkeit als HV und Makler soll – anders als im Zivilrecht – gewerberechtlich unzulässig sein,389 einer „Typenvermischung“ entgegengewirkt werden390. Eine Prüfung durch die IHK erfolgt allerdings nicht.391 Der Wechsel in einen anderen Vermittlertyp ist registerrechtlich zwar möglich, bedarf jedoch einer geänderten Erlaubnis und Registrierung.392 Nach aA393 kann etwa ein VV in einzelnen Fällen makeln, ohne dass er hierdurch seine Vertretereigenschaft verliert. Er müsse seinen Kunden nur darauf hinweisen; im Streitfall habe allerdings der Kunde nachzuweisen, dass der VV trotz anderer Registrierung als Makler zu handeln versprach. Dies ist zivilrechtlich richtig, dürfte gewerberechtlich jedoch nach h. A. unzulässig sein.

381 BT-Drucks. 18/11627, S. 43 zu § 1a Abs. 2 VVG; Reiff VersR 2018, 193 (200). 382 Siehe hierzu Emde ZVertriebsR 2018, 292 (295); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO; Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154. 383 BayVGH, Beschl. v. 2.10.2002 – 22 CS 02.1456. 384 VG Ansbach, Urt. v. 3.12.2014 – AN 4 K 14.00305, BeckRS 2014, 59556. 385 Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154. 386 Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154; Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 55. 387 BGH, Urt. v. 14.1.2016 – I ZR 107/14 Rn 18; Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154; Reiff VersR 2007, 717. Selbst VV stehen allerdings oft ihrem Provisionsinteresse und ihren Kunden näher als dem Versicherer, mit dem sie durch einen HV-Vertrag verbunden sind. 388 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 7, § 34d GewO Rn 17. 389 Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (156); aA wohl Bundeswirtschaftsministerium, s. Böckmann/Ostendorf a. a. O. m. w. N. 390 BGH, Urt. v. 14.1.2016 – I ZR 107/14 Rn 18; v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797 Rn 16; OLG Dresden, Urt. v. 22.11.2016 – 4 U 864/15, NJW-RR 2017, 226 Rn 13; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 17. 391 Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 55. 392 BGH, Urt. v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797 Rn 16. 393 Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 49. 805

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Verfassungsrechtlich sollen in Hinblick auf Art. 12 GG Bedenken gegen das Doppelzulassungsverbot bestehen.394 Durch Gründung mehrerer juristischer Personen kann es umgangen werden.395 Das Verbot der Doppelzulassung bezieht sich jeweils nur auf die tätige natürliche oder juristische Person. Ein „Durchgriff“ des Verbots vom (Allein-) Gesellschafter auf die Gesellschaft verbietet sich.396 Dies gilt umso mehr, als aus Sicht des prospektiven VN ohnehin die Gesellschaft und nicht die dahinter stehenden Personen handeln und Gefährdungen nicht unterstellt werden dürfen. Was sonst im Vertriebsrecht zulässig ist, dürfte auch im Versicherungsvertrieb gestattet sein, zumal ein „piercing the corporate veil“ schwer begründbar ist. Beispiele des sonstigen Vertriebsrechts bilden durch separate Rechtsträger handelnde Autohäuser mit identischem Gesellschafterkreis, die unterschiedliche Kfz-Hersteller vertreten. 80 Aus § 8 VersVermV ergibt sich die Eintragungsfähigkeit juristischer Personen und Gesamthandsgemeinschaften. Bei als Vermittlern tätigen juristischen Personen wird die Erlaubnis der juristischen Personen selbst erteilt.397 Zu Unrecht wurde zur alten VersVermV vertreten, Personengesellschaften seien nicht eintragungsfähig.398 Die Gesamthand selbst ist Träger der Rechte und Pflichten, handelt mithin als Vermittler. Teilweise wird bei einer GmbH & Co. KG jene eingetragen, teilweise wird die GmbH als die geschäftsführende Gesellschafterin registriert.399 In das Vermittlungsregister werden Daten eingetragen wie z. B. Name, Geburtsname, Vorname und Firma des Vermittlers, bei juristischen Personen auch die Familien- und Geburtsnamen und Vornamen der natürlichen Personen, die innerhalb des für die Geschäftsführung verantwortlichen Organs für die Vermittlung und Tätigkeit zuständig sind, Geburtsdatum, Status des Vermittlers, Bezeichnung und Anschrift der Registerbehörde, die EU- bzw. die EWRStaaten, in denen der Vermittler beabsichtigt tätig zu werden, einschließlich der Anschrift etwaiger ausländischer Niederlassungen, betriebliche Anschrift, Registrierungsnummer, bei gebundenen Vermittlern der haftende Versicherer. 81 Eine Vermittlungstätigkeit, die die Grenzen der Erlaubnis überschreitet, erfolgt ohne Gewerbeerlaubnis und damit in wettbewerbswidriger Weise.400 Das ist naheliegend, weil die Missachtung der Eintragung nicht nur öffentlich-rechtlich relevant sein kann. So handelt ein VV, dem eine Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO erteilt worden ist und der in zumindest 9 Fällen VN aufsucht und ihnen vorausgefüllte Vollmachten zugunsten eines Versicherungsmaklers vorlegt und nach Unterzeichnung an den Makler weiterleitet, der ihm erteilten Erlaubnis zuwider.401 Für die Behauptung, ein Versicherungsvermittler, der die Antragsfragen aufgenommen hat, sei als Agent der Versicherung tätig geworden und stehe daher „in deren Lager“, ist der VN beweisbelastet.402 Zivilrechtlich besitzt die Eintragung keinen konstitutiven Charakter.403 Das Verhältnis 82 zwischen Versicherer und Vermittler wird durch das Registerrecht oder die Fiktion des Pseudomaklers nicht berührt;404 Schadenersatzansprüche sowie § 48 VAG405 einmal beiseite gedacht. Die registerrechtlich dokumentierte Lage hat – nicht anders als bei der Abgrenzung von Selb79

394 Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (158). 395 Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (159); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 17. 396 Emde ZVertriebsR 2018, 292 (295). I. E. auch Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 18. AA wohl Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 56: Der Vermittler kann nicht ad personam sich als Vertreter eintragen lassen und gleichzeitig geschäftsführend im Rahmen einer juristischen Person als Makler vermitteln. 397 Siehe etwa LG Hannover, Urt. v. 30.6.2009 – 18 O 193/08, BeckRS 2009, 21555. 398 VG Bremen, Urt. v. 15.9.2011 – 5 K 3670/07, BeckRS 2011, 55620; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 13. 399 Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (156). 400 BGH, Urt. v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797 Rn 16. 401 LG Freiburg/Brsg., Urt. v. 30.12.2015, VersR 2016, 1566. 402 OLG Dresden, Urt. v. 22.11.2016 – 4 U 864/15, NJW-RR 2017, 226. 403 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 19; Michaelis, § 11a GewO Rn 4; aA Böckmann/ Ostendorf VersR 2009, 154 (157); Abram VersR 2005, 42 (44). 404 Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (158). 405 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 9. Emde

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ständigkeit und Unselbständigkeit (s. Kommentierung zu § 84) – allenfalls Indizfunktion bei der Statusbestimmung.406 Der Vermittler, der entgegen seiner Statusbestimmung handelt, verletzt jedoch eine Pflicht aus dem VV-Vertrag, sofern dieser eine abweichende Rechtsnatur vorsieht.407 Die Rechtsauffassung der zuständigen Verwaltungsbehörden ist für die Beurteilung, ob das 83 fragliche Verhalten der Genehmigungspflicht nach § GEWO § 34d GewO unterfällt und der Vermittler ohne eine Genehmigung objektiv rechtswidrig handelt, ohne Bedeutung, solange die Behörde keine entsprechende Entscheidung getroffen hat.408 (7) § 34d Abs. 1 S. 7 GewO untersagt, dass ein Versicherungsvermittler VN, versicherten 84 Personen oder Bezugsberechtigten aus einem Versicherungsvertrag Sondervergütungen gewähren oder versprechen darf und verweist insoweit auf die entsprechende Anwendung des § 48b VAG. Damit schreiben § 34d Abs. 1 S. 7 GewO und § 48b VAG das bislang umstrittene Provisionsabgabeverbot für VV (Rn 163) gesetzlich fest. (8) Gem. § 34d Abs. 1 S. 9 GewO umfasst die einem Versicherungsmakler erteilte Erlaubnis 85 die Befugnis, Dritte, die nicht Verbraucher sind, bei der Vereinbarung, Änderungen oder Prüfung von Versicherungsverträgen gegen gesondertes Entgelt rechtlich zu beraten.

bb) § 34d Abs. 2 GewO. Nach § 34d Abs. 2 GewO bedarf auch der Versicherungsberater einer 86 Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer.409 Der Begriff des Versicherungsberaters wird in § 34d GewO zweimal geregelt, zunächst als eine Person, die gewerbsmäßig über Versicherungen und Rückversicherungen beraten will und dann als solcher, der ohne von einem Versicherungsunternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten oder in anderer Weise von ihm abhängig zu sein (Nr. 1), den Auftraggeber bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen oder bei der Wahrnehmung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen im Versicherungsfall auch rechtlich berät (Nr. 2), den Auftraggeber gegenüber dem Versicherungsunternehmen außergerichtlich vertritt oder (Nr. 3) für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt. Die Voraussetzungen für eine Erlaubniserteilung gleichen denen der ungebundenen Versi- 87 cherungsvermittler.410 Der Versicherungsberater darf sich nach § 34d Abs. 2 S. 3 GewO seine Tätigkeiten nur durch den Auftraggeber vergüten lassen. Zuwendungen eines Versicherers im Zusammenhang mit der Beratung, insbesondere aufgrund einer Vermittlung als Folge der Beratung, darf er nicht annehmen.

cc) § 34d Abs. 3 GewO. § 34d Abs. 3 GewO regelt, dass Versicherungsvermittler nicht als Ver- 88 sicherungsberater gem. Abs. 2 tätig werden dürfen und Versicherungsberater nicht als Versicherungsvermittler.411 dd) § 34d Abs. 4 GewO. Gemäß § 34d Abs. 4 GewO kann die Erlaubnis nach Ermessen412 in- 89 haltlich beschränkt und mit Nebenbestimmungen verbunden werden, soweit dies zum Schutz der Allgemeinheit oder der VN erforderlich ist. Unter denselben Voraussetzungen wären auch die nachträgliche Aufnahme, Änderung oder Ergänzung der Nebenbestimmungen zulässig.

406 407 408 409 410 411 412 807

OLG Dresden, Urt. v. 22.11.2016 – 4 U 864/15, NJW-RR 2017, 226 Rn 13 – Indizfunktion. Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154 (157). BGH, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 7/13, WM 2014, 553 = BeckRS 2014, 05327. Hierzu Emde ZVertriebsR 2018, 292 (298). Siehe Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154. Siehe Emde ZVertriebsR 2018, 292 (298); Reiff VersR 2018, 193 (194). Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 23. Emde

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90 ee) § 34d Abs. 5 GewO. Die Erlaubnis ist nach Abs. 5 zu versagen, wenn (Nr. 1) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, (Nr. 2) der Antragsteller in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt, (Nr. 3) er den Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung oder einer gleichwertigen Garantie nicht erbringen kann oder (Nr. 4) nicht durch eine vor der Industrie- und Handelskammer erfolgreich abgelegte Prüfung nachweist, dass er die für die Versicherungsvermittlung oder Versicherungsberatung notwendige Sachkunde über die versicherungsfachlichen, insbesondere hinsichtlich Bedarf, Angebotsform und Leistungsumfang, und die rechtlichen Grundlagen sowie die Kundenberatung besitzt.413 91 Abs. 5 nennt negativ beschrieben einzelne, abschließende414 Versagungsgründe. Der Antragsteller hat Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis, wenn er keinen der erwähnten Versagungsgründe erfüllt.415 92 Die erforderliche Zuverlässigkeit nach Abs. 1 Nr. 1 besitzt i. d. R. nicht, wer in den letzten 5 Jahren vor dem Antrag wegen eines Verbrechens oder wegen Diebstahls, Unterschlagung, Erpressung, Betruges, Untreue, Geldwäsche, Urkundenfälschung, Hehlerei, Wucher oder einer Insolvenzstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist. Ungeordnete Vermögensverhältnisse liegen i. d. R. vor, falls über das Vermögen des Antragstellers das Insolvenzverfahren416 eröffnet wurde oder er im Schuldnerverzeichnis nach § 882b ZPO eingetragen ist. Die Zuverlässigkeit fehlt aber wohl nicht nach einer Restschuldbefreiung.417 Maßgeblich sind alle Umstände des Einzelfalls und die Gesamtpersönlichkeit des Antragstellers.418 Deshalb kann auch sonstiges Fehlverhalten des Antragstellers auf seine Unzuverlässigkeit schließen lassen, sofern ein relevanter Bezug zur Versicherungsvermittlung vorliegt.419 Bei Personengesellschaften wie auch bei juristischen Personen kommt es sowohl auf die Zuverlässigkeit der vertretungsberechtigten Personen420 wie auch der Gesellschaft an. 93 Das Gleiche gilt bei den geordneten Vermögensverhältnissen der Nr. 2. Maßgeblich sind erneut die Gesamtumstände.421 94 Nach Nr. 3 muss der Antragsteller eine Berufshaftpflichtversicherung nachweisen. Jede Veränderung der Versicherung, die die Schutzwirkung für Dritte beeinträchtigen kann, meldet der Versicherer der zuständigen Behörde.422 Bei Personenhandelsgesellschaften muss der Versicherungsschutz sowohl für die Personenhandelsgesellschaft als auch für alle geschäftsführenden Gesellschafter bestehen.423 Bei juristischen Personen muss der Versicherungsschutz nur die juristische Person erfassen. 95 Die Kommission hat 2007 einen Bericht über die Regeln der Berufshaftpflichtversicherung der Versicherungsvermittler aufgrund der Versicherungsvermittler-RL 2002/92/EG vorgelegt, nach der die Gründe für den Beibehalt der Berufshaftpflichtversicherung nach wie vor gelten und es nur unzureichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass jene Anforderungen nicht mehr zweckmäßig sind424. Zu den geordneten Vermögensverhältnissen, der Berufshaftpflichtversicherung, deren Deckungsbeitrag mindestens eine Mill. EUR für jeden Schadensfall und 1,5 Mio. EUR

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Emde ZVertriebsR 2018, 292 (299). Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 25. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 25. Vgl. VG Münster, Urt. v. 14.4.2010 – 9 K 320/09, BeckRS 2010, 52590. Im Einzelnen Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 73b. AA VG Münster, Urt. v. 14.4.2010 – 9 K 320/ 09, BeckRS 2010, 52590. 418 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 26. 419 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 26. 420 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 27. 421 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 29. 422 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 31. 423 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 32. 424 EU, Pressemitteilung v. 12.4.2007, EuZW 2007, 290. Emde

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für die Schadensfälle eines Jahres umfassen muss sowie den Sachkundenachweis wird i. E. auf Jahn/Klein425 verwiesen. § 5 VersVermV stellt bestimmte Berufsqualifikationen der in Nr. 4 angesprochenen Sach- 96 kundeprüfung gleich, so u. a. den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung als Bank- und Sparkassenkaufmann/-frau bei mindestens 2-jähriger Berufserfahrung im Bereich der Versicherungsvermittlung.426 Jacobs427 stellt ein Schulungsprogramm dar, mit welchem die nötige Sachkunde erworben werden kann. § 2 Abs. 3 VersVermV lässt anstelle eines Sachkundenachweises eine seit dem 31.8.2000 durchgängige Tätigkeit als Versicherungsvermittler genügen.

ff) § 34d Abs. 6 GewO. Auf Antrag hat die zuständige Industrie- und Handelskammer nach 97 § 34d Abs. 6 GewO einen Gewerbetreibenden, der die Versicherung als Ergänzung der im Rahmen seiner Haupttätigkeit gelieferten Waren oder Dienstleistungen vermittelt, von der Erlaubnispflicht nach Abs. 1 S. 1 auszunehmen, falls er nachweist, dass (Nr. 1) er seine Tätigkeit als Versicherungsvermittler unmittelbar im Auftrag eines oder mehrerer Versicherungsvermittler, die Inhaber einer Erlaubnis nach Abs. 1 S. 1 sind, oder eines oder mehrerer Versicherungsunternehmen ausübt, (Nr. 2) für ihn eine Berufshaftpflichtversicherung oder eine gleichwertige Garantie nach Maßgabe des Abs. 5 S. 1 Nr. 3 besteht und (Nr. 3) er zuverlässig sowie angemessen qualifiziert ist und nicht in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt.428 § 34d Abs. 6 GewO betrifft die sogenannten produktakzessorischen Vermittler.429 Hierbei 98 handelt es sich um Vermittler, die Versicherungen lediglich als Ergänzung zu einer andersartigen Haupttätigkeit vertreiben (auch sogenannten Annex-Vermittler genannt).430 Grund der Regelung ist die geringere Schutzbedürftigkeit der Kunden gegenüber solchen Vermittlern. Außerdem wird die Befreiung nur auf Antrag erteilt, so dass auch im Antragsverfahren ein gewisser Schutz besteht. Allerdings existiert bei Erfüllung der Antragsvoraussetzungen ein Anspruch auf die Erlaubnis, so dass es sich um eine gebundene Entscheidung handelt.431 Das Merkmal der Akzessorietät soll eng auszulegen sein.432 Ein Beispiel für produktakzessorische Vermittler bildet der Autohändler, der zugleich Kfz-Versicherungen vermittelt.433 Hingegen sollen Schilderpräger für Kfz-Kennzeichen434 oder Zulassungsdienste435 keine produktakzessorischen Vermittler sein. gg) § 34d Abs. 7 GewO. Abweichend von § 34d Abs. 1 GewO bedarf ein Versicherungsvermitt- 99 ler keiner Erlaubnis, wenn er (Nr. 1) seine Tätigkeit als Versicherungsvermittler ausschließlich im Auftrag eines oder, wenn die Versicherungsprodukte nicht in Konkurrenz stehen, mehrerer Versicherungsunternehmen ausübt, die im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt sind, und durch das oder die Versicherungsunternehmen für ihn die uneingeschränkte Haftung aus seiner Vermittlertätigkeit übernommen wird,436 oder (Nr. 2) in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder

425 426 427 428 429 430 431 432 433

Jahn/Klein DB 2007, 957 (958). Jacobs VersR 2007, 1164 (1166). VersR 2007, 1164. Emde ZVertriebsR 2018, 292 (299). Siehe Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 35. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 36. Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 98. BT-Drucks. 16/1935, S. 19; Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 97. BT-Drucks. 16/1935, S. 19; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 36; Landmann/Rohmer/ Schönleiter GewO, § 34d Rn 97. 434 VG Arnsberg, Urt. v. 30.7.2009 – 1 K 2393/08; Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 100. 435 Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 100. 436 Vgl. bereits Jacobs VersR 2007, 1164 (1169). 809

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in einem anderen Vertragsstaat des EWR niedergelassen ist und die Eintragung in ein Register nach Art. 3 RL 2016/97 nachweisen kann. § 34d Abs. 7 GewO stellt eine Ausnahme zur in § 34d Abs. 1 GewO geregelten Erlaubnisbedürftigkeit von Versicherungsvermittlungstätigkeiten dar. Nr. 1 befreit gebundene Versicherungsvermittler von der Erlaubnispflicht und setzt daher die Unterscheidung zwischen gebundenen und ungebundenen Versicherungsvermittlern voraus.437 Die ganz überwiegende Anzahl der Versicherungsvermittler sind in Deutschland im Auftrag nur eines Versicherers als gebundene Vermittler tätig.438 Sie vermitteln die Geschäfte ausschließlich im Auftrag eines oder mehrerer Versicherungsunternehmen, die im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt sind und deren Produkte nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Es handelt sich um die typischerweise als VV i. S. d. §§ 84, 92 bekannten Vermittler, auch Ausschließlichkeitsvertreter genannt. Der Begriff der Konkurrenz ist nicht anders als im Rahmen des § 86 zu verstehen. Meist dürfte eine spartenbezogene Betrachtung der Konkurrenzsituation richtig sein.439 Unternehmen eines Versicherungskonzerns oder einer Versicherungsgruppe gelten als nicht in Konkurrenz zueinander stehend.440 Eine Befreiung von der Erlaubnispflicht besteht auch, sofern der Versicherer für einen nur im Vertragsverhältnis zu dem mit dem Versicherer verbundenen Hauptvertreter stehenden Untervertreter eine Haftungsübernahme erklärt.441 Es kommt also nicht darauf an, ob der VV direkt vertraglich mit dem Versicherer verbunden ist, sondern darauf, ob er für diesen (ggf. mittelbar) vermittelt.442 Irrelevant bleibt, ob nur ein Versicherer Gesellschafter einer vermittelnden Kapitalgesellschaft ist, auch sie kann i. S. d. GewO ungebunden sein.443 Nr. 1 begründet einen Schuldbeitritt des Versicherers, der zu einem gegen den Versicherer gerichteten Direktanspruch als Gesamtschuldner führt.444 Dieser Direktanspruch ist Grund445 sowie Voraussetzung der Freistellung.446 Die Haftungsübernahmeerklärung kann auch zeitlich befristet oder unter Widerrufsvorbehalt abgegeben werden.447 Der Versicherer ist allerdings verpflichtet – solange das Vertragsverhältnis zwischen ihm und dem VV andauert – die Erklärung zu verlängern, damit es nicht zu einer „kalten“ fristlosen Kündigung kommt,448 außer im Falle der zulässigen Freistellung von der Tätigkeit. Der VV besitzt ggf. einen Freistellungsanspruch gegen den Versicherer.449 Unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der gesetzlichen Regelung und der Einordnung als Berufsausübungsregel i. S. d. Art. 12 GG ist § 34d Abs. 7 Nr. 1 GewO dahin zu verstehen, dass ein VV, der seine Tätigkeit ausschließlich im Auftrag eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherers ausübt, gem. § 34d Abs. 7 GewO auch dann keiner Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 S. 1 GewO bedarf, wenn er mit Zustimmung des Versicherers Produkte anderer Versicherer vermittelt, die weder mit den Produkten des Auftrag gebenden Versicherers noch untereinander konkurrieren (sog. „Ventillösung“), sofern diese Vermittlungstätigkeit nur einen geringen Teil seiner gesamten Tätigkeit ausmacht, durch eine hinreichend bestimmt gefasste 437 438 439 440

Emde ZVertriebsR 2018, 292 (300). Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 39. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 40. BR-Drucks. 303/06 (Beschluss), S. 5; BT-Drucks. 16/2475, S. 3; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 40. 441 Jacobs VersR 2007, 1164 (1169). 442 Jacobs VersR 2007, 1164 (1169). 443 LG Hannover, Urt. v. 30.6.2009 – 18 O 193/08, BeckRS 2009, 21555. Sie darf jedoch nicht mit ihrer „Unabhängigkeit“ werben, LG Hannover a. a. O. 444 Schulze Schwienhorst/Neuhaus VW 2012, 628. 445 Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 109. 446 AA wohl Jacobs VersR 2007, 1164 (1170). 447 Laakmann ZfV 2005, 601 (605); aA Jacobs VersR 2007, 1164 (1170). 448 Vgl. zu dieser Gefahr Jacobs VersR 2007, 1164 (1170). 449 Schulze Schwienhorst/Neuhaus VW 2012, 628. Emde

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Vereinbarung mit dem Auftrag gebenden Versicherer begrenzt ist und dieser die uneingeschränkte Haftung für den Vermittler übernimmt.450 Das TB-Merkmal, dass die mittels der Ventillösung vertriebenen Produkte nur einen geringen Anteil an den Gesamtprodukten ausmachen, wird bei einem Anteil von 3 % erfüllt sein.451 Die Geringfügigkeit dürfte jedoch auch bei einem Anteil von 10 % bestehen.452 Es reicht aus, wenn nur das „Mutter-Versicherungs-Unternehmen“, für welches der VV in erster Linie tätig wird, diesen als „gebundenen Versicherungsvermittler“ anmeldet und damit zugleich die uneingeschränkte Haftung für ihn übernimmt.453 Damit wird die Haftung sogar für die Vermittlung von Geschäften übernommen, die eine Verletzung des HV-Vertrages darstellen würden454 und auch für Geschäfte über Produkte, welche der Erklärende nicht vertreibt, die aber im Rahmen der Ventillösung für andere Versicherer vertrieben werden.455 Zulässig ist dies aber nur bei der Vermittlung nicht in Konkurrenz stehender Produkte (anders bei in Konkurrenz stehenden Produkten456); hier darf sowohl das anmeldende Versicherungsunternehmen als zusätzlich das andere Unternehmen denselben gebundenen Versicherungsvermittler zum Versicherungsvermittlerregister melden.457 Von der Ventillösung sollte sparsam Gebrauch gemacht werden.458 Nach aA ist, falls ein VV mehrere Konzernunternehmen vertritt, die verschiedene Versicherungssparten betreuen, eine Haftungsübernahme durch jeden der Versicherer zu erklären.459 Eine Haftungsübernahme durch eine mglw. noch nicht einmal Versicherungsgeschäfte betreibende Holding soll nicht genügen.460 Ungebundene Versicherungsvermittler nach § 34d Abs. 1 GewO stehen als Versiche- 105 rungsvermittler nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zu einem Versicherer. Sie vertreiben im Auftrag eines oder mehrerer Versicherer Versicherungen, jedoch im Unterschied zu den gebundenen Vermittlern ohne ausschließliche Bindung an einen Versicherer. Auch ungebundene Vermittler können VV i. S. d. §§ 84, 92 sein, etwa wenn sie mehrere Versicherer vertreten. Jedoch fallen auch Versicherungsmakler unter diesen Begriff.461 Ungebundene Versicherungsvermittler benötigen eine Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, falls die in § 34d Abs. 5 GewO genannten Bedingungen erfüllt sind.462 Auch gebundene Vermittler sind dazu verpflichtet, sich in das Vermittlerregister eintragen 106 zu lassen (§ 34d Abs. 10 S. 1 GewO). Die Registrierung gebundener Vermittler erfolgt jedoch ausschließlich über den Versicherer, der auf Veranlassung des Vermittlers und der Registerstelle die erforderlichen Daten übermittelt (§ 9 Abs. 2 VersVermVO i. V. m. § 48 Abs. 4 VAG). Mit der Datenübermittlung des Versicherungsunternehmens an die Registerstelle geht gem. § 34d

450 BGH, Urt. v. 30.1.2014 – I ZR 19/13, GRUR 2014, 794 = BeckRS 2014, 13374; OLG Schleswig, Urt. v. 25.5.2010 – 6 U 19/10, VersR 2011, 114 m. Anm. Hansen; v. 13.7.2010 – 6 U 26/10, VersR 2011, 115 m. zust. Anm. Hansen; LG Itzehoe, Urt. v. 30.8.2011 – 5 O 10/11, BeckRS 2014, 13389; Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 115; aA Will NVwZ 2015, 389; WM 2015, 597 und wohl auch Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 44: Traditionelle Ventillösungen sind nicht mehr möglich. 451 OLG Schleswig, Urt. v. 22.1.2013, GewA 2015, 30. 452 Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 115. 453 OLG Schleswig, Urt. v. 25.5.2010 – 6 U 19/10, VersR 2011, 114 m. Anm. Hansen; v. 13.7.2010 – 6 U 26/10, VersR 2011, 115 m. zust. Anm. Hansen; Reiff VersR 2015, 649 (651); aA Schulze Schwienhorst/Neuhaus VW 2012, 628. 454 OLG Schleswig, Urt. v. 13.7.2010 – 6 U 26/10, VersR 2011, 115 (117) m. Anm. Hansen; aA Schulze Schwienhorst/ Neuhaus VW 2012, 628. 455 OLG Schleswig, Urt. v. 13.7.2010 – 6 U 26/10, VersR 2011, 115 (117) m. Anm. Hansen. 456 BGH, Urt. v. 30.1.2014 – I ZR 19/13, GRUR 2014, 794 = BeckRS 2014, 13374; OLG Schleswig, Urt. v. 13.7.2010 – 6 U 26/10, VersR 2011, 115 (117) m. Anm. Hansen; Böckmann/Ostendorf VersR 2009, 154. 457 OLG Schleswig, Urt. v. 25.5.2010 – 6 U 19/10, VersR 2011, 114 m. Anm. Hansen; v. 13.7.2010 – 6 U 26/10, VersR 2011, 115 m. Anm. Hansen; Reiff VersR 2015, 649 (651). 458 Reiff VersR 2015, 649 (651); Landmann/Rohmer/Schönleiter GewO, § 34d Rn 115. 459 Jacobs VersR 2007, 1164 (1171). 460 Jacobs VersR 2007, 1164 (1171). 461 Jahn/Klein DB 2007, 957. 462 Emde ZVertriebsR 2018, 292 (301). 811

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Abs. 10 GewO die Haftungsübernahme i. S. d. § 34d Abs. 7 GewO einher. Im Falle des mehrfach gebundenen VV haben alle (Konzern-)gesellschaften, für die er tätig ist, die gem. § 11a GewO im Vermittlungsregister zu speichernden Angaben mitzuteilen.463 107 Wie sich aus Nr. 2 ergibt, gilt § 34d GewO auch für ausländische Vermittler, die in Deutschland Versicherungen vermitteln wollen.464 Nach Nr. 2 sind hiervon jedoch die dort genannten Vermittler ausgenommen. Eine Tätigkeit ohne die Übernahmeerklärung ist gem. § 4 Nr. 11 UWG wettbewerbswid108 rig, auch für den Versicherer.465 Aus § 34d Abs. 7 GewO kann sich ein eigenständiger Haftungsgrund ergeben, sofern im Konzernverbund die Haftungsübernahme von der Muttergesellschaft erklärt wird.466

109 hh) § 34d Abs. 8 GewO. Keiner Erlaubnis bedarf ferner ein Gewerbetreibender (Nr. 1), wenn er u. a. als Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit tätig wird, falls er (Nr. 2) als Bausparkasse oder als von einer Bausparkasse beauftragter Vermittler für Bausparer, Versicherungen im Rahmen eines Kollektivvertrages vermittelt, die Bestandteile der Bausparverträge und ausschließlich dazu bestimmt sind, die Rückzahlungsforderung der Bausparkassen aus gewährten Darlehen abzusichern oder (Nr. 3), er als Zusatzleistung zur Lieferung einer Ware oder zur Erbringung einer Dienstleistung im Zusammenhang mit Darlehens- und Leasingverträgen Restschuldversicherungen vermittelt, deren Jahresprämie einen Betrag von 500 Euro nicht übersteigt.467

110 ii) § 34d Abs. 9 GewO. Versicherungsvermittler nach § 34d Abs. 1 GewO, Versicherungsberater nach § 34d Abs. 2 GewO, ein nach § 34d Abs. 6 GewO befreiter Gewerbetreibender und derjenige, der nach § 34d Abs. 7 Nr. 1 GewO keiner Erlaubnis bedarf, dürfen gemäß § 34d Abs. 9 S. 1 GewO unmittelbar bei der Vermittlung oder Beratung mitwirkende Personen nur beschäftigen, wenn sie deren Zuverlässigkeit geprüft haben und sicherstellen, dass diese Personen über die für die Vermittlung der jeweiligen Versicherungen sachgerechte Qualifikation verfügen. § 34d Abs. 9 S. 2 GewO regelt eine Weiterbildungspflicht. Danach müssen sich grds. alle 111 Versicherungsvermittler sowie deren Angestellte, soweit sie unmittelbar bei der Vermittlung oder Beratung mitwirken, jeweils 15 Stunden im Jahr weiterbilden. Ausgenommen hiervon sind nur die Vermittler des § 34d Abs. 7 Nr. 1 GewO, soweit sie lediglich Versicherungen vermitteln, die eine Zusatzleistung zur Lieferung einer Ware oder zur Erbringung einer Dienstleistung darstellen.468 Für gebundene Vermittler ist mithin keinerlei Qualifizierungsnachweis vorgesehen.469 In 112 diesem Bereich ist die Verantwortung für eine ausreichend qualifizierte Versicherungsvermittlung auf den Versicherer verlagert, welcher gem. § 48 Abs. 2 VAG nur mit Vermittlern zusammenarbeiten darf, die über eine zur Vermittlung der jeweiligen Versicherung angemessene Qualifikation verfügen.470 Eine ausreichende Qualifikation auch des Ausschließlichkeitsvertreters liegt vor, soweit eine Sachkundeprüfung i. S. d. § 34d Abs. 5 Nr. 4 GewO abgelegt wurde. Es können alle Formen der Weiterbildung genutzt werden, neben der Teilnahme an Prä113 senzveranstaltungen auch das sog. E-Learning, eine geeignete Kombinationen verschiedener 463 464 465 466 467 468 469 470

Jacobs VersR 2007, 1164 (1171). Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 45. OLG Schleswig, Urt. v. 13.7.2010 – 6 U 26/10, VersR 2011, 115 (117) m. Anm. Hansen. LG Krefeld, Urt. v. 17.12.2015 – 3 O 29/15, VersR 2016, 1248 (1253). Emde ZVertriebsR 2018, 292 (301). Emde ZVertriebsR 2018, 292 (301). Emde ZVertriebsR 2018, 292 (301); Jacobs VersR 2007, 1164 (1165). Jacobs VersR 2007, 1164 (1165).

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Lernmethoden sowie die Teilnahme an betriebsinternen Weiterbildungsmaßnahmen. Versicherungsvermittler mit eigener Erlaubnis müssen die Weiterbildungsmaßnahmen dokumentieren und entsprechende Nachweise aufbewahren, damit die zuständigen Behörden die Erklärung der Verpflichteten über die Erfüllung der Weiterbildungspflicht überprüfen können.471

jj) § 34d Abs. 10 GewO. Gewerbetreibende nach Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 6 S. 1 und Abs. 7 114 S. 1 Nr. 1 sind verpflichtet, sich und die Personen, die für die Vermittlung oder Beratung in leitender Position verantwortlich sind, unverzüglich nach Aufnahme ihrer Tätigkeit in das Register nach § 11a Abs. 1 S. 1 GewO nach Maßgabe einer Rechtsverordnung i. S. d. § 11a Abs. 5 GewO eintragen zu lassen. Änderungen der im Register gespeicherten Angaben sind der Registerbehörde unverzüglich mitzuteilen.472

kk) § 34d Abs. 11 GewO. Abs. 11 und 12 wurden durch die IDD-RL neu eingefügt. Danach 115 müssen unanfechtbare Sanktionen grunds. öffentlich bekannt gegeben werden, wobei auch Informationen zu Art und Charakter des Verstoßes sowie den verantwortlichen Personen veröffentlicht werden. Dies ist wirkungsvoll, aber nicht unbedenklich, und zwar wegen der Prangerwirkung.473 Die zuständige Behörde nach § 34d Abs. 11 GewO kann nämlich jede in das Gewerbezentralregister nach § 149 Abs. 2 GewO einzutragende, nicht mehr anfechtbare Entscheidung wegen Verstoßes gegen Bestimmungen der GewO oder einer VO nach § 34e GewO öffentlich bekannt geben. Die Bekanntmachung erfolgt durch Eintragung in das Register nach § 11a Abs. 1 GewO. Die Behörde kann jedoch von einer Bekanntmachung nach S. 1 absehen, diese verschieben oder eine Bekanntmachung auf anonymer Basis vornehmen, sofern eine Bekanntmachung personenbezogener Daten unverhältnismäßig wäre oder die Bekanntmachung nach S. 1 die Stabilität der Finanzmärkte oder laufende Ermittlungen gefährden würde. Dieses öffnet den Weg zu möglichen Schadenersatzklagen wegen einer Amtspflichtverletzung. Eine Bekanntmachung nach S. 1 ist fünf Jahre nach ihrer Veröffentlichung zu löschen. Abweichend von S. 4 sind personenbezogene Daten zu löschen, sobald ihre Publikation nicht mehr erforderlich ist.474 ll) § 34d Abs. 12 GewO. Nach dieser Vorschrift richten die Industrie- und Handelskammern 116 ein Verfahren zur Annahme von Meldungen über mögliche oder tatsächliche Verstöße gegen die zur Umsetzung der IDD-RL ergangenen Vorschriften ein. Der Relativsatz des § 34d Abs. 12 S. 1 GewO, demzufolge das Meldeverfahren von der IHK über Verstöße gegen die zur Umsetzung der IDD ergangenen Vorschriften, „bei denen es ihre Aufgabe ist, deren Einhaltung zu überwachen“ eingerichtet wird, könnte so verstanden werden, dass damit alle aufgrund der IDD umgesetzten Vorschriften gemeint sind. Andererseits könnte er so ausgelegt werden, dass die IHK Meldeverfahren nur hinsichtlich der Vorschriften einrichten muss, bei denen sie zuständig ist, ihre Einhaltung zu überwachen.475 Dann liefe die Norm aber weitgehend leer, so dass dieses Verständnis nicht überzeugend ist.476 Die Meldungen können auch anonym abgegeben werden (s. o.).

471 472 473 474 475 476 813

Reiff VersR 2018, 193 (197). Emde ZVertriebsR 2018, 292 (302). Reiff VersR 2018, 193 (197). Emde ZVertriebsR 2018, 292 (302). IHK Stellungnahme vom 12.12.2016 zum Referentenentwurf zur Umsetzung der RL (EU) 2016/97 S. 15. Rüsing VersR 2019, 129 (135). Emde

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117 mm) UWG. § GEWO § 34d GewO bildet eine Marktverhaltensregelung i. S. d. § 4 Nr. 11 UWG.477 Lässt sich ein VV, der seine Agenturbindung gegenüber dem VN offen legt, für die Beratung und die Vermittlung einer Nettopolice vom VN eine Vergütung versprechen, soll dies nicht gegen § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 34d Abs. 1 GewO verstoßen. Hiermit soll nicht notwendig eine Irreführung des VN über den Status des Vermittlers als VV verbunden sein.478

118 d) VAG. Zur Vergütung regelt § 48a Abs. 1 VAG weitgehend im Einklang mit Art. 17 Abs. 3 IDD, dass jeder Versicherer seine Vertriebsstruktur nach dem generellen Gebot des Art. 17 Abs. 1 IDD ausrichten muss, im bestmöglichen Interesse des Kunden zu handeln. Durch die Vergütung entstehende Interessenkonflikte sollen verhindert werden.479 Dies sind sachliche Gründe, welche als Kompromiss den gesetzgeberischen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie rechtfertigen, insb. im Vergleich zum kaum durchsetzbaren Provisionsverbot.480 § 48a VAG enthält zahlreiche ausfüllungsbedürftige Begriffe.481 Versicherer dürfen weder durch Vergütung oder Verkaufsziele noch auf andere Weise Fehlanreize setzen. Wenn sie eine Provision oder Vergütung zahlen, müssen sie dafür Sorge tragen, dass sie sich nicht nachteilig für den Kunden auswirken und dadurch die Verpflichtung des Versicherers verletzt wird, im besten Interesse seiner Kunden ehrlich, redlich und professionell zu handeln. Der Kunde soll von mehreren möglichen das den Kundenbedürfnissen besser entsprechende Versicherungsprodukt angeboten erhalten.482 Man wird auch künftig einem Versicherer nicht vorwerfen können, ein Produkt zu vertreiben, selbst wenn die Konkurrenz bessere Produkte führt.483 Sonst entständen Monopole. Vor der Beratung muss eine Bedarfsermittlung erfolgen.484 Es kommt nicht darauf an, ob es in einem konkreten Fall durch die Vergütung zu einem Nachteil eines bestimmten Kunden bzw. zur tatsächlichen Beeinträchtigung seiner Interessen kommt. Bereits die Schaffung eines Risikos soll unterbunden werden, wie das TB-Merkmal „Vorkehrungen“ unterstreicht.485 Alles was einen Anreiz schaffen könnte, einem Kunden eine Versicherung zu empfehlen, obwohl eine andere, den Bedürfnissen des Kunden besser entsprechende angeboten werden könnte, ist untersagt.486 Vorkehrungen i. S. d. § 48a Abs. 1 S. 2 VAG erfassen Vertriebsvergütung, Verkaufsziele oder Vorkehrungen anderer Art.487 Ein Fehlanreiz ist jedenfalls anzunehmen, wenn der Vermittelnde aufgrund des Anreizes von mehreren möglichen Produkten nicht das für den Kunden bessere Produkt anbietet.488 Ein Vergütungssystem ist untersagt, wenn es geeignet ist, den Vertreiber nicht im Interesse der Kunden, sondern im Eigeninteresse handeln zu lassen.489 Der Begriff der Vergütung ist weit zu verstehen.490 Die Zahlung einer Vergütung als solcher ist 477 BGH, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 7/13, WM 2014, 553 = BeckRS 2014, 05327; LG Fulda, Urt. v. 27.3.2017 – 6 O 34/16, BeckRS 2017, 114524; Emde ZVertriebsR 2018, 292 (302). 478 BGH, Urt. v. 6.11.2013 – I ZR 104/12, DB 2013, 2797; Emde ZVertriebsR 2018, 292 (302). Vgl. auch Reiff VersR 2018, 193, demzufolge die Vermittlung von Nettopolicen auch nach Umsetzung der IDD durch VV zulässig ist. 479 Gruber/Baier VersR 2018, 1093 (1094). 480 Gruber/Baier VersR 2018, 1093 (1094/1095). Wie wenig von einem Provisionsverbot zu halten ist, zeigt der Umstand, dass nur rund 300 Versicherungsberater in Deutschland aktiv sind, jene überwiegende industriellen Geschäft. Die geringe Anzahl ist Beleg dafür, dass die Mehrzahl der Kunden sich eher an einem – vordergründig betrachtet – „kostenlosen“ Vermittler wendet (Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285 (291)). 481 Wendt VersR 2019, 257 (267); VW-Heft 1/2019, 100 (103). 482 Wendt VersR 2019, 257 (267). 483 Reiff VersR 2018, 193 (198); zum Recht Österreichs Gruber/Baier VersR 2019, 1457 (1462). 484 Wendt VersR 2019, 257 (267). 485 Wendt VersR 2019, 257 (267); VW 1/2019, 100 (103). 486 Reiff VersR 2018, 193 (198). 487 Wendt VersR 2019, 257 (268). 488 Wendt VersR 2019, 257 (267). 489 Gruber/Baier VersR 2018, 1093 (1097). 490 Wendt VersR 2019, 257 (268). Emde

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aber keine Pflichtverletzung.491 Ein Fehlanreiz kann sich aus der Höhe der Provision ergeben, ebenso falls sich ihre Höhe an das Erreichen der Verkaufsvolumina innerhalb eines bestimmten Zeitraums knüpft.492 Das gilt auch für Bonuszahlungen493 oder sonstigen Vorteilen oder Anreizen, letzteres jedenfalls dann, wenn sie im Voraus versprochen werden.494 Art. 17 Abs. 3 S. 2 IDD konkretisiert die Regel des S. 1 mit Beispielen. Ob sich aus dem Provisionsdeckel495 des § 50 VAG Rückschlüsse für sonstige Versicherungsprodukte ableiten lassen, ist fraglich.496 Diskutiert werden könnte, ob in Zukunft Staffelprovisionen für bestimmte Produkte ausgelobt werden dürfen, um deren Absatz zu erhöhen,497 weiter, ob unterschiedliche Provisionssätze vereinbart werden dürfen, um bestimmte Produkte für den Vertrieb attraktiver als andere zu machen. Vieles spricht dafür, dass dies unzulässig ist.498 Verkaufsziele und quantitative Kriterien, wie sie vor allem für den Erhalt von Bonifikationen relevant sind, können ebenfalls problematisch werden.499 Angeblich soll im Lebensversicherungsbereich von der BaFin eine maximale Provision oder Courtage i. H. v. 2,5 % der vom Kunden während der Vertragslaufzeit zu zahlenden Prämien präferiert werden.500 Weitere 1,5 % sollen vereinbart werden dürfen, falls Vermittler bestimmte Qualitätskriterien (etwa eine niedrige Stornoquote und eine geringe Anzahl von Kundenbeschwerden) erfüllen. Vergütet der Versicherer darüber hinaus Dienstleistungen für IT, Marketing oder anderes, sollte die Vergütung die Summe nicht übersteigen, die ein fremder Dienstleister verlangen würde.501 Früher hatte das Bundesaufsichtsamt auch hohe Provisionen für angemessen gehalten, wenn sie nicht allein der Vergütung des Verkaufs sondern auch des Verwaltungsaufwands dienten.502 Mglw. sollen nach Auffassung der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA bereits Provisionen von mehr als 40 % als Anreiz für fehlgeleitete Verkaufspraktiken anzusehen sein.503 Die Vielgestaltigkeit der Vergütungsmodelle macht es nicht einfach, einen „richtigen“ Höchstsatz für Provisionen zu formulieren.504 Es stellt sich die Frage, ob Fehlanreize durch qualitative oder andere Kriterien kompensiert werden können.505 Ein Fehlanreiz, der dazu führt, dass nicht im bestmöglichen Interesse des Kunden gehandelt wurde, lässt sich im Nachhinein kaum kompensieren.506 Jedoch sind alle Teilaspekte gegeneinander abzuwägen und im Rahmen einer Gesamtanalyse zu bewerten, insb. das Risiko der nachteiligen Auswirkungen und die Möglichkeit, dieses zu erhöhen oder zu senken.507 Eine genaue Grenzziehung verbietet sich mithin.508 Ausweislich § 48 VAG dürfen Versicherungsunternehmen nur mit Versicherungsvermittlern 119 zusammenarbeiten, die im Besitz einer Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO sind, nach § 34d Abs. 6 GewO von der Erlaubnispflicht befreit sind oder nach § 34d Abs. 7 S. 1 Nr. 1 oder Abs. 8 GewO nicht der Erlaubnispflicht unterliegen und bevollmächtigt sind, Vermögenswerte des VN

491 492 493 494 495 496 497 498 499 500 501 502 503 504 505 506 507 508 815

Gruber/Baier VersR 2018, 1093 (1098). Wendt VersR 2019, 257 (268); VW 1/2019, 100 (104). Wendt VersR 2019, 257 (268); VW 1/2019, 100 (104). Wendt VersR 2019, 257 (268). Zum Provisionsdeckel skeptisch Daniel VW 7/2019, 36. Wendt VW 1/2019, 100 (104). Reiff VersR 2018, 193 (198). Reiff VersR 2018, 193 (198). Gruber/Baier VersR 2019, 1457 (1461). Wendt VersR 2019, 257 (268); VW 1/2019, 100 (104). Wendt VersR 2019, 257 (268); VW 1/2019, 100 (104). Wendt VW 1/2019, 100 (104). Wendt VW 1/2019, 100 (104). Wendt VersR 2019, 257 (269). Wendt VersR 2019, 257 (269). Wendt VersR 2019, 257 (269). Wendt VersR 2019, 257 (269). Wendt VW 1/2019, 100 (104). Emde

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oder für diesen bestimmte Vermögenswerte entgegenzunehmen oder, soweit nach einer Rechtsverordnung nach § 34e Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GewO erforderlich, eine Sicherheitsleistung nachweisen. 120 Regelungen zum Umgang mit Beschwerden über Versicherungsvermittler enthält § 51 VAG: Versicherungsunternehmen sind verpflichtet, Beschwerden zu beantworten, die sich auf Versicherungsvermittler beziehen, die deren Versicherungen vermitteln. Bei wiederholten, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Vermittlers relevanten Beschwerden haben sie die nach § 34d Abs. 1 GewO zuständige Behörde zu informieren.

121 e) RDG und RBerG. Wer als VV ohne die Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RBerG einen VN berät und zu einer für ihn ungünstigen Änderung des bestehenden Versicherungsverhältnisses veranlasst, haftet nicht für den diesem hierdurch entstehenden Schaden gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a RBerG als Schutzgesetz.509 Die Beratung des Kunden durch den VV in Bezug auf die Versicherungsverträge, welche mit dem von ihm vertretenen Versicherer geschlossen werden, ist durch das Berufsbild des VV gedeckt und verstößt nicht gegen § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a RBerG.510 Anders ist es bei Verträgen, die der Kunde mit einem Versicherer schließt, welcher vom VV nicht vertreten wird. Auch im Rahmen der Schadensregulierung dürfen VV Rechtsberatung als Nebentätigkeit erbringen.511 Die Freiheit von den Beschränkungen des RBerG dürfte aber nur soweit reichen, wie die Beratung dem Berufsbild des VV entspricht. AA ist Römermann512: Ob außerhalb der §§ 34d, 34e GewO eine Befugnis der VV zur Beratung über eine betriebliche Altersversorgung, insb. zu ihrer Arbeits-, betriebsverfassungs- und vertragsrechtlichen Umsetzung, bestehe, bleibe fraglich: Die Beratung bilde einen Verstoß gegen § 3 RDG; eine zulässige Nebenleistung nach § 5 RDG fehle. Die dahin gehende Beratung zähle nicht zum Berufs- und Tätigkeitsfeld eines VV.513 Der insoweit geschlossene Vertrag sei gem. § 134 BGB nichtig;514 ein Vergütungsanspruch entfalle.515 Zudem liege ein Wettbewerbsverstoß nach § 4 Nr. 11 UWG516 sowie eine OWiG nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 RDG517 vor. Vertritt man einen weiten Vermittlerbegriff (oben zu § 59 VVG) ist auch der Bereich zulässiger Nebentätigkeit weiter zu ziehen.518

122 f) VersVergV. VV i. S. d. § 84 Abs. 1 sind nicht Normadressaten des VersVergV (§ 2 Nr. 7 VersVergV).519

123 g) Vergaberecht. Die Rolle von Versicherungsvermittlern auf Bieterseite ist in der vergaberechtlichen Rspr. weitgehend ungeklärt. Ein Versicherungsvermittler lässt sich entweder als Vertreter eines Versicherers einordnen oder als Bieter mit eigenem Angebot, bei dem die Versicherer als Nachunternehmer fungieren. Die häufig in den Vergabebekanntmachungen enthaltenen Restriktionen, die Versicherungsvermittler entweder gänzlich von der Teilnahme ausschließen

509 OLG Nürnberg, Urt. v. 2.2.2004 – 8 U 110/03, VersR 2005, 1237. 510 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 34d GewO Rn 16. 511 BGH, Urt. v. 14.1.2016 – I ZR 107/14, WRP 2016, 861 Rn 21 – inzident in Abgrenzung zu Maklern; OLG Köln, Urt. v. 11.4.2014 – 6 U 187/13, BeckRS 2014, 08743; aA Henssler/Deckenbrock DB 2014, 2151 ff. 512 NJW 2011, 884. 513 Römermann NJW 2011, 884 (886). 514 Römermann NJW 2011, 884 (888). 515 Römermann NJW 2011, 884 (888). 516 Römermann NJW 2011, 884 (888). 517 Römermann NJW 2011, 884 (889). 518 Werber VersR 2019, 321 (325). 519 Annus/Sammet BB 2011, 115; Simon/Koschke BB 2011, 120 (121). Emde

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wollen oder im Offenen Verfahren den Versand der Vergabeunterlagen vom Vorliegen einer Vollmacht abhängig machen, sollen vergaberechtlich unzulässig sein.520

h) StGB. Zu den in § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB der Geheimhaltung unterworfenen Personen gehört 124 auch ein selbständiger VV. Bei einer privaten Personenversicherung sind nicht nur die vom Betroffenen preiszugebenden gesundheitlichen Daten geschützt. Auch der Umstand, dass ein Betroffener zur Absicherung bestehender oder künftiger gesundheitlicher Risiken finanzielle Vorsorgemaßnahmen getroffen hat, unterfällt der Geheimhaltungspflicht, da er Auskunft über die persönliche, der Öffentlichkeit nicht zugängliche wirtschaftliche Lebensgestaltung des Versicherers gibt. Die Abtretung von Provisionsansprüchen eines VV, der Personenversicherungen vermittelt, ist wegen der mit der Abtretung verbundenen Pflicht des Zedenten, dem Zessionar nach § 402 BGB die zur Geltendmachung der abgetretenen Forderung nötigen, jedoch der Geheimhaltung unterworfenen (§ 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB) Auskünfte zu erteilen, nach § 134 BGB nichtig.521 Das gleiche gilt für die Abtretung der Kontrollrechte des § 87c. Hier kommt das Problem der Informationspflichtigkeit des Versicherers gegenüber einem nicht der Geheimhaltung unterworfenen Dritten hinzu.522 Deshalb darf auch im Falle eines Verstoßes des VV gegen das Konkurrenzverbot der Unternehmer sein Auskunftsrecht nur insoweit ausüben, als vom VV keine Angaben über Namen und Adressen der VN gegeben werden, an die in der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung vertragswidrig vermittelt wurde.523 Die Rechte aus § 402 BGB können aber vertraglich ausgeschlossen werden, was die datenschutzrechtlichen Probleme ggf. beseitigt.524 III. Das Sonderrecht des § 92 (Abs. 3, 4) Es beschränkt sich auf die Regelung der Provisionsansprüche.

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1. Abs. 3: Entstehen der Provisionsanwartschaft nur durch „Tätigkeit“ des VV a) Provisionsanwartschaft. Gem. Abs. 3 hat der VV Anspruch auf Provision für Geschäfte, die 126 auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind. Wie bei jedem HV entsteht durch den Abschluss des Geschäftes zwischen Unternehmer und Kunden, beim VV des Versicherungsvertrages zwischen Versicherer und VN, eine Provisionsanwartschaft und ein aufschiebend bedingter Anspruch auf Zahlung.525

b) In Abs. 3 gemeinte Provisionen. Abs. 3 spricht von Provision. Gemeint sein kann nur eine 127 Vergütung, die überhaupt von einer Tätigkeit des HV abhängt, nicht eine solche, die mit einer 520 Wagner/Scheel VergabeR 2011, 836. 521 BGH, Urt. v. 10.2.2010 – VIII ZR 53/09, WM 2010, 669; im Anschluss an BGHZ 115, 123 (124 ff.) (Zahnarzt); 122, 115 (117 ff.) (Rechtsanwalt vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO); v. 5.12.1995 – X ZR 121/93, NJW 1996, 775 (Zahnarzt); v. 17.10.1996 – IX ZR 37/96, NJW 1997, 188; v. 11.11.2004 – IX ZR 240/03, NJW 2005, 507 (jeweils zur Abtretung von Honoraransprüchen eines Rechtsanwalts vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO); ferner Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, NJW 2005, 1505 (Arzt); Köpke Die Bedeutung des § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB für private Krankenversicherer, insbesondere bei der innerorganisatorischen Geheimnisweitergabe, 2003, S. 27; Oetker/Busche6 § 92 Rn 5; Flohr/ Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht § 92 Rn 54; aA Evers/Eikelmann VW 2009, 529 f. 522 BGH, Urt. v. 10.2.2010 – VIII ZR 53/09, WM 2010, 669 Rn 20. 523 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 118/11, NJOZ 2012, 2213. 524 OLG Koblenz, Beschl. v. 12.3.2014, 3.4.2014 – 2 U 553/13, WM 2014, 1863. 525 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 107. 817

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derartigen Tätigkeit nicht in Zusammenhang steht. Tätigkeitsbezogen sind typischerweise Vermittlungs-526 und Abschlussprovisionen,527 je nach Sachverhaltsgestaltung möglicherweise auch Superprovisionen,528 richtigerweise auch Bestandspflegeprovision.529 Verwaltungsprovisionen teilen den Charakter der Leistung, für die sie gewährt werden. Sie können daher gleichfalls den Charakter einer Tätigkeitsprovision besitzen und Abs. 3 unterfallen.530 Nicht tätigkeitsbezogene Provisionen entstehen mit dem vertragsgemäßen Entstehungstatbestand, im Zweifel mit der Ausführung der Leistungen, für die sie gezahlt werden sollen.

128 c) Nur Tätigkeitsprovision. Ein Waren-HV kann nach § 87 Abs. 1 S. 1 für die während des wirksamen HV-Vertrages abgeschlossenen Geschäfte Provision beanspruchen, soweit die Geschäftsabschlüsse auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind. Weiter stehen ihm – unabhängig von seiner tatsächlichen Mitwirkung – bei Nachbestellungen der von ihm geworbenen Kunden Provisionsansprüche für sog. Folgegeschäfte zu. Dagegen erwirbt der VV abweichend von dieser Grundregel nur einen Provisionsanspruch für Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind.531 Zwar entsteht die Provisionsanwartschaft des VV mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages532 (s. o.). Jedoch regelt § 92 Abs. 3, dass jene Provisionsanwartschaft nur für Geschäfte auflebt, die auf die Tätigkeit des VV zurückzuführen sind. Der VV erhält also nur dann eine Provision, wenn er an dem Abschluss des Geschäftes selbst fördernd mitwirkt.533 Damit haben VV – anders als Warenvertreter – grundsätzlich keinen Anspruch auf Provision für Nachbestellungen und Folgeaufträge.534 § 92 Abs. 3 S. 2 schließt darüber hinaus Bezirks- oder Kundenschutzprovisionen von der Provisionspflicht aus.535 129 Im Einzelnen: 130 Keine Provision für Folgeaufträge und keine Verpflichtung zur Kundenbetreuung. Die Vermittlung von Versicherungsverträgen kennt kein Folgegeschäft i. S. d. § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. Denn bei demselben Versicherer wird der Versicherungsvertrag regelmäßig solange fortgeführt, wie das nur einmal versicherbare, versicherte Risiko besteht.536 Provisionsrechtlich ist die Tätigkeit des HV damit nicht auf die Werbung von Stammkunden oder den Abschluss von Folgeverträgen, sondern auf die Vermittlung singulärer, langfristiger Verträge gerichtet537 („Unikate“538). Der vom VV für den Abschluss eines Versicherungsvertrages geworbene Kunde pflegt keine „Geschäfte gleicher Art“ folgen zu lassen, wie die vom Warenvertreter geworbenen Stammkunden

526 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 8. 527 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 8; Oetker/Busche6 § 92 Rn 3. 528 BGHZ 59, 125 (128 ff.); BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45 = NJW 1971, 462; Höft VersR 1976, 207; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 8. 529 Vgl. OLG München, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, WM 2011, 167 m. krit. Anm. Baumert FD-InsR 2011, 313542: „entgeltliche Leistung für die vom HV erbrachte Gegenleistung der Kundenwerbung und Kundenpflege“; aA BGHZ 30, 98 (102); OLG Schleswig VersR 1977, 1002; Höft VersR 1976, 206; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 8; Schlegelberger/ Schröder § 92 Rn 7a. Beispiel FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2. 530 AA Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 27 für „rein verwaltende Tätigkeiten“. 531 Oetker/Busche6 § 92 Rn 4. 532 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 8. 533 Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1428. 534 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 14, 28; Hopt § 92 Rn 4; Oetker/Busche6 § 92 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 10. 535 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 14, 29. 536 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 100. 537 BGHZ 34, 310 (316); BGH, Urt. v. 4.5.1959 – II ZR 81/57, BGHZ 30, 98 (102) = NJW 1959, 1430; Höft VersR 1976, 207; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 100 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 15; Ebenroth/ Löwisch4 § 92 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 11, § 87 Rn 4. 538 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 15. Emde

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in Form von Nachbestellungen.539 Über die Vermittlungspflicht hinaus besteht auch deshalb keine gesetzliche Verpflichtung zur Kundenbetreuung.540 Im Rahmen der Vertragsfreiheit können zwar vertragliche Zusatzpflichten eines VV vereinbart werden, so z. B. Pflichten zur allgemeinen Markt-, Bestands- und Kundenpflege, genauso wie einem VV verbindliche Vorgaben für Kundenbesuche in bestimmten Zeitabständen gemacht werden können.541 Es bedarf dann einer inhaltlich eindeutigen Vereinbarung.542 Der VV soll damit, anders als der Warenvertreter, dem Versicherer keine Kundschaft verschaffen können, aus welcher der Versicherer allein aufgrund der einmal hergestellten Kundenbeziehungen laufend gleichartige Folgegeschäfte erwarten dürfe.543 Ein bereits versichertes Risiko soll zumindest in der Schadensversicherung544 nicht noch einmal versichert werden können, es würde sich um ein Geschäft anderer Art handeln.545 Der Kunde könne vielleicht ein anderes Risiko bei demselben Versicherer versichern (wenn es sich in der betreffenden anderen Sparte ebenfalls betätigt); das wäre dann aber ein Geschäft anderer Art. Der VV vermittelt also leitbildartig einmalige, langfristige Verträge,546 andere HV oft „punktuelle“ Austauschverträge (aber es kann auch dort anders liegen, s. § 87b Abs. 3). Dieser Besonderheit solle Abs. 3 S. 1 Rechnung tragen. Er beschränkt die Provisionsberechtigung auf Abschlüsse, die konkret auf die Tätigkeit des VV zurückzuführen sind. Selbst wenn der VV den Kunden dazu veranlasst, ein anderes Risiko bei demselben Versicherer zu versichern, so soll das dem VV keine „Folgeprovision“ i. S. d. beim Warenvertreter verwendeten Nomenklatur einbringen,547 es sei denn, der VV hat am Zustandekommen auch des neuen Abschlusses fördernd mitgewirkt. Die durchgehende Richtigkeit dieser Diagnose ist fraglich. Man denke etwa an die jährlich gezeichneten Reiseversicherungen oder Kfz-Versicherungen, bei der ein neues Kfz ebenso häufig wie es bei einem Kfz-HV als Warenvertreter gekauft wird (dies führt bei ihm zu Folgeprovisionen) bei demselben Händler, der für Kfz-Versicherungen als VV tätig wird,548 versichert wird. Ein weiteres Beispiel wären Personen mit wiederholtem Versicherungsbedarf. Ganz generell ist zu erwarten, dass sich der VN für einen Folgevertrag an den ursprünglichen VV wendet,549 sofern er mit ihm zufrieden ist. So mag es dem VV etwa gelungen sein, einen VN zu werben, der alle Versicherungsverträge bei dem vertretenen Versicherer abschließt. Auch dieser Erfolg der Tätigkeit des VV wird kraft Gesetzes provisionsmäßig nicht honoriert.550 Oder dem VV gelang es, einen Frachtführer zu veranlassen, alle anfallenden Transportrisiken durch jeweils abzuschließende Einzelverträge bei dem Versicherer abzudecken. Sofern nicht eine Tätigkeit des VV für die weiteren Verträge kausal wurde oder die Grundsätze der Erweiterungsrechtsprechung (dazu unten und Kommentierung zu § 89b) eingreifen, verdient der VV auch hier keine Provision. Der VV ist insoweit ungünstiger gestellt, als der Waren-HV.551 Wenn Folgegeschäfte faktisch ausscheiden sollen, erklärt dies den Ausschluss ohnehin nicht. Denn was faktisch unmöglich ist, nicht entstehen und deshalb zu keiner Provisionspflicht führen kann, braucht nicht noch einmal ausgeschlossen werden. Vielmehr obläge es Rspr. und Literatur, Fall539 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 15. 540 BFH, Urt. v. 9.12.2009 – X R 41/07, BeckRS 2009, 25016016; FG Niedersachsen, Urt. v. 11.5.2011 – 2 K 11301/08, BeckRS 2011, 96234. 541 BFH, Urt. v. 9.12.2009 – X R 41/07, BeckRS 2009, 25016016. 542 BFH, Urt. v. 9.12.2009 – X R 41/07, BeckRS 2009, 25016016. 543 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 203. 544 Westphal I Rn 645. 545 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 203. 546 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 6. 547 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7b. 548 Beispiel: EuGH, Urt. v. 14.3.2013 – Rs C-32/11, EWS 2013, 154. 549 Lilje Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Versicherungsvertrieb, 2015, S. 77/76; Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, S. 97, der auf eine Pressemitteilung der Allianz verweist, derzufolge ein Kunde pro Vertreter durchschnittlich 3,3 Verträge schließe. 550 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7b. 551 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7b. 819

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gruppen zu bilden, in denen die Folgeprovision zu gewähren ist und solche, in denen sie ausscheidet. Ein Provisionsanspruch des VV besteht aber, falls ein von ihm vermittelter oder betreuter Versicherungsvertrag vom Versicherer gekündigt und mit demselben oder einem nur geringfügig abweichenden Inhalt erneut abgeschlossen wird, etwa um Provisionskosten zu sparen.552 Umgehungsgeschäfte sind mithin provisionspflichtig. Der VV kann dem Versicherer zudem über dessen Vorteile aus dem einzelnen Vertrag hinausgehende Vorteile bringen, dies wird bei der Bemessung der Unternehmervorteile des § 89b berücksichtigt. Zur Begriffsbildung ist anzumerken, dass auch ein VV „Folgeprovision“ erhalten kann. Nur wird damit im Recht des VV jede auf die Erstprämie folgende weitere Provision bezeichnet (s. d. Kommentierung zu § 89b). 131 Zum Begriff der Tätigkeit gelten grundsätzlich die zu § 87 Abs. 1 entwickelten Regeln553: Es reicht jede selbst untergeordnete, mitursächliche Tätigkeit,554 um die Provisionspflicht zu begründen. Erforderlich ist aber immer eine eigene Tätigkeit des VV bzw. der von ihm berechtigt in die Vertragsausführung eingeschalteten Personen (Untervertreter, Angestellte). Um Mitursächlichkeit anzunehmen, ist nicht gefordert, dass der VV den Antrag selbst beim Versicherer eingereicht hat.555 Auch jede andere Form der Mitursächlichkeit genügt. So ist es ausreichend, wenn der VN den Antrag aufgrund der Werbung des VV unmittelbar dem Versicherer zugehen lässt.556 Eine mittelbare Kausalität soll nicht ausreichen.557 Da aber Mitkausalität genügt, kommt es auf den Einzelfall an. Sind mehrere VV für einen Vertragsabschluss ursächlich, soll nach Handelsbrauch die Provision nur dem VV zustehen, der den Antrag eingereicht hat.558 Weske559 bezweifelt in Anbetracht unterschiedlicher Vertragsschlussmodelle und heute weit verbreiteter elektronischer Antragsprozesse die Sachgerechtigkeit dieses Handelsbrauchs. Angemessener sei es, nach den konkreten Beiträgen der beteiligten HV zu fragen und zu ergründen, auf wessen akquisitorische Tätigkeit der Entschluss des Kunden letztlich zurückzuführen sei. Im Zweifel könne darauf abgestellt werden, welcher Vermittler die Entäußerung des Willens des Kunden (z. B. Unterschrift) bewirkt habe. Auch eine Aufteilung der Provision entsprechend dem Vermittlungsanteil des einzelnen HV könne, als den Treupflichten aller Beteiligten am ehesten gerecht werdend, in Betracht gezogen werden.

d) Provision bei engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag („Erweiterungsrechtsprechung“) 132 aa) Überblick. Es gibt weitere Ausnahmen, die ein der Folgeprovision ähnliches Gepräge haben. Anschlussgeschäfte (Zweitverträge) im Nachgang zu einem vom VV vermittelten und abgeschlossenen Erstgeschäft (Versicherung), sofern sie mit diesem in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, lösen die Provisionsberechtigung auch ohne erneutes Tätigwerden des VV aus, weil sie als noch auf die Tätigkeit des VV für den Urabschluss zurück-

552 OLG Köln VersR 1987, 511; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 16; aA Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 7. 553 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 208. 554 BGH, Urt. v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (127) = NJW 1972, 1664; v. 24.4.1986 – I ZR 83/84, NJW-RR 1986, 1477 (1478); s. a. BGH, Urt. v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (316) = NJW 1961, 1059; OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 1192 (1193); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 16; Westphal I Rn 647; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 4; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 5; Hopt § 92 Rn 4; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 8. 555 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 16. 556 Trinkhaus S. 177; Westphal I Rn 648. 557 BGH, Urt. v. 24.4.1986, BB 1986, 2091; Hopt § 92 Rn 4; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 16; Oetker/Busche6 § 92 Rn 4. 558 Trinkhaus S. 182; Westphal I Rn 647; krit. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 17. 559 In: Flohr/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 92 Rn 17. Emde

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gehend angesehen werden.560 Das gilt sogar, falls ein Nachfolge-HV ebenfalls einen mitursächlichen, ergänzenden Ursachenbeitrag erbracht hat.561 Die Tätigkeit des Erstgeschäfts färbt also auf das Zweitgeschäft ab. In solchen Fällen werden meist neue oder höhere Prämien fällig (zwingend ist dies für das Provisionsrecht nicht), die eine nachträgliche Provision auslösen. Die Tatbestände gelten provisionsrechtlich als „neue Geschäfte“ für die Begrenzung der Provisionsberechtigung,562 insofern sie während der Dauer des HV-Verhältnisses abgeschlossen wurden, etwa als (Summenaufstockung oder Anschlussverträge). Wären derartige Provisionen bei unterstellter Fortsetzung des Vertrages nach Vertragsende angefallen, führen sie zur Ausgleichsberechtigung (s. d. Kommentierung zu § 89b).563 Ein wirtschaftlicher Zusammenhang in diesem provisions- und ausgleichsrechtlichen Sinne besteht, falls eine Vertragserweiterung oder ein zweiter Versicherungsvertrag aus vorherigen Vermittlungserfolgen oder einem ursprünglich durch den VV vermittelten ersten Versicherungsvertrag hervorgegangen sind und sich bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung oder Erweiterung jener Bemühungen bzw. des Ursprungsvertrages darstellt und das gleiche Versicherungs- oder Bausparbedürfnis (Zweck) betrifft, wie dies beim Erstvertrag der Fall war564 (z. B. Ergänzungsvertrag).565 Ob die Fortsetzung oder Erweiterung in Form eines äußerlich selbständigen Vertrages erfolgt, ist nicht entscheidend.566 Insb. sind solche Fälle auch im System der Einmalprovision möglich und nicht einmal selten. Nur darf die Fortsetzung oder Erweiterung, wenn sie sich verwirklicht hat, nicht ausschließlich durch erneute Vermittlungsbemühungen des Nachfolge-HV zustande gekommen, d. h. die Abschlussneigung durch jenen beim Kunden erst wachgerufen worden sein. Denn alsdann steht dem Nachfolger die Provision für die Fortsetzung bzw. Erweiterung des Vertrages allein zu (während sonst eine fortwirkende Mitursächlichkeit der Werbung des Kunden aus dem Urvertrag für die Ausgleichsfähigkeit des Folgevertrages genügt.567 Der ursprüngliche Kausalzusammenhang wirkt auch fort im Falle einer missbräuchlichen Kündigung und einem missbräuchlichen Neuabschluss von Verträgen durch den Unternehmer.568 Die Parteien dürfen aber abweichende Vereinbarungen treffen.569 Thume570 vertritt, ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang und ein mit dem Erstvertrag identisches Versicherungs- bzw. Bausparbedürfnis allein genüge nicht. Vielmehr müsse sich ein besonderer nachwirkender Vermittlungserfolg des VV in der Summenerhöhung und der Vertragserweiterung manifestieren. Dies lehnt Küstner ab, soweit die Vertragserweiterung zwar auf dem ursprünglich vermittelten Vertrag beruht, jedoch keine unmittelbare Folge der Bemühungen des VV ist, weil sie sich zwangsläufig aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder besonderer in den AVB enthaltener Klauseln (Index- oder Prämienangleichungsklauseln), ergibt. Etwas anderes gilt jedoch nach Küstner, wenn es aufgrund be560 BGH, Urt. v. 23.12.2011 – VIII ZR 203/10 Rn 30; v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71; v. 3.4.1996 – VIII ZR 54/95, MDR 1996, 696; v. 6.7.1972 – VII ZR 75/71, BGHZ 59, 125 (130) (für Bausparverträge); v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45 (46) = NJW 1971, 462; v. 23.2.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 (319); Küstner BB 1975, 493 (494) zum Krankenversicherungsvertreter; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 290; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 23; Hopt § 92 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 16; Koller/Roth/Morck, § 92 Rn 4; aA Ebenroth/ Löwisch4 § 92 Rn 7. 561 BGH, Urt. v. 6.7.1972, BB 1972, 1073 = VersR 1972, 931 m. Anm. Höft; hierzu Küstner BB 1975, 493 (494). 562 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7c. 563 Provisions- und Ausgleichsberechtigung werden meist einhergehen, zweifelnd Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 267. 564 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 290 weist darauf hin, dass diese zweite Voraussetzung der Provisionspflicht häufig übersehen wird; ebenso LG Hannover, Urt. v. 28.5.2001 – 21 O 2196/99. 565 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 215; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 290 (zum Bausparvertrag) Hopt § 92 Rn 4. 566 BGHZ 34, 310 (319). 567 BGHZ 59, 125 (127). 568 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 23. 569 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 23. 570 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 260. 821

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sonderer Bemühungen des VV zur Vermittlung eines Versicherungsvertrages mit Indexklauseln kommt.571 Dies setze voraus, dass die Bemühungen während des Vertrages intensiv gewesen seien und sie für den nach der Vertragsbeendigung eingetretenen Vermittlungserfolg noch als adäquat-kausal ursächlich oder zumindest mitursächlich angesehen werden können. Jene TBVoraussetzungen sind schwer nachweisbar, so dass zumindest Beweiserleichterungen nach § 287 ZPO572 und eine Pflicht des Unternehmers zu eingehender sekundärer Darlegung bestehen. Zudem ist fraglich, ob die strengen Anforderungen zu Recht gestellt werden, weil solche Fälle von § 87 Abs. 3 Nr. 1 erfasst sein könnten. Es dürfte eine eher weite Auslegung der TB-Voraussetzungen richtig sein.573

133 bb) Gruppenverträge.574 Zu unterscheiden sind „echte“ und „unechte“ Gruppenversicherungen.575 Bei der sog. unechten Gruppenversicherung, welche sich auf einen bloßen Rahmenvertrag beschränkt und den Abschluss mit jedem Mitglied der Gruppe (nach dessen freiem Entschluss) erforderlich macht, ist zwar auch die Provision mit jedem Einzelabschluss eines Gruppenmitgliedes verdient.576 Die Abschlüsse müssen aber in die Zeit des HV-Vertrages fallen; spätere sind nur provisionsberechtigend, falls sich der VV gerade um diese jeweils nachträglich zustande gekommenen Verträge noch während der Zeit seines eigenen Vertretervertrages mit wesentlichem Anteil bemüht hat, wofür die „Fortwirkung“ der Werbung des Gruppenvertrages wegen des fehlenden „Automatismus“ der Einbeziehung der VN in den unechten Gruppenvertrag rglm. nicht ausreicht. 134 Anders liegt es bei der echten Gruppenversicherung: Hier erhält der VV Tätigkeitsprovision, wenn der Gruppenvertrag den Versicherten beim Eintritt bestimmter Umstände automatisch zum Abschluss neuer Versicherungen verpflichtet oder die Erweiterung bei deren Eintritt gleichfalls automatisch eintritt.577 Nur wenn im Gruppenversicherungsvertrag der Abschluss des Einzelversicherungsvertrags mit dem später hinzutretenden Gruppenmitglied verbindlich und ohne Wahlrecht für dieses festgelegt worden ist, entsteht für die ohne Mitwirkung des VV geschlossenen einzelnen Gruppenmitgliedsverträge ein Provisionsanspruch nach § 92 Abs. 3 S. 1578 sowie mglw. gem. § 87 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 (dazu unten).579 Bedarf es noch einer Entscheidung des VN darüber, ob oder in welcher Weise der Vertrag geändert werden soll, handelt es sich um einen unechten Gruppenversicherungsvertrag und der den Ursprungsvertrag vermittelnde VV erwirbt ohne weitere Tätigkeit nach § 92 Abs. 3 S. 1 keinen Provisionsanspruch,580 ebenso wenig wie bei der Vermittlung eines bloßen Rahmenvertrags ohne verbindliche Festlegung der abzuschließenden Einzelverträge.581 Vielmehr verdient der VV die Tätigkeitsprovision, der für die Einbeziehung der neuen Risiken sorgt.582 Besteht der genannte Automatismus, wird die Tätigkeitsprovision dem VV gewährt, weil seine Ursprungsvermittlung des Gruppenvertra-

Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 268. BGH, Urt. v. 6.7.1972, BGHZ 59, 125 = NJW 1972, 1664; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 293. AA Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 324 zu Bausparverträgen: „restriktive Auslegung“. Zur Gruppenversicherung im Bausparbereich Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019, 92. Siehe Dreyer/Haskamp ZVertriebsR 2019, 92 (93). BGH, Urt. v. 1.12.1960 – VII ZR 215/59, DB 1961, 269. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 19; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1429; Hopt § 92 Rn 4; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 6. 578 BGH, Urt. v. 1.12.1960 – VII ZR 215/59, DB 1961, 269; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 15; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 6. 579 BGH, Urt. v. 1.12.1960 – VII ZR 215/59, DB 1961, 269; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 6. 580 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 6. 581 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 21; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 6; Hopt § 92 Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7b, c. 582 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 15.

571 572 573 574 575 576 577

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ges fortwirkt.583 Trotz fehlender Tätigkeit beim Zweitvertrag rechtfertigt sie sich durch den bereits als Folge der Erstvermittlung eintretenden „Automatismus“ des Versicherungsbeitritts.584 Häufig wird jedoch ein ausschließliches Provisionsrecht desjenigen vereinbart, der den Ursprungsvertrag vermittelte.585 Ein echter Gruppenversicherungsvertrag ist ein einheitlicher, eine Personengruppe erfassender Versicherungsvertrag, in den das einzelne Gruppenmitglied automatisch durch Anmeldung, immer aber im Hinblick auf seine Gruppenzugehörigkeit, einbezogen wird, und durch den entweder für Mitglieder der Gruppe oder für den VN, auf jeden Fall aber gegen ein einheitliches in den Gruppenmitgliedern sich verwirklichendes Risiko, Versicherungsschutz mit der Maßgabe genommen wird, dass die Versicherungsleistung in Bezug auf jedes Gruppenmitglied gesondert zu erbringen ist.586 Beispiel für eine automatisch erfolgende Vertragserweiterung, die sich erst nach besonders intensiven Vermittlungsbemühungen des Erstvertreters einstellt, ist ein Gruppenlebensversicherungsvertrag, welcher der Rückdeckung einer vom VN übernommenen Versorgungsverpflichtung gegenüber einer versorgungsberechtigten Person dient.587 Stellt der Gruppenversicherungsvertrag dagegen lediglich einen Rahmenvertrag dar, der den Versicherer verpflichtet, Personen einer bestimmten Gruppe zu geregelten, meist günstigeren Bedingungen zu versichern, ohne dass hinsichtlich der Erweiterung des Gruppenvertrages um zukünftige Mitglieder ein „Automatismus“ oder ein „Kontrahierungszwang“ bei Eintritt bestimmter Bedingungen eintritt (also weitere Verhandlungen ggf. des Nachfolgevertreters erforderlich sind; unechte Gruppenversicherung), ist eine über die Vermittlung des Gruppenvertrages hinausreichende Mitursächlichkeit des VV bei der Erweiterung erforderlich, um ihm ohne weitere Bemühungen eine Tätigkeitsprovision zu sichern.588 Das soll etwa bei Gruppensterbegeldversicherungen bzw. einem Sammelversicherungsvertrag der Fall sein.589 Die Mitursächlichkeit, die in der Vermittlung des Gruppenvertrages als Rahmenvertrag vorliegt, ist hier zu schwach, um unter dem Gesichtspunkt der Kausalität eine Tätigkeitsprovision zu begründen (aber mglw. nachvertragliche Provision gem. § 87a Abs. 3, s. dazu unten). Vielmehr sind für jeden einzelnen Versicherungsvertrag neue Vermittlungsbemühungen des VV erforderlich.590

cc) Vertragserweiterungen. Für Vertragserweiterungen gelten dieselben Grundsätze. Es ist 135 nicht erforderlich, dass ein neuer, selbständiger Vertrag geschlossen wird; der wirtschaftliche Zusammenhang und dasselbe Versicherungs- und Bausparbedürfnis zu dem vorherigen Vermittlungserfolg des VV genügen auch ohne separaten Vertragsschluss.591 Ist der VN zur Erweiterung des Vertrages unter bestimmten Bedingungen verpflichtet, reicht die Vermittlung des Ursprungsvertrages als mitursächliches Verhalten, um den Provisionsanspruch des VV zu begründen. Eine nachträgliche Erweiterung ohne entsprechende Verpflichtung im Ursprungsvertrag setzt hingegen eine zusätzliche fördernde Mitwirkung (Tätigkeit) des VV voraus, um den Provisionsanspruch zu begründen.592 Ein solcher Automatismus, der bei einer Erweiterung des Ursprungsvertrags zu einer „automatischen“ Tätigkeitsprovision des VV führt, wird z. B. in folgenden Fällen angenommen: Lebensversicherungsverträge mit von vornherein vorgesehener 583 584 585 586

Hopt § 92 Rn 4; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1429. Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 210; Westphal I Rn 650. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 20. Millauer Rechtsgrundsätze der Gruppenversicherung2 Karlsruhe 1966, S. 13/14; Wilhelm/Fahl VersR 2007, 1338/

1339.

587 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 264. 588 BGH, Urt. v. 1.12.1960; BB 1961, 189 (190); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 263; Westphal I Rn 651. 589 BGH, Urt. v. 1.12.1960; BB 1961, 189 (190); OLG Celle, Urt. v. 25.11.1992, VW 1994, 317; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 263; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 211. 590 BGH, Urt. v. 1.12.1960, BB 1961, 189 = VersR 1961, 210; OLG Celle, Urt. v. 25.11.1992, VW 1994, 314. 591 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 269. 592 Westphal I Rn 652. 823

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Aufstockung bei Erreichen eines bestimmten Einkommens des VN,593 Verträge mit Prämienindexklauseln594 sowie Ausweitung des Versicherungsvertrages durch öffentlich-rechtliche Maßnahmen.595 Nach aA sind Anpassungen von Versicherungssummen und Prämien als Folge bloßer Anpassungs- oder Indexklauseln im Vertrag (gleitende Neuwertversicherung!), ebenso Leistungsanpassungsklauseln im Krankenversicherungsbereich,596 nicht provisionsfähig, da sie nicht „Späterfolg“ der seinerzeitigen Vermittlungsbemühungen des HV, sondern mit der Vermittlung des ursprünglichen Vertrages und dessen Inhalt bereits gesetzt gewesen seien, also früher honoriert wurden. Man wird möglicherweise differenzieren und dem VV eine Provision dann zusprechen müssen, wenn der VV Verträge mit und ohne Steigerungsklauseln zu unterschiedlichen Tarifen anbieten konnte und den Abschluss des Vertrages mit einem höheren Tarif erreicht hat. Doch ist zu prüfen, ob der VV für einen dahingehenden Vermittlungserfolg bereits mit der höheren Vermittlungsprovision bedacht wurde, die sich gerade in der Schadensversicherung mit Vermittlungs-Folgeprovisionen in entsprechend höherem Ausgleich niederschlägt.

136 dd) Vertragsverlängerungen. Auch bei einer Verlängerung des Versicherungsvertrages ist im Grundsatz ein die Verlängerung förderndes Verhalten (Tätigkeit) des VV erforderlich, damit Tätigkeitsprovision entsteht. Dieses Verhalten kann auch hier in der Vermittlung des Ursprungsvertrages liegen. Ist dieser Ursprungsvertrag zu fern, um eine mitursächliche Tätigkeit des VV für den Zweitvertrag anzunehmen, bleibt ein weiteres förderndes Verhalten erforderlich, damit der VV einen Provisionsanspruch erwirbt. Bei einer Verlängerung des Versicherungsvertrages auf Grund einer bereits im Ursprungsvertrag vereinbarten Verlängerungsklausel ist die Ursächlichkeit bei der Vermittlung des Ursprungsvertrages ausreichend, um eine Provisionsanwartschaft für den Verlängerungsvertrag zu begründen. Der VV erhält auch hier automatisch eine Verlängerungsprovision.597 Fehlt eine vertragliche Abrede der Frage, wird dem VV bei provisionspflichtiger Verlängerung im Zweifel nicht automatisch eine weitere Erstvermittlungsprämie gutgeschrieben, sondern lediglich die für die gleichbleibende monatliche Leistung des VN zu zahlende übliche Folgeprovision ohne Erhöhung um die als Anreiz für die Erstvermittlung geleistete Erstvermittlungsprämie.598 Fehlt es an einer Verlängerungsklausel im Versicherungsvertrag, ist ein erneutes förderndes Verhalten des VV nötig, damit er Provision verdient. Vereinbart der VN dann die Verlängerung ohne eine kausale Tätigkeit des VV, erwirbt der VV keinen Provisionsanspruch.599

137 ee) Dynamikprovisionen. Die Tätigkeit bei Vermittlung des Ursprungsvertrages ist im Zweifel600 auch hinreichend kausal, um dem VV Provision für dynamische Erhöhungen der Lebensversicherungsprämien zu sichern.601 Denn bereits der ursprüngliche Versicherungsvertrag umfasst die jährlichen Summen- und Beitragserhöhungen, die lediglich auflösend bedingt sind

593 594 595 596 597 598 599 600

Westphal I Rn 653. Westphal I Rn 653. Westphal I Rn 653. Küstner BB 1975, 493 (496) – zweifelhaft. Westphal I Rn 654. Westphal I Rn 655. Westphal I Rn 656. BGH, Urt. v. 20.12.2018 – VII ZR 69/18, ZVertriebsR 2019, 116 = ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde); BAG VersR 1984, 897; VersR 1986, 251. 601 BGH, Urt. v. 20.12.2018 – VII ZR 69/18, ZVertriebsR 2019, 116 = ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde); BAG VersR 1984, 897; VersR 1986, 251; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 22. Emde

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durch einen nach dem Erhalt der Erhöhungsmitteilung fristgerechten oder fehlenden602 Widerspruch des Kunden oder durch die Nichtzahlung des erhöhten Beitrages.603 Die Dynamikprovision ist eine verzögert ausgezahlte Abschlussprovision für eine Erhöhung der Lebensversicherung, die – wenn auch widerruflich – schon mit dem Versicherungsvertrag eingereicht wurde604: Die Erhöhungen gehen also auf die Vermittlungstätigkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrags zurück und sind gem. § 92 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, § 87 Abs. 1 S. 1 provisionspflichtig.605 Dass sich die Parteien auf die „Grundsätze“ der Versicherungswirtschaft für die Ausgleichsberechnung geeinigt haben, führt zu keinem stillschweigenden Ausschluss der nachvertraglichen Dynamikprovision. Die Mitteilung, „wie“ im Falle von Provisionsverlusten berechnet werden soll besagt nichts darüber, „ob“ Provisionsverluste eintreten.606 Ist der Eintritt von Dynamikerhöhungen auflösend dadurch bedingt, dass der VN von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, trifft den Versicherer und nicht den HV für den für den Versicherer günstigen Umstand die Darlegungs- und Beweislast.607

ff) Beispiele. für einen engen wirtschaftlichen Zusammenhang und damit die Unterstellung 138 unter die „Erweiterungsrechtsprechung“: 139 Unter die „Erweiterungsrechtsprechung“ fallen: – Wenn die Versicherungssumme nachträglich und situationsbedingt aufgestockt wird, bspw. in der Lebensversicherung oder Krankenversicherung, etwa um den Vertrag höherem Einkommen bzw. einer Kostensteigerung anzupassen,608 in einen Tarif mit größerem Leistungsumfang überzusteigen; oder – in der Gruppen-Lebensversicherung für die Angehörigen eines Betriebes –, der Versicherungsumfang sich durch Neuzugänge im Betrieb auf Grund schlichter Nachmeldung ohne weiteres erhöht. – Erhöhungen dynamischer Lebensversicherungen.609 – Wenn ein abgelaufener Vertrag durch einen Anschlussvertrag erneuert wird (also nicht bloß auf Grund einer Verlängerungsklausel sich automatisch mangels Kündigung verlängert). – in der sog. echten Gruppenversicherung die Einbeziehung eines neuen Gruppenmitglieds durch schlichte Nachmeldung seitens des Versicherungskunden (etwa des Betriebsinhabers, der mit einer Gruppenpensionsversicherung seine Belegschaft so versichert hat, dass Neuzugänge automatisch in den Versicherungsschutz einbezogen werden). – Erhöhung einer Versicherungssumme wegen erhöhter Erbschaftsteuer bei Änderung der Erbfolge. – Höher- oder Umstufung in der Krankenversicherung. – Erhöhung der Vertragssumme zwecks Abdeckung höherer Kosten oder gestiegener Lebenshaltungskosten.610 – Weitere Versicherung infolge von Umbau bzw. Modernisierung: unter Umständen. 602 So der Fall BGH, Urt. v. 20.12.2018 – VII ZR 69/18, ZVertriebsR 2019, 116 = ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde). Diese Regelung im Versicherungsvertrag, nach der die Erhöhung fingiert wird, dürfte unwirksam sein. Der Versicherer darf sich jedoch nicht auf die Unwirksamkeit eigener AGB berufen. 603 Kritisch Evers VW 2/2020, S. 68 f., der für die Periode nach dem nächsten ordentlichen Kündigungstermin (wohl des Versicherungsvertrages?) ein eigenständiges, nicht provisionspflichtiges Geschäft sieht. 604 BGH, Urt. v. 20.12. 2018 – VII ZR 69/18; OLG Köln, Urt. v. 15.8.2003 – 19 U 219/02, OLGR 2003, 326 = VersR 2004, 908. 605 BGH, Urt. v. 20.12.2018 – VII ZR 69/18, ZVertriebsR 2019, 116 = ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde); BAG VersR 1984, 897; VersR 1986, 251. 606 BGH, Urt. v. 20.12.2018 – VII ZR 69/18, ZVertriebsR 2019, 116 = ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde). 607 BGH, Urt. v. 20.12.2018 – VII ZR 69/18, ZVertriebsR 2019, 116 = ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde). 608 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 266; Küstner BB 1975, 493 (497). 609 BGH, Urt. v. 20.12.2018 – VII ZR 69/18, ZVertriebsR 2019, 116 = ZIP 2019, 275 = EWiR 2019, 269 (Emde); Flohr/ Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 22. 610 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 291. 825

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140 Nicht unter die „Erweiterungsrechtsprechung“ fallen: – Abschluss einer weiteren Lebensversicherung oder eines Bausparvertrages611 allein aus steuerlichen Gründen, Ausnutzung steuerlicher Vorteile durch Folgeverträge. – Übertragung eines Vertrages auf einen Dritten, weil es zumindest am gleichen Bedürfnis mangeln dürfte.612 – Abschluss des Folgevertrages durch eine andere Person, selbst wenn es sich um einen Verwandten handelt.613 Abschlüsse von Verwandten begründen insb. keine provisionspflichtigen Folgegeschäfte, falls der VV für sie, auch wenn er nicht ausgeschieden wäre, ohne eigene neue Vermittlungstätigkeit keine Provisionen beanspruchen könnte.614 – Falls ein weiterer Versicherungsvertrag mit dem bestehenden in einer einheitlichen Police zusammengefasst wird (Beispiel: zu einer bestehenden Krankenkostenversicherung werden zusätzlich die Kosten einer ambulanten Behandlung versichert).615 – Erweiterung einer privaten Lebensversicherung um weitere Familienmitglieder (jedenfalls wenn Vermittlungsbemühungen des Neuvertreters erforderlich sind).616 – Umwandlung einer Risiko- zu einer Kapital-Lebensversicherung.617 – Bei Bausparabschluss Erwerb eines weiteren Grundstücks, Reparatur- oder Instandhaltungskosten oder Renovierung im Bausparbereich, Ablösung einer auf dem Grundstück lastenden Hypothek,618 Bausparvertrag für weiteres Bauvorhaben,619 etwa Modernisierung oder Ausbau des Dachbodens,620 angeblich auch der zusätzliche Kauf einer Eigentumswohnung und der Abschluss eines Zweitvertrages bei Herabsetzung der Vertragssumme des Erstvertrages.621 Anders aber bei von vornherein geplanter etappenweiser Durchführung des Bauvorhabens.622 – Versicherung eines weiteren PKW.623 – Lediglich Vermittlung von Rahmenverträgen ohne automatische Einbeziehung der Einzelverträge.624 – Wenn der VV Multiplikatoren, wie z. B. Reiseveranstalter, Busunternehmen und Gewerbebetreibende wirbt, die für ihre Kunden Gepäck-, Reiserücktrittskosten und ähnliche für Reisende in Betracht kommende Versicherungsverträge vermitteln und infolge dieser Werbung laufende Einzelverträge zustande kommen und der VV nur für die Werbung der Multiplikatoren und nicht nach en von ihnen vermittelten Geschäften vergütet wird.625

141 gg) Abschluss während der Laufzeit des VV-Vertrages? Fraglich ist, ob der VV für diese in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Verträge nur während des bestehenden VVVertrages Provisionen verlangen kann.626 Dafür spricht, dass der Anschlussvertrag tatsächKüstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 298. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 299. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 299. OLG Stuttgart, Urt. v. 22.2.1971 – 5 U 89/70, VersR 1972, 44 (45). Küstner BB 1975, 493 (494 f.) – zweifelhaft. Küstner BB 1975, 493 (497); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 267. OLG Karlsruhe, Urt. v. 10.1.1984, OLGZ 1984, 228 = VW 1984, 998 – Entscheidung zu § 89b. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 291, 295. BGH NJW 1961, 1059; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 291, 297; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89b Rn 366. 620 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 296. 621 Hönsch RVR 1971, 99 (104); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 295. 622 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 296. 623 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn Vertriebsrecht2 § 89b Rn 366. 624 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 296; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 21. 625 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. VIII Rn 292 ff. 626 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7c.

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lich ein neues Geschäft ist, welches nur während der Vertragslaufzeit provisionspflichtig ist. Andererseits werden die Voraussetzungen des § 87 Abs. 3 regelmäßig erfüllt sein.627 Denn der VV hat das Geschäft vorbereitet und das Anschlussgeschäft ist meist überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen. Das Interesse an der Erweiterung des Erstvertrages oder am Anschlussvertrag darf aber nicht ausschließlich durch Vermittlungsbemühungen eines Nachfolgevertreters beim Kunden geweckt worden sein (ein zusätzlicher Kausalitätsbeitrag des Nachfolge-HV schadet jedoch nicht, sofern die Kausalität des Vorgängers fortwirkt628). Anfall oder Abschluss des Geschäfts nach Ende des Vertreterverhältnisses geben also nur dann Anspruch auf Provision, falls auch dafür noch die Vermittlungsbemühungen des VV um den Urvertrag sich fördernd und entscheidend ausgewirkt haben, z. B. weil er schon damals die entsprechenden „Weichen“ gestellt hatte. Voraussetzung ist weiter, dass das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen werden muss.629 Welche Frist angemessen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es sind keine zu kurzen Fristen anzusetzen.630 Man kann sogar zu dem Ergebnis gelangen, dass die angemessene Frist als die volle Laufzeit der Rahmenverträge angesehen wird.631 Richtigerweise ist die Relation zur Gesamtlaufzeit der betreffenden Gruppenversicherung entscheidend. Es reicht nicht aus, wenn der VV vorträgt, bei einem Fortbestehen des VV-Vertrages wäre es ihm gelungen, eine Vertragsverlängerung mit dem VN zu veranlassen oder Risiko- in Kapitallebensversicherungen umzuwandeln.632

e) Keine Bezirksprovision. Eine Provisionsberechtigung nach § 87 Abs. 2 für die im Vertreterbe- 142 zirk anfallenden Abschlüsse, bei denen der VV nicht mitgewirkt hat, ist nach Abs. 3 S. 1 ausgeschlossen.633 Teilweise wird der Ausschluss der Bezirksvertreterprovision beim VV für europarechtswidrig gehalten.634 Gegen die Gewährung einer Bezirksprovision soll sprechen, dass der VV in seinem Bezirk keine kontinuierliche Betreuung des potentiellen Kundenstamms garantieren kann, wie sie der Warenvertreter bei der Übertragung eines Bezirks übernimmt.635 Die beliebige Vermehrbarkeit des Versicherungsangebots und die fast unbegrenzte Zahl versicherbarer Risiken mache dem VV eine hinreichende Ausschöpfung der in seinem Bezirk für einen Versicherer entstehenden Geschäftschancen unmöglich.636 Ob dieser Befund überzeugt, ist offen: Auch für viele Warenvertreter dürfte die kontinuierliche Betreuung des Bezirks schwierig sein. Die Richtigkeit der Diagnose der h. M. vorausgesetzt, könnte der Versicherer, sollte es auch im VV-Recht einen Bezirksvertreter geben, das Entstehen der Bezirksvertreterprovision immer noch verhindern, indem er den VV nicht als Bezirksvertreter i. S. d. § 87 Abs. 2 einsetzt, ihm also lediglich ein Gebiet (keinen Bezirk) zuweist, oder die Provisionspflicht des § 87 Abs. 2 abbedingt. Denn § 87 Abs. 2 ist dispositiv,637 so dass jederzeit eine abweichende Regelung getroffen werden darf. Eine von § 87 Abs. 2 divergierende Regelung wäre nicht erforderlich, da vertraglich das Gewünschte geregelt werden konnte. Die Regelung ist auch vom Grundgedanken der Bezirksprovision her nicht konse627 628 629 630 631 632 633

Vgl. BGH, Urt. v. 1.12.1960 – VII ZR 215/59, DB 1961, 269 zur unechten Gruppenversicherung. BGH, Urt. v. 6.7.1972, BB 1972, 1073 = VersR 1972, 931 m. Anm. Höft hierzu Küstner BB 1975, 493 (494). Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7c. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7c. Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7c. OLG Karlsruhe, Urt. v. 10.1.1984, OLGZ 1984, 228. Küstner BB 1975, 493; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 29; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 11; Oetker/Busche6 § 92 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 12, § 87 Rn 71; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 42. 634 von Hase WuW 2003, 685 (690); hiergegen MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 17 Fn 36. 635 Westphal I Rn 646. Die Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 23, spricht davon, dass die Zuweisung eines Bezirkes nicht die Bedeutung habe, dass der VV ohne Mitwirkung Provision erhalte. 636 Westphal I Rn 646; Höft VersR 1976, 205. 637 Westphal I Rn 644; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 11; Hopt § 92 Rn 6, § 87 Rn 34. 827

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quent, weil die Zubilligung der Bezirksprovision in § 87 Abs. 2 u. a. davon ausgeht, die allgemeine Bezirkspflegetätigkeit des HV wirke sich auch in der Bereitschaft zu Abschlüssen solcher Kunden aus, die er nicht mit gezielten Bemühungen gewonnen habe. Doch liegt die Regelung auf der Linie des Ausschlusses nicht-tätigkeitsbedingter Provisionen des VV. Die Übertragung des Bezirks an den VV beschränkt sich deshalb auf die Abgrenzung seiner Zuständigkeit;638 er darf sich nicht bezirksfremd betätigen.639 Sie begrenzt damit auch für VV und Bausparkassenvertreter Auftrags- und Vertretungsmacht640 (siehe früher § 46 VVG a. F.), führt aber entgegen § 87 Abs. 2 zu keiner Bezirksprovision und keinem Kundenschutz.641 Ein „Bezirksversicherungsvertreter“ erhält daher nur Provision für die von ihm vermittelten Geschäfte,642 es sei denn, die Parteien haben ausdrücklich eine Bezirksvertreterprovision nach dem Bild des § 87 Abs. 2 vereinbart, was zulässig ist.643 Damit reduziert sich die Wirkung der Derogation des § 87 Abs. 2 darauf, dass die Bestellung als „Bezirksvertreter“ nun nicht automatisch zur Bezirksvertreterprovision des § 87 Abs. 2 leitet. Diese muss vielmehr zusätzlich vereinbart werden. Auch eine Alleinvertretung mit Ausschluss des Vertriebsrechts des Versicherers darf dem VV eingeräumt werden.644

2. Abs. 4: Fälligkeit der Provision 143 a) Provision i. S. d. Abs. 4. Gem. Abs. 4 haben VV und Bausparkassenvertreter erst dann Anspruch auf Zahlung der Provision, wenn der VN/Bausparer den Beitrag gezahlt hat, aus dem sich die Provision nach dem HV-Vertrag berechnet.645 Die Ausführung durch den Unternehmer (§ 87a Abs. 1 S. 1) ist grundsätzlich irrelevant. Abs. 4 regelt die Fälligkeit der Provision und spricht dabei von der zu zahlenden Provision. Das ist jede dem VV versprochene Vergütung, deren Grund oder Höhe von einem Kundengeschäft abhängt, wobei angesichts der Dispositivität des Abs. 4 abweichende Regelungen getroffen werden können (s. Kommentierung zu § 87).646 Würde man einzelne Provisionsarten vom Regelungsbereich ausnehmen, entstände eine Regelungslücke. Abs. 4 müsste dann zumindest analog angewandt werden. Soweit Folgeprovisionen werbende Anteile enthalten, unterfallen sie unzweifelhaft Abs. 4.647 Die schwierige Abgrenzung zwischen werbenden und verwaltenden Anteilen zeigt jedoch, dass Provision i. S. d. Abs. 4 jede Provision unter Einschluss „verwaltender“ Vergütungsanteile sein muss. Anderenfalls käme es zu differierenden Fälligkeitszeitpunkten kaum separierbarer Provisionsbestandteile. Die Frage hat deshalb in der Praxis eine geringe Bedeutung, weil Abs. 4 dispositiv ist und der Fälligkeitszeitpunkt in den über Jahrzehnte entwickelten VV-Verträgen regelmäßig geregelt wird. In jedem Fall gelten die Abs. 3 und 4, falls eine Gesamtprovision gezahlt wird, die z. B. auch verwaltende Anteile enthält.648 Die Vorschrift findet damit grds. auf alle Provisionsarten Anwendung, insb.

638 Höft VersR 1976, 205 (207); Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 11; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 7, § 87 Rn 22. 639 Ebenroth/Löwisch2 § 92 Rn 13. 640 Höft VersR 1976, 205 (207); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 216 f; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 29; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1430; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 11; Hopt § 92 Rn 6. 641 Hopt § 92 Rn 6. 642 Westphal I Rn 644; Hopt § 92 Rn 6. 643 Westphal I Rn 644; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 11; Hopt § 92 Rn 6. 644 AA Höft VersR 1976, 205 (207); Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 11. 645 BAG, Urt. v. 21.1.2015 – 10 AZR 84/14, BeckRS 2015, 67796 = NJW 2015, 2364; OLG München, Urt. v. 27.3.2019 – 7 U 618/18, VersR 2019, 941 (943); OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 13.11.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02421; Beschl. v. 18.12.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02422; Oetker/Busche6 § 92 Rn 5; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 30. 646 Oetker/Busche6 § 92 Rn 5. 647 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7a. 648 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 9. Emde

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auf Bestandspflegeprovision,649 Verwaltungsprovisionen650 und wohl auch auf Inkassoprovisionen.651 Abweichend von Abs. 4 kann jedoch die Zahlung der Delkredereprovisionen nicht davon abhängen, ob der VN die Prämie geleistet hat (§ 92 Abs. 4).652 Denn in einem solchen Fall würde der VV gerade dann, wenn der Bürgschaftsfall eintritt, keine Provision erhalten.653

b) Regelungsgehalt. Das Gesetz hat für den VV das in Abs. 4 geregelte Unbedingtwerden654 144 seines Provisionsanspruchs gegenüber § 87a wesentlich modifiziert. Entgegen § 87a Abs. 1 stellt § 92 Abs. 4 nicht auf die Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer ab, sondern auf die Zahlung der Prämie durch den VN.655 Die Notwendigkeit hierzu ergab sich daraus, dass der Begriff „Ausführung des Geschäfts“ (Deckungsschutz? Prämienzahlung?) sowohl beim VN wie beim Versicherer sich einer für die Provision praktikablen Bestimmbarkeit entzieht und deshalb vor der Novelle von 1953 lebhaft umstritten gewesen war. Abs. 4 trägt damit den Besonderheiten des Versicherungsverhältnisses Rechnung. Auf die allgemeine Regelung, nach der die Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer den Provisionsanspruch unbedingt entstehen lässt, soll nicht abgestellt werden können, weil der Versicherer durch die Übernahme des Risikos eine Dauerleistung zu erbringen hat, so dass der Versicherungsvertrag mit dem Beginn der Gefahrtragung noch nicht ausgeführt ist.656 Deshalb soll auch die Ausführungshandlung des Versicherers nur schwer zu ermitteln sein.657 Das gilt allerdings auch für viele Dauerschuldverhältnisse außerhalb des Versicherungsvertragsrechts. Selbst im Recht der Warenvertreter wäre es sinnvoll gewesen, die Provisionen erst mit Zahlung durch den Kunden entstehen zu lassen, wie es in den von Unternehmern vorformulierten Verträgen meist vereinbart wird. Die Verlegung des Entstehungszeitpunktes auf die Prämienzahlung soll einer langen Übung im Versicherungswesen entsprechen.658 Vor diesem Zeitpunkt besteht nur eine Provisionsanwartschaft.659

c) Geltung ergänzender Vorschriften des allgemeinen HV-Rechts. Die nicht in den Abs. 3 145 und 4 für unanwendbar erklärten Vorschriften über den Provisionsanspruch des HV gelten auch für den VV.660 Die Regelung des § 87a Abs. 1 ist für den VV weitgehend durch § 92 Abs. 4 –

649 AA OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.10.2015 – I-16 U 182/13, ZVertriebsR 2016, 100 = VersR 2016, 1374 m. krit. Anm. Evers VW Heft 5/2016, 58. 650 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7a. 651 AA Staub/Brüggemann 4. Aufl, weil Inkassoprovisionen für konkrete Tätigkeiten des HV gewährt werden, die von der Ausführung des Geschäfts durch den Kunden oder durch Bezahlung unabhängig seien. 652 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 7a; aA wohl MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 5. 653 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 9. 654 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. IX Rn 107. 655 BFH, Urt. v. 9.10.2013 – I R 15/12, BeckRS 2014, 94838; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 30; Hopt § 92 Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 8. 656 Höft VersR 1976, 205 (208); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 20. 657 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 270; Westphal I Rn 658. 658 Westphal I Rn 658. 659 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.2.1986, BB 1986, 697; Hopt § 92 Rn 7; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1425. 660 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 10. 829

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was dort freilich nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt661 – ersetzt.662 Da Abs. 4 nur eine Sonderregelung im Hinblick auf die Entstehung des Provisionsanspruches darstellt, bleiben die übrigen provisionsrechtlichen Bestimmungen bzgl. Provisionshöhe (§ 87b), Provisionsfälligkeit (§ 87a Abs. 4)663 sowie die in § 87c geregelten Kontrollrechte des HV und schließlich die seinem Schutz dienenden, zwingenden Regelungen der § 87a Abs. 2, 3664 und 5 und § 87c unberührt.665 Der grundsätzliche Ausschluss des § 87a Abs. 1 besagt danach: Gem. § 92 Abs. 4 hat der VV abweichend von § 87a Abs. 1 erst Anspruch auf Provision, sobald der VN die Prämie geleistet hat, aus der sich die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet.666 Vorbehaltlich § 87a Abs. 3 gilt der Grundsatz „die Provision teilt das Schicksal der Prämie“,667 was, sofern die zwingende Natur des § 87a Abs. 5 beachtet wird, auch in den AGB des VV-Vertrages vereinbart werden darf.668 Nach Zahlung der für die Provision maßgebenden Prämie besteht der Provisionsanspruch unbedingt und endgültig, selbst wenn der Vertrag mit dem Kunden kurzfristig danach scheitert.669 Allenfalls kann der Versicherer gegenüber seinem VV mit einem Schadenersatzanspruch aufrechnen, falls der VV das Scheitern des Vertrages zu vertreten hat. 146 Trotz des grundsätzlichen Ausschlusses des § 87a Abs. 1 bleibt § 87a Abs. 1 S. 3 anwendbar.670 Die Provision ist danach (endgültig) verdient, wenn der VN die Prämie gezahlt hat, „aus der sich die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet“. Auch im Falle der Teilausführung gilt ergänzend § 87a Abs. 1 S. 3.671 Danach hat der VV Anspruch auf Provision, „soweit“ der Dritte das Geschäft ausgeführt hat.672 Erbringt der VN also nur Teilleistungen, so verwandelt sich auch nur insoweit die Provisionsanwartschaft in einen Vollanspruch.673 Nach Ansicht derjenigen, denen zufolge Teilzahlungen nicht zu einem Teilprovisionsanspruch führen,674 kann – da die Vorschrift zugunsten des VV dispositiv ist – dem VV eine Vorschussberechtigung einge-

661 BGH, Urt. v. 19.11.1982 – I ZR 125/80, DB 1983, 2135; BAG, Urt. v. 25.10.1967 – 3 AZR 453/66, NJW 1968, 518; OLG Zweibrücken NJW-RR 1996, 285; LG Karlsruhe VersR 1980, 1121; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 12; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 12; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 19, 20; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 9. 662 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 8. 663 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 30. 664 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 13.11.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02421; Beschl. v. 18.12.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02422 – einschließlich der Nachbearbeitungspflicht. 665 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92 Rn 8; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 30. Zu Abs. 2 weist Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 30 auf eine „Zirkelschlussproblematik“ hin, da Abs. 2 voraussetze, dass der Provisionsanspruch bereits entstanden sei und erst entfalle, wenn der Kunde definitiv nicht zahle. Beim VV könne er aber erst entstanden sein, wenn der Kunde zahle. 666 OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 30. 667 OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582; OLG Frankfurt/M. VersR 1978, 326; OLG Karlsruhe VersR 1982, 267; OLG Köln VersR 1974, 287; OLG München VersR 1975, 150; Höft VersR 1973, 1119; 1976, 209; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 27. 668 OLG Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010 – 12 U 96/09, BeckRS 2010, 25582. 669 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 27. 670 Hopt § 92 Rn 9; aA Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92 Rn 7 – jedenfalls wenn vorrangige vertragliche Vereinbarungen existieren. 671 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 34 (zumindest nach den Grundsätzen von Treu und Glauben); aA BAG NJW 1968, 518; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 4: Vertragsauslegung ergibt, dass bei Teilzahlung Teilprovision zu leisten ist, soweit Teilleistung des VN nicht zurückzuzahlen ist. 672 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 279; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 34; aA BAG NJW 1968 518 (520); OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1192; Staub/Brüggemann 4. Aufl., § 92 Rn 12; Hopt § 92 Rn 7: Teilleistungen führen nicht zu Teilprovisionen. 673 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 281. 674 Oetker/Busche6 § 92 Rn 5. Emde

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räumt675 und auch bestimmt werden, dass ihm im Falle der Stornierung des Versicherungsvertrages ein den Teilleistungen des Versicherungskunden entsprechender Teil der Provision zu belassen ist. Erfolgt dagegen eine Vorleistung des VN, entsteht der Provisionsanspruch – solange der VV-Vertrag nichts Abweichendes regelt – in Höhe des Zahlungsbetrages sofort, weil es nach § 92 Abs. 4, § 87a Abs. 1 S. 3 ausschließlich auf die Leistung der Versicherungsprämie durch den VN ankommt.676 Solange keine Zahlung des VN auf die Prämie erfolgt, soll dem VV auch kein angemessener Vorschuss i. S. d. § 87a Abs. 1 S. 2 zustehen, da die Ausführung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer keine Rolle für die Entstehung des Provisionsanspruches spielt.677 Daran könnte man zweifeln, da weder § 92 Abs. 3 noch Abs. 4 den § 87a Abs. 1 S. 2 ausdrücklich ausschließen, weshalb er eigentlich gelten müsste. Es ist für die Fälligkeit des Provisionsanspruches ferner unerheblich, ob der Versicherer schon eine vorläufige Deckungszusage gegeben hat (und damit etwa das Geschäft von seiner Seite teilweise ausgeführt hätte). Ein Anspruch auf Teilprovision wird dadurch nicht begründet. Die in § 87a Abs. 1 S. 4 unabdingbar gegebene Alternative hierzu – der Anspruch auf die ganze Provision, sobald das Geschäft „in bestimmtem Umfange ausgeführt ist“ – wird gegenstandslos. Im Grundsatz irrelevant ist auch, dass der VN seine Prämienschuld, meist laufende Prämienzahlungen, bei Ende des Versicherungsverhältnisses u. U. noch gar nicht voll erfüllt haben kann, und ebenso, ob er (bei einer Einmalprämie) diese erst in Teilen entrichtet hat. Auch hier entfällt die in § 87a Abs. 1 S. 4 an die Teilleistung geknüpfte provisionsrechtliche Folgerung. Da entscheidend die Zahlung derjenigen Prämie ist, aus der sich nach dem Vertrag zwi- 147 schen VV und Unternehmer die Provision errechnen soll, sollte der VV-Vertrag diejenige Prämienleistung des VN bestimmen, die, wenn sie erbracht worden ist, den Provisionsanspruch als unbedingt zur endgültigen Entstehung bringt.678 Dabei sollte in dem Vertrag neben der Höhe der Provision und ihrer Ermittlung festgelegt werden, aufgrund welcher von dem VN zu zahlenden Prämie der Provisionsanspruch endgültig entstehen soll.679 Ist z. B. geregelt, dass der VV je ein Drittel der insgesamt vereinbarten Provisionen erhalten soll, sobald der VN die erste Prämie, die dritte und die fünfte gezahlt hat, erhält der VV je ein Drittel dieser Provision mit dem Eingang der genannten Prämienzahlung.680 Geht nur die erste Prämie ein, so verbleibt es bei dem einem Drittel der Gesamtprovision.681 Schweigt der Vertrag, bedarf er ergänzender Auslegung,682 bei der auf allgemeine Üblichkeiten in der Versicherungs- oder Bausparbranche683 sowie auf allgemeine Versicherungs- oder Bausparbedingungen zurückgegriffen werden kann. Ihnen entsprechend bestimmt sich, ob der Provisionsanspruch mit der Zahlung der Erstprämie unbedingt wird und es sich bei jener um eine Jahresprämie handelt. Nur in diesem Punkte, dem Unbedingtwerden des Provisionsanspruchs, ersetzt § 92 Abs. 4 den § 87a. Nicht dagegen ist abgeändert § 87a Abs. 4 für die Fälligkeit der Provision – zugunsten des VV nach § 87a Abs. 5 sogar zwingend. Ebenso wenig wird der dispositive § 87b Abs. 2 betreffend die Berechnungsweise der Provision ausgeschlossen. Die Provision muss sich nicht notwendig aus der Prämie berechnen, sondern wird z. B. in der Lebensversicherung nach einem Promillesatz der Versicherungssumme festgesetzt. Es ist deshalb irreführend, wenn das Gesetz das Unbedingtwerden des Provisionsanspruchs an die Zahlung derjenigen Prämie anschließt, 675 OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2013 – I-16 U 183/12, BeckRS 2014, 06492; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 9.

676 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 281. 677 Höft VersR 1976, 205 (206); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 30; Westphal I Rn 659; Ebenroth/Löwisch, 4. Aufl., § 92 Rn 20; Oetker/Busche6 § 92 Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 19. 678 Vgl. den Fall OLG Karlsruhe VersR 1982, 267. 679 OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 1192 (1193) (Lebensversicherung); BAG NJW 1968, 519; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 22. 680 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 9. 681 Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 9. 682 OLG Stuttgart BB 1977, 565; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 12; Oetker/Busche6 § 92 Rn 5. 683 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 12; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 10. 831

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„aus der sich nach dem Vertragsverhältnis die Provision berechnet“. Gerade weil der Vertrag auch andere Berechnungsarten vorsehen kann, muss § 92 Abs. 4 so gelesen werden, dass maßgebend ist die Zahlung derjenigen Prämie, aus der die Provision nach dem Vertrage (nicht „berechnet“, sondern) entrichtet werden soll, oder, abstrakter ausgedrückt: die Zahlung derjenigen Prämie, die im Vertrage als Bezugspunkt für die endgültige Entstehung des Provisionsanspruchs bestimmt worden ist: Der VV soll den endgültigen Anspruch auf die Provision erwerben, sobald der VN eine Anlaufleistung an Prämien erbracht hat; der Versicherer soll nicht den VV mit seinem Provisionsanspruch an irgendeinen späteren, im Laufe des Versicherungsverhältnisses zu erreichenden Stand der Prämienzahlung des VN anhängen dürfen. Im Falle der Zahlung einer Einmalprämie (Beispiele: Lebensversicherung,684 Kaskoversicherung für ein Jahr, Reisegepäck- oder Reisekrankenversicherung für eine Reise), wird die Provision als Einmalprovision fällig, sobald der VN die erste Jahresprovision gezahlt hat.685 Bei Bausparverträgen wird der Provisionsanspruch mit der Leistung der Erstprämie unbedingt.686 Vielfach ist die Einmalprovision als Regelprovision vereinbart (dazu s. d. Kommentierung zu § 89b). Wird, wie in der Sachversicherungssparte häufig, laufende Prämienzahlung versprochen, verdient der VV die Provision mit dem Eingang der jeweiligen Prämie687 (Fälligkeit). Gesetzliche Regel ist, dass bei laufender Prämienzahlung die Provision laufend in gleichbleibender Höhe zu zahlen ist.688 Mischsysteme kommen vor, etwa mit erhöhten Erstprovisionen und gleichbleibenden Folgeprovisionen (s. d. Kommentierung zu § 89b). Der Anspruch auf die erhöhte Erstprovision bzw. auf eine ggf. vereinbarte Einmalprovision entsteht nach Zahlung der ersten Jahresprämie. Die Folgeprovisionen werden jeweils mit Eingang der Folgeprämie fällig.689 Nicht berührt durch § 92 Abs. 4 wird die Geltung von § 87a Abs. 2 und 3690 (zu Abs. 3 148 Rn 12). Dort geht es um die Leistungsstörungen im Vollzug des vermittelten Geschäfts und deren Auswirkungen auf den Provisionsanspruch. Rechtsprechung und Schrifttum haben sich auf diesem Gebiet wiederholt mit der Frage befasst, welchen Einfluss es auf den Provisionsanspruch hat, wenn der VN die Prämie nicht leistet und der Versicherungsvertrag daraufhin storniert wird. Allerdings hat Abs. 2 nur einen begrenzten Anwendungsbereich, nämlich für das Entfallen der vor der Zahlung bestehenden Provisionsanwartschaft: Denn als unbedingter Anspruch entsteht der Anspruch erst mit Zahlung der Prämie, weshalb vertreten wird, für § 87a Abs. 2 sei bei den unter § 92 fallenden Verträgen kein Raum.691 149 Die Frage des Entfallens des Provisionsanspruchs wird vielfach unter dem Blickwinkel des § 87a Abs. 2 gestellt692 und daraus gefolgert, der Provisionsanspruch sei schon deshalb entfallen, weil der VN nicht geleistet habe und insoweit dies feststehe; aus dem dispositiven Charakter des § 87a Abs. 2 wird dann weiter die Zulässigkeit von Vereinbarungen hergeleitet, wonach der Versicherer als Unternehmer im Verhältnis zum HV die Nichtzahlung durch den VN „verbindlich“ feststellen könne und er zur Einklagung nicht verpflichtet sei.693 Damit ist von vornherein ein falscher Ansatz gewählt. § 87a Abs. 2 geht aus von einer Vorleistungspflicht des Unternehmers; er bezieht sich auf diejenigen Fälle, in denen die Provision unabhängig von der Leistung oder der Nichtleistung des Kunden bereits endgültig entstanden war (nämlich durch die Ausfüh684 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 9. 685 OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 1192 (1193) (für Lebensversicherungen); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 280; Westphal I Rn 662. 686 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 12; Hopt § 92 Rn 7, 9. 687 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 280. 688 Westphal I Rn 663. 689 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 289. 690 OLG Köln, Hinweisbeschl. v. 13.11.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02421; Beschl. v. 18.12.2014 – 19 U 99/14, BeckRS 2015, 02422. 691 So Bonvie VersR 1986, 121; Stötter MDR 1981, 269 (270, 271); OLG Köln VersR 1978, 920; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 26; aA Fleischmann VersR 1957, 10; Sundermann BB 1958, 543. 692 Fleischmann S. 9 ff; OLG München VersR 1958, 599; OLG Frankfurt/M. VersR 1960, 510. 693 OLG München VersR 1958, 599; OLG Frankfurt/M. VersR 1960, 510; LG Frankfurt/M. VersR 1958, 688. Emde

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rung des Geschäfts seitens des Unternehmers), und in denen nunmehr der Provisionsanspruch nachträglich wieder untergeht, weil der Kunde nicht leistet. Darum handelt es sich hier aber gar nicht. Es geht vielmehr um den ganz anderen Fall, ob eine Provision, deren Entstehung – durch vertragliche Abrede – an die Erbringung der Leistung des Kunden geknüpft ist, ausnahmsweise auch dann entstehen kann, wenn der Kunde nicht leistet und die Bedingung deshalb nicht eintritt: entstehen kann deshalb – und hier unabdingbar –, weil der Unternehmer seinerseits „das Geschäft ganz oder teilweise nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist“. Das ist dann die Fragestellung aus § 87a Abs. 3. Nur insofern eine „Nichtausführung“ des Geschäfts durch den Versicherer hiernach vorläge, käme es überhaupt darauf an, ob ihm dies etwa „nicht zuzumuten“ sei (§ 87a Abs. 3 S. 2). Die Zumutbarkeitsfrage konzentriert sich hier wie für § 87a Abs. 3 darauf, ob der Unternehmer gehalten sei, den Kunden zur Leistung mit gerichtlichen Schritten zu zwingen. Es kann bereits zweifelhaft sein, was unter „Ausführung des Geschäfts“ auf Seiten des Ver- 150 sicherers bei einer Lebensversicherung in der Zeit bis zum Eintritt der Fälligkeit des Versicherungskapitals und dessen Auszahlung zu verstehen ist. Ist es das Bereithalten des Versicherungsschutzes, dann wäre die Frage der Zumutbarkeit bereits durch § 37 VVG geklärt (s. bereits oben). Danach ist der Versicherer in keinem Fall gehalten, die erste Prämie einzuklagen. Er darf vielmehr bei Nichtzahlung dieser Prämie ohne weiteres vom Versicherungsvertrag zurücktreten; noch mehr: er darf die Nichtzahlung auf sich beruhen lassen; denn § 37 VVG fingiert den Rücktritt, falls die Prämie binnen 3 Monaten nicht eingeklagt sein sollte, und bei vorherigem Eintritt des Versicherungsfalles wird es von der Verpflichtung zur Leistung frei. Doch wäre dies wiederum eine falsche Folgerung. Nicht alles, was der Versicherer im Verhältnis zum VN darf, muss sich auch der VV als obere Grenze des dem Unternehmen Zumutbaren entgegenhalten lassen. Hier kommt die im Vergleich zum Warenvertreter erhöhte Loyalitätspflicht gegenüber dem VV ins Spiel. Wenn im Falle des Warenvertreters die Zumutbarkeit gerichtlicher Schritte sich in erster Linie aus dem Verhältnis des Unternehmers zu dem säumigen Kunden, d. h. aus dem Unternehmerinteresse beantwortet und nur in zweiter Linie aus dem Provisionsinteresse des HV, so ist es hier umgekehrt. Beim Unternehmer als Warenlieferanten stehen reale Werte und die Gefahr ihrer Einbuße gegen die Risiken eines Prozesses, aber auch die Gefahr des Verlustes eines langjährigen Kunden auf der Waage der Entscheidung. Der Versicherer hat demgegenüber nicht mehr zu verlieren als einen gerade erst angelaufenen Versicherungsvertrag. Deshalb gewinnt das Provisionsinteresse des VV für die Frage, ob und welche Anstrengungen der Versicherer aus seiner Loyalitätspflicht heraus ins Werk setzen müsse, um den Versicherungsvertrag nach Möglichkeit zu halten, ein größeres spezifisches Gewicht. Zu fragen ist m. a. W., was dem Versicherer an Nachbearbeitung zuzumuten sei, ehe es sich zur Stornierung entschließt. Dazu Rn 14 ff. Endet das Versicherungsverhältnis während seiner vorgesehenen Laufzeit durch Kün- 151 digung oder Rücktritt, so verbleibt dem VV die verdiente Provision. Jedoch muss er sie anteilig zurückzahlen, wenn die Weiterführung der Versicherung dem Versicherungsunternehmen nicht zuzumuten war, § 87a Abs. 3 S. 2.694

d) Untervertreter. Der unbedingte Provisionsanspruch des echten Untervertreters entsteht, 152 sobald und soweit der Hauptunternehmer (der Auftraggeber des Hauptvertreters) die Prämie erhalten hat.695 Er entfällt (auflösende Bedingung), wenn feststeht, dass der Hauptunternehmer, mag er auch seinerseits vom VN Zahlung erlangt haben, den Provisionsanspruch des Hauptver-

694 OLG Köln VersR 1974, 287 – Rechtsschutzversicherung mit einem sich erst nachträglich herausstellenden, unzumutbaren Risiko –; LG München II BB 1975, 942 – Einstellung der Prämienzahlungen durch den VN. 695 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 30. 833

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treters nicht erfüllt (§ 87a Abs. 2).696 Damit entsteht der Provisionsanspruch des Untervertreters in gleicher Weise wie der Provisionsanspruch des Hauptvertreters gegen den Unternehmer durch Zahlung der Prämie an den Hauptunternehmer (Abs. 4), steht jedoch unter der auflösenden Bedingung der Zahlung des Hauptunternehmers an den Hauptvertreter (vgl. d. Kommentierung § 87a). Der Anspruch kann deshalb nicht entstehen, falls der Hauptunternehmer die Nichtzahlung der Prämie gegenüber dem Hauptvertreter i. S. d. § 87a Abs. 3 S. 2 nicht zu vertreten hat, weil dann gem. § 87a Abs. 2 feststeht, dass der Hauptvertreter keine Provision erhält.697 Unternehmer i. S. d. § 87a Abs. 3 ist im Verhältnis zu seinem Untervertreter regelmäßig nicht der Hauptvertreter, sondern dessen Auftraggeber (s. d. Kommentierung zu § 87a).

153 e) Zahlung. Die nach dem VV-Vertrag zur Provisionsberechnung maßgebliche Prämie muss vollständig mit Erfüllungswirkung an den Versicherer oder die Bausparkasse bzw. einen von ihnen benannten Empfangsberechtigten geleistet werden.698 Eine vorherige Leistung des Unternehmers an den Kunden, etwa seine sofortige Deckungszusage, bringt den Provisionsanspruch nicht zum Entstehen.699

3. Bausparkassenvertreter (Abs. 5) 154 Gem. § 92 Abs. 5 gelten die Regelungen den § 92 Abs. 1 bis 4 sinngemäß für den Bausparkassenvertreter. Bausparkassenvertreter ist, wer als HV damit betraut ist, Bausparverträge zu vermitteln oder abzuschließen.700 Gemäß § 92 Abs. 2 in Verbindung mit § 92 Abs. 5 gelten für das Vertragsverhältnis zwischen dem Bausparkassenvertreter und der Bausparkasse grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften des HV-Rechts, vorbehaltlich der Abs. 3 und 4. Die Reichweite des Abs. 5 war in der Vergangenheit Gegenstand der Diskussion. So war zweifelhaft, ob die „sinngemäße“ Anwendung lediglich das HV-Recht des 7. Abschnitts meinte, oder aber ob der Bausparkassenvertreter als eine weitere Unterart des HV statuiert sein sollte. Die Amtliche Begründung schweigt. Heute kann als geklärt gelten, dass der Bausparvertreter HV ist, so dass die volle handelsrechtliche Gleichstellung des Bausparkassenvertreters mit dem VV beabsichtigt ist,701 wenn auch die Sondervorschriften des VVG, insb. der §§ 69–73 VVG, der GewO und des Versicherungsvermittlerregisterrechts für ihn nicht gelten. Abs. 1 ist also in Umformung durch Abs. 5 dahin zu ergänzen: „Bausparkassenvertreter ist, wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Bausparverträge zu vermitteln oder abzuschließen.“ Gem. § 1 Abs. 2 BauSpG ist Bausparer, wer mit einer Bausparkasse einen Vertrag schließt, durch den er nach Leistung von Bauspareinlagen einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens erwirbt (Bausparvertrag). Ein Bausparvertrag ist damit ein vom Bausparer mit der Bausparkasse geschlossener Sparvertrag. Er wird in der Hauptsache für die Finanzierung von wohnwirtschaftlichen Maßnahmen eingesetzt. Die vertraglich vereinbarte Bausparsumme wird zu einem vertraglich festgelegten Prozentsatz angespart, der bis zur abgeschlossenen Vertragssumme fehlende Teil wird bei Zuteilung des Bausparvertrags als Bauspardarlehen

696 BGH, Urt. v. 20.6.1984 – I ZR 62/82, BGHZ 91, 370 = NJW 1984, 2881; OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 1188 = DB 1993, 733; LG Saarbrücken VersR 2000, 761; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 3; Hopt § 92 Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 21; aA es muss sowohl kumulativ Kundengeschäft wie – aufschiebende Bedingung – Leistung des Unternehmers an den Hauptvertreter vorliegen: Ebenroth/Löwisch4 § 87a Rn 30. 697 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 30. 698 OLG Karlsruhe VersR 1989, 511 (512); OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 1192; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 14; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 9; 22. 699 BGH VersR 1983, 372; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 92 Rn 9. 700 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 10; Oetker/Busche6 § 92 Rn 2. 701 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 11. Emde

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gewährt, so dass der Bausparer bei Zuteilung über die volle Bausparsumme verfügen kann. Zur Bausparkasse s. o. Im Übrigen gilt das Vorgesagte entsprechend. Die Provision pflegt, wie bei Lebensversiche- 155 rungen, von der Bausparsumme als Einmalprovision berechnet zu werden. Wegen der in wirtschaftlich engem Zusammenhange mit dem Urvertrag stehenden Anschlussverträge und ihrer besonderen Erscheinungsformen im Bausparkassenwesen vgl. die zur gleichen Frage oben gebrachten Erörterungen. Was die Nachbearbeitung (Rn 14 ff.) anlangt, so hat das BAG702 ausgesprochen, dass das Bausparkassenunternehmen zu einer Nachbearbeitung bei Zahlungssäumigkeit des Bausparkunden nur in zumutbarem Rahmen gehalten sei und hierfür die Erfolgsaussichten gegen den erforderlichen personellen und sächlichen Aufwand abgewogen werden dürften.

4. Dispositivität Im Grundsatz gilt: Alle Regelungen des speziellen § 92 sind dispositiver Natur.703 Da nach 156 Abs. 4 der zwischen VV und Versicherer vereinbarte Vertrag für Grund und Höhe der Provision maßgebend ist, darf der VV-Vertrag im Rahmen der §§ 138, 242 BGB Entstehen, Höhe, Berechnung und Wegfall des Provisionsanspruchs einschließlich der Möglichkeit von Vorschüssen und Teilprovisionen frei aushandeln und festlegen,704 begrenzt durch die zwingende Natur des § 87a Abs. 2, 3,. 5705 sowie der übrigen anwendbaren zwingenden Vorschriften des HV-Rechts, deren Geltung in § 92 nicht ausgeschlossen wurde. Theoretisch besteht auch die Möglichkeit zu Vergütungsvereinbarungen des VV mit dem VN oder zu Nettopolicen706 (bei denen der VN das Vermittlerhonorar zu tragen hat). Zur Diskussion und zu den Grenzen s. Kommentierung zu § 87. Nach ersatzloser Streichung der VO über die Tarife in der Kfz-Versicherung vom 5.12.1984707 zum 1.1.1995 kann auch im Bereich der Kfz-Versicherung die Abschlussprovision frei vereinbart werden.708 Auch darf das Sonderrecht für VV abgewählt werden.709 In der Praxis hat sich aufgrund dieser Dispositivität zum VV-Recht ein eigenes Kautelarrecht herausgebildet, bei dem Einmalprovisionen typisch sind und Provisionen häufig durch abweichend benannte Vergütungen, etwa sogenannte Punktwerte, ersetzt sind. Jeder zu vermittelnde Versicherungsvertrag erhält dabei einen bestimmten Punktwert, der bei seiner Vermittlung verdient wird. Jeder Punkt hat einen bestimmten Geldwert, so dass die Vermittlung eines Versicherungsvertrages zu einer bestimmten Gutschrift in Euro führt. Auch ist der Strukturvertrieb mit mehrstufigen – unechten – Untervertreterverträgen und sog. „Leitungsprovisionen“ für Aufbau und Führung der Struktur verbreitet, wobei die Vermittlung durch einen Untervertreter zu einer Gutschrift („Leitungsvergütung“ oder „Superprovision“) beim Hauptvertreter führt. Zum Strukturvertrieb s. d. Kommentierung zu § 84.

a) Zulässige Abweichungen von § 92 Abs. 3. Da § 92 Abs. 3 grds. dispositiv ist,710 dürfen 157 auch andere Provisionen als Tätigkeitsprovision (auch Abschlussprovision benannt) vereinbart

702 703 704 705 706 707 708 709 710

BB 1960, 556. Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 55; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 4. Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 16; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 10; Hopt § 92 Rn 9. Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 16. Die Zulässigkeit befürwortend Reiff VersR 2012, 645 ff. BGBl. I S. 1437. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 4. Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 10; Hopt § 92 Rn 5; Oetker/Busche6 § 92 Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 4, 18. 835

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werden, etwa Folgeprovisionen.711 Begrenzt werden diese Rechte durch die zwingende Natur der §§ 87a Abs. 3, Abs. 5712 sowie der übrigen anwendbaren zwingenden Vorschriften des HVRechts. Auch kann ein Recht auf Vorschuss713 oder auf Teilprovisionen714 eingeräumt werden. Spiegelbildlich soll nach h. M. die Regelung zulässig sein, nach der jeder Provisionsanspruch bei Vertragsende wegfällt (Provisionsverzichtsklausel),715 s. d. Kommentierung zu § 89b.

158 b) Zwingende Natur des § 92 Abs. 4? Umstritten ist, ob bei einer Derogation von § 92 Abs. 4 zwingendes Recht zu beachten ist. Teilweise wird dies generell verneint.716 Unstrittig ist zunächst, dass den VV bevorzugende Abreden vereinbart werden können, etwa ein Recht auf Vorschuss717 oder auf Zahlung einer noch nicht verdienten Teilprovision. Weiter dürfte § 92 Abs. 4 in dem Maße zwingend sein, in dem auch andere HV durch den zwingenden § 87a Abs. 1 S. 3 geschützt sind. Nach § 87a Abs. 1 S. 3 hat jeder HV zwingend Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Dritte, hier der VN, das Geschäft ausgeführt hat. Es lässt sich § 92 Abs. 4 nicht entnehmen, dass jene zwingende Bestimmung im VV-Recht unanwendbar bleibt.718 § 92 Abs. 4 hat nicht den Zweck, den Versicherer gegenüber dem Unternehmer eines Warenvertreters zu privilegieren.719 Insbesondere ergibt sich dies nicht aus dem Wortlaut des § 92 Abs. 4. Obwohl § 92 Abs. 4 auf die „nach dem Vertrag“ geschuldete Provision abstellt, darf mittels des Vertrages der Provisionsanspruch bei Ausführung des Geschäfts durch den VN nicht grenzenlos abbedungen werden. Die Worte „nach dem Vertragsverhältnis berechnet“ des § 92 Abs. 4 beziehen sich lediglich auf die Provisionsbemessungsgrundlage, die vertraglich geregelt werden darf, also die Frage, in welchem Verhältnis vermitteltes Versicherungsgeschäft und Provision zueinander stehen. Nicht vertraglich bestimmt werden darf jedoch ein von § 87a Abs. 1 S. 3 abweichender Fälligkeitszeitpunkt. Sofern Provision versprochen ist, ist sie daher zwingend mit Prämienzahlung durch den VN an den VV zu leisten. In der Großlebensversicherung wird ebenso wie im Bausparwesen häufig geregelt, dass nur die vollständige Zahlung der ersten Jahresprämie zur Provisionsanwartschaft führt.720 Dies dürfte gem. § 87a Abs. 1 Nr. 3 unzulässig sein. Deshalb sind an den VV geleistete Provisionszahlungen auf die Teilprämie auch nicht zurückzuzahlen.721 Diskutiert wird, ob für vertraglich vereinbarte Verwaltungsprovisionen die §§ 87 ff. einschließlich ihrer zwingenden Normen gelten. Das wird von Thume722 mit der Begründung abgelehnt, die §§ 87 ff. stellten allein auf HV-typische Vergütung ab, so dass zwischen Unternehmer und VV die Entstehungs-, Zahlungs- und Fälligkeitsvoraussetzungen verwaltender Provisionsteile frei und damit abweichend von den zwingenden Vorschriften des Provisionsrechts vereinbart werden könnten. Es handele sich um Tätigkeiten, die eigentlich dem Unternehmer oblägen, der sie aber abweichend von dem gesetzlichen Leitbild an seine VV delegiert habe. Gegen diese Auffas711 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 10; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 6; Hopt § 92 Rn 5; Schlegelberger/ Schröder § 92 Rn 8. 712 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 16. 713 OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2013 – I-16 U 183/12, BeckRS 2014, 06492; Hopt § 92 Rn 11. 714 Hopt § 92 Rn 11. 715 BGHZ 30, 107; OLG Jena, Beschl. v. 28.4.2009 – 2 U 698/08, VersR 2010, 1645; OLG Köln, VersR 2001, 1377 (1378); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.2.1986, DB 1986, 1174 = BB 1986, 697 = NJW-RR 1986, 782; von Bodungen/Hesse BB 2010, 533; Sieg VersR 1964, 789; Hopt § 92 Rn 9; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. IX Rn 19, 198 ff.; aA Graf v. Westphalen DB 2000, 2256. 716 Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1427; Oetker/Busche6 § 92 Rn 1. 717 Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1427; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92 Rn 6. 718 Hopt § 92 Rn 8; Nauschütt in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn 1317; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 24. 719 Nauschütt in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn 1317. 720 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 284. 721 So aber Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 286. 722 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 290. Emde

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sung spricht, dass auch die gesetzestypischen Provisionen einen verwaltenden Anteil enthalten. Die im VV-Vertrag vorgenommene Unterteilung in werbende und verwaltende Provision ändert nichts daran, dass der nun gesondert ausgewiesene Verwaltungsanteil Provision i. S. d. §§ 87 ff. bleibt. Allerdings darf im VV-Vertrag die Tätigkeitsprovision nicht völlig oder überwiegend zugunsten nicht ausgleichspflichtiger (§ 89b) Verwaltungsprovisionen zurückgedrängt werden, sondern nur insoweit, wie der Anteil der Verwaltungsprovision wirtschaftlich dem Anteil verwaltender Tätigkeit des VV entspricht. Klauseln, die das Verhältnis unangemessen und den wirtschaftlichen Gegebenheiten widerstreitend regeln, sind gemäß § 89b Abs. 4 HGB, § 307 BGB unwirksam (s. d. Kommentierung zu § 89b Rn 355).

c) Zulässige Abweichungen von § 92 Abs. 4. Gem. § 92 Abs. 4 hat der VV Anspruch auf 159 Provision, sobald der VN die Prämie geleistet hat, aus der sich die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet. § 92 Abs. 4 überlässt es damit der Parteivereinbarung, welche Prämien provisionsrelevant sind und zu welchem Zeitpunkt die Provisionsanwartschaft zu einem abrechnungsfähigen Vollanspruch erstarkt.723 Im VV-Vertrag kann bestimmt werden, welche von mehreren Prämienzahlungen des VN den Provisionsanspruch zum Entstehen bringt, zum Beispiel jede, nur die erste oder eine oder mehrere Prämienzahlungen des VN bis zur einer bestimmten Summe,724 solange die Provisionspflicht wegen § 87a Abs. 1 S. 3 spätestens bei Zahlung der ersten Prämie entsteht. Namentlich darf festgelegt werden, dass der unbedingte Provisionsanspruch bereits vor Zahlung der ersten Prämie durch den VN entsteht.725 Die Provisionspflicht für Folgeprovisionen kann ausgeschlossen werden, weil § 87a Abs. 1 S. 3 eine Provisionspflicht lediglich für die erste Ausführungshandlung des VN zwingend bestimmt. Erhält der VV einer Lebensversicherung mit laufenden Prämien die Vermittlungsvergütung 160 nicht – wie üblich – von der Versicherung sondern ausnahmsweise vom VN und wurde zwischen VV und VN vereinbart, dass die Provision ganz oder überwiegend schon während der ersten Versicherungsjahre zu zahlen ist, und zwar in voller Höhe auch dann, wenn der VN die Versicherung vorzeitig kündigt, so bedeutet dieser Provisionsanfall zu Beginn der Versicherungslaufzeit einen wirtschaftlichen Nachteil, der die dem VN gem. §§ 168 Abs. 1, 171 VVG zwingend eingeräumte Freiheit, die Versicherung jederzeit zu kündigen, gesetzwidrig beeinträchtigt. Dies führt gem. § 134 BGB zur Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung.726 d) Zulässige Provisionsabreden im Einzelnen. Vgl. zunächst d. Kommentierung zu § 87. Zu- 161 lässige Vergütungsformen sind etwa: – Ausfertigungsprovision: für die Formulierung und die Ausfertigung der Versicherungsscheine in Vollmacht des Versicherers.727 – Delkredereprovision: für die Garantie der Prämienzahlung des VN.728 – Einmalprovision: Provision darf trotz laufender Prämienzahlung als Einmalprovision gezahlt werden.729 So wird häufig geregelt, dass sich bei Zahlung einer Einmalprämie die Provision aus dieser Einmalprämie als einmalig zu zahlende Provision errechnet.730 Gerade 723 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 279. 724 OLG Köln VersR 2001, 1377; Nauschütt/Sperrer in: Giesler, Praxishandbuch; Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1432; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 35; Hopt § 92 Rn 8. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 35. LG Karlsruhe, Urt. v. 3.7.2003 – 5 S 25/03, NJW-RR 2003, 1470. Westphal I Rn 695. Westphal I Rn 695. BGH, Urt. v. 1.6.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 283; Hopt § 92 Rn 8. 730 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. V Rn 283.

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im Lebensversicherungsbereich ist die Zahlung der Abschlussprovision als Einmalprovision typisch.731 Das hat Folgen für den Ausgleichsanspruch: Da die Einmalprovision bei Vertragsende fast immer vor Vertragsende ausgeglichen wurde, entgehen dem VV infolge der Vertragsbeendigung keine Provisionen und es fehlten bis zur Novelle 2009 den Ausgleich begründende Provisionsverluste im Sinne des § 89b Abs. 1 Nr. 2 a. F. Nach der Herabstufung der Provisionsverluste zum Billigkeitsmerkmal entgehender Provisionen ist die Ausgleichsunfähigkeit der Einmalprovisionen zweifelhaft (s. d. Kommentierung zu § 89b). Erhöhte Erstprovision und niedrigere Folgeprovisionen (s. d. Kommentierung zu 89b)732: Damit soll erreicht werden, dass dem VV ein besonderer Anreiz für die Vermittlung eines Geschäfts gegeben wird.733 Führungsprovision: für den VV des führenden Versicherers bei einem Versicherungskonsortium im Falle der Teilung hoher Risiken durch mehrere Versicherer.734 Höhe der Provision: Die Höhe der Provision darf innerhalb der Grenzen der §§ 138, 242 BGB und trotz des Leitbildes des § 87b Abs. 1 auch mittels AGB frei vereinbart werden. Mangels abweichender Vereinbarungen wird regelmäßig ein im Vertrag bestimmter Bruchteil der Versicherungs- oder Bausparsumme als Provision vorgesehen.735 Zu obrigkeitlicher Festsetzung d. Kommentierung zu § 87b. Inkassoprovision für auftragsgemäß eingezogene Prämien,736 wobei gewohnheitsrechtlich beim Inkasso der ersten sog. „Einlöseprämie“ oder der Raten der ersten Jahresprämie eine Inkassoprovision ausgeschlossen sein soll.737 Richtigerweise bedürfte es zum Verzicht auf die Inkassoprovision eines ausdrücklichen Ausschlusses, sofern dem VV ganz allgemein eine Inkassoprovision versprochen wurde. Das Formulierungsrisiko trägt der Verwender. Superprovision: Die Zahlung von Superprovisionen für die Führung eines echten oder unechten Untervertreterstammes.738 Tätigkeitsprovision: Die Vereinbarung anderer als Tätigkeitsprovisionen ist zulässig. Allerdings werden dem VV andere Provisionsarten als Tätigkeitsprovision nur geschuldet, wenn dies vertraglich vereinbart wurde.739 Teilprovision bei Teilleistungen des VN740 (richtigerweise ergibt sich der Anspruch auf Teilprovision bereits aus § 87a Abs. 1 S. 3). Pflegegeld oder Bestandspflegeprovision741: Da der VV oft nur eine Einmalprovision erhält, soll die Gewährung des „Pflegegeldes“ für die Bestandspflege ihn anhalten, die Verbindung zu den Kunden aufrecht zu erhalten und Stornierungen bzw. die Umdeckung von einer zur anderen Versicherung zu verhindern. Bestandspflegeprovisionen bilden ein Entgelt für Tätigkeiten des HV.742 Das Pflegegeld wird auch als Bestandspflegeprovision, Inkassopflegegeld, Bestandserhaltungsgebühr, Orga-Zuschuss, Dienstleistungsprovision oder

Hopt § 92 Rn 9. Westphal I Rn 666. Josten/Lohmüller VW 1954, 10; Westphal I Rn 666. Westphal I Rn 696. Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 13. Westphal I Rn 692. Josten/Lohmüller VW 1954, 10; Westphal I Rn 692. BAG, Urt. v. 21.1.2015 – 10 AZR 84/14, NJW 2015, 2364 Rn 28; Westphal I Rn 691. Westphal I Rn 697. Hopt § 92 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 35; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92

Rn 9.

741 Siehe etwa OLG München, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 5250/09, WM 2011, 167 m. krit. Anm. Baumert FD-InsR 2011, 313542; FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2.

742 OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.10.2015 – I-16 U 182/13, ZVertriebsR 2016, 100 = VersR 2016, 1374 Rn 53 m. krit. Anm. Evers VW Heft 5/2016, 58; LG Köln, Urt. v. 30.6.2015 – 4 O 355/14, BeckRS 2015, 16109, das davon ausgeht, dass es sich nur um ein Entgelt für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen handelt. Emde

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Treueprämie bezeichnet.743 Für die Unterscheidung zwischen Vermittlungsprovisionen und Verwaltungs- und Bestandspflegeprovisionen kommt es nicht allein auf die im Vertrag verwendeten Bezeichnungen an.744 Für die Einordnung als Bestandspflegeprovision spricht es, wenn der Unternehmer jene Provision auch für die Pflege solcher Verträge leistet, die der VV nicht vermittelt hat.745 Nach dem LG Köln746 besteht die für die Bestandsprovision maßgebliche Leistung des HV darin, dass der jeweilige Versicherungsvertrag fortbesteht und die Prämie gezahlt wird. Zur Rückzahlungspflicht, wenn Vorschüsse auf Bestandspflegeprovision gezahlt wurden und Bestandspflege nach Vertragsende nicht mehr geleistet werden kann s. d. Kommentierung zu § 87a. Leistet der VV keine Bestandspflege mehr, wird auch keine Bestandspflegeprovision geschuldet.747 Provisionsgarantien: Sie werden vor allem Berufsanfängern in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit gewährt, um ihnen in der Anlaufphase des Geschäfts ein Mindesteinkommen zu sichern.748 Schadenserledigungsprovision: Für die Erledigung der Schadensarbeit des Versicherers.749 Überweisungsprovision: falls das Risiko die Zeichnungskraft des vom VV vertretenen Versicherers übersteigt, so dass er einen weiteren Versicherer einbindet. Die Überweisungsprovision wird vom mitbeteiligten Versicherer nach entsprechender Vereinbarung gezahlt.750 Versicherungssummenorientierte Provision, deren Höhe sich nicht an der Prämie, sondern an der Versicherungs- oder der Bausparvertragssumme orientiert.751 Vorschüsse.752 Zeitlich begrenzte Provision: Die Begrenzung der Provisionszahlung auf einen bestimmten Zeitraum darf geregelt werden. Folglich darf vereinbart werden, dass der Provisionsanspruch, wenn er schon durch die Prämienzahlung verdient ist, entfällt, sobald das Vertragsverhältnis endet (Provisionsverzichtsklausel, dazu s. d. Kommentierung zu § 89b).753 Nach einer Meinung soll der Versicherer dem VV Bestände und damit Provisionen entziehen dürfen.754 Das dürfte jedoch nur bei zugewiesenen Beständen zulässig sein, bei welchen der VV genug Provisionen erwirtschaftet hat, um seine dortige Tätigkeit angemessen zu vergüten. Vielfach dürfte ein zumindest in AGB problematisches einseitiges Vertragsänderungsrecht vorliegen (s. d. Kommentierung zu Vor § 84 „Einseitige Leistungsbestimmungsrechte“), mit der Folge einer Schadensersatzpflicht des Unternehmers für die Verwendung der unwirksamen Klausel und den Entzug des Bestandes.755 Dass ein VV für die zurückgelassene Struktur als solches neben seiner Ausgleichsberechtigung einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung hat, ist nicht erkennbar. Es ist aber nicht abwegig, dass die Parteien diese Lücke durch eigene Regelungen schließen.756

743 Westphal I Rn 694. 744 OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.10.2015 – I-16 U 182/13, ZVertriebsR 2016, 100 = VersR 2016, 1374 Rn 54 m. krit. Anm. Evers VW Heft 5/2016, 58. 745 OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.10.2015 – I-16 U 182/13, ZVertriebsR 2016, 100 = VersR 2016, 1374 Rn 54 m. krit. Anm. Evers VW Heft 5/2016, 58. 746 LG Köln, Urt. v. 30.6.2015 – 4 O 355/14, BeckRS 2015, 16109. 747 Vgl. LG Köln, Urt. v. 21.9.2017 – 27 O 519/15, ZVertriebsR 2018, 313 für die „laufende Courtage“ eines Maklers. 748 Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1425. 749 Westphal I Rn 695. 750 Westphal I Rn 696. 751 Hopt § 92 Rn 9. 752 LAG Nürnberg, Urt. v. 14.11.2013 – 8 Sa 485/12, BeckRS 2014, 66700; Hopt § 92 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92 Rn 35; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92 Rn 9. 753 Westphal I Rn 668. 754 Vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2005 – III ZR 238/04, VersR 2005, 550 (zum Versicherungsmakler). 755 Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. 1/2005, S. 12. 756 LG Hamburg, Urt. v. 5.12.2008 – 412 O 152/06. 839

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162 Fehlt eine vertragliche Vereinbarung, ist durch ergänzende Vertragsauslegung die Art und Höhe der geschuldeten Provision zu ermitteln.757

163 e) Provisionsabgabeverbot. § 34d Abs. 1 S. 7 GewO (früher: § 298 Abs. 4 VAG, § 81 Abs. 2 S. 4 VAG a.F i. V. m. den dazu ergangenen Rechtsverordnungen) schreibt die entsprechende Anwendung des Provisionsabgabeverbot des § 48b VAG auch für Versicherungsvermittler fest.758 § 48b VAG vor gilt also nicht 1:1, sondern lediglich modifiziert, soweit sie passt.759 Da § 48b VAG ein entsprechendes Verbot für Versicherer enthält, wird gewährleistet, dass das Provisionsabgabeverbot für den gesamten Versicherungsvertrieb gilt. Eine Ausnahme bilden nur die Versicherungsberater.760 Die Regelung des Provisionsabgabeverbotes sowohl in § 48b VAG und gewerberechtlich in § 34d Abs. 1 S. 7 GewO führt zu einer gespaltenen Zuständigkeit zweier Überwachungsbehörden, nämlich einerseits der BaFin für die VAG-Vorgaben und andererseits der IHK für die GewO-Vorgaben.761 Der BaFin steht keine Kompetenz zu, Verstöße von Vermittlern zu ahnden, auch nicht nach § 48b Abs. 1 VAG.762 Die BaFin besitzt aber eine mittelbare Aufsicht über VV, weil sie von Versicherern die Einhaltung der §§ 48 ff. VAG verlangen und z. B. sicherstellen kann, dass keine unzulässigen Vergütungsanreize geschaffen werden.763 Nach beiden Vorschriften ist es Versicherern und Versicherungsvermittlern untersagt, VN 164 aus einem Versicherungsvertrag Sondervergütungen zu gewähren oder zu versprechen. Eine Sondervergütung ist nach § 48b Abs. 2 VAG jede unmittelbare oder mittelbare Zuwendung neben der im Versicherungsvertrag vereinbarten Leistung. Insbesondere ist dies jede vollständige oder teilweise Provisionsabgabe, jede sonstige Sach- oder Dienstleistung, die nicht die Versicherungsleistung betrifft, sowie jede Rabattierung auf Waren oder Dienstleistungen, sofern sie nicht geringwertig ist, also einen Gesamtwert von 15 EUR je Versicherungsvertrag und Kalenderjahr überschreitet.764 Bei Bündelverträgen kann diese Grenze für jeden einzelnen Vertrag(steil) gelten, sofern dieser Teil hinreichend selbständig ist. 165 Das Provisionsabgabeverbot ergab sich früher teilweise aus VO.765 Die erste Ermächtigung zum Erlass einer VO wurde in der Notsituation des Jahres 1923 in das VAG eingeführt. Nach dem vorherige Antirabattabkommen der Versicherungswirtschaft verstärkenden766 § 81 Abs. 2 S. 4 VAG a. F. i. V. m. der wiederholt bestätigten767 Rechts-VO768 des Reichsaufsichtsamtes für das Versicherungswesen v. 4.6.1934769 und des BAV vom 17.8.1982770 war es jedenfalls in Deutschland tätigen deutschen771 Lebensversicherungsunternehmen und Vermittlern von Lebensversi-

757 OLG Stuttgart, Urt. v. 12.3.1976, BB 1977, 565; Giesler/Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Rn 1433. 758 Siehe hierzu aus der jüngeren Rspr. und Literatur Emde ZVertriebsR 2018, 292 (296 ff.); Hamelmann VersR 2018, 1426; Bürkle VersR 2018, 1421 (auch zum Verfahrensrecht).

759 Bürkle VersR 2018, 1421 (1425). Nach Ansicht von Rüsing VersR 2019, 129 (131 Fn 25) findet § 48b VAG unmittelbar Anwendung. 760 Reiff VersR 2018, 193 (195). 761 Bürkle VersR 2018, 1421. 762 Rüsing VersR 2019, 129 (131). 763 Rüsing VersR 2019, 129 (132). 764 S. hierzu LG München I, Urt. v. 4.2.2020 – 33 O 3124/19. 765 Emde ZVertriebsR 2018, 292 (296). 766 Siehe Saller VersR 2010, 1249 (1250, 1252); Klinge VuR 2008, 125; Winter VersR 2002, 1055. 767 Saller VersR 2010, 1249; Dreher VersR 2001, 1. 768 Sie galt als VO nach Bundesrecht fort, s. VG Frankfurt/M., Urt. v. 24.10.2011 – 9 K 105/11.F, VersR 2012, 358. 769 VerAfP 1934, 99. 770 Zur Genese Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 52. 771 Dreher VersR 1997, 1 f.; Goretzky/Steiner VW 2010, 778. Emde

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cherungen gem. § 332 VAG unter Androhung einer OWiG-Strafe772 seit langem untersagt, VN „Sondervergütungen“ zu gewähren. Das Verbot sollte ursprünglich verhindern, dass einzelne VN durch Gewährung von Sondervergütungen auf Kosten der übrigen bevorzugt werden, um so die Belange der Versicherten insgesamt vor der Gefahr einer übermäßigen Belastung der Versicherer mit Provisions- und Verwaltungskosten in Folge der Sondervergütungen zu schützen.773 So hatten Unternehmen firmengebundene Versicherungsvermittler mit dem Ziel gegründet, sie lediglich als Provisionsempfangsstelle handeln zu lassen, so dass empfangene Vermittlungsvergütungen auf dem Weg der Gewinnausschüttung an die VN oder die Gesellschaft bzw. deren Mutterkonzern zurückflossen. Außerdem verlangten VN eine Beteiligung an Provisionen, was zur Forderung nach Provisionserhöhungen und teurerem Versicherungsschutz führte.774 Diese gesetzgeberischen Motive sollen heute angeblich überholt sein.775 Der Fortbestand des Verbots wurde in erster Linie damit gerechtfertigt, dass eine Aufgabe des Verbots die Qualität der Beratung beeinträchtigen und die Existenz vieler VV gefährden könnte.776 Ferner wird die Gefahr einer Verminderung der Markttransparenz gesehen777 (Zweck). Das Verbot dient mithin nicht mehr dem Erhalt der Bonität der Versicherer. Es geht vielmehr um allgemeine Interessen des Verbraucherschutzes und die finanziellen Interessen der Vermittler.778 Zudem besteht die Gefahr, dass VN sich bei einem Mittler beraten lassen, den Vertrag jedoch bei einem anderen Mittler schließen, verbunden mit der Forderung nach Rückvergütung eines Provisionsanteils. Begründet wird jenes Verlangen mit der Erwägung, der zweite Mittler habe wegen fehlender Beratung nur ein geringeres Provisionsrecht.779 Zudem soll das Provisionsabgabeverbot Fehlanreize beim Abschluss von Versicherungen vermeiden,780 wobei dies als ausschließlicher Zweck genannt wird.781 Es sollte vermieden werden, dass Verbraucher eher auf die Provisionsabgabe achteten als auf die für sie passenden Versicherungen. Dies alles soll angemessene Zwecke konstituieren und folglich eine Rechtfertigung für den Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG bilden.782 Vor dieser gesetzlichen Definition in den genannten §§ wurde als Sondervergütung jede 166 unmittelbare oder mittelbare Zuwendung neben den Leistungen des Versicherungsvertrages, insb. jede Provisionsabgabe, verstanden.783 Maßgeblich ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise.784 Nach § 48b VAG/§ 34d Abs. 1 S. 7 GewO ist es Versicherungsunternehmen und Vermittlern also nach wie vor untersagt, VN „Sondervergütungen“, insb. eine Provisionsabgabe oder

772 AA i. E. VG Frankfurt/M., Urt. v. 24.10.2011 – 9 K 105/11.F, VersR 2012, 358 (359). Die BaFin, die zunächst gegen das Urteil Revision eingelegt hatte, nahm diese zurück und erklärte, sie werde keine Verstöße gegen das Provisionsabgabeverbot ahnden, s. Heukamp/Stepanek VersR 2016, 193 (195). 773 Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines 3. Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG, BTDruckS. 12/6959, 83; BGHZ 93, 177 (180); OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227 (229); LG Düsseldorf, Urt. v. 24.5.2006 – 34 O (Kart) 67/06, VersR 2007, 1110. 774 Goretzky/Steiner VW 2010, 778. 775 OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227 (229). 776 OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227 (229). 777 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu diesem Gesetzentwurf, BT-DruckS. 12/7595, S. 104, 109; Dreher VersR 1995, 1 (2); OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227 (229). 778 OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227 (229); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 53; aA Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 53: keine Einkommensicherung der Vermittler als Gesetzeszweck. 779 Versicherungsvertrieb 1/2010, 31. 780 Bürkle VersR 2018, 1421 (1424); Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 781 Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 782 LG Düsseldorf, Urt. v. 24.5.2006 – 34 O (Kart) 67/06, VersR 2007, 1110. 783 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 50. 784 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 50. 841

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-teilung, zu gewähren oder Begünstigungsverträge mit VN zu schließen.785 Für in Deutschland tätige EU-Versicherer sollte das Provisionsabgabeverbot nach früher vertretener Ansicht wegen der fehlenden Verweisung in § 110a Abs. 4 Nr. 3 a. F. VAG nicht gelten,786 auch nicht analog.787 Die fehlende Verweisung sollte ein Redaktionsversehen darstellen.788 Die Regelung ist auf Versicherer aus anderen EU-Staaten jedenfalls beim Geschäftsbetrieb außerhalb Deutschlands nicht anwendbar.789 Ein Verstoß gegen das Verbot wird indiziert, wenn nicht sämtliche Voraussetzungen gem. Abschnitt I B Nr. 6 des zum Zwecke der Einhaltung des Verbots geschlossenen790 Wiesbadener Abkommens der privaten Versicherungswirtschaft erfüllt sind.791 Die Wiesbadener Vereinbarung verstößt nicht gegen das GWB.792 Die BaFin hat am 17.7.2018 das Rundschreiben 11/2018 „Zur Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern sowie zum Risikomanagement im Vertrieb“ veröffentlicht. Es enthält in Rn 65 ff. Ausführungen zum Sondervergütungsverbot. Weitaus ausführlichere Hinweise hat die BaFin in einem formlosen Begleittext mit der Überschrift „Erläuterungen zum Vertriebsrundschreiben 11/2018 (VA) vom 17.7.2018“ veröffentlicht. Das Gesetz ist allerdings vorrangig. 167 § 48b VAG ist verfassungskonform und damit rechtmäßig.793 Nach aA soll das Verbot wegen fehlender Bestimmtheit des Begriffs der „Sondervergütung“ nicht i. S. d. Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 S. 1 GG hinreichend bestimmt und damit unwirksam sein.794 Dieses Argument dürfte sich das Einfügen einer Definition in § 48b VAG erledigt haben. Außerdem rügt Dreher795 einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Bürkle796 äußert Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit, zumal das Verbot fast 6 Jahre lang nicht durchgesetzt worden sei. Frühere gesetzgeberische Initiativen zur Aufhebung des Verbotes blieben erfolglos.797 Gleichwohl sollen Verstöße wegen der Bedenken gegen die Wirksamkeit des Verbotes zeitweise nicht mehr geahndet worden sein.798 Das Provisionsabgabeverbot enthielt nach früher h. M. kein gesetzliches Verbot mit Nichtigkeitsfolge i. S. d. § 134 BGB. Es richtete sich nur gegen Versicherer und Vermittler und verpflichtete daher nur die vertragsschließenden Parteien, nicht jedoch den VN.799 Der geschlossene Versicherungsvertrag blieb trotz eines Verstoßes gegen dieses Verbot i. d. R. wirksam.800 Diese Ansicht dürfte infolge von § 48b Abs. 1 S. 3 VAG nicht mehr zu halten sein.801 Umstritten

785 BGH, Urt. v. 28.11.1996 – IX ZR 204/95, NJW-RR 1997, 1381 (1382); OLG Hamburg NJW-RR 1997, 1381; Armbrüster VW Nr. 9, 62; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 29; Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 49; Saller VersR 2010, 1249 ff; umfassend Gunne W. Bähr VersR 2001, 1196; Heukamp/Stepanek VersR 2016, 193. 786 Goretzky/Steiner VW 2010, 778; aA Saller VersR 2010, 1249 (1250) bei Fn 13. 787 Goretzky/Steiner VW 2010, 778 (779 ff.). 788 Goretzky/Steiner VW 2010, 778 (779 ff.). 789 Hamelmann VersR 2018, 1426 (1428). 790 Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 49. 791 LG Düsseldorf, Urt. v. 24.5.2006 – 34 O (Kart) 67/06, VersR 2007, 1109. 792 LG Düsseldorf, Urt. v. 24.5.2006 – 34 O (Kart) 67/06, VersR 2007, 1109. 793 LG Düsseldorf, Urt. v. 24.5.2006 – 34 O (Kart) 67/06, VersR 2007, 1110; ein Verstoß gegen Art. 12 GG diskutiert VG Frankfurt/M., Urt. v. 24.10.2011 – 9 K 105/11.F, VersR 2012, 358 (359 f.) und Heukamp/Stepanek VersR 2016, 193 (197) lassen die Frage offen. 794 VG Frankfurt/M., Urt. v. 24.10.2011 – 9 K 105/11. F, VersR 2012, 358; Dreher VersR 2001, 1 ff.; zur Diskussion Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht § 92 Rn 51. 795 Dreher VersR 2001, 1 ff. 796 Bürkle VersR 2018, 1421 (1424). 797 Siehe BT-Drucks. 12/7595, S. 104, 109; Darstellung bei VG Frankfurt/M., Urt. v. 24.10.2011 – 9 K 105/11.F, VersR 2012, 358 (359) und Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 52, der gegen eine Aufhebung argumentiert. 798 Bericht VW 2012, 383. 799 OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227 (229). 800 BGH, Urt. v. 17.6.2004 – III ZR 271/03, MDR 2004, 1104 = VersR 2004, 1029; OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227 (229); Heukamp/Stepanek VersR 2016, 193 (194); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 50. 801 Emde ZVertriebsR 2018, 292 (297); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 52. Emde

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ist die Europarechtswidrigkeit802 des Verbots. Kartellrechtlich wird ein Verstoß gegen. Art. 101 AEUV i. V. m. Art. 4 Abs. 3 AEUV803 gerügt, welche der EuGH im Fall Meng804 aufgrund der Unzulässigkeit der Vorlage nicht prüfte. Überwiegend wird die Unwirksamkeit schon wegen der Spezialität der aufsichtsrechtlichen Regeln im Ergebnis verneint,805 u. U. wegen mangelnder Spürbarkeit.806 Die Leitlinien zur GVO 330/10, dort Tz. 49, schließen die Provisionsteilung nur gegenüber kartellrechtlich „unechten“ HV (s. dazu die Kommentierung zu Vor § 84) aus. Ein wettbewerbsrechtliches Verhalten von „Unternehmen“ fehlt wegen dieser staatlichen Anordnung.807 Nicht ganz klar ist die Ausnahmebestimmung des § 48b Abs. 4 VAG. Danach findet das 168 Verbot keine Anwendung, „soweit die Sondervergütung zur dauerhaften Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung des vermittelten Vertrags verwendet wird“. Dahinter steht der Gedanke, dass es in diesem Fall nicht zu Fehlanreizen für den VN durch kurzfristige finanzielle Vorteile kommen kann, weil die Sondervergütung dem Versicherungsverhältnis langfristig zugutekommt.808 Umstritten ist, ob sich über den Verweis in § 34d Abs. 1 S. 7 GewO auf § 48b VAG auch ein Vermittler auf diese Ausnahmebestimmung stützen kann.809 Nach einer Ansicht, die auch die BaFin810 vertritt, ist die durch einen Versicherer gewährte dauerhafte Prämienreduzierung nur zulässig, sofern ihr eine wirksame zivilrechtliche Vereinbarung im Versicherungsvertrag mit dem VN zugrunde liegt.811 Dazu müsse die Reduzierung der Prämie oder Erhöhung der Leistung durch eine Regelung im Versicherungsvertrag dauerhaft dokumentiert werden.812 Die Prämienreduzierung müsse für die ganze Laufzeit des Versicherungsvertrages gelten und auch eingreifen, falls der Vertrag sich „automatisch“ von Jahr zu Jahr verlängere. Würde die Prämienreduzierung z. B. nur für ein Jahr gelten, weil der VN den Versicherungsvertrag zum Ablauf des 1. Versicherungsjahres kündigen dürfe und so die Zahlung der vollen Prämie ab dem 2. Versicherungsjahr verhindern könnte, fehle eine dauerhafte Prämienreduzierung. Nach aA ergibt sich aus der Motivation und Zielrichtung des § 48b VAG nicht zwingend, dass die Provisionsabgabe versicherungsvertraglich vereinbart und dokumentiert werden müsse. Es bliebe nämlich offen, weshalb ein drohender Fehlanreiz im Hinblick auf die Auswahl des Versicherungsprodukts und des Risikoträgers dadurch vermieden werden könne, dass zwischen VN und Versicherer eine Prämienreduzierung vereinbart werde.813 Zu unterscheiden sind zwei Konstellationen: Zum einen kann eine Provisionsabgabe des Vermittlers zur Prämienreduzierung verwendet werden. Zum anderen kann der Versicherer auch unabhängig von oder ohne Beteiligung des Vermittlers dem VN einen Prämienrabatt gewähren. Hier liegt keine anderweitige Sondervergütung, wie z. B. eine Provisionsabgabe, vor.814 Der Kunde erhält nichts für den Abschluss der Versicherung. 802 Gegen die Europarechtswidrigkeit BGHZ 93, 177 = VersR 1985, 485; Saller VersR 2010, 1249 (1252 f.) – kartellrechtliche Begründung; für die Europarechtswidrigkeit Dreher VersR 2001, 1. Zum Streitstand Emde ZVertriebsR 2018, 292 (297). 803 Löffler ZVertriebsR 2015, 71 (77 ff.) – Anzeigenvertrieb; Saller VersR 2010, 1249 (1250, 1251); krit. auch Bürkle VersR 2018, 1421 (1424); offen gelassen von VG Frankfurt/M., Urt. v. 24.10.2011 – 9 K 105/11.F, VersR 2012, 358 (360). 804 v. 17.11.1993 – C-2/91, VersR 1994, 161; siehe auch OLG Hamburg VerBAV 2000, 163. 805 KG VersR 1995, 445; Stancke VersR 2009, 1168 (1173); aA OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2012 – I-16 U 124/11, BeckRS 2012, 24304. 806 Löffler ZVertriebsR 2015, 71 (79) – Anzeigenvertrieb; aA Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 807 Saller VersR 2010, 1249 (1251). 808 BT-Drucks. 18/11627, S. 40 zu § 48b; Emde ZVertriebsR 2018, 292 (298); Reiff VersR 2018, 193 (199). 809 Reiff VersR 2018, 193 (199). 810 Siehe etwa „Erläuterungen zum Vertriebsrundschreiben 11/2018 (VA) v. 17.7.2018“. 811 VG Frankfurt/M., Beschl. v. 28.9.2018-7 L 3307/18. F, VersR 2018, 1431 = WM 2019, 176; BaFin Journal Oktober 2017, S. 22 f.; aA Reiff VersR 2018, 193 (199). 812 VG Frankfurt/M., Beschl. v. 28.9.2018-7 L 3307/18. F, VersR 2018, 1431 = WM 2019, 176; BaFin Journal Oktober 2017, S. 22 f.; aA Reiff VersR 2018, 193 (199). 813 Bürkle VersR 2018, 1421 (1424). 814 Hamelmann VersR 2018, 1426; Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 843

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Sie wird nur günstiger für ihn.815 Der Prämienrabatt betrifft keine neben dem Versicherungsvertrag vereinbarte Leistung, sondern mit der Prämienzahlungspflicht eine Hauptleistung des Versicherungsvertrags selbst.816 Dies beweise auch die historische Interpretation.817 In einer Prämienreduzierung liege kein Fehlanreiz.818 Damit ist beiden Ansichten partiell zuzustimmen: Eine Prämienreduzierung durch den Versicherer ist keine Provisionsreduzierung, also zulässig.819 Jedoch ist nicht einzusehen, warum nur eine dauerhafte Reduzierung zulässig sein soll. Reiff820 geht davon aus, dass eine Mitwirkung des Versicherers nur für den Fall der Leistungserhöhung, nicht aber für den Fall der Prämienreduzierung erforderlich sei. Zahlt der Versicherer in Kenntnis der Gewährung einer Sonderabgabe durch den VV an diesen Provision, soll dies nach Ansicht des VG Frankfurt/M.821 einen mittelbaren Verstoß gegen das Abgabeverbot darstellen. Dem ist nicht zuzustimmen, weil nur der VV Provision weitergeben kann.822 Der Versicherer erfüllt nur seine Pflicht zur Provisionszahlung. 169 Evers823 folgert aus der Begrenzung des Normzweckes auf die Vermeidung von Fehlanreizen (s. o.) im Umkehrschluss, dass Provisionsabgaben, die keine Fehlanreize zum Abschluss von Versicherungen geben, nicht dem Provisionsabgabeverbot unterfallen. Weiter solle das Provisionsabgabeverbot nach Sinn und Zweck nicht greifen, wenn Versicherer oder Vermittler nachweisen, dass der angebotene Versicherungsschutz passend sei. Es mangele erneut an einem Fehlanreiz.824 Gleiches gelte, sofern ein Kunde einen Vermittler etwa aufgrund einer Vorberatung durch einen Dritten mit dem Wunsch kontaktiere, den Versicherungsschutz etwas günstiger erhalten zu können und der Vermittler dann durch Befragung und Beratung prüfe, ob der vom Kunden nachgefragte Schutz passend sei.825 Jedoch dürfte das Provisionsabgabeverbot nach Auffassung von Evers stets gelten, falls ein Beratungsverzicht vereinbart worden sei. Denn dann sei ein Fehlanreiz beim Abschluss der Versicherung evident.826 Wegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz seien Sondervergütungen unzulässig, wenn sie dazu führten, dass dem Kollektiv nicht die gleichen Leistungen der Versicherten zugeführt werden. Versicherer müssten also sicherstellen, dass Sondervergütungen durch Ersparnisse aufgefangen werden, etwa durch ersparte Verwaltungskosten oder durch Provisionsverzichte der Vermittler.827 Dem Provisionsabgabeverbot widerspricht es jedoch, wenn Kunden über ein Online-Portal Provisionen aus den Versicherungsverträgen gegen eine Gebühr erstattet werden.828 Das Provisionsabgabeverbot soll eine Marktverhaltensregelung i. S. d. § 3a UWG darstel170 len.829 Die Einhaltung des Verbots kann also von Wettbewerbern, insb. anderen Vertriebsmittlern, auf dem Zivilrechtsweg erzwungen werden. Die Ansicht, die im Abgabeverbot keine Marktverhaltensregel sieht, begründet dies wie folgt: Sofern als Sinn und Zweck des Verbots angesehen wurde, eine weitere Steigerung der Verwaltungskosten der Versicherer zu vermeiden, 815 816 817 818 819

Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. Hamelmann VersR 2018, 1426 (1427). Hamelmann VersR 2018, 1426 (1427). Hamelmann VersR 2018, 1426 (1428). AA Bürkle VersR 2018, 1421 (1424): es wäre merkwürdig, wenn allein die Entscheidung des Versicherers ausschlagend dafür sei, ob eine Provisionsabgabe gesetzlich verboten bleibe oder nicht. 820 Reiff VersR 2018, 193 (199). 821 VersR 2018, 1431 (1434). 822 Rüsing VersR 2019, 129 (133). 823 Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 824 Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 825 Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 826 Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 827 Evers VW Nr. 9/2017, S. 65. 828 VG Frankfurt/M., Beschl. v. 28.9.2018 – 7 L 3307/18. 829 BGH, Urt. v. 19.12.1984 – I ZR 181/82, VersR 1985, 485; Reiff VersR 2018, 193 (195); Flohr/Wauschkuhn/Sperling Vertriebsrecht2 § 92 Rn 49; aA OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227. Emde

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bezweckte dies auch mittelbar ein Schutz der Interessen der Verbraucher, so dass das Verbot damals eine Marktverhaltensvorschrift darstellte.830 Dieser gesetzgeberische Zweck sei jedoch überholt. Tatsächlich begehen Vermittler, die sich nicht an das Provisionsabgabeverbot halten, einen Wettbewerbsvorteil durch Rechtsbruch. Dieser sollte nicht geduldet werden.831

I. Darlegungs- und Beweislast Klagt der VV Provision ein, so hat er wie bei jeder Provisionsklage alle Anspruchsvorausset- 171 zungen für das Entstehen der Provision darzulegen und zu beweisen,832 und zwar – da jeder vermittelte Vertrag einen eigenen Provisionsanspruch begründet – für jeden Einzelvertrag. Der Versicherer hingegen muss für jeden vermittelten Vertrag das Entfallen der unbedingt entstandenen Provision beweisen, etwa nach § 87 Abs. 2 und Abs. 3833 (s. u.). Dieselben Grundsätze gelten, falls der VV auf Auszahlung eines Stornoreserveguthabens 172 klagt, welchem vereinbarungsgemäß ein Anteil der auszuzahlenden Vorschüsse gutgebracht worden ist.834 Im Grundsatz handelt es sich auch in dieser Situation um eine Provisionsklage;835 der HV muss sein Provisionsrecht darlegen und beweisen (es ergibt sich meist aus den vom Unternehmer erteilten Abrechnungen = Anerkenntnis der Provisionsansprüche836), der Unternehmer die Voraussetzungen des Einbehalts.837 Wenn der HV-Vertrag vorsieht, dass nur bereits verdiente Provisionen in die Stornoreserve einzustellen sind, braucht der VV die Voraussetzungen, unter denen auf das Stornoreservekonto einzuzahlen ist, nicht mehr nachzuweisen. Insoweit liegt durch die Einzahlung der bereits verdienten Provision auf dem Stornoreservekonto ein Anerkenntnis des Provisionsanspruchs durch den Versicherer vor. Dass sich der Versicherer mittels der Stornoreserve eine Sicherheit bestellen ließ, ändert hieran nichts. Auch die Beweislast für die Berechtigung an der Stornoreserve verteilt sich daher nicht anders als bei vollständiger Auszahlung der Provision. Diese Beweislastgrundsätze wenden sich nicht, falls der Versicherer oder die Bausparkasse auf 173 Rückzahlung von Vorschüssen838 oder Garantiebeträgen839 klagen. Selbst in dieser Konstellation liegt die Beweislast für das Entstehen der Provisionen grundsätzlich beim VV. Allerdings muss der Versicherer den Anspruch darlegen. Er erfüllt seine Darlegungslast zur Höhe eines Rückforderungsanspruchs wegen nicht verdienter Provisionen, wenn er eine geordnete Zusammenstellung der einzelnen Rechnungspositionen vorlegt, die rechnerisch überprüfbar ist und eine Zuordnung zu den einzelnen Geschäftsvorfällen ermöglicht.840 Das pauschale Bestreiten dieses Vortrages durch den Mittler gibt keine Veranlassung, höhere Anforderungen an die Substanziierung des Klagevortrages zu stellen.841 Notfalls muss der VV eine Stufenklage erheben, in erster Stufe gerichtet auf Abrechnung nach § 87c Abs. 1, auf zweiter Stufe auf Provisionszahlung.

830 831 832 833

OLG Köln, Urt. v. 11.11.2016 – 6 U 176/15, VersR 2017, 227 (228). Emde BB 2018, 1859 (1864). Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 51. BGH VersR 1983, 372; BGH NJW-RR 1988, 546, OLG Koblenz VersR 1980, 623 (625); OLG Zweibrücken NJW-RR 1996, 285; OLG Düsseldorf OLGR 1999, 203 (204, 205); Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 51; Bonvie VersR 1986, 121. 834 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 52. 835 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381). 836 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381) – VV. 837 OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.9.2017 – 15 U 7/17, ZVertriebsR 2017, 377 (381). 838 OLG Düsseldorf OLGR 1999, 202 (203 ff.); Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 52. 839 Vgl. dazu Blomberg VersR 1968, 328. 840 OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017. 841 OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017. 845

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Wie die Formulierung des § 87a Abs. 3 S. 2 zeigt, trägt der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast für ein fehlendes Vertretenmüssen der Nichtausführung des Geschäfts842 (s. d. Kommentierung zu § 87a). Verlangt der Versicherer vom VV wegen stornierter Versicherungsverträge Provisionen zurück, so hat er wegen § 87a Abs. 3 für jeden Einzelfall die Gründe der Beendigung des Vertrags, Zeitpunkt und Art der Mahnung und der Unterrichtung des VV über die Stornogefahr darzulegen sowie die Höhe der zurückzuzahlenden Abschlussprovision zu errechnen,843 es sei denn, es handelt um „Kleinststorno“ von bis zu 50844 oder 100 EUR.845 Hier folgt die vorgenannte Beweislastverteilung auch daraus, dass bei wirtschaftlicher Sicht der Unternehmer der Fordernde ist. Der Rückzahlungsanspruch ergibt sich aus dem Vertrag,846 § 87a Abs. 3 sowie aus ungerechtfertigter Bereicherung.847 AGB dürfen diese Beweislastverteilung nicht ändern; ohne deutliche vertragliche Vereinbarung wäre nach der Unklarheitenregel von einer fehlenden Beweislastumkehr auszugehen. 175 Soweit es um die Nachbearbeitung stornierungsgefährdeter Verträge geht, hat der Versicherer für jeden einzelnen Vertrag, zu welchem er ein Entfallen der Provision nach § 87a Abs. 3 behauptet, vorzutragen und zu beweisen, ob und wenn ja mit welchem Inhalt er eine ausreichende Nachbearbeitung durchgeführt hat, die jedoch ohne Erfolg geblieben ist.848 War dem VV die Nachbearbeitung überlassen, hat der Versicherer zu jedem Vertrag die ordnungsgemäße, rechtzeitige und vollständige Übermittlung der den o. g. Anforderungen entsprechenden Stornogefahrmitteilungen zu beweisen.849 Das pauschale Bestreiten des HV, es seien Nachbearbeitungen erfolgt, soll als Sachvortrag ins Blaue hinein unbeachtlich bleiben.850 Nur wenn der Vertrag trotz ordnungsgemäßer Benachrichtigung storniert worden ist, entfällt der Provisionsanspruch. Fraglich ist, ob ein typischer Geschehensablauf zu einer Vermutung führt, die eine Beweislastumkehr zulässt. So wird diskutiert, ob sich der VV darauf berufen darf, dass bei einer hohen Zahl von Vertragsstornierungen die Nachbearbeitung unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer identifizierbaren Prozentzahl der VN nicht zum Erfolg geführt haben würde.851 Eine Vermutung für eine bestimmte Prozentzahl berechtigter Stornierungen oder eine bestimmte Quote erfolgloser Nachbearbeitung ist nur zurückhaltend anzuerkennen.852 In jedem Fall müsste der VV die Höhe des fraglichen Prozentsatzes beweisen, notfalls durch aussagekräftige Statistiken. Die Vermutung soll nicht bei Verträgen über untypisch hohe Versicherungs- oder Bausparsummen eingreifen.853 Solche Beweise können im Allgemeinen eher nicht mit Statistiken nach § 287 ZPO geführt werden. Vielmehr sollte der Beweis im Einzelfall, konkret bezogen auf den jeweiligen Vertrag, nach den vorgenannten Maßstäben geführt werden.

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842 OLG Köln, Urt. v. 18.5.1977, NJW 1987, 327 (328); OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.3.1995, NJW-RR 1986, 285; Giesler/ Nauschütt/Sperrer 2. Aufl. 2011, § 2 Nr. 1438. 843 OLG Hamm, Beschl. v. 12.3.2004 – 35 W 2/04, NJW-RR 2004, 1266. 844 LAG Nürnberg, Urt. v. 14.11.2013 – 8 Sa 485/12, BeckRS 2014, 66700. 845 LG Hannover, Urt. v. 18.8.2010 – 10 O 15/09, VersR 2011, 1008. 846 OLG München VersR 1975, 150; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 18; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92 Rn 15; offenbar auch OLG Köln VersR 1976, 87; 1974, 287; OLG Frankfurt/M. DB 1977, 1170; Hopt § 92 Rn 10: Anspruch aus § 87a Abs. 2 Hs 2 analog. 847 AA Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 18: kein Bereicherungsanspruch. 848 BGH VersR 1983, 372; NJW-RR 1988, 547; OLG Düsseldorf OLGR 1995, 19 (20); OLGR 1999, 202; 469, 470; OLG Frankfurt/M. VersR 1997, 875; OLG Koblenz VersR 1980, 623; OLG Zweibrücken NJW-RR 1996, 285; Bonvie VersR 1986, 121; Ebenroth/Löwisch2 § 92 Rn 31; Oetker/Busche6 § 92 Rn 9. 849 OLG Düsseldorf OLGR 1995, 20; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 51. 850 OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017. 851 Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 52. 852 OLG Celle, Urt. v. 28.6.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267 (nicht anzuerkennen); Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 52. 853 BGH VersR 1983, 373; BGH NJW-RR 1988, 546; Bonvie VersR 1986, 122; Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 52. Emde

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Sind Zahlungsansprüche in eine Gesamtabrechnung eingestellt worden, bleibt es bei den 176 vorgenannten Beweislastgrundsätzen.854 Der VV muss die tatsächlichen Voraussetzungen seines Provisionsanspruchs, der Versicherer mögliche Gegenansprüche beweisen. Das setzt allerdings die Transparenz der Abrechnung voraus. Ist sie nicht gegeben, steht dem VV die Möglichkeit einer Stufenklage, gerichtet in erster Stufe auf Abrechnung oder Buchauszug, in zweiter auf Provision frei. Eine Umkehr der Beweislast dürfte eher abzulehnen sein, weil sonst dem VV die Möglichkeit offen stände, auch sehr hohe Provisionsforderungen bei Beweislastumkehr zu Lasten des Unternehmers durchzusetzen.

J. Steuerrecht Gem. § 4 Nr. 11 UStG unterliegen die Umsätze der Versicherungs- und Bausparkassenver- 177 treter nicht der Umsatzsteuerpflicht.855 Die Provision ist mithin ohne Umsatzsteuer zu berechnen und zwar auch für Verwaltungsprovisionen als bloßer Annex der Tätigkeitsprovisionen. Die Umsatzsteuerfreiheit ergreift auch den Ausgleichsanspruch und die Karenzentschädigung.856 § 4 Nr. 11 UStG dient der Umsetzung von Art. 13 Teil Ba der RL 77/388/EWG. Danach befreien die Mitgliedstaaten Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazu gehörenden Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden, von der Umsatzsteuer. Zu den wesentlichen Aspekten der nach Art. 13 Teil Ba der RL steuerfreien Versicherungsvermittlungstätigkeiten gehört es, Kunden zu suchen und diese mit dem Versicherer zusammenzuführen.857 Die Steuerfreiheit für die Tätigkeit als VV setzt deshalb voraus, dass die Leistungen die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Versicherungsvermittlung erfüllen, nämlich die am Abschluss der Versicherung interessierten Personen zusammenzuführen.858 Das ist der Fall, wenn ein Mittler einem Versicherungsmakler am Abschluss eines Versicherungsvertrages potentiell interessierte Personen nachweist und hierfür eine „Zuführungsprovision“ erhält. Die Steuerfreiheit der Betreuung, Schulung und Überwachung von VV nach § 4 Nr. 11 UStG erfordert, dass der Unternehmer, der diese Leistung übernimmt, durch Prüfung eines jeden Vertragsangebotes zumindest mit auf eine der Vertragsparteien einwirken kann, wobei auf die Möglichkeit, eine solche Prüfung im Einzelfall durchzuführen, abzustellen ist. Die einmalige Prüfung und Genehmigung von Standardverträgen und standardisierten Vorgängen reicht entgegen dem BMF-Schreiben v. 9.10.2008859 nicht aus.860 Das BMF861 definierte die Folgen der vorgenannten Entscheidung wie folgt: Der Begriff der Vermittlung sei bei Umsätzen der in § 4 Nr. 8 und 11 UStG bezeichneten Art einheitlich auszulegen. Die dort bezeichneten Vermittlungsleistungen setzten die Tätigkeit einer Mittelsperson voraus, welche nicht den Platz einer der Parteien des zu vermittelnden Vertrages einnehme und deren Tätigkeit sich von den vertraglichen Leistungen, die von den Parteien dieses Vertrages erbracht würden, unterscheide. Zweck der Vermittlungstätigkeit sei es, das Erforderliche zu tun, damit 2 Parteien einen Vertrag schlössen, an dessen Inhalt der Vermittler kein Eigeninteresse habe. Die Mittlertätigkeit könne darin bestehen, einer Vertragspartei Gelegenheiten zum Vertragsschluss nachzuweisen, mit der anderen Partei Kontakt aufzunehmen oder über die Einzelheiten der gegenseiti-

AA Ebenroth/Löwisch4 § 92 Rn 53. BFH, Urt. v. 6.9.2007 – VR 50/05, RIW 2008, 95; vgl. auch Emde NJW 2005, 3694. Westphal I Rn 689. EuGH Slg 2005, I-1719 = RIW 2005, 394 Rn 36. BFH, Urt. v. 28.5.2009 – V R 7/08, VersR 2009, 1562 = DStRE 2008, 1089 = DStR 2009, 1755. IV B 9 – S 7167/08/1001, BStBl I 2008, 948, DStR 2008, 2067. BFH, Urt. v. 30.10.2008 – V R 44/07, DStR 2008, 2474 = DB 2009, 267. Schreiben v. 23.6.2009 (BStBl. I S. 773) betr. Umsatzsteuer; umsatzsteuerliche Behandlung von Vermittlungsleistungen der in § 4 Nr. 8 und § 4 Nr. 11 UStG bezeichneten Art; Konsequenzen aus dem BFH-Urt. v. 30.10.2008 V R 44/07(BStBl. 2009 II S. 554) (BMF IV B 9 – S 7160 – f/08/10004).

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gen Leistungen zu verhandeln. Wer lediglich einen Teil der mit einem zu vermittelnden Vertragsverhältnis verbundenen Sacharbeit übernehme oder lediglich einem anderen Unternehmer Vermittler zuführe und sie betreue, erbringe insoweit keine steuerfreie Vermittlungsleistung. Die Steuerbefreiung einer Vermittlungsleistung setze nicht voraus, dass es tatsächlich zum Abschluss des zu vermittelnden Vertragsverhältnisses komme. Unbeschadet dessen erfüllten bloße Beratungsleistungen den Begriff der Vermittlung nicht. Auch die Betreuung, Überwachung oder Schulung von nachgeordneten selbständigen Mittlern könne zur berufstypischen Tätigkeit eines Bausparkassenvertreters, VV oder Versicherungsmaklers gem. § 4 Nr. 11 UStG oder zu Vermittlungsleistungen der in § 4 Nr. 8 UStG bezeichneten Art gehören. Dies fordere jedoch, dass der Unternehmer, der die Leistungen der Betreuung, Überwachung oder Schulung übernehme, durch Prüfung eines jeden Vertragsangebots mittelbar auf eine der Vertragsparteien einwirken könne. Dabei sei auf die Möglichkeit abzustellen, eine solche Prüfung im Einzelfall durchzuführen. 178 Leistungen von VV sind nur steuerfrei, wenn sie zugleich zum Versicherer und zum VN in Beziehung stehen.862 Dienstleistungen wie z. B. die Festsetzung und die Auszahlung der Provisionen der VV, das Halten der Kontakte mit diesen und die Weitergabe von Informationen an die VV gehören nicht zu den Tätigkeiten eines VV.863 Allgemein sind Unterstützungsleistungen für die Ausübung der dem Versicherer selbst obliegenden Aufgaben steuerpflichtig.864 Das bloße Einholen von Kundendaten erfüllt nicht die spezifische Funktion einer VV-Tätigkeit.865 § 4 Nr. 8 lit. f UStG enthält auch unter Berücksichtigung von Art. 13 Teil B d Nr. 5 der RL 77/388/EWG keine allg. Steuerbefreiung für Leistungen beim Vertrieb von Anteilen an Gesellschaften und anderen Vereinigungen, sondern erfasst nur die Vermittlung von Umsätzen mit derartigen Anteilen. Die steuerfreie Vermittlung muss sich auf einzelne Geschäftsabschlüsse beziehen.866 Zur steuerrechtlichen Behandlung von Superprovisionen, welche VV als Hauptvertreter erhalten (Strukturvertrieb) siehe auch OFD Cottbus.867 179 Für die Frage, wann die von einem VV auf seine Provisionsansprüche erhaltenen Zahlungen realisiert werden und damit steuerpflichtiger Gewinn entsteht, kommt es auf die konkreten Vereinbarungen an.868 Grundsätzlich ist für die Aktivierung von Provisionsforderungen das Entstehen oder die Fälligkeit der Forderung irrelevant. Entscheidend ist, dass der VV seine Leistung erbracht hat und jene von der Versicherung abgenommen wurde. Insofern gilt die Zahlung der Erstprämie als Gewinnrealisierungszeitpunkt.869 Die Vertragsparteien können mittels Vertrag den Gewinnrealisierungszeitpunkt beeinflussen.870 So kann die Zahlung der ersten Jahresprämie, einer bestimmten Anzahl von Monatsprämien oder die Zahlung der Abschlussgebühr als der maßgebliche Zeitpunkt vereinbart werden.871 Sieht der Versicherungsvertrag mehrere Prämienzahlungen vor, kann bestimmt werden, ob sich für den VV nur aus der ersten Prämienzahlung oder aus jeder Prämienzahlung ein Anspruch ergeben soll. Sobald der Provisionsanspruch entstanden ist, ist dieser stets und in vollem Umfang als Provisionsforderung zu aktivieren. Die bis zum Bilanzstichtag von den Versicherungen bereits gezahlten Provisionen stellen Entgelt für einen bereits entstandenen Provisionsanspruch dar; sie sind gewinnerhöhend als Erlöse zu verbuchen.872 Vertraglich vereinbarte und

862 863 864 865 866 867 868 869 870 871 872

EuGH Slg 2005, I-1719 = RIW 2005, 394 Rn 36; BFH, Urt. v. 6.9.2007 – V R 50/05, RIW 2008, 95 (96). EuGH Slg 2005, I-1719 = RIW 2005, 394 Rn 36; BFH, Urt. v. 6.9.2007 – V R 50/05, RIW 2008, 95 (96). BFH, Urt. v. 6.9.2007 – V R 50/05, RIW 2008, 95. BFH, Urt. v. 6.9.2007 – V R 50/05, RIW 2008, 95. BFH, Urt. v. 30.10.2008 – V R 44/07, DStR 2008, 2474 = DB 2009, 267. Vfg. v. 22.12.1997, DB 1998, 284. Niedersächsisches FG, Urt. v. 21.11.2012 – 2 K 38/12, BB 2013, 560. Thurow BC 2010, 437. BFH, Urt. v. 17.3.2010, – X R 28/08. BFH, Urt. v. 17.3.2010, – X R 28/08; Thurow BC 2010, 437. Thurow BC 2010, 437.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92

erhaltene Provisionsvorschüsse sind als „erhaltene Anzahlungen“ zu passivieren.873 Aus der Vereinbarung kann sich ergeben, dass die Provisionsansprüche erst pro rata temporis realisiert werden, wenn bereits auf den Provisionsanspruch geleistete Zahlungen mehrere Jahre während der „Stornohaftungszeit“ zeitanteilig für den Fall vorzeitiger Beendigung zurückgefordert werden können.874 Behält die Versicherung Provisionsanteile auf einem Stornoreservekonto ein, um hieraus Rückforderungsansprüche für die nach Beendigung des VVVertrages noch laufenden Stornohaftungszeiten abzusichern, hat der VV die einbehaltenen Beträge als sonstige Ausleihung oder sonstigen Vermögensgegenstand zu aktivieren.875 Besteht vertraglich bedingt bei dem Provisionsanspruch ein Ausfallrisiko (mögliche Rück- 180 forderung von Provisionszahlungen, Stornohaftung), z. B. durch Vertragsauflösung im sog. Produkthaftungszeitraum, Beitragsermäßigungen etc., können Wertberichtigungen gebildet werden. Eine Rückstellung in Höhe von 5 % der Provisionsansprüche ist nicht zu beanstanden.876 Erhält ein VV für einen Teil der Versicherungsverträge,877 für die er hinreichend deutlich878 eine in der Zukunft zu erbringende und noch nicht erbrachte Verpflichtung zur Bestandspflege oder Nachbetreuung879 übernommen hat (wobei aber nicht jede denkbare Konstellation der Betreuung vertraglich im Detail geregelt werden muss880), nur eine Abschlussprovision (und keine separate Bestandspflegeprovision881), so kann er für den trotz erfolgter Zahlung der Abschlussprovision am Bilanzstichtag nicht erfüllten aber bereits vergüteten Teil der Betreuung und Pflege der Verträge eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes bilden.882 Eine solche Verpflichtung liegt etwa in der Verpflichtung zur „Pflege und Erhaltung des Versicherungsbestandes“.883 Leistungen für die Einwerbung neuen Geschäfts (Akquisetätigkeit) sind nicht rückstellungsfähig;884 ebenso wenig Aufwand für eigene künftige Tätigkeit des Betriebsinhabers (VV ohne eigenes Personal sollen also keine Rückstellung bilden können).885 Die Höhe der Rückstellung kann mit 0,5 Mitar-

873 874 875 876 877

Thurow BC 2010, 437. Niedersächsisches FG, Urt. v. 21.11.2012 – 2 K 38/12, BB 2013, 560. Niedersächsisches FG, Urt. v. 21.11.2012 – 2 K 38/12, BB 2013, 560. Thurow BC 2010, 437. Auch bei Verträgen über dynamische Lebensversicherungen, s. BFH, Beschl. v. 13.6.2014 – X B 248/13, BeckRS 2014, 96243. 878 Siehe FG Münster, Urt. v. 13.6.2013 – 13 K 4827/08 F, BB 2013, 1841 m. Anm. v. Rönn; FG Niedersachsen, Urt. v. 11.5.2011 – 2 K 11301/08, BeckRS 2011, 96234. 879 FG Münster, Urt. v. 13.6.2013 – 13 K 4827/08 F, BB 2013, 1841 m. Anm. v. Rönn. 880 FG Niedersachsen, Urt. v. 11.5.2011 – 2 K 11301/08, BeckRS 2011, 96234: Es bedarf aber weder der konkreten Bezeichnung der einzeln vorzunehmenden Betreuungstätigkeit im Vertrag noch einer Sanktionierung bei fehlender Betreuung durch den VV. 881 Wenn eine Bestandspflegeprovision geleistet wird, besteht kein Rückstellungsbedarf, s. FG Münster, Urt. v. 8.9.2010 – 6 K 1533/07 F. 882 BFH, Urt. v. 16.9.2014 – X R 38/13, ZVertriebsR 2015, 175 = BeckRS 2014, 96545 (dort abgelehnt); Beschl. v. 13.6.2014 – X B 248/13, BeckRS 2014, 96243; Urt. v. 12.12.2013 – X R 25/11, DB 2014, 990 = BeckRS 2014, 94862; Beschl. v. 8.11.2011 – X B 221/10, BeckRS 2012, 94023; Urt. v. 19.7.2011 – X R 26/10, DB 2011, 2350; Beschl. v. 16.11.2007– X B 167/07, BFH/NV 2008, 244; Urt. v. 28.7.2004 – XI R 93/03; FG Münster, Urt. v. 13.6.2013 – 13 K 4827/ 08 F, BB 2013, 1841 m. Anm. v. Rönn; v. 8.9.2010 – 6 K 1533/07 F; FG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 5.12.2012 – 3 K 624/07, BeckRS 2013, 95801; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 25.2.2010 – 6 K 1570/07; FG München, Urt. v. 24.9.2009 – 15 K 2764/ 07; v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2; hierzu BMF-Schreiben v. 20.11.2012 – IV C 6 – S 2137/09/10002 [2012/ 1045691], DB 2012, 2773; Übersicht und Zusf. Schustek DB 2015, 882; Wardemann/Pott DStR 2013, 1874; v. Rönn BB 2013, 1841. 883 FG Münster, Urt. v. 13.6.2013 – 13 K 4827/08 F, BB 2013, 1841 m. Anm. v. Rönn. 884 BFH, Urt. v. 19.7.2011 – X R 26/10, DB 2011, 2350 Rn 45. 885 BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 25/11, DB 2014, 990 = BeckRS 2014, 94862; v. 19.7.2011 – X R 26/10, DB 2011, 2350 Rn 46. 849

Emde

§ 92

1. Buch. Handelsstand

beiterstunden je Vertrag und Jahr geschätzt werden,886 nach aA mit 20 Min je Vertrag und Jahr.887 Das FG Münster888 ging wie folgt vor: Zur Ermittlung der Rückstellungshöhe ist die Zahl der Verträge je nach der verbliebenen Vertragsdauer zugrunde zu legen. Diese ist begrenzt durch das Ende des Jahres, in dem der VV das 65. Lebensjahr vollendet hat. Die voraussichtlichen Nachbetreuungszeiten sind getrennt nach Mitarbeitern und Geschäftsstellenleitern zu ermitteln, und hieraus ist eine Gesamtzahl der Arbeitsstunden je Vertrag und Jahr zu errechnen. Auf die Summe der Arbeitsstunden ist ein Kostensatz je Stunde anzuwenden, wobei die in den Löhnen der Mitarbeiter enthaltenen Provisionen nicht zu berücksichtigen sind. Die Verträge sind entsprechend ihrer Laufzeit für jedes Jahr der verbleibenden Vertragsdauer anzusetzen und gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG abzuzinsen. Die Bildung einer Durchschnittslaufzeit ist nicht zulässig. Zu den Darlegungsvoraussetzungen BFH, Urt. v. 19.7.2011 – X R 26/10, DB 2011, 2350 Rn 52 ff.; der Steuerpflichtige trägt die Beweislast.889 Der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und pro Jahr ist durch konkrete und spezifizierte Aufzeichnungen im Einzelnen darzulegen.890 Die laufenden Aufzeichnungen sind „vertragsbezogen“ zu führen; der Steuerpflichtige hat zu belegen, welche einzelnen Tätigkeiten (z. B. Fälle von Namens- und Adressenänderungen, Beitragsfreistellungen, Baufinanzierungen, Abtretungen, Änderungskündigungen) in welcher Häufigkeit mit welchem Zeitaufwand über die Gesamtlaufzeit des einzelnen Vertrages (typischerweise) anfallen werden. Diese Prüfung muss nicht für alle Verträge einzeln vorgenommen werden; im Einzelfall können fundierte Stichproben (z. B. anhand eines bestimmten Prozentsatzes der Verträge oder nach bestimmten Anfangsbuchstaben der Kundennamen) ausreichen, um eine hinreichende Rückstellungswahrscheinlichkeit zu begründen.891 Die erforderlichen Aufzeichnungen können auch für einen repräsentativen Zeitraum nach Ablauf der Streitjahre erstellt werden.892 Steht jedoch fest, dass der VV vertraglich zur weiteren Betreuung der von ihm vermittelten Verträge verpflichtet ist und auch tatsächlich entsprechende Nachbetreuungsleistungen erbracht hat, scheitert die Bildung der Rückstellung zwar nicht daran, dass er keine der Rspr. entsprechenden Aufzeichnungen über den Umfang der Betreuungsleistungen vorlegen kann. Da den Steuerpflichtigen aber die Darlegungs- und Beweislast trifft, muss sich die dann vorzunehmende Schätzung des Betreuungsaufwandes im unteren Rahmen bewegen.893 Der Erfüllungsrückstand besteht auch für die Verträge, hinsichtlich derer bereits dem Rechtsvorgänger des VV für die Übernahme der Pflegeverpflichtung eine Abschlussprovision gezahlt wurde.894 Provisionen, die ein VV vom Versicherer für den Abschluss eigener privater Versicherungen (z. B. Lebensversicherungen für sich oder seine Ehefrau) in gleicher Weise erhält wie für die Vermittlung von Versicherungsabschlüssen mit Dritten, sind Betriebseinnahmen.895 Derartige Eigenprovisionen können auch dann – als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG – steuerbare Einnahmen sein, wenn sie nur 886 FG München, Urt. v. 24.9.2009 – 15 K 2764/07; ähnlich FG Münster, Urt. v. 8.9.2010 – 6 K 1533/07 F: 27 Min pro Vertrag und Jahr. Vergleichbare Prognosen bewegen sich im Korridor von 20 Min pro Vertrag und Jahr (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 25.2.2010 – 6 K 1570/07, juris), über 20 Min pro Vertrag und Jahr zuzüglich 27 Min auf die Vertragsgesamtlaufzeit (so FG Münster, Urt. v. 2.12.2008, 9 K 4216/07 K, EFG 2009, 454) bis hin zu einer Mitarbeiterstunde pro Vertrag und Jahr (vgl. FG Münster, Urt. v. 13.9.2007, 12 K 6087/04 E EFG 2007, 1931; FG München, Urt. v. 16.12.2008, 10 K 1954/07, EFG 2009, 562). 887 FG Niedersachsen, Urt. v. 11.5.2011 – 2 K 11301/08, BeckRS 2011, 96234. 888 FG Münster, Urt. v. 13.6.2013 – 13 K 4827/08 F, BB 2013, 1841 m. Anm. v. Rönn. 889 BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 25/11, DB 2014, 990 = BeckRS 2014, 94862; v. 19.7.2011 – X R 26/10, DB 2011, 2350 Rn 61; FG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 5.12.2012 – 3 K 624/07, BeckRS 2013, 95801. 890 BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 25/11, DB 2014, 990 = BeckRS 2014, 94862; FG Münster, Urt. v. 13.6.2013 – 13 K 4827/08 F, BB 2013, 1841 m. Anm. v. Rönn; FG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 5.12.2012 – 3 K 624/07, BeckRS 2013, 95801. 891 BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 25/11, DB 2014, 990 = BeckRS 2014, 94862. 892 FG Münster, Urt. v. 13.6.2013 – 13 K 4827/08 F, BB 2013, 1841 m. Anm. v. Rönn; FG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 5.12.2012 – 3 K 624/07, BeckRS 2013, 95801. 893 BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 25/11, DB 2014, 990 = BeckRS 2014, 94862. 894 FG München, Urt. v. 16.12.2008 – 10 K 1954/07, DStRE 2010, 2. 895 BFH DB 1998, 2044 = NJW 1998, 3734. Emde

850

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92

aus einmaligem Anlass und nur für die Vermittlung von Eigenverträgen gezahlt werden.896 Gewährt eine Versicherung einem selbständigen VV eine Versicherung zu vergünstigten Konditionen, liegt in Höhe der Differenz zwischen dem gewährten Haustarif und der günstigsten Marktprämie eine Betriebseinnahme vor. Vorliegen und Höhe der anzusetzenden Betriebseinnahme sind unabhängig davon, ob andere Versicherer funktionsgleiche und qualitativ gleichwertige Versicherungen zu einer geringeren Prämie anbieten.897

896 BFH DB 1998, 2044 = NJW 1998, 3734. 897 FG München, Urt. v. 14.12.2007 – 2 K 2299/05, DStRE 2009, 837. 851

Emde

§ 92a [Mindestarbeitsbedingungen] (1)

1

Für das Vertragsverhältnis eines Handelsvertreters, der vertraglich nicht für weitere Unternehmer tätig werden darf oder dem dies nach Art und Umfang der von ihm verlangten Tätigkeit nicht möglich ist, kann das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit nach Anhörung von Verbänden der Handelsvertreter und der Unternehmer durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf, die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festsetzen, um die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse dieser Handelsvertreter oder einer bestimmten Gruppe von ihnen sicherzustellen. 2Die festgesetzten Leistungen können vertraglich nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden. (2) 1Absatz 1 gilt auch für das Vertragsverhältnis eines Versicherungsvertreters, der auf Grund eines Vertrages oder mehrerer Verträge damit betraut ist, Geschäfte für mehrere Versicherer zu vermitteln oder abzuschließen, die zu einem Versicherungskonzern oder zu einer zwischen ihnen bestehenden Organisationsgemeinschaft gehören, sofern die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit einem dieser Versicherer im Zweifel auch die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit den anderen Versicherern zur Folge haben würde. 2In diesem Falle kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf, außerdem bestimmt werden, ob die festgesetzten Leistungen von allen Versicherern als Gesamtschuldnern oder anteilig oder nur von einem der Versicherer geschuldet werden und wie der Ausgleich unter ihnen zu erfolgen hat.

Schrifttum Buchner Das Recht der Arbeitnehmer, der Arbeitnehmerähnlichen und der Selbständigen – jedem das Gleiche oder jedem das Seine, NZA 1998, 1144; Diekhoff Welche Handelsvertreter haben einen Urlaubsanspruch nach dem BUrlG? DB 1963, 1120; Herschel Die arbeitnehmerähnliche Person, DB 1977, 1185; Ludwig Auf welche Handelsvertreter ist das BundesurlaubsG anwendbar?, DB 1966, 1972; Niessen Ist das BundesurlaubsG auf alle Handelsvertreter anwendbar?, DB 1963, 308; ders. Welche Handelsvertreter haben einen Urlaubsanspruch nach dem BUrlG?, DB 1963, 1120; Reiserer Schluss mit dem Missbrauch der Scheinselbständigkeit, BB 1999, 366.

Übersicht 1

A.

Hintergrund der Vorschrift

B.

Gesetzgebungsgeschichte

C.

Zweck

D.

Ermächtigungsgrundlage

E.

Berechtigter

F.

Das Regelungssubjekt

I.

Handelsvertreter

II. 1.

7 Einfirmenvertreter Einfirmenvertreter kraft Vertrages (1. Alt.)

2.

Einfirmenvertreter kraft Weisung (2. Alt.) – „fak10 tischer Einfirmenvertreter“

G.

Weitere „Unternehmer“

H.

HV-Gesellschaften

I.

Versicherungs- und Bausparkassenvertreter 13 nach Abs. 2

J.

Ausübung der Ermächtigung

K.

Anwendung arbeitsrechtlicher Vorschrif17 ten

L.

Auch sonst keine analoge Anwen19 dung

2 11

3 12

4

5 6

6

Emde https://doi.org/10.1515/9783110744385-009

8

14

852

§ 92a

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

M.

Zuständigkeit des Arbeitsgerichts

N.

Beweislast

O.

Doppelrelevante Tatsachen

26

20

28

P.

Verstoß gegen das UWG

Q.

Wegfall der früheren Konkursvor29 rechte

27

A. Hintergrund der Vorschrift § 92a betrifft den Einfirmenvertreter. Grundsätzlich ist es für die Anwendung der §§ 84 ff. uner- 1 heblich, ob ein HV nur einen oder mehrere Unternehmer mit sich ergänzenden Angeboten vertritt.1 Der HV bleibt auch ein solcher, wenn er weitere Tätigkeiten ausführt, die keine Abschlussoder Vermittlungstätigkeiten sind, solange er selbständig bleibt.2 Es kann die unterschiedlichsten Gründe haben, warum ein HV Einfirmenvertreter bleibt.3 Lehre und Rspr. bereits in der Zeit vor Erlass der HV-Novelle 1953 hatten den Begriff des „arbeitnehmerähnlichen“ HV herausgebildet, der in einzelnen Beziehungen (Betriebsgefahr des Geschäftsherrn, Anspruch auf Zeugnis) für das materielle Recht, hauptsächlich aber im Rahmen des § 5 ArbGG für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte,4 Bedeutung gewann. Über diesen Rechtszustand vgl. den Großkommentar von Staub 2. Aufl. an dieser Stelle. Der arbeitnehmerähnliche HV war durch den schwankenden Maßstab des „Grades der wirtschaftlichen Abhängigkeit“ gekennzeichnet. § 92a stellt mittelbar klar (sonst hätte die Vorschrift keinen Anwendungsbereich), dass die Tätigkeit für nur einen Unternehmer mit der Selbständigkeit eines HV zu vereinbaren und der vertragliche Ausschluss einer Tätigkeit für weitere Unternehmer zulässig ist.5 Eine solche Abrede darf auch mittels AGB vereinbart werden.6 Jedoch ist bei den unter § 92a fallenden HV im Einzelfall sehr genau zu prüfen, ob ihre Selbständigkeit tatsächlich gewährleistet ist oder es sich nicht um unselbständige Arbeitnehmer handelt, bei denen der rechtlich unwirksame Versuch unternommen worden ist, vertraglich die Stellung von HV vorzuspiegeln. Zur Kaufmannseigenschaft des HV trifft § 92a keine Aussage. Diese bestimmt sich allein nach § 1.

B. Gesetzgebungsgeschichte Der mittels der HV-Novelle 1953 eingeführte7 und durch die RL 1986 nicht europarechtlich 2 vorgeformte § 92a sollte in Bezug auf die bis zur Novelle 1953 geführte Diskussion klare Verhältnisse schaffen. Nach der amtlichen Begründung zur Novelle 1953 sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dem wirtschaftlich schwachen Einfirmenvertreter einen materiell-rechtlichen Schutz zu gewähren. Ein solcher Schutz sei für HV, die wirtschaftlich ähnlich abhängig von einem Unternehmer wie Handlungsgehilfen seien, von besonderer Bedeutung. Als Vorbild diente das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen v. 11.1.1952,8 welches unter besonderen Voraussetzungen ermöglicht, durch Rechtsverordnung Mindestarbeitsbedingungen für Arbeitsverhältnisse festzusetzen. 2001 erfolgte eine Zuständigkeitsanpassung in Abs. 1 S. 1 wegen der Neubezeichnung des Ministeriums. 1 Küstner/Thume/Schürr I Kap. I Rn 170; Plander RdA 1973, 234; Tewes VersVerm. 1990, 6 ff.; Küstner WVK 1995, Nr. 1 S. 13. 2 EuGH, Urt. v. 21.11.2018 – C 452/17, ZVertriebsR 2019, 20. 3 Martinek/Flohr3 § 17 Rn 23. 4 Oetker/Busche6 § 92a Rn 1. 5 Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 3. 6 Buchner NZA 1998, 1144 (1149); Reiserer BB 1999, 368 (369, 370). 7 Oetker/Busche6 § 92a Rn 1. 8 BGBl. I, S. 17. 853

Emde

§ 92a

1. Buch. Handelsstand

C. Zweck 3 Die Vorschrift soll den Einfirmenvertretern einen Mindestschutz geben und es ermöglichen, in einer VO Mindestarbeitsbedingungen vorzuschreiben.9 Die Beschränkung des Schutzes auf den Einfirmenvertreter findet ihre Rechtfertigung darin, dass er in seiner Stellung am stärksten einem Angestellten angenähert ist: er ist an einen bestimmten Unternehmer gebunden, für den er seine Arbeitskraft und -zeit einsetzen muss und von dem er dadurch wirtschaftlich völlig abhängig ist.10 Der Wortlaut des § 92a kann unter Berücksichtigung dieses Schutzgedankens („Sinn und Zweck“) weit oder eng ausgelegt werden.11 So erstreckt der BGH den Anwendungsbereich des § 92a Abs. 1 über den Wortlaut der Norm hinaus auf Fälle, in den dem HV eine nebenberufliche Tätigkeit erlaubt bleibt und begründet dies mit dem „Sinn und Zweck des § 92a Abs. 1 S. 1“ sowie der „gebotenen typisierenden Betrachtung“.12

D. Ermächtigungsgrundlage 4 § 92a normiert selbst keine Mindestarbeitsbedingungen für Rechtsverhältnisse der Einfirmenvertreter. Die Vorschrift stellt nur eine Ermächtigungsgrundlage13 für den Erlass von Rechtsverordnungen dar (zu ihrem möglichen Inhalt Rn 14 ff.). Darin erschöpft sich der unmittelbare Anwendungsbereich der Norm. Von der VO-Ermächtigung ist bisher nicht Gebrauch gemacht worden und – wie seit Jahrzehnten in allen Kommentaren zu lesen ist – soll damit auch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sein. Mehrmalige Prüfungen des Bundesministers der Justiz unter Beteiligung der betroffenen Verbände der HV und der Unternehmer hätten nämlich ergeben, dass allenfalls ein kleiner Kreis hauptberuflicher Einfirmenvertreter mit ihrem Einkommen unter dem nach dieser Bestimmung zur sichernden Existenzminimum liegen dürfte.14 Ob diesen HV mit der Festsetzung einer Mindestvergütung gedient wäre, wird bezweifelt. So wird angenommen, ein gesetzlich garantiertes Mindesteinkommen könnte von Unternehmern zum Anlass genommen werden, das HV-Verhältnis zu kündigen.15 Rein systematisch betrachtet, wäre eine Mindestvergütung im System einer leistungsabhängigen Vergütung ein Fremdkörper. Ein Mindestprovisionssatz dürfte sich zudem kaum branchenübergreifend festlegen lassen.

E. Berechtigter 5 Unmittelbar bindet die Vorschrift die Vertragspartner des HV-Vertrages nicht.16 Im Gegensatz etwa zu §§ 91, 91a trifft sie noch nicht einmal Regelungen hinsichtlich des Außenverhältnisses zum Kunden, also zu den mittelbaren Wirkungen des HV-Vertrages. Sie berechtigt aber durch Normsetzung – die in § 92a angesprochene VO – zu staatlichen Eingriffen des als Normadressat bezeichneten Ministeriums der Justiz in den HV-Vertrag und ist daher vom Regelungsgegenstand

9 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 1. 10 BT-Drucks. I/3856, S. 40; BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; Oetker/Busche § 92a Rn 1. 11 Siehe BGH, Beschl. v. 16.10.2014 – VII ZB 16/14, ZVertriebsR 2015, 117 = NJW-RR 2015, 289 = ZIP 2014, 2297 = BB 2014, 2817 = DB 2014, 2708 = WM 2014, 2217 = EWiR 2015, 181 (Emde). 12 BGH, Beschl. v. 16.10.2014 – VII ZB 16/14, ZVertriebsR 2015, 117 = NJW-RR 2015, 289 = ZIP 2014, 2297 = BB 2014, 2817 = DB 2014, 2708 = WM 2014, 2217 = EWiR 2015, 181 (Emde) Rn 18. 13 Oetker/Busche6 § 92a Rn 1. 14 Antwort der BR v. 27.2.1985, BT-Drucks. 10/2954, S. 3; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 4. 15 BT-Drucks. 10/2954, S. 4; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 4. 16 Ebenroth/Löwisch2 § 92a Rn 1. Emde

854

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92a

her besehen den §§ 84 ff. nicht völlig systemfremd. Die VO-Ermächtigung wurde an die sachnächste Stelle eingefügt.

F. Das Regelungssubjekt I. Handelsvertreter Das Regelungssubjekt, also der durch die VO betroffene Normadressat, ist der HV i. S. d. §§ 84 ff. 6 einschließlich der VV.17 Damit gilt die Vorschrift, da sie vertragsbezogene Ansprüche des HV regelt und § 92b keine Sonderregelung trifft, auch für HV im Nebenberuf,18 falls ihnen die Übernahme weiterer Handelsvertretungen untersagt wurde (s. d. Kommentierung zu § 92b).19 Dies gilt erst recht, wenn der HV nur zeitweise HV im Nebenberuf ist.20 Unerheblich für die Anwendung bleibt, ob HV im Nebenberuf im Regelfall weniger sozial schutzbedürftig sind, weil dieses Kriterium für die TB-Voraussetzungen der Bestimmung ohne Bedeutung ist. Ihre fehlende Schutzbedürftigkeit ist nur abstrakt-generell für die Frage von Bedeutung, ob die sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse durch Erlass einer Rechtsverordnung zu sichern sind (Normzweck),21 nicht jedoch für die konkrete Normanwendung. Wegen des Ausnahmecharakters der Norm und Art. 80 GG ist eine analoge Anwendung auf andere Vertriebsmittler, insb. andere HV, Vertragshändler,22 FN23 und Kommissionsagenten,24 ausgeschlossen, und zwar selbst dann, wenn sie vergleichbar schutzbedürftig sein sollten.25

II. Einfirmenvertreter § 92a setzt den sog. Einfirmenvertreter voraus. Hierunter fallen HV, die vertraglich nicht 7 für weitere Unternehmer tätig werden dürfen (sog. Einfirmenvertreter kraft Vertrages) oder denen dies nach Art und Umfang der von ihnen verlangten Tätigkeit nicht möglich ist (sog. Einfirmenvertreter kraft Weisung).26 Der Umfang der dem HV gegenüber dem Unternehmer obliegenden Interessenwahrungspflicht ändert sich durch seine Qualifikation als Ein-

17 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor. 18 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 15; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 12; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 92a Rn 9; Oetker/Busche6 § 92a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 19; aA LAG Frankfurt/M. RdA 1970 384; Staub/Brüggemann 4. Aufl. § 92a Rn 5: eine etwaige Schutzbedürftigkeit des HV im Nebenberuf sei, wie gerade § 92b erweist, nicht Anliegen des HV-Rechts. Offengelassen wurde die Frage von OLG Köln, Beschl. v. 14.6.2000 – 19 W 12/00, VersR 2001, 894. 19 OLG Saarbrücken, Beschl. v. 9.5.2005 – 5 W 92/05–23, VersR 2006, 1216. Aber nur dann, siehe LAG SchleswigHolstein, Beschl. v. 1.12.2016 – 3 Ta 117/16, ZVertriebsR 2017, 55 Rn 17 – Nebenberuflichkeit allein führt nicht zur Eigenschaft als Einfirmen-HV. 20 BAG, Beschl. v. 15.2.2005 – 5 AZB 13/04, NJW 2005, 1146 (1147); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 19. 21 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 19. 22 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 24. 23 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 24. 24 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 24. 25 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 24; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 18. 26 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 40; zur Abgrenzung: Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 4; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 9; Oetker/Busche6 § 92a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 8. 855

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firmenvertreter nicht.27 Der Mehrfirmenvertreter, dessen Zulässigkeit sich einem Umkehrschluss aus § 92a entnehmen lässt,28 schuldet jedem Unternehmer uneingeschränkte Loyalität und Interessenförderung29 und er muss – auch wenn ein Wettbewerbsverbot im Vertrag nicht ausdrücklich enthalten ist – stets darauf achten, keine miteinander konkurrierenden Unternehmen zu vertreten, da dies den ihm obliegenden Treupflichten widerspräche. Dass der Unternehmer von einem Mehrfirmenvertreter geringeren und von einem Einfirmenvertreter höheren Einsatz erwarten kann,30 muss bezweifelt werden. Denn der HV darf nur so viele Vertretungen übernehmen, dass er jedem Unternehmer den gebührenden vollen Einsatz zukommen lassen kann. Wäre man anderer Ansicht, könnte der HV seine Vertragspflichten gegenüber einem Unternehmer zügig reduzieren, indem er weitere Vertretungen übernähme. Beschränkt sich der HV ohne entsprechende vertragliche Verpflichtung oder „Weisung“ des Unternehmers freiwillig auf eine Tätigkeit für einen Unternehmer, fällt er nicht unter § 92a.31

1. Einfirmenvertreter kraft Vertrages (1. Alt.) 8 Es handelt sich um den HV, der durch Vertrag an einer anderweitigen HV-Tätigkeit ausdrücklich gehindert wird.32 Dazu braucht der Vertrag nicht ein für allemal dem HV die Tätigkeit für weitere Unternehmer zu sperren. Es genügt, dass der Vertrag eine solche Tätigkeit von der Einwilligung oder Genehmigung des Unternehmers, zu deren Erteilung der Unternehmer nicht eindeutig und wohl bedingungslos verpflichtet sein darf,33 abhängig macht, und jene fehlt.34 Der HV ist nicht erst Einfirmenvertreter, falls die Genehmigung verweigert wird.35 Doch unterfällt der HV dem von § 92a erfassten Personenkreis nur solange, als er um die Genehmigung nicht erfolgreich und unwiderruflich nachgesucht hat.36 Mit deren Erteilung verliert der HV seine Stellung als Einfirmenvertreter, selbst wenn er eine Zweitvertretung noch nicht übernimmt,37 es sei denn, er ist Einfirmenvertreter „kraft Weisung“. Die Genehmigung wird nicht streng als solche nach

27 28 29 30 31 32

Ehrhard/v. Bodungen ZVertriebsR 2013, 318 (321). Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (158). Ebenroth/Löwisch4 § 86 Rn 15; Hopt § 86 Rn 24. So Schmidt-Rimpler S. 72; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 4b. Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 4. BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard; v. 16.10.2014 – VII ZB 16/14 Rn 16, ZIP 2014, 2297 = DB 2014, 2708 = EWiR 2015, 181 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, ZVertriebsR 2014, 44 Rn 14; v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 (319); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 5. 33 OLG Stuttgart BB 1966, 1396; OLG Düsseldorf OLGR 1997, 128. 34 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; BAG, Beschl. v. 15.2.2005 – 5 AZB 13/04, NJW 2005, 1146 (1147) = EWiR 2005, 505 (Emde); OLG Hamm, Beschl. v. 8.8.2011, I-18 W 21/11, BeckRS 2011, 26733; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.4.2007 – 3 W 8/07, DB 2007, 1249; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.5.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208); OLG Stuttgart BB 1966, 1396; Flohr/ Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92a Rn 6; Oetker/Busche6 § 92a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 10. 35 AA LAG Stuttgart, Beschl. v. 23.2.2005 – 6 Ta 1/05, VersR 2005, 832: Ein vertragliches Konkurrenzverbot i. S. d. § 92a liege nicht schon in einem mit Genehmigungsvorbehalt versehenen Verbot der Tätigkeit für andere Unternehmer, sondern erst in der Verweigerung der Genehmigung durch den Unternehmer. 36 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 5 (nach dem der HV „spätestens“ mit Aufnahme der Zweittätigkeit die Stellung als Einfirmenvertreter verliert); Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 6; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92a Rn 10. 37 Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 8; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 10. Emde

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den §§ 182 ff. BGB verstanden, sondern entsprechend dem Oberbegriff der Zustimmung.38 Jedenfalls kann sie stillschweigend erteilt werden.39 Im Zweifel ist von ihrem unwiderruflichen Charakter auszugehen; wahrscheinlich nimmt der HV das Angebot des Unternehmers auf Vertragsänderung ausdrücklich oder gem. § 151 BGB an. Wurde dem HV eine Tätigkeit für weitere Unternehmer untersagt, so ist Abs. 1 auch dann anwendbar, wenn der HV vertragswidrig ohne das Einverständnis des Unternehmers für andere Unternehmer tätig wird,40 solange der Unternehmer die Tätigkeit nicht zumindest konkludent genehmigt hat,41 was eine stillschweigende Vertragsänderung bedeuten würde. Hier ist aber mglw. der Einwand der Arglist begründet. Maßgebend ist allein, dass dem HV die Tätigkeit ohne Zustimmung des Unternehmers nicht erlaubt ist.42 Auch mittelbare Beschränkungen können geeignet sein, die Qualifikation als Einfirmenvertreter zu begründen,43 etwa falls dem HV vorgeschrieben wird, seine volle Arbeitskraft der Erfüllung des Vertrags zu widmen.44 Selbst partielle Einschränkungen der Tätigkeit können genügen, wenn sie unter Berücksichtigung des Schutzzweckes des § 92a schwer genug wiegen, um den Anwendungsbereich der Norm zu eröffnen, z. B. falls nur nebenberufliche Tätigkeiten zugelassen werden.45 Anders kann zu entscheiden sein, wenn der Vertrag den HV lediglich als „hauptberuflich tätig“ beschreibt. Dann kann – je nach den tatsächlichen Umständen – eine bloße Beschreibung der durch diesen Vertrag übertragenen Tätigkeit vorliegen, ohne dass hierdurch weitere (nebenberufliche) Tätigkeiten ausgeschlossen werden sollen.46 Das aus der Interessenwahrungspflicht hergeleitete gesetzliche Wettbewerbsverbot begründet nicht die Eigenschaft als Einfirmenvertreter,47 weil sonst alle HV Einfirmenvertreter wären. Für die Frage, ob der HV Einfirmenvertreter ist, bleiben mithin vertragliche Einschränkungen unbeachtlich, die dem HV eine Konkurrenztätigkeit untersagen, die er ohnehin wegen des aus dispositivem Recht abgeleiteten Wettbewerbsverbot nicht ausüben darf.48 Begründet schon der Wortlaut der Klauseln keine Qualifikation als Einfirmenvertreter, bleibt es für die Rechtswegzuständigkeit

38 OLG Karlsruhe BeckRS 2007, 05341; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 5. 39 OLG Stuttgart, Urt. v. 11.5.1966, BB 1966, 1396; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 10. 40 OLG Stuttgart, Urt. v. 11.5.1966, BB 1966, 1396; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 3. 41 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 5; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 10. 42 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 10. 43 AA OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 – 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256). 44 Der Vertrag schreibt unmittelbar vor, dass keine Zeit für andere Tätigkeiten verbleiben darf. AA OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 – 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256); OLG Düsseldorf BeckRS 2005, 10109; OLG Frankfurt/M. MDR 1979, 761 = DB 1979, 1178; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 7; Ebenroth/ Löwisch4 § 92a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 13. 45 BGH, Beschl. v. 16.10.2014 – VII ZB 16/14, ZVertriebsR 2015, 117 = NJW-RR 2015, 289 = ZIP 2014, 2297 = DB 2014, 2708 = EWiR 2015, 181 (Emde); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 – 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256). 46 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.5.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208). 47 BGH, Beschl. v. 27.10.2009 – VIII ZB 45/08, BeckRS 2009, 87283 m. zust. Anm. Pohlmann EWiR 2010, 569; v. 27.10.2009 – VIII ZB 42/08, NJW 2010, 873 = WM 2010, 281; v. 25.9.1990 – KVR 2/89, BGHZ 112, 218 (221) – Pauschalreisen-Vermittlung m. w. N.; Urt. v. 18.6.1964 – VII ZR 254/62, BGHZ 42, 59 (61); BAGE 93, 112 (127) m. w. N.; OLG Dresden, Beschl. v. 27.2.2012 – 17 U 1750/11, BeckRS 2013, 14258; OLG Bremen, Beschl. v. 1.7.2008 – 2 W 21/08, OLGR 2008, 834 (836); OLG Celle, Beschl. v. 4.6.2007 – 11 U 293/06, OLGR 2008, 177; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.7.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray); LAG Düsseldorf BB 1956, 593; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92a Rn 6; Hopt § 92a Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 3. 48 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.1.2010 – 22 W 55/09, BeckRS 2010, 21939; OLG Celle, Beschl. v. 4.6.2007 – 11 U 293/06, OLGR 2008, 177; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.7.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray). 857

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irrelevant, ob sie wirksam sind, insb. einer etwaigen Inhaltskontrolle standhalten.49 Begründen sie vom Wortlaut her hingegen die Eigenschaft als Einfirmenvertreter, kommt es auf ihre Wirksamkeit an. In beiden Fällen können aber die Grundsätze des doppelrelevanten Vortrages anwendbar sein, so dass für die Zulässigkeit vom Klägervortrag auszugehen wäre.50 Im Einzelnen: Der HV ist insbesondere Einfirmenvertreter kraft Vertrages, wenn, – ihm jede andere Vermittlertätigkeit untersagt wird;51 – ihm keine anderen hauptberuflichen, sondern lediglich nebenberufliche Tätigkeiten erlaubt sind.52 Das gleiche gilt, wenn ein vertraglich eingeräumte Recht des Unternehmers besteht, einer zusätzlichen Tätigkeit des HV zu widersprechen.53 Bei der gebotenen typisierenden Betrachtung werde der HV dadurch einem Angestellten angenähert, ebenso wie ein HV, dem vertraglich vollständig untersagt sei, für weitere Unternehmer tätig zu werden. Er sei vielmehr wegen der hauptberuflichen Zuordnung zu seinem Unternehmer von jenem abhängig und könne ebenso wie der in den Gesetzesmaterialien54 erwähnte Einfirmenvertreter erwarten, dass seine Arbeit wenigstens so viel einbringe, als er zur Erhaltung seiner Existenz unumgänglich benötige.55 Wird dem nebenberuflichen HV die hauptberufliche Tätigkeit für andere Unternehmer untersagt, dürfte das Ergebnis nicht anders lauten. Die TBVoraussetzungen des § 92a Abs. 1 sollten jedoch nicht erfüllt sein, falls dem nebenberuflichen HV lediglich andere nebenberufliche Tätigkeiten, nicht aber hauptberufliche, verboten werden. Denn dann fehlt die vom BGH angenommene Schutzbedürftigkeit;56 – der Vertrag die Regelung enthält „der HV ist als selbstständiger Bausparkassen-/Versicherungsvertreter nach § 92 i. V. m. §§ 84 ff. HGB im Hauptberuf ständig damit betraut, ausschließlich für den Unternehmer und seine Produktpartner Bauspar-, Finanzierungs- und Vermögensaufbauprodukte zu vermitteln“.57 9 Der HV ist nicht Einfirmenvertreter kraft Vertrages, weil – er einer bloßen Anzeigepflicht weiterer Tätigkeit unterliegt;58

49 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/von Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor. 50 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 25. 51 LG Münster, Beschl. v. 4.6.2014 – 25 O 22/14, BeckRS 2015, 03483. 52 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard; v. 16.10.2014 – VII ZB 16/14, ZVertriebsR 2015, 117 = NJW-RR 2015, 289 = ZIP 2014, 2297 = BB 2014, 2817 = DB 2014, 2708 = WM 2014, 2217 = EWiR 2015, 181 (Emde); OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.7.2014 – 13 W 9/14, NJW-RR 2015, 31; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 – 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256): dann werde dem HV jede HV-Tätigkeit untersagt. Denn mit nebenberuflicher Tätigkeit seien nur Tätigkeiten gemeint, die keine HV-Tätigkeit bildeten; aA OLG Hamm, Beschl. v. 29.11.2010 – I-18 W 61/10; OLG Bamberg, Beschl. v. 18.6.2010 – 5 W 38/10; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 3.5.2011 – 7 W 40/10; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht § 92a Rn 7. 53 KG, Beschl. v. 26.2.2015 – 2 W 3/15, ZVertriebsR 2016, 29 = BeckRS 2015, 19055. 54 BT-Drucks. I/3856, S. 40. 55 BGH, Beschl. v. 16.10.2014 – VII ZB 16/14, ZVertriebsR 2015, 117 = NJW-RR 2015, 289 = ZIP 2014, 2297 = BB 2014, 2817 = DB 2014, 2708 = WM 2014, 2217 = EWiR 2015, 181 (Emde). 56 Emde EWiR 2015, 182. 57 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard. 58 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/von Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; LG Leipzig, Urt. v. 29.9.2011 – 7 O 2820/10, BeckRS 2013, 14260; OLG Hamm BeckRS 2011, 26733; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 7. Emde

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er einem vereinbarten Konkurrenzverbot59 unterliegt, sofern dadurch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen wird, für Unternehmer eines anderen Wirtschaftszweigs60 oder einer anderen Branche61 tätig zu werden. Dies gilt selbst dann, wenn das Verbot über das gesetzliche Konkurrenzverbot hinausgeht. Selbst wenn dem HV eine Tätigkeit innerhalb der gesamten Branche, z. B. des Versicherungs- oder Bauspargeschäfts,62 oder als Vermittler von Vermögensanlagen63 untersagt ist, wird er nicht zum Einfirmenvertreter, da er in anderen Branchen oder in anderer Art und Weise geschäftlich tätig werden darf;64 der Vertrag Klauseln über die vorherige Abstimmung anderer Tätigkeiten mit dem Unternehmer enthält;65 ihm für die Zeit der Erkrankung ein Tagegeld eingeräumt wird;66 er verpflichtet ist, die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit unter Vorlage von Unterlagen zu offenbaren und eine angemessene Prüfungsfrist des Unternehmers (etwa: 21 Tage67) abzuwarten. Dies gilt jedenfalls, sofern kein Vetorecht des Unternehmers besteht. Denn die in Frage stehende Vereinbarung begründe kein Mitspracherecht des Unternehmers, wenn der HV eine anderweitige Tätigkeit aufnehmen will.68 Soweit der HV dadurch gehindert ist, für Unternehmer tätig zu werden, die auf eine kurzfristige Tätigkeitsaufnahme angewiesen sind und nicht den Ablauf der vorgesehenen Wartefrist abwarten können, ist diese Einschränkung nicht gewichtig genug, um ein vertragliches Tätigkeitsverbot anzunehmen.69 Entsprechendes gilt für die Einschränkung, dass der HV mglw. nicht für andere Unternehmer tätig werden konnte, die mit einer Vorlage der vertraglichen Vereinbarungen

59 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); VII ZB 45/12; Beschl. v. 27.10.2009 – VIII ZB 45/08; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.9.2013 – 15 W 79/11, BeckRS 2014, 03147; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 – 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256); OLG Düsseldorf BeckRS 2005, 10109; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 7; Hopt § 92a Rn BAUHOKOHGB 35 HGB § 92A Randnummer 3. 60 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; v. 27.10.2009 – VIII ZB 45/08, NJOZ 2010, 2116 Rn 22 m. w. N. 61 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.9.2013 – 15 W 79/11, BeckRS 2014, 03147. 62 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.1.2010 – 22 W 55/09, BeckRS 2010, 21939. 63 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor. 64 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.1.2010 – 22 W 55/09, BeckRS 2010, 21939. 65 OLG Köln, Beschl. v. 14.6.2000 – 19 W 12/00, VersR 2001, 894; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 11; Hopt § 92a Rn 3. 66 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 9; aA LAG Baden-Württemberg DB 1959, 307. 67 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; OLG Dresden, Beschl. v. 27.2.2012 – 17 U 1750/11, BeckRS 2013, 14258; OLG Hamm, Beschl. v. 8.8.2011-I-18 W 21/11, BeckRS 2011, 26733; LG Leipzig, Urt. v. 29.9.2011 – 7 O 2820/10, BeckRS 2013, 14260; aA OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.5.2012 – 2 W 37/12, BeckRS 2013, 14262. 68 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; OLG Hamm, Beschl. v. 8.8.2011 – I-18 W 21/11, BeckRS 2011, 26733. 69 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; OLG Dresden, Beschl. v. 27.2.2012 – 17 U 1750/11, BeckRS 2013, 14258; aA OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.5.2012 – 2 W 37/12, BeckRS 2013, 14262. 859

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bei dem Unternehmer nicht einverstanden sind.70 Der BGH postulierte also eine „Erheblichkeitsschwelle“;71 die Einschränkungen müssen so gewichtig sein, dass die Tätigkeit für einen anderen Unternehmerfaktisch unmöglich ist.72 Zumindest bei verwenderfeindlicher Auslegung der Verträge war der HV für 21 Tage Einfirmenvertreter.73 Diesen Zeitraum sah der BGH als unerheblich an, nicht ganz zu Unrecht. Denn das Gesetz meint ein völliges Tätigkeitsverbot. Eine mehrmonatige Wartezeit dürfte aber nicht mehr hinzunehmen sein.74 Im Falle des des BGH war kein „Vetorecht“ des Unternehmers vorgesehen. Der Fall dürfte aber kaum anders zu beurteilen sein, falls es ein solches Vetorecht gibt und es nicht ausgeübt wird. Denn dieser Fall ist nicht anders zu beurteilen wie der Fall, in dem die Aufnahme der Tätigkeit von einer Einwilligung ode Genehmigung des Unternehmers abhängig ist. Liegen diese jedoch vor, so soll nach Ansicht des BGH ein Wettbeweerbsverbot fehlen;75 er freiwillig keine anderweitige Vertriebstätigkeit aufnimmt;76 vom Unternehmer eine AVAD-Auskunft abgegeben wurde, derzufolge der HV als „Ausschließlichkeitsagent“ bezeichnet wird;77 ein VV nach § 34d Abs. 4 GewO keiner gewerberechtlichen Erlaubnis bedarf.78

2. Einfirmenvertreter kraft Weisung (2. Alt.) – „faktischer Einfirmenvertreter“79 10 Die 2. Alt. – dass dem HV nach Art und Umfang der verlangten Tätigkeit ohne Verletzung seiner vertraglichen Pflichten ein Tätigwerden für einen anderen Unternehmer nicht möglich ist (faktische Unmöglichkeit weiterer Tätigkeit80 oder Einfirmenvertreter kraft Weisung) – stellt ab auf den durchschnittlich befähigten,81 normal arbeitsfähigen HV.82 „Kraft Weisung“ ist ein weithin gebräuchlicher Ausdruck. Doch ist er unglücklich gewählt und kann irreführen. Er bedarf deshalb der Korrektur. Durch bloße Weisung ohne vertragliche Grundlage darf der Unternehmer den Tätigkeitsumfang des HV nicht dergestalt festlegen, dass dieser damit nur noch für den Unternehmer tätig zu sein vermöchte. Richtiger wäre die Alternative zu dem durch Vertrag zur Alleintätigkeit für den Unternehmer gebundenen HV negativ zu fassen: es muss sich um einen HV handeln, dem zwar der Vertrag die Tätigkeit für einen anderen Unternehmer nicht verbietet, dessen nach dem Vertrage festgelegter (insoweit durch Weisung allenfalls konkretisierbarer) 70 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor. 71 Emde EWiR 2013, 682. 72 Ehrhard/v. Bodungen ZVertriebsR 2013, 318 (322). 73 OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.5.2012 – 2 W 37/12, BeckRS 2013, 14262. 74 Ehrhard/v. Bodungen ZVertriebsR 2013, 318 (322). 75 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12 Rn 14, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde). 76 OLG Stuttgart BB 1966, 1396; Omlor BB 2013, 2196; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 11. 77 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor Rn 27. 78 BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. zust. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor Rn 28. 79 OLG Dresden, Beschl. v. 27.2.2012 – 17 U 1750/11, BeckRS 2013, 14258. 80 LG Leipzig, Urt. v. 29.9.2011 – 7 O 2820/10, BeckRS 2013, 14260; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3, § 92a Rn 2. 81 OLG Dresden, Beschl. v. 27.2.2012 – 17 U 1750/11, BeckRS 2013, 14258; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 10; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92a Rn 2; Oetker/Busche6 § 92a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 13. 82 LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.9.1955, BB 1956, 593 mit zust. Anm. Trinkhaus; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 10; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 9; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 4. Emde

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Pflichtenkreis aber seine Arbeitskraft so ausschöpft, dass ihm daneben die Wahrnehmung einer Zweitvertretung faktisch nicht möglich ist.83 Zwar dürfen einem Mehrfirmen- oder Mehrfachvertreter so umfangreiche Aufgaben übertragen werden, dass eine weitere Vertretung aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist.84 Diese Gestaltung führt dann aber in den Anwendungsbereich des § 92a. Entscheidend ist nicht das Maß der Tätigkeit, welches der HV erbringt, sondern das objektiv zu ermittelnde Maß der Tätigkeit, welches der Unternehmer von ihm verlangt.85 Ein besonders langsam und umständlich arbeitender HV darf nicht geltend machen, er könne im Hinblick auf seine Belastung aus dem HV-Vertrag mit diesem Unternehmer nicht auch noch für andere Unternehmer tätig werden.86 Bloße Einschränkungen durch Alter, Gesundheit,87 persönliche Arbeitsweise, spielen ebenfalls keine Rolle.88 Ein älterer HV, dem die Tätigkeit auf Grund seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr gut möglich ist, kann sich nicht auf § 92a berufen.89 Das gleiche gilt für einen HV Pensionär, der nur nebenberuflich als HV tätig wird.90 Ob der HV, der private Kundschaft von Haus zu Haus aufsucht, schon nach der Lebenserfahrung als Einfirmenvertreter anzusehen sei,91 ist sehr zweifelhaft. Stellt man auf die Arbeitskraft eines normal arbeitsfähigen HV ab, so folgt daraus: Ein überobligationsfähiges Mehr an Arbeit, welches der HV durch Übernahme weiterer entgeltlicher Tätigkeit sich über das normale Maß hinaus zumutet, lässt ihn nicht aus dem durch § 92a erfassten Personenkreis ausscheiden.92 Faktisch ist es dem HV z. B. unmöglich, für weitere Unternehmer tätig zu sein, wenn er täglich von 10–20 Uhr seine Tätigkeit für den Unternehmer vor Ort verrichtet oder in dieser Zeit Kundenbesuche vornimmt.93

G. Weitere „Unternehmer“ Die Fassung des Gesetzes lässt offen, ob sich die Unzulässigkeit oder Unmöglichkeit einer Tätig- 11 keit für einen anderen „Unternehmer“ allein auf den Ausschluss weiterer HV-Tätigkeiten bezieht. Es ließe sich vertreten, bereits das Verbot oder die Unmöglichkeit weiterer HV-Tätigkeit reiche aus, um den Anwendungsbereich des § 92a zu eröffnen (1. Alt.). Andererseits wäre es aber auch möglich, (strenger) zu fordern, dem Einfirmenvertreter müsse jede andere gewerbliche Tätigkeit unmöglich oder untersagt sein (2. Alt.). Dementsprechend hat Staub/Brüggemann 4. Aufl. angenommen, es müsse jegliche Erwerbstätigkeit für einen normal arbeitsfähigen HV außerhalb der Grenzen seiner (normalen) Arbeitskraft liegen oder untersagt sein; der Ausdruck „für weitere Unternehmer“ umfasse bei der gebotenen weiten Ausdehnung mindestens auch abhängige Arbeitsverhältnisse jeder Art. Vom Wortlaut der Norm („für weitere Unternehmer“) dürfte es sowohl vertretbar sein, unter den Begriff des Unternehmers nur den Vertragspartner eines HV zu fassen oder auch den generell im Wirtschaftsleben tätigen Unternehmer. Angesichts dessen, dass die §§ 84 ff. mit dem Begriff „Unternehmer“ nur den Vertragspartner des HV verbinden, neige ich der 1. Alt. zu, derzufolge es für die Tätigkeit als Einfirmenvertreter ausreicht,

83 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 11; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 8. 84 BGH DB 1981, 1772; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 10. 85 Vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.9.1955, BB 1956, 593 m. Anm. Trinkhaus; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 4. 86 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 4. 87 LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 1.12.2016 – 3 Ta 117/16, ZVertriebsR 2017, 55. 88 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 10; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 13. 89 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92a Rn 2. 90 LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 1.12.2016 – 3 Ta 117/16, ZVertriebsR 2017, 55 Rn 17. 91 So LAG Bremen DB 1955, 935. 92 OLG Frankfurt/M. MDR 1979, 761; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 9. 93 OLG Hamm BeckRS 2010, 08044; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 11. 861

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wenn lediglich weitere HV-Tätigkeiten ausgeschlossen wurden.94 Diese für den HV günstigere Ansicht entspricht nicht nur dem gängigen Begriff des „Einfirmenvertreters“ (der auf die HVTätigkeit abstellt) sondern auch den Schutzbestrebungen des Gesetzes. Angesichts der Regelung des § 92b, die explizit auf andere Tätigkeiten als die eines HV Bezug nimmt, hätte es nahegelegen, in § 92a zu regeln, falls dort nur HV erfasst sein sollten, denen sowohl HV-Tätigkeiten wie andere Tätigkeiten verboten sind. Zudem würde die Rechtsanwendung zu schwierig, wollte man den Einwand zulassen, beim HV kraft Weisung sei irgendeine andere Tätigkeit als die als HV, ggf. eine Teilzeittätigkeit, theoretisch noch möglich. Es führt daher auch nicht in den Adressatenkreis des § 92a, wenn dem HV die Tätigkeit in weiteren Handelsvertretungen erlaubt, andere Tätigkeiten jedoch verboten werden. Der HV kann aber Einfirmenvertreter kraft „Weisung“ sein, falls ihm in dieser Situation faktisch die Übernahme anderer Handelsvertretungen unmöglich ist.

H. HV-Gesellschaften 12 Bestritten ist, ob auch HV-Gesellschaften, und zwar Personen- wie Kapitalgesellschaften, zu dem in § 92a angesprochenen Kreis der HV gehören.95 Wenn Schröder96 die Unterstellung von HV-Gesellschaften unter § 92a als theoretisch bezeichnet und auf die Möglichkeit verweist, dass die zu erlassende VO diese Gruppe von ihrer Geltung ausnehmen könne, so kommt dabei die Erwägung zu kurz, dass § 92a für seinen persönlichen Geltungsbereich wegen der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit schon jetzt Bedeutung hat. Staub/Brüggemann 4. Aufl.97 hat die Anwendbarkeit des § 92a auf eine HV-Gesellschaft verneint. Die Vorschrift setze nicht nur den schutzbedürftigen HV voraus, sondern spreche ihn in seinen „sozialen (Schutz-)Bedürfnissen“ ausdrücklich an. In dieser Apostrophierung sei die Vertretergesellschaft per se nicht schutzbedürftig. Dem ist der Verfasser an anderer Stelle98 beigetreten. § 92a sei Teil eines auf Fürsorgeerwägungen beruhenden Existenzschutzes,99 der einer HV-Gesellschaft nicht über das gesellschaftsrechtlich zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger angeordnete hinaus zukommen könne. Nur weil möglicherweise schutzbedürftige natürliche Personen hinter der Gesellschaft stünden, könne mittels der nach § 92a erlassenen VO kein Existenzschutz der Gesellschaft selbst herbeigeführt werden.100 Auch in Bezug auf § 5 Abs. 3 ArbGG ließe sich eine solche Anwendbarkeit ausschließen. Denn jede Zuständigkeit eines ArbG für Rechtsstreitigkeiten einer HVGesellschaft sei absurd.101 Diese Ansicht wird aufgegeben. § 92a ist nicht Teil eines auf die Rechtspersönlichkeit des HV zugeschnittenen, sondern eines vertragsbezogenen Rechts und bestimmt eine untere Grenze der für die HV-Tätigkeit angemessenen vertraglichen Gegenleistung.102 Diese Leistung wird unabhängig von der Rechtsform erbracht und ebenso unabhängig ist davon die Gegenleistung. Entsprechend weit ist auch der mögliche Adressatenkreis der VO, zumal Personen- und auch Kapitalgesellschaften (Unternehmergesellschaft!103) ohne nennenswertes Kapital gegründet werden können. Wie bereits 1994 erkannt,104 ist die Anwendung 94 So auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 – 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256); OLGR Köln 2005, 309; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.3.1979, BB 1980, 336; Ensthaler/Genzow § 92a Rn 2. 95 Dafür Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 1. 96 Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 1. 97 § 92a Rn 5; ähnlich bereits Brüggemann ZHR 131 (1968), 1 (9). 98 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 66 ff. 99 Begründung zur Handelsvertreternovelle 1953, BT-Drucks. I/3856, S. 40 f., insb. S. 41. 100 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 67. 101 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 69; Kersting/Durst/Rohrbeck Das Recht des Versicherungsagenten2 Berlin 1939; Rohrbeck/Durst/Bronisch Das Recht der Versicherungsagenten, 3, Weisenburg/Bayern, 1950. 102 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 16. 103 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 16. 104 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 67. Emde

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sozial intendierter Vorschriften auf eine Gesellschaft möglich. § 92a einschließlich des Verweises in § 5 Abs. 3 ArbGG ist deshalb auch auf die HV-Gesellschaft anwendbar,105 sogar dann, wenn sie als Kapitalgesellschaft verfasst ist.106

I. Versicherungs- und Bausparkassenvertreter nach Abs. 2 Abs. 2 erweitert die Wirkungen des § 92a auf VV. Meist ergibt sich die Anwendbarkeit des § 92a 13 bereits aus Abs. 1, nämlich wenn der VV nur für einen Unternehmer tätig werden darf oder kann.107 Abs. 2 bedeutet nicht, dass § 92a auf den VV nur in den dort genannten Fällen anwendbar ist. Es handelt sich bei Abs. 2 um eine Erweiterung des Anwendungsbereiches, keine Einschränkung. Nach Abs. 2 sollen als der „eine“ Unternehmer auch mehrere Versicherungsunternehmen gelten, wenn sie in einem Versicherungskonzern oder einer zwischen ihnen bestehenden Organisationsgemeinschaft zusammengeschlossen sind und der HV mit ihnen in einem äußerlich gesonderten HV-Verhältnis steht, sofern nur die Beendigung des einen auch die Beendigung des anderen zur Folge haben würde („Einkonzernvertreter“).108 Hierdurch soll einer künstlichen Teilung der Verträge im Konzern entgegengewirkt werden. Der VV muss nicht zwingend Einfirmenvertreter sein.109 Unerheblich ist, ob der VV auf Grund eines mit einem Versicherer abgeschlossenen Vertrags damit betraut ist, für mehrere Versicherer zu vermitteln oder abzuschließen, oder ob zu den verschiedenen Versicherern, für die er tätig werden soll, eigene selbständige HV-Verhältnisse bestehen.110 Entscheidend ist nur, dass mehrere Versicherer zu einem Konzern oder zu einer zwischen ihnen bestehenden Organisationsgemeinschaft gehören.111 V. Hoyningen-Huene verweist insoweit auf § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.112 Ein Versicherungskonzern ist ein solcher, bei dem mehrere Versicherer zu verbundenen Unternehmen i. S. d. § 18 AktG zusammengefasst sind.113 Da der Begriff der „Organisationsgemeinschaft“ weiter ist, wird die Zusammenarbeit regelmäßig zumindest unter diesen Begriff fallen. Eine Organisationsgemeinschaft liegt vor, wenn mehrere Versicherer, mögen sie auch nicht zu einem Konzern gehören, in der Weise zusammen arbeiten, dass sie ihren Geschäftsbetrieb ganz oder teilweise in gemeinsamer Organisation führen.114 Paradigma ist die Konstellation, in der sich mehrere selbständige Versicherer eines gemeinsamen HV-Stabes im Außendienst bedienen.115 Mit dem Erfordernis der Beendigung des einen Vertrages im Falle der Beendigung des anderen Vertrages ist nicht eine rechtliche Koppelung des Beendigungstatbestandes116 (eine ausdrückliche dahingehende Regelung ist nicht erforderlich117), sondern die aus objektiver Sicht118 tatsächlich zu er105 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 16; Oetker/Busche6 § 92a Rn 2. 106 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 16; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 12; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92a Rn 9; Hopt § 92a Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 1.

107 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 13. 108 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 41; Trinkhaus BB 1956, 594; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 13; Oetker/Busche6 § 92a Rn 3. 109 OLG Nürnberg NJW-RR 1995, 227 (229); Ebenroth/Löwisch4 § 86 Rn 25. 110 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 16. 111 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 13; Oetker/Busche6 § 92a Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 16. 112 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 16. 113 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 16. 114 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 13; Oetker/Busche6 § 92a Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 10. 115 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 10. 116 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 17. 117 Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 10. 118 Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 10. 863

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wartende „Kettenreaktion“ gemeint.119 Es muss die begründete Vermutung bestehen, dass die Beendigung einer der Vertragsverhältnisse tatsächlich auch zur Beendigung der anderen Verträge führen werde.120 Von einer solchen Koppelung kann ausgegangen werden, falls nach den bisherigen Erfahrungen die Kündigung des Vertrages durch einen Versicherer von den anderen zum Anlass genommen wurde, das Vertragsverhältnis ebenfalls zu kündigen.121 Auf andere als VV ist die Bestimmung, auch analog, nicht anwendbar,122 wohl aber auf Bausparkassenvertreter,123 zumal diese auch sonst im 7. Abschnitt dem VV durchweg gleichgestellt sind und Organisationsgemeinschaften zwischen Bausparkassen in gleicher Weise wie im Versicherungswesen praktisch werden können.124 Insb. sollte Abs. 2 entsprechend angewandt werden, wenn es einem VV untersagt ist, für eine im gleichen Bereich tätige Bausparkasse tätig zu werden.125

J. Ausübung der Ermächtigung 14 Die Ermächtigung wird durch Rechts-VO des Bundesministeriums für Justiz, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, ausgeübt, und zwar für alle unter Abs. 1, 2 fallenden HV.126 Das Bundesministerium der Justiz muss das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit herstellen und auch die Verbände der HV und der Unternehmer anhören, etwa den CDH, BDI oder DIHK.127 Eine Zustimmung der Verbände ist nicht erforderlich.128 Gem. Art. 80 GG muss in der VO als Rechtsgrundlage § 92a angegeben werden.129 In der VO darf die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden. Die VO darf insb. bestimmen, dass der HV feste Bezüge in einer bestimmten Mindesthöhe oder garantierte Mindestprovisionen zu erhalten hat,130 weiter festzusetzende Spesen, Zuschüsse, Mindesturlaub,131 Zahlung einer Vergütung bei unverschuldeter Dienstverhinderung,132 Zeugnis133 und andere Mindestleistungen.134 Die Mindestvergütung muss derart bemessen sein, dass sie dem HV nach Abzug der in seinem regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehenden Aufwendungen einen Lebensunterhalt zumindest auf bescheidener Grundlage ermöglicht.135 Orientiert werden könnte sich an der Höhe unpfändbarer Bezüge gem. §§ 850 ff. ZPO.136 Ob Regelungen über Sicherheitsvorkehrungen bei der Tätigkeit sowie zu den Kündigungsfristen als „vertragliche Leistungen“

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Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 10. Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 17. Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 17. Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 14; Oetker/Busche6 § 92a Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 1, 9. 123 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 14; Oetker/Busche6 § 92a Rn 3. 124 Hopt § 92a Rn 5. 125 Ensthaler/Genzow § 92a Rn 4. 126 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 18. 127 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 22. 128 Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 5. 129 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 25. 130 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 6. 131 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 41; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 19. 132 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 41; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 19; Schlegelberger/ Schröder § 92a Rn 6. 133 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 41; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 22. 134 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 6. 135 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 41; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 22. 136 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 19; Eberstein 9. Aufl. S. 42. Emde

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des Unternehmers ausgelegt werden können, deren untere Grenze festgelegt werden darf, könnte diskutiert werden.137 Für Mehrfirmen-VV kann nach Abs. 2 S. 2 zusätzlich bestimmt werden, ob die festgesetzten 15 Mindestleistungen von allen Versicherern als Gesamtschuldner, anteilig oder nur von einem der Versicherer geschuldet werden,138 und wie der Ausgleich unter diesen Versicherern zu erfolgen hat. Durch die VO darf also der Schuldner der festgesetzten Leistung personalisiert werden. Es darf sogar ein anderer als der im Vertrag vorgesehene Versicherer als Schuldner bestimmt werden, sofern der VV auch für diesen Versicherer tätig wird.139 Selbst der Ausgleich zwischen den beteiligten Versicherern kann durch die VO geregelt werden. Hier wird also nicht nur das HVVerhältnis zwischen VV und Versicherer, sondern auch das Innenverhältnis zwischen mehreren beteiligten Versicherern geregelt.140 Die in der VO festgesetzten Leistungen dürfen gem. § 92a Abs. 1 S. 2 nicht vertraglich aus- 16 geschlossen oder beschränkt werden.141 Gegenteilige Vereinbarungen wären nach § 92a Abs. 1 S. 2 HGB, § 134 BGB nichtig.142 Auch ein einseitiger Verzicht des HV wäre während des bestehenden HV-Vertrages unzulässig.143 Angeblich soll es den in Abs. 2 angesprochenen Versicherern aber freistehen, die Frage des Innenausgleichs zwischen ihnen abweichend von der VO zu bestimmen.144 Der Wortlaut des Abs. 2 unterstützt eine solche Auslegung nicht unbedingt. Denn Abs. 2 S. 1 verweist insg. auf S. 1, dieser wieder auf Abs. 1 und damit die zwingende Natur des Abs. 1. Die gegenteilige Ansicht der Vorauflage wird aufgegeben.

K. Anwendung arbeitsrechtlicher Vorschriften Eine mittelbare Wirksamkeit entfaltet § 92a schon jetzt über § 5 Abs. 3 ArbGG in der Frage der 17 Zuständigkeit der Arbeitsgerichte (Rn 20 ff.). Dass von der VO-Ermächtigung bisher nicht Gebrauch gemacht worden ist, bedeutet: Da der Verordnungsgeber den ihm erteilten Auftrag unerfüllt gelassen hat, fällt es den Gerichten zu, innerhalb der Grenzen des Gesetzeswortlautes in evidenten Einzelfällen unter dem Gebot der Sozialstaatlichkeit der Artt. 20, 28 GG in verfassungskonformer Ausfüllung der bestehenden Lücke die Schutzvorschriften des Arbeitsrechts für abhängig Beschäftigte daraufhin zu prüfen, ob ihre analoge Heranziehung von Fall zu Fall auf denjenigen Kreis von HV gerechtfertigt ist, der etwa nach BAG DB 1979, 1708 als „arbeitnehmerähnlich“ angesehen werden muss, weil für einen Unternehmer tätig und von diesem wirtschaftlich wie sozial abhängig.145 Regelmäßig wird eine solche Analogie – wie auch auf den Mehrfirmen-HV – abzulehnen sein,146 und zwar auch dann, wenn es sich um so genannte arbeitnehmerähnliche HV handelt.147

Dafür Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 19. Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 23. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 23. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 24. Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 18; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 27. 142 Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 8. 143 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 8. 144 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 27. 145 Vgl. Kampf Handelsvertreter und Insolvenz, Diss. iur. Mainz 2004, S. 155; Hopt § 92a Rn 1; aA BAG NZA 2003, 668 (669); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 3 (fehlende Regelungslücke); Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 4. 146 BAG, Urt. v. 20.4.1964 – 5 AZR 278/63, NJW 1964, 1641 (1642); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 7. 147 BAG DB 2003, 1633; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 12; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92a Rn 7.

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Wegen der Anwendbarkeit des § 624 BGB: s. d. Kommentierung zu Vor § 84. Für Einfirmenvertreter wird der Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses nach § 630 BGB – wie schon nach RAG 16, 272 (275) – zu bejahen sein,148 richtigerweise auch für alle anderen HV (s. d. Kommentierung zu Vor § 84). Beim BUrlG wird oft die nach § 2 S. 2 erforderliche „wirtschaftliche Abhängigkeit“ vorliegen.149 In jedem Falle genießt der in § 92a angesprochene Personenkreis den Pfändungsschutz des § 850 Abs. 2 ZPO150. Was er zu beanspruchen hat, ist Vergütung für Dienstleistungen, „welche die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen“. Von den für Handlungsgehilfen geltenden Schutzvorschriften kommt eine analoge Anwendung des § 75 f in Betracht.

L. Auch sonst keine analoge Anwendung 19 Nicht unter § 92a, obwohl in gleichem Maße sozial schutzbedürftig, fällt derjenige HV, der zwar für mehrere Unternehmer tätig ist und tätig sein darf, aber gleichwohl nicht sein Existenzminimum verdient, bzw. die in § 5 Abs. 3 ArbGG bezeichneten Einkommensgrenzen nicht erreicht (ungeachtet des ihm verbleibenden Pfändungsschutzes nach § 850 Abs. 2 ZPO, vgl. § 850e Nr. 2 ZPO).151 Ebenso wenig genügen eine im Einzelfall aus anderen Gründen bestehende besondere Schutzbedürftigkeit eines z. B. wirtschaftlich abhängigen Mehrfirmenvertreters,152 die Arbeitnehmerähnlichkeit153 oder die tatsächliche Beschränkung des HV auf eine Einfirmenvertretung154 (aber mglw. 2. Alt. des § 92a begründet). Auch die Eintragung im Handelsregister oder die wirtschaftliche Unselbständigkeit ist irrelevant.155 Der Gesetzgeber hat sich für scharf abgrenzbare Kriterien entschieden, die regelmäßig eine Analogie ausschließen.156

M. Zuständigkeit des Arbeitsgerichts 20 Durch formelle Bezugnahme auf den „Personenkreis … für den nach § 92a des Handelsgesetzbuchs die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann“ hat § 92a schon vor Erlass der Verordnung mittelbare Wirksamkeit erlangt, und zwar für die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nach 5 Abs. 3 ArbGG (s. Kommentierung zu § 84). 21 Durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des HGB (Recht der Handelsvertreter) war der Personenkreis des § 92a, wenn der ihm zugehörige HV (auch der VV des Abs. 2!) während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt nicht mehr als 500 DM verdient hatte, für Klagen aus dem Vertragsverhältnis der Arbeitsgerichtsbarkeit unterworfen worden. Die 500,– DM-Grenze hat eine mehrmalige Heraufsetzung erfahren. Nach zwischenzeitlicher Erhöhung am 28.1.1968 auf 1000,– DM und am 1.2.1976 auf DM 1500,– wurde sie durch das Gesetz vom 21.5.1979 (BGBl. I, 545) auf 2000,– DM angehoben. Zugleich wurde die Bestimmung in das ArbGG als dessen § 5 Abs. 3 eingearbeitet. Nach § 5 Abs. 3 ArbGG sind die ArbG nun für 148 J. v. Gierke ZHR 117 [1955], 150. 149 Für die Anwendung: Niessen DB 1963, 308; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 7. Gegen die Anwendung: Diekhoff DB 1963, 1120. Indizwirkung für die Anwendung vermutet Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 2. 150 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 2. 151 Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 2. 152 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 12, 17; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 2. 153 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 12. 154 OLG Stuttgart BB 1966, 1396; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 10. 155 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 40. 156 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 12. Emde

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Rechtsstreitigkeiten von HV zuständig, sofern sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a die untere Grenze der vertraglichen Leistung des Unternehmers festgesetzt werden kann und während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses vor Klagerhebung im Durchschnitt monatlich nicht mehr als EUR 1000 brutto157 aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provisionen sowie Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben.158 § 5 Abs. 3 ArbGG hat lediglich prozessuale Bedeutung. Die die Zuständigkeit der ArbG begründende Fiktion des § 5 Abs. 3 ArbGG für Einfirmenvertreter gilt auch, falls deren Arbeitnehmerstatus materiellrechtlich fehlt, der Mittler also selbständiger HV ist.159 Der Mittler bleibt HV i. S. d. §§ 84 ff. und das ArbG muss das HGB anwenden. Es handelt sich also um „formelles“ Arbeitsrecht. Die Zuständigkeit der ArbG ist in diesen Fällen wenig praxisnah, da sie mit dem HGB materiell ein Gesetz anwenden müssen, welches ihnen in der täglichen Rechtspraxis eher fern steht. Auch die Kostenfolge ist nicht unbedingt HV-freundlich. Weigert sich der Unternehmer grundlos, vertragliche Ansprüche zu erfüllen, gewinnt der HV keinen gerichtlichen Kostenerstattungsanspruch. Sind die TB-Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG nicht erfüllt, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, selbst wenn der betroffene HV arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG wäre.160 § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG soll eine für HV abschließende und in sich geschlossene Zuständigkeitsregelung enthalten, welche der Regelung über die Zuständigkeit der ArbG für arbeitnehmerähnliche Personen in § 5 Abs. 1 ArbGG vorgehen und es verbieten soll, HV unter anderen als den in § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG genannten Voraussetzungen als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Personen i. S. d. § 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 ArbGG zu behandeln.161 Das ist nicht unbedingt zwingend, weil trotz der Existenz einer speziellen Regelung die allgemeinen Bestimmungen nicht notwendigerweise zurücktreten müssen. Streit besteht über die Frage, ob für die Verdienstschwelle das rechtlich Geschuldete oder 22 der mglw. geringere Betrag des tatsächlich Geleisteten maßgeblich ist. Richtigerweise ist mit der erstgenannten Meinungsgruppe für die Verdienstschwelle entscheidend der Betrag, welchen der HV für die der Klageerhebung oder dem Vertragsende vorausgehenden letzten 6 Monate,162 in denen er für den Unternehmer tätig war,163 vertragsgemäß und unbedingt164 als Provision oder

157 BGH, Beschl. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2009 – 16 W 60/09, OLGR 2009, 618 (619). 158 BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411 Rn 8; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 1.12.2016 – 3 Ta 117/16, ZVertriebsR 2017, 55 Rn 11; Oetker/Busche6 § 92a Rn 1. 159 OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.4.2007 – 3 W 8/07, DB 2007, 1249; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.4.2007 – 3 W 8/07, DB 2007, 1249; OLG Düsseldorf v. 11.4.2000 – 16 W 15/00; Hopt § 84 Rn 46; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92a Rn 6. 160 Brandenburgisches OLG, Urt. v. 14.2.2001, OLGR 2001, 253; Ensthaler/Genzow § 92a Rn 7. 161 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 12; v. 18.7.2013 – VII ZB 27/12, DB 2013, 2143 = WM 2013, 1700 = EWiR 2013, 681 (Emde); v. 18.7.2013 – VII ZB 45/12, ZVertriebsR 2013, 318 m. Anm. Ehrhard/v. Bodungen = WM 2013, 1702 = BB 2013, 2196 m. Anm. Omlor; v. 27.10.2009 – VIII ZB 45/08, BeckRS 2009, 87283 m. zust. Anm. Pohlmann EWiR 2010, 569; v. 27.10.2009 – VIII ZB 42/08, BGHZ 183, 49 = NJW 2010, 873 = WM 2010, 281 Rn 23; v. 25.10.2000 – VIII ZB 30/00, NJOZ 2001, 42 (44) m.w.N; BAG AP Nr. 1 zu § 92a HGB; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.5.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (209); OLG Saarbrücken VersR 2005, 1388; OLG Köln VersR 2001, 895; LAG Köln, Beschl. v. 13.2.2019 – 9 Ta 229/ 18, ZVertriebsR 2019, 119 Rn 15; Preis/Stoffels ZHR 160 (96), 447; Hopt § 84 Rn 47; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92a Rn 6. 162 OLG Bremen, Beschl. v. 1.7.2008 – 2 W 21/08, OLGR 2008, 834 (836). 163 Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 17; aA OLG Stuttgart BB 1966, 1396. 164 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 19; v. 28.6.2011 – VIII ZB 91/10, NJW-RR 2011, 1255 = WM 2011, 1623; v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/ 06, VersR 2008, 533; OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.7.2014 – 13 W 9/14, NJW-RR 2015, 31 Rn 25; OLG Köln, Beschl. v. 15.9.2008 – 19 W 18/08, BeckRS 2009, 27276. 867

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sonstige Zuwendung165 zu beanspruchen hatte, unabhängig davon, ob, auf welche Weise und in welchem Umfang sie erfüllt wurden.166 Die auf der Grundlage der Einkommenshöhe zu beurteilende Vergleichbarkeit der Schutzbedürftigkeit eines HV mit derjenigen eines Arbeitnehmers hängt nicht davon ab, ob einem Unternehmer Gegenforderungen gegenüber dem HV zustehen, mit denen er aufrechnen kann.167 Anderenfalls müsste auch der HV, der sich eines über der Vergütungsgrenze liegenden – vom Unternehmer bestrittenen und deshalb nicht erfüllten – Provisionsanspruchs berühmt, diesen vor den Arbeitsgerichten gelten machen, obwohl er nach seinem eigenen Vorbringen von seinen Einkommensverhältnissen her gerade nicht mit einem Arbeitnehmer vergleichbar ist.168 Es kommt also nicht auf die tatsächlich geleistete Summe an.169 Das gilt auch, falls Ansprüche aus einer Zeit geltend gemacht werden, in der der Außendienstmitarbeiter über die Vergütungsgrenze hinaus verdiente. Die Gegenansicht versteht unter der „bezogenen“ Vergütung nur die tatsächlich ausgezahlte, nicht die zustehende, aber noch nicht geleistete Vergütung.170 Neben dem Schutzgedanken171 – der HV soll seiner tatsächlichen Schutzbedürftigkeit gemäß der Rechtsweg zu den ArbG ohne den bei den ordentlichen Gerichten fälligen Gerichtskostenzuschuss oder die Gefahr einer Kostenerstattung an den Gegner (§ 12a ArbGG) offen stehen,172 sofern er einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig ist173 – wird darauf verwiesen, dass der Wortlaut des § 5 Abs. 3 ArbGG von „bezogener“ Vergütung spricht und das Perfekt ausdrücken soll, dass etwas vollendet ist.174 Die Gefahr der Erschleichung des Rechtswegs dadurch, dass der Unternehmer entstandene Ansprüche nicht erfüllt, sei nicht realistisch. Es gebe für den Unternehmer keinen Grund, hierzu einen Beitrag zugunsten des Einfirmenvertreters, mit dem er sich im Streit befindet, zu leisten. Denn durch die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ArbG werde nicht der Unternehmer privilegiert, sondern der Einfirmenvertreter.175 Zuzugeben ist, dass der Wortlaut des § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG nicht eindeutig ist. Mit der „bezo23 genen Vergütung“ könnte sowohl der Vergütungsanspruch gemeint sein, den der HV erworben hat, als auch der Betrag, welchen er tatsächlich erhalten hat. Die Formulierung „bezogen hat“ spricht zwar eher dafür, dass die Vergütung dem HV bereits zugeflossen sein muss. Mit dem Begriff „Bezüge“ bezeichnet der Gesetzgeber aber auch in anderen Fällen, z. B. §§ 850a, 850b ZPO, Forderungen und nicht entgeltlich erbrachte Leistungen.176 Letztlich dürfen es die Beteiligten nicht in der Hand haben, durch tatsächliche oder rechtliche Handlungen oder Erklärungen auf die Voraussetzungen der § 92a, § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG einzuwirken,177 weil hierin die unzulässige „Abwahl“ eines ohne solche Eingriffe zuständigen Gerichts liegen würde. Aus diesem 165 Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 5. 166 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 19; v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411 Rn 11; OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.7.2014 – 13 W 9/14, NJW-RR 2015, 31 Rn 25. 167 BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411 Rn 11. 168 BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411 Rn 11. 169 OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.7.2014 – 13 W 9/14, NJW-RR 2015, 31 Rn 25; Oetker/Busche6 § 92a Rn 1. 170 LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.7.2009 – 2 Ta 71/09, BeckRS 2009, 74089; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 19.10.2006 – 24 W 78/06; LAG Düsseldorf BB 1957, 614; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge/Müller-Glöge ArbGG 6. Aufl. § 5 Rz. 42; Schaub ArbGG 13 § 12 Rz. 5. 171 BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411 Rn 11, 13. 172 LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.7.2009 – 2 Ta 71/09, BeckRS 2009, 74089. 173 BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411 Rn 11. 174 LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.7.2009 – 2 Ta 71/09, BeckRS 2009, 74089. 175 LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.7.2009 – 2 Ta 71/09, BeckRS 2009, 74089. 176 BGH, Beschl. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533 (534). 177 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 6. Emde

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Grund sind Maßnahmen der Parteien, welche auf den tatsächlichen Geldfluss einwirken – wie etwa die schlichte Nichtzahlung oder Untätigsein – für die Ermittlung der Verdienstschwelle unbeachtlich.178 Zudem würde dadurch das Ergebnis, die Zuständigkeit des ArbG oder des ordentlichen Gerichts, u. U. abhängig von der Saumseligkeit oder sogar dem Vorsatz des Unternehmers in der Berechnung und Auszahlung der Provision. Richtig ist deshalb das Abstellen auf die vertraglich versprochene, geschuldete Provision,179 unabhängig davon, ob jene Schuld auch erfüllt wurde.180 Auch der Beamte, der seine Dienst„bezüge“ einklagt, macht den Anspruch auf das noch nicht Ausgezahlte geltend.181 Die tatsächlichen Zahlungen im Sechsmonatszeitraum182 oder das Tätigwerden des HV183 sind folglich irrelevant, weswegen folgende Ansprüche bei der Bestimmung der Verdienstschwelle unberücksichtigt bleiben: – Vorschusszahlungen auf noch nicht verdiente Provisionen, die dem HV nicht auf Dauer verbleiben;184 gezahlte Provisionsvorschüsse sind aber insoweit als Vergütung anzurechnen, als sie nachträglich durch unbedingt entstandene Provisionsforderungen gedeckt werden.185 – noch nicht unbedingt entstandene oder nachträglich entfallende Provisionsansprüche;186 – dem Unternehmer aufgrund von Vertragsstornierungen gegen den HV zustehende Ansprüche auf Rückzahlung bereits gezahlter Provisionen, wenn sie vor diesem Zeitpunkt entstandene Provisionsansprüche des HV betreffen;187

178 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256); v. 12.5.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208). 179 BGH, Beschl. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533 (534); Urt. v. 9.12.1963 – VII ZR 113/62, HVR Nr. 306 = NJW 1964, 497; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2009 – 16 W 60/09, OLGR 2009, 618 (619); OLG Köln, Beschl. v. 15.5.2007 – 19 W 21/07, BeckRS 2007, 12858; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.12.2004 – 17 W 74/04; VW 1971, 117; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.6.2005 – 16 W 24/05, OLGR 2005, 540; v. 11.4.2000 – 16 W 15/00, OLGR 2000, 454; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.5.2006 – 7 W 29/06, OLGR 2006, 803; v. 12.5.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 ff.; Hopt § 84 Rn 46; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 13. 180 OLG Köln, Beschl. v. 15.9.2008 – 19 W 18/08, BeckRS 2009, 27276; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2009 – 16 W 60/09, OLGR 2009, 618 (619). 181 AA LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.7.2009 – 2 Ta 71/09, BeckRS 2009, 74089. 182 OLG Köln, Beschl. v. 15.9.2008 – 19 W 18/08, BeckRS 2009, 27276; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.12.2004 – 17 W 74/04; OLG Düsseldorf OLGR 2005, 540; OLGR 2000, 454; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 17. 183 BAG, Beschl. v. 15.2.2005 – 5 AZB 13/04, NJW 2005, 1146 (1147) = EWiR 2005, 505 (Emde), OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256); OLG Stuttgart BB 1966, 1396; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 9.5.2005 – 5 W 92/05–23, VersR 2005, 1216; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.4.2007 – 3 W 8/ 07, DB 2007, 1249; aA ArbG Rheine, Urt. v. 15.3.1965 – 1 Ca 3c/65, BB 1965, 710; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner2 § 92a Rn 7. 184 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 19; v. 28.6.2011 – VIII ZB 91/10, NJW-RR 2011, 1255 = WM 2011, 1623; v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533 (534); Urt. v. 9.12.1963 – VII ZR 113/62, HVR Nr. 306 = NJW 1964, 497; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.7.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray); Germelmann/Matthes/Müller-Glöge ArbGG, § 5 Rn 26; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 19; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92a Rn 5; aA OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.5.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208). 185 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 19; Urt. v. 9.12.1963 – VII ZR 113/62, NJW 1964, 497 unter 1. 186 BGH, Urt. v. 9.12.1963 – VII ZR 113/62, HVR Nr. 306 = NJW 1964, 497; OLG Köln, Beschl. v. 15.9.2008 – 19 W 18/ 08, BeckRS 2009, 27276; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2009 – 16 W 60/09, OLGR 2009, 618 (619); Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 19; Hopt § 84 Rn 46. 187 BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411; LG Münster, Beschl. v. 4.6.2014 – 25 O 22/14, BeckRS 2015, 03483. Jene Rückforderungsansprüche stellen nicht lediglich unselbstständige Rechnungsposten der dem HV zustehenden Provisionsansprüche, sondern selbstständige Gegenansprüche des Unternehmers dar, mit denen er aufrechnet (BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411 Rn 12). 869

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1. Buch. Handelsstand

Überhangprovisionen, die noch nicht fällig sind;188 Darlehen.189 Darlehensweise gewährte Provisionsvorschüsse sind aber insoweit als Vergütung anzurechnen, als sie nachträglich durch unbedingt entstandene Provisionsforderungen gedeckt werden und soweit sie sich aufgrund eines bereits im HV-Vertrag vereinbarten Erlasses der Rückzahlungsverpflichtung beim Ausscheiden des HV automatisch in unbedingt bezogene Vergütungen umgewandelt werden, etwa durch ggf. aufschiebend bedingten Verzicht190 des Unternehmers auf die Rückzahlung.191 24 Der HV wird dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG auch nicht entzogen, indem der Unternehmer ihm unberechtigterweise überhöhte und nicht geschuldete Zahlungen zukommen lässt, welche der HV nicht auf Dauer behalten darf,192 außer es liegt eine (konkludente) Einigung auf die höhere Provision vor. Eine Aufrechnung ist ebenso wie jedes Erfüllungssurrogat eine geleistete Vergütung, die bei der Bestimmung des Schwellenwertes einzubeziehen ist.193 Bei der Berechnung der Durchschnittsvergütung sind aber solche Provisionen nicht einzubeziehen, die nicht ausgezahlt, sondern mit einem Kaufpreis „für den Erwerb des Vertriebsgebiets“ verrechnet werden.194 Aufwendungen oder Kosten des HV werden nicht verdienstmindernd berücksichtigt.195 Denn der HV trägt seine Geschäftskosten selbst.196 Es kommt nicht darauf an, was dem HV nach Abzug seiner Kosten und Aufwendungen als Gewinn verbleibt.197 Deshalb sind etwa Kostenabzüge für die Bereitstellung eines Notebooks nicht mindernd zu berücksichtigen,198 ebenso wenig die Miete für ein Notebook, wenn es sich bei dem Notebook um eine Geschäftseinrichtung des HV handelt, die der Unternehmer nicht nach § 86a Abs. 1 kostenfrei bereitzustellen hat.199 Das gilt unabhängig davon, ob eine Pflicht zur Nutzung des Notebooks und der EDV des Unternehmers bestand.200 Auch Kosten von Erfüllungsgehilfen, etwa für Angestellte oder Untervertreter,201 sind nicht abzuziehen. Nur im Einzelfall dürfen Aus– –

188 AA Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3, § 92a Rn 5. 189 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.5.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208); OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.7.2004 – 5 W 144/04–49, VersR 2005, 1388 = EWiR 2005, 147 (Rouvray); Hopt § 84 Rn 46. 190 BGH, Beschl. v. 28.6.2011 – VIII ZB 91/10, NJW-RR 2011, 1255 = WM 2011, 1623. 191 BGH, Beschl. v. 28.6.2011 – VIII ZB 91/10, NJW-RR 2011, 1255 = WM 2011, 1623; Fortführung v. BGH, Urt. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, WM 2008, 944; VIII ZB 3/07, WM 2008, 892; v. 9.12.1963 – VII ZR 113/62, NJW 1964, 497; ebenso OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.12.2004 – 17 W 74/04; OLG Köln, Beschl. v. 15.9.2008 – 19 W 18/08, OLGR 2009, 567 (568). 192 OLG Düsseldorf OLGR 2000, 454; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 17. 193 BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – VII ZB 36/14, IHR 2015, 110 = ZVertriebsR 2015, 116 = WM 2015, 533 = ZIP 2015, 1411 Rn 11; Beschl. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.5.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208); Hopt § 84 Rn 46; wohl aA OLG Frankfurt/M. v. 1.11.2005 – 4 U 46/05, das nur verdiente und erfüllte Provisionsansprüche bei der Berechnung des Schwellenwertes einbeziehen will. 194 BAG, Beschl. v. 20.10.2009 – 5 AZB 30/09, NJW 2009, 3803. 195 BGH, Beschl. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533; OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.7.2014 – 13 W 9/14, NJW-RR 2015, 31 Rn 25; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2009 – 16 W 60/09, OLGR 2009, 618 (619); OLG Hamm, Beschl. v. 25.3.2008 – 18 W 31/06, BeckRS 2009, 06385. 196 OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2009 – 16 W 60/09, OLGR 2009, 618 (619); Hopt § 84 Rn 46. 197 BGH, Beschl. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533; OLG Köln, Beschl. v. 15.5.2007 – 19 W 21/07, OLGR 2007, 758 = BeckRS 2007, 12858; Hopt § 84 Rn 46. 198 BGH, Beschl. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2009 – 16 W 60/09, OLGR 2009, 618 (619); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 19.10.2006 – 24 W 78/06, BeckRS 2007, 01276. 199 OLG Köln, Urt. v. 30.11.2007 – 19 U 84/07, r+s 2009, 87 (88); OLG Hamm, Beschl. v. 25.3.2008 – 18 W 31/06, BeckRS 2009, 06385. 200 OLG Köln, Urt. v. 30.11.2007 – 19 U 84/07, r+s 2009, 87 (88). 201 Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 21. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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gaben, zu denen der HV aufgrund des HV-Vertrages verpflichtet ist, verdienstmindernd berücksichtigt werden,202 insb. wenn Kostenabzüge vom Unternehmer vorzunehmen sind. Die Verdienstgrenze ist brutto, nicht netto gemeint.203 Die 6-Monatsfrist kann, wenn der 25 HV im Laufe des Vertragsverhältnisses klagt, naturgemäß nicht vom Ende des Vertragsverhältnisses (das noch gar nicht heransteht) zurückgerechnet werden. Hier muss der 6-Monatszeitraum vor Klageerhebung entscheiden.204 Bei kürzerer Vertragszeit sind die in jener Zeit erworbenen Ansprüche maßgebend.205 Die Verdienstgrenze ist auch maßgebend, falls der HV in den fraglichen Monaten nicht arbeitet und nichts verdient.206 Entgegen einer früher vertretenen Ansicht sollen damit Zeiträume nicht auszublenden sein, in denen der HV nicht mehr für den Unternehmer tätig war, er vom Unternehmer freigestellt wurde, der HV seine Tätigkeit aufgab oder er während des noch bestehenden Vertrags für einen Konkurrenzunternehmer tätig war.207 Dies folge aus dem Wortlaut des Gesetzes. Es stelle allein auf den rechtlichen Bestand des Vertragsverhältnisses ab.208 Da der gesetzliche Richter (Art. 101 GG) eindeutig bestimmt sein müsse, dürfe der 6-Monatszeitraum nicht abweichend vom Wortlaut des § 5 Abs. 3 ArbGG ab dem tatsächlichen Arbeitsende oder vom Datum einer reduzierten Tätigkeit an rückgerechnet werden, zumal dieses wegen des meist streitigen Vortrags zur geleisteten Arbeit häufig nur schwer feststellbar sei.209 Dass der HV mglw. versuchen werde, durch Untätigbleiben den Rechtsweg zu den ArbG „zu erschleichen“, sei nicht besonders wahrscheinlich,210 stände dem aber nicht entgegen. Zum einen seien die Rechtswege zu den ordentlichen Gerichten und den Arbeitsgerichten gleichwertig.211 Zum anderen dürfe der Unternehmer das Vertragsverhältnis außerordentlich kündigen, wenn der HV gegen seine Pflichten verstößt, indem er die Vermittlungstätigkeit einstellt.212 Dem ist nur mit der Maßgabe zuzustimmen, dass gewollte Untätigkeit des HV keine Zuständigkeit der kostenpriviligierten Arbeitsgerichtsbarkeit herbeiführen kann (§§ 162, 242

202 OLG Köln, Beschl. v. 15.5.2007 – 19 W 21/07, BeckRS 2007, 12858. 203 BGH, Beschl. v. 12.2.2008 – VIII ZB 51/06, VersR 2008, 533, LG Düsseldorf, Zwischenurt. v. 16.12.1953 – 16 O 19/ 53 –, zit. bei Glaser DB 1957 Beil. 2 unter 15b; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3, § 92a Rn 5. 204 ArbG Rheine, Urt. v. 15.3.1965 – 1 Ca 3c/65, BB 1965, 710; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner2 § 92a Rn 7. 205 Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92a Rn 5, 6. 206 BAG, Beschl. v. 15.2.2005 – 5 AZB 13/04, NJW 2005, 1146 (1147) = EWiR 2005, 505 (Emde), OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 – 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256); OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.5.2012 – 2 W 37/12, BeckRS 2013, 14262; OLG Stuttgart BB 1966, 1396; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 9.5.2005 – 5 W 92/05–23, VersR 2005, 1216; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.4.2007 – 3 W 8/07, DB 2007, 1249; aA ArbG Rheine, Urt. v. 15.3.1965 – 1 Ca 3c/65, BB 1965, 710; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner2 § 92a Rn 7. 207 AA OLG Frankfurt/M. MDR 1997, 885; Ebenroth/Löwisch4 § 92a Rn 22; wie hier schon früher OLG Stuttgart BB 1966, 1396. 208 AA OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 11.4.2001 – 25 W 113/00, n. v.; NZA-RR 1997, 399; OLG Schleswig SchlHA 1997, 244. 209 BAG, Beschl. v. 15.2.2005 – 5 AZB 13/04, NJW 2005, 1146 (1147) = EWiR 2005, 505 (Emde) = MDR 2005, 758 = DB 2005, 728 = ZIP 2005, 1335 (LS); OLG Stuttgart BB 1966, 1396; OLG Celle, Urt. v. 22.1.2004, OLGR 2005, 82; Genzow in: Ensthaler § 92a Rn 6. 210 Faktisch ist dieser Fall nicht selten, auch wenn der HV in erster Linie zur Förderung eines Wettbewerbers des Unternehmers und nicht handelt, um die Zuständigkeit des ArbG zu erreichen. Er verdient dann beim früheren Unternehmer keine Provisionen mehr und unterschreitet die Verdienstschwelle. Die Vorteil des risikoloseren Prozessierens vor den ArbG werden gleichwohl in Anspruch genommen. 211 BAG, Beschl. v. 15.2.2005 – 5 AZB 13/04, NJW 2005, 1146 (1147) = EWiR 2005, 505 (Emde) = MDR 2005, 758 = DB 2005, 728 = ZIP 2005, 1335 (LS); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256); OLG Stuttgart BB 1966, 1396. 212 BAG, Beschl. v. 15.2.2005 – 5 AZB 13/04, NJW 2005, 1146 (1147) = EWiR 2005, 505 (Emde) = MDR 2005, 758 = DB 2005, 728 = ZIP 2005, 1335 (LS); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 19 W 77/12, IHR 2013, 179 = ZVertriebsR 2013, 255 (256); OLG Stuttgart BB 1966, 1396. 871

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§ 92a

1. Buch. Handelsstand

BGB). Es gilt insoweit nichts anderes als im Fall der oben genannten bewussten Überzahlung des HV durch den Unternehmer.

N. Beweislast 26 Die Beweislast für die TB-Elemente des § 92a HGB sowie des § 5 ArbGG liegt bei dem, der sich hierauf beruft.213 Die Ermittlung der Verdienstschwelle des § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG erfordert, so Meyer214 einen Aufwand, der im Hinblick auf die Ressourcen der Justiz als auch in Bezug auf den Zeitaufwand in keinem Verhältnis zu dem bei Einfirmen-HV zu erwartendem finanziellen Vorteil steht.

O. Doppelrelevante Tatsachen 27 Bei doppelrelevanten Tatsachen entscheidend ist nur der in rechtlicher Hinsicht zu überprüfende Sachvortrag des Klägers zu den oben genannten TB-Voraussetzungen.215 Es bedarf dann keiner Beweisaufnahme über strittige Fragen.216 Denn der Klägervortrag bestimmt den Streitgegenstand. Handelt es sich um keine doppelrelevante Tatsachen, ist auch der Vortrag des Beklagten zu beachten und darüber Beweis zu erheben.217 Nach der Gegenansicht ist sogar dann allein auf den Klägervortrag abzustellen, wenn es sich bei den maßgeblichen Umständen nicht um doppelrelevante Tatsachen handelt.218 Es sei allein maßgeblich, ob die vom Kläger zur Begründung seines Anspruchs behaupteten Tatsachen Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen ergäben, die in die Zuständigkeit der Zivilgerichte fielen. Zwar bestehe das Risiko, dass der Kläger durch einseitigen Vortrag die Zuständigkeit der Gerichte bestimme. Hierdurch werde die jeweilige Beklagte aber nicht unzumutbar beeinträchtigt. Denn die einseitige Berücksichtigung des Klägervortrags beschränke sich auf die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs. Meist wird eine Anwendung der Grundsätze zum doppelrelevanten Vortrag nicht weiterhelfen: Denn der für die Zuständigkeitsprüfung maßgebliche Sachverhalt steht fest, nämlich der Wortlaut des Vertrages.219 Nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderungen sind irrelevant; hierdurch wird ein zunächst unzuständiges Gericht nicht zuständig.220

213 LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 1.12.2016 – 3 Ta 117/16, ZVertriebsR 2017, 55 Rn 13 ff. 214 Meyer ZVertriebsR 2017, 89. 215 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 25; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2009 – 16 W 60/09, OLGR 2009, 618 (619); OLG Hamm, Beschl. v. 27.3.2008 – 18 W 23/06, BeckRS 2009, 05464; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.5.2006 – 7 W 29/06, OLGR 2006, 803, das allerdings nie eine Beweiserhebung fordert, auch wenn die Tatsache nicht doppelrelevant ist; OLG Schleswig, Beschl. v. 17.6.1999 – 16 W 20/99, OLGR 1999, 269. 216 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 25; Urt. v. 9.12.1963 – VII ZR 113/62, NJW 1964, 497 (498); OLG Köln, Beschl. v. 15.5.2007 – 19 W 21/07, BeckRS 2007, 12858; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.6.2005 – 16 W 24/05, OLGR 2005, 540. 217 Das setzen BGH, Beschl. v. 27.10.2009 – VIII ZB 45/08, BeckRS 2009, 87283 m. zust. Anm. Pohlmann EWiR 2010, 569 Rn 18; Beschl. v. 27.10.2009 – VIII ZB 42/08, NJW 2010, 873 = WM 2010, 281 Rn 18 voraus und ergibt sich auch aus den diesen Rn vorausgehenden Ausführungen des BGH zu doppelrelevanten Tatsachen bei der Abgrenzung Arbeitnehmer/HV. Ebenso wohl BAG, Beschl. v. 20.10.2009 – 5 AZB 30/09, NJW 2009, 3803 (ohne Differenzierung nach doppel- und nicht doppelrelevanten Tatsachen). 218 OLG Celle, Beschl. v. 4.6.2007 – 11 U 293/06, OLGR 2008, 177. 219 Siehe Emde EWiR 2013, 682. 220 BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – VII ZB 8/15, ZVertriebsR 2016, 23 = ZIP 2016, 424 = WM 2015, 2271 = DB 2015, 2815 = BB 2015, 2956 m. Anm. Hilgard Rn 26. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92a

P. Verstoß gegen das UWG Ansprüche eines Unternehmers gegen einen Einfirmenvertreter wegen Verstößen gegen das 28 UWG beruhen auf unerlaubten Handlungen. Für sie sind, soweit sie mit dem Vertrag in Zusammenhang stehen, die ArbG ausschließlich zuständig gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3d ArbGG.221

Q. Wegfall der früheren Konkursvorrechte Die früher in §§ 59 Abs. 1 Nr. 3c, 61 Abs. 1 Nr. 1c KO durch Verweis auf § 92a gegebenen Konkurs- 29 vorrechte222 arbeitnehmerähnlicher HV sind bei Einführung der InsO gestrichen worden.223 Die InsO verzichtet insgesamt auf allgemeine Forderungsvorrechte bestimmter Gläubigergruppen.224 Arbeitnehmerähnlichen HV kommen im Insolvenzverfahren mithin keine Sonderrechte zu. Der Einfirmenvertreter ist aber – wie andere HV (§ 89 Rn 20) – dienstverpflichtet mit den Rechten aus § 108 InsO.225

221 222 223 224 225 873

OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.4.2007 – 3 W 8/07, DB 2007, 1249. Hierzu Staub/Brüggemann4 § 92a Rn 10. Emde/Kelm ZIP 2005, 58 (65); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92a Rn 2. Ruß/Selder in: HK-HGB, § 84 Rn 10. Ensthaler/Genzow § 92b Rn 8. Emde

§ 92b [Handelsvertreter im Nebenberuf] Auf einen Handelsvertreter im Nebenberuf sind § 89, 89b nicht anzuwenden. 2Ist das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, so kann es mit einer Frist von einem Monat für den Schluß eines Kalendermonats gekündigt werden; wird eine andere Kündigungsfrist vereinbart, so muß sie für beide Teile gleich sein. 3Der Anspruch auf einen angemessenen Vorschuß nach § 87a Abs. 1 S. 2 kann ausgeschlossen werden. (2) Auf Absatz 1 kann sich nur der Unternehmer berufen, der den Handelsvertreter ausdrücklich als Handelsvertreter im Nebenberuf mit der Vermittlung oder dem Abschluß von Geschäften betraut hat. (3) Ob ein Handelsvertreter nur als Handelsvertreter im Nebenberuf tätig ist, bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung. (4) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten sinngemäß für Versicherungsvertreter und für Bausparkassenvertreter. (1)

1

Schrifttum Baums Handelsvertreter im Nebenberuf, BB 1986, 891; Brunn Weitere Zweifelsfragen zum neuen Recht der Handelsvertreter, NJW 1954, 56; Küstner Nebenberufliche Vertretertätigkeit und Ausgleichsanspruch, BB 1966, 1212; ders. Aktuelle Probleme des Vertriebsrechts, BB 1999, 541; Valdini Der Handelsvertreter im Nebenberuf, MDR 2019, 774.

Übersicht 1

A.

Bedeutung

B.

Zweck

C.

Gesetzgebungsgeschichte

D.

Europarechtliche Präformation

E.

Normadressat (Abs. 1 und 3)

I.

Handelsvertreter

II.

Im Nebenberuf

F.

Sachverständigengutachten

G.

Tätigkeit für mehrere Unternehmer

H.

Im Hauptberuf wird eine mit der HV-Tätigkeit im wirtschaftlichen Zusammenhang ste15 hende Tätigkeit ausgeübt Absatz 1: Rechtsfolgen: Lockerung zwingen16 den Handelsvertreterrechts

I.

II.

Ausdrückliche Benennung als Handelsvertreter im Nebenberuf 24

III.

Abs. 2 ist zwingendes Recht

IV.

Geltendmachung

V.

Nebenberuflichkeit ist trotz fehlender ausdrücklicher, vertraglicher Benennung unstrit32 tig

K.

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Eingreifen 33 des § 92b

L.

Wechsel zwischen Haupt- und Nebenberuf34 lichkeit

I.

Der Fall der Ausweitung zum Hauptbe35 ruf

II.

Rechtsfolgen des Verlustes der Nebenberuflich38 keit

III.

Der Fall der Herabstufung zur Nebenberuflich39 keit

M.

Absatz 4: Versicherungs- und Bausparkassen42 vertreter

2

J.

Absatz 2

I.

Vereinbarung

26

3 27

4 5

5 7 13 14

22 23

Emde https://doi.org/10.1515/9783110744385-010

874

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

43

N.

Umgehungsversuche

O.

Abweichende Vereinbarungen

44

§ 92b

47

P.

Beweislast

Q.

Übergangsregelung

49

A. Bedeutung § 92b enthält Tatbestand und Rechtsfolgen der Tätigkeit als HV im Nebenberuf. Soweit 1 der HV ein nebenberuflicher ist (Tatbestand) werden für ihn (Rechtsfolge) automatisch die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 89 abweichend geregelt (Abs. 1 S. 1, 2) und der Ausgleichsanspruch nach § 89b ausgeschlossen (Abs. 1 S. 1). Zudem darf – insoweit fehlt ein „automatischer“ Ausschluss – der Anspruch auf Vorschuss nach § 87a Abs. 1 S. 2 abbedungen werden (Abs. 1 S. 3). § 92b stellt keine gesetzliche Begriffsbestimmung auf, sondern lässt nach Abs. 3 die Verkehrsauffassung entscheiden, ob ein HV als ein nebenberuflicher zu gelten hat.

B. Zweck Der Gesetzgeber war der Ansicht, der nebenberufliche HV sei weniger schutzwürdig, weil er 2 sein Einkommen im Wesentlichen aus seinem Hauptberuf erhalte.1 Dies ist eine Fehleinschätzung, und zwar nicht nur deshalb, weil die hauptberufliche Tätigkeit überhaupt kein Einkommen hervorbringen muss (Rn 7). In seiner HV-Tätigkeit bleibt der nebenberufliche HV so schutzwürdig wie jeder andere HV und im einzelnen Vertragsverhältnis ist er mindestens so schutzbedürftig wie der Mehrfirmenvertreter.2 Auch in § 92b geht das Gesetz in einem Fehlbild nicht vom einzelnen Vertragsverhältnis – dem schuldrechtlichen Band – sondern von der Person, dem Stand, des HV aus. Weder der Ausschluss des Ausgleichs als verdiente vertragliche Gegenleistung ist verständlich3 noch die Reduzierung der ohnehin kurzen Kündigungsfrist des § 89. Ohnehin ist nicht einsichtig, welche Bedeutung die Nebenberuflichkeit für das LeistungsGegenleistungsverhältnis und seine Nebenpflichten haben soll. Die Vorschrift gehört gestrichen.4 Teilweise wird § 92b für unwirksam gehalten.5

C. Gesetzgebungsgeschichte § 92b wurde als „Buchstabenparagraph“ 1953 in das Gesetz eingefügt.6 Vielleicht wollte man 3 die als weitgehend empfundenen Folgen der den HV schützenden Novelle nivellieren und die insb. durch die Einführung des § 89b belasteten Unternehmer mittels eines „Gegengewichtes“ entlasten.

1 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 7, 42; BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer) Rn 23; OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 13/12, ZVertriebsR 2013, 90; Baums BB 1986, 892 f.; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 2; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 1; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 1; Hopt § 92b Rn 1; Oetker/Busche6 § 92b Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 3. 2 Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (156). 3 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. II Rn 141. 4 Vgl. Specks Diss. iur., S. 60, 70; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. II Rn 141; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 1: Vorschrift wenig gelungen. 5 Specks Diss. iur., S. 60, 70; mglw. auch Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 110 bei VV. 6 Zur Entstehungsgeschichte Baums BB 1986, 891 f. 875

Emde

§ 92b

1. Buch. Handelsstand

D. Europarechtliche Präformation 4 § 92b entspricht den Vorgaben der RL: Art. 2 Abs. 2 RL gab den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, nebenberufliche HV vom Anwendungsbereich der RL auszunehmen.7 Eine Änderung der Vorschrift war daher in Umsetzung der RL nicht erforderlich und erfolgte durch die die RL im HGB abbildende Novelle 1989 auch nicht. Sechs Staaten, nämlich Deutschland, Frankreich, Irland, Liechtenstein, Malta und Vereinigte Königreich, haben das in Art. 2 Abs. 2 RL eingeräumte Wahlrecht ausgeübt und HV im Nebenberuf ganz bzw. teilweise von der Anwendbarkeit der RL ausgeschlossen. Sie erlauben es den Parteien, von den HV-rechtlichen Regelungen vertraglich abzuweichen.8 In Irland betrifft der Ausschluss nur die nebenberufliche Tätigkeit in speziellen Geschäftsfeldern, nämlich den Katalogversand und Verbraucherkredit.9 Wann der HV seine Tätigkeit nebenberuflich ausübt, gibt die RL nicht vor.10 Darüber entscheidet die Verkehrsauffassung11 (dazu unten). Das Europäische Parlament wollte die Definition noch konkreter fassen und die RL nicht anwenden „auf HV im Nebenberuf, die auf Grundlage regelmäßig – mindestens jedoch zweimal jährlich – erscheinender Kataloge ein breites Warensortiment gegen Baroder Ratenzahlung hauptsächlich im Versandhandel an die Verbraucher vertreiben“.12 Darüber hinaus sah dieser Entwurf vor, dass Mitgliedstaaten die RL auf HV im Nebenberuf nicht anwenden (vgl. Art. 4) – was die Kommission wieder strich.13

E. Normadressat (Abs. 1 und 3) I. Handelsvertreter 5 Der Normadressat muss erstens HV i. S. d. §§ 84 ff.,14 zweitens ein nebenberuflicher HV sein (Rn 7 ff.). Damit muss der HV im Nebenberuf zum Gelegenheitsvermittler abgegrenzt werden, da dieser bereits kein HV ist. Denn es fehlt bei Gelegenheitsvermittlern das Merkmal der „ständigen Betrauung“ i. S.d, § 84 Abs. 1.15 Auch eine Handelsgesellschaft kann, weil es auf den Charakter des einzelnen Vertrages und nicht die Rechtsform des Tätigen ankommt, „nebenberuflich“ HV sein,16 und zwar wenn ihre HV-Tätigkeit eine untergeordnete gegenüber ihrem sonstigen Tätigkeitsfeld bleibt und „nebenbei“ ausgeübt wird.17 Weil die angeblich bestehende geringere Schutzbedürftigkeit des HV im Nebenberuf auch auf außervertragliche Umstände und damit letztlich auf die Lebensverhältnisse und die persönliche Stellung des HV (personenbezogene Umstände) abstellt, war allerdings schnell umstritten, ob § 92b auf eine HV-Kapitalgesellschaft Anwendung findet. Vor allem Brüggemann vertrat, eine juristische Person könne – ebenso wenig wie einen Hauptberuf – auch keinen Nebenberuf ausüben, da bei ihr nur die Arbeit 7 Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (155 ff.); Oetker/Busche6 § 92b Rn 1. 8 Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (155). 9 Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (155). 10 Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (155). 11 Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (155). 12 Entschließung des Europäischen Parlaments zum RL-Entwurf, ABl. EG (1978) C-239/19, Art. 3; vgl. Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (156). Kommission, Änderungen RL-Vorschlag, ABl. EG (1979), Nr. C-56/05, Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (156). Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 2. Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (156). Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 10; Hopt § 92b Rn 1; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 12; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 6 mit dem wohl unzutreffenden Beispiel der Organisationsverträge in der Versicherungsvermittlung. 17 Küstner BB 1966, 1213; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 5, 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 1; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 69, 70; aA Brüggemann ZHR 131 (1968), 9 ff.

13 14 15 16

Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92b

des verselbständigten Kapitals, nicht aber ein differenziertes Berufsbild im Vordergrund stehe.18 Diese Ansicht hat Brüggemann bereits in der 4. Aufl. des Großkommentars von Staub aufgegeben.19 Brüggemanns Ansicht war angesichts des weiten Spektrums in den verschiedensten Bereichen tätiger juristischer Personen, deren Geschäftsfeld sich schwerlich auf den gemeinsamen Nenner der „Kapitalarbeit“ reduzieren lässt, schon im Ausgangspunkt zweifelhaft.20 Gerade bei HV-Gesellschaften zeigt sich, dass jene nicht von ihrem Kapitaleinsatz oder einer wie auch immer gearteten „Arbeit“ des Kapitals leben, sondern in der Regel von dem persönlichen Einsatz der für sie tätigen Organe und Angestellten. Wird eine HV-Kapitalgesellschaft während ihrer Tätigkeit in einem Bereich aktiv, der – wie der HV-Beruf – einem gefestigten Berufsbild entspricht, so hat auch sie einen – eben diesen – Beruf. Ohnehin kommt es nicht auf den „Beruf“, sondern das Verhältnis der ausgeübten Tätigkeiten an, wobei der „Hauptberuf“ noch nicht einmal auf schuldrechtlicher Verpflichtung erbracht werden muss (Beispiel Student). Der im HGB nicht definierte Berufsbegriff verschleiert dies eher. Konsequent ist dann auch eine „nebenberufliche“ HV-Tätigkeit der Kapitalgesellschaft denkbar.21 Weder der Gesetzeswortlaut noch ein sachlicher Grund fordern die Besserstellung juristischer Personen. Denn war die HV-Tätigkeit der juristischen Person nur eine nebenberufliche, so bedarf sie nicht weniger oder mehr als eine natürliche Person des Schutzes längerer Kündigungsfristen und des Ausgleichs. Auf Vertragshändler oder FN soll § 92b unanwendbar sein,22 was dogmatisch nicht ein- 6 sichtig,23 aber wegen des Schutzes des aufgrund seines Eigengeschäfts mit höherem finanziellen Risikos tätigen Vertragshändlers akzeptabel24 ist, zumal der Adressatenkreis der unbefriedigenden Vorschrift nicht unnötig ausgedehnt werden sollte. Auf Kommissionsagenten im Nebenberuf soll § 92b hingegen wegen der typologischen Nähe analog angewandt werden.25

II. Im Nebenberuf Normadressat ist nur der HV im Nebenberuf. Der Gesetzgeber hat, ebenso wie der RL-Geber,26 7 wegen der Schwierigkeiten der Begriffsfindung bewusst von einer Definition dieses Begriffs abgesehen27 und die Beantwortung der Frage, ob eine Tätigkeit im Haupt- oder Nebenberuf vorliegt, der im jeweiligen Einzelfall28 ggf. durch Sachverständigengutachten festzustellenden Verkehrsauffassung der maßgeblichen Wirtschaftskreise29 überlassen. Nach der in den Abs. 1 und 3 nicht abgebildeten, herrschenden Übergewichtstheorie wird als HV im Hauptberuf der HV angesehen, welcher erstens nach Zeit und Umfang überwiegend als HV tätig wird

18 19 20 21 22

Brüggemann ZHR 131 (1968), 1, 9 ff. 4. Aufl., § 92b Rn 3, unentschieden noch Staub/Brüggemann3 § 92b. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 70. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 70; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 10. LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2006 – 5 O 126/06, BeckRS 2007, 1449; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 4; aA Flohr/ Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 23. 23 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 23. 24 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 23. 25 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 24; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 4. 26 Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (155/156). 27 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 42: Begriffsbestimmung mit befriedigenden Ergebnissen lässt sich kaum finden; Baums BB 1986, 892; v. Brunn NJW 1954, 56; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 2; Oetker/Busche6 § 92b Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 5. 28 Martinek/Flohr3 § 12 Rn 26; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 9; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 4. 29 BGH, Urt. v. 21.1.1965 – VII ZR 22/63, BGHZ 43, 108 (114) = NJW 1964, 1132; v. 4.11.1998 – VIII ZR 248/97; ZIP 1998, 2152 (2154, 2155) m. zust. Anm. Escher BB 1999, 72 sowie Küstner BB 1999, 541 (543); Rohrßen ZVertriebsR 2019, 153 (158); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 104 f.; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 4; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 9 f.; Oetker/Busche6 § 92b Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2. 877

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§ 92b

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und zweitens aus dieser Tätigkeit auch den größten Teil seines Einkommens bezieht.30 I. d. R. wird das kumulative Vorliegen beider Voraussetzungen erforderlich sein.31 Sonst ist der HV ein nebenberuflicher (Einzelheiten unten). 8 Die Übergewichtstheorie geht auf die noch im RegE zum HGB32 enthaltene, jedoch gestrichene Definition des HV im Nebenberuf zurück. Nach dem RegE war HV im Nebenberuf, wer „nicht überwiegend als Handelsvertreter tätig ist und wer aus dieser Tätigkeit nicht den überwiegenden Teil seines Arbeitseinkommens bezieht“.33 Die Formulierung des RegE wurde auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen BT nicht ins Gesetz übernommen. Stattdessen wurde auf die Verkehrsauffassung verwiesen,34 weil sich eine völlig befriedigende Begriffsbestimmung kaum finden lassen werde.35 HV im Nebenberuf kann mithin nur derjenige sein, der bei wertender Betrachtung überwiegend einen anderen selbständigen oder unselbständigen36 Beruf – besser: eine andere Tätigkeit – als die des HV ausübt37 (was zunächst die Existenz einer solchen weiteren Tätigkeit voraussetzt38), also nicht vorwiegend als HV tätig ist, wobei Zeit, Art und Ausmaß des Einsatzes ebenso maßgebliche Faktoren sein können wie die Tatsache, dass der HV den überwiegenden Teil seiner Einkünfte nicht aus der HV-Tätigkeit erhält.39 9 Ob ein HV haupt- oder nebenberuflich HV ist, bestimmt sich damit nicht nach dem leicht in dem Vertrag Niedergelegten, sondern nach den einer vertraglichen Regelung unzugänglichen tatsächlichen Verhältnissen.40 Bei weiterer gewerblicher Tätigkeit des HV ist seine nebenberufliche Tätigkeit als HV nur anzunehmen, sofern die Hauptbeschäftigung in keinem oder nur sehr losem Zusammenhang zur HV-Tätigkeit steht41 (s. u.). Für die Bestimmung des Schwerpunktes der Tätigkeit sind wie bei der in § 84 behandelten Abgrenzung zwischen HV- und Angestelltentätigkeit alle bekannten, objektiv bestehenden Umstände in eine Gesamtbetrachtung einzustellen, keiner der Umstände hat von vornherein ein natürliches Übergewicht. Die Einzelheiten der Abgrenzung sind unsicher. Teilweise wird vertreten, HV im Nebenberuf könne auch sein, wer aus der HV-Tätigkeit seine Haupteinnahmen erziele, solange die andere Tätigkeit überwiege.42 Jedenfalls ist die Relation der Einkünfte beider Tätigkeiten nicht allein entscheidend.43 Nach aA soll vorrangig auf das wirtschaftliche Gewicht (Ertrag) der verschiedenen Einnahmen abgestellt werden. Denn alle anderen Faktoren wie Zeitaufwand und Umfang der Tätigkeit seien letztlich nicht aussagekräftig und lediglich fehlende Einnahmen indizierten mangelnde Schutzbedürftigkeit, die § 92b zugrunde legt.44 Die Maßgeblichkeit der Einnahmen schaf30 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 42; OLG Oldenburg, Urt. v. 22.10.2013 – 13 U 13/12; OLG Hamburg, Urt. v. 30.3.2006 – 10 U 16/05; Höft VersR 1973, 154; Valdini MDR 2019, 774 (775); Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 104; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 5; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 5; Ensthaler/Genzow § 92b Rn 2; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 3; Hopt § 92b Rn 2; Oetker/Busche6 § 92b Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2a. 31 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 104; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 5; Ensthaler/Genzow § 92b Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 2. 32 BT-Drucks. I/3856 v. 15.11.1952, S. 7, 42. 33 § 92b in der amtlichen Drucksache des Bundestages 1. Wahlperiode Nr. 3856. 34 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode, Stenografische Berichte Band 17, S. 14208; Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. II Rn 134. 35 Siehe schon Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 42; Oetker/Busche6 § 92b Rn 2. 36 Baums BB 1986, 893; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2c. 37 Küstner BB 1966, 1212; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 104; Martinek/Flohr3 § 12, Rn 26. 38 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 6. 39 OLG Oldenburg, Urt. v. 22.10.2013 – 13 U 13/12; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 104. 40 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 4; Hopt § 92b Rn 2; BGH NJW 1999, 639; Oetker/Busche6 § 92b Rn 2. 41 Ensthaler/Genzow § 92b Rn 2. 42 Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2a. 43 OLG Oldenburg, Urt. v. 22.10.2013 – 13 U 13/12. 44 OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.5.2017 – 16 U 61/16; Valdini MDR 2019, 774 (775). Emde

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§ 92b

fe zudem Rechts- und Beweissicherheit und vermeide SV-Gutachten, da auch für weit in der Vergangenheit liegende Perioden anhand eines Vergleichs buchmäßig erfasste Einnahmen rechtssicher dargelegt werden könnten.45 Andere Faktoren, z. B. Zeit und Umfang, sollten nur in Ausnahmefällen mit einbezogen werden.46 Richtigerweise kommt es auf eine Gesamtbetrachtung an. Kein Merkmal ist allein entscheidend, da das Gesetz nach Abs. 3 auf die Verkehrsanschauung abstellt47 – mit allen daran anknüpfenden Unsicherheiten. Im Einzelfall mag auch die Relation der Einkünfte der Vertretertätigkeit die Eigenschaft als Haupttätigkeit nehmen, wenn die Einnahmen aus dem Nebenberuf praktisch die Existenzgrundlage sicherstellen, wobei es auf die Bruttobezüge48 ohne Kostenabzüge49 ankommen soll. Entfallen die Einkünfte aus der anderen Tätgkeit dauerhaft, ist der HV spätestens dann als hauptberuflicher zu qualifizieren, wenn er seine Existenz vorrangig aus der HV-Tätigkeit bestreitet und keine neue Existenzgrundlage die entfallende Existenzgrundlage ersetzt.50 In allen Fällen wird es darauf ankommen, ob es mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Einzelfalles angemessen erscheint, die Regelung des Abs. 1 zur Anwendung zu bringen (rechtsfolgenbezogene Normanwendung); in der Hauptsache also: dem HV den Ausgleichsanspruch vorzuenthalten. Der Wegfall des Ausgleichs ist wegen dessen Charakter als verdiente Gegenleistung zurückhaltend anzunehmen. Die bedeutendsten Abgrenzungsmerkmale dürften im Zweifel das Zeit- und Entgeltmoment sein, wobei die Stellung des Zeitelements eher überwiegen dürfte,51 wie schon der Umstand zeigt, dass die Haupttätigkeit überhaupt kein Einkommen zu generieren braucht. Denn § 92b stellt auf die Leistung des HV, seine Tätigkeit, ab und nicht auf die Gegenleistung,52 wobei es auf die objektiv erbrachte, und nicht die geschuldete Leistung ankommen dürfte. Das steht in Übereinstimmung mit der Verkehrsauffassung, die als Hauptberuf die zeitlich anspruchsvollere Tätigkeit ansieht.53 Die Eigenschaft als HV im Nebenberuf kann nicht allein aus der Existenz erheblichen betriebsfernen Vermögens oder wesentlicher Einkünfte aus Kapitalvermögen oder Grundbesitz hergeleitet werden.54 Diese Umstände haben keinen Einfluss auf das Entstehen des Ausgleichs als vertragliche Hauptleistung. Der Inhalt einer AVAD-Meldung soll für die Abgrenzung irrelevant sein.55 Welcher Art der Hauptberuf ist, spielt keine Rolle.56 Die in Abs. 3 angesprochene Verkehrs- 10 auffassung setzt nicht voraus, dass der HV einen Hauptberuf i. S. e. Erwerbstätigkeit mit tatsächlichem Ertrag ausübt.57 Wie ausgeführt, ist der Begriff des Berufes missleitend. Richtig müsste der andere Beruf mit „Tätigkeit“ oder „Beschäftigung“ apostrophiert werden, da jede HV-fremde Tätigkeit ohne schuldrechtliche Verpflichtung genügt. Übernimmt ein Student,58 eine Haus45 Valdini MDR 2019, 774 (775). 46 Valdini MDR 2019, 774 (775). 47 Valdini MDR 2019, 774 (775); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 6. Das OLG Oldenburg, Urt. v. 22.10.2013 – 13 U 13/12 betont, der bloße Zeitaufwand müsse nicht das entscheidende Kriterium sein. 48 Küstner/Thume/Schürr I5 Kap. I Rn 201; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 5. 49 Küstner/Thume/Schürr I5 Kap. I Rn 222; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 5. 50 Valdini MDR 2019, 774 (777). 51 Vgl. Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2a. 52 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 8. 53 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 8. 54 Küstner BB 1966, 1212 (1213); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 10. 55 Evers/Oberst VW 2013, 51. 56 Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2c. 57 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 3; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92b Rn 6. 58 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 42; BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer) Rn 23; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 2, 8; Ebenroth/ Löwisch4 § 92b Rn 8; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 3; Hopt § 92b Rn 2; Oetker/Busche6 § 92b Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 3. 879

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frau,59 eine Mutter60 oder ein Rentner61 eine Vertretung, um sich zu den sonstigen verfügbaren Mitteln („Monatswechsel“, Wirtschaftsgeld, Rente) oder nach Dienstschluss noch eine kleine Nebeneinnahme hinzuzuverdienen, dann soll eine Vertretung im Nebenberuf vorliegen; wobei es beim Rentner wegen des fehlenden Hauptberufes vor allem auf das Verhältnis des Ertrags aus der HV-Tätigkeit zur Höhe der Pension ankommen dürfte.62 Die Begr. z. RegE.63 nennt sogar HV, die sich überwiegend mit Liebhabereien, wie Gartenbau, Fischen etc. beschäftigen und bei denen nur wenig Zeit auf die Ausübung ihrer HV-Tätigkeit entfällt. Auch eine der zukünftigen Berufsausübung dienende Ausbildung genügt als Haupttätigkeit.64 Die Einordnung als HV im Nebenberuf selbst bei Fehlen anderweitigen Einkommens ist vor dem Hintergrund des Normzwecks (mangelnde Schutzbedürftigkeit des mit anderweitigem Einkommen versehenen HV) eher zweifelhaft, vom Wortlaut aber wohl noch gedeckt. Der Hauptberuf braucht nicht aktuell und zeitgleich mit der HV-Tätigkeit ausgeübt zu werden,65 wird es aber regelmäßig werden. Meist ist zeitgleiche Tätigkeit erforderlich, weil sonst kein Haupt- und Nebenberuf festzustellen sein wird. Das gilt aber nicht immer: Eine nebenberufliche Tätigkeit soll auch dann vorliegen, wenn ein Bergführer und Skilehrer sich in den Übergangsmonaten, in welchen er diese Tätigkeit nicht auszuüben vermag, mit Vertretungen befasst. Typische sonstige Beispiele der Nebenberuflichkeit: die Postagenturen,66 eine Garderobenfrau, die zugleich Garderobenversicherungen abschließt und dafür Provision erhält, ein Reisebüro, welches Gepäckversicherungen abschließt, der Sparkassenleiter, welcher Versicherungen vertreibt,67 ein Angestellter,68 Arbeitnehmer,69 Saisonarbeiter,70 ein als HV tätiger öffentlicher Bediensteter bzw. Beamter71 mit Nebentätigkeit als HV oder ein Kfz-Händler, welcher beim Verkauf eines Wagens dem Kunden die Haftpflicht- oder Kaskoversicherung vermittelt.72 In solchen Gegebenheiten ist die Vertretung oder Vertragsvermittlung ein Akzessorium zum eigentlichen Erwerbsgeschäft, sie ist oft eine Maßnahme des Kundendienstes oder es wird bei Gelegenheit des Hauptgeschäftes ein 59 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 42; BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer) Rn 23; Küstner BB 1966, 1212; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 2, 8; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 8; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 3; Hopt § 92b Rn 2; Oetker/Busche6 § 92b Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2c; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 3. 60 OLG Oldenburg, Urt. v. 22.10.2013 – 13 U 13/12 m. abl. Anm. Evers/Oberst VW 2013, 51. 61 BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer) Rn 23; Valdini MDR 2019, 774 (775) Fn 10; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 2, 8; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 8; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 3; Hopt § 92b Rn 2; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92b Rn 9. 62 Hopt § 92b Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2d; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 9. 63 BT-Drucks. I/3856, S. 42. 64 Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2a. 65 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 3. 66 OLG Koblenz, Urt. v. 30.1.2006 – 12 U 127/01, WM 2006, 1452 (1453) (dort aber ohne Prüfung der Frage und nicht entscheidungserheblich);Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 8. Das LG Dortmund, Urt. v. 14.12.2006 – 16 O 113/05 hält diese fälschlich überhaupt nicht für HV – der Rechtsstreit wurde in der Berufungsinstanz durch Vergleich beendet. 67 Hopt § 92b Rn 2. 68 Baums BB 1986, 893; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 8; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 9; aA LG Dortmund, Urt. v. 14.12.2006 – 16 O 92/05, NJOZ 2007, 1485. 69 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 3. Entgegen Thume a. a. O. sowie BAG v. 25.10.1967 – AZR 453/66, NJW 1968, 518 dürfte Nebenberuflichkeit auch vorliegen, wenn ein im Innendienst tätiger Arbeitnehmer nebenbei mit Billigung des Arbeitgebers für diesen Geschäfte gegen Provision vermittelt. 70 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 8; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 8; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 92b Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 9. 71 Baums BB 1986, 891 (893); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 8; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 2; Hopt § 92b Rn 2; Oetker/Busche6 § 92b Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 9. 72 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 8; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 3. Emde

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Zusatzgeschäft geschlossen oder vermittelt.73 Die Schwierigkeiten der materiellen Abgrenzung werden dann aufgehoben, falls sich der Unternehmer auf die Nebenberuflichkeit beruft. Denn er kann sich nur auf § 92b stützen, wenn er den HV ausdrücklich als HV im Nebenberuf bezeichnet hat (§ 92b Abs. 2, dazu Rn 22 ff.). Fraglich ist bei einer vorübergehenden Veränderung, wie lange diese andauern muss, 11 damit sie nach der Verkehrsauffassung berücksichtigt wird.74 Nach Ansicht von Valdini75 spricht viel dafür, dass eine Statusveränderung erst ab einem Zeitraum von einem Monat relevant ist, da die monatsweise Betrachtung auch der kleinste gesetzliche Nenner ist, der den §§ 92b Abs. 1, 89 Abs. 1 und 87c Abs. 1 gemein ist. Das halte ich für zu kurz. Richtigerweise muss es sich um beständige Änderungen handeln. Sie setzen einen Änderungszeitraum von 6–12 Monaten voraus. Um Streitigkeiten über die Einordnung als haupt- oder nebenberuflicher HV auszuschlie- 12 ßen, wird empfohlen,76 dass der Vertrag Regelungen über das von beiden Parteien zunächst angenommene Arbeitsaufkommen des nebenberuflichen HV sowie über die Verpflichtung des HV, dem Unternehmer Umsatzsteigerungen und Erhöhungen des Arbeitsaufkommens anzuzeigen, enthält. Allerdings ändert eine Anzeigepflicht nichts daran, dass sich die Haupt- und Nebenberuflichkeit allein nach objektiven Verhältnissen bestimmt.77

F. Sachverständigengutachten Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung ist die Nebenberuflichkeit nach Beweisan- 13 tritt vom Gericht, meist mittels Sachverständigengutachten der maßgeblichen Wirtschaftsverbände, etwa DIHK oder CDH, festzustellen.78 Die Nebenberuflichkeit ist allerdings keine Tatsache i. S. d. § 288 Abs. 1 ZPO, sondern ein Rechtsbegriff.79 Der Sachverständige muss also die zugrunde liegenden Tatsachen feststellen. Die Rechtsanwendung obliegt dem Gericht.

G. Tätigkeit für mehrere Unternehmer Wird ein HV als solcher für mehrere Unternehmer tätig (Mehrfirmenvertreter), ist er hauptberuf- 14 licher Vertreter, und zwar gegenüber allen Unternehmern.80 § 92b sieht die HV-Tätigkeit als eine anderen Berufen gegenübergestellte, einheitliche Tätigkeit an.81 Es gibt in diesem Fall keinen Haupt- und Nebenberuf. Das gilt auch dann, wenn der HV gegenüber einem Unternehmer nur

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 9. Valdini MDR 2019, 774 (776). Valdini MDR 2019, 774 (776). Giesler/Klapperich2 § 2 Rn 63; Ensthaler/Genzow § 92b Rn 4. Vgl. Valdini MDR 2019, 774 (775). BGHZ 43, 108 = NJW 1965, 1132 (1134); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 4; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 10. 79 BGH NJW 2013, 2111 (2114); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 4. 80 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2012 – 19 W 77/12, ZVertriebsR 2013, 255 (256); OLG Stuttgart VersR 1957, 329; LG Düsseldorf HVR Nr. 54; Baums BB 1986, 893; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 106; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 9; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 4; Hopt § 92b Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 10; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2b; aA v. Brunn NJW 1954, 57. 81 BGH, Urt. v. 2.2.1961 – VII ZR 253/59, n. v.; LG Düsseldorf, Urt. v. 6.7.1954 – 11 O 46/54, HVR Nr. 84; Finke WM 1969, 1122 (1123); Oetker/Busche6 § 92b Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 10; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 4. 881

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im geringen Umfang tätig ist82 oder für einen Unternehmer erfolgreich, für den anderen mit reduziertem Erfolg. Die Höhe der jeweils in den Handelsvertretungen erzielten Einkünfte83 oder die ohnehin schwer zu bestimmende Branchenzugehörigkeit84 ist ohne Bedeutung für die Einordnung als Hauptberuf. Auch der Mehrbranchen-HV, z. B. der in einer Branche (etwa Baubranche) hauptsächlich und in einer anderen Branche (etwa Süßstoffhandel) nur unbedeutend tätige HV ist damit Mehrfachvertreter und nicht etwa in der weniger bedeutenden Branche nur HV im Nebenberuf.85 Nichts anderes gilt, wenn dem HV die Tätigkeit für weitere Unternehmer verboten wird und der Unternehmer im geringen Umfang weitere HV-Tätigkeiten gestattet. Auch dann ist der Vertreter in dieser weiteren Tätigkeit nicht HV im Nebenberuf.86 Es liegt mithin keine HVTätigkeit im Nebenberuf vor, falls ein Warenvertreter nebenbei Versicherungen vermittelt.87 Wäre man in diesem Punkt anderer Ansicht, ergäbe sich die fehlende Nebenberuflichkeit jedenfalls aus dem engen wirtschaftlichen Zusammenhang und dem „Verwandtschaftsverhältnis“ beider Tätigkeiten (Rn 15).

H. Im Hauptberuf wird eine mit der HV-Tätigkeit im wirtschaftlichen Zusammenhang stehende Tätigkeit ausgeübt 15 Ferner fehlt im Zweifel eine HV-Tätigkeit im Nebenberuf, sofern der HV zusätzlich zum HVGeschäft eine oder mehrere mit diesem in engem wirtschaftlichen Zusammenhang stehende Tätigkeiten als „Hauptberuf“ ausübt.88 Das gilt insbesondere, wenn der HV neben seiner Vertretertätigkeit in einem Rechtsverhältnis tätig ist, auf welches die §§ 84 ff. analog angewandt werden, etwa als Vertragshändler, FN oder Kommissionsagent. Der Analogie zum HVRecht entspricht es, wenn der zusätzlich als HV-ähnlicher Mittler tätige HV auch in seiner HV-ähnlichen Berufsausübung behandelt wird, als erfolge sie auf Grund eines HV-Vertrages. Genannt werden Fälle, in denen eine identische, vergleichbare oder der Ersttätigkeit dienende Aufgabe ausgeübt wird.89 Gleiches gilt, falls ein HV neben der Vertretung noch ein anderes Gewerbe ausübt, alle diese Tätigkeiten aber als ihrem inneren Zusammenhange gemäß gleichrangig zu erachten sind, z. B. als Schiffsmakler, Linienvertreter und Spediteur, als Großhändler und HV in der gleichen Branche90 bzw. als Tankstellenvertreter mit angeschlossenem Shopbereich.91 Eine HV-Tätigkeit im Nebenberuf ist nämlich nicht anzunehmen, wenn zwischen der HV-Tätigkeit und der sonstigen Berufs- oder Erwerbstätigkeit ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang besteht und nach der Verkehrsauffassung gerade diese Verbindung in den betreffenden Wirtschaftskreisen häufig anzutreffen ist.92 In jenem Fall liegt ein einheitli82 LG Stuttgart VersR 1956, 415; LG Düsseldorf HVR Nr. 84; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 106; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2b; Martinek/Flohr3 § 12 Rn 26. 83 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2c. 84 AA Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2b. 85 AA Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2b. 86 AA Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2b. 87 AA Küstner BB 1966, 1212 (1214); Baums BB 1986, 893; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 8; Hopt § 92b Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2b. 88 Valdini MDR 2019, 774 (775); Küstner BB 1966, 1213; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 9; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 11. 89 Valdini MDR 2019, 774 (775/776). 90 Gutachten DIHT v. 23.1.1957, HVR Nr. 145; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 4; Hopt § 92b Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2c. 91 BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer); OLG Hamburg, Urt. v. 30.3.2006 – 10 U 16/05; DIHT HVR (57) Nr. 145; Hopt § 92b Rn 2; Valdini MDR 2019, 774 (776). 92 BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer); OLG Hamburg, Urt. v. 30.3.2006 – 10 U 16/05; Valdini MDR 2019, 774 (776). Emde

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ches Handelsgewerbe, die Agentur eines HV vor, dessen mehrere übernommene Vertretungen eine Differenzierung nach Haupt- und Nebentätigkeit verbieten. Gleichzustellen sein wird der Mehrbranchen-HV (siehe Rn 14) sowie die Variante, in der der HV teils als Versicherungs-, teils als Bausparkassenvertreter tätig wird (arg. Abs. 4).93 Im letzteren Falle verbietet die Verkehrsanschauung eine Differenzierung.94

I. Absatz 1: Rechtsfolgen: Lockerung zwingenden Handelsvertreterrechts Nur die in Abs. 1 genannten Vorschriften des HV-Rechts finden keine Anwendung auf den HV 16 im Nebenberuf. Die Besonderheiten des HV im Nebenberuf bestehen nach Abs. 1 in Folgendem: I. Ist das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit (s. d. Kommentierung zu § 89) eingegan- 17 gen, so unterliegt es wegen der angeblich geringeren Schutzbedürftigkeit des HV im Nebenberuf und der fehlenden Notwendigkeit einer längeren Umstellungsfrist95 nicht den Kündigungsfristen des § 89. Vielmehr kann es mit einer Frist von einem Monat zum Schluss eines Kalendermonats gekündigt werden. Dies gilt ipso iure; es bedarf keiner ausdrücklichen Derogation des § 89.96 Diese Frist bleibt dieselbe, auch wenn der Bestand des Vertragsverhältnisses zwei Jahre überdauert. Die Kündigungsfrist von einem Monat ist nicht zwingend, sondern kann vertraglich verlängert oder verkürzt,97 auch ein anderer Kündigungstermin als zum Monatsende98 vereinbart werden. Für diesen Fall müssen aber, nicht anders als im Rahmen des § 89, Fristen (zu ergänzen: und Termine) für beide Teile gleich sein (Abs. 1 S. 2, Hs. 2); andernfalls ist die Vereinbarung unwirksam99 und es gilt, wie auch in Zweifelsfällen, die gesetzliche Regelung des § 92b Abs. 1 S. 2100 (nicht wie bei § 89 Abs. 3 die längere Frist101), der Vertrag im übrigen bleibt von der Unwirksamkeit unberührt.102 Bei Verträgen auf bestimmte Zeit gilt die vereinbarte Regelung.103 Die vereinbarte Kündigungsfrist darf aber nicht unangemessen sein, was vor allem bei einer Verkürzung zu prüfen sein wird. Kontrollmaßstab sind die §§ 307, 138, 242 BGB. Mittels AGB wird eine Verkürzung meist ausscheiden (Leitbild des § 92b).104 Aber auch nach § 138 BGB begegnen Fristen von 14 Tagen Bedenken.105 Regelmäßig stellt es keine unangemessene Benachteiligung dar, wenn die im vorformulierten HV-Vertrag geregelte Kündigungsfrist länger ist, als die gesetzliche Kündigungsfrist eines hauptberuflichen HV. Die Klausel, nach der die ordentliche Kündigung nach einer Vertragslaufzeit von 3 Jahren noch unter Einhaltung einer Frist von 12 Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres zulässig ist, hält trotz ihrer im Einzelfall dann auf 23 Monate verlängerten Vertragsdauer einer Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 Nr. 1

93 Oetker/Busche6 § 92b Rn 3. 94 Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 2c. 95 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 42 (stellt nicht die Existenzgrundlage des nebenberufl. HV dar und hat deshalb nicht in demselben Umfang seine Existenz gefährdende Wirkung); OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 13/12, ZVertriebsR 2013, 90 (92); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 16. 96 Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 3. 97 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 15; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 1. 98 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 3. 99 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 17; Oetker/Busche6 § 92b Rn 5. 100 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 18; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 3. 101 Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 3. 102 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 18; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 7. 103 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 18. 104 AA Oetker/Busche6 § 92b Rn 5. 105 Für ihre Zulässigkeit Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 1. 883

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BGB stand.106 Der Grundgedanke des § 92b liegt nicht darin, ein nebenberufliches HV-Verhältnis rascher beenden zu können als ein hauptberufliches und es besteht kein besonderes Interesse des nebenberuflichen HV, sich schneller aus seiner vertraglichen Bindung zu lösen, als ein HV im Hauptberuf.107 Nur im Einzelfall kann eine Verlängerung der Kündigungsfrist bedenklich sein.108 18 II. Der HV im Nebenberuf hat keinen Anspruch auf einen Ausgleichsanspruch nach § 89b bei Beendigung des Vertragsverhältnisses. Auch jene Rechtsfolge tritt „automatisch“ ohne dahingehende Abrede ein.109 Die dahin gehende gesetzliche Regelung ist nicht unbedenklich110 und wird teils als verfassungswidrig,111 teils als verfassungsgemäß112 angesehen. Der Ausgleichsausschluss wird damit begründet, dass der Ausgleich dem Aufbau einer neuen Existenz dienen soll, was beim HV im Nebenberuf überflüssig sei.113 Mit dieser Erwägung ließe sich jedoch auch der Ausgleich jedes Mehrfirmenvertreters, je erfolgreicher umso eher, rechtfertigen. Die unterschiedliche Behandlung der Ausgleichsberechtigung könnte Art. 3 GG widersprechen.114 Vor allem wird die Erklärung der heutigen Einordnung des Ausgleichs als vertragliche Gegenleistung nicht gerecht.115 Die Parteien können aber die Zahlung eines Ausgleichs vereinbaren.116 Denn § 92b Abs. 1 S. 1 enthält kein zwingendes Recht.117 Für Berechnungsgrundlagen und Höhe des vereinbarten Ausgleichs gilt in einem solchen Fall in erster Linie das Vereinbarte,118 hilfsweise § 89b. Unberührt bleibt der Anspruch auf Provision aus jenen nachträglich geschlossenen Geschäften, die auf die Vermittlertätigkeit des HV gem. § 87 Abs. 3 zurückzuführen sind. 19 III. Für das Unbedingtwerden des Provisionsanspruches bleibt § 87a maßgebend. Die endgültige Entstehung des Provisionsanspruches bei Vorleistung des Unternehmers lässt sich nach § 87a Abs. 1 S. 2 vertraglich ausschließen, was jedoch nicht geschehen muss (die Vorschrift ist insoweit dispositiv119) und auch nicht automatische Folge der Nebenberuflichkeit ist („kann“). 106 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 13/12, ZVertriebsR 2013, 90; aA BGH, Urt. v. 21.3.2013 – VII ZR 224/12, NJW 2013, 2111 = VersR 2013, 860 = WM 2013, 878 als Folgeinstanz; OLG Celle, Beschl. v. 9.6.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650. 107 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 13/12, ZVertriebsR 2013, 90; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 3. AA die wohl h. M. (BGH, Urt. v. 21.3.2013 – VII ZR 224/12, NJW 2013, 2111 = VersR 2013, 860 = WM 2013, 878 als Folgeinstanz; OLG Celle, Beschl. v. 9.6.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650; Hopt § 92b Rn 7; Oetker/Busche6 § 92b Rn 5). Dies erscheine, so das OLG Celle, für eine nebenberufliche Tätigkeit, bei der beide Seiten auf rasche Beendigung angewiesen sein können, gem. §§ 307, 310 BGB unbillig. BGH, Urt. v. 21.3.2013 – VII ZR 224/12, NJW 2013, 2111 = VersR 2013, 860 = WM 2013, 878 begründet seine Auffassung mit der Erwägung, ein nebenberufliches HV-Verhältnis solle rascher beendet werden können als das Vertragsverhältnis eines HV im Hauptberuf, für den bei einer Vertragsdauer von über 5 Jahren eine Kündigungsfrist von 6 Monaten für den Schluss eines Kalendermonats maßgeblich wäre. Eine zeitlich gestaffelte Verlängerung der Kündigungsfrist sehe § 92b Abs. 1 S. 2, anders als § 89, nicht vor. Der HV könne darauf angewiesen sein, rasch einen existenzsichernden Hauptberuf zu finden. 108 OLG Celle, Beschl. v. 9.6.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650, zwh.; für das grds. Recht zur Verlängerung OLG Oldenburg, Urt. v. 24.7.2012 – 13 U 13/12, ZVertriebsR 2013, 90 (92). 109 Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 4. 110 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 18 f. 111 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 18. 112 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 20. 113 Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 42; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 8. 114 Oetker/Busche6 § 92b Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 18. 115 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 18 f. 116 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 16, 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 17. 117 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 20; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 17. 118 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 4. 119 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 20: bei fehlender Vereinbarung gilt § 87a Abs. 1 S. 2. Emde

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Jedoch hat alsdann kraft Gesetzes der HV Anspruch auf einen angemessenen Vorschuss. Während nach § 87a Abs. 1 dieser Anspruch auf Vorschuss als zwingend zu erachten ist, darf auch er gegenüber dem HV im Nebenberuf vertraglich ganz oder teilweise ausgeschlossen werden. Ohne einen solchen Ausschluss bleibt es beim Vorschussanspruch.120 Begründet wird diese Option damit, der HV im Nebenberuf sei nicht in gleicher Weise wie ein hauptberuflicher HV, dessen Tätigkeit seinen einzigen Lebensunterhalt darstellen könne, auf einen Vorschuss für seinen Lebensunterhalt und seinen Geschäftsbetrieb angewiesen.121 Zur Tragfähigkeit dieser Argumentation siehe vorstehend. Der Ausschluss des Vorschussanspruchs wird unwirksam, sobald der HV zu einem solchen im Hauptberuf wird.122 IV. Die übrigen Vorschriften des HV-Rechts gelten auch für den HV im Nebenberuf,123 sofern 20 nicht Abweichendes vereinbart ist. Der HV im Nebenberuf kann Normadressat des § 92a sein (s. d. Kommentierung zu § 92a). Hinsichtlich der Zulässigkeit einer von den §§ 84 ff. abweichenden Vereinbarung gelten damit, soweit in § 92b nicht abweichend geregelt, zugunsten oder zulasten des HV im Nebenberuf keine abweichenden Maßstäbe: Das zwingende HV-Recht gilt zugunsten des HV im Nebenberuf wie auch sonst, soweit § 92b, wie eben dargestellt, keine Sonderregelung trifft. V. Wirtschaftlich interessante Gestaltungsoptionen entstehen im mehrstufigen Vertrieb: 21 Kooperiert ein Kfz-Hersteller mit einem Versicherer, um Versicherungspolicen über seine Vertragshändler zu vertreiben, könnte eine Konzernvertriebsgesellschaft als Hauptvermittler agieren und die Händler als Untervermittler einsetzen. Werden diese dann als HV im Nebenberuf tätig, können sie zwar gegenüber dem Hauptvermittler keinen Ausgleich bei Vertragsbeendigung geltend machen. Wohl aber kann dies der Hauptvermittler gegenüber dem Versicherer.124

J. Absatz 2 Gem. Abs. 2 darf sich der Unternehmer auf die Rechtsfolgen des Abs. 1 nur berufen, falls er den 22 HV bei Vertragsabschluss ausdrücklich und wirksam als nebenberuflichen bezeichnet.125 Fehlt diese Vereinbarung oder ist sie unwirksam (etwa nach §§ 307, 242, 138 BGB), kann sich der Unternehmer nicht auf die Vorteile des § 92b berufen.

I. Vereinbarung Die Betrauung als HV im Nebenberuf ist kein einseitiges Rechtsgeschäft, sondern ein Vertrag. 23 Die Gegenseite muss das Vertragsangebot annehmen,126 zumindest nach § 151 BGB.127 Der Ver-

Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 20. Begr. z. RegE, BT-Drucks. I/3856, S. 42 f.; Oetker/Busche6 § 92b Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 6. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 1; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 1. 124 Valdini MDR 2019, 774 (778). 125 BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer) Rn 12; ZIP 1998, 2152 (2154, 2155); BGHZ 43, 108 (114, 115); Valdini MDR 2019, 774; Baums BB 1986, 891; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 108; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 12; Giesler/Klapperich22 § 2 Rn 62; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 13; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 12; Hopt § 92b Rn 2. 126 Valdini MDR 2019, 774. 127 Valdini MDR 2019, 774 (775).

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tragsschluss kann auch aufschiebend bedingt erfolgen.128 Er unterliegt keinem Formerfordernis (§ 85) und kann daher auch durch AGB oder sogar mündlich oder konkludent erfolgen.129

II. Ausdrückliche Benennung als Handelsvertreter im Nebenberuf 24 Von dem Vertragsschluß ist die in Abs. 2 geforderte ausdrückliche Benennung als HV im Nebenberuf zu unterscheiden. Meist geht beides einher. Der Grund für das „Benennungserfordernis“ liegt in der mit der Benennung verbundenen Warnfunktion, die Kenntnis der Rechtsfolge durch den HV voraussetzt. Die Benennung muss „ausdrücklich“ erfolgen. Ausdrücklich bedeutet nicht schriftlich. Auch hier gilt keine Form.130 Die Benennung kann daher auch formlos,131 mündlich,132 konkludent133 oder in nicht unterzeichneten AGB134 geschehen, muss aber wie der Vertragsschluß selbst Teil einer, ggf. mittels jederzeit zulässiger Vertragsänderung, durchgeführten konsensualen Einigung sein.135 Die bloß einseitige Benennung durch eine Vertragspartei genügt nicht.136 Dem Erfordernis der Ausdrücklichkeit ist, wie für § 48, genügt, sofern in der Betrauung unmissverständlich und deutlich137 zum Ausdruck kommt, dass die übertragene Vertretung eine nebenberufliche oder nur zusätzliche Beschäftigung des HV sein solle. Nicht erforderlich ist, dass der Terminus „Handelsvertreter im Nebenberuf“ als solcher gebraucht wird.138 Wird jedoch eine Beurkundung der Vertragsbedingungen nach § 85 verlangt, dann ist die Bezeichnung „Handelsvertreter im Nebenberuf“ aufzunehmen. Die Einigung ist nur wirksam, wenn sie zum Zeitpunkt der Vereinbarung den Tatsachen entspricht. 25 Es spricht viel dafür, die Einigung auch längere Zeit nach einer eventuellen Statusänderung (Rn 34 ff.) für zulässig zu halten. Der Zweck des Abs. 2, die Warnfunktion, fordert nicht, dass der HV zeitgleich mit der Aufnahme der nebenberuflichen Tätigkeit als HV im Nebenberuf bezeichnet wird. Eine Apostrophierung während der Hauptberuflichkeit bliebe ohnehin unzulässig.

III. Abs. 2 ist zwingendes Recht 26 Abs. 2 ist zu Gunsten des HV zwingendes Recht und nicht abdingbar139 (Rn 44 ff.). Die Vorschrift darf aber zu Lasten des Unternehmers und damit zu Gunsten des HV abgeändert werden. Es kann insb. nicht bestimmt werden, dass der Unternehmer sich auch dann auf Abs. 1 berufen kann, wenn eine nebenberufliche Tätigkeit nicht ausdrücklich vereinbart war.140 Weiter zur zwingenden Natur s. u., N. 128 129 130 131 132 133 134

Valdini MDR 2019, 774. Valdini MDR 2019, 774 (775). Valdini MDR 2019, 774 (775). Oetker/Busche6 § 92b Rn 9. Valdini MDR 2019, 774 (775). Valdini MDR 2019, 774 (775). Valdini MDR 2019, 774 (775); Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 15; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 23; aA Hopt § 92b Rn 3. 135 Valdini MDR 2019, 774. 136 AA Hopt § 92b Rn 3. 137 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 15; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 7. 138 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 7. 139 BGH ZIP 1998, 2155; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 12; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 13; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 15; Hopt § 92b Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 32. 140 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 32; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 7. Emde

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IV. Geltendmachung Das bedeutet für die Geltendmachung der Rechte aus § 92b: Der HV kann sich (vorbehaltlich des Arglisteinwandes) auch dann auf seine Eigenschaft als nebenberuflicher HV berufen, wenn der Unternehmer ihn im Vertrag nicht ausdrücklich als nebenberuflichen HV bezeichnet hat141 und der Unternehmer deshalb an der Ausübung der ihm durch § 92b gegebenen Rechte gehindert sein sollte.142 Der HV darf also den auf unbestimmte Zeit eingegangenen Vertrag in Abweichung von § 89 mit Monatsfrist für den Schluss eines Kalendermonats kündigen. Ihm obliegt dann freilich die Beweislast für die Nebenberuflichkeit.143 Im bloßen Schweigen auf die Behauptung des Unternehmers, der HV sei ein solcher im Nebenberuf, liegt kein Berufen des HV auf seine Nebenberuflichkeit; ebenso wenig, falls der HV sich gegen eine Rechtsfolge wehrt, vor der ihn § 92b schützt. Es bedürfte einer ausdrücklichen Äußerung des HV. Der Unternehmer hingegen darf sich auf die ihm günstigen Wirkungen des Abs. 1 nur berufen, wenn er den HV bei Abschluss des Vertretervertrages oder mittels späterer Vertragsänderung ausdrücklich und wirksam als HV im Nebenberuf bezeichnet hat (Abs. 2). Sonst muss er die Normalregelungen des HV-Rechts gegen sich gelten lassen.144 Der HV darf jederzeit die Unwirksamkeit der Vereinbarung seiner Nebenberuflichkeit behaupten und seine Eigenschaft als hauptberuflicher HV geltend machen145 (Ausgleich!). Er hat gegenüber der vertraglichen Kennzeichnung nicht die volle Beweislast ihrer Unrichtigkeit.146 Das Gegenteil ist richtig: Beweispflichtig für die Geltung des § 92b als Ausnahmevorschrift ist derjenige, welcher sich auf sie beruft. Es kommt immer auf die tatsächlichen Verhältnisse im Lichte der Verkehrsanschauung (Abs. 3) an.147 Sofern die Vereinbarung der Nebenberuflichkeit unwirksam war, darf sich der HV gleichwohl auf sie berufen, sofern der Unternehmer die Bestimmung eingefügt hat (wofür meist eine Vermutung streitet).148 Denn der Unternehmer darf sich auf die Unwirksamkeit der von ihm eingefügten Regelung schon nach § 242 BGB (widersprüchliches Verhalten) nicht berufen. Das gilt insb., aber nicht ausschließlich, falls es sich um vom Unternehmer gestellte AGB handelt. Nach aA sind auch in dieser Situation die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich.149

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V. Nebenberuflichkeit ist trotz fehlender ausdrücklicher, vertraglicher Benennung unstrittig Schwierig zu beurteilen sind die Fälle, in denen die Nebenberuflichkeit trotz fehlender aus- 32 drücklicher Benennung im Vertrag unstrittig ist. Ist dann § 92b anzuwenden, obwohl der HV nicht ausdrücklich als solcher im Nebenberuf apostrophiert wurde? Problematisch kann dieser Fall nur bei der Anwendung zugunsten des Unternehmers werden. Denn bei der Anwendung des Abs. 1 zugunsten des HV kommt es ohnehin allein auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Eine Ansicht will hier trotz fehlender Benennung des HV als nebenberuflich die Rechtsfolge des 141 BGHZ 43, 113; Hopt § 92b Rn 4; Oetker/Busche6 § 92b Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 24. 142 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 13. 143 BGHZ 43, 113; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 30; Hopt § 92b Rn 4; Oetker/Busche6 § 92b Rn 10; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 24.

144 Hopt § 92b Rn 3. 145 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 13. 146 AA Staub/Brüggemann4 § 92b Rn 8; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 109; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht § 92b Rn 13; LAG Hamm BB 1971, 439.

147 Siehe BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer) Rn 12, 18. 148 Hopt § 92b Rn 4; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 24. 149 Höft VersR 1973, 154; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 15. 887

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Abs. 1 durchgreifen lassen.150 Begründet wird dies auch mit dem „prozessualen Charakter“ des Abs. 2.151 Tatsächlich dürfte es sich bei Abs. 2 um eine materiell-rechtliche Norm handeln. Der Wortlaut des § 92b Abs. 2, der eine ausdrückliche vertragliche Einigung über die Nebenberuflichkeit fordert, spricht eher gegen die Geltung bei unstreitigem Vortrag trotz fehlender Benennung.152 Der Schutzgehalt der Norm und die Warnfunktion der Benennung unterstreicht diese Auslegung. Außerdem soll die Benennung für vertragliche Klarheit sorgen. Dem kann auch nicht mit dem Argument entgegnet werden, bei der übereinstimmenden Erklärung der Vertragsparteien, derzufolge ein HV nebenberuflich tätig sei, handele es sich um eine tatsächliche Feststellung und nicht um eine unzulässige, auf die Begründung von Rechten gerichtete Vereinbarung.153 Die Wirkungen wären dieselben: der HV soll aber vor jeder Derogation der zwingenden Vorschriften geschützt werden, gleich in welchem Gewande. Dem HV, der sich auf Abs. 2 als gesetzliche Vorschrift stützt, kann regelmäßig auch kein Arglisteinwand entgegengesetzt werden.154 Denn der Unternehmer hat es versäumt, den HV durch die Benennung schon bei Vertragsschluss vor den Rechtsfolgen des Abs. 1 zu warnen. Die spätere Einigkeit über die rechtliche Einordnung ändert hieran nichts. Ein Richter müsste auch nicht sehenden Auges ein materiell unrichtiges Urteil erlassen, wenn die Eigenschaft als HV im Nebenberuf unstrittig ist. Abs. 2 ist Teil des anwendbaren materiellen Rechts und fordert gerade die Nichtanwendung des Abs. 1, falls die Bezeichnung als nebenberuflich versäumt wurde. Abhilfe schafft eine Auslegung, die in diesen Fällen eine – allerdings nachträgliche – konkludente Einigung auf die Nebenberuflichkeit oder einen Verzicht der aus der fehlenden Benennung entstehenden Rechte annimmt, die bzw. der zulässig sein dürfte, wenn man wegen des Schutzzweckes der Warnfunktion keine Einigung vor Aufnahme der nebenberuflichen Tätigkeit fordert. Diese vertragliche Einigung unterliegt aber den allgemeinen Grenzen ihrer Zulässigkeit. Auch in ihrem Rahmen darf ein HV, der tatsächlich kein HV im Nebenberuf ist, nicht als solcher bezeichnet werden. Zudem wird man die Einigung – wie z. B. im Rahmen des § 89b Abs. 4 – nur zulassen dürfen, falls sie ohne Druckmöglichkeit des Unternehmers, leitbildartig nach Vertragsende, zustande kommt.

K. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Eingreifen des § 92b 33 Fraglich ist, ob es bei der Abwägung über das Eingreifen der Nebenberuflichkeit auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt oder eine ex-post-Betrachtung geboten ist. Für eine expost-Betrachtung spricht, dass bei Vertragsbeginn nicht immer ausreichende Tatsachen vorliegen, auf deren Grundlage eine Schätzung möglich ist. Eine abschließende Beurteilung ist bei Vertragsbeginn also schwer möglich.155 Außerdem wird ein Gericht im Streitfall kaum eine Prognoseentscheidung berücksichtigen, wenn sich das Vertragsverhältnis tatsächlich in eine andere Richtung entwickelt hat.156 Der Wortlaut des § 92b, der auf den „tätigen“ HV abstellt, spricht ebenfalls dafür, dass für eine Beurteilung nach der Verkehrsauffassung die gesamte Vertragslaufzeit zu berücksichtigen ist.157 Gleichwohl ist im Grundsatz bei der Frage, ob eine Nebenberuflichkeit vorliegt, von dem Datum der Vereinbarung der Nebenberuflichkeit auszugehen. Von

150 BGH, Urt. v. 21.1.1965 – VII ZR 22/63, BGHZ 43, 108 (114) = NJW 1965, 1132; Küstner BB 1966, 1214; Küstner/ Thume/Küstner II8 Kap. II Rn 138; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 11; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 8. 151 Küstner/Thume/Küstner II8 Kap. II Rn 138; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 8. 152 So auch MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 30. 153 So jedoch Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 13. 154 AA Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 8. 155 Valdini MDR 2019, 774 (775). 156 Valdini MDR 2019, 774 (775). 157 Valdini MDR 2019, 774 (775). Emde

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diesem Datum an ist die Wirksamkeit von Vertragsänderungen entsprechend den nachfolgenden Grundsätzen zu untersuchen.

L. Wechsel zwischen Haupt- und Nebenberuflichkeit Die Qualität der HV-Tätigkeit ist wandelbar. Sie kann zum Hauptberuf werden, indem der HV 34 sie in entsprechendem Maße ausweitet, ggf. seine bisherige hauptberufliche Tätigkeit aufgibt.158 Die Veränderung ist also von der einen wie der anderen Richtung her denkbar.

I. Der Fall der Ausweitung zum Hauptberuf Vom Augenblick der Ausweitung der HV-Tätigkeit von der Neben- in die Hauptberuflichkeit ab 35 verlieren die in § 92b geregelten Ausnahmen vom regulären Handelsvertreterrecht ihre Kraft (Rn 33). War der HV nicht nach Abs. 2 vertraglich als HV im Nebenberuf benannt, so ist der Verlust der Nebenberuflichkeit aber nur insoweit von Bedeutung, als der HV sein vereinfachtes Kündigungsrecht nach Abs. 1 verliert: Ohne vertragliche Bestellung als nebenberuflicher HV muss der Unternehmer den HV ohnehin als solchen im Hauptberuf behandeln.159 Ist der HV im Vertrag ausdrücklich (Abs. 2) als ein solcher im Nebenberuf mit der Geschäftsvermittlung benannt worden, so soll nach einer Auffassung160 jene Funktion Bestandteil des vertraglichen Konsenses geworden sein: Der Status als nebenberuflicher HV und seine Beibehaltung sei Vertragspflicht; seine Änderung eine Vertragsverletzung. Durch die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse und die „Umstufung“ verlasse der HV nicht automatisch den Anwendungsbereich des § 92b;161 der HV könne sich nicht einseitig ohne Vertragsänderung zum hauptamtlichen Vertreter aufschwingen,162 etwa indem er seine ganze Arbeitskraft der Vertretung widme163 (Vertragstheorie164). Teilweise wird die Einschränkung vorgenommen, der Unternehmer dürfe sich nicht auf die Vertragsbestimmung berufen, falls die tatsächliche Hauptberuflichkeit zwischen den Parteien unstreitig sei.165 Eine Rückkehr zu den allgemeinen Regelungen, den Kündigungsfristen des § 89, dem Ausgleichsanspruch und dem unabdingbaren Vorschussanspruch kann nach dieser Auffassung erst durch eine vom HV herbeizuführende,166 durch konkludentes Verhalten mögliche Vertragsänderung entstehen.167 Die Änderung der gegenwärtigen Stellung des HV könne etwa mit stillschweigendem Einverständnis, insbesondere mit Duldung des Unternehmers, erfolgen (was spätestens daraufhin maßgeblich werde168). Beispiele: Weiterbeschäfti-

158 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 29. 159 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 25. 160 LG Hannover, Urt. v. 4.7.1972 – 9 S 56/72, VersR 1973, 153 m. zust. Anm. Höft; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 109; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 14; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 13; Hopt § 92b Rn 5; Staub/Brüggemann4 § 92b Rn 10; offen gelassen von OLG Bamberg HVR (97) Nr. 933. 161 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 7. 162 LG Hannover, Urt. v. 4.7.1972 – 9 S 56/72, VersR 1973, 153 m. zust. Anm. Höft; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 109; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 14; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 13; Hopt § 92b Rn 5; Staub/Brüggemann4 § 92b Rn 10; offen gelassen von OLG Bamberg HVR (97) Nr. 933. 163 AA für diesen Fall BGH BB 1999, 71. 164 Hopt § 92b Rn 5. 165 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 9. 166 Küstner BB 1999, 541 (544). 167 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 109; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 26. 168 LG Hannover VersR 1973, 153 m. Anm. Höft. 889

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gung in Kenntnis der Umstufung169 oder wenn der Unternehmer aus der Entwicklung des Vertragsverhältnisses, dem ansteigenden Provisionszufluss und Tätigkeitsumfang des HV, auf eine geänderte rechtliche Stellung des HV schließen müsse.170 So ließ der BGH ein stillschweigendes Einverständnis zur Heraufstufung von der Neben- zur Hauptberuflichkeit dann genügen, wenn eine VV nach der Verkehrsaufassung in einem hauptberuflichen Umfang tätig war und der Versicherer sich damit stillschweigend einverstanden erklärte, indem er ihre Vermittlungsdienste weiterhin widerspruchslos entgegennahm, nachdem sie dem Unternehmer mitgeteilt hatte, das Kundenbüro hauptberuflich zu führen.171 Dies müsste auch gelten, falls über den Vertragsinhalt nach § 85 eine Urkunde ausgestellt worden ist, welche den HV als einen nebenberuflichen bezeichnet. Solchenfalls würde dem HV ein Anspruch auf Berichtigung der Urkunde erwachsen.172 Dieser Vertragstheorie, die konsequenterweise auch für die Herabstufung der Tätigkeit von 36 der Haupt- zur Nebenberuflichkeit gelten müsste, stehen Bedenken entgegen: Bereits der den HV schützende Charakter des § 92b Abs. 2 spricht gegen diese Ansicht.173 Auch tritt die Privilegierung des Unternehmers nach § 92b nicht vermöge der (ggf. durch den Unternehmer formulierten) Benennung im Vertrag, u. U. in aufgrund ihres Widerspruches zu den tatsächlichen Verhältnissen unwirksamen AGB, ein, sondern allein durch die tatsächlichen Umstände (Abs. 1, 3).174 Abs. 2 begrenzt die Rechte des Unternehmers und dient der Warnung des HV, nicht der konsensualen Festschreibung. Die Vorschrift darf nicht so verstanden werden, als folge aus der Benennung ein über den zwingenden Regeln der §§ 84 ff. stehendes Recht zu ihrer Derogation, selbst wenn die TB-Voraussetzungen des § 92b objektiv nicht mehr vorliegen. Anderenfalls könnte entgegen dem zu Rn 22 ff. Ausgeführten die Rechtsstellung des HV unzutreffend festgelegt werden. Oft wird der Unternehmer dadurch geschützt, dass der HV nicht ohne Zutun des Unternehmers seine Tätigkeit zur Hauptberuflichkeit ausweiten kann. Der HV handelt auch nicht treuwidrig, falls er sich auf den Eintritt der Änderung beruft.175 Wäre man aA, bliebe Voraussetzung, dass sich dem Vertrag ein klares Verbot der vertraglichen Umstufung entnehmen lässt, was sich meist nicht, wegen der Unklarheitenregel insb. nicht bei AGB, aus der Vereinbarung herleiten lassen wird. 37 Der HV muss den Unternehmer über den ihm bekannten Wechsel von der Neben- in die Hauptberuflichkeit unterrichten.176 Regelmäßig gibt die Umstufung als solches dem Unternehmer jedoch kein Recht zur außerordentlichen Kündigung,177 weil sich der Vertrag lediglich dem Leitbild der §§ 84 ff. unter Ausschluss des § 92b nähert. Der Unternehmer kann auf die Statusänderung mit einer ordentlichen Kündigung reagieren.178 Eine Änderungskündigung hilft wenig, da von der Verkehrsauffassung nicht abgewichen werden kann.179 Im Falle einer Kündigung wird der Unternehmer keinen nennenswerten Ausgleich schulden.180 Eine auflösend bedingte Bestellung des HV wäre risikoreich. Denn endet die Bestellungsvereinbarung kraft Bedingungseintritt und führen die Parteien das HV-Verhältnis in Unkenntnis der veränder169 BGH ZIP 1998, 2152 (2154) m. Anm. Escher BB 1999, 72 sowie Küstner BB 1999, 541 (543); LG Hannover VersR 1973, 153; Höft VersR 1973, 154 (155); Giesler/Klapperich22 § 2 Rn 62; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 26; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 27. 170 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 10. 171 BGH, Urt. v. 4.11.1998 – VIII ZR 248/97, WM 1999, 388 = NJW 1999, 639; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeil. Nr. 1/ 2005, S. 24; Ensthaler/Genzow § 92b Rn 4. 172 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 15. 173 So auch Valdini MDR 2019, 774 (776). 174 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 26 f. 175 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 27. 176 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 23. 177 Valdini MDR 2019, 774 (777). 178 Valdini MDR 2019, 774 (777). 179 Valdini MDR 2019, 774 (777), aA Ebenroth/Löwisch3 § 92b Rn 10, 22, 28. 180 Valdini MDR 2019, 774 (777). Emde

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ten Sachlage fort, kann sich der Unternehmer – mangels erneuter Bestellung i. S. d. § 92b Abs. 1 – nicht mehr auf die Nebenberuflichkeit des HV berufen, selbst wenn diese zu einem späteren Zeitpunkt wieder objektiv vorliegt.181 Die unterlassene Mitteilung des HV kann zu einem Schadenersatzanspruch führen,182 etwa bei einem Schaden, der dem Unternehmer durch die Fortführung des Vertrages in Unkenntnis der Hauptberuflichkeit entsteht. Zu denken ist etwa an einen nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist eintretenden „Fortbeschäftigungsschaden“, etwa durch die Erhöhung des Ausgleichsanspruchs. Eine Mitteilungspflicht setzt Kenntnis des HV von der Änderung sowie Kenntnis der Rechtserheblichkeit voraus (Parallelwertung in der Laiensphäre). Ggf. führt sie auch zu einem außerordentlichen Kündigungsrecht.183

II. Rechtsfolgen des Verlustes der Nebenberuflichkeit Wenn sich die nebenberufliche Tätigkeit kraft Gesetzes, tatsächlicher Umstände oder Vereinba- 38 rung zum Hauptberuf ausweitet bzw. der Wegfall der Rechtsfolgen des § 92b vereinbart wird, gelten die Einschränkungen des § 92b nicht mehr. Der HV ist hauptberuflicher HV: es entsteht ab jetzt ein Ausgleichsanspruch; derogierte zwingende Regelungen werden nunmehr unabdingbar (an ihre Stelle tritt die nach dem Gesetz unabdingbare); nur bei einer zur Zeit der Tätigkeit als nebenberuflicher HV zugegangenen Kündigung werden deren Fristen nach Abs. 1 bestimmt. Ist die Kündigung des Vertrages an einem Tag zugegangen, an dem der HV noch nebenberuflich tätig war, gelten die Fristen des § 92b Abs. 1 auch, falls der HV nachträglich zum HV im Hauptberuf wird.184 Bei der Berechnung der nach Ende der Nebenberuflichkeit maßgeblichen Kündigungsfrist gem. § 89 wird die Zeit der nebenberuflichen Tätigkeit einbezogen.185 Der Ausgleichsanspruch steht dem HV nur dann nicht zu, wenn er am Tag des Vertragsendes noch HV im Nebenberuf ist.186 Sofern die Parteien nichts Abweichendes, für den HV Günstiges vereinbart haben, werden in die Ausgleichsberechnung nur die Kunden und Umsätze187 einbezogen, welche der HV vom Beginn der Umwandlung des Vertrages an geworben hat.188 Insb. sind Kunden, die der HV während seiner Zeit als nebenberuflicher HV geworben hat, nicht als Neukunden ausgleichspflichtig.189 Erst zum Zeitpunkt der Hauptberuflichkeit oder während einer vor der Nebenberuflichkeit bestehenden Hauptberuflichkeit (insoweit gilt der HV-Vertrag als einheitlicher) geworbene Kunden sind ausgleichsrechtliche Neukunden. Vorher geworbene Kunden können aber als erweiterte Altkunden ausgleichspflichtig sein. Die Paralleldiskussion in § 92c zur Ausweitung der EU oder des EWR in ein vorher von der Derogationsfreiheit des § 92c betroffenem Land (s. d. Kommentierung zu § 92c) kann übertragen werden.

III. Der Fall der Herabstufung zur Nebenberuflichkeit Eine für den Unternehmer günstige Herabstufung von der Hauptberuflichkeit zur Nebenbe- 39 ruflichkeit ist wegen Abs. 2 nur relevant, wenn sie ausdrücklich im Vertrag erfolgt.190 Nur der

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Valdini MDR 2019, 774 (776). Höft VersR 1973, 155; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 22. Valdini MDR 2019, 774 (777). Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 6. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 27. Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 6. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 27. Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 8a. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 8a. Valdini MDR 2019, 774 (777). Emde

§ 92b

1. Buch. Handelsstand

HV kann sich auf die ohne Benennung nach Abs. 2 eintretende Herabstufung berufen. War der HV schon vor der Herabstufung – unrichtig – als HV im Nebenberuf bezeichnet worden, bleibt diese Vereinbarung wegen ihres seinerzeitigen Widerspruchs zu den tatsächlichen Verhältnissen unwirksam und sie wird auch nicht durch die Herabstufung nachträglich wirksam. Sonst würde die Bezeichnung der Nebenberuflichkeit regelmäßig eingefügt, in der Hoffnung auf Heilung durch die zukünftige Entwicklung. Für den Fall der Herabstufung fordert Hopt191 eine (regelmäßig wohl unzulässige) Teilkündigung, derer es aber wegen der Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse für die rechtliche Einordnung wohl nicht bedarf. Die Herabstufung kann im ausgleichsrechtlichen Sinne einer (Teil)Beendigung des Vertrages nahe kommen, so dass für die bereits ausgleichspflichtigen Kunden ein Ausgleichsanspruch gefordert werden kann192 (s. d. Kommentierung zu § 89b). Das dürfte jedenfalls gelten, wenn die Herabstufung, dem Leitbild der ausgleichsbegründenden Unternehmerkündigung nahe, auf einem Verhalten des Unternehmers beruht. Wird ein solcher Ausgleich geleistet, kann im Fall der Statusveränderung zum hauptberuflichen HV nach Vertragsende für die so ausgeglichenen Kunden kein erneuter Ausgleich reklamiert werden. 40 Auch beim Wandel von der Haupt- zur Nebenberuflichkeit bestehen Informationspflichten (Rn 34 ff.).193 Dem Unternehmer muss Gelegenheit gegeben werden, die Vereinbarung nach Abs. 2 herbeizuführen194 oder ordentlich zu kündigen. Unterbleibt die Mitteilung, liegt eine Pflichtwidrigkeit vor; der Unternehmer kann auch in dieser Situation Ersatz eines eingetretenen Schadens oder ggf. Freistellung fordern. Der HV ist verpflichtet, an der Vertragsänderung zwecks Benennung nach Abs. 2 mitzuwirken. Allerdings ist auch eine gegenteilige Ansicht vertretbar, nach der keine Vertragsanpassungspflicht des HV besteht. Sie ist insb. konsequent, wenn man mit der oben genannten Meinungsgruppe (Rn 35) annimmt, die Nebenberuflichkeit könne durch die Benennung nach Abs. 2 zwingend vereinbart werden. Gleiches müsste dann für den hier behandelten spiegelbildlichen Fall der Vereinbarung der Hauptberuflichkeit gelten. Vor allem müsste der HV befürchten, für alle Zeit an dieser Benennung festgehalten zu werden. Deshalb muss verhindert werden, dass der HV auch nach einer Rückkehr zur Hauptberuflichkeit an die Nachteile der vereinbarten Nebenberuflichkeit gebunden ist. Falls man nicht der hier vertretenen Ansicht folgt, derzufolge durch die Benennung nach Abs. 2 die Nebenberuflichkeit nicht vertraglich vereinbart wird (Rn 36), wird man eine korrespondierende Pflicht des Unternehmers befürworten müssen, nach einer Rückstufung von der Haupt- zur Nebenberuflichkeit die Bestimmung nach Abs. 2 zu streichen. Nimmt man eine Pflicht des HV zur Vertragsänderung an, ist es konsequent, die verweigerte Vertragsänderung nach Abmahnung als einen außerordentlichen Kündigungsgrund anzusehen.195 Das Kündigungsrecht nach Abs. 1 erwirbt der HV nicht erst mit dem von ihm zu beweisen41 den Zugang der Nachricht über das Vorliegen der Nebenberuflichkeit beim Unternehmer196 sondern bereits mit dem Eintritt der Nebenberuflichkeit, also ihrem objektiven Vorliegen. Eine zuvor gem. § 89 erklärte Kündigung bleibt wirksam.197 Jedoch gelten die Fristen des § 92b ab dem Wirksamwerden der Rechtsänderung bzw. Zugang der Kündigung beim Unternehmer, sofern das Vertragsverhältnis nicht schon vorher nach § 89 endet.198 Der Ausgleichsanspruch entsteht für die Zukunft nicht mehr. Für die Vergangenheit ist er fristgerecht geltend zu machen.199 Wird der Vertrag später zur Hauptberuflichkeit heraufgestuft, können auch erworbene Ausgleichsan191 192 193 194 195 196 197 198 199

Hopt § 92b Rn 5. OLG Nürnberg, Urt. v. 18.9.1958 – III U 23/58, BB 1958, 1151; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 89b Rn 53. Valdini MDR 2019, 774 (777); Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 23. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 23; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 13. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 23; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 13; Höft VersR 1973, 155. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 26. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 27. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 27. Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 27.

Emde

892

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92b

wartschaften aus früherer Zeit der Hauptberuflichkeit geltend gemacht werden. Die Frist des § 89b Abs. 4 S. 2 steht nicht entgegen, weil keine Vertragsbeendigung vorliegt. Sie gilt nur (analog) im Falle der Herabstufung ohne Wiederaufleben der Ausgleichsberechtigung mittels Heraufstufung.

M. Absatz 4: Versicherungs- und Bausparkassenvertreter Abs. 4 hätte es wegen § 92 Abs. 2 und 4 nicht bedurft.200 Trotz der hohen Zahl nebenberuflich 42 tätiger VV201 ist die Regelung daher überflüssig und hat allenfalls klarstellende Bedeutung.202 Wenn Abs. 4 Inhalt zu entnehmen sein sollte, ist es der, dass keine statische Anwendung der Abs. 1–3 erfolgen soll, sondern eine auf den Einzelfall bezogene, rechtsfolgenorientierte („sinngemäß“).

N. Umgehungsversuche In der Praxis soll durch die fälschliche Benennung als HV im Nebenberuf meist der Ausgleichs- 43 anspruch ausgeschlossen werden.203 Umgehungsversuche sind seit Jahrzehnten zahlreich und scheitern regelmäßig204 an der Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse für die Statusfrage (Rn 7). Umgehungen, etwa durch das Vorschieben von Schwestergesellschaften als weitere Einkommensquellen, scheiden damit aus. Wenn z. B. die Tätigkeit des Tankstellenvertreters kein Nebenberuf gegenüber den im Verhältnis zum Unternehmer erbrachten Leistungen als Pächter und FN darstellt, so gilt das gleiche, falls eine Schwestergesellschaft des Unternehmers den Pacht- und Franchisevertrag zeichnet.205 Ohnehin kommt es nicht auf eine Identität der Geschäftsherren an.

O. Abweichende Vereinbarungen § 92b ist mit Ausnahme seines Abs. 2, von dem nicht zu Lasten des HV abgewichen werden 44 darf,206 dispositiv. Die Parteien können von der in Abs. 1 vorgesehenen Kündigungsregelung abweichen207 und einen Ausgleichsanspruch vereinbaren.208 Jedoch müssen, wie dargestellt, die Kündigungsfristen und Kündigungstermine für HV und Unternehmer gleich lang sein. Valdini209 empfiehlt, ausdrücklich zu vereinbaren, dass die Bestellung nur vorsorglich erfolgt und der Unternehmer sich nur dann und insoweit auf die Nebenberuflichkeit berufen wird, als der HV tatsächlich nebenberuflich tätig wird. Es könne auch früher angesetzt und die Betrauung aufschiebend bedingt vereinbart werden, wobei der Bedingungseintritt mit konkreten Fallsituationen verknüpft wird, in denen regelmäßig ein Wechsel vom Haupt- zum Nebenberuf vorliegen 200 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 11. 201 Baums BB 1986, 891; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 11; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92b Rn 13.

202 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 11; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 2; Hopt § 92b Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 14; aA Baums BB 1986, 891. Emde VersR 1999, 1467; Thume BB 2007, 1751. Thume BB 2007, 1751. Thume BB 2007, 1751. Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 12; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 14; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyingen-Huene § 92b Rn 32. 207 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 31. 208 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 31. 209 Valdini MDR 2019, 774 (777).

203 204 205 206

893

Emde

§ 92b

1. Buch. Handelsstand

soll.210 Hierdurch erkenne der Unternehmer an, dass der HV grds. hauptberuflich für ihn tätig sei und die bedingte Bestellung nicht rechtsmissbräuchlich in den Vertrag mit aufgenommen wurde.211 Letzteres hilft aber wenig, da von der Verkehrsauffassung nicht abgewichen werden kann (dazu sogleich). 45 Für das Verhältnis des Abs. 2 zu Abs. 3 ist folgendes zu beachten: Maßgeblich ist immer die Verkehrsauffassung. Was nach ihr gilt, kann nicht derogiert oder bestimmt werden: Handelt es sich nach der Verkehrsauffassung nicht um einen HV im Nebenberuf, darf der Unternehmer wegen der zu seinen Lasten zwingenden Natur des Abs. 2 die Rechtsfolgen des Abs. 1 nicht vereinbaren.212 Ganz generell dürfen die Parteien nicht vereinbaren, was unter der Verkehrsauffassung zu verstehen ist.213 Ein HV, der entsprechend der Verkehrsauffassung hauptberuflich tätig ist, kann daher selbst durch Individualvereinbarung nicht zum nebenberuflichen Vertreter herabgestuft werden,214 schon gar nicht mittels AGB.215 Die Parteien dürfen auch nicht, um das mit der Verkehrsauffassung verbundene Prognoserisiko zu verringern, § 92b Abs. 3 abbedingen und bestimmte Tatsachen als Grundlage der Verkehrsauffassung unstrittig stellen.216 Zum Zeitpunkt, der für die Einordnung als Haupt- oder Nebenberuf maßgeblich ist, s. u. 46 Ob der Wegfall weiteren Schutzes durch eine besonders rigide Inhaltskontrolle gem. §§ 305 ff. BGB kompensiert werden muss,217 sollte differenziert beantwortet werden. Hinsichtlich des Wegfalls des Ausgleichs- sowie des Vorschussanspruches gibt es auch durch eine AGBPrüfung nichts zu kompensieren. Das Nichtentstehen ist vom Gesetz vorgesehen. Jedoch sind die vertraglichen Kündigungsregeln sowohl im Individualvertrag anhand von § 242 BGB wie in AGB anhand der §§ 307 ff. BGB zu überprüfen, wobei angesichts der Kürze der in § 89 genannten Fristen zweifelhaft ist, ob man sich von diesem Leitbild sehr weit entfernen darf. Jedenfalls muss in AGB die Benennung als nebenberuflicher HV bei abstrakt-genereller Betrachtung in allen Fällen zutreffend sein. Das gilt auch, wenn der einzelne HV tatsächlich ein nebenberuflicher ist. Zweifel an der Wirksamkeit der Klausel gehen zu Lasten des Unternehmers.218 So können Tankstellenvertreter nicht entgegen den tatsächlichen Verhältnissen in AGB als HV im Nebenberuf bestimmt werden.219 Sie sind angesichts des Shop-Geschäfts nicht Ladeninhaber im „Hauptberuf“ und HV im „Nebenberuf“.220 Der HV darf sich aber auf die unwirksame Vereinbarung berufen (s. o.). Hat die Vereinbarung der Tätigkeit als „HV im Nebenberuf“ die Zielsetzung, § 89b auszuschließen, kann die Klausel auch wegen Verstoßes gegen § 89b Abs. 4 unwirksam sein, zudem gem. § 307 BGB.221 Die vorsätzlich oder fahrlässig entgegen den tatsächlichen

210 Valdini MDR 2019, 774 (777). 211 Valdini MDR 2019, 774 (777). 212 BGH, Urt. v. 4.11.1998, MDR 1999, 240 = ZIP 1998, 2152 = BB 1999, 71 (m. Anm. Schaer); v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer); OLG Hamburg, Urt. v. 30.3.2006 – 10 U 16/05; Thume BB 2007, 1751; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 4; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 22; aA Valdini MDR 2019, 774 (777). 213 Valdini MDR 2019, 774 (775). 214 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. II Rn 104; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 § 92b Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 7. 215 BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer); OLG Hamburg, Urt. v. 30.3.2006 – 10 U 16/05. 216 Valdini MDR 2019, 774 (775); aA Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 10. 217 Martinek/Flohr3 § 12 Rn 26. 218 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 15. 219 BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer). 220 BGH, Urt. v. 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977 = BB 2007, 1750 m. Anm. Thume = EWiR 2008, 17 (Döpfer). 221 Ensthaler/Genzow § 92b Rn 8. Emde

894

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92b

Verhältnissen erfolgte Bezeichnung als nebenberuflicher HV kann Schadensersatzansprüche auslösen.222 Zudem mag ein Anfechtungsrecht eingreifen.223

P. Beweislast Für die tatsächliche Nebenberuflichkeit als Ausnahme von der Hauptberuflichkeit ist die Partei 47 beweispflichtig, zu deren Vorteil sie gereicht und die sich auf diesen Vorteil berufen will.224 Meist ist dies der Unternehmer, der sich mit der Nebenberuflichkeit gleich einer „Einrede“ verteidigt.225 Es kann davon ausgegangen werden, dass ein HV nebenberuflich tätig sein wird, wenn er bei Aufnahme der HV-Tätigkeit bereits eine dauerhafte und nachhaltige Einnahmequelle hat, die ihm als Existenzgrundlage dient und auch weiterhin dienen wird.226 Der Unternehmer muss zudem die Bestellung nach Abs. 2 beweisen (widrigenfalls er sich nicht auf die Nebenberuflichkeit berufen kann), wozu bei Schriftlichkeit meist die Vorlage des Vertrages genügt.227 Das gilt auch für den Ausschluss des Ausgleichs wegen Nebenberuflichkeit und damit für die fehlende Neukundenwerbung während der Hauptberuflichkeit. Die Bezeichnung des HV im Vertrag als nebenberuflicher ändert an dieser Beweislastverteilung nichts,228 besonders falls die Bezeichnung mittels standardisierter AGB erfolgte.229 Nicht etwa obliegt dem trotz Bestellung nach Abs. 2 die Unternehmerrechte nach § 92b leugnenden HV, etwa dem Ausgleich oder Vorschuss fordernden HV, der Nachweis, dass die Vereinbarung nach Abs. 2 nicht den Tatsachen entsprochen hat oder er nachträglich zum hauptberuflichen HV geworden ist.230 Nach aA muss der zum HV im Nebenberuf bestellte Vermittler nach den Grundsätzen der Beweislastverteilung plausibel darlegen, dass und ggf. für welche Zeiträume er haupt- und nicht nur nebenberuflich tätig gewesen ist. Denn diese Tatsachen seien für ihn günstig.231 Das bedeutet: Kündigt der HV gem. Abs. 1 S. 2, hat er seine Nebenberuflichkeit zu bewei- 48 sen.232 Der nach Abs. 1 S. 2 kündigende Unternehmer muss beweisen, dass der HV nach der Verkehrsauffassung im Nebenberuf tätig und als solcher nach Abs. 2 bestellt worden ist.233 Sollte es auf eine konkludente Einigung über den Wechsel von Haupt- zu Nebenberuflichkeit und vice versa ankommen, hat sie derjenige zu beweisen, dem sie zum Vorteil gereicht und der sich auf sie beruft. Insbesondere muss der Betreffende die Kenntnis der anderen Partei von dieser Umstufung beweisen.234

Q. Übergangsregelung Nach der Übergangsregelung in Art. 6 des Gesetzes v. 6.8.1953 gilt § 92b Abs. 2 nicht für solche 49 HV-Verträge, die bereits bei Inkrafttreten des neuen HV-Rechts bestanden, also am 1.12.1953. Bei diesen Verträgen kann sich der Unternehmer auf eine Nebenberuflichkeit des HV auch dann Höft VersR 1973, 154; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 13. Höft VersR 1973, 154; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 13. Oetker/Busche6 § 92b Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 30. Valdini MDR 2019, 774. Valdini MDR 2019, 774 (775). Siehe Valdini MDR 2019, 774. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 30; aA LAG Hamm BB 1971, 439; Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 30; Ensthaler/Genzow § 92b Rn 8; Hopt § 92b Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92b Rn 7. 229 Ensthaler/Genzow § 92b Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92b Rn 13. 230 Ebenroth/Löwisch2 § 92b Rn 15. 231 Valdini MDR 2019, 774 (775). 232 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 30; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92b Rn 12. 233 Ebenroth/Löwisch4 § 92b Rn 30. 234 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3§ 92b Rn 10.

222 223 224 225 226 227 228

895

Emde

§ 92b

1. Buch. Handelsstand

berufen, wenn er den HV nicht ausdrücklich als HV im Nebenberuf mit der Vermittlung und dem Abschluss von Geschäften betraut hat.235 Dies kann heute nur noch bei Verträgen mit juristischen Personen, die seit Jahrzehnten fortlaufen, eine Rolle spielen.

235 Schlegelberger/Schröder § 92b Rn 8. Emde

896

§ 92c [Handelsvertreter außerhalb der EG; Schifffahrtsvertreter] (1) Hat der Handelsvertreter seine Tätigkeit für den Unternehmer nach dem Vertrag nicht innerhalb des Gebietes der Europäischen Gemeinschaft oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben, so kann hinsichtlich aller Vorschriften dieses Abschnittes etwas anderes vereinbart werden. (2) Das gleiche gilt, wenn der Handelsvertreter mit der Vermittlung oder dem Abschluß von Geschäften betraut wird, die die Befrachtung, Abfertigung oder Ausrüstung von Schiffen oder die Buchung von Passagen auf Schiffen zum Gegenstand haben.

Schrifttum Ankele Harmonisches Handelsvertreterrecht für die Europäische Gemeinschaft, DB 1987, 569; ders. Das deutsche Handelsvertreterrecht nach der Umsetzung der EG-Richtlinie, DB 1989, 2211; Berchem Ausschluss des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach § 92c HGB im Lichte der EU-Erweiterung, in: Vertrieb, Versicherung, Transport, Karl-Heinz Thume Festschrift zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 2008; Beitzke Das anwendbare Recht beim Handelsvertretervertrag, DB 1961, 528; Belgard Die Rechtsstellung des Handelsvertreters bei der Vermittlung von Schiffspassagen auf Binnengewässern, DB 1966, 1640; Detzer/Ullrich Internationale Vertriebsvereinbarungen, Köln 2014; Ebenroth Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Vertragsverhältnisse von Handelsvertretern, Kommissionsagenten, Vertragshändlern und Handelsmaklern, RIW 1984, 165; Fabig Der Vertragshändlerausgleich in internationalen Verträgen IHR 2019, 1; Fuchs § 92c Abs. 1 HGB a. F. verstößt gegen den EG-Vertrag, IPRAX 1997, 32; Heinicke Stolpersteine im grenzüberschreitenden Handelsvertreterrecht ZVertriebsR 2013, 275; Hepting/Detzer Die Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs ausländischer Handelsvertreter und Vertragshändler, insbesondere durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, RIW 1989, 337; Hermes Beendigung des Vertragshändlervertrags im deutschen und niederländischen Recht, RIW 1999, 81; Karztke Alleinvertriebsrecht, in Reithmann/Martiny, Internationales Handelsvertreterrecht, Rn 1427; Kindler Zur Anknüpfung von Handelsvertreter- und Vertragshändlerverträgen im neuen bundesdeutschen IPR, RIW 1987, 660; ders. Neues deutsches Handelsvertreterrecht aufgrund der EG-Richtlinie, RIW 1990, 358; Maier Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und Vertragshändlers und der ordre public, NJW 1958, 1327; Müller Ausschluß des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach § 92c Abs. 1 HGB, NJW 1998, 17; Neflin Der Auslandsvertreter nach dem Handelsvertretergesetz, DB 1956, 589; Sturm Der Vertragshändler im Außenprivatrecht, FS Wahl, 1973, S. 207; Sura Die Anknüpfung des internationalen Handelsvertretervertrags, DB 1981, 1269; Thume Zur Anwendbarkeit des § 92c HGB im Vertriebsrecht, IHR 2014, 52; Wengler Zum Internationalen Privatrecht des Handelsvertretervertrags, ZHR 146 (1982), 30; Valdini Der Schutz der schwächeren Vertragspartei im internationalen Vertriebsrecht, 2013; Wittmann Zum Ausgleichsanspruch von Handelsvertretern im EG-Ausland nach dem 31.12.1993, BB 1994, 2295.

Übersicht A.

Funktion und Systematik der Vor1 schrift

B.

Gesetzgebungsgeschichte

C.

Zweck

I.

Abs. 1

3

II.

Abs. 2

4

D.

Verfassungsmäßigkeit des § 92c

2

E.

Konformität des § 92c mit dem Gemeinschaftsrecht 6

I.

Gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsver7 bot

II.

Niederlassungs und Diskriminierungsfrei8 heit

III.

Verstoß gegen die RL

IV.

RL-Vorentwurf

V.

„Niedergelassen“

3

897 https://doi.org/10.1515/9783110744385-011

5

9

10 11 Emde

§ 92c

1. Buch. Handelsstand

F.

Anwendbarkeit des § 92c auf handelsvertre14 terähnliche Vertriebsmittler

G.

Anwendung deutschen Rechts vorausge17 setzt

H.

§ 92c Abs. 1 – außereuropäische Tätig19 keit

I.

Tätigkeit nicht innerhalb des Gebietes der EU oder der anderen Vertragsstaaten 19 des EWR 23

II.

„Nach dem Vertrag“

III.

Tätigkeit innerhalb und außerhalb der EU 24 und des EWR

IV.

Maßgeblicher Zeitpunkt

V.

Ausdehnung des Vertrages in ein EU26 oder EWR-Land

VI.

Erweiterung der EU

Beweislast

M.

Das internationale Privatrecht des HV-Vertra44 ges

I.

Allgemeines

II.

Umfang der Geltung des maßgeblichen 47 Rechts

III.

Staatsverträge

IV. 1. 2.

50 Rom I-VO 50 Geltungsbereich und Geltungszeitpunkt 52 Zulässigkeit der Rechtswahl 52 a) Grundsatz freier Rechtswahl aa) Teilrechtswahl (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom 53 I-VO) bb) Form und Wirksamkeit der Rechts54 wahl cc) Eindeutige und stillschweigende 55 Rechtswahl 60 dd) §§ 305 ff. BGB 60 (1) Allgemeines b) Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO – reiner Binnensach64 verhalt c) Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO/Ingmar-Rspr. 68 des EuGH 68 aa) Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO bb) Urteil des EuGH v. 9.11.2000 („Ing70 mar“) Mangels Rechtswahl anwendbares 79 Recht 80 a) Vertriebsverträge 81 b) Franchiseverträgen 83 c) Zweck d) Für das anwendbare Recht maßgeblicher 84 Ort e) Für das anwendbare Recht maßgeblicher 85 Zeitpunkt 86 f) Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO g) Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO – Engere Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung 87 (Ausweichklausel) 90 h) Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO 91 Art. 9 Rom I-VO – Eingriffsnormen 93 a) Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO 94 b) Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO 98 c) Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO 102 Art. 21 Rom I-VO – ordre public Folgen der wirksamen Vereinbarung ausländi103 schen Rechts

25

28

VII. Austritt eines Landes aus der EU

30

VIII. Vollständige Verlagerung des Tätigkeitsortes aus der EU oder dem EWR in einen außereuro31 päischen Tätigkeitsort I.

§ 92c Abs. 2 – Schiffslinienvertretun32 gen

I.

Sachliche Ausdehnung

II.

Mehrfachvertretung mit anderen Bran34 chen

III.

Ausdrücklicher und wirksamer Aus35 schluss

J.

Folgen des wirksamen Ausschlusses des HV36 Rechts

I.

Welche Vorschriften können derogiert wer36 den?

II.

Entschädigungsloses nachvertragliches Wettbe37 werbsverbot?

III.

K.

AGB-Prüfung

Emde

3.

33

Keine Derogation wenn am Tätigkeitsort vergleichbare zwingende Vorschriften existie38 ren?

43

L.

4.

5. 6.

V. 1.

44

48

Deutsches IPR – EGBGB Fehlende Rechtswahl

104 105

39

898

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

a)

Zur Entwicklung der Rechtspre105 chung b) Rechtslage unter dem früheren EGBGB 106 und eigene Stellungnahme c) Der Vertragshändler im Außenhan118 del 121 Wahl des Vertragsstatuts 121 a) Zulässige Rechtswahl 122 aa) Ausdrückliche Rechtswahl 123 bb) Stillschweigende Rechtswahl 124 b) Grenzen der Rechtswahl aa) Art. 6 EGBGB – „Ordre pub125 lic“ 126 bb) Art. 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB 127 cc) Art. 27 Abs. 3 EGBGB

2.

dd) Art. 34 EGBGB ee) Art. 30 EGBGB 134 ff) § 92c VI.

Beweislast

§ 92c

130 133

138

VII. Darf die Handelsvertreter-Richtlinie als gelten139 des Recht vereinbart werden? 1. Herrschende Ansicht – nur materiell-rechtliche 140 Inkorporation der RL zulässig 2. Eigene Auffassung – kollisionsrechtliche Rechts141 wahl der RL gestattet VIII. Ist ein einheitlicher europäischer Mustervertrag 147 denkbar?

A. Funktion und Systematik der Vorschrift Gemäß § 92c darf von den §§ 84 ff. einschließlich ihrer zwingenden Bestandteile abgewichen 1 werden, wenn der Mittler seine Haupttätigkeit (Nebentätigkeiten oder Vor- und Nachbereitungen bleiben unberücksichtigt)1 nach dem Vertrag nicht innerhalb der EU oder des EWR ausübt (§ 92c Abs. 1) bzw. mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften betraut wird, die nach dem Schwergewicht ihrer Tätigkeit2 die Befrachtung, die Abfertigung oder die Ausrüstung von Schiffen oder die Buchung von Passagen auf Schiffen zum Gegenstand haben (§ 92c Abs. 2). § 92c gibt damit als Öffnungsklausel3 eine globale Befreiung von allen zwingenden Vorschriften des HV-Rechts. Im Recht zum Ausschluss der zwingenden Vorschriften liegt die besondere Bedeutung der Norm. Die Parteien können sich darauf beschränken, bestimmte Regelungen des HV-Rechts abzubedingen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, abweichende vertragliche Regelungen zu treffen, die anstelle der sonst zwingenden gesetzlichen Vorschriften treten.4 Wenn und solange von der Befreiung kein Gebrauch gemacht wird bleibt es beim Gesetzesrecht.5 Von der Möglichkeit zur Derogation wird in erster Linie zu Lasten des Ausgleichsanspruchs Gebrauch gemacht6 und auf seinen Ausschluss beziehen sich meist Literatur und Rspr. Aber auch sonstige unabdingbare Schutzvorschriften des Provisions- und Kündigungsrechts, das nachvertragliche Wettbewerbsverbot (wobei die Wirksamkeit jener Derogation wegen Art. 12 GG zweifelhaft bleibt) und andere zwingende Materien werden oft ausgeschlossen: jede von ihnen muss vertraglich abbedungen sein, um außer Betracht bleiben zu dürfen. So können etwa kürzere als die von § 89 vorgesehenen Kündigungsfristen vereinbart werden. Anders als bei § 92b gibt es aber keinen „automatischen“ Wegfall der Geltung zwingenden Rechts; aus sich heraus, ohne vertragliche Derogation, wirkt die Befreiungsvorschrift des § 92c nicht. Der vertragliche Ausschluss erfolgt entweder expressis verbis („kein Ausgleichsanspruch“, „keine Karenzentschädigung“, „kein Einsichtnahmerecht [nach § 87c Abs. 4]“) oder mittelbar durch eine vertragliche Ausgestaltung, die an die Stelle der sonst zwingenden gesetzlichen tritt. Verlangt der HV nach § 85 etwa schriftliche Niederlegung des

1 2 3 4 5 6

Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 15. Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 18. Hagemeister RIW 2006, 498; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 1. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 1.

899

Emde

§ 92c

1. Buch. Handelsstand

Vertragsinhalts, so kann ihm der Unternehmer dies ohne dahingehende (wirksame) Derogation nicht mit dem Hinweis verweigern, § 92c stelle ihn von der dahingehenden zwingenden (§ 85 S. 2) Verpflichtung frei.

B. Gesetzgebungsgeschichte 2 § 92c wurde erst 1953 in das HGB eingefügt,7 wobei der RegE zunächst nur eine Regelung für Auslands-, und nicht für Schifffahrtsvertreter vorsah.8 Die 1953 eingefügte Regelung erlaubte die Derogation auch der zwingenden Vorschriften des HV-Rechts, wenn der HV keine Niederlassung in Deutschland unterhielt. Vor 1953 enthielt das Gesetz keine vergleichbare Regelung. Im Zuge der am 1.1.1990 in Kraft getretenen Neuregelung des HV-Rechts, welche die Vorgaben der RL umsetzte, wurde die Abdingbarkeit der Regelungen des deutschen HVRechts auf den Bereich außerhalb der EU beschränkt. Nach dem früheren Recht bestand eine Schlechterstellung der im EU-Ausland ansässigen HV. Es genügte seinerzeit, wenn der HV keine inländische Niederlassung betrieb, um die zwingenden Vorschriften zu derogieren.9 Die Beseitigung dieser Rechtslage war einer der zentralen Punkte des Gesetzesvorhabens. Nach der Formulierung im RegE sollte zunächst weiterhin darauf abgestellt werden, wo der HV seine Niederlassung hatte.10 Auf Vorschlag der Mehrheit des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages wurde dann schließlich auf den Ort der Tätigkeit abgehoben. Ziel war es, einen HV, der zwar eine Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat hatte, dessen Tätigkeit aus dem Vertrag aber nicht innerhalb des Gebiets der EU auszuüben war, nicht dem Schutz der zwingenden Vorschriften des nationalen Rechts zu unterstellen, um hierdurch missbräuchliche Gründungen von Niederlassungen innerhalb der EU zu vermeiden.11 Ein Alternativvorschlag, der eine Abdingbarkeit auch der zwingenden Vorschriften der §§ 84 ff. nur dann vorsah, wenn der HV weder seine Niederlassung innerhalb der Gemeinschaft unterhielt noch seine Tätigkeit Geschäfte aus deren Bereich betrifft, wurde abgelehnt.12 Eine zweite Änderung wurde infolge des Abkommens über den EWR zum 1.1.1994 erforderlich.13 Das Verbot der Derogation erstreckte sich seitdem auch auf das Gebiet des EWR. Die nunmehrige Regelung sieht vor, dass die Vorschriften lediglich dann derogiert werden können, wenn der HV seine Tätigkeit außerhalb der EU und des EWR auszuüben hat. Seit dem 1.1.1994 gilt die Neuregelung nach Art. 29 EGHGB i. d. F. des Gesetzes von 1989 auch für alle vor dem 1.1.1990 geschlossenen Verträge. Zum 1.1.199414 wurden auch die EWR-Staaten aus dem Anwendungsbereich der Öffnungsklausel ausgenommen; jene Gesetzesänderung ist ohne weitergehende Übergangsregelung15 in Kraft getreten.16

7 Gesetz v. 6.8.1953, BGBl. I 771 (775). 8 Siehe Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuchs, BT-Drucks. I/3846, S. 2; dazu Begr. RegE, S. 18 (zu § 85 Abs. 2 dieses Entwurfes). Zur Gesetzgebungsgeschichte auch Walter RIW 2019, 570 (571 f.).

9 Walter RIW 2019, 570 (571 f.) – umfassend; Oetker/Busche6 § 92c Rn 2. 10 BT-Drucks. 11/3077, S. 10; Walter RIW 2019, 570 (571 f.). 11 BT-Drucks. 11/4559, S. 10; Walter RIW 2019, 570 (571 f.); Wauschkuhn/Meese RIW 2002, 301 (302); Eberl RIW 2002, 305; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 5; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 5. 12 BGBl. 1989 I, 1910 (1911); Walter RIW 2019, 570 (572). 13 BT-Drucks. 12/3319, S. 64. 14 Gesetz v. 27.4.1993 (BGBl. I S. 512). 15 Art. 115 Nr. 2 des Gesetzes v. 27.4.1993. 16 Art. 117 des Gesetzes i. V. m. der Bek. v. 16.12.1993 – BGBl. I S. 2436. Emde

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C. Zweck I. Abs. 1 Die auf die deutschen und beim Warenvertreter (RL!) auf die europäischen Verhältnisse zuge- 3 schnittenen Beschränkungen der Vertragsfreiheit sowie die §§ 84 ff. müssen für das Vertragsverhältnis mit einem außerhalb der EU oder des EWR tätigen HV nicht unbedingt passen.17 Die Parteien sollen jedoch in diesem Falle die Möglichkeit besitzen, die Vertragsbeziehungen freier zu gestalten und ggf, den jeweiligen örtlichen Bedürfnissen anzupassen.18 Es wird weiter ein höheres Schutzbedürfnis der innerhalb der EU oder des EWR tätigen HV unterstellt; der ausländische Mittler ist gegenüber dem in einen unbekannten Markt eintretenden Unternehmer oft in einer besseren Verhandlungsposition als ein inländischer Mittler und mag daher seine Interessen eher durchsetzen können. Ferner ist Abs. 1 Ausdruck fehlenden Regelungsinteresses deutschen Rechts und soll die deutsche Exportwirtschaft von dem strengen und teuren deutschen Recht befreien,19 die Anpassung an die Verhältnisse am Vertriebsort ermöglichen20 und schließlich durch die Neufassung des Gesetzes (jetzt Tätigkeitsort und nicht Niederlassungsort entscheidend) die missbräuchliche Gründung von Niederlassungen im Gebiet der Vertragsstaaten verhindern (Rn 2). Weiter wird die gezielte Förderung der deutschen Exportwirtschaft als Normzweck genannt21 und nach den Novellierungen im Anschluss an die Schaffung der RL der Zweck, den Vertragsparteien bei Auslandstätigkeit dort Vertragsfreiheit zu gewähren, wohin der Schutzbereich der RL nicht reicht.22 Platt ausgedrückt ließe sich sagen, dass den Gesetzgeber die Geschicke außereuropäisch agierender Mittler weniger interessierte, obwohl es sich gerade nach der Anknüpfung an den Vertriebsort – und nicht wie in der Ursprungsfassung 1953 an die Niederlassung – um deutsche und sogar in Deutschland ansässige Mittler handeln kann. § 92c zielt damit – auch – auf einen Vorteil deutscher Unternehmer,23 die für sich HV im Ausland tätig werden lassen. In den Normtext sind die genannten Zwecke aber nicht eingeflossen.

II. Abs. 2 Wegen des internationalen Charakters des Geschäftes darf im Rahmen des Abs. 2 der gleiche 4 Regelungszweck wie bei Abs. 1 unterstellt werden, d. h. die Wettbewerbsfähigkeit deutschen Rechts zu stärken und die Angleichung der Vertragsbestimmungen an internationale Gepflogenheiten zu ermöglichen.24 Hinzu tritt die traditionelle Überzeugung von der Ausgleichsfreiheit des Schifffahrtsgeschäftes, die wegen des Fehlens eines gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichs bis 1953 allerdings alle Branchen treffen durfte.

17 BT-Drucks. 1/3856, S. 18 f.; Hagemeister RIW 2006, 498 (499); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 5. 18 BT-Drucks. 1/3856 Anl. 1, S. 18; Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (275); Neflin DB 1956, 589; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 2; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 3; Hopt § 92c Rn 1; Oetker/Busche6 § 92c Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 5. 19 Thume IHR 2014, 52 (53); Bechem FS Thume S. 3; Mankowski MDR 2002, 1352 (1354); Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 2. 20 BT-Drucks. 1/3856, S. 18; Ströbl BB 2016, 848. 21 Kindler NJW 2016, 1855 (1857); Ströbl BB 2016, 848; Mankowski MDR 2002, 1352 (1354); Hagemeister RIW 2006, 498 (499); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 4; aA Bälz NJW 2003, 1559 (1560). 22 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (275). 23 S. Thume BB 2011, 1800 (1803): Zweck sei der Schutz der Unternehmer. 24 Belgard DB 1966, 1640; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 2. 901

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D. Verfassungsmäßigkeit des § 92c 5 Wengler25 hält § 92c Abs. 1 für verfassungswidrig, soweit er die zwingenden Regelungen über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot (§ 90a) bei HV mit alleiniger Niederlassung im Ausland (heute: Tätigkeit außerhalb der EU oder des EWR) zu dispositivem Recht herabstuft. Er beruft sich auf BAG NJW 1981 1174. Dort ist die entsprechende Bestimmung im Recht der Handlungsgehilfen (§ 75b) wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) für verfassungswidrig erklärt worden. Das BAG hat jedoch (a. a. O. S. 1175) ausdrücklich hervorgehoben, die Rechtslage nach § 75b sei mit derjenigen des § 92c unvergleichbar. Der HV sei selbständiger Unternehmer, seine Schutzbedürftigkeit (möglicherweise) geringer. Für einen HV mit ausschließlicher Niederlassung im Ausland, der schon deshalb ein Höchstmaß an Selbständigkeit gegenüber seinem Unternehmer haben dürfte, sind die sachlichen Unterschiede in der Tat nicht zu übersehen. Die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit lassen sich mit der von Wengler angezogenen Parallele nicht begründen.26

E. Konformität des § 92c mit dem Gemeinschaftsrecht 6 Fraglich ist, ob § 92c Abs. 1 mit der RL oder Europarecht im Einklang steht.27 § 92c beruht nicht auf der RL.28

I. Gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot 7 Ob § 92c Abs. 1 in Widerspruch zum gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot steht, war vor allem vor der Einschränkung des Geltungsbereichs der Öffnungsklausel von Deutschland auf die EU/den EWR umstritten.29 Art. 18 AEUV untersagt jede ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Eine Differenzierung unmittelbar nach der Staatsangehörigkeit sieht § 92c Abs. 1 nicht vor. Vielmehr ist das Tätigkeitsgebiet ein sachgerechtes Abgrenzungsmerkmal; der HV stellt sich allenfalls dem Wettbewerb mit dort tätigen HV. Die RL gilt nur für in der EU tätige Warenvertreter.30 Seine Rechtssituation darf daher nicht mit der von innerhalb der EU tätigen HV verglichen werden.31 Da ein in einem anderen EU-Staat tätiger Mittler regelmäßig auch die Staatsangehörigkeit dieses Landes besitzt, könnte die Annahme einer versteckten Diskriminierung diskutiert werden.32 Eine solche Diskriminierung wird von einigen bejaht,33 z. T. allerdings begrenzt auf Fälle, in denen das ausländische Recht des Tätigkeitslandes des HV oder Vertragshändlers einen zwingenden Ausgleichsanspruch kennt.34 Teils wird sie abgelehnt.35 Der EuGH hat jedoch bei vergleichbaren Vorschriften, die nicht nach Maßgabe der Staatsangehörigkeit der Wirtschaftsteilnehmer Anwendung finden, 25 ZHR 146 (1982) 30, 43 ff. 26 Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 3; Oetker/Busche6 § 92c Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 18.

27 Dafür i. E. wohl EuGH, Urt. v. 16.2.2017 – C-507/15, ZVertriebsR 2017, 182 Rn 35 m. Anm. Rohrßen. Siehe die dahin gehende Analyse von Rohrßen ZVertriebsR 2017, 186 (187). 28 Hopt § 92c Rn 1. 29 Siehe Walter RIW 2019, 570 (572 ff.). 30 EuGH, Urt. v. 16.2.2017 – C-507/15, ZVertriebsR 2017, 182 Rn 35 m. Anm. Rohrßen; Thume IHR 2018, 231 (235). 31 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 14. 32 Hagemeister RIW 2006, 498 (503). 33 Hermes RIW 1999, 81 (86); offen gelassen von BGH, Urt. v. 17.12.1997 – VIII ZR 235/96, EBE 1998, 76, 78, 79. 34 Gronstedt in: Stumpf/Jaletzke/Schultze, Der Vertragshändlervertrag, 3. Aufl. 1997, Rn 890. 35 Hagemeister RIW 2006, 498 (503); Hopt § 92c Rn 1. Im Ergebnis auch EuGH, Urt. v. 16.2.2017 – C-507/15, ZVertriebsR 2017, 182 Rn 35 m. Anm. Rohrßen. Emde

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sondern nur den Ort berücksichtigen, an dem die wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, eine Verletzung des früheren Art. 12 EG verneint.36 Dies spricht gegen eine Diskriminierung. Deshalb müssen auch Prinzipale aus anderen EU- oder EWR-Staaten nicht gleichgestellt werden.37

II. Niederlassungs und Diskriminierungsfreiheit Auch ein Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der Art. 49–55 so- 8 wie 56–62 AEUV dürfte nicht bestehen. Denn dem HV oder HV-ähnlichen Vertriebsmittler wird durch § 92c Abs. 1 eine grenzüberschreitende Ausdehnung seines Tätigkeitsbereiches nicht erschwert.38 Falls der Unternehmer den Ausschluss in einen separaten, das außereuropäische Vertriebsgebiet betreffenden Vertrag hineinverhandelt, schließen sich an das Vertragsende lediglich abweichende wirtschaftliche Folgen an. Für den HV-Bereich dürfte sich der Streit durch die Neufassung 1989 entschärft haben, da die Derogation seither nur bei Tätigkeit außerhalb der EU und des EWR zulässig ist. Bedeutung hat er noch für die Ansicht derjenigen, die die Derogation der zwingenden Vorschriften gegenüber außerhalb Deutschlands tätigen HV-ähnlichen Vertriebsmittlern zulassen, zudem, wenn man einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot sowie die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit darin sieht, dass § 92c auf den Vertriebsort und nicht auch den Niederlassungsort abstellt.

III. Verstoß gegen die RL Teilweise wird die fehlende Konformität mit EU-Recht auch unmittelbar aus der RL hergeleitet. 9 So wird darauf hingewiesen, dass zwar keine bestimmte Vorschrift der RL durch § 92c verletzt werde.39 Doch sei den allgemeinen Vorschriften der RL (insb. Art. 1 Abs. 1, 1. bis 3. Erwägungsgrund) zu entnehmen, dass das harmonisierte Recht für alle Rechtsbeziehungen zu gelten habe, die den jeweiligen nationalen Rechten unterfielen.40 Eine Abweichung in Fällen, in welchen im Rahmen einer solchen Rechtsbeziehung eine Tätigkeit über die Grenzen erfolge, sei in der RL nicht vorgesehen und mithin gemeinschaftsrechtswidrig.41 Die Derogation soll also immer unzulässig sein, wenn das Recht eines Mitgliedsstaates auf den Vertrag anzuwenden ist. Da § 92c Abs. 1 die Anwendung deutschen Rechts voraussetzt, wäre er immer unanwendbar.42 Diesem allgemeinen Argument wird man noch mit dem Einwand entgegentreten können, dass die RL ihren fehlenden Geltungswillen daraus herleitet, dass sie nur auf in einem Mitgliedsstaat „niedergelassene“ HV anwendbar sein soll.43 Es ist also hinreichend deutlich, dass sie nur RL-widrige Regelungen ausschließen soll, die sich innerhalb der EU oder des EWR auswirken. Ob dem Wortlaut der Einleitung der RL, demzufolge es hierzu auf die Niederlassung des Warenvertreters ankommt, ein Widerspruch des § 92c Abs. 1 zur RL entnommen werden kann, ist eine separate Frage.44

36 EuGH, 130/78, Slg. 1978, 2429; Rn 38/39; 155/80, Slg. 1991, 1993, Rn 7 f.; Hagemeister RIW 2006, 498 (503). 37 AA Mankowski in: Hopt/Tzouganatos Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (151). 38 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 2; Hagemeister RIW 2006, 498 (503). Vgl. Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (277). Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 2. Kindler RIW 1990, 358 (363); Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 52; aA Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (146). So die Analyse dieser Meinungsgruppe von Walter RIW 2019, 570 (572). Oetker/Busche6 § 92c Rn 3; i. E. auch Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 2. Dazu Walter RIW 2019, 570.

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IV. RL-Vorentwurf 10 Andere leiten die Europarechtswidrigkeit des § 92c aus Art. 35 des RL-Vorentwurfs von 1979 (historische Auslegung) her. Nach Art. 35 Vorentwurf war den Parteien das Recht eingeräumt, von den zwingenden Vorschriften der RL abzuweichen, sofern der HV seine Tätigkeit außerhalb der EU ausübt. Dieser Art. ist aber nicht in die RL aufgenommen worden. Art. 35 des Entwurfs wird teilweise45 ein Wille entnommen, dass die Parteien auch dann nicht von den zwingenden Regeln der RL abweichen dürfen, wenn der HV mit Niederlassung in einem Mitgliedsstaat ausschließlich in einem Drittland tätig ist. Dem kann nicht zugestimmt werden. Denn die Nichtaufnahme des Entwurfs in die RL zeigt, dass es insoweit kein zwingendes europäisches Vorbild geben sollte.46

V. „Niedergelassen“ 11 Ein weiteres Argument wird daraus hergeleitet, dass die RL nur anwendbar ist, soweit der Warenvertreter in einem Mitgliedsstaat „niedergelassen“ (deutsche Fassung) oder „gegründet“ (englische Fassung) ist. Daraus entsteht die Frage, ob ein HV vom territorialen Schutzbereich des parteifesten RL-Rechts erfasst wird, wenn er zwar außerhalb der EU oder des EWR tätig ist, jedoch innerhalb der EU oder des EWR eine Niederlassung besitzt. Vom Wortlaut her erlaubt § 92c Abs. 1 auch ihm gegenüber die Derogation aller zwingenden Vorschriften des HV-Rechts. Entsprechend der Fassung des § 92c 1953 genügte es für die Ausschlussfähigkeit, wenn der HV keine inländische Niederlassung betrieb. Nach dem RegE sollte zunächst weiterhin darauf abgestellt werden, wo der HV seine Niederlassung hatte.47 Auf Vorschlag der Mehrheit des Rechtsausschusses des Deutschen BT wurde dann auf den Ort der Tätigkeit abgehoben. Ziel war es, einen HV, der zwar eine Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat hatte, dessen Tätigkeit aus dem Vertrag aber nicht innerhalb des Gebiets der EU auszuüben war, nicht in die zwingenden Vorschriften des nationalen Rechts und ihren Schutz einzubeziehen, um hierdurch missbräuchliche Gründungen von Niederlassungen innerhalb der EU zu vermeiden.48 Die nunmehrige Regelung sieht vor, dass die Vorschriften lediglich dann abbedungen werden können, wenn der HV seine Tätigkeit außerhalb der EU auszuüben hat.49 Teilweise wird ein Umsetzungsfehler mit der Begründung verneint, die RL stelle nicht ausdrücklich auf den Ort der Niederlassung des HV ab, sondern wolle allein Bedingungen für einen Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten schaffen, die denen eines Binnenmarktes entsprächen.50 Maßgeblich und sachgerecht sei nicht der formale Ort der Niederlassung des HV, sondern als materieller Anknüpfungspunkt das ihm nach dem Vertrag zugewiesene Tätigkeitsgebiet.51 Aus der Präambel der RL ergebe sich, dass sie nur innerhalb der EU Geltung beanspruche. In dieselbe Richtung geht die Ansicht derjenigen, welche die Konformität mit der RL befürworten, weil eine zwingende Anwendung des umgesetzten RL-Rechts bei einer Tätigkeit des HV außerhalb der EU oder des EWR mangels eines starken Gemeinschaftsbezugs i. d. R. nicht geboten sei52 und europäische Unternehmen

45 46 47 48 49 50 51 52

Westphal Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der EU, Diss. iur. Münster 1994, S. 105. Walter RIW 2019, 570 (572). BT-Drucks. 11/3077, S. 10. BT-Drucks. 11/4559, S. 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 2. Vgl. Kindler NJW 2016, 1855. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 10. Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (275); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 10. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 14; Hopt § 92c Rn 1; Oetker/Busche6 § 92c Rn 3. Emde

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außerhalb des Binnenmarkts keine Wettbewerbsnachteile erleiden sollen.53 Einige Autoren wollen § 92c Abs. 1 RL-konform dahin auslegen, dass sowohl die Niederlassung als auch das Tätigkeitsgebiet des HV zu berücksichtigen seien, d. h. eine Derogation zwingender Vorschriften auch dann unmöglich sei, wenn der HV zwar außerhalb des Gebiets der EU tätig werde, aber innerhalb dieses Gebiets seine Niederlassung habe.54 Walter55 entnimmt einem obiter dictum der auch unten angesprochenen Agro-Entscheidung,56 dass ein Schutz zumindest derjenigen HV nach Maßgabe der RL sicherzustellen ist, die „innerhalb der Union ansässig sind und/ oder dort ihre Tätigkeiten ausüben.57 Anders formuliert gewähre die RL bereits Schutz, wenn der HV entweder in einem Mitgliedsstaat seine Tätigkeit ausübe oder in einem Mitgliedsstaat niedergelassen sei, unabhängig davon, wo er seine Tätigkeit ausübe.58 Dies dürfte am ehesten dem Wortlaut der RL entsprechen (siehe Vor § 84 zum räumlichen Geltungsbereich der RL), ausdrücklich jedoch nicht der Intention des deutschen Gesetzgebers, der den Niederlassungsort innerhalb der EU oder des EWR für unmaßgeblich hielt.59 Für diese, wegen der überschießenden Umsetzung des RL-Rechts im HGB auch für andere als Warenvertreter geltende60 RL-konforme Auslegung61 spricht, dass das deutsche Recht Vorbild der RL war. Hinsichtlich des örtlichen Anwendungsbereichs verwies es aber im Entstehungszeitraum der RL auf die „Niederlassung“, seinerzeit noch in Deutschland. Zwar sei keine RL-konforme Rechtsfortbildung gegen die Vorgaben des nationalen Rechts zulässig.62 Der BGH lasse es für eine planwidrige Unvollständigkeit genügen, dass „das ausdrücklich angestrebte Ziel einer RL-konformen Umsetzung durch die Regelung nicht erreicht worden ist und ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber die Regelungen in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass sie nicht RL-konform ist“.63 Also kann auch § 92c Abs. 1 planwidrig unvollständig sein.64 Auf Vertrauensschutz können sich die Vertragsparteien nicht berufen. Der Vertrauensschutz schließt eine rückwirkende teleologische Reduktion gesetzlicher Vorschriften nicht aus.65 Die Ansicht, § 92c Abs. 1 sei im Falle der Tätigkeit des HV außerhalb der EU/des EWR euro- 12 parechtswidrig, dürfte mit dem Urteil EuGH v. 16.2.2017 – C-507/1566 nicht mehr zu halten sein.67 Ebenso dürfte der EuGH in diesem Urteil die Ansicht zurückgewiesen haben, die RL sei auf sämtliche Fälle anwendbar, die dem Recht eines Mitgliedsstaates unterliegen.68 § 92c Abs. 1 betrifft eine Fallsituation, in der der HV seine Tätigkeit außerhalb der EU und des EWR ausübt – genau diese Konstellation behandelt das Urteil.69 Der EuGH hat aber nicht den oben angespro-

53 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (275); Staudinger NJW 2001, 1976; Hopt § 92c Rn 1; Oetker/Busche6 § 92c Rn 3. 54 Walter RIW 2019, 570 (574) – der sich auf EuGH, RIW 2017, 225 Rn 34 (Agro) beruft; Kindler RIW 1990, 358 (363); So noch Küstner/Thume Handbuch des gesamten Außendienstrechts I, 3. Aufl. 2000, Rn 2421 ff. 55 Walter RIW 2019, 570 (574). 56 EuGH v. 16.2.2017 – C-507/15, ZVertriebsR 2017, 182 = RIW 2017, 225. 57 EuGH, RIW 2017, 225 Rn 34. 58 Walter RIW 2019, 570 (574). 59 Der Rechtsausschuss des BT erklärte, dass auch dann sämtliche Vorschriften der §§ 84 ff. abdingbar sein sollten, wenn der HV zwar eine Niederlassung innerhalb der Gemeinschaft habe, er seine Tätigkeit aber außerhalb der Gemeinschaft ausübe (BT-Drucks. 11/4559, S. 10). Dazu Walter RIW 2019, 570 (575). 60 Walter RIW 2019, 570 (574). 61 Walter RIW 2019, 570 (574) der nur eine RL-konforme Auslegung befürwortet und die Unwirksamkeit des § 92c ablehnt. 62 Walter RIW 2019, 570 (575). 63 BGH NJW 2014, 2646 (2648); NJW 2012, 1073 (1077). 64 Walter RIW 2019, 570 (575). 65 BVerfG, NJW 2012, 669 (672); NJW 2005, 352 (353); Walter RIW 2019, 570 (576). 66 ZVertriebsR 2017, 182 = RIW 2017, 225. Zu diesem Urteil Walter RIW 2019, 570 ff. 67 Müller GpR 2017, 203 (205); Rohrßen ZVertriebsR 2017, 186 (187); i. E. auch Fabig IHR 2019, 1 (2). 68 Walter RIW 2019, 570 (574). 69 Emde BB 2018, 1859 (1861); Rohrßen ZVertriebsR 2017, 186 (187). 905

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chenen Fall der RL-konformen Auslegung entschieden, in dem der HV zwar außerhalb der EU und des EWR tätig ist, aber innerhalb der Union oder des EWR über eine Niederlassung verfügt.70 13 Die Rechtsordnungen Dänemarks und Estlands enthalten Abs. 1 vergleichbare Vorschriften.71

F. Anwendbarkeit des § 92c auf handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler 14 Wie Vor § 84 dargestellt, werden zahlreiche Normen des HV-Rechts auf HV-ähnliche Vertriebsverträge, insb. Vertragshändler-, Kommissionsagenten- und Franchiseverträge, analog angewandt. Hierzu zählt § 89b. Aus dieser Analogie wird auch eine analoge Anwendung des § 92c auf solche HV-ähnliche Mittler hergeleitet. Der oben genannte Zweck des § 92c, die Anpassung des Vertragsverhältnisses an die jeweiligen örtlichen Bedürfnisse sowie die Förderung der deutschen Exportwirtschaft, existiert auch in diesem Bereich,72 der Gleichklang mit dem Schutz des § 89b bliebe gewahrt. § 92c ist daher auch auf Kommissionsagenten,73 Vertragshändler74 und FN75 anzuwenden. Die Analogie wurde teilweise für HV-ähnliche Vertriebsmittler abgelehnt, welche außerhalb Deutschlands, jedoch im EU- oder EWR-Ausland tätig sind (Vertragshändler,76 FN,77 Kommissionsagenten78): Nach dieser Meinungsgruppe sollte ihnen gegenüber von den zwingenden Vorschriften der §§ 84 ff. (analog) abgewichen werden dürfen. Verneint wurde insoweit eine planwidrige Regelungslücke und eine Vergleichbarkeit der zu regelnden Sachverhalte. Vor der Novelle 1990 habe § 92c Abs. 1 den Ausschluss des Ausgleiches bei jeder Auslandstätigkeit zugelassen. Die Novellierung 1990 habe keine Erweiterung des Verbotstatbestandes auf Vertragshändler vorgesehen, was eine planwidrige Regelungslücke ausschließe. 70 71 72 73 74

S. Walter RIW 2019, 570 (574). Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (276/277), der auf die Europarechtswidrigkeit der estnischen Regelung hinweist. Mankowski RIW 2016, 457; Ströbl BB 2016, 848. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 59; Oetker/Busche6 § 92c Rn 62. BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 = BB 2016, 845 m. zust. Anm. Peschke ZVertriebsR 2016, 146/147 und abl. Anm. Kindler NJW 2016, 1855; Fabig IHR 2019, 1 (6); Kindler NJW 2016, 1855 (1857); Ströbl BB 2016, 848; v. 17.12.1997 – VIII ZR 235/96, NJW 1998, 1860 ff. (in dieser Entscheidung wird wie selbstverständlich von der Anwendbarkeit des § 92c auf den Vertragshändler ausgegangen); OLG Frankfurt/M., Grund- und Teilurt. v. 9.2.2016 – 11 U 136/14 (Kart); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.2.2007, BeckRS 2007, 07179; Mankowski RIW 2016, 457; Peschke ZVertriebsR 2016, 146; Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (285) – „kein Argument für die Gegenansicht“; Ebenroth RIW 1984, 168; Hagemeister RIW 2006, 498 (502); Hermes RIW 1999, 81 (86); Hepting/Detzer RIW 1989, 337 (346); Kindler RIW 1987, 664; Valdini Der Schutz der schwächeren Vertragspartei im Vertriebsrecht, 2013, S. 359; Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1036 f.; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 14; skeptisch wohl Thume BB 2011, 1800 (1803), der die entsprechende Anwendung des § 92c allerdings als notwendige Folge der vom BGH, Urt. v. 16.2.2011 – VIII ZR 226/07, DB 2011, 645 = WM 2011, 620 favorisierten Erstreckung des Schutzes der RL auf HV-ähnliche Mittler ansieht; hiergegen Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 52 f. 75 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (285) – „kein Argument für die Gegenansicht“; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 58. 76 Kindler NJW 2016, 1855 (1857); Ströbl BB 2016, 848; Thume IHR 2014, 52 (54 ff.) – Meinung aufgegeben in IHR 2016, 120; Wauschkuhn/Teichmann ZVertriebsR 2013, 139 (142); Hagemeister RIW 2006, 498 (502); Küstner/Thume/ Thume II9 Kap. XVIII Rn 83; Küstner/Thume/Thume III4 Teil II, Kap. 2 Rn 71; Kap. 9 Rn 178; Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 53; Martinek/van der Moolen in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 24 Rn 65; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2262; Wauschkuhn in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau Rn 1004, 1059 ff. 77 Thume BB 2011, 1800 (1804) – Meinung aufgegeben in IHR 2016, 120; Hagemeister RIW 2006, 498 (502); Kocher RIW 2003, 512; Stumpf RIW 1993, 542; Küstner/Thume/Thume III, 4. Aufl. Teil 2, 2. Kap. Rn 69 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 58; Detzer/Ullrich Rn 649; Hopt § 92c Rn 11. 78 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 59. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92c

Außerdem wurde auf die Entstehungsgeschichte des § 92c als unternehmerfreundliche Norm verwiesen. Rechtsvergleichend wurde argumentiert, dem Vertragshändler stehe nach anderen Rechtsordnungen ein Ausgleichsanspruch gar nicht79 oder nur bei Inlandstätigkeit zu.80 Folglich dürfe der Ausgleich auch gegenüber außerhalb Deutschlands, jedoch innerhalb der EU und den EWR-Staaten, tätigen Händlern ausgeschlossen werden.81 Dieser Richtungsstreit dürfte durch die Leitentscheidung des BGH v. 25.2.2016 entschieden sein82: Werde deutsches Recht als Vertragsstatut eines Vertragshändlervertrages berufen, seien die Analogievoraussetzungen erfüllt, unter denen § 89b auf Vertragshändler angewendet werde. Habe der Vertragshändler seine Tätigkeit nach dem Vertrag in einem anderen ausländischen Mitgliedsstaat der EU oder in einem anderen EWR-Vertragsstaat auszuüben, dürfe der Ausgleich entsprechend § 89b nicht im Voraus ausgeschlossen werden.83 Lägen die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 89b auf einen Vertragshändlervertrag vor, so sei auch § 89b Abs. 4 S. 1 anzuwenden.84 Das Ausschlussverbot des § 89b Abs. 2 S. 1 gelte bei einem deutschen Recht unterliegenden Vertragshändlervertrag auch dann, wenn der Vertragshändler seine Tätigkeit für den Unternehmer nach dem Vertrag in einem anderen Mitgliedsstaat der EU oder des EWR auszuüben habe.85 Ein Wille des Gesetzgebers, dass dieser anlässlich der Neufassung des § 92c Abs. 1 im Jahre 1989 den bis dahin bestehenden Gleichlauf bei der rechtlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche von HV und Vertragshändlern durchbrechen wollte, sei nicht feststellbar.86 Durch die Gesetzesänderung sollte den Erfordernissen der RL Rechnung getragen werden.87 Auch wenn die RL nicht für Vertragshändler unmittelbar gelte, hätte erwartet werden können, dass sie ausdrücklich von der in § 92 Abs. 1 in Bezug auf HV statuierten territorialen Differenzierung ausgenommen worden wäre, falls es der Wille des Gesetzgebers gewesen wäre, den bis dahin geltenden Gleichlauf bei der rechtlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche zu durchbrechen.88 Entsprechendes gelte für die abermalige Änderung des § 92 Abs. 1 durch das Gesetz

79 Vgl zu diesem Argument Fabig IHR 2019, 1 (6), die darauf hinweist, dass es nach anderen europäischen Rechtsordnungen durchaus einen Ausgleichsanspruch oder vergleichbare Ansprüche gebe.

80 Thume IHR 2014, 52 (53 f.). Das rechtsvergleichende Argument ist für das deutsche Recht allerdings irrelevant. Thume hat seine Ansicht nach der unten zitierten Entscheidung des BGH v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15 in IHR 2016, 120 aufgegeben. 81 Zu den verschiedenen Argumentationssträngen Fabig IHR 2019, 1 (6 ff.). 82 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 m. Anm. Ströbl = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski. Eingehende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Theorien bei Fabig IHR 2019, 1 (6 ff.). 83 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 m. Anm. Ströbl = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski. 84 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 m. Anm. Ströbl = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski Rn 22; Urt. v. 6.2.1985 – I ZR 175/82, NJW 1985, 3076 (3077) Rn 21; v. 12.12.1985 – I ZR 62/83, NJW-RR 1986, 661 (662) Rn 9; v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, BGHZ 142, 358 (368) = BB 2000, 60 m. Anm. Emde Rn 35. 85 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski Rn 26 ff. 86 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski Rn 27 ff. Mankowski RIW 2016, 457 bemerkt, es hätte gesetzestechnisch kaum die kompositorische Balance gewahrt, wenn der Gesetzgeber sich vereinzelt gerade zur Abdingbarkeit von Ausgleichsansprüchen für EU/EWR-Vertragshändler geäußert hätte, ohne sich zu einer Kodifizierung des Vertragshändlerrechts insgesamt zu verstehen; ähnlich Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (94); Teichmann ZVertriebsR 2016, 195. 87 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski Rn 29. 88 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski Rn 30. 907

Emde

§ 92c

1. Buch. Handelsstand

v. 27.4.1993 zur Ausführung des Abkommens vom 2.5.1992 über den EWR.89 Hiermit sollte den Anpassungsverpflichtungen hinsichtlich der RL aus dem Abkommen über den EWR gegenüber dessen Vertragsstaaten Rechnung getragen werden. Es sei kein Grund erkennbar, den Vertragshändler anders zu behandeln als den HV.90 Eine Ungleichbehandlung deutscher Lieferanten gegenüber Lieferanten aus anderen EU-Staaten, die daraus resultiere, dass bei deutschem Recht unterliegenden Vertragshändlerverträgen der Ausgleich nicht im Voraus ausgeschlossen werden kann, während das ausländische Recht einen zwingenden Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers mglw. nicht vorsieht, sei unionsrechtlich unbedenklich. Denn ein derartiges Rechtsgefälle werde mangels Harmonisierung des Vertragshändlerrechts dadurch legitimiert, dass die Rom I-VO eine Rechtswahl bei Vertragshändlerverträgen zulasse.91 Die Entscheidung wird vielfach – wegen der Analogie zu § 89b Abs. 4 jedenfalls i. E. zu 15 Unrecht – kritisiert.92 Festgestellt wird, der BGH setze sein Petitum, HV und Vertragshändler bei Vorliegen der Analogievoraussetzungen im Wesentlichen gleich zu behandeln, konsequent um.93 § 92c Abs. 1 bezwecke nicht den Schutz der Auslandsvertreter, sondern den Schutz der deutschen Exportwirtschaft94: Ihnen soll kein Wettbewerbsnachteil entstehen, indem deutsche Rechtsvorschriften Anwendung finden. Wegen der fehlenden Angleichung des Vertragshändlerrechts treffe dieser Normzweck insb. im EWR-Ausland tätige Vertragshändler. Anders als im uniformen HV-Recht besäßen deutsche Exporteure bei Unabdingbarkeit des § 89b einen Wettbewerbsnachteil, etwa auf dem italienischen Markt, weil nach italienischem Recht dem Vertragshändler kein Ausgleich zustehe.95 Methodisch sei dabei eine teleologische Extension des § 92c Abs. 1 auf alle im Ausland tätigen Vertragshändler das Ziel.96 Alternativ hätte die Analogie zum zwingenden HV-Recht von vornherein auf inlandsansässige Vertragshändler beschränkt werden können.97 Es sei nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber eine Regelung zum Vertragshändler aufgenommen hätte, wenn es sein Wille gewesen wäre, den bis dahin bestehenden Gleichlauf bei der rechtlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche von HV und Vertragshändlern zu durchbrechen.98 Die Attraktivität des deutschen Rechts werde sinken.99 Das Urteil treibe die Parteien ins ausgleichsfeindliche ausländische Recht (Art. 3 Rom I-VO),100 wobei an eine Teilrechtswahl nur des ausländischen Ausgleichsrechts zu denken sei (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO, dazu unten). Verhandlungsstarke Vertragshändler könnten zukünftig ein Interesse daran haben, deutsches Recht zu vereinbaren.101 Bei einem Vertrag zwischen einem deutschen Unternehmer und einem nichteuropäischen Vertragshändler werde jede Partei Interesse daran haben, nicht ihr Heimatrecht, sondern das ihrer Gegenpartei zu wählen.102 Teichmann103 führt aus, der BGH mache sei-

89 BGBl. I 1993, S. 512 (530); siehe BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski Rn 31. 90 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski Rn 33. 91 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski Rn 35. 92 Mankowski RIW 2016, 457; Kindler NJW 2016, 1855 (1857); Ströbl BB 2016, 848. 93 Mankowski RIW 2016, 457; Kindler NJW 2016, 1855 (1857); Ströbl BB 2016, 848. 94 Kindler NJW 2016, 1855 (1857); Ströbl BB 2016, 848. 95 Kindler NJW 2016, 1855 (1857). 96 Kindler NJW 2016, 1855 (1857). 97 Kindler NJW 2016, 1855 (1857); so auch Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 53. 98 Ströbl BB 2016, 848. 99 Ströbl BB 2016, 848. 100 Kindler NJW 2016, 1855 (1857). 101 Mankowski RIW 2016, 457 (459). 102 Mankowski RIW 2016, 457 (459). 103 ZVertriebsR 2016, 195. Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 92c

ne Argumentation mit dem Verweis auf den Willen des Gesetzgebers angreifbar.104 Der Gesetzgeber habe ursprünglich „gewollt“, dass zwingendes HV-Recht beim außerhalb Deutschlands ansässigen HV abbedungen werden könne. Er habe dann aber aufgrund der RL den territorialen Anwendungsbereich des § 92c Abs. 1 auf das Gebiet der EU bzw. des EWR erweitern müssen. Es müsse daher eher nach dem Willen des „EU-Gesetzgebers“ gefragt werden. Jener habe jedoch HV und Vertragshändler nicht gleich behandeln wollen, da es keine Vertragshändler-RL gäbe.105 Richtig ist: Die Novelle wollte § 92c lediglich an die Vorschriften der RL anpassen.106 Ver- 16 tragshändlerrecht wurde durch sie nicht geregelt, ebenso wenig wie in jeder anderen Norm der §§ 84 ff., weshalb der Novelle zumindest keine Aussage gegen die analoge Anwendung des § 89b Abs. 4 entnommen werden kann. Die planwidrige Regelungslücke in Bezug auf HV-ähnliche Mittler ist daher erhalten geblieben. Der Ausgleichsanspruch darf folglich nur bei einer Tätigkeit der HV-ähnlichen Mittler außerhalb der EU oder des EWR ausgeschlossen werden,107 vorbehaltlich der unten entwickelten Grenzen. Seit Jahrzehnten besteht jedoch die Rspr., dass § 89b in Gänze auf HV-ähnliche Mittler anzuwenden sein, einschließlich seines Abs. 4. Sollte § 92c daher nicht analog anzuwenden sein, bliebe § 89b Abs. 4 anwendbar. Die zwingende Natur des Ausgleichs ergibt sich daher bereits aus der analogen Anwendung dieser Norm.108 Es bedürfte einer ausdrücklichen Freistellung von ihr, um den zwingenden Ausgleich HV-ähnlicher Vertriebsmittler auszuschließen. Ich hatte daher die die Derogation der zwingenden Vorschriften außerhalb des EWR billigende Ansicht bereits seit Jahren für so fernliegend gehalten, dass ich Mandanten kaum ernsthaft empfehlen konnte, auf sie zu vertrauen. § 92c einerseits anwenden zu wollen, andererseits aber auf einen in der Norm nicht angelegten zusätzlichen Anwendungsbereich, nämlich die Ausschlussmöglichkeit bei nichtdeutscher Tätigkeit, mittels „teleologischer Extension“109 zu erweitern, verlässt die Grenzen der Analogie und stellt eine freie Rechtsfortbildung dar, die dem Gesetzgeber überlassen werden muss.110 Auf die angeblich fehlende Schutzbedürftigkeit des Eigenhändlers abzustellen, ist rechtstechnisch falsch (weil sie keine Analogievoraussetzung bildet) und tatsächlich fraglich Denn der Eigenhändler ist mit höherem Risiko als ein HV tätig. Außerdem bilden die Analogievoraussetzungen eine erhebliche Hürde.111 Schließlich hat die Novelle 1990 nicht nur die Vorschriften der RL maßstabsgetreu umgesetzt, sondern darüber hinaus in § 92c den Ausschluss des Ausgleichs innerhalb der EU oder des EWR tätigen HV auch verboten, wenn jene nicht in den Anwendungsbereich der RL fielen, etwa bei HV, die nicht Warenvertreter sind, z. B. VV.112 Der Gesetzgeber wünschte also eine weite Auslegung des § 92c Abs. 1, was dafür spricht, auch andere, von der RL nicht erfasste Vertriebsmittler in den Anwen104 Vgl. Fabig IHR 2019, 1 (7), die allerdings die Ansicht des BGH teilt: „es gleicht doch einem Griff in die Glaskugel, einem Gesetzgeber einen Willen zu attestieren, der sich daraus ableitet, dass für etwas bis dato Ungeregeltes nicht eine eigene Ausnahme geschaffen wurde“. 105 Teichmann ZVertriebsR 2016, 195. 106 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 Rn 26 ff. m. Anm. Ströbl = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski. 107 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 m. Anm. Ströbl; Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (279); Hermes RIW 1999, 81 (86); Hepting/Detzer RIW 1998, 337 (346); Detzer/Ullrich Rn 649; Westphal II Rn 61; Häuslschmid/Wauschkuhn Der Vertragshändlervertrag, 2. Aufl. 2003, S. 113; i. E. Oetker/Busche6 § 92c Rn 10; aA Küstner/Thume/Thume III4 Teil 2, 2. Kap. Rn 71. 108 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 m. Anm. Ströbl; Fabig IHR 2019, 1 (6); Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (147); Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (279) aA Thume IHR 2014, 52 (55), der auch diese Bestimmung nicht analog anwenden will. Thume hat seine Ansicht aber mittlerweile aufgegeben. 109 So Kindler NJW 2016, 1855 (1857). 110 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (147). 111 Fabig IHR 2019, 1 (7). 112 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 Rn 32 m. Anm. Ströbl. 909

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dungsbereich des § 92c aufzunehmen. Angesichts des Gesetzeswortlautes kann auch das Argument nicht überzeugen, die Angleichung an örtliches Recht fordere keinen Ausgleichsanspruch, da das lokale Recht vieler Länder kein Ausgleichsrecht für den Vertragshändler kenne,113 zumal das Gesetz und die Rspr. zur Analogie den Ausgleich nicht davon abhängig macht, ob der Mittler im Einzelfall schutzwürdig ist.114 Ferner wird argumentiert, das Recht sei entsprechend der vom BGH115 bestätigten Auslegung bei der Anwendung auf Vertragshändler RL-konform auszulegen.116 Der Vertragshändlerausgleich setzt sich zudem europaweit mehr und mehr durch.

G. Anwendung deutschen Rechts vorausgesetzt 17 § 92c gibt nach h. M. keine Kollisionsvorschrift117 (s. u.). Dies wird aber de lege ferenda vorgeschlagen.118 § 92c ist überhaupt nur anwendbar, wenn der HV-Vertrag deutschem Recht untersteht.119 Er befreit auf materiell-rechtlicher Ebene von zwingendem deutschen Recht.120 Dazu, ob deutsches Recht gilt, trifft § 92c nach h. M. keine Aussage. Ob deutsches Recht anwendbar ist, wird vorweg nach der Rom I-VO bzw. den Art. 27, 28 EGBGB sowie den unten erörterten Rechtswahlgrenzen untersucht.121 Vertreten wird jedoch auch die Gegenansicht, derzufolge der historische Zweck des § 92c die Auslegung als Kollisionsnorm gebiete, weil die Vorschrift ansonsten inhaltsleer bliebe.122 Die Abbedingung zwingenden Rechts sei schon zum Zeitpunkt der Einfügung 1953 zu leicht durch Rechtswahl möglich gewesen, als dass das Gesetz diese Umgehung nicht durch § 92c habe regeln wollen. Also bleibe für die Norm kaum ein sinnvoller Anwendungsbereich, wolle man sie nicht als Kollisionsregel oder international-zwingende Regelung verstehen. Dieses Verständnis der Vorschrift ist nicht von der Hand zu weisen, zumal es auch die dogmatisch zweifelsfreie Kontrolle einer Rechtswahlklausel nach den §§ 305 ff. BGB ermöglicht. 18 Die Antwort auf die Frage nach dem anwendbaren Recht hängt weder notwendig vom inländischen oder ausländischen Geschäftssitz des Unternehmers, noch von dem des HV sondern von der Vereinbarung, hilfsweise dem Schwerpunkt der Tätigkeit, ab. Untersteht das Vertragsverhältnis ausländischem Recht, genießt es im Grundsatz nicht den Schutz des deutschen zwingenden HV-Rechts (Einzelheiten unten). Zwingende ausländische Vorschriften über die Berufsausübung für den im Ausland tätigen HV sind, aus der Warte deutschen Rechts betrachDau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1038; Oetker/Busche6 § 92c Rn 4. Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (148). Urt. v. 28.10.2010 – C-201/99, Rn 25. Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (148). Fabig IHR 2019, 1 (2); Mankowski RIW 2016, 457; Kindler NJW 2016, 1855; Thume IHR 2014, 52 (53); Bozbel RIW 2011, 125 (131); Beitzke DB 1961, 528; Sura DB 1981, 1270; Ebenroth RIW 1984, 167; Kindler RIW 1990, 363; Eberl RIW 2002, 305; Mankowski MDR 2002, 1352; Bälz NJW 2003, 1559; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 7; MünchKommBGB/Martiny Art. 28 EGBGB Rn 158a; Detzer/Ullrich Rn 352; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 117; Westphal I Rn 28; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 22; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 54; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 1; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 4; Hopt § 92c Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3 f. 118 Freitag/Leible RIW 2001, 295; Michaels/Kamann EWS 2001, 310. 119 Fabig IHR 2019, 1 (2): Hagemeister RIW 2006, 498 (499); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 1; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 4; Hopt § 92c Rn 1; Oetker/Busche6 § 92c Rn 4; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 4. 120 Hopt § 92c Rn 1. 121 Wauschkuhn/Meese RIW 2002, 301 (302); Eberl RIW 2002, 305; Oetker/Busche6 § 92c Rn 4; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 6; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 4;Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3. 122 Kleinschmidt Zur Anwendbarkeit zwingenden Rechts im internationalen Vertragsrecht unter besonderer Berücksichtigung von Absatzmittlerverträgen, Diss. iur. München 1985, S. 201 ff.; Maier NJW 1958 1327; hiergegen Hermes RIW 1999, 81 (85).

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tet, unbeachtlich, sofern deutsches Recht gilt (Ausnahmen: Artt. 3 Abs. 3, 9 Abs. 3 Rom I-VO, s. Rn 56 ff., 83 ff.). Zur Bedeutung des § 92c im deutsch-türkischen Rechtsverkehr sowie Abwehrmöglichkeiten eines türkischen HV siehe Bozbel RIW 2011, 125.

H. § 92c Abs. 1 – außereuropäische Tätigkeit I. Tätigkeit nicht innerhalb des Gebietes der EU oder der anderen Vertragsstaaten des EWR In Abs. 1 wird auf ein rein negatives Begriffsmerkmal, die fehlende Tätigkeit im genannten 19 Raum, abgestellt. Da die EWR-Staaten die der EU umfassen, könnte vereinfacht gesagt werden, dass § 92c anwendbar ist, falls der HV außerhalb des EWR tätig ist.123 Unter die Regelung fallen nämlich alle EU-Mitgliedstaaten sowie die drei EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen. Im Rahmen des § 92c ist prima vista – anders als bei der Feststellung des anwendbaren 20 Rechts, was die Dinge nicht überschaubarer macht – der Tätigkeitsort und grundsätzlich nicht der Ort der Niederlassung oderv des Sitzes124 entscheidend.125 Dies wurde erst im Gesetzgebungsverfahren Teil der Regelung.126 Damit sollte klargestellt werden, dass ein HV, der zwar eine Niederlassung in der EU unterhält, seine Tätigkeit aber außerhalb der EU ausübt, nicht in den von den zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts gewährten Schutz einbezogen wird, um missbräuchliche Gründungen von Niederlassungen innerhalb der EU zu vermeiden.127 Ob damit ein Verstoß gegen die RL vorliegt, ist umstritten.128 Unter dem Begriff der Tätigkeit ist die nach dem Vertrag geschuldete Absatzmittlertätigkeit 21 (Rn 23) zu verstehen.129 Die geschuldete Haupttätigkeit muss ganz überwiegend außerhalb der EU und des EWR zu erbringen sein.130 Nach den Maßstäben, die unten für einheitliche Verträge mit Vertriebsgebiet innerhalb und außerhalb der Vertragsstaaten angelegt werden, müsste schon eine nicht geringfügige innereuropäische Tätigkeit schädlich sein.131 Deshalb wird teilweise der Ausschluss nur im Falle einer ausschließlichen Tätigkeit außerhalb Europas für zulässig gehalten.132 Denn – Parallelfall – auch ein kleines Vertriebsgebiet innerhalb der Vertragsstaaten lässt den Ausgleichsausschluss unwirksam werden. Dafür spricht auch der Wortlaut des Abs. 1, demzufolge die „Tätigkeit“, also grds. jede Tätigkeit, außerhalb der EU oder des EWR erfolgen muss. Jedenfalls dürfen Nebenpflichten („akzessorische Tätigkeiten“133) vertragsgemäß im Inland oder innerhalb der Vertragsstaaten erfüllt und Vorbereitungs- und Nachbearbei-

123 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 6. 124 Kutscher-Puis ZVertriebsR 2016, 62 (63). 125 Eberl RIW 2002, 305; Hagemeister RIW 2006, 498 (499); Oetker/Busche6 § 92c Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 9.

126 Eberl RIW 2002, 305; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 116; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 10. 127 BT-Drucks. 11/4559, S. 10; vgl. Hagemeister RIW 2006, 498 (499); Hopt § 92c Rn 9; krit. Kindler BB 2001, 12: Verstoß gegen die RL. 128 Dagegen: MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 10; dafür: Kindler RIW 1990, 358 (363). 129 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 11. 130 Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 7; Hopt § 92c Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 8, 9, 11; ausreichend sei „schwerpunktmäßige“ Tätigkeit Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 20 Rn 100; aA Müller NJW 1998, 17. 131 Oetker/Busche6 § 92c Rn 5. 132 Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 15. 133 Oetker/Busche6 § 92c Rn 5. 911

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tungshandlungen dort ausgeführt werden.134 Unschädlich ist insb. eine gelegentliche Tätigkeit am (europäischen) Geschäftssitz des Unternehmers. Wenn ein HV bei grundsätzlich außereuropäischem Tätigkeitsort lediglich von Zeit zu Zeit Reisen nach Europa unternimmt, so gilt er in Ansehung der Lokalisierung seines Tätigkeitsbereichs als außerhalb Europas tätig.135 Auch die bloße Begleitung des HV bei Kundenbesuchen nach Deutschland erstreckt den Tätigkeitsort nicht auf EU-Gebiet.136 Anderenfalls müsste das Werk „Hausverbot“ erteilen,137 wobei der HV den Eintritt der Rechtsfolgen des Abs. 1 jedoch nicht durch vertragswidrige Werksbesuche verhindern kann. Denn vertragswidrige Tätigkeiten bleiben bei der Bestimmung des Tätigkeitsortes unbeachtlich (Rn 23). Im Ergebnis kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Ein bestimmter Prozentsatz „möglicher“ innereuropäischer Tätigkeit wird in Literatur und Rspr. nicht genannt. Als Daumenregel könnte eine Tätigkeit ab 30 % die Möglichkeit der Derogation zwingenden Rechts gefährden. Es wird auch auf die Qualität der jeweiligen lokalen Tätigkeit ankommen. 22 Wie bei der Frage des geltenden Rechts und des Erfüllungsortes kann diskutiert werden, wo der maßgebliche Tätigkeitsort liegt. Vertriebsgebiet und Tätigkeitsort müssen nicht zwingend identisch sein.138 Ist nämlich Vertriebsgebiet ein außereuropäischer Ort, liegt die Hauptniederlassung des HV jedoch innerhalb Europas und übt der HV seine Vermittlungsbemühungen ausschließlich oder weit überwiegend am Ort seines europäischen Sitzes aus, besteht u. U. eine Vermutung für eine Tätigkeit innerhalb Europas. § 92c wäre dann unanwendbar und es müsste bei dem zwingenden Recht der §§ 84 ff. verbleiben. Richtig dürfte sein, die Frage des Tätigkeitsortes wie bei der Bestimmung der vertragscharakteristischen Leistung im Rahmen des Art. 28 Abs 2 EGBGB anzuknüpfen (s. u.). Zu dieser Anknüpfung wird vertreten, es werde vermutet, dass der Tätigkeitsort dem Sitz der vertragsausführenden Niederlassung des HV entspreche. Allerdings wird man voraussetzen müssen, dass die Tätigkeit von dieser Niederlassung aus vertragskonform erfolgt. Meist allerdings wird sich dem Vertrag nicht entnehmen lassen, ob die Nutzung einer europäischen Niederlassung verboten sein soll. Das gilt gerade bei Vertragsschluss mit einem Mittler, welcher seinen Sitz innerhalb der EU oder des EWR hat. Die Rspr. wird sich oft an dem vertraglich vereinbarten Vertriebsgebiet als Tätigkeitsort orientieren: Wird die Tätigkeit am Sitz in Frankreich erbracht, so kann § 92c Abs. 1 nicht in Anspruch genommen werden.139 Die vertragliche Bezeichnung des Tätigkeitsgebietes ist zwar Indiz für den Schwerpunkt der Tätigkeit,140 schließt die rechtsbestimmende Nutzung einer europäischen Niederlassung jedoch nicht aus. Außerdem kann in der einverständlichen und überwiegenden Tätigkeit außerhalb des vertraglich bezeichneten Tätigkeitsgebiets eine konkludente Vertragsänderung zu finden sein.141 Da jedoch die Gründung missbräuchlicher Niederlassungen durch HV in der EU verhindert werden sollte, muss es sich um eine tatsächliche Niederlassung handeln, von der aus der Schwerpunkt der Tätigkeit aus erfolgt und der HV dürfte hierfür beweispflichtig sein. Scheingründungen bleiben unbeachtlich,142 ebenfalls Niederlassungen, aus denen heraus 134 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 11; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 15; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 7.

135 Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVIII Rn 75. 136 OLG München, Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01,NJW-RR 2003, 471 (472) = RIW 2002, 319 (321) = EWiR 2003, 485 (Emde) mit zust. Anm. Eberl RIW 2002, 305; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 11; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 5; Hopt § 92c Rn 6; Oetker/Busche6 § 92c Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92c Rn 8. 137 Eberl RIW 2002, 305 (307); Kindler RIW 1990, 358 (363); i. E. auch Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92c Rn 9. 138 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 17. 139 Kutscher-Puis ZVertriebsR 2016, 62 (63). 140 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 8. 141 Hopt § 92c Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 8. 142 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 17. Emde

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nicht der Schwerpunkt der vertraglichen Tätigkeit erfolgt. Wird trotz europäischer Niederlassung die Haupttätigkeit143 tatsächlich außerhalb der EU und des EWR erbracht, bleibt ein Ausschluss zwingenden Rechts auch möglich, falls der HV eine Niederlassung innerhalb dieses Raumes hat. Entscheidend ist damit, inwieweit der HV seine Tätigkeit auch von seiner europäischen Niederlassung aus ausführt. Tätigkeit außerhalb des Raumes ist daher nicht identisch mit Nichtvorhandensein eines eigenen (europäischen) Geschäftssitzes. Ein solcher kann bei einem HV vorhanden sein, der HV aber gleichwohl den Schwerpunkt seiner Tätigkeit außerhalb des europäischen Raumes erbringen. Unterhält der HV im außereuropäischen Vertriebsgebiet eine (Zweit-)Niederlassung, indiziert auch dies die Anwendbarkeit des Abs. 1.144

II. „Nach dem Vertrag“ Die Tätigkeit darf „nach dem Vertrag“ nicht innerhalb des Gebiets der EU oder der anderen 23 Vertragsstaaten des Abkommens über den EWR auszuüben sein. Maßgeblich ist also der Vertragsinhalt,145 der allerdings nicht schriftlich gefasst sein muss (kein Schriftformerfordernis). Selbst eine konkludente, ggf. nachträgliche Zuweisung des Vertragsgebietes genügt.146 § 92c ist folglich auch anwendbar, falls der HV zwar eine Niederlassung in einem Mitgliedsstaat der EU besitzt, seine Tätigkeit jedoch nach dem Vertrag nicht innerhalb dieses Gebiets auszuüben hat.147 Demgegenüber ist es unerheblich, ob der HV abweichend von seinen vertraglichen Verpflichtungen auch innerhalb des Gebiets der EU tätig wird.148 Ein Vertragsbruch darf den HV nicht begünstigen.149 In einer abweichenden Handhabung kann jedoch eine (konkludente) Änderung des Vertrages zu finden sein,150 so dass dann i. d. R. viel für eine vertragliche Vereinbarung auf eine Tätigkeit in diesem Gebiet spricht.

III. Tätigkeit innerhalb und außerhalb der EU und des EWR Diskutiert wird die Anwendung des § 92c und damit die Zulässigkeit der Derogation, wenn der 24 HV aufgrund eines einheitlichen Vertrages151 sowohl innerhalb als außerhalb der EU bzw. des EWR tätig ist. Nach einer Auffassung soll es auch hier für die Tätigkeit außerhalb der EU bzw. des EWR beim zwingenden deutschen Recht bleiben, da die nach dem deutschen Recht maßgeblichen Grundsätze für das gesamte Vertragsverhältnis einheitlich zu gelten hätten.152 Eine abweichende Ansicht lässt eine unterschiedliche Regelung der Rechtsfolgen für europäische und

Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 15. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 17. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 16; Oetker/Busche6 § 92c Rn 5. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 16. BT-Drucks. 11/4559, S. 10; Bozbel RIW 2011, 125 (130) Fn. 40. Bozbel RIW 2011, 125 (130) Fn. 40; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 16; Hopt § 92c Rn 6; Oetker/Busche6 § 92c Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 8. 149 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 16. 150 Neflin DB 1956, 589; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 16; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 19. 151 Bei zwei getrennten Verträgen stellt sich das Problem nicht, da die Verträge separat zu beurteilen sind, s. Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVIII Rn 79; aA Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 16. 152 Staudinger NJW 2001, 1976, Eckert NZA 1990, 384 (386); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI, Rn 123; Küstner/ Thume/Thume II9 Kap. XVIII Rn 78; Hopt § 92c Rn 6, Oetker/Busche6 § 92c Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92c Rn 11; wohl auch Amtl. Begr. zu § 85 E [S. 18] zur seinerzeit maßgeblichen Niederlassungsfrage; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 3.

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außereuropäische Tätigkeit zu. Beim Ausgleichsanspruch153 differenziert sie nach Kunden: Für die außerhalb der EU bzw. des EWR gewonnenen Kunden wird ein Ausschluss von den zwingenden Normen zugelassen, für die innerhalb der EU oder des EWR belegenen Kunden nicht. Damit werde am besten der gesetzgeberischen Intention Rechnung getragen, den HV bei Tätigkeiten in der EU und des EWR besser zu schützen als in anderen Gebieten.154 Diese Auffassung nimmt zwar die randschärfste Unterscheidung vor und grenzt die Interessenlagen am besten ab. Wahrscheinlich widerspricht ihr auch der Wortlaut des § 92c Abs. 1 nicht,155 weil die Worte „nach dem Vertrag“ nicht bedeuten müssen, dass der gesamte Vertrag eine außereuropäische Tätigkeit regeln muss. Die Umsätze der innerhalb bzw. außerhalb der Gemeinschaften ansässigen Kunden lassen sich meist einfach voneinander scheiden.156 Zudem wäre nicht einzusehen, warum das Entgegenkommen des Unternehmers, der seinen außerhalb der EU bzw. des EWR tätigen HV zusätzlich noch mit der Vertretung innerhalb der Gemeinschaften betraut, dazu führen soll, dass nunmehr der gesamte Vertrag ausgleichspflichtig sein soll.157 Jedoch entstehen schwer überwindbare praktische Schwierigkeiten: Für den Ausgleichsanspruch, das nachvertragliche Wettbewerbsverbot und die unabdingbaren Bestimmungen der §§ 86a Abs. 2 S. 3, 86b Abs. 1, 87a Abs. 3, 4, 87c, 88a ließe sich die Sonderung nach Vertriebsgebieten innerhalb des einheitlichen Vertrages zwar unschwer vornehmen. Anderes gilt jedoch für die zwingenden Regelungen des Kündigungsrechts, sofern der HV auch in den nicht durch Abs. 2 erfassten Branchen für ein und denselben Unternehmer tätig geworden ist, weil der Vertrag wegen der weitgehenden Unzulässigkeit von Teilkündigungen wohl nur einheitlich gekündigt werden kann.158 Im Zweifel wird der Schutzgedanke zugunsten des HV sich durchsetzen und § 92c damit unanwendbar.159 Man könnte darüber nachdenken, unter Billigkeitsgesichtspunkten eine Kompensation für die Ausgleichspflicht trotz anderweitiger Regelungsmöglichkeit zu schaffen. Es empfiehlt sich deshalb, getrennte Verträge vorzusehen.160 Eine Umgehung des § 92c liegt darin nicht,161 schon weil die Nichtanwendbarkeit des Art. 101 AEUV außerhalb der EU oder international zwingendes ausländisches Recht separate Verträge fordern kann. Auch innerhalb eines Landes werden aus den unterschiedlichsten Gründen eigenständige Verträge für separate Vertriebsgebiete geschlossen, etwa um für innerhalb Europas geltende Verträge diese an die zwingenden Vorschriften des Kartellrechts (zu ihnen s. d. Kommentierung zu Vor § 84) anzupassen.162 Das Derogationsverbot eines Vertrages färbt auch nicht auf den anderen ab; entgegen den Rechtsgedanken zu § 139 BGB oder zum Formgebot wohl auch dann nicht, wenn ein Vertrag nicht ohne den anderen

153 Einen Vorschlag zur Formulierung des Ausgleichsausschlusses in einem solchen einheitlichen Vertrag nennen Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276) = Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 20. 154 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276); Müller NJW 1998, 17 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/ Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 20; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 20 Rn 101; Ensthaler/ Genzow § 92c Rn 6; Roth in: Koller/Roth/Morck, HGB, 3. Aufl. 2002, § 92c Rn 2. 155 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276); Hagemeister RIW 2006, 498 (499); Müller NJW 1998, 17 (18). 156 Hagemeister RIW 2006, 498 (499). 157 Hagemeister RIW 2006, 498 (500). 158 Das konzedieren auch Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276) als Vertreter der Gegenansicht. Sie führen in: Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht2 § 92c Rn 20 aus, dass es wegen der Schwierigkeiten der „geteilten“ Anwendung der Kündigungsfristen insoweit bei der strengeren Regelung bleibt, also bei den Kündigungsfristen des § 89. 159 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 126; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 22; vgl. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 9; aA für branchenübergreifende Verträge MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 22. 160 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276); Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 3. 161 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276); aA Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 16. 162 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 20. Emde

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geschlossen worden wäre. Sieht man einen einheitlichen Vertrag fur inner- und außereuropäische Tätigkeit als wirksam an, darf wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion und der daraus folgenden Unwirksamkeit jedenfalls in AGB kein einheitlicher Ausschluss der zwingenden Vorschriften erfolgen.163 Das Gleiche gilt wegen § 139 BGB auch bei Individualverträgen.164

IV. Maßgeblicher Zeitpunkt Grundsätzlich ist für die Prüfung der Frage, ob eine Tätigkeit innerhalb der EU oder des EWR 25 vorliegt, der Zeitpunkt der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs maßgeblich. Bei der Forderung nach dem Ausgleichsanspruch wird es auf den Zeitpunkt des Abschlusses der ausgleichsrelevanten Einzelgeschäfte ankommen (s. Rn 27).165 Eine Tätigkeit außerhalb des genannten Raumes schon zu diesem Zeitpunkt wird als vorhanden gelten müssen, wenn der Vertragsschluss sie vorsieht und die Tätigkeit unverzüglich im Laufe der Vertragsdurchführung begründet wird.166 Bei Zweifeln darf nicht von den zwingenden Vorschriften abgewichen werden.

V. Ausdehnung des Vertrages in ein EU- oder EWR-Land Die nachträgliche, ausdrückliche der stillschweigende,167 jedoch mit Willen beider Parteien voll- 26 zogene (sonst kein Erklärungsbewusstsein zum Abschluss eines „Vertrages“)168 vollständige Verlagerung des Vertriebs in die EU oder den EWR169 und ebenso die Ausdehnung des Vertriebsgebietes eines einheitlichen Vertrages (separater Vertragsschluss für den außereuropäischen Raum bleibt unschädlich) auf ein Land der EU oder des EWR, d. h. die nachträgliche Verlegung des Schwerpunktes der Tätigkeit des HV in den europäischen Raum, bringt den Vertrag ab diesem Zeitpunkt170 insgesamt außerhalb des Anwendungsbereiches des § 92c.171 Kommt es, nachdem es beim Vertragsschluss an einer europäischen Tätigkeit gefehlt hatte, nachträglich konsensual zu einer Erstreckung des Tätigkeitsgebietes nach Europa, so werden neue Vertragsbestimmungen, die gegen die zwingenden Bestimmungen des 7. Abschnitts verstoßen, nicht mehr getroffen werden können; auf die Privilegierung des § 92c kann sich der Unternehmer nicht mehr berufen. Die § 92c widersprechenden, ursprünglich festgelegten Vertragsbestimmungen verlieren ipso iure insoweit ihre Kraft, wie sie, neu vereinbart, gegen unabdingbares Recht 163 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 20.

164 AA Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (276) = Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 20: geltungserhaltende Reduktion, da vermutet werden könne, dass die Parteien den Vertrag hinsichtlich seines europäischen Teils an die zwingenden Vorschriften angepasst hätten. 165 Mglw. aA Ensthaler/Genzow § 92c Rn 7; Oetker/Busche6 § 92c Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 12: die Voraussetzung für die Abweichungsbefugnis muss im Zeitpunkt des Abschlusses desjenigen Geschäftes vorliegen, mit dem vom zwingenden Recht abgewichen werden soll. Wieder anders Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVIII Rn 80: maßgeblich ist der Zeitpunkt der vertragsgemäßen Tätigkeit und nicht des Vertragsschlusses. Nach Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 22 kommt es auf den Zeitpunkt des Abschlusses des HV-Vertrages oder seiner Abänderung an (so auch 2. Aufl, § 92c Rn 13). Aber dann wären territoriale Änderungen der EU- oder EWR-Staaten irrelevant. 166 AA Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 2. 167 Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 6. 168 Vgl. auch Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 2. 169 Dazu Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 24. 170 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 13, 14. 171 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 126; Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVIII Rn 80; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 22; Oetker/Busche6 § 92c Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 2. 915

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verstoßen würden.172 Teilweise wird allerdings vertreten, die ursprünglich getroffenen Vereinbarungen blieben wirksam (auch soweit sie mit zwingenden Regelungen der §§ 84 ff. unvereinbar seien),173 jedenfalls soweit Individualverträge betroffen sind.174 Dieser Ansicht steht der Wortlaut des Abs. 1 entgegen, demzufolge es auf den Gegenwartszustand ankommt. Folglich besteht nicht lediglich ein Anspruch jeder Vertragspartei auf Abschluss eines dem nunmehr geltenden Recht entsprechenden Vertrags und bei Weigerung der Gegenpartei ein fristloses Kündigungsrecht. Das Schicksal des Gesamtvertrages bestimmt sich nach §§ 139, 306 BGB. Insbesondere ist zu prüfen, ob der Gesamtvertrag dadurch nichtig wird, weil dessen Inhalt einer Partei nicht mehr zugemutet werden kann.175 Davon ist bei einvernehmlicher Tätigkeitsänderung zurückhaltend auszugehen, weil der Wegfall der Dispositionsfreiheit zum Nachteil des zwingenden Rechtes die Ausnahme und zugleich zwingende Folge des neuen Tätigkeitsumfanges ist. Die Geltung der §§ 84 ff. in ihrer Gänze ist regelmäßig von jeder Partei hinzunehmen, ebenso wie es etwa eine Gesetzesänderung wäre. Wenn die Verlegung des Tätigkeitsbereiches in den europäischen Raum im Einvernehmen mit dem Unternehmer erfolgt ist, wird im Zweifel eine ggf. auf den europäischen Raum bezogene partielle und stillschweigende Anpassung des Vertrages an das deutsche zwingende Recht als gewollt anzunehmen sein.176 Das leuchtet insb. ein, soweit eine vertraglich getroffene positive Regelung auf gesetzliche Mindestmaße zurückgeführt werden kann (Kündigungsfristen, Provisionsfälligkeit, Dauer eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots). Denn hier tritt eine vertragliche Regelung mit gesetzlich vorgegebenem Mindestgehalt an die Stelle einer anderen. Die tatsächliche Ausweitung der Tätigkeit in das Gebiet der Vertragsstaaten ist rechtlich unerheblich, solange sie ohne Kenntnis und Duldung des Unternehmers und damit nicht auf vertraglicher Grundlage geschieht.177 Die nicht auf Vertrag beruhende und nicht geschuldete Tätigkeit außerhalb von EU und EWR kann schon deshalb nicht zum Wegfall zwingenden Rechts führen, weil es zur Erweiterung des Vertriebsgebietes einer vertraglichen Vereinbarung bedarf. 27 Da eine Rückwirkung auf abgeschlossene Tatbestände – Werbung oder Erweiterung eines Kunden – nicht in Betracht kommt (die Anwendbarkeit der relevanten Vorschrift muss zum Zeitpunkt der Erfüllung ihrer TB-Voraussetzungen gegeben sein), können für die Ausgleichsberechnung erst ab Wegfall der Privilegierung des § 92c, d. h. ab Erstreckung der Tätigkeit auf das Gebiet der EU oder des EWR, geworbene Neukunden in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden.178 Altkunden sind lediglich relevant, soweit der HV die Umsätze mit ihnen wesentlich erweitert hat (§ 89b Abs. 1 S. 2),179 dann aber mit den vollständigen Umsätzen180 und auch, wenn der Erstkauf aus dem Zeitpunkt vor der Erweiterung datiert. Damit wird die Rechtslage hergestellt, die bestände, wenn der Unternehmer den Vertrag vor der Tätigkeitsausweitung gekündigt hätte, wobei zugleich ein Anlass genommen wird, so zu verfahren. Nach aA sind alle

172 Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 22; aA Ensthaler/Genzow § 92c Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 2. 173 Neflin DB 1956, 589; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 13; aA Küstner/Thume/Thume II9 Kap. XVIII Rn 80. 174 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 23. In AGB wäre der Ausschluss zwingenden Rechts auch nach Ansicht von Wauschkuhn/Teichmann unwirksam. 175 Vgl. BGH, Urt. v. 8.5.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde) für den Fall der Änderung der kartellrechtlichen Freistellungslage. 176 Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 2. 177 Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 21; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 7; Hopt § 92c Rn 6; Neflin DB 1956, 58. 178 KG, Urt. v. 4.4.2003 – 14 U 260/01, zit. n. Bechem FS Thume S. 4; Thume BB 2004, 2473 (2477); Kindler RIW 1990, 358 (364); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 127; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 25. 179 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 25. 180 AA Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 25. Emde

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jemals vom HV geworbenen Kunden, aber nur mit den seit dem Stichtag der Erweiterung erzielten Umsätzen, in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen.181 In die Berechnung der Mindestvertragsdauer nach § 89 ist jedoch die bisherige Vertragstätigkeit einzubeziehen.182 Auf die Paralleldiskussion bei der Erweiterung der Tätigkeit eines neben- zum hauptberuflichen HV (s. d. Kommentierung zu § 92b) wird verwiesen.

VI. Erweiterung der EU Der Beitritt eines Staates des Gebietes außerhalb der Gemeinschaften zu diesen führt zur 28 Unanwendbarkeit des § 92c ab dem Beitritt.183 Abs. 1 enthält insoweit eine „dynamische“ Verweisung.184 Nach einer Erweiterung der EU, wie sie um 10 Staaten zum 1.5.2004 geschah, darf von den zwingenden Vorschriften der §§ 84 ff. seit dem Datum der Erweiterung nicht mehr gem. § 92c gegenüber dort tätigen HV abgewichen werden. Der HV kann z. B. trotz eines im Vertrag enthaltenen Ausgleichsausschlusses zwingend einen Ausgleichsanspruch nach § 89b fordern. Der im Altvertrag enthaltene Ausgleichsausschluss ist nun gem. § 89b Abs. 4 von selbst vollständig unwirksam. Soweit es um den Ausgleich geht, wird den Parteien vor dem Beitritt Gelegenheit bleiben, den Vertrag durch Kündigung ohne Ausgleichsverpflichtung zu beenden;185 relevant ist dieser Gesichtspunkt nicht. Auch bei der Erweiterung der EU wird allerdings vertreten, dass eine zuvor zulässig vereinbarte Derogation zwingenden HV-Rechts nicht durch den Beitritt ipso iure unwirksam wird, sondern die wirksam getroffenen Regeln fortbestehen.186 Wie oben unter Rn 26 ausgeführt, steht diese Ansicht im Widerspruch zum Wortlaut des Abs. 1 und würde zu einer diskriminierenden Rechtspaltung innerhalb der EU führen. Es fragt sich allerdings, ob bei der Ausgleichsberechnung auch vor dem Datum des Beitritts geworbene Neukunden zu berücksichtigen sind. Dazu gelten die oben, Rn 27, genannten Maßstäbe: Erst ab dem Beitritt gewonnene Neukunden sind ausgleichsrechtlich relevant;187 nach dem Beitritt erweiterte Altkunden wohl mit ihren vollständigen Umsätzen (da sie ausgleichsrechtlich nun vollständig Neukunden gleichstehen, s. Rn 27). Vor dem Beitritt war der Ausschluss wirksam und er wird für abgeschlossene Zeiträume vor der Erweiterung nicht rückwirkend unwirksam.188 Der Unternehmer wird nach dieser Ansicht nicht gezwungen, den Vertrag zwecks Ausgleichsvermeidung zu kündigen und eine Ungleichbehandlung solcher Unternehmer vermieden, die den Vertrag – etwa wegen langer Kündigungsfristen oder eines Kündigungsausschlusses – nicht ausgleichsvermeidend kündigen dürfen oder wollen.189 Gleichwohl wird der Ausgleichsausschluss automatisch mit dem Beitritt unwirksam und es bedarf keiner Vertragsanpassung. Nach Löwisch wird der Ausgleich zwar unter Einbeziehung aller Kunden berechnet, welche der HV seit Vertragsbeginn geworben hat, d. h. auch der vor dem Beitritt gewonnenen, jedoch nur unter Einbeziehung der Umsätze aus der Zeit nach dem Beitritt.190 Noch nicht ausdiskutiert ist, Ankele DB 1989, 2211 (2213); Wittmann BB 1994, 2296; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 22. Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 22. Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 24; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 12. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 7. Kindler RIW 1990, 358 (364); zweifelnd Thume BB 2004, 2473 (2477) mit Hinweis auf die Rspr des BGH zu Kettenverträgen (BGH HVR Nr. 226; 656; 872; 1033; 1035). 186 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 14. 187 KG, Urt. v. 4.4.2003 – 14 U 260/01, zit. n. Berchem FS Thume S. 4 für den Beitritt Österreichs; Thume BB 2004, 2473 (2477); Kindler RIW 1990, 358 (364). 188 KG, Urt. v. 4.4.2003 – 14 U 260/01, zit. n. Berchem FS Thume S. 4 für den Beitritt Österreichs. 189 Wobei zumindest auf der Basis der Ansicht, die auch vor Erweiterung geworbene Kunden als ausgleichspflichtig ansieht, zu diskutieren wäre, ob bei langen Kündigungsfristen ein Kündigungsrecht nach § 89a besteht. 190 Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 24; aA Ebenroth/Löwisch 1. Aufl. § 92c Rn 11 f. Eine solche Einschränkung widerspricht mglw. der zwing. Natur des Ausgleichs, vgl. Berchem FS Thume S. 8.

181 182 183 184 185

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ob die die Ausgleichsberechnung ohne Umsätze oder Kunden aus der Zeit vor dem Beitritt ausführenden Ansichten im Widerspruch zur zwingenden Natur des § 89b steht.191 29 Berchem192 weist darauf hin, dass der Ausgleich erst mit Beendigung des HV-Vertrages entsteht. Die Kundenwerbung stelle lediglich eines mehrerer TB-Merkmale des § 89b dar; die Norm müsse nicht zum Zeitpunkt der Erfüllung aller TB-Merkmale gelten. Eine Rückwirkung fehle damit, ebenso wenig gebe es ein schutzwürdiges Vertrauen auf Nichtbeitritt zur EU.193 Die etwa von Löwisch favorisierte „gespaltene“ Ausgleichsberechnung widerspreche der Einheit des Vertrages.194 Auch der Vergleich mit der sich an die Tätigkeit eines Angestellten anschließenden HV-Tätigkeit, wobei die während der Angestelltenzeit geworbenen Kunden ausgleichsrechtlich irrelevant blieben,195 sei nicht überzeugend, da dann zwei hintereinander geschaltete Verträge vorlägen.196

VII. Austritt eines Landes aus der EU 30 An den Austritt eines Landes aus der EU hat bislang kaum jemand gedacht. Angesichts des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU ist relevant, welche Folgen er auf bestehende HV-197 oder Vertragshändler-Verträge198 hat. Möglich ist, dass GB sein jetziges HV-Recht (Commercial Agents Regulations 1993) beibehält199 oder aufhebt.200 Bei der letztgenannten Alternative handelt es sich um ein nicht gänzlich unrealistisches Szenario, da GB der RL zurückhaltend gegenüberstand.201 Bislang war gem. § 92c Abs. 1 der Ausschluss der zwingenden Vorschriften des HV-Rechts oder der analog auf HV-ähnliche Mittler angewandten Vorschriften, insb. des § 89b, auf Mittler, die in GB tätig waren, nicht möglich. Mit dem Austritt wäre dies wieder denkbar, sofern GB nicht dem EWR beitritt.202 Sah ein Vertrag den Ausschluss zwingender Vorschriften des HV-Rechts vor, wäre dieser mit dem Beitritt GB zur EU unwirksam geworden und müsste nun wieder wirksam werden.203 Mglw. bietet es sich an, dem Vertrag eine „Angstklausel“ beizufügen, die für den Fall des Austritts einen erst dann wirksam werdenden Ausgleichsausschluss regelt. Ein entsprechender Ausschluss unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) des Austritts dürfte wirksam sein.204 Trotzdem besteht das Risiko der Unwirksamkeit auch nach einem Austritt (und damit die Gefahr negativer Feststellungsklagen bzw. Klagen von Wettbewerbern), begründet damit, die Klausel sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses205 nichtig gewesen.206 Dem wird man wohl entgegenhalten können, dass eine solche Nichtigkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht existierte: Denn die Wirkung der Bestimmung sollten erst nach dem EU-Austritt eintreten.207 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205

In diese Richtung Berchem FS Thume S. 8. FS Thume S. 7. Berchem FS Thume S. 8. Berchem FS Thume S. 8. Diesen Vergleich zieht Thume BB 2004, 2473. Berchem FS Thume S. 8. Vgl. Emde ZVertriebsR 2018, 77; Gräfe ZVertriebsR 2016, 205. Emde ZVertriebsR 2018, 77; Grupp NJW 2017, 2065 (2068). Grupp NJW 2017, 2065 (2068). Grupp NJW 2017, 2065 (2068). S. Emde ZVertriebsR 2018, 77 (78); Gräfe ZVertriebsR 2016, 205 (206). Gräfe ZVertriebsR 2016, 205; Grupp NJW 2017, 2065 (2068). Emde ZVertriebsR 2018, 77 (82); Reif/David/Hauch ZVertriebsR 2017, 35 (38); Gräfe ZVertriebsR 2016, 205 (206). Emde ZVertriebsR 2018, 77 (78). Sollte es auf diesen Zeitpunkt und nicht den des Urteils ankommen. Siehe zum maßgeblichen Zeitpunkt Palandt/Ellenberger 77. Aufl., § 134 Rn 12a. 206 Emde ZVertriebsR 2018, 77 (82) Emde ZVertriebsR 2018, 77 (82). 207 Emde ZVertriebsR 2018, 77 (82). Emde

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VIII. Vollständige Verlagerung des Tätigkeitsortes aus der EU oder dem EWR in einen außereuropäischen Tätigkeitsort Fällt ein Tätigkeitsort innerhalb der EU oder des EWR weg, kann ab diesem Zeitpunkt von den 31 zwingenden Vorschriften des 7. Abschnitts abgewichen werden.208 Das setzt aber eine dahingehende, ausdrückliche Abrede voraus209 (Rn 35). Bei Ausschluss des Ausgleichs stellt sich in dieser Situation die Frage nicht, welche Kunden in eine Ausgleichsberechnung einzubeziehen sind.

I. § 92c Abs. 2 – Schiffslinienvertretungen Gem. § 92c Abs. 2 kann hinsichtlich aller Vorschriften des HV-Rechts Abweichendes verein- 32 bart werden, wenn der HV mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften betraut wird, die die Befrachtung, Abfertigung oder Ausrüstung von Schiffen oder die Buchung von Passagen auf Schiffen zum Gegenstand haben. Die Vorschrift findet sich seit 1953 unverändert im HGB.210 Auch von der Ermächtigung des Abs. 2 wird meist bei der Derogation des Ausgleichsanspruchs Gebrauch gemacht.211 Es stellt sich die Frage, ob dem Unternehmer mit einer solchen Derogation geholfen ist. Denn oft wird es ausländisches zwingendes Recht geben, das der HV versuchen wird, vor den Gerichten seines Sitzes oder über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO in Deutschland durchzusetzen. Noch nicht einmal innerhalb der EU ist der Unternehmer davor sicher, dass der HV ausgleichsfreundlicheres Recht des Sitzstaates vor lokalen Gerichten oder über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO (dazu unten) durchsetzen wird: Der EuGH hat mit dem einen Schifffahrtsvertreter betreffenden Urt. v. 17.10.2013212 ausgesprochen, dass sich das zwingende HV-Recht eines EU-Mitgliedsstaates gegen das weniger vertreterschützende Recht eines anderen Mitgliedsstaates nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchsetzen könne. Das bedeutet: Ein etwa in Frankreich tätiger Schifffahrtsvertreter, dem nach deutschen Recht gem. § 92c Abs. 2 der Ausgleich versagt werden könnte, dürfte vor französischen oder deutschen Gerichten rügen, dieser Ausschluss sei unwirksam. Die praktische Bedeutung des Abs. 2 soll geringer sein als die des Abs. 1.213 Theoretisch käme aber eine analoge Anwendung auf Schiffahrts-Vertragshändler und -FN in Frage.

I. Sachliche Ausdehnung Abs. 2 enthält eine Rechtsfolgenverweisung auf Abs. 1.214 Die TB-Voraussetzungen des Abs. 1 33 braucht der Schifffahrtsvertreter daher nicht zu erfüllen;215 beide Absätze sind ihren TB-Voraussetzungen nach voneinander zu trennen.216 Es ist also unerheblich, ob der Schifffahrtsvertreter

Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 26. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 26. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 8. Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 14. EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403. 213 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 2. 214 Belgard DB 1966, 1641; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 21. 215 Belgard DB 1966, 1641. 216 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 2.

208 209 210 211 212

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im In- oder Ausland tätig ist217 und wo er seine Niederlassung führt.218 Nach Abs. 2 besteht volle Vertragsfreiheit auch in Verträgen mit HV, die Geschäfte vermitteln oder abschließen, welche die nicht notwendigerweise grenzüberschreitende219 Befrachtung, Abfertigung oder Ausrüstung von Schiffen oder die Buchung von Passagen auf Schiffen zum Gegenstand haben. Abs. 2 trifft nur die Schifffahrtsvertreter. Von ihnen sind nach § 84 („ständige Betrauung“) die Schiffsmakler abzugrenzen, die nur im Einzelfall tätig werden.220 Ein Widerspruch des Abs. 2 zur RL ist zu verneinen, weil sie nur auf Warenvertreter Anwendung findet.221 Der Schifffahrtsvertreter wird aber als Dienstleistungsvertreter eingeordnet. Die Vorschrift gilt für Linienvertretungen, Schifffahrtsagenturen, Reedereiagenten222 sowie für alle jene Vertragsverhältnisse einer agency, bei denen ein Spediteur oder Schifffahrtsunternehmer als Agent eines anderen Schifffahrtsunternehmers tätig wird. Ein Schiff ist zumindest jedes Wasserfahrzeug, das nach dem archimedischen Prinzip schwimmt; Luftkissenfahrzeuge wird man wohl einschließen dürfen. Also ist Schifffahrtsvertreter i. S. d. § 92c Abs. 2 jeder, der Transporte auf solchen Körpern vermittelt oder sie ausrüstet, unabhängig von dem Zweck der Beförderung.223 Auf die Größe des Transportmittels dürfte es nicht ankommen, solange das Transportgerät schwimmt. Auch die Art des beförderten Gutes oder des Ausrüstungsgegenstandes, etwa Gegenstände oder Passagiere,224 ist – solange das vermittelte Geschäft oder der HV-Vertrag nicht durch den Inhalt des vermittelten Geschäfts gem. §§ 134, 138 BGB nichtig würde – unbeachtlich, ebenso wie die Art der Beförderung, z. B. große oder kleine Schiffe, Binnen-225 oder Hochseeschifffahrt,226 grenzüberschreitend oder nicht.227 Gleichfalls ist das Fahrtziel irrelevant, und damit ob Hin- und Rückfahrt oder gar eine Kreuzfahrt mit Rückkehr zum Ausgangshafen228 vermittelt wird. Zur Befrachtung ist auch die Vermittlung von Schleppverträgen229 zu rechnen. Der Ausgleich oder eine andere zwingende Norm darf bei jeder in den Gesetzeswortlaut fallenden Beförderung zu Wasser, unabhängig von ihrem Zweck, ausgeschlossen werden, und damit nicht nur im Linien-

217 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht § 92c Rn 47; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 9; Oetker/Busche6 § 92c Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 5; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 14. AA früher Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92c Rn 15: Abweichung von zwingendem Recht nur gegenüber Schifffahrtsvertretern zulässig, die keine Niederlassung im Inland oder der EU bzw. des EWR haben. Aber dann wäre Abs. 2 systematisch überflüssig; s Flohr/Wauschkuhn/ Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 48. 218 Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 5. 219 OLG Köln, Urt. v. 22.6.1966 – 2 U 24/66, OLGZ 1966, 533; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 14. 220 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 19. 221 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (146). 222 HansOLG Hamburg MDR 1973, 140; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 17. 223 Belgard DB 1966, 1640; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 47; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 17. 224 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 19. 225 OLG Köln, Urt. v. 22.6.1966 – 2 U 24/66, OLGZ 66, 533; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 47; Oetker/Busche6 § 92c Rn 8; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 14. 226 OLG Köln, Urt. v. 22.6.1966 – 2 U 24/66, OLGZ 66, 533; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 47; Hopt § 92c Rn 13; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 17; Oetker/Busche6 § 92c Rn 8; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 5. 227 OLG Köln, Urt. v. 22.6.1966 – 2 U 24/66, OLGZ 1966, 533; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 17; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 9; Oetker/Busche6 § 92c Rn 8; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 14. 228 Belgard DB 1966, 1640; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 19. 229 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 47; Oetker/Busche6 § 92c Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 19. Emde

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verkehr.230 Maßgeblich ist der Gesetzeswortlaut. Die Vorschrift spricht generell vom Schiffsverkehr einschließlich des Binnenschiffsverkehrs.231 Die Regelung in einem HV-Vertrag über Schiffsbeförderung, „upon termination of this agreement no compensation or indemnification whatsoever shall be due to the agent“, ist hinreichend bestimmt und deutlich, um den Ausgleich auszuschließen.232 Der Ausschluss soll selbst dann mittels AGB erfolgen dürfen, wenn das Recht des Tätigkeitslandes einen zwingenden Ausgleichsanspruch auch für Schifffahrtsvertreter vorschreibt.233 Es stellt sich aber die Frage, ob dieses Recht international zwingend ist.234 § 92c Abs. 2 gilt für den Kreis der dort bezeichneten Vermittlungsgeschäfte. Auf andere Vermittlungstätigkeiten desselben HV ist § 92c unanwendbar. Insbesondere gilt Abs. 2 wegen seines Ausnahmecharakters nicht analog für den Luftverkehr.235 Sonst müssten auch sonstige Formen der Reise- und Frachtvermittlung, etwa Schienenverkehr, Straßenverkehr, in den Anwendungsbereich einbezogen werden, was die Ausnahmevorschrift zu weit ausdehnen würde.236

II. Mehrfachvertretung mit anderen Branchen Wird der HV aufgrund desselben Vertrages sowohl als Schifffahrtsvertreter wie zusätzlich als 34 HV in anderen Branchen tätig, so gibt es vier Lösungsmöglichkeiten: Die erste ist es, von der Unanwendbarkeit des § 92c auf den Gesamtvertrag auszugehen. Dann darf in allen Branchen nicht von zwingendem Recht abgewichen werden. Unerhebliche Hilfstätigkeiten in anderen Gebieten würden die Anwendung des § 92c jedoch nicht ausschließen. Es gilt insoweit dasselbe wie bei Hilfstätigkeiten zur Auslandstätigkeit (Rn 10). Die zweite Möglichkeit ist es, die Anwendung des Abs. 2 erst dann zuzulassen, wenn der Schwerpunkt der Tätigkeit innerhalb der Schifffahrtsvertretung liegt.237 Eine dritte Möglichkeit wäre es, nach den vertriebenen Produktgruppen zu separieren. Viertens könnte nach Rechtsfolgen unterschieden werden: Soweit einzelne gesetzliche Regelungen auf die verschiedenen Branchen gesondert angewandt werden könnten (z. B. §§ 86a Abs. 2 S. 3, 86b Abs. 1, 87a Abs. 3 und 4, 87c, 88a, 89b, 90a) könnten diese Regelungen für die in den Anwendungsbereich des Abs. 2 fallenden Tätigkeiten abbedungen werden. Für die sonstigen Tätigkeiten blieben die Vorschriften in Kraft.238 Teilweise wird auch bei den sonstigen Tätigkeiten der Ausschluss des zwingenden Rechts zugelassen, sofern der HV schwerpunktmäßig als Schifffahrtsvertreter tätig ist.239 Zuzustimmen ist Variante 1: Aus den oben Rn 24 genannten Gründen kann der Vertrag nicht geteilt werden, weder nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit, nach den vertriebenen Produkten noch nach Rechtsfolgen. Innerhalb eines Vertrages kann nur einheitliches Recht gelten.240 Mit der nicht lediglich unerheblichen Ausdehnung des Vertrages auf nicht von § 92c erfasste Produkte gerät der Vertrag insgesamt aus dem Anwendungsbereich des § 92c und eine Abweichung von zwingendem Recht ist unzulässig.

So Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 17; Belgard DB 1966, 1640. OLG Köln OLGZ 1966, 533; Belgard DB 1966, 1640 – dieser auch zu den Begriffen „Buchung“ und „Passage“. LG Hamburg, Urt. v. 15.12.2006 – 406 O 175/06. LG Hamburg, Urt. v. 15.12.2006 – 406 O 175/06. EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403; s. a. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 37. 235 Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 17; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 9; Hopt § 92c Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 5; aA Würdinger JR 1953, 438. 236 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 20. 237 So Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 18; Oetker/Busche6 § 92c Rn 8 (im Grundsatz); MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92c Rn 22 für das Kündigungsrecht. 238 So Oetker/Busche6 § 92c Rn 8 (als Unterregel); MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 22. 239 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 50. 240 AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 22.

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III. Ausdrücklicher und wirksamer Ausschluss 35 Der Ausschluss der zwingenden Vorschriften muss ausdrücklich241 und wirksam erfolgen. Ohne ausdrücklichen Ausschluss bleibt es bei den Regelungen der §§ 84 ff. einschließlich seiner zwingenden Bestandteile.242 Der Ausschluss kann auf verschiedenste Weise erfolgen, etwa indem eine bestimmte Vorschrift derogiert wird oder eine anderweitige Regelung getroffen wird.243 Deshalb braucht nicht ausdrücklich auf die abbedungene Vorschrift Bezug genommen werden, etwa die Derogation des § 89b expressis verbis bestimmt werden. Auch ein Zitiergebot hinsichtlich der derogierten Vorschriften besteht nicht. Theoretisch kann sogar ein konkludenter Ausschluss „ausdrücklich“ sein, solange er hinreichend evident wird. In englischsprachigen Vertriebsverträgen wird häufig allgemein von einem Ausschluss jeder „compensation“ oder „indemnity“ gesprochen. Damit sollen nicht (allein) Schadensersatzansprüche ausgeschlossen werden, sondern es wird Bezug auf die englischsprachige Fassung der Art. 17, 18 der RL genommen, die wahlweise diese Begriffe verwendet, nämlich „compensation“ für das französische System nachvertraglicher Schadenersatzansprüche und „indemnity“ für bspw. das deutsche System des Ausgleichsanspruchs. Sollten auch Schadenersatzansprüche (ungewollt) mit ausgeschlossen worden sein, kann dies gerade bei Verwendung von AGB zu Problemen führen244 (Rn 39). Denn ein genereller Ausschluss aller Schadenersatzforderungen, auch für Vorsatz (§ 276 BGB) und für grobe Fahrlässigkeit, wäre in AGB wohl unwirksam.245 Wie der Ausschluss zu werten ist, bleibt eine Frage der Auslegung nach den vorgenannten Maßstäben. Immer wäre die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion zu untersuchen (in Individualverträgen) bzw. die Existenz eines sinnvollen Restregelungsbereichs (in AGB). Häufig wird sich ergeben, dass der Ausgleichsausschluss als wirksam aufrecht erhalten werden kann. Gelegentlich werden alle „innerhalb der EU oder des EWR geltenden zwingenden Vorschriften“ ausgeschlossen, womit die Argumentation eröffnet ist, dass es sich um eine zuzulässige Teilrechtswahl246 handelt. Zudem ist der Begriff „zwingend“ schillernd, weil es die verschiedensten Formen zwingender Vorschriften gibt, etwa halbzwingend, international-zwingend, nur für eine bestimmte Zeit zwingend (etwa bis zum Vertragsende, siehe § 89b Abs. 4 S. 1) oder i. S. d. RL für die Mitgliedstaaten zwingend. Gerade der Ausgleichsanspruch, auf den meist gezielt wird, ist etwa nach Vertragsende nicht mehr zwingend. In AGB gefasst ist eine solche Klausel unwirksam, weil ihr Wortlaut auch die zwingenden Vorschriften außerhalb des HV-Rechts ausschließt. In Individualverträgen spricht ebenfalls Einiges dafür, dass der Ausschluss jedes zwingenden Rechts gem. § 134 BGB unwirksam ist. Zu bedenken ist ferner, dass zwar gem. § 92c hinsichtlich aller Vorschriften des Abschnittes über den HV „etwas anderes vereinbart werden“ kann. Allerdings bedeutet etwas anderes vereinbaren u. U. nicht die vollständige und unreflektierte Abwahl des gesamten HVRechts. Vielmehr ließe sich darüber diskutieren, ob lediglich einzelne, ganz bestimmte Regelungen konkret abgeändert werden. Auch hier könnte eine geltungserhaltende Reduktion diskutiert werden, weil mit § 92c ein gesetzlicher Prüfungsmaßstab zur Verfügung steht.247 Erfolgt der Aus-

241 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (277); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 29. 242 Neflin DB 1956, 589; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 3, 15; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 4. 243 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (277); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 29. 244 Für die Unwirksamkeit in diesem Fall Niebling WRP 2010, 1454 (1458 f.). 245 Niebling ZVertriebsR 2012, 79 (83); ders. WRP 2010, 1454 (1458 f.) = WRP 2012, 1361 (1365). 246 Vgl. Staudinger/Magnus, BGB, 2016, Art. 3 Rom-I-VO Rn 47; von Baar IPR II, Rn 426; Spickoff in Bamberger/ Roth, BGB, 3. Aufl. 2012, Art. 3 Rom-I-VO Rn 28. 247 So hat BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027 = BB 2012, 3098 = EWiR 2013, 13 (Emde) zu § 90a argumentiert. Emde

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schluss nicht mit der nötigen Bestimmtheit, bleiben die zwingenden Vorschriften des HV-Rechts anwendbar.248

J. Folgen des wirksamen Ausschlusses des HV-Rechts I. Welche Vorschriften können derogiert werden? In unter § 92c fallenden Verträgen dürfen beide Vertragspartner von allen Vorschriften der 36 §§ 84 ff. abweichen.249 Das ausdrücklich derogierte HV-Recht bleibt ab dem Moment des wirksamen Ausschlusses unbeachtlich. Zwingende Regelungen in anderen Abschnitten des HGB,250 des Kartellrechts251 sowie anderer Gesetze, auch soweit sie durch solche des HVRechts überlagert werden, behalten ihre Kraft; so etwa die §§ 138, 826, 242, 305 ff. BGB,252 das Erfordernis einer Abmahnung vor außerordentlicher Kündigung (§ 314 BGB), die Nichtausschließbarkeit der Kündigung aus wichtigem Grund (§§ 314, 626 Abs. 1 BGB),253 die Kündbarkeit eines auf länger als 5 Jahre oder auf Lebenszeit geschlossenen Vertrages (§ 624 BGB)254 sowie das EU-Kartellrecht.255

II. Entschädigungsloses nachvertragliches Wettbewerbsverbot? Diskutiert wird auch, ob gem. § 92c, abweichend von § 90a Abs. 1 S. 3, eine entschädigungslose 37 nachvertragliche Wettbewerbsabrede getroffen werden kann. Das wird zum Teil wegen der wertsetzenden Bedeutung des Art. 12 Abs. 1 GG, aus dem sich ebenfalls die Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung ergibt, verneint und eine solche Regelung deshalb als verfassungswidrig bezeichnet.256 Andere befürworten die Zulässigkeit,257 weil der HV nicht gegen seinen Willen, sondern aufgrund einer konkreten vertraglichen Vereinbarung auf eine Entschädigung verzichtet. Eine solche Vereinbarung sei anzuerkennen und zu achten, weil der HV als selbstständiger Gewerbetreibender, anders als der Handlungsgehilfe, eines geringeren Schutzes gegenüber dem Unternehmer bedürfe.258 Abgesehen davon, dass dieses Bild der wirtschaftlichen Unabhängigkeit des HV meist unzutreffend ist, verbietet es Art. 12 GG, den HV entschädigungslos einem Berufsverbot zu unterwerfen, ggf. auf unbestimmte Zeit. Da lediglich von § 90a und nicht Art. 12 GG abgewichen werden darf, ergibt sich die Entschädigungspflicht unmittelbar aus Art. 12 GG. Diskutiert werden kann jedoch, ob sich der Schutzbereich des Art. 12 GG auf den außerhalb Europas tätigen HV erstreckt. Die Erstreckung wird man bei deutschen natürlichen oder juristischen Personen annehmen müssen.

248 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (277). 249 Thume IHR 2014, 52; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 27; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 3, 15.

250 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 28. 251 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 28. 252 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 28; Detzer/Ullrich Rn 354; Westphal I Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 4. 253 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 4. 254 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 4. 255 OLG München IPRax 1997, 44 m. Bespr. Fuchs IPRax 1997, 32. 256 Wengler ZHR 146, 1982, 30 (42 ff.). 257 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 18. 258 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 31; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 92c Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 18. 923

Emde

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III. Keine Derogation wenn am Tätigkeitsort vergleichbare zwingende Vorschriften existieren? 38 Soweit es den Ausschluss zwingenden Rechts betrifft, wird vertreten, ein solcher Ausschluss sei nach § 92c immer dann – auch individualvertraglich – unzulässig, wenn das Recht im Vertriebsgebiet eine vergleichbare zwingende Vorschrift, etwa einen Ausgleich (dieser ist meist Streitgegenstand), kennt.259 Denn dann werde der Zweck des § 92c verfehlt, den Vertrag den Verhältnissen am Vertriebsort anzupassen,260 zudem der Zweck der RL, der auch eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU erstrebt (s. d. Kommentierung zu Vor § 84).261 Der HV fiele in diesem Fall „zwischen die Stühle des gemeinsamen sozialen MinimumStandards“ beider Rechtsordnungen.262 In der Sache soll es sich um eine teleologische Reduktion des Abs. 1 kraft richtlinienkonformer Auslegung handeln.263 Würde das am Vertriebsort geltende Recht einen gegenüber dem deutschen Recht reduzierten zwingenden Ausgleich zubilligen, läge es in der Logik dieser Auffassung, nur den geringeren lokalen Ausgleich zuzusprechen. Diese Ansicht müsste zudem die Zulässigkeit der Derogation jeder zwingenden Vorschrift ausschließen, sofern es eine korrespondierende zwingende Vorschrift am Tätigkeitsort gibt. Abgesehen davon, dass die RL zur Frage schweigt, spricht gegen diese Auffassung, dass das ausländische Recht selbst den Umgehungsschutz vorsehen müsste, etwa mittels zwingender Vorschriften seines IPR.264 Aufgabe des deutschen Rechts ist eine solche Sicherung fremden Rechts vor Individualvereinbarungen nicht.265 Ein meist mittels Rechtswahlklausel derogiertes Recht darf nicht über den Umweg dieser teleologischen Reduktion erneut maßgeblich werden;266 die Rechtswahlklausel muss ernst genommen werden. Das Gleiche wird man mglw. sagen können, wenn das deutsche Sachrecht kraft Kollisionsrecht anwendbar sein sollte (ein wenig praktischer Fall). Die RL schützt ohnehin nur bei Tätigkeit innerhalb der EU und des EWR, also außerhalb des Anwendungsbereichs des Abs. 1. Auch der Umkehrschluss aus § 92c Abs. 2 spricht gegen die teleologische Reduktion: Obwohl das deutsche Recht einen zwingenden Ausgleichsanspruch kennt, darf der Ausgleich des Schifffahrtsvertreters auch bei inländischer Tätigkeit ausgeschlossen werden.267 Zwingendes lokales, nichtdeutsches Recht ist also unbeachtlich, solange es nicht international zwingend ist. Nur falls die international zwingende Natur feststellbar ist, muss dieses zwingende Recht (soweit seine international zwingende Natur reicht) statt des deutschen Rechts angewendet werden.268 Zudem wollte es der Gesetzgeber 259 Hopt § 92c Rn 6; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92c Rn 10; Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (277); wohl auch Lang/Klein BB 2010, 600; das dänische Recht schreibt solches ausdrücklich vor, vgl. Detzer/Ullrich Rn 361; aA Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (277); Hagemeister RIW 2006, 498 (500). 260 Thume BB 2004, 2473 (2476); Kindler RIW 1987, 660 (662); Basedow RIW 1977, 751 (777); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 121; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92c Rn 10, Roth § 92c Rn 2; aA OLG München, Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, NJW-RR 2003, 471 = RIW 2002, 319 (320) = EWiR 2002, 485 (Emde); hierzu Eberl RIW 2002, 305 (306); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 33; Martinek/Semler in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 20 Rn 99; Ankele DB 1989, 2211 (2213); Hepting/Detzer RIW 1989, 337 (339); Wauschkuhn/Meese RIW 2002, 301 (303); Detzer/Ullrich Rn 361. 261 Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (277). 262 Basedow RIW 1977, 751 (777). 263 Hagemeister RIW 2006, 498 (500); Hopt § 92c Rn 6. 264 Zu dieser Möglichkeit Mankowski MDR 2002, 1352 (1355); Detzer/Ullrich Rn 466; s. auch EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 – international zwingendes Ausgleichsrecht. 265 OLG München RIW 2002, 319 (320); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2263; hierzu Eberl RIW 2002, 305; abl. gegenüber diesem Argument Mankowski MDR 2002, 1352 (1353). 266 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 33. 267 OLG Köln, Urt. v. 22.6.1966 – 2 U 24/66, OLGZ 66, 533. 268 Das hat EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 beim belgischen Ausgleichsrecht für möglich gehalten. Emde

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ermöglichen, dass der international agierende Unternehmer auch bei Wahl deutschen Rechtes außerhalb Europas einheitliche, vom lokalen Recht unabhängige Verträge verwenden kann269 und es dürfte dem Gesetzgeber bekannt gewesen sein, dass ausländische Rechtsordnungen ähnlich zwingende Vorschriften zu Gunsten des HV wie das deutsche Recht vorsahen. Hätte der Gesetzgeber diesen Punkt daher regeln und die Anwendbarkeit des § 92c einschränken wollen, hätte er derartiges im Gesetz zum Ausdruck bringen können und müssen.270 Eine solche Möglichkeit hätte sich dem Gesetzgeber spätestens im Zuge der Novellierung 1990 geboten und aufgedrängt. Da solches nicht geschah, ist von einem bewussten Entscheid gegen diese Einschränkung auszugehen.

K. AGB-Prüfung Eine andere Frage ist, ob im Anwendungsbereich des § 92c mittels AGB die Geltung der zwin- 39 genden Vorschriften des HV-Rechts abbedungen werden kann.271 Siehe hierzu auch die Erwägungen zur Prüfung der Rechtswahl unten. Da § 92c nur die individualvertragliche Abwahl regelt, ist eine Kontrolle nach den § 305 ff. BGB weiterhin möglich, insb. bei überraschenden Klauseln. Insoweit wird darauf hingewiesen, dass die Konstellation des § 92c Abs. 1 mit ihrer Unterwerfung unter deutsches Recht Verhandlungsschwäche des HV indiziere, da er sich bei entsprechender Verhandlungsstärke kaum freiwillig einem Recht unterwerfe.272 Das Fehlen eines in § 92c enthaltenen Hinweises auf die Unzulässigkeit eines Ausgleichsausschlusses mittels AGB spricht nicht gegen diese Erwägung.273 Denn wie das gesamte Zivilrecht geht § 92c vom Leitbild des Individualvertrages aus. Das AGB-Recht wird lediglich in den §§ 305 ff. BGB geregelt. Gegen eine Derogation mittels AGB streitet der hohe Gerechtigkeitsgehalt des zwingenden Rechts und der einseitige Ausschluss des im Synallagma zur Aufbauleistung des HV stehenden Ausgleichs, dafür, dass § 92c die Abweichung jedenfalls individualvertraglich274 gestattet. Leitentscheidung ist insoweit das Urteil des OLG München v. 11.1.2002.275 Das OLG entschied, gegenüber einem außerhalb der EU oder des EWR tätigen HV dürfe gem. § 92c Abs. 1 der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen werden,276 und zwar sowohl individualvertraglich wie mittels AGB. Ob das Recht am Tätigkeitsort einen Ausgleich kenne oder nicht, sei unmaßgeblich. Eine teleologische Reduktion des § 92c Abs. 1, derzufolge ein Ausschluss nur gegenüber Mittlern zulässig sei, deren Tätigkeitsort keinen oder jedenfalls keinen zwingenden HV-Ausgleich kenne, sei nicht Das belgische Recht bestimmt aber ausdrücklich seine international zwingende Natur, s. Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 (30). 269 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (277). 270 OLG München, Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, NJW-RR 2003, 471 = RIW 2002, 319 = EWiR 2002, 485 (Emde); Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (277); Hagemeister RIW 2006, 498 (500). 271 Bejahend: OLG München, Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, NJW-RR 2003, 471 = RIW 2002, 319 (320) = EWiR 2002, 485 (Emde); Eberl RIW 2002, 305 (307); Hagemeister RIW 2006, 498 ff.; Bälz NJW 2003, 1559 (1560); Detzer/ Ullrich Rn 136; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 28; Oetker/Busche6 § 92c Rn 7; nur wenn Ortsrecht des Vertriebsortes keinen Ausgleich kennt: Hepting/Detzer RIW 1989, 340 ff.; verneinend zu § 89b Niebling WRP 2012, 1361 (1365) = WRP 2010, 1454 (1458); Bozbel RIW 2011, 125 (131); zum Franchiserecht verneinend Giesler/Nauschütt § 9 Rn 101. 272 Bozbel RIW 2011, 125 (131). 273 So aber Mankowski MDR 2002, 1352 (1355); Hagemeister RIW 2006, 498 (500 f.). 274 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2263; aA Kindler RIW 1990, 363 f., der eine Derogation der §§ 84 ff. nur zulässt, wenn deren zwingende Vorschriften im Recht des zu bearbeitenden Marktes bzw. im Recht des Niederlassungsstaates keine Entsprechung finden; ebenso Bozbel RIW 2011, 125 (131): § 92c sollte im Wege der teleologischen Auslegung so eingeschränkt werden, dass der Ausgleichsausschluss nur zulässig ist, wenn am Tätigkeits- oder Niederlassungsort des HV kein zwingender Ausgleichsanspruch besteht. 275 Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, RIW 2002, 319 = EWiR § 92c HGB 1/02, 485 (Emde). 276 Zustimmend Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 34 ff.; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 16. 925

Emde

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anzuerkennen. Falls der Gesetzgeber für diese Fälle Einschränkungen gewollt hätte, wäre dies im Gesetz zum Ausdruck gebracht worden. Der mangelnde Ausdruck zeige, dass der Gesetzgeber bewusst auf eine generelle Regelung habe verzichten wollen, um unpraktikable Differenzierungen zu vermeiden.277 Die Parteien müssten den Vertrag an örtliche Bedürfnisse anpassen können. Eine Unwirksamkeit gem. § 307 BGB wegen Unvereinbarkeit mit wesentlichen Gedanken der gesetzlichen Regelung fehle. Das gesetzliche Leitbild dürfe nicht allein anhand des § 89b gebildet werden, da § 92c den Ausschluss bei außereuropäischer Tätigkeit gestatte und ebenfalls Teil des gesetzlichen Leitbildes sei. 40 Soweit es den Ausgleich betrifft, wird zur Frage der Unbilligkeit des Ausgleichsausschlusses nach § 307 BGB teilweise unterschieden, ob das Recht am Vertriebsort einen zwingenden Ausgleich kennt (AGB-Ausschluss dann unzulässig),278 oder ob der Ausgleich am Tätigkeitsort dispositiv oder unbekannt ist (Ausschluss dann zulässig).279 Teils wird die Derogation sowohl abgelehnt, wenn das Ortsrecht am Vertriebsort einen zwingenden HV-Ausgleich kennt (dann ließe sich das Ziel der Anpassung an das Ortsrecht nicht erreichen280), wie bei dessen Fehlen,281 etwa mit der Begründung, § 89b sei kollisionsrechtlich gesondert anzuknüpfen.282 Teilweise wird im Rahmen der Angemessenheitsprüfung auch die Frage gestellt, ob ein vollständiger Ausschluss des Ausgleichsanspruchs in AGB zulässig sei.283 Die Anknüpfung an das Auslandsrecht kann das deutsche Recht jedoch nicht determinieren und ist auch wenig praktikabel, weil jeweils das Ortsrecht (auch auf seine Vergleichbarkeit mit dem deutschen Recht?) geprüft werden müsste.284 Kollisionsrechtlich verdrängtes Recht kann nicht AGB-Prüfungsmaßstab sein.285 Diejenigen, die die Zulässigkeit der Derogation verneinen, blenden § 92c bei der Leitbildprüfung aus,286 weil die Norm als Ausnahmebestimmung nicht leitbildprägend sei,287 nicht kraft Gesetzes gelte und lediglich den Individualvertrag regele. Der Ausnahmecharakter des § 92c wird von dieser Ansicht in den Vordergrund gerückt und seine Gleichberechtigung bei der Leitbildprüfung auf diese Weise verneint. Diese Ansicht dürfte schon deshalb zweifelhaft sein, da § 92c in „Auslandsfällen“ spezieller und damit deutlich leitbildprägend ist. Andere sehen § 92c, halten dessen Wertentscheidung jedoch angesichts der Schutzbedürftigkeit des HV für unmaßgeblich, da das deutsche Heimatrecht des HV grundsätzlich von der Existenz eines Ausgleichsanspruchs ausgehe.288 § 92c trifft nach dieser Auffassung keine Aussage über einen angemessenen Interessenausgleich im Fall der durch wirtschaftliche Stärke diktierten Übernahme von AGB. Aber auch dieser Ansicht dürfte entgegenzuhalten sein, dass sie das im Falle der Auslandstätig-

277 AA Emde MDR 2002, 190 (200). 278 Bozbel RIW 2011, 125 (131); Detzer/Ullrich Rn 362 ff.; Westphal I Rn 30; Ulmer/Brandner/Schmidt 8. Aufl. 1997, Anh. §§ 9–11 Rn 418; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2263; wohl auch Lang/Klein BB 2010, 600 (wohl sogar bei Individualvereinbarungen); aA LG Hamburg, Urt. v. 15.12.2006 – 406 O 175/06, n. v.; Bälz NJW 2003, 1559 (1560); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 36. 279 Detzer/Ullrich Rn 362 ff.; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2263. 280 Hopt § 92c Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 16a. 281 Niebling WRP 2010, 1454 (1458); Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Handelsvertreterrecht, Rn 73. 282 Thorn IPRax 2002, 349 (360); Reich NJW 1994, 2128 (2130); aA Bälz NJW 2003, 1559 (1561). 283 Niebling WRP 2010, 1454 (1458) = Niebling WRP 2011, 1518 (1523) – Ausschluss unzulässig; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 16. 284 OLG München, Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, NJW-RR 2003, 471 = RIW 2002, 319 = EWiR 2002, 485 (Emde); Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (277); Wauschkuhn/Meese RIW 2002, 301 (304), die allerdings i. E. keinen Verstoß gegen die §§ 305 ff. BGB annehmen. 285 OLG München, Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, NJW-RR 2003, 471 = RIW 2002, 319 = EWiR 2002, 485 (Emde); Mankowski MDR 2002, 1352 (1354); i. E. auch LG Hamburg, Urt. v. 15.12.2006 – 406 O 175/06, n. v. 286 OLG München, Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, RIW 2002, 319 (320); Eberl RIW 2002, 305 (307). 287 Niebling WRP 2010, 1454 (1458) = WRP 2011, 1518 (1523) = WRP 2012, 1361 (1365) – aber die Norm lässt den Ausgleichsausschluss kraft Gesetzes zu. 288 Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Handelsvertretervertrag, Rn 73. Emde

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keit – aber nur dann – mindestens gleichberechtigte (wenn nicht speziellere) Leitbild des § 92c zu sehr vernachlässigt.289 Letztlich entscheidend dürfte der Wortlaut des § 92c sein. Dieser lässt den Ausschluss des Ausgleichs zu, nennt aber die Bedingungen (Auslandstätigkeit, Schifffahrtsvertreter). Es besteht die Vermutung, dass die Bedingungen, unter der eine Norm anwendbar sein soll, dort vollständig genannt werden. Nennt die Norm nicht als Bedingung ihres Eingreifens, dass kein Ausgleichsanspruch am Tätigkeitsort besteht, ist eine solche Bedingung vom Gesetz nicht vorgesehen. In allen denkbaren Fällen muss die jeweilige Klausel, auch und gerade im Kontext des 41 Vertrages sowie nach den Grundgedanken der §§ 84 ff., bei abstrakt-genereller Betrachtung noch billig und transparent i. S. d. § 307 BGB sein. Sie muss den Ausgleich hinreichend deutlich ausschließen und nicht – bei verwenderfeindlicher Auslegung – (was unzulässig und unwirksam wäre – auch Schadenersatzansprüche aus Vorsatz, grober Fahrlässigkeit oder Personenschäden.290 Hierbei sind auch die Interessen des Unternehmers zu berücksichtigen, welcher am ausländischen Vertriebsort mit Vertriebssystemen konkurriert, deren Vertriebskosten nicht mit einem Ausgleichsanspruch oder anderen zwingenden Vorschriften deutschen Rechts belastet werden. Möglicherweise sind daher gegenüber der Abwahl des Ausgleichsanspruchs geringere Grenzen zu setzen als gegenüber der ungleich belastenderen Derogation des gesamten deutschen Rechts mit den daraus resultierenden Folgekosten für eine fremde Rechtsberatung. Jedoch bleibt § 307 BGB anwendbar, aber nicht ausschließlich dann,291 sobald die Grenzen der zwingenden §§ 138, 242 BGB überschritten werden. Deshalb darf zwar mglw. der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen werden (strittig), z. B. aber nicht soweit von § 89 abgewichen werden, dass jede Kündigungsfrist entfällt. Dabei werden jedenfalls bis zum fünften Vertragsjahr die – recht kurzen – Kündigungsfristen des § 89 Leitbild bleiben müssen. Erst die Kündigungsfrist von sechs Monaten wird sich wesentlich verkürzen lassen, vielleicht auf drei Monate. Auch das ist unzulässig, sofern besondere Umstände eine längere Auslauffrist fordern, etwa erhebliche Investitionen einer Partei. Eine Mindestkündigungsfrist von zwei bis vier Wochen ist als Untergrenze einer angemessenen Umstellungsfrist in jedem Fall gefordert. Grundsätzlich ist auch eine Abweichung von der Fristenparität nach § 89 Abs. 2 möglich. In der Gewährung erheblich unterschiedlicher Kündigungsfristen für Unternehmer und HV kann jedoch eine unangemessene Benachteiligung i. S. d. § 307 BGB liegen. Ein Sonderproblem bildet die Derogation des § 89a. Sie ist theoretisch möglich. Jedoch wird als Kompensation vermutlich eine besonders strenge Prüfung nach § 307 BGB angezeigt sein. Gerade in Vertragshändler- und Franchiseverträgen dürfte u. U. § 314 BGB anwendbar sein, von dem nach Abs. 1 ohnehin nicht abgewichen werden darf. Möglicherweise bildet § 314 BGB auch im HV-Recht eine allgemeine zivilrechtliche Rückfallposition, so dass auch deshalb eine Derogation ausscheidet. Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers mittels AGB. Es dürften 42 die für HV dargestellten Grundsätze entsprechend gelten. Soweit der Ausschluss zulässig ist, wird er auch durch AGB erfolgen können.292 So hat das OLG München293 eine Derogation des Vertragshändlerausgleichs auch mittels AGB für zulässig gehalten. Dies gelte selbst dann, wenn das Recht am Sitz des Vertragshändlers einen zwingenden Ausgleich kenne. Ob hingegen das Urteil des BGH v. 17.12.1997,294 welches sich mit dem Ausgleichsanspruch eines in Großbritannien tätigen Vertragshändlers befasste, einen AGB-Fall betraf, ist unsicher.295

Im Ergebnis Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 36. Niebling WRP 2010, 1454 (1458 f.). So aber Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 4. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 57. OLG München, Urt. v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, NJW-RR 2003, 471 = RIW 2002, 319 (320) = EWiR 2002, 485 (Emde); ablehnend Niebling WRP 2010, 1454 (1458). 294 BGH NJW 1998, 1860. 295 Nach Ansicht von Hagemeister RIW 2006, 498 (504) liegt dies nahe.

289 290 291 292 293

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L. Beweislast 43 Derjenige, der sich auf die Anwendung des § 92c als Ausnahmevorschrift beruft, muss ihre TB-Voraussetzungen darlegen und beweisen.296 Die TB-Voraussetzungen der durch § 92c derogierten Vorschriften hingegen hat wieder der Anspruchsinhaber zu beweisen. Diese Verteilung der Beweislast gilt auch dann, wenn der HV Rechte aufgrund von an sich zwingenden Normen der §§ 84 ff. einklagt, welche in dem Vertrag der Parteien nach § 92c ausgeschlossen wurden.297 Nicht etwa muss der HV in dieser Situation die Nichtexistenz der TB-Voraussetzungen des § 92c darlegen und beweisen.298 Das setzt, soweit sich nicht die Nichtanwendbarkeit des § 92c aus dem Vertrag ergibt, substantiierten Vortrag des HV voraus, aufgrund welcher vertraglich geschuldeten Tätigkeit in einem zur EU oder EWR gehörenden Land § 92c nicht anwendbar sein soll.299 Ist dieser erste Schritt genommen, hat der HV Kenntnis oder Duldung des Unternehmers von einer in Ausdehnung des Vertrages nachträglich in einem EU- oder EWR-Land ausgeübten Tätigkeit sowie eine nachträgliche (konkludente) Vertragsänderung aus diesem Grund zu beweisen, ebenso die Voraussetzungen anderer Rechte, deren Bestehen nicht von § 92c berührt wird.300

M. Das internationale Privatrecht des HV-Vertrages Schrifttum Ankele Harmonisiertes Handelsvertreterrecht für die Europäische Gemeinschaft, DB 1987, 569; Baldi Das Recht des Warenvertriebs in der Europäischen Gemeinschaft, 1988; Basedow Das Vertretungsrecht im Spiegel konkurrierender Harmonisierungsentwürfe, RabelsZ 45 (1981), 196; Baumert Abschlußkontrolle bei Rechtswahlvereinbarungen, RIW 1997, 805; Beitzke Das anwendbare Recht beim Handelsvertretervertrag, DB 1961, 528; Birk Das Handelsvertreterrecht im deutsch-italienischen Wirtschaftsverkehr, ZVglRWi 79 (1980), 268; Detzer/Zwernemann Ausländisches Recht der Handelsvertreter und Vertragshändler, 1997; Dietze/Schnichels Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ, EuZW 1997, 459; Ebenroth Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRWi 77 (1978), 161; ders. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Vertragsverhältnisse von Handelsvertretern, Kommissionsagenten, Vertragshändlern und Handelsvertretern, RIW 1984, 165; Eckert Das neue Recht der Handelsvertreter – Die Umsetzung der EG-Richtlinie in deutsches Recht, NZA 1990, 384; Emde Handelsvertreterrecht – Relevante Vorschriften bei nationalen und internationalen Verträgen, MDR 2002, 190; Ferid Internationales Handelsvertreterrecht im Lichte der deutsch-österreichischen Rechtsbeziehungen, AWD 1964, 197; Gottwald Grenzen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Firsching, 1985, S. 89; Grüter Gerichtsstandsvereinbarungen durch Korrespondenz im EWG-Handel, DB 1978, 381; Gunst Die charakteristische Leistung. Zur funktionellen Anknüpfung im internationalen Vertragsrecht Deutschlands, der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft, Diss. Konstanz, 1994; Hepting/Detzer Die Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs ausländischer Handelsvertreter und Vertragshändler, insbesondere durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, RIW 1989, 337; Herschel Die arbeitnehmerähnliche Person, DB 1977, 1185; Hiestand Die international-privatrechtliche Beurteilung von Franchiseverträgen ohne Rechtswahlklausel, RIW 1993, 173; v. Hoffmann Zur Auslegung von Formularbedingungen des internationalen Handelsverkehrs, AWD 1970, 247; ders Vertragsannahme durch Schweigen im internationalen Schuldrecht, RabelsZ 36 (1972), 510; Hopt Die Selbständigkeit von Handelsvertretern und anderen Vertriebspersonen – Handels- und arbeitsrechtliche Dogmatik und Vertragsgestaltung, DB 1998, 863; Jayme Betrachtungen zur »dépeçage« im internationalen Privatrecht, FS Kegel, 1987, S. 253; Jayme Inhaltskontrolle von Rechtswahlklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, FS Werner Lorenz, 1991, S. 435; Jayme/Kohler Das Internationale Privatund Verfahrensrecht der EG 1991 – Harmonisierungsmodell oder Mehrspurigkeit des Kollisionsrechts, IPRax 1991, 361; Jayme/Kohler Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG nach Maastricht, IPRax 1992, 346; Kindler Zur Anknüpfung von Handelsvertreter- und Vertragshändlerverträgen im neuen bundesdeutschen IPR, RIW 1987, 660; ders. Neues deutsches Handelsvertreterrecht aufgrund der EG-Richtlinie, RIW 1990, 358; Klima Zur Frage der Vereinbarkeit von § 92c HGB mit Art. 30 des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts, RIW 1987, 796; Koch AGBKlauseln über Gerichtsstand und Erfüllungsort im europäischen Zivilrechtsverkehr: Größere Gerechtigkeit ohne Partei-

296 297 298 299 300

Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 51. Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 51. AA Oetker/Busche6 § 92c Rn 8. Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 51. Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 51.

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vereinbarung? IPRax 1997, 405; Kohler Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Liberalität und Rigorismus im EuGVÜ, IPRax 1983, 265; Kränzlin Das deutsche internationale Handelsvertreterrecht im Rechtsverkehr mit den USA, ZVglRWi 83 (1984), 257; Küstner Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei grenzüberschreitenden Vertreterverträgen, AWD 1966, 65; Landfermann AGB-Gesetz und Auslandsgeschäfte, RIW 1977, 445; Lando The EEC Convention on the Law applicable to Contractual Obligations, C. M. L. Rev. 24 (1987), 159; Lange Das Recht der Netzwerke. Moderne Formen der Zusammenarbeit in Produktion und Vertrieb, 1998; Leipold Zur internationalen Zuständigkeit im Insolvenzrecht, FS Baumgärtel, 1990, S. 291; Lorenz, Egon Die Auslegung schlüssiger und ausdrücklicher Rechtswahlerklärungen im internationalen Schuldvertragsrecht, RIW 1992, 697; Lorenz, Werner Vom alten zum neuen internationalen Schuldvertragsrecht, IPRax 1987, 269; Luther Probleme bei deutsch-italienischen Handelsvertreterverträgen, RIW 1985, 620; ders. Nochmals: Deutsch-italienische Handelsvertreterverträge, RIW 1985, 965; Maier Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und Eigenhändlers und der ordre public, NJW 1958, 1327; Mansel Kollisions- und zuständigkeitsrechtlicher Gleichlauf der vertraglichen und deliktischen Haftung, ZVglRWi 86 (1987), 1; Martinek/Semler/Habermeier/Flohr (Hrsg.), Handbuch des Vertriebsrechts, 3. Aufl. 2010; Martiny Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarungen und stillschweigende Rechtswahl bei Vertragshändlerverträgen, AWD 1972, 165; Meyer-Sparenberg Rechtswahlvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, RIW 1989, 347; Müller Ausschluß des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach § 92c I HGB, NJW 1998, 17; Müller-Feldhammer Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers im deutschschweizerischen Handelsverkehr, RIW 1994, 928; Preis/Stoffels Die Inhaltskontrolle der Verträge selbständiger und unselbständiger Handelsvertreter, ZHR 160 (1996), 442; Reich Grundgesetz und internationales Vertragsrecht, NJW 1994, 2128; Samtleben Internationale Gerichsstandsvereinbarungen nach dem EWG-Übereinkommen und nach der Gerichtsstandsnovelle, NJW 1974, 1590; Schiller Gerichtsstandsklauseln in AGB zwischen Vollkaufleuten und das AGB-Gesetz, NJW 1979, 636; Schmidt Michael Johannes Kann Schweigen auf eine Gerichtsstandsklausel in AGB einen Gerichtsstand nach Art. 17 EuGVÜ/LuganoÜ begründen? RIW 1992, 173; Schurig Schiffbruch beim Eigentumsvorbehalt – Sachenrechtsstatut, Vertragsstatut, Sprachenrisiko –, IPRax 1994, 27; Sieg Allgemeine Geschäftsbedingungen im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr, RIW 1997, 811; ders. Internationale Gerichtsstands- und Schiedsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, RIW 1998, 102; Stoll Internationalprivatrechtliche Probleme bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, FS Beitzke, 1979, S. 759; Sturm Der Eigenhändler im Außenprivatrecht, FS Wahl, 1973, S. 207; Sura Die Anknüpfung des internationalen Handelsvertretervertrages, DB 1981, 1269; Tiedemann Kollidierende AGBRechtswahlklauseln im österreichischen und deutschen IPR, IPRax 1991, 424; Vetter Akzessorische Anknüpfung von Subunternehmerverträgen bei internationalen Bau- und Industrieanlagen-Projekten, NJW 1987, 2124; ders. Kollisionsrechtliche Fragen bei grenzüberschreitenden Subunternehmerverträgen im Industrieanlagenbau, ZVglRWi 87 (1988), 248; Wegen Fallstudie zur Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines deutschen Handelsvertreters durch Vereinbarung eines Drittstaatsrechts mit Unternehmenssitz, WiB 1994, 255; Wengler Zum Internationalen Privatrecht des Handelsvertretervertrages, ZHR 146 (1982), 30; Graf v. Westphalen (Hrsg.), Handbuch des Handelsvertreterrechts in EU-Staaten und der Schweiz, 1995; Wittmann Zum Ausgleichsanspruch von Handelsvertretern im EG-Ausland nach dem 31.12.1993, BB 1994, 2295; Wolf Auslegung und Inhaltskontrolle von AGB im internationalen kaufmännischen Verkehr, ZHR 153 (1989), 300.

I. Allgemeines HV-Verhältnisse mit Auslandsberührung können solche sein, in denen ein inländischer Unter- 44 nehmer einen HV mit Niederlassung im Ausland tätig werden lässt, oder umgekehrt solche, in denen ein ausländischer Unternehmer mit HV im Inland arbeitet. Für das Aufsuchen der Rechtsordnung, welcher das HV-Verhältnis alsdann untersteht, ist maßgebend: in erster Linie die ausdrückliche Bestimmung durch die Parteien – dass ihnen diese freisteht, ist im Grundsatz unbestritten (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 27 EGBGB) –, in zweiter Linie der mutmaßliche, durch Auslegung des HV-Vertrages zu ermittelnde Wille der Parteien, in dritter Linie die Suche nach dem letztlich objektiv bestimmten hypothetischen Parteiwillen, d. h. demjenigen, dem die Wahl einer bestimmten Rechtsordnung als der durch die objektiven Gegebenheiten des Interessenausgleichs geforderten unterstellt werden muss. Grenzüberschreitende Vertriebsverträge besitzen erhebliche Bedeutung301 Der Export von 45 Waren und Dienstleistungen umfasst gut die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Thu-

301 Magnus IHR 2018, (49). 929

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me302 spricht davon, nahezu die Hälfte aller deutschen HV führten ausländische Waren in ihrem Sortiment. Die rechtliche Gestaltung dieser Verträge ist daher von eminenter Bedeutung.303 Durch die Rom I-VO hat der Begriff des „Vertriebsvertrages“ eine europäische Dimension gewonnen und ist, sollte es hierauf ankommen, mglw. europäisch-autonom auszulegen.304 Angesichts der Häufigkeit grenzüberschreitender HV-Verträge kommt dem internationalen Privatrecht dieser Vertriebsverträge besondere Bedeutung zu. Der Schutz der in der grenzüberschreitenden Vermittlung tätigen HV hält mit der rechtstatsächlichen Bedeutung ihrer internationalen Tätigkeit nicht völlig Schritt. Soweit es das materielle Recht betrifft, hat das Urt. des EuGH v. 9.11.2000305 die Rechtsstellung der HV verbessert: die zwingenden Vorschriften der RL sind rechtswahlfest, falls der HV innerhalb der EU wirbt, und das sowohl gegenüber individualvertraglicher Vereinbarung oder einer solchen mittels AGB. Abs. 3, 4 des Art. 3 Rom I-VO haben diesen Schutz übernommen (s. u.). Im Verhältnis zu außerhalb der EU tätigen HV und solchen, die nicht in den Anwendungsbereich der RL fallen, greift nach h. M. der Schutz dieser Entscheidung nicht: Selbst falls deutsches Recht gälte, könnte gem. § 92c von dessen zwingenden Vorschriften abgewichen werden.Das ist nicht unbedingt konsequent, weil das HGB denselben Inhalt hat wie die RL und das zur RL und ihrer international zwingenden Natur Entschiedene folglich auch für das HGB gelten müsste. Das Verfahrensrecht ergänzt den Schutzgehalt des materiellen Rechts nur unzureichend. Die heute herrschende Ansicht mutet dem für einen ausländischen Unternehmer werbenden HV zu, den nur bei genauer Kenntnis deutschen Rechts wie der hierzu ergangenen Judikatur handhabbaren Ausgleichsanspruch (§ 89b) am Sitz des ausländischen Unternehmers (allg. Gerichtsstand oder Gerichtsstand des Erfüllungsortes) einzuklagen. An diesem „forum non convenience“ aber muss der lokale Richter mit der Ausgleichsberechnung nach deutschem Recht und den nötigen tatsächlichen Feststellungen überfordert sein, und zwar angesichts der binnen der EU vorhandenen Diskrepanzen bei der Anwendung des Ausgleichsrechts sogar dann, wenn der Gerichtsstand innerhalb des Wirkungsbereiches der vereinheitlichenden RL liegt. Auch kommt es zu einem compositum mixtum, weil der lokale Richter dazu neigen wird, den leicht beschaffbaren fremden Gesetzestext mit nationaler Judikatur zu unterlegen. Die h. M. zum Gerichtsstand ist deshalb abzulehnen. Vielmehr spricht als Annex zur Geltung deutschen Rechts viel für einen einheitlichen „Vertriebsgerichtsstand“ am Ort des Geschäftssitzes des Mittlers;306 jedenfalls in Auslandssachverhalten (s. Kommentierung zu Vor § 84). Möglich wäre dies durch Annahme einer konkludent geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung. Diese Lösung scheidet jedoch aus, falls die Parteien nach materiellem Recht keine solche Vereinbarung treffen dürfen. 46 Vertriebsvertrag und Rechtswahlvereinbarung sind zwei selbständige Verträge, auch wenn sie in einem einheitlichen Vertrag gefasst wurden.307 Welchem Recht der HV-Vertrag unterliegt, bestimmt sich nach dem internationalen Privatrecht des Staates, in dem der Anspruch eingeklagt wird.308 Gem. Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO, Art. 27 Abs. 4, 31 Abs. 1 EGBGB ist das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung nach dem Recht zu bestimmen, welches anzuwenden wäre, falls die Klausel wirksam wäre.309 Ob eine konkludente Rechtswahl hinrei302 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 2. 303 Magnus IHR 2018, (49). 304 Magnus IHR 2018, (49). Die Definition des Vertriebsvertrages aus der Entscheidung EuGH ECLI:EU:C:2013:816 – C-9/12 sollte auch für die Rom I-VO übernommen werden, s. Magnus IHR 2018, (50).

305 EuGH VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974. 306 Emde EWiR 1999, 1119; Emde VersR 2001, 165. 307 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 23. 308 Westphal I Rn 17. 309 Vgl. BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, BGHZ 99, 207 (208 ff.) = NJW 1987, 1145; v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (383) = NJW 1994, 262 ff.; v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); Wolf ZHR 153 (1989), 300 (302); Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 23. Emde

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chend bestimmt ist richtet sich hingegen nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO, Art. 27 Abs. 1 S. 2 EGBGB.310 Da sowohl die Rom I-VO wie das EGBGB jedoch nur Individualverträge betreffen, gilt nach der hier eingenommenen Ansicht gleichwohl der Prüfungsmaßstab der §§ 305 ff., zudem die weiteren Grenzen der Rechtswahlbefugnisse, wie sie unten, Rn 72 ff. im Einzelnen dargestellt werden. Ferner kann sich jede Partei für die Behauptung, sie habe der Rechtswahlklausel nicht (wirksam) zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen. Unterliegen Rechtswahlverträge dem deutschen Kollisionsrecht, bedürfen sie auf dem Gebiet des Schuldrechts nicht der Form. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO, Art. 27 Abs. 1 S. 2 EGBGB zeigen, dass die Rechtswahl nicht formbedürftig ist. Ist ausländisches Recht anwendbar, muss die Rechtswahlvereinbarung dessen Formerfordernisse beachten.311 Gilt ausländisches Recht, so kann es nicht durch deutsches Recht und deutsche Rechtsgrundsätze ergänzt werden.312

II. Umfang der Geltung des maßgeblichen Rechts Dem gewählten Recht unterliegt der gesamte Vertriebsvertrag und alle seine Rechtsfragen. Ins- 47 besondere das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrages oder einer seiner Bestimmungen beurteilen sich nach dem Recht, welches nach der Rom I-VO anzuwenden wäre, falls der Vertrag oder die fragliche Bestimmung wirksam wäre. Dieses Recht entscheidet über Angebot und Annahme sowie die Einbeziehung von AGB.313 Die in Ausführung eines Eigenhändlervertrages geschlossenen Geschäfte zwischen Unternehmer und Vertriebsmittler, meist Kaufverträge, unterliegen hingegen grds. einem eigenen Statut.314 Natürlich können sie derselben Rechtswahl wie der Rahmenvertriebsvertrag unterstellt werden.315 Fehlt es daran, mag allenfalls über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eine akzessorische Anknüpfung an den Hauptvertrag in Betracht kommen,316 z. B. wenn der Rahmenvertrag bereits den Inhalt des Einzellieferungsvertrages vorgibt.317 Voraussetzung ist jedoch, dass der Einzelvertrag eine viel engere Verbindung zum Statut des Hauptvertrages aufweist, als zu dem nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 Rom I-VO sonst maßgeblichen Recht.318 Da das CISG eine akzessorische Anknüpfung an den Hauptvertrag nicht vorsieht, könnte ausnahmsweise dessen konkludenter Ausschluss angenommen werden.319 Auch die in Ausführung eines HV-Vertrages vermittelten Verträge sind selbständig anzuknüpfen.320

Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 23. Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 24. Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3e. BGHZ 57, 72 = NJW 1972, 391 m. Anm. Geimer und Schmidt-Salzer; OLG Koblenz IPRax 1994, 46; MünchKommBGB/Spellenberg VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn 152; Clausnitzer/Woopen BB 2008, 1798 (1805). 314 BGHZ 57, 72 (76); 74, 136 (140); BGH NJW-RR 1992, 421; OLG Stuttgart IPRax 1999, 103 = RIW 1999, 782; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.7.1996 – 6 U 152/95, NJW-RR 1997, 822 = RIW 1996, 958 = EWiR 1996, 843 (Schlechtriem); OLG Koblenz IPRax 1994, 46 f.; Kindler FS Sonnenberger, 2004, S. 433, 438 ff.; Magnus IHR 2018, (52); Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2110; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2292; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 129, 260; Krümmel in: Giesler/Nauschütt S. 1096; Martinek/Manderla in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 22 Rn 30; MünchKommBGB/Spellenberg Art. 11 Rn 31; aA OLG München, Urt. v. 22.9.1995, RIW 1996, 1035 m. abl. Anm. Klima; fr. Cass.civ. 15.5.2001 Rev. crit. dr. int. pr. 2002, 86 n. Lagar. 315 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2110; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 130, 260. 316 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2110. 317 MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 130, 260. 318 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2110. 319 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2111. 320 Beitzke DB 1961, 528 (529); MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 258.

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III. Staatsverträge 48 Das anwendbare Recht darf durch Staatsverträge festgelegt werden. Sie sind auch gegenüber der Rom I-VO vorrangig321 (s. Art. 25 Rom I-VO). Art. 5 Haager Übereinkommen des auf die Stellvertretung anzuwendenden Rechts322 v. 14.3.1978 ordnet an, dass die Parteien das Vertragsstatut ausdrücklich oder stillschweigend bestimmen dürfen. Liegt keine Rechtswahl vor, ist im Unterschied zu Art. 4 Abs. 1 lit b und f Rom I-VO nach Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens das Recht des Landes maßgeblich, in dem der HV seine hauptsächliche Tätigkeit erbringt, falls der HV dort seine geschäftliche Niederlassung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt unterhält.323 Auf den gewöhnlichen Aufenthalt oder die Niederlassung des HV kommt es in einem derartigen Fall nicht an.324 Nur hilfsweise ist auf dessen gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen.325 Bestehen mehrere Niederlassungen, wird gem. Art. 6 Haager Übereinkommen auf die engste Beziehung abgestellt. Wirbt der HV hauptsächlich im Staat der Niederlassung des Unternehmers, ist dessen Recht anzuwenden.326 Z. B. in Frankreich und in den Niederlanden soll das auf HV-Verträge anwendbare Recht nach diesem Übereinkommen zu ermitteln sein.327 Es ist gegenüber der Rom I-VO vorrangig.328 Das Übereinkommen bestimmt sowohl das Innenverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem HV als auch das Außenverhältnis zwischen ihm und dem Dritten (Vollmachtstatut).329 Das nach Art. 11 ff. des Übereinkommens zu ermittelnde Vollmachtstatut verhält sich u. a. zur Rechtsbeziehung zwischen Vertreter und Drittem im Falle einer Überschreitung der Vertretungsmacht (vgl. dessen Art. 15).330 Der in eigenem Namen kaufende und verkaufende Vertragshändler zählt, anders als der HV, nicht zu den vom Übereinkommen erfassten Mittlern.331 Deutschland ist nicht Vertragsstaat des Haager Kaufrechtsübereinkommens vom 49 15.6.1955. Es wäre von einem deutschen Gericht bestenfalls insoweit zu beachten, als ggf. das Kollisionsrecht eines der Vertragsstaaten berücksichtigt werden müsste.332 Selbst wenn das der Fall wäre, bildet ein Vertragshändlervertrag keinen Kaufvertrag i. S. d. Abkommens. Siehe zur entsprechenden internationalen Rspr. Dostal ZVertriebsR 2019, 281 (282).

IV. Rom I-VO 1. Geltungsbereich und Geltungszeitpunkt 50 Die sog. Rom I-Verordnung zum internationalen Vertragsrecht333 regelt auch das auf Vertriebsverträge anwendbare Recht. Räumlich anwendbar ist die Rom I-VO in allen Mitgliedstaaten

321 Erwägungsgrund 41 Rom I-VO; s. Dostal ZVertriebsR 2019, 207. 322 S. dazu Dostal ZVertriebsR 2019, 207 (213). Frankreich, die Niederlande, Portugal und Argentinien sind Vertragsstaaten dieses Abkommens. Dostal ZVertriebsR 2019, 207 (213). Dostal ZVertriebsR 2019, 207 (213). Vgl. etwa Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2212. MünchKommBGB/Martiny Art. 28 EGBGB Rn 157; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 69; Text in RabelsZ 43 (1979), 176 ff. 327 Dostal ZVertriebsR 2019, 207 (213); Stade IHR 2016, 49 (53 f.) – dort auch zu den Unterschieden; Kutscher-Puis ZVertriebsR 2012, 59. 328 Dostal ZVertriebsR 2019, 207 (213). 329 Dostal ZVertriebsR 2019, 207 (213). 330 Dostal ZVertriebsR 2019, 207 (213). 331 Dostal ZVertriebsR 2019, 207 (213). 332 Dostal ZVertriebsR 2019, 281 (282). 333 VO (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU v. 4.7.2008.

323 324 325 326

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mit Ausnahme Dänemarks, welches weiterhin das EVÜ anwendet.334 So die h. M., siehe Magnus IPRax 2010, 27, 30; Staudinger/Steinrötter JA 2011, 241, 242 jeweils m. w. N.; ausführlich mit Hinweisen zur Gegenmeinung Brödermann/Rosengarten Rn 68. Die Mitgliedstaaten wenden die Rom I-VO auch auf Sachverhalte mit Bezug zu Nicht-EU-Staaten an. Das ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO: Verlangt wird dort nur die „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“, die gerade keine Mitgliedstaaten sein müssen. Die Verordnung ist loi uniforme. Sofern die kollisionsrechtliche Prüfung zur Anwendung drittstaatlichen Rechts führt, ist dieses anzuwenden, Art. 2 Rom I-VO. Persönliche Anwendungsvoraussetzungen stellt die Rom I-VO nicht auf. Insbesondere müssen die Beteiligten nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sein. Zeitlich gilt sie ab dem 17.12.2009 (Art. 29 Abs. 2 Rom I-VO). Sie ist nur auf Verträge anzuwenden, welche ab diesem Datum geschlossen werden (Art. 28).335 Verträge, die bis zum 16.12.2009 abgeschlossen wurden, unterliegen weiter dem (im Übrigen aufgehobenen) EGBGB.336 Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist nach dem materiellen, nationalen Recht zu bestimmen, welches gem. dem bis zum Inkrafttreten der Rom I-VO geltendem IPR anzuwenden war.337 Die VO ist gem. Art. 288 AEUV unmittelbar anwendbares Recht, von dem die EUMitgliedsstaaten nicht abweichen dürfen.338 Sie verdrängt in ihrem Anwendungsbereich das nationale Kollisionsrecht (Art. 3 Nr. 1 EGBGB), soweit die VO die zu prüfende Frage abdeckt.339 Entsprechend sind die bisherigen Art. 27 ff. EGBGB gestrichen worden.340 Allerdings blieb die Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB (ordre public) aufrechterhalten; sie tritt neben die Vorbehaltsklausel des Art. 21 Rom I-VO.341 Die bisherige Rspr. zum EGBGB ist jeweils auf ihre Verträglichkeit mit dem neuen Recht zu prüfen. Die Rom I-VO ist auf zivil- und handelsrechtliche (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO) vertragliche Schuld- 51 verhältnisse bei Sachverhalten anwendbar, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, auch wenn es sich um das Recht eines oder mehrerer Nicht-Vertragsstaaten handelt.342 Das Regelungswerk ist auch für Vertriebsverträge und insb. HV-,343 Vertragshändler-344 und

334 Dänemark hat gem. Art. 69 EG i. V. m. dem Protokoll über die Position Dänemark erklärt, grundsätzlich nicht an Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen teilzunehmen, vgl. Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (529); Martiny RIW 2009, 737 (739); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 6. Umstritten ist, ob im Verhältnis zu Dänemark die Rom I-VO, die Altfassung der Art. 27 ff. EGBGB oder das EVÜ Anwendung findet; für die Anwendbarkeit der Rom I-VO Krümmel in: Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 6 Rn 43; Martiny RIW 2009, 737 (739 f.); für die Anwendung des EVÜ Brödermann NJW 2010, 807 (809). Wegen der in Art. 2 Rom I-VO geregelten universellen Geltung der Rom I-VO spricht bei Vertragsschluss ab dem 18.12.2009 viel für die Geltung der Rom I-VO. 335 LG Düsseldorf, Urt. v. 21.11.2013 – 14c O 129/12 U, BeckRS 2014, 10383; Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (286); Kindler/Menges DB 2010, 1109; Pfeiffer EuZW 2009, 622; Martiny RIW 2009, 737 (752); Rauscher NJW 2009, 3614 (3618); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 2, 5; Häuslschmid in: Reithmann/ Martiny, 7. Aufl. Rn 2213 (HV-Vertrag); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2298 (Vertragshändler-Vertrag); Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 4. 336 Kindler/Menges DB 2010, 1109; Rauscher NJW 2009, 3614 (3618); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 2, 5; Oetker/Busche6 § 92c Rn 4; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 4; Kobras/Steinhauer RIW 2010, 214 (218); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2213. 337 Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (531); Martiny RIW 2009, 737 (752); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 5. 338 Clausnitzer/Woopen BB 2008, 1798. 339 Martiny RIW 2009, 737 (740). 340 Vgl. RegB BT-Drucks. 16712104, S. 8 ff.; Martiny RIW 2009, 737 (740). 341 Vgl. Martiny RIW 2009, 737 (740 f.). 342 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 8. 343 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 3. 344 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 3; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2291. 933

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Franchiseverträge345 (zu Franchiseverträgen Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO) maßgeblich. Gem. Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO fallen Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages, etwa Ansprüche wegen mangelnder Aufklärung und Offenlegungspflichten, unter die Rom II-VO.346 Art. 12 Abs. 1 Rom IIVO verweist jedoch auf die Rom I-VO zurück. Im Ergebnis sind damit dieselben Anknüpfungsregeln anzuwenden, als wenn man die vorvertraglichen Schuldverhältnisse gleich der Rom I-VO unterstellt hätte.347 Sie unterliegen dem späteren Schuldvertrag und damit entweder Art. 4 Abs. 1 lit. f oder e Rom I-VO.348 Art. 1 Abs. 2 lit i Rom I-VO gilt allerdings nur für aus „Verhandlungen“ entstehende vorvertragliche Schuldverhältnisse. Alle anderen im Vorfeld des Vertragsabschlusses begangenen Handlungen können nach europäischer Auffassung nur ein außervertragliches Schuldverhältnis begründen und unterfallen von vornherein der Rom II-Verordnung.349 Die Haftung gegenüber Dritten entscheidet das nach Art. 5 Rom II-VO zu ermittelnde Statut bzw. im Verhältnis zum Verbraucher-Eigenhändler ggf. das nach Art. 3 ff. Rom I-VO zu bestimmende Schuldvertragsstatut.350 Ein Vertriebsmittler ist nicht Arbeitnehmer des Unternehmers, sondern selbstständiger Unternehmer, so dass Art. 8 Rom I-VO nicht eingreift.351 Allenfalls bei arbeitnehmerähnlichen HV könnte über die Anwendung des Art. 8 Rom I-VO nachgedacht werden. Regelmäßig bildet der Vertriebsvertrag auch keinen Verbrauchervertrag i. S. d. Art. 6 Rom I-VO.352 Erste Voraussetzung des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO wäre, dass der Vertriebsmittler den Vertrag zu einem Zweck abschließt, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugeordnet werden kann.353 Das trifft auf Vertriebsmittler nicht zu. Denn die Vertriebstätigkeit ist immer eine gewerbliche Tätigkeit.354 Anders als im deutschen Recht nach § 507 BGB wird der Existenzgründer nicht in den Schutzbereich von Art. 6 Rom I-VO einbezogen.355 Eine analoge Anwendung, etwa auf den FN, ist für den Normalfall ausgeschlossen.356 Das soll auch für Existenzgründungsverträge gelten.357

2. Zulässigkeit der Rechtswahl 52 a) Grundsatz freier Rechtswahl. Gem. Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO ist die auch für alle Vertriebsverträge geltende358 Grundsatz der freien Rechtswahl ein Eckstein der VO.359 Die Rechtswahl ist damit

345 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (286); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom IVO Rn 3; Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl. Rn 2081 ff. 346 Erwägungsgrund 10 Rom I-VO; vgl. Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (530). 347 Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (530). 348 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2108. 349 Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (530). 350 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2115. 351 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 57; Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2090. 352 Zu Franchiseverträgen: Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl. Rn 2089. 353 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 56. 354 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 56. 355 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 56. 356 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl. Rn 2089. 357 Zu Franchiseverträgen: Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl. Rn 2089; zu Art. 13 EuGVÜ EuGH, Urt. v. 3.7.1997 – Rs. C-269/95, Slg. 1997, I-3767 Rn 17; s. a. OLG Nürnberg, Urt. v. 20.7.2004, IPRax 2005, 248. 358 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (283). 359 Erwägungsgrund 11 Rom I-VO; s. EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 Rn 49; Flohr/Wauschkuhn/ Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 9. Emde

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zulässig,360 auch mittels AGB361 (vgl. zu AGB aber oben).362 Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO setzt nicht voraus, dass das gewählte Recht eine objektive Verbindung zum Vertrag einnimmt oder ein rechtfertigendes Interesse der Parteien an der Wahl dieses Rechts besteht.363 Die Parteien dürfen auch das Recht eines Staates wählen, in denen keine von ihnen eine Niederlassung führt.364 So können etwa die Parteien eines deutsch-französischen Vertriebsvertrages z. B. ohne weiteres italienisches oder jedes sonstige staatliche Recht für anwendbar erklären.365 Jede Wahl eines i. d. S. neutralen Rechts will aber wohl überlegt sein. Denn sie erlegt beiden Parteien Rechtsermittlungskosten auf und erhöht die Summe der insg. aufzuwendenden Rechtsermittlungskosten.366 Deutsche Unternehmen müssen also abwägen, ob sie die Rationalisierungsvorteile, d. h. die Vorteile, das deutsches Recht ihnen und ihrem Rechtsstab vertraut ist – plus den etwaigen Nachteil eines Ausgleichs außerhalb des Anwendungsbereichs des § 92c –, höher gewichten als die Informationskosten, die bei Ermittlung eines anderen Rechtes anfallen.367 Die spätere Änderung der Rechtswahl ex tunc oder ex nunc (Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO) ist ebenfalls möglich.368 An die nachträgliche Rechtswahl werden die gleichen Ansprüche gestellt wie an eine ursprüngliche.369 Bei der Wahl deutschen Rechts und außereuropäischer Tätigkeit des Vertriebsmittlers gelten aber nicht automatisch Art. 101 AEUV und die freistellenden GVOs.370 Da sich die Wahl des jeweiligen Rechts gem. Art. 20 Rom I-VO nur auf dessen Sachrecht, und nicht auf sein IPR bezieht, ist eine Rück- oder Weiterverweisung ausgeschlossen.371 Infolge der wirksamen Prorogation muss ein ggf. zuständiges ausländisches Gericht nach dem gewählten deutschem Recht entscheiden, sofern dieses Recht anwendbar ist. Umgekehrt gilt Entsprechendes: Ein deutsches Gericht muss nach ausländischem Recht entscheiden, wenn zulässigerweise die Anwendbarkeit ausländischen Rechts trotz Zuständigkeit eines deutschen Gerichts vereinbart wurde.

aa) Teilrechtswahl (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO). Eine Teilrechtswahl ist gem. Art. 3 Abs. 1 53 S. 3 Rom I-VO gestattet.372 Regelmäßig muss der Wille zur Rechtswahlspaltung deutlich zum Ausdruck kommen. Faktisch ist also eine ausdrückliche „Spaltungsbestimmung“ erforderlich,373 die in AGB transparent gefasst sein müssen. Bedenklich sind deshalb Klauseln, die ausländisches Recht nur vereinbaren, falls der Ausschluss des Ausgleichsanspruchs „von den deutschen Gerichten nicht akzeptiert wird“374 (welche Gerichte, wieviele?). Von der Rechtsspaltung wird insb. gegenüber außerhalb der EU tätigen HV Gebrauch gemacht, indem Regelungsbereiche, die ohne Derogation zwingendem deutschem Recht unterliegen würden, ausländischem Recht, die übrigen Teile jedoch

360 Magnus IHR 2018, (52); Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (283); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 1; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 121. 361 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (283); Kindler/Menges DB 2010, 1109; Häuslschmid in: Reithmann/ Martiny, 7. Aufl. Rn 2214 (zu HV-Verträgen); Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl. Rn 2088 (zu Franchiseverträgen). 362 Siehe etwa BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 40/11, RIW 2013, 309 – keine vertriebsrechtliche Entscheidung. 363 Magnus IHR 2018, (52); Mankowski RIW 2016, 457 (458). 364 Mankowski RIW 2016, 457 (458). 365 Magnus IHR 2018, (52). 366 Mankowski RIW 2016, 457 (458). 367 Mankowski RIW 2016, 457 (458). 368 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 35. 369 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 35. 370 AA (und fernliegend) Niebling WRP 2012, 1361 (1365) = WRP 2010, 1454 (1458), auch nicht im Kfz-Vertriebsrecht. 371 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 10. 372 Magnus IHR 2018, 49 (52); Mankowski RIW 2016, 457 (458); Kindler NJW 2016, 1855 (1857); Thume IHR 2014, 52 (55); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2214. 373 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 77. 374 Detzer/Ullrich Internationale Vertriebsvereinbarungen, D 8.5.2 c). 935

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deutschem Recht unterstellt werden.375 So kann etwa daran gedacht werden, eine separate Rechtswahl nur für nachvertragliche Ansprüche376 oder den Ausgleichsanspruch377 zu treffen. Solche Abspaltungen sind nicht zu empfehlen, da sie zu divergierenden Wertungen führen können.378 Auch stellt sich das Problem zusätzlicher Rechtsermittlungskosten für mehrere Teilstatute.379 Selbst innerhalb der EU kann eine solche Rechtsspaltung gewollt sein, wo die einzelnen Rechte voneinander abweichen. Besonders in Vertragshändlerverträgen wird der Ausgleich ausgleichsfeindlichem Recht des Vertriebsortes unterworfen, alles andere hingegen deutschem Recht.380 Derartiges könnte bereits deshalb unzulässig sein, weil der Ausgleich Teil der Gegenleistung des Unternehmers381 ist und im Synallagma stehende Leistungen sogar im Individualvertrag einem einheitlichen Recht unterstehen müssen.382 Gleiches gilt für die Vereinbarung deutschen Rechts unter Ausschluss der §§ 305 ff. BGB.383 Die Benachteiligungsabsicht zu Lasten des Mittlers ist bei fehlender sachlicher Rechtfertigung – etwa besondere Gründe, Lagerhaltung und Vertriebstätigkeit getrennten Rechtsordnungen zu unterwerfen – offensichtlich, da die Separierung der Rechte keinem anderen Zweck dienen kann, als sich die „Rosinen“ aus jeder Rechtsordnung herauszusuchen.384 Eine komplett vereinbarte Rechtsordnung mag ein in sich stimmiges Schutzkonzept aufweisen, so dass vertreten wird, sie dürfe als ganzes, möglicherweise sogar vermöge AGB, bestimmt werden. Wird aber nur hinsichtlich solcher Regelungsbereiche, welche dem Unternehmer – meist gerade der Ausgleich – naturgemäß lästig sind, ausländisches, ausgleichsfeindliches Recht vereinbart, so kombiniert der Unternehmer u. U. das für ihn Vorteilhafteste zu einer gesetzesfernen, unangemessenen Komposition. Dies kann ebenso unzulässig sein wie bei zulässiger Geltung ausländischen Rechts dessen Ergänzung durch deutsches Recht,385 die Aufspaltung in eine unter § 92c fallende ausländische und eine inländische, nicht von § 92c erfasste Tätigkeit oder eine Teilkündigung.386 Was den Parteien also verwehrt bleibt, ist die Schaffung eines „ad-hoc-Statuts“, welches aus den verschiedenen in Betracht kommenden Rechtsordnungen die zwingenden Vorschriften eliminiert, indem sie im Wege der sogenannten materiell-rechtlichen Verweisung nur die dispositiven Vorschriften, sei es der einen, sei es der anderen Rechtsordnung, oder anstelle derselben abweichende parteiautonome Regelungen in Geltung setzen. Nicht verwehrt dagegen ist ihnen, die gewählte Rechtsordnung durch vertragliche Herübernahme von Schutzvorschriften aus der abgewählten anzureichern.387 Zumindest muss sich die Rechtswahl auf einen sinnvollen Vertragsteil begrenzen.388 Erfolgt eine davon abweichende Regelung mittels AGB, kann sie gem. § 307 BGB, wegen des Überraschungseffekts auch gem. § 305c Abs. 1, unwirksam sein. Denn der Mittler braucht mit einer solchen Spaltung des anwendbaren Rechts nicht zu rechnen. Individualvertraglich ist, soweit nicht bereits das Synallagma entgegensteht, eine Prüfung anhand § 242 BGB angezeigt.

375 Siehe etwa Mankowski RIW 2016, 457 (458); Kindler NJW 2016, 1855 (1857); Thume IHR 2014, 52 (56); Kocher RIW 2003, 512 (519); tendenziell auch Mankowski RIW 2016, 457 (458). 376 Mankowski RIW 2016, 457 (458); Thume IHR 2014, 52 (55 f.). 377 Kindler NJW 2016, 1855 (1857). 378 Magnus IHR 2018, 49 (52); Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 7. 379 Mankowski RIW 2016, 457 (458). 380 Thume IHR 2014, 52 (56); Hermes RIW 1999, 81 (86 f.); Detzer/Ullrich Rn 450; dort auch mit Formulierungsvorschlägen. 381 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 1.6.1989 – 6 U 76/88, RIW 1989, 646 (648) = NJW-RR 1989, 1018 ff. = EWiR 1989, 995 f. (Huff); Wolf ZHR 153 (1989), 300 (302 f.); Detzer/Ullrich Rn 343. 382 Palandt/Heldrich Art. 27 EGBGB Rn 9; Soergel/v. Hoffmann Art. 27 EGBGB Rn 59 f.; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 7; zweifelnd auch Kocher RIW 2003, 512 (519); aA Hopt § 92c Rn 6 (Zulässigkeit bejaht). 383 Ulmer in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., Anh. § 310 Rn 974. 384 Detzer/Ullrich Rn 451. 385 Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3e. 386 Emde BB 2000, 63 f. 387 Wengler ZHR 146 (1982), 30 (35). 388 Magnus IHR 2018, (52). Emde

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bb) Form und Wirksamkeit der Rechtswahl. Das Zustandekommen der Rechtswahl als ei- 54 genständiger Vertrag und seine Wirksamkeit richten sich nach der potentiellen lex causa.389 Die lex fori, also die Rechtsordnung des angerufenen Gerichts, bestimmt, ob die Rechtswahl der Parteien zulässig ist.390 Die Anwendung des Vertragsstatuts steht damit insb. unter dem Vorbehalt des ordre public des angerufenen Gerichts. Darunter sind nationale Vorschriften zu verstehen, deren Einhaltung als entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird.391 Letztlich stellt sich diese Frage nur bei angerufenen Gerichten außerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der Rom I-VO. Denn bei einem Gericht im räumlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO ist durch Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO die Zulässigkeit der Rechtswahl sichergestellt.392 Soweit die Rom I-VO anwendbar ist, bestimmt sich die Frage, ob die Einigung über die Rechtswahl zustande gekommen und wirksam ist, nach § 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO gem. dem Recht, das anwendbar wäre, wenn die Rechtswahl wirksam wäre, mithin der potentiellen lex causae.393 Ob die Rechtswahl formgültig ist, bestimmt sich gem. § 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 11 Rom I-VO. Nach Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO sind Verträge formgültig, wenn sie die Formerfordernisse der lex causae oder des Ortsrechts, also das Recht des Ortes, an dem sie geschlossen werden, erfüllen.394 Befinden sich die Parteien oder ihre Vertreter beim Vertragsschluss in verschiedenen Staaten, ist der Vertrag gem. Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO formgültig, wenn er die Formerfordernisse der lex causae (Alt. 1) oder des Rechts einer der Staaten, in denen sich die Parteien oder ihre Vertreter bei Vertragsschluss befinden (Alt. 2), oder das Recht des Staates, in dem eine der Parteien zu diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Alt. 3) erfüllt.395 Nach deutschem Recht bedarf die Rechtswahl keiner Form, selbst falls der Hauptvertrag einer gesetzlichen (etwa: § 34 GWB a. F.) oder vertraglichen Form unterliegen sollte.396 Meist erfolgt die Rechtswahl mittels einer sog. „Rechtswahlklausel“ schriftlich.

cc) Eindeutige und stillschweigende Rechtswahl. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO verlangt, dass 55 sich die Rechtswahl aus dem Vertrag unter den Umständen des Falles „eindeutig“, „clearly“ bzw. „clairement“ ergibt. Damit ist nun Eindeutigkeit erforderlich;397 eine gegenüber dem EGBGB (dazu unten) höhere Hürde.398 Es soll dem immer wieder zu beobachtenden „Heimwärtsstreben“ der Gerichte ein Riegel vorgeschoben werden.399 Bei der Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl ist damit Zurückhaltung anzunehmen.400 Eine stillschweigende Rechtswahl ist aber noch immer zulässig.401 Bei der Suche nach 56 einer konkludenten Rechtswahl ist besondere Zurückhaltung angebracht, weil es den Parteien 389 Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Rom I-VO (= Leible/Lehmann RIW 2008, 528 [532]). 390 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 13. 391 Nach Ansicht von Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2220 dürfte diese Begrenzung bei HV-kaum eingreifen. Dagegen spricht, dass das nationale Ausgleichsrecht häufig vor der Wahl fremden Rechts geschützt wird. 392 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 13. 393 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (283); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom IVO Rn 14. 394 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 16. 395 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 16. 396 Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 12; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 24. 397 Magnus IHR 2018, 49 (53); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2215. 398 Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (532); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 22; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2295. 399 Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (532); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 22. 400 Magnus IHR 2018, 49 (53). 401 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (283); Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (532); Flohr/Wauschkuhn/ Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 21. 937

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oft an dem erforderlichen Erklärungsbewusstsein mangeln dürfte. Es handelt sich um eine Frage der Auslegung des Vertrages. Alle Indizien sind zu gewichten und gegeneinander abzuwägen.402 Um eine stillschweigende Rechtswahl auszuschließen, können die Parteien vereinbaren, dass sie keine Rechtswahl getroffen haben.403 57 Keinen sicheren Anhaltspunkt für eine stillschweigende Rechtswahl geben: – die Sprache des Vertrages oder die Bestimmung der Währung,404 in der die Provision zahlbar sein soll. Der Grund ist das durchweg fehlende Erklärungsbewusstsein hinsichtlich der Rechtswahl. Die Wahl kann von Zweckmäßigkeitsgründen diktiert sein – Englisch als internationale Geschäftssprache oder diejenige Sprache, die beide Vertragspartner beherrschen; Dollar als Berechnungsbasis für die Provision – und besagt im allgemeinen nichts für einen hypothetischen Parteiwillen in Richtung auf die Rechtsordnung des betreffenden Landes;405 – der Sitz des Unternehmers, insb. bei einem Netz von Vertriebsverträgen406 (Grund: das Schutzbedürfnis des Mittlers geht der einheitlichen Rechtsanwendung im Vertriebssystem vor; sonst mglw. „race to the bottom“ zum Recht mit dem geringsten Schutz); – die Gewährung eines Alleinvertriebsrechts;407 – der Ort des Vertragsschlusses.408 Der Abschluss des HV-Vertrages einschließlich seiner wesentlichen Vereinbarungen (etwa über Zahlungsmodalitäten) in Deutschland spricht daher nicht immer für die Wahl deutschen Rechts.409 58 Allerdings können die vorgenannten Umstände ein Indiz410 für die Rechtswahl bilden oder es kann sich aus einer Kombination jeweils für sich unerheblicher Einzelmerkmale die Zuständigkeit deutscher Gerichte ergeben.411 Dagegen spricht es für die konkludente Wahl eines bestimmten Rechtes, falls 59 – ein gemeinsamer Erfüllungsort für alle Verpflichtungen aus dem Vertrag gewählt wird,412 insb. wenn der Vertriebsort bestimmt wird; – Rechtsvorschriften eines Staates ausdrücklich im Vertrag genannt oder abbedungen werden oder die Parteien mit hinreichender Deutlichkeit bestimmte, nur in einem Recht

402 BGH, Urt. v. 6.2.1970 – V ZR 158/66, BGHZ 53, 189 (191 ff.) = NJW 1970, 999 ff.; Meyer-Sparenberg RIW 1989, 347 (348). 403 Magnus IHR 2018, 49 (54). 404 BGH, Urt. v. 28.11.1980 – I ZR 122/78, DB 1981, 1279; differenziert Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92c Rn 4 f.; aA OLG Hamburg, Urt. v. 30.12.1985, RIW 1986, 462; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 74; Krümmel in: Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 6 Rn 47 („unterstützende Funktion“); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 34 (Indiz); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1031. 405 OLG Hamm IPRsp. 1978 21; KG IPRsp. 1976/77 Nr. 190, 618 (619); LG Bochum IPRsp. 1974 56 (58); Beitzke DB 1961, 528 (530); aA BGH MDR 2000, 692; ZIP 2003, 1388 (1389). 406 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 31; Ebenroth/Löwisch2 § 92c Rn 6. Ein einheitliches, zwingendem EU-Recht widersprechendes Netzwerkrecht lässt sich wegen der zwingenden Natur der RL weltweit ohnehin nicht schaffen. 407 Von BGH NJW 1972, 391 (393) obiter erwogen. 408 AA OLG Köln, Urt. v. 2.8.2002 – 19 U 152/01, VersR 2002, 1374; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 34 (Indiz). 409 OLG Köln, Urt. v. 2.8.2002 – 19 U 152/01, VersR 2002, 1374. 410 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 23. 411 Siehe etwa BGH ZIP 2003, 1388 (1389). 412 RGZ 58, 566; 81, 273; OLG Nürnberg, Urt. v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296; LG Bochum IPRsp. 1974 56 (58); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 74; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 34; Mankowski in Magnus/Mankowski (Eds.), Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 173; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 46; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 13; Hopt § 92c Rn 3; MünchKomm BGB/Martiny Art. 27 EGBGB Rn 51; anders BGH IPRsp. 1962/63 Nr. 41, S. 107 (109) für die Erfüllungsortvereinbarung nur hinsichtlich der Provisionszahlungspflicht; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 4; zweifelnd Magnus IHR 2018, 49 (53/54). Emde

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existierende Grundsätze zugrundelegen413 (Grund: hier greift die Vermutung ein, dass die Parteien den Vertrag einem einheitlichen Recht unterstellen wollten);414 die Vertragspartner AGB415 oder Vertragsregelungen gewählt haben, die auf der Basis eines bestimmten Rechts entworfen sind,416 etwa im Falle der Bezugnahme auf technische Vorschriften oder Begriffe,417 etwa DIN-Normen418 (es ist jedoch zu prüfen, ob die „gedankenlose“ Verwendung der AGB wirklich hinreichende Anhaltspunkte für ein Erklärungsbewusstsein sowie die Vereinbarung eines bestimmten Rechts gibt). Ein Beispiel fehlender Einbeziehung einer Rechtswahlklausel bildet das Urteil des OLG Köln vom 1.7.2005 – 19 U 194/04419: In dem dortigen Fall scheiterte die Einbeziehung von AGB mit einer auf das deutsche Recht verweisenden Rechtswahlklausel an dem mangelnden Einbeziehungswillen. Die Rechtswahlklausel war lediglich in den in Ausführung des Vertragshändlervertrages ausgetauschten AGB der einzelnen Kaufvertrage enthalten und zudem in einer Sprache, nämlich deutsch, die nicht Verhandlungssprache war; die Parteien übereinstimmend und hinreichend deutlich nach Vertragsschluss, etwa während eines Gerichtsverfahrens,420 von der Anwendung eines bestimmten Rechts ausgehen.421 Auf diese Weise kann nachträglich ein anderes Recht bestimmt werden. Indiziell kann auch die rügelose Einlassung vor Gericht so verstanden werden422 (denn es kommt auf das Verständnis des Gegenübers an), wohl aber nicht die rügelose Hinnahme der Urteilsbegründung, welche deutsches Recht anwendet.423 Aus der Hinnahme eines Gerichtsstandes oder eines Rechts in Unkenntnis der Maßgeblichkeit eines anderen Rechtes oder Gerichtsstandes dürfen aber keine Folgen gezogen werden;424 Gerichtsstands- und Schiedsgerichtsstandsklauseln ohne Rechtswahlbestimmung getroffen wurden425: Das Land, dessen Gerichte ausschließlich426 als zuständig für Streitig-

413 An der derart getroffenen Rechtswahl ändert sich auch nichts, wenn die zitierten Rechtsgrundsätze nicht mehr gelten. Denn der Wunsch, den Vertrag einem bestimmten Recht zu unterstellen, ist gleichwohl hinreichend deutlich zu Tage getreten. Das gilt wohl auch nach der Rom I-VO, vgl. Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2215; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 4. 414 OLG Köln, Urt. v. 23.2.1983 – 16 U 136/82, RIW 1984, 314 (315); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 74; Westphal in: Graf v. Westphalen, Handbuch des Handelsvertreterrechts, Länderteil Deutschland Rn 89. 415 OLG Hamburg, Urt. v. 30.12.1985 – 11 U 159/85, RIW 1986, 462; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 32; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92c Rn 5. 416 BGH JZ 1976, 607 (608); OLG Schleswig NJW-RR 1988, 283 (284); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 28 ff.; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 109. 417 Magnus IHR 2018, 49 (53). 418 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 33. 419 BeckRS 2005, 08783. 420 Magnus IHR 2018, 49 (54); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 26. 421 BGH NJW 1994, 187; RIW 1995, 410 (412); NJW-RR 1990, 248 (249); OLG Celle RIW 1990, 320 (322); LG Ellwangen, Teilurt. v. 13.5.2013 – 1 O 15/10, best. durch OLG Stuttgart, Urt. v. 30.1.2014 – 13 U 99/13; Magnus IHR 2018, 49 (54); Mansel ZVglRWi 86 (1987), 1 (11); Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 6. 422 BGH NJW 1991, 1292 (1293); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 26. 423 AA OLG Köln, Urt. v. 2.8.2002 – 19 U 152/01, VersR 2002, 1374. 424 Magnus IHR 2018, 49 (54); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 26. 425 Erwägungsgrund 12 Rom I-VO (für Wahl eines Gerichtsstandes in einem Mitgliedsstaat); BGH ZIP 2003, 1388 (1389); Urt. v. 21.1.1991 – II ZR 50/90, NJW 1991, 1419 (1420); BGHZ 51, 255 (257) = DB 1969, 653; v. 1.7.1964 – VIII ZR 266/62, WM 1964, 1023 f.; NJW 1961, 1061 (1062); OLG Hamburg WM 1969, 709 (711); Urt. v. 30.12.1985 – 11 U 159/85, RIW 1986, 462; Magnus IHR 2018, 49 (53); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2215; Flohr/Wauschkuhn/ Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 24; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 74; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 13; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume4 § 92c Rn 4; Hopt § 92c Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 108; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3b. Das gilt auch nach der Rom I-VO, vgl. Häuslschmid in: Reithmann/ Martiny, 7. Aufl. Rn 2215. AA Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 18 f. 426 Eine fakultative oder reziproke Gerichtstandsvereinbarung ist also nicht hinreichend eindeutig, s. Magnus IHR 2018, 49 (53). 939

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keiten aus dem Vertrage bestimmt worden sind, dessen Rechtsordnung wird im Zweifel als die maßgebliche gewollt sein: qui eligit iudicem, eligit ius. Die Vertragsparteien dürften davon ausgegangen sein, dass jeder Richter sein heimisches Recht am besten kennt, sie also von ihm gerade durch Anwendung dessen heimischen Rechts die Gewähr sachkundigster Rechtsanwendung zu erwarten haben. Vorsicht ist aber geboten, wenn auch andere internationale Gerichtsstände zugelassen sind.427 Grund: Das dispositive Recht geht von einem Auseinanderfallen des anwendbaren Rechts und des Gerichtsstandes aus: Denn bei Fehlen einer Rechtswahl nimmt das deutsche Recht an, der für einen ausländischen Unternehmer werbende HV mit Sitz in Deutschland (Folge: Geltung deutschen Rechts) müsse gegen den Unternehmer gerichtete Ansprüche am Sitz des Unternehmers (Erfüllungsort/Allgemeiner Gerichtsstand) geltend machen, obwohl deutsches Recht anwendbar ist. Außerdem bedeutet die Wahl eines institutionalisierten Schiedsgerichtes (ICC Paris, Vienna Arbitration, Stockholm Arbitration) nicht zwingend, dass auch die Richter aus diesem Land stammen;428 die Parteien eine gemeinsame Staatsangehörigkeit429 oder einen gemeinsamen ständigen Aufenthaltsort haben, da sie sich damit mutmaßlich der für sie gemeinsamen heimatlichen Rechtsordnung unterstellt haben wollen. Verstärkt wird dieses Indiz, falls das Vertriebsgebiet in diesem Staat liegt. Anderenfalls ist die Indizwirkung fraglich; möglicherweise wenn in Einzelverträgen in Ausfüllung des Vertriebsvertrages ein bestimmtes Recht vereinbart wird430 und vice versa,431 etwa in den Kaufverträgen eines Vertragshändlervertrages.432 Das gilt auch, falls die Einzelverträge stillschweigend und übereinstimmend von einem Recht ausgehen.433 Es kann u. U. vermutet werden, dass die gleiche Rechtswahl für den rechtswahllosen Komplementärvertrag gilt. Die Folge wäre, einen Ausschluß des CISG beiseitegedacht, dass bei Vereinbarung deutschen Rechts für den Einzelvertrag das CISG gilt, für den Vertriebsvertrag hingegen das HGB analog.434 Das muss aber nicht zwingend angenommen werden. Denn grds. sind Einzel- und Rahmenverträge selbständig anzuknüpfen.435 So sollen bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts die in Ausführung eines Vertragshändlervertrages geschlossenen Kaufverträge einem anderen Recht unterliegen können als der Vertragshändlervertrag als Rahmenvertrag. Der Vertrags-

427 Westphal I Rn 22. 428 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 25. Nach Magnus IHR 2018, 49 (53) kommt es darauf an, ob das Schiedsgericht das Recht an seinem Sitz gewöhnlich anwendet. 429 LG Hamburg, Urt. v. 19.06 1980 – 21 O 10/88, IPRax 1981, 174 m. krit. Anm. v. Hoffmann; Birk ZVglRWi 79 (1980), 268 (280); Reithmann/Martiny, Rn 1412; Krümmel in: Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 6 Rn 47; Ebenroth/ Kindler4 Anh. § 92c Rn 13; ebenso die bei Gamillscheg Internationales Arbeitsrecht 1959 S. 138/139 zitierten Entscheidungen des OLG Hamburg v. 30.10.1902 und 24.2.1919, des RG v. 22.10.1929 und des BGH v. 19.3.1956; anders OLG München IPRsp. 1956/57, Nr. 46 für den dort entschiedenen Fall, in dem der HV schon 20 Jahre im Ausland tätig war. AA Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 17. 430 Magnus IHR 2018, 49 (53); Mankowski Anm. zu OLG Düsseldorf, RIW 1994, 420 (422); Flohr/Wauschkuhn/ Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 66 (Indiz); Reithmann/Kartzke Rn 1433; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 51; aA Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 20. 431 Magnus IHR 2018, 49 (53); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 65 (Indiz); Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 20; aA wohl MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 129 f. 432 Magnus IHR 2018, 49 (53); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2295 (zur Rom I-VO); Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1031; krit. Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 52. 433 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2295 (zu Vertragshändlerverträgen). 434 Magnus IHR 2018, 49 (53). 435 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.7.1996 – 6 U 152/95, NJW-RR 1997, 822 = RIW 1996, 958 (959) = EWiR 1996, 843 (Schlechtriem); Magnus IHR 2018, 49 (52); Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2110; Häuslschmid in: Reithmann/ Martiny, 7. Aufl., Rn 2292; Krümmel in: Giesler/Nauschütt S. 1096; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 129 f.; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 20; Hopt § 92c Rn 2; aA OLG München, Urt. v. 22.9.1995, RIW 1996, 1035 m. abl. Anm. Klima. Emde

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händlervertrag mag etwa kanadischem, die Kaufverträge deutschem Recht unterliegen.436 Ob ein Indizcharakter der Rechtswahl in einem Vertrag anzunehmen ist, bleibt jeweils eine Frage des Einzelfalles. Dies gilt etwa für die Frage, ob beide Verträge wirtschaftlich und rechtlich voneinander abhängen.437 Insbesondere sofern ein solcher Zusammenhang besteht, kann eine indizielle Wirkung der Rechtswahl in einem Vertrag für das anwendbare Recht des anderen Vertrages bestehen. Auch der Hinweis auf die Geltung deutschen Rechts in AGB der Einzelverträge reicht – je nach den Umständen des Einzelfalls – für eine einheitliche Anknüpfung wohl nicht aus;438 der Vertrag auf einen anderen Bezug nimmt, für den ein bestimmtes Recht gilt;439 ein vorhandener HV-Vertrag um ein weiteres Land ergänzt wird440 (Grund: es ist anzunehmen, dass im Interesse beider Parteien ein einheitliches Regime gelten soll); nach der bisherigen Vertragspraxis immer ein bestimmtes Recht gewählt wurde;441 die Parteien in dem nicht unterzeichneten Entwurf eines HV-Vertrages deutsches Recht gewählt hatten;442 der Schwerpunkt der Tätigkeit eines staatenübergreifenden Vertriebsvertrages in einem Land liegt, es gilt dann dessen Recht. Im Regelfall soll davon auszugehen sein, dass der Vertrag deutschem Recht untersteht, wenn ein ausländisches Unternehmen einen deutschen HV mit einer HV-Tätigkeit im Inland betraut.443 Dies kann letztlich offen bleiben, da in dieser Situation schon kraft dispositiven Rechts gem. Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO sowie Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB deutsches Recht gilt.

dd) §§ 305 ff. BGB (1) Allgemeines. Nur wenige HV-Verträge vereinbaren das Recht am Sitz des HV. Meist liegt 60 es – wie bei der Festlegung des Gerichtsstandes – genau andersherum, was die strukturelle Unterlegenheit des Mittlers dokumentiert. Daraus ergeben sich Grenzen der Rechtswahl. Den EuGH hat jenes Schutzbedürfnis zu seinem Ingmar-Urt. v. 9.11.2000444 (dazu unten) motiviert, was das Gericht auch ausdrücklich aussprach (Ziff. 20 der Entscheidung). Streitig wird die Frage einer wirksamen Derogation meist im Zusammenhang mit dem Ausgleich,445 den außereuropäische Rechtsordnungen oft nicht kennen. Er ist jedoch nicht auf diesen „Kernbereich“ beschränkt.446 Soweit sich die Unzulässigkeit der Rechtswahl nicht bereits aus den Grenzen der Art. 3 Abs. 3 und 4, Art. 9 Rom I-VO oder den Grundsätzen der Ingmar-Entscheidung (s. u.) bzw. bei Geltung des EGBGB aus Artt. 27 Abs. 3 und 34 EGBGB ergibt, ist zu diskutieren, ob die Abwahl deutschen Rechts nach § 307 BGB unwirksam sein kann. Das kann bei abstrakt-generel-

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OLG Jena, Urt. v. 27.8.2008 – 2 U 672/06, NJW 2009, 689. Schurig IPRax 1994, 27, 29 f. OLG Köln, Urt. v. 1.7.2005 – 19 U 194/04, BeckRS 2005, 08783. Magnus IHR 2018, 49 (53). Neflin DB 1956, 589; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 46; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3d. BGH NJW 2001, 1936 (1937); LG Ellwangen, Teilurt. v. 13.5.2013 – 1 O 15/10, best. durch OLG Stuttgart, Urt. v. 30.1.2014 – 13 U 99/13 – weiterer Rahmenvertrag; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 27. 442 LG Ellwangen, Teilurt. v. 13.5.2013 – 1 O 15/10, best. durch OLG Stuttgart, Urt. v. 30.1.2014 – 13 U 99/13. 443 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.7.2008 – 2 W 59/06, BeckRS 2009, 04459. 444 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – Rs C 381/98, VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974. 445 Wauschkuhn/Meese RIW 2002, 301 (302); Eberl RIW 2002, 305. 446 Wauschkuhn/Meese RIW 2002, 301 (303). 941

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ler Betrachtung und unbilliger Benachteiligung des HV auszugehen sein.447 Angesichts der Art. 3 Abs. 3, 4 und Art. 9 Rom I-VOB haben die §§ 305 ff BGB vor allem bei der Derogation nicht zwingenden HV-Rechts Bedeutung. 61 Die Zulässigkeit einer Rechtswahl mittels AGB ist umstritten.448 Regelmäßig soll eine in AGB getroffene Rechtswahlklausel weder überraschend i. S. d. § 305c Abs. 1 BGB noch benachteiligend i. S. d. § 307 BGB sein.449 Die Rechtswahl kann aber bedenklich sein, weil sich die fast durchweg vorhandene, insb. im fehlenden Kündigungsschutz offenbar werdende strukturelle Unterlegenheit450 des HV bei Verwendung von AGB besonders manifestiert. Der Ausgleichsanspruch ist meist der einzige (mittelbare) Kündigungsschutz und als solcher sowie als vertragliche Gegenleistung für den Aufbau eines Kundenstammes einer der Säulen des HV-Rechts. Er wird aber – sollte es zulässig sein – als erstes durch eine formularmäßige Wahl ausgleichsfeindlichen Rechts abbedungen werden. Also liegt es hier besonders nahe, streng zu sein. Was in einem gleichberechtigt ausgehandelten Individualvertrag Teil eines gerechten Interessenausgleichs sein mag, kann es strukturbedingt in AGB nicht sein. Denn AGB werden vom Verwender gestellt, meist dem Unternehmer. 62 Mit der Streichung des § 10 Nr. 8 AGBG durch Art. 6 § 2 IPR-Neuregelungsgesetz v. 25.7.1986451 fiel eine wichtige Kontrollbestimmung weg. Seither gibt es expressis verbis keine Beschränkung der Rechtswahl mittels AGB,452 auch nicht in der Rom I-VO. Es kann aber kaum angenommen werden, die Folge solle eine Reduzierung des Schutzes der Vertriebsmittler sein.453 Nach h. M. soll eine Inhaltskontrolle über AGB nicht stattfinden,454 auch nicht über § 307 Abs. 1 BGB. Anwendbar sind jedoch bei Wahl deutschen Rechts die Vorschriften über die Einbeziehungskontrolle der §§ 305 ff. BGB. Denn sie betreffen die Wirksamkeit der Einigung.455 Dies gilt insb. für den Vorrang der Individualabrede (§ 305b BGB)456 sowie die Überraschungsklausel (§ 305c BGB).457 Nach aA458 richtet sich die Prüfung der Einbeziehung und Wirksamkeit von AGB bei zeitlicher Geltung des EGBGB gem. Art. 31 Abs. 1 EGBGB nach dem gewählten, mangels Rechtwahl dem objektiv anwendbaren Recht.459 Teilweise wird – unzureichend und Umgehungsversuche einladend – lediglich die ausdrückliche Zustimmung des anderen Teils zur AGB-Rechtswahlklausel gefordert,460 wobei sich fragt, worin sie sich äußert. Zumindest wird bei der Wirksamkeitskontrolle über Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 2 BGB, welches mit dem Er447 LG Karlsruhe v. 3.4.1989 – 022 KfH III, JZ 1989, 690; v. 31.10.1995 – 12 O 492/95, NJW 1996, 1417; Wolf/Horn/ Lindacher, AGBG, 4. Aufl. 1999, § 9 Rn R 41; aA Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (144); OLG Schleswig, Beschl. v. 21.6.2006 – 2 W 88/06, MDR 2007, 106 für Gerichtsstandsbestimmungen in Verträgen unter Kaufleuten. 448 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 8 ff. 449 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 19; Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl. Rn 2088 (zu Franchiseverträgen). 450 AA Freitag/Leible RIW 2001, 287. 451 BGBl. I/1442. 452 Jayme FS Lorenz, S. 435 (437 ff.); Meyer-Sparenberg RIW 1989, 347; Wolf ZHR 153 (1989), 300 (302); Martinek/ Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 15. 453 AA Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1039; offen gelassen von BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 197/08, NJW-RR 2012, 49. 454 MünchKomm BGB/Martiny, 6. Aufl. 2015, Art. 3 Rom I-VO Rn 13 m. w. N.; MünchKomm/Spellenberg, 6. Aufl. 2015, Art. 10 Rom I-VO Rn 161; Winkler von Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (283 f.). Offen gelassen von Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 95. 455 Winkler von Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (284f), zweifelnd MünchKomm/Martiny 6. Aufl. 2015, Art. 3 Rom I-VO Rn 13. 456 BGHZ 171, 141 = NJW 2007, 2036 Rn 21 f.; Winkler von Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (284f). 457 MünchKomm BGB/Spellenberg, 6. Aufl. 2015, Art. 10 Rom I-VO Rn 162; Winkler von Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (284f). 458 Hopt § 92c Rn 1. 459 AA Emde MDR 2002, 198. 460 Nachweise bei Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 10. Emde

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fordernis des Art. 5 S. 1 Klausel-RL 93/13/EWG im Einklang steht, zur Anwendung berufen.461 Richtigerweise wird man auch heute die Rechtswahlbestimmung an den §§ 305c BGB, 307 BGB messen können,462 und zwar nicht nur, falls jeder gewichtige Bezug zu dem gewählten ausländischen Recht fehlt.463 Die Prüfungsbeschränkung des § 310 Abs. 1 BGB ist bei Verträgen mit Unternehmern zu beachten.464 Sie soll regelmäßig dazu führen, dass die Wahl des Rechtes am Sitz einer Partei nicht zu beanstanden sein soll.465 Der Prüfung anhand der §§ 305 ff. BGB kann nicht entgegengehalten werden, materielles deutsches Recht einschließlich der §§ 305 ff. BGB sei wegen der Rechtswahlklausel nicht anwendbar. Das wäre ein Zirkelschluss. Denn ob die Rechtswahl wirksam ist, bestimmt sich gerade nach deutschem Recht, also auch den §§ 305 ff. BGB (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, Art. 27 Abs. 4 EGBGB).466 Ferner gibt es entgegen der h. M. keine Spezialität der Rom I-VO oder des EGBGB, die es gebietet, Rechtswahlklauseln nur dann der AGB-Prüfung zu unterwerfen, wenn sie auf deutsches Recht verweisen.467 Nicht anders als das gesamte materielle Recht behandeln die Rom I-VO und das EGBGB jedoch lediglich den Individualvertrag, nicht die Besonderheiten der AGB. Gegenüber einem HV mit deutschem Tätigkeitsort, der ohne Rechtswahl deutschem Recht unterläge, wird man entgegen der h. M. wegen des Schutzgedankens des HV-Rechts, der sich in anderen Rechten nur unzureichend wiederspiegelt, mittels AGB nicht ohne gute Gründe (Stichwort „unbillige Benachteiligung i. S. d. § 307 BGB) von der ohne Rechtswahl maßgeblichen Rechtslage, der Geltung deutschen Rechts, abweichen können. Das gilt jedenfalls für das zwingende deutsche Recht und insb. § 89b. Der Gesetzgeber hat in den §§ 84 ff. festgelegt, welchem Schutz ein solcher HV unterliegen soll (Leitbild). Von diesem Gesamtbild darf durch AGB nicht abgewichen werden,468 und zwar mittels einer pauschalen Rechtswahlklausel auch nicht hinsichtlich seiner dispositiven Teile (§ 307 BGB). Eine autonome Auslegung des HV-Rechts unter Einbeziehung des § 92c ergibt, dass der HV in besonderem Maße schutzwürdig ist.469 Insb. § 92c kann der gesetzgeberische Wille entnommen werden, dem ohne Rechtswahl deutschem Recht unterliegenden HV bei Tätigkeit innerhalb der EU oder des EWR, also erst recht bei deutscher Tätigkeit, den Schutz zwingender Vorschriften des deutschen Rechts zukommen zu lassen, wobei für eine solche Tätigkeit meist bereits die Existenz einer deutschen Niederlassung genügt, da der HV dort den Schwerpunkt seiner Aufgaben erfüllt. Auch kann bei Geltung des EGBGB die in Art. 30 EGBGB getroffene Aussage zwar nicht unmittelbar angewandt werden,470 aber als Gedanke hilfreich sein. Denn HVRecht wie Arbeitsrecht teilen einen sozialen Schutzgehalt mit hohem Anteil zwingenden Rechts. Bei diesem Befund ist es besonders bedenklich, wenn gegenüber dem in Deutschland aus seiner Niederlassung heraus tätigen Mittler (nur dann gilt überhaupt „abwählbares“ deutsches Recht, s. o. Rn 38 ff., 52 ff.) dieses ohne Rechtswahl maßgebliche Recht derogiert wird. Zwar trifft § 92c diese Wertentscheidung nur bezüglich der zwingenden Bestandteile des HV-Rechts. Eine Teilbarkeit des anwendbaren Rechtes ist jedoch zumindest durch AGB ausgeschlossen (Art. 3 Abs. 1 S. 3 461 HK-BGB/Staudinger Rom I Art. 3 Rn 10a. 462 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 3 Rn 156; Krümmel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 6 Rn 54; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 19 ff.; aA Mankowski MDR 2002, 1352 (1354); ders., RIW 2003, 2 (4); Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Handelsvertreterrecht, Rn 70; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 8: nur bei deutschem Recht als Vertragsstatut. 463 So noch Ebenroth/Löwisch1 § 92c Rn 4. 464 Krümmel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 6 Rn 55. 465 Krümmel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 6 Rn 55. 466 Dafür jedoch Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 15; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 95 verlagert die Inhaltskontrolle in die Prüfung des Art. 27 EGBGB, der eine abschließende Bewertung der Benachteiligung einer Partei enthalte. 467 Siehe etwa BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 40/11, RIW 2013, 309 (keine vertriebsrechtliche Entscheidung). Der BGH hielt die Rechtswahlklausel in einem Verbrauchervertrag gem. § 307 BGB für unwirksam. AA aber Palandt/ Heldrich Art. 27 EGBGB Rn 8 m. w. N.; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 15. 468 Sehr weitgehend Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 85 Rn 3. 469 Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Handelsvertreterrecht, Rn 73. 470 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 20. 943

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Rom I-VO, Art. 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB). Folglich kann deutsches Recht mittels AGB insgesamt nicht abbedungen werden.471 63 Im Falle fehlenden Auslandbezugs ergibt sich dieses Verbot in Bezug auf das zwingende HV-Recht bereits aus Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO bzw. Art. 27 Abs. 3 EGBGB/Art. 34 EGBGB472 herleiten, mglw. auch aus § 92c, sieht man diese Bestimmung als eine das EGBGB ergänzende Kollisionsregel. Zu den zwingenden Vorschriften, von denen gem. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, Art. 27 Abs. 3 EGBGB bei reinem Inlandsbezug nicht abgewichen werden darf, zählen auch die §§ 305 ff. BGB.473 Also müsste die Rechtsfolge der Derogation deutschen Rechts bei abstrakt-genereller Betrachtung (§ 307 BGB) hinreichend billig sein. Hieran mangelt es etwa bei einer unbillig kurzen Kündigungsfrist. Eine Kündigungsfrist darf auch nicht gänzlich entfallen. Insoweit strahlt das Leitbild des § 89 aus und wird nicht völlig von § 92c beiseitegerückt. Es gilt das oben unter Rn 39 ff. Gesagte entsprechend. Eine Kündigungsfrist von weniger als zwei Wochen wird regelmäßig unzulässig sein.

64 b) Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO – reiner Binnensachverhalt. Liegt ein reiner Inlandsfall i. S. d. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO vor, kann die Rechtswahl die einfach-zwingenden474 Bestimmungen des Inlandsrechts nicht verdrängen.475 Ein reiner Inlandsfall ist gegeben, wenn mit Ausnahme der Rechtswahl keine relevanten Anknüpfungspunkte den Sachverhalt mit einer anderen Rechtsordnung verbinden.476 Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO entspricht dem früheren Art. 27 Abs. 3 EGBGB477 (s. u.). Die Parteiautonomie erlaubt es auch Inländern, die ein Vertrag schließen, für diesen ausländisches Recht zu wählen, obwohl ein Bezug zu Deutschland besteht. Allerdings ist die Parteiautonomie in solchen Inlandsfällen eingeschränkt. Bei dem derart geschützten einfachzwingenden Recht kann es sich auch um einfach-zwingendes Richter-478 oder Gewohnheitsrecht479 handeln. Unbeachtlich ist ferner seine Rechtsnatur, es kann dem öffentlichen Recht oder dem Zivilrecht zufallen.480 Anwendbar sind die zwingenden Vorschriften des Rechts des Staates, welches ohne Rechtswahl anwendbar sein würde, also ggf. sogar eines anderen Staats als Deutschland (Abs. 3 gilt allseitig).481 Schließt beispielsweise ein deutsches Unternehmen einen HV-Vertrag mit einem in Deutschland ansässigen HV für ein Tätigkeitsgebiet in Deutschland und treffen die Parteien eine Rechtswahl zugunsten brasilianischen Rechts, so bleiben auch die einfach-zwingenden Vorschriften der §§ 84 ff. anwendbar.482 Nur die Regelungen, die bei Anwendung deutschen Rechts abdingbar wären, würden sich nach brasilianischem Recht richten.483 Die zwingenden Vorschriften werden also in das gewählte Statut gewissermaßen „inji-

471 Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Handelsvertreterrecht, Rn 74 mit Begründung aus Art. 34 EGBGB; zum Ausgleichsanspruch enger Ulmer/Brandner/Schmidt 8. Aufl. 1997, Anh. §§ 9–11 Rn 418: Derogation des Ausgleichs unzulässig, wenn Ortsrecht zwingenden Ausgleich vorsieht. 472 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. 1999, § 9 Rn R 41. 473 OLG Frankfurt/M. RIW 1989, 646 (648); Wolf ZHR 153 (1989), 300 (302 f.); Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. 1999, § 9 Rn R 41. 474 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2228. 475 Magnus IHR 2018, 49 (54). 476 Magnus IHR 2018, 49 (54). 477 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 39. 478 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 46. 479 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 46. 480 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 46. 481 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 40. 482 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2228. 483 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2228; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 46. Emde

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ziert“.484 Beispiele für solches zwingendes Recht: § 89b,485 die deutsche Rspr. zur Anwendung des § 89b auf HV-ähnliche Mittler, insb. Vertragshändler,486 das deutsche und europäische Kartellrecht487 sowie die §§ 305 ff. BGB488 (dazu unten, Rn 60 ff.). Richtigerweise dürfte das gesamte zwingende Recht der RL geschützt sein.489 Im Franchiserecht sollen die vorvertraglichen Aufklärungs- und Offenlegungspflichten derartig zwingendes Recht bilden.490 Falls der FN Existenzgründer i. S. d. § 512 BGB ist und der Franchisevertrag eine Bezugsbindung nach § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB enthält, sollen die zwingenden Vorschriften des § 511 BGB sowie der §§ 491 ff. BGB ebenfalls geschützt sein.491 Der Unterschied zu Art. 9 Rom I-VO liegt darin begründet, dass Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bereits einfach zwingendes Recht schützt, während nach Art. 9 Rom I-VO nur das bedeutendere international zwingende Recht geschützt ist.492 Außerdem ist Art. 9 Rom I-VO die „stärkere“ Vorschrift, so dass im Falle eines Konfliktes zwischen nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO und Art. 9 Rom I-VO die über Art. 9 Rom I-VO anwendbaren inländischen Normen Vorrang genießen. Das gilt auch für HV-ähnliche Mittler, bei denen § 89b und dessen zwingende Natur analog gilt, etwa für den Vertragshändler.493 Die Derogation ist nur zulässig, wenn sie nach deutschem Recht durch § 92c gestattet wird. Es ist umstritten, welche Anforderungen an den Auslandsbezug zu stellen sind, um die 65 Nichtanwendbarkeit des Abs. 3 Rom I-VO zu begründen. Erwägungsgrund 15 der Rom I-VO stellt klar, dass dazu nicht eine zu einem ausländischen Gerichtsort weisende Gerichtsstandsvereinbarung genügt.494 Gleiches muss für eine Schiedsabrede mit Verfahrensort außerhalb Deutschlands oder der EU gelten.495 Die ausländische Staatsangehörigkeit beider Parteien reicht ebenso wenig496 wie die ausländische Vertragssprache,497 der Umstand, dass der Mittler zwar gelegentlich auch im Ausland tätig wird, seine Haupttätigkeit aber überwiegend im Inland entfaltet.498 Ebenso wenig reicht das bloße Interesse der Parteien an der Anwendung ausländischen Rechts, selbst wenn die Parteien gute Gründe für die Wahl dieses Rechts inne haben, etwa weil dieses besonders gut entwickelt ist.499 66 Ein ausreichender Auslandsbezug soll hingegen vorliegen, wenn – die Anknüpfungsmerkmale, die zur Bestimmung des objektiven Vertragsstatus herangezogen werden, eine Verbindung zu anderen Staaten aufweisen;500 – eine der Parteien ihre Hauptverwaltung bzw. -niederlassung (Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO) oder ihre Zweigniederlassung (Agentur oder sonstige Niederlassung,

484 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 39. 485 Magnus IHR 2018, 49 (54); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 41 (HV), 55 (Vertragshändler); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2304 (zum Vertragshändler). 486 Magnus IHR 2018, 49 (54); Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (148 ff.); aA von der Moolen in: Martinek, Handbuch Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2010, § 24 Rn 65. 487 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 59 (HV); 68 (Vertragshändler). 488 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 48. 489 Ebenroth/Kindler 4. Aufl., Anh. § 92c Rn 19 (falls alle Elemente des Sachverhaltes in der EU liegen). 490 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 72. 491 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 72. 492 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 39. 493 Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 55; aA Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2309. 494 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 41. 495 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 41; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2228. 496 BGH NJW-RR 2005, 929 (931); Magnus IHR 2018, 49 (54); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 41. 497 Magnus IHR 2018, 49 (54). 498 Magnus IHR 2018, 49 (54). 499 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 44. 500 BGH NJW-RR 2005, 929 (931); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 41. 945

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falls der Vertriebsvertrag im Rahmen des Betriebs dieser Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung geschlossen wurde oder jene für die Erfüllung des Vertriebsvertrages verantwortlich ist), in einem anderen Staat als demjenigen führt, dessen Recht gewählt wurde;501 – der Erfüllungsort502 oder der Abschlussort503 im Ausland liegt. 67 Ob der Vertrag mit dem Restgehalt des nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO abwählbaren dispositivem Rechts sinnvoll aufrechterhalten werden kann, bestimmt sich nach § 139 BGB oder den oben dargelegten Grenzen zur Rechtsspaltung nach Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO.

c) Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO/Ingmar-Rspr. des EuGH 68 aa) Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO. (reiner Binnenmarktfall504). Nach Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO berührt immer dann, wenn alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem oder mehreren Mitgliedstaaten (einschließlich Dänemarks505) belegen sind, die Wahl des Rechts eines Drittstaates durch die Parteien nicht die Anwendung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann (mangelnder außereuropäischer Bezug). Die Maßstäbe des Abs. 3 zum Inlandsfall finden auf den Binnenmarktfall Anwendung.506 Im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 3, der das Recht des Einzelstaates schützt, wird mit Abs. 4 das Gemeinschaftsrecht geschützt. Abs. 4 ist anwendbar, sofern die engsten Verbindungen zum Gemeinschaftsrecht existieren; Abs. 3 bei engsten Verbindungen zum einzelstaatlichen Recht, also noch engeren Verbindungen als zum Gemeinschaftsrecht.507 Unerheblich ist hingegen, ob Verbindungen zum Staat des Gerichtsortes bestehen.508 Der Begriff der Mitgliedsstaaten in Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO bezeichnet alle Mitgliedsstaaten der EU, also nicht nur die Mitgliedsstaaten, in denen die Rom I-VO anwendbar ist (Art. 1 Abs. 4 Rom I-VO).509 Mit Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO wird eine Binnenmarktklausel eingeführt, die ein Pendant zur Inlandsklausel des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO darstellt. Die Vereinbarung eines Gerichtsstandes oder Schiedsgerichtsortes außerhalb der EU wird aufgrund des Erwägungsgrundes 15 der Rom I-VO keinen ausreichenden außereuropäischen Bezug herstellen.510 Sind jedoch Elemente des Sachverhalts in Drittstaaten belegen, die für eine objektive Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO Bedeutung hätten, wie etwa der Sitz,511 der gewöhnliche Aufenthalt bzw. die Hauptverwaltung oder Niederlassung (Art. 19 Rom I-VO) einer der Vertragsparteien außerhalb der EU, dürfte ein außereuropäischer Bezug vorliegen und Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO ist nicht einschlägig.512 Eine Grenze der Rechtswahlbefugnis ergibt sich dann aber aus dem Ingmar-Urteil des EuGH513 (s. u.). Nach Ansicht von Häuslschmid514 ist deshalb im Einklang mit dem Ingmar-Urteil der MindestFlohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 42. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 43. Magnus IHR 2018, 49 (54); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 43. Magnus IHR 2018, 49 (54). Magnus IHR 2018, 49 (54). Magnus IHR 2018, 49 (54). Martiny in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 186. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 50. Siehe Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (534). Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 51; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2229. 511 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 51; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2229. 512 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 51. 513 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – Rs. C-381/98, ZIP 2000, 2108 = BB 2001, 10 = NJW 2001, 2007; siehe Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2222. 514 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2224.

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standard der RL anzuwenden, falls der HV sein zumindest überwiegendes Tätigkeitsgebiet in einem Mitgliedstaat hat. Eine entgegenstehende Rechtswahl soll unbeachtlich sein. Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO bezieht sich auf die Geltung einfach-zwingenden Gemeinschafts- 69 rechts bei reinem Binnenbezug zur EU. Zwingende Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts i. S. d. Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO sind solche, die für die gemeinschaftliche Rechtsordnung von grundlegender Bedeutung sind. Davon kann ausgegangen werden, wenn die Normen den Grundfreiheiten dienen, einen unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt schützen und der Sachverhalt einen starken Gemeinschaftsbezug hat.515 Gemeint sind die einfach-zwingenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts.516 Entweder die Bestimmung des Gemeinschaftsrechts schreibt ausdrücklich vor, dass von ihr nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann. Oder es ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ihr eine entsprechende Bedeutung zukommt.517 Die zwingenden Vorschriften der RL,518 insb. das Ausgleichsrecht,519 sowie das EU-Kartellrecht520 sind bei Tätigkeit des HV innerhalb der EU vom Schutzbereich des Art. 3 Abs. 4 Rom IVO erfasst, und zwar zumindest, soweit der Anwendungsbereich der RL reicht (Warenvertreter). Deshalb spielt es gegenüber einem von der RL erfassten Warenvertreter keine Rolle, ob dessen Schutz durch Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO oder Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO gesichert wird. Maßgeblich für die Anwendung des Abs. 4 ist das Recht in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form,521 sofern es sich nicht um unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht handelt, wie dies bei Richtlinien der Fall ist.522 Bei HV wird also die RL in ihrer Originalfassung maßgeblich sein, bei nicht von der RL erfassten Warenvertretern und HV-ähnlichen Mittlern, deren Recht nicht europarechtlich präformiert ist, nur das HGB, ggf. analog. Ihnen gegenüber soll der Ausschluss des Ausgleichs durch Rechtswahl nicht an Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO schei-

515 Clausnitzer/Woopen BB 2008, 1798 (1799); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 52. 516 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2229. 517 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 51. 518 Art. 3, Art. 4, Art. 10 Abs. 2, 3, Art. 11 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 15 Abs. 2, 4, Art. 17, Art. 18; s. Ebenroth/Kindler 4. Aufl., Anh. § 92c Rn 19 (falls alle Elemente des Sachverhaltes in der EU liegen); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 60; Palandt/Thorn Art. 3 Rom I-VO Rn 5. 519 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – C-381/98, NJW 2001, 2007 = VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974; Hopt § 92c Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 7; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 4; Semler FS Wegen 2015 z. 65. Geb., 2015, S. 743 (746 f. – jedenfalls im Umfang des von der RL gewählten Mindestschutzes, s. S. 747/748); Ayad/Schnell BB 2012, 3104; Teichmann/ Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (279); Beitzke DB 1961, 531; Ebenroth RIW 1984, 165; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 41 (HV), 55 (Vertragshändler); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann VertriebsR2 Art. 9 Rom I-VO Rn 20 ff. bei starkem Gemeinschaftsbezug (HV); wohl auch Krümmel in: Praxishandbuch VertriebsR2 § 6 Rn 51; aA Czernich RIW 2016, 701 (705); Wegen WiB 1994, 256 zu Art. 34 EGBGB; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 27 bei fehlendem „starkem Gemeinschaftsbezug“ unter Hinweis auf das nachfolgend zit. BGH-Urt., da die öffentlichen Gemeinwohlinteressen sich nicht so schnell wie die Gesetze änderten; Valdini Der Schutz der schwächeren Vertragspartei im internationalen VertriebsR, 2013, S. 330 (nur halbzwingend); MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 125; zum deutschem Recht ohne europäische Präformation auch BGH, Urt. v. 30.1.1961 – VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061 (1062); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 14.6.1960 – 5 U 243/59, BB 1960, 836. Nach Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (278) kommt es auf den Einzelfall an. Internationale privatrechtliche Gerechtigkeit und Kongruenz erfordern mglw. keine Sonderanknüpfung, da es sich namentlich bei Ausgleichsansprüchen um Normen zur Regelung individueller Rechtspositionen handelt und insoweit die international-privatrechtliche Anknüpfung die nötige Abwägungsentscheidung trifft. 520 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 61 (HV), 70 (Vertragshändler). 521 Magnus IHR 2018, 49 (55); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 50; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2305; krit. hierzu Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (534). 522 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2229, 2300. 947

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tern,523 sondern allenfalls an Abs. 3.524 Denn Vertragshändler fielen nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der RL. Zwingendes Unionsrecht fehle also.525 Die analoge Anwendung des § 89b durch deutsches Richterrecht sei eine rein nationale Ausdehnung ohne Wurzel im Unionsrecht.526 Zur Anwendung des § 139 BGB oben, Rn 67.

70 bb) Urteil des EuGH v. 9.11.2000 („Ingmar“). Der eben besprochene Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO setzt im Wesentlichen die Aussagen des Ingmar-Urteils des EuGH527 sowie der ihr nachfolgenden Rspr.528 um.529 Nach dieser Rspr. ist es für die Unionsrechtsordnung von grundlegender Bedeutung, dass ein Unternehmer mit Sitz in einem Drittstaat, dessen HV seine Tätigkeit innerhalb der Union ausübt, die RL nicht durch eine Rechtswahlklausel umgehen kann. Dies gilt jedenfalls, wenn der Sachverhalt einen starken Unionsbezug aufweist, etwa weil der HV seine Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt.530 Die in Ingmar gefundene Rechtsfolge ergibt sich, sofern sich alle Elemente des SV im Gebiet der EU befinden, für ab dem 17.12.2009 geschlossene Neuverträge teilweise aus Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO531 oder Art. 9 Rom I-VO,532 wobei diesen Normen wegen des restriktiven Begriffs der Eingriffsnorm in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO z. T. eine Einengung533 der Ingmar-Rspr. oder – wohl zu Unrecht – eine Abkehr von ihr entnommen wird.534 Eine solche Abkehr gibt es hingegen nicht. Denn „Ingmar“ beruht auf der RL und nicht der Rom I-VO. Zudem hat der EuGH in der Entscheidung „Unamar“535 die Rom I-VO zitiert, gleichwohl aber „Ingmar“ nicht eingeschränkt. Auch in EuGH, Urt. v. 16.2.2017 – C-507/15, ZVertriebsR 2017, 182 wurde „Ingmar“ bestätigt.536 In der Ingmar-Entscheidung fand der EuGH Grenzen der Rechtswahlbefugnis in den zwingenden Bestimmungen der RL. Richtigerweise ergänzt „Ingmar“ daher die Rom I-VO und ist in Hinblick auf die aus der RL entnommenen Wertungen sogar spezieller: Der durch „Ingmar“ gewährte Schutz greift im Gegensatz zu dem des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO schon bei jeder Form des „starken Gemeinschaftsbezuges“ des Vertrages ein (dazu unten), z. B. bei innereuropäischer Tätigkeit des HV, und nicht erst, wie in Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO dann, wenn alle Elemente des SV außer der Rechtswahl mit einem Mitgliedsstaat

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Mankowski RIW 2016, 457 (458); aA Magnus IHR 2018, 49 (55) sofern deutsche Gerichte entscheiden. Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 55. Mankowski RIW 2016, 457 (458). Mankowski RIW 2016, 457 (458). EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – C-381/98, NJW 2001, 2007 = VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974; ebenso Hopt § 92c Rn 10; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 7; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 4; krit. Schwarz ZVglRWiss 101 (02), 45; kritisch Fabig IHR 2019, 1 (3). 528 EuGH, Urt. v. 16.2.2017 – C-507/15, ZVertriebsR 2017, 182 Rn 32 m. Anm. Rohrßen. 529 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – C-381/98, NJW 2001, 2007 = VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974; aA Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 60: „Ingmar“ sei bei Art. 9 Rom I-VO „aufzuhängen“, da es keinen reinen Binnenmarktsachverhalt betreffe. 530 EuGH, Urt. v. 16.2.2017 – C-507/15, ZVertriebsR 2017, 182 Rn 32 m. Anm. Rohrßen. 531 Hoffmann EWS 2009, 254 (258). 532 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 22; kritisch Fabig IHR 2019, 1 (3, 8). 533 Hopt § 92c Rn 10a; Hoffmann EWS 2009, 254 (258). 534 Fabig IHR 2019, 1 (8); Kieninger FS Kropholler, 2008, S. 507; vgl. auch Fabig IHR 2019, 1 (2) m. w. N. 535 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12 Rn 48 f., EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. von Bodungen BB 2014, 403 sowie Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 (Schifffahrts-HV). 536 Rohrßen ZVertriebsR 2017, 186. Emde

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verbunden sind.537 Das Urteil wurde als „umstürzend“,538 „überraschend“539 oder „sensationell“540 beschrieben. Es dokumentiert zugleich die Erfolglosigkeit manch langjähriger Rechtstreitigkeit von Vertriebsmittlern.541 Der EuGH entschied auf die Klage eines in Großbritannien tätigen HV einer kalifornischen Firma, in dessen Vertrag kalifornisches Recht vereinbart war, die Entschädigungs- wie Ausgleichsregelung der durch Sec. 1 der Commercial Agents Regulations 1993 in britisches Recht umgesetzten Art. 17 und 18 RL (= § 89b542) dürften gegenüber einem innerhalb Europas tätigen HV nicht durch Vereinbarung ausgleichsfeindlichen Drittrechts ausgeschlossen werden. Vielmehr setzten sie sich gegenüber der Wahl von Nicht-EU-Recht durch, seien also – so wird man übertragen auf deutsches Recht sagen dürfen – gegenüber drittstaatlichem Recht rechtswahlfeste Eingriffsnormen i. S. d. früheren Art. 7 Abs. 2 EVÜ/34 EGBGB543 und der heutigen Art. 3 Abs. 4, 9 Rom I-VO.544 Der EuGH hat die für die Mitgliedsstaaten und die Parteien zwingenden Normen der RL (aber eben nur jene) damit als international-zwingende Sachvorschriften („Administrativrecht“) mit besonders bedeutsamer wirtschafts- wie sozialpolitischer Natur deklariert.545 Man könnte das Ergebnis auch mit einer Sonderanknüpfung der RL begründen.546 Der Grund hierfür liegt im Schutz der Niederlassungsfreiheit, der Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft wie der Sicherung der erforderlichen Mindeststandards.547 Es wird behauptet, dass sich der EuGH von der zwingenden kollisionsrechtlichen Anknüpfung der der RL nachfolgenden Richtlinien548 hat leiten lassen, welche zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen HV-Vertrages noch nicht einmal existierten.549 „Ingmar“ gemäß ist es unzulässig, dem innerhalb der EU tätigen HV ein von den zwingenden Vorschriften der RL abweichendes, z. B. ausgleichsfeindliches, Recht aufzudrängen. Dies gilt auch, wenn der HV seinen Sitz außerhalb der EU hat, aber den „Gemeinschaftsmarkt“ bearbeitet550 und unabhängig vom Inhalt des gewählten Drittlandrechts551 (also auch wenn dieses zur wirtschaftlichen Kompensation des Ausgleichsverlustes etwa eine höhere Provision statt eines Ausgleichs vorsieht552). Das Urteil hat jedoch nicht nur Bedeutung für HV mit Unterneh-

Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 24. Hopt § 84 Rn 3. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 22. Thume RIW 4/2001, „Die erste Seite“. Die kalifornische Beklagte suchte nach dem Erfolg der Klage des Vertriebsmittlers Schutz im US-amerikanischen Gläubigerschutz gem. Chapter 11; der Vertriebsmittler erhielt trotz zusprechendem Urteil des englischen Gerichts kein Geld. 542 Die deutsche Regierung hatte eine Stellungnahme zum Verfahren abgegeben. Sie lautete (Ziff. 19 des Urteils): Das Gericht eines Mitgliedsstaates habe, wenn es in einem Streit über den Ausgleichs- oder Schadenersatzanspruchs eines HV angerufen werde, bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung über den räumlichen Anwendungsbereich der RL zu prüfen, ob seine nationalen Rechtsvorschriften als zwingende Vorschriften i. S. des internationalen Privatrechts anzusehen seien. 543 OLG München, Urt. v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = EWiR 2006, 621 (Emde) m. partiell krit. Anm. Rühl IPRax 2007, 294; Kindler BB 2001, 11 (12); Kleinheisterkamp RabelsZ 73 (2009), 818 (824); Staudinger/Magnus Art. 34 EGBGB Rn 93; aA noch BGH NJW 1961, 1062, zu 3a. Hier bezeichnet es der BGH als „abwegig“, § 89b zum ordre public i. S. d. Art. 30 EGBGB i. d. F. zum Zeitpunkt des Urteils (entspricht Art. 9 Rom I-VO) zu zählen, weil dem deutschen Recht bis 1953 ein Ausgleichsanspruch des HV fremd war. 544 Zu Art. 9 Rom I-VO: Fabig IHR 2019, 1 (2); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 22. 545 Ausdrücklich OGH Österreich, Urt. v. 1.3.2017 – 5 Ob 72/16 y, ZVertriebsR 2017, 397 (401) m. Anm. Moritz zu einem Vertragshändlerfall. Kritisch Freitag EWiR 2000, 1061 (1062). 546 Reich EuZW 2001, 51 (52); Thume RIW 4/2001, I; Jayme IPRax 2001, 190 f. 547 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 18. 548 Vgl. die Nennung bei Reich EuZW 2001, 52. 549 Thume RIW 4/2001 „Die erste Seite“. 550 Kindler BB 2001, 13. 551 BGH, Nichtannahmebeschl. v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, BB 2012, 3103 m. Anm. Ayad/Schnell Rn 6. 552 BGH, Nichtannahmebeschl. v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, BB 2012, 3103 m. Anm. Ayad/Schnell Rn 6.

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mern in fernen Ländern sondern bspw. auch im Verhältnis zu einem Schweizer Unternehmer.553 Nach Semler wird Ingmar dahin verstanden, dass die EU-Mitgliedsstaaten unionsrechtlich verpflichtet sind, zur Umsetzung der RL nach Art. 288 AEUV ihre nationalen Gesetze über den Anspruch des HV auf Ausgleich oder Entschädigung jedenfalls aus international-zwingender Vorschriften i. S. d. Art. 9 Rom I-Verordnung zu gestalten, falls sie nicht sogar zum ordre public des betreffenden Mitgliedsstaats i. S. d. Art. 21 Rom I-Verordnung gehören.554 Die Mitgliedsstaaten müssten dafür sorgen, dass ihre Gerichte diese Norm auch gegen einen etwa entgegenstehenden Willen der Parteien durchsetzen.555 Sieht man isoliert auf die Aussagen des EuGH, bleibt gestattet: 71 – die Wahl „vereinheitlichten“ Rechts eines EU-Staates;556 – die vollständige oder teilweise Abwahl deutschen Rechts557 und die Wahl eines Ausgleichsanspruchs statt eines Schadenersatzanspruchs gem. Art. 17 Abs. 3 RL und vice versa.558 Denn die RL sieht den Entschädigungsanspruch gem. Art. 17 Abs. 3 RL als eine dem Ausgleichsanspruch nach Art. 17 Abs. 2 RL gleichwertige Alternative an;559 – gegenüber einem innerhalb der EU tätigen Mittler die teilweise560 oder vollständige Wahl eines Drittrechts, welches den zwingenden Normen der RL nicht widerspricht. Die bislang herrschende, vom EuGH-Urteil abweichende „deutsche“ Ansicht561 hatte es für zulässig gehalten, bei Auslandsbezug (etwa: ausländischer Unternehmer)562 gegenüber dem deutschen HV ein ausgleichsfeindliches Drittrecht zu vereinbaren, um so die Ausgleichszahlung zu vermeiden; – die Vereinbarung eines den zwingenden Vorschriften der RL widerstreitenden Drittrechts gegenüber einem außerhalb der EU tätigen HV.563 Allerdings muss auch bei Wahl eines anderen EU-Rechts als das des Tätigkeitsortes des HV jeweils geprüft werden, ob dieses Recht selbst international-zwingend ist und deshalb derogationsfest; – die Fortsetzung der bisherigen nationalen Rspr., soweit sie Art. 17 RL nicht widerspricht. Denn die RL verlangt nicht, dass der Ausgleich gerade in derjenigen Auslegung des nationalen Rechts von 25 Mitgliedsstaaten umgesetzt wird, die die nationalen und auch die deutschen Gerichte in jahrzehntelanger Rechtsprechung ihrem Ausgleichsrecht gegeben haben.564 Die deutsche Rechtsprechung zu § 89b zählt nur soweit zum internationalzwingenden Gehalt, als dies durch den Wortsinn des Art. 17 Abs. 2 RL gefordert wird.565 72 Der infolge Rechtswahl außereuropäischem Drittrecht unterliegende Vertrag wird also durch zwingendes, auf der RL beruhendes „europäisches Recht“ überlagert. Die Rechtswahl wird nicht untersagt, nur ist sie ggf. teilunwirksam. Welches Recht den Vertrag ergänzt, sagt der EuGH nicht. Wahrscheinlich das nach Art. 4 Rom I-VO (Sitz des HV) anwendbare, notfalls das nach 553 554 555 556 557

Thume IHR 2006, 69. Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). Kindler BB 2001, 12. OGH Österreich, Urt. v. 1.3.2017 – 5 Ob 72/16 y, ZVertriebsR 2017, 397 m. Anm. Moritz zu Art. 17–19 RL; Mankowski RIW 2016, 457 ff. 558 Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). 559 Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). 560 Soweit eine Rechtsspaltung sinnvoll erfolgen kann. 561 Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 5. Aufl. 1996, Rn 1423; Hermes RIW 1999, 81 (86); Wegen WiB 1994, 255; Emde NJW 1999, 3104 (3105); weitere Nachweise bei Kindler BB 2001, 12; bereits vor dem EuGH-Urteil skeptisch Detzer/Ullrich Rn 451 sowie die bei Reich EuZW 2001, 51 Genannten. 562 So noch Ebenroth/Löwisch1 § 92c Rn 6; Hopt § 92c Rn 10: freie Rechtswahl selbst bei reinen Inlandsgeschäften; richtig Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 79. 563 EuGH, Urt. v. 16.2.2017 – C-507/15, ZVertriebsR 2017, 182 Rn 35 m. Anm. Rohrßen; Freitag/Leible RIW 2001, 287 (293); Hagemeister RIW 2006, 498; Dau in: Schultze, Wauschkuhn/Spanner/Dau Rn 1061. 564 Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). 565 Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). Emde

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dessen Abs. 3, 4 (Vertriebsort) bestimmte. Ggf. könnte direkt auf die RL abgestellt werden. Im Zweifel ist das Recht am Ort der Niederlassung des HV anwendbar.566 Wenngleich es auf den Inhalt des Drittlandrechts eigentlich nicht ankommt, könnte für eine solche Sonderanknüpfung kein Bedürfnis bestehen, sofern das drittstaatliche Recht für den HV im Rahmen der unwirksamen Regelung eine günstigere Regelung als die RL vorsieht567 (anders aber bei Schlechterstellung des HV oder Kompensation an anderer Stelle). Hierzu allerdings müsste der Begünstigte vortragen. Ob außerhalb des Regelungsbereichs der RL, etwa außerhalb des Warenvertreterrechts 73 und insb. im Dienstleistungs-HV-,568 Vertragshändler- und Franchiserecht, die Wahl eines ausgleichsfeindlichen Nicht-EU-Rechts im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH, aber auch des Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO und des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO (die Diskussion wird sich auf diese Normen übertragen lassen), erlaubt ist, wird unterschiedlich beurteilt. Grund dessen ist, dass der Ausgleich hier nicht europaweit durch die RL mit zwingendem Charakter vorgeschrieben wurde. – Eine Ansicht vertritt, die RL brauche und müsse aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive nicht analog auf nicht von ihr erfasste HV,569 Eigenhändler,570 etwa Vertragshändler,571 FN572 und Kommissionsagenten573 angewendet werden.574 Die Entscheidung nehme ausdrücklich auf die RL Bezug.575 Mit einem in Deutschland tätigen Vertragshändler dürfe der im Ausland sitzende Unternehmer daher die Geltung eines ausländischen Rechts vereinbaren, das diesem keinen Ausgleich gewähre.576 Es gäbe auch keine Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, der auf einen Schutz nicht von der RL erfassten Mittler hinweise. Es handele sich um eine Entscheidung des RL-Gebers nur für den Warenvertreterbereich.577 Insbesondere der gesetzlich nicht kodizifierte Ausgleichsanspruch der Eigenhändler, etwa FN und Vertragshändler, sei daher nicht international zwingend.578 Dem widerspreche nicht das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot, die Derogation des Ausgleichs sei auch mittels AGB möglich579 (zu den Grenzen der §§ 305 ff. BGB unten). Für DienstleistungsHV wird diese Frage weniger gestellt.580 566 Michaels/Kammann EWS 2001, 310; Hopt § 92c Rn 10. 567 Michaels/Kammann EWS 2001, 310; Staudinger NJW 2001, 1976; Hopt § 92c Rn 10 (Günstigkeitsvergleich). 568 Z. T. wird bei der Frage, ob das bestimmte Teile des HV-Rechts international-zwingend sind, nicht zwischen Waren- und Dienstleistungs-HV unterschieden, wie Fabig IHR 2019, 1 (3) kritisch bemerkt. 569 Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). 570 Kindler NJW 2016, 1855 (1856); Mankowski RIW 2016, 457 (458) – zur Rom I-VO; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 Vorb § 84 Rn 70. 571 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (84); Kindler NJW 2016, 1855 (1856); Mankowski RIW 2016, 457 (458) – zur Rom I-VO; Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 Vorb § 84 Rn 70; von der Moolen in: Martinek, Handbuch Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2010, § 24 Rn 65; aA Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (148 ff.). 572 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 Vorb § 84 Rn 70; Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2120. 573 Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 Vorb § 84 Rn 70. 574 Mankowski RIW 2016, 457 (458); Emde WM 2001, 486 (487); Hagemeister RIW 2006, 498 (502); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 Vorb § 84 Rn 70; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 43, 53; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 24, 29 – auch bei starkem Gemeinschaftsbezug; Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1059 ff.; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 16a; Hopt § 92c Rn 11; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2307 (Vertragshändler); i. E. (ohne Auseinandersetzung mit der Problematik) auch Lang/Klein BB 2010, 600 (Vertragshändler). 575 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (84). 576 Wauschkuhn ZVertriebsR 2016, 79 (84). 577 Teichmann ZVertriebsR 2016, 195. 578 Mankowski RIW 2016, 457 (458) – zur Rom I-VO; Dutta in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2120; auch BGH, Urt. v. 30.1.1961, NJW 1961, 1061 = MDR 1961, 496 – zum Rechtszustand vor der RL; wohl auch Meyer ZVertriebsR 2019, 99 (101). 579 Hagemeister RIW 2006, 498 (504); aA Niebling WRP 2010, 1454 (1458). 580 Siehe aber Fabig IHR 2019, 1 (3/4). 951

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Man könnte dem entgegenhalten, der EuGH habe wegen der überschießenden Umsetzung des HGB und der Erstreckung des HGB die Aussagen der RL auch auf Nichtwarenvertreter und insb. Dienstleistungs-HV581 und mittels Richterrecht auf HV-ähnliche Mittler erstreckt (s. Kommentierung zu Vor § 84). Möglicherweise gälten die Wertungen der Ingmar-Entscheidung daher auch in diesen Bereichen.582 Je nachdem, ob man die international-zwingende Geltung mit der Schutzbedürftigkeit der HV oder mit der Harmonisierung des Rechts begründet, spreche dies eher für eine Übertragung der Ingmar-Rspr. (andere HV sind nach der Entscheidung des nationalen Gesetzgebers gleich schutzwürdig) oder dagegen (harmonisiert ist nur das Recht der Warenvertreter).583 Sofern der nationale Gesetzgeber sich bei der Umsetzung der RL in nationales Recht entschieden habe, bestimmte Fälle anders zu behandeln und im Anwendungsbereich der umgesetzten RL-Vorschriften deren Anwendung auf weitere Fälle ausweitet, so sei aus europarechtlicher Sicht auch die RL-konforme Auslegung auf diesen erweiterten Anwendungsbereich auszudehnen.584 Dieser Ansicht scheint auch der OGH Wien585 zu sein. In einem nicht von der RL erfassten Fall wandte er die Ingmar- und Unamar-Rspr an und hielt eine Schiedsgerichtsabrede für unwirksam, die nach NY wies. In einer Anm. zum Urteil vertritt Moritz,586 dass die Ingmar–Rspr. jedenfalls nach österreichischem Recht auch auf den Vertragshändler zu erstrecken sei. Das ergebe sich aus dem Gleichlauf des Ausgleichsanspruchs des HV mit jenem des Vertragshändlers.587 Dieser sei auch in Deutschland anerkannt.588 Der österreichische Staat dürfe die korrekte Umsetzung der RL nicht auf den Ausgleichsanspruch des Waren-HV beschränken. Der in Unamar aufgestellte restriktive Grundsatz, wonach feststehen müsse, dass der Gesetzgeber den über die RL hinausgehenden Schutz für unerlässlich erachtet habe, muss nach dieser Ansicht nicht entgegenstehen. Er gelte nur gegenüber einem gewählten mitgliedstaatlichen Recht.589 Grund hierfür sei, dass die RL einen Schutzstandard etabliert habe, den der Unionsgesetzgeber für angemessen erachte. Hätten die Parteien das Recht eines Nichtmitgliedstaates gewählt, so komme eine Anwendung des § 89b als zwingende Vorschrift bereits unter weniger strengen Voraussetzungen in Betracht.590 Einer Ausgestaltung des Vertragshändlerausgleichs als Eingriffsnorm steht daher europarechtlich nichts entgegen.591 Auch die Mavrona-Entscheidung des EuGH592 und die dazu ergangene Stellungnahme der deutschen Reg. stehe nicht entgegen.593 Denn in dem Verfahren sei eine Vergleichbarkeit der Rechte und Pflichten, wie sie im deutschen Recht für die analoge Anwendung verlangt wird, nicht geprüft worden.594 Vielfach seien Vertragshändler zudem schutzbedürftiger als HV, da ihnen umfangreichere Pflichten auferlegt werden als einem HV.595 Außerdem binde

581 Siehe Fabig IHR 2019, 1 (3/4), die davon ausgeht, der BGH würde die Ingmar-Rspr. auch auf nicht von der RL erfasste HV erstrecken und dies befürwortet. 582 Fabig IHR 2019, 1 (4, 9); Magnus IHR 2018, 49 (57) – zu Art. 9 Rom I-VO; Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (94); Gräfe/ Giesa ZVertriebsR 2014, 29 (34). 583 Fabig IHR 2019, 1 (4). 584 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (151). 585 OGH Österreich, Urt. v. 1.3.2017 – 5 Ob 72/16 y, ZVertriebsR 2017, 397 (401) m. Anm. Moritz. Allerdings fehlt im Urteil eine Auseinandersetzung mit der Frage der Erstreckung der Rspr. auf den Vertragshändler. Es ist auch unklar, ob es sich überhaupt um einen Vertragshändler oder einen Schifffahrtsvertreter handelt. 586 Moritz ZVertriebsR 2017, 402 (403). 587 So auch Fabig IHR 2019, 1 (9). 588 Moritz ZVertriebsR 2017, 402 (403). 589 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (151). 590 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (151). 591 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (151). 592 EuGH, Beschl. v. 10.2.2004 – C-85/03, Slg 2004, I-1578, BeckRS 2004, 77842. 593 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (151). 594 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (151). 595 Fabig IHR 2019, 1 (10); Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (152). Emde

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eine Stellungnahme der BReg die Rspr. nicht. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzbedürfnisses, sollte es relevant sein (bei der Zubilligung des Ausgleichs spielt es keine Rolle), spräche also nichts gegen die Einordnung als Eingriffsnorm. Es komme auch nicht darauf an, ob eine bewusste und/oder normierte Entscheidung des Gesetzgebers für die Charakterisierung als Eingriffsnorm vorliege. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO stelle auf eine Entscheidung des Staates, nicht des Gesetzgebers ab.596 Eine Eingriffsnorm könne daher auch richterrechtlich begründet sein.597 Zudem könnte die vom BGH598 gesuchte Gleichstellung zwischen HV und Vertragshändlern als Hinweis verstanden werden, dass auch in eingriffsrechtlicher Sicht eine Gleichstellung angebracht sei. – Stellungnahme: Es gibt gute Argumente für die eine wie die andere Ansicht. Allerdings gilt die RL nicht unmittelbar für HV-ähnliche Mittler und es mangelt an einer überschießenden Normierung.599 Man mag also an der überragenden Bedeutung des analog angewandten Rechts zweifeln,600 selbst wenn der BGH in seiner Entscheidung v. 25.2.2016 – VII ZR 102/ 15601 betont hat, durch sein Schweigen habe der Gesetzgeber den Regelungsgehalt der Analogie in seinen Willen aufgenommen. Anders gewendet: wenn dem Gesetzgeber eine Frage so unwichtig ist, dass er auf eine Normierung verzichtet, streitet dies gegen die Einordnung als überragend wichtiges Rechtsgut.602 Zudem könnte durch die Einordnung des Ausgleichs HV-ähnlicher Mittler als international-zwingend die Grenze zwischen national- und international-zwingendem Recht zu sehr verwischt werden. Es verbleibt vor allem das auch vom BGH immer wieder betonte systematische Argument der Gleichstellung von HV und HVähnlichen Mittlern und im Bereich des HV-Rechts seiner überschießenden Umsetzung,603 welches offenbar auch den OGH Wien604 überzeugte. Damit scheint ein gewisser Weg gewiesen. Er entspricht der immer stärkeren Anerkennung des Vertragshändlerausgleiches in europäischen und außereuropäischen Staaten. Selbst beim HV-Ausgleich war dessen international-zwingender Charakter vor einigen Dekaden unvorstellbar, ist aber heute weitgehend anerkannt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Zumindest im Anwendungsbereich605 der RL darf von deren 74 zwingenden Vorschriften nicht abgewichen werden, wenn der HV innerhalb der EU tätig wird.606 Welcher Art der vom EuGH geforderte „starke Gemeinschaftsbezug“ außerhalb des entschiedenen Falles (Tätigkeitsgebiet im Gebiet eines Mitgliedsstaates) sein muss, hat der EuGH nicht ausgeführt. Nach dem EuGH liegt er zumindest vor, wenn der HV – wie im IngmarFall – sowohl den Sitz innerhalb der EU hat als auch innerhalb der EU tätig wird.607 Er dürfte auch vorliegen, wenn der HV wesentlich oder jedenfalls zum Großteil (vgl. Art. 28 EGBGB a. F.) innerhalb der EU tätig wird, z.B, dort seinen Sitz hat, von dem aus er tätig wird, aber auch ohne

596 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (152). 597 Fabig IHR 2019, 1 (10); Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (152). 598 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski. 599 Mankowski RIW 2016, 457 (458). 600 Mankowski RIW 2016, 457 (458). 601 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 102/15, IHR 2016, 177 m. zust. Anm. Thume = NJW 2016, 1885 m. krit. Anm. Meyer ZVertriebsR 2017, 89 (94); Kindler NJW 2016, 1855 = BB 2016, 845 (846) = RIW 2016, 454 m. Anm. Mankowski = IHR 2016, 177. 602 In diese Richtung wohl auch Meyer ZVertriebsR 2019, 99 (101). 603 Eingehend Fabig IHR 2019, 1 ff.; Peschke ZVertriebsR 2016, 144 ff. 604 OGH Österreich, Urt. v. 1.3.2017 – 5 Ob 72/16 y, ZVertriebsR 2017, 397 (401) m. Anm. Moritz. 605 Ebenroth/Lange, 1. Aufl., Anh. § 92c Rn 14. 606 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 18. 607 OLG München, Urt. v. 17.5.2006 – 7 U 1786/06, WM 2006, 1556 = EWiR 2006, 621 (Emde); Flohr/Wauschkuhn/ Billing Vertriebsrecht2 Vorb. § 84 Rn 74; Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (278). 953

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dort seinen Sitz zu haben.608 Selbst bei außereuropäischem Vertriebsgebiet existiert er mglw., wenn wesentliche Teile der Tätigkeit innerhalb der EU erbracht werden. Bei einem Vertragsgebiet innerhalb und außerhalb der EU wird man hierfür eine Tätigkeit von mehr als 50 % innerhalb der EU fordern müssen. Nach aA genügt es für die Anwendung des zwingenden Rechts, falls nur ein Teil des Vertragsgebietes sowohl innerhalb als auch außerhalb des EU-bzw. EWRGebiets liegt. § 89b sei dann einheitlich auf den gesamten Vertrag anzuwenden.609 Maßgeblich ist in den Fällen der Anwendung der Ingmar-Grundsätze das nationale Recht, zu dem der Vertrag die stärksten Bezüge aufweist. Ob nicht zwingende Regelungsbereiche sinnvoll einem anderen Recht unterstellt werden dürfen, beantwortet sich nach Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO sowie Art. 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB. Dass der Unternehmer seinen Sitz innerhalb der Gemeinschaft hat, genügt nicht.610 Nicht geschützt wurde durch die Ingmar-Entscheidung das deutsche Recht im Verhältnis 75 zu anderen EU-Rechten. Denn die Verbindung von deutschen und übrigen EU-Rechten wurde durch das EuGH-Urteil nicht angesprochen. Eine dahingehende Klarstellung erfolgte durch das Unamar-Urt. des EuGH v. 17.10.2013.611 Der EuGH entschied dort, dass sich die durch die RL präformierten nationalen europäischen Rechte untereinander gem. Art. 9 Abs. 2 der heutigen Rom I-VO612 voreinander schützen können, indem eine nationale europäische Rechtsordnung zwingende, HV-schützende Normen erlässt und ihr Recht als rechtswahlfest gegenüber anderen europäischen Rechten bestimmt. Das gewählte Recht eines anderen EU-Staates dürfe nur dann hinter zwingendem nationalem Recht der EU-Staaten zurücktreten, wenn das angerufene nationale Gericht substantiiert feststellt, dass der Gesetzgeber des Staates dieses Gerichts es im Rahmen der Umsetzung der RL für unerlässlich erachtet hat, dem HV in der betreffenden Rechtsordnung einen Schutz zu gewähren, der über den durch die RL vermittelten hinausgeht. Dabei muss das nationale Gericht die Natur und den Gegenstand dieser zwingenden Vorschriften berücksichtigen. Es muss im Rahmen seiner Prüfung des zwingenden Charakters der nationalen Vorschriften, die es anstelle des von den Vertragsparteien gewählten Rechts anzuwenden gedenkt, nicht nur den genauen Wortlaut dieser Vorschriften, sondern auch die allgemeine Systematik sowie sämtliche Umstände, unter denen diese Vorschriften erlassen wurden, berücksichtigen, um zu dem Schluss gelangen zu können, dass es sich um zwingende Vorschriften handelt, die der nationale Gesetzgeber erlassen hat, um sein von dem betroffenen Mitgliedsstaat als wesentlich angesehenes Recht zu schützen. Ein solcher Fall könne etwa vorliegen, wenn die Umsetzung der RL im Staat des angerufenen Gerichts durch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs oder durch die Entscheidung für eine erweiterte Nutzung des in der RL vorgesehen Ermessensspielraums aufgrund der besonderen Bedeutung, die der Mitgliedsstaat den HV beimisst, einen stärkeren Schutz der HV bieten soll.613 76 Ob neben den Art. 17–19 RL alle zwingenden Vorschriften der RL als Eingriffsnorm durch „Ingmar“ geschützt werden, wird diskutiert. Teilweise wird dies abgelehnt.614 Es spricht viel dafür, dass für andere für die Mitgliedsstaaten und die Parteien zwingenden Vorschriften der

608 Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (278); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 26 (kommt auf den Tätigkeitsort an).

609 Magnus IHR 2018, 49 (57). 610 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 26. 611 C-184/12, RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWS 2013, 422 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403. 612 Angewandt wurde durch den EuGH § 7 Abs. 2 des Übereinkommens des auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts vom 19.6.1980, der dem heutigen Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO entspricht. 613 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWS 2013, 422 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403. 614 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht Art. 9 Rom I-VO Rn 24. Emde

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RL ein gleichartiger Schutz gilt615: Die Begründung für den international zwingenden Charakter der RL-Vorschriften wird insb. in Rn 21 der Ingmar-Entscheidung einerseits auf den Schutz der HV und andererseits auf die Vereinheitlichung und Stärkung der Sicherheit im Handelsverkehr gestützt. Über die Gruppe der HV soll die Niederlassungsfreiheit und der unverfälschte Wettbewerb im Binnenmarkt geschützt werden. Der EuGH hat festgestellt, dass aus diesen Gründen die Einhaltung der RL-Bestimmungen, von denen die Parteien nicht abweichen dürfen, für die Verwirklichung der Ziele des EG-Vertrages unerlässlich ist. Aus diesem Grund kann von den zwingenden RL-Vorschriften nicht durch Rechtswahl der Parteien abgewichen werden. Die Umsetzungsvorschriften sind daher als international zwingende Vorschriften zu behandeln. Diese Begründung ist kaum auf die Besonderheiten des Ausgleichsanspruchs bezogen. Vielmehr begründet Ingmar den zwingenden Charakter mit allgemeinen Erwägungen zum Zweck der RL.616 Zumindest ist ein gleichartiger Schutz für die Kündigungsvorschrift des Art. 15 RL sowie des Art. 20 RL zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot richtig. Eine Novellierung des § 92c617 oder die Einfügung eines § 89b Abs. 6618 wurde zur Anpas- 77 sung des HGB an das Votum des EuGH angemahnt. Die heute erfolgte Normierung in der Rom I-VO dürfte genügen. Letztlich hat die Entscheidung die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Partikularrechte 78 gestärkt, da ihre auf die RL zurückzuführenden zwingenden Bestimmungen durch Abwahl nicht derogiert werden dürfen. Auch eine auf ein außereuropäisches Forum weisende Gerichtsstandsklausel kann nach den Grundsätzen des Ingmar-Urteils unwirksam sein (s. d. Kommentierung zu Vor § 84).

3. Mangels Rechtswahl anwendbares Recht Das mangels Rechtswahl anzuwendende Recht bestimmt sich zunächst nach den in Art. 4 Abs. 1 79 Rom I-VO gelisteten Vertragsarten. Lässt sich der in Frage stehende Vertrag nicht oder nicht eindeutig zuordnen, so stellt nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO die charakteristische Leistung das hilfsweise anzuwendende Zuordnungskriterium dar: Es ist das Recht des Staats anwendbar, in dem die Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, welche die charakteristische Vertragsleistung, also die den Vertragstyp bestimmende Leistung, erbringt.619 Führt auch dies nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, ist der Schwerpunkt der charakteristischen Leistung maßgebend.620 Letzteres erinnert an die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach Art. 28 EGBGB.

a) Vertriebsverträge unterliegen gem. Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO einheitlich dem Recht des 80 Staates, in welchem der Vertriebshändler seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hiervon erfasst sind zumindest Vertragshändlerverträge.621 Der Wortlaut der deutschen Fassung lässt es zu, die

615 Mann ZVertriebsR 2017, 25 (30); Emde RIW 2016, 104 ff.; Emde ZVertriebsR 2015, 384 (385/386); Flohr/Wauschkuhn/Billing Vertriebsrecht2 Vorb § 84 Rn 74 f.; Ebenroth/Kindler 4. Aufl., Anh. § 92c Rn 19 (falls alle Elemente des Sachverhaltes in der EU liegen); Oetker/Busche6 § 92c Rn 3; Detzer/Ullrich Internationale Vertriebsvereinbarungen 2014, S. 178 (bei Vertriebsgebiet in der EU). 616 Emde RIW 2016, 104 ff. 617 Freitag/Leible RIW 2001, 287. 618 Staudinger NJW 2001, 1974 (1976). Allerdings sind auch andere Vorschriften als das Ausgleichsrecht i. S. d. EuGH-Urteils rechtswahlfest. 619 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2217. 620 Erwägungsgrund 19 Rom I-VO, vgl. Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2217. 621 Neubert EWS 2011, 369 (372); Kindler/Menges DB 2010, 1109; Clausnitzer/Woopen BB 2008, 1798 (1800); Emde BB 2009, 2714 (2721); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 17; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 129; Palandt/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn 19. 955

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Grundform ständiger Vertriebsverträge, die HV-Verträge,622 als von Art. 4 lit. f erfasst anzusehen. Lit. f erscheint mit dem Begriff des Vertriebsvertrages deutlich spezieller, was ebenfalls für die Erfassung der HV-Verträge spricht.623 Der in lit. f. verwendete Begriff des „Vertriebshändlers“ spräche nicht gegen dieses Verständnis. Auch der HV vertreibt und handelt, nur für einen Dritten, den Unternehmer. Die englische Fassung („distributor“)624 und die Abfolge der der „Generalklausel“ des lit. b folgenden Doppelung von Franchiseverträgen in lit. e und Vertragshändlerverträgen in lit. f – ohne Nennung der HV-Verträge – spricht wieder für die Einordnung der HV-Verträge unter die vorangestellte „Generalklausel“ des lit. b. Damit wären HV-Verträge625 als Dienstverträge i. S. d. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO zu qualifizieren626 und hilfsweise auch die Franchise- und Vertragshändlerverträge der lit. e, f. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO unterliegen Dienstleistungsverträge dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die „Dienstleistung“ des HV liegt in der Vermittlung und dem Abschluss von Verträgen für den Unternehmer.627 Insgesamt scheint mir nach der deutschen und englischen Fassung ein leichtes Übergewicht für die Einordnung der HV-Verträge als Dienstverträge unter lit. b zu sprechen. Praxisrelevant ist diese Frage nicht.628 Anwendbar ist nicht das RL-Recht, sondern das national umgesetzte Recht.629 Lit. b ist auch für Kommissionsagentenverträge maßgeblich.630 Die in Ausführung des Vertriebsvertrages geschlossenen Einzelverträge sind getrennt anzuknüpfen,631 etwa an das CISG.632 Hier hilft nur eine einheitliche Rechtswahlklausel.633

81 b) Franchiseverträgen unterliegen gem. Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO dem Recht des Staates, in dem der FN seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.634 Streng genommen wäre die Sonderregelung unnötig, weil es sich bei Franchiseverträgen um Vertriebsverträge handelt und sich das geltende Recht bereits aus lit. f ergibt.635 Die Separierung zeigt, dass der VO-Geber Franchiseund Vertriebsverträge unterscheiden wollte, Erwägungsgrund 17 der Rom I-VO ergibt, dass beide Verträge eine Untergruppe der Dienstleistungsverträge bilden. Da die Abgrenzung der Vertragstypen nicht immer einfach ist636 und es auf sie für die praktische Arbeit meist nicht ankommt,637 vermeidet die Doppelbenennung Diskussionen, insb. beim Kooperations- und Partnerschafts622 Emde BB 2009, 2714 (2721); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 10; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 123; Palandt/Thorn Rom I 4 Rn 19; wohl auch Martiny in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 150; aA Bozbel RIW 2011, 125 (132) Fn. 54; Kindler/Menges DB 2010, 1109; Flohr/ Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 4; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2217: Von lit. f seien nur Vertragshändler erfasst. 623 AA Bozbel RIW 2011, 125 (132) Fn. 54; Kindler/Menges DB 2010, 1109; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 4; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2217. 624 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 3. 625 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2217. 626 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281; Bozbel RIW 2011, 125 (132) Fn. 54; Kindler/Menges DB 2010, 1109; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 4; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2217. 627 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2217. 628 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 5. 629 Garcimartín Alférez EuLF 2008, I-65; Mankowski IHR 2008, 135; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn 102. 630 Magnus IHR 2018, 49 (58); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 37. 631 Magnus IHR 2018, 49 (55). 632 Magnus IHR 2018, 49 (55). 633 Magnus IHR 2018, 49 (55). 634 Magnus IHR 2018, 49 (58). 635 Zustimmend Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 28; kritisch Martinek ZVertriebsR 2013, 197 (198), der die Regelung für ein Ärgernis hält. 636 Magnus IHR 2018, (51). 637 Magnus IHR 2018, (51). Emde

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franchising, welches vom Vertriebsrecht weiter entfernt ist, als das Subordinationsfranchising (siehe Kommentierung zu Vor § 84). Der einheitliche Gerichtstand erleichtert auch die Bestimmung des Gerichtsstandes von Mischverträgen.638 Der Begriff des Franchisevertrages i. S. d. Rom I-VO ist autonom anzuknüpfen.639 Mglw. 82 könnte hierzu eine Anlehnung an Art. 1 Abs. 3 lit. b der aufgehobenen Franchise-GVO640 gesucht werden.641 Über Art. 4 Abs. 2,642 3643 Rom I-VO kann die Hauptleistungspflicht des FG im Einzelfall so stark ausgeprägt sein, dass die Leistungspflicht des FN zurücktritt. Die Rom I-VO gilt auch für Master-Franchiseverträge,644 so dass mglw. – jedenfalls bei grenzüberschreitenden Vertriebssystemen des Master-FG – Master- und Sub-Franchisevertrag unterschiedlich angeknüpft werden. Dem lässt sich durch eine Rechtswahlklausel vorbeugen.645 Der Normgeber hat sich in lit. e für den Fall fehlender Rechtswahl gegen den Uniformitätsgedanken eines einheitlichen Gerichtsstandes am Sitz der Systemköpfe und für den Schutz des FN entschieden.646 Bei Franchiseverträgen spricht kollisionsrechtlich das Uniformitätsinteresse für eine einheitliche Rechtswahl; der FG wird Interesse daran haben, dass innerhalb seines internationalen Franchisesystems ein einziges Recht Anwendung findet.647 Dagegen ist das vorrangige Schutzbedürfnis der FN zu setzen. Wettbewerbsverzerrungen sind dadurch nicht zu gewärtigen,648 weil zum einem die nationalen Märkte bei den meisten Franchiseprodukten vergleichsweise voneinander abgeschottet sind und zum anderen die Wahl eines benachbarten europäischen Rechts kaum überraschend oder benachteiligend wirken kann. Problematisch wird eher die Wahl eines überseeischen Rechts. Bei der Haftung für die Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungs- und Offenlegungspflichten des FG handelt es sich um eine solche aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages. Diese unterliegen gem. Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO nicht der Rom IVO.649 Im Ergebnis folgt die Anknüpfung aber dennoch der Rom I-VO. Denn nach Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages das Recht anzuwenden, welches auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre. Dieses Recht bestimmt sich wiederum nach der Rom I-VO. Maßgeblich für die Haftung wegen einer Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungs- und Offenlegungspflichten ist also das Recht, das auf den späteren Franchisevertrag anwendbar ist oder anwendbar gewesen wäre.650 Die Einzelverträge, die zur Durchführung des Franchise-Vertrages abgeschlossen werden, unterstehen nicht anders als bei Vertragshändlerverträgen einem eigenen Statut.651

638 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (286). 639 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 29; Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2098. 640 VO (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission v. 30.11.1988 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Franchisevereinbarungen, ABl. EG 1988 Nr. L 359, S. 46. 641 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 29. 642 Neubert EWS 2011, 369 (372). 643 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2103. 644 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 29. 645 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2101. Dutta hält es für möglich, die Geltung des Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO auf Endfranchisenehmer zu begrenzen, kommt dann allerdings über die Anwendung des Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO zum selben Ergebnis. 646 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (286), s. hierzu auch Valdini Diss. iur. Jena 2013; krit. Martinek ZVertriebsR 2013, 197 (198). 647 Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2088. 648 AA Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2088. 649 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 30. 650 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 30. 651 BGH NJW 1997, 3309 (3310); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 31. 957

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83 c) Zweck. Die einheitliche Anknüpfung der Vertriebsverträge schützt den Mittler652 und soll Bestrebungen, etwa der französischen Rspr.,653 entgegengewirkt werden, die in Ausführung des Rahmenvertrages erbrachten Einzellieferungen als vertragscharakteristische Leistung i. S. d. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO anzusehen und das Recht des Prinzipals für anwendbar zu erklären.654 Der Vertriebsvertrag ist als Rahmenvertrag vom jeweiligen Einzelliefervertrag abstrakt und somit getrennt anzuknüpfen.655 Bei allen vertriebsrechtlich relevanten Anknüpfungen handelt es sich nur um eine Klarstellung der vertragscharakteristischen Leistung.656 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die – die Kommission657 Art 4 Abs. 1 lit. e, f Rom I-VO damit erklärt, das materielle Gemeinschaftsrecht sehe den Vertriebsmittler sowie den FN als die schwächere Partei an.658 In der Sache dürfte dies lediglich das Motiv der Regelung erklären.

84 d) Für das anwendbare Recht maßgeblicher Ort. Maßgeblich ist i. d. R. nicht der Vertriebsort oder das Vertriebsgebiet,659 sondern nach Art. 19 Rom I-VO der Sitz der Hauptniederlassung oder Hauptverwaltung.660 Liegt das Vertriebsgebiet in mehreren Staaten, so ist nach dem klaren Wortlaut des Art. 4 Rom I-VO gleichfalls allein die Hauptniederlassung oder -verwaltung maßgeblich.661 Gem. Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO gilt, dass bei Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen der Ort ihrer Hauptverwaltung der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts ist. Der Aufenthaltsort einer natürlichen Person, welche im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt, ist ihre Hauptniederlassung. Wenn der Vertrag im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung eigenständig662 geschlossen wird oder gemäß dem Vertrag eine solche Niederlassung verantwortlich ist, gilt der Ort dieser Niederlassung als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO.663 Unterhält der Mittler keine Niederlassung, ist entweder Abs. 2 oder der Auffangtatbestand des Abs. 4 anzuwenden.664

85 e) Für das anwendbare Recht maßgeblicher Zeitpunkt. Der maßgebliche Zeitpunkt, etwa zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes,665 ist jeweils der des Vertragsschlusses666 (Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO). Verlegt der Mittler seine Niederlassung während der Vertragsdauer in einen anderen Staat, so führt das i. d. R. nicht zu einem Statutenwechsel.667 Damit wird ständigen und ggf. missbräuchlichen Veränderungen des geltenden Rechts durch Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes vorgebeugt. Im Zweifel wird also der Ort des Büros des Mittlers oder sein sonstiger, durch Beweis zu bestimmender gewöhnlicher Aufenthalt bei Vertragsschluss über das anwendbare Recht bestimmen. 652 653 654 655

Magnus IHR 2018, 49 (55). Cass., 15.5.2011, ReV.Crit.dr.intpr.91 (2002), 86 (88). Vgl. Neubert EWS 2011, 369 (373). OLG Koblenz, Urt. v. 16.1.1992 – 5 U 534/91, IPRax 1994, 46 (47); Neubert EWS 2011, 369 (373); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 18 f. 656 Mankowski IPRax 2006, 101 (103 f.). 657 KOM (2005), 650 endg., S. 6. 658 Darauf weisen Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (535) hin. 659 Fabig IHR 2019, 1 (2) – Vertriebsgebiet „irrelevant“. 660 Magnus IHR 2018, 49 (55); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 5. 661 Magnus IHR 2018, 49 (55); MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 124. 662 Dieses Wort ergänzt Magnus IHR 2018, 49 (55). 663 Für HV-Verträge: Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2218. 664 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 10, 14. 665 Für HV-Verträge: Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2218. 666 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 5; für HV-Verträge: Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2218. 667 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2302 (Vertragshändler). Emde

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f) Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO. Diese Norm bildet einen weiteren Auffangtatbestand. Fällt der Ver- 86 trag nicht unter Abs. 1 oder sind die Bestandteile des Vertrags durch mehr als einen der Buchstaben a–h des Abs. 1 abgedeckt, so unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das erinnert an das zu Art. 28 EGBGB Vertretene. Vgl. hierzu i. E. unten. Gedacht wird etwa an Veträge, die auch Elemente des Warenkaufs oder eines Lizensvertrages enthalten.668 HV-, Vertragshändler- und Franchiseverträge fallen regelmäßig nur unter eine der Alternativen des Abs. 1, so dass Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO hier keine Bedeutung hat. Es genügt nicht für die Anwendung des Abs. 2, dass der Vertragshändlervertrag auch Regelungen zu den in seiner Ausführung geschlossenen Einzelverträgen enthält.669 Bei gemischten Vertriebsverträgen, etwa HV-/Vertragshändlerverträgen,670 kann die Vorschrift aber Bedeutung erlangen. Bei solchen gemischten Verträgen erbringt der Vertriebsmittler die charakteristische Leistung.671

g) Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO – Engere Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung (Aus- 87 weichklausel). Nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO kann sich aus der Gesamtheit der Umstände ergeben, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist.672 Gegenüber Art. 28 Abs. 5 EGBGB (s. u.) wird der Ausnahmecharakter des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO noch mehr hervorgehoben. Denn es wird eine „offensichtlich engere Verbindung“ gefordert, während Art. 28 Abs. 5 EGBGB nur eine „engere Verbindung“ voraussetzte.673 Vertriebsverträge können – wie im Falle der Franchiseverträge (Rn 81 ff.) – komplexe, synallagmatische Verpflichtungskonglomerate beinhalten. Dem Rechtsanwender bleibt es daher nicht erspart, am Maßstab der Ausweichklausel des Art. 4 Rom I-VO zu prüfen, ob eine überragend engere Verbindung zu einem anderen Recht als dem des Vertriebsmittlers besteht.674 Dass der Vertrieb hochintegriert ist, genügt aber wohl nicht, um nach dieser Vorschrift an das Recht des Unternehmers anzuknüpfen, wie Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO zu Franchiseverträgen als Paradigma hochintegrierten Vertriebes zeigt (s. a. Rn 52 zum EGBGB). Bei Vertriebsverträgen greift die Ausweichklausel selten ein.675 Nur im Einzelfall kann das individuelle Leistungskonglomerat eine Anknüpfung an ein anderes Recht rechtfertigen. Zur Feststellung der engen Verbindung sind alle Umstände heranzuziehen, die auch bei der stillschweigenden Rechtswahl Beachtung finden.676 88 Beispiele: Keine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat begründen: – die Tätigkeit an einem von der Niederlassung abweichenden Vertriebsort.677 Denn typischerweise koordiniert der Mittler seine Tätigkeit von der Niederlassung aus, so dass zum Niederlassungsstaat die engsten Verbindungen bestehen.678 Der VO-Geber wusste, dass Vertriebsort und Niederlassung auseinanderfallen können. Gleichwohl hat er im Grundsatz auf die Niederlassung des Vertriebsmittlers als Anknüpfungspunkt abgestellt. Letztlich schwingt auch der Schutzgedanke bei der Wahl des Anknüpfungspunktes mit: Der Vertriebsmittler als schwächere Partei soll durch die Geltung des an seiner Niederlassung maß-

668 669 670 671

Magnus IHR 2018, 49 (55). Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 21. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 7. Magnus IHR 2018, 49 (55) – generell für gemischte Verträge mit Vertriebscharakter (wegen des Schutzes des Mittlers); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 7. 672 Siehe Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (286) – auch zur Genese der Vorschrift; Neubert EWS 2011, 369 (372 f.). 673 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 8. 674 Neubert EWS 2011, 369 (373). 675 Magnus IHR 2018, 49 (55). 676 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (286). 677 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 9. 678 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 9. 959

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geblichen Rechts geschützt werden.679 Fehlt ein Büro des Mittlers, dürfte nur im äußersten Hilfsfall der Vertriebsort oder das Vertriebsgebiet maßgeblich sein, zumal das Vertriebsgebiet bei Vertragsschluss zwar (meist) vorgesehen war, der Mittler dort aber noch nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt einnehmen konnte; – der Sitz eines Großteils der Kunden an anderem Ort, etwa dem Vertriebsort; – die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Vertragspartner;680 – das Uniformitätsinteresse des Unternehmers.681 89 Eine offensichtlich engere Verbindung kann sich ergeben, falls: – die Pflichten des Unternehmers überwiegend sind und in den Vordergrund rücken (s. o.); – aus einer sehr engen Verbindung zu einem anderen Vertrag;682 – der Händler den Vertrieb ausschließlich im Land des Unternehmers wahrzunehmen, dort also zu erfüllen hätte, der Vertrag in der dortigen Sprache und unter Vereinbarung der dortigen Währung abgeschlossen wurde und außer dem Sitz des Händlers in einem anderen Land keine Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung besteht;683 – neben den Leistungspflichten des FN (Absatzförderung, Interessenwahrung) solche des FG (Know-How-Transfer, Überlassung von Immaterialgüterrechten, Schulung und Betreuung) im Vordergrund stehen.684 Da jedoch die Mehrzahl der Franchiseverträge lizenzrechtliche Elemente enthalten, können diese nicht allein deshalb dem Recht des Landes unterstellt werden, in dem sich der Sitz des FG befindet und/oder in dem die Schutzrechte eingetragen sind.685 Dies widerspräche dem gesetzgeberischen Willen, solche Verträge grds. dem Recht des FN zu unterwerfen.686

90 h) Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO. Falls das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelt werden kann, unterliegt der Vertrag gem. Abs. 4 dem Recht des Staates, zu dem er die engste Verbindung aufweist. Für Vertriebsverträge spielt diese Regelung regelmäßig keine Rolle. Denn die Zuordnung erfolgt meist nach Abs. 1. Sollte Abs. 4 gleichwohl zur Anwendung kommen, muss nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden, zu welchem Staat der Vertriebsvertrag die engsten Verbindungen aufweist.687 Anwendbar ist Abs. 4 insb., wenn der Vertriebsmittler keine eigene Niederlassung besitzt, etwa weil er vom Unternehmer in ein anderes Land gesandt wird.688 In diesem Fall kann sein gewöhnlicher Aufenthalt nicht nach Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO bestimmt werden und auch die Abs. 1, 2 helfen nicht weiter.689 Richtigerweise ist in solchen Fällen Abs. 2 (vertragscharakteristische Leistung) maßgeblich. Zum Teil wird in diesem Fall auf das Recht der Niederlassung des Unternehmers abgestellt.690 Wenn man Abs. 4 anwenden wollte, bestünden die engsten Verbindungen des Vertrages zum Tätigkeitsort des HV.691 Die Frage der „engsten Verbindung“ kann nicht anders beantwortet werden, als die Frage nach der „vertragscharakteristischen Leistung“. 679 Zu Franchisenehmern: Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2092; krit. Neubert EWS 2011, 369 (373). 680 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 12; aA LG Hamburg IPRax 1981, 174. 681 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 12; aA Hiestand RIW 1984, 165; Ebenroth RIW 1984, 165; Beitzke DB 1961, 528 (530). Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (286). Magnus IHR 2018, 49 (56). Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (286); Neubert EWS 2011, 369 (372). Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 34. Neubert EWS 2011, 369 (372); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 34. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 13. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 14. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 14. Ebenroth RIW 1984, 165 (167 f.); Hopt § 92c Rn 3. Emde MDR 2002, 190 (194); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 14; Ebenroth/ Kindler4 § 92c Anh. Rn 29.

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4. Art. 9 Rom I-VO – Eingriffsnormen Art. 9 Rom I-VO enthält eine Regelung für Eingriffsnormen. § 9 Abs. 1 Rom I-VO definiert den 91 Begriff der Eingriffsnorm. Gem. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO berührt die Rom I-VO nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts (Forumsstaat692). Nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen.693 Die Anwendung des Art. 9 Rom I-VO führt nicht zur Unwirksamkeit der Rechtswahl. Vielmehr 92 wird das gewählte Recht nur im Anwendungsbereich der Eingriffsnorm verdrängt.694 Nach Art. 21 Rom I-VO können die Gerichte hingegen Vorschriften der auf den Vertrag anzuwendenden Rechtsordnung nicht anwenden, wenn deren Anwendung mit der öffentlichen Ordnung des Gerichtsstaates (lex fori) offensichtlich unvereinbar ist.695 Eine positive Anwendung der Normen der lex fori über Art. 21 Rom I-VO ist ausnahmsweise nur gestattet, wenn es wegen der Nichtanwendung des ordre-public-widrigen fremden Rechts eine Lücke gibt und die Lücke durch Anwendung einer Ersatznorm geschlossen werden muss, um den Sachverhalt sinnvoll zu regeln.696 Keinesfalls dürfen die lex fori-Normen über Art. 21 Rom I-VO positiv angewandt werden, wenn die lex causae keine Bestimmung zu einer Frage enthält.697 Wenn also deutsche Gerichte § 89b auf einen kalifornischem Recht unterliegenden HV-Vertrag anwenden wollen, weil das kalifornische Recht den Ausgleichsanspruch nicht kennt und deswegen keine Bestimmung dazu enthält, können Sie dies nicht über Art. 21 Rom I-VO tun.698 Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO hingegen gestattet den Gerichten die positive Anwendung von Normen ihrer eigenen Rechtsordnung, obwohl diese nach den allgemeinen Regeln nicht auf den Vertrag anzuwenden sind.699 Ist auf einen HV-Vertrag kalifornisches Recht anzuwenden, kann ein deutsches Recht dies unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO tun.700

a) Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO. Nach Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO handelt es sich bei einer Eingriffsnorm 93 um eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses angesehen wird, dass sie ungeachtet des anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihrem Geltungsbereich fallen.701 Es darf sich nicht um eine Norm handeln, die nur dem Ausgleich von Privatinteressen dient.702 Sie muss also international-zwingend sein. Das öffentliche Interesse betrifft insb. die politische, soziale oder wirtschaftliche Organisation. Ob Teile des Vertriebsrechts und vor allem das Ausgleichsrecht in dieser Weise als international zwingende Normen angesehen werden, wird von Staat zu Staat unterschiedlich beurteilt und gibt daher reichlich Anlass für Überraschungen, insb. nach Kündigung internationaler Vertriebsverträge. Gerade beim zuvörderst Private schützenden Vertriebsrecht ist streitig, ob es solche Eingriffsnormen enthält.703 Dabei sind alle Umstände zu prüfen, etwa Wortlaut, Systematik, Telos sowie Entstehungszusammenhang.704 Nach der Rspr. des BGH ist es für die Qualifikation als derartige Eingriffsnorm erforderlich, dass die 692 693 694 695 696 697 698 699 700 701 702 703 704 961

Magnus IHR 2018, 49 (56). Vgl. zu Art. 9 Rom I-VO im Allgemeinen Freitag NJW 2018, 430. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 53; Art. 9 Rom I-VO Rn 8. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 8. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 9. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 9. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 9. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 10. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 ROM I-VO Rn 10. Vgl. mit anderer Betonung Fabig IHR 2019, 1 (2). Fabig IHR 2019, 1 (2). Fabig IHR 2019, 1 (3); Mankowski EWiR 2014, 11 (12). EuGH, Urt. v. 31.1.2019 – C-149/18, RIW 2019, 151 Rn 29 f. Emde

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betreffende Vorschrift nicht nur dem Schutz und dem Ausgleich widerstreitender Interessen der Vertragsparteien, also Individualbelangen, dient, sondern daneben zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt.705 Ein reflexartiger Schutz der öffentlichen Gemeinwohlinteressen soll nicht ausreichen.706 Zwar ist Art. 9 Rom I-VO nun autonom auszulegen. Ähnlich wird aber auch der EuGH urteilen. Soweit die RL eine Vollharmonisierung und nicht lediglich eine Mindestharmonisierung erstrebt, soll das Vorliegen von Eingriffsnormen ausscheiden.707 Art. 17 RL soll keine Vollharmonisierung erstreben, so dass noch Raum für den nationalen Gesetzgeber verbleibt, zwingende Regelungen vorzusehen.708 Grundsätzlich soll Zurückhaltung bei der Feststellung geboten sein, ob eine Norm international-zwingenden Charakter hat.709 Auch nach Erwägungsgrund 37 zur Rom I-VO soll das angerufene Gericht Eingriffsnormen nur in außerordentlichen Umständen anwenden. Denn der Grundsatz der Rechtswahlfreiheit hat für die Rom I-VO einen hohen Stellenwert; Eingriffe in dieses Prinzip erfordern besonders prägnante Gründe.710 Im Zweifel ist die betreffende Vorschrift daher nicht international zwingend.711 Nicht alle zwingenden Vorschriften einer nationalen Rechtsordnung sind Eingriffsnormen i. S. d. § 9 Abs. 1 Rom I-VO. Die Qualifikation als Eingriffsnorm hat vielmehr strengere Voraussetzungen.712

94 b) Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO. gestattet es einem nationalen Gericht, die Eingriffsnormen seines eigenen nationalen Vertriebsrechts durchzusetzen und damit fremdes Recht beiseitezusetzen. Dies gilt auch dann, wenn die Parteien dieses Recht ausdrücklich prorogiert haben und entspricht dem früheren Art. 34 EGBGB713 (s. u.). Die Vorschrift ist eng auszulegen.714 Über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO wird sogar das Recht der Mitgliedstaaten voreinander geschützt.715 So darf das Gericht eines Mitgliedsstaates das Recht eines anderen Mitgliedsstaates nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO unangewendet lassen, wenn es substantiiert feststellt, dass der Gesetzgeber des geschützten Staates es bei der Umsetzung der RL in nationales Recht für unerlässlich erachtet hat, den HV einen Schutz zu gewähren, der über den in der RL vorgesehenen hinausgeht. Weiterhin muss das Gericht dabei die Natur und den Gegenstand dieser zwingenden Vorschriften berücksichtigen.716 Damit kann das gewählte Recht eines Mitgliedsstaates, welches den durch die RL vorgeschriebenen Mindestschutz gewährt, von dem Gericht eines anderen Mitgliedsstaates zugunsten der lex fori mit der Begründung unangewendet belassen werden, dass das HV-Recht der lex fori zwingenden Charakter hat. Grundsätzlich ist aber die Vertragsautonomie der Parteien ein Eckstein der Rom I-VO (Rn 52). Will ein nationales Recht entgegen der Rechtswahl der Parteien annehmen, dass nationale Vorschriften der lex fori international zwingenden Charakter haben, und somit anstelle des von den Vertragsparteien gewählten Rechts anzuwenden sind, muss es nicht nur den genauen Wort705 706 707 708 709

BGH NJW 2006, 762 Rn 26. BGH NJW 2006, 762 Rn 27. Schlussanträge des GA v. 15.05.13, C-184/12 – Unamar Rn 42. Schlussanträge des GA v. 15.05.13, C-184/12 – Unamar Rn 52. BGH NJW 2006, 762 Rn 28; Fabig IHR 2019, 1 (2); Freitag/Leible ZIP 1999, 1296 (1299); Flohr/Wauschkuhn/ Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 3. 710 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 3. 711 BGH NJW 2006, 762 Rn 28; Freitag/Leible ZIP 1999, 1296 (1299); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 3. 712 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 4. 713 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2221. Nach Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 5 soll deshalb auf die Rspr. zu Art. 34 EGBGB zurückgegriffen werden können. 714 Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 (32). 715 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 zu Art. 7 Abs. 2 EVÜ. Zur Entscheidung Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 ff. 716 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 zu Art. 7 Abs. 2 EVÜ. Emde

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laut dieser Vorschriften, sondern auch die allgemeine Systematik sowie sämtliche Umstände, unter denen diese Vorschriften erlassen wurden, berücksichtigen, um zu dem Schluss gelangen zu können, dass es sich um zwingende Vorschriften handelt, die der nationale Gesetzgeber offenbar erlassen hat, um ein von den betroffenen Mitgliedsstaat als wesentlich angesehenes Interesse zu schützen.717 Das kann auch im HV-Recht der Fall sein, wenn die Umsetzung der RL im Staat des angerufenen Gerichts durch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs oder durch die Entscheidung für eine erweiterte Nutzung des in der RL vorgesehenen Ermessensspielraums aufgrund der besonderen Bedeutung, die der Mitgliedsstaat dem HV beimisst, einen stärkeren Schutz der HV als das Recht eines anderen Mitgliedsstaates bietet.718 Fraglich ist, ob wie unter Art. 34 EGBGB (hierzu unten) auch unter Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO 95 ein hinreichender Inlandsbezug erforderlich ist. Dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich dies nicht entnehmen, was allerdings auch für Art. 34 EGBGB galt.719 Teilweise wird daher auch jetzt ein solcher Inlandsbezug gefordert.720 Richtigerweise handelt es sich um eine Frage der Auslegung der einzelnen Norm, ob diese einen Inlandsbezug fordert oder nicht. Man wird die Frage also nicht generell beantworten können, sondern vom Einzelfall abhängig machen. So wird man bspw. § 92c entnehmen können, dass § 89b nur bei innerdeutscher Tätigkeit (Abs. 2) und Art. 17 ff. RL nur bei innereuropäischer Tätigkeit (Art. 3) gem. Art. 9 Rom I-VO geschützt ist. Eine zwingende Eingriffsnorm i. S. d. Art. 9 Abs. 1, 2 Rom I-VO bilden: 96 – das europäische oder deutsche HV-Ausgleichsrecht, wenn das Vertriebsgebiet innerhalb der EU bzw. Deutschlands liegt,721 u. U. sogar das der nicht von der RL erfassten Nichtwarenvertretern722 (nach Abs. 1), HV-ähnlichen Mittlern, etwa Vertragshändlern723 und FN724 (näher oben, im Rahmen der Besprechung der Ingmar-Entscheidung). Zu Art. 34 EGBGB wurde früher vertreten, es handele sich bei § 89b nicht um eine zwingende Eingriffsnorm. Hiergegen sprach neben der Tatsache, dass das deutsche Recht den Ausgleich erst seit 1953 kennt, insb. § 92c, der bei außereuropäischer Tätigkeit des HV die Abwahl der sonst unabdingbaren Vorschriften zulässt, was sie kaum als absolut zwin717 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 Rn 50. 718 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 Rn 50. 719 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 7. 720 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 7. 721 Magnus IHR 2018, 49 (56); Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140/141) – aber begrenzt auf von der RL erfasste Warenvertreter; Ayad/Schnell BB 2012, 3104; Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (279); Beitzke DB 1961, 531; Ebenroth RIW 1984, 165; Ebenroth/Kindler 4. Aufl., Anh. § 92c Rn 15 ff.; Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 41 (HV), 54 (Vertragshändler); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 20 ff. bei starkem Gemeinschaftsbezug (HV); Palandt/Thorn Rom I 4 Rn 19 für HV-Verträge (anwendbar sei die RL); Rom I 9 Rn 5; wohl auch Krümmel in: Praxishandbuch Vertriebsrecht2 § 6 Rn 51; aA Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 27 bei fehlendem „starkem Gememeinschaftsbezug“ unter Hinweis auf das nachfolgend zitierte BGH-Urt., da die öffentlichen Gemeinwohlinteressen sich nicht so schnell wie die Gesetze änderten; Valdini S. 330 (nur halbzwingend); MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 125; zu deutschem Recht ohne europäische Präformation auch BGH, Urt. v. 30.1.1961 – VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061 (1062); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 14.6.1960 – 5 U 243/59, BB 1960, 836; kritisch auch Fabig IHR 2019, 1 (2). 722 Magnus IHR 2018, 49 (56); aA Kindler NJW 2016, 1855 (1856); Teichmann ZVertriebsR 2016, 195; Mankowski RIW 2016, 457 (459): Der Ausgleichsanspruch verfolge einen gerechten Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien. Er verfolge nicht mehr gesellschaftsgestaltende Ambitionen als jede im weitesten Sinne wirtschaftsrechtlich bedeutsame Norm. Art. 9 Abs. 2 Rom-I-VO sei restriktiv auszulegen und einzusetzen, um die Rechtswahlfreiheit zu ermöglichen; Semler ZVertriebsR 2016, 139 (140). 723 Magnus IHR 2018, 49 (57); Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (148 ff.); Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (285); Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 (34); aA Kindler NJW 2016, 1855 (1856); Teichmann ZVertriebsR 2016, 195; Mankowski RIW 2016, 457 (459); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 30; von der Moolen in: Martinek, Handbuch Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2010, § 24 Rn 65; Valdini S. 335. 724 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (285); Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 (34); aA Valdini S. 335. 963

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gend auswies. Unter der Rom I-VO ist diese Ansicht zur Minderansicht geworden, zuerst aufgrund der Ingmar-Entscheidung (s. o.) und dann der Unamar-Entscheidung725 des EuGH. Es ist aber zu betonen, dass der Schutz des Art. 9 Rom I-VO nur bei innereuropäischem Vertriebsgebiet eingreift. Deshalb hilft auch der Rückschluss aus § 92c nicht; das zwingende nationale HV-Ausgleichsrecht eines EU-Mitgliedsstaates gegenüber dem nationalen Ausgleichsrecht eines anderen EU-Staates, welches zwar den durch die RL vorgeschriebenen Mindestschutz gewährt, jedoch einen schwächeren Schutz als das zwingende nationale Recht des geschützten Staates.726 Gräfe/Giesa727 verneinen jedoch die Möglichkeit, dass ein französischer Vertriebsmittler eines deutschen Unternehmers unter Hinweis auf die EuGH-Entscheidung Unamar728 von dem deutschen Unternehmer trotz der Vereinbarung deutschen Recht den als Schadenersatzanspruch ausgestalteten französischen Ausgleichsanspruch fordern könne. Ob § 89b gegenüber anderen EU-Rechten international-zwingend ist, ist unsicher. Semler729 verneint das; Ausländisches Ausgleichsrecht.730 Richtigerweise muss der Richter das internationalzwingende ausländische Recht mit dem des Forums vergleichen und dann ggf. das günstigere, zwingende ausländische Recht anwenden;731 das (Vertriebs-)Kartellrecht wird i. d. R. als so entscheidend für die Wahrung der öffentlichen Interessen angesehen, dass die kartellrechtlichen Normen dort, wo sie sich auswirken, zwingend Anwendung finden, unabhängig davon, wo die fragliche Handlung vorgenommen wurde. Dies gilt bei Inlandsauswirkung gem. § 130 Abs. 2 GWB732 sowohl für deutsches Kartellrecht733 als auch für europäisches Kartellrecht nach Art. 101, 102 AEUV.734 Bei der Tätigkeit außerhalb des EU/EWR-Gebiets greift der Schutz aber nicht ein. Hier fehlt der

725 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 zu Art. 7 Abs. 2 EVÜ. 726 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 zu Art. 7 Abs. 2 EVÜ. 727 Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 (33). 728 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403. 729 ZVertriebsR 2016, 139 (140). 730 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, EWS 2013, 422 = RIW 2013, 874 = ZVertriebsR 2014, 55 = EWiR 2014, 11 (Mankowski) m. Anm. v. Bodungen BB 2014, 403 zu Art. 7 Abs. 2 EVÜ – betrifft den Schutz eines europäischen Rechts vor dem anderen; ICC-Schiedsgericht, Urt. v. 22.4.2013 – 17733/JRF/CA zum Decree 78/71 gem. dem Recht Guatemalas; aA Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 18. Auch Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (277/278) hält es für möglich, dass ausl. Ausgleichsrecht zwingend ist. S. hierzu generell Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 37. Insb. gibt es Fälle, in denen das nationale Ausgleichsrecht seine international-zwingende Natur selbst und eindeutig bestimmt (etwa das belgische Recht, s. Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 [30]), was u. U. zu beachten sein wird. So haben belgische Gerichte Schiedsgerichtsentscheidungen wegen der Missachtung zwingenden belgischen VertriebsR die Anerkennung versagt (Audi-NSU-Autounion AG v SA Adelin Petit & Cie, Court of Cassation, 28.6.1979, 5. Yearb. Comm. Arb. 257 (1980); Sebastian International Inc. v. Common Markets Cosmetics NV, Court of Cassation, 14.01 2010, Rechtskundig Weekblad (2010–11), S. 1087; zusammenf. Wautelet Arbitration of Distribution Disputes Revisted, The Practice of Arbitration, Hart Publishing, S. 217– 231. Nach Bozbel RIW 2011, 125 (129); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 92c Rn 37 soll der Ausgleichsanspruch in der Türkei international-zwingendes Recht bilden. 731 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (285). 732 Magnus IHR 2018, 49 (56). 733 Magnus IHR 2018, 49 (56) (insb. §§ 1, 19–21 GWB); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom IVO Rn 20, 29 (HV), 30 f. (Vertragshändler); Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl. Rn 2119 (zum Franchisevertrag). 734 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 20, 29 (HV), 31 ff. (Vertragshändler); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2227; Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl. Rn 2117 (zum Franchisevertrag). Nach dem Auswirkungsprinzip erfasst das europäische Kartellrecht alle Verträge, die sich auf den Wettbewerb im gemeinsamen Markt auswirken (EuG, Urt. v. 25.3.1999 – T-102/96 (Gencor), Slg. 1999, II-753, Rn 50 ff.). Emde

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Bezug zum Inland bzw. europäischen Wirtschaftsraum.735 Liegt das Vertragsgebiet sowohl innerhalb als auch außerhalb des EU- bzw. EWR-Gebiets, ist § 89b einheitlich auf den gesamten Vertrag anzuwenden;736 – wohl § 138 BGB. Selbst wenn man den Ausschluss deutschen Rechts und der zwingenden Regeln der §§ 84 ff. für zulässig hielte, müsste der Ausschluss die Sittenwidrigkeitsschranke des § 138 BGB passieren; – zu § 92c siehe Rn 134 ff. 97 Keine zwingenden Eingriffsnormen i. S. d. Art. 9 Abs. 1, 2 Rom I-VO sind: – Die Verbraucherkreditvorschriften der §§ 491 ff. BGB;737 – die vorvertraglichen Aufklärungs- und Offenlegungspflichten der Parteien.738

c) Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO. Gemäß Art 9 Abs. 3 Rom I-VO kann den Eingriffsnormen des Staa- 98 tes, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen.739 Bei der Entscheidung, ob den Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, sollen Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt werden, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden. Damit erlaubt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO es den Gerichten, international zwingenden Eingriffsnormen anderer Staaten Wirkung zu verleihen. Dies ist eine Neuerung gegenüber dem bisherigen deutschen Recht. Denn gegen den inhaltsgleichen Art. 7 Abs. 1 EVÜ konnte ein Vorbehalt erklärt werden; Deutschland hatte davon Gebrauch gemacht.740 Voraussetzung für eine solche Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen ist allerdings die Erfüllung zweier Bedingungen: Es finden nur die Eingriffsnormen des Staates Berücksichtigung, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind. Zudem müssten diese Normen die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen. Da der Ausgleichsanspruch nicht die Wirksamkeit des Vertrages betrifft, könnte es sein, dass ein ausländisches Gericht dem deutschen Vertragshändlerausgleich keine gegenüber der Rechtswahl durchsetzende Wirkung i. S. d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zusprechen wird.741 Anwendbar sollten jedoch im jedem Fall die zwingenden Vorschriften des Gerichtsstaats gem. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO sein.742 Hinsichtlich der Eingriffsnormen der lex fori kann im Wesentlichen auf die bisherige Rspr. zurückgegriffen werden.743 Meist wird ein ausländischer Mittler allerdings versuchen, zwingende ausländische Vorschriften, regelm. betreffend den Ausgleichsanspruch, vor seinen lokalen Gerichten durchzusetzen.744 Er besitzt dann den „Heimvorteil“. Geantwortet wird mit einer negativen Feststellungsklage in Deutschland. Der ausländische Gerichtsstand schreckt gerade mittelständische Unternehmer. Hier ruht Erpressungspotential. In der Praxis zeigt sich, dass immer mehr ausländische Rechte ihren nationalen Ausgleich durch dessen international zwingende Natur verteidigen, und zwar durch eine „doppelte Nichtanerkennung“: Die Nichtanerkennung des deutschen Rechts sowie die Nichtanerkennung des deutschen 735 Magnus IHR 2018, 49 (57). 736 Magnus IHR 2018, 49 (57). 737 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 4; Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2121. 738 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 4; Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2122. 739 Vgl. Czernich RIW 2016, 701 (704 ff.); Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (150). 740 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 5; Palandt/Thorn Rom I 9 Rn 11. 741 Czernich RIW 2016, 701 (705); Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (150). 742 Peschke ZVertriebsR 2016, 144 (150). 743 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2222. 744 Siehe Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 37. Beispiel: Der dem Schiedsverfahren ICC-Schiedsgericht, Urt. v. 22.4.2013 – Case Nr. 17733/JRF/CA vorhergehende Justizkonflikt: Widerstreitende Prozesse in Deutschland und Guatemala. 965

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Gerichtsstandes. Darüber kann sich das europäische Warenvertreterrecht nicht unbedingt beschweren. Denn es verteidigt sich im Falle eines europäischen Vertriebsgebietes in gleicher Weise. 99 Theoretisch denkbar ist es, dass innerhalb eines Vertrages mehrere Erfüllungsorte bestehen. Das gilt jedenfalls, wenn der Erfüllungsort nach der lex causae bestimmt wird. Wählen etwa ein französischer Unternehmer und ein amerikanischer HV für ihren Vertrag deutsches Recht, so würde sich der Erfüllungsort nach deutschem Recht bestimmen. Gem. § 270 Abs. 1, 4 i. V. m. § 269 Abs. 1 BGB läge er hinsichtlich der Zahlungspflicht des Unternehmers in Frankreich. Hinsichtlich der HV-Leistung läge er in den USA. Theoretisch könnte also französischen und US-amerikanischen Eingriffsnormen Wirkung verliehen werden. Man wird deshalb wohl einen einzigen Erfüllungsort autonom bestimmen müssen, wobei man sich an dem Erfüllungsort des Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO (s. Kommentierung zu Vor § 84) orientieren kann.745 100 Zwingende Eingriffsnormen i. S. d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sind: – Gewisse ausländische Rechtsordnungen verlangen als Voraussetzung der Berufsausübung einen Registereintrag und ordnen bei Nichteintragung Nichtigkeit des Vertrages an, z. B. Bahrain, Kuwait oder die Vereinigten Arabischen Emirate.746 Solche ausländischen administrativen Vorschriften sind, wenn die Vermittlungstätigkeit im Ausland erfolgt, über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ggf. im Wege einer Sonderanknüpfung zu berücksichtigen;747 – außereuropäisches Kartellrecht.748 101 Keine zwingende Eingriffsnorm i. S. d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO bilden: – zwingendes außereuropäisches Ausgleichsrecht.749 Internationale privatrechtliche Gerechtigkeit und Kongruenz erfordern keine Sonderanknüpfung, da es sich namentlich bei Ausgleichsansprüchen um Normen zur Regelung individueller Rechtspositionen zwischen den Vertragsparteien handelt und für solche Bestimmungen die international privatrechtliche Anknüpfung die nötige Abwägungsentscheidung trifft.750 Kollisionsrechtlich verdrängtes Recht bleibt aus der Sicht des entscheidenden deutschen Gerichts verdrängtes Recht. Es gibt aber Fälle, in denen das nationale Ausgleichsrecht seine international zwingende Natur selbst und eindeutig bestimmt,751 was u. U. zu beachten sein wird. Auch wird die Einordnung des europäischen HV-Ausgleichsanspruchs als international zwingend (dazu unten) den Druck erhöhen, außereuropäischem Ausgleichsrecht den gleichen Schutz zukommen zu lassen; – das Recht am Vertriebsort gegenüber der mit einem HV aus einem anderen Mitgliedsstaat vereinbarten Nebenberuflichkeit.752

745 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 16. 746 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2230. 747 Birk ZVglRWiss. 79 (1980), 268 (283) (Italien); Elwan ZVglRWiss. 80 (1981), 89 (145 f.) (Ägypten); Krüger FS Kegel 1987 S. 269 (281 ff.) (Arabien); MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 9 Rn 98; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2230; anders IPG 1977 Nr. 7 (Köln) 58 f. (Ägypten); Noetzel DB 1986, 209 (212) (Arabien). 748 Clausnitzer/Woopen BB 2008, 1798 (1805); (Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 17. 749 Wegen WiB 1994, 256 zu Art. 34 EGBGB; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 9 Rom I-VO Rn 18; aA wohl Ayad/Schnell BB 2012, 3104 und ICC-Schiedsgericht, Urt. v. 22.4.2013 – Case Nr. 17733/JRF/CA zum Decree 78/71 nach dem Recht Guatemalas. Nach Teichmann/Wauschkuhn ZVertriebsR 2012, 274 (278) kommt es auf den Einzelfall an. Nach Bozbel RIW 2011, 125 (129); Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 37 soll der Ausgleichsanspruch in der Türkei international zwingendes Recht sein. Auch Heinicke ZVertriebsR 2013, 275 (277/278) hält es für möglich, dass ausl. Ausgleichsrecht zwingend ist. Siehe hierzu generell Flohr/Wauschkuhn/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 § 92c Rn 37. 750 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (151). 751 Etwa das belgische Recht, siehe Gräfe/Giesa ZVertriebsR 2014, 29 (30); aA Valdini S. 363. 752 Valdini MDR 2019, 774 (776). Emde

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5. Art. 21 Rom I-VO – ordre public Nach Art. 21 Rom I-VO kann die Anwendung einer Vorschrift des nach der VO bezeichneten 102 Rechts versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. Unter dem Begriff des „ordre public“ fallen nationale Vorschriften, deren Einhaltung als entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung des betreffenden Mitgliedsstaats angesehen wird.753 Würde die Anwendung einer Vorschrift der gewählten Rechtsordnung den „ordre public“ des angerufenen Gerichts verletzen, bleibt die Rechtswahl der Parteien wirksam. Das Gericht würde aber die potentiell verletzende Norm nicht anwenden.754 Sofern man die Rechtwahl überhaupt nach Art. 21 Rom I-VO prüfen will,755 begründet die Wahl eines ausländischen Rechts keinen Verstoß gegen den ordre public,756 auch nicht, falls das gewählte Recht keinen Ausgleich kennt757 oder sonst von zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts abweicht758 (vgl aber zur „Ingmar-Rspr.“ und zur international-zwingenden Natur des § 89b oben) Selbst dem deutschen Recht war bis 1953 ein Ausgleich unbekannt, ohne dass man deshalb einen Verstoß gegen den ordre public annehmen durfte. Zudem spricht hierfür der Rückschluss aus Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bzw. dessen Vorgängernorm, Art. 27 Abs. 3 EGBGB, schließlich auch aus § 92c.759 Im Bereich des Vertriebsrechts sollen deshalb Verletzungen des „ordre public“ kaum denkbar sein.760

6. Folgen der wirksamen Vereinbarung ausländischen Rechts Soweit für den Vertrag zulässigerweise ausländisches Recht gilt, darf nicht ergänzend auf deut- 103 sches Recht zurückgegriffen werden.761 Solche Ansprüche müssten vertraglich begründet werden.762

V. Deutsches IPR – EGBGB Mit dem Geltungsbeginn der Rom I-VO am 17.12.2009 wurden die Art. 27–37, 11 Abs. 4 EGBGB 104 aufgehoben.763 Damit entstand ein Problem hinsichtlich des intertemporalen Rechts.764 Die europäische VO bestimmt positiv, auf welche Sachverhalte sie Anwendung findet (Art. 28 Rom I-VO: Verträge, die ab dem 18.12.2009 geschlossen wurden, s. o.). Es wäre Sache des deutschen Gesetzgebers, zu bestimmen, welche Normen auf die von der Rom I-VO nicht erfassten Sach753 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 54. 754 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 54. 755 Eine Rechtswahl könnte nie ordre public-widrig sein, wenn man die Funktion des Art. 21 Rom I-VO darin sieht, die Anwendung einer berufenen Norm auszuschließen und das Ergebnis zu betrachten, nicht die Rechtswahl. 756 Eberstein S. 56. 757 BGH, Urt. v. 30.1.1961 – VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061 (1062) – zum damaligen Art. 30 EGBGB a. F. (s. hierzu Fabig IHR 2019, 1 (3)); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 14.6.1960 – 5 U 243/59, BB 1960, 836; LG Frankfurt/M., Urt. v. 18.9.1980 – 2/3 O 18/80; Beitzke DB 1961, 531; Ebenroth RIW 1984, 165; Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau Rn 1058; MünchKommBGB/Martiny Art. 28 EGBGB Rn 158a; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 15; Schlegelberger/ Schröder § 92c Rn 3 e; aA Maier NJW 1958, 1327. 758 Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3. 759 Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3. 760 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 54; Lakkis in: Martinek/Semler, § 55 Rn 11. 761 Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3e. 762 Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3e. 763 Art. 1 Nrn. 2–5, Art. 3 Rom I-AnpassungsG. 764 Rauscher NJW 2009, 3614 (3618). 967

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verhalte anzuwenden wären. Hierzu hat der deutsche Gesetzgeber jedoch keine unmittelbare Aussage getroffen. Allerdings wird man aus der Aufhebung im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der Rom I-VO folgern müssen, dass Sachverhalte, auf welche das neue Recht auf Grund des Art. 28 Rom I-VO keine Anwendung findet, weiter dem alten Recht unterstellt sind.765 Für bis zum 17.12.2009 geschlossene Verträge – bei denen es sich nach wie vor um eine erhebliche Zahl, wenn nicht die Mehrheit, handelt – gilt daher noch immer das EGBGB. Das alte Recht wird daher erneut an dieser Stelle kommentiert. Zahlreiche Rechtsgedanken können auf die Rechtslage unter der Rom I-VO übertragen werden. Umgekehrt ist eine Ausstrahlungswirkung der Regelungen der Rom I-VO auf die Auslegung alten Rechts zu erwarten: Streitfragen unter dem EVÜ bzw. zu Art. 27 ff. EGBGB, die heute noch zu richten sind, sollten im Einklang mit der Rom I-VO entschieden werden.766 Ist das maßgebliche IPR das EGBGB, so gilt Folgendes:

1. Fehlende Rechtswahl 105 a) Zur Entwicklung der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung zum anwendbaren Recht war vor dem 2. Weltkrieg schwankend (Nachweise bei Gamillscheg a. a. O. S. 138 ff. und bei Nußbaum Deutsches Internationales Privatrecht (1932) Fn. 4). Der BGH hat sich in der Entscheidung v. 16.3.1970, BGHZ 53, 332 zunächst erst zu dem Fall geäußert, dass dem HV nur der Bereich eines einzigen Landes, nämlich desjenigen seiner Niederlassung, als Tätigkeitsgebiet zugewiesen war: für diesen Fall (und mit der ausdrücklichen Beschränkung auf ihn) knüpfte der BGH an die Niederlassung des HV an. Dem folgte das OLG Hamm IPRsp. 1978, 21; der BGH hat seinen in BGHZ 53, 332 präzisierten Standpunkt in der Entscheidung DB 1981, 1279 bekräftigt. Die Entscheidung BGHZ 53, 332 war jedoch bereits dahin missgedeutet worden, als sei generell an die Niederlassung des HV anzuknüpfen: so OLG Düsseldorf NJW 1974, 2185 (mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes), während das OLG Hamburg MDR 1973, 140 i. S. d. vorsichtigen Einschränkung des BGH korrekter argumentierte, die Anknüpfung könne „nur dann zur Rechtsordnung am Sitz seiner (sc. des HV) Niederlassung führen, wenn er nur im Rechtsgebiet dieser Niederlassung tätig werden solle“. Solche Fälle hatten denn auch schon vor der Entscheidung des BGH die Rspr. nach dem 2. Weltkrieg beschäftigt und überwiegend zur Anknüpfung an die Niederlassung des HV geführt.767 Andere Gerichte differenzierten weniger, etwa OLG Frankfurt/ M. IPRsp. 1966/67 Nr. 35, S. 120, 122 und LG Frankfurt/M. IPRsp. 1962/63 Nr. 43, S. 111, 112, in denen ohne nähere Begründung die Anknüpfung dort gesucht wird, „wo der HV seine Niederlassung hat“ (OLG Frankfurt/M.) oder „wo er seine Tätigkeit entfaltet“ (LG Frankfurt/M.). Gerade aber in dem Kriterium der „Entfaltung der Tätigkeit“ lag die Schwierigkeit, nämlich wenn der HV von seiner Niederlassung in einem Lande aus mehrere Länder zu bearbeiten hatte. Zu diesem Fall siehe BGH IPRsp. 1962/63 Nr. 41, S. 107, 109.

106 b) Rechtslage unter dem früheren EGBGB und eigene Stellungnahme. Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, so regelt der mittlerweile aufgehobene Art. 28 EGBGB für bis zum 17.12.2009 geschlossene Verträge das Vertragsstatut. Artt. 29, 30 EGBGB sind nicht einschlägig. Einem Arbeitnehmern oder Verbrauchern vergleichbaren kollisionsrechtlichen Schutz-

765 Rauscher NJW 2009, 3614 (3618); Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2213. Davon geht wohl auch der deutsche Gesetzgeber aus, ohne dass dies jedoch Niederschlag in der gesetzlichen Regelung gefunden hätte, BT-Drucks. 16/12104 S. 10, vgl. Rauscher NJW 2009, 3614 (3618). 766 Magnus IHR 2018, (52). 767 OLG München IPRsp. 1956/57 Nr. 46; OLG Hamburg IPRsp. 1970 Nr. 121a, S. 404 (Vorinstanz zu BGHZ 53, 332, die zugleich das Problem am gründlichsten angeht). Emde

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regime unterfällt der HV nicht.768 Gem. Art. 28 EGBGB unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. Nach Art. 28 Abs. 2 EGBGB wird vermutet, dass der Vertrag die engsten Verbindungen zu dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, zum Zeitpunkt der Vertragsschlusses (späterer Wechsel der Niederlassung ist also unbeachtlich)769 ihre Hauptniederlassung inne hat. Nach Art. 28 Abs. 5 EGBGB gilt die Vermutung des Abs. 2 nicht, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist (Ausweichklausel). Die nachfolgenden Rechtsgrundsätze gelten auch für HV-ähnliche Vertriebsmittler.770 Durch Art. 28 EGBGB überholt ist das sog. Prinzip der geringsten Störung: maßgebend 107 sei diejenige Rechtsordnung, die der am längeren Hebelarm sitzende Vertragspartner hätte im Verhandlungswege durchsetzen können. Das aber sei die des Unternehmers. Ob sich derartiges für die Verhältnissen einer Auslandsvertretung so generell sagen lässt, erscheint bereits zweifelhaft, jedenfalls dann, wenn sie erst aufgebaut werden muss. Ohnehin warnt Sturm771 vor der Proklamierung eines Rechtes des Stärkeren. Auch versagt das Prinzip der geringsten Störung, falls es zur Anknüpfung an den Sitz des Unternehmers führen soll, beim Auslandsvertreter mit Abschlussvollmacht. Denn für dessen Vertretungsmacht ist nach allgemein anerkannter Auffassung das Recht am Ort seiner Niederlassung maßgebend, und zwar nicht nur hinsichtlich ihrer Wirkungen,772 sondern auch hinsichtlich ihrer Erteilung.773 Auftrag und Vollmacht, Innenverhältnis und Außenverhältnis könnten danach je in ihrer Begründung verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen; das Prinzip der geringsten Störung wäre in sein Gegenteil verkehrt. Dass der HV die vertragscharakteristische Leistung i. S. d. Art. 28 Abs. 1 EGBGB erbringt, 108 ist heute weitgehend unstrittig.774 Auch beim Vertragshändlervertrag775 oder beim Franchisevertrag776 wird die vertragscharakteristische Leistung von dem Vertriebsmittler erbracht. Die Provisionszahlung durch den Unternehmer ist zu wenig vertragstypisch und damit zu wenig aussagekräftig, um sie als charakteristisch anzusehen.777 Gerade im Franchiserecht ist allerdings umstritten, wer die vertragscharakteristische Leistung erbringt.778 Teilweise wurde angenommen, dies sei der FG, der in seiner Systemzentrale die charakteristische Leistung erbringe,

768 Mankowski MDR 2002, 1352 (1353). 769 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 113. 770 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.7.1996 – 6 U 152/95, DB 1997, 326 f. = EWiR 1996, 843 f. mit Anm. Schlechtriem; Ebenroth RIW 1984, 165 (169); Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1041 ff.; Sturm FS Wahl, S. 207 ff. FS Wahl S. 219. v. Caemmerer RabelsZ 24, [1959] S. 205. BGH MDR 1968, 486; LG Hamburg IPRsp. 1977, 18 (22). BGH, Urt. v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, NJW 1993, 2753 (2754); v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 (371) = NJW 1995, 318 (319); Hermes RIW 1999, 81 (85); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 16 f.; Palandt/Heldrich Art. 28 EGBGB Rn 15; MünchKommBGB/Martiny Art. 28 EGBGB Rn 158; Küstner/Thume/ Thume I5 Kap. XI Rn 102; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 23; Westphal I Rn 25; Ebenroth/ Kindler4 Anh. § 92c Rn 27; Hopt § 92c Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Thume3 § 92c Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3c; Soergel/von Hoffmann Art. 28 Rn 258 (265); Erman/Hohloch Art. 28 Rn 53; Reithmann/Kartzke Rn 1435; Kindler RIW 1990, 358 (363); aA Beitzke DB 1961, 528 (530); Ebenroth RIW 1984, 165; Hiestand RIW 1993, 173 (177 f.). 775 Westphal II Rn 126. 776 Winkler v. Mohrenfels ZVertriebsR 2014, 281 (283); Schlemmer RdW 1984, 298 (304); Emde MDR 2002, 190 (194), Staudinger/Magnus Art. 28 EGBGB Rn 297, 300; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 23. 777 Kindler RIW 1987, 660 (662); Westphal I Rn 25; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 23; Staub/Brüggemann4 Vor § 84 Rn 51; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 27; Nachweise auf die Gegenansicht, die auf das Recht am Sitz des Unternehmers als stärkere Vertragspartei abstellt bei Ebenroth RIW 1984, 165 (167 f.). 778 Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 36.

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so dass dessen Recht gelte.779 Die Gegenansicht, wie nun auch Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO,780 wollte den Franchisevertrag an das Recht des Staats anknüpfen, in dem der FN seine Hauptniederlassung hatte,781 entweder weil die Absatzförderungspflicht des FN vertragscharakteristisch nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB sei oder zumindest zum Aufenthaltsstaat des FN nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB die engste Beziehung bestünde. Der letztgenannten Ansicht, die in Übereinstimmung mit der h. M. zu den übrigen Formen der Vertriebsverträge steht, ist zuzustimmen. Die Belieferung des Eigenhändlers betrifft regelmäßig nur die in Ausführung des Vertriebsvertrages geschlossenen Einzelverträge. Sie sind daher für die Qualifizierung irrelevant und treten zudem hinter die vertragscharakterisierende Vertriebspflicht des Absatzmittlers zurück. Dies gilt sogar beim sog. hochintegrierten Vertrieb, etwa dem Franchising. Zwar mag es für den Unternehmer günstiger sein, wenn alle seine HV-Verträge in dem von ihm geschaffenen Vertriebsnetz782 demselben Recht unterliegen, da so sein Uniformitätsinteresse verwirklicht wird.783 So wird angeführt, bei grenzüberschreitenden Netzwerken von Vertriebsverträgen sei es von Nachteil, wenn nicht sämtliche Geschäftsbeziehungen des Vertriebsnetzwerks der gleichen Rechtsordnung unterständen. Blieben die Verträge dergestalt miteinander verbunden, dass sie untereinander in einem inhaltlichen Zusammenhang ständen und eine größere Einheit bildeten, komme im Ausnahmefall in Abweichung von der für einzelne Vertragsarten maßgeblichen Regelanknüpfung eine Anknüpfung an den Sitz des Unternehmers in Betracht.784 Das Uniformitätsinteresse sei bei Netzwerken des hochintegrierten Vertriebs (Leitbild Franchising) besonders ausgeprägt, diene der einheitlichen Vertriebsstrategie sowie dem inneren Entscheidungsgleichklang, beuge Unzufriedenheiten über eine ungleiche Behandlung vor und sorge für eine Chancengleichheit und damit die innere Stabilität des Netzwerks.785 Gerade für eine zentral gelenkte, einheitliche Vertriebspolitik des Unternehmers sei die Uniformität bedeutsam. Eine unterschiedliche Anknüpfung der einzelnen HV-Verträge würde zu Spannungen und Anpassungsschwierigkeiten führen;786 ein weltweit tätiger deutscher Unternehmer müsse seine Musterverträge einheitlich ausgestalten können.787 Die von einem Vertreterstab in verschiedenen Ländern hereingebrachten Aufträge unter den jeweiligen verschiedenen Rechtsordnungen abwickeln zu müssen, bleibt dem Unternehmer jedoch ohnehin nicht erspart – mindestens für die Verpflichtungen des Kunden –, sofern nicht in jedem Einzelfall die Geltung des Rechts am Sitz des Unternehmers vereinbart worden ist oder als stillschweigend vereinbart anzusehen wäre. Dann aber mag er eine ausdrückliche Rechtswahl für die Vertriebsverträge treffen.788 Angesichts des Umstandes, dass von den zwingenden Vorschriften der RL innerhalb der EU ohnehin nicht abgewichen werden kann, ist jeder weltweit tätige Unternehmer gezwungen, im Warenvertrieb innerhalb und außerhalb der EU unterschiedliche Standardverträge zu verwenden. Außerhalb des Warenvertriebs gilt dies auch vor dem Hintergrund der einheitlichen europäischen Erfordernisse des Vertriebskartellrechts, z. B. infolge der Vertriebs-GVO 330/10. Das Argument der Einheitlichkeit im Vertriebsnetz lässt sich auch wenden: Denn umgekehrt mag auch der HV zu mehreren Unterneh-

779 LG Düsseldorf, Urt. v. 31.7.2002, IPRspr. 2002 Nr. 31, S. 81, Bräutigam WiB 1997, 897 (899); Hietand RIW 1993, 173 (178); Palandt/Thorn Art. 28 EGBGB Rn 12.

780 Nach Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 36 kann davon ausgegangen werden, dass sich auch die Rspr. zum EGBGB an dieser Wertung orientiert. 781 Schlemmer RdW 1984, 298 (304); Emde MDR 2002, 190 (194), Staudinger/Magnus Art. 28 EGBGB Rn 297, 300; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 23. 782 Vgl. Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 31. 783 LG Hamburg IPRsp. 1964/65, Nr. 42, S. 142. 784 Vetter NJW 1987, 2124 ff.; ders. ZVglRWiss 87 (1988), 248 (253 ff.); kritisch Schurig IPRax 1993, 27 (30); dagegen Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 31. 785 Beitzke DB 1961, 528 (530); Ebenroth RIW 1984, 165; Hiestand RIW 1993, 173 (177, 178). 786 So noch Ebenroth/Lange, 1. Aufl. Anh. § 92c Rn 25. 787 Hagemeister RIW 2006, 498 (501). 788 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 146. Emde

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men Geschäftsbeziehungen unterhalten und seine Geschäfte einheitlich lenken wollen.789 Die Bedeutung der Leistung des HV innerhalb des einzelnen Vertrages – nur auf diese Einzelbetrachtung kommt es an – wird durch die mögliche einheitliche Leitung des Unternehmers ohnehin nicht reduziert. Es gibt insoweit kein Sonderrecht großer Vertriebsnetze. Auch der (häufig angeführte) Gesichtspunkt, dass alle Ergebnisse der Aktivitäten des HV 109 beim Unternehmer zusammenliefen und das Agenturverhältnis deshalb dort anzuknüpfen sei, vermag nicht zu überzeugen.790 Die Hauptschwäche dieses Arguments liegt darin, dass damit eine werkvertragliche Betrachtungsweise ins Spiel gebracht wird, die dem Agenturvertrag fremd ist. Der HV schuldet Tätigkeit, und zwar selbständige Dienste (höherer Art); für Dienste solcher Gattung wie diejenigen von Rechtsanwälten, Patentanwälten, Ärzten ist aber längst anerkannt, dass Anknüpfungspunkt das Recht am Ort des Zentrums der Tätigkeit (der Praxis) ist. Ohnedies würde hier allzu einseitig auf den Vermittlungsvertreter abgestellt. Der Abschlussvertreter führt den „Erfolg“ bereits durch seinen Abschluss von seinem Niederlassungsort aus herbei. Schließlich: wie soll man jenes Argument durchhalten einem HV gegenüber, der im Ausland als „Bezirksvertreter“ tätig werden soll und dem – so wäre eine solche Bestellung im Zweifel doch wohl zu qualifizieren – ähnlich § 87 Abs. 2 Provisionen für alle Abschlüsse aus seinem Bezirk ohne Rücksicht auf seine Tätigkeit zustehen müssten? Bei Fehlen einer Rechtswahlvereinbarung ist damit das am Sitz der Hauptniederlassung 110 des HV geltende Recht gem. Art. 4 Abs. 2 EVÜ, 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB maßgeblich.791 Zweigniederlassungen des HV können nur dann Anknüpfungsgegenstand sein, wenn sie nach dem Vertrag die Vertragserfüllung wahrnehmen sollen792 (vertragsbetreuende Niederlassung). Das muss der Begünstigte darlegen, weil die Vermutung für die Hauptniederlassung als Anknüpfungspunkt streitet (s. o.). Häufig besteht Identität zwischen beiden Orten: Die vertragsbetreuende Niederlassung des HV wird nämlich im Zweifel dessen Hauptniederlassung als relativer Schwerpunkt für den externen Rechtsverkehr sein. Sie fällt zwar nicht automatisch mit dem Sitz des HV zusammen, wird aber i. d. R. an demselben Ort liegen wie der Sitz.793 Mangels entgegenstehenden Vortrags besteht die Vermutung der Identität von Geschäftssitz und vertragsbetreuender Niederlassung. Probleme können vor allem entstehen, wenn es keine Haupt- oder Zweigniederlassung gibt. Dann wird die Lokalität, von welcher aus der HV ohne anderweitigen Sitz seine Arbeit zu leisten hat794 maßgeblich, notfalls der Vertriebsort. An den Wohnsitz des HV795 ist regelmäßig nicht anzuknüpfen; grds. auch nicht an das – 111 hiervon etwa verschiedene – Land, in dem er tätig werden soll. Denn besonders der ohnehin ohne Bezug zum Vertrag gewählte Wohnsitz kann sich leicht ändern; außerdem wird die Tätigkeit des HV dem Unternehmer gegenüber am Ort der Niederlassung zentral erfasst, gesichtet und weitergegeben. Dort hat sie ihren Mittelpunkt. Bei einer natürlichen Person als HV kann jedoch deren gewöhnlicher Aufenthaltsort und notfalls ihr Wohnsitz als vermutetes Hilfskriterium zur Bestimmung der vertragsbetreuenden Niederlassung dienen.796 Eine unmittelbare An789 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 31. 790 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 27. 791 BGH, Urt. v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, NJW 1995, 2753; v. 11.2.1988 – I ZR 201/86, NJW 1988, 1466 (1467); BGHZ 53, 332; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.7.2008 – 2 W 59/06, BeckRS 2009, 04459; v. 31.7.2008 – 2 W 60/06, BeckRS 2009, 19731; RIW 1995, 55; OLG Koblenz RIW 1996, 152 = EWiR 1996, 305; OLG Schleswig RIW 1989, 308; Hagemeister RIW 2006, 498 (499); Beitzke DB 1958, 225; Kocher RIW 2003, 512 (513); Eberl RIW 2002, 305; Freitag/ Leible RIW 2001, 287 (288); Ankele DB 1989, 2213; Ebenroth RIW 1984, 167; Kindler RIW 1987, 663 (664); Sura DB 1981, 1271; Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 145; Hopt § 92c Rn 2; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 108; aA wohl Beitzke DB 1961, 530, jedenfalls für drei von ihm als signifikant herausgestellte Fallgruppen. 792 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 145 f. 793 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 145. 794 So noch Ebenroth/Löwisch2 § 92c Rn 9 zu dem früher geltenden EGBGB. 795 Sturm FS Wahl S. 220 – für den Vertragshändler. 796 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 146. 971

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knüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt ist dagegen versperrt, da nur Art. 4 Abs. 2 S. 1 EVÜ, 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB dieses Kriterium verwenden und – ausweislich des Umkehrschlusses aus Art. 4 Abs. 2 S. 2 EVÜ, 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB – nur für nichtprofessionell Agierende.797 112 Liegen Sitz, Tätigkeitsgebiet und gewerbliche Niederlassung des HV in ein und demselben Staat, ist das Recht dieses Staates auf den Vertrag anwendbar. Es greift die Vermutung des Art. 28 Abs. 2 EGBGB. Früher war unter Abs. 1 umstritten, wie zu verfahren war, wenn Tätigkeitsgebiet und Niederlassung in verschiedenen Staaten lagen.798 So wurde vertreten, das anwendbare Recht bestimme sich immer nach dem Tätigkeitsort (Vertriebsort), nicht dem Recht am Ort der maßgeblichen Niederlassung.799 Dieser Streit lebt heute unter dem Dach der Ausweichklausel des Art. 28 Abs. 5 EGBGB mit der Frage fort, ob über diese Ausweichklausel engere Verbindungen zum Tätigkeitsgebiet bestehen. Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich so, als werde bereits die vertragscharakteristische Leistung im Tätigkeitsgebiet erbracht, so dass dessen Recht anwendbar wäre.800 Davon konnte man allerdings lediglich zu einer Zeit ausgehen, als das Fehlen moderner Kommunikationsmittel eine Verrichtung „vor Ort“ erzwang. Heute ist diese Diagnose zweifelhafter. Denn selbst wenn der Vertriebsort in einem anderen Staat als die Niederlassung des HV liegt, wird der Mittler unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel (Telefon, Briefe, Fernkopie, E-Mail) den überwiegenden Teil seiner Vertragspflichten vom Ort der Niederlassung aus erfüllen.801 Das gilt insb. für die administritativen Tätigkeiten.802 Schließlich reist der durchschnittliche HV nur den kleinsten Teil seiner Zeit, wobei hier jedoch der Einzelfall entscheidend bleibt. Noch eindeutiger ist dieser Befund bei stationären Vertretern ohne Reisetätigkeit,803 etwa Tankstellenpächtern oder Lotto-Repräsentanten. Regelmäßig ist daher die Vermutung des Art. 28 Abs. 2 EGBGB zutreffend, nach der der HV seine Tätigkeit vom Ort seiner Niederlassung aus organisiert und koordiniert.804 Die Niederlassung des HV ist deshalb auch der Anknüpfungspunkt für den Fall, dass mehrere Länder bearbeitet werden müssen.805 Das gilt auch unter der Ausweichklausel des Abs. 5. Für die Regelanknüpfung gem. Art. 4 Abs. 2 S. 2 EVÜ, 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB bleibt es damit 113 unerheblich, in wie vielen Staaten der HV arbeitet oder wie sich bei Tätigkeit in mehreren Staaten die Anteile auf die einzelnen Staaten verteilen.806 Denn diese Normen heben nicht auf den tatsächlichen Tätigkeitsort oder sonstige Varianten eines faktisch geprägten Erfüllungsortes ab. Vielmehr bemühen sie sich um ein einfach zu bestimmendes Anknüpfungsmerkmal in Form eines fixierten persönlichen Merkmals des Schuldners der charakteristischen Leistung, des HV.807 Es kommt für die Regelanknüpfung nicht darauf an, welche Märkte bearbeitet werden und wo tatsächlich Tätigkeiten entfaltet werden.808 Eine gegenteilige Ansicht würde zu einer nicht wünschenswerten Zersplitterung der Rechtsanwendung führen.

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Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 146. Siehe MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 111. Nachweise bei Ebenroth RIW 1984, 165 (166). So Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3c. MünchKommBGB/Martiny Art. 28 EGBGB Rn 158; Westphal I Rn 26. Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 25 f. (Vertragshändler). Vgl. Schürr in: Küstner/Thume I5 Kap. I Rn 32; Westphal I Rn 62. Birk ZVglRWi 79 (1980), 268 (282); Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 28; Hopt § 92c Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 113; Kindler RIW 1987, 660 (664); Reithmann/Martiny Rn 1411; Sura DB 1981, 1269 (1271). 805 So schon der BGH IPRsp. 1962/63 Nr. 41, S. 107 (109) (wenngleich dort zunächst nur mit der Feststellung, dass das Berufungsgericht den Schwerpunkt in einer für die Revision unangreifbaren, aber auch nicht zu beanstandenden Weise auf die Niederlassung des HV gelegt habe). 806 OLG Koblenz, Urt. v. 19.10.1995, RIW 1996, 151 = DB 1995, 2472; Kindler Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters im deutsch-italienischen Wirtschaftsverkehr, 1987, S. 164–167; Kindler RIW 1987, 660 (664); Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (146). 807 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (147). 808 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (147). Emde

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Mangels Rechtswahl gilt folglich für den Vertrag eines ausländischen Unternehmers mit 114 einem inländischen HV i. d. R. deutsches Recht, weil er überwiegend im Inland, also von der inländischen Niederlassung aus, erfüllt wird.809 Ist der Vertrag in Gänze von der ausländischen Niederlassung des HV aus zu erbringen, gilt ausländisches Recht.810 Danach gilt für den ausländischen HV eines in- oder ausländischen Unternehmers regelmäßig ausländisches Recht.811 Beispiel: Der deutsche HV eines amerikanischen Unternehmers soll in Russland tätig werden, und zwar von seiner Zweigniederlassung in St. Petersburg aus.812 Nach deutschem IPR gilt russisches Recht. Gerade bei Tätigkeiten in mehreren Staaten gewinnt die Regelanknüpfung die Ober- 115 hand.813 Verpflichtet sich der HV durch einheitlichen Vertrag zum Vertrieb in mehreren Staaten, bleibt es folglich bei der Vermutung des Abs. 2, nach der die das Recht der (Haupt-)Niederlassung des Mittlers814 und nicht des Tätigkeitsgebietes, maßgeblich ist. Das gilt selbst dann, wenn Zweigniederlassungen in verschiedenen Staaten beteiligt sind.815 Denn ein einheitlicher Vertrag sollte nicht mehreren Rechten unterliegen.816 Verfügt der HV über keinen eigenen Geschäftssitz oder keine Niederlassung, z. B. weil er vom Unternehmer erst in ein anderes Land gesandt wird, ist auf das Recht des Vertriebsortes als Schwerpunkt der Tätigkeit817 (Umsatz, hilfsweise Gebietsausdehnung), und nicht analog Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB auf den Ort der Niederlassung des Unternehmers, abzustellen.818 Wird dem HV nur ein weiteres kleines ausländisches Vertriebsgebiet als Annex zur Tätigkeit in Deutschland zugewiesen, bleibt es bei der Anwendbarkeit deutschen Rechts.819 Kommt ein Vertrag zwischen ausländischem Unternehmer und ausländischem HV in Deutschland vor Gericht, etwa bei passiver Streitgenossenschaft mit inländischem Beklagten, sofern nach Art. 3 Abs. 2 EuGVVO zulässig, gilt ausländisches Recht ohne Sonderanknüpfung deutscher zwingender Vorschriften.820 Art. 4 Abs. 2 S. 2 EVÜ, 28 Abs. 2 S. 2EGBGB bestimmen die Maßgeblichkeit des Niederlas- 116 sungsorts heute mit klaren Worten als Regelfall. Diese Regelanknüpfung begründet eine widerlegliche Vermutung.821 Der Gegenbeweis steht über die Ausweichklausel des Art. 28 Abs. 5 EGBGB offen. Es kann aber auch über die Ausweichklausel nur selten angenommen werden, der Tätigkeits- oder Vertriebsort822 sei maßgeblich, etwa wenn jener den Vertrieb entscheidend prägt.823 War der HV zuvor Angestellter des Unternehmers, in Deutschland ansässig und 809 BGH NJW 1993, 2753 = IPRax 1994, 115 m. Anm. Geimer 82 = RIW 1993, 846 = ZZP 107 (1994), 211 m. Anm. Leipold = EWiR 1993, 877 (Otte); BGHZ 53, 332; OLG Koblenz IPRspr. 1992 Nr. 72 = IPRax 1994, 46 m. Aufsatz Schurig 27; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.7.2008 – 2 W 59/06, BeckRS 2009, 04459; 2 W 60/06, BeckRS 2009, 19731; Hopt § 92c Rn 8; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 123. 810 Hopt § 92c Rn 9; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. 2010, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 123. 811 Hopt § 92c Rn 4. 812 Hopt § 92c Rn 9. 813 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (147). 814 OLG Koblenz RIW 1996, 151 = EWiR 1996, 305 (Otte); Sura DB 1981, 1271; Kindler RIW 1987, 664; Kränzlin ZVglRWiss. 83 (1984), 277 f.; Palandt/Thorn Art. 28 EGBGB Rn 15; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 25 (Vertragshändler); Soergel/v. Hoffmann Art. 28 EGBGB Rn 259; aA Birk ZVglRWiss. 79 (1980), 282. 815 AA Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (147); Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 25 (Vertragshändler). 816 Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 26; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 111. 817 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.7.2008 – 2 W 60/06, BeckRS 2009, 19731: die in Deutschland erbrachten Leistungen stellen die vertragscharakteristischen Leistung dar. 818 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 29. AA Ebenroth RIW 1984, 167; Hopt § 92c Rn 3. 819 Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3d. 820 Hopt § 92c Rn 7. 821 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (147); Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 111. 822 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (147). 823 Kocher RIW 2003, 512 (513). 973

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tätig, deutscher Staatsangehöriger und der Vertrag wurde in Deutschland in deutscher Sprache nach Entwurf eines deutschen Juristen geschlossen und wird die Provision zum Teil in Deutschland gezahlt, soll die Regelanknüpfung des Abs. 2 widerlegt und deutsches Recht anwendbar sein.824 Kein Argument für das Abstellen auf den Tätigkeitsort ist das unter Rn 73 ff., näher erörterte Urteil des EuGH v. 9.11.2000.825 Zwar hat der EuGH dort ausgesprochen, der Ausgleichsanspruch sei bei Tätigkeit des HV innerhalb der EU zwingend und hat nicht auf die Niederlassung des HV abgestellt.826 Diese europarechtliche Entscheidung ändert aber nichts daran, dass das anwendbare Recht weiterhin gem. Art. 28 EGBGB nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit bestimmt wird, und die liegt vermutungsweise am Sitz des HV. Der Beweis für einen hiervon abweichenden Ausnahmefall obliegt demjenigen, der sich auf ihn beruft. Mangels Gegenbeweises maßgeblich ist also der Ort der Haupt- oder Zweigniederlassung des Mittlers, sofern seine Tätigkeit von dort aus koordiniert wird.827 Das bisher Erörterte bezog sich auf das Vertragsstatut des HV-Vertrags. Ein Sonderproblem 117 ist das des Wirkungsstatuts, wenn ein HV durch Überschreitung seiner Vollmacht abgeschlossen hat, und der Konvaleszierbarkeit solcher Abschlüsse, wie sie im HGB in § 91a durch Sonderregeln geordnet ist. Siehe dazu die Entscheidung OLG Hamburg DB 1959, 1396 m. w. N.

118 c) Der Vertragshändler im Außenhandel. In manchen Beziehungen ein Sonderfall ist der Vertragshändler im Außenhandel, und zwar sowohl derjenige, der für seinen deutschen Hersteller im Ausland, wie derjenige, der für einen ausländischen Hersteller im Inland tätig wird. Das beginnt für diejenigen Vertragshändlerbeziehungen, die im EU-Raum spielen, bereits mit den Wettbewerbsvorschriften des EU-Kartellrechts (Art. 101 AEUV, s. Vor § 84). Im Übrigen zeigt der Vertragshändler im Außenhandel schon rechtstatsächlich ein eigenes Erscheinungsbild. Im Verhältnis zum Hersteller hat er oft ein unverkennbar größeres Eigengewicht. Der Hersteller, der auf einem Markt im fremden Land Fuß fassen will und der die dortige Marktsituation nicht kennt, wird sich weniger oft entschließen, den Vertrieb durch HV zu organisieren. Dazu sind auf dem ungewohnten Terrain nicht nur die Risiken zu groß (namentlich das Kreditrisiko und die Unwägbarkeiten der rechtlichen Durchsetzung von Ansprüchen), sondern auch die zollrechtlichen Bedingungen nachteilig (zu verzollen ist der Warenwert nach dem vom Abnehmer zu zahlenden Endpreis einschließlich der Provision). In beiden Beziehungen ist die Einschaltung eines Vertragshändlers im ausländischen Vertriebsstaat günstiger, da dieser das ihm besser vertraute Absatzrisiko einschließlich des Kreditrisikos trägt und der Zollsatz sich nach dem ihm selbst in Rechnung gestellten Einstandspreis richtet. Der Hersteller ist deshalb an einer Verbindung mit einem seriösen und kapitalkräftigen Vertragshändler im ausländischen Absatzgebiet in besonderem Maße interessiert. Einen solchen für die Durchsetzung der „Marke“ auf dem ausländischen Markt zu gewinnen, erfordert Umsicht und Geschick; ist das gelungen, muss dem ausländischen Vertragshändler in der Regel der Aufbau des Vertriebsnetzes in dem ihm zum Alleinvertrieb zuzuweisenden ausländischen Staatsgebiet in eigener Regie übertragen werden. Ihm wächst dadurch ein Teil der sonst dem Hersteller vorbehaltenen Entschließungen auf dem Gebiet der Vertriebspolitik zu; in gleichem Maße verringert sich seine Weisungsgebundenheit. Für den Hersteller ist er nicht in gleichem Maße ersetzbar wie der inländische Vertragshändler. Seine Stellung gegenüber dem Hersteller ist daher stärker; er wird bessere Bedingungen durch-

824 Hopt § 92c Rn 5. 825 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – C-381/98, VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974. 826 Kocher RIW 2003, 512 (514). 827 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 111. Emde

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setzen können und nicht so leicht die Kündigung des Vertrages zu befürchten haben.828 Das ändert sich allerdings oft, sobald die Marke des Herstellers am Vertriebsort etabliert ist. Eine Übersetzungspflicht des deutschen Unternehmers, derzufolge der deutsche Unternehmer seinem ausländischen Vertragshändler den Vertrag zu übersetzen hätte oder vice versa, besteht ebenso wenig wie in anderen Mittlerverträgen. Allerdings dürfte eine Übersetzungsobliegenheit des Empfängers bestehen, da er sich anderenfalls nicht vertragstreu verhalten kann.829 Die stärkere Stellung eines solchen Mittlers wirkt sich namentlich in der Frage nach dem 119 Vertragsstatut des Vertragshändlervertrages aus. Die Rspr. war zunächst wenig ergiebig. Die Entscheidung BGHZ 57, 72 (76) beschied das Problem nicht, sondern wich ihm aus, wobei auch noch das Vertragsstatut des Vertragshändlervertrages mit dem des damals zur Entscheidung stehenden Einzelgeschäfts durcheinandergebracht wurde; nur im Ergebnis deckte sie sich mit der unten vertretenen Anknüpfung an den Niederlassungsort. Das RG hat in JW 1929, 1291 den Geschäftssitz des Herstellers als den maßgebenden Anknüpfungspunkt unterstellt; dass solches dort geschehen ist, ohne ein Wort der Begründung hierüber zu verlieren, hat die Schriftleitung in einer Anmerkung mit Recht kritisiert. Das LG Freiburg i. Br. IPRsp. 1966/67, Nr. 34 A, S. 111, 114, 115 hat sich die Soergel/Siebert/Kegel’sche Deutung vom Hersteller als der „stärkeren Partei“ zu Eigen gemacht und dessen Geschäftssitz als den maßgeblichen Anknüpfungspunkt angesehen; allerdings kam eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung hinzu. Lediglich die Entscheidung des LG Wuppertal IPRsp. 1962/63, Nr. 42 S. 110 geht – freilich ohne nähere Befassung mit dem Problem – davon aus, dass das Vertragsstatut sich im hypothetischen Parteiwillen nach der Niederlassung des Vertragshändlers zu bestimmen habe. Sofern das anwendbare Recht nicht durch ausdrückliche oder stillschweigende Bestim- 120 mung der Parteien festliegt – die stillschweigende Bestimmung wird in der Regel auch hier aus der Festsetzung des Gerichtsstandes zu schließen sein: „qui eligit iudicem, eligit ius“830 und es gelten ferner die Maßstäbe zur stillschweigenden Rechtswahl (s. o. zur Rom I-VO und unten) – ist das anwendbare Recht nach Art. 28 EGBGB zu bestimmen.831 Dafür wiederum ist maßgebend, wo der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses belegen ist. Auch bei Vertragshändler- oder Franchiseverträgen erbringt der Vertriebsmittler die charakteristische Leistung.832 Daher ist für das Vertragshändlerrecht im Zweifel das Recht des Staates anwendbar, in welchem der Vertragshändler den Sitz seiner Hauptniederlassung hat.833 Insoweit gilt nichts anderes als für den HVVertrag. Eine abweichende Meinung befürwortet dagegen die Anknüpfung an das Tätigkeitsgebiet des Vertragshändlers.834 Diese Meinung kann auf die Ausweichklausel des Art. 28 Abs. 5 EGBGB gestützt werden, wenn ausnahmsweise der Niederlassungsort des Alleinvertriebshändlers und dessen Tätigkeitsgebiet in verschiedenen Staaten liegen. Eine dritte Ansicht will das

828 Zu diesen Fragen: P. Ulmer S. 179 ff., 182; zurückhaltend und mehr für eine individuelle Gewichtung des Stärkeverhältnisses: Sturm S. 218, 228. 829 MünchKommBGB/Spellenberg Art. 10 Rn 83; für eine Übersetzungspflicht des deutschen Vertragshändlers gegenüber seinem niederländischen Lieferanten auf Grund der Natur des Vertrages Schurig IPRax 1994, 32; aA OLG Koblenz IPRax 1994, 46. 830 BGH NJW 1969, 1760 (1761); std. Rspr. 831 OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.2013 – I-16 U 172/12, IHR 2014, 163 = BeckRS 2013, 13370. 832 OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.2013 – I-16 U 172/12, IHR 2014, 163 = BeckRS 2013, 13370; Flohr/Wauschkuhn/ Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 24. 833 BGH, Urt. v. 21.1.1993, NJW-RR 1993, 741; OLG Düsseldorf RIW 1993, 761 = DB 1997, 326 = EWiR 1996, 843; OLG Koblenz, Urt. v. 16.1.1992, RIW 1992, 1020; Kindler RIW 1987, 664 f.; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 4 Rom I-VO Rn 24; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2300; Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1041 f.; Sturm S. 232, der das Statutproblem für den Vertragshändler am eingehendsten untersucht hat; Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 153; Ebenroth RIW 1984, 169; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 58. 834 OLG Hamburg, Urt. v. 9.7.1976, IPRspr. 1976, Nr. 125 b, S. 368 (369); LG München I, Urt. v. 24.5.1982, IPRspr. 1982, Nr. 141, S. 344 (345) = IPRax 1983, 44 (45). 975

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Recht am Niederlassungsort des Lieferanten anwenden.835 Sie verwechselt jedoch den Vertriebsvertrag mit den Einzelverträgen. Im Rahmen des Vertriebsvertrags steht die Tätigkeit des Vertragshändlers deutlich im Vordergrund; Nicht nur der ausländische Vertragshändler erbringt mit der Vertriebspflicht sowie der Pflege der „Marke“ durch Werbung, Lagerhaltung und Kundendienst die eindeutig „vertragstypische Leistung“.836 Die vorgenannten Leistungen werden aber am Ort der Niederlassung des Vertragshändlers erbracht. Das soll auch gelten, wenn keine Absatzförderungspflicht des Vertragshändlers vereinbart sein sollte.837 Die Gegenleistung des Herstellers tritt demgegenüber in ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Kontur zurück; sie liegt in der Gewährung der Möglichkeit, den good will der Marke im Vertragsgebiet durch Vertrieb in einem eigenen Vertriebsnetz zu nutzen, und meist (nur) noch in der Einräumung einer günstigen Handelsspanne. Ganz sicher kann der Schwerpunkt der Unternehmensleistung vor dem Wortlaut des Art. 27 EGBGB nicht damit begründet werden, der Unternehmer sei gegenüber dem (ausländischen) Vertragshändler die „stärkere Partei“, die deshalb im Sinne des hypothetischen Parteiwillens das günstigere heimatliche Statut beim Aushandeln des Vertrages würde durchgesetzt haben können. Wäre schon jene Gleichsetzung des HV mit einem inländischen Vertragshändler problematisch, so trifft sie für den ausländischen Vertragshändler vollends in solcher Allgemeinheit nicht zu. Auf die infolge der separaten (Einzel)Kaufverträge erbrachten Leistungen des Unternehmers darf bei der Schwerpunktsuche nicht abgestellt werden.838 Die Notwendigkeit des Gleichlaufs zwischen der Sachmängelgewähr des Vertragshändlers gegenüber seinem Kunden und seinen eigenen Gewährleistungsansprüchen gegenüber dem Hersteller kann deshalb den Schwerpunkt nicht auf das Recht der Niederlassung des Vertragshändlers legen, weshalb nicht im „Adhäsionswege“ das Vertragsstatut des Vertragshändlervertrages dem der einzelnen Kaufverträge entnommen wird, welche der Vertragshändler mit dem Unternehmer abschließt.839 Für die in Vollziehung des Vertragshändlervertrages geschlossenen Kaufverträge ist als Ort der vertragscharakteristischen Leistung auf den Leistungsort abzustellen, der zumeist beim Unternehmer liegen wird.840 Ein Vertragshändlervertrag ist kein Kaufvertrag im Sinne des UN-Kaufrechts.841 Auch im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts beurteilen sich die Auswirkungen der Unwirksamkeit oder der Kündigung eines Vertriebsvertrages auf einzelne Kaufverträge nach nationalem Recht.842

2. Wahl des Vertragsstatuts 121 a) Zulässige Rechtswahl. Haben die Parteien das anwendbare Recht gewählt, unterliegt der Vertriebsvertrag diesem Recht. Gem. Art. 27 Abs. 1 EGBGB kann die Rechtswahl ausdrücklich 835 RG, Urt. v. 8.1.1929, IPRspr. 1929, Nr. 34, S. 53 = JW 1929, 1291 (1292); LG Freiburg, Urt. v. 6.12.1966, IPRspr. 1966/67 Nr. 34 A, S. 109 (114 f.). 836 Sturm S. 217, 223. 837 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2300. 838 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.7.1996 – 6 U 152/95, NJW-RR 1997, 822 = RIW 1996, 958 (959) = EWiR 1996, 843 (Schlechtriem); Reithmann/Martiny/Dutta 7. Aufl., Rn 2110; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2292; Krümmel in: Giesler/Nauschütt S. 1096; Martinek/Manderla in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 22 Rn 30; Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1041; Hopt § 92c Rn 2; aA OLG München, Urt. v. 22.9.1995, RIW 1996, 1035 mit ablehnender Anm. Klima. 839 Sturm S. 225. 840 Vogels in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 154. 841 BGH NJW 1997, 3304; 1997, 3309; OLG Hamburg, Urt. v. 5.10.1998, IPRspr. 1998, 34; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 822; OLG München RIW 1996, 1035 m. Anm. Klima; OLG Hamburg IHR 1999, 37 = IPRspr. 1998 Nr. 34; Schiedsgericht der Handelskammer Hamburg NJW 1996, 3229; Piltz NJW 2003, 2058; NJW 2000, 553 (555); Ferrari Eur. L. Forum 2000/1, 7 ff.; Thiele IHR 2002, 10 ff.; Magnus ZEuP 2002, 528 f.; Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl., Rn 2292. 842 Piltz NJW 2000, 553 (556). Emde

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oder stillschweigend und auch nach Abschluss des Vertrages (Art. 27 Abs. 2 EGBGB)843 erfolgen.844 Die Rechtswahl ist auch bei Vertriebsverträgen zulässig.845 So darf etwa für den Auslandsvertreter eines deutschen Unternehmers die Geltung deutschen Rechts vereinbart werden.846 Mit der Rechtswahl werden auch die zwingenden Vorschriften des jeweiligen Rechts gewählt (Ausnahme: § 92c).847 Die Prorogation setzt jedoch voraus, dass die Parteien Erklärungsbewusstsein besitzen, weshalb eine ohne ein solches Bewusstsein erfolgte Handlung, etwa die irrtümliche Nennung deutscher Normen im Vertrag, nicht ausreicht, um eine – dann wohl stillschweigende – Wahl deutschen Rechts zu unterstellen.848 Die Parteien können ein einmal gewähltes Recht jederzeit wieder ändern, Art. 27 Abs. 2 EGBGB.849

aa) Ausdrückliche Rechtswahl. Siehe zunächst oben, zur Rom I-VO. Was ausdrücklich meint, 122 braucht kaum erläutert zu werden. Eine ausdrückliche Rechtswahl kann auch mündlich erfolgen (Problem: Beweisbarkeit850). Art. 27 Abs. 1 EGBGB zeigt, dass die Rechtswahl nicht formbedürftig ist. bb) Stillschweigende Rechtswahl. Fehlt es an einer ausdrücklichen Rechtswahl, ist zu prü- 123 fen, ob sich eine Rechtswahl „mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergibt (Art. 27 Abs. 1 S. 1 EGBGB: konkludente Rechtswahl). Das gleiche Ergebnis kann auch Art. 28 Abs. 5 EGBGB entnommen werden, nach dem die Vermutungen der Abs. 2, 3 und 4 nicht gelten, wenn sich aus der Gesamtheit aller Umstände ergibt, dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist.851 Zu den maßgeblichen Indizien s. o., zur Rom I-VO.

b) Grenzen der Rechtswahl. Das Schutzbedürfnis des HV und die regelmäßig stärkere Stel- 124 lung des Unternehmers sind miteinander in Einklang zu bringen.852 Siehe dazu auch die Kommentierung oben zur Rom I-VO, insb. zu den §§ 305 ff. BGB, Artt. 3 Abs. 3, 4 sowie Art. 9 Rom IVO. Die Grenzen der Rechtswahlmöglichkeiten staffeln sich wie folgt: aa) Art. 6 EGBGB – „Ordre public“. Siehe hierzu oben, zu Art. 21 Rom I-VO.

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bb) Art. 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB. Individualvertraglich dürfen sich die Parteien grds. entschlie- 126 ßen, nur einen Teil des Vertriebsvertrages einer bestimmten Rechtsordnung zuweisen, einen 843 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 50; Schlegelberger/Schröder § 92c Rn 3a. 844 Siehe etwa Mankowski MDR 2002, 1352 (1353). 845 Bericht über die Anwendung von Art. 17 der Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, KOM (96) 364 endg, S. 12; Mankowski in: Hopt/ Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 144. 846 OLG Schleswig, Urt. v. 29.7.1988 – 14 U 251/87, RIW 1989, 308 f.; Hopt § 92c Rn 5. 847 Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1034. 848 OLG Köln NJW 1987, 1151 (1152); MünchKomm. BGB/Martiny Art. 27 EGBGB Rn 49; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 6. 849 BGH, Urt. v. 12.12.1990 – VIII ZR 332/89, NJW 1991, 1292 (1293) = WM 1991, 464 ff.; OLG Hamm, Urt. v. 30.7.1993 – 10 U 174/92, RIW 1993, 940; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 6. 850 Ganz besonders in Rechtsordnungen, die insoweit keinen Zeugen-, sondern nur Urkundsbeweis zulassen. Das kann bedeutsam werden, wenn der HV am Sitz des ausländischen Unternehmers klagen muss. 851 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 30. 852 Siehe bereits Emde MDR 2002, 190 ff. 977

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anderen Teil hingegen einer anderen (Art. 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB). Dazu und zu den Grenzen der Rechtsspaltung, s. oben zu Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO.

127 cc) Art. 27 Abs. 3 EGBGB. Wenngleich das gewählte Recht grds. keinen objektiven Bezug zum Sachverhalt einnehmen muss,853 setzt Art. 27 Abs. 3 EGBGB eine Grenze der Rechtswahlbefugnis auch bei Vertriebsverträgen. Art. 27 Abs. 3 EGBGB schützt nicht nur einheitliches EU-Recht, sondern ebenso deutsches Partikularrecht: Ist der Sachverhalt nur mit einem Recht verbunden, so kann durch die Wahl eines fremden Rechts nicht von den zwingenden Vorschriften des allein verbundenen Rechtes abgewichen werden. Folglich schließt Art. 27 Abs. 3 EGBGB bei reinen Inlandsverträgen die Wahl eines ausländischen Rechts aus, soweit zwingende Regeln deutschen Rechts, etwa der Ausgleich,854 abbedungen werden. Eine solche Derogation ist allein bei Auslandsbezug (etwa: ausländischer Vertriebsort, ausländische Niederlassung oder ausländischer Vertragspartner) zulässig.855 Denkbar ist auch die Anwendung zwingender Vorschriften des ausländischen Rechts, wenn der Sachverhalt nur mit ausländischem Recht verbunden ist, jedoch deutsches Recht gewählt wurde.856 128 Nur für die Abwahl des zwingenden (HV-)Rechts ist nach dem Wortlaut der Norm Auslandsbezug des Vertrages Voraussetzung (Art. 27 Abs. 3 EGBGB).857 Auch wenn Art. 27 Abs. 3 EGBGB damit scheinbar Raum für die Abwahl nicht zwingender Bestandteile des HV-Rechts lässt, kann eine solche Abwahl an der kombinierten Anwendung der Artt. 27 Abs. 3, 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB oder § 139 BGB scheitern, wenn die Abwahl deutschen Rechts einheitlich alle Vorschriften der §§ 84 ff. derogiert und den Vertrag vollständig fremden Recht unterstellt: Die Derogation der §§ 84 ff. wählt immer auch deren zwingende Bestimmungen ab. Bei fehlendem Auslandsbezug wäre jedoch die Rechtswahl gem. Art. 27 Abs. 3 EGBGB insoweit unzulässig, als zwingende Vorschriften abbedungen werden (s. o.). 129 Weitergehend nimmt eine Mindermeinung an, die gewählte Rechtsordnung müsse – damit die Rechtswahl zulässig sei – in Beziehung zum Vertrag stehen. Erforderlich sei ein anerkennenswertes Sachinteresse an der Rechtswahl.858 Im Falle der Wahl einer sachlich unverbundenen Rechtsordnung bei Verträgen mit Auslandsberührung finde Art. 27 Abs. 3 EGBGB (analog) Anwendung. Den Vertragsparteien müsse die Wahl einer Rechtsordnung versagt sein, zu der keinerlei ersichtliche und durch ihre Interessen gerechtfertigte Verknüpfung bestehe. Begründet wird das Verbot der Wahl einer unverbundenen Rechtsordnung mit Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB, demzufolge das EGBGB nur Anwendung auf Sachverhalte mit Verbindung zum ausländischem Recht finde. Dem ist entgegenzuhalten, dass Art. 27 Abs. 3 EGBGB im Verhältnis zu Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB die speziellere Vorschrift ist.859 Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB definiert nämlich nur allgemein den Gegenstand des Kollisionsrechts. Die Parteien dürfen deshalb auch reine Inlandsverträge, die keinerlei Berührungspunkte zu einer ausländischen Rechtsordnung aufweisen, einem ausländischen Recht unterstellen.860 Ansonsten wäre die Regelung des Art. 27 Abs. 3 EGBGB wenig einsichtig, die bei reinen Inlandsverträgen die zwingenden Bestimmungen des inländi-

853 Mankowski RIW 2003, 2 (4); Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (144).

854 Kocher RIW 2003, 512 (513). 855 AA Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 11; (ohne Begründung) Hopt § 92c Rn 1; richtig Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 14; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 78 f.; Kocher RIW 2003, 512 (513); Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1033. 856 Dau in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Rn 1047. 857 Hermes RIW 1999, 81 (87). 858 Kegel IPR, 7. Aufl. 1995, S. 483 f.; Kindler RIW 1987, 660 (661). 859 Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 14. 860 Meyer-Sparenberg RIW 1989, 347; Palandt/Heldrich Art. 27 EGBGB Rn 3; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 106; aA Kindler RIW 1987, 660 (661). Emde

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schen Rechts unberührt lässt.861 Die Wahl einer unverbundenen Rechtsordnung, etwa eines „neutralen“ Drittrechts, ist häufig ein Kompromiss der Parteien. Zudem ist Art. 27 Abs. 3 EGBGB seinem Wortlaut gemäß nur auf reine Inlandssachverhalte ohne Auslandsberührung anwendbar.862 Die von der Mindermeinung erstrebte analoge Anwendung scheidet wohl aus, weil es an einer Regelungslücke fehlt.863 Bei „europäischer“ Tätigkeit schützt den HV das Urt. des EuGH vom 9.11.2000 (Ingmar, s. o.). Welche weiteren Schutzmechanismen es gibt, wird nachfolgend gezeigt.

dd) Art. 34 EGBGB. Eingeschränkt wird die Rechtswahl auch durch Art. 34 EGBGB. Danach 130 ergreift die Wahl nicht die Anwendung der Bestimmungen des deutschen Rechts, welche auch ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln. Die Vorschrift setzt – wie die Abgrenzung zu Art. 27 Abs. 3 EGBGB zeigt – einen Sachverhalt mit Auslandsberührung voraus.864 Zwingende Normen i. S. d. Art. 34 EGBGB sind Bestimmungen, die beanspruchen, einen Sachverhalt mit Auslandsberührung ohne Rücksicht auf das jeweilige Vertragsstatut zu regeln. Diese Voraussetzung erfüllen nur Vorschriften, die nicht allein dem Schutz und Ausgleich widerstreitender Interessen der Vertragsparteien und damit reinen Individualbelangen dienen, sondern daneben zumindest auch öffentliche Gemeinwohlbelange verfolgen.865 Ähnlich wie beim ordre public spielt neben dem Gerechtigkeitsgehalt der betreffenden Vorschrift der Inlandsbezug des zu entscheidenden Falles eine Rolle. Gemeint sind Evidenzfälle. Insoweit ist die Auffassung vertreten worden, die Bestimmung über den Ausgleichsanspruch des § 89b stelle einen solchen Bestandteil des deutschen ordre public dar; dieser Anspruch könne also zu Lasten eines in Deutschland tätigen HV oder HV-ähnlichen Mittlers nicht, auch nicht durch Maßgeblicherklärung eines ausländischen Rechts, ausgeschlossen werden.866 Zum Teil wird die Rechtswahl für unzulässig gehalten, falls bei einem grenzüberschreitenden Vertriebsvertrag eine dritte Rechtsordnung gewählt wird, um Ausgleichsansprüche auszuschließen.867 Tatsächlich durfte man bislang Zweifel haben, ob die zwingenden Vorschriften des HVRechts den Gerechtigkeitsgehalt haben, um sie als Eingriffsnormen i. S. d. Art. 34 EGBGB zu qualifizieren.868 Hiergegen sprach neben der Tatsache, dass das deutsche Recht den Ausgleich erst seit 1953 kennt, insb. § 92c, der bei außereuropäischer Tätigkeit des HV die Abwahl der sonst unabdingbaren Vorschriften zulässt, was sie kaum als absolut zwingend auswies. Auch der Rückschluss aus Art. 27 Abs. 3 EGBGB war Argument gegen die Einordnung der zwingenden Bestimmungen des HV-Rechts als Eingriffsnormen i. S. d. Art. 34 EGBGB. Folglich ließ die h. A. vor dem Urteil des EuGH sogar gegenüber dem außerhalb Deutschlands aber innerhalb der EU tätigen HV die zwingendes Recht derogierende Rechtswahl zu, selbst wenn der Ausgleich auf-

861 Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 14. 862 BT-Drucks. 10/504, 77; OLG München IPRax 1986, 178; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 14; für eine Anwendung dennoch Birk, ZVglRWiss 79 (1980), 268 (280 f.). Hermes RIW 1999, 81 (86). Ebenroth/Lange, 1. Aufl., Anh. § 92c Rn 15. BGH, Urt. v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, NJW 2006, 762. Reich NJW 1994, 2128 (2130 f.); Maier NJW 1958, 1327 (1329); aA BGH NJW 1961, 1061; OLG Frankfurt/M. DB 1960, 1034. 867 Kindler RIW 1987, 660 (661 f.). 868 BGH, Urt. v. 30.1.1961 – VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061 (1062); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 14.6.1960 – 5 U 243/ 59, BB 1960, 836; Beitzke DB 1961, 528 (531); Birk ZVglRWi 79 (1980), 268 (284); Ebenroth RIW 1984, 165; Hepting/ Detzer RIW 1989, 337 (338 f.); Küstner AWD 1966, 65 (66); Sura DB 1981, 1269; Hopt § 92c Rn 10; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 16 f.; MünchKommBGB/Martiny Art. 28 EGBGB Rn 158a; Reithmann/Martiny, Rn 1415; seinerzeit noch Ebenroth/Löwisch1 § 92c Rn 3; aA aber schon früher Reich NJW 1994, 2128 (2130).

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grund der Wahl entfiel.869 Art. 34 EGBGB sei international nicht zwingend, die im EGBGB genannten Einschränkungen abschließend.870 131 Das Ingmar-Urteil des EuGH v. 9.11.2000871 (zu diesem Urt. s. o.) hat jedenfalls die unabdingbaren Vorschriften der RL – aber auch nur den durch sie gewährten Mindeststandard und nicht einen höheren Schutzstandard deutschen oder anderen Rechts872 gegenüber in der EU tätigen, von der RL geschützten Warenvertretern als Art. 34 EGBGB873 vergleichbare Eingriffsnormen definiert. Es konnte diskutiert werden, ob jedenfalls für das auf Basis der RL maßstabsgetreu umgesetzte, zwingende deutsche HV-Recht nach Art. 34 EGBGB nichts anderes gilt als vom EuGH874 für die RL ausgesprochen,875 sofern der Repräsentant innerhalb Deutschlands seine Niederlassung hat, ohne Rechtswahl folglich deutsches Recht gälte. Das entspricht unter der Rom I-VO nun h. M. (s. o.). Etwas weitergehend wäre es auch denkbar, § 92c als Eingriffsnorm i. S. d. Art. 34 EGBGB auszulegen: Gegenüber einem innerhalb der EU oder des EWR tätigen Mittler dürften die zwingenden Regeln des EU- wie des deutschen HV-Rechts schon nach § 92c nicht derogiert werden. So entstände ein Konzept, zusammengesetzt aus deutschem und EURecht. Gegenüber dem HV mit deutschem Tätigkeitsort – meist der Ort seiner Niederlassung (s. o.) –, der ohne Rechtswahl deutschem Recht unterstände, dürfen die zwingenden Vorschriften dieses Rechts nicht zugunsten eines Nicht-EU-Rechts abgewählt werden.876 Die nächste Stufe wäre der Schutz durch das Ingmar-Urt. des EuGH vom 9.11.2000. Der innerhalb der Gemeinschaft und des Anwendungsbereichs der RL werbende Mittler könnte den Schutz ihrer zwingenden Vorschriften mittels Rechtswahl nicht verlieren. Ob bezüglich der nicht zwingenden Vorschriften als dispositivem „Restgehalt“ noch sinnvoll derogiert werden kann, würde sich nach den Grundsätzen zur Teilrechtswahl, Art. 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB regeln, wobei meist eine Spaltung des Vertragsstatuts unzulässig sein dürfte (s. o.). Ergänzt werden würde dieser aufeinander aufbauende Schutz durch den der §§ 92c HGB, 305 ff. BGB. Art. 27 Abs. 3 EGBGB würde diesem Schutzmodell nicht unbedingt widersprechen. Zwar erlaubt die Vorschrift im Rückschluss die Derogation zwingenden Rechts bei Auslandsbezug. Art. 34 EGBGB könnte jedoch als „stärkere Norm“ im Verhältnis zu Art. 27 Abs. 3 EGBGB ebenso vorrangig sein wie der spezielle Schutzgedanken des HV-Rechts. Ein außerhalb der Gemeinschaften werbender HV wäre jedoch nicht geschützt.877 Eine Analogie zu Art. 29a EGBGB878 oder Art. 30 EGBGB (Rn 133) ist hingegen

869 BGH NJW 1961, 1061 (1062); OLG Frankfurt/M. BB 1960, 836; Beitzke DB 1961, 528 (531); Birk ZVglRWi 79 (1980), 268 (284); Ebenroth RIW 1984, 165; Hepting/Detzer RIW 1989, 337 (338 f.); Sura DB 1981, 1269; Hermes RIW 1999, 81 (85); Eberstein9 S. 56. 870 So noch Ebenroth/Lange1 Anh. § 92c Rn 15. 871 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – C-381/98, VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974; ebenso Hopt § 92c Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 7; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 4; kritisch Schwarz ZVglRWiss 101 (02), 45. 872 BGH, Urt. v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, NJW 2006, 762 (764); vgl. hierzu Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, S. 131, 148 ff. 873 Wobei letztlich die autonome Auslegung nach EU-Recht im Vordergrund stand, so dass sich eine Einordnung in das EGBGB verbietet. 874 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – C-381/98, VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974; ebenso Hopt § 92c Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 7; Ensthaler/Genzow § 92c Rn 4; kritisch Schwarz ZVglRWiss 101 (02), 45. 875 Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Handelsvertreterrecht, Rn 70 ff.; aA Mankowski MDR 2002, 1352 (1353). 876 Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Handelsvertreterrecht, Rn 74 zum Ausgleichsanspruch. 877 Bälz NJW 2003, 1559 (1562). 878 So Mankowski MDR 2002, 1352 (1353); Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, S. 131 (149). Emde

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eher fernliegend, weil der HV regelmäßig kein Verbraucher oder Arbeitnehmer879 ist. Eingenommen wird diese, § 92c als Eingriffsnorm definierende Ansicht insb. zum Ausgleichsanspruch, der nach jener Meinungsgruppe gegenüber einem innerhalb der EU oder des EWR tätigen HV durch Rechtswahl eines ausgleichsfeindlichen Rechtes880 wegen der Kernstellung des Ausgleichsrechts881 nicht ausgeschlossen werden darf.882 Das besonders vor dem EuGH-Urteil v. 9.11.2000 angeführte Gegenargument lautet: Sofern der Mittler seinen Tätigkeitsbereich außerhalb Deutschlands führt, fehlt der nach Art. 34 EGBGB erforderliche Inlandsbezug: Sollte der HV innerhalb der EU werben, schützen ihn §§ 89b, 92c sowie die im Ergebnis inhaltsgleichen Aussagen des EuGH, nicht aber Art. 34 EGBGB als allein Evidenzfälle erfassende Schutznorm des deutschen IPR. Das würde in der Sache fast dasselbe Ergebnis bedeuten wie nach der Ansicht, die § 92c als Eingriffsnorm versteht: Denn Umsetzungsfehler weggedacht, sollten sich zwingendes deutsches und europäisches Recht jedenfalls im Bereich des Warenvertriebs weitgehend entsprechen. Außerhalb des Schutzbereiches des EuGH-Urteils fielen aber auch hier nicht von der RL erfasste Mittler, insbesondere Vertragshändler oder Nichtwarenvertreter, sofern man sie wegen der überschießenden Umsetzung der RL im HGB nicht als durch die RL geschützt sehen wollte (s. o.). Zudem hätte die Einordnung zwingenden deutschen Rechts als Eingriffsnorm Bedeutung, wenn es um einen Konfliktfall zwischen zwei EU-Rechten geht. Eventuelle Schutznormen des Tätigkeitsstaates zu Gunsten des HV sind grds. nicht an- 132 wendbar, sofern das Recht des Tätigkeitsstaates nicht lex causae ist.883 Schon gar nicht kann ihre Anwendbarkeit aus Art. 34 EGBGB hergeleitet werden, erst recht nicht, wenn diese Schutznormen keinen Eingang in deutsches Recht gefunden haben. Sie sind auch kein Gegenstand einer Sonderanknüpfung (s. zu Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO).

ee) Art. 30 EGBGB. Nach Art. 30 Abs. 1 EGBGB darf die Rechtswahl der Parteien bei Arbeitsver- 133 trägen und Arbeitsverhältnissen nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch zwingende Bestimmungen des Rechts zustehen würde, welches aufgrund objektiver Anknüpfung nach Art. 30 Abs. 2 EGBGB anzuwenden wäre. HV und HV-ähnliche Mittler sind als selbständige Kaufleute keine Arbeitnehmer. Art. 30 EGBGB ist daher grundsätzlich unanwendbar.884

ff) § 92c. Die Grenze der Rechtswahlbefugnis lässt sich § 92c allenfalls im Wege des Rück- 134 schlusses entnehmen. Dem Wortlaut nach begründet die Vorschrift lediglich ein Recht, nämlich zur Derogation der zwingenden Vorschriften des deutschen HV-Rechts. Wie oben dargestellt, soll § 92c nach h. M. keine kollisionsrechtliche Vorschrift sein.885 135 § 92c enthalte keine Regelung des anwendbaren Rechts und sei nur anwendbar, falls die Geltung deutschen Rechts feststehe.886 Ob deutsches Recht gilt, ist folglich vorweg nach Artt. 3, 4

879 880 881 882 883 884

Bälz NJW 2003, 1559 (1561). Übersicht über die ausgleichsfeindlichen Länder bei Detzer/Ullrich Rn 342. Maier NJW 1958, 1327 (1328). Reich NJW 1994, 2128 (2130); Maier NJW 1958, 1327 (1329); Martinek Franchising, 1987, S. 659. Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (151). Hopt § 92c Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 7. Für die Anwendbarkeit in seltenen Ausnahmefällen Ebenroth/Kindler2 Anh. § 92c Rn 16. 885 Bälz NJW 2003, 1559; Eberl RIW 2002, 305; Mankowski MDR 2002, 1352; Beitzke DB 1961, 528; Martinek/Lakkis in: Handbuch des Vertriebsrechts3 § 55 Rn 7; MünchKommBGB/Martiny Art. 28 EGBGB Rn 158a; Detzer/Ullrich Rn 352; Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 117; Westphal I Rn 28; Ebenroth/Kindler4 Anh. § 92c Rn 22; Ebenroth/ Löwisch4 § 92c Rn 8; Hopt § 92c Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 6. 886 Bälz NJW 2003, 1559; Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 8. 981

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Rom I-VO; 27, 28 EGBGB sowie den erörterten Rechtswahlgrenzen zu untersuchen.887 Die Gegenansicht, derzufolge der historische Zweck des § 92c die Auslegung als Kollisionsnorm gebiete, weil die Vorschrift ansonsten inhaltsleer bliebe,888 ermöglicht hingegen am Leitbild des § 92c die Kontrolle sowohl individualvertraglicher Rechtswahlklauseln nach § 134 BGB sowie solcher in AGB, letztere nach § 307 BGB (Rn 60). In ihrer Logik liegt es, die Unzulässigkeit der Abwahl jedenfalls zwingenden Rechts gegenüber einem innerhalb der EU oder des EWR tätigen HV auch dem Rückschluss aus § 92c zu entnehmen. Mglw. würde man § 92c sogar als international zwingende Norm nach Art. 9 Rom I-VO ansehen, wobei die Frage entsteht, ob die zwingende Norm i. S. d. Art. 9 Rom I-VO § 89b und nicht § 92c wäre, der nur von den Beschränkungen des § 89b befreit. Für den außerhalb Deutschlands, jedoch innerhalb der EU, tätigen HV gleichen die Ergebnisse dieser Ansicht dem Schutzbereich des Ingmar-Urteils (s. o.), jedenfalls soweit es sich um durch die RL889 geschützte HV handelt. Ob Vertragshändler und FN durch das IngmarUrt. geschützt werden ist jedoch unsicher, so dass die referierte Ansicht insoweit über den Schutz von „Ingmar“ hinausgeht. 136 Die Gegenansicht verweist auf den Normzweck des § 92c: Er erstrebe auch die Wahrung der Interessen der deutschen Exportwirtschaft. Unternehmen, die in einer Vielzahl von Ländern Vertriebsmittler beschäftigten, müssten ihre Verträge innerhalb ihres Vertriebssystems einheitlich nach ausländischem Recht ausgestalten können.890 Wäre es erforderlich, jeweils auf die lokalen Besonderheiten Deutschlands und/oder die zwingenden lokalen Regeln Rücksicht zu nehmen, würde dieser Normzweck unterlaufen.891 Mittels Individualvereinbarung soll daher von zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts, auch vom Ausgleichsanspruch,892 abgewichen werden dürfen. Eine weitere Frage wäre dann, ob im Anwendungsbereich des § 92c, also bei Tätigkeit au137 ßerhalb der EU oder des EWR, mittels AGB die Geltung des deutschen Rechts abbedungen werden kann893 (zur AGB-Prüfung oben, Rn 60 ff.). Dagegen streitet der hohe Gerechtigkeitsgehalt des § 92c, dafür, dass die Norm die Abweichung jedenfalls individualvertraglich gestattet. Teilweise wird unterschieden, ob das Recht am Vertriebsort einen zwingenden Ausgleich kennt (Ausschluss dann unzulässig), oder ob der Ausgleich am Tätigkeitsort dispositiv oder unbekannt ist (Ausschluss zulässig),894 teils wird auch hier die Derogation sowohl dann abgelehnt, wenn das Ortsrecht am Vertriebsort einen zwingenden Vertreterausgleich kennt, wie bei dessen Fehlen.895 Die Anknüpfung an das Auslandsrecht kann das deutsche Recht jedoch nicht determinieren und ist auch wenig praktikabel, weil jeweils das Ortsrecht geprüft werden müsste. Zu überlegen wäre folgende vermittelnde Lösung: Gilt das deutsche Recht kraft Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO oder Art. 28 EGBGB (vertragscharakteristische Leistung, etwa Niederlassung in Deutschland), entspricht die Anwendbarkeit der deutschen zwingenden Vorschriften dem gesetzlichen Leitbild. Mittels AGB darf zumindest nicht von ihrem zwingenden Gehalt abgewichen werden.896 Befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt (Rom I-VO) bzw. der Schwerpunkt der Tätigkeit (EGBGB) außerhalb Deutschlands und wäre deshalb ohne Rechtswahlbestimmung kein deutsches Recht anzuwenden, entspricht die Anwendung deutschen Rechts nicht dem Leitbild. 887 Wauschkuhn/Meese RIW 2002, 301 (302); Eberl RIW 2002, 305; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 6.

888 Kleinschmidt Zur Anwendbarkeit zwingenden Rechts im internationalen Vertragsrecht unter besonderer Berücksichtigung von Absatzmittlerverträgen, Diss. iur. München 1985, S. 201 ff.; hiergegen Hermes RIW 1999, 81 (85). Durch § 92c wird nicht nur der unter die RL fallende Warenvertreter geschützt, sondern jeder HV. Wauschkuhn/Meese RIW 2002, 301 (304); Hagemeister RIW 2006, 498 (500). Hagemeister RIW 2006, 498 (500). Bälz NJW 2003, 1559 (1560). Bejahend: Detzer/Ullrich Rn 136; nur wenn Ortsrecht des Vertriebsortes keinen Ausgleich kennt: Hepting/Detzer RIW 1989, 340 ff.; verneinend Eberl RIW 2002, 305 (307); Ebenroth/Löwisch4 § 92c Rn 28. 894 Häuslschmid in: Reithmann/Martiny, 7. Aufl. Rn 2263 (zum Vertragshändler). 895 Graf v. Westphalen AGB-Klauselwerke, Handelsvertreterrecht, Rn 73. 896 Emde MDR 2002, 190 (200).

889 890 891 892 893

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Auch falls das deutsche Recht nur kraft Rechtswahl gilt (Art. 27 EGBGB), hätten die Parteien gleich ein ausgleichsfeindliches Recht wählen können. Der durch § 92c gewährte Schutz des HV entstand dann erst durch die Wahl deutschen Rechts.897 In dieser Situation fehlt es aus der Warte deutschen Rechts betrachtet an einer unangemessenen Benachteiligung des Mittlers.898 Mithin bleiben für die Unwirksamkeit unter dem EGBGB nur Fälle, in denen der HV von einer deutschen Niederlassung aus einen außereuropäischen Markt bearbeitet, Niederlassungs- und Tätigkeitsort also abweichen. Da regelmäßig von Übereinstimmung zwischen Niederlassungsund Tätigkeitsort auszugehen ist, wird eine Unwirksamkeit nur in Ausnahmefällen anzunehmen sein.899 Ob der HV dann durch die Derogation unangemessen benachteiligt wird, ist eine Folgefrage. Dies wird meist zu vermuten sein. Mit dieser Ansicht wird nicht jede Rechtswahl, gleich bei welchem Vertragstyp, unzulässig, sobald der Sachverhalt nach dem maßgeblichen IPR deutschem Recht unterliegt. Denn innerhalb des HGB ist es in erster Linie das HV-Recht, welches sich durch einen außergewöhnlich hohen Anteil zwingenden Rechts kennzeichnet. Nur in diesem, durch einen hohen Anteil zwingenden Rechts gekennzeichneten Bereich darf durch eine Rechtswahlkausel das zwingende Recht nicht umgangen werden.

VI. Beweislast Die tatsächlichen Umstände, die zur Anwendbarkeit eines bestimmten nationalen Rechts füh- 138 ren, muss darlegen und beweisen, wer sich auf dessen Geltung beruft. Das ausländische Recht ist gem. § 293 ZPO zu ermitteln. Es streitet eine Vermutung für die Geltung des Rechtes der Niederlassung, von der aus die werbende Tätigkeit vorgenommen wird. Derjenige, der sich auf das Gegenteil beruft, muss den Wegfall dieser Vermutung beweisen. Eine Rechtswahl ist von demjenigen zu beweisen, der sie vorträgt. Ist sie bewiesen, muss die Partei, welche sich auf eine Unzulässigkeit der Rechtswahl beruft, jene beweisen.

VII. Darf die Handelsvertreter-Richtlinie als geltendes Recht vereinbart werden? Umstritten ist, ob die Wahl der RL i. S. e. „klassischen“ kollisionsrechtlichen Rechtswahl mög- 139 lich ist (h. M.: Nein) oder nur i. S. e. materiell-rechtlichen Verweisung (h. M.: Ja). Letztere bedeutet: Die RL wird nur Teil des Vertrages. Sie wird in ihn „inkorporiert“.

1. Herrschende Ansicht – nur materiell-rechtliche Inkorporation der RL zulässig Die wohl h. A. ist der Meinung, die RL könne kollisionsrechtlich nicht als geltendes Recht ver- 140 einbart werden.900 Zulässig sei allein die Prorogation staatlichen Rechts. Eine RL bilde kein solches Recht.901 Selbst EU-Richtlinien seien nicht kollisionsrechtlich wählbar, da sie zu ihrer

897 898 899 900

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 92c Rn 16. In diese Richtung Detzer/Ullrich Rn 139 f.; gegen die Differenzierung Mankowski MDR 2002, 1352 (1355). Emde MDR 2002, 190 (200). Mankowski in Magnus/Mankowski (Eds.), Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 262; Calliess/Calliess Rome Regulations Art. 3 Rn 33; Rühl FS Kropholler, 2008, 187 (189 f.); Staudinger/Steinrötter JA 2011, 241 (244) Fn. 51; Palandt/Thorn Rom I 3 Rn 4; Wendland in Beck-onlineGrosskomm, Art. 3 Rom I-VO Rn 1, 66, 75; HK-BGB/Staudinger Rom I Art. 3 Rn 2; MüKoBGB-Martiny, 6. Aufl. 2015, Art. 3 Rom I-VO Rn 28 ff; Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn 40, 56 ff.; Ferrari in Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. 2011, Art. 3 Rom I-VO Rn 18 ff.; BeckOK ArbR/Schönbohm VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn 29; Mankowski IHR 2008, 133 (136); krit. bezüglich der fehlenden Wahlmöglichkeit nichtstaatlichen Rechts Schinkels GPR 2007, 106. 901 Vgl. Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn 40. 983

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Geltung nach Art. 288 Uabs. 3 AEUV einer Umsetzung in nationales Recht bedürften.902 Jene h. M. gelangt aber, indem sie eine materiell-rechtliche Verweisung auf ein nicht-staatliches Regelungswerk akzeptiert, zur „de-facto-Anerkennung“ einer solchen „Rechtswahlklausel“. Die Vertreter dieser h. A. stützen sich in erster Linie auf die Historie der Rom I-VO.903 Die Möglichkeit zur Wahl nichtstaatlichen Rechts sei noch im VO-Entwurf v. 15.12.2005904 vorgesehen und dann gestrichen worden. Lücken sollten durch die Anwendung allg. Grundsätze und das objektiv anwendbare Recht geschlossen werden. Hiergegen wurden jedoch zu viele Bedenken geäußert, so dass der Vorschlag zurückgezogen wurde. Als weiteres Argument gegen eine „echte“ Rechtswahl wird angeführt, Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO setze die Wahl staatlichen Rechts voraus.905 Erwägungsgrund 13906 der Rom I-VO betrifft nach dieser Ansicht keine echte Rechtswahl sondern (nur) eine materiell-rechtliche Verweisung,907 mit der Folge, dass der Aussagegehalt des in Bezug genommenen Regelungswerks zum Vertragsinhalt wird. Dies soll sich noch deutlicher aus den anderen Sprachfassungen des Erwägungsgrunds 13 (insb. englisch: „incorporating by reference into their contract“, französisch: „intégrer par référence dans leur contrat“) ergeben. Möglich bleibe eine Kombination aus materiell- sowie kollisionsrechtlicher Rechtswahl, sofern Letztere staatliche Vorschriften in Bezug nehme.908 Also die Wahl der RL als materiell-rechtlichen Vertragsinhalt i. V. m. der Prorogation einer „darüber stehenden“ Rechtsordnung im Wege einer kollisionsrechtlichen, echten Rechtswahl. Erwägungsgrund 14909 versteht diese h. A. lediglich als Öffnungsklausel, die späteren europäischen Rechtsakten gestattet, ihre kollisionsrechtliche Wählbarkeit selbst anzuordnen.910 Schließlich wird eingewandt, es sei bei Wahl der RL kein gerechter Interessenausgleich gewährleistet und das Normensystem stamme nicht von einer demokratisch legitimierten Institution.911

2. Eigene Auffassung – kollisionsrechtliche Rechtswahl der RL gestattet 141 Was „Recht“ i. S. d. Rom I-VO ist wird dort nicht definiert. Es findet sich in ihrem Art. 2 lediglich eine Negativabgrenzung, nach der das nach dieser VO bezeichnete Recht auch anzuwenden ist, sofern es nicht das Recht eines Mitgliedsstaates ist. Diese weite Negativabgrenzung lässt es denkbar erscheinen, dass auch EU-Recht als anwendbar bezeichnet wird. Art. 3 Abs. 3 Rom IVO regelt, anders als Abs. 1, nicht das grds. Wahlrecht, sondern kennzeichnet einen typischen Beispielfall.912 Vergleichbare Beispiele für andere Fallgestaltungen als die Wahl staatlichen 902 903 904 905

Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn 46. Siehe Mankowski in Magnus/Mankowski, Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 248 ff. KOM(2005) 650 endg. „Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem anderen als demjenigen Staat belegen, dessen Recht gewählt wurde, so berührt die Rechtswahl der Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“. 906 „Diese Verordnung hindert die Parteien nicht daran, in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Regelwerk oder ein internationales Übereinkommen Bezug zu nehmen.“. 907 Leible/Lehmann RIW 2008, 528 (533); Mankowski IHR 2008, 133 (136); HK-BGB/Staudinger Rom I Art. 3 Rn 2; PWW/ Wegen/Brödermann Art 3 Rn 4. 908 HK-BGB/Staudinger Rom I Art. 3 Rn 2; Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn 40. 909 „Sollte die Gemeinschaft in einem geeigneten Rechtsakt Regeln des materiellen Vertragsrechts, einschließlich vertragsrechtlicher Standardbestimmungen, festlegen, so kann in einem solchen Rechtsakt vorgesehen werden, dass die Parteien entscheiden können, diese Regeln anzuwenden.“. 910 Mankowski in Magnus/Mankowski (Eds.), Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 264; Wendland in Beck-onlineGrosskomm, Art. 3 Rom I-VO Rn 17; MüKoBGB-Martiny, 6. Aufl. 2015, Art. 3 Rom I-VO Rn 32. 911 Wendland in Beck-onlineGrosskomm, Art. 3 Rom I-VO Rn 75.5. 912 Vgl. Mankowski in Magnus/Mankowski (Eds.), Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 260, der selbst aber a. A. ist. Emde

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Rechts hätten kaum für eine Vielzahl nichtstaatlicher Regelungswerke gefasst werden können. Der erste Satzteil des Abs. 3 setzt also keine Rechtswahlgrenzen. Insb. verbietet er nicht die Prorogation der RL. Schließlich bildet die Rom I-VO selbst EU-Recht und es wäre erstaunlich, wenn sie als solches die Wahl sonstigen EU-Rechts oder der Rom I-VO ausschließen wollte. Dagegen spricht, dass einen Absatz weiter, in Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO, geregelt wurde, die Wahl des Rechts eines Drittstaates berühre nicht die Anwendung der Bestimmungen des „Gemeinschaftsrechts“ – ggf. in der von dem Mitgliedsstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form. Das „Gemeinschaftsrecht“ wird in Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO also als Unterform und (vorrangiger) Teil des anwendbaren Rechts bezeichnet. Die EU wird dort wie ein Staat behandelt.913 Das Unionsrecht ist sogar unmittelbar anwendbar und nur „gegebenenfalls“ in der von dem Mitgliedsstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form. Folglich bestimmt Erwägungsgrund 13 Rom I-VO, dass die Parteien nicht daran gehindert werden, in ihrem Vertrag auf ein nicht-staatliches Regelwerk oder internationales Übereinkommen Bezug zu nehmen bzw. dieses Recht zu „inkorporieren“ (englische Fassung). Die Rechtswahl ist eine Unterform und stärkste Form der Bezugnahme bzw. der Inkorporation. Mglw. könnte man Erwägungsgrund 14 Rom I-VO im Umkehrschluss entnehmen, dass die Wahl eines Gemeinschaftsrechts nur möglich ist, wenn jenes die Wahlmöglichkeit ausdrücklich vorsieht. Nach Erwägungsgrund 14 Rom I-VO darf in einem Rechtsakt zu dem in der Gemeinschaft zu regelndem materiellen Vertragsrecht festgelegt werden, dass die Parteien entscheiden können, jene Regeln anzuwenden. Abgesehen davon, dass die RL 1986 nicht im Vorwege ein später in Erwägungsgrund 14 der Rom I-VO gegebenes Recht aufnehmen konnte, gibt dies der EU nur ein Recht. Es hindert die Parteien nicht im Umkehrschluss, Gemeinschaftsrecht auch in anderen Fällen zu prorogieren. Letztlich trägt Erwägungsgrund 14 den Charakter einer klarstellenden Sicherungs- und Öffnungsklausel, die es zukünftigen Rechtsakten erlaubt, ihre Wählbarkeit zu gestatten. Dem Erwägungsgrund sollte folglich nicht zu viel entnommen werden.914 Der Wortlaut der Rom I-VO spricht damit eher für die hier propagierte Wahlmöglichkeit,915 142 zumal die Gelegenheit zu einer solchen Wahl gem. Erwägungsgrund 11916 weit auszulegen ist. Ob die Genese der VO „stärker“ als dieser Wortlaut ist, bleibt zweifelhaft. Vor allem dürfte die Historie umso weniger Bedeutung haben, je länger die Rom I-VO existiert. Die EU ist zwar kein Staat. Allerdings schafft sie Recht und hat damit rechtssetzende Gewalt. Diejenigen, die die Kür einer nicht-staatlichen Rechtsordnung i. S. d. Art. 3 Rom I-VO ausschließen, denken etwa an die UNIDROIT principles of international commercial contracts oder bestenfalls völkerrechtliche Abkommen.917 Sie sind jedoch in keiner Weise mit Richtlinien zu vergleichen, die in den Mitgliedsstaaten Rechtswirkungen haben und einen Rechtsetzungsakt918 darstellen.919 Ihnen kann sogar unmittelbare Wirkung zukommen, sofern sie keines Umsetzungsaktes bedürfen.920 Was die EU von anderen, auch politischen, Gebilden unterscheidet, ist ihre Supranationalität, d. h. ihr System gemeinsam ausgeübter, letztlich auf demokratischer Legitimation beruhender Hoheitsrechte mit verbindlichen Beschlüssen. Die Mitgliedsstaaten haben Organe geschaffen, deren auch rechtssetzende Gewalt sie anerkennen. Insbesondere haben die Mitgliedsstaaten im Primärrecht vereinbart, ein Sekundärrecht zu schaffen, also Richtlinien, die durch Mehrheitsbeschlüsse zustande kommen, aber in allen Staaten geltendes Recht bilden. Die Bedenken der h. M., die sich

913 Mankowski IHR 2008, 133 (135); Mankowski in Magnus/Mankowski (Eds.), Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 398.

914 Emde ZIP 2017, 1089 ff. 915 Emde ZIP 2017, 1089 ff. 916 „Die freie Rechtswahl der Parteien sollte einer der Ecksteine des Systems der Kollisionsnormen im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse sein.“. 917 Palandt/Thorn Rom I 3 Rn 4. 918 Siehe Semler in Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts4 § 24 Rn 2. 919 Emde ZIP 2017, 1089 ff. 920 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 16. 985

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gegen die kollisionsrechtliche Wahl eines nichtstaatlichen Rechts richten, rechtfertigen sich – wie oben skizziert – auch daraus, dass angeblich kein gerechter Interessenausgleich gewährleistet sei und das Normensystem nicht von einer demokratisch legitimierten Institution stamme.921 Diese Bedenken sind, sollten sie relevant sein,922 bei einer Wahl der RL jedoch unangebracht. Im Unterschied zur Wahl etwa der „lex mercatoria“ oder des Normensystems eines Sportverbandes wurde die RL in einem Gesetzgebungsprozess unter Beteiligung demokratisch gewählter Vertreter und Abwägung der Interessen und des Schutzbedürfnisses der Vertragsparteien erlassen. In der Diskussion wird auch angedacht, ob ein Unterschied zwischen der Prorogation unmittelbar anwendbarer Richtlinien und der RL gemacht werden sollte, die sich nur an die Mitgliedsstaaten richtet und der Umsetzung durch deren Gesetzgebung bedarf. Dies erscheint nicht überzeugend. Denn zum einen erklärt jene Ansicht nicht, warum die Wahlfreiheit der Parteien eingeschränkt werden soll. Zum zweiten enthält die RL einen relativ detaillierten und zumindest partiell weitgehend ausformulierten Katalog von Rechten und Pflichten der Parteien, und zwar als „Modellgesetz“. Der Regelungskatalog ist – soweit es das reine HV-Recht betrifft – auch vergleichsweise präzise, wie die fast wörtliche Umsetzung der RL etwa in Großbritannien zeigt.923 Ein weiteres Argument für die Zulässigkeit der Einigung auf die RL als anwendbares Recht ist, die vor der Implementation der Rom I-VO ergangene Ingmar-Entscheidung924 (s. o.). Sie verwies auf die Anwendung der zwingenden Vorschriften der RL – nicht auf die des nationalen Rechts. 143 Es könnte noch vorgebracht werden, dass das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahl dem von den Parteien gewählten Recht unterliegen (s. Artt. 3 Abs. 5, 10 Rom I-VO). Die RL enthält jedoch keine Regelungen zum wirksamen Zustandekommen der Rechtswahl. Es würde also die Frage entstehen, wie jene Lücken zu schließen sind. Diese Bedenken greifen jedoch nicht, wenn zumindest subsidiär, etwa nach den Grundsätzen der konkludenten Rechtswahl,925 eine weitere nationale Rechtsordnung bestimmt wird, die nicht von der RL erfasste Fragen regeln soll. Selbst die h. A. lässt dies zu (s. o.). Um welches Recht es sich handelt, mag sich mangels ausdrücklicher Regelung aus Anhaltspunkten ergeben, wie z. B. dem Ort des Vertriebs,926 des Gerichtsstandes, des Vertragsschlusses, aus der Vertragssprache oder ähnlichem. 144 Letztlich ist der Streit über die Folgen der „Rechtswahl“ wohl von reduzierter praktischer Relevanz.927 Über die „materiell-rechtliche Verweisung“ kommt die h. M. zu ähnlichen Ergebnissen wie die hier eingenommene Ansicht: Die „Rechtswahlklausel“ wird von der h. M. als eine derartige Verweisung auf die RL verstanden: Vorrangiges, zwingendes Recht der (hilfsweise) gewählten oder kraft objektiver Anknüpfung anwendbaren staatlichen Rechtsordnung (lex causae) bliebe anwendbar. Es ergäbe sich aber kein signifikant abweichendes Bild, falls man die RL als kollisionsrechtlich wählbar betrachtete. Auch dann wären über Artt. 3 Abs. 3, 4, 9 Rom I-VO (allerdings unter z. T. engeren TB-Voraussetzungen) die nach diesen Normen zwingenden Vorschriften vorrangig.928 Lediglich die dispositiven Regelungen eines nationalen Vertragssta921 Wendland in Beck-onlineGrosskomm, Art. 3 Rom I-VO Rn 75.5. 922 Die Parteien dürfen auch „Undemokratisches“ vereinbarten, soweit es nicht §§ 307, 134, 242 BGB widerspricht. 923 Das unterscheidet die fachbezogene RL von dem grds. nicht vollständigen „Europäischen Recht“. Siehe zu dessen Unvollständigkeit Mankowski in Magnus/Mankowski (Eds.), Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 286. 924 Dazu Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 18 ff. 925 Zur konkludenten Rechtswahl siehe Emde Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 92c Rn 49 ff.; Ebenroth/Kindler 4. Aufl., § 92c Anh. Rn 12; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 21 ff.; Küstner/Thume/ Thume I5 Kap. XI Rn 73; Lakkis in Martinek/Semler/Flohr Vertriebsrecht4 § 57 Rn 54 ff.; Palandt/Thorn Rom I 3 Rn 6 ff; HK-BGB/Staudinger Rom I Art. 3 Rn 3; MüKoHGB/v. Hoyningen-Huene 4. Aufl., § 84 Rn 107 ff. 926 Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 74; Flohr/Wauschkuhn/Teichmann Vertriebsrecht2 Art. 3 Rom I-VO Rn 34; Mankowski in Magnus/Mankowski (Eds.), Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 173: „place of performance“. 927 Emde ZIP 2017, 1089 ff. 928 HK-BGB/Staudinger Rom I Art. 3 Rn 2; Wendland in Beck-onlineGrosskomm, Art. 3 Rom I-VO Rn 76. Emde

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tuts würden verdrängt. Würde man hingegen mit der hier vertretenen Ansicht eine kollisionsrechtliche Wahl der RL, ergänzt um eine subsidiäre nationale Rechtsordnung, zulassen, so hieße dies im Unterschied zu einer materiell-rechtlichen Inkorporation, dass auch dort, wo das subsidiär anwendbare nationale Recht zwingende strengere Vorschriften enthält, jene hinter dem von der RL normierten, u. U. weniger schützenden Standard zurücktreten müssten: Einfaches nationales Gesetzesrecht würde sich nicht durchsetzen. Und dies auch dann nicht, wenn es stärker schützt als die RL. Der Unterschied zwischen einer materiell-rechtlichen Verweisung oder der kollisionsrechtlichen Rechtswahl kann also nur zu unterschiedlichen Folgen leiten, falls die nationale lex causae einfach-zwingende Standards beinhaltet, die über den Schutzgehalt der RL hinausgehen. Das ist zumindest beim weitgehend RL-konform umgesetzten deutschen HV-Recht kaum der Fall. Beispiele bilden etwa §§ 87a Abs. 1 S. 3, 87c Abs. 4 sowie 90a. Weitere Diskrepanzen könnten sich bei Umsetzungsdefiziten des nationalen Rechts ergeben. Aber dann wäre das nationale Recht wieder RL-konform auszulegen, womit sich de facto erneut ein Vorrang der RL ergäbe. Man könnte darüber diskutieren, ob die angesprochenen Probleme ein Argument für eine Schiedsklausel sein könnten. Der Spielraum, der Schiedsgerichten zugemessen wird, ist nach § 1051 ZPO sowie dem zugrunde liegenden Modellgesetz weit. Die Wahl der RL hätte wohl vor einem Schiedsgericht bessere Aussichten anerkannt zu werden als vor staatlichen Gerichten.929 Denn Schiedsgerichte messen der Wahl außerstaatlichen Rechts eher kollisionsrechtliche Wirkung bei als staatliche Gerichte930 und besitzen größere Freiheit bei der Anwendung von Eingriffsnormen.931 Möglicherweise „denken“ sie sogar die RL-Vorschriften fort, wo sie schweigen. Letztlich hängt alles von der Besetzung des Schiedsgerichtes, den Verfahrensregeln, der Schiedsinstitution und dem auf die Aufhebung des Schiedsspruchs anwendbaren nationalen Recht ab.932 An die Vereinbarung der RL als maßgebliches Recht wird man in erster Linie im HV- 145 Recht denken. Nur dort „passen“ deren Vorschriften. Die RL regelt einen Mindeststandard, der nicht unterschritten werden darf. Sie hindert jedoch die nationalen Rechte nicht daran, diesen Standard zu überschreiten933 und ein höheres Schutzniveau zu konstituieren. Nicht nur deshalb ist das nationale Vertriebsrecht häufig differenzierter als das RL-Recht. Zudem wird es vom allg. Schuldrecht des jeweiligen Landes flankiert. Schon gar nicht schreibt die RL einen Mindeststandard im Bereich des überschießend934 umgesetzten HV-Rechts vor, also im Bereich des nationalen Rechts, welches zwar HV-Recht ist, aber eben kein solches des Waren-HV (s. Kommentierung zu Vor § 84). Noch weniger erfasst oder regelt die RL den Inhalt eines Vertragshändler- oder Franchisevertrages. Jedoch könnten theoretisch auch andere Verträge als solche der Waren-HV den Regelungen der RL unterstellt werden. Ob dies sinnvoll ist, dürfte zweifelhaft sein. Schon gegen die Wirksamkeit der Rechtswahl könnten Bedenken geäußert werden.935 Denn die RL ist auf die Verhältnisse des HV und streng genommen des Waren-HV angepasst.936 Theoretisch ist sie jedoch auch geeignet, die Rechtsverhältnisse anderer als Waren-HV zu regeln, wie das auf der Basis der RL „überschießend“ gefasste deutsche Recht beweist. Für den Vertragshändler- und Franchisebereich trifft die RL allerdings keine Regelung und viele Vorschriften der RL, etwa über die Provision, hätten dort keinen sinnvollen Anwendungsbereich. Die Wahl der RL ist folglich insb. in solchen Teilbe-

929 Mankowski in Magnus/Mankowski (Eds.), Rome I Regulation, Köln Otto Schmidt 2017, Art. 3 Rome I Rn 251. 930 Ferrari in Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. 2011, Art. 3 Rom I-VO Rn 18. 931 Czernich RIW 2016, 701, insb. 703; Emde RIW 2016, 104 (110 ff.). Zum Streit über die Anwendung internationalzwingenden Rechts auch Weigand, in: Weigand Practitioner’s Handbook on International Arbitration, 2002, Part 1 Rn 161. 932 Eingehend Emde RIW 2016, 104 ff. 933 EuGH, Urt. v. 3.12.2015 – C 338/14. 934 Zum Begriff Emde/Valdini ZVertriebsR 2016, 344 (349). 935 Zur AGB-Prüfung s. u. 936 Emde/Valdini ZVertriebsR 2016, 344 (349). 987

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reichen des Vertriebsrechts nicht sinnvoll und ausreichend. Im Recht der Vertragshändler und Franchisenehmer könnte an die Vereinbarung der GVO 330/10 (s. Vor § 84) als anwendbares EU-Recht gedacht werden. Auch sie gibt zwingendes Recht, welches beachtet werden muss. Ihre Vorschriften benennen kartellrechtlich unbedenkliche Vertragsbestimmungen. Die GVO wäre selbst von Schiedsgerichten zu beachten, und das auch, sofern die RL als anwendbares Recht bestimmt wurde. Denn es handelt sich um geltendes europäisches und deutsches Recht. Sollte nur die RL als geltendes Recht vereinbart worden sein, blieben jedoch auch innerhalb des HV-Rechts wichtige Fragen ungeregelt. Vergleichbar wäre die Wahl der RL insoweit mit der des UN-Kaufrechts: Wird jenes isoliert gewählt, so bedarf es aufgrund der Lücken als „Auffangregelung“ einer weiteren staatlichen Rechtsordnung. Ein Unterschied der RL zum UN-Kaufrecht besteht jedoch darin, dass letzteres im nationalen Recht ohne Anpassung gilt, während die RL Spielräume belässt und einzelne Bereiche nicht regelt. Beispiele für Lücken der RL bilden etwa das allg. Vertragsrecht, z. B. dessen Regelungsbereiche betreffend das „Zustandekommen des Vertrages“ und seine mögliche Unwirksamkeit, ggf. nach den §§ 305 ff., 134, 138, 242 BGB. Die §§ 305 ff., 134, 138, 242 BGB dürften ebenfalls international-zwingenden Charakter besitzen, zumindest über Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO. Ein spezielles Problem gibt die Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahlklausel i. S. d. Art. 10 Rom I-VO. Falls Schadensersatz zuerkannt werden sollte, bliebe die Frage, nach welchen Maßstäben? Welche Zinsregelung fände Anwendung? Deshalb wird auf die oben angedachte Lösung verwiesen, nämlich Prüfung der von der RL offen gelassenen Fragen anhand einer ausdrücklich oder konkludent subsidiär vereinbarten nationalen Rechtsordnung. Mit jener „Hilfskonstruktion“ lässt sich zudem die Unwirksamkeit der Rechtswahl infolge einer Intransparenz wegen mangelnder Rechtswahlklarheit vermeiden.937 Jedenfalls nach § 307 BGB unwirksam könnte die bloße Wahl der RL sein, sofern der Vertrag zu ihr keine Verbindungen aufweist, also kein Vertriebsvertrag ist. Zumindest bei der Wirksamkeitskontrolle über Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO dürfte das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, welches mit dem Erfordernis des Art. 5 S. 1 Klausel-RL 93/13/EWG im Einklang steht, zur Anwendung berufen sein.938 Bei europaweit verwendeten Verträgen liegen notwendigerweise AGB vor. Hilfsweise müsste also ein nationales Recht prorogiert (oder gefunden) werden, um solche Lücken zu schließen. Ein besonderes Problem bei der Anwendung allein der RL stellt sich in den Alternativen des Art. 17: Die RL legt nicht fest, ob dem HV bei Vertragsende ein Ausgleich (Art. 17 Abs. 2 RL) oder Schadensersatz (Art. 17 Abs. 3 RL) zusteht.939 Sofern die Parteien insoweit keine Wahl getroffen haben, wird es für den Richter schwer, feststellen, welche der Alternativen anzuwenden ist. Die RL verweist zudem außer in Art. 17 RL an anderen Stellen auf nationales Recht, dem die Regelung bestimmter Punkte überlassen wurde. Beispiele bilden die Artt. 2 Abs. 2, 7 Abs. 2, 10 Abs. 2, 12 Abs. 1, 4, 13 Abs. 2, 16 und 20 Abs. 4 RL.940 Dies bedeutet: die RL-Vorschriften sind in einigen Punkten nicht konkret genug, um einen Vertrag ohne Rückgriff auf nationales Recht zu regeln. Hinzu tritt der Mangel an unmittelbar die RL betreffender Literatur und Rspr. Der EuGH hat zwar auf Vorlageverfahren gem. Art. 267 AEUV viele wichtige Fragen geklärt. Es handelt sich aber immer um punktuelle Rechtsprechung zu einzelnen, im Vorlageverfahren aufgetretenen Fragestellungen. Letztlich handelt es sich um Rspr. zu Besonderheiten des nationalen Rechts. Sie wurde weniger durch die RL herausgefordert als durch Umsetzungsdefizite. Dies bedeutet: Die jeweiligen Entscheidungen des EuGH betreffen im geringeren Umfang die Auslegung der RL als des nationalen Rechts. Insbesondere die deutsche Rechtsprechung zum nationalen Recht hat hingegen eine Entscheidungsdichte, die ihr einen gegenüber den Quellen zur RL (und auch im Verhältnis zu anderen nationalen Rechten) signifikanten Vorteil gibt. Es entstände die Frage, durch 937 938 939 940

Die Kontrollfähigkeit einer solchen Klausel wird offen gelassen von Küstner/Thume/Thume I5 Kap. XI Rn 95. HK-BGB/Staudinger Rom I Art. 3 Rn 10a. Siehe dazu Küstner/Thume/Thume, I5 Kap. XI Rn 10. Siehe Emde/Valdini ZVertriebsR 2016, 344.

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welches Recht jene Lücken zu schließen wären. Auch dies müsste im Vertrag geregelt werden. Erneut hilft die Annahme der konkludenten Wahl eines hilfsweise berufenen Rechts. Wäre die Frage nach den §§ 305 ff. BGB zu prüfen, könnte man bei einer mehrfach verwendeten Rechtswahlklausel wegen der auftretenden Rechtsanwendungslücken bei bloßer Wahl der RL ohne nationale „Auffangrechtsordnung“ sogar an der Transparenz und der Angemessenheit i. S. d. § 307 BGB zweifeln (s. o.). Auch ein den Vorschriften der GVO 330/10 unterstellter Mustervertrag würde wesentliche Fragen offen lassen, insb. die genauen Rechte und Pflichten der Parteien. Gegenüber der Wahl des Rechts eines Mitgliedsstaates brächte die Wahl der RL zudem kaum Vorteile.941 Denn das nationale Recht, welches eine Alternative zur Wahl der RL geben würde, wäre ohnehin richtlinienkonform auszulegen. Zumindest mittelbar gälte die RL also auch ohne ausdrückliche Prorogation. Spiegelbildlich kann angenommen werden, dass die lokalen Richter das berufene RL-Recht vor dem Hintergrund ihres nationalen Rechtsverständnisses auslegen würden. Spätestens seit der Entscheidung „Unamar“,942 die im Urteil des EuGH vom 3.12.2015943 146 bestätigt wurde, wissen wir, dass sogar im Geltungsbereich der europäischen RL, also im Kernbereich des Rechts des Waren-HV (dazu s. Vor § 84), nationales Recht bestehen kann, welches international-zwingend ist und sich gegenüber einem anderen EU-Recht durchsetzt (s. o.). Also wird unabhängig von dem im Grundsatz anwendbaren Recht u. U. das Recht des Tätigkeitsortes die Anwendung seiner Eingriffsnormen verlangen.944 Da die vorrangige Geltung gegenüber korrekt umgesetztem mitgliedstaatlichen Recht gilt (Unamar), muss gleiches gegenüber den gewählten RL-Vorschriften gelten. Da aber bereits das zwingende Recht der RL sehr vertreterschützend ist, wird es sich eher um Ausnahmesituationen handeln. Diskutiert wird zudem, ob zumindest einzelnen (insb. § 89b analog) zwingenden Vorschriften des ungeschriebenen deutschen Vertragshändler- oder Franchiserechts bei hinreichendem Inlandsbezug, etwa innerdeutscher Tätigkeit des Vertragshändlers oder Franchisenehmers, über Artt. 3 Abs. 4, 9 Abs. 2 Rom I-VO der gleiche Schutz als Eingriffsnormen zukommt (s. o.). Es kann also zwingende Vorschriften des nationalen Rechts, etwa zum Ausgleichsanspruch, geben, die sich gegenüber der „Rechtswahl“ der RL durchsetzen.945 Der Verwender einer „Rechtswahlklausel“ zugunsten der RL kann mithin nicht sicher damit rechnen, dass sich jene durchsetzt. Wie festgestellt, mag sich dieses Problem sogar im engen Anwendungsbereich der RL stellen, nämlich im Bereich der Waren-HV. Im Ergebnis hängt es von den nationalen Rechten ab, ob die RL gilt oder nicht. Es wird also immer erforderlich sein, lokal zugelassene Kollegen zu befragen.

VIII. Ist ein einheitlicher europäischer Mustervertrag denkbar? Abschließend soll untersucht werden, ob innerhalb der EU ein einheitlicher europäischer Mus- 147 tervertrag verwendet werden kann.946 Prima facie scheint diese Frage nur das HV-Recht, mglw. noch enger nur das Recht der „Waren-HV“, zu betreffen. Denn nur ihr Recht ist europaweit durch die RL kodifiziert worden. Genau genommen hat die Frage, ob ein einheitlicher europäischer Mustervertrag denkbar ist, mit dem Problem der Vereinbarung der RL keine zwingende Berührung. Der europäische Mustervertrag kann gem. Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO grds. jedem Recht unterstellt werden, sofern jenes nicht den zwingenden Vorschriften der RL oder international zwingenden Eingriffsnormen widerspricht. Außerdem dürfte sich die Frage nach einem einheit941 942 943 944 945 946 989

Emde ZIP 2017, 1089 ff. EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-184/12, RIW 2013, 874. C-338/14, ZVertriebsR 2016, 15 = EuZW 2016, 221 Rn 33 m. Anm. Emde (S. 218). Siehe Emde RIW 2016, 104. Emde ZIP 2017, 1089 ff. Siehe Emde ZIP 2017, 1089 ff. Emde

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lichen Mustervertrag auch außerhalb des von der RL erfassten Rechts der Waren-HV stellen, nämlich insb. im Recht der Vertragshändler und Franchisenehmer. In allen diesen Bereichen besteht grds. das Bedürfnis nach einem Mustervertrag. Innerhalb der EU erscheint es ohne weiteres möglich, einen Mustervertrag zu entwerfen, der wohl nur gering geändert werden muss. Denn die meisten Nationalrechte wurden nach dem Vorbild der RL gefasst und in dem durch die RL präformierten Bereich sind strengere, nationale Vorschriften eher selten. Aber selbst innerhalb dieses engen Bereichs ist das Erfordernis von Anpassungen an international-zwingendes nationales Recht nicht ausgeschlossen (s. o.). Das zeichnet die Antwort vor: Ein einheitlicher Vertrag ist grds. möglich und denkbar. Ein Mustervertrag ist auch nicht außergewöhnlich, sogar als weltweiter Mustervertrag. Viele internationale Unternehmen führen Musterverträge, die weltweit Verwendung finden und an das jeweilige nationale Recht angepasst werden. Nur in den seltensten Fällen dürften solche Musterverträge aber tatsächlich (allein) der RL unterstellt werden.947 Um in allen Staaten wirksam zu sein, müsste ein derartiger Vertrag sich an dem die jeweilige Vertragspartei schützenden strengsten international-zwingenden Recht ausrichten. Regelmäßig wird es sich bei solchem wohl um Schutzrecht zugunsten des Mittlers handeln. Theoretisch ist aber denkbar, dass es in einem Staat Schutzrecht zugunsten des Unternehmers gibt, wie wir es beispielsweise bei der Unabdingbarkeit der Treupflichten auch zugunsten des Unternehmers in Art. 5 RL oder § 86a kennen. Meist formulieren die Unternehmer für ihre europaweit oder weltweit agierenden Vertriebssysteme die Verträge vor. Sie werden aber ebenso regelmäßig kaum ein Interesse bekunden, diese Verträge i. S. e. „Race to the top“ europa- oder weltweit an dem die Vertriebsmittler am meisten schützenden Recht auszurichten. Eher werden sie einen für sich günstigen Vertrag auf der Basis des niedrigsten gemeinsamen Schutzniveaus formulieren und ihn dann – notgedrungen – nur in einzelnen Jurisdiktionen an das dort zwingende Recht anpassen. Viele auf Vertriebsrecht spezialisierte Rechtsanwälte haben das von einem Unternehmer weltweit verwendete Vertragsmuster an das nationale Recht angepasst. Insoweit gilt die Grundregel: Je weiter entfernt der Unternehmer sitzt, umso höher ist der Anpassungsbedarf. Er ist größer bei Verträgen aus Common-law-Jurisdiktionen und geringer bei solchen, deren Recht sich an römisches anlehnt. Umgekehrt ist es deutschen Mandanten zu raten, vor Vertragsschluss mit einem Vertriebsmittler im Ausland einen lokal zugelassenen Kollegen zu konsultieren. Gerade im Eigenhändlerbereich wählen Unternehmer innerhalb Europas häufig Rechtsordnungen, die keinen Ausgleichsanspruch kennen. So könnte etwa ausgleichsfeindliches Recht vereinbart werden, wobei das Risiko einer Änderung des gewählten Rechts sowie der Existenz vorrangiger Eingriffsnormen am Vertriebs- oder Gerichtsort getragen werden muss. Durch die Wahl solchen Rechts lässt sich trotz der Erfüllung der analogiebegründenden Ausgleichsmerkmale eine ausgleichsausschlussgleiche Wirkung herbeiführen.948

947 Emde ZIP 2017, 1089 ff. 948 Emde ZIP 2017, 1089 ff. Emde

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ACHTER ABSCHNITT Handelsmakler Vorbemerkungen vor §§ 93 ff. Schrifttum Altmeppen Provisionsansprüche bei Vertragsauflösung, 1987; Anderson Shipbrokers as intermediaries agents and third parties, 2006; Axmann Maklerrecht und Maklerwesen bis 1900, 2004; Rudolf Becker Handlungsagent und Handelsmäkler – ein Vergleich, 1913; Bemm Die Haftung des Schiffsmaklers, TranspR 1997, 6; Deckers Die Abgrenzung des Versicherungsvertreters vom Versicherungsmakler, 2003; Ebenroth Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Vertragsverhältnisse von Handelsvertretern, Kommissionsagenten, Vertragshändlern und Handelsmaklern, RIW 1984, 165; Freudenburg Der Handelsmäkler, 1906; Gerig Die Vermittlung von Holzgeschäften, Holz-Zentralblatt 1965, 2651; 1966, 397; Grönfors Intermediaries in shipping, 1990; Habersack/Schürnbrand Der Darlehensvermittlungsvertrag nach neuem Recht, WM 2003, 261; Heymann Der Handelsmakler, Ehrenbergs Hdb., 5. Bd., I. Abteilung 1. Hälfte, 1928, S. 321; ders. Die Neugestaltung des Handelsmaklerrechts in Deutschland, RabelsZ 13 (1940/41), 303; Hopt Interessenwahrung und Interessenkonflikte im Aktien-, Bank- und Berufsrecht, ZGR 2004, 1; Hübbe/Johann Friedrich Müller Vorschläge zur Neugestaltung des Handelsmaklerrechts, insbesondere des Rechts des Außenhandelsmaklers, Hamburg 1941; Jung Die Auswirkungen der 6. KWG-Novelle auf Anlagevermittler, (Börsen)Makler und Vermögensverwalter, BB 1998, 649; Knütel Die Provisionsteilung bei Mitwirkung mehrerer Makler oder Handelsvertreter, ZHR 144 (1980), 289; Koch Der Versicherungsmakler im neuen Vermittlerrecht, VW 2007, 248; 161; Lutter Zur Haftung des Emissionsgehilfen im grauen Kapitalmarkt, FS Bärmann 1975, S. 605; Martinek Vom Handelsvertreterrecht zum Recht der Vertriebssysteme, ZHR 161 (1997), 67; Matusche Pflichten und Haftung des Versicherungsmaklers4 1995; Friedrich Meier Einige Bemerkungen über die Interpretation der Schlußzettel (Schlußnoten) der Handelsmakler, Central-Organ für das deutsche Handels- und Wechselrecht. N.F. Bd. 8 (1872), 18; Gerhard Müller Die Schlußnote mit „Aufgabe vorbehalten“, 1930; Johann Friedrich Müller Die Stellung des Holzmaklers in der seewärtigen Einfuhr, 1940; Noss Das Maklerrecht4 2014; Reifert Die Schlußnote, 1916; Reiff Das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts, VersR 2007, 717; ders. Versicherungsvermittlerrecht im Umbruch, 2006; Reinkenhof in: Schmoeckel/ Rückert/R. Zimmermann (Hrsg), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB (zit. HKK-BGB/Reinkenhof), 2008, §§ 652–655e; Rozok Tod der Vertriebsprovisionen oder Alles wie gehabt? – Die Neuregelungen über Zuwendungen bei der Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie, BKR 2007, 217; Karsten Schmidt/Blaschczok Schiffsmaklerhaftung und Schiffsagentenhaftung im Spiegel der Rechtsprechung, VersR 1981, 393; Otto Schubert Der Aufgabevorbehalt beim Handelsmäkler, 1928; Werner Schubert Akademie für Deutsches Recht 1933–1945, Band V: Ausschuß für das Recht des Handelsstandes und der Handelsgeschäfte (1937–1942) u. a., 1997; Spielberger Versicherungsmakler und Rechtsberatungsgesetz, VersR 1984, 1013; Struck Die Effektenbörse. Eine Vergleichung deutscher und englischer Zustände. Nebst einem Anhange über die Entwickelung des Instituts der beeidigten Handelsmakler in Deutschland während des 19. Jahrhunderts, 1881; Tschmarke Der Warenmakler, 1958; Umhau Vergütungssysteme der Versicherungsvermittlung im Wandel, 2003; Veil Anlageberatung im Zeitalter der MiFID, WM 2007, 1821; M. Würdinger Allgemeine Rechtsgeschäftslehre und Unvollkommenheiten des Hauptvertrages im Immobilienmaklerrecht, 2005; Zeidler Der Cif-Agent im Einzelhandel, Der Handelsvertreter und Handelsmakler 1955, 394; Zinnert Das Recht des Versicherungsmaklers am Anfang des 21. Jahrhunderts, VersR 2000, 399.

Übersicht 1

A.

Einführung

B.

Geschichtlicher Überblick

C.

Neutralität als Leitbild und principal-agent6 Konflikt

D.

Vom HGB erfasste Regelungsprobleme

E.

Handelsbräuche – Spezialgesetze – Subsidiä9 re Geltung des BGB

F.

Abgrenzung zu anderen Arten von Abschluss12 mittlern

G.

Internationales Privatrecht

5

991 https://doi.org/10.1515/9783110744385-012

14

8

Thiessen

Vor §§ 93 ff.

1. Buch. Handelsstand

A. Einführung 1 Die Vorschriften über den Handelsmakler illustrieren die zwiespältige Stellung des HGB im heutigen Privatrecht.1 Während das benachbarte Zweite Buch in §§ 105 ff. die zentralen Vorschriften zu Handelsgesellschaften und Stiller Gesellschaft präsentiert, formen die §§ 93 ff. nur einen Regelungstorso.2 Die wenigen Grundnormen des Maklerrechts sind seit 1896 in §§ 652 ff. BGB enthalten, der Normenkomplex ebenso wie viele andere Materien aufgespalten und über mehrere Gesetze verteilt (Rn 10 f). Eine Zusammenfassung wie im österreichischen Maklergesetz ist nicht in Sicht (§ 93 Rn 57). Anders als aber z. B. das OHG-Recht, das in neuerer Zeit maßgeblich auf die Gesellschaft 2 bürgerlichen Rechts ausstrahlt,3 findet das im Wortlaut gleichfalls kaum veränderte Handelsmaklerrecht heute relativ wenig Aufmerksamkeit. Dies hat eher wirtschaftlich-praktische als juristisch-dogmatische Gründe. So geben die präzise formulierten §§ 93 ff. der Praxis relativ selten Grund zum Streit. Auch wenn sich eine überraschend große Zahl dogmatischer Einordnungsund Konstruktionsprobleme ausmachen lässt,4 ist die monographische Literatur speziell zum Handelsmaklerrecht überschaubar.5 Hermann Staub kommentierte 1900 zu § 94 gar: „Der Inhalt der Vorschrift giebt zu Bemerkungen keinen Anlaß.“6 Er begründete dies so: „Eine eigentliche Vermittlungsthätigkeit, bei welcher insbesondere der Kausalzusammenhang zwischen Thätigkeit und Erfolg fraglich und Gegenstand von zahlreichen Prozessen wird, üben nur die Civilmakler aus.“7 Für den dennoch auftretenden Streitfall sehen gerade Verträge mit hohen Transaktionsvolumina Schiedsklauseln vor.8 Der in der Person von Auftraggeber(n) und Makler verkörperte principal-agent-Konflikt (Rn 6) wird somit entweder außerhalb der HGB-Vorschriften oder aber vor Schiedsgerichten ausgetragen. Die vergleichsweise wenigen Entscheidungen der ordentlichen Gerichte zum Recht des Handelsmaklers sind daher immer noch good law, selbst wenn sie sehr alt sind, wie auch viele der heute anerkannten Grundsätze bereits in der frühen Literatur zum HGB formuliert wurden. Zudem stehen die Handelsmakler im Schatten der Handelsvertreter. Nach einer Auswer3 tung der älteren Umsatzsteuerstatistik waren von den Handelsvermittlungsunternehmen auf der Großhandelsstufe nur etwa 5 % als Handelsmakler, der Rest als Handelsvertreter tätig. Die län-

1 Vgl. K. Schmidt Das HGB und die Gegenwartsaufgaben des Handelsrechts. Die Handelsrechtskodifikation im Lichte der Praxis, 1983; ders. in: Paschke (Hrsg.), 100 Jahre Handelsgesetzbuch – 100 Jahre Rechtsentwicklung in der Republik Bulgarien und der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 1; ders. FS Söllner, 2000, S. 1047; ders. FS Horn, 2006, S. 557; ders. FS Staub, 2006, S. 109, 122. 2 Ähnlich Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas/Röhricht/Mock Rn 1; Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas Einl. Rn 19. 3 Vgl. BGH v. 3.5.2007 – IX ZR 218/05, NJW 2007, 2490; zur GbR-Rechtsprechung seit BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/ 00, BGHZ 146, 341, Habersack BB 2001, 477; Schäfer ZIP 2003, 1225; Canaris ZGR 2004, 69; Armbrüster ZGR 2005, 34; zur Reform des Personengesellschaftsrechts Schäfer ZIP 2020, 1149; Fleischer DB 2020, 1107. 4 Canaris HandelsR, § 19 Rn 11. 5 Neben der oben genannten Literatur vor allem Dissertationen aus dem frühen 20. Jahrhundert, etwa Bürck Zur Lehre vom Handelsmäkler und Civilmäkler, 1908; Campe Der Handelsmäkler, 1907; Cohen Das Recht der Handelsmäkler nach heutigem Recht, 1904; Fuss Der Handelsmäkler, 1909; Hast Der Handelsmäkler, 1909; Ortloff Der Handelsmäkler, 1910; Reibe Der Handelsmäkler in seiner geschichtlichen Entwicklung, 1914; de Roche Das Recht der Handelsmäkler mit Berücksichtigung der Lehre vom Mäklervertrage, 1910; Setzer Das Recht der Handelsmäkler, 1908. 6 Staub6/7 § 94 Anm. 3. 7 Staub6/7 § 93 Einleitung. Zu den Hintergründen auch ders. Exkurs zu § 92 Anm. 1. Vgl. jedoch die anderslautenden Beobachtungen bei Hübbe/Müller S. 3 f. 8 Vgl. etwa Begemann Grundzüge der Schiedsgerichtsbarkeit und Arbitrage im Verkehr mit Holz, 1985; Rechtsprechung bei Straatmann/Ulmer Handelsrechtliche Schiedsgerichts-Praxis (HSG), 1975 ff., jeweils unter D 1d; Straatmann/Timmermann Rechtsprechung kaufmännischer Schiedsgerichte (RKS), 1984 ff. Thiessen

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Achter Abschnitt. Handelsmakler

Vor §§ 93 ff.

gerfristige, besser kalkulierbare Bindung der Handelsvertreter an feste Hersteller und Händler ist das favorisierte Vermittlungsmodell, die punktuelle Beauftragung von Handelsmaklern eine Nische für besonders fachkundige, auf bestimmte Produkte spezialisierte Abschlussmittler.9 Vor diesem Hintergrund lassen sich heute drei Gruppen von Handelsmaklern unterschei- 4 den. Weitgehend reibungslos erfolgt die Anwendung des Handelsmaklerrechts bei der Vermittlung in traditionellen Branchen wie dem Holzhandel oder an Warenbörsen etwa für Rohstoffe, Getreide und Kaffee (§ 93 Rn 41). Das Kundenvertrauen in die Marktkenntnis des Maklers ist dessen größtes Kapital, das nicht durch unsorgfältige Vermittlungstätigkeit aufs Spiel gesetzt, sondern erforderlichenfalls durch eingespielte Arbitrageverfahren bewahrt wird.10 Ähnlich unspektakulär vollzieht sich die Kursfestlegung an den Wertpapierbörsen auch nach dem Übergang vom Kursmakler- zum Skontroführersystem (§ 93 Rn 43).11 Konfliktanfällig ist hingegen die Vermittlung von Versicherungen, Darlehen und Kapitalanlagen, vor allem soweit Verbraucher beteiligt sind. Möglicherweise schafft die Regulierung dieser Märkte erst Rechtspositionen, die zur gerichtlichen Durchsetzung einladen. Streitgegenstand ist allerdings auch hier nur selten die Auslegung der §§ 93 ff., sondern vor allem der Umfang von Informationspflichten und die Folgen von deren Verletzung (§ 93 Rn 176 f). Als Handelsmakler betätigen sich – möglicherweise unbewusst – auch Vermittler in relativ neuen Branchen, die etwa Handelsplattformen im Internet12 bereitstellen oder Post- und e-mail-Adressen zu Werbezwecken anbieten. Die Provisionspflicht ist hierbei jedoch häufig schon dadurch streitvermeidend geklärt, dass eine elektronische Nutzung des jeweiligen Angebots ohne vorherige Anerkenntnis einer Vermittlungsgebühr technisch unterbunden werden kann. Auch schlussnotenäquivalente Benachrichtigungen über die vermittelten Geschäfte werden zumeist automatisch im Einverständnis der Parteien elektronisch versandt. Der nicht dispositiven Tagebuchführungspflicht dürften die Anbieter regelmäßig auf der Grundlage der von ihnen gespeicherten Daten nachkommen, die ohnehin den Nutzern für die von ihnen durchgeführten Transaktionen zur Verfügung gestellt werden.

B. Geschichtlicher Überblick Beanspruchen heute die Zivilmakler deutlich mehr Aufmerksamkeit in Rechtsprechung und 5 Rechtswissenschaft als die Handelsmakler, galt im geschichtlichen Verlauf bis 1900 geradezu

9 Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken/ifo-Institut (Hrsg.), Branchen Special Bericht Nr. 5/08 Großhandel und Handelsvermittlung (Stand: Oktober 2019/April 2020). Vgl. auch Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Handel, Gastgewerbe, Reiseverkehr. Handels- und Gaststättenzählung, Fachserie 6, Großhandel und Handelsvermittlung, 1993; Unternehmen und Arbeitsstätten, Fachserie 2, Reihe 1.2.2, Kostenstruktur bei Handelsvertretern und Handelsmaklern, 1996. Die neueren Statistiken trennen allerdings nicht nach beiden Arten der Handelsvermittlung. Vergleichszahlen für das 19. Jahrhundert lieferte Gustav Schmoller in einem Zeitungsartikel „Der Handel im 19. Jahrhundert“, Die Woche v. 19.1.1901: „Wir gehen vom alten Gegensatz von Groß- und Kleinhandel aus, der sich heute freilich vielfach verwischt, ineinander übergeht, auch statistisch neuerdings nicht mehr getrennt gefaßt wird. … 1837 zählte man in Altpreußen 275 Makler, 1861 349 im Groß, 1921 Makler und ähnliche Vermittler im übrigen Handel; 1895 zählte man in den alten Provinzen etwa 20.000 Makler, Kommissionäre und Agenten (in ganz Deutschland 46734).“. 10 Vgl. die allerdings schon mehr als ein halbes Jahrhundert alten Darstellungen von J. F. Müller S. 12 f., 32 f.; Zeidler Der Handelsvertreter und Handelsmakler 1955, 394. 11 Hierzu Assmann/Schütze/Franke, 3. Aufl. 2007, § 2 Rn 50 ff.; Schwark/Zimmer/Kumpan § 27 Rn 6 ff.; Claussen/ Ekkenga § 7 Rn 134 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit der Umstellung BVerfG v. 21.8.2002 – 1 BvR 1444/02, NJW 2002, 3460. 12 Hierzu Thelen Dark Pools. Schattenbörsen im Lichte US-amerikanischer, europäischer und deutscher Kapitalmarktregulierung, 2019, S. 145 ff. 993

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das Gegenteil.13 Amtliche Handelsmakler wurden in Markt- und Polizeiordnungen dadurch privilegiert, dass man ihnen das Monopol für die gewerbsmäßige Vermittlung von Handelsgeschäften gewährte. Als Hintergrund vermutet man einerseits die Durchsetzung der Wuchergesetzgebung, andererseits die Streitvermeidung und beilegung durch amtlich bestellte Urkunds- und Zeugenpersonen.14 Obwohl der Markt die Vermittlung durch private Makler forderte, blieben die amtlich bestellten Makler noch 1861 der alleinige Regelungsgegenstand der Art. 66 ff. ADHGB.15 Dieser vergleichsweise detaillierte Regelungskomplex prägte auch den Blick auf die Privathandelsmakler16 nach deren gleichzeitiger Zulassung in Art. 272 Abs. 1 Nr. 4 ADHGB.17 Das im ADHGB niedergelegte Leitbild des neutralen, seriösen Vermittlers lag weiterhin den Vorschriften der §§ 93 ff. zugrunde, mit denen das HGB 1897 die amtlichen Handelsmakler auch handelsrechtlich endgültig abschaffte.18 Die öffentliche Bestellung von Maklern zu bestimmten Aufgaben war nunmehr die Ausnahme, etwa im Börsengesetz 1896 für die amtlichen Kursmakler19 sowie in BGB und HGB für den Selbsthilfe- und Deckungs(ver)kauf (Rn 7). Der bereits in Art. 275 ADHGB20 enthaltene Ausschluss der Immobiliengeschäfte aus dem Kreis der Handelsgeschäfte21 und die am Partikularrecht orientierte Kodifizierung des Zivilmaklerrechts in den §§ 652 ff. BGB22 entzogen dem Handelsmaklerrecht bis heute besonders streitanfällige Lebenssachverhalte (§ 93 Abs. 2). Das eigentliche Handelsmaklerrecht der §§ 93 ff. konnte daher seit 1897 weitgehend konstant bleiben. Der Handelsrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht plante zwar einige Änderungen,23 die aber wie viele andere Akademieentwürfe wegen des Kriegsverlaufs nicht weiterverfolgt wurden. Ein brancheneigener Reformvorschlag für Außenhandelsmakler, bezeichnenderweise 1941 vorgelegt mit „Blick auf das voraussichtliche Ausmaß der Aufgaben …, die gerade im Außenhandel und in der Kolonialwirtschaft bevorstehen“, blieb in der Gesetzgebung gleichfalls unberücksichtigt, dürfte aber unabhängig von den Zeitumständen bestimmte Vorstellungen des Wirtschaftszweiges widerspiegeln.24 Reformbemühungen nach dem Krieg konzentrierten sich nicht auf den Handelsmakler.25 Einzelne Betätigungsfelder von Handelsmaklern wie Kapitalmarkt oder Versicherungen hat der Gesetzgeber in neuerer Zeit vielfältigen Regulierungen unterworfen (§ 93 Rn 42 f).

13 Grundlegend zum folgenden Axmann S. 17 ff., 34 ff., 42 ff., 45 ff.; HKK-BGB/Reinkenhof §§ 652–655e Rn 19 ff.; mit umfassender Auswertung der älteren Literatur Struck S. 186 ff.; Heymann Ehrenbergs Hdb. Bd. 5/I, S. 321 ff. 14 Zu den einzelnen Erklärungsansätzen Axmann S. 17 ff.; HKK-BGB/Reinkenhof §§ 652– 655e Rn 3 f., 19 ff. 15 Eingehend zur Entstehungsgeschichte Axmann S. 45 ff. 16 Axmann S. 104. 17 Axmann S. 81 ff. 18 Zur bereits vorher den Bundesstaaten eröffneten Option und deren Folgen, zur allgemeinen, monopolverhindernden Gewerbefreiheit ab 1869 sowie zum HGB 1897 Axmann S. 86 f., 102 ff., 148 ff.; HKK-BGB/Reinkenhof §§ 652– 655e Rn 22. 19 Hierzu Apt Archiv für Bürgerliches Recht 19 (1901), 211, 218 ff.; für die Zeit vor dem Börsengesetz Struck S. 39 ff. 20 Zu den Vorläufern seit dem Frankfurter Entwurf von 1849 Axmann S. 49 f., 63 f., 71 ff., 76, 79 ff., 84 f., 88 f. 21 Axmann S. 152, 154. 22 Axmann S. 90 ff., 114 ff. 23 Hierzu Heymann RabelsZ 13 (1940/41), 303; W. Schubert S. XXVII f, 383 ff., 455 ff. 24 Hübbe/J. F. Müller S. 5 ff. Eine Ausnahme macht etwa die a. a. O. S. 11 ff. zeittypisch unterlegte Skepsis gegenüber Geschäften unter Aufgabevorbehalt, vgl. hierzu § 95 Rn 29 Fn 76. Da aber kaum detaillierte Reformüberlegungen zum Handelsmaklerrecht vorliegen, werden in der vorliegenden Kommentierung auch die sonstigen Eckpunkte des Entwurfs von Hübbe/J. F. Müller ebenso wie die Vorschläge von Heymann RabelsZ 13 (1940/41), 303 im jeweiligen Kontext behandelt. Der Entwurf von Hübbe/J. F. Müller ist ohne Begründung abgedruckt bei W. Schubert S. 458 ff. Aufschlussreich zum Selbstverständnis der Autoren auch J. F. Müller S. 6 ff., 18 ff., 37 ff. Ein vorausgegangener Reformentwurf aus Hamburger und Bremer Maklerkreisen von 1937, auf den sich Heymann bezog, konnte bislang nicht ermittelt werden, W. Schubert S. XXVII. Nach den Hinweisen bei Heymann tendierte dieser Entwurf aber in vielen Fragen zu ähnlichen Lösungen wie Hübbe/J. F. Müller. 25 Hierzu HKK-BGB/Reinkenhof §§ 652–655e Rn 37, 42 f. Thiessen

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C. Neutralität als Leitbild und principal-agent-Konflikt Nach dem Leitbild des HGB-Gesetzgebers (§ 93 Rn 14 ff.) steht der Handelsmakler grundsätzlich 6 neutral zwischen den Parteien des von ihm vermittelten Vertrags. Er hat das Geschäft im Interesse beider Parteien zu beurkunden (§§ 94 f), kann seine Provision hälftig von beiden Parteien beanspruchen (§ 99) und schuldet beiden Parteien gleichermaßen Rechenschaft (§ 100 ff.) sowie Schadensersatz wegen Verletzung seiner Pflichten (§ 98). Vor dem Hintergrund dieses Neutralitätsleitbildes rechtfertigt sich die grundsätzlich positive Wahrnehmung des Handelsmaklers.26 Idealtypisch sucht der ungebundene Handelsmakler ein von außen schwer durchschaubares Marktsegment, das er aufgrund seiner Spezialisierung überblickt, weil er so umfassend wie möglich informiert ist. Auf dieser Basis bringt er Anbieter und Nachfrager genau dort zusammen, wo deren Interessen einander überschneiden, erhöht die Markttransparenz und fördert die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs und damit des Marktes, indem er besonders günstige oder zumindest marktübliche Abschlüsse vermittelt. Praktisch sind an diesem Bild jedoch Zweifel angebracht, weil der Makler tatsächlich nicht die neutrale Waage ist, sondern eigene Interessen hat und je nach Anreizstruktur die Interessen der einen oder anderen Partei in den Vordergrund stellen kann. Er kann also in einen principal-agentKonflikt geraten27 und bringt daher nicht notwendig ideale Verträge zustande, sondern auch solche, in denen Streitpotential steckt. Institutionalisiert ist die Neutralität des Handelsmaklers in gewissem Maße lediglich dort, 7 wo der Makler noch öffentlich zu bestimmten Aufgaben ermächtigt ist, etwa beim Selbsthilfeverkauf oder Deckungs(ver)kauf (§§ 385, 1221, § 1235 Abs. 2 und § 1295 BGB; § 373 Abs. 2, § 376 Abs. 3, § 388 Abs. 2 und § 389).28 Die Industrie- und Handelskammern sind durch Landesgesetz damit betraut, Handelsmakler für diese Tätigkeiten zu vereidigen und öffentlich zu ermächtigen. Zweifelhaft ist, ob hier (auch heute noch)29 eine besonders wohltätige gesamtwirtschaftliche Funktion des Handelsmaklers bewusst öffentlich-rechtlich instrumentalisiert wird30 oder ob dies Relikte einer Zeit sind, die amtlich bestellte Handelsmakler als Regelfall kannte (Rn 5).31 Der Markt wirkt wohl eher umgekehrt: Können etwa auf der Großhandelsstufe nur 5 % der Abschlussmittler ohne Vertreterbindung als unabhängige Handelsmakler auskömmlich leben (Rn 3), bewahren diese das besondere Vertrauen beider Parteien nur, wenn sie neutral bleiben und ihren Ruf nicht durch verdeckte Parteinahme ruinieren (Rn 4). Angesichts dessen erscheint die Abgrenzung des Handelsmaklers zum Zivilmakler zuweilen willkürlich (§ 93 Rn 59, 61 ff.). Die vom Leitbild des neutralen Handelsmaklers ausgehenden Rechtsfolgen treffen den Handelsmakler auch dann, wenn er vereinbarungsgemäß nur die Interessen einer Partei vertritt, und sie gelten für den Zivilmakler auch dann nicht, wenn er vereinbarungsgemäß für beide Parteien vermittelt.

26 Zum folgenden Canaris HandelsR, § 19 Rn 9; Heymann/Herrmann Rn 6 ff.; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 93 Rn 12 f.; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner § 93 Rn 1; HKK-BGB/Reinkenhof §§ 652–655e Rn 2.

27 Zu verwandten Problemen in anderen Vermittlungsstrukturen Küster Opportunismus und Motivation in Franchise- und Vertragshändlersystemen – eine praxisorientierte Analyse typischer Probleme und Lösungen der Delegation operativer Marktverantwortung an selbständige Unternehmer, 2000; grundsätzlicher M. Meyer Prinzipale, Agenten und ökonomische Methode – von einseitiger Steuerung zu wechselseitiger Abstimmung, 2004, S. 61 ff., 117 ff. 28 Einzelheiten mit historischen Vorläufern bei Staub/Brüggemann Rn 26. 29 MünchKommBGB/Fetzer § 385 Rn 3 weist darauf hin, dass die Ermächtigung von Handelsmaklern nach Landesrecht praktisch kaum noch vorkomme. 30 So aber Heymann/Herrmann Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 93 Rn 13. 31 Vgl. die Denkschriften zu den HGB-Entwürfen 1895/96, Schubert/Schmiedel/Krampe II/1, S. 199, II/2, S. 1130; Protokolle der 2.BGB-Kommission bei Mugdan II, S. 558. 995

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D. Vom HGB erfasste Regelungsprobleme 8 Entsprechend dem Konzept des HGB als eines Sonderprivatrechts der Kaufleute32 behandeln die §§ 93 ff. nur einen Ausschnitt der mit der Maklertätigkeit verbundenen Regelungsprobleme. Das HGB beschränkt sich im wesentlichen auf folgende Fragen: – Abgrenzung des Handelsmaklers vom Zivilmakler, insbesondere vom Grundstücksmakler (§ 93 Abs. 1 und 2), – Anwendbarkeit des Handelsmaklerrechts auf Kleingewerbetreibende (§ 93 Abs. 3), – Beweissicherung durch Schlussnoten (§ 94 f.) bzw. durch Aufbewahrung der dem vermittelten Kaufvertrag zugrundeliegenden Warenprobe (§ 96), – fehlende Empfangszuständigkeit des Maklers für geschuldete Leistungen der Parteien des vermittelten Vertrags (§ 97), – Schadensersatzpflicht des Handelsmaklers (§ 98), – grundsätzlich hälftige Haftung beider Parteien des vermittelten Vertrags für den Maklerlohn (§ 99), – bußgeldbewehrte Buchführungs- und Rechenschaftspflicht des Handelsmaklers (§§ 100 ff.).

E. Handelsbräuche – Spezialgesetze – Subsidiäre Geltung des BGB 9 Soweit die Rechte und Pflichten der Handelsmakler in §§ 93 ff. nicht geregelt sind, können Handelsbräuche (§ 346) eingreifen. Von den angesprochenen Kreisen als verbindlich akzeptierte Handelsbräuche werden freilich in dem Maße seltener, wie der Handel globalisiert oder zumindest deregionalisiert wird. Was in gerichtlichen Beweisaufnahmen als Handelsbrauch festgestellt wurde oder in der juristischen Literatur als branchentypisch berichtet wird, ist einem vielfältigen Wandel unterworfen und muss daher nicht der aktuellen Realität entsprechen.33 In Zweifelsfällen können der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und die örtlichen Industrie- und Handelskammern über die von ihnen erfassten Handelsbräuche Auskunft geben.34 Einzelne Gegenstände der Handelsmaklertätigkeit sind speziell reguliert. Zu nennen sind 10 hier vor allem die Versicherungsvermittlung (§§ 59 ff. VVG, § 34d GewO),35 die Darlehensvermittlung an Verbraucher (§§ 655a ff. BGB),36 die Anlage- und Abschlussvermittlung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 lit. 1a und 1b KWG, § 34c GewO),37 die Erbringung von Wertpapierdienstleistun-

32 Canaris HandelsR, § 1 Rn 1, 23; K. Schmidt HandelsR, § 1 I Rn 1. Den Sonderrechtscharakter gerade des Handelsmaklerrechts betont auch MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 93 Rn 1 f. 33 Vgl. bereits 1941 Heymann bei W. Schubert S. 404: „Praktisch ist das Ganze eine sehr gallertartige Masse, weil sich fortwährend neue Gebräuche und Eigentümlichkeiten bilden und auch die Verschiedenheit der Fälle in Betracht kommt“. 34 Vgl. Staub/Koller § 346 Rn 54 ff.; K. Schmidt Handelsrecht § 1 III 3d Rn 56; Canaris HandelsR § 22 Rn 9. Eine vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag geführte Datenbank von Handelsbräuchen ist nicht öffentlich, da die erfassten Gebräuche angesichts ihrer Wandelbarkeit nicht durch Veröffentlichung zementiert werden sollen; Anfragen von Kammern und Gerichten werden daher bezogen auf den Einzelfall beantwortet. Vgl. auch Ziff. 38 des DIHKMerkblatts zur Ermittlung von Handelsbräuchen, Staub/Koller § 346 Rn 57. Insofern ist man weniger offen als früher, vgl. Apt/Dore (Hrsg.), Gutachten der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin über Gebräuche im Handelsverkehr, 1900. 35 Zur Einführung des Vermittlerrechts gemäß §§ 59 ff. VVG Koch VW 2007, 248; Reiff VersR 2007, 717; zur bis dahin geltenden Rechtslage Prölss/Martin/Kollhosser VVG27 Anhang zu §§ 43–48. 36 Hierzu MünchKommBGB/Weber § 655a Rn 1 ff. 37 Boos/Fischer/Schulte-Mattler/Schäfer KWG, § 1 Rn 134 ff., 157 f.; Boos/Fischer/Schulte-Mattler/Lindemann KWG, § 52 Rn 9. Thiessen

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gen (§§ 63 ff. WpHG)38 oder die Feststellung von Börsenkursen durch Skontroführer (§§ 27 ff. BörsG).39 Subsidiär zu den §§ 93 ff. gelten die §§ 652 ff. BGB, soweit ihrer Anwendung nicht prinzipiel- 11 le Unterschiede zwischen den jeweiligen Maklertätigkeiten entgegenstehen.40 Die subsidiäre Geltung folgt aus der allgemeinen Auffangfunktion, die Art. 2 Abs. 1 EGHGB dem bürgerlichen Recht zuweist.41 Daher sind die §§ 93 ff. auch anhand der zu §§ 652 ff. BGB ergangenen Rechtsprechung auszulegen, zumal die wenigsten Grundfragen des Maklerrechts an spezifischen Handelsmaklerfällen entschieden wurden. Allerdings sind Differenzierungen geboten.42 Viele Entscheidungen zum Zivilmaklerrecht betreffen die Immobilienvermittlung, die gerade nicht Sache der Handelsmakler ist (§ 93 Abs. 2). Ergänzend zu den §§ 93 ff. und den §§ 652 ff. BGB gelten analog die §§ 662 ff. BGB, zumal der Maklervertrag der entgeltlichen Geschäftsbesorgung (§ 675 Abs. 1 BGB) ähnelt. Analogien reichen jedoch nur soweit, wie das Auftragsrecht nicht durch spezielle Regeln verdrängt ist (vgl. § 652 Abs. 2 BGB gegenüber § 670 BGB).43 Insbesondere begründet eine Analogie zu § 675 Abs. 1 BGB keine Tätigkeits- oder gar Erfolgspflicht des Maklers (Rn 12). Darüber hinaus ist auf das allgemeine Schuldrecht des BGB zurückzugreifen.44

F. Abgrenzung zu anderen Arten von Abschlussmittlern Der Handelsmakler hebt sich von anderen Abschlussmittlern des Privatrechts durch Art, Um- 12 fang und Dauer seiner Tätigkeit ab.45 Unterschieden werden muss von Fall zu Fall, da ein und dieselbe Person je nach ihrer veränderlichen Beziehung zu den Auftraggebern dem einen oder anderen Rechtsregime unterliegt.46 Anders als der Zivilmakler (§ 652 ff. BGB) vermittelt der Handelsmakler nur Geschäfte über Gegenstände des Handelsverkehrs (§ 93 Abs. 1). Anders als der Handelsvertreter (§§ 84 ff.) oder Versicherungsvertreter (§§ 59 ff., 69 ff. VVG) steht der Handelsmakler nicht in ständiger Beziehung zu wenigstens einer Partei des vermittelten Geschäfts.47 Zudem schließt der Handelsmakler regelmäßig keine Verträge im Namen seiner Auftraggeber, sondern darf nur bei besonderer Vollmacht selbst abschließen.48 Anders als der im eigenen Namen handelnde Kommissionär (§ 383) ist der Handelsmakler seinem Auftraggeber gegenüber zu keiner Vermittlungstätigkeit verpflichtet, sondern verdient seine Provision al-

38 Vgl. den Überblick bei Jung BB 1998, 649 (654). 39 Schwark/Beck § 25 Rn 13; § 26 Rn 4; Claussen/Ekkenga § 7 Rn 134 ff. Näher hierzu § 93 Rn 43. 40 BGH v. 27.10.1951 – II ZR 102/50, NJW 1952, 257; Ruß HK-HGB § 93 Rn 4; GK/Achilles HGB Rn 9; Heymann/ Herrmann Rn 1 ff.; sachlich übereinstimmend, aber begrifflich für Spezialität der §§ 93 ff. anstelle der Subsidiarität der §§ 652 ff.: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner § 93 Rn 71. 41 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 93 Rn 1. 42 Ebenso mit Blick auf die unterschiedlichen Maßstäbe bei der AGB-Kontrolle Baumbach/Hopt/Roth § 93 Rn 65. 43 Vgl. Heymann/Herrmann Rn 27. 44 Staub/Brüggemann Rn 12; Baumbach/Hopt/Roth § 93 Rn 2; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner § 93 Rn 71. 45 Zum folgenden Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner § 93 Rn 66 ff.; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 93 Rn 4. Vgl. auch Martinek ZHR 161 (1997), 67. 46 Zu den fließenden Grenzen zwischen Handelsmakler und Handelsvertreter (Beispiel: cif-Agent) und zur Konjunkturabhängigkeit der Entscheidung für die eine oder andere Form der Vermittlung Zeidler Der Handelsvertreter und Handelsmakler 1955, 394; Schiedsgericht des Deutschen Kaffee-Verbandes e.V. v. 14.11.1977, HSG D 1d Nr. 22. 47 Vgl. OLG Bamberg v. 18.9.1964 – 3 U 26/63, BB 1965, 1167; BGH v. 22.11.1973 – VII ZR 217/71, NJW 1974, 137; Schiedsgericht der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage v. 16.11.1971, HSG D 1d Nr. 13; BGH v. 21.12.1973 – IV ZR 158/72, BGHZ 62, 71; BGH v. 4.12.1981 – I ZR 200/79, WM 1982, 272. Zur unterschiedlichen Bevollmächtigung von Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler BGH v. 25.3.1987 – IVa ZR 224/85, NJW 1988, 60. Zur Abgrenzung von Schiffsagent und Schiffsmakler LG Bremen v. 23.12.2003 – 11 O 376/03, TranspR 2004, 220. 48 Üblich ist dies etwa bei Versicherungs, Schiffs und Holzmaklern, siehe § 93 Rn 46, 49, 88, 171 sowie Staub/ Brüggemann Vor § 93 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 93 Rn 34. 997

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lein durch den Vermittlungserfolg, der vertraglich freilich ebensowenig geschuldet ist wie die Vermittlungstätigkeit selbst.49 13 Praktische Auswirkungen hat die Abgrenzung demnach bei der Frage, ob der Abschlussmittler seine Vergütung verdient hat (§ 93 Rn 81 f.). Eine Analogie zu anderen Abschlussmittlervorschriften wird von den Gerichten50 regelmäßig abgelehnt.51 Gerade bei der Abgrenzung zum Handelsvertreter52 wird damit eine wichtige Weiche gestellt, da der besonders streitanfällige Ausgleichsanspruch gemäß § 89b für Handelsmakler nicht gegeben ist. Umgekehrt ist Handelsmaklerrecht (§ 95) vereinzelt auf Handelsvertreterverhältnisse angewandt worden.53 Neben § 86b ist diese Analogie allerdings zweifelhaft.54

G. Internationales Privatrecht 14 Die früher für das IPR maßgeblichen Art. 27 ff. EGBGB a. F. sind durch die Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) abgelöst worden, die für alle Verträge gilt, die nach dem 17. Dezember 2009 abgeschlossen wurden (Art. 28 Rom I-VO). In den Grenzen der Art. 3 ff. Rom I-VO können der Handelsmakler und sein(e) Auftraggeber wählen, welches Recht auf den Maklervertrag anzuwenden sein soll.55 Treffen die Parteien keine Rechtswahl gemäß Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO,56 ist im Rahmen des Art. 4 Rom I-VO zu entscheiden, ob an den Maklervertrag oder aber an den vom Makler vermittelten Vertrag anzuknüpfen ist.57 Maßgeblich für die Rechte und Pflichten des Maklers ist dessen Sitz, da die Vermittlungstätigkeit des Maklers die charakteristische Leistung darstellt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) begründet. Anzuknüpfen ist daher bei Einzelmaklern an deren gewöhnlichen Aufenthaltsort und bei Maklern in Sozietät an deren Haupt- bzw. Zweigniederlassung.58 Für den Maklervertrag ist grundsätzlich gleichgültig, welchem Recht der vermittelte Vertrag untersteht, wie es umgekehrt für die Anknüpfung des vermittelten Vertrags grundsätzlich nicht darauf ankommt, nach welchem Recht der Maklervertrag beurteilt wird.59 Da der Makler nach der Intention der Verfasser des HGB zu beiden Parteien des vermittelten Geschäfts in einem Vertragsverhältnis steht, unabhängig von dem Zufall, welche Partei sich zuerst an ihn gewandt hat (§ 93 Rn 16 f.), ist für die Rechte und Pflichten des Maklers gegenüber beiden Parteien das Statut des Maklerauftrags anzuwenden.60

49 Vgl. OLG Hamburg v. 7.6.1920 – V 90/20, SeuffA 76, 76 zu einem Grenzfall zwischen Kommissionär und Handelsmakler. 50 BGH v. 18.11.1971 – VII ZR 102/70, NJW 1972, 251 zur Verjährung gemäß § 88 a. F.; LG Köln v. 19.1.2004 – 17 O 296/03, VersR 2004, 1312 zu §§ 86a, 87a HGB; weitere Nachweise bei § 93 Rn 81 f. 51 Kritisch Staub/Brüggemann Rn 20. 52 Hierzu frühzeitig Becker S. 10 ff., 19 ff. 53 RG v. 9.12.1919 – II 300/19, RGZ 97, 260 (261 f.). 54 Anders Baumbach/Hopt/Roth § 95 Rn 5; Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas/Röhricht § 95 Rn 4. 55 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 78 unter Hinweis auf BGH v. 16.1.1991 – IV ZR 31/90, WM 1991, 819 (820) für die stillschweigende Wahl deutschen Rechts und OLG München v. 24.3.2000 – 23 U 5318/97, VersR 2001, 459. 56 Zu einer Rechtswahlvereinbarung gemäß Art. 27 Abs. 1 EGBGB a. F. etwa BGH v. 21.12.2005 – III ZR 451/04, NJWRR 2006, 496 (497). 57 Für eine einzelfallbezogene Prüfung, wo der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses liegt, nach altem IPR BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 112/76, NJW 1977, 1586. 58 Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 317; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 78; für die Anlagevermittlung Assmann/Schütze/Buck-Heeb/Schütze/Vorpeil § 7 Rn 13. Für einen (nationalen) besonderen Gerichtsstand am Geschäftssitz des Maklers bereits der Reformentwurf von Hübbe/J. F. Müller S. 21. 59 Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 318 f. 60 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner § 93 Rn 76. Thiessen

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Abweichungen bei den spezifischen Geschäftsgegenständen von Handelsmaklern erge- 15 ben sich, wenn einerseits gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO die Besonderheiten des vermittelten Geschäfts der Regel des Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO widersprechen oder anderseits die Beteiligung von Verbrauchern gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO für eine andere Anknüpfung sprechen. So kann bei den Skontroführern und Maklern für börsliche Wertpapiergeschäfte (§ 93 Rn 43) auf den Börsenort und nicht auf einen gegebenenfalls abweichenden Sitz des Maklers abzustellen sein, weil die charakteristische Leistung am Börsenort erbracht wird und zu ihm die engste Beziehung besteht.61 Zwischen den (auch) preisfestsetzenden Skontroführern und den (lediglich) vermittelnden Maklern sollte hierbei schon deshalb nicht unterschieden werden, da die Zulassung beider Gruppen in den jeweiligen Börsenordnungen geregelt ist, eine abweichende Anknüpfung daher kaum praktikabel wäre.62 Im Übrigen gilt der Grundsatz der selbständigen Anknüpfung von Vermittlung und vermitteltem Geschäft (Rn 14). Daher kann ein in Deutschland ansässiger Anlagevermittler bei entsprechender Vertragsgestaltung nach deutschem Recht verklagt werden, auch wenn die Investmentgesellschaft, deren Anteile vermittelt werden, ihren Sitz im Ausland hat und für die Beteiligungsverträge selbst ausländisches Recht gewählt ist.63 Soweit aber anfängliche, wenn auch heilbare Wirksamkeitshindernisse des vermittelten Vertrags – etwa der Formzwang für den Geschäftsanteilserwerb nach § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG oder für die Verbraucherdarlehensvermittlung (§ 655b BGB) – auch den Provisionsanspruch des Maklers nicht entstehen lassen (§ 93 Rn 25 f.), ist über den Makleranspruch nach dem Recht des vermittelten Vertrags zu entscheiden.64 In Verträgen mit Verbraucherbeteiligung65 kann eine Rechtswahlklausel überraschend und unangemessen benachteiligend sein. Da die §§ 305c, 307 BGB zwingendes Verbraucherrecht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO darstellen, bindet eine Rechtswahlklausel einen deutschen Verbraucher etwa dann nicht, wenn diesem in Deutschland ein Vertrag über in London zu tätigende Börsentermingeschäfte vermittelt wurde und die Klausel die Wahl des weniger strengen englischen Rechts vorsieht.66 Demgegenüber gehören der Termin- und der Differenzeinwand bei im Ausland geschlossenen Börsentermingeschäften, auch soweit sie Waren betreffen, in Verträgen gegenüber nicht aufklärungsbedürftigen, nicht termingeschäftsfähigen Inländern jedenfalls nach Aufhebung der §§ 53 ff. BörsG a. F. nicht mehr zum deutschen ordre public international.67 Europäische Verbraucherschutzrichtlinien beanspruchen Geltung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 lit. b und c Rom I-VO, berühren jedoch die Tätigkeit der Handelsmakler nur punktuell.68 Für das Versicherungsrecht stellt Art. 7 Rom IVO auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers oder auf die Belegenheit des Risikos ab. Hier setzt sich die Anknüpfung an den vermittelten Vertrag gegen die Regel des Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO durch. Eine akzessorische Anknüpfung kann sich gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO gegenüber der 16 Regel des Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO durchsetzen, wenn der vermittelte Vertrag die Vermittlungsleistung deshalb dominiert, weil er den Provisionsanspruch regelt69 oder weil der Makler sich punktuell an den Bedürfnissen seiner in einem anderen Staat ansässigen Kunden orientiert.70 So wurde etwa ausnahmsweise ein Vertrag mit einem Schiffsmakler (§ 93 Rn 49 f.) in Rotterdam 61 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 164, zweifelnd a. a. O., Rn 78; a. A. Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 317 – Sitz des Börsenmaklers.

62 Vgl. Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 317; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 78; differenzierend hingegen Soergel12/v. Hoffmann Art. 28 Rn 246. Zum alten IPR BGH v. 13.6.1996 – IX ZR 172/95, NJW 1996, 2569. Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 320; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 80. Zur Anlagevermittlung Assmann/Schütze/Buck-Heeb/Schütze/Vorpeil § 7 Rn 14. Zum alten IPR OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, NJW-RR 1994, 1132. Zum alten IPR BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331; BGH v. 25.1.2005 – XI ZR 78/04, NJW-RR 2005, 1071. 68 Vgl. Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner § 93 Rn 75, 84 ff. 69 Vgl. Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 320; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 80. 70 Vgl. Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 318.

63 64 65 66 67

999

Thiessen

Vor §§ 93 ff.

1. Buch. Handelsstand

u. a. deswegen nach deutschem Recht beurteilt, weil für den vermittelten Seefrachtvertrag deutsches Recht galt.71 Die gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO vorausgesetzte enge Verbindung zu einem anderen Staat als demjenigen, in welchem die charakteristische Vermittlungsleistung gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO erbracht wird, ist aber insbesondere dann zweifelhaft, wenn die Parteien des vermittelten Geschäfts in verschiedenen Staaten sitzen.72 In solchen Fällen gilt daher auch bei Schiffsmaklern der Grundsatz (Rn 14), dass Aufenthalts- bzw. Niederlassungsort des Maklers für die Beurteilung von dessen Rechten und Pflichten maßgeblich sind.73 Eine generelle akzessorische Anknüpfung an den vermittelten Vertrag ist auch dann nicht geboten, wenn die Vermittlungstätigkeit auf einen Haupt- und einen Untermakler verteilt ist,74 da es vom Einzelfall abhängt, ob der Haupt- oder der Untermakler die charakteristische Leistung erbringt.75 Soweit die häufig als zwingend im Sinne von Art. 9 Rom I-VO angeführten Beschränkungen 17 in der Vermittlung von Wohnraum und Arbeitskräften76 noch bestehen, regeln diese nicht die Tätigkeit von Handelsmaklern, da keine Gegenstände des Handelsverkehrs betroffen sind (§ 93 Rn 56). Wegen ihrer in § 103 ausgedrückten öffentlich-rechtlichen Komponente wird die Tagebuchpflicht der §§ 100 ff. als zwingend angesehen.77 Als zwingend eingreifen kann daneben etwa die berufsrechtliche Unzulässigkeit gewerblicher Maklertätigkeit durch Rechtsanwälte (§ 93 Rn 181), sofern nicht die europäische Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit entgegenstehen.78 Entsprechendes gilt für die gewerberechtliche Komponente der auf § 34c GewO beruhende Makler- und Bauträgerverordnung.79 Da die gewerberechtliche Erlaubnis nicht allein für die Vermittlung von Immobilien, sondern abseits des § 93 Abs. 2 auch für die Vermittlung von Kapitalanlagen vorgeschrieben ist (§ 34c Abs. 1 Nr. 1b GewO), können auch Handelsmakler von diesem Erlaubniszwang betroffen sein.

71 Zum alten IPR LG Hamburg v. 23.4.1954 – 62 O 31/54, MDR 1954, 422; vgl. MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 78 mwN. 72 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 78. 73 Mankowski Seerechtliche Vertragsverhältnisse im Internationalen Privatrecht, S. 453 ff.; Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 317. 74 Anders OLG Düsseldorf v. 20.6.1997 – 7 U 196/95, RIW 1997, 780. 75 Ähnlich Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 317. 76 Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 321; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 81, Art. 9 Rom I-VO Rn 95, 99. 77 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner § 93 Rn 83; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth § 93 Rn 25. 78 Vgl. MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 70; Art. 9 Rom I-VO Rn 96. 79 Kritisch MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn 121; Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn 321. Thiessen

1000

§ 93 [Begriff] (1) Wer gewerbsmäßig für andere Personen, ohne von ihnen auf Grund eines Vertragsverhältnisses ständig damit betraut zu sein, die Vermittlung von Verträgen über Anschaffung oder Veräußerung von Waren oder Wertpapieren, über Versicherungen, Güterbeförderungen, Schiffsmiete oder sonstige Gegenstände des Handelsverkehrs übernimmt, hat die Rechte und Pflichten eines Handelsmaklers. (2) Auf die Vermittlung anderer als der bezeichneten Geschäfte, insbesondere auf die Vermittlung von Geschäften über unbewegliche Sachen, finden, auch wenn die Vermittlung durch einen Handelsmakler erfolgt, die Vorschriften dieses Abschnitts keine Anwendung. (3) Die Vorschriften dieses Abschnittes finden auch Anwendung, wenn das Unternehmen des Handelsmaklers nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.

Übersicht 1

A.

Entstehungsgeschichte

B.

Inhalt und Zweck der Regelung

C.

Anwendungsbereich

D.

Kennzeichnende Merkmale des Handelsmaklers – Gewerbsmäßige Übernahme der Vermittlung von Geschäften über Gegenstände 4 des Handelsverkehrs

I.

Gewerbsmäßigkeit – Kleingewerbetrei5 bende

II.

Keine ständige Vertragsbeziehung zu den Partei11 en des vermittelten Geschäfts

III. 1.

14 Übernahme der Vermittlung Rechtsnatur der Beziehungen zu den Par14 teien 14 a) Normtext 15 b) Entstehungsgeschichte c) Konsequenzen zur rechtlichen Einord18 nung 20 d) Doppeltätigkeit als Regelfall 22 Konkludente Übernahme 24 Formzwang Weitere Unwirksamkeitsgründe der Beauftra29 gung

2. 3. 4.

IV. 1.

2

3

32 Vermittlung Abgrenzung von Vermittlung und Nach32 weis 32 a) Gesetzgeberwille und Praxis 33 b) Abgrenzungskriterien 34 c) Kritik 35 d) Lösungsvorschlag

1001 https://doi.org/10.1515/9783110744385-013

2.

Keine Parteirolle

V.

Einbezogene Gegenstände des Handelsver39 kehrs Anschaffung oder Veräußerung von Waren 40 oder Wertpapieren 45 Versicherungen 48 Güterbeförderungen 49 Schiffsmiete – Schiffsmakler Sonstige Gegenstände des Handelsver51 kehrs 51 a) Marktwert und Umlauffähigkeit 52 b) Kreditvermittlung c) Unternehmen und Unternehmensbeteili54 gungen

1. 2. 3. 4. 5.

VI. 1. 2.

36

Ausgeschlossene Geschäftsgegenstände Bereichsausnahme für Immobilienge57 schäfte Abgrenzungsprobleme für andere Gegen61 stände

56

E.

Rechte und Pflichten des Handelsmak65 lers

I. 1. 2.

66 Anspruch auf Maklerlohn 66 Terminologie Grundsatz: Beiderseitige Freiheit von Handelsmakler und Auftraggeber(n) bis zum Abschluss des vermittelten Geschäfts – Ausnahmen im 67 Überblick Ausnahme zu Lasten des Handelsmaklers: Tätigkeitspflicht und Erfolgspflicht (Maklerdienstver70 trag – Maklerwerkvertrag) Ausnahme zu Lasten der Auftraggeber: Allein71 auftrag 71 a) Zweck

3.

4.

Thiessen

§ 93

b)

5. 6.

7.

8. 9.

10.

1. Buch. Handelsstand

Dauerschuldcharakter – Bindungs72 frist 73 c) Kündigungsmöglichkeiten d) Abschlussfreiheit – Direktab74 schluss Wirksamer Abschluss des vermittelten Ge75 schäfts – spätere Aufhebung (Un)Abhängigkeit des Provisionsanspruchs von der Ausführung des vermittelten Vertrags – Fäl81 ligkeit der Provision a) Grundsatz – abweichende Parteivereinba81 rung b) Vertragsausführung als aufschiebende Be82 dingung des Provisionsanspruchs 83 c) Fälligkeitsabrede 86 d) Handelsbräuche Kausalität von Vermittlung und Ab87 schluss 87 a) Grundsatz der Mitursächlichkeit 88 b) Umfang der Maklertätigkeit 89 c) Vorkenntniseinwand 90 d) Zögern der anderen Partei 91 e) Treuwidrige Weitervermittlung 92 f) Beauftragung mehrerer Makler 95 g) Kooperation mit mehreren Maklern 96 h) Folgeprovision Erfolgsunabhängige Provision als Ausnahme 99 vom Kausalitätserfordernis Vermittlung eines anderen Geschäfts oder Ge100 schäftspartners a) Grundsatz: Keine Provision – Fallgrup100 pen b) Ausnahme: Wirtschaftliche Gleichwertig101 keit c) Genehmigung des Alternativge103 schäfts d) Vermittlung eines anderen Geschäftspart105 ners e) Abschluss durch andere Person anstelle 107 des Auftraggebers f) Treuwidrige Weiterleitung – Provisionsum109 gehung g) Eigeninteresse des Auftraggebers am Ab110 schluss durch die Ersatzpartei Verflechtung des Maklers mit der vermittelten 114 Partei a) Provisionsanspruch bei besonderer Verein114 barung b) Gesellschaftsrechtliche Verflech115 tung c) Institutionalisierter Interessenkon116 flikt d) Verbindung von Makler und Auftragge118 ber e) Besondere Rücksichtnahmepflich119 ten

Thiessen

11. 12.

13. 14.

15.

16. 17. 18. 19.

Einfluss der Schlussnotenerteilung auf den Pro120 visionsanspruch 121 Höhe des Provisionsanspruchs 121 a) Stufenverhältnis 122 b) Parteivereinbarung 123 c) Taxe, Üblichkeit, Handelsbrauch d) Bestimmungsrecht nach billigem Ermes125 sen e) Herabsetzung übermäßiger Provisio126 nen Aufteilung der Provision bei mehreren Mak128 lern Gestaltung des Provisionsanspruchs durch Allge131 meine Geschäftsbedingungen 134 a) Erfolgsunabhängigkeit 136 b) Aufwandsentschädigung 137 c) Vorkenntnis 138 d) Fälligkeit e) Abschlussbindung und Einschränkung 140 des Widerrufsrechts 143 f) Alleinauftrag 144 g) Doppeltätigkeit 145 h) Hinzuziehung und Verweisung 146 i) Folgegeschäfte 148 j) Weitergabe 149 k) Vertragsstrafe Provisionsäquivalente Ansprüche aus § 354, aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung bei unwirksamem Makler150 vertrag Tod des Maklers oder des Auftragge152 bers Insolvenz des Auftraggebers oder des Mak154 lers 155 Verjährung 157 Verwirkung 157 a) Vertragswidrige Doppeltätigkeit 158 b) Beispiele 159 c) Sonstige Treuwidrigkeit 161 d) Verwirkung und Schadensersatz 162

II. 1. 2.

Nebenpflichten des Auftraggebers 162 Verschwiegenheit 165 Information

III. 1.

168 Sorgfaltspflichten des Handelsmaklers Sorgfalt als Kehrseite freier Tätigkeitsgestal168 tung 169 Sorgfaltsmaßstab 174 Information und Beratung a) Keine aktive Nachforschungs174 pflicht 175 b) Aufklärungspflicht 176 c) Beratung 177 d) Beispiele

2. 3.

1002

Achter Abschnitt. Handelsmakler

e)

4. 5. IV.

Zusicherungen und Garantien des Mak178 lers 179 f) Branchenspezifische Maßstäbe 180 g) Rechtsberatung 182 Verschwiegenheit 184 Keine Pflicht zu persönlicher Tätigkeit

V. 1. 2. F.

§ 93

186 Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen Pflichtverletzungen des Handelsmak186 lers 188 Pflichtverletzungen der Parteien Verfahrensfragen, insbesondere Beweis190 last

Spezifische Handelsmaklerpflichten gemäß 185 §§ 94 ff

A. Entstehungsgeschichte Seit dem HGB von 1897 wurde die Vorschrift wie der gesamte Achte Abschnitt nur geringfügig 1 verändert. In Absatz 1 wurde die Bodmerei (§ 680 a. F.) gestrichen, Absatz 3 wurde angefügt, um die Kleingewerbetreibenden nach Wegfall von § 1 Abs. 2 Nr. 7 a. F. einzubeziehen. Die Vorgängernormen der Art. 66 f ADHGB befassten sich noch mit dem Institut der Handelsmakler als amtlich bestellten Vermittlern für Handelsgeschäfte (Vor § 93 Rn 5).

B. Inhalt und Zweck der Regelung Die Vorschrift definiert den Begriff des Handelsmaklers und grenzt den Anwendungsbereich der 2 §§ 93 ff. ab. Kennzeichnend ist die gewerbsmäßige Vermittlung von Verträgen über Gegenstände des Handelsverkehrs durch den Handelsmakler, der nicht aufgrund eines ständigen Vermittlungsauftrags, sondern nur von Fall zu Fall tätig wird. Die genannten Voraussetzungen begründen die Rechte und Pflichten eines Handelsmaklers, die jedoch nicht in § 93 geregelt sind, sondern sich aus dem allgemeinen Recht der Handelsgeschäfte (§§ 343 ff.), insbesondere aus Handelsbräuchen (§ 346), dem subsidiär geltenden Zivilmaklerrecht (§§ 652 ff. BGB) und gegebenenfalls aus branchenspezifischer Regulierung etwa für Finanz- oder Versicherungsmakler ergeben.

C. Anwendungsbereich § 93 beschränkt die Anwendung des Handelsmaklerrechts auf die Vermittlung bestimmter Ver- 3 tragsinhalte, deren Aufzählung einerseits offen, andererseits abschließend formuliert ist. Absatz 1 öffnet den Anwendungsbereich über die beispielhaft genannten Waren- und Wertpapiergeschäfte, Versicherungen, Transport- und Schiffsmietverträge hinaus für „sonstige Gegenstände des Handelsverkehrs“. Was nicht Gegenstand des Handelsverkehrs ist, unterfällt nach Absatz 2 nicht dem Handelsmaklerrecht. Vom Anwendungsbereich der §§ 93 ff. ausgenommen und den §§ 652 ff. BGB zugewiesen ist durch Absatz 2 vor allem die Vermittlung von Immobiliengeschäften. Unabhängig von ihrer Registereintragung gemäß § 2 oder gesellschaftrechtlicher Verbundenheit gemäß § 6 gelten die §§ 93 ff. auch für Kleingewerbetreibende (Absatz 3). Eine analoge Anwendung der §§ 93 ff. auf Zivilmakler, wie sie frühzeitig vertreten wurde,1 hat sich nicht durchgesetzt und überzeugt auch systematisch nicht.

1 Staub6/7 Exkurs zu § 92 Anm. 7 a. E. 1003

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§ 93

1. Buch. Handelsstand

D. Kennzeichnende Merkmale des Handelsmaklers – Gewerbsmäßige Übernahme der Vermittlung von Geschäften über Gegenstände des Handelsverkehrs 4 Handelsmakler ist nur, wer eine doppelte, handelsrechtsbezogene Voraussetzung erfüllt. Er muss gewerbsmäßig tätig sein (Rn 5 ff.) und Geschäfte über Gegenstände des Handelsverkehrs vermitteln (Rn 39 ff.), sei es auch nur als Kleingewerbetreibender (Absatz 3, Rn 10) oder im Kleinverkehr (§ 104). Jeder Makler, der diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist Zivilmakler.

I. Gewerbsmäßigkeit – Kleingewerbetreibende 5 Handelsmakler ist nur der gewerbsmäßige Makler (§ 93 Abs. 1). Wer nur gelegentlich Gegenstände des Handelsverkehrs vermittelt, wird nicht mit den Vorschriften der § 93 ff. belastet, sondern unterfällt allein den §§ 652 ff. BGB.2 Hierin liegt ein auffallender Unterschied zum Gelegenheitskomissionär, der den §§ 383 ff. uneingeschränkt unterliegt (§ 406 Abs. 1 Satz 2).3 Ob der Makler gewerbsmäßig tätig ist, beurteilt sich nach denselben Kriterien wie im Rah6 men der Kaufmannseigenschaft gemäß § 1 Abs. 2. Es kommt daher insbesondere darauf an, ob der Makler dauerhaft (d. h. nicht nur gelegentlich), selbständig (d. h. nicht abhängig) und gewinnorientiert arbeitet.4 Diese Nähe zum Kaufmannsbegriff genügt allerdings seit dem Handelsrechtsreformgesetz 1998 nicht mehr, um Kaufmann und gewerbsmäßigen Makler begrifflich stets gleichzusetzen. Praktisch ergeben sich durch die Reform jedoch insoweit keine Änderungen. Nach wie vor ist zwischen der Anwendbarkeit des Kaufmannsrecht und derjenigen des Handelsmaklerrechts zu unterscheiden. Dass der Handelsmakler Kaufmann ist, ergab sich früher notwendig aus § 1 Abs. 2 Nr. 7 7 a. F., heute nur noch als Regelfall aus § 1 Abs. 2 n. F., wonach im Grundsatz jeder Gewerbebetrieb als Handelsgewerbe anzusehen ist. Ob die Regel des § 1 Abs. 2 durchgängig auch den tatsächlichen Verhältnissen des Handelsmaklergewerbes entspricht,5 muss mangels differenzierender Erhebungen offen bleiben.6 Soweit der Handelsmakler nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 1 ff. Kaufmann ist, gelten für ihn die gleichen Vorschriften wie für andere Kaufleute auch, insbesondere die Vorschriften über Handelsgeschäfte. Ist der Handelsmakler nicht bereits Kaufmann nach § 1, wird er es kraft freiwilliger Eintra8 gung in das Handelsregister (§ 2) oder dadurch, dass er das Maklergewerbe in Form einer Handelsgesellschaft betreibt (§ 6). Ist eine dieser Voraussetzungen gegeben, wird der Handelsmakler gemäß § 7 als Kaufmann behandelt, auch wenn ihm die etwa nach § 34c GewO erforderliche Gewerbeerlaubnis fehlt.7 Um den Makler als Handelsmakler zu qualifizieren, ist es nicht erforderlich, dass auch die 9 Parteien des vermittelten Geschäfts gewerbsmäßig bzw. gewerblich handeln, also Kaufleute (§ 1) oder Unternehmer (§ 14 BGB) sind.8 Daher ist es für die Annahme einer Handelsmaklertätig-

2 Heute allgemeine Meinung, Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 42. Anders noch Staub6/7 Exkurs zu § 92 Anm. 7 a. E. Zu den Hintergründen Heymann RabelsZ 13 (1940/41), 303 (310 f.).

3 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 42; Baumbach/Hopt/Roth § 406 Rn 2; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/ Reiner Rn 63. Zur bewussten Ausdehnung des Kommissionsrechts im HGB 1897 die Denkschriften zu den HGBEntwürfen 1895/96, Schubert/Schmiedel/Krampe II/1, S. 212 ff., II/2, S. 1141 f. 4 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner Rn 61. 5 So GK/Achilles HGB vor §§ 93–104 Rn 2. 6 Die vorhandenen amtlichen Erhebungen in der Handelsvermittlung (hierzu Vor § 93 Rn 3 Fn 9) unterscheiden nicht nach Handelsvertretern und Handelsmaklern. 7 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 44. 8 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 36. Thiessen

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Achter Abschnitt. Handelsmakler

§ 93

keit weder notwendig noch hinreichend, dass die vom Makler vermittelten Geschäfte für seine Kunden Handelsgeschäfte gemäß §§ 343 ff. sind.9 Sind umgekehrt die Parteien des vermittelten Geschäfts nur im Kleinverkehr tätig oder gehören sie bestimmten Branchen an, greifen für den Handelsmakler die Erleichterungen gemäß § 104. Absatz 3 stellt klar, dass die §§ 93 ff. für Kleingewerbetreibende gelten, auch wenn diese 10 nach der Neufassung des § 1 Abs. 2 durch die Handelsrechtsreform von 1998 nicht mehr kraft Gesetzes Kaufleute sind.10 Auch wenn mit der Reform der Katalog der Musskaufleute in § 1 Abs. 2 a. F. entfallen ist, der in Nummer 7 die Handelsmakler enthalten hatte (Rn 62), setzt Absatz 3 die an Art und Umfang des Maklerbetriebs ansetzende Differenzierung von Maklerpflichten und kaufmännischen Pflichten nach der Handelsrechtsreform fort.11 Früher entband die Vorschrift des § 4 a. F. die minderkaufmännischen Handelsmakler etwa von der Verpflichtung, neben dem Tagebuch auch Handelsbücher führen zu müssen. Heute folgt dies ohne weiteres daraus, dass ein Makler, dessen Unternehmen keines kaufmännisch eingerichteten Betriebes bedarf, grundsätzlich kein Kaufmann ist. Dass er gleichwohl Handelsmakler ist, insbesondere also Tagebuch führen muss, gewährleistet § 93 Abs. 3.

II. Keine ständige Vertragsbeziehung zu den Parteien des vermittelten Geschäfts Während der Handelsmakler ständig als Vermittler von Geschäften über Gegenstände des Han- 11 delsverkehrs tätig sein muss, um als gewerbsmäßig tätig zu gelten, ist seine Beziehung zu den Parteien des vermittelten Geschäfts gerade nicht ständig. In dieser Augenblicksvermittlung12 liegt der zentrale Unterschied zum Handelsvertreter. Die Abgrenzung13 wird relevant bei der Frage, ob der Handelsmakler bzw. Handelsvertreter seine Vergütung verdient hat (§ 87a) und ob er einen Ausgleichsanspruch hat (§ 89b).14 Der Handelsmakler wird ebenso wie der Zivilmakler punktuell mit der Vermittlung eines 12 bestimmten Geschäfts beauftragt, das freilich einen Gegenstand des Handelsverkehrs betreffen muss. Insoweit überschneidet sich zwar die Tätigkeit des Handelsmaklers mit derjenigen des Handelsvertreters, der gleichfalls Geschäfte vermittelt, dies jedoch aufgrund ständiger Verbindung zu mindestens einer der beiden Parteien des vermittelten Geschäfts tut.15 Wird der Handelsmakler wiederholt, jedoch ohne ständige Beauftragung für denselben Auftraggeber tätig, ist dies Ausdruck der Spezialisierung des Handelsmaklers und hindert die Anwendung der §§ 93 ff. auf derartige „Hausmakler“ nicht.16 Umgekehrt wird der Handelsvertreter nicht zum Makler, wenn er ständig für mehrere Unternehmen vermittelt.17 Gerade Versicherungsmakler können jedoch so in die Vertriebsstruktur eines Versicherers eingebunden sein, dass sie organisatorisch einem Vertreter gleichstehen und ähnlich abhängig vom Versicherer sind. Dies ist etwa der Fall, wenn der Makler, statt auf die ansonsten erfolgsabhängig erst später fällige Provision 9 Zum Verhältnis von Kaufmannseigenschaft, Handelsgeschäften und Handelsmaklereigenschaft Rn 62. 10 Baumbach/Hopt/Roth Rn 15; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner Rn 7. 11 BTDrucks. 13/8444, S. 63; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 6, 43. 12 Zu diesem Begriff bereits Staub6/7 Exkurs zu § 92 Anm. 4; ebenso zuletzt Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth Rn 12. 13 Zu den relevanten Abgrenzungskriterien BGH v. 1.4.1992 – IV ZR 154/91, NJW 1992, 2818; LG Dortmund v. 8.2.2017 – 10 O 12/16, juris; LG Köln v. 6.3.2018 – 8 O 158/15, juris; OLG Hamm v. 30.5.2014 – I-18 U 39/14, juris; OLG Düsseldorf v. 22.12.2011 – I-16 U 133/10, IHR 2013, 36; OLG Düsseldorf v. 27.5.2016 – I-16 U 187/14, NJW-RR 2016, 1315; OLG Frankfurt v. 19.5.2017– 4 U 182/16, juris, insoweit offengelassen in der Revisionsinstanz, BGH v. 24.4.2018 – VI ZR 250/17 – NJW 2018, 3093; Bayerisches Landessozialgericht v. 3.6.2016 – L 1 R 679/14, juris. 14 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 28 ff. sowie unten Rn 81 f. 15 Vgl. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 4 sowie oben Vor § 93 Rn 12. 16 Baumbach/Hopt/Roth Rn 14; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth Rn 12. Zu Reformbemühungen im Sinne einer Klarstellung Heymann RabelsZ 13 (1940/41), 303 (311); Ausschussberatungen bei W. Schubert S. 399 ff. (402); Hübbe/ J. F. Müller S. 6 f. 17 OLG Nürnberg v. 27.1.1994 – 8 U 1184/93, VersR 1995, 94. 1005

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§ 93

1. Buch. Handelsstand

zu warten (Rn 68), laufend Courtagevorschüsse und Organisationszuschüsse erhält, die einen wesentlichen Teil seiner Einnahmen ausmachen.18 Hier sollte jedoch danach entschieden werden, ob eine ‚Scheinselbständigkeit‘ vorliegt, da etwa ein Bestandspflegegeld typisch für Versicherungsmakler ist und auch die ausdrücklich vorgeschriebene Abschlussprovision (§ 92 Abs. 2) den Versicherungsvertreter eher in die Nähe des Maklers rückt.19 13 Für die Einordnung als Handelsmakler genügt nicht, dass eine Maklertätigkeit als Unternehmensgegenstand in das Handelsregister eingetragen ist, auch wenn eine solche Eintragung die Registerpublizität nach § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB begründet. Denn nach § 93 Abs. 3 sind die Vorschriften über Handelsmakler auch auf Kleingewerbetreibende anwendbar, jedoch nur, soweit die Vermittllungstätigkeit Gegenstände des Handelsverkehrs umfasst. Je nach Beziehung zu den Parteien sind die Übergänge zwischen den verschiedenen Arten von Abschlussmittlern fließend (Vor § 93 Rn 12). So treten als „Schiffsmakler“ (Rn 49) auch Personen oder Unternehmen auf, die keine Maklerleistungen gemäß § 93 HGB erbringen, sondern als Hilfspersonen, als Schiffsagenten, Kommissionäre oder rechtsgeschäftliche Vertreter des Kapitäns oder Reeders tätig sind.20

III. Übernahme der Vermittlung 1. Rechtsnatur der Beziehungen zu den Parteien 14 a) Normtext. Die maklervertragstypische entgeltliche Übernahme von Geschäftsvermittlungen ist das rechtstechnische Band zwischen dem Handelsmakler und mindestens einer Partei des zu vermittelnden Geschäfts. Häufig erteilt nur eine Partei den Maklerauftrag. Zu ihr entwickelt der Handelsmakler eine unmittelbare vertragliche Beziehung. Unklar ist hingegen die Stellung zur anderen Partei. Auch diese kann ihrerseits den Makler ausdrücklich beauftragen. In einem solchen Fall des eigentlichen Doppelauftrags ist zweifelsfrei auch die andere Partei mit dem Makler vertraglich verbunden.21 Das Gesetz unterstellt jedoch zumindest im Normtext unabhängig von einer solchen Doppelbeauftragung, dass die andere Partei in einem besonderen Verhältnis zum Handelsmakler steht, das über die Situation beim Zivilmakler hinausgeht. Die in §§ 94 ff. konkretisierten Handelsmaklerpflichten bestehen gegenüber beiden Parteien und können nur von beiden Parteien erlassen werden. Umgekehrt kann der Handelsmakler seine Provision hälftig von beiden Parteien fordern (§ 99).

15 b) Entstehungsgeschichte. Wie das Verhältnis des Maklers insbesondere zur anderen Partei rechtlich zu qualifizieren ist, gibt seit der Kodifizierung der §§ 93 ff. Anlass zum Streit. Geradezu ratlos schrieb Hermann Staub 1897 über „Begriff und rechtliche Stellung der Privathandelsmakler“: „Als Vermittler hat sich der Gesetzgeber ihn als ‚ehrlichen Makler‘22 über den beiden Parteien stehend gedacht, berechtigt von beiden Theilen den Lohn zu verlangen (§ 9[9]) und daher verpflichtet, beiden Theilen gleichmäßig und treu zu dienen, demgemäß auch beiden Theilen gleichmäßig für den Schaden verantwortlich (§ 98). In derselben Weise war früher der amtliche Handelsmakler gedacht [Art. 66 ff. ADHGB]. Dort konnte man diese Konstruktion vielleicht damit entschuldigen, dass es ja eine amtliche Person sei, um die es sich handle; schon

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OLG Hamm v. 9.5.1994 – 18 U 64/93, NJW-RR 1994, 1306; v. 28.11.1996 – 18 U 82/96, NJW-RR 1997, 1482. Vgl. demgegenüber die Interpretation bei OLG Düsseldorf v. 29.11.1996 – 16 U 18/96, RuS 1998, 44. LG Bremen v. 23.12.2003 – 11 O 376/03, TranspR 2004, 220. Baumbach/Hopt/Roth Rn 33. Zur Karriere dieses Ausdrucks nach einer Reichstagsrede Bismarcks HKK-BGB/Reinkenhof §§ 652–655e Rn 3.

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damals hat aber Dernburg mit Recht ein solches Gebilde ‚ein kaum erreichbares Ideal‘ genannt. Nun aber soll es der private Handelsmakler sein!“23 Nur angedeutet sind dogmatische Einzelheiten zu dieser Konstruktion in den beiden inso- 16 weit gleichlautenden Denkschriften zu den HGB-Entwürfen von 1895/96: „Bei dem Mäklervertrage des bürgerlichen Rechts steht der Mäkler nur zu seinem Auftraggeber in einem Vertragsverhältnisse; nur diesem haftet er aufgrund des Vertrags für sein Verschulden und nur von ihm kann er den Mäklerlohn fordern … Dem Dritten, mit dem das Geschäft abgeschlossen ist, haftet der Mäkler nach dem bürgerlichen Rechte im Allgemeinen nur nach den Regeln über die unerlaubten Handlungen. Für den amtlichen Handelsmakler gilt dagegen nach Art. 81, 83 des [Allgemeinen Deutschen] Handelsgesetzbuchs in allen diesen Beziehungen das Gegentheil, und die in der Rechtsprechung und Wissenschaft herrschende Ansicht stellt hierin den Privathandelsmäkler dem amtlichen Mäkler gleich. Bei dieser Auffassung bleibt der Entwurf stehen. Im Handelsverkehr gilt der Mäkler als Vermittler für beide Parteien, er leistet beiden seine Dienste, und es ist meist vom Zufall abhängig, welche der Parteien sich zuerst an ihn gewandt hat. Nach den §§ [98] und [99] haftet er daher beiden Parteien für den durch sein Verschulden entstandenen Schaden und in Ermangelung örtlicher Verordnungen oder eines Ortsgebrauchs kann er von jeder Partei die Hälfte des Mäklerlohns verlangen.“24 Die Gesetzesverfasser gingen durch die Gegenüberstellung zum Zivilrecht anscheinend da- 17 von aus, dass der Handelsmakler zu beiden Parteien in einem Vertragsverhältnis stehe, das durch seine von beiden Parteien akzeptierten Vermittlungsdienste zustande komme, unabhängig davon, wer ihn zufällig als erster beauftragt habe. Ob die andere Partei ihn gleichfalls ausdrücklich beauftragt haben muss oder ob es genügt, dass sie von der Vermittlung unwidersprochen profitiert, wurde nicht unterschieden. Demnach stellte das HGB die vertragliche Beziehung zu beiden Parteien als Regel auf, die nur durch Abweichungen in Ortsgebrauch oder Parteivereinbarung durchbrochen werde.

c) Konsequenzen zur rechtlichen Einordnung. Ob der Gesetzgeber hierdurch tatsächlich 18 ein Vertragsverhältnis auch zur anderen Partei oder zumindest ein vertragsähnliches Verhältnis eigener Art konstruieren wollte,25 ist angesichts der positiven Anordnung der Rechtsfolgen nicht entscheidend. Nach damaligem Verständnis ergaben sich diese Rechtsfolgen nicht von selbst aus dem ersten und möglicherweise einzigen erteilten Maklerauftrag. Sie wurden daher ausdrücklich normiert. Nach heutigem Verständnis liegt es nahe, die andere Partei analog § 328 BGB in die Schutzwirkung des Maklerauftrags einzubeziehen26 oder aber den Handelsmakler aufgrund dessen idealtypisch neutraler Stellung als Dritten im Sinne des § 311 Abs. 3 BGB zu betrachten,27 der besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt und deshalb maßgeblich auf den Vertragsschluss eingewirkt hat.28 Dies gilt auch schon bei Vertragsanbahnung.29 Allerdings lässt sich auf dieser Grundlage nur der beiden Seiten geschuldete Schadensersatz (§ 98), nicht der von beiden Seiten zu beanspruchende Maklerlohn (§ 99) nachträglich dogmatisch unterlegen. Ein echter Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB ist die Ausnahme,30 und bei einer

23 Staub Supplement zu Staub’s Kommentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, 1897, S. 54. Staub bezog sich hier auf Dernburg Lehrbuch des Preußischen Privatrechts1 1878, § 190, S. 481.

24 Schubert/Schmiedel/Krampe II/1, S. 65, II/2, S. 1013. 25 Str., vgl. zum Meinungsstand Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner Rn 40 ff. (44 ff.) mit überzeugenden Argumenten für einen vertraglichen Ansatz.

26 K. Schmidt HandelsR, § 26 II 3c Rn 20; anders Baumbach/Hopt/Roth Rn 24. 27 Canaris HandelsR, § 19 Rn 26. 28 Vgl. auch Baumbach/Hopt/Roth Rn 24 unter Hinweis auf BGH v. 11.2.1963 – VIII ZR 241/61, WM 1963, 433; v. 25.10.1967 – VIII ZR 215/66, BGHZ 48, 344 (346 f., 350).

29 Baumbach/Hopt/Roth Rn 27. 30 Für Immobilienmakler BGH v. 22.9.2005 – III ZR 295/04, NJW 2005, 3778. 1007

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Analogie zum entgeltlichen Geschäftsbesorgungsverhältnis (§ 675 Abs. 1 BGB) ist zu beachten, dass der Maklerauftrag den Makler – anders als von § 675 Abs. 1 BGB vorausgesetzt – weder zu einer Tätigkeit noch zum Erfolg verpflichtet. Angesichts dieser offenen Konstruktionsfragen nehmen die §§ 94 ff. den Parteien Zweifelsfragen ab und überlassen ihnen, ungeeignet erscheinende Rechtsfolgen zu suspendieren. 19 Nach dem gesetzlichen Leitbild steht der Handelsmakler demnach zwischen beiden Parteien des vermittelten Vertrags, auch wenn er zunächst von nur einer Partei beauftragt wurde. Nimmt die andere Partei die Vermittlung an, hat der Handelsmakler auch ihr gegenüber Rechte und Pflichten wie ein beauftragter Makler. Dieses Leitbild – „ein eigenthümlich konstruirtes Verhältniß“31 – illustriert das HGB in den Vorschriften der §§ 94, 96, 98 f., 101 über Beweissicherung durch Schlussnoten und Probenaufbewahrung, hälftigen Anspruch auf Maklerlohn, Schadensersatzhaftung und Auskunftspflicht, die durchweg das Verhältnis zu beiden Parteien betreffen.32 Von diesem Neutralitätsleitbild geht auch die Rechtsprechung aus, die den Handelsmakler als „Schlichter zwischen den widerstreitenden Teilen“ oder „getreuen Sachwalter der Parteien“ – und zwar beider Parteien – apostrophiert,33 selbst wenn einzelne Formen der Handelsmaklerpraxis wie etwa Anlage- oder Versicherungsvermittler eine größere Nähe zu der einen oder anderen Partei aufweisen können und die Neutralität erst durch besondere Vorkehrungen erreicht wird (Rn 42 ff., 45 ff.).

20 d) Doppeltätigkeit als Regelfall. Anders als beim Zivilmakler ist die Doppeltätigkeit des Handelsmaklers die gesetzliche Regel. Der Grundsatz, dass der Handelsmakler für beide Parteien tätig wird, ist jedoch dispositiv. Der Auftraggeber kann den Handelsmakler verpflichten, ausnahmsweise allein für ihn und in seinem Interesse tätig zu sein; umgekehrt kann der Makler von sich aus als alleiniger Interessenvertreter einer Partei auftreten. Für den Zivilmakler ist dies hingegen die typische Situation, in der er einen Provisionsverlust gemäß § 654 BGB (Rn 157 ff.) sicher nur vermeiden kann, wenn er seine Doppeltätigkeit von beiden Parteien gestatten oder sogar gemeinsam beauftragen lässt.34 Die Sorge eines Provisionsverlusts mag deshalb eher zu den verbreiteten Gestattungsklauseln der Immobilienmakler35 beitragen als die Annahme, im konkreten Fall sinnvoll nur für beide Parteien tätig sein zu können. 21 Das für Zivilmakler und Handelsmakler entgegengesetzte Verhältnis von Regel und Ausnahme rechtfertigt sich durch die unterschiedlichen Gegenstände der Vermittlung.36 Während der Handelsmakler üblicherweise homogene Güter vermittelt, die an vergleichsweise transparenten Märkten gehandelt werden, trifft für den Zivilmakler, namentlich den Immobilienmakler häufig, aber nicht notwendig (Rn 59) das Gegenteil zu. Für Börsenpapiere oder Handelsware wie Kaffee oder Baumwolle bildet sich der Preis bei allen Schwankungen nachvollziehbar an diesen Märkten. Den Preis für ein schwer vermittelbares Grundstück bestimmen hingegen erst die Parteien des vom Makler vermittelten Vertrags. Da der Zivilmakler somit die Balance von Leistung und Gegenleistung wesentlich stärker beeinflussen kann als der Handelsmakler, wird der Zivilmakler auch wesentlich häufiger Loyalitätskonflikten ausgesetzt sein als der Handelsmakler (Rn 157 ff.).

31 Staub6/7 Anm. 6. 32 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 50. 33 BGH v. 25.10.1967 – VIII ZR 215/66, BGHZ 48, 344 (346 f., 350); OLG München v. 8.8.1970 – 12 U 2560/65, NJW 1970, 1924 (1925); zuvor bereits OLG Hamburg v. 14.2.1907 – III. ZS, OLGE 14, 348: „weit mehr … als der Makler des BGB“. 34 BGH v. 18.5.1973 – IV ZR 21/72, BGHZ 61, 17 (21). 35 MünchKommBGB/Roth § 652 Rn 238, § 654 Rn 8; Staudinger/Arnold § 654 Rn 5. 36 So auch MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 48 f.; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner Rn 33. Thiessen

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2. Konkludente Übernahme Die Übernahme des Vermittlungsauftrags kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch konklu- 22 dent erfolgen.37 Entscheidend ist die Abgrenzung, ob aus dem bloßen Gefallenlassen von Offerten auf einen Rechtsbindungswillen geschlossen werden kann.38 Ob ein dahingehender Wille für die jeweils andere Partei des Maklerauftrags erkennbar ist,39 richtet sich in Abgrenzung zu unverbindlichen, kostenlosen Empfehlungen danach, ob Auftraggeber und Makler nach den Umständen des Falls über den Punkt der Entgeltlichkeit einig geworden sind40 oder sich eine Einigung zumindest vorbehalten haben.41 Da Handelsmakler ihrem Berufsbild nach gewerbsmäßig tätig sind, ist die Vermittlung nur gegen Vergütung zu erwarten und damit ohne besondere Abrede geschuldet (§ 653 Abs. 1 BGB). Hier werden zumeist die Umstände zu der Prognose zwingen, die Maklerleistung würde unterbleiben, wenn dem Makler angesonnen würde, ohne Provision tätig zu werden.42 Als Auftraggeber gilt dann auch derjenige, der sich die Maklerdienste widerspruchlos gefallen lässt,43 sofern der Makler nicht im Auftrag der Gegenpartei aufgetreten ist.44 Daher muss der Kunde, der den angebotenen Vertragsgegenstand bereits kennt, auf seine Vorkenntnis hinweisen und der Provisionsforderung widersprechen, wenn er sich trotz Vorkenntnis, und sei es nur auf Wunsch der anderen Vertragspartei, an den Makler wendet.45 Zudem muss er den Abschluss eines provisionspflichtigen Maklervertrags ausdrücklich verweigern, wenn der Makler seine Leistung bereits vor Auftragserteilung erbracht hat und der Kunde die Maklerleistung ausnutzt, da der Maklerauftrag auch nachträglich erteilt werden kann.46 Übernimmt aber nach Handelsusancen oder Ortsgebrauch üblicherweise eine Partei die Provisionszahlung, kann dies den konkludenten Beauftragungswillen der anderen Partei in Frage stellen.47 Eine ähnliche Funktion wie § 653 Abs. 1 BGB hat § 99, der auch die zweite Vertragspartei 23 zum Provisionsschuldner des Handelsmaklers macht. Beide Vorschriften setzen allerdings vo37 Statt aller Baumbach/Hopt/Roth Rn 16. 38 So bereits Staub6/7 Exkurs zu § 92 Anm. 10 unter Hinweis auf RG v. 25.9.1893 – VI 149/93, Bolze, Praxis des RG in Zivilsachen 17 Nr. 379. 39 Zu diesem Kriterium BGH v. 4.7.1953 – II ZR 154/52, JR 1953, 424; v. 12.12.1957 – II ZR 244/56, NJW 1958, 298 für Grundstücksmaklervertrag. 40 BGH v. 19.4.1967 – VIII ZR 91/65, NJW 1967, 1365 für Nachweismaklervertrag über Grundstück; v. 12.2.1981 – IVa ZR 105/80, WM 1981, 495. Keine Einigung entsteht bei ausdrücklicher Ablehnung einer Provisionspflicht trotz nachfolgender Vermittlungstätigkeit, BGH v. 2.7.1986 – IVa ZR 246/84, NJW-RR 1986, 1497; v. 4.10.1995 – IV ZR 163/ 94, NJW-RR 1996, 114; v. 11.4.2002 – III ZR 37/01, NJW 2002, 1945. Kein Maklerauftrag bei „Vermarktungsvertrag“, der den Vermittler zur Vermarktung auf eigene Rechnung, eigene Gefahr und in eigenem Namen ermächtigt, OLG Frankfurt v. 7.7.1981 – 22 U 228/80, BB 1981, 1546. Vgl. zum Folgenden auch MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 14. 41 BGH v. 6.12.2001 – III ZR 296/00, NJW 2002, 817. 42 Zu diesem Kriterium BGH v. 12.2.1981 – IVa ZR 94/80, NJW 1981, 1444; zur Sicht des Interessenten beim kaufmännischen Zivilmakler BGH v. 25.9.1985 – IVa ZR 22/84, BGHZ 95, 393; vgl. auch BGH v. 4.11.1999 – III ZR 223/98, NJW 2000, 282. 43 So bereits RG v. 11.4.1889 – VI 40/89, Bolze, Praxis des RG in Zivilsachen 7 Nr. 506; BGH v. 16.1.1970 – IV ZR 800/68, NJW 1970, 700. 44 RG v. 1.3.1888 – IV 321/87, Bolze, Praxis des RG in Zivilsachen 5 Nr. 583; OLG Koblenz v. 6.7.1989 – 5 U 278/89, NJW-RR 1991, 248; OLG Karlsruhe v. 8.8.2003 – 15 U 41/02, NJW-RR 2003, 1695; für Anfrage an Immobilienmakler nach Angeboten „aus dessen Bestand“ ohne eigenen Suchauftrag BGH v. 22.9.2005 – III ZR 393/04, NJW 2005, 3779. Hierüber muss die angesprochene Partei jedoch vergewissern, so bereits RG v. 11.4.1889 – VI 40/89, Bolze, Praxis des RG in Zivilsachen 7 Nr. 506. 45 OLG Celle v. 17.11.1994 – 11 U 4/94, NJW-RR 1995, 501; anders OLG Koblenz v. 6.7.1989 – 5 U 278/89, NJW-RR 1991, 248. 46 OLG Frankfurt v. 13.7.1999 – 5 U 33/98, NJW-RR 2000, 751; OLG Hamburg v. 17.5.2002 – 9 U 39/01, NJW-RR 2003, 487. 47 Staub6/7 Exkurs zu § 92 Anm. 10. 1009

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raus, dass der Makler zuvor zumindest von einer Partei konkludent beauftragt wurde. Sie können daher nicht im Zirkelschluss die konkludente Beauftragung begründen,48 die von den Gerichten auch nur zurückhaltend angenommen wird.49 Zwar wird § 354 zuweilen zur Begründung provisionsgleicher Ansprüche herangezogen (Rn 150 f.). Es liegt jedoch schon im Interesse des Maklers, auf eine ausdrückliche Vereinbarung hinzuwirken oder zumindest auf sein Provisionsverlangen deutlich hinzuweisen,50 da Zweifel an der provisionspflichtigen Beauftragung zu seinen Lasten gehen.51 Für die gewerbsmäßig tätigen Handelsmakler und ihre zumeist professionelle Klientel kann eine solche Vereinbarung auch durch Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben zustande kommen.52 Obwohl der konkludente Vertragsschluss zumeist mit Blick auf die Provisionspflicht streitig ist, kann auch der Auftraggeber ein Interesse daran haben, sich auf die stillschweigende Übernahme der Vermittlung durch den Makler zu berufen, wenn er etwa Schadensersatz vom Makler begehrt. So kann der Maklervertrag dadurch geschlossen werden, dass der Auftraggeber dem Makler die zu verkaufende Ware übersendet und der Makler Ermittlungen über den Verbleib der ihm abhanden gekommenen Ware anstellt.53

3. Formzwang 24 Der Handelsmakler wird grundsätzlich formfrei beauftragt, so dass der Maklervertrag regelmäßig nicht gemäß § 125 Satz 1 oder 2 BGB unwirksam sein wird.54 Demgegenüber kann der Auftrag an den Zivilmakler gemäß § 311b Abs. 1 BGB formbedürftig sein, wenn der Auftraggeber sich mit der Auftragserteilung vorab zu Immobilienveräußerung oder erwerb verpflichtet, und sei es auch nur mittelbar durch Zusage einer provisionsgleichen Vertragsstrafe für den Fall, dass das Geschäft nicht zustande kommt.55 Dieser Hauptanwendungsfall des formbedürftigen Maklervertrags kann jedoch wegen § 93 Abs. 2 nicht auftreten, soweit der Handelsmakler als solcher tätig wird.56 Das Handelsmaklerrecht ist nach der gesetzlichen Anordnung nicht auf die Immobilienvermittlung anwendbar (Rn 57 ff.). Ausnahmen sind allerdings denkbar, soweit das vom Handelsmakler vermittelte gemischte (Rn 60) oder zusammengesetzte Geschäft über einen Gegenstand des Handelsverkehrs unter anderem einen Immobilienerwerb enthält und man die Beurkundungspflicht einheitlich auf das gesamte Geschäft erstreckt.57

48 Ähnlich für § 354 Baumbach/Hopt/Roth Rn 38; Heymann/Herrmann Vor § 93 Rn 28. 49 BGH v. 13.6.1957 – II ZR 46/56, HVR Nr. 225; v. 21.5.1971 – IV ZR 52/70, DB 1971, 2058; v. 23.10.1980 – IVa ZR 27/ 80, NJW 1981, 279; v. 25.5.1983 – IVa ZR 26/82, NJW 1984, 232; v. 28.11.1990 –V ZR 258/89, NJW-RR 1991, 371. 50 BGH v. 16.11.2006 – III ZR 57/06, NJW-RR 2007, 400 (401 f.). 51 BGH v. 25.5.1983 – IVa ZR 26/82, NJW 1984, 232; v. 4.10.1995 – IV ZR 163/94, NJW-RR 1996, 114; Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas/Röhricht/Mock Vor § 93 Rn 6; GK/Achilles HGB vor §§ 93–104 Rn 13; Heymann/Herrmann Vor § 93 Rn 29. 52 OLG Düsseldorf v. 26.11.1993 – 7 U 260/92, NJW-RR 1995, 501. 53 OGH v. 26.11.1948 – I ZS 92/48, OGHZ 1, 253. 54 Zur Formlosigkeit des Abschlusses im Holzhandel nach Tegernseer Gebräuchen (Rn 41) BGH WM 1983, 684 (13.4.1983 – VIII ZR 33/82). 55 BGH v. 1.7.1970 – IV ZR 1178/68, NJW 1970, 1915; v. 16.10.1980 – IVa ZR 35/80, NJW 1981, 280; v. 24.6.1981 – IVa ZR 159/80, NJW 1981, 2293; v. 25.3.1983 – 11 U 246/82, NJW 1983, 1502; v. 2.7.1986 – IVa ZR 102/85, NJW 1987, 54; v. 10.2.1988 – IVa ZR 268/86, BGHZ 103, 235; v. 19.9.1989 – XI ZR 10/89, NJW 1990, 390; v. 4.10.1989 – IVa ZR 250/88, WM 1990, 77; OLG Hamm v. 2.3.1995 – 28 U 134/94, NJW-RR 1995, 951; Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas/Röhricht/ Mock Vor § 93 Rn 4 mwN. 56 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 15. 57 Vgl. MünchKommBGB/Einsele § 125 Rn 33; MünchKommBGB/Ruhwinkel § 311b Rn 54 ff.; Staudinger/Hertel § 125 Rn 61 f.; Staudinger/Schumacher § 311b Rn 171 ff. Thiessen

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Soweit Handelsmakler GmbH-Beteiligungen vermitteln (Rn 54), kann sich ein ähnlicher Formzwang aus § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG ergeben.58 GmbH-Anteile sind zwar nicht im Sinne von § 93 Abs. 1 wertpapiermäßig verbrieft, können aber entgegen der Prognose des Gesetzgebers von 1892 Gegenstand des Handelsverkehrs sein. Etwaige Verstöße werden jedoch durch notarielle Beurkundung der Anteilsabtretung geheilt (§ 15 Abs. 3 und 4 Satz 2 GmbHG).59 Bei der Kreditvermittlung (Rn 52 f.) kann durch die verbraucherspezifischen Formvorschriften des § 492 BGB Schriftform geboten sein. Jedoch wird der Formmangel etwa einer Blankounterschrift bei Maklerverträgen mit Vereinbarung eines Zahlungsaufschubs durch Vermittlung des gewünschten Vertrags geheilt (§ 507 Abs. 2 Satz 2 BGB).60 Ist der Darlehensvermittlungsvertrag selbst gemäß § 655b Abs. 2 BGB formnichtig, hat der Makler weder aus ungerechtfertigter Bereicherung noch aus § 354 einen Provisionsanspruch.61 Ein erfolgsunabhängiges Provisionsversprechen (Rn 99) kann, wenn der Makler dem Versprechenden keinerlei Gegenleistung schuldet, als Schenkungsversprechen zu bewerten sein. In diesem Fall muss das Provisionsversprechen gemäß § 518 Abs. 1 BGB notariell beurkundet werden.62 Eine solches Schenkungsversprechen liegt im geschäftlichen Verkehr allerdings fern.63 Der kartellrechtliche Formzwang für Alleinaufträge gemäß § 34 GWB a. F.64 ist mit der 6. GWB-Novelle, die Missbrauchsaufsicht über Ausschließlichkeitsbindungen mit der 7. GWB-Novelle entfallen. Maßgeblich ist damit allenfalls noch die wohl fernliegende Prüfung, ob der Alleinauftrag im Sinne der Art. 101 AEUV, §§ 1 f GWB eine spürbare, zur Verbesserung der Warenverteilung durch Makler nicht unerlässliche Wettbewerbsbeschränkung enthält.65 Schon der Verbotstatbestand dürfte nur selten erfüllt, im übrigen die Legalausnahme des § 2 GWB regelmäßig einschlägig sein.

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4. Weitere Unwirksamkeitsgründe der Beauftragung Die Unwirksamkeit des Maklerauftrags kann sich aus allgemeinem Zivilrecht ergeben,66 also 29 aus fehlender oder beschränkter Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB), Scheinabrede (§ 117 BGB), gesetzlichem Verbot (§ 134 BGB),67 Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB)68 oder Anfechtung (§ 142 BGB).

58 Zum gegenüber § 311b BGB tendenziell geringeren Umfang des Formzwangs nach § 15 Abs. 4 GmbHG Reichert/ Weller Der GmbH-Geschäftsanteil, 2006, § 15 Rn 106 ff.

59 Vgl. zur Heilung gemäß § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB etwa BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 45/85, NJW 1987, 1628. 60 BGH v. 19.5.2005 – III ZR 240/04, NJW-RR 2005, 1141; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth Rn 13. 61 BGH v. 7.7.2005 – III ZR 397/04, BGHZ 163, 332. Zur Wahrung der Schriftform vgl. das Formular bei Hopt (Hrsg.), Vertrags- und Formularbuch zum Handels, Gesellschafts- und Bankrecht3/v. Westphalen S. 66. 62 OLG Düsseldorf v. 19.5.2000 – 7 U 169/99, NJW-RR 2001, 1134. 63 BGH v. 5.10.2000 – III ZR 240/99, NJW 2000, 3781 (3782); v. 12.10.2006 – III ZR 331/04, VersR 2007, 243. 64 Zu § 34 GWB a. F. beim Makleralleinauftrag OLG Karlsruhe v. 14.9.1994 – 6 U 91/94 (Kart), WRP 1995, 126; zur fortbestehenden Unwirksamkeit formnichtiger Altverträge BGH v. 2.2.1999 – KZR 51/97, NJW-RR 1999, 689; vgl. Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas/Röhricht/Mock Vor § 93 Rn 15. 65 Zu diesen Kriterien Loewenheim/Meesen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann/Grave/Nyberg Vor § 1–3 GWB Rn 8 ff. 66 Baumbach/Hopt/Roth Rn 17. 67 Vgl. außerhalb des Handelsmaklerrechts zur früheren Nichtigkeit des Provisionsversprechens zugunsten eines Konzertvermittlers (§ 4 AFG) BGH v. 19.2.1986 – IVa ZR 58/84, WM 1986, 943; offen für die Vermittlung eines Profifußballers BGH v. 25.10.1989 – IVa ZR 19/88, NJW-RR 1990, 113. 68 So im Fall des gelegenheitsmakelnden Kreditsachbearbeiters, der sich die Weitergabe von bankeigenen Branchenkenntnissen privat honorieren ließ, BGH v. 13.10.1976 – IV ZR 91/75, BB 1977, 264. Vgl. zur Sittenwidrigkeit einer sogenannten Übererlösklausel beim Immobilienmakler BGH v. 16.2.1994 – IV ZR 35/93, BGHZ 125, 135; OLG Düsseldorf v. 5.2.1999 – 7 U 132/98, NJW-RR 1999, 1140; zur Sittenwidrigkeit bei überhöhter Provision BGH v. 30.5.2000 – IX ZR 121/99, BGHZ 144, 343. 1011

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Folgen hat dies insbesondere für den Provisionsanspruch (Rn 76). Derartige Fälle sind jedoch selten. 30 So lässt eine fehlende Gewerbeerlaubnis im Anwendungsbereich der Makler- und Bauträgerverordnung den Maklerauftrag unberührt, da § 34c GewO nicht im Sinne des § 134 BGB die zivilrechtliche Unwirksamkeit von Verträgen bezweckt, die ohne Gewerbeerlaubnis geschlossen wurden.69 Fälle eingetragener, aber ohne Gewerbeerlaubnis tätiger Handelsmakler könnten zunehmen, wenn das Maklergewerbe als GmbH organisiert ist. Die Eintragung der GmbH ist seit dem MoMiG ohne Vorlage der Gewerbeerlaubnis möglich (bisher § 8 Abs. 1 Nr. 6 a. F. GmbHG).70 Für die GmbH gilt dann wie auch sonst für Einzelgewerbetreibende und Handelsgesellschaften, dass Kaufmannsrecht trotz fehlender öffentlich-rechtlicher Befugnis anwendbar ist (§ 7). Eine Häufung nicht genehmigter Tätigkeiten ist mangels entsprechender Kontrolle durch companies house und Registergerichte auch in der Rechtsform der Limited zu erwarten, da auch bei Eintragung einer deutschen Zweigniederlassung die Genehmigung nicht mehr abgefragt werden wird (§ 13e Abs. 2 Satz 2). Auch insoweit zielen die gewerberechtlichen Vorschriften grundsätzlich jedoch nicht auf die zivilrechtliche Wirksamkeit des Maklervertrags, stellen also keine vertragsvernichtenden Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB dar.71 Entsprechendes gilt für eine fehlende bankenaufsichtsrechtliche Erlaubnis für Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen gemäß § 32 KWG.72 Kein Verbotsgesetz gegenüber dem Versicherungsnehmer ist das versicherungsaufsichtsrechtliche Verbot von Sondervergütungen gemäß § 48b VAG. Der Versicherungsmaklervertrag bleibt daher auch wirksam, wenn der Makler einen Teil seiner Provision dem Versicherungsnehmer abgibt.73 Der Maklervertrag74 bleibt regelmäßig auch wirksam, soweit Standesgrenzen noch Ange31 hörige freier Berufe daran hindern, als Makler tätig zu werden.75 Ähnliches dürfte für Makleraufträge an Beamte gelten, die ohne Nebentätigkeitsgenehmigung agieren, sofern mit der Provision keine Diensthandlung erkauft werden soll.76 Allerdings ist zu bedenken, ob nicht etwa Rechtsanwälten und Steuerberatern durchaus die aus §§ 93 ff. folgenden Pflichten auferlegt werden sollten, wenn sie berufsrechtswidrig das Maklergewerbe betreiben. Allein nach §§ 652 ff. BGB ist es jedoch zu beurteilen, wenn die genannten Berufsgruppen im Rahmen ihrer rechtsoder steuerberatenden Tätigkeit gelegentlich Geschäfte vermitteln, etwa zur Finanzierung von Gegenständen, deretwegen sie von ihren Mandanten aufgesucht wurden. Die alleinige Geltung der §§ 652 ff. BGB beruht in diesen Fällen jedoch auf der Gelegentlichkeit der Tätigkeit, nicht auf deren Standeskonformität oder Standeswidrigkeit. Fehlt jedoch die gemäß § 34c GewO nötige Erlaubnis zur Kreditvermittlung, ist eine mit der Vermittlung einhergehende Rechtsberatung nicht vom Nebentätigkeitsprivileg gemäß § 5 RDG gedeckt.77 Auch bei gesetzeswidriger Vermittlung sind die durch einen Steuerberater (§ 57 StBerG) geschlossenen Vermittlungsaufträge nicht gemäß § 134 BGB unwirksam, jedoch unter Umständen sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 1 BGB, wenn der Steuerberater die ihm oder einer mit ihm verflochtenen Gesellschaft (Rn 115)

69 BGH v. 23.10.1980 – IVa ZR 33/80, BGHZ 78, 269; Baumbach/Hopt/Roth Rn 3. Vgl. für den fehlenden Vermieterauftrag gemäß § 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung BGH v. 25.7.2002 – III ZR 113/02, BGHZ 152, 10; Baumbach/Hopt/Roth Rn 4. 70 BRDrucks. 354/07, S. 76 f. 71 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 44. 72 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner Rn 74; Boos/Fischer/Schulte-Mattler/Fischer/Müller KWG, § 32 Rn 30. 73 Vgl. BGH v. 19.12.1984 – I ZR 181/82, BGHZ 93, 177; OLG Frankfurt v. 12.11.1993 – 10 U 29/91, VersR 1995, 92; OLG Hamburg v. 30.11.1993 – 7 U 61/93, VersR 1995, 817. Vgl. Prölss/Martin/Dörner VVG, § 59 Rn 64. 74 Anders unter Umständen die vermittelten Geschäfte und die mit der Vermittlung einhergehenden Beratungsmandate von Anwälten etc., hierzu Rn 180. 75 Auch zum Folgenden MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 45; näher unten Rn 180. 76 Ähnlich Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner Rn 74 unter Hinweis auf die Fallgestaltung in OVG Lüneburg v. 10.5.1994 – 5 L 2520/91, ND MBl 1995, 113. 77 LG Darmstadt v. 23.2.2000 – 21 S 170/99, NJW-RR 2002, 351 (zu Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG). Thiessen

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versprochene Provision gegenüber der beratenen Partei verschweigt.78 Demgegenüber ist eine Provisionsvereinbarung nicht deshalb unwirksam, weil ein Rechtsanwalt in einem Einzelfall zugunsten einer mit ihm familiär verbundenen Person vereinbarungsgemäß unentgeltlich tätig wird und diese ihm gestattet, für eine Vermittlung eine Maklerprovision zu vereinbaren.79 Wegen § 14 Abs. 4 Satz 1 BNotO gesetzeswidrig und gemäß § 134 BGB nichtig sind jedoch Vermittlungsaufträge, die ein Anwaltsnotar und die mit ihm verbundenen Anwaltssozien schließen.80 Umgekehrt sind nicht sämtliche Aufträge einer Maklergesellschaft schon deswegen sittenwidrig, weil an der Gesellschaft ein Rechtsanwalt beteiligt ist, sofern der Rechtsanwalt gegenüber dem Kunden allein in seiner Eigenschaft als Makler tätig wird.81 Hat sich der Makler seine Marktkenntnis durch eine „aggressive Einwerbungspraxis“ verschafft, mag dies anstößig sein, ist jedoch gemessen an § 138 BGB für die rechtliche Wirksamkeit eines später geschlossenen Maklervertrages irrelevant.82 Sittenwidrig ist hingegen eine Provisionszusage unter der Verabredung, Schmiergelder entgegenzunehmen und weiterzugeben.83

IV. Vermittlung 1. Abgrenzung von Vermittlung und Nachweis a) Gesetzgeberwille und Praxis. Gemäß § 652 BGB kann der Zivilmakler seine Vergütung auf 32 zweierlei Weise verdienen, indem er dem Auftraggeber entweder einen Vertrag vermittelt oder ihm zumindest eine entsprechende Abschlussgelegenheit nachweist. Nach der Intention der Gesetzesverfasser ist jedoch der bloße Nachweis untypisch für den Handelsmakler. Dieser müsse den Vertragsabschluss mit herbeiführen, wie insbesondere das Erfordernis von Schlussnoten zeige.84 Wenn § 93 anders als § 652 BGB also nur die Vermittlung erwähnt,85 ist dies Ausdruck einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, die möglicherweise auf der systematischen Einordnung in den Handelsstand statt in die Handelsgeschäfte beruht.86 Schon frühzeitig wurde allerdings eingewandt, dass der Unterschied zwischen Vermittlung und Nachweis in der Praxis nahezu völlig verwischt wird, da auch die Handelsmakler gerade an belebten Märkten wenig mehr tun als die abschlussgeneigten Parteien zusammenzuführen, statt eine Partei zu ‚bearbeiten‘, um sie zum Abschluss ‚geneigt zu machen‘.87 Weitergehende Tätigkeiten betreffen neben der Nachweis- und Vermittlungstätigkeit die Hilfe bei der Abwicklung des vermittelten Geschäfts und dessen Zwi-

78 BGH v. 23.10.1980 – IVa ZR 28/80, BGHZ 78, 263 (268); v. 19.6.1985 – IVa ZR 196/83, BGHZ 95, 81; zurückhaltender BGH v. 8.6.2000 – III ZR 186/99, NJW 2000, 3067.

79 BGH v. 31.10.1991 – IX ZR 303/90, NJW 1992, 681. 80 BGH v. 22.2.2001 – X ZR 357/99, BGHZ 147, 39 (44); für den Einzelnotar, der den vermittelten Vertrag selbst beurkundet, bereits BGH v. 22.3.1990 – IX ZR 117/88, VersR 1990, 861.

81 BGH v. 8.6.2000 – III ZR 187/99, NJW-RR 2000, 1502. 82 BGH v. 10.7.1985 – IVa ZR 15/84, NJW 1986, 51 für Immobilienmakler. 83 BGH v. 6.11.1985 – IVa ZR 266/83, WM 1986, 209; OLG Stuttgart v. 10.2.2010 – 3 U 179/09, juris; Baumbach/Hopt/ Roth Rn 26. 84 Schubert/Schmiedel/Krampe II/1, S. 63, 381, II/2, S. 1012. Zustimmend Staub/Brüggemann Vor § 93 Rn 13; Baumbach/Hopt/Roth, Rn 13. 85 Dies betonen K. Schmidt HandelsR, § 26 I 1d Rn 5; Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas/Röhricht/Mock Rn 24. 86 So K. Schmidt HandelsR, § 26 I 1d Rn 5; zum problematischen System des HGB ders. JZ 2003, 585 (587); ders. FS Staub, 2006, S. 109, 114. Zu ähnlichen Abgrenzungsschwierigkeiten bei den „Gegenständen des Handelsverkehrs“ Rn 62. 87 Staub6/7 Anm. 3, zur Abgrenzung von Abschlussmakler und Nachweismakler ders. a. a. O. Exkurs nach § 92 Anm. 2, 6, 23 Fn 1, Anm. 27 Fn 2. Ähnlich später Gierke/Sandrock Handels- und Wirtschaftsrecht, 1975, § 29 II 1b α, S. 502; Schlegelberger/Schröder Rn 6. Kritisch hierzu besonders Staub/Brüggemann Vor § 93 Rn 13; Heymann/Herrmann Rn 6; ebenso schon frühzeitig Reifert S. 11 f. 1013

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schenfinanzierung.88 Dementsprechend wollten Reformvorschläge von 1941 den Handelsmakler durch „die Vermittlung von Verträgen über Gegenstände des Handelsverkehrs, den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluß oder die Abwicklung solcher Verträge“ kennzeichnen.89

33 b) Abgrenzungskriterien. Zumindest theoretisch lassen sich Abgrenzungskriterien durchaus formulieren.90 Der Nachweis muss konkrete Angaben über Objekt, Gegenpartei und Bedingungen der nachgewiesen Abschlussgelegenheit enthalten; dagegen führt der Vermittlungsmakler die Abschlussbereitschaft durch finale Einwirkung herbei.91 Durch den Nachweis muss der Auftraggeber in die Lage versetzt werden, in konkrete Verhandlungen über den von ihm angestrebten Hauptvertrag einzutreten; der bloße Hinweis auf ein mögliches Vertragsobjekt und ein daraufhin erfolgender, adäquat kausaler Abschluss genügen nicht.92 Demgegenüber ist es zur Vermittlung weder notwendig noch ausreichend, dass der Makler seinem Auftraggeber mit Rat und Tat zur Seite steht. Er muss vielmehr mit beiden Parteien verhandeln, um einen Vertrag zustande zu bringen. Hierzu muss er insbesondere Verbindung mit dem Geschäftspartner seines Auftraggebers aufnehmen und auf diesen einwirken, einen Vertrag mit dem Auftraggeber zu schließen,93 d. h. die Abschlussbereitschaft fördern und ein Motiv hervorrufen, das für den Vertragsabschluss nicht völlig unbedeutend war.94 Nach diesen Kriterien wird heute eine Abgrenzung von Nachweismakler und Vermittlungsmakler auch praktisch als möglich angesehen, mit der Folge, dass der Handelsmakler mangels besonderer Vereinbarung95 nie bloßer Nachweismakler sein könne, auf Nachweismakler daher die Sonderregeln der §§ 93 ff. nicht anwendbar seien.96 Nachweis und Vermittlung werden dabei so weit voneinander getrennt, dass zugunsten des Handelsmaklers nicht nur eine Nachweisprovision, sondern auch die Anwendung der §§ 93 ff. zumindest konkludent vereinbart werden muss.97

34 c) Kritik. Diese auch von der späteren Rechtsprechung gezogene Konsequenz98 führt indes zu unnötiger Rechtsunsicherheit99 und sollte nicht pauschal aufrechterhalten werden. Während bei einem Versicherungsmakler sehr leicht vorstellbar ist, dass er den potentiellen Versicherungsnehmer zu einem Abschluss zu motivieren versucht, ebenso bei einem Anlagevermittler, 88 Insbesondere für den Außenhandelsmakler, vgl. bereits den Reformentwurf von Hübbe/ J. F. Müller S. 3 f (22 ff.) aus dem Jahre 1941; daneben J. F. Müller S. 10 ff. 89 Hübbe/J. F. Müller S. 5; ähnlich zuvor Heymann RabelsZ 13 (1940/41), 303 (311); Ausschussberatungen und -entwurf bei W. Schubert S. 399, 402 f., 455. 90 Zur Abgrenzung in der Rechtsprechung zuletzt Fischer NJW 2007, 183. 91 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 16; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reiner Rn 14 f.; Heymann/Herrmann Rn 6. 92 BGH v. 15.6.1988 – IVa ZR 170/87, WM 1988, 1492. 93 Zu diesen Kriterien BGH v. 6.12.1967 – VIII ZR 289/64, BB 1968, 148. 94 OLG Koblenz v. 6.5.1994 – 2 U 1568/92, AIZ A 130 Bl. 68. 95 BGH v. 27.10.1976 – IV ZR 149/75, MDR 1977, 209 (210). 96 Staub/Brüggemann Vor § 93 Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 24 ff.; Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas/Röhricht/Mock Rn 24; Heymann/Herrmann Rn 5. 97 GK/Achilles HGB Rn 1. 98 Vgl. noch RG v. 5.10.1915 – IV 171/15, LZ 1916, 754, das obiter als Vermittlung i. S. d. § 93 unter Umständen die bloße Nennung des Interessenten genügen ließ, denn „bei dem Handelsmäkler ist der Begriff der Vermittlung nicht zu eng zu fassen“ unter Hinweis auf Staub9/Bondi Anm. 3, vgl. oben Fn 87. Anders später OLG Nürnberg v. 13.10.1959 – 2 U 194/57, BB 1960, 112; OLG v. 19.6.1969 – 2 Ss 235/69, Hamm BB 1969, 895; BGH v. 27.10.1976 – IV ZR 149/75, MDR 1977, 209 (210). Der Nachweis einer Verkaufsgelegenheit für GmbH-Anteile genügte bei BGH v. 21.12.2005 –III ZR 451/04, NJW-RR 2006, 496 (497), die allerdings verbreitet nicht als Gegenstand des Handelsverkehrs angesehen werden, hierzu Rn 54. 99 Vgl. nur die Abgrenzungsfragen in BGH v. 10.7.1985 – IVa ZR 15/84, NJW 1986, 51; OLG Koblenz v. 19.9.1991 – 5 U 1867/90, NJW-RR 1992, 891, jeweils für Immobilienmakler. Thiessen

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können Makler an institutionalisierten Handelsplätzen, sei es für Waren oder Wertpapiere, angesichts der Geschwindigkeit der abgewickelten Geschäfte zunächst100 oft kaum mehr tun, als potentiell abschlussbereite Parteien zusammen zu bringen. Dass eine der Parteien nicht unentschlossen, sondern bereits omni modo facturus ist, spricht nicht dagegen, die Sondervorschriften des Handelsmaklerrecht auf Nachweismakler anzuwenden. Auch solchen Parteien, denen nur eine Gelegenheit zum Abschluss nachgewiesen wurde, ist durch eine beweissichernde Urkunde in Form der Schlussnote gedient (§ 94), gerade wenn der Makler die andere Partei nachbenennen will (§ 95), ebenso mit der Dokumentation durch Tagebücher (§§ 100 ff.). Auch beim bloßen Nachweis von Abschlussgelegenheiten kann der Makler Pflichtverletzungen begehen, die einen Schadensersatzanspruch gegen ihn rechtfertigen (§ 98). So kann der Makler, der zwar nicht ständig, aber häufiger mit der Vermittlung für eine oder beide Parteien betraut ist, Kenntnis von Umständen haben, die er der jeweils anderen Partei nicht vorenthalten darf, wenn diese den Vertragszweck gefährden können (Rn 175), mag auch der Nachweis einer Abschlussgelegenheit ohne weiteres gelingen.

d) Lösungsvorschlag. Der Nachweis bereits abschlussgeneigter Parteien, die zuvor voneinan- 35 der nichts wussten, ist für einen Abschluss nicht weniger kausal als die erfolgreiche Einwirkung auf eine zunächst zögernde Partei.101 Selbstverständlich genügt es nicht, dem Auftraggeber eine lange Liste angeblicher Interessenten zu übergeben, die der Auftraggeber selbst auf tatsächliche Interessenten prüfen müsste.102 Erforderlich ist vielmehr ein hinreichend konkreter Hinweis, aufgrund dessen der Auftraggeber Vertragspartner und Gegenstand ohne weiteres identifizieren kann.103 Wenn es daher im Streitfall darum geht, ob der Makler eine Vermittlungstätigkeit im Sinne von § 93 entfaltet hat, ist dies vor allem ein Streit um die Kausalität zwischen Maklertätigkeit und Abschluss (Rn 87 ff.), also ein Streit um die Berechtigung der Provisionsforderung. Wegen dieser unsicheren, im Streitfall zu klärenden Tatsachenfrage ist es nicht angezeigt, den Parteien die Rechtsfrage aufzubürden, ob der Makler eine Tätigkeit entwickelt hat, die sie in den Genuss des Handelsmaklerrechts bringt, also etwa zu Schlussnoten oder Tagebuchauszügen berechtigt. Den Handelsmakler auf die aktive ‚Bearbeitung‘ einer Partei, geradezu auf deren Manipulation festzulegen, wäre im übrigen mit dem Leitbild des neutralen Handelsmaklers nicht zu vereinbaren. Auch wenn er die Parteien lediglich zusammenbringt, kann er seine Funktion als private Urkundspe