Handeln aufgrund eines militärischen Befehls und einer beamtenrechtlichen Weisung [1 ed.] 9783428525638, 9783428125630

Zentraler Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist das Handeln aufgrund eines militärischen Befehls und einer beamtenrecht

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German Pages 285 Year 2007

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Handeln aufgrund eines militärischen Befehls und einer beamtenrechtlichen Weisung [1 ed.]
 9783428525638, 9783428125630

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Schriften zum Strafrecht Heft 192

Handeln aufgrund eines militärischen Befehls und einer beamtenrechtlichen Weisung Von

Sebastian Schwartz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

SEBASTIAN SCHWARTZ

Handeln aufgrund eines militärischen Befehls und einer beamtenrechtlichen Weisung

Schriften zum Strafrecht Heft 192

Handeln aufgrund eines militärischen Befehls und einer beamtenrechtlichen Weisung

Von

Sebastian Schwartz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Konstanz hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-12563-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Mutter und Livi

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2006/2007 von der Juristischen Fakultät der Universität Konstanz als Dissertation angenommen. Abgeschlossen wurde die Arbeit im Herbst 2006. Rechtsprechung und Literatur wurden bis November 2006 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Jörg Eisele, der das Thema der Arbeit angeregt und fortwährend begleitet hat. Die stets freundliche, sehr kompetente und bereitwillige Unterstützung war für mich sehr hilfreich. Für die überaus zügige Erstellung des Erstgutachtens möchte ich Herrn Professor Dr. Jörg Eisele meinen besonderen Dank aussprechen. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Professor Dr. Christoph Schönberger für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Hervorheben möchte ich zudem, dass das Zustandekommen der Arbeit zu einem erheblichen Teil durch die freundliche Unterstützung der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg ermöglicht wurde. Sehr verbunden bin ich überdies der Karl-Theodor-Molinari-Stiftung e. V., Bildungswerk des Deutschen BundeswehrVerbandes, für den gewährten Druckkostenzuschuss. Abschließend möchte ich all jenen danken, die mich in fachlicher und persönlicher Hinsicht unterstützt haben und so zum Gelingen der Arbeit wesentlich beitrugen. Konstanz, im Winter 2006/2007

Sebastian Schwartz

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

B. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Erster Teil Das Wehrrecht – Handeln aufgrund eines militärischen Befehls

27

Erstes Kapitel Der Begriff des militärischen Befehls

27

A. Anweisung zu einem bestimmten Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

B. Befehl eines militärischen Vorgesetzten an einen Untergebenen . . . . . . . . . . . . .

28

C. Anweisung in schriftlicher, mündlicher oder in anderer Weise . . . . . . . . . . . . . .

29

D. Allgemein oder für den Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

E. Mit dem Anspruch auf Gehorsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

F.

30

Rechtliche Qualifikation des Befehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zweites Kapitel Die rechtshistorische Entwicklung bei einem Handeln aufgrund eines militärischen Befehls

31

A. Die rechtshistorische Entwicklung bis 1872 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

B. Die rechtshistorische Entwicklung ab Kodifikation der Militärstrafgesetzbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

C. Analyse des § 47 MStGB bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die einschränkende Auslegung des § 47 MStGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Enthaftung des Untergebenen nach § 47 I 2 MStGB . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Enthaftung in tatsächlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Enthaftung in rechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36 36 40 41 42

10

Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel Die bestehende Rechtslage bei einem Handeln aufgrund eines militärischen Befehls

A. Das I. II. III.

44

neue Wehrstrafgesetz vom 30.03.1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das neue Menschenbild: der Staatsbürger in Uniform . . . . . . . . . . . . . . . . Die neue rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unterscheidung von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines militärischen Befehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Notwendigkeit einer Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kritik der Literatur und eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Beispiel von Spendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Lösung des Beispiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mögliche Erscheinungsformen rechtswidriger, verbindlicher Befehle 5. Die Vermutung der Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 45 45

B. Die Gehorsamspflicht des Soldaten nach dem Soldatengesetz . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Gehorsamspflicht des Soldaten gemäß § 11 I 1 und 2 SoldatenG und die sog. Gegenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ansicht der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ansicht des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ansicht der herrschenden Meinung im Schrifttum . . . . . . . . . . 2. Die Gegenmeinung in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der rechtmäßige, verbindliche Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der rechtmäßige, unverbindliche Befehl? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beispiel: Die irrige Festnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Lösung des Beispiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der sog. „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ . . . . . . . . . . . bb) Die Auswirkungen des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ auf die Rechtmäßigkeit des Befehls . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Einschränkung des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ für den zu beurteilenden Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Würdigung des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Problem der Kenntnis des Untergebenen von dem Irrtum seines Vorgesetzten und die hieraus folgenden Konsequenzen . . . . . . e) Zwischenergebnis zur Lösung des Beispiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54

47 47 49 49 50 51 51 52

55 57 57 58 59 61 64 65 66 66 67 67 68 68 69 71 73

Inhaltsverzeichnis aa) Die Rechtmäßigkeit des Befehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Verbindlichkeit des Befehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der rechtswidrige, verbindliche Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die „Entschuldigungslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „Rechtfertigungslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Relativität der Rechtsverhältnisse und der „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die in Streit befangenen Rechtsgüter und deren Rechtsträger cc) Differenzierung nach Innen- und Außenrecht . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Notwehrrecht des Dritten und die hierdurch gefährdete Disziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Gesichtspunkte des Nötigungsnotstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die „Entschuldigungslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die „Rechtfertigungslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme vor dem Hintergrund geringfügiger Normübertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Situative Vergleichbarkeit des Nötigungsnotstands mit der des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Das Rechtsbewährungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Der Staatswille und der Wille des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Das „Teilnahmeargument“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Die Irrtumsnorm gemäß § 22 WStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . kk) Die Autoritätsbindung des Untergebenen an seinen Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der rechtswidrige, unverbindliche Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befehle, die nicht befolgt werden dürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der strafrechtswidrige Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der sog. „gefährliche“ Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Begriff des „gefährlichen“ Befehls . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Problem der Verbindlichkeit des „gefährlichen“ Befehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Beispiel: Die lebensgefährliche Flussüberquerung . . . . . . . (5) Die Lösungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die sog. „Feststellungslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die sog. „Prognoselösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 73 74 74 75 76 78 82 82 83 84 85 87 88 89 90 91 92 93 93 94 95 96 97 99 100 101 101 101 101 103 104 105 105 105 106

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Inhaltsverzeichnis (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Die widerstreitenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Überprüfung der sog. „Feststellungslösung“ . . . . (cc) Überprüfung der sog. „Prognoselösung“ . . . . . . . (dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der völkerrechtswidrige Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Befehl zur Vorbereitung eines Angriffskrieges gemäß Art. 26 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßende Befehl gemäß Art. 25 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befehle, die nicht befolgt werden müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befehle, welche die Menschenwürde des Untergebenen oder Dritter verletzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verstoß gegen Verfassungsprinzipien, insbesondere gegen Grundrechte des Untergebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Soldat als Grundrechtsträger im sog. Sonderstatusverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Befehl als Eingriff in die Grundrechte des Soldaten . (4) Die einschränkbaren Grundrechte durch Befehl nach Art. 17a GG und Art. 137 I GG und die daraus folgenden Konsequenzen für die dort nicht genannten Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Der Eingriff in Grundrechte durch Befehl außerhalb des Art. 17a GG und Art. 137 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der Eingriff in einschränkbare Grundrechte durch Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Eingriff in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte durch Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Reichweite der Gehorsamspflicht nach Art. 4 I 2. Var. GG vom 21.06.2005 . . . . . . cc) Befehle, die zu nicht dienstlichen Zwecken ergehen, und Befehle für die dienstfreie Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der unzumutbare Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Unverbindlichkeit bei inhaltlich sich widersprechenden Befehlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Befehle, die unter Überschreitung der Befehlsbefugnis ergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Es besteht kein Vorgesetztenverhältnis i. S. d. VVO . . . . . . (2) Es besteht ein Vorgesetztenverhältnis i. S. d. VVO . . . . . . .

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133 139 142 142 144 145 145

Inhaltsverzeichnis gg) Unverbindlichkeit des Befehls bei Unmöglichkeit und wegen grundlegender Veränderung der Sachlage – die sog. clausula rebus sic stantibus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Objektive Unmöglichkeit der Befehlsausführung . . . . . . . . (2) Subjektive Unmöglichkeit der Befehlsausführung . . . . . . . (3) Unverbindlichkeit des Befehls bei grundlegender Änderung der Sachlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Unverbindlichkeit des Befehls wegen rechtfertigender Pflichtenkollision in der Person des Untergebenen? . . . . . . . . . . . . . . (1) Beispiel: Das unbewachte Kasernentor . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die auftretende Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Rechtfertigung des Wachsoldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Die Verbindlichkeit des Wachbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Sonstige Unverbindlichkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die normative Ausgestaltung der Strafrechtsvorschriften bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das vorsätzliche Begehungsdelikt bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . 1. Der Tatbestand einer vorsätzlichen Straftatbegehung auf Befehl . . . . . 2. Die Rechtswidrigkeit einer vorsätzlichen Straftatbegehung auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Rechtfertigungsgründe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Rechtfertigungsgründe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gemeinsame Struktur der Erlaubnissätze: Das subjektive Rechtfertigungselement bei einem objektiven Vorhandensein der Rechtfertigungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der besondere Rechtfertigungsgrund der „militärischen Notwendigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der rechtmäßige, verbindliche Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der rechtmäßige, unverbindliche Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Der rechtswidrige, verbindliche Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Der rechtswidrige, unverbindliche Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Weitere besondere Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Schuld des Untergebenen bei einer vorsätzlichen Straftatbegehung auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Entschuldigungsgründe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Entschuldigungsgründe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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160 161 162 162 162 162 163 165 165 167

14

Inhaltsverzeichnis aa) Der Schuldausschließungsgrund eigener Art gemäß § 5 I WStG bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Voraussetzungen des § 5 I WStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Das Begehen einer rechtswidrigen und schuldhaften Tat durch den Untergebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das Begehen der Straftat durch den Untergebenen auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Rechtsfolge des § 5 I WStG bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kenntnis des Untergebenen von der Rechtswidrigkeit der Tat gemäß § 5 I 1. Var. WStG . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Nichterkennen der Straftatbegehung aus tatsächlichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Nichterkennen der Straftatbegehung wegen irriger rechtlicher Bewertung des Untergebenen . . . (b) Offensichtlichkeit eines Vergehens oder Verbrechens gemäß § 5 I 2. Var. WStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Die objektive Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die subjektive Komponente demonstriert am Beispiel der „Mauerschützenfälle“ . . . . . . . . . . . . bb) Der besondere Entschuldigungsgrund nach § 3 VStGB . . . . . . cc) Der besondere Entschuldigungsgrund nach Art. 33 IStGH . . . 4. Der besondere Strafmilderungsgrund des § 5 II WStG . . . . . . . . . . . . . 5. Die Irrtumsregelung des § 22 WStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 22 I WStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 22 II, III WStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das fahrlässige Begehungsdelikt bei einem Handeln auf Befehl . . . . . . . . 1. Beispiel: Tödlicher Unfall durch unvorsichtiges Einparken . . . . . . . . . 2. Die Lösung des Beispiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Rechtsfolgen der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die strafzumessungserheblichen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Erfolgsunwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Handlungsunwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die einzelnen Instrumentarien auf Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . V. Besonderheiten für Jugendliche und Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . .

167 167 168 168 168 170 171 172 173 174 174 176 178 180 180 183 183 185 186 187 187 189 189 189 190 193 195

Inhaltsverzeichnis

15

Zweiter Teil Das Beamtenrecht – Handeln aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung

196

Erstes Kapitel Einführung

196

Zweites Kapitel Der Begriff der beamtenrechtlichen Weisung

197

A. Innerdienstliche Einzelanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Weisungsgebundenheit des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 C. Vorgesetzter und Untergebener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 D. Rechtliche Qualifikation der beamtenrechtlichen Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Drittes Kapitel Die rechtshistorische Entwicklung bei einem Handeln aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung

198

Viertes Kapitel Die bestehende Rechtslage bei einem Handeln aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung A. Die I. II. III.

204

rechtliche Ausgestaltung der beamtenrechtlichen Gehorsamsvorschriften Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Gehorsamspflicht des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen der Gehorsamspflicht und die Verantwortung des Beamten . . . .

204 204 206 208

B. Kritische Würdigung des § 56 II 3 BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der entstehungsgeschichtliche Hintergrund als materielle Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Auslegung des § 56 II 3 BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auslegung nach dem Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wortlaut des § 56 II 3 BBG und seine „Korrektur“ . . . . . . . . . b) Kritik an der Wortlaut„korrektur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die objektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik an einer rein objektiv-teleologischen Auslegung . . . . . . cc) Verstoß gegen das Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213 214 215 215 215 217 218 219 221 223

16

Inhaltsverzeichnis 3. Systematische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Regelung in § 7 UZwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Umfang und Grenzen der Gehorsamspflicht nach dem UZwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das gestraffte Remonstrationsverfahren nach dem UZwG . . . b) Die Regelung in § 97 StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Umfang und Grenzen der Gehorsamspflicht nach dem StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das gestraffte Remonstrationsverfahren nach dem StVollzG . . c) Systematischer Vergleich der Vollzugsregeln mit der des allgemeinen Beamtenrechts nach § 56 II 3 BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Teleologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Entfallen der Weisungsgebundenheit des Beamten bei einem ordnungswidrigen Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der „strafrechtswidrige, aber verbindliche Befehl“ und die Haftungsprivilegierung des Beamten gemäß § 56 II 3 BBG . . . . . . . . . aa) Unterschiede bei der Verbindlichkeit: die Regelung im Wehrund Vollzugsrecht gegenüber der Bestimmung im allgemeinen Beamtenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterschiede in der Haftung: die Regelung im Wehr- und Vollzugsrecht gegenüber der Bestimmung im allgemeinen Beamtenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gleichlauf im Fall der „Kenntnis“ mit der „Erkennbarkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inkongruenz zwischen „Offensichtlichkeit“ und „Erkennbarkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Beispiel: Sicherungshaft eines terrorverdächtigen Ausländers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Beispiel: Präventive Ingewahrsamnahme zur Sicherstellung der Abschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Lösung der Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis der Auslegung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226 227 227 228 228 229 229 230 231 232 233

233

235 235 236 237 238 238 242

Dritter Teil Schlussbetrachtung – Die Ausgestaltung der Normen de lege ferenda

243

Erstes Kapitel Einführung

243

Inhaltsverzeichnis

17

Zweites Kapitel Die wehr- und vollzugsrechtlichen Vorschriften

243

Drittes Kapitel Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

244

A. Trennung von Verbindlichkeit und persönlicher Verantwortung . . . . . . . . . . . . . 245 B. Streichung der „Erkennbarkeit“ gemäß § 56 II 3 BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 C. Die eingeschränkte Verbindlichkeit rechtswidriger Weisungen . . . . . . . . . . . . . . 247 D. Die Haftung bei Ausführung unverbindlicher Befehle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Konflikt: Gehorsamspflicht und Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . 2. Das Remonstrationsverfahren und die Entlastung des Beamten . . . . . . a) Die Verantwortung des Beamten aufgrund privilegierten Haftungsmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Begehung einer Ordnungswidrigkeit auf Anordnung . . . . . bb) Der auf Anordnung begangene Menschenwürdeverstoß . . . . . . b) Die Haftung nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen . . . . .

250 250 251 253 254 254 255

E. Funktionale Einteilung hoheitlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 F.

Die Ausgestaltung der Verantwortlichkeit des Beamten de lege ferenda . . . . . 257

G. Zusammenfassende Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu § 56 I BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zu § 56 II BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zu § 56 III BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zu § 56 IV BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zu § 56 V BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

258 258 258 258 259 259

Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 B. Das Handeln aufgrund eines militärischen Befehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 C. Das Handeln aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. Abs.-Nr. a. F. Anm. Art. AT AufenthG AWACS BAK BayObLG BayVerfGH BBG BDH BDO BeamtenR. Begr. BGB BGBl. BGH BGHR BGHSt BGHZ BGSG BLG BLV BMJ BPG BPolG BRD BRRG BT

andere Ansicht am angegebenen Ort Absatz Absatz-Nummer alte Fassung Anmerkung Artikel Allgemeiner Teil Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) Airborne Warning and Control System Blutalkoholkonzentration Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bundesbeamtengesetz Bundesdisziplinarhof Bundesdisziplinarordnung Beamtenrecht Begründung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Zivilsachen Bundesgrenzschutzgesetz Bundesleistungsgesetz Verordnung über die Laufbahnen der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten (Bundeslaufbahnverordnung) Bundesminister der Justiz Gesetz zur vorläufigen Regelung der im Dienst des Bundes stehenden Personen (Bundespersonalgesetz) Gesetz über die Bundespolizei (Bundespolizeigesetz) Bundesrepublik Deutschland Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz) Besonderer Teil bzw. Bundestag

Abkürzungsverzeichnis BT-Drucksache BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW bzgl. bzw. DBG DDR ders. d.h. dies. DÖD DÖV DVBl. EGStGB EMRK EWE f. ff. FG Fn. FS GA GG ggf. GK GKÖD GrenzG-DDR GVG h.A. HDv HESt

h. L. HLKO h. M. hrsg.

19

Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeswehr bezüglich beziehungsweise Deutsches Beamtengesetz Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt dieselbe Der Öffentliche Dienst. Personalmanagement und Recht Die öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft Deutsches Verwaltungsblatt Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) Erwägen, Wissen, Ethik folgende (Seite/Randnummer) folgende (Seiten/Randnummern) Festgabe Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht. Siehe Literaturverzeichnis Grenzgesetz der DDR Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Ansicht Heeresdienstvorschrift Höchstrichterliche Entscheidungen. Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen herrschende Lehre Haager Landkriegsordnung herrschende Meinung herausgegeben

20 HS i. d. R. i. e. S. IfSG

Abkürzungsverzeichnis

Halbsatz in der Regel im engeren Sinn Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) InfAuslR Informationsbrief Ausländerrecht i. S. d. im Sinne des/der i. S. e. im Sinne eines/einer i. S. v. im Sinne von i.V. m. in Verbindung mit i. w. S. im weiteren Sinn JA Juristische Arbeitsblätter JGG Jugendgerichtsgesetz JR Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KDVG Gesetz über die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen (Kriegsdienstverweigerungsgesetz) LDv Luftwaffendienstvorschrift LFGB Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch) LK-Bearbeiter Leipziger Kommentar. Kommentar zum Strafgesetzbuch. Siehe Literaturverzeichnis LuftSiG Luftsicherheitsgesetz LuftVG Luftverkehrsgesetz LVG Landesverwaltungsgesetz MDv Marinedienstvorschrift MEPolG Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes MKF Militärkraftfahrer MStGB Militärstrafgesetzbuch MünchKommStGB Münchner Kommentar. Kommentar zum Strafgesetzbuch. Siehe Literaturverzeichnis m.w. N. mit weiteren Nachweisen NATO North Atlantic Treaty Organisation NetOpFü Vernetzte Operationsführung n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift NK-Bearbeiter Nomos Kommentar. Kommentar zum Strafgesetzbuch. Siehe Literaturverzeichnis Nr. Nummer NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NVA Nationale Volksarmee

Abkürzungsverzeichnis NZWehrr OLG OWiG PersR PrALR PzGrenBtl RBG RGBl. RGSt RKGE RMG Rn. RStGB S. SchlHOLG SK-Bearbeiter sog. SoldatenG SPz S/S-Bearbeiter StGB StGB-DDR StPO StrRefG StV StVO StVollzG

StVZO SZ T-Bereich TDG TDv u. a. UK UN USA u. U.

21

Neue Zeitschrift für Wehrrecht Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (Ordnungswidrigkeitengesetz) Der Personalrat. Zeitschrift für das Personalrecht im öffentlichen Dienst Preußisches Allgemeines Landrecht Panzergrenadierbataillon Reichsbeamtengesetz Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichskriegsgerichts Reichsmilitärgericht/Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts Randnummer Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich Satz bzw. Seite Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Systematischer Kommentar. Kommentar zum Strafgesetzbuch. Siehe Literaturverzeichnis so genannte/so genannter/so genanntes Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz) Schützenpanzer Schönke/Schröder. Kommentar zum Strafgesetzbuch. Siehe Literaturverzeichnis Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch der DDR Strafprozessordnung Strafrechtsreformgesetz Strafverteidiger Straßenverkehrsordnung Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz) Straßenverkehrszulassungsordnung Süddeutsche Zeitung technischer Bereich Truppendienstgericht Technische Dienstvorschrift unter anderem United Kingdom United Nations United States of America unter Umständen

22 UZwG

UZwGBw

VA Var. vgl. Vorb. VS NfD VStGB VVO VwGO VwVfG VwVG WBO WDB WDO WPflG WRV WStG ZAR z. B. ZBR ZDG ZDv zit. ZStW

Abkürzungsverzeichnis Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (Unmittelbares Zwanggesetz) Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen (Unmittelbares Zwanggesetz BW) Verwaltungsakt Variante vergleiche Vorbemerkung Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch Völkerstrafgesetzbuch Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses (Vorgesetztenverordnung) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Wehrbeschwerdeordnung Beschluss des Wehrdienstsenats Wehrdisziplinarordnung Wehrpflichtgesetz Weimarer Reichsverfassung Wehrstrafgesetz Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zentrale Dienstvorschrift zitiert Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung A. Einführung Zentraler Gegenstand dieser Arbeit ist das Handeln aufgrund eines militärischen Befehls und einer beamtenrechtlichen Weisung. Erst unlängst haben zwei höchstinstanzliche Gerichte dazu Stellung genommen, ob und ggf. bis zu welcher Grenze Amtsträger dazu verpflichtet sind, einen Befehl ihrer Vorgesetzten auszuführen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts1 zur Reichweite der Gehorsamspflicht eines Majors und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts2 zur Vereinbarkeit des LuftSiG mit den Normen des Grundgesetzes haben sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch in der Fachliteratur für ein großes Aufsehen gesorgt. Beide Urteile machen deutlich, dass die hiermit verbundenen Fragen im Hinblick auf eine nach innen und nach außen wehrhaften Demokratie von einem hohen aktuellen Wert sind. Neben der (rechts)politischen Brisanz ist die Thematik aber auch von einem großen dogmatischen Interesse. Wie insbesondere auch die soeben angesprochene aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt, steht das Beamten- und Wehrrecht systembedingt in einem althergebrachten Konflikt. Dieses Spannungsverhältnis lässt sich verkürzt gesagt mit den Worten Gehorsamsgebot und Rechtsstaatsprinzip umschreiben. Der Soldat und der Beamte sollen im Interesse einer funktionstüchtigen Befehlsapparatur einerseits ihren Vorgesetzten gehorchen, andererseits wie jeder andere Staatsbürger aber auch die objektive Rechtsordnung beachten. Die Gehorsamspflicht des Amtsträgers kann daher zur Folge haben, dass es auf staatlicher Ebene im Rahmen von Subordinationsverhältnissen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen in ganz verschiedenen Bereichen zu einem tatbestandlichen Handeln auf dienstliche Anordnung kommen kann. Der Hoheitsträger ist jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten nach öffentlichem Recht zulässig ist. Eine solche Rechtfertigung kann sich beispielsweise aus den Vorschriften der StPO oder nach den Polizeigesetzen der Länder ergeben. Ob sich der Amtsträger daneben auch auf strafrechtliche Rechtfertigungsgründe berufen kann, ist im Einzelnen streitig, für die vorliegende Arbeit jedoch lediglich von untergeordneter Bedeutung. Komplizierter liegen die für die Dissertation 1 2

Urteil des BVerwG vom 21.06.2005, BVerwG 2 WD 12.04. Urteil des BVerfG vom 15.02.2006, BVerfG 1 BvR 357/05.

24

Einleitung

interessierenden Fälle, in denen der Untergebene auf Anordnung eines Vorgesetzten handelt. Hier stellt sich sowohl die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Anordnung als auch nach der Rechtmäßigkeit der Ausführung durch den Untergebenen. Es zeigt sich, dass trotz bestehender gesetzlicher Regelungen Unklarheiten bestehen. Zwar ist das Handeln auf Anordnung im staatlichen Bereich weitgehend durch ausdrückliche Regelungen normativ ausgestaltet. Im Fokus der Untersuchungen stehen daher die Normen für hoheitliches Handeln gemäß § 11 SoldatenG, § 5 WStG, § 22 WStG, § 7 UZwG, § 97 StVollzG, § 38 BRRG und § 56 BBG. Dabei ist aber zu beachten, dass diese Vorschriften unterschiedliche Teilbereiche betreffen und einen voneinander stark abweichenden Regelungsgehalt aufweisen. Überdies hat die erwähnte positiv-rechtliche Normierung die Problematik der Pflicht zur Ausführung auch strafbarer Handlungen noch nicht vollständig beseitigt. Der Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist auf die staatliche Ebene begrenzt, so dass Anweisungen in privatrechtlichen Rechtsverhältnissen ausgeklammert bleiben. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen daher solche Konstellationen, in denen der Täter aufgrund eines militärischen Befehls oder einer beamtenrechtlichen Weisung – das heißt aufgrund einer Gehorsamspflicht – handelt und dabei einen Straftatbestand verwirklicht. Von besonderem Interesse ist das Problem, wie ein solch befohlenes Verhalten und seine Folgen bei einem u. U. eingeschränkt willentlichen oder widerwilligen Verhalten zu behandeln ist. Letztlich geht es um die Zuweisung von Verantwortung. Es stellt sich hierbei die Frage, inwieweit das Vorliegen einer entsprechenden Anordnung des Vorgesetzten die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Untergebenen trotz eines objektiv und subjektiv tatbestandlichen Handelns begrenzt oder zumindest Einfluss auf Strafmilderungsgründe oder auf die Strafzumessung i. e. S. gemäß § 46 StGB hat. Die bestehenden gesetzlichen Normen über die mit der Gehorsamspflicht verbundenen Fragestellungen regeln diesen Bereich nur unvollständig. Teilweise weichen sie zudem inhaltlich auffallend voneinander ab. Hieraus ergeben sich auch die beiden Ziele dieser Arbeit:

B. Ziel der Arbeit Ziel der Arbeit ist es, die strafrechtliche Relevanz hoheitlichen Handelns auf Befehl im militärischen und zivilen Bereich zu untersuchen. Ein Ziel der Arbeit ist es, wichtige Fragen des Wehrrechts zu untersuchen, deren rechtliche Behandlung nach wie vor umstritten und von erheblicher praktischer Bedeutung ist. Beispielhaft erwähnt seien das Problem nach der Reichweite der soldatischen Gehorsamspflicht, die Behandlung des sog. „gefährlichen“ Befehls und die Frage, ob der Soldat bei Ausführung eines rechtswidri-

Einleitung

25

gen, verbindlichen Befehls bereits gerechtfertigt oder lediglich entschuldigt handelt. Das zweite Ziel der Arbeit ist, die beamtenrechtliche Norm gemäß § 56 BBG für ein Handeln auf Befehl neu zu beleuchten. Der Vergleich der beamtenrechtlichen Regelung für ein Handeln auf Weisung mit den Vorschriften des Wehrund Vollzugsrechts zeigt, wie reformbedürftig die Vorschrift des § 56 BBG ist. Daher soll als zweites Ziel dieser Arbeit ein Beitrag für einen Alternativentwurf entwickelt werden, der das beamtenrechtliche Handeln auf Weisung systemgerecht begreift. Die im Wehr- und Vollzugsrecht gewonnenen Erkenntnisse werden entscheidend dazu beitragen, das beamtenrechtliche Handeln auf Weisung zeit- und sachgerecht zu erfassen. Da die bestehenden gesetzlichen Regelungen im Beamtenrecht bisweilen noch einem nicht mehr ganz zeitgemäßen Denken verhaftet sind, soll mit einer Neukonzeption zugleich eine Abkehr von dem überkommenen obrigkeitsstaatlichen Denken verbunden sein, um so dem heutigen Staatsverständnis Rechnung zu tragen.

C. Gang der Untersuchung Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit dem militärischen Befehlsrecht. Die wehrrechtlichen Ausführungen werden sich insbesondere darauf konzentrieren, einen Beitrag für die in der Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Einzelfragen zu leisten. Das Handeln auf Befehl bietet für diesen Bereich dogmatisch interessante und für die truppendienstliche Praxis relevante Fragestellungen, deren rechtliche Behandlung noch nicht abschließend geklärt ist. Beachtenswert sind die hiermit verbundenen Fragen vor allem auch deshalb, weil vor dem Hintergrund zunehmender Auslandseinsätze und einer Erweiterung des Aufgabenspektrums der Bundeswehr das Handeln auf Befehl in Zukunft noch verstärkt an Bedeutung gewinnen wird. Die angesprochenen aktuellen höchstrichterlichen Entscheidungen des Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgerichts zur Grenze der Gehorsamspflicht und zum LuftSiG unterstreichen die Aktualität der Thematik. Im zweiten Teil der Arbeit soll systematisch vergleichend der Blick auf die beamtenrechtlichen Vorschriften für ein Handeln auf Befehl gerichtet werden. Hierbei ist zunächst die gesetzliche Ausgestaltung der beamtenrechtlichen Normen zu beleuchten. Bereits in diesem Stadium sind gemeinsame Grundstrukturen, aber auch bestehende Friktionen darzulegen. Ferner müssen die Verantwortungsbereiche der jeweils Handelnden herausgearbeitet und klar umrissen werden. Der Schwerpunkt wird im Beamtenrecht darauf gerichtet sein, die gegenüber dem Wehr- und Vollzugsrecht widersprüchliche und reformbedürftige Regelung gemäß § 56 II BBG aufzuzeigen. Hierfür werden vor allem auch methodische Fragen eine wichtige Rolle spielen.

26

Einleitung

Abschließend soll im dritten Teil mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse ein interessengerechtes Konzept für ein hoheitliches Handeln auf Befehl entworfen werden, das de lege ferenda eine sachgerechte Lösung der Problematik ermöglicht und die bestehenden Lücken schließt.

Erster Teil

Das Wehrrecht – Handeln aufgrund eines militärischen Befehls Erstes Kapitel

Der Begriff des militärischen Befehls Wesentlicher Bestandteil des deutschen Wehrrechts ist der militärische Befehl. Er hat für alle hierarchischen Befehls- und Weisungsverhältnisse besondere Bedeutung und wird daher gerade im ersten Teil der Arbeit immer wieder einen zentralen Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen darstellen.1 Für die weiteren Betrachtungen ist es somit hilfreich, zunächst den Blick auf die Begriffsbestimmung des Befehls gemäß § 2 Nr. 2 WStG im Einzelnen zu richten. Gemäß § 2 Nr. 2 WStG ist ein Befehl eine Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, die ein militärischer Vorgesetzter (§ 1 III SoldatenG) einem Untergebenen schriftlich, mündlich oder in anderer Weise, allgemein oder für den Einzelfall und mit dem Anspruch auf Gehorsam erteilt. Zur Erläuterung dieser Legaldefinition ist im Folgenden kurz darzulegen, welche Bedeutung und Inhalt hiermit verbunden sind.

A. Anweisung zu einem bestimmten Verhalten Die Anweisung zu einem bestimmten Verhalten bedeutet, dass der Vorgesetzte dem Untergebenen ein hinreichend deutliches Tun oder Unterlassen vorgibt. Der Befehl stellt daher ein Gebot oder Verbot dar.2 Ein schlichter Rat, eine Belehrung oder ein Wunsch ist somit keine Anweisung und daher nicht Grundlage eines Befehls.3 Eine solche Anweisung zu einem bestimmten Verhalten erfüllt dann die Merkmale eines Befehls, wenn der Untergebene in den Grenzen des durch den Befehl betroffenen Bereichs nicht mehr frei bestimmen darf.4 1 Vgl. Lengheimer, Die Gehorsamspflicht der Verwaltungsorgane, S. 91; grundlegend zum Befehls- und Gehorsamsprinzip Ullmann, Grundrechtsbeschränkungen des Soldaten, S. 23. 2 Vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 7 ff. 3 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 10; vgl. RGSt 64, 66 (71). 4 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 25.

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1. Teil: Das Wehrrecht

Abhängig von dem zur Verfügung stehenden Entscheidungsspielraum des Untergebenen wird dann zwischen einem Auftrag und einem Kommando unterschieden: Im Rahmen der sog. Auftragstaktik, die seit dem 19. Jahrhundert wichtigstes Führungsmittel der deutschen Streitkräfte darstellt, ist das befohlene Verhalten lediglich durch einen Rahmen bestimmt, der nur das zu erreichende Ziel festlegt. Das Kommando hingegen fordert eine genau bestimmte und in allen Einzelheiten festgelegte Verhaltensweise des Untergebenen. So ist etwa das Kommando im Formaldienst nach ZDv5 3/2 ein geeignetes Instrument, ein ganz bestimmtes Verhalten des Untergebenen herbeizuführen.6

B. Befehl eines militärischen Vorgesetzten an einen Untergebenen Gemäß den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 20 I, II GG ist allein das Volk Träger der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte, die ihrerseits nach Art. 1 III GG und Art. 20 III GG integraler Bestandteil der vollziehenden Gewalt7 sind.8 Hingegen obliegt gemäß Art. 65a GG die Ausübung der Befehlsgewalt als oberstem Vorgesetzten aller Soldaten in Friedenszeiten dem Bundesminister der Verteidigung. Im Rahmen der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers übt er die höchste Vorgesetzteneigenschaft aus. Mit Verkündung des Verteidigungsfalls geht die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über, Art. 115b GG. Sie untersteht der vollen parlamentarischen Kontrolle und ist durch die persönliche Verantwortung gegenüber dem Bundestag stärker gesichert als zu Zeiten der Weimarer Republik und des Kaiserreichs.9 Ein in diesem Sinn abgeleiteter Befehl muss von einem militärischen Vorgesetzten an einen Untergebenen erteilt worden sein. Wer Vorgesetzter und wer Untergebener ist, ergibt sich aus § 1 III SoldatenG i.V. m. der Vorgesetztenver-

5 Unter einer Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) versteht man eine militärische Vorschrift, die in allen drei Teilstreitkräften der Bundeswehr gilt. Sie entfaltet – vergleichbar der allgemeinen Verwaltungsvorschrift – bestimmungsgemäß nur im Innenverhältnis Bindungswirkung. Daneben gibt es auch für jede der drei Teilstreitkräfte besondere Dienstvorschriften. Es sind dies die Heeresdienstvorschrift (HDv), die Marinedienstvorschrift (MDv) und die Luftwaffendienstvorschrift (LDv). Die sog. Technischen Dienstvorschriften (TDv) enthalten hingegen Anweisungen bezüglich der Bedienung und Wartung von Gerät und Material. 6 Vgl. Huth, Die Gegenvorstellung, S. 25; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 10. 7 Hierzu unter Berücksichtigung anderer Ansichten umfassend Lehnguth, Die VAe der Streitkräfte gegenüber dem Bürger, S. 17 ff. 8 Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 66 mit Hinweis auf Ehmke, Zeitschrift für Politik 1954, 337 (348 ff.). 9 Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 66 f.

1. Kapitel: Der Begriff des militärischen Befehls

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ordnung (VVO).10 War früher noch die Befehlskompetenz hierarchisch an den jeweils höheren Dienstgrad geknüpft, wird sie heute funktional verstanden und unterliegt daher erheblichen, insbesondere persönlichen und sachlichen Einschränkungen gegenüber dem früheren Recht. So ist die persönliche Grenze auf einen festgelegten, abschließend aufgezählten Personenkreis beschränkt. In sachlicher Hinsicht findet eine Begrenzung auf besondere Aufgaben, bestimmte Zeiträume oder gegenüber einem begrenzten Personenkreis statt.11

C. Anweisung in schriftlicher, mündlicher oder in anderer Weise Der militärische Befehl ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Die Art und Weise, wie ein Befehl eines Vorgesetzten an einen Untergebenen erteilt wird, obliegt dem Befehlsgeber. Der Befehl kann daher schriftlich, mündlich oder in anderer Weise ergehen. Hierbei ist jede Form der Kommunikation möglich.12 Denkbar sind somit etwa auch akustische oder optische Zeichen und Signale wie z. B. Winken, Pfeifen oder Morsen. Der Befehl muss als empfangsbedürftige Willenserklärung dem Untergebenen zugehen, das heißt, er muss ihn sinnlich wahrnehmen.13

D. Allgemein oder für den Einzelfall Ein Befehl kann allgemein oder für den Einzelfall erteilt werden. Allgemeine Befehle sind beispielsweise in Form von Dienstvorschriften (z. B. HDv, TDv und ZDv) oder sog. Dauerbefehlen denkbar, nicht jedoch in Form eines Gesetzes.14 10 Zu diesem Problemkreis siehe Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 24 ff.; Lingens, NZWehrr 1978, 55 (55 ff.); Schwenck, Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 62 ff.; zum Vorgesetztenbegriff siehe Schreiber, Befehlsbefugnis und Vorgesetztenverhältnis in der BW, S. 17 ff. 11 Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 73; im Vergleich dazu Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. III, 1a. 12 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 28; Rittau, Kommentar zum WStG, § 2, Anm. 2a; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 18. Der Befehl kann auch in Frageform ergehen, RMG 12, 12 (13); RMG 13, 134 (135). 13 Arndt, NZWehrr 1960, 145 (145). Als verkörperte Willenserklärung ist der Befehl nach allgemeinen Regeln zugegangen, wenn er so in den Machtbereich des Befehlsempfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Voraussetzungen vom Inhalt der Erklärung Kenntnis nehmen kann. Wird der Befehl hingegen nicht als verkörperte Willenserklärung abgegeben, geht diese nach der Vernehmungstheorie dann zu, wenn der Befehlsadressat sie wahrnimmt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt jedoch dann, wenn der Befehlende nach den für ihn erkennbaren Umständen davon ausgehen durfte, dass der Befehlsempfänger die Erklärung richtig und vollständig verstanden hat. Zum Ganzen siehe hierzu Wendtland in Bamberger/Roth, Kommentar zum BGB, Band I, § 130, Rn. 1 ff.

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1. Teil: Das Wehrrecht

E. Mit dem Anspruch auf Gehorsam Gemäß § 2 Nr. 2 WStG muss der Befehl schließlich mit dem Anspruch auf Gehorsam erteilt werden. Der Vorgesetzte muss daher unmissverständlich deutlich machen, dass er die Ausführung des erteilten Befehls erwartet.15 Mit der Wendung „Anspruch auf Gehorsam“ bringt das Gesetz in § 2 Nr. 2 WStG zum Ausdruck, dass der Vorgesetzte gerade die spezifisch militärische Reaktion des Gehorsams für sich beansprucht und der Befehl daher nicht etwa nur aufgrund menschlicher Sympathie oder Freundschaft ausgeführt werden soll.16 In diesem Sinn sind auch Richtlinien, Grundsätze oder gar bloße Erwartungen keine Befehle.17 Befehle sind nicht bedingungslos oder gar „blind“ auszuführen. Von dem Soldaten wird gemäß § 11 I 2 SoldatenG vielmehr verlangt, dass er den Befehl nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich ausführt.18

F. Rechtliche Qualifikation des Befehls Materiell ist das Wehrrecht dem Besonderen Verwaltungsrecht zuzuordnen. Das Soldatenverhältnis ist dadurch geprägt, dass der Bürger zum Staat in eine besondere Beziehung tritt. Diese Rechtsbeziehung hat für beide Seiten spezielle Rechte und Pflichten zur Folge. Daher spricht man auch für das Soldatenverhältnis von einem sog. Sonderstatusverhältnis.19 Hier kann die Abgrenzung von Verwaltungsakten einerseits und Regelungen ohne Außenwirkung andererseits schwierig sein.20 Die für den Verwaltungsakt gemäß § 35 S. 1 VwVfG erforderliche Regelung mit Außenwirkung fehlt dem militärischen Befehl. Daher ist der Befehl mangels Verwaltungsaktqualität i. S. d. § 35 VwVfG als Hoheitsakt öffentlicher Gewalt zu qualifizieren.21 Wie sich der Legaldefinition des Befehls in § 2 Nr. 2 WStG entnehmen lässt, gehört die Frage der Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit nicht zum Befehlsbegriff. Dieser wird vielmehr rein formal bestimmt. 14 So Huth, Die Gegenvorstellung, S. 29; vgl. auch Arndt, Wehrstrafrecht, S. 186; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 11, 18. 15 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 9; RGSt 58, 110 (110); RGSt 64, 66 (69). 16 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 30 f.; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 9. 17 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 9. 18 Zu den Einzelheiten vgl. Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 3 f. 19 Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 35, Rn. 82 ff. 20 Ausführlich hierzu die Arbeit von Leister, Abgrenzung des Befehls vom Verwaltungsakt, S. 47 ff., 255 ff. 21 Vgl. RGSt 59, 404 (406); Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 35, Rn. 83; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 26 ff.

2. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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Zweites Kapitel

Die rechtshistorische Entwicklung bei einem Handeln aufgrund eines militärischen Befehls A. Die rechtshistorische Entwicklung bis 1872 Bereits das Römische Reich verfügte über ein modernes und differenziertes Wehrstrafrecht.22 Es unterschied zwischen gemeinen Verbrechen und Verbrechen des Soldatenstandes. In seiner Ausgestaltung der Tatbestände und des Strafensystems war das römische Militärstrafrecht gekennzeichnet durch Einfühlungsvermögen in soldatische Erfordernisse und Notwendigkeiten einerseits sowie in psychologische und militärische Gegebenheiten andererseits.23 Auffallend ist auch, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer absolut geltenden Gehorsamspflicht im Fall einer Zuwiderhandlung von Seiten des Untergebenen mit drakonischen Strafen belegt war: Der militärische Ungehorsam des römischen Befehlsempfängers wurde mit der Todesstrafe geahndet.24 Das römische Recht sollte jedoch erst wieder in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das europäische Militärstrafrecht beeinflussen.25 Anders als die römischen Militärbefehlshaber mussten die germanischen und mittelalterlichen Heerbannführer ein Straf- und Sanktionssystem einführen, das insbesondere an kultischen Vorstellungen und Stammestugenden ausgerichtet war.26 Der Krieg stellte für sie eine religiöse Angelegenheit dar.27 Daher wundert es nicht, dass Straftaten gegen die Wehrkraft und Wehrfähigkeit nicht nur als schwerer Rechts- und Friedensverstoß verstanden wurde, sondern in ihren Augen auch eine Beleidigung der Götter darstellte. Daraus erklärt sich auch, dass der Übeltäter mit einer sakralen Strafe belegt und im Wege einer kultischen Handlung dem Gott geopfert wurde.28 Auch in den sich zunehmend formenden deutschen Ländern hat das Militärstrafrecht eine lange Tradition.29 Ein eigenes militärisches Strafrecht entwi-

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Hierzu und zum Folgenden Hanik, Wehrrecht, S. 142. So Hanik, Wehrrecht, S. 143. Zum römischen Militärstrafrecht siehe Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 44 ff.; instruktiv auch Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen, S. 9 ff.; van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 63 ff. 24 Grundlegend hierzu Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 4 ff. 25 Hanik, Wehrrecht, S. 143. 26 So Hanik, Wehrrecht, S. 143. 27 Conrad, Geschichte der deutschen Wehrverfassung, S. 35. 28 Conrad, Geschichte der deutschen Wehrverfassung, S. 35. 29 Zur Entwicklung der deutschen Wehrverfassung im Mittelalter mit zahlreichen Hinweisen auf das Schrifttum im Anhang: Conrad, Geschichte der deutschen Wehrverfassung, S. 84 ff. 23

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1. Teil: Das Wehrrecht

ckelte sich jedoch erst im Laufe des 12. Jahrhunderts.30 Die ersten Ansätze für ein eigenes Strafrecht des Soldatenstandes finden sich in den Artikelsbriefen der Landsknechte, aus denen später die Kriegsartikel für die stehenden Heere der Landesfürsten wurden.31 Zwar war es bereits im Sachsenspiegel geltendes Recht, „dass der Mann der unrechten Tat sich seines Königs widersetzen darf“ (Sachsenspiegel III, 78, 2). Dieser Gedanke ist auch im Zeitalter des Absolutismus aufrechterhalten worden.32 Insbesondere der Calvinismus und die Lehren Luthers banden aber den Einzelnen im staatlichen Leben unmittelbar an die Gebote Gottes und betonten eine Demut gegenüber der Obrigkeit.33 Luther sprach sich dafür aus, dass der Christ sich freiwillig und mit voller Hingabe unter das Regiment des Schwertes begeben soll. Nach seiner Überzeugung ist es Aufgabe eines Christen, die Obrigkeit zu ehren, ihr Steuern zu geben und zu dienen und sie überall zu unterstützen, „sodass sie in Kraft und in Ehren und Furcht erhalten werde.“34 In Deutschland setzte sich zunehmend die Ansicht durch, dass Weisungen und Befehle des Vorgesetzten den Untertan zur Befolgung verpflichten.35 Drill, blinder Gehorsam, strenge körperliche Züchtigungen, aber auch eine schlagkräftige Truppe von bislang ungekannter Präzision prägen das Bild des Soldaten dieser Zeit.36 Dennoch gab es bis ins 19. Jahrhundert nur gelegentliche Bemühungen, die unterschiedlichen Einzelregungen der verschiedenen Staaten zu vereinheitlichen und die mit dem Soldatenrecht verbundenen Rechtsfragen grundsätzlich zu erfassen.37 Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ließen die absolutistischen Staaten nicht zu.38 „Staatsgewalt und Rechtstheorie arbeiteten bei der Erhaltung der Kriegszucht einander in die Hände.“39 Daher wundert es nicht, dass die Durchdringung und Fortschreibung des Militärstrafrechts lange Zeit hinter dem zivilen Strafrecht zurückblieb. Dies sollte sich erst mit der Kodifikation einzelner Militärstrafgesetzbücher in den deutschen Teilstaaten ändern, die erstmals 30 Vgl. van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 75 ff.; Girginoff, Der bindende Befehl im Strafrecht, S. 82 ff.; Hanik, Wehrrecht, S. 143. 31 Hanik, Wehrrecht, S. 143. Ausführlich hierzu Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen, S. 18 ff.; Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 24 ff.; van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 75 ff.; Girginoff, Der bindende Befehl im Strafrecht, S. 82 ff. 32 Oehler, JuS 1963, 301 (305). 33 Oehler, JuS 1963, 301 (305). Vgl. Luther. Von weltlicher Obrigkeit, hrsg. von Metzger, S. 20 ff. 34 Luther. Von weltlicher Obrigkeit, hrsg. von Metzger, S. 24. 35 von Weber, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handeln auf Befehl, S. 6 f. 36 Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 52 f. 37 So Brinkkötter, Die Verletzung der soldatischen Gefahrtragungspflicht, S. 196. 38 Brinkkötter, Die Verletzung der soldatischen Gefahrtragungspflicht, S. 196. 39 Hülle, Das Auditoriat, S. 93; vgl. auch Brinkkötter, Die Verletzung der soldatischen Gefahrtragungspflicht, S. 196.

2. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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unter Ausschluss anderer Rechtsquellen eine in sich geschlossene und einheitliche Systematik aufwiesen. Sie bildeten so den ersten Grundstein für ein einheitliches militärisches Gesetzeswerk.40

B. Die rechtshistorische Entwicklung ab Kodifikation der Militärstrafgesetzbücher Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Militärstrafgesetzbücher in Deutschland. Diese galten jedoch aufgrund der Eigenständigkeit der Länder nur in den jeweiligen Staaten.41 In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich zunehmend die Überzeugung durch, dass die „Manneszucht nicht auf Kosten der Gerechtigkeit erhalten werden kann, sondern dass beide Werte schicksalhaft ineinander verschlungen sind.“42 Das erste reichsrechtliche Militärstrafgesetzbuch trat mit Wirkung vom 01.10. 1872 in Kraft.43 Bei Schaffung des Reichsmilitärstrafgesetzes im Jahr 1871 war aufgrund gewandelter Anschauungen ein Leitgedanke des Reichstags, „das Militärstrafrecht in Bezug auf systematischen Aufbau [. . .] tunlichst dem [. . .] bürgerlichen StGB zu assimilieren, es mit den Grundgedanken desselben und dadurch mit den Anforderungen der heutigen Strafrechtswissenschaft in Einklang zu bringen, dies jedoch nur bis zu einem gewissen Grade, nämlich insoweit, als die besonderen Bedürfnisse des Heeres und die als oberstes Gesetz geltende Rücksicht auf die Einhaltung der Disziplin in demselben damit vereinbar sind. Wo eine Assimilierung mit dem Zivilstrafrecht die Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Disziplin besorgen ließ, da wurde von der Gleichstellung abgesehen und lieber die Verschiedenheit ertragen, als dass man die Disziplin gefährdete und dadurch die Lebensbedingungen der Armee erschütterte.“44 Ein weiterer Kerngedanke des Militärstrafgesetzbuches war es, den besonderen militärischen Erfordernissen und der Erhaltung und Festigung der Disziplin inner-

40 Zum Ganzen Brinkkötter, Die Verletzung der soldatischen Gefahrtragungspflicht, S. 196; Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 46. 41 So z. B. für Baden 1803, Bayern 1813, Württemberg 1818, Preußen 1845, Sachsen 1867; vgl. hierzu die Ausführungen bei van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 80 ff.; Hanik, Wehrrecht, S. 143. 42 Hülle, Das Auditoriat, S. 153. Siehe auch Brinkkötter, Die Verletzung der soldatischen Gefahrtragungspflicht, S. 196. 43 Neu gefasst mit Wirkung vom 01.12.1940, aufgehoben durch Kontrollratsgesetz Nr. 34 mit Wirkung vom 20.08.1946. Zur Entstehungsgeschichte und den Motiven des § 47 MStGB vgl. die Ausführungen bei Stoecker, § 47 MStGB, S. 23 ff., 45 ff. Siehe auch Hanik, Wehrrecht, S. 143 und Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 55. 44 von Koppmann/Weigel, Kommentar zum MStGB, S. 7; zur geschichtlichen Entwicklung siehe auch van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 55 ff.

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1. Teil: Das Wehrrecht

halb der Streitkräfte ausreichend Rechnung zu tragen.45 Auffallend ist, dass Begriffe der Erhaltung und Festigung der Manneszucht und generalpräventive Erwägungen der Abschreckung eine besondere Stellung innerhalb des MStGB einnehmen.46 Positiv-rechtlich ist das Handeln aufgrund eines militärischen Befehls 1872 in § 47 MStGB normiert worden.47 Diese Norm geht zurück auf das Strafgesetzbuch für das preußische Heer von 1845 und das bayrische MStGB von 1869, die für das deutsche Militärstrafrecht daher besonders bedeutend sind.48 Die Regelung in § 47 MStGB lautete: (1) Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: 1. wenn er den erteilten Befehl überschritten hat, oder 2. wenn ihm bekannt gewesen ist, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte. (2) Ist die Schuld des Untergebenen gering, so kann von seiner Bestrafung abgesehen werden. Aus heutiger Perspektive enthält die Vorschrift zwei interessante Aspekte: Zum einen spricht sie die Problematik von Täterschaft und Teilnahme in Befehlsstrukturen an. Zum anderen greift sie die geringe Schuld des Ausführenden auf. Dieser Gedanke wird sowohl bei der Regelung des § 5 WStG als auch bei der Strafzumessung noch von Bedeutung sein.49 Wie der Gesetzesnorm des § 47 MStGB zu entnehmen ist, ist der Grundsatz dieser Vorschrift die Unverantwortlichkeit des Untergebenen für die auf Befehl begangenen Handlungen. Wie noch zu zeigen sein wird, wurde dieses Prinzip in bestimmten Ausnahmefällen modifiziert. Die Kommentarliteratur zum damaligen § 47 MStGB übte hieran nachhaltig Kritik. Ihrer Ansicht nach werde das Normensystem bei einem Handeln auf Befehl verwässert und die Verantwort45

Schwinge, Kommentar zum MStGB, „Die Leitgedanken des Militärstrafrechts“,

S. 7. 46 Vgl. Schwinge, Kommentar zum MStGB, „Die Leitgedanken des Militärstrafrechts“, S. 6 ff. 47 Hierzu und zur preußischen Vorgängerregelung siehe Stoecker, § 47 MStGB, S. 11 ff., 45 ff. 48 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, Vorb. zu § 1, Rn. 1; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 55; eine genaue Untersuchung der fast wortgleichen preußischen Regelung gemäß § 71 MStGB sowie der bayrischen Norm gemäß Art. 65 MStGB findet sich bei Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 49 ff. 49 Siehe hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, C. II. 3. b) aa); C. II. 4. und C. IV.

2. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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lichkeit des Befehlsempfängers zu weit ausgedehnt. Der Gesetzgeber habe gegen den Widerstand der Armee eine Regelung geschaffen, die einer prompten Befehlsausführung zuwiderlaufe und die das Gehorsamsinteresse zugunsten der Einhaltung der Rechtsordnung zurückdränge. Vor dem Hintergrund der damaligen Ansicht wundert es daher nicht, dass man lediglich für begrenzte Ausnahmefälle eine strafrechtliche Verantwortung auch des Untergebenen für sachgerecht hielt.50 Insgesamt wurde die Norm des § 47 MStGB als unklar und wenig geglückt empfunden.51 Kritiker bezeichneten sie sogar als ein Schulbeispiel dafür, wie man eine Gesetzesnorm nicht formulieren sollte.52 Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 änderte sich die Lesart des MStGB. Die Regelung des § 47 MStGB wurde zunehmend als besonders misslich empfunden.53 Die Art und Weise, wie der Gesetzgeber von 1872 den Interessenkonflikt zwischen Gehorsamspflicht und individueller Verantwortung in § 47 MStGB zu lösen versucht hatte, wurde nunmehr als Kompromiss unliebsamer Parteien und als Geist des Liberalismus abschätzig kommentiert und ausgelegt.54 Das Militärrecht erfuhr einerseits durch den persönlichen Treueid auf den Reichskanzler vom 02.08.1934 eine bislang unbekannte Politisierung. Durch den Neuentwurf der soldatischen Berufspflichten vom 25.05.1934 sowie durch zahlreiche Führerbefehle entsprechend der nationalsozialistischen Weltanschauung war das Militärrecht darüber hinaus durch eine gewisse Radikalisierung geprägt. Strafrechtlich änderte sich jedoch diesbezüglich nichts. Ein absoluter, oder gar „blinder“ Gehorsam des Soldaten war der unverändert geltenden Fassung des § 47 MStGB ebenso fremd wie zur Zeit vor dem Nationalsozialismus.55 So konnte sich auch damals niemand seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit mit der Begründung eines „bedingungslosen“ Ge50

Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. I. Oehler, JuS 1963, 301 (305); Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. I bezeichnet den § 47 MStGB als „eine der am wenigsten geglückten und dunkelsten Bestimmungen des MStGB“. 52 von Ammon, Der bindende rechtswidrige Befehl, S. 57. 53 So etwa Stoecker, § 47 MStGB, S. 52 f., der in der Regelung des § 47 MStGB nicht nur die militärische Disziplin, sondern sogar das militärische Prinzip gefährdet sah und sich für eine mit dem Nationalsozialismus in Einklang stehende autoritäre, militärische Geisteshaltung aussprach. 54 Vgl. Schwinge, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1938, 147 (148) m.w. N., der sich außerdem im Zuge einer Neugestaltung des § 47 MStGB für eine Einschränkung der Verantwortlichkeit des Untergebenen für befehlsgemäßes Handeln einsetzte. 55 Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 75 ff. Vgl. Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. III, 1b: „Im militärischen Leben gibt es somit den Grundsatz absoluten, das heißt blinden Gehorsams ebenso wenig wie anderswo.“ Ausführlich zum Ganzen vgl. die Ausführungen bei von Weber, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Handeln auf Befehl, S. 8 ff.; Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 75 ff. 51

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1. Teil: Das Wehrrecht

horsams entziehen.56 Dies gilt auch dann, wenn heute manche Darstellung etwas anderes vermuten lässt, wenngleich politische Äußerungen und herausgegebene Befehle Adolf Hitlers eine solche Annahme nahe legen.57 Nach dem Krieg wurde das MStGB im Zuge der Entmilitarisierungsmaßnahmen der Besatzungsmächte durch Kontrollratsgesetz Nr. 34 mit Wirkung vom 20.08.1946 aufgehoben.58 Die ersten wehrstrafrechtlichen Bestimmungen nach 1945 waren in der Anlage A zum so genannten Truppenvertrag von 1955 kodifiziert.59 Danach sollte der Schutz der militärischen Belange der in Deutschland stationierten Streitkräfte gewährleistet werden. Am 01.05.1957 trat sodann das neue Wehrstrafgesetz (WStG) vom 30.03.1957 in Kraft. Der Bundesgesetzgeber sah es als notwendig an, das alte Militärstrafgesetzbuch von 1872, das insbesondere 193560 und 194061 mit erheblichen Strafschärfungen novelliert und den Formen des totalitären Staates angepasst wurde, aufzuheben und mit dem Aufbau der Bundeswehr ein neues, der Zeit angepasstes Werk aus einem Guss zu schaffen.62 Das neue Wehrstrafgesetz lehnt sich stark an die liberale Vorgängerregelung des MStGB in seiner ursprünglichen Fassung an. Rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechend konnte es daher – zumindest in Teilen – als Grundlage für die Ausgestaltung des neuen Wehrstrafrechts dienen.63

C. Analyse des § 47 MStGB bei einem Handeln auf Befehl I. Die einschränkende Auslegung des § 47 MStGB Die als „unglücklich und dunkel“ bezeichnete Regelung64 bei einem Handeln auf Befehl wurde dadurch korrigiert, dass man die Vorschrift des § 47 I MStGB 56 Vgl. BGHSt 2, 251 (252 ff.); vgl. auch Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 79; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 76 f. 57 Insoweit unzutreffend Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 173. Ausführlich zu § 47 MStGB in der Zeit des Nationalsozialismus und zu den sich hieraus ergebenden Fragen siehe Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 75 ff.; vgl. auch die Rechtsprechung des BGH: BGHSt 2, 251 (256 f.), wonach der Fahneneid (RGBl. I 1935, 1035) die Verantwortlichkeit nach § 47 MStGB nicht ausschließt. 58 Hierzu und zum Folgenden vgl. die Darstellung bei Hanik, Wehrrecht, S. 143 f. 59 Hierauf weist Hanik, Wehrrecht, S. 144 klarstellend hin. Siehe „Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland“ in der Fassung vom 30.03.1955, BGBl. II 1955, 301, 373. 60 RGBl. I 1935, 1021. 61 RGBl. I 1940, 1348. 62 Hierzu und zum Gesetzgebungsverfahren siehe Dreher, JZ 1957, 393 (393). 63 Vgl. Arndt, Wehrstrafrecht, S. 32; Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/ 3040, S. 12 f. Die neu gewählte Formulierung „Wehrstrafgesetz“ entsprach besser der Abhängigkeit des Wehrstrafrechts vom allgemeinen Strafrecht. Überdies entsprach das neue Gesetzeswerk aufgrund seines vergleichsweise geringen Umfangs nicht dem eines „Gesetzbuches“. Hierzu auch Hanik, Wehrrecht, S. 144.

2. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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einschränkend auslegte und daher nur zu einem relativ geringen Anwendungsbereich gelangte. Telos der Norm war nach einhelliger Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung der Versuch, einen angemessenen Ausgleich zwischen der Gehorsamspflicht auf der einen und einem Rechtsgüterschutz auf der anderen Seite zu sichern. Das Reichsmilitärgericht machte in einer Entscheidung im Jahr 1908 deutlich, dass der Zweck des § 47 I 1 MStGB „die Durchführung und Sicherung der dem Untergebenen obliegenden Gehorsamspflicht“ sei.65 Dem § 47 I 2 MStGB wurde hingegen die Aufgabe zugewiesen, „einer Überspannung dieser Gehorsamspflicht auf Kosten anderer Rechtsgüter entgegenzuwirken“ und die Rechtspflicht des Untergebenen sicherzustellen.66 Die Rechtsprechung behandelte den § 47 I 2 Nr. 2 MStGB als „Ausnahmebestimmung“67 und engte ihn in seinem Anwendungsbereich sehr weit ein: Zunächst wurde eine Unterscheidung vorgenommen zwischen dienstlichen Befehlen im streng begrifflichen Sinn und bloßen Wünschen, Anregungen und Hoffnungen.68 Des Weiteren wendete sie § 47 MStGB nur dann an, wenn es sich um einen Befehl in Dienstsachen handelte69, wonach alle Anordnungen rein privater Art ausgeschlossen wurden. Eine hierzu vertretene Mindermeinung stellte die militärische Gehorsamspflicht in den Vordergrund. Sie betonte die Gehorsamspflicht in Dienstssachen und gelangte daher nur für die Befehle außerhalb von Dienstsachen zu § 47 MStGB.70 Eine dritte Einschränkung erfuhr die Regelung dadurch, dass eine Haftung des Untergebenen auf die Fälle sicheren Wissens beschränkt wurde, dass der Vorgesetzte mit dem Befehl die Verübung eines Vergehens oder Verbrechens beabsichtigt, er also „die Gewissheit erlangt hat, dass der Befehl eine Handlung betraf, welche ein Verbrechen oder Vergehen bezweckte.“71 Die Fälle bloßen Zweifelns, Meinens oder Kennenmüs64 Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. I; ausführlich auch von Ammon, Der bindende rechtswidrige Befehl, S. 53 ff.; vgl. auch Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen, S. 122 ff. 65 RMG 13, 180 (184). 66 Schwinge, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1938, 147 (148); RMG 13, 180 (184). Zum Ganzen vgl. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 26 ff. 67 RMG 13, 180 (184). 68 Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. III, 1a m.w. N.; vgl. RGSt 64, 66 (70 f.). 69 RMG 13, 180 (183); Hecker, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. 1; Schwinge, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1938, 147 (147); zur Abgrenzung „Befehl in Dienstsachen“ und „Dienstbefehl“ siehe Hagen, Das auf militärischen Befehl begangene Verbrechen, S. 16 ff.; Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 17 ff. 70 Vgl. Oehler, JuS 1963, 301 (305) mit Hinweis auf von Weber, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handeln auf Befehl, S. 9. 71 RMG 19, 190 (195). Dass es dazu kommen kann, wurde von den Kommentatoren mit dem Verweis auf die spärliche amtliche Sammlung nahezu einhellig ausgeschlossen; vgl. statt vieler: Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. III, 1b; so auch BGHSt 5, 239 (244).

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1. Teil: Das Wehrrecht

sens wurden demnach ausgeschlossen.72 Diese Rechtsprechung, die vom Schrifttum mehrheitlich gebilligt wurde73, beruhte auf der Überlegung, dass das „Interesse der Disziplin“ ohne diese Einschränkungen nicht gebührend zu wahren ist.74 In die gleiche Richtung zielte der Vorschlag, § 47 I 2 Nr. 2 MStGB bei Kriegshandlungen nicht anzuwenden und so die als unzumutbar und über das militärisch vertretbare Maß hinausgehende strafrechtliche Verantwortung des Untergebenen auszuschließen.75 Anders als im heutigen Recht haftete der Befehlsempfänger auch im Fall eines strafrechtswidrigen Befehls nicht, wenn dieser für ihn verbindlich war. Daraus folgt, dass es nach dem damaligen Recht auch einen Befehl gab, der strafrechtswidrig sein konnte und trotzdem eine Verbindlichkeit für sich in Anspruch nahm.76 Für den interessierenden Fall77 des § 47 I 2 Nr. 2 MStGB haftete der Untergebene demnach nur, wenn es sich um einen für ihn nicht verbindlichen Befehl handelte und ihm bekannt war, dass dieser eine Handlung bezweckte, die den Tatbestand eines bürgerlichen oder militärischen Verbrechens oder Ver72 RMG 13, 180 (184); RMG 19, 190 (195): „[. . .] vielmehr muss die Absicht hinzukommen, durch das Mittel der Begehung eines Verbrechens einen rechtswidrigen Zweck zu erreichen.“ Vgl. auch OLG Stuttgart, HESt 2, 223 (223 ff.); a. A. OLG Freiburg, HESt 2, 365 (365 ff.), Ablehnung des § 47 I Nr. 2 MStGB für den Fall der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Befehls. Zum Ganzen Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 20 f. 73 von Koppmann/Weigel, Kommentar zum MStGB, § 47, Rn. 13; Mayer, FG für von Frank, S. 598, (605 f.); Romen/Rissom, Kommentar zum MStGB, § 47, Rn. 14; Schmidt, Militärstrafrecht, S. 58; Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. III, 2. 74 Schwinge, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1938, 147 (148). Dies wird in den Urteilen RMG 13, 180 (180 ff.) und RMG 19, 190 (190 ff.) ausführlich dargelegt und begründet. 75 So Oetker, Der Gerichtssaal 1925, 400 (415), der hierzu ausführt: „Nur ein Heer, das seine Operationen befehlsgemäß in nie versagender Subordination vollzieht, ist ein taugliches Kriegsinstrument. So sehr es zu beklagen ist, wenn Befehle erteilt und ausgeführt werden, die den Strafgesetzen zuwiderlaufen, das weit schwerere Übel bleibt doch die Schädigung der Disziplin, die mit dem Beispiel der Gehorsamsverweigerung sich verknüpft, die Lockerung des festen Heeresgefüges, die Erschwerung, Behinderung der Operationen, wenn der Führer seiner Truppe nicht mehr gewiss ist.“ 76 Vgl. RMG 1, 61 (63): „[. . .] insbesondere kann das Vorliegen von Befehlen in Dienstsachen nicht, wie vom Oberkriegsgericht geschehen, deshalb verneint werden, weil ein auf die Ausführung einer strafbaren Tat gerichteter Befehl nie ein Befehl in Dienstsachen sein kann. Eine solche Auffassung ist rechtsirrtümlich und schlechterdings unvereinbar mit der Bestimmung des § 47 MStGB, welcher mit seiner Fassung [. . .] unzweideutig zum Ausdruck bringt, dass ein Befehl in Dienstsachen vorliegen kann, auch wenn durch dessen Ausführung ein Strafgesetz verletzt wird.“ 77 § 47 I 2 Nr. 1 MStGB drückt eine nach allgemeinen strafrechtlichen Kriterien zu beurteilende Selbstverständlichkeit aus und wurde daher schon früher als überflüssig empfunden. Unglücklich war insbesondere die Formulierung auch deshalb, weil durch die Bestrafung als „Teilnehmer“ nach § 49 II RStGB der Weg zu einer Strafmilderung eröffnet wurde, obwohl nach allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts u. U. der Untergebene als allein verantwortlicher Täter zu behandeln ist. Statt vieler: Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 29 f.

2. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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gehens erfüllte. Verbindlich war ein Befehl nach einer weiten Formel des Reichsgerichts, wenn er eine militärische Anordnung im materiellen Sinn betraf.78 Dies erforderte somit eine Anordnung, die sich ihrer „Art und ihrem inneren Wesen nach innerhalb des Bereichs der Aufgaben der Wehrmacht hielt.“79 Wie noch zu zeigen sein wird, beurteilt sich die Frage der Verbindlichkeit heute anders – ein strafrechtswidriger Befehl kann nach geltender Rechtslage gemäß § 11 II 1 SoldatenG, § 22 I 1 WStG niemals verbindlich sein.80 Diese in ihren Voraussetzungen weitläufige Formulierung des Reichsgerichts erscheint nach heutigem Verständnis vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Gesichtspunkte bedenklich. Das Abstellen auf einen „Rahmen, was der militärische Dienst seinem Wesen nach erfordert“81, vermag nicht zweifelsfrei zu erklären, wo die Grenze der Verbindlichkeit von Befehlen liegt.82 So wundert es nicht, dass das „Wesen des Dienstes“ sehr weit ausgelegt wurde und es kaum eine Verrichtung gab, die innerhalb der Streitkräfte nicht Dienst sein konnte.83 Ebenso problematisch ist es, die Frage der Verbindlichkeit eines Befehls von dem subjektiven Element der positiven Kenntnisnahme durch den Untergebenen abhängig zu machen. Der Gesetzgeber machte somit die Verbindlichkeit eines Befehls von individuellen, zwangsläufig differierenden Fähigkeiten abhängig. Dies hatte zur Folge, dass sich der Gesetzgeber der Aufgabe begab, selbst die Grenzen der Verbindlichkeit und damit der persönlichen Verantwortung des einzelnen Soldaten festzulegen.84 Dieser Gedanke wird insbesondere im zweiten Teil der Arbeit in Verbindung mit den beamtenrechtlichen Betrachtungen eine gewichtige Rolle spielen.85 Daher soll auf das Problem an dieser Stelle zunächst nur hingewiesen werden. Sowohl die Tatsache, dass auch ein strafrechtswidriger Befehl verbindlich sein konnte, als auch die beschriebene restriktive Auslegung des § 47 I 2 Nr. 2 MStGB zeigen den Ausnahmecharakter der Vorschrift in ihrem tatbestandlichen und praktischen Anwendungsbereich sehr anschaulich.86

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Vgl. Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. III, 1b. Vgl. RGSt 58, 110 (110); RGSt 64, 66 (67); vgl. auch RKGE 1, 177 (179), wonach Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines Befehls nicht voneinander abhängen. 80 Vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, A. III. und B. III. 4. a) aa). 81 RGSt 58, 110 (110); RGSt 64, 66 (67). 82 Kritisch zum „Wesensargument“ Rüthers, Rechtstheorie, § 16, Rn. 573; § 20, Rn. 647; § 23, Rn. 915, 919 ff. 83 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 20; Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. III, 1b. 84 In diesem Sinn auch Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 30. 85 Vgl. hierzu die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel, B. II. 3. c) und B. 4. b). 86 Zum Ganzen vgl. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 20 f. 79

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1. Teil: Das Wehrrecht

II. Die Enthaftung des Untergebenen nach § 47 I 2 MStGB Bei der beschriebenen Regelung des Handelns auf Befehl stellt sich aus heutiger Sicht aufgrund gewandelter Anschauungen die Frage nach dem Rechtsgrund für eine so weit reichende strafrechtliche Privilegierung des Untergebenen. Bei Binding87 ist zu lesen, dass der Rechtsgrund der Enthaftung in der befehlsgemäß vorgenommenen Handlung des Untergebenen zu sehen ist. Diese Handlung sei nicht als eine des Untergebenen, sondern als Ausführung des Willens des Befehlenden und daher als unselbständiger Bestandteil von dessen Verhalten zu verstehen. Nach Binding fehlt es somit am Merkmal der Handlung im strafrechtlichen Sinn.88 Andere Autoren sahen den Rechtsgrund für eine Enthaftung in der Verbindlichkeit des Befehls, der ihrer Ansicht nach die Rechtswidrigkeit ausschließt.89 Wieder andere Vertreter verneinten schlicht contra legem die Möglichkeit eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls.90 Bei der Erteilung eines strafrechtswidrigen Befehls an den Untergebenen gemäß § 47 I 1 MStGB kollidieren die Gehorsamspflicht und die allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, nicht gegen Strafgesetze zu verstoßen.91 Interessanterweise löste der Gesetzgeber diese Pflichtenkollision nach einem Regel-Ausnahme-Prinzip selbst im Fall des strafrechtswidrigen Befehls noch zugunsten der Verbindlichkeit und damit zugunsten der Gehorsamspflicht. Die Gehorsamspflicht wurde demnach über die Einhaltung der objektiven Rechtsordnung gestellt, vergleichbar mit der noch zu besprechenden Fallgruppe des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls nach geltendem Wehrrecht.92 Handelte es sich um einen unverbindlichen Befehl i. S. d. § 47 I 2 MStGB und war sich der Untergebene darüber nicht im Klaren, so entfiel die Vorwerfbarkeit. Ein „Sichsagenmüssen“, dass das Befohlene etwas Verbotenes sei, reichte zur Anwendung der Norm ebenso wenig aus „wie irgendeine Fahrlässigkeit des Untergebenen, durch welche er in Unkenntnis über die Voraussetzungen der fraglichen Ausnahmebestimmungen geblieben ist.“93 Die Enthaftung trat lediglich dann nicht 87

Binding, Strafrecht BT, Band II, S. 771 ff. Kritisch hierzu Dolaptschieff, ZStW 1939, 238 (239 f.). 89 Allfeld, Strafrecht AT, S. 139; Gerland, Deutsches Reichsstrafrecht, S. 157 f.; Girginoff, Der bindende Befehl im Strafrecht, S. 93: „Die Unverantwortlichkeit des Gehorchenden ist Folge seiner Pflicht zur Ausführung des Befehls.“ Ausführlich Hagen, Das auf militärischen Befehl begangene Verbrechen, S. 58 ff.; siehe auch von Hippel, Deutsches Strafrecht, Band II, S. 263. 90 Dolaptschieff, ZStW 1939, 238 (244, 246 f.): „Der Befehlsberechtigte vermag nicht die Rechtsordnung außer Kraft zu setzen. Der Wille des Vorgesetzten kann nicht über dem Willen des Gesetzgebers stehen. Die Rechtsordnung ist ein einheitliches und widerspruchloses Ganzes. Darum gibt es weder rechtswidrige Befehle, die verbindlich sind, noch verbindliche Befehle, die rechtswidrig sind.“ 91 Vgl. Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. IV. 92 Siehe hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. 88

2. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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ein, wenn der Untergebene sowohl positive Kenntnis von der Strafrechtswidrigkeit des ihm aufgetragenen Handelns als auch sicheres Wissen von der kriminellen Absicht seines Vorgesetzten hatte.94 1. Die Enthaftung in tatsächlicher Hinsicht In tatsächlicher Hinsicht wird man einen Rechtsgrund für die Enthaftung des Untergebenen sicherlich in den Machtstrukturen der Streitkräfte und in der bereits angesprochenen Aufrechterhaltung und Festigung der Gehorsamspflicht sehen müssen.95 Eine solche Sicherung wurde damit erreicht, dass der Untergebene auf den erteilten Befehl vertrauen durfte, selbst wenn durch die Ausführung des Befehls ein Strafgesetz verletzt wird. Die Grenze der persönlichen Enthaftung des Untergebenen wurde erst dort gezogen, wo neben der Kenntnis von der Strafrechtswidrigkeit zusätzlich eine Absicht des Vorgesetzten hinzutrat, einen rechtswidrigen Zweck zu erreichen, und der Untergebene hiervon sicheres Wissen hatte. Dem damaligen, noch der Obrigkeit verschriebenen Staatsverständnis entsprechend maß der Gesetzgeber der Gehorsamspflicht des Untergebenen gegenüber seinem Dienstherrn einen überragend hohen Stellenwert zu. Wenngleich auch heute noch das militärische Prinzip auf dem uneingeschränkten Subordinationsverhältnis als eine sie tragende und schlechthin konstituierende Säule aufbaut, steht nach unserem Verständnis nicht die Sache über dem Individuum, sondern umgekehrt der einzelne Soldat über der Sache.96 Deklaratorisch kommt dies heute in den Vorschriften über die Pflichten und Rechte des Soldaten in den §§ 6 ff. SoldatenG zum Ausdruck.97 Frühere Überlegungen über solche Befehle, bei denen der Einzelne zur Erfüllung eines Auftrages den sicheren Tod hinnehmen muss98, erübrigen sich vor dem Hintergrund unserer 93 RMG 13, 180 (184); Girginoff, Der bindende Befehl im Strafrecht, S. 94 f.; Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. IV. 94 Zum Ganzen vgl. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 18 ff. Vgl. auch von Koppmann/Weigel, Kommentar zum MStGB, § 47, Rn. 13; Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. III. 95 Dies wird von den Kommentatoren immer wieder betont. Rittau, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. 8b; Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. IV. Vgl. auch die Ausführungen bei Hagen, Das auf militärischen Befehl begangene Verbrechen, S. 58 f.: „In Literatur und Judikatur herrscht wohl Einigkeit darüber, dass die Disziplin, die straffe Handhabung des Gehorsams, den Grund für die Unverantwortlichkeit des Untergebenen bildet.“ 96 Bei Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 49, Anm. I ist noch zu lesen: „Das soldatische Pflichtgebot muss unerbittlich sein. Maßstäbe, die auf den einzelnen als Individuum [. . .] abstellen, haben hier keinen Platz.“ In die gleiche Richtung Rittau, Kommentar zum MStGB, § 84, Anm. 2. 97 In diesem Sinn auch der Ausspruch des Generalfeldmarschalls Graf von Moltke, Gespräche, S. 217 f.: „Gehorsam ist Prinzip, aber der Mann steht über dem Prinzip.“ 98 Hierfür noch Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 49, Anm. I. Demgegenüber Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 34, Rn. 10 vor dem Hintergrund der geltenden Rechts-

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1. Teil: Das Wehrrecht

verfassungsrechtlichen Normen. Insbesondere die Menschenwürde gemäß Art. 1 GG lässt einen solchen Befehl unverbindlich werden, weil er ohne Überlebensmöglichkeit dem Untergebenen jegliches Selbstbestimmungsrecht abspricht und den Staat unter Missachtung der Menschenwürde über Leben und Tod verfügen lässt.99 2. Die Enthaftung in rechtlicher Hinsicht In rechtlicher Hinsicht könnte man versucht sein, die Enthaftung des Untergebenen dogmatisch mit der ihn treffenden Teilnahmestrafe gemäß § 47 I 2 MStGB zu erklären. Eine solche traf den Untergebenen bei wortlautgetreuer Auslegung selbst noch für den Fall, dass in seiner Person alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt waren und er der eigentliche und einzige Täter ist.100 Unter Teilnahme wird nach heutigem Verständnis die Beteiligung an einer fremden Tat verstanden. Mögliche Erscheinungsformen sind die Anstiftung gemäß § 26 StGB oder die Beihilfe nach § 27 StGB, so dass die von § 47 I 2 Nr. 2 MStGB angeordnete Rechtsfolge der Teilnahmestrafe zunächst in das gewonnene Bild zu passen scheint. Erschüttert wird dieses scheinbar klare Ergebnis, wenn man den Teilnahmebegriff nach dem RStGB näher betrachtet. Unter den Begriff der Teilnahme im technischen Sinn gemäß §§ 2, 47 I 2 MStGB i.V. m. §§ 47–50 RStGB wurde nicht nur Anstiftung und Beihilfe, sondern auch Mittäterschaft gefasst.101 Nur im engeren Sinn wurde unter Teilnahme i. S. d. dritten Abschnitts des RStGB die Mitwirkung eines Anstifters und eines Gehilfen verstanden.102 Die Strafbarkeit des Untergebenen erfasste somit nach § 47 I 2 Nr. 2 MStGB alle drei Erscheinungsformen der „Teilnahme“: Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe.103 lage: „Eine Grenze findet seine Selbstaufopferungspflicht freilich dort, wo die Pflichterfüllung den unmittelbar und konkret voraussehbaren sicheren Tod bedeutet, ohne den Hoffnungsschimmer einer wenn auch nur schmalen Chance des Entkommens zu belassen.“ 99 So Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 6, Rn. 7. Zur sog. „Objektformel“ vgl. Herdegen in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 1 GG, Rn. 33; Höfling in Sachs, GG-Kommentar, Art. 1 GG, Rn. 13. 100 von Koppmann/Weigel, Kommentar zum MStGB, § 47, Rn. 16. 101 Grundlegend hierzu Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 25 ff.; siehe auch Elsner von Gronow/Sohl, Militärstrafrecht, § 47 MStGB, Anm. 1; Hecker, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. 2; NK-Schild (1. Auflage), vor § 25, Rn. 2, 5, 64; von Olshausen, Kommentar zum RStGB, Dritter Abschnitt, Anm. 7. Vgl. auch die Legaldefinition in § 50 RStGB sowie die Formulierung in RMG 1, 61 (63): „[. . .] mussten sie als Teilnehmer beurteilt werden. Welche Art aber die Teilnahme gewesen, ob speziell Täter- oder Gehilfenschaft vorlag, kann nur nach Maßgabe der [. . .] tatsächlichen Feststellungen bemessen werden.“ 102 von Olshausen, Kommentar zum RStGB, Dritter Abschnitt, Anm. 7. 103 von Koppmann/Weigel, Kommentar zum MStGB, § 47, Rn. 2; a. A. Schmidt, Militärstrafrecht, S. 42, der die „Teilnahme“ im vollen Gegensatz zur Täterschaft sieht

2. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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Dieses Ergebnis mag zunächst verwundern, da eine mittäterschaftliche Straftatbegehung einer unbedingten Subordination des Untergebenen zuwiderläuft. Ein arbeitsteiliges, sich gegenseitig unterstützendes Zusammenwirkung des Vorgesetzten mit dem Befehlsempfänger ist vor dem Hintergrund der Gehorsamsvorschriften demnach kaum denkbar. Führt man sich die zu § 47 I 2 Nr. 2 MStGB ergangene Rechtsprechung vor Augen, wird diese Einschätzung bestätigt. Ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirkung von Vorgesetzten und Untergebenen zur gemeinsamen Begehung von Verbrechen und Vergehen findet sich – soweit ersichtlich – in der Judikatur zum damaligen Wehrstrafrecht nicht. Dieses tatsächliche Ergebnis lässt sich rechtlich mit der Ausgestaltung der militärischen Gehorsamsvorschriften erklären, wonach die unbedingte Unterordnung des Befehlsempfängers im Vordergrund stand. Dem gemeinschaftlichen Begehen einer Tat aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatentschlusses stand realiter somit das hierarchisch strenge Über- und Unterordnungsverhältnis entgegen. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung des Reichsgerichts für die Frage der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme seit jeher die subjektive Theorie vertrat und daher die innere Haltung des Untergebenen als entscheidender Faktor gesehen wurde. Dem schloss sich auch das Reichsmilitärgericht an, indem es ein eigenes Interesse an der Tat für die Begründung von Mittäterschaft forderte. Das notwendige Element vom eigenen Interesse an der Tat ging sogar so weit, dass selbst im Fall der eigenhändigen Ausführung des Verbrechens dann noch Beihilfe angenommen wurde, „wenn die Tat nicht als eigene gewollt wird.“104 Lagen daher die Voraussetzungen des § 47 I 2 Nr. 2 MStGB vor, sollte den Untergebenen gemäß dem Gesetzeswortlaut eine „Teilnahmestrafe“ i. S. d. RStGB treffen. Schon frühzeitig wurde auf das Problem der obligatorischen „Teilnahmestrafe“ für den Untergebenen hingewiesen, wenn er durch die Tatbegehung alle gesetzlich umschriebenen Tatumstände verwirklicht – er also nach allgemeinen strafrechtlichen Regeln Täter und nicht lediglich „Teilnehmer“ in dem oben beschriebenen Sinn ist.105 Richtigerweise war demnach auch nach früher geltender Rechtslage derjenige, der in vollem Bewusstsein von der Strafbarkeit der befohlenen Handlung den Befehl dennoch ausführte, bei Vorliegen der Voraussetzungen auch als Täter und nicht zwingend als „Teilnehmer“ zu bestrafen.106 Dies wurde auch entgegen der Ansicht des preußischen Generalund – da eine Anstiftung des Untergebenen nicht in Betracht kommt – den Untergebenen nur als Gehilfen gemäß § 49 RStGB bestrafen will. 104 Vgl. RGSt 3, 181 (182 f.); RGSt 74, 84 (85 f.); RMG 10, 86 (88); RMG 13, 180 (182 f.); im Gegensatz hierzu RMG 1, 61 (64). Zum Ganzen Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 25 ff. 105 Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 30 f.; kritisch van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 130 ff. 106 Grundlegend Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 30 ff. Hierzu auch Hagen, Das auf militärischen Befehl begangene Verbrechen, S. 76 ff., der auch für den Fall

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1. Teil: Das Wehrrecht

auditoriats, wonach der Vorgesetzte entsprechend dem Wortlaut stets als Täter angesehen wurde, in einer Entscheidung vom 10.06.1885 des bayrischen Generalauditoriats anerkannt und von den damaligen Kommentaren zum MStGB auch so vertreten.107 Im Ergebnis erwies sich somit die unglücklich formulierte Norm des § 47 I 2 Nr. 2 MStGB nicht als Hindernis, um zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen. Der unbedingte und nahezu absolut eingeforderte Gehorsam führte jedoch dazu, dass die Straftaten meist dem Vorgesetzten zugeschrieben wurden und der Untergebene wegen der Verbindlichkeit des Befehls strafrechtlich nicht haftbar gemacht wurde. Die persönliche Verantwortung des Befehlsempfängers war daher eher eine seltene Ausnahme. Dies rechtfertigt den Schluss, dass die damalige Ausgestaltung der Gehorsamsvorschriften insbesondere zu Krisenzeiten die Begehung von Normübertretungen somit begünstigte und nicht gerade verhinderte.108 Die leidvollen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, in dem häufig formal auf das Vorliegen eines Befehls abgestellt wurde, sind hierfür ein Beispiel.109 Drittes Kapitel

Die bestehende Rechtslage bei einem Handeln aufgrund eines militärischen Befehls A. Das neue Wehrstrafgesetz vom 30.03.1957 Mit dem Aufbau der Bundeswehr wurde es nach einhelliger Meinung notwendig, ein neues wehrstrafrechtliches Kerngesetz zu schaffen, das den gewandelten Anschauungen der damaligen Zeit angemessen war und der Verfassung entsprach. Das alte MStGB von 1872 konnte in der Fassung von 1940110 so nicht mehr Grundlage des sich im Aufbau befindenden demokratischen Rechtsstaates sein. Daher wurde bereits bis zum Jahr 1956 ein neues Wehrstrafgesetz erarbeitet, welches am 01.05.1957 in Kraft trat. Um den Fokus bzgl. des Handelns aufgrund Befehls nicht zu verlieren, sollen nur die wesentlichen Neuerungen in diesem Zusammenhang kurz dargestellt werden.111 der Verantwortlichkeit des Untergebenen als Täter den Befehl als einen Strafmilderungsgrund ansieht. Daher sei die Strafe stets nach Beihilfegrundsätzen zu ermäßigen. 107 Hecker, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. 6: „nicht ganz korrekte Fassung des § 47“; Herz/Ernst, Strafrecht der Militärpersonen, § 47, Rn. 11; von Koppmann/ Weigel, Kommentar zum MStGB, § 47, Rn. 16. 108 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 27 f. 109 Zum strafrechtlichen Umgang mit NS-Gewaltverbrechern in der BRD vgl. die Ausführungen bei Greve, Täter oder Gehilfen?, S. 195 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 110 RGBl. I 1940, 1348.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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I. Das neue Menschenbild: der Staatsbürger in Uniform Die Einführung einer neuen Verfassung bewirkte auch einen Wandel in der Sichtweise des Soldaten. Stand früher der Soldat als Befehlsempfänger im Vordergrund, herrschte jetzt in der neuen deutschen Wehrgesetzgebung die Vorstellung vom Soldaten als Bürger in Uniform vor. Dem Gesetzgeber war sehr daran gelegen, das neue Wehrrecht nicht als ein Recht einer Sondergruppe zu gestalten, die ein abgeschlossenes Eigenleben führt.112 Der Soldat wurde nunmehr in erster Linie als Bürger gesehen, der nur vorübergehend in ein besonderes Gewaltverhältnis eintritt. Zivil und Militär wurden daher fortan nicht mehr gesondert voneinander betrachtet, sondern vielmehr als eine aufeinander bezogene, sich wechselseitig beeinflussende Lebens-, Leistungs- und Ideengemeinschaft.113 So wurde formuliert, dass das Offizierskorps keine Kaste sei, der ihrer Eigenart wegen Sonderrechte zugebilligt werden können.114 Nach Dreher ist die rechtliche Sonderbehandlung des Vorgesetzten nur ein Ausfluss seiner militärischen Funktion, die auf der anderen Seite zu entsprechend erhöhten Pflichten führe. So sei auch das gesamte Recht des Soldaten als Recht eigener Art insgesamt nur insoweit zu begründen, als die militärischen Verhältnisse eine derartige Ausnahme gegenüber dem zivilen Recht zwingend erfordern.115 II. Die neue rechtliche Ausgestaltung Im Vergleich zu anderen Subordinationsverhältnissen ist die Gehorsamspflicht im militärischen Bereich am stärksten ausgeprägt.116 Ihm ist die besondere Gewaltunterworfenheit des Untergebenen inhärent. Diese systemimmanente Abhängigkeit zwischen dem Befehlsgeber und dem Befehlsunterworfenen findet sich in der Ausgestaltung der wehrrechtlichen Normen wieder. Sie sind einer-

111 Hierzu und zu den einzelnen Unterschieden des WStG gegenüber dem MStGB siehe Dreher, JZ 1957, 393 (393 ff.). 112 Dreher, JZ 1957, 393 (393). Hierzu auch Lerche, Grundrechte des Soldaten, S. 450 ff. In der Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, heißt es dazu auf S. 18: „Leitender Grundsatz der Regelung ist es, den Soldaten als einen Staatsbürger in Uniform zu begreifen, dessen Pflichten und Rechte rechtsstaatlich bestimmt und rechtsstaatlich gesichert sind.“ Zu den hiermit verbundenen Grundsätzen der Inneren Führung siehe Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 9 ff. 113 So Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 69, der in diesem Zusammenhang zutreffend auf die Verpflichtung der Bundeswehr gemäß § 33 SoldatenG hinweist, Soldaten in staatsbürgerlichen und völkerrechtlichen Fragen zu unterrichten. Vgl. auch Dreher, JZ 1957, 393 (393). 114 Dreher, JZ 1957, 393 (393). 115 Dreher, JZ 1957, 393 (393); vgl. auch Ullmann, Grundrechtsbeschränkungen des Soldaten, S. 38 f. 116 Vgl. § 11 I 1, 2 SoldatenG, § 55 S. 1, 2 BBG; § 37 S. 1, 2 BRRG; § 7 I 1 UZwG; § 97 I StVollzG; § 30 I 1 ZDG.

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1. Teil: Das Wehrrecht

seits erforderlich, um den Untergebenen vor Missbrauch zu schützen, andererseits, um der besonderen Pflicht zum Gehorsam Nachdruck zu verleihen.117 Bei der neuen rechtlichen Ausgestaltung der Normen über den Befehl und Gehorsam ist hervorzuheben, dass diese Regelungen weit mehr Beachtung als noch in den Vorgängerregelungen erfuhren. Dadurch sollte den Grundsätzen der Rechtsicherheit, Rechtsklarheit und Rechtsstaatlichkeit ausreichend Rechnung getragen werden.118 Die Neuregelung stellt eine bewusste Abkehr von § 47 MStGB dar und entspricht im Wesentlichen den vergleichbaren ausländischen Bestimmungen.119 Insgesamt war es das Bestreben des Gesetzgebers, einen engen Bezug zum allgemeinen Strafrecht herzustellen.120 Die mit der Gehorsamspflicht gegenüber dem Vorgesetzten und dem Rechtsgüterschutz gegenüber der Allgemeinheit divergierenden Interessen sah der Gesetzgeber dadurch am besten gewahrt, dass er den Verantwortungsbereich des Befehlsempfängers ausweitete. Durch die Ausweitung des Verantwortungsbereiches des Untergebenen sollte das Ziel erreicht werden, insbesondere in Krisenzeiten schwere Straftaten zu verhindern. Rechtstechnisch wurde dies so umgesetzt, dass der Untergebene die Konsequenzen der Ausführung eines Befehls tragen muss, wenn er erkennt oder es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass der Befehl die Begehung einer rechtswidrigen Tat beinhaltet, § 11 II 2 SoldatenG, § 5 I WStG. Vergleicht man die neue rechtliche Ausgestaltung mit der alten Fassung, stellt man fest, dass nunmehr weit geringere Anforderungen an die innere Tatseite des Befehlsempfängers gestellt werden als noch unter Geltung des MStGB. Indem das Gesetz im Fall der „Offensichtlichkeit einer rechtswidrigen Tat“ die Haftung des Untergebenen eingreifen lässt, ist dem Gewissenlosen und dem Rechtsblinden der Einwand, er hätte nichts bemerkt, abgeschnitten.121

117 Zum Ganzen Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 2; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 84 ff. 118 Hierauf weist auch der damalige BMJ Dr. Merkatz in seiner Einführungsrede zum WStG im Rahmen der ersten Lesung des Bundestages hin, Plenarprotokoll 2/190 vom 06.02.1957, S. 10850 ff. Vgl. auch die weiteren Ausführungen: „Der Entwurf ist in fünf grundsätzlichen Richtungen um eine Lösung der oft schwierigen Probleme bemüht: sie soll rechtsstaatlich und demokratisch, sie soll der Sache gemäß, maßvoll und nicht zuletzt einfach sein“, a. a. O., S. 10851. 119 Hierzu und zum Folgenden Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 28 f. 120 Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 12 f. 121 Zum Ganzen vgl. Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21; Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 12 f.; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 28 f.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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III. Die Unterscheidung von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines militärischen Befehls 1. Die Notwendigkeit einer Differenzierung Die Rechtmäßigkeit des Befehls betrifft die Frage, ob Inhalt, Art und Form des Befehls gemäß § 10 IV SoldatenG mit der herrschenden Rechtsordnung korrespondieren. Dagegen betrifft die Verbindlichkeit des Befehls die Fragestellung, ob der Untergebene diesem gehorchen und ausführen muss.122 Hierbei sei der Grundsatz betont, dass die Rechtmäßigkeit oder Zweckmäßigkeit eines Befehls zunächst einmal keine Auswirkung auf die Verbindlichkeit hat. Die Verbindlichkeit folgt vielmehr einem eigenen Regelungssystem. Dies erklärt sich aus der Funktionsteilung zwischen der anordnenden und ausführenden Stelle zur Wahrnehmung militärischer Aufgaben.123 Das deutsche Befehlsrecht unterscheidet trennscharf zwischen der Rechtmäßigkeit und der Verbindlichkeit eines Befehls.124 Auch wenn es bei erster Betrachtung nicht recht einleuchten mag, weshalb der Gesetzgeber im Befehlsrecht zwischen Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit differenziert, so erhellt sich dies, wenn man sich die spezifisch militärische Situation vor Augen führt. Ausgangspunkt für eine Differenzierung ist die Tatsache, dass für das Funktionieren einer jeden Armee das Institut von Befehl und Gehorsam – ein tradiertes Grundprinzip militärischer Einrichtungen – eine unabdingbare Voraussetzung ist.125 Daraus erklärt sich, dass neben dem Element der Rechtmäßigkeit zusätz122 Arndt, NZWehrr 1960, 145 (147 ff.) mit instruktiven Beispielen zur Rechtswidrigkeit und Verbindlichkeit von Befehlen; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 33 f. 123 Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 77 mit Verweis auf die heute herrschende Lehre. 124 Vgl. Huth, Die Gegenvorstellung, S. 34. Kritisch, aber mit der geltenden gesetzlichen Regelung im Hinblick auf die Trennung von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines Befehls unvereinbar NK-Herzog, § 32, Rn. 44: „In obrigkeitsstaatlichen Zeiten wurde [. . .] unter Hinweis auf Rechtssicherheit, Staatsautorität und ein berechtigtes Ordnungsbedürfnis teilweise die Theorie vom rechtswidrigen verbindlichen Befehl vertreten. [. . .] Diese Lösung ist aber mit dem modernen Rechtsstaatsverständnis unvereinbar.“ 125 Hierzu und zum Folgenden vgl. Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 69 f. m.w. N.; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 62 f. In diesem Sinn schon Generalfeldmarschall Graf von Moltke in einer Reichstagsrede von 1872: „Autorität von oben und Gehorsam von unten; mit einem Worte, Disziplin ist die ganze Seele der Armee. Die Disziplin macht die Armee erst zu dem, was sie sein soll, und eine Armee ohne Disziplin ist auf alle Fälle eine kostspielige, für den Krieg eine nicht ausreichende und im Frieden eine gefahrvolle Institution.“ Generalfeldmarschall Graf von Moltke, Reden, Band VII, S. 69. Hierzu finden sich aus soziologischer und geschichtlicher Sicht interessante Gedanken bei Bröckling, Disziplin, Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion. Aus psychologischer und soziologischer Sicht beleuchtet Gruen, EWE 2002, 441 (441 ff.) dieses Feld. Zum Gehorsam als

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1. Teil: Das Wehrrecht

lich das Erfordernis der Verbindlichkeit des Befehls eingeführt wurde. Aus der Einsicht in militärische Notwendigkeiten gilt daher seit langem, dass zugunsten einer am militärischen Auftrag orientierten, schlagkräftigen, verlässlichen und gezielt einsetzbaren Truppe die grundsätzlich strikte Ausführung von Befehlen Vorrang gegenüber der Einhaltung der objektiven Rechtsordnung genießt. Deshalb stellte auch der Bundesgesetzgeber von 1957 das militärische Interesse an einer unverzüglichen Befehlsausführung über die allgemeine Pflicht, fremde Rechtsgüter zu achten.126 Dies bedeutet, dass die gesetzliche Regelung daher grundsätzlich davon ausgeht, dass jeder Befehl verbindlich ist.127 Auf die Rechtmäßigkeit des Befehls kommt es hier zunächst nicht an.128 Etwas anderes gilt nur dann, wenn aufgrund der Intensität der Rechtsverletzung das Gesetz seine Unverbindlichkeit anordnet. Solange jedoch das Gesetz eine solche Rechtsfolge nicht ausspricht, geht die Gehorsamspflicht der Wahrung der objektiven Rechtsordnung vor.129 Aufgrund dieser Unterscheidung zwischen Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines Befehls kann es für den Untergebenen zu einer Kollision zwischen seiner Pflicht zum Gehorsam und den Anforderungen an die Wahrung der objektiven Rechtsordnung kommen.130 Das SoldatenG hält mit § 11 SoldatenG für diesen Fall eine gesetzliche Auflösung jener Pflichtenkollision bereit, in welcher der Untergebene durch den erteilten Befehl geraten kann.131 Diese Pflichtenkollision wird auch an anderer Stelle wieder auftauchen, etwa bei der Frage,

Thema einer Wehrethik siehe Walther, Zeitschrift für Europäische Wehrkunde 1981, 546 (546 ff.). 126 Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 69. So auch schon die früher geltende Rechtslage; hierzu Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 47, Anm. II. Hinsichtlich der Frage der Rechtswidrigkeit und Verbindlichkeit von Befehlen findet sich bei Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 2 ff. m.w. N. ein guter geschichtlicher Überblick. 127 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 12; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 78 f. 128 Grundlegend anders sieht dies Spendel in LK, § 32, Rn. 74 ff., nach dem jegliche rechtswidrige Weisung unverbindlich ist. Seiner Ansicht nach gibt es keinen Unterschied zwischen Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit. Diese Ansicht ist indes mit den geltenden wehr- und beamtenrechtlichen Normen nicht vereinbar. Die frühere Rechtsprechung beurteilte die Frage kontrovers. Vgl. RMG 14, 85 (86); RMG 20, 67 (73); RMG 22, 78 (80); RGSt 59, 330 (335): „Objektive Voraussetzung für die Verbindlichkeit eines Befehls in Dienstsachen ist seine Rechtmäßigkeit.“ Richtig hingegen RKGE 1, 177 (179): „In diesem Sinn ist scharf zu scheiden zwischen der Rechtswidrigkeit eines Befehls für den befehlenden Vorgesetzten und seiner Verbindlichkeit für den angewiesenen Untergebenen.“ 129 Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 79. 130 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 34. Zu den beiden Extrempositionen „blinder Kadavergehorsam“ einerseits und den sog. „bajonettes intelligentes“ andererseits siehe Huth, Die Gegenvorstellung, S. 34 f.; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 77; Oehler, FS für Stock, S. 237 (240 ff.). 131 Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 79 f.

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ob der Untergebene in Ausführung des verbindlichen Befehls bereits gerechtfertigt oder lediglich entschuldigt handelt.132 2. Die Kritik der Literatur und eigene Stellungnahme Von manchen Vertretern im Schrifttum wird bereits die rechtliche Möglichkeit eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls contra legem verneint – die Sanktionslosigkeit der Ausführung solcher Befehle bedeute nicht zugleich ihre Verbindlichkeit.133 Ihrer Ansicht nach sei es rechtlich nicht möglich, dass der Gesetzgeber auf der einen Seite etwas gebietet, was gleichzeitig verboten ist. Ein rechtwidrig erteilter Befehl könne aufgrund der Einheit der Rechtsordnung niemals verpflichtend und damit verbindlich sein.134 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass es für die Frage der Verbindlichkeit des Befehls zunächst nicht auf die Rechtmäßigkeit ankommt, diese vielmehr eigenen Regeln unterworfen ist. Spendel 135 spricht in diesem Zusammenhang von einer für das moderne Rechts- und Staatsverständnis „unvertretbaren“ Lösung. Zur Veranschaulichung bildet er folgendes Beispiel:136 a) Das Beispiel von Spendel Ein Major bleibt während eines Manövers mit seinem Wagen auf einem einsamen Feldweg liegen. Er befiehlt seinem Fahrer, ein auf dem Acker angepflocktes Pferd zu besteigen, um den weiten Fußmarsch in die nächste Ortschaft zu sparen und möglichst schnell Pannenhilfe zu holen. 132

Vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. Vgl. die ausführliche Darstellung bei Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 71 ff. und Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 17 mit Hinweis auf Spendel in LK, § 32, Rn. 74 ff.: „Anordnung wie Ausführung waren ungesetzlich und darum unverbindlich“, a. a. O., Rn. 76. Ders., a. a. O., Rn. 77: „[. . .] ein sachlicher Unterschied zwischen Verbindlichkeit und Rechtmäßigkeit besteht nicht.“ Dolaptschieff, ZStW 1939, 238 (247); M. E. Mayer, FS für Laband, S. 119 (121); ders., a. a. O., S. 119 (137): „Ein eklatant widerspruchsvolles Gebilde“; Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 86 m.w. N., 91; a. A. mit teilweise erheblich unterschiedlichen Ansätzen: Bringewat, NZWehrr 1971, 126 (131); Günther, ZBR 1988, 297 (313 f.); Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 17, der insbesondere auf den Wortlaut der beamten- und wehrrechtlichen Normen gemäß §§ 56 II 1–3 BBG, 38 II BRRG und § 11 I 1 SoldatenG abstellt; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 7 ff. Für die amtliche Weisung: Hansen, Fachliche Weisung und materielles Gesetz, S. 235, 240; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 467, der dieses Problem unter dem Aspekt des Rangverhältnisses zwischen Verwaltungsvorschriften und Rechtssätzen behandelt. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, S. 15, 44 ff.; Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 169 ff., 182 ff. 134 Vgl. zum Ganzen die umfangreiche Darstellung bei Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 71 ff. 135 Spendel in LK, § 32, Rn. 88 f. 136 Spendel in LK, § 32, Rn. 88. 133

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1. Teil: Das Wehrrecht

b) Die Lösung des Beispiels Zivilrechtlich stellt die Ausführungshandlung tatbestandlich eine Besitzstörung i. S. d. § 858 I BGB dar.137 Strafrechtlich ist das Verhalten des Fahrers hingegen nicht zu missbilligen, wenngleich der Befehl wehrrechtswidrig ist, vgl. § 10 IV 3. Var. SoldatenG.138 In der angesprochenen Konstellation, in welcher der Befehl gegen das Zivilrecht, nicht jedoch gegen das Strafrecht verstößt und damit bindend ist, sieht Spendel einen sachlich nicht zu begründenden Widerspruch, wenn man das angemaßte Bezugsobjekt „Pferd“ durch ein Fahrrad oder Moped auswechselt. In diesem Fall greift § 248b StGB ein. Der Befehl wäre wegen eines Strafrechtsverstoßes unverbindlich und dürfte nicht befolgt werden, § 11 II 1 SoldatenG, § 22 I 1 WStG. Spendel betrachtet dieses Ergebnis als eine „seltsame Konsequenz“, eine „Ungereimtheit“ und „Zufälligkeit“, die unvertretbar sei.139 Beleuchtet man das soeben gebildete Beispiel genauer, hilft es für einen ablehnenden Begründungsansatz gegen die Differenzierung von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines Befehls jedoch nicht weiter. In Wahrheit handelt es sich in dem von Spendel gebildeten Beispiel weder um eine „seltsame Konsequenz“, „Ungereimtheit“ noch um eine „Zufälligkeit“, sondern schlicht um eine gesetzgeberische Wertung.140 Es war der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, den furtum usus an Tieren straflos zu belassen bzw. die Gebrauchsanmaßung an Fahrzeugen gemäß § 248b StGB strafrechtlich zu sanktionieren.141 Die Gründe, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, sind daher weder ungereimt, seltsam noch zufällig und widerlegen nicht das theoretische und praktische Bedürfnis, scharf zwischen Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines Befehls zu unterscheiden. Die von Spendel eigentlich aufgeworfene und relevante Frage wird darum gehen, ob der rechtswidrige Befehl rechtfertigende oder lediglich entschuldigende Wirkung entfaltet und ob der Dritte gegenüber dem Befehlsempfänger somit duldungspflichtig ist oder Notwehr üben darf.142 Für die angestrebte Gleichsetzung von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit liefert es jedoch dogmatisch keine durchgreifend überzeugenden Erkenntnisse.

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Statt vieler: Palandt, § 858, Rn. 1 ff. Es sei unterstellt, dass weder § 904 BGB noch § 34 StGB eingreifen und die Befehlserteilung rechtfertigen. 139 Spendel in LK, § 32, Rn. 88 f. 140 So auch Neuheuser, Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln, S. 170 f. 141 Zum Normzweck des § 248b StGB siehe etwa Hohmann in MünchKommStGB, § 248b, Rn. 1 ff.; Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, § 248b, Rn. 2. 142 Das stellt er selbst eingangs fest, Spendel in LK, § 32, Rn. 74. 138

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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3. Zusammenfassung Aus der aufgezeigten Regelungssystematik ergibt sich, dass es keine denknotwendige inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Rechtmäßigkeit des Befehls und seiner Verbindlichkeit gibt. In der Regel wird zwar der unverbindliche Befehl auch rechtswidrig sein. Umgekehrt ist aber nicht jeder rechtswidrige Befehl auch unverbindlich. Argumentum e contrario ist aus § 11 I 1, II 1 SoldatenG und §§ 5 I, 22 I 1 WStG zu folgern, dass auch der Befehl zur Begehung außerstrafrechtlichen Unrechts i. d. R. verbindlich ist.143 Somit gibt es rechtswidrige, aber dennoch verbindliche und daher zwingend auszuführende Befehle.144 Hierin liegt auch keine „Überbewertung staatlicher Tätigkeit“ gegenüber der allgemeinen staatsbürgerlichen Rechtspflicht, widerrechtliche Handlungen zu unterlassen. Auch entspricht es nicht einem „überholten obrigkeitsstaatlichen Denken“ oder einer „ungerechten und unmöglichen Lösung.“145 Die Inkongruenz von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit – und damit verbunden, die Möglichkeit rechtswidriger, verbindlicher Befehle – trägt den spezifischen und militärisch notwendigen Besonderheiten Rechnung, die im zivilen Bereich so nicht vorzufinden sind. Diese Ansicht ist daher auch nicht Ausdruck eines antiquierten Staatsverständnisses, sondern die Einsicht in das sachlich Notwendige und Ausfluss einer zeitlos geltenden Wertevorstellung. 4. Mögliche Erscheinungsformen rechtswidriger, verbindlicher Befehle Tritt nicht ein Unverbindlichkeitsgrund hinzu, ist der rechtswidrige, verbindliche Befehl in folgenden Erscheinungsformen denkbar: (1) Befehle, durch deren Ausführung eine Ordnungswidrigkeit verwirklicht wird. So zum Beispiel der Befehl des Vorgesetzten an den Untergebenen, mit einem Militärkraftfahrzeug schneller als erlaubt zu fahren. Schwierig kann hier im Einzelfall die Grenze zum Vergehen sein.146 (2) Befehle, die gegen eine Dienstvorschrift, Gewohnheitsrecht oder gegen eine Rechtsverordnung verstoßen. Als Beispiel mag hier die Erteilung eines Befehls unter Verstoß gegen zentrale Dienstvorschriften gelten. Sie sind gemäß

143 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 24; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 1. 144 Vgl. Dreher, Bemühungen um das Recht, S. 318; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 24; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 79; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 10, 162; Walter, JR 2005, 279 (280). 145 So aber Spendel in LK, § 32, Rn. 77 und Rn. 81. 146 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 44. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen Vergehen und Übertretung siehe Wegener, NZWehrr 1959, 132 (134 ff.).

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1. Teil: Das Wehrrecht

§ 10 IV 4. Var. SoldatenG rechtswidrig und argumentum e contrario § 11 I 1, II 1 SoldatenG, §§ 5 I, 22 I 1 WStG verbindlich.147 (3) Befehle, die gegen zivilrechtliche Rechtssätze verstoßen sind rechtswidrig, aber verbindlich. Unter Umständen kann dies im Einzelfall Ansprüche gegen den Vorgesetzten und/oder gegen die Bundesrepublik Deutschland als Dienstherren begründen.148 5. Die Vermutung der Rechtmäßigkeit Der militärische Befehl hat wie jeder staatliche Akt die Vermutung der Rechtmäßigkeit und damit der Verbindlichkeit für sich, solange eine Anordnung nicht offensichtlich rechtswidrig ist.149 Für die Soldaten der Bundeswehr gilt daher auch im Rahmen der Befehlslehre der für jedwedes hoheitliche Handeln geltende Grundsatz, dass für eine Anordnung des zuständigen Vorgesetzten die Vermutung der Rechtmäßigkeit besteht.150 Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Untergebene auf die Autorität und Fachkompetenz seines Vorgesetzten vertrauen darf, richtige Entscheidungen zu treffen und sich gemäß § 10 IV SoldatenG im Rahmen der Gesetzte zu verhalten. Der Befehlsempfänger kann und soll daher darauf vertrauen, dass der Vorgesetzte seine Befehlsbefugnis rechtmäßig und somit für ihn verbindlich ausübt.151 Als Grund hierfür werden die strengen Auswahl- und Disziplinarvor-

147 Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 76; Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 47. 148 Siehe hierzu die einschlägige Literatur im Staatshaftungsrecht. Vgl. auch Butz, BLG-Kommentar, §§ 77 ff.; zum Verhältnis der Vorschriften nach dem Bundesleistungsgesetz zu anderen Normen, die eine Ersatzpflicht des Schädigers vorsehen BGH, NJW 1964, 104 (104); zu einem Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten aufgrund militärischer Tiefflüge BGHZ 122, 363 (363 ff.). Zum Ganzen Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 163 ff.; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 44 ff. 149 Grundlegend: Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 49 ff., der die Vermutung der Rechtmäßigkeit auf die Autorität der weisungsbefugten Stelle zurückführt. Die Autorität zeichne sich durch die erhöhte Fähigkeit, die Dinge richtig zu entscheiden, aus. Darin liege zugleich der Grund, aus dem die Richtigkeit der einzelnen Entscheidung nicht von jedermann beurteilt werden kann, und die Berechtigung, sich ihr trotzdem zu beugen. Ders., a. a. O., S. 105, 110, 165; Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 135; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 77 f.; Mann, DÖV 1960, 409 (415); Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 88. 150 So Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 88. Vgl. auch Bank, ZBR 1963, 161 (167); Bringewat, NZWehrr 1971, 126 (130); Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (236 ff.); S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 52, 152, 165 ff.; BVerwG, NZWehrr 1969, 65 (66). 151 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 134 ff.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 87 f. Vgl. auch Schnapp, FS für Leuze: „Dem Befehlsempfänger ,an der Front‘ hingegen ist die Klärung der gelegentlich äußerst schwierigen Frage, ob ein militärisches Vorgehen völkerrechtsmäßig ist oder nicht – man denke nur an das umstrittene

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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schriften in der Bundeswehr und die grundsätzliche Bindung aller Dienststellen an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 III GG sowie das Vertrauen auf die Rechtskenntnis und Rechtstreue des Vorgesetzten genannt.152 Die Vermutung der Rechtmäßigkeit und damit der Verbindlichkeit für den Soldaten ist jedoch nicht grenzenlos. Sie ist vielmehr an folgende Voraussetzungen geknüpft: In formeller Hinsicht muss allgemein ein Vorgesetztenverhältnis zwischen Befehlsgeber und Befehlsempfänger bestehen.153 Der Befehlsgeber muss daher persönlich und sachlich zuständig sein. Ein Aspekt der sachlichen Zuständigkeit und damit zugleich eine weitere formelle Voraussetzung ist der dienstliche Zweck des Befehls an den Untergebenen. Denn dem Vorgesetzen ist gemäß § 10 IV SoldatenG gegenüber den unterstellten Soldaten die Befehlskompetenz nur zu dienstlichen – und nicht etwa zu privaten – Zwecken anvertraut.154 Die für die Befehlsgebung erforderliche Sachkunde des Vorgesetzten ist also der Grund, der eine persönliche und sachliche Zuständigkeit des Befehlsgebers erst inhaltlich rechtfertigt.155 In materieller Hinsicht darf der Befehl des Vorgesetzten an den Untergebenen die objektive Rechtsordnung nicht offensichtlich verletzen.156 Im Fall der offensichtlichen Rechtswidrigkeit kann die inhaltliche Richtigkeit durch den Untergebenen nicht mehr vorausgesetzt werden.157 Verstößt etwa die Befehlsausführung gegen das Strafrecht oder verletzt der Befehl die Menschenwürde des Untergebenen oder eines von der Befehlsausführung betroffenen Dritten, kann die Vermutung der Rechtmäßigkeit und damit der Verbindlichkeit des Befehls nicht mehr bestehen.158 Die inhaltliche Richtigkeit des Befehls erfährt an dieser Stelle somit eine „Evidenzkontrolle“ von Seiten des Untergebenen. Die Vermutung der eingangs beschriebenen Rechtmäßigkeit des Befehls ist widerlegt, wenn die Fehlerhaftigkeit der Anordnung für den Untergebenen im Hinblick auf etwaige Unverbindlichkeitsgründe159 offensichtlich ist.160 Problem der humanitären Intervention – im Interesse der Handlungsfähigkeit der Streitkräfte abgenommen.“ 152 Zum Ganzen Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 77 f. 153 Hierzu und zum Folgenden Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 78. Zu den formellen Voraussetzungen des Befehlsrechts und den hierzu auftauchenden Problemen vgl. Burmester, NZWehrr 1990, 89 (89 ff.). 154 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 138 ff.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 84. 155 Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 78 mit Beispielen. 156 Bringewat, NZWehrr 1971, 126 (130); Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 78; Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (236 ff.); Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 88; Wipfelder/Schwenck, Wehrrecht, S. 100 f. 157 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 138; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 78. 158 Vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 34 f.

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1. Teil: Das Wehrrecht

B. Die Gehorsamspflicht des Soldaten nach dem Soldatengesetz I. Einführung Das WStG enthält die besonderen strafrechtlichen Bestimmungen für die Soldaten der Bundeswehr.161 Es handelt sich hierbei um ein sog. strafrechtliches Nebengesetz. Das SoldatenG beinhaltet hingegen die grundlegenden Bestimmungen über das Dienstverhältnis als Soldat. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Rechtsstellung des Soldaten in den Streitkräften zu regeln.162 Wie bereits eingangs erwähnt, geht die heutige wehrstrafrechtliche Regelung in § 5 WStG auf die gehorsamsrechtliche Vorschrift des § 47 MStGB von 1872 zurück.163 Das WStG schließt sich mit seinen Regelungen über Befehl und Gehorsam eng an die Normen des SoldatenG an und baut teilweise auf ihnen auf.164 Daher soll zunächst der Blick auf die Gehorsamsvorschriften des SoldatenG gerichtet werden. Das SoldatenG selbst definiert den militärischen Befehl nicht, sondern setzt ihn mit dem gleichen Inhalt und Voraussetzungen wie in § 2 Nr. 2 WStG voraus.165 Korrespondierend mit dem militärischen Befehl gilt seit alters her die Gehorsamspflicht des Soldaten. Sie ist die wichtigste und für die tägliche Dienstpraxis bedeutendste Soldatenpflicht.166 Die Pflicht des Soldaten zu gehorchen ist eine unerlässliche Voraussetzung für das Funktionieren von militäri-

159 Nach den Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, A. III. 4. ist auch der Befehl verbindlich, der gegen das Zivilrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, gegen Dienstvorschriften, Gewohnheitsrecht und Rechtsverordnungen verstößt. Die Offensichtlichkeit des Normverstoßes vermag hieran nichts zu ändern. Daher ist beispielsweise auch der offensichtlich gegen das Zivilrecht verstoßende oder offensichtlich Ordnungsunrecht verkörpernde Befehl verbindlich. Klarstellend in diesem Sinn Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 35; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 88. 160 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 138; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 78 f., der beispielhaft die Tötung von Kriegsgefangenen bei einem Rückzug oder das Verbot an einen Soldaten, bei der nächsten Bundestagswahl von dem aktiven Wahlrecht gemäß Art. 38 II 1. Var. GG Gebrauch zu machen, nennt. Vgl. auch Mann, DÖV 1960, 409 (415); Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 16; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 87 ff.; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 49 ff., 111, 154 ff., 177 ff.; anders S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89 m.w. N. aus der Rechtsprechung. 161 Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 12. 162 Vgl. Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 16. 163 Oehler, JuS 1963, 301 (305) weist zu Recht bei der Entstehung des § 5 WStG auf die angloamerikanische Parallele hin, wonach es strafbaren Ungehorsam ebenfalls nur gegen einen rechtmäßigen Befehl (lawful order) gibt; Manual for Courts Martial von 1951, Art. 92 II. 164 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 2. 165 Scherer/Alff, SoldatenG, § 10, Rn. 40 m.w. N. 166 Statt vieler: Bornemann, Rechte und Pflichten des Soldaten, S. 88.

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schen Organisationen.167 So wichtig die abstrakt bestehende und notfalls mit Zwang durchsetzbare Gehorsamspflicht ist, desto ungleich wichtiger ist jedoch für eine erfolgreiche Ausführung des Auftrages die Einsicht des Einzelnen in die Gehorsamspflicht. Hierfür hat sich der Begriff des sog. mitdenkenden Gehorsams gebildet.168 Diesen anzuregen und in schweren Zeiten stets aufrechtzuerhalten, muss immer das Ziel guter militärischer Führer sein.169 Inhalt und Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten sind in § 11 SoldatenG geregelt. Sie sind Gegenstand der weiteren Betrachtungen. II. Inhalt der Gehorsamspflicht des Soldaten gemäß § 11 I 1 und 2 SoldatenG und die sog. Gegenvorstellung Absatz I Satz 1 des § 11 SoldatenG verpflichtet den Soldaten zum Gehorsam gegenüber seinen Vorgesetzten. Ein solcher Gehorsam bedeutet, den erklärten Willen des Vorgesetzten auszuführen. Dies kann heißen, Gebote zu vollziehen oder Verbote zu beachten.170 Der Gehorsam bezieht sich demnach auf den Befehl, so wie er eingangs definiert wurde.171 Nach § 10 V 1 SoldatenG trifft den Vorgesetzten allein die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der von ihm erteilten Befehle. Daraus folgt aber nicht, dass der Soldat diese „blind“ auszuführen hat. Vielmehr ist der Untergebene gemäß § 11 I 2 SoldatenG verpflichtet, die erteilten Anweisungen seines Vorgesetzten „nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen“.172 Anders als die Befehlstaktik verlangt die in den deutschen Streitkräften geltende Auftragstaktik zuvorderst einen „mitdenkenden Gehorsam“. In rechtlicher Hinsicht wird bei einer am Auftrag orientierten Menschenführung ein derartiger Gehorsam insbesondere dadurch sichergestellt, dass der Soldat den Befehl gemäß § 11 I 2 SoldatenG „gewissenhaft“ auszuführen hat. In tatsächlicher Hinsicht wird hingegen ein so beschriebenes Untergebenen167 Bornemann, Rechte und Pflichten des Soldaten, S. 88; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 63. 168 Bornemann, Rechte und Pflichten des Soldaten, S. 88. 169 Vgl. ZDv 10/1, Anlage 1, 1. Leitsatz, Abs. II: „Als Vorgesetzter fördert der Soldat die geistige Auseinandersetzung mit den Grundfragen der soldatischen Aufgabe. Er weckt Verständnis für die Besonderheiten des militärischen Dienstes, bereitet seine Soldaten auf die Möglichkeiten des Einsatzes, vor allem auf den Kampf mit der Waffe vor und stellt sie auf die besonderen Bedingungen und Gefahren ein, unter denen sie dann handeln müssen.“ 170 So Bornemann, Rechte und Pflichten des Soldaten, S. 88. 171 Vgl. die Ausführungen im ersten Teil, erstes Kapitel. Gemäß § 11 I 2 SoldatenG ist der Befehl nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. 172 Zu den Einzelheiten vgl. Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 3 ff.

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1. Teil: Das Wehrrecht

verhalten dadurch gewährleistet, dass der Soldat das auf seiner Stufe notwendige Lagebild erhält. Durch eine rechtlich und tatsächlich so vorgenommene Einbeziehung des Untergebenen ist es möglich, dass von dem Soldaten ein solches Verhalten gefordert werden kann, das sich zwar primär an dem erteilten Auftrag zu orientieren hat, notfalls aber auch ausschließlich an der militärischen Lage ausgerichtet sein kann.173 Um ein solches auftrags- und lageangemessenes Verhalten fortdauernd zu gewährleisten, wurde das Institut der sog. Gegenvorstellung entwickelt. Im Gegensatz zum Beamtenrecht kennt das deutsche Wehrrecht jedoch keine Vorschrift, die den Begriff der Gegenvorstellung positiv-rechtlich normiert.174 Allgemein wird sie als eine Institution des militärischen Alltags gesehen, die auf Tradition und Gewohnheitsrecht basiert.175 Inhaltlich bedeutet der Begriff der Gegenvorstellung die Anregung an den Vorgesetzten oder an vorgesetzte Dienststellen, einen erteilten Befehl zu überprüfen, aufzuheben oder abzuändern, weil der Untergebene ernsthafte Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit oder Zweckmäßigkeit hat.176 Die Gegenvorstellung ist weder an eine Form noch an eine Frist gebunden.177 Von der disziplinlosen Widerrede unterscheidet sich die Gegenvorstellung dadurch, dass der Untergebene nicht aus Besserwisserei oder verdecktem Ungehorsam, sondern aus ernsthaften und sachlichen Gründen handelt.178 Die Gegenvorstellung ist somit dadurch gekennzeichnet, dass der Untergebene auch für den Fall, dass seine Anregung an den Vorgesetzten keinen Erfolg verspricht – etwa weil der Vorgesetzte seine Meinung nicht teilt – gehorsamsbereit ist.179 Diese auf Form und Inhalt bezogene Begriffsbestimmung ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Umstritten ist jedoch, ob es nicht nur ein Recht des Untergebenen zur Gegenvorstellung, sondern auch eine strafbewehrte Pflicht dazu gibt.180 173 Dies gilt insbesondere für den auf sich allein gestellten Soldaten und für die auf sich allein gestellte Gruppe. Vgl. ZDv 3/11, Teil A, Kapitel 1, Rn. 101. Zu dem Aspekt der „Gewissenhaftigkeit“ vgl. Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 5. 174 Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (495 f.). 175 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 144 ff.; Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (496) mit dem Hinweis auf die Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 19 ff., dass die Gegenvorstellung mit dem Erfordernis, Disziplin zu wahren im Einklang stehe, wenn der Untergebene aus ernsthaften Gründen sich zur Gegenvorstellung genötigt sehe. Siehe auch Schwenck, Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 138. 176 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 8 m.w. N.; Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (496). 177 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 146; Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (497). 178 So Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (497); Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 145. 179 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 150 m.w. N.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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1. Die Ansicht der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur a) Die Ansicht des Bundesgerichtshofs Wie soeben dargestellt, ist für Soldaten ein Remonstrationsverfahren nicht geregelt. Das Wehrrecht kennt daher keine dem Beamtenrecht vergleichbare Regelung gemäß § 38 II BRRG, § 56 II BBG. Die Rechtsprechung überträgt jedoch eine Pflicht zur Erhebung zur Gegenvorstellung in bestimmten Fällen. Eine solche Gegenvorstellungspflicht leitet die Rechtsprechung aus der Verpflichtung des Soldaten her, dass „jeder Befehl verständig und sinnvoll auszuführen ist“.181 Normativ hat die Gegenvorstellungspflicht nach Ansicht des Bundesgerichtshofes daher seine Wurzeln in der Pflicht zur gewissenhaften Ausführung des erteilten Befehls nach § 11 I 2 SoldatenG und in der Pflicht zum treuen Dienen gemäß § 7 SoldatenG.182 Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs183 vom 30.01.1964 trifft den Untergebenen eine Pflicht zur Gegenvorstellung, wenn er erkennt, dass der Vorgesetzte bei der Befehlserteilung von unrichtigen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht und bei Kenntnis der wahren Sachlage den Befehl vielleicht nicht erteilt haben würde. Eine Gegenvorstellungspflicht bestehe für den Soldaten insbesondere dann, wenn durch ein Unterlassen der Meldung sonst Gefahren entstehen könnten. Diese Grundsätze gelten nach Meinung des Bundesgerichtshofes jedenfalls für den Fall, in dem die Umstände es ohne weiteres zulassen, den Vorgesetzten auf seinen Irrtum hinzuweisen.184 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes müsse nach dem Grundgedanken des § 11 II SoldatenG und des § 5 I WStG dasselbe aber auch dann gelten, wenn für einen pflichtbewussten Soldaten nach den ihm bekannten Umständen ein solcher Irrtum des Vorgesetzten offensichtlich ist.185 Bei Verletzung dieser Gegenvorstellungspflicht hafte der Untergebene grundsätzlich strafrechtlich für die Folgen seines Gehorsams.186 Dies bedeutet, dass sich der untergebene Soldat mindestens im Bereich eines Fahrlässigkeitsdelikts strafbar macht.187 Damit ist zugleich die Konstellation angesprochen, die in der Literatur unter der Rubrik des sog. „gefährlichern“ Befehls behandelt wird. Auf diesen wird noch ausführ180 Ausführlich zu diesem Problemkreis Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (495 ff.). Zu einem Recht auf Gegenvorstellung ausführlich Huth, Die Gegenvorstellung, S. 124 ff. 181 BGHSt 19, 231 (234). 182 Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (505) mit Hinweis auf BGHSt 19, 231 (234). 183 BGHSt 19, 231 (231 ff.) = NJW 1964, 933 (933 ff.). 184 BGHSt 19, 231 (234). 185 BGHSt 19, 231 (234). 186 BGHSt 19, 231 (234). 187 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 156; Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (497).

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1. Teil: Das Wehrrecht

lich einzugehen sein.188 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs besteht dagegen keine Gegenvorstellungspflicht, wenn der Untergebene einen Tatsachenirrtum des Vorgesetzten bloß für möglich hält.189 Zweifel darüber, ob der Vorgesetzte sich in einem derartigen Irrtum über tatsächliche Umstände befindet, begründe für den Untergebenen keine strafrechtlich gebotene Veranlassung, diesen aufzuklären. Der Bundesgerichtshof begründet dieses Ergebnis folgendermaßen: Würde bereits in bloßen Zweifelsfällen tatsächlicher Art eine Gegenvorstellungspflicht bestehen, so würde dies die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Soldaten in unzulässiger Weise ausdehnen. Dies wäre mit der Regelung in § 11 II SoldatenG und § 5 I WStG jedoch nicht zu vereinbaren.190 Geht der Vorgesetzte bei der Befehlserteilung hingegen von unrichtigen rechtlichen Voraussetzungen aus, so gilt: Ist der Befehl des Vorgesetzten offensichtlich rechtswidrig, muss der Soldat die Befehlsauführung verweigern. Rechtlich zweifelhafte Befehle hat der Untergebene indessen zu befolgen. Eine die Gegenvorstellungspflicht voraussetzende Prüfungspflicht trifft den Untergebenen nicht.191 b) Die Ansicht der herrschenden Meinung im Schrifttum Die Auffassung des Bundesgerichtshofs hat sich auch im Schrifttum überwiegend durchgesetzt.192 Abweichend hierzu haben sich jedoch teilweise erhebliche Unterschiede zu der als herrschend bezeichneten Meinung gebildet. So soll über die Ansicht des Bundesgerichtshofs hinaus auch dann eine Gegenvorstellungspflicht bestehen, wenn der Untergebene einen Irrtum tatsächlicher Art des Vorgesetzten bereits für möglich hält.193 Der Grund hierfür wird in dem Erkennen einer potentiellen Gefahr i. S. v. § 5 I WStG für Dritte gesehen, wenn der Untergebene bereits Zweifel hat.194 Andere gehen von einer generellen Gegenvorstel188 Zum sog. „gefährlichen“ Befehl vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. bb). 189 BGHSt 19, 231 (234). 190 BGHSt 19, 231 (234). 191 Vgl. BGHSt 39, 1 (33 m.w. N.); BGHSt 39, 168 (189). 192 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 79, 119; Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 228; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 81; Krieger, Das Verhältnis des allgemeinen Strafrechts zum Wehrdisziplinar- und Wehrstrafrecht, S. 121; Lingens/Marignoni, S. 126 f.; Richter, Partizipation in der BW, S. 65; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 7; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 9; vgl. auch ZDv 3/ 11, Teil A, Kapitel 5, Rn. 502: „Der Soldat muss alle Beobachtungen und Feststellungen unaufgefordert, unverzüglich, vollständig und eindeutig melden. Der Führer muss sich auf Meldungen verlassen können.“ Vgl. auch Unterrichtsmappe Wehrrecht/Soldatische Ordnung/Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten, Ausbildungsthema „Befehl und Gehorsam“, S. 13. 193 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 87. 194 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 87.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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lungspflicht als Bestandteil des „qualifizierten“ Gehorsams aus.195 Eine Einschränkung erfährt diese Meinung lediglich für die Fälle, in denen aus tatsächlichen, zeitlichen oder lagebedingten Gründen eine Überprüfung nicht möglich ist und sich die Gegenvorstellungspflicht daher auf null reduziert.196 2. Die Gegenmeinung in der Literatur Andere Autoren im Schrifttum verneinen für den Untergebenen eine grundsätzliche Pflicht zur Gegenvorstellung.197 Zwar habe nach §§ 7, 11 I 1 und 2 SoldatenG der Untergebene „Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen“. Aus dieser Pflicht zur Gewissenhaftigkeit folge auch, dass der Soldat berechtigt sei, Gegenvorstellung zu erheben, wenn er den Befehl für unklar oder widerspruchsvoll halte oder er gegenüber seinem Vorgesetzten aufgrund einer besonderen Fachausbildung über qualifizierte Kenntnisse verfüge.198 Dem Pflichtenkreis des Soldaten gemäß § 11 I 2 SoldatenG sei aber nicht zu entnehmen, dass korrespondierend mit dem Recht zu einer Gegenvorstellung auch eine Pflicht mit dieser einhergehe.199 Eine Verpflichtung zur Gegenvorstellung hätte nach Ansicht dieser Autoren zur Folge, dass die unteilbare Verantwortung des Vorgesetzten für den Befehl gemäß § 10 V 1 SoldatenG auf den untergebenen Befehlsempfänger übertragen werde. Eine Verpflichtung zur Gegenvorstellung solle ausnahmsweise nur dann bestehen, wenn sich die Sachlage ändere oder wenn sich der Vorgesetzte offensichtlich in einem Irrtum befinde.200 Eine differenzierte Auffassung in der Literatur trennt zwischen einer strafrechtlich sanktionierten Pflicht zur Gegenvorstellung und einer dienstrechtlichen Gegenvorstellungspflicht des Untergebenen.201 Begründet wird diese Meinung damit, dass die Regelung in § 11 SoldatenG und § 5 WStG nicht an eine unter195 Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 38; Mellmann, Der rechtswidrige verbindliche militärische Befehl, S. 113 f. 196 Vgl. die Ausführungen bei Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 38 ff., der eine solche Wertung aus den Regeln für Vollzugsbeamte gemäß § 56 III BBG, § 7 IV UZwG ableiten möchte. Ders., NZWehrr 1974, 199 (209 f.). Zum Ganzen vgl. die Darstellung bei Huth, Die Gegenvorstellung, S. 153 ff. 197 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 31; Rittau, Kommentar zum WStG, § 5, Anm. 4; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 27; Schirmer, Befehl und Gehorsam, S. 27. 198 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 148. Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (508) nennt als Beispiel hierfür den Heeresbergführer (Unteroffizier) einer Gebirgsjägerkompanie. 199 So Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 148 f.; Dietz, Beschwerdeordnung, Einführung V, S. 65 f.; Rittau, Kommentar zum SoldatenG, § 11, Anm. III. 200 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 148; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 19, Rn 4. 201 Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (503, 507).

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1. Teil: Das Wehrrecht

lassende Gegenvorstellung anknüpften. Die Vorwerfbarkeit des Handelns liege vielmehr darin begründet, dass der Untergebene trotz „Kenntnis“ bzw. „Offensichtlichkeit“ der Strafrechtswidrigkeit gehorche.202 Diese Ansicht spricht sich dafür aus, dass es jedoch eine Pflicht zur Gegenvorstellung aus dem Katalog der Dienstpflichten gemäß §§ 7, 11 I 2 SoldatenG203 gebe, deren Nichteinhaltung lediglich disziplinarrechtliche Folgen auslöse. Dies gelte für folgende Fälle:204 (1) Wenn der Befehl zwar nicht offensichtlich strafrechtswidrig, aber jedenfalls offensichtlich auf einem Sachverhalts- oder Rechtsirrtum des Vorgesetzten beruhe. Damit würde – so diese Meinung – der vom Bundesgerichtshof formulierte Leitsatz205 auf dieser so dem Disziplinarrecht zugeordneten Ebene seine volle Berechtigung finden. Einschränkend gelte jedoch, dass es dann nicht mehr darauf ankomme, ob die Gegenvorstellung – wie der Bundesgerichtshof formuliert – „ohne weiteres möglich ist“. Der Untergebene sei in diesen Fällen vielmehr stets zur Erhebung der Gegenvorstellung verpflichtet. (2) Eine weitere Fallgruppe stellen nach jener Ansicht die Befehle dar, die sich inhaltlich widersprechen und (3) Befehle, die wegen grundlegender Veränderung der Sachlage sinnlos geworden sind.206 Handele der Untergebene in diesen Fällen seiner aus §§ 7, 11 I 2 SoldatenG resultierenden Pflicht zur Gegenvorstellung zuwider, begründe dies ein Dienstvergehen i. S. v. § 23 SoldatenG und kann disziplinarrechtlich geahndet werden. Eine strafrechtliche Sanktion soll hieraus jedoch nicht erwachsen.207 202 Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (503); vgl. auch Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 179 f. 203 Die Pflicht zum treuen Dienen gemäß § 7 SoldatenG und gemäß § 11 I 2 SoldatenG die Pflicht zu gewissenhaftem Gehorsam. 204 Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (503, 507). 205 BGHSt 19, 231 (231), Leitsatz: „Erkennt der Soldat, dass sich der befehlende Vorgesetzte im Irrtum über tatsächliche Umstände befindet und bei Kenntnis der wahren Sachlage den Befehl vielleicht nicht erteilt haben würde, so ist er jedenfalls dann, wenn dies ohne weiteres möglich ist, verpflichtet, den Vorgesetzten auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen (Gegenvorstellung). Dies gilt auch, wenn für einen pflichtbewussten Soldaten nach den ihm bekannten Umständen ein solcher Irrtum des Vorgesetzten offensichtlich wäre. Führt der Soldat in einem solchen Falle den Befehl ohne Gegenvorstellung aus, so haftet er in der Regel strafrechtlich für die Folgen.“ 206 So zum Ganzen Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (507). 207 So auch Huth, Die Gegenvorstellung, S. 162 ff., 168. Auch er betont, dass die Strafbarkeit des Soldaten gemäß § 5 WStG tatbestandlich nicht an eine unterlassene Gegenvorstellung, sondern an den geleisteten Gehorsam auf einen strafrechtswidrigen Befehl anknüpft. Die erhobene Gegenvorstellung könne den Untergebenen nicht von seiner Verantwortung im strafrechtlichen Sinne befreien, so dass auch eine Pflicht zur Erhebung einer Gegenvorstellung – ebenso wie im Beamtenrecht – strafrechtlich überflüssig sei. Um den Anforderungen an die strafbewehrten Gehorsamsvorschriften ge-

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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3. Stellungnahme Die beschriebenen Meinungen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, die eine Stellungnahme erforderlich machen. Nach richtiger Ansicht ist zu differenzieren: Handelt es sich um einen Befehl, dessen Ausführung unmöglich ist, ist der Soldat bei Erkennen der Unmöglichkeit verpflichtet, dies seinem Vorgesetzten zu melden. Dies gilt nur dann nicht, wenn dem Vorgesetzten die Nichtausführbarkeit bereits bekannt ist.208 Die Unmöglichkeit kann sich hierbei beispielsweise aus tatsächlichen Umständen ergeben oder auf einem zweiten, widersprechenden Befehl beruhen.209 Eine Meldepflicht des Soldaten wird auch dann begründet, wenn er erkennt, dass sich die Lage, aufgrund welcher der Befehl einst erging, grundlegend geändert hat.210 Auf diese sog. clausula rebus sic stantibus wird im Rahmen der Unverbindlichkeitsgründe noch ausführlich eingegangen werden.211 Handelt der Soldat einer so beschriebenen Meldepflicht schuldhaft zuwider, stellt dies ein Dienstvergehen nach § 23 SoldatenG i.V. m. §§ 7, 11 I 2 SoldatenG dar. Dienstrechtlich kann sich für den Soldaten daher eine Gegenvorstellungspflicht ergeben.212 Strafrechtlich kann an ein Unterlassen der Meldung jedoch nicht angeknüpft werden.213 Ähnlich dem Remonstrationsverfahren im Beamtenrecht gemäß § 56 II BBG kann auch im Soldatenverhältnis eine erhobene Gegenvorstellung den Untergebenen strafrechtlich nicht entlasten. Anknüpfungspunkt für eine strafrechtliche Verantwortung ist gemäß § 5 I WStG die Befolgung eines rechtswidrigen Befehls trotz „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“, nicht jedoch das Unterlassen einer Gegenvorstellung.214 Eine strafbewehrte Pflicht zur Gegenvorstellung kommt demnach nicht in Betracht.215

recht zu werden, müsse der Soldat vielmehr nur entscheiden, ob er dem Befehl nachkommen oder ihn verweigern will. Hierzu auch die Anm. der Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21. 208 BVerwGE 86, 18 (22) = NZWehrr 1989, 35 (36); Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 8. Vgl. auch Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 20. 209 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 8 f. 210 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 7 ff. 211 Siehe hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. b) gg) (3). 212 So bereits Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (507). Vgl. auch die ausführliche Darstellung bei Huth, Die Gegenvorstellung, S. 172 ff. 213 So auch Huth, Die Gegenvorstellung, S. 167 ff.; Korte, Das Handeln auf Befehl als Strafausschließungsgrund, S. 106 f.; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 27; Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (502 f., 506). 214 Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (502 f.). Vgl. auch Huth, Die Gegenvorstellung, S. 168; Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21. 215 In diesem Sinn bereits auch Rittau, Kommentar zum WStG, § 5, Anm. 4; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 27.

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1. Teil: Das Wehrrecht

Die soeben angesprochenen Fälle betreffen Konstellationen, in denen aus tatsächlichen, lagebedingten Gründen das Ausführen des Befehls für den Untergebenen einen Konflikt erzeugt und daher dem Befehlsempfänger eine Meldung abverlangt. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Situationen, in denen sich im Fall der Ausführung des Befehls aus rechtlicher Sicht Zweifel ergeben und der Soldat nicht weiß, ob er gehorchen oder im Sinne einer Gegenvorstellung widersprechen muss. In Anbetracht der militärischen Erfordernisse für eine entscheidungsfreudige, prompte und sichere Befehlsausführung i. S. d. § 11 I 2 SoldatenG sind derartige Konfliktlagen tunlichst zu vermeiden. Daher ist bei rechtlichen Zweifeln der Ansicht zu folgen, die eine Pflicht des Soldaten zur Erhebung der Gegenvorstellung ablehnt. Sie ist argumentativ überzeugend und in der Sache geboten, da sie eine Pflicht zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des Befehls vermeidet. Gestützt wird diese Ansicht durch die Vermutung der Rechtmäßigkeit des Befehls, die bis zur Grenze der offensichtlich rechtswidrigen Anordnung reicht.216 Die gefundene Ansicht wird auch nach systematischen Gesichtspunkten bestätigt, wenn man hierzu die Normen des Beamtenrechts über das Remonstrationsverfahren hinzuzieht. Im Beamtenrecht hat der Gesetzgeber nach h. M. ausdrücklich gemäß § 38 II BRRG, § 56 II BBG eine Pflicht zur Erhebung der Gegenvorstellung normiert.217 Für das Wehrrecht hat sich der Gesetzgeber jedoch anders entschieden. In der Begründung zum SoldatenG heißt es bei den Anmerkungen über die Gehorsamspflicht:218 „Eine einfache Übertragung aller für Beamte geltenden Rechtsgrundsätze ist allerdings nicht möglich. Neben der Ähnlichkeit der Stellung des Soldaten mit der des Beamten ergeben sich auch wesentliche Verschiedenheiten. Sie sind für den Dienst etwa durch die Begriffspaare ,Befehl und Gehorsam‘ einerseits und ,dienstliche Anordnung und Prüfungspflicht‘ andererseits deutlich gekennzeichnet. Die Berücksichtigung der besonderen militärischen Verhältnisse erfordert daher auch Abweichungen vom Beamtenrecht.“ Um eine solche Abweichung vom Beamtenrecht aufgrund dieser besonderen militärischen Verhältnisse handelt es sich bei der Gegenvorstellung bzgl. rechtlicher Unsicherheiten. Eine Pflicht zur Remonstration, wie sie nach h. M. den Beamten gemäß § 38 II BRRG, § 56 II BBG trifft, kann es daher nicht geben. 216 Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (502); Huth, Die Gegenvorstellung, S. 167 ff. Vgl. auch Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 27 ff. 217 A. A. Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 152 ff. Sie spricht zu Recht entgegen der h. M. von einer öffentlich-rechtlichen Obliegenheit. Ebenso Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (409). Einem systematischen Vergleich steht dies jedoch nicht entgegen. Vgl. hierzu auch die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel, A. III. und im dritten Teil, drittes Kapitel, D. 2. 218 Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 16.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Die persönliche Situation eines Soldaten ist in Bezug auf die in Rede stehende Frage eine grundlegend andere als die eines Beamten. In Übereinstimmung mit der Gegenmeinung in der Literatur ist hierbei insbesondere auf die Verantwortung des Vorgesetzten für die erteilten Befehle gemäß § 10 V 1 SoldatenG hinzuweisen. Im Unterschied hierzu trägt der Beamte hingegen gemäß § 38 I BRRG, § 56 I BBG die volle persönliche Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen. Die Pflicht bzw. Obliegenheit219 des Beamten, im vorgegebenen Verfahren zu remonstrieren, dient somit seiner persönlichen Entlastung, die den Soldaten so nicht trifft.220 Wie noch zu zeigen sein wird, ist der untergebene Befehlsempfänger auch durch einen rechtswidrigen, verbindlichen Befehl entlastet, solange dieser lediglich beispielsweise zivilrechtliches Unrecht, eine Ordnungswidrigkeit oder eine Dienstpflichtverletzung nach sich zieht.221 Folgte man einer Pflicht zur Gegenvorstellung, würde dies bedeuten, dass der Untergebene gleichsam auch eine Pflicht hat, den erteilten Befehl auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Nach richtiger Ansicht wird dies jedoch abgelehnt.222 Eine strafbewehrte Pflicht zur Remonstration kann es somit schon wegen dieser Unterschiede nicht geben – die Funktion der Gegenvorstellung ist im Beamtenrecht eine grundlegend andere als im Wehrrecht.223 Nochmals sei in diesem Zusammenhang auf die Gesetzgebungsmaterialen über die Gehorsamspflicht verwiesen. Dort ist zu lesen:224 „[. . .] es besteht die Möglichkeit, Gegenvorstellung zu erheben.“ Daraus kann gefolgert werden, dass selbst der Gesetzgeber nicht von einer Pflicht zur Gegenvorstellung ausging.225 So heißt es weiter:226 219 Zur Frage, ob das Remonstrationsverfahren eine Pflicht oder Obliegenheit darstellt, vgl. Fn. 217. 220 Vgl. Huth, Die Gegenvorstellung, S. 164 ff.; Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (501). 221 Zum rechtswidrigen, verbindlichen Befehl vgl. die Darstellung im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. 222 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 27, 30: „Zu erkennen, was als verbrecherisch einem Befehl schon auf der Stirn geschrieben ist, bedarf es keiner Prüfung. Die Fälle, in denen der Befehl offensichtlich rechtswidrig ist, liegen jenseits aller Zweifel.“ Vgl. auch BGHSt 39, 168 (189): „Der Soldat hat keine Prüfungspflicht. Hegt er Zweifel, die er nicht beheben kann, so darf er dem Befehl folgen.“ 223 Zum Ganzen vgl. die Ausführungen von Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (499 ff.). 224 Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 19. Als ein Beispiel ernsthafter Gründe für eine Gegenvorstellung wird der Fall genannt, dass der Untergebene seinerseits Vorgesetzter ist und Verantwortung für seine ihm unterstellten Soldaten trägt. 225 Vgl. auch die Rede des BMJ Dr. Merkatz in der ersten Lesung des Bundestages zum WStG, Plenarprotokoll 2/190 vom 06.02.1957, S. 10852: „§ 11 des SoldatenG versucht demgegenüber, zwischen den Extremen des sklavischen Gehorsams und der

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1. Teil: Das Wehrrecht

„Es darf für den Soldaten kein Wagnis bedeuten, irgendeinem Befehl zu gehorchen, selbst wenn dieser ausnahmsweise einmal unverbindlich sein sollte. Der gewissenhafte Soldat kann sicher sein, dass er die Ausführung keines Befehls zu scheuen braucht. Eine Prüfungspflicht wird dem Soldaten nicht auferlegt. Zu erkennen, was als verbrecherisch einem Befehl schon auf der Stirn geschrieben steht, bedarf es keiner Prüfung. Die Ausführung des Befehls darf nicht darunter leiden, dass der Untergebene seine Zweifel erst austragen müsste. Wenn es die Lage erlaubt, steht ihm der Weg der Gegenvorstellung offen. Eine Pflicht, Gegenvorstellung zu erheben, wird aber nicht begründet.“ Begründet wird dieses Ergebnis mit dem Schutz des Untergebenen und dem Erfordernis eines reibungslosen Funktionsablaufes in der Befehlsgebung. Im Hinblick auf eine Pflicht zur Gegenvorstellung gilt daher Folgendes: (1) Eine strafbewehrte Pflicht zur Gegenvorstellung gibt es nicht. (2) Handelt es sich um tatsächliche Umstände, die einer vollständigen, gewissenhaften und unverzüglichen Befehlsausführung i. S. d. § 11 I 2 SoldatenG entgegenstehen, so ist der Befehlsempfänger bei Erkennen dieser Sachlage dienstrechtlich verpflichtet, hierüber im Rahmen seiner tatsächlichen Möglichkeiten dem Vorgesetzten Meldung zu erstatten. (3) Liegen hingegen rechtliche Zweifel vor, die einer Befehlsausführung möglicherweise entgegenstehen könnten, so ist der Befehlsempfänger von einer Gegenvorstellungspflicht befreit. „Dort, wo der Soldat schlicht Zweifel über die Rechtmäßigkeit hegt, die er nicht beheben kann, liegt von seinem Standpunkt aus kein offensichtlicher verbrecherischer Befehl vor. Damit ist er entlastet.“227 III. Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten Wie bereits beschrieben, ist die Pflicht des Soldaten zum Gehorsam nicht nur auf rechtmäßige Befehle beschränkt. Ähnlich wie der rechtswidrige Verwaltungsakt im allgemeinen Verwaltungsrecht ist auch der rechtswidrige Befehl zunächst verbindlich und begründet daher eine Gehorsamspflicht für den untergebenen Soldaten. Die Gehorsamspflicht des Soldaten ist in § 11 SoldatenG und § 22 WStG geregelt. Im Gegensatz zum früheren Recht ist die Gehorsamspflicht des Soldaten nach § 11 SoldatenG und § 22 WStG gesetzlich weit begrenzter. Wie sich vor allem aus dem Wortlaut des § 22 I 1 WStG („insbesondere“) ergibt, sind die gesetzlichen Regelungen über die Grenzen der Gehorsamspflicht – und damit einhergehend die Unverbindlichkeitsgründe – nach so genannten denkenden Bajonette eine ausgewogene Lösung zu finden, die den Untergebenen stärker in die Verantwortung stellt, ohne ihm eine Nachprüfungspflicht der Rechtmäßigkeit des Befehls aufzubürden.“ 226 Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21. 227 Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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einhelliger Meinung nicht abschließend normiert.228 Um die Grenzen der Gehorsamspflicht besser verstehen zu können, sollen in einem weiteren Schritt die möglichen Erscheinungsformen eines Befehls näher untersucht werden. 1. Der rechtmäßige, verbindliche Befehl Vorgesetzte haben in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben. Grundsätzlich werden daher im dienstlichen Alltag rechtmäßige, verbindliche Befehle erteilt. Rechtmäßig ist ein militärischer Befehl, den ein örtlich und sachlich zuständiger Vorgesetzter im Rahmen seiner dienstlichen Befugnis unter Wahrung der objektiven Rechtsordnung erteilt.229 Die Rechtsordnung ist dann beachtet, wenn der Befehl gemäß Art. 20 III GG, § 10 IV SoldatenG den Gesetzen, Verordnungen, Dienstvorschriften und dem Gewohnheitsrecht entspricht.230 Dies hat zur Folge, dass der Soldat seinem Vorgesetzten gemäß § 11 I 1, 2 SoldatenG gehorchen muss und der Befehl daher auszuführen ist.231 Mögliche Grenzen der Gehorsamspflicht ergeben sich bei einem rechtmäßigen, verbindlichen Befehl insofern nicht. Ergeht ein rechtmäßiger, verbindlicher Befehl, so ist auch dessen Ausführung durch den Untergebenen rechtmäßig – die abgeleitete Handlungsbefugnis des Untergebenen von dem befehlserteilenden Vorgesetzten erweist sich als Rechtfertigungsgrund für den Befehlsempfänger.232 Verstöße gegen die Gehorsamspflicht sind Dienstvergehen nach § 23 I SoldatenG und ggf. darüber hinaus Straftaten nach den §§ 19–21 WStG. Auch der Vorgesetzte kann sich einer dienstrechtlichen Sanktion schuldig machen. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn er bei der Befehlserteilung in grober Weise gegen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte verstößt.233 Die Rechtmäßigkeit oder Verbindlichkeit des Befehls wird dadurch jedoch nicht berührt.234

228 Vgl. Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 16; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 34. Vgl. auch die Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/ 3040, S. 31: „Auch der Entwurf kann sie [lies: die unverbindlichen Befehle] nicht abschließend beantworten, sondern muss die Antwort im Einzelfall der Rechtsprechung überlassen. Eine erschöpfende Aufzählung der Gründe, die einen Befehl unverbindlich machen, ist in § 11 des Soldatengesetzes nicht enthalten.“ 229 So Arndt, Wehrstrafrecht, S. 76. 230 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 21. 231 Zum Ganzen Huth, Die Gegenvorstellung, S. 38 f. Zum Problem eines die Gesetzespflicht wiederholenden bzw. konkretisierenden Befehls vgl. Lingens, NZWehrr 1992, 58 (58 ff.). 232 Vgl. BGHSt 4, 161 (162); Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 173; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 87. 233 Zum sog. unzweckmäßigen Befehl siehe Lingens/Marignoni, S. 56 f. 234 Zum Ganzen Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 92; Wipfelder/Schwenck, Wehrrecht, S. 102.

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1. Teil: Das Wehrrecht

2. Der rechtmäßige, unverbindliche Befehl? Fraglich ist, ob es einen rechtmäßigen, unverbindlichen Befehl geben kann. Auf den ersten Blick scheint dies ein eklatanter Widerspruch zu sein, da der rechtmäßige Befehl an sich stets verbindlich ist und somit eine Gehorsamspflicht des Untergebenen auslöst. So ist auch in dem führenden Wehrstrafgesetzkommentar zu lesen: „Der rechtmäßige Befehl ist ausnahmslos verbindlich.“235 Betrachtet man das Problem jedoch genauer, zeigt ein zweiter Blick, dass der rechtmäßige Befehl nicht in jedem Fall zwingend und „ausnahmslos“ auch verbindlich sein muss. Die aufgeworfene Fragestellung wird in der Literatur nur selten behandelt236 und ergibt sich erst aufgrund von zwei getrennt zu behandelnden Problemkreisen. Der eine Anknüpfungspunkt betrifft hierbei die Frage der Rechtmäßigkeit der Befehlserteilung, der andere die Rechtmäßigkeit der Befehlsausführung. Um das Problem sichtbar zu machen, ist die Rechtmäßigkeit beider Anknüpfungspunkte getrennt voneinander zu untersuchen. Zur Veranschaulichung des Problems soll das folgende, viel zitierte Beispiel dienen:237 a) Beispiel: Die irrige Festnahme Der disziplinarvorgesetzte Hauptmann238 einer Kompanie geht aufgrund irriger Tatumstände davon aus, dass ein ihm unterstellter Rekrut ein Dienstvergehen begangen hat und die Aufrechterhaltung der Disziplin in der Kompanie dadurch erheblich gefährdet ist. Trotz einer pflichtgemäßen Prüfung der Sachlage ist er einer Verwechselung der Täter unterlegen. Er erteilt daraufhin gemäß § 21 I WDO an einen ihm unterstellten Unteroffizier den Befehl, den vermeintlichen Delinquenten festzunehmen. Der Unteroffizier durchschaut den Irrtum seines Vorgesetzten und kommt dem Befehl nach, weil er dem missliebigen Rekruten schon immer mal „eins auswischen wollte“.

235 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 34; ähnlich Arndt, Wehrstrafrecht, S. 78. 236 Ausdrücklich wird dies – soweit ersichtlich – nur bei Bartmann, Strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb militärischer Weisungsverhältnisse, S. 110 ff. und Huth, Die Gegenvorstellung, S. 90 ff. m.w. N. behandelt. Siehe auch die Kommentierung bei Dreher/Lackner/Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 22. 237 Statt vieler: Arndt, Wehrstrafrecht, S. 79; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 25, 29. Eine ausführliche Darstellung der Problematik findet sich auch bei Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 70 ff. 238 Vgl. §§ 21 I, 29 I 1, 2 WDO i.V. m. § 27 I 1 WDO.

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b) Die Lösung des Beispiels Zunächst ist zwischen der Befehlserteilung des Hauptmanns und der Befehlsausführung des Unteroffiziers zu unterscheiden. Für die Rechtmäßigkeit der Befehlserteilung gilt grundsätzlich, dass der Befehl gemäß Art. 20 III GG, § 10 IV SoldatenG nur dann objektiv mit der Rechtsordnung im Einklang steht, wenn er den Gesetzen, Verordnungen, Dienstvorschriften und dem Gewohnheitsrecht entspricht. In dem gebildeten Beispiel liegen die Eingriffsvoraussetzungen objektiv nicht vor. Konsequenterweise müsste man zu dem Ergebnis gelangen, dass der Befehl des Hauptmanns rechtswidrig ist. Über die Verbindlichkeit des Befehls ist vorläufig jedoch noch nicht zu entscheiden. aa) Der sog. „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ Eine Ausnahme hierzu kann sich bei einem hoheitlichen Handeln dann ergeben, wenn die Rechtmäßigkeit der Handlung an die pflichtgemäße Prüfung der Sachlage gebunden ist. Entsprechend der Auslegung des § 113 III StGB ist der Befehl nach h. M. und ständiger Rechtsprechung auch dann rechtmäßig, wenn der sog. „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ erfüllt ist.239 Voraussetzung hierfür ist, dass der Vorgesetzte sachlich und örtlich zuständig ist, die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten werden und er sein Ermessen pflichtgemäß ausübt. Bezieht der Vorgesetzte daher alle die zum Zeitpunkt seiner Sachverhaltsprüfung bekannten Umstände gewissenhaft in seine Befehlsentscheidung mit ein, ist der Befehl nach überwiegender Ansicht auch dann rechtmäßig, wenn sich später die sachliche Unrichtigkeit seiner zugrunde gelegten Annahme herausstellt und der Hoheitsträger den Tatsachenirrtum nicht verschuldet hat.240 Begründet wird dieses „Irrtumsprivileg des Staates“ damit, dass der Hoheitsträger nicht mehr tun könne, als sorgfältig zu prüfen, ob die Sachlage für sein Eingreifen gegeben sei. Habe er diese Prüfung jedoch sorgfältig und gewissenhaft vollzogen, sei ihm das Risiko der materiellen Unrichtigkeit nicht aufzuerlegen. Anderenfalls wäre man dieser Ansicht nach mit dem Ergebnis konfrontiert, dass der mit dem hoheitlichen Handeln belastete Dritte Notwehr gegen den Hoheitsträger üben kann. Damit wäre staatliches Handeln in vielen Fällen praktisch weitgehend eingeschränkt.241

239 Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 146 ff.; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 86 ff. mit zahlreichen Nachweisen auf die Rechtsprechung und Literatur; siehe auch die Kommentierung bei S/S-Eser, § 113, Rn. 21 ff.; eingehend auch Neuheuser, Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln, S. 159 ff. 240 Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 176 m.w. N.; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 25; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 86. 241 Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 147; Reinhart, StV 1995, 101 (104); S/S-Eser, § 113, Rn. 21; Schünemann, JA 1972, 703 (708).

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1. Teil: Das Wehrrecht

bb) Die Auswirkungen des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ auf die Rechtmäßigkeit des Befehls Für den zu beurteilenden Befehl bedeutet dies, dass der sog. „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ durch die pflichtgemäße Sachverhaltsprüfung des disziplinarvorgesetzten Hauptmanns erfüllt ist. Der Befehl des Kompaniechefs ist nach h. M. in Schrifttum und Rechtsprechung somit rechtmäßig. cc) Die Einschränkung des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ für den zu beurteilenden Fall Wie bereits angedeutet, hat das gefundene Ergebnis an sich zur Folge, dass der rechtmäßige Befehl auch verbindlich ist und somit eine Folgepflicht des Untergebenen auslöst.242 So weit will die h. M. jedoch nicht gehen. Um letztlich zu einer interessengerechten Lösung zu gelangen, schränkt sie ihre Ansicht für Fälle wie diesen ein.243 Der Befehl soll den Untergebenen dann nicht mehr rechtfertigen, wenn dieser den Irrtum des Vorgesetzten erkannt hat. Dies bedeutet, dass der eben noch rechtmäßige Befehl des Vorgesetzten nunmehr für den Untergebenen zu einem rechtswidrigen transformiert wird. Die subjektive Kenntnis des Untergebenen verwandelt nach dieser Ansicht einen rechtmäßigen Befehl in eine rechtswidrige Ausführungshandlung. Warum sich aber gerade die Kenntnis des Untergebenen auf die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Befehls und die nachfolgenden Handlungen auswirken soll, ist nicht recht nachvollziehbar. Zwar ist ein subjektives Element für die Frage des Handlungsunwertes einer Tat dem Recht nicht fremd. In diesem Zusammenhang ist etwa an das Vorliegen des subjektiven Rechtfertigungselements beim Täter im Fall der Notwehr oder des Notstands gemäß §§ 32, 34 StGB zu denken. Für die Beurteilung der Frage der Rechtmäßigkeit eines Befehls ist es aber nicht einsichtig, auf ein subjektives Element abzustellen. Bei Schölz/Lingens – Vertreter der sog. Entschuldigungslösung – heißt es sehr instruktiv zu diesem Beispiel:244 242

„Der rechtmäßige Befehl ist stets verbindlich“, Arndt, Wehrstrafrecht, S. 78. Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 176; Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/6 ff.; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 29; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 88; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 56 ff. Anders hingegen Arndt, Wehrstrafrecht, S. 79; ders., GA 1957, 46 (49), nach dem der rechtmäßige Befehl des Vorgesetzten einen Rechtfertigungsgrund für den Untergebenen darstellt. Entgegen der h.A. sieht Arndt jedoch den Vorgesetzten bereits bei einem bloßen Verdacht für festnahmebefugt an. Diese Ansicht findet im Gesetz gemäß § 21 WDO jedoch keine Stütze. Vgl. hierzu Dau, WDO-Kommentar, § 21, Rn. 6: „Ein hinreichender Verdacht genügt nicht“; so auch Freiherr von Lepel, NZWehrr 1993, 1 (6): „Der bloße Verdacht [. . .] rechtfertigt die vorläufige Festnahme nicht.“ Ähnlich schon Peterson, NZWehrr 1984, 45 (50). Anders hingegen die einschlägige ZDv 14/3, Einführung Wehrdisziplinarrecht, Nr. 86: „Hinreichender Verdacht genügt.“ 243

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„Der Untergebene handelt ebenfalls rechtmäßig, es sei denn, er erkennt den Irrtum des Vorgesetzten oder dieser war für ihn nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich. Kennt der Untergebene die Strafrechtswidrigkeit oder ist sie für ihn offensichtlich, so handelt er rechtswidrig.“ Eine solche Aussage bedeutet dann aber auch, dass sich die subjektive Kenntnis des Untergebenen nach Ansicht von Schölz/Lingens bereits auf die Rechtmäßigkeit des Befehls bezieht, weil ein rechtswidriger Befehl ihrer Meinung nach niemals eine rechtfertigende – sondern allenfalls eine entschuldigende Wirkung entfalten kann.245 Kennt der Untergebene also die Strafrechtswidrigkeit nicht, bleibt es ihrer Ansicht nach dabei, dass der „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ bewirkt, dass sowohl die Befehlserteilung als auch die Befehlsausführung rechtmäßig sind. Dem ist so nicht zuzustimmen. c) Kritische Würdigung des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ Diese in Schrifttum und Rechtsprechung überwiegende Meinung eines „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ überzeugt nicht.246 Zunächst ist schon unklar, wie ein solcher besonderer Rechtmäßigkeitsbegriff normativ zu begründen ist. Roxin weist zu Recht darauf hin, dass der sog. „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ dogmatisch bedenklich ist.247 So könne es nicht richtig sein, die Frage der Rechtswidrigkeit von Gesichtspunkten des Verschuldens abhängig zu machen. Anderenfalls vermengte man zwei strafrechtliche Fundamentalkategorien in ganz grundlegender Weise.248 Dem ist zuzustimmen. Liegen 244

Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 29. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 32. 246 Kritisch hierzu Roxin, FS für Pfeiffer, S. 45 ff.; ders., Strafrecht AT I, § 17, Rn. 9: „Nicht haltbar ist der strafrechtliche Rechtwidrigkeitsbegriff.“ Spendel in LK, § 32, Rn. 64 ff. m.w. N. auf die ständige Rechtsprechung und ablehnende Literatur: „Der größte Feind des Rechts ist das Vorrecht [des Staates].“ Ders., a. a. O., Rn. 68: „Die h. L. zur Strafrechtswidrigkeit von Amtshandlungen, teils noch einem obrigkeitsstaatlichen Denken verhaftet, teils in einer unklaren Unrechts- und Deliktsauffassung verfangen, ist somit verfehlt. Nur die objektive Sach- und Rechtslage, nicht die subjektive Vorstellung des Hoheitsträgers kann und darf für die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit der Amtsausübung ausschlaggebend sein.“ Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 170 ff., 173: „Zu behaupten, dass das Gesetz in diesen Fällen ,die Vornahme der Amtshandlung in das pflichtgemäße Ermessen des Beamten‘ stelle, ist [. . .] falsch.“ Vgl. auch Amelung, JuS 1986, 329 (334 ff.); Backes/Ransiek, JuS 1989, 624 (627 f.); Bottke, JR 1989, 24 (25 f.); Herzberg, FS für Stree/Wessels, S. 203 (206); NK-Herzog, § 32, Rn. 43; Reinhart, StV 1995, 101 (101 ff.); ders., NJW 1997, 911 (911 ff.); Schünemann, JA 1972, 703 (707 ff.); Thiele, JR 1975, 353 (353 ff.). 247 Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 9 ff. 248 Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 9. Grundlegend hierzu schon Schünemann, JA 1972, 703 (707 ff.). Er weist in diesem Zusammenhang überdies darauf hin, dass zwar auch der Gesetzgeber möglicherweise von einem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff im Zuge des 3. StrRefG ausgegangen ist [vgl. dazu die Ausführungen bei Dre245

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1. Teil: Das Wehrrecht

die Eingriffsvoraussetzungen tatsächlich nicht vor, ist das hoheitliche Handeln rechtswidrig. In Wahrheit handelt es sich hier um ein Irrtumsproblem, das auf der Ebene der Schuld anzusiedeln ist.249 Aber auch das kriminalpolitische Argument verfängt nicht, wenn in ständiger Rechtsprechung in wissenschaftlich nicht nachprüfbarer Weise behauptet wird, eine andere Auslegung des Rechtmäßigkeitsbegriffs würde die Entschlusskraft des Amtsträgers zum Handeln lähmen.250 Darüber hinaus muss es in einem modernen Rechtsstaat mindestens genauso das Ziel sein, das Verantwortungsgefühl für ein korrektes staatliches Handeln zu stärken. Es leuchtet auch nicht ein, den Interessen der Staatsgewalt einseitig den Vorzug gegenüber den berechtigten Interessen seiner Bürger zu geben, nicht mit rechtswidrigen Staatsakten behelligt zu werden. Legt man nämlich den „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff“ zugrunde, geht dies zulasten des Bürgers, der sich gegen eine öffentlich-rechtlich unzulässige Maßnahme zur Wehr setzt. Einem zeitgemäßen Verfassungsstaat steht es aber nicht sonderlich gut, obrigkeitsstaatlichen Elementen einseitig den Vorrang einzuräumen.251 Der „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ ist überdies mit dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 III GG nicht vereinbar. Er substituiert die tatsächlichen Eingriffsvoraussetzungen durch subjektive, im Gesetz selbst nicht niedergeschriebene Elemente in Form eines Beurteilungsspielraums. Nach dem Vorbehalt des Gesetzes gemäß Art. 20 III GG bedarf belastendes Staatshandeln einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage und nicht einer dem Einzelfall verschriebenen Einschätzungsprärogative des Amtswalters, die von der Norm selbst nicht mehr getragen wird.252 Maßstab des Rechtmäßigkeitsbegriffs kann daher einzig ein vollstreckungsrechtlicher Ansatz sein. Für die Frage der Rechtmäßigkeit einer hoheitlichen Handlung sind danach die tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen der Norm entscheidend, aufgrund derer der Amtswalter im konkreten Fall tätig wird. Diese Normen haben zum Ziel, das materielle her, NJW 1970, 1153 (1158)]. Im Gesetz findet ein solcher Wille jedoch keine Stütze und ist daher für den Rechtsanwender nicht verbindlich. 249 Vgl. Reinhart, StV 1995, 101 (103 f.) mit Hinweis auf Thiele, JR 1975, 353 (353). 250 Vgl. Neuheuser, Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln, S. 205 ff.; Rostek, NJW 1975, 862 (862 f.); Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 11 mit Hinweis auf BGHSt 4, 161 (164). Hierzu RGSt 2, 411 (416 f.); RGSt 35, 210 (214); RGSt 38, 373 (375); RGSt 44, 353 (354); RGSt 61, 297 (299); RGSt 72, 305 (311); BGHSt 4, 161 (164): „Diese Voraussetzungen wirksamer polizeilicher Vollzugstätigkeit [. . .] sind so offensichtlich, dass jeder einsichtige Staatsbürger, der Ordnung und Sicherheit wünscht, sie erkennen und sich ihnen beugen muss [. . .].“ Vgl. auch BGHSt 21, 334 (365); BGHSt 24, 125 (130 ff.); OLG Karlsruhe, NJW 1974, 2142 (2144). 251 Zum Ganzen vgl. Backes/Ransiek, JuS 1989, 624 (627); Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 11; Spendel in LK, § 32, Rn. 72 f. 252 In diese Richtung bereits Reinhard, StV 1995, 101 (103).

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Recht zu verwirklichen, und gestatten daher grundsätzlich nur solche Eingriffe in die Rechtssphäre des Bürgers, die auch in jeder Beziehung den gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen des materiellen Rechts entsprechen.253 Ein weiteres, gewichtiges Argument gegen eine „pflichtgemäße Prüfung“ ist im Zusammenhang mit § 113 StGB und dem Widerstandsrecht des Betroffenen zu sehen.254 „Das Gesetz kann von dem Einzelnen verlangen zu prüfen, ob eine Handlung eines Beamten in Übereinstimmung mit dem Recht sich befindet, ehe er sich dazu entschließt, dem Beamten Widerstand entgegenzusetzen; aber es kann nicht verlangen, dass er den Seelenzustand des Beamten prüfe und untersuche, ob derselbe sich in gutem Glauben befinde und er sich in entschuldbarer Weise geirrt habe, oder ob dessen Irrtum ein grober oder leicht vermeidlicher gewesen wäre.“255 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein „strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff“ nicht anzuerkennen ist. Nicht individuell-subjektive Kriterien entscheiden über die Strafbarkeit, sondern ein objektivierter Maßstab.256 Die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit einer Handlung ist daher einzig normativ zu bestimmen. Dies schließt freilich nicht aus, dass nach einer so vorgenommenen Wertung auch subjektive Merkmale in der Strafrechtsprüfung zu berücksichtigen sind. Die das Handlungsunrecht charakterisierenden subjektiven Rechtfertigungselemente sind hierfür ein Beispiel.257 Der „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ ist aber auch aus einem weiteren Grund nicht aufrechtzuerhalten. Dies soll im Weiteren dargelegt werden. d) Das Problem der Kenntnis des Untergebenen von dem Irrtum seines Vorgesetzten und die hieraus folgenden Konsequenzen Der zweite zu kritisierende Aspekt ist der von der h. M. vollzogene Rechtmäßigkeitsausschluss, wenn der Untergebene den Irrtum des Vorgesetzten kennt. Die hergebrachte Meinung kommt in Kalamitäten und ist überdies widersprüchlich, will sie die subjektive Kenntnis über die Rechtmäßigkeit eines Befehls be253 So Amelung, JuS 1986, 329 (336); Bosch in MünchKommStGB, § 113, Rn. 34 f.; NK-Paeffgen, § 113, Rn. 41. 254 Darauf verweist Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 189. 255 Goldschmidt, FG für Otto von Gierke, S. 109 (125). 256 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 24, III, 6a: „Die Rechtswidrigkeit bleibt [. . .] eine objektive Größe, weil das Recht an jedermann die gleichen Anforderungen stellt und deren Verletzung für jedermann die gleichen Konsequenzen hat.“ Siehe auch die deutlich ablehnende Haltung bei Schünemann, JA 1972, 703 (707 ff.). 257 Z. B. der „Verteidigungswille“ bei der Notwehr gemäß § 32 StGB oder der „Rettungswille“ beim Notstand gemäß § 34 StGB. Zum Ganzen vgl. statt vieler: Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 275 m.w. N.

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1. Teil: Das Wehrrecht

stimmen lassen bzw. das Institut eines rechtmäßigen, aber unverbindlichen Befehls rechtlich fundiert begründen. Aber selbst wenn man hypothetisch unterstellt, dass eine „pflichtgemäße Prüfung der Sachlage“ bei einem Fehlen der tatsächlichen Eingriffsvorsaussetzungen den Rechtmäßigkeitsanforderungen gerecht werden kann, müsste die h. M. konsequenterweise zu dem Ergebnis kommen, dass der einmal rechtmäßig erteilte Befehl auch weiterhin rechtmäßig bleibt. Nicht einleuchtend und rechtlich nachvollziehbar ist der von der h. M. vollzogene Gedanke, dass eine subjektive Kenntnis des Untergebenen darüber entscheidet, was mit der Rechtsordnung vereinbar ist. Genau das Gegenteil ist der Fall: Der Rechtsordnung kommt die Lenkungsaufgabe zu, das Handeln der der Norm unterworfenen Individuen zu bestimmen, nicht umgekehrt. Wie soeben dargestellt, entspricht es einem allgemein anerkannten Grundsatz, dass die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit nach normativen Kriterien bestimmt wird und nicht ausschließlich nach subjektiv-individuellen Merkmalen des Delinquenten.258 Denkt man den Gedanken der h. M. in diesem Sinn zu Ende, liegt dann aber ein rechtmäßiger, unverbindlicher Befehl vor, der dogmatisch eine nur schwer zu begründende Konstruktion darstellt. Daher wird die Möglichkeit eines rechtmäßigen, unverbindlichen Befehls auch nur selten vertreten und meist durch den sog. „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff“ kaschiert.259 Rechtmäßig muss aus ihrer Sicht der Befehl sein, um den Vorgesetzten wegen der Personenverwechselung nicht der Strafbarkeit auszusetzen. Unverbindlich ist ihrer Ansicht nach der Befehl gemäß § 11 II 1 SoldatenG, §§ 5 I, 22 I 1 WStG, weil der Untergebene erkannt hat, dass er durch die Befehlsausführung eine Straftat gemäß § 239 StGB begeht. Die Richtigkeit dieser konsequent fortgeführten Ansicht unterstellt, setzt sie sich dann aber einem Widerspruch aus, nach dem der rechtmäßige Befehl „ausnahmslos“260 und „stets“261 verbindlich ist. Ist doch an anderer Stelle immer wieder zu lesen, dass sich Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines Befehls gerade nicht decken.262 258 Vgl. etwa Schünemann, JA 1972, 703 (707 f.): „Dass eine [. . .] objektive Eingriffsvoraussetzung nicht durch den guten Glauben des Beamten ersetzt werden kann, steht in verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Hinsicht außer jedem Zweifel. Ein dergestalt von der Ermächtigungsgrundlage nicht mehr gedeckter Staatsakt ist ohne Rücksicht darauf rechtswidrig, ob der ihn erlassende Amtsträger gut- oder bösgläubig ist.“ Hierzu auch ausführlich Neuheuser, Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln, S. 159 ff. 259 So Thiele, JR 1975, 353 (358) im Zusammenhang mit der Frage, ob dem rechtswidrigen, verbindlichen Befehl bereits rechtfertigende oder lediglich entschuldigende Wirkung zukommt. Die Existenz rechtmäßiger, unverbindlicher Befehle erkennen an: Bartmann, Strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb militärischer Weisungsverhältnisse, S. 113 f.; Dreher/Lackner/Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 22; Schölz, WStG-Kommentar, § 2, Rn. 22. 260 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 34. 261 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 78.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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e) Zwischenergebnis zur Lösung des Beispiels Die Erklärungen für die Straffreiheit des Vorgesetzten und die Strafbarkeit des Untergebenen überzeugen in dieser Art nicht und geben Anlass zur Kritik. Für die kritische Analyse ist erneut zwischen der Befehlserteilung und der Befehlsausführung zu differenzieren: aa) Die Rechtmäßigkeit des Befehls Im Hinblick auf die Befehlserteilung ist nach richtiger Ansicht die Rechtmäßigkeit allein nach objektiven Gesichtspunkten zu betrachten. Dies bedeutet aber auch, dass ein irgendwie geartetes „Irrtumsprivileg des Staates“ nicht anzuerkennen ist. Ein genuin „strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff“ existiert nicht. Fehlen die Eingriffsvoraussetzungen, kann ein pflichtgemäßer Beurteilungsspielraum des Hoheitsträgers diese nicht ersetzen, sofern es die Norm nicht ausnahmsweise selbst zulässt.263 Hierfür spricht maßgeblich der bereits angedeutete Gedanke der Bindung jeglicher öffentlicher Gewalt an Gesetz und Recht gemäß Art. 1 III GG, Art. 20 III GG. Danach gelten der Vorrang und der Vorbehalt des Gesetzes. Knüpft die Norm daher auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite nicht selbst an eine subjektive Komponente des Amtswalters i. S. e. Beurteilungs- oder Ermessensspielraums an, ist es der staatlichen Gewalt verwehrt, diese über einen „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff“ durch die Hintertür einzuführen. Dort, wo es der Gesetzgeber aufgrund der zu regelnden Materie für notwendig erachtete, hat er Begriffe verwendet, die entweder auf Tatbestands- oder auf Rechtsfolgenseite eine subjektive Komponente enthalten. Typisches Beispiel hierfür ist der aus dem Gefahrenabwehrrecht stammende Begriff der „Gefahr“ oder die an einen Verdacht anknüpfenden Normen der Strafprozessordnung. Für die in Rede stehende Norm des § 21 WDO fehlt jedoch eine solche subjektive Einschätzungsprärogative. Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies, dass die Festnahmebefugnis gemäß § 21 I WDO nicht an einen bloßen Verdacht i. S. e. „pflichtgemäßen Sachverhaltsprüfung“ anknüpft, sondern an eine erkennbare Pflichtwidrigkeit durch den Untergebenen.264 In casu lagen die Festnahmevoraussetzungen gemäß § 21 I WDO nicht vor. Der Befehl war somit bereits bei Erteilung rechtswidrig.265 262 Dreher/Lackner/Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 22; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 34. 263 Hierzu und zum Folgenden vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 9 ff. m.w. N. 264 Dau, WDO-Kommentar, § 21, Rn. 6; Freiherr von Lepel, NZWehrr 1993, 1 (6 f.). 265 Im Ergebnis so auch Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 72: „War es die Vorstellung des Vorgesetzten, die die an sich rechtswidrige Festnahme rechtmä-

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1. Teil: Das Wehrrecht

bb) Die Verbindlichkeit des Befehls Hiervon zu trennen ist die Frage der Verbindlichkeit. Selbstverständlich ist der Befehl gemäß § 11 II 1 SoldatenG, § 22 I 1 WStG unverbindlich, weil er ein Vergehen gemäß § 239 StGB zur Folge hätte. Es handelt sich daher in Wahrheit um einen rechtswidrigen, unverbindlichen Befehl, der nicht befolgt werden darf und somit keine rechtfertigende Wirkung für den Untergebenen erzeugt. Wenn die h. M. von einem rechtmäßigen Befehl des Vorgesetzten spricht, der den Untergebenen wegen seiner Kenntnis von der Strafrechtswidrigkeit nicht rechtfertigen kann, ist dies dogmatisch unsauber. Wie schon Rostek erkannt hat, erfährt der Befehl nach der hergebrachten Meinung eine dreifache Wandlung: Durch die irrige Vorstellung des Vorgesetzten wird der an sich rechtswidrige Befehl aufgrund „pflichtgemäßer Sachverhaltsprüfung“ rechtmäßig, um dann wegen der Kenntnis des Untergebenen wieder rechtswidrig zu sein.266 Nach richtiger Ansicht gilt jedoch, dass das, was rechtmäßig ist, nicht wegen eines subjektiven Moments des Untergebenen rechtswidrig werden kann. Wäre die h. M. konsequent, müsste sie demnach von einem rechtmäßigen, unverbindlichen Befehl sprechen. Einen solchen gibt es jedoch nicht. Darin ist man sich weitgehend einig. cc) Ergebnis Die Lösung des Falles sieht daher wie folgt aus: Der Befehl des Vorgesetzten ist von Beginn an rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine vorläufige Festnahme gemäß § 21 I WDO nicht vorliegen. Im Hinblick auf den angewiesenen Unteroffizier kommt daher eine Strafbarkeit gemäß § 239 StGB in Betracht. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit liegen vor. Insbesondere rechtfertigt der rechtswidrige, unverbindliche Befehl den Untergebenen nicht. Da der Festnehmende auch eine positive Kenntnis von der Unschuld des Rekruten hat, kommt für ihn ein Schuldausschluss gemäß § 5 I WStG nicht in Frage. Die Schuld ist somit gegeben. Der festnehmende Unteroffizier ist strafbar gemäß § 239 StGB wegen Freiheitsberaubung zum Nachteil des Rekruten. Für den Vorgesetzten sieht die Rechtslage hingegen anders aus. Bei ihm ist eine Anstiftung zur Freiheitsberaubung gemäß §§ 239, 26 StGB zu prüfen. Hierbei fehlt es jedoch gemäß § 16 I 1 StGB am Vorsatz bzgl. der Haupttat, wenn sich der Anstifter Umstände vorstellt, die die Haupttat rechtfertigen.267 So liegt es in dem beschriebenen Beispielsfall. Der Vorgesetzte geht daher straffrei aus. ßig macht, so ist es wiederum die Vorstellung des Untergebenen, die aus dem nun rechtmäßigen Befehl einen für den Untergebenen rechtswidrigen Befehl macht. Diese zweifache Umwandlung Rechtswidrigkeit – Rechtmäßigkeit – Rechtswidrigkeit wäre nicht erforderlich, wenn der Befehl bereits von vornherein als rechtswidrig angesehen würde.“ 266 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 72.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Als Ergebnis der aufgeworfenen Fragestellung ergeben sich drei Erkenntnisse: (1) Ein Irrtumsprivileg des Staates ist nach heutigem Staatsverständnis nicht anzuerkennen. (2) Ein und derselbe Befehl kann nicht rechtmäßig und gleichzeitig aufgrund einer subjektiven Kenntnis des Untergebenen rechtswidrig sein. (3) Die h. M. müsste konsequenterweise einen rechtmäßigen, unverbindlichen Befehl anerkennen. Einen solchen kennt das deutsche Wehrrecht jedoch nicht. Der Befehl, der mit der objektiven Rechtsordnung im Einklang steht, ist für den Untergebenen daher stets verbindlich.268 Der dogmatisch kaum zu bestreitende Klimmzug eines rechtmäßigen, unverbindlichen Befehls ergibt sich daher nicht. 3. Der rechtswidrige, verbindliche Befehl Grundsätzlich folgt im allgemeinen Strafrecht einer rechtswidrigen Weisung auch die Rechtswidrigkeit der Ausführung, da der Untergebene im Gegensatz zum Vorgesetzten keine originäre, sondern nur eine abgeleitete Handlungsbefugnis innehat.269 Diesem Grundsatz folgend wird in der rechtmäßigen dienstlichen Weisung ein Rechtfertigungsgrund für den Untergebenen gesehen.270 Besonderheiten können sich jedoch insbesondere im Wehrrecht ergeben. Hier sind die objektiven Begriffe der Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit eines Befehls – wie bereits beschrieben271 – inkongruent.272 Für den Untergebenen kann dies bedeuten, dass auch ein rechtswidriger Befehl verbindlich ist. Auch dieser Befehl ist gemäß § 11 I 1 und 2 SoldatenG nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich zu befolgen.273 Die Pflichtenkollision, in der sich der untergebene Soldat befindet, hat der Gesetzgeber zugunsten der Gehorsamspflicht entschieden.274 Verweigert der Soldat den Gehorsam, hat dies die glei-

267 Joecks in MünchKommStGB, § 26, Rn. 45; Roxin in LK, § 26, Rn. 66; S/SCramer/Heine, § 26, Rn. 19; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 572. 268 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 78; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 34. 269 Statt vieler: Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 173; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 87 m.w. N. 270 BGHSt 4, 161 (162); Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 173; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 87. Siehe auch die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 1. und C. II. 2. b) cc). 271 Siehe oben die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, A. III. 272 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 40 f.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 79. 273 Schreiber, NZWehrr1965, 1 (3). 274 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 40 f. m.w. N.; Wipfelder/Schwenck, Wehrrecht, S. 102.

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1. Teil: Das Wehrrecht

chen dienst- und strafrechtlichen Konsequenzen wie im Fall eines rechtmäßigen Befehls.275 Verletzt der untergebene Soldat durch die Ausführung des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls die objektive Rechtsordnung etwa dergestalt, dass er eine Ordnungswidrigkeit, einen Verstoß gegen eine zivilrechtliche Norm oder eine Dienstpflichtverletzung begeht, so ist es umstritten, ob durch die Verbindlichkeit des Befehls der Soldat gerechtfertigt oder lediglich entschuldigt handelt.276 Das Gesetz selbst und die hierzu einschlägigen Materialien lösen dieses theoretisch und praktisch wichtige Problem nicht, obwohl davon die entscheidende Frage abhängt, ob der betroffene Dritte gegen die Ausführung des Befehls Notwehr üben darf.277 Einigkeit besteht insoweit, dass man den Untergebenen für das Handeln auf Befehl in solchen Situationen gemäß der Entscheidung des Wehrstrafgesetzgebers straffrei ausgehen lassen will. Lediglich über den Weg des zu erreichenden Ziels herrscht Streit. Hierzu werden zwei Meinungen vertreten. a) Die „Entschuldigungslösung“ Die traditionell überwiegende Meinung in der Rechtsprechung und Literatur spricht sich im Fall der Ausführung eines rechtswidrigen, aber verbindlichen Befehls für die sog. „Entschuldigungslösung“ aus.278 Danach kann ein rechtswidriger, verbindlicher Befehl die Ausführungshandlung des Untergebenen nicht rechtfertigen, sondern allenfalls entschuldigen. 275

Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 92; Wipfelder/Schwenck, Wehrrecht, S. 102. Statt vieler: S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89 m.w. N. 277 Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 18; hierauf weist auch Spendel in LK, § 32, Rn. 74 hin. 278 Vgl. RGSt 6, 432 (439 f.); BGHSt 2, 251 (256 f.); BGHSt 5, 239 (243 f.); BGHSt 19, 33 (35 f.); BGHSt 19, 231 (232 f.); OLG Bremen, NJW 1949, 436 (436 f.); Arndt, Wehrstrafrecht, S. 116, 111 f. mit zahlreichen Nachweisen insbesondere auf die ältere Literatur. Weitere Vertreter der „Entschuldigungslösung“ sind: Amelung, JuS 1986, 329 (337); Arndt, Wehrstrafrecht, S. 111 f.; Bartmann, Strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb militärischer Weisungsverhältnisse, S. 103 f.; Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen, S. 94; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 17, Rn. 143; Blei, Strafrecht AT, § 42 II, 2; Heinrich, Strafrecht AT, S. 179; Küper, JuS 1987, 81 (92); Lackner/Kühl, StGB-Kommentar, vor § 13, Rn. 27; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 29, Rn. 7 ff.; NK-Paeffgen (1. Auflage), vor § 32, Rn. 185; Oehler, JuS 1963, 301 (306); Schmidt, Militärstrafrecht, S. 59; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 32; SK-StGB-Günther, vor § 32, Rn. 64 f.; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 25 ff.; Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, vor § 32, Rn. 16. Für Spendel in LK, § 32, Rn. 74 ff., 90 ff. stellt sich das Problem so nicht. Er löst den rechtswidrigen Befehl zulasten des befehlenden Vorgesetzten. Dieser ist seiner Ansicht nach also für den Befehlsempfänger unverbindlich. Der Untergebene sei bei der Erteilung eines rechtswidrigen Befehls von der Gehorsamspflicht befreit, ihm selbst stehe u. U. sogar ein Notwehrrecht gegenüber dem rechtswidrigen Befehl zu. 276

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Hierfür wird von den Vertretern dieser Meinung angeführt, dass es eine Rechtspflicht zur Ausführung rechtwidriger Befehle nicht geben könne. Daher wirke ein rechtswidriger Befehl auch nur entschuldigend.279 Darüber hinaus ist immer wieder von dem sog. „Transformationsargument“ zu lesen. Die Vertreter der „Entschuldigungslösung“ sind der Ansicht, dass der Befehl des Vorgesetzten nicht imstande sei, eine an sich rechtswidrige Handlung in eine rechtmäßige Handlung zu verwandeln. Eine Transformation von Unrecht in Recht durch Befehl wäre „eine geradezu übernatürliche Verwandelung des Unrechts in Recht, ein Wunder!“280 Nach Ansicht jener Autoren käme dies einer partiellen Außerkraftsetzung der Rechtsordnung gleich.281 Die sog. „Entschuldigungslösung“ wird vor allem auch immer wieder damit begründet, dass eine Handlung, die der Vorgesetzte selbst nicht vornehmen dürfe, nicht dadurch zulässig werden könne, nur weil sie nicht unmittelbar in eigener Person, sondern mittelbar durch einen Untergebenen ausgeführt wird.282 Eindringlich und scharf zugespitzt wurde dies in folgendem Satz formuliert: „[. . .] widerspricht der Befehl dem Recht, so kann seine Vollziehung nicht dadurch geheiligt werden, dass sich der das Unrecht Befehlende eines Werkzeugs bedient. Die gegenteilige Auffassung müsste zu dem Ergebnis führen, dass ein Befehl um so „rechtmäßiger“ würde, je mehr unverantwortliche Instanzen er durchliefe – je bürokratischer und autoritärer die Staatsorganisation, um so infallibler der in seinem Ursprung fehlerhafte Staatsakt!“283 Für den Bereich der Außenwirkung des Befehls könne es außerdem nicht darauf ankommen, dass auf staatlicher Seite mehrstufig gehandelt wird – die Staatsgewalt trete gegenüber dem Bürger vielmehr einheitlich auf. Dies führe dazu, dass der rechtswidrige Befehl auch die Ausführung gegenüber dem Bürger rechtswidrig werden lässt, auch wenn der Untergebene hierzu verpflichtet sei.284 Weiterhin wird argumentiert, dass die Befolgungspflicht des Untergebenen zur Ausführung rechtswidriger Befehle letztlich nicht Wille des Gesetzes sei. Dem Willen des Gesetzgebers könnten nur diejenigen Befehle entsprechen, die zu erteilen der Vorgesetzte berechtigt und verpflichtet ist. Das, was der Vorgesetzte über seine ihm eingeräumte Kompetenz hinaus befehle, liege nicht mehr im Rahmen seines Befehlsrechts und entspreche damit nicht mehr dem Staatswillen. Das SoldatenG gebiete dem Vorgesetzten aber, dass er gemäß § 10 IV SoldatenG nur solche Befehle erteilt, die zu „dienstlichen Zwecken und nur un279

Vgl. die Darstellung bei Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 172. M. E. Mayer, FS für Laband, S. 119 (122). 281 Amelung, JuS 1986, 329 (337); Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 172; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 25 f. 282 So auch Spendel in LK, § 32, Rn. 79 m.w. N. insbesondere auf die ältere Literatur. 283 Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 29 II, Rn. 8. 284 Ostendorf, JZ 1981, 165 (173). 280

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1. Teil: Das Wehrrecht

ter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und Dienstvorschriften“ ergehen. Diejenigen Befehle, die darüber hinausgehen, entsprächen nicht dem Befehlsrecht des Vorgesetzten, sondern seiner faktischen Befehlsgewalt. Dieser Ansicht nach entspricht die Befehlskompetenz des Vorgesetzten nicht der Gehorsamspflicht des Untergebenen. Letztere sei umfangreicher und weitgehender. Daraus wird geschlussfolgert, dass es nicht die Rechtsordnung, nicht der Staat sei, der dem Untergebenen die Ausführung des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls befiehlt. Dies sei vielmehr der Vorgesetzte, der die weitergehende Gehorsamspflicht des Untergebenen aufgrund seiner faktischen Befehlsgewalt ausnutze. Der Rechtsordnung aber sei dieses Ergebnis „unangenehm“ und „unerwünscht“. Die Befolgungspflicht des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls sei eine nicht zu verhindernde Nebenfolge einer bestimmten gesetzestechnischen Unvollkommenheit. Diese Unvollkommenheit beruhe aber nicht auf dem Staatswillen, sodass hieraus eine Rechtfertigung der Befehlsausführung für den Untergebenen nicht herzuleiten sei.285 Als ein weiteres tragendes Argument wird die Situation für einen von der Befehlsausführung betroffenen Dritten angeführt. Danach ist das Problem des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls insbesondere im Zusammenhang mit dem Notwehrrecht des Dritten zu betrachten. Um zu einem gerechten Ergebnis zu gelangen, müssten auch seine Interessen und Rechtsgüter ausreichend berücksichtigt werden. Dem Dritten würde aber im Fall einer Rechtfertigung des untergebenen Soldaten das Recht der Notwehr genommen: Gegen einen gerechtfertigten Angriff i. S. d. § 32 StGB gibt es keine Notwehr. Der außenstehende Bürger sei aber nicht derjenige, zu dessen Lasten der Konflikt auszutragen sei.286 b) Die „Rechtfertigungslösung“ Die Vertreter der Gegenansicht sprechen sich für eine Lösung des Problems auf Rechtfertigungsebene aus.287 Danach gilt für den rechtswidrigen, verbind285 Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen, S. 88 ff.; ihm folgend Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 10 f. 286 Spendel in LK, § 32, Rn. 74 ff., 81, 90. 287 So die Rechtsprechung im Hinblick auf § 113 StGB: BGHSt 4, 161 (162); OLG Karlsruhe, NJW 1974, 2142 (2143 f.) mit hilfsweisen Erwägungen der sachlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Vollziehungshandlung; OLG Köln, NJW 1975, 889 (890). Für den verbindlichen militärischen Befehl siehe SchlHOLG, Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/3 f.: „Hiernach bleibt ein Befehl [. . .] für den Befehlsempfänger verbindlich, seine Ausführung wäre nicht rechtswidrig.“ Vgl. auch BGHSt 41, 101 (104): „Hiernach käme der Befehl [. . .] als Rechtfertigungsgrund in Frage [. . .].“ Vgl. auch Ambos, JR 1998, 221 (222); ders., JuS 2000, 465 (468 f.); Bornemann, Rechte und Pflichten des Soldaten, S. 104; Bringewat, NZWehrr 1971, 126 (133); Gropp, Strafrecht AT, S. 237; Haft, Fallrepetitorium, Nr. 249; ders., Strafrecht AT,

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lichen Befehl, dass die Erfüllung einer Rechtspflicht stets rechtmäßig ist. Der Untergebene handelt somit aufgrund der Verbindlichkeit des Befehls gerechtfertigt. Mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung wäre es ihrer Ansicht nach nicht zu vereinbaren, wenn eine Norm ein bestimmtes Verhalten gebiete, das eine andere wieder verwirft.288 Dies verkenne die sog. „Entschuldigungslösung“, wenn sie die ausdrückliche gesetzliche Anordnung negiere und den Untergebenen lediglich entschuldige. Die den Vorgesetzten nicht erlaubte Handlung werde beim Untergebenen daher de lege lata rechtens. Des Weiteren werden folgende Argumente ins Feld geführt: Die „Rechtfertigungslösung“ geht von der Relativität der Rechtsverhältnisse aus und bestimmt die Rechtswidrigkeit immer nur für eine bestimmte Beziehung. Das bedeutet, dass die Rechtswidrigkeit getrennt für den Vorgesetzten und Untergebenen im Hinblick auf das Innen- und Außenverhältnis untersucht wird. Der rechtswidrige Staatsakt und das Handeln des Funktionswalters werden somit unabhängig voneinander geprüft. Die Rechtswidrigkeit der Befehlsausführung wird hier interpersonell zwischen der Person des Täters und seiner Rechtsbeziehung zu dem verletzten Rechtsgut festgestellt.289 Hintergrund der Überlegung von der Relativität der Rechtsverhältnisse ist folgender: Der untergebene Soldat handele bereits deshalb gerechtfertigt, weil andernfalls die Gefahr bestünde, dass der Befehlsempfänger in die missliche Situation kommt, eine von Gesetzes wegen verbotene Tat zu begehen. Hierbei gehe es auch nicht – wie die Befürworter der sog. „Entschuldigungslösung“ behaupten – um eine Verwandlung von Unrecht in Recht.290 Denn das Rechtswid-

S. 110 f.; Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 177; Jakobs, Strafrecht AT, S. 458; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 81 f.; ders., Strafrecht AT, § 35, II, 3; Köhler, Strafrecht AT, S. 312; Kühl, Strafrecht AT, S. 287 f.; Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 158 ff.; Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (224); von Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, § 35, I, 3; Neuheuser, Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln, S. 169 ff.; Rengier in KK-OWiG, vor §§ 15, 16, Rn. 29; Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 19; Schmidhäuser, Strafrecht AT, S. 323; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 39 f.; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 10, 168, 181 ff., 203 f.; Schwenck, Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 79; ders., Wehrstrafrecht, S. 92; Vitt, NZWehrr 1994, 45 (48); Walter, JR 2005, 279 (280); Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 450. Zu diesem Problem vor dem Hintergrund der alten Rechtslage gemäß § 47 MStGB siehe von Ammon, Der bindende rechtswidrige Befehl, S. 81 ff. mit zahlreichen Nachweisen auf die ältere Literatur. Hierzu im Sinn einer Rechtfertigung des Untergebenen bereits Goebel, Der Ausschluss der Rechtswidrigkeit, S. 8 ff.; Hagen, Das auf militärischen Befehl begangene Verbrechen, S. 12 f.; Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 13. 288 von Ammon, Der rechtswidrige bindende Befehl, S. 82. 289 Vgl. Lenckner, FS Stree/Wessels, S. 223 (224 f.); Neuheuser, Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln, S. 172 f.; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89. 290 Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (224).

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1. Teil: Das Wehrrecht

rigkeitsurteil wird stets nur innerhalb einer bestimmten Relation beurteilt. Daher gäbe es auch eine „gespaltene Rechtswidrigkeitsbeurteilung“, wie dies beispielsweise bei der mittelbaren Täterschaft durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug anerkannt sei.291 Damit verliere auch das Argument an Kraft, dass der Vorgesetzte durch die Befehlserteilung Unrecht in Recht verwandeln kann. Der Befehl selbst bleibe vielmehr rechtswidrig, das staatliche Unrecht bleibe erhalten, auch wenn es mittels eines rechtmäßig handelnden Werkzeugs durchgeführt werde.292 Einen ähnlichen Ansatz findet sich bei Lenckner.293 Er weist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsfigur der sog. actio illicita in causa und ebenso auf die mittelbare Täterschaft durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug hin.294 Um eine solche mittelbare Täterschaft handele es sich auch in dem zu beurteilenden Fall: Zunächst sei nach Innen- und Außenrecht zu differenzieren. Der Befehlsgeber als mittelbarer Täter habe das staatliche Unrecht im Außenrechtsverhältnis als rechtswidrig zu verantworten. Der ausführende Befehlsempfänger handele hingegen aufgrund seiner im Innenverhältnis bestehenden Gehorsamspflicht gerechtfertigt.295 Nach den Vertretern der Gegenansicht ist es daher möglich, dass der Vorgesetzte durch die Befehlserteilung rechtswidrig und der Untergebene durch die Befehlsausführung rechtmäßig handelt. Aufgrund der verschiedenen Relationen begründe dies auch keinen Widerspruch.296 Die „Rechtfertigungslösung“ räumt ein, dass das Notwehrrecht des Bürgers gegen den militärischen Untergebenen wegen der Verbindlichkeit des Befehls entfällt. Auch hierin liege jedoch kein Widerspruch, denn durch die Einschaltung eines gehorsamspflichtigen Dritten komme ein neues Abwägungselement hinzu. Die Besonderheit des Falles führe daher dazu, dass über das Notwehrrecht des Bürgers anders zu entschieden sei.297 Ließe man ein Notwehrrecht des Dritten gegen den Untergebenen zu, würde man mit der anderen Hand wie291 Neuheuser, Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln, S. 172; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89. 292 Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 20. 293 Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (224 f.). 294 Vgl. auch Hoyer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, S. 15 ff., der ebenso auf eine Differenzierung nach Innen- und Außenrecht abstellt. Seiner Ansicht nach entfaltet jedoch der im Innenverhältnis verbindliche Befehl nicht stets eine Rechtfertigungswirkung. Hierzu bedürfe es vielmehr einer Interessenabwägung im Einzelfall, „bei der die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die generell erhöhte Urteilskompetenz des Vorgesetzten ebenso eine Rolle spielen wie das Risiko und das Ausmaß einer drohenden Rechtsgutverletzung auf der anderen Seite“, a. a. O., S. 22. 295 Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (225); Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 19 f. 296 Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (224 f.); Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 20. 297 Zum Ganzen Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 20.

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der nehmen, was mit der Anerkennung des verbindlichen Befehls gegeben wurde. „Der Wert des bindenden rechtswidrigen Befehls wäre illusorisch.“298 In die gleiche Richtung argumentiert Roxin.299 Er gibt zu Bedenken, dass mit einer solchen Lösung keine unzumutbare Verhaltenspflicht des Bürgers begründet wird. Er unterstreicht seine Ansicht damit, dass der betroffene Dritte vor schweren Beeinträchtigungen bewahrt werde, weil ein rechtswidriger Befehl, der sich auf die Begehung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter richtet, von vornherein unverbindlich ist. Überdies habe der Bürger für etwa entstandene Schäden im Staat einen sicheren und zahlungsfähigen Schuldner. Als dritten Aspekt führt er im Fall der Ausführung eines rechtswidrigen Befehls durch den Untergebenen das defensive Notstandsrecht des Bürgers nach § 34 StGB an.300 Dies rechtfertige es, den verbindlichen Befehl für den Untergebenen als Rechtfertigungsgrund zu begreifen.301 Schließlich wird bei der in Streit stehenden Frage auf den dogmatischen Standort in der Strafrechtsprüfung abgestellt.302 Hierbei handele es sich um einen Fall der Pflichtenkollision (im weiteren Sinne). Diese sei bei Überwiegen eines Interesses nach nahezu einhelliger Meinung ein Fall, der auf Rechtfertigungsebene gelöst wird.303 Die Ausführung eines verbindlichen Befehls ist dieser Ansicht nach immer rechtmäßig, weil das Recht hier unter Strafdrohung den Gehorsam erzwingt. Das, was das Recht vom Menschen verlangt, ist nach Ansicht dieser Autoren per definitionem rechtmäßig.304 So ist schon bei von Frank zu lesen:305 „Hier aber hat der Untergebene gerade das getan, wozu er rechtlich verpflichtet war. Einer Entschuldigung bedarf es also nicht.“ 298

von Ammon, Der bindende rechtswidrige Befehl, S. 122. Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 20. 300 Auf dieses Argument weisen auch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 35, II, 3; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 86, 88 f.; ders., FS für Stree/Wessels, S. 223 (225) hin. 301 Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 19 f. 302 Hierzu und zum Folgenden vgl. die Darstellung bei Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 173. 303 von Ammon, Der bindende rechtswidrige Befehl, S. 26, 82 der auf die Erfüllung einer Rechtspflicht abstellt, die nicht gleichzeitig rechtswidrig sein könne. Küper, ein Anhänger der „Entschuldigungslösung“, bemerkt in JuS 1987, 81 (89): „Einigkeit besteht heute darüber, dass das tatbestandsmäßige Verhalten des Täters in der Situation der Pflichtenkollision (im weiteren oder engeren Sinn des Begriffes) kein Unrecht darstellt, wenn er die höherwertige Pflicht befolgt und die geringwertige vernachlässigt: Das Problem der Entschuldigung taucht in dieser Konstellation nicht mehr auf.“ Kritisch zur Pflichtenkollision Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 19, Fn. 26; § 16, Rn. 115 ff., der darauf hinweist, dass eine „Pflichtenkollision“ im engeren Sinn nicht vorliegt, weil hier eine Handlungspflicht mit einer Unterlassungspflicht kollidiert. Vgl. auch Rengier in KK-OWiG, vor §§ 15, 16, Rn. 29. 304 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (48, Fn. 17). 305 von Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Vorb. III zum 4. Abschnitt, S. 134 spricht hier von einem „subjektiven Rechtfertigungsgrund“. Dieser Terminus und die Einordnung des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls als Rechtferti299

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1. Teil: Das Wehrrecht

Unter dem Aspekt der Pflichtenkollision behandelt auch schon Stratenwerth das Problem des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls.306 Danach ist das Verhalten des Untergebenen rechtmäßig, wenn er die ranghöhere Pflicht gegenüber der rangniederen Pflicht erfüllt.307 Zur Ermittlung der höher stehenden Pflicht sei auf das Rangverhältnis der Normen abzustellen. Aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung für eine Gehorsamspflicht des Untergebenen gehe diese im Fall der Verbindlichkeit des Befehls der allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht vor. Als Konsequenz ergebe sich daraus, dass bei einem verbindlichen Befehl das Verbot, normwidriges Handeln zu unterlassen, zurücktritt.308 Folglich müsse die Ausführung eines verbindlichen Befehls durch den Untergebenen daher bereits rechtmäßig sein, auch wenn hiermit u. U. ein Verstoß gegen unterstrafrechtliches Recht verbunden ist.309 c) Stellungnahme Wie die soeben dargestellten Meinungen zeigen, führen die verschiedenen Begründungsansätze für eine Sanktionslosigkeit der Ausführung eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls zu teilweise erheblichen Unterschieden. Zu untersuchen ist daher, welcher der beiden Lösungsansätze im Ergebnis zu überzeugen vermag. Bei dieser Betrachtung sind in erster Linie dogmatische und normative Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Ehrlicherweise wird man aber auch sagen müssen, dass die Diskussion um die Straffreiheit des befehlsunterworfenen Untergebenen nicht frei von praktischen und wertebezogenen Argumenten des Betrachters ist. aa) Die Relativität der Rechtsverhältnisse und der „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ Gegen das Argument von der Relativität der Rechtsverhältnisse und damit gegen die „Rechtfertigungslösung“ könnte der Einwand erhoben werden, dass eine solche interpersonelle Feststellung der Rechtmäßigkeit im Hinblick auf die Ausführungen des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ einen Widerspruch darstellt.310 Dort wurde herausgearbeitet, dass die Rechtmäßigkeit einer gungsgrund werden interessanterweise in der 18. Auflage wieder verworfen und er schließt sich der Gegenmeinung an. Hierzu Rathke, Täterschaft und Teilnahme, S. 10 f. 306 Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 7 ff., 165 ff., 181 ff.; vgl. auch von Ammon, Der bindende rechtswidrige Befehl, S. 82 ff. 307 Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 9. 308 Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 10, 166 ff.: „Soweit die Gehorsamspflicht von höherem Rang ist als allgemeine Rechtspflichten, muss es rechtmäßig sein, jene auf Kosten dieser zu befolgen.“ 309 Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 10, 166 ff. 310 Vgl. hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 2.

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Handlung einzig normativ i. S. e. objektivierten Betrachtung festzustellen ist. Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung stellt sie keine variable, von subjektiven Kriterien vorgezeichnete Größe dar. Die Strafbarkeit wird vielmehr einheitlich für die gesamte Rechtsordnung bestimmt.311 Ein Wertungswiderspruch ist hierin jedoch bei genauer Betrachtung nicht auszumachen. In dem oben behandelten Festnahmebeispiel312 wurde deutlich, dass der Befehl des Vorgesetzten an seinen Untergebenen nicht einer dreifachen Wendung von RechtswidrigkeitRechtmäßigkeit-Rechtswidrigkeit zugänglich ist. Die Anweisung bleibt rechtswidrig.313 Das gefundene Ergebnis ergab sich jedoch aus der Tatsache, dass der Befehl von Anfang an durch die objektive Rechtsordnung nicht gebilligt wird, weil er strafrechtswidrig und daher unverbindlich ist. Anders liegt es jedoch bei dem hier zu beurteilenden Fall des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls. Aufgrund der ausdrücklichen Anordnung durch den Gesetzgeber erkennt die Rechtsordnung solche Befehle im Geringfügigkeitsbereich an. Im Wehrrecht entscheidet nicht die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit darüber, ob ein Befehl auszuführen ist, sondern die Verbindlichkeit.314 Der rechtswidrige, verbindliche Befehl erteilt dem Untergebenen eine Rechtspflicht zum Handeln.315 Im Unterschied zum „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff“, der lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Befehlserteilung und der Befehlsausführung betreffen kann, geht es hier um die Wirkung der Verbindlichkeit, das heißt, ob der auszuführende Befehl die Kraft einer rechtfertigenden oder entschuldigenden Wirkung hat. Ein Widerspruch zu den Ausführungen des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ liegt demnach nicht vor. Der rechtswidrige, verbindliche Befehl ist daher grundsätzlich einer rechtfertigenden Wirkung zugänglich. bb) Die in Streit befangenen Rechtsgüter und deren Rechtsträger Bei der Diskussion um eine Rechtfertigung oder Entschuldigung des Untergebenen bei Handeln auf Befehl ist es für eine problemorientierte Lösung wichtig, sich die Rechtsgüter und deren Rechtsträger zu vergegenwärtigen, die durch die 311 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 31, III; Roxin, Strafrecht AT I, § 14, Rn. 31 ff.; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 27 f. m.w. N. 312 Siehe oben im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 2. a). 313 Vgl. die obigen Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 2. e) aa). Siehe auch Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 72. 314 Vgl. statt vieler: Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 33 f. 315 Nach Girginoff, Der bindende Befehl im Strafrecht, S. 28 bedeutet der rechtswidrige, verbindliche Befehl eine Ausnahme-Willensäußerung des Staates, die ihrerseits Normqualität hat. Daher sei jede Handlung rechtmäßig, die auf die Befolgung eines solchen Befehls gerichtet ist. Beruht der Befehl auf einer derartigen Ausnahmenorm, entspreche dies dem ausdrücklich und autoritativ erklärten Staatswillen, der die Rechtswidrigkeit der Handlung ausschließt.

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1. Teil: Das Wehrrecht

Ausführung des Befehls verletzt werden. Bei einem rechtswidrigen, verbindlichen Befehl können das nur Verstöße gegen das Ordnungswidrigkeitenrecht und Rechtsverordnungen, gegen zivilrechtliche Normen, Gewohnheitsrecht und gegen Dienstvorschriften sein. Im Hinblick auf die Rechtsgüter spielt sich der Streit daher insgesamt im „Geringfügigkeitsbereich“ ab. Die dahinterstehenden Rechtsträger sind hierbei u. U. sehr unterschiedlich: Individualinteressen einzelner Bürger werden hier i. d. R. nur bei einem Verstoß gegen zivilrechtliche Normen berührt sein. Eng damit verbunden ist die Frage, ob der Einzelne Notwehr gegenüber dem Untergebenen üben darf. Verneint man dies mit der Rechtfertigungslösung und legt dem Dritten eine Duldungspflicht auf, ist dies im Ergebnis noch hinnehmbar, da es sich hierbei meist um ersetzbare Sachwerte handeln wird, bei denen der Verzicht auf ein Notwehrrecht vertretbar erscheint.316 Sind hingegen wichtige, durch das Strafrecht geschützte Rechtsgüter betroffen, ist die „Erheblichkeitsschwelle“ überschritten. Der Befehl darf in diesem Fall gemäß § 11 II 1 SoldatenG, §§ 5 I WStG, 22 I 1 WStG nicht befolgt werden. Die Frage der Rechtfertigung des Untergebenen stellt sich dann nicht. Um keinen Individualrechtsträger wird es sich gewöhnlich handeln, wenn ein Verstoß gegen das Recht der Ordnungswidrigkeiten, Rechtsverordnungen oder gegen Dienstvorschriften in Rede steht. Handelt es sich beispielsweise um einen Befehl zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder um einen Befehl, eine einschlägige Dienstvorschrift nicht zu beachten, ist es i. d. R. der Staat selbst, der in seinen rechtlichen Interessen unmittelbar betroffen ist und nicht der einzelne Staatsbürger. Daher ist es gesetzessystematisch auch nicht zu beanstanden, dass der Normgeber im Fall der Selbstbetroffenheit die Gehorsamspflicht über die Einhaltung der Rechtsordnung stellt. cc) Differenzierung nach Innen- und Außenrecht Hervorzuheben ist, dass bei einem Überwiegen der Gehorsamspflicht gegenüber der Pflicht zur Beachtung der Rechtsordnung eine scharfe Differenzierung nach Innen- und nach Außenrecht zu erfolgen hat.317 Für die persönliche Verantwortlichkeit des Befehlsempfängers kommt es entscheidend auf die Verbindlichkeit des Befehls – also auf das Innenrechtsverhältnis an. Das Außenrechtsverhältnis gegenüber der Rechtsordnung bleibt hiervon selbstverständlich unbe316 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 20. Er spricht sich deshalb für die Anwendung eines defensiven Notstandsrechts aus. So auch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 35, II, 3; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 86, 88 f. Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 177 legt jedoch überzeugend dar, dass eine solche Sichtweise dem Grundprinzip der Rechtfertigungsgründe widerspricht. Gesteht man nämlich dem Bürger ein (defensives) Notstandsrecht zu, wird der strafrechtliche Grundsatz konterkariert, nachdem die Rechtfertigungsgründe eine abschließende Regelung der Konfliktlage bedeuten und ihr Erfülltsein deshalb eine Duldungspflicht für den Betroffenen begründet. 317 Ausführlich Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 175 ff. m.w. N.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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rührt. Die Verbindlichkeit des Befehls macht die Handlung des Weisungsempfängers nicht rechtmäßig, sondern verlagert die Verantwortlichkeit auf die nächsthöhere Befehlsebene gemäß § 10 V 1 SoldatenG.318 Von einer Verwandlung von Unrecht in Recht kann demzufolge nicht die Rede sein. Die Außenrechtswidrigkeit steht jedoch einer Rechtfertigung des Untergebenen nicht entgegen. Der Wertungswiderspruch von Rechtswidrigkeit und Verbindlichkeit ist de lege lata hinzunehmen, wenn es sich nicht um einen strafrechtswidrigen, sondern lediglich um einen einfach-rechtswidrigen Befehl handelt.319 dd) Das Notwehrrecht des Dritten und die hierdurch gefährdete Disziplin Für eine Entschuldigung und gegen eine Rechtfertigung des Untergebenen spricht das in der Tat gewichtige Argument, dass es gegen rechtmäßiges Handeln keine Notwehr gemäß § 32 StGB gibt. Versagt man aber dem Dritten das Notwehrrecht, ist er es, zu dessen Lasten der Interessenkonflikt ausgetragen wird.320 Für die „Rechtfertigungslösung“ streitet jedoch das gewichtigere Argument, dass nur sie imstande ist, die Disziplin in den Streitkräften aufrechtzuerhalten und auch den berechtigten Belangen des Untergebenen gerecht zu werden. Denn würde man der Ausführung eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls lediglich eine entschuldigende Wirkung zusprechen, hätte dies zur Folge, dass der Untergebene rechtswidrig i. S. d. § 32 StGB handelt. Dies würde bedeuten, dass eine von dem Dritten vorgenommene Notwehrhandlung gegen den Untergebenen bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen gemäß § 32 StGB gerechtfertigt ist. Diese Lösung des Konflikts zu Lasten des Untergebenen hätte dann zur Folge, dass der untergebene Soldat aufgrund der Notwehrmöglichkeit des Dritten einer zusätzlichen persönlichen Gefahr für seine Rechtsgüter ausgesetzt ist.321 Das kann jedoch nicht interessen- und sachgerecht sein. Darüber hinaus ist eine solche Lösungsmöglichkeit mit dem militärischen Prinzip nur schwer zu vereinbaren. Dies soll im Zusammenhang mit dem folgenden Gesichtspunkt verdeutlicht werden:322

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Ambos, JR 1998, 221 (222); Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (224 f.). Vgl. Ambos, JR 1998, 221 (222). 320 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Spendel in LK, § 32, Rn. 74 ff., der eine Lösung des Problems zum Nachteil des Dritten weder „mit dem Deliktssystem im allgemeinen noch mit dem Notwehrrecht im besonderen“ für vereinbar hält. 321 Vgl. die Darstellung bei Spendel in LK, § 32, Rn. 75, 82 m.w. N. 322 Vgl. auch von Ammon, Der bindende rechtswidrige Befehl, S. 122; Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 18 ff.; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 11, 187, der auf das allgemeine Rangverhältnis der Pflichten abstellt. 319

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1. Teil: Das Wehrrecht

Eng verknüpft mit dem soeben angesprochenen Problem der Notwehr gemäß § 32 StGB ist die Frage, ob gegen den Untergebenen rechtmäßig Widerstand i. S. d. § 113 StGB geleistet werden kann. Schließt man sich der sog. „Entschuldigungslösung“ an, so ist ein gegen den Untergebenen geleisteter Widerstand nicht rechtswidrig, weil sich der Untergebene aufgrund der „Entschuldigungslösung“ nicht in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes gemäß § 113 StGB befindet. Der Untergebene wäre daher einem rechtmäßigen Widerstand durch Dritte ausgesetzt. Um ein solches für die Rechtsgüter und Interessen des Soldaten missliches Ergebnis zu vermeiden, könnte dieser leicht dazu geneigt sein, den Gehorsam gegenüber seinem Vorgesetzten zu verweigern. Aufkommende Gehorsamsverweigerung ist jedoch für die Disziplin einer jeden Armee eine besonders ernstzunehmende Gefahr. Denn sie verhindert zum einen eine erfolgreiche Auftragsausführung. Vor allem aber lässt sie den von Vertrauen und Kameradschaft geprägten inneren Zusammenhalt der Truppe ins Wanken geraten. Die Vertreter der „Entschuldigungslösung“ laufen daher erheblich Gefahr, aufgrund der drohenden Widerstandshandlung des Dritten einem undisziplinierten Verhalten des Untergebenen Vorschub zu leisten und damit das militärische Prinzip nachhaltig zu gefährden. Eine solch latent drohende Gefährdung der Disziplin ist jedoch im Vergleich zur Verletzung der Rechtsordnung das größere Übel, zumal es sich hierbei um „geringfügiges“ Unrecht handelt.323 Die h. M. kaschiert diese ungewollte Folge im Zusammenhang mit § 113 StGB und operiert mithilfe eines „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“, wonach der Untergebene plötzlich doch rechtmäßig i. S. d. § 113 StGB, im Übrigen jedoch rechtswidrig handeln soll.324 Dem ist erneut damit zu begegnen, dass der „strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff“ keine hinreichende Grundlage für eine sachgerechte Lösung sein kann. Um der Gefahr disziplinlosen Verhaltens wirksam zu begegnen, erscheint die „Rechtfertigungslösung“ unter diesem Gesichtspunkt vorzugswürdig.

323 Vgl. van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 113 f. mit Hinweis auf Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 805; Oetker, Der Gerichtssaal 1925, 400 (415). 324 So Thiele, JR 1975, 353 (358). Hierzu Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen, S. 95 ff. mit Verweis auf S. 90, wonach die Befehlsausführung „im übrigen rechtswidrig, doch in staatsrechtlicher Beziehung rechtmäßig ist“. Dies hat bei ihm das nicht nachvollziehbare Ergebnis zur Folge, dass der Untergebene der Notwehr durch Dritte ausgesetzt ist, gegen die er sich durch seine Amtsbefugnis wehren kann (a. a. O., S. 98). Eine solche Aufspaltung der Rechtmäßigkeit in „staatsrechtlicher“ und in „sonstiger Beziehung“ vermag jedoch nicht zu überzeugen. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kann ein Verhalten entweder rechtmäßig oder rechtswidrig sein – ein gespaltenes Rechtswidrigkeitsurteil ein und derselben Handlung ist daher nicht anzuerkennen. Daher gibt es auch nicht eine „staatsrechtlich“ rechtmäßige Amtsausübung gegen einen Dritten, der seinerseits bereits rechtmäßig gegen diesen Beamten Notwehr üben kann. Die Rechtsordnung würde sich sonst selbst in Widerspruch setzen.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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ee) Die Pflichtenkollision Für die „Rechtfertigungslösung“ und gegen die „Entschuldigungslösung“ spricht der Gedanke der Pflichtenkollision, in der sich der Untergebene befindet:325 Auf der einen Seite statuiert die Norm des § 11 I 1 und 2 SoldatenG die Pflicht des Soldaten, seinem Vorgesetzten zu gehorchen. Auf der anderen Seite steht die allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, normwidriges Verhalten zu unterlassen.326 Nach einhelliger Meinung stellt die Pflichtenkollision einen Fall dar, der auf der Ebene der Rechtswidrigkeit gelöst wird.327 Dies gilt auch dann, wenn eine Pflichtenkollision im engeren Sinn nicht vorliegt, weil eine Handlungspflicht mit einer Unterlassungspflicht kollidiert.328 Die Meinung, die den Untergebenen entschuldigen möchte, berücksichtigt die hier auftretende Kollision zu wenig, wenn sie den Befehlsunterworfenen lediglich von der persönlichen Vorwerfbarkeit befreit. Denn der Gesetzgeber hat sich de lege lata zugunsten der Autoritätsbindung entschieden, indem er das Interesse am Gehorsam gegenüber dem Interesse an der Unrechtsvermeidung vorgezogen hat, solange nicht schwere Verstöße – etwa in Form von Vergehen und Verbrechen – zu befürchten sind. Die Gründe für eine Autoritätsbindung auch im Fall eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls sind dieselben, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, im Geringfügigkeitsbereich überhaupt die Verbindlichkeit rechtswidriger Befehle anzuerkennen.329 Mit der Anerkennung des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls durch den Gesetzgeber ist es daher nur folgerichtig, wenn im Fall der Ausführung eines solchen verbindlichen Befehls auch die Interessen des gehorsamspflichtigen Untergebenen angemessen berücksichtigt werden.330 Im Hinblick auf die hier auftretende Pflichtenkollision streitet daher für eine Rechtfertigung des Untergebenen der hergebrachte Grundsatz: Das Verhalten ist rechtmäßig, wenn die ranghöhere Pflicht gegenüber der rangniederen Pflicht erfüllt wird.331 325 In diesem Sinn bereits Jansen, Pflichtenkollisionen im Strafrecht, S. 106 ff.: „Dem Staat ist es angenehmer, dass das unverhältnismäßig höhere Gesamtinteresse an der tadelfreien Durchführung der in dem betreffenden Gewaltverhältnis zu erfüllenden Aufgaben im allgemeinen gewahrt bleibt, als dass in einem Ausnahmefall geringwertigere Rechtsgüter verletzt werden.“ Ders., a. a. O., S. 110. 326 Grundlegend hierzu Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 165 ff., 181 ff. 327 Vgl. statt vieler: Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 33, V; Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 115 ff. m.w. N.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 735 f. 328 Zur Kollision einer Handlungspflicht mit einer Unterlassungspflicht vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 115 ff.: „Diese Fälle sind nach § 34 zu behandeln [. . .]“, a. a. O., § 16, Rn. 117. 329 So Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 19; vgl. auch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 35, II, 3. 330 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 19.

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1. Teil: Das Wehrrecht

ff) Gesichtspunkte des Nötigungsnotstands Möglicherweise können für die Frage der Rechtfertigung oder Entschuldigung des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl darüber hinaus Gesichtspunkte des sog. Nötigungsnotstandes fruchtbar gemacht werden. Ein Nötigungsnotstand liegt vor, wenn der Täter zugleich Opfer einer Nötigung ist. Dies bedeutet, dass er durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt mit einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit seiner selbst, eines Angehörigen oder einer ihm nahe stehenden Person zu einer rechtswidrigen Tat genötigt wird und die Notstandshandlung zur Abwehr der Nötigungsgefahr dient.332 Diese Definition macht deutlich, dass der Nötigungsnotstand eine gewisse sachliche und situative Nähe zu der soeben behandelten Pflichtenkollision aufweist. Der Nötigungsnotstand im eigentlichen Sinn betrifft hierbei einen tatsächlichen Zwang, wohingegen bei der Ausführung eines rechtswidrigen verbindlichen Befehls ein rechtlicher Zwang vorliegt und sich motivierend auf das Verhalten des Untergebenen auswirkt.333 Der Besonderheit des Militärrechts entsprechend, ist der Fokus auf einen Vergleich des Nötigungsnotstands mit dem des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls zu richten. Eine Rechtfertigung der Befehlsausführung bei einem Handeln aufgrund eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls setzt jedoch voraus, dass der Nötigungsnotstand überhaupt eine rechtswidrige Tat rechtfertigen kann. Dies ist seit jeher ebenso umstritten, wie es beim rechtswidrigen, verbindlichen Befehl selbst der Fall ist. Auffällig ist auch, dass die Argumente für und gegen eine Rechtfertigung des Genötigten denjenigen ähneln, die bereits bei der Frage der Rechtfertigung oder Entschuldigung des Untergebenen bei der Ausführung eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls behandelt wurden.334 Sollte eine Rechtfertigung des Genötigten möglich sein, kommt es weiterhin darauf an, dass auch die Zwangslage in beiden Situationen vergleichbar ist. Beide Fragestellungen gilt es näher zu beleuchten.

331 Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 8 f.; ders., a. a. O., S. 10: „Soweit die Gehorsamspflicht von höherem Rang ist als allgemeine Rechtspflichten, muss es rechtmäßig sein, jene auf Kosten dieser zu befolgen. Das ,Wunder‘, dass der Befehl des Vorgesetzten Unrecht in Recht verwandeln kann, klärt sich auf: Durch den Befehl wird die Gehorsamspflicht begründet, also die Pflichtenkollision geschaffen, in der nun der höheren Pflicht der Vorzug gegeben werden muss, – und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Gehorsamspflicht hätte ausgelöst werden sollen.“ 332 Vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 443. 333 Grundlegend bereits Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 182 ff. 334 Hierauf macht bereits Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 182 m.w. N. aufmerksam.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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(1) Die „Entschuldigungslösung“ Für eine Entschuldigung des im Nötigungsnotstand Handelnden wird zunächst das Leitbild des entschuldigenden Notstands gemäß § 35 StGB geltend gemacht, wonach die herbeigeführte Motivationslage des Genötigten prototypisch sei: Der Entscheidungsspielraum des Betroffenen werde durch die Drohung des Nötigenden reduziert und die Handlung des Genötigten psychologisch in die gewünschte Richtung gezwängt. Eine Zuordnung zu den Fällen der Güterkollision – wie sie § 34 StGB vor Augen habe – werde der sozialen Typik der Situation des Nötigungsnotstandes nicht gerecht.335 Für eine Entschuldigung soll weiterhin sprechen, dass der Genötigte, wenn auch gezwungenermaßen, auf die Seite des Unrechts trete.336 Der Genötigte werde zu einem Werkzeug des Hintermanns degradiert und für dessen rechtswidrige Ziele eingespannt.337 Wolle die Rechtsordnung nicht auf eine elementare Voraussetzung ihres eigenen Geltungsanspruches verzichten, so könne sie aber ein derartiges Verhalten nicht billigen.338 Korrespondierend mit diesem Aspekt der Rechtsbewährung führen jene Meinungsvertreter das Notwehrrecht des betroffenen Dritten an. Nicht einleuchtend sei, weshalb sich der Dritte gegen den Vorgesetzten, nicht jedoch gegen den Untergebenen verteidigen dürfe.339 Das Vertrauen in die Geltungskraft der Rechtsordnung würde zutiefst erschüttert, wenn dem Angegriffenen Abwehrrechte gegen den Genötigten vollständig versagt blieben.340 335 Neumann, JA 1988, 329 (332); vgl. auch die Darstellung bei Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 183. 336 Eine Rechtfertigung des genötigten Hoheitsträgers gemäß § 34 StGB ist ausgeschlossen, wenn man dem Staat – und damit dem befehlsunterworfenen Untergebenen – eine Berufung auf diese Norm mit der Begründung verwehrt, dass es sich bei § 34 StGB ausschließlich um eine Begrenzungsnorm für den Zugriff staatlicher Strafgewalt handelt, die nicht zu einer Befugnisnorm umgedeutet werden darf. So Amelung, NJW 1977, 833 (834 ff.); ders., NJW 1978, 623 (623 f.) mit der Einschränkung für die Fälle, in denen der Hoheitsträger bei der Ausübung staatlicher Gewalt selbst in Not gerät, weil hier Individual- und nicht öffentlich-rechtliche Interessen im Vordergrund stehen. Vgl. auch die Ausführungen bei Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1881 ff.); Hirsch in LK, § 34, Rn. 6 m.w. N.; ablehnend Lange, NJW 1978, 784 (784 ff.). 337 Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 117. 338 Blei, Strafrecht AT, S. 170; Haft, Strafrecht AT, S. 104; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 117; S/S-Lenckner/Perron, § 34, Rn. 41b m.w. N.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 443; vgl. auch SK-StGB-Günther, § 34, Rn. 48 f., der sich für einen Strafunrechtsausschluss ausspricht. Kritisch hierzu Roxin, FS für Oehler, S. 181 (181 ff.). 339 Vgl. die Ausführungen bei Neumann, JA 1988, 329 (332 f.). 340 Nach Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 443 geht es bei § 34 StGB nicht allein um den Rang der kollidierenden Rechtsgüter, sondern vornehmlich darum, wessen Interessen im Rahmen der Gesamtabwägung schutzwürdiger seien und ob die Tat ein angemessenes Mittel zur Bereinigung des Konflikts ist. Ihrer Ansicht nach erscheint trotz des auf dem Genötigten lastenden Drucks seine Handlung nicht als das rechte

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1. Teil: Das Wehrrecht

(2) Die „Rechtfertigungslösung“ Für eine Rechtfertigung des Genötigten wird zunächst der Wortlaut des § 34 StGB angeführt.341 Dieser selbst stünde einer Rechtfertigung zunächst nicht im Wege und gelte unabhängig von dem Ursprung der Gefahr.342 Weiterhin wird argumentiert, dass das Charakteristikum der Notstandslage gerade in der Kollision widerstreitender Interessen zu sehen sei. Daher sei ein Ausgleich der Interessen sinnvollerweise auch nur auf der Ebene der Rechtswidrigkeit möglich.343 Ferner wird geltend gemacht, dass der Genötigte in gleicher Weise einen Anspruch auf Solidarität habe wie der durch Naturgewalten bedrohte Täter.344 Auch sei aus der Sicht des Genötigten nicht einzusehen, weshalb sich gerade die Rechtsordnung auf seine Kosten bewähren müsse. Schließlich bewähre sich die Rechtsordnung gegenüber dem Angriff des Nötigenden: Er werde unabhängig von der Frage, ob der Genötigte gerechtfertigt oder entschuldigt handelt, wegen Nötigung gemäß § 240 StGB und wegen des in mittelbarer Täterschaft begangenen Delikts bestraft.345 Eine auf die Notstandstat beschränkte Eingriffserlaubnis verwandele somit das verbotswidrige Handeln des Hintermanns weder unter Verhaltens- noch unter Erfolgsaspekten in „Recht“ und führe daher auch nicht zu einem „Selbstwiderspruch“ der Rechtsordnung, die ihre normative Geltung infrage stellt.346 Eine solche „gespaltene“ Rechtswidrigkeitsbeurteilung sei bei der Lösung anderer Rechtsfragen durchaus geläufig und dort auch keinen prinzipiellen Einwänden ausgesetzt. Beim Nötigungsnotstand müsse daher das Gleiche gelten.347 Mittel zum rechten Zweck. Daraus folge, dass das Notwehrrecht des Dritten in eingeschränkter Weise erhalten bleibt und die Tat lediglich entschuldigt ist. 341 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 17, Rn. 81; Jakobs, Strafrecht AT, S. 416; Krey, Jura 1979, 316 (321, Fn. 33), der nach den abwägungsrelevanten Rechtsgütern des Genötigten und des Dritten differenziert. Instruktiv für eine Rechtfertigung siehe Küper, Nötigungsnotstand, S. 47–76. Weitere Nachweise bei Britz/Müller-Dietz, JuS 1998, 237 (242); Kelker, Der Nötigungsnotstand, S. 43. Zum Ganzen vgl. die Darstellung bei Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 184 f. 342 Neumann, JA 1988, 329 (330). 343 „Die Bewertung kollidierender Interessen ist die genuine Aufgabe des Rechtswidrigkeitsurteils“, Neumann, JA 1988, 329 (331). 344 Jakobs, Strafrecht AT, S. 416; Lackner/Kühl, StGB-Kommentar, § 34, Rn. 2; NK-Neumann (1. Auflage), § 34, Rn. 53 ff. 345 Neumann, JA 1988, 329 (334). 346 Küper, Nötigungsnotstand, S. 56 ff.: „Die Rechtsordnung verzichtet deshalb ihm [lies: dem mittelbaren Täter] gegenüber in keiner Hinsicht auf ihren ,Geltungsanspruch‘; dass sie diesen Anspruch, was die Geltung des Verbots betrifft, in Bezug auf die Notstandshandlung zurücknimmt, ist dagegen eine normale Folge der rechtfertigenden Situation, in der – wie bei allen Rechtfertigungsgründen – statt des Verbots die Erlaubnis ,gilt‘.“ 347 Küper, Nötigungsnotstand, S. 58 f. kritisiert die Gegenmeinung als „schlichte, mehr oder weniger anschauliche Phänomenbeschreibung“, wenn diese gegen eine

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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(3) Stellungnahme vor dem Hintergrund geringfügiger Normübertretungen Ebenso wie bei der Frage, ob einem rechtswidrigen, verbindlichen Befehl bereits deshalb eine rechtfertigende Wirkung versagt werden soll, weil andernfalls die Notwehrbefugnisse des Angegriffenen ausgeschlossen sind, wiegt dasselbe Argument auch und insbesondere im Zusammenhang mit dem Nötigungsnotstand schwer. Das Autonomie- und Schutzprinzip des Eingriffsopfers – und damit das Recht, in seinen Rechtsgütern und Interessen nicht verletzt oder beeinträchtigt zu werden – ist in der Tat ein berechtigtes und daher viel zitiertes Argument gegen eine Rechtfertigung der Notstandshandlung. Auf der anderen Seite gilt es jedoch zu bedenken, dass auf Seiten des Genötigten ebenso berechtigte Interessen zur Disposition stehen: Gegen das Autonomie- und Schutzprinzip des Dritten streitet das Solidaritäts- und Autonomieprinzip des Genötigten. Auch er wird in seiner freien Selbstbestimmung durch den rechtswidrigen Angriff des Hintermanns beeinträchtigt. Fraglich ist daher, wie die beschriebene Kollision der Rechtsgüter und Rechtsinteressen aufzulösen ist. Für einen Vergleich der Situation des Nötigungsnotstandes mit der Fallgruppe des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls ist es wichtig hervorzuheben, dass die „abgenötigte Tat“ gemäß § 11 II 1 SoldatenG, §§ 5 I, 22 I 1 WStG niemals ein Vergehen oder Verbrechen, sondern lediglich eine geringfügige Rechtsverletzung sein kann. Mögliche Erscheinungsformen beschränken sich daher auf die Begehung einer zivil- und wehrrechtswidrigen Tat sowie auf die Begehung von Ordnungsunrecht.348 Führt man sich dies noch einmal vor Augen, erscheint ein Verzicht des Notwehrrechts in einem anderen Licht. Außerdem gilt es zu bedenken, dass auch die „Entschuldigungslösung“ gegen einen schuldlos handelnden Angreifer eine Einschränkung der Notwehr aus sozialethischen Gründen vornehmen muss. Somit nähern sich beide Ansichten im Ergebnis ohnehin an.349 Entscheidend dürfte jedoch der Gesichtspunkt sein, die Lösung des Problems anhand der Qualität des Eingriffs- und des Erhaltungsguts festzumachen. Eine solche Betrachtung bietet insbesondere den Vorteil, dem Autonomieprinzip des Genötigten und des Dritten im Einzelfall hinreichend Rechnung zu tragen. Wägt man in diesem Sinne das Eingriffs- und das Erhaltungsgut miteinander ab, ist die Handlung des Genötigten bereits gemäß § 34 StGB gerechtfertigt, Rechtfertigung des Nötigungsnotstands mit dem „stereotypen Hinweis reagiere“, dass der Genötigte „auf die Seite des Unrechts tritt“, „dem Unrecht nachgibt“, „sich dem Willen des hinter ihm stehenden Rechtsbrechers beugt“, „als dessen verlängerter Arm fungiert“ oder „sich zum Werkzeug des Verbrechers macht“. 348 Der Verstoß gegen Rechtsverordnungen und Gewohnheitsrecht dürfte hingegen nur eine untergeordnete Rolle spielen. 349 Vgl. Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 184; Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (225 m.w. N.).

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1. Teil: Das Wehrrecht

wenn das Erhaltungsgut gegenüber dem Eingriffsgut wesentlich überwiegt. Dieser Vorschlag wurde bereits – losgelöst von der Problematik um den rechtswidrigen, verbindlichen Befehl – im Rahmen der Diskussion um die Behandlung des Nötigungsnotstandes und seiner strafrechtlichen Wirkung als Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund gemacht.350 Die hiernach vorzunehmende Differenzierung fällt bei der Konstellation des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls nicht schwer: Verbrechen oder Vergehen kommen gemäß § 11 II 1 SoldatenG, §§ 5 I, 22 I 1 WStG von vornherein nicht in Betracht.351 Auf der Seite des Eingriffsopfers kann es sich daher nur um eine geringfügige Rechtsverletzung handeln. Dies sich zu vergegenwärtigen ist wichtig, wenn man dem Dritten eine Duldungspflicht auferlegt und sein Autonomie- und Schutzprinzip einschränkt. Auf der Seite des „Genötigten“ wirkt hingegen der rechtliche Zwang, im Fall des Ungehorsams gemäß §§ 19 ff. WStG bestraft zu werden. Im schlimmsten Fall droht ihm in Form der Freiheitsstrafe eine erhebliche Einbuße eines höchstpersönlichen Rechtsgutes. Somit erscheint es sachgerecht, wenn man für den Bereich des unterstrafrechtlichen Unrechts von einem „wesentlichen Überwiegen“ i. S. d. § 34 StGB für die betroffenen Rechtsgüter und Interessen und der ihr drohenden Gefahr auf der Seite des Genötigten spricht. Handelt es sich somit um Delikte im Geringfügigkeitsbereich, wonach Verbrechen und Vergehen ausgeklammert sind, fällt die gebotene Differenzierung bei den in Streit befangenen Rechtsgütern zugunsten des Befehlsempfängers aus. Die „abgenötigte Tat“ ist in diesem Fall gerechtfertigt. (4) Situative Vergleichbarkeit des Nötigungsnotstands mit der des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls Nachdem die Frage behandelt wurde, ob der Nötigungsnotstand im Fall einer geringfügigen Rechtsverletzung überhaupt rechtfertigend wirken kann, ist weiter zu prüfen, ob beide Situationen materiell miteinander vergleichbar sind. Ist dies so, wäre der aufgezeigte Vergleich ein weiteres Argument für die Rechtfertigung des Untergebenen bei der Ausführung eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls.

350 Neumann, JA 1988, 329 (334 f.); ähnlich Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 68, der auf die Schwere des Eingriffs beim Opfer und auf die drohende Rechtsgutverletzung des Genötigten im Rahmen einer Gesamtabwägung abstellt. Ders., FS für Oehler, S. 181 (187 ff.). Ein vergleichbarer Ansatz findet sich bei Hirsch in LK, § 34, Rn. 69a, und Krey, Jura 1979, 316 (321). Kritisch hierzu Kelker, Der Nötigungsnotstand, S. 56 ff. 351 Zum strafrechtswidrigen Befehl vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. a) aa).

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Bereits eingangs wurde festgestellt, dass der Nötigungsnotstand in tatsächlicher Hinsicht, der rechtswidrige, verbindliche Befehl in rechtlicher Hinsicht Zwang auf den Genötigten bzw. den Untergebenen ausüben. Aus der Sicht des Genötigten bzw. des Untergebenen spielt dies jedoch für die Motivation zum Handeln nur eine untergeordnete Rolle. Nicht so sehr entscheidend ist es daher, ob der ausgeübte Zwang zur Begehung unterstrafrechtlichen Unrechts tatsächlicher oder rechtlicher Beschaffenheit ist. Wenn der Betroffene etwa vor die Wahl gestellt ist, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen oder die Ausführung zu verweigern, dürfte es sich in diesem Fall kaum auswirken, ob die seelische Zwangslage durch vis compulsiva oder durch einen drohenden Freiheitsentzug hervorgerufen und aufrechterhalten wird. Was den hier zu behandelnden Fall anbelangt, wird man daher auch von einer Vergleichbarkeit der Zwangslagen ausgehen müssen.352 (5) Zwischenergebnis Die Ausführungen haben gezeigt, dass im unterstrafrechtlichen Bereich die Situation des Nötigungsnotstandes in sachlicher und situativer Hinsicht vergleichbar mit der eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls ist. Sprechen die besseren Argumente in der ersten Konstellation für eine Rechtfertigung, gilt dies als ein weiteres Argument auch für den rechtswidrigen, verbindlichen Befehl.353 gg) Das Rechtsbewährungsprinzip Nachdem aufgezeigt wurde, dass in Fällen geringfügiger Normübertretungen das Autonomie- und Schutzprinzip des Dritten nicht eine Rechtfertigung des untergebenen Soldaten auszuschließen vermag, gilt es der Frage nachzugehen, ob das Rechtsbewährungsprinzip einer Rechtfertigung des Befehlsempfängers entgegensteht. Das vornehmlich im Zusammenhang mit der Notwehr auftretende Rechtsbewährungsprinzip bedeutet, dass sich die gesetzliche Ordnung im Ganzen gegen Angriffe behaupten und bewähren muss. Pointiert wird daher immer wieder formuliert, „dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht.“354 Im Zusammenhang mit dem Nötigungsnotstand wurde bereits das Argument belegt, dass sich auch im Fall einer Rechtfertigung des Untergebenen die Rechtsordnung bewährt. Denn die Strafbarkeit des Vorgesetzten wird auf352

Zum Ganzen vgl. Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 182 ff. So auch Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 185 f., der argumentum a maiori ad minus im Fall des gesetzlich angeordneten Handelns eine Rechtfertigung annimmt, wenn schon ein auf tatsächlicher Ebene liegender Zwang nicht erst entschuldigende Wirkung hat. 354 Statt vieler: S/S-Lenckner/Perron, § 32, Rn. 1. 353

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1. Teil: Das Wehrrecht

grund der Relativität der Rechtsverhältnisse und der interpersonell vorzunehmenden Strafbarkeitsprüfung getrennt von der des Untergebenen beurteilt. Selbstverständlich bleibt das Unrecht in Bezug auf den Vorgesetzten erhalten. Gemäß § 10 V 1 SoldatenG „trägt er für seine Befehle die (strafrechtliche) Verantwortung.“ Im Hinblick auf den Untergebenen aber ist eine Kollision mit dem Prinzip der Rechtsbewährung nicht festzustellen. Der Gesetzgeber war es selbst, der mit der Trennung von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit im Wehrrecht eine Ausnahme von einer uneingeschränkten und widerspruchslosen Rechtsordnung geschaffen hat. Der vom Recht gemäß § 11 I 1, 2 SoldatenG geforderte Gehorsam des Soldaten wird bei Ausführung eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls gerade erfüllt. Das Recht bewährt sich also. Etwas anderes ist vor dem Hintergrund der Ungehorsamsvorschriften gemäß §§ 19 ff. WStG nicht plausibel zu machen.355 hh) Der Staatswille und der Wille des Gesetzes Auch verfängt das Argument von den Vertretern der „Entschuldigungslösung“ nicht, dass die Ausführung rechtswidriger, verbindlicher Befehle nicht Wille des Gesetzes und damit Wille des Staates sei.356 Zunächst ist es schon überaus bedenklich, von einem „Willen des Gesetzes“ zu sprechen. Ein solcher Regelungswille lässt sich allenfalls bei der normsetzenden Instanz oder beim Rechtsanwender selbst finden. (Norm-)Texte hingegen haben keinen eigenen Willen.357 Gewichtiger sind jedoch folgende Überlegungen: Die Aufspaltung von Befehlskompetenz und Gehorsamspflicht in zwei rechtlich unterschiedliche Größen überzeugt nicht. Sie vermag insbesondere nicht zu erklären, warum der Gesetzgeber im Fall der Nichtbefolgung rechtswidriger, verbindlicher Befehle den Untergebenen gemäß §§ 19 ff. WStG einer strafrechtlichen Sanktion aussetzt. Gerade dadurch kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass nicht die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit entscheidend ist, sondern die Frage der Verbindlichkeit. In Anbetracht der Ungehorsamsvorschriften gemäß §§ 19 ff. WStG daher davon zu sprechen, dass die Ausführung rechtswidriger, verbindlicher Befehle nicht dem „Willen des Gesetzes“ entspreche, ist unhaltbar.

355 In diesem Sinn auch Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 186: „Es kann schwerlich Un-recht sein, was das Recht anordnet.“ 356 Vgl. Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen, S. 88 ff.; ähnlich auch Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 10 f. 357 In dieser Deutlichkeit Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 717 ff. und § 22, Rn. 797.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Dadurch, dass der Gesetzgeber für die Befolgungspflicht des Untergebenen die Verbindlichkeit für maßgebend erklärt, kann man auch nicht sagen, dass der rechtswidrige Befehl nicht dem Staatswillen entspräche und nur auf einem Ausnutzen der Gehorsamspflicht des Vorgesetzten beruhe.358 Die Möglichkeit des Vorgesetzten, auch rechtswidrige Befehle verbindlich zu erteilen, beruht daher auch nicht auf einer lediglich faktischen Befehlskompetenz, sondern vielmehr auf einem vom Gesetzgeber bewusst getroffenen Gleichklang zwischen Befehlsbefugnis und Gehorsamspflicht. Daher trifft auch das Argument nicht zu, dass die Befehlsausführung eine von der Rechtsordnung unerwünschte Nebenfolge darstelle und auf eine Unvollkommenheit des Gesetzes zurückzuführen sei.359 Es bleibt daher dabei: Der rechtswidrige, verbindliche Befehl entspricht dem Staatswillen.360 Dadurch, dass der Gesetzgeber ausnahmsweise im Fall des verbindlichen Befehls die Gehorsamspflicht über die Einhaltung der objektiven Rechtsordnung stellt, bringt er zum Ausdruck, dass er die militärischen Notwendigkeiten ausnahmsweise höher bewertet als den allgemeinen Rechtsgüterschutz.361 ii) Das „Teilnahmeargument“ Bei der Frage, ob jemand bereits gerechtfertigt oder lediglich entschuldigt handelt, wird im Kernstrafrecht gerne das Argument der Teilnahme verwendet. Danach tendiert man herkömmlicherweise zu einer „Entschuldigungslösung“, weil andernfalls wegen der Akzessorietät der Teilnahme der Anstifter oder Gehilfe strafrechtlich nicht zu erfassen ist, vgl. §§ 26, 27 I StGB. Das „Teilnahmeargument“ vermag bei der Konstellation des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls jedoch nicht zu überzeugen. Zum einen liegt das daran, dass eine Straftat gemäß § 11 II 1 SoldatenG, § 22 I 1 WStG nicht wirksam befohlen werden kann – dieser Befehl ist stets unverbindlich. Ein Bedürfnis für die strafrechtliche Erfassung eines Teilnehmers besteht demnach nicht. Was aber jeder Zeit wirksam befohlen werden kann, ist eine Handlung, die etwa einen Verstoß gegen das Zivilrecht, gegen das Ordnungswidrigkeitenrecht und gegen Dienstvorschriften zur Folge hat. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für den Untergebenen, der den Befehl unmittelbar empfängt, sondern auch für den Soldaten, der ihn bei der Ausführung unterstützt. Auch er könnte jederzeit

358

So aber Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 10 f. In diesem Sinn Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 10 f. 360 So schon Girginoff, Der bindende Befehl im Strafrecht, S. 16. 361 Vgl. Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 20, vgl. auch die aus dem UZwG insoweit übertragbare Argumentation, Begründung zum UZwG, BTDrucksache 3/38, S. 8, 16. 359

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1. Teil: Das Wehrrecht

einen solchen Befehl erhalten, sodass sich ein Bedürfnis zur Strafbarkeit der Teilnahme im Geringfügigkeitsbereich nicht stellt. Etwas anderes könnte für den außenstehenden, zivilen Dritten gelten, der selbst nicht Empfänger von Befehlen ist. Wegen der Akzessorietät der Teilnahme könnte man daran denken, beispielsweise eine Beihilfehandlung des Zivilisten zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit nicht erfassen zu können. Diese Befürchtung wird jedoch durch das Ordnungswidrigkeitenrecht selbst entkräftet, wonach gemäß § 14 OWiG der Einheitstäterbegriff gilt.362 Auch das „Teilnahmeargument“ spricht daher nicht für eine „Entschuldigungslösung“. jj) Die Irrtumsnorm gemäß § 22 WStG Für die „Rechtfertigungslösung“ streitet die Norm über die Verbindlichkeit des Befehls und über den Irrtum hierüber gemäß § 22 WStG. Danach lässt der unverbindliche Befehl gemäß § 22 I 1 WStG die Rechtswidrigkeit des Ungehorsams i. S. d. §§ 19 ff. WStG entfallen. Das Unrecht der Tat ist also ausgeschlossen. Der Untergebene handelt rechtmäßig i. S. d. Ungehorsamsvorschriften. Denn hier verstößt der Befehl derart gegen die Rechtsordnung, dass sie den Ungehorsam hiergegen nicht als rechtswidrig werten kann. Im umgekehrten Fall – wenn also der Befehl verbindlich ist – indiziert dies die Rechtswidrigkeit des Ungehorsams nach den §§ 19 ff. WStG. Aus dem Gesetzeswortlaut folgt somit zunächst, dass das Element der Verbindlichkeit Ausdruck und Bestandteil der Rechtsordnung ist. Ferner folgt daraus, dass das Merkmal der Verbindlichkeit Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit einer Handlung haben kann, § 22 I 1 WStG. Um die von § 22 I 1 WStG ausgehende Wertung zu abstrahieren, ist es notwendig, sich den „normalen“ Verlauf der Dinge zu vergegenwärtigen. Dies ist der Gehorsam und die Befehlsausführung, nicht der Ungehorsam und die Befehlsverweigerung. Daher ist der von § 22 I 1 WStG umgekehrte Fall zu bilden: Der Untergebene führt einen verbindlichen Befehl aus. Verallgemeinert man den soeben dargestellten Rechtsgedanken, dann ergibt sich, dass bei Verbindlichkeit des Befehls eine von Gesetzes wegen erwünschte Folge eintreten soll: nämlich die Befehlsausführung. Ein unerwünschter und nicht gewollter Verstoß gegen die Rechtsordnung ist somit nicht festzustellen. Aus diesen Überlegungen ist dann aber auch zu folgern, dass diese Grundsätze nicht nur auf die Ungehorsamsvorschriften gemäß §§ 19 ff. WStG beschränkt anzuwenden sind. Sie müssen daher auch für die übrigen Fälle gelten. Würde man den Untergebenen nur bei einem unverbindlichen Befehl im Hin-

362 Hierzu Rengier in KK-OWiG, § 14, Rn. 1 ff.; Schwacke, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 43 f.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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blick auf die Ungehorsamsvorschriften rechtfertigen, bei der Ausführung eines verbindlichen Befehls sonst aber nur entschuldigen, widerspräche dies dem Rechtsgedanken von der Einheit der Rechtsordnung – sie wäre in diesem Teilbereich nicht konsequent und widerspruchsfrei. Wenn also der Untergebene bei einem unverbindlichen Befehl in seinem Ungehorsam gerechtfertigt ist, dann gilt argumentum e contrario, dass er bei einem verbindlichen Befehl und Gehorsam auch gerechtfertigt handelt. kk) Die Autoritätsbindung des Untergebenen an seinen Vorgesetzten Noch nicht erschöpfend wurde die Frage behandelt, inwieweit sich eine Bindung an Autoritäten möglicherweise auf den Unrechts- oder Schuldgehalt der Tat auswirkt, dies also eine Frage von Rechtfertigungs- oder von Entschuldigungsgründen sein kann. Nun ließe sich einwenden, dass der noch zu besprechende § 5 I WStG diesen Aspekt bereits abschließend auf der Ebene der Schuld behandelt, eine Diskussion des Problems an dieser Stelle somit überflüssig ist. Richtig ist an diesem Argument, dass § 5 I WStG einen Schuldausschließungsgrund für Handeln auf Befehl bereithält und damit mittelbar auch eine Zuordnung des Problems der Autoritätsbindung innerhalb hierarchischer Weisungsstrukturen vornimmt. § 5 I WStG setzt jedoch tatbestandlich voraus, dass überhaupt eine rechtswidrige und schuldhafte Tat auf Befehl begangen wird. Ist die Rechtswidrigkeit oder Schuld des Befehlsempfängers bereits aus anderen Gründen ausgeschlossen, kommt es bei der Fallgruppe des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls im Deliktsaufbau auf § 5 I WStG nicht mehr an.363 Auch ist die Tatsache, dass § 5 I WStG mittelbar eine Aussage über autoritäre Machtstrukturen trifft, kein zwingendes Argument dafür, dass ein solcher besonderer Umstand im Strafrecht nicht auch an anderer Stelle normativ Berücksichtigung finden kann. Daher ist der Frage nachzugehen, ob sich emotional-psychische Abhängigkeitsstrukturen innerhalb hierarchischer Machtverhältnisse als ein zu berücksichtigender Aspekt der Rechtfertigung oder der Entschuldigung ergeben. Aufgrund der Vielfalt und Unterschiedlichkeit denkbarer Fallkonstellationen ist es schwierig, eine einheitliche Aussage über das Problem und die reale Beschaffenheit der Autoritätsbindung innerhalb hierarchischer Weisungsstrukturen zu treffen. Die Autoritätsbindung zwischen dem Vorgesetzten und dem Untergebenen kann mannigfach ausgestaltet und von den Beteiligten unterschiedlich empfunden werden. Beide Aspekte sind daher insbesondere von der Lage des Einzelfalls abhängig. Das geschriebene Recht kennt weder auf Rechtfertigungsnoch auf Schuldebene einen eigenständigen, ausschließlich diesen Teilaspekt 363

So bereits Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 2, 8.

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1. Teil: Das Wehrrecht

betreffenden Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund „Autoritätsbindung“. Für die zu behandelnde Frage, ob der verbindliche Befehl rechtfertigend oder entschuldigend wirkt, geht es demnach darum, Tendenzen und dogmatische Grundstrukturen innerhalb des Strafrechtsaufbaus herauszuarbeiten, welche dem vertikalen Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis am besten entsprechen, um so ein weiteres Argument für die eine oder andere Lösung zu gewinnen. Fraglich ist, ob sich die im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägte Autoritätsbindung des Untergebenen an seinen Vorgesetzten eher als ein Aspekt der Rechtfertigung oder der Entschuldigung der Tat begreifen lässt. Anders gefragt: Darf eine psychisch-emotionale Abhängigkeitskomponente innerhalb autoritärer Hierarchiestrukturen bereits auf der Ebene der Rechtfertigung oder Entschuldigung Berücksichtigung finden, oder stellt dies möglicherweise einen Aspekt dar, welcher allenfalls bei der Strafmilderung bzw. Strafzumessung relevant wird? Für eine systemgerechte Beurteilung ist es erforderlich, dass man sich die Funktionen beider Elemente im Strafrechtsaufbau noch einmal kurz vergegenwärtigt: Rechtswidrig ist ein Verhalten, das mit einem Gebot oder Verbot des Rechts nicht im Einklang steht.364 Das tatbestandsmäßige Verhalten wird auf dieser besonderen Wertungsstufe an der Gesamtrechtsordnung gemessen und so einer zusätzlichen Kontrolle unterzogen.365 Die Schuld betrifft hingegen verkürzt gesagt die Frage, ob dem Täter die rechtswidrige Tat auch persönlich vorzuwerfen ist.366 Voraussetzung für das Schuld- und Verantwortungsprinzip ist indes die Fähigkeit und Möglichkeit des Menschen, sich frei und richtig zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden. „Gegenstand des Schuldvorwurfs ist die in der rechtswidrigen Tat zum Ausdruck kommende fehlerhafte Einstellung des Täters zu den Verhaltensanforderungen der Rechtsordnung.“367 Bereits diese knappen Ausführungen machen deutlich, dass die von Rechts wegen erzwungene Gehorsamspflicht und die hierauf beruhende Normübertretung nicht ein Gesichtspunkt der Schuld sein kann. Eine rechtlich tadelnswerte Gesinnung ist in diesen Fällen nicht feststellbar. Dem Untergebenen kann kein persönlicher Vorwurf dafür gemacht werden, dass er seinen strafbewehrten Pflichten nachkommt, die das Gesetz ja gerade von ihm fordert. Betrachtet man die aufgeworfene Fragestellung unter dem Aspekt einer psychisch-emotionalen Bindung in Befehlsstrukturen, muss man folgerichtig feststellen, dass in diesem Fall der Untergebene die rechtliche Erwartung an ihn vielmehr erfüllt. Die für das militärische Prinzip konstituierende Gehorsamsverwirklichung realisiert sich dadurch, dass sich der Einzelne in die Befehlsstrukturen einfügt und die über 364 365 366 367

Statt vieler: Allfeld, Lehrbuch des Strafrechts, S. 120. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 270. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 394. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 400.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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ihm stehenden Autoritäten anerkennt und bejaht. Sein von § 11 I 1 und 2 SoldatenG gefordertes Handeln, das bei einem Verstoß gegen die soldatische Gehorsamspflicht sogar nach den §§ 19 ff. WStG mit Strafe belegt ist, ist der Wille des Rechts und nicht eine fehlerhafte Einstellung gegenüber der Rechtsordnung. Neben den bereits genannten Argumenten ist vom Stanpunkt des geltenden Rechts hervorzuheben, dass die auf Gesetz beruhende Autoritätsbindung gemäß § 11 I 1, 2 SoldatenG es bedenklich anmuten lässt, diese im gleichen Atemzug als „rechtswidrig“ zu bezeichnen. Das, was von Rechts wegen unter Androhung von Strafe gefordert wird, kann nicht zugleich rechtswidrig sein.368 Das Gesetz statuiert in § 11 I 1, 2 SoldatenG vielmehr eine Gehorsamspflicht. Autoritätsbindung und Gehorsamspflicht sind demnach eine untrennbare Einheit – sie sind zwei Seiten einer Medaille. Ein anderes Ergebnis wäre ein rechtsdogmatisch unauflösbarer und für den Betroffenen darüber hinaus ein unzumutbarer Widerspruch. Die Ausführungen legen den Schluss nahe, dass die dem Recht entsprechende Einstellung des Untergebenen und die hiermit verbundene enge Anlehnung an den Vorgesetzten nicht eine Frage ist, die ausschließlich auf der Ebene der Schuld zu behandeln ist. Die Autoritätsbindung des Untergebenen streitet vielmehr dafür, auch den rechtswidrigen, verbindlichen Befehl bereits auf der Ebene der Rechtswidrigkeit ausreichend zu berücksichtigen. ll) Ergebnis Das herauszustellende Ergebnis kann einer zusätzlichen Kontrolle dadurch unterzogen werden, dass man es mit dem persönlichen Rechtsempfinden vergleicht, welches man zu Beginn der Arbeit in noch unvoreingenommener Weise hatte. Schon nach dem subjektiven Rechtsgefühl neigte man dazu, dem Untergebenen aus der Befolgung seiner Pflicht keine rechtlichen Nachteile erwachsen zu lassen. Wenngleich das „Gerechtigkeitsempfinden“ wenig justitiabel ist und für eine Lösung rechtlicher Probleme immer nur Indiz sein kann369, so widerstrebt es eben diesem Gefühl, dem gehorchenden, seine Pflicht erfüllenden Soldaten hieraus einen strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsvorwurf zu machen.370 368

Vgl. Vitt, NZWehrr 1994, 45 (48, Fn. 17). Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 169: „Weder das Rechtsgefühl, noch das Vorverständnis des Richters, noch allgemeine ,vernunftrechtliche Erwägungen‘ sind ein sicherer Wegweiser, der den ,Umweg‘ über das recht verstandene Gesetz unnötig machen könnte.“ Dem ist zuzustimmen, wenngleich eben diesem stetig wachenden „Gerechtigkeitsgefühl“ eine fortwährende Kontrolle und damit eine unentbehrliche Funktion bei der Rechtsfindung zukommt. 370 In die gleiche Richtung Ambos, JR 1998, 221 (222). Vgl. auch schon die Ausführungen bei Girginoff, Der bindende Befehl im Strafrecht, S. 105 f.: „Der Ausfüh369

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1. Teil: Das Wehrrecht

Nach Maßgabe einer juristischen Betrachtungsweise ist jedoch stets ein normativer Beurteilungsmaßstab entscheidend. Im vorliegenden Fall ist dies kein Widerspruch, da Rechtsgefühl und Rechtsfindung einander entsprechen und sich wechselseitig bestätigen. Dies führt zu folgendem Ergebnis: Die Ausführungen haben deutlich gemacht, dass für die Frage der Rechtfertigung oder Entschuldigung des Befehlsempfängers die besseren Argumente letztlich für einen Unrechtsausschluss streiten. Daher ist der „Rechtfertigungslösung“ zu folgen. Die Darstellungen haben gezeigt, dass die Sanktionslosigkeit der Ausführung eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls rechtsdogmatisch bereits auf Rechtfertigungsebene fundiert zu begründen ist. Nur sie vermag es, dem Untergebenen für die auszuführenden Befehle hinreichend Handlungssicherheit zu geben, indem sie ihn nicht einer Notwehrhandlung durch Dritte aussetzt. Aus der Warte des Befehlsgebers gewährleistet sie korrespondierend hierzu bestmöglich die Disziplin in der Truppe. Liegt ein verbindlicher Befehl vor, der damit eine strafbewehrte Gehorsamspflicht des Untergebenen auslöst, muss dieser auch auf Seiten des Untergebenen angemessen berücksichtigt werden. Ein durch das Recht gebotenes Verhalten ist daher rechtmäßig.371 Die hieraus folgende Normübertretung ist das Ergebnis der schon mancherorts erwähnten Pflichtenkollision.372 Durch die Entscheidung des Gesetzgebers kann diese somit nur lauten: Der rechtswidrige, verbindliche Befehl ist Rechtfertigungsgrund. Er ist nicht Widerspruch gegen das Recht. Im Hinblick auf § 113 III StGB bedeutet dies, dass der Untergebene durch den verbindlichen Befehl gerechtfertigt handelt. Damit befindet er sich in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes. Widerstand gegen ihn ist tatbestandsmäßiges Handeln i. S. d. § 113 I StGB.373 4. Der rechtswidrige, unverbindliche Befehl Eine weitere Kategorie der Befehlslehre ist der rechtswidrige, unverbindliche Befehl. Auch hier ist nach der oben genannten Differenzierung zwischen Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit des Befehls zu unterscheiden. So wundert es nicht, dass es Befehle gibt, welche nicht befolgt werden dürfen, wohingegen andere nicht befolgt zu werden brauchen.

rende handelt auf Grund seiner Rechtspflicht und darum ist diese seine Handlung eine rechtlich gebotene. Ist es einmal so, dann kann von irgend etwas ,Rechtswidrigem‘ oder ,Strafbarem‘ auf Seiten desselben keine Rede sein, denn die auf Befolgung des Befehls gerichtete Handlung des dazu Verpflichteten ist in ihrer Totalität rechtmäßig.“ 371 Vgl. Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 177, 181. 372 Vgl. etwa die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. c) ee). 373 So schon von Ammon, Der bindende rechtswidrige Befehl, S. 130.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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a) Befehle, die nicht befolgt werden dürfen Nach der gesetzlichen Ausgestaltung gibt es im Wehrrecht Befehle, die nicht befolgt werden dürfen. Sie begründen für den Untergebenen eine Rechtspflicht zum Ungehorsam. Hierzu zählen der strafrechtswidrige und der völkerrechtswidrige Befehl. Eine Besonderheit der Befehlslehre stellt der sog. „gefährliche Befehl“ dar. Die nachfolgenden Betrachtungen wenden sich diesen Unverbindlichkeitsgründen zu. aa) Der strafrechtswidrige Befehl Zunächst seien einmal die Befehle gemäß § 11 II 1 SoldatenG genannt, deren Ausführung eine Straftat des nationalen Rechts – also ein Verbrechen oder Vergehen i. S. d. § 3 I WStG, § 12 I, II StGB – zur Folge hätte.374 Diese darf der untergebene Soldat unter keinen Umständen ausführen. § 11 II 1 SoldatenG verbietet die Befolgung des strafrechtswidrigen Befehls und ordnet seine Unverbindlichkeit an.375 Als strafrechtliche Konsequenz folgt aus § 22 I 1 WStG, dass der Untergebene nicht rechtswidrig handelt, wenn er den Gehorsam wegen Unverbindlichkeit des Befehls verweigert. Die Fallgruppe des strafrechtswidrigen Befehls ist relativ unproblematisch. Nicht so einfach und umstritten ist hingegen die rechtliche Behandlung des sog. „gefährlichen“ Befehls. bb) Der sog. „gefährliche“ Befehl (1) Einleitung Wie soeben beschrieben, darf der Befehl nach § 11 II 1 SoldatenG nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Dabei bereiten solche Befehle wenig Schwierigkeiten, bei denen das befohlene Verhalten ein schlichtes Tätigkeitsdelikt zur Folge hat oder ein vorsätzliches Erfolgsdelikt betrifft, bei dem bereits die auf den Erfolg zielende Handlung als Versuch strafbar

374 Nach h. M. kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, dass die Ausführung eines strafrechtswidrigen Befehls schuldhaft begangen wird. Auch ein Irrtum des Untergebenen ist unschädlich. Ausreichend ist vielmehr, dass der Soldat rechtswidrig handelt. Beide Gesichtspunkte betreffen ein rein subjektives Merkmal, das die objektive Verbindlichkeit nicht berührt. Führt man sich den Stellenwert des Schutzes der objektiven Rechtsordnung vor Augen, erscheint es leicht nachvollziehbar, dass eine schuldhafte Begehung der Tat nicht Voraussetzung sein kann; vgl. Huth, Die Gegenvorstellung, S. 48. 375 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 23 f.; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 179 ff. Hervorzuheben ist hier vor allem das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges gemäß Art. 26 I GG i.V. m. §§ 80, 80a StGB. Ein solcher Befehl ist nach §§ 10 IV, 11 II 1 SoldatenG rechtswidrig und unverbindlich.

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1. Teil: Das Wehrrecht

ist, vgl. § 3 I WStG, §§ 23 I, 12 I, II, StGB.376 Diese Befehle sind unverbindlich und dürfen nicht ausgeführt werden. Dies gilt jedoch nicht für die Befehle, welche lediglich rechtswidrig, aber verbindlich sind, weil sie nur einen Verstoß gegen Dienstvorschriften, Rechtsverordnungen, zivilrechtliche Rechtssätze, Gewohnheitsrecht oder eine Ordnungswidrigkeit zur Folge haben. Solche Befehle müssen aus den oben genannten Gründen ausgeführt werden.377 Schwieriger ist die Rechtslage bei den in der Praxis äußerst relevanten fahrlässigen Erfolgsdelikten zu beurteilen. Die rechtliche Würdigung ist im Hinblick auf das Problem des sog. „gefährlichen“ Befehls nach wie vor umstritten und noch nicht endgültig geklärt.378 Der Gesetzgeber selbst hat das Problem des „gefährlichen“ Befehls nicht gelöst. Auch ein Vergleich mit der früher geltenden Norm des § 47 MStGB verspricht keinen Erfolg. Dort ergab sich eine solche Zweifelsfrage nicht. Die Verbindlichkeit des Befehls entfiel nach alter Fassung gemäß § 47 I 2 Nr. 2 MStGB nur dann, wenn der Vorgesetzte durch die Erteilung des Befehls ein Verbrechen bezweckt – also nicht schon, wenn lediglich die Gefahr besteht, dass sich der Untergebene durch die Ausführung des Befehls einer mindestens fahrlässig begangenen Straftat schuldig macht.379 Ansätze zur Lösung des Problems lassen sich daher bislang lediglich in der hierzu einschlägigen Literatur finden. Die damit verbundene Meinungsvielfalt liegt zu einem erheblichen Teil daran, dass die Rechtsprechung zur Lösung des „gefährlichen“ Befehls noch nicht abschließend Stellung genommen hat.380 Aber auch die etwas in Vergessenheit geratene Diskussion in der straf- und wehrrechtlichen Literatur trägt dazu bei, dass die Fragen um den „gefährlichen“ Befehl nach wie vor klärungsbedürftig sind.

376 Hierauf und auf die umstrittene Behandlung des sog. „gefährlichen“ Befehls weist Vitt, NZWehrr 1994, 45 (45 f. m.w. N.) in aller Klarheit hin. 377 Vgl. im Einzelnen die Darstellung im ersten Teil, drittes Kapitel, A. III. und B. III. 3. 378 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (45 f.). 379 Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/4 f. 380 Die Konstellation des „gefährlichen“ Befehls wurde bislang in zwei Fällen relevant, in denen jedoch eine abschließende Stellungnahme der Rechtsprechung ausblieb. Die Strafbarkeit des Untergebenen wurde mit dem Hinweis auf eine jedenfalls fehlende Schuld gemäß § 5 I WStG verneint und deshalb die Frage der Verbindlichkeit des Befehls offen gelassen. Vgl. die Ausführungen bei BGHSt 19, 231 (232) = NJW 1964, 933 (934); NZWehrr 1964, 125 (128), nach dem „Zweifel möglich seien, ob die Verbindlichkeit des Befehls auch dann entfällt, wenn sich der Befehlsempfänger durch die Ausführung der befohlenen Handlung mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit eines rechtswidrigen Vergehens schuldig machen würde.“ Siehe auch SchlHOLG vom 11.11.1965, abgedruckt bei Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/1 ff.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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(2) Der Begriff des „gefährlichen“ Befehls Der „gefährliche“ Befehl nimmt im Wehrrecht eine besondere Stellung ein. Die Kontroverse beginnt bereits bei der Frage, ob es eine allgemeine Definition des sog. „gefährlichen“ Befehls gibt. Teilweise ist zu lesen, dass sich Rechtsprechung und Literatur hierüber einig seien.381 Andere verweisen darauf, dass der Begriff in dieser Deutlichkeit gerade nicht unumstritten sei.382 So wird der Begriff in der Literatur in diesem Zusammenhang teilweise als nicht brauchbar383 und irreführend384 bezeichnet oder noch nicht einmal erwähnt.385 Kein Streit besteht jedoch darüber, dass sich die Gefährlichkeit des Befehls nicht auf den Befehl selbst, sondern nur auf die Ausführungshandlung des Untergebenen bezieht. Der Befehl als solcher ist daher niemals gefährlich.386 Insoweit ist die Begrifflichkeit des „gefährlichen“ Befehls in der Tat missverständlich gewählt und trägt daher nur wenig zur Erhellung des Problems bei.387 Der Sache nach liegt ein sog. „gefährlicher“ Befehl dann vor, wenn der Untergebene durch oder bei der Ausführung eines rechtswidrigen Befehls mit großer Wahrscheinlichkeit eine mindestens fahrlässig begangene Straftat begeht.388 Es handelt sich also um die Fälle, in denen das Handeln des Untergebenen aufgrund einer rechtswidrigen Anordnung mit dem Risiko eines Fahrlässigkeitsdelikts verbunden ist. Der „gefährliche“ Befehl setzt damit voraus, dass der Ausführung des Befehls mindestens ein Sorgfaltsverstoß zugrunde liegt. Daraus folgt, dass folgende Fallkonstellationen bei diesem Themenkomplex ausscheiden:389 Nicht erfasst von dieser Fallgruppe sind die Befehle, bei denen es schon an einer zurechenbaren Pflichtverletzung des Untergebenen fehlt. Hierher gehören die Fälle

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Huth, Die Gegenvorstellung, S. 111; ders., NZWehrr 1988, 252 (252). Peterson, NZWehrr 1989, 239 (239). 383 Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/6. 384 Dau, NZWehrr 1986, 198 (201). 385 Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 140; Peterson, NZWehrr 1989, 239 (239 m.w. N.). 386 So zu Recht Peterson, NZWehrr 1989, 239 (239). Er spricht sich dafür aus, als plakativen Begriff stattdessen „Die risiko- und gefahrenbehaftete Befehlsausführung“ zu wählen. 387 Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 140. Vgl. auch Dau, NZWehrr 1986, 198 (201); Peterson, NZWehrr 1989, 239 (239); Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/6. 388 Vgl. Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/6; Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 140; Lingens/Marignoni, S. 66; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 89; BGHSt 19, 231 (232) = NJW 1964, 933 (934); NZWehrr 1964, 125 (128); SchlHOLG vom 11.11.1965, abgedruckt bei Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/1. 389 Hierzu und zum Folgenden vgl. die Ausführungen bei Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 140 f.; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 90. 382

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1. Teil: Das Wehrrecht

des sog. erlaubten Risikos, bei denen die objektive Zurechnung entfällt.390 Ebenso scheiden die Fälle aus, bei denen der Handelnde aufgrund von Sondervorschriften391 gerechtfertigt ist. Auch können die Konstellationen, bei denen das Verhalten des Untergebenen an sich schon einen Straftatbestand verwirklicht, nicht unter den „gefährlichen“ Befehl subsumiert werden.392 Ein solcher Befehl könnte schon nach § 11 II 1 SoldatenG, § 22 I 1 WStG die Befehlsausführung nicht verbindlich begründen.393 Diese nicht erfassten Fälle sind daher streng von dem hier in Rede stehenden „gefährlichen“ Befehl zu unterscheiden. (3) Das Problem der Verbindlichkeit des „gefährlichen“ Befehls Der „gefährliche“ Befehl ist rechtswidrig, da er den gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung von Befehlen gemäß § 10 IV SoldatenG widerspricht. Meist wird es sich hierbei um einen Verstoß gegen solche Normen handeln, die der Sicherheit der Soldaten und der Zivilbevölkerung im weitesten Sinne dienen. Denkbar ist etwa ein Zuwiderhandeln gegen solche Vorschriften, welche für die Sicherheit des Straßenverkehrs bestimmt sind (StVO, StVZO). Vorstellbar ist aber auch ein Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften im Umgang mit Gerät und Material nach den einschlägigen ZDv und TDv.394 Umstritten und problematisch bei der Behandlung des „gefährlichen“ Befehls ist die Frage, nach welchen Kriterien die Verbindlichkeit vorzunehmen ist. Entscheidend ist dies vor allem dann, wenn der Befehl von dem Untergebenen nicht ausgeführt wurde, weil er seiner Einschätzung nach eine Straftat zur Folge hätte.395 Zur Veranschaulichung des Problems soll hier folgendes, sich tatsächlich zugetragenes Beispiel in etwas abgewandelter Form dienen:396 390

Siehe etwa Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 673 ff., 184. Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 140 nennt hierzu die Sondervorschrift des § 35 StVO, wonach der Bundeswehr Sonderrechte eingeräumt sind und sie von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit ist, soweit dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. 392 Z. B. der Befehl des Vorgesetzten an einen Untergebenen, einen missliebigen Rekruten zu misshandeln. Die Befehlsausführung durch den Untergebenen wäre gemäß § 3 I WStG i.V. m. §§ 223 ff. StGB strafrechtswidrig. 393 Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 141. 394 Vgl. Lingens/Marignoni, S. 66; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 90. 395 Kommt es zur Befehlsausführung und tritt der tatbestandliche Erfolg ein, hängt die Strafbarkeit des Untergebenen von § 5 WStG ab. Bleibt der tatbestandliche Erfolg hingegen aus, ist der Untergebene selbst dann straffrei, wenn er den Erfolgseintritt für möglich hält. Den Versuch einer Fahrlässigkeitstat kennt das deutsche Strafrecht nicht, vgl. §§ 12, 15, 23 I StGB. 396 Nach Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 39, 74, der diesen Fall dem sog. Iller-Unglück vom 03.06.1957 nachgebildet hat. Dort ertranken bei der Überquerung der 40 bis 60 Meter breiten Iller bei Hirschdorf im Allgäu 15 wehrpflichtige Soldaten des Luftlandejägerbataillons 19. Siehe hierzu auch die Anm. von Schreiber, Zeitschrift für Europäische Wehrkunde 1957, 587 (587). 391

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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(4) Beispiel: Die lebensgefährliche Flussüberquerung Im Rahmen einer Übung erhält der Gruppenführer von seinem Kompaniechef den Befehl, seine Gruppe unter Einschluss der persönlichen Ausrüstung durch einen reißenden Fluss an die andere Uferseite zu verlegen. Der Gruppenführer erkennt, dass eine Überquerung des Gewässers an dieser Stelle äußerst gefährlich ist und macht den Kompaniechef auf seine Bedenken aufmerksam. Dieser besteht jedoch auf Befehlsdurchführung, zu der es jedoch wegen der Weigerung des Gruppenführers nicht mehr kommt. (5) Die Lösungstheorien Kommt es zur Befehlsausführung, steht somit das Ergebnis der Handlung fest. Der strafrechtlich missbilligte Erfolg ist entweder eingetreten oder ausgeblieben, so dass die rechtliche Beurteilung nicht allzu schwer fällt.397 In der Literatur wird der ausgeführte Befehl zur Durchquerung des Flusses unter diesen Umständen398 einhellig für unverbindlich gehalten.399 Schwierigkeiten bereitet nach wie vor der zu beurteilende Fall, bei dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Soldaten und somit die Gefahr einer fahrlässigen Straftat besteht, der Eintritt des Erfolges aber nicht feststeht, weil der Untergebene die Ausführung des Befehls verweigert.400 Zur Lösung des Problems werden zwei Meinungen vertreten: (a) Die sog. „Feststellungslösung“ Die sog. „Feststellungslösung“ stellt entscheidend darauf ab, ob der strafrechtlich missbilligte Erfolg eingetreten oder unterblieben ist.401 Hierbei wird eine ex-post-Betrachtung angestellt. Bleibt der strafrechtlich missbilligte Erfolg aus, ist der Befehl verbindlich.402 Eine Bestrafung wegen eines Vergehens ist nicht möglich, da der strafrechtlich sanktionierte Erfolg nicht eingetreten ist. 397

Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 75. Anders kann es hingegen aussehen, wenn es sich nicht um eine Übung in Friedenszeiten handelt, sondern um einen tatsächlichen Kampfeinsatz der Soldaten. 399 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 80, der die Unverbindlichkeit aus einem Verstoß gegen die Menschenwürde ableitet; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 83, „unverhältnismäßig schwerer Eingriff“; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 74 ff. 400 Vgl. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 75. 401 So Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/9; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 39 (anders noch in der 2. Auflage, Schölz, WStG-Kommentar, § 2, Rn. 26); Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 89 f. 402 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 76 mit Hinweis auf Kohlhaas/ Schwenck, § 5, Anm. 2/9: „Ein gefährlicher Befehl, der nicht zu einem tatbestandsmäßigen Handeln führt, wo also die ,Gefahr‘ nicht eingetreten ist, bleibt ein verbindlicher Befehl.“ 398

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1. Teil: Das Wehrrecht

Dies gilt selbst dann, wenn der Befehlsempfänger den Eintritt des Erfolges für möglich hält, weil es den Versuch einer Fahrlässigkeitstat nach deutschem Recht nicht gibt.403 Ist der Erfolg dagegen tatsächlich eingetreten, verneinen die Vertreter der „Feststellungslösung“ die Verbindlichkeit des Befehls. Hierbei ist es gleichgültig, ob der Befehlsempfänger mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts rechnete oder nicht. Seine Strafbarkeit hängt dann von den weiteren Voraussetzungen des § 5 WStG ab.404 Die Verbindlichkeit des Befehls hängt somit entscheidend von dem Ausbleiben des strafrechtlich sanktionierten Erfolges ab. Konnte der tatbestandliche Erfolg deshalb nicht eintreten, weil der untergebene Soldat den Gehorsam verweigert hat, so bedient sich die „Feststellungslösung“ einer nachträglich vorzunehmenden Gefahrenprognose. Hierbei hat das später zu urteilende Gericht anhand einer objektiven ex-post-Betrachtung festzustellen, ob der strafrechtlich sanktionierte Erfolg überwiegend wahrscheinlich oder eher unwahrscheinlich war.405 Diese objektiv nachträgliche Prognose ist entsprechend der Regelung des § 2 Nr. 3 WStG vorzunehmen. Kommt das berufene Gericht zu der Überzeugung, dass der Erfolg eher unwahrscheinlich war, dann war auch der Befehl verbindlich. Der Untergebene macht sich dann nach Maßgabe der Ungehorsamsdelikte strafbar. Irrt sich der Untergebene über die Prognose eines späteren Erfolgseintritts, richtet sich seine Strafbarkeit nach den Vorschriften über den Irrtum der Verbindlichkeit des Befehls nach § 22 WStG i.V. m. §§ 19 ff. WStG.406 Für den zu beurteilenden Fall bedeutet dies: Die Weigerung des Gruppenführers führte dazu, dass der Befehl nicht ausgeführt wurde. Die „Feststellungslösung“ muss für die Frage der Verbindlichkeit des Befehls und damit für die Frage der Strafbarkeit wegen Ungehorsams auf die oben beschriebene nachträgliche Wahrscheinlichkeitsprognose zurückgreifen. (b) Die sog. „Prognoselösung“ Eine zweite Meinungsgruppe vertritt die sog. „Prognoselösung“.407 Diese stellt für die Frage der Verbindlichkeit des Befehls ausschließlich nach einem 403 Vgl. §§ 12, 15, 23 I StGB. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 76 mit Verweis auf § 22 I 2 WStG; siehe auch statt vieler: Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 659. 404 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 76 f. 405 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 112; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 89 f. 406 Huth, NZWehrr 1988, 252 (253). 407 Dau, NZWehrr 1986, 198 (201 f.) lässt die Streitfrage zwar ausdrücklich offen. Dem zu entscheidenden Fall legt er jedoch die „Prognoselösung“ zugrunde. Vertreter der „Prognoselösung“ sind: Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 55; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 113 f.; ders., NZWehrr 1988, 252 (254); Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 177; Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 142 ff.; Lingens/Marignoni, S. 66 f.; Peterson, NZWehrr 1989, 239 (242 ff.); Rengier in KK-

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ex-ante-Urteil auf die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts ab. War dieser überwiegend wahrscheinlich, ist der Befehl selbst bei Ausbleiben des Erfolges unverbindlich. Ist der strafrechtlich sanktionierte Erfolg dagegen unwahrscheinlich, so ist der Befehl verbindlich. Der wesentliche Unterschied zur „Feststellungslösung“ liegt darin, dass es auf den späteren tatsächlichen Erfolgseintritt nicht ankommt. Umstritten ist innerhalb der Prognoselösung, auf welchen Gefahrengrad es ankommen soll. Manche sprechen von einer „reell möglichen Schadensgefahr“.408 Andere fordern eine „konkrete“409 bzw. „in einem erhöhten Maß wahrscheinliche Gefahr“.410 Wieder andere lassen eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für einen Erfolgseintritt ausreichen.411 Weiterhin ist man sich innerhalb der „Prognoselösung“ nicht einig, welche Perspektive für die ex-ante vorzunehmende Wahrscheinlichkeitsprognose ausschlaggebend sein soll. Denkbar ist zum einen, auf das Prognoseurteil des individuellen Soldaten mit seinen konkreten Kenntnissen und Fähigkeiten abzustellen – also auf eine rein subjektive Sichtweise. Dies erscheint jedoch insoweit problematisch, weil damit etwa schon ein übervorsichtiger Untergebener zu dem Ergebnis der Unverbindlichkeit käme, obwohl vielleicht jeder andere in der gleichen Situation den Befehl als absolut ungefährlich eingeschätzt hätte.412 Nach anderer Ansicht soll deshalb die Betrachtungsweise eines gedachten OWiG, vor §§ 15, 16, Rn. 32; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 74 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 21; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 90; Vitt, NZWehrr 1994, 45 (48 ff.). Offen lassend BGHSt 19, 231 (232), nachdem „Zweifel möglich seien, ob die Verbindlichkeit des Befehls auch dann entfällt, wenn sich der Befehlsempfänger durch die Ausführung der befohlenen Handlung mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit eines fahrlässigen Vergehens schuldig machen würde.“ Eindeutiger im Sinne der „Prognoselösung“ das Urteil des SchlHOLG vom 11.11.1965, abgedruckt bei Kohlhaas/Schwenck, § 5, Anm. 2/1 ff.: „Es wäre nicht vertretbar, dass die Verbindlichkeit des Befehls vom Eintritt oder Nichteintritt eines bei der Befehlsausgabe ungewissen künftigen Ereignisses abhängig wäre; vertretbar wäre nur, dass der Befehl wegen der voraussehbaren Möglichkeit von vornherein unverbindlich wäre, dass ein Befehl, dessen Durchführung von vornherein die Gefahr der Begehung eines fahrlässigen Vergehens in sich birgt, also der gefährliche Befehl, unverbindlich wäre“, a. a. O., Anm. 2/5. 408 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (50 f.): „Die entscheidende Grenze der Verbindlichkeit ist bereits bei einer reellen Schadensgefahr, also einem bei normalen Geschehensablauf als möglich vorhersehbaren Eintritt eines Schadenserfolges erreicht. Eine besondere oder [. . .] überwiegende Wahrscheinlichkeit bedarf es nicht.“ So auch Rengier in KK-OWiG, vor §§ 15, 16, Rn. 32, der den Gefahrengrad anhand allgemeiner Fahrlässigkeitsmaßstäbe misst. 409 Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 21 spricht von einer konkreten Gefahr, die den Befehl unverbindlich werden lässt, eine rein abstrakte Gefahr genüge nicht. So auch Peterson, NZWehrr 1989, 239 (247 f.), „konkret gegenwärtige Gefahr“. 410 S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 90 spricht von einer „nicht nur möglichen, sondern in einem erhöhten Maß wahrscheinlichen Gefahr“. 411 Huth, NZWehrr 1988, 252 (256); Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, S. 145 f.; Lingens/Marignoni, S. 66. 412 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 79.

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durchschnittlich gewissenhaften Untergebenen entscheidend sein. Hierdurch soll eine gewisse Objektivierung erreicht werden.413 Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass sie spezielle Kenntnisse des individuellen Soldaten außer Acht lässt.414 Eine dritte Ansicht möchte im Rahmen der „Prognoselösung“ eine an § 2 Nr. 3 WStG orientierte objektiv-nachträgliche Betrachtungsweise anstellen, unter Hinzuziehung aller nachträglich bekannten Tatsachen.415 Dagegen spricht jedoch, dass die Erfolgsprognose im Rahmen der sog. „Prognoselösung“ an sich auf den Zeitpunkt der Befehlsanordnung abstellt. Für die Lösung des Falles gilt demnach zunächst: Nach der „Prognoselösung“ spielt die Ausführungshandlung bei der rechtlichen Beurteilung der Verbindlichkeit keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr der Gefahrengrad. Auch hier wäre die Verbindlichkeit anhand eines Prognoseurteils zu beurteilen, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass es auf nachträgliche Tatsachen nicht ankommt. (c) Stellungnahme Wie das dem Iller-Unglück nachgebildete Beispiel zeigt, sind die Befehle, denen die vorhersehbare, konkrete Gefahr eines Verletzungserfolges und damit ein sorgfaltwidriges Handeln anhaftet, kontrovers beurteilt worden. Eine rechtliche Beurteilung des auf Befehl begangenen fahrlässigen Erfolgsdelikts ist in der Rechtsprechung so noch nicht abschließend ergangen und in der straf- und wehrrechtlichen Literatur nach wie vor umstritten. Zur Lösung des Problems sind folgende Gesichtspunkte näher zu beleuchten.

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Nachweise bei Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 78 f. Huth, NZWehrr 1988, 252 (255) betont, dass Soldaten mit Spezialkenntnissen in einem erhöhten Maße zur Gehorsamsverweigerung gemäß § 22 I 1 WStG i.V. m. §§ 19 ff. WStG, § 11 II 1 SoldatenG verpflichtet sind, da sie das zu vermeidende Unrecht besser als der Durchschnittsuntergebene vorsehen und damit verhindern könnten. 415 So Huth, Die Gegenvorstellung, S. 115; ders., NZWehrr 1988, 252 (255) mit der Begründung, dass eine solche Betrachtungsweise bei der Frage des Eintritts einer konkreten Gefahr i. S. d. § 2 Nr. 3 WStG als h. M. anerkannt sei, so dass es sich um eine dem Wehrstrafrecht nicht fremde Lösung des Problems handele. Mit dieser objektivnachträglichen Prognose durch den Richter macht Huth jedoch auch das von ihm für entscheidend befundene Ergebnis zunichte, dass der Untergebene vor Ausführung des Befehls wissen muss, ob der Befehl verbindlich ist oder nicht. Vgl. insoweit die nicht ganz eindeutigen Ausführungen mit dem unglücklich gewählten Begriff der „objektivnachträglichen Prognose“ in NZWehrr 1988, 252 (254 f.). In der Sache stellt er auf den individuellen Befehlsempfänger ab, berücksichtigt hierbei jedoch subjektive Kenntnisse und Fähigkeiten eines vergleichbaren Untergebenen. Die Wahrscheinlichkeit des Gefahreintrittes richtet sich ex-post nach der Warte eines objektiven Beobachters unter Hinzuziehung nachträglicher Erkenntnisse. So auch Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 39 und Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 90 für die sog. „Feststellungslösung“. 414

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(aa) Die widerstreitenden Interessen Ausgangspunkt einer interessen- und sachgerechten Lösung müssen zunächst die betroffenen Personen sein, deren Interessen u. U. nicht unterschiedlicher sein könnten:416 Auf der einen Seite steht der befehlende Vorgesetzte, der für die verlässliche Durchführung des militärischen Auftrages verantwortlich ist und die Funktionsfähigkeit des Befehlsapparates sicherstellen soll. Losgelöst von dem zu besprechenden Beispiel sind überdies auch Konstellationen des „gefährlichen“ Befehls denkbar, in denen sich auf der anderen Seite ein außenstehender Dritter befindet. Aufgrund der Befehlsausführung ist er möglicherweise der Gefahr eines Schadens für seine Rechtsgüter ausgesetzt. Ihm wird es daher in erster Linie um die Erhaltung seines Notwehrrechts gehen. Dazwischen befindet sich der untergebene Befehlsempfänger. Dieser ist in der misslichen Situation, dass er gleich von zwei Seiten Gefahr läuft, sich strafbar zu machen: Im Falle der Befehlsausführung wegen einer zurechenbaren Fremd- bzw. Selbstschädigung417 einerseits, bei schuldhafter Nichtausführung wegen Gehorsamsverweigerung andererseits.418 Einleuchtend ist es daher, dass eine angemessene Lösung des Problems nur eine solche sein kann, welche den Interessen aller Betroffenen weitestgehend entspricht. Wegen der beschriebenen besonderen Konfliktlage ist es aber vor allem der Untergebene, der im dienstlichen Alltag einer klaren und verlässlichen Richtschnur seines Handelns bedarf, um den militärischen Auftrag gemäß § 11 I 2 SoldatenG nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. Um den widerstreitenden Interessen zu entsprechen, darf der Untergebene jedoch nicht in einen Gewissens- und Gesetzeskonflikt geraten.419 Im Vordergrund der weiteren Betrachtungen soll daher der untergebene Befehlsempfänger stehen. Nachdem die divergierenden Interessen offen gelegt wurden, ist es nun angezeigt, die oben referierten Lösungsansätze auf ihre rechtliche Tragfähigkeit und praktische Umsetzbarkeit hin zu überprüfen. (bb) Überprüfung der sog. „Feststellungslösung“ Wird der Befehl des Vorgesetzten durch den Untergebenen ausgeführt, ist man dazu geneigt, der sog. „Feststellungslösung“ den Vorzug zu geben. Sie 416 Hierzu und zum Folgenden vgl. die eingehende Darstellung bei Vitt, NZWehrr 1994, 45 (47). 417 Selbstverständlich ist die Selbstschädigung nicht strafbar. Dennoch ist sie in die Bewertung der Konfliktsituation mit einzubeziehen. 418 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (47). 419 Zum Ganzen Vitt, NZWehrr 1994, 45 (47) mit Hinweis auf Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 77.

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führt in diesem Fall zu scheinbar klaren Ergebnissen: Unverbindlichkeit im Fall des Eintritts des strafrechtlich missbilligten Erfolges, Verbindlichkeit im Fall des Ausbleibens. Diese einfache Handhabe verleitet dazu, die „Feststellungslösung“ für gut zu befinden. Hierbei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass der „Feststellungslösung“ erhebliche Unsicherheiten anhaften.420 Neben der tatsächlichen Ungewissheit über den Eintritt des schadenstiftenden Ereignisses kommt eine weitere Unsicherheit hinzu: Die rechtliche Ungewissheit über die Konsequenzen der Befehlsausführung zum Zeitpunkt der Handlung.421 Dies liegt daran, dass der Soldat zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen kann, ob der strafrechtlich missbilligte Erfolg später eintreten wird oder nicht. Die Verbindlichkeit des Befehls steht somit im Zeitpunkt der befohlenen Ausführungshandlung noch nicht fest. Wegen dieser Unsicherheit über die Verbindlichkeit des Befehls läuft das Recht jedoch Gefahr, dass es seine Bestimmungsfunktion nicht gewährleistet. Die von der Rechtsordnung aufgestellten Verhaltensanforderungen müssen aber richtigerweise von objektiv erkennbaren Umständen in der konkreten Situation abhängig gemacht werden, wenn sie den Betroffenen erreichen sollen. Der der „Feststellungslösung“ innewohnende Verweis auf die Zukunft hilft dem zum Handeln gezwungenen Untergebenen nicht.422 Dies erscheint problematisch. Der Soldat muss insbesondere nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auch und gerade unter emotionaler und psychisch-physischer Belastung stets in der Lage sein, das von ihm eingeforderte Verhalten auf seine Gesetzeskonformität hin nach Laienart einschätzen zu können.423 Stellt man wie die „Feststellungslösung“ zum Zeitpunkt der Handlung auf einen ungewissen tatsächlichen Fortgang des Geschehens ab, der damit eine rechtliche Ungewissheit nach sich zieht, wird man den soldatischen Erfordernissen nach einer klaren Befehlslage nicht gerecht.424 Jeder, der einmal selbst Empfänger von Befehlen war, weiß, dass dies ein unerträglicher Zustand ist und jegliche engagierte Befehlsausführung konsequent unterbindet. In der Begründung zum SoldatenG ist zu lesen:425 420 Vgl. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 77 f.; in diese Richtung auch S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 90. 421 Vgl. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 77 f. 422 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 77 f.; Vitt, NZWehrr 1994, 45 (48). Vgl. im Zusammenhang mit dem sog. „strafrechtlichen“ Rechtmäßigkeitsbegriff Schünemann, JA 1972, 703 (709). 423 In diesem Sinn auch Huth, NZWehrr 1988, 252 (254). 424 So auch Huth, NZWehrr 1988, 252 (254). Damit der Untergebene den Befehl gewissenhaft i. S. d. § 11 I 2 SoldatenG ausführen kann, müsse er vor Befehlsausführung wissen, ob dieser verbindlich ist. Hier gebiete es die Fürsorgepflicht des Vorgesetzten gemäß § 10 III SoldatenG, die Rechtssicherheit und das Telos des § 5 I WStG – Verhinderung von auf Befehl begangenen Straftaten –, den Soldaten vor Befehlsausführung in Kenntnis über die Rechtslage zu setzen. Vgl. auch Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl. S. 77 f.

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„Es darf für den Soldaten kein Wagnis bedeuten, irgendeinem Befehl zu gehorchen, selbst wenn dieser ausnahmsweise einmal unverbindlich sein sollte. Der gewissenhafte Soldat kann sicher sein, dass er die Ausführung keines Befehls zu scheuen braucht. [. . .] Der gewissenhafte Untergebene kann und soll wissen, dass er bei bloßen Zweifeln unbesorgt gehorchen darf und dass er besser daran tut, zu gehorchen.“ Man kann somit sagen, dass der Gesetzgeber den Konflikt zwischen der Gehorsamspflicht auf der einen Seite und der Einhaltung der objektiven Rechtsordnung auf der anderen Seite gesehen hat. Die Ausführungen machen deutlich, dass dem Gesetzgeber daran gelegen war, das Vertrauensverhältnis zwischen dem befehlserteilenden Vorgesetzten und dem zum Gehorsam verpflichteten Untergebenen nicht dadurch nachhaltig zu erschüttern, dass durch die Befehlsausführung der Untergebene tatsächliche und rechtliche Unsicherheiten befürchten muss. Die Darstellungen zwingen daher zu dem Schluss, dass die „Feststellungslösung“ im Fall der Ausführung des Befehls den Gehorsamsmaximen des § 11 I 2 SoldatenG gerade zuwiderläuft. Im Fall der Ausführung des Befehls kann sie daher keine tragfähige Grundlage zur Lösung des Problems sein.426 Bislang unberücksichtigt geblieben ist die Frage, ob die „Feststellungslösung“ im Fall der Nichtausführung des Befehls zu überzeugenden Ergebnissen kommt. Wie eingangs beschrieben, nimmt die „Feststellungslösung“ hierbei eine nachträgliche, objektive Wahrscheinlichkeitsprognose über den Schadenseintritt vor. Eine ex-post-Betrachtung weist jedoch für den Untergebenen zum Zeitpunkt der Befehlserteilung ähnliche Unsicherheiten auf, wie sie für den Fall der Ausführung des Befehls beschrieben wurden. Mag sie dem später darüber zu befindenden Richter von Vorteil sein, für den zum Handeln aufgeforderten Untergebenen ist sie es zum fraglichen Zeitpunkt jedenfalls nicht.427 Ein solcher Ansatz ver425

Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21. Vitt, NZWehrr 1994, 45 (48 f.) spricht darüber hinaus von einer Fehlwertung im Fall der Befehlsausführung. Sei der Befehl mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit einer Straftatverwirklichung behaftet und bliebe der strafrechtlich sanktionierte Erfolg nur durch glückliche Umstände aus, so müsste die „Feststellungslösung“ konsequenterweise die Verbindlichkeit des Befehls bejahen, und das Verhalten des Befehlsempfängers wäre somit gerechtfertigt. Der Untergebene könnte hier trotz einer möglicherweise tatbestandlich verwirklichten Ordnungswidrigkeit oder eines disziplinaren Verstoßes nicht belangt werden, selbst wenn er mit Eventualvorsatz gehandelt hat. Sachgerecht sei daher allein die „Prognoselösung“, die wegen des hohen Risikos der Straftatverwirklichung die Unverbindlichkeit des Befehls und Rechtswidrigkeit der Ausführung annimmt und damit die Möglichkeit der ordnungs- und disziplinarrechtlichen Verantwortung des Untergebenen eröffnet. Trete der Erfolg nicht ein, so entfällt eine Strafbarkeit. War dem Untergebenen das Risiko nicht erkennbar, so hat er gemäß § 5 I WStG keine Strafe zu befürchten. Hat der Untergebene jedoch die Gefahr erkannt oder war diese offensichtlich, so soll dieser Meinung nach die erlaubte und gebotene Befehlsverweigerung für den Untergebenen nicht ohne Konsequenzen bleiben. 427 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 77 ff.; vgl. auch Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 53 ff.; Vitt, NZWehrr 1994, 45 (48). 426

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langt weitaus mehr von dem untergebenen Soldaten, als er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich leisten kann. Das von Gesetzes wegen geforderte Verhalten beschränkt sich jedoch darauf, dass der Untergebene pflichtgemäß und gewissenhaft die konkrete Situation i. S. e. Evidenzprüfung mit den Verhaltensanforderungen des Strafrechts überprüft. Nachträglich bekannt werdende Tatsachen und sich später einstellende Erkenntnisse dürfen hierbei den betroffenen Untergebenen nicht unzumutbar beschweren.428 Überdies muss die „Feststellungslösung“ im Fall der Befehlsverweigerung auf die von ihr ebenso beanstandete Wahrscheinlichkeitsprognose zurückgreifen. Zu Recht wird daher kritisiert, dass die „Feststellungslösung“ die Rechtsfindung unnötig verkompliziert. Das Abstellen auf den Eintritt bzw. das Ausbleiben des Erfolges bei Ausführung des Befehls und die Anwendung einer (nachträglichen) Wahrscheinlichkeitsprognose im Fall des nicht ausgeführten Befehls beruhen nicht auf sachlichen Unterschieden in der Fallsituation, sondern nur auf der insoweit zufälligen Entscheidung des Untergebenen über die Befolgung oder Verweigerung des Befehls.429 Zu der eingangs beschriebenen tatsächlichen Unsicherheit über den Eintritt des Erfolges kommt bei der Einbeziehung nachträglich bekannt werdender Umstände auch hier noch eine rechtliche Unsicherheit hinzu: Die Verbindlichkeit des Befehls – als eine objektive Tatsache – steht erst im Nachhinein fest.430 Diese rechtlichen und tatsächlichen Unsicherheiten führen zu dem Ergebnis, dass eine Beurteilung der Verbindlichkeit des Befehls ausschließlich anhand der bereits bekannten Umstände erfolgen kann. Nachträglich auftretende Tatsachen müssen mithin unberücksichtigt bleiben. Daraus folgt, dass die für die Befehlsverweigerung vorgenommene ex-post-Betrachtung nicht geeignet ist, das Problem des „gefährlichen“ Befehls sachgerecht zu lösen.431 Ein weiteres durchgreifendes Argument gegen die Anwendbarkeit der „Feststellungslösung“ findet sich in der neueren Literatur zum Wehrrecht.432 Sie deckt einen Wertungswiderspruch der „Feststellungslösung“ in den Fällen auf, in denen bei gleicher Ausgangslage eine dringende Gefahr für ein Rechtsgut zu besorgen ist und der Befehl von einem Untergebenen verweigert und von einem anderen ausgeführt wird, wobei sich die Gefahr aufgrund glücklicher Umstände nicht verwirklicht: Die „Feststellungslösung“ muss hinsichtlich des Befehlsverweigerers in diesem Fall auf eine Prognose zurückgreifen, die sie nachträglich 428 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (52); vgl. auch Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 78. 429 So Vitt, NZWehrr 1994, 45 (48). 430 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 77 f. 431 So auch bereits Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 78, der sich für eine ex-ante-Prognose ausspricht. 432 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (49).

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anstellt. Aufgrund des hohen Risikos gelangt sie zwangsläufig zur Unverbindlichkeit des Befehls wegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der Schadensrealisierung. Der den Befehl verweigernde Untergebene ist also nicht strafbar. Für den gehorchenden Befehlsempfänger müsste die „Feststellungslösung“ wegen Ausbleibens der Gefahrverwirklichung zu dem Ergebnis kommen, dass der Befehl verbindlich ist. Das würde dazu führen, das ein und derselbe Befehl entweder gleichzeitig verbindlich und unverbindlich sein kann – ein nicht überzeugendes Ergebnis und überdies ein unüberwindbarer Widerspruch.433 Die andere denkbare Möglichkeit wäre, die nachträglich gefundene Verbindlichkeit des Befehls wegen Ausbleibens des Gefahrerfolges rückwirkend auch auf den anderen Befehl zu übertragen. Folgte man einer solchen Lösung, so würde aus der im Zeitpunkt der Handlung noch gerechtfertigten Befehlsverweigerung des ersten Soldaten auf diese Weise nachträglich ein wehrstrafwidriges Ungehorsamsdelikt werden. Dies wäre aber ein Ergebnis, dass mit dem Grundsatz des Verbotes der rückwirkenden Strafe gemäß Art. 103 II GG, § 3 I WStG, § 1 StGB, Art. 7 I EMRK unvereinbar ist.434 Die „Feststellungslösung“ ist daher sowohl für den Fall der Befehlsausführung als auch für den Fall der Befehlsverweigerung abzulehnen. (cc) Überprüfung der sog. „Prognoselösung“ Fraglich ist demnach, ob die sog. „Prognoselösung“ zu sachgerechten Ergebnissen führt. Wie beschrieben beurteilt sie die Verbindlichkeit des „gefährlichen“ Befehls ausschließlich nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines möglichen Schadenseintritts durch die Ausführung des Befehls. Nach richtiger Ansicht435 ist für die Frage der ex-ante vorzunehmenden Wahrscheinlichkeitsprognose auf einen Durchschnittsuntergebenen unter Einschluss der konkreten Lage und subjektiver Kenntnisse des betroffenen Untergebenen abzustellen.436 Ex-ante muss die Betrachtung sein, weil bei einer ex-post-Betrachtung nachträglich bekannt werdende Umstände die Verbindlichkeit des Befehls beeinflussen könnten. Der Untergebene wüsste dann zum Zeitpunkt der Handlung nicht, ob er die Befehlsausführung wegen Unverbindlichkeit verweigern oder wegen Verbindlichkeit gehorchen muss. Auch ist der Hinweis von Rostek 437 aufzunehmen, der zusätzlich auf die ratio legis hinweist, wonach Vergehen verhindert werden sollen. Dies wäre nicht immer gewährleistet, wenn die Entscheidung 433

So Vitt, NZWehrr 1994, 45 (49). So Vitt, NZWehrr 1994, 45 (49). 435 Für die Frage, welcher Betrachter die Wahrscheinlichkeitsprognose vorzunehmen hat, vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. a) bb) (5) (b). 436 Im Ergebnis so auch Dau, NZWehrr 1986, 198 (202); Peterson, NZWehrr 1989, 239 (247 f.) „objektivierte subjektive ex-ante-Betrachtung“. 437 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 77 f. 434

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von nachträglichen, dem Soldaten zur Zeit der Befehlsauführung nicht bekannten Umständen abhinge. Vor die Wahl gestellt, sich strafbar zu machen wegen Ungehorsams oder wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes könnte der Untergebene leicht dazu tendieren, sich zugunsten der Ausführung zu entscheiden in der Hoffnung, dass „alles gut gehen werde“ und sich die Gefährlichkeit nicht verwirklicht.438 Durch die Einbeziehung der dem Untergebenen bekannten und erkennbaren Tatsachen und Umstände wird ein vernünftiger Ausgleich zwischen den objektiven und subjektiven Merkmalen erreicht.439 Nur eine solche Bestimmung der Gefahrprognose vermeidet in subjektiver Hinsicht Strafbarkeitslücken bei besonderer Kenntnis des Soldaten und stellt in objektiver Hinsicht eine weitgehend einheitliche Führung durch Befehl sicher.440 Zusammenfassend bedeutet dies unter Zugrundelegung der „Prognoselösung“: Der „gefährliche“ Befehl ist dann unverbindlich und darf von dem Untergebenen nicht ausgeführt werden, „wenn (1) eine ex-ante-Beurteilung ergibt, dass (2) der Befehlsempfänger unter Ausschöpfung seiner Fähigkeiten auf der Grundlage der ihm im Entscheidungszeitpunkt bekannten Tatsachen und nach der ihm bestmöglichen Würdigung der Gesamtumstände davon ausgehen durfte, dass (3) die gegenwärtig-konkrete Gefahr einer Verletzung eigener Rechte oder des Eintritts eines strafrechtlich missbilligten Erfolges bestand und (4) ein vernünftiger Soldat mit den gleichen Kenntnissen und Fähigkeiten des Befehlsempfängers in der konkreten Situation zu keiner eindeutig anderen Beurteilung gelangt wäre.“441 Eine so vorgenommene Lösung vermag auch dem Einwand wirksam zu begegnen, dass die Verbindlichkeit – als ein objektives Merkmal – sachfremd und in unzulässiger Weise zu sehr von subjektiven Elementen bestimmt wird.442 Die aufgestellten Kriterien gewährleisten vielmehr eine weitgehend einheitliche, ob438 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 77 f.; so auch Huth, NZWehrr 1988, 252 (254). 439 Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 78 ff. 440 So auch Peterson, NZWehrr 1989, 239 (246 f.); Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 79 f.; Vitt, NZWehrr 1994, 45 (53); siehe auch Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 177; Rengier in KK-OWiG, vor §§ 15, 16, Rn. 32. 441 Nach Peterson, NZWehrr 1989, 239 (248). 442 Für die im Beamtenrecht gleich gelagerten Fälle will Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 131 ff. die Verbindlichkeit davon abhängig machen, ob der Eintritt des strafrechtswidrigen Erfolges objektiv voraussehbar im Sinne des Strafrechts war. Subjektive Elemente müssen ihrer Ansicht nach für die Frage der Verbindlichkeit ganz außer Betracht bleiben. Nach allgemeiner Definition ist objektiv vorhersehbar, was ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter den

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jektive Behandlung des Problems. Eine so angestellte Gefahrenprognose ist dem Recht überdies nicht fremd. So ist etwa auch im Polizeirecht eine Prognose des zukünftigen hypothetischen Geschehensablaufs erforderlich, um beurteilen zu können, ob eine bestimme Situation mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt.443 Auch hier ist ex-ante auf einen fähigen und sachkundigen Amtswalter abzustellen, wonach anhand seiner Erkenntnismöglichkeit, seiner Erfahrung und seines Sachwissens eine Gefahrprognose ergeht.444 Wird diese subjektivierte Prognose verständig und sachgerecht durchgeführt, ist sie rechtmäßig.445 Führt man sich die widerstreitenden Interessen der Beteiligten vor Augen, überzeugt das gefundene Ergebnis nicht nur in rechtlicher, sondern auch in praktischer Hinsicht:446 Die Autorität des befehlenden Vorgesetzten bleibt gewahrt. Seine Befehlsbefugnis kann nicht durch „überkritische“ Soldaten oder „Querulanten“ infrage gestellt werden.447 Tatsächlich ungefährliche Befehle und Befehle, deren vermeintliche Gefährlichkeit nur auf hypothetischen Gefahrbefürchtungen des Untergebenen beruht, berechtigen diesen nicht dazu, den Gehorsam gegenüber seinem Vorgesetzten zu verweigern.448 Wie oben beschrieben449, ist der Befehl auch dann verbindlich, wenn mit der Ausführung desselben ein Verstoß gegen unterstrafrechtliches Unrecht verbunden ist. Dies schließt Befehle zu Handlungen mit ein, welche fremde Rechtsgüter konkret bedrohen, solange sie nicht als Fahrlässigkeitstatbestand geschützt sind.450 Kommt es jedoch zu einer gegenwärtig-konkreten Gefahr aufgrund der oben genannten Prognose, welche die Befehlsausführung für den Untergebenen verbietet, so erscheint dies eine akzeptable Einschränkung der Befehlsbefugnis. Eine solche Beschränkung der Befehlsmacht ist aus Sicht des Vorgesetzten auch in seinem Interesse, da er bei einer Verwirklichung der Gefahr selbst die strafrechtlichen Konsequenzen zu tragen hätte.451

jeweils gegebenen Umständen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde. Im Ergebnis nähern sich beide Ansichten an. 443 Statt vieler: Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rn. 416. 444 Ausführlich zur Gefahrprognose siehe Ostendorf, JZ 1981, 165 (173); Triffterer, FS für Mallmann, S. 373 (389 ff.). 445 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rn. 425 m.w. N. 446 Hierzu und zum Folgenden Vitt, NZWehrr 1994, 45 (53 f.). 447 So Vitt, NZWehrr 1994, 45 (53 f.). 448 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (53). 449 Siehe hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, A. III. und B. III. 3. 450 So ist etwa die fahrlässig begangene Sachbeschädigung gemäß §§ 15, 303 StGB nicht strafbar. 451 So zum Ganzen Vitt, NZWehrr 1994, 45 (53).

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1. Teil: Das Wehrrecht

Auch für den außenstehenden Dritten stellt sich die „Prognoselösung“ in dem beschriebenen Sinn als ein überzeugendes Ergebnis einer Interessenabwägung dar.452 Erhält der Untergebene einen Befehl, der ein strafrechtlich geschütztes Rechtsgut des Dritten konkret-gegenwärtig gefährdet, so ist der Dritte vor der Einbuße seiner Rechtsgüter geschützt, weil der Untergebene die Pflicht hat, diesen Befehl zu verweigern. Führt der Untergebene den „gefährlichen“ Befehl dennoch aus, bleibt dem Dritten sein Notwehrrecht erhalten. Erleidet er hierbei materielle oder immaterielle Schäden an seinen Rechtsgütern, so kann er diese bei der Bundesrepublik Deutschland als einem solventen Schuldner liquidieren.453 Für den Untergebenen ergibt sich die Vorzugswürdigkeit der „Prognoselösung“ anhand der hierzu dargestellten Argumente.454 Sie gewährleistet eine durch Befehl klar vorgegebene und vorhersehbare Verhaltensweise durch den Untergebenen.455 Sollte dies einmal nicht der Fall sein, gelangt man über die Irrtumsregeln zu angemessenen Ergebnissen: Die Unkenntnis von dem Verbot, einen strafrechtswidrigen Befehl auszuführen, stellt nach der überzeugenderen Ansicht einen Verbotsirrtum gemäß § 3 I WStG, § 17 S. 1 StGB dar. Sie ist i. d. R. vermeidbar und daher für die Schuld unbeachtlich.456 Erkennt der Untergebene hingegen die Strafrechtswidrigkeit des Befehls nicht und führt er diesen in der Folge aus, trifft ihn gemäß § 5 I WStG eine Schuld nur dann, wenn die strafrechtliche Normübertretung nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. Erging der „gefährliche“ Befehl in einer für den Soldaten besonders 452 Hierzu und zum Folgenden vgl. die Ausführungen von Vitt, NZWehrr 1994, 45 (53 f.). 453 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (53 f.). Hierauf macht auch Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 20 aufmerksam. 454 Vitt, NZWehrr 1994, 45 (54). 455 In diesem Sinn auch Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 21. 456 So bereits Vitt, NZWehrr 1994, 45 (54). Die Vermeidbarkeit des Irrtums ergibt sich auch daraus, weil Fragen der Rechte und Pflichten des Soldaten Gegenstand des staatsbürgerlichen und völkerrechtlichen Unterrichts gemäß § 33 SoldatenG sind. Vgl. ZDv 12/1 i.V. m. den zum staatsbürgerlichen Unterricht herausgegebenen Materialien: Unterrichtsmappe zur ZDv 12/1, S. 320 f.; Unterrichtsmappe Wehrrecht/Soldatische Ordnung/Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten, Ausbildungsthema „Befehl und Gehorsam“, S. 19. Vgl. auch Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 96. A. A. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 93 f. m.w. N. aus der Rechtsprechung und Literatur; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 10, nach deren Meinung § 17 StGB angesichts der ausdrücklichen Regelung und wegen der Eigenart der militärischen Befehlsverhältnisse nicht anwendbar sei. Sie subsumieren auch diesen Irrtum unter § 5 I WStG. Unter Verweis auf den nulla-poena-Grundsatz gemäß Art. 103 II GG spricht sich auch Walter, JR 2005, 279 (280) für eine Anwendung des § 5 I WStG in diesen Fällen aus. Wie Rostek, a. a. O., S. 94 bereits festgestellt hat, nähern sich beide Meinungen in zumindest extremen Fällen an, da der Verbotsirrtum vermeidbar bzw. die Strafrechtswidrigkeit offensichtlich ist, der Untergebene also schuldhaft handelt. Vgl. auch die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, C. II. 3. b) aa).

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belastenden Situation, kann u. U. gemäß § 5 II WStG von Strafe abgesehen oder diese gemildert werden. Geht der Untergebene hingegen irrtümlich von dem Vorliegen eines „gefährlichen“ Befehls aus, richtet sich seine Strafbarkeit für den Fall des Ungehorsams nach § 22 II WStG i.V. m. §§ 19 ff. WStG. Die Strafbarkeit hängt demnach von der Vermeidbarkeit des Irrtums ab.457 (dd) Ergebnis Als Ergebnis lässt sich festhalten: Einzig die „Prognoselösung“ in dem beschriebenen Sinn ist in der Lage, die Konstellation des „gefährlichen“ Befehls sach- und interessengerecht zu lösen. Die „Feststellungslösung“ ist daher zu verwerfen. cc) Der völkerrechtswidrige Befehl Zur Fallgruppe der unverbindlichen Befehle, die nicht befolgt werden dürfen, gehört auch der völkerrechtswidrige Befehl.458 Aufgrund der „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“459 wird das Wehrrecht auch durch das Völkerrecht maßgeblich beeinflusst. Die Art. 25 GG und Art. 26 I GG sind hier von richtungsweisender Bedeutung. Der gegen das Völkerrecht verstoßende Befehl ist dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Erteilung als auch die Ausführung eines solchen Befehls die Rechtsordnung so stark verletzen würde, dass dies im Sinne der Wahrung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nicht hingenommen werden kann.460 Sie sind unverbindlich und dürfen nicht ausgeführt werden. (1) Der Befehl zur Vorbereitung eines Angriffskrieges gemäß Art. 26 I GG Rechtlich unverbindlich ist nach der Regelung des Art. 26 I 1 GG ein Befehl, dessen Erteilung oder Ausführung eine Handlung darstellt, die „geeignet ist und in der Absicht vorgenommen wird, das friedliche Zusammenleben der Völker

457 So bereits zum Ganzen Vitt, NZWehrr 1994, 45 (55). Er stellt darüber hinaus klar, dass ein vermeidbarer Irrtum grundsätzlich im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist. 458 Interessante Gedanken zum völkerrechtswidrigen Befehl finden sich bei Schnapp, FS für Leuze, S. 469 (469 ff.). 459 Statt vieler: Hofmann in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 25 GG, Rn. 9 mit zahlreichen Nachweisen auf die bundesverfassungsgerichtliche Judikatur. 460 Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 81. Vgl. auch Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 147; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 40.

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1. Teil: Das Wehrrecht

zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“. Solche Befehle sind verfassungswidrig und unverbindlich.461 Neben dem Verbot zu sonstigen friedensstörenden Handlungen erfasst Art. 26 I 1 GG nach seinem Wortlaut das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges. Vorbereitung ist jede zeitlich vor einem Angriffskrieg liegende Tätigkeit, die seine Herbeiführung oder seine Auslösung fördert.462 Nach Sinn und Zweck der Norm wird jedoch nicht nur das zeitlich frühere Vorbereiten eines Angriffskrieges, sondern erst recht seine Ausführung mit umfasst.463 Einfach-gesetzlich kommt die Unverbindlichkeit des Befehls zur Vorbereitung eines Angriffskrieges auch in § 11 II 1 SoldatenG i.V. m. § 80 StGB zum Ausdruck. Ein solcher verfassungswidriger Befehl, der überdies strafrechtswidrig ist, darf nicht befolgt werden. (2) Der gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßende Befehl gemäß Art. 25 GG Der einem Untergebenen erteilte Befehl ist gemäß Art. 25 GG unverbindlich, wenn seine Erteilung oder Ausführung gegen die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ verstößt.464 Was unter den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ zu verstehen ist, bestimmt sich nach der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre, die positiv-rechtlich am deutlichsten in Art. 38 I Buchstabe a–c des Statuts des Internationalen Gerichtshofes465 zum Ausdruck kommt.466 Nach dem Statut gehören hierzu das Völkervertragsrecht467, das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze.468 Diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts – zu denen beispielsweise auch die anerkannten Grundsätze des Humanitäts461 Durch die Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit eines solchen Befehls wollte man der stärksten rechtlichen Verurteilung eines Tuns Ausdruck verleihen. Um dies noch zu betonen, wurden friedensstörende Handlungen überdies gemäß Art. 26 I 2 GG i.V. m. §§ 80 f. StGB unter Strafe gestellt. Hierzu Streinz in Sachs, GG-Kommentar, Art. 26 GG, Rn. 3; BVerwG 2 WD 12.04, S. 33 f. 462 BVerwG 2 WD 12.04, S. 33. 463 Vgl. Streinz in Sachs, GG-Kommentar, Art. 26 GG, Rn. 21; BVerwG 2 WD 12.04, S. 33. 464 Hierzu Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 40; Schwenck, Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 70 ff. 465 Statut des Internationalen Gerichtshofs, BGBl. II 1973, 507. 466 Hofmann in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 25 GG, Rn. 12 mit zahlreichen Nachweisen auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung. 467 Zu beachten ist, dass Völkervertragsrecht über die lex specialis des Art. 59 II GG innerstaatliche Geltung erfährt. Soweit völkerrechtliche Verträge Völkergewohnheitsrecht kodifizieren oder Völkervertragsrecht auch zu Völkergewohnheitsrecht wird, tritt dieses neben den völkerrechtlichen Vertrag und kann als solches als allgemeine Regel des Völkerrechts über Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts werden. Vgl. Streinz in Sachs, GG-Kommentar, Art. 25 GG, Rn. 29 ff. 468 Hofmann in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 25 GG, Rn. 12; Streinz in Sachs, GG-Kommentar, Art. 25 GG, Rn. 28.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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rechts469 zählen – sind gemäß Art. 25 S. 1 GG „Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen gemäß Art. 25 S. 2 GG den allgemeinen Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Diese Vorrangwirkung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts ist auch im Bereich der vollziehenden Gewalt zu beachten, da sie gegenüber allen hoheitlichen Handlungen gilt.470 Das bedeutet zugleich, dass sie in der beschriebenen Weise unmittelbar auch für den einzelnen Soldaten gelten.471 Bei einem den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwiderlaufenden Befehl hat der Untergebene somit diese Regel anzuwenden – dem ihm erteilten völkerrechtswidrigen Befehl darf er nicht gehorchen. Die verfassungsrechtliche Norm des Art. 25 GG geht der Gehorsamspflicht nach dem einfachen Gesetz gemäß § 11 I 1, 2 SoldatenG vor und verpflichtet den Untergebenen unmittelbar.472 Durch die Einführung des Völkerstrafgesetzbuches473 im Jahr 2002 hat die Frage der Verbindlichkeit völkerrechtswidriger Befehle an Relevanz weiter abgenommen. Soweit es sich um (völker-)strafrechtswidrige Befehle handelt, sind sie bereits einfach-gesetzlich unverbindlich und dürfen nicht befolgt werden.474 b) Befehle, die nicht befolgt werden müssen Bei einem strafrechtswidrigen oder völkerrechtswidrigen Befehl muss der Untergebene die Ausführung verweigern. Das Wehrrecht kennt gemäß §§ 11 II, 11 I 3 1. HS SoldatenG aber auch Befehle, denen der Untergebene gehorchen darf, aber nicht gehorchen muss. Das Gesetz nennt an dieser Stelle den Befehl, der die Menschenwürde verletzt oder nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt wurde. Wie sich vor allem aus dem Wortlaut des § 22 I 1 WStG („insbesondere“) ergibt, sind die gesetzlichen Regelungen über die Grenzen der Gehorsamspflicht – und damit einhergehend die Unverbindlichkeitsgründe – nach einhelliger Meinung nicht abschließend normiert.475 Führt der Untergebene in diesen Fällen den Befehl gleichwohl aus, trägt dafür der Vorgesetzte gemäß § 10 V 1 SoldatenG die Verantwortung.476 469 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 40; zum besonderen Völkerrecht siehe Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 21 mit Verweis auf wichtige völkerrechtliche Verträge wie etwa die Haager Landkriegsordnung vom 18.10.1907 (RGBl. 1910, 107). 470 BVerwG 2 WD 12.04, S. 34. 471 Hierzu Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 40. 472 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 40; Streinz in Sachs, GGKommentar, Art. 25 GG, Rn. 93. 473 Völkerstrafgesetzbuch in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) vom 26.06.2002, BGBl. I 2002, 2254. 474 Vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 40. 475 Vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. m.w. N. 476 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 58.

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1. Teil: Das Wehrrecht

aa) Befehle, welche die Menschenwürde des Untergebenen oder Dritter verletzen Nach Art. 1 I 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Daher wird jegliche staatliche Gewalt gemäß Art. 1 I 2 GG verpflichtet, diese zu achten und zu schützen. Auch die Bundeswehr ist als Teil der vollziehenden Gewalt nach Art. 1 III GG der Grundrechtsbindung unterworfen.477 Deklaratorisch kommt dies u. a. im vierten Leitsatz der ZDv 10/1 zum Ausdruck, wenn es dort heißt: „Der Soldat ist sich der rechtlichen Bindung seines Handelns bewusst. Er achtet das Recht stets, auch wenn es seine Handlungsmöglichkeiten begrenzt oder gar das Erfüllen des Auftrages erschwert. Als Vorgesetzter setzt der Soldat das Recht durch und trägt bei der Ausübung der Befehls- und Disziplinargewalt dafür Sorge, dass die Grundrechte der ihm unterstellten Soldaten gewahrt bleiben und der Lage des Einzelnen Rechnung getragen wird.“478 Das in der Norm zum Ausdruck kommende Prinzip entspricht dem Leitbild der soldatischen Untergebenenführung in der Bundeswehr und damit einer modernen Führung von „Staatsbürgern in Uniform“. Gemäß den verfassungsrechtlichen Anforderungen müssen soldatische Führung und Erziehung durch den Vorgesetzten immer so beschaffen sein, dass die Achtung und der Schutz der Menschenwürde, die dem Einzelnen Kraft seines menschlichen Daseins und seines Eigenwertes zukommt, stets gesichert sind.479 Damit eine solche Wertevermittlung auch bis in die Teileinheiten hineingetragen wird, schreibt das SoldatenG in § 33 einen staatsbürgerlichen und völkerrechtlichen Unterricht vor.480 Achtung und Schutz der Menschenwürde können jedoch im Einzelfall in ein Spannungsverhältnis zum militärischen Prinzip geraten. Militärische Befehlsstrukturen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf einer klaren Über- und Unterordnung, auf Befehl und Gehorsam aufbauen.481 Daher ist es (theoretisch) grundsätzlich möglich, dass Befehle von Vorgesetzten die Menschenwürde des Untergebenen verletzen. Die Menschenwürde ist insbesondere immer dann verletzt, wenn der Einzelne aufgrund eines Befehls zu einem bloßen Objekt, einem Mittel oder einer vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.482 Ein Befehl, dessen Ausführung gegen die Menschenwürde des Untergebenen oder gegen die Men477 Höfling in Sachs, GG-Kommentar, Art. 1 GG, Rn. 93; zu der staatsrechtlich spannenden Frage, ob die Pflicht des Staates gemäß Art. 1 I 2 GG, die Menschenwürde zu achten und zu schützen dazu führt, dass im Rahmen des Verfassungsauftrages der Staat verpflichtet ist, die militärische Verteidigung zu garantieren, vgl. Walz, NZWehrr 1989, 189 (189 ff.). 478 ZDv 10/1, Anlage 1, 4. Leitsatz. 479 Statt vieler: Robbers in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Art. 1 GG, Rn. 6, 13 ff. 480 Vgl. ZDv 10/1, Anlage 1, 8. Leitsatz, Abs. II; Scherer/Alff, SoldatenG, § 33, Rn. 2. 481 Hierzu vertiefend Wipfelder/Schwenck, Wehrrecht, S. 23 ff.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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schenwürde Dritter verstößt, ist rechtswidrig und unverbindlich.483 Handelt es sich um einen solchen menschenunwürdigen Befehl, braucht er von dem betroffenen Soldaten nicht befolgt zu werden – nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 1 GG gibt es kein militärisches Erfordernis, das eine Verletzung der Menschenwürde rechtfertigen könnte.484 Ein menschenunwürdiger Befehl liegt etwa dann vor, wenn der Untergebene als Objekt zur Durchsetzung von staatlichen Zielen missbraucht wird.485 Darunter sind beispielsweise die Fälle zu verstehen, in denen der Vorgesetzte seinem Untergebenen einen Befehl erteilt, dessen Ausführung den sicheren Tod des Soldaten zur Folge hat. Zwar stellt § 6 WStG klar, dass es eine soldatische Pflicht ist, auch besondere Gefahren zu bestehen und wenn erforderlich, auch die größte Lebensgefahr auf sich zu nehmen.486 Es muss aber immer zumindest die Möglichkeit verbleiben, die Ausführung des Befehls zu überleben.487 Besteht hingegen eine Todesgewissheit, handelt es sich nicht mehr um das Bestehen einer Gefahr – hier wird dem untergebenen Soldaten jedwedes Selbstbestimmungsrecht genommen.488 Ein solcher Befehl widerspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes und kann daher nicht verbindlich sein. Unter der zu behandelnden Fallgruppe werden auch die Befehle erörtert, die zu einer schweren Gewissensbelastung des Untergebenen führen können – etwa der Einsatz atomarer Waffen. Hier wurde in der Vergangenheit diskutiert, ob der Einsatz derartiger Waffen oder der Kampf gegen einen bestimmten Gegner 482 Hierzu ausführlich Robbers in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 1 GG, Rn. 13 m.w. N.; Beispiele aus dem Wehrrecht finden sich bei Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 36 und § 31, Rn. 3 f. 483 Einfach-gesetzlich kommt dies in § 11 I 3 1. HS SoldatenG, § 22 I 1 WStG zum Ausdruck. 484 Mann, DÖV 1960, 409 (413); zu gelegentlichen Beispielen aus der Praxis vgl. den alljährlichen Bericht des Wehrbeauftragten der Bundeswehr, abrufbar unter http:// www.bundestag.de/parlament/wehrbeauftragter/. Zuletzt besucht am 17.03.2006. 485 Vgl. Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 92. Zum rechtshistorischen Hintergrund der Vorschrift vor den Eindrücken und Erfahrungen des § 49 I MStGB siehe Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 6, Rn. 7 m.w. N.; zur alten Rechtslage siehe Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 49, Anm. I, wonach es unter der Herrschaft des § 49 I MStGB umstritten war, ob der Soldat strafbar ist, wenn er sich weigerte, in den sicheren Tod zu gehen. 486 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 6, Rn. 1 ff.; 7. Soldatische Pflichten zur Gefahrtragung sind insbesondere die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen (§ 7 SoldatenG) sowie gemäß § 12 S. 2 SoldatenG die Pflicht, dem Kameraden in Not und Gefahr beizustehen. 487 Beachte aber auch den deklaratorischen Hinweis in ZDv 10/1, Anlage 1, 2. Leitsatz, Abs. I: „Jedem Soldaten ist die Grundpflicht auferlegt, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Dies schließt im äußersten Fall den Einsatz seines Lebens ein.“ 488 Vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 6, Rn. 7.

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1. Teil: Das Wehrrecht

zu einer berechtigten Weigerung des Soldaten führen kann, weil dem Befehl eine Gewissensentscheidung des Untergebenen zuwiderlaufe und deshalb die Menschenwürde verletzt sei.489 Heute gilt die Frage nach einem „partiellen Kriegsdienstverweigerungsrecht“ bzw. einer situationsbedingten Gewissensentscheidung in Rechtsprechung und Schrifttum dahingehend geklärt, dass gemäß § 1 KDVG nur eine unbedingte Kriegsdienstverweigerung zulässig ist. Ein Menschenwürdeverstoß kann in solchen Befehlen somit nicht gesehen werden.490 Die Menschenwürde ist überdies verletzt, wenn der Untergebene einen Befehl erhält, der ihn erniedrigt, bloßstellt, demütigt oder in seiner Intimsphäre unzulässig beeinträchtigt.491 Trotz gelegentlich inadäquater Verhaltensweisen einzelner Unterführer in Haltung und Form entbehren sie jedoch der praktischen Relevanz in der Bundeswehr.492 Kommt es dennoch einmal zu einem solchen Ausnahmefall, greifen die Strafvorschriften gegen die Pflichten der Vorgesetzten im dritten Abschnitt des zweiten Teils gemäß §§ 30 ff. WStG ein.493 bb) Verstoß gegen Verfassungsprinzipien, insbesondere gegen Grundrechte des Untergebenen (1) Einführung Eine weitere, nicht ganz unproblematische Fallgruppe der rechtswidrigen, unverbindlichen Befehle, welche vom Untergebenen zwar nicht befolgt werden müssen, jedoch befolgt werden können, sind die, welche gegen tragende Verfassungsprinzipien, insbesondere gegen Grundrechte des Untergebenen494 verstoßen. Sie sind deshalb nicht ganz unproblematisch, weil bei Verfassungsfragen häufig widerstreitende Abwägungselemente eine große Rolle spielen. Das kann zur Folge haben, dass das Ergebnis der Rechtsfindung daher erst im Wege einer 489 Hierzu Huth, Die Gegenvorstellung, S. 84 ff.; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 176 ff. mit Hinweis auf Hahnenfeld, NJW 1956, 1860 (1862). 490 BVerfGE 12, 45 (57 f.) zu § 25 WPflG in der Fassung vom 21.06.1956, BGBl. I 1956, 651; BVerwGE 74, 72 (72 ff.); Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 79. 491 Vgl. Huth, Die Gegenvorstellung, S. 83 m.w. N. 492 So zutreffend auch Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 79. Vgl. OLG Celle, NZWehrr 1962, 42 (42 ff.); Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 31, Rn. 3 ff. m.w. N. aus der Rechtsprechung. Hierzu auch der alljährliche Bericht des Wehrbeauftragten der Bundeswehr, abrufbar unter http://www.bundestag.de/parlament/wehrbe auftragter/. Zuletzt besucht am 17.03.2006. 493 Vgl. Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 15; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 169. 494 Denkbar ist auch, dass die Befehlsausführung durch den Untergebenen einen Eingriff in die Grundrechte Dritter zur Folge hat. Hier sollen indes die Grundrechte des Befehlsempfängers im Vordergrund stehen.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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umfassenden Würdigung aller Interessen und Umstände des Einzelfalls ermittelt werden kann. Für das militärische Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis kann dies bedeuten, dass die Befehlslage zum Zeitpunkt ihrer befohlenen Ausführung daher nicht sofort eindeutig ist – ein Ergebnis, das im Hinblick auf § 11 I 2 SoldatenG mit militärischen Grundsätzen nicht einfach zu vereinbaren ist. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass eine nach den Vorschriften der WBO eingelegte Beschwerde gegen einen möglicherweise verfassungswidrigen Befehl gemäß § 3 I 1, 2 WBO keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Handelt es sich daher nicht um einen offensichtlich grundrechtsverletzenden Befehl, bedeutet es für den Untergebenen ein erhebliches persönliches Risiko, diesen nicht auszuführen. Für den Befehlsempfänger besteht in diesem Fall die Gefahr, dass ein Gericht in einem nachträglich durchgeführten Straf- und Disziplinarverfahren die Verbindlichkeit des Befehls feststellt und der Untergebene daher eine strafund disziplinarrechtliche Sanktion zu befürchten hat. Zusammengefasst bedeutet dies: Eine mitunter nicht leicht zu lösende Rechtsfrage und der generell fehlende Suspensiveffekt der Beschwerde kennzeichnen die Problematik der grundrechtsverstoßenden Befehle.495 Ob und inwieweit die Grundrechte des Soldaten eingeschränkt werden können, ergibt sich hierbei in erster Linie aus den Vorschriften des Grundgesetzes, die durch einfachgesetzliche Normen konkretisiert werden. Die folgenden Betrachtungen sollen daher der Frage nachgehen, unter welchen Voraussetzungen ein Befehl überhaupt und bis zu welcher Grenze in die Grundrechte eines Soldaten eingreifen darf. Hierfür ist es hilfreich, dass der Blick zunächst auf das Sonderstatusverhältnis im Allgemeinen gerichtet wird, um die Grundrechtswesentlichkeit im Wehrdienstverhältnis – als eine besondere Ausprägung des Sonderstatusverhältnisses – besser zu verstehen. (2) Der Soldat als Grundrechtsträger im sog. Sonderstatusverhältnis Unter einem Sonderstatusverhältnis496 versteht man heute ein intensiviertes Abhängigkeitsverhältnis des Einzelnen von einer bestimmten öffentlich-rechtlichen Institution, in deren Wirkungsbereich er durch freiwillige Unterwerfung497, durch gesetzlichen Zwang498 oder infolge eines tatsächlichen Vor495 Vgl. BVerwG 2 WD 12.04, S. 36 ff., 115 ff., insbesondere S. 117 ff. Vgl. auch Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 3, Rn. 1 ff., 11 f.; Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 200 f., 217 ff.; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 62 ff.; Köhler, PersR 1994, 12 (13); Mann, DÖV 1960, 409 (416); Rottmann, ZBR 1983, 77 (89). Zum Verfahrensrecht und dessen verfassungsrechtliche Beurteilung Lerche, Grundrechte des Soldaten, S. 509 ff. 496 Zur geschichtlichen Entwicklung der Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis“ siehe Klein, DVBl. 1987, 1102 (1102 ff.); hierzu auch die Arbeit von Wenninger, Besonderes Gewaltverhältnis. 497 Z. B. das freiwillig begründete Beamtenverhältnis.

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1. Teil: Das Wehrrecht

gangs499 gelangt.500 Das Wehrdienstverhältnis ist ein solches Sonderstatus- und Pflichtenverhältnis. Die Art. 1 III GG i.V. m. Art. 17a GG machen das Spannungsverhältnis zwischen dem Wehrdienstverhältnis auf der einen Seite und der Grundrechtsgeltung für die Angehörigen der Streitkräfte auf der anderen Seite deutlich.501 Die Bestimmungen zeigen aber auch, dass die Bundeswehr als Teil der vollziehenden Gewalt an die Grundrechte und an den allgemeinen Gesetzesvorbehalt gebunden ist und hierin nicht lediglich ein allgemeiner Programmsatz zu sehen ist.502 Die häufig verwendete Formel vom „Staatsbürger in Uniform“ bringt die Wertung des Grundgesetzes zum Ausdruck, dass der einzelne Soldat auch mit Begründung des Sonderstatusverhältnisses seine grundrechtstypische Subjektsqualität nicht einbüßt.503 Er bleibt vielmehr auch weiterhin Grundrechtsträger im besonderen Gewaltverhältnis.504 Eine andere Auffassung stünde in einem unüberwindbaren Widerspruch zu dem Wertesystem des Grundgesetzes, wollte man den Soldaten als Garant für die Verfassungswerte betrachten, ihn selbst aber nicht zugleich in dieses Wertesystem mit einbeziehen.505 Der Verfassungsgeber hat in diesem Sinn bewusst eine positiv-rechtliche Regelung in Art. 1 III GG, Art. 17a GG gewählt.506 Einer Generalklausel zur Einschränkung von 498

Beispielhaft sei hier das Schul- und Wehrdienstverhältnis genannt. Etwa die Benutzung einer öffentlichen-rechtlichen Anstalt. 500 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6, Rn. 17 f.; § 8, Rn. 26 ff.; Schnorr, JuS 1963, 293 (293). 501 Münker, NZWehrr 2001, 89 (97). 502 Dreier in Dreier, GG-Kommentar, Art. 1 III GG, Rn. 18; Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 75 ff.; Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 2; Robbers in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 1 GG, Rn. 81; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 1. 503 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 310; Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 4 ff.; Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 75 f.; Schnapp in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Band II, Art. 20 GG, Rn. 50; BVerfGE 33, 1 (10 f.): „Das Grundgesetz ist eine wertgebundene Ordnung, die den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Zweck allen Rechts erkennt; sein Menschenbild ist allerdings nicht das des selbstherrlichen Individuums, sondern der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit“, mit Hinweis auf BVerfGE 12, 45 (51); BVerfGE 28, 175 (189); BVerfGE 40, 276 (283). 504 Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 2; Münker, NZWehrr 2001, 89 (97). Dies wird einfach-gesetzlich in § 6 SoldatenG wiederholt; vgl. Scherer/Alff, SoldatenG, § 6, Rn. 2. 505 So Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 93 f. 506 Dies kommt auch durch die Neufassung des Art. 1 III GG zum Ausdruck. Durch die Grundgesetzänderung wurde das Wort „Verwaltung“ durch den Terminus „vollziehende Gewalt“ ersetzt. Hintergrund der Grundrechtsnovelle war, dass man die Streitkräfte als Teil der vollziehenden Gewalt in die von Art. 1 III GG strikte Grundrechtsbindung einbezogen wissen wollte. Hierdurch wird das Bemühen des Verfassungsgebers deutlich, jegliche Sonderstellung der Streitkräfte im Hinblick auf die Grundrechtsbindung gemäß Art. 1 III GG und die Bindung an Gesetz und Recht ge499

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Grundrechten des Soldaten, wie sie noch gemäß Art. 133 II WRV Geltung hatte, wurde damit eine Absage erteilt.507 So unzweifelhaft der Soldat daher auch im Sonderstatusverhältnis Grundrechtsträger bleibt, so wenig kann in Abrede gestellt werden, dass sich das Soldatenverhältnis von den allgemeinen Gewaltverhältnissen in besonderer Weise abhebt. Solange gesellschaftliche Wertesysteme – wie es das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verkörpert – einer möglichen militärischen Aggression von außen ausgesetzt sind, muss der Staat ein geeignetes Instrument zur Verfügung stellen, um einer solchen Aggression wirksam zu begegnen. Ziel staatlichen Handelns muss es daher fortwährend sein, sich politisch nicht erpressbar zu machen und die Handlungs- und Bündnisfähigkeit zu wahren.508 Um den Schutz des „Wertesystems Grundgesetz“ in diesem Sinn sicherstellen zu können, stellt der Bund gemäß Art. 87a I 1 GG Streitkräfte zur Verteidigung auf. Eine solche Verteidigung ist aber immer nur dann wirksam, wenn sie den Ernstfall stets vor Augen hat und entsprechend diesen Anforderungen vorbereitet ist. Eine in diesem Sinn einsatzorientierte und realitätsnahe Ausbildung bringt jedoch nur dann gut ausgebildete Soldaten hervor, wenn sie den Menschen als Ganzes, das heißt mit „Leib und Seele“ erfasst.509 Daher muss es Ziel militärischer Ausbilder sein, den Soldaten zur Härte gegen sich, zur soldatischen Straffheit und Selbstzucht zu erziehen, die von ihm bejahend angenommen wird.510 Nur eine solche Einsicht des Untergebenen wird dazu führen, dass die von gegenseitigem Vertrauen geprägte Beziehung zu seinen Vorgesetzten sich auch in schwierigen Lagen bewährt. Einer effektiven Verteidigungsbereitschaft wohnt es daher immanent inne, dass der einzelne Soldat stärker in die Pflicht genommen wird als der Zivilist im sonstigen besonderen Gewaltverhältnis, der diesem speziellen Sonderstatus nicht angehört.511 Das militärische Prinzip macht es somit unentbehrlich, dass die Grundrechte des Soldaten durch ge-

mäß Art. 20 III GG zu verhindern. Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 6. 507 Zum Ganzen siehe Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 93 ff. Zur Entstehungsgeschichte des Art. 17a GG siehe Roemer, JZ 1956, 193 (193 ff.). 508 Zum Ganzen Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 95. Vgl. auch Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 91; Schwenck, Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 17. Hierzu auch die verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21.03.2003, S. 27 ff., nachzulesen unter http://www.bmvg.de/portal/PA_1_0_LT/PortalFiles/C1256EF40036 B05B/N264XJ5C768MMISDE/VPR_BROSCHUERE.PDF?yw_repository=youatweb. Zuletzt besucht am 23.06.2006. 509 Vgl. ZDv 10/1, Kapitel 3, Rn. 344 ff. 510 In diesem Sinn bereits Schirmer, Befehl und Gehorsam, S. 87. 511 So auch Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 79; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 95. Vgl. auch Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 164.

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1. Teil: Das Wehrrecht

setzlich begründete Pflichten im Rahmen des dienstlich Notwendigen beschränkt werden.512 Um dieses Spannungsverhältnis zu einem gerechten Ausgleich zu bringen, hat der Gesetzgeber für das Wehrdienstverhältnis in Art. 17a GG und Art. 137 I GG eine spezielle Regelung geschaffen.513 Diese verfassungsrechtlichen Normen machen deutlich, dass der Soldat mit Begründung des Wehrdienstverhältnisses in eine besondere Beziehung zum Staat tritt, aus der sich ebenso besondere Pflichten ergeben.514 Die Einschränkung von Grundrechten ist jedoch nicht uferlos, sondern vielmehr ebenso begrenzt.515 Auch für das besondere Gewaltverhältnis gilt das verfassungsrechtliche Prinzip, dass Grundrechte des Einzelnen lediglich soweit eingeschränkt werden dürfen, wie dies sachlich notwendig und gerechtfertigt ist.516 Für eine verfassungsrechtlich gerechtfertigte Einschränkung von Grundrechten ist daher stets erforderlich, dass die Zweckbestimmung des Staates, die Eigenart und das Wesen des besonderen Gewaltverhältnisses eine solche Beschränkung zwingend erforderlich machen.517 Auf das hier interessierende Soldatenverhältnis bezogen bedeutet dies, dass eine Grundrechtseinschränkung von Militärpersonen nur dann rechtlich zulässig ist, wenn eben dieses Verhältnis mit seiner Zweckbestimmung eine Beschränkung unbedingt erfordert, das heißt, militärische Gesichtspunkte eine Einschränkung der Grundrechte unumgänglich machen.518 Eine weitere Grenze staatlichen Handelns ist in der Norm des Art. 19 II GG zu sehen, nachdem der Wesensgehalt eines Grundrechts auch im besonderen Gewaltverhältnis unantastbar ist.519 Wie zu zeigen sein wird, ergibt sich aus der Regelungssystematik des Art. 17a GG, dass die Angehörigen der Streitkräfte grundsätzlich alle Grundrechte für sich in Anspruch nehmen können wie jeder andere Staatsbürger auch. Die über das normale Maß hinaus einschränkbaren Grundrechte des Soldaten ergeben sich dem Grunde nach somit ausschließlich aus Art. 17a GG und

512 Vgl. Schwenck, Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 21 ff., 39 ff.; vgl. hierzu auch die Kommentierung bei Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 1. Siehe auch den insoweit deklaratorischen Verweis auf die Beschränkungsmöglichkeit der Grundrechte in § 6 S. 2 SoldatenG. 513 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 79. 514 Vgl. Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 1 ff., 9. 515 Brenner in von Mangoldt/Klein, GG-Kommentar, Band I, Art. 17a GG, Rn. 3 ff.; Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 5 ff. 516 Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 21. 517 Ausführlich Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 98 ff. m.w. N. 518 Vgl. Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 21; Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 78 f.; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 100 f. 519 Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 9; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 101.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Art. 137 I GG. Daneben gelten auch für den Soldaten die sonstigen Verfassungsbestimmungen.520 (3) Der Befehl als Eingriff in die Grundrechte des Soldaten Aus der Formulierung „Gesetze [. . .] können bestimmen“ in Art. 17a I GG wird nach allgemeinem Verständnis geschlossen, dass Eingriffe in ein Grundrecht des Soldaten sowohl durch Gesetz als auch aufgrund eines Gesetzes erfolgen können.521 Damit ist auch der Befehl ein geeignetes und in der Praxis sehr relevantes Instrument zur Konkretisierung der Grundrechtsschranken.522 (4) Die einschränkbaren Grundrechte durch Befehl nach Art. 17a GG und Art. 137 I GG und die daraus folgenden Konsequenzen für die dort nicht genannten Grundrechte Nach Art. 17a I GG können für Angehörige der Streitkräfte das Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 I 1 1. HS GG, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG und das Petitionsrecht gemäß Art. 17 GG, soweit es das Recht gewährt, Bitten und Beschwerden in Gemeinschaft mit anderen vorzubringen, eingeschränkt werden.523 Die gleiche Rechtsfolge ergibt sich für Berufs- und Zeitsoldaten im Hinblick auf das passive Wahlrecht gemäß Art. 137 I GG.524 Nach Art. 17a II GG sind im Wehrdienstverhältnis das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG) und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) einschränkbar, wenngleich diese Norm nicht nur für Soldaten, sondern auch für Zivilisten gilt.525 Der Begriff der Verteidigungsgesetze ist hier in einem weiten Sinn zu verstehen. Hierunter fallen vor allem die Wehrgesetze, wie etwa das Soldaten- und Wehrpflichtgesetz, aber auch die Gesetze, welche die Verteidigung nur mittelbar betreffen, wie beispielsweise die zahlreichen Sicherstellungsgesetze.526 520 Vgl. Brenner in von Mangoldt/Klein, GG-Kommentar, Band I, Art. 17a GG, Rn. 3 ff.; Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 7 f.; Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 2 ff., 9. 521 Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 25, 35; Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 16. 522 Mann, DÖV 1960, 409 (414 f.); vgl. auch Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 72 ff. 523 Das BVerfG prüft die Schranke aus Art. 17a GG kumulativ neben den allgemeinen Grundrechtsschranken. Diese werden nach Ansicht des Gerichtes nicht verdrängt. Vgl. BVerfGE 28, 282 (291); BVerfGE 44, 197 (202). 524 Zu den Einzelheiten siehe Ipsen in Bonner Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 26 ff. 525 Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 35. 526 Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 35; Heun in Dreier, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 15 f.; Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 26 f. So z. B. § 32 Gesetz zur Sicherstellung des Verkehrs (Verkehrssicher-

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1. Teil: Das Wehrrecht

Wie bereits eingangs erwähnt, darf der demokratische Gesetzgeber von den zitierten Gesetzesvorbehalten jedoch nur dann Gebrauch machen und eine weitere Grundrechtsbeschränkung des Soldaten vornehmen, wenn das Wehrdienstverhältnis eine solche Einschränkung zwingend erfordert. Auch hier gilt der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass die Grundrechte des Soldaten nur so weit eingeschränkt werden dürfen, wie dies sachlich, das heißt aus militärischen Gesichtspunkten heraus, notwendig und gerechtfertigt ist.527 Daraus folgt, dass eine Grundrechtsbeschränkung allein durch Art. 17a GG nicht möglich ist, sondern dass eine Einschränkung des Grundrechts stets durch die Gegebenheiten und Besonderheiten des militärischen Gewaltverhältnisses bedingt sein müssen.528 Mit diesem Gedanken unmittelbar verknüpft ist das Verbot gemäß Art. 19 II GG, den Wesensgehalt eines Grundrechts anzutasten. Sollen daher die in Art. 17a GG und Art. 137 I GG genannten Grundrechte des Soldaten eingeschränkt werden, ist den Anforderungen der Wesensgehaltsgarantie gemäß Art. 19 II GG gebührend Rechnung zu tragen.529 Die Regelung in Art. 17a GG und Art. 137 I GG bedeutet aber auch, dass prinzipiell nur diese enumerativ aufgezählten Grundrechte einer weitergehenden Disposition des Gesetzgebers unterliegen. Daraus folgt, dass alle sonstigen Grundrechte dem Soldaten daher grundsätzlich in gleichem Umfang zustehen wie dem sonstigen Bürger im allgemeinen Gewaltverhältnis auch.530 Dies heißt aber nicht, dass für die Angehörigen der Streitkräfte nur die in Art. 17a GG und Art. 137 I GG genannten Grundrechte einer Einschränkung unterliegen und die dort nicht aufgeführten einer Einschränkung damit entzogen wären. Die Art. 17a GG und Art. 137 I GG haben nach richtiger Ansicht keinen abschließenden Charakter.531 Eine gegenteilige Auffassung käme zu dem etwas widersprüchlichen Ergebnis, dass die in Art. 17a GG nicht genannten Grundrechte stellungsgesetz) vom 08.10.1968, BGBl. I 1968, 1082; § 39 Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz) vom 09.07.1968, BGBl. I 1968, 787. 527 So Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 106. Vgl. auch Brenner in von Mangoldt/Klein, GG-Kommentar, Band I, Art. 17a GG, Rn. 15; Dürig in Maunz/ Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 21; Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 2 ff. 528 Ausdrücklich Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 106. 529 Hierzu Huber in von Mangoldt/Klein, GG-Kommentar, Band I, Art. 19 GG, Rn. 105 ff.; Krüger in Sachs, GG-Kommentar, Art. 19 GG, Rn. 33 ff. Dürig in Maunz/ Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 10 betont, dass selbstverständlich auch die in Art. 17a GG genannten einschränkbaren Grundrechte dem Art. 19 I, II GG unterliegen und somit nicht einer „gesetzgeberischen Allmacht“ zugänglich sind. 530 So die Enumerationstheorie. Vgl. Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 7 f.; Heun in Dreier, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 4, 14; Ipsen in Bonner Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 4, 23. 531 Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 7; Lerche, Grundrechte des Soldaten, S. 461; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 106 f.; Ullmann, Grundrechtsbeschränkungen des Soldaten, S. 44.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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von Soldaten anderenfalls intensiver geschützt wären als die Grundrechte von Zivilisten.532 Dies hätte zur Folge, dass der Soldat durch die Wehrverfassung in einer sachlich nicht nachvollziehbaren und rechtlich nicht begründbaren Weise gegenüber dem zivilen Staatsbürger privilegiert wäre.533 Daher ist es folgerichtig, außerhalb des Art. 17a GG und Art. 137 I GG auch den Soldaten den allgemeinen Regeln der Einschränkung von Grundrechten zu unterwerfen. Dies bedeutet, dass Art. 17a GG nicht schlechthin eine abschließende Regelung darstellt, welche den Rückgriff auf das Institut der Grundrechtseinschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht versperrt. Der Anwendungsbereich des Instituts des kollidierenden Verfassungsrechts ist somit dann eröffnet, wenn im Fall vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte die eröffneten Freiheitsräume andernfalls grenzenlos ausgelebt würden und so der Funktionsablauf der Bundeswehr möglicherweise erheblich gestört wäre. Bei der hier vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen kommt es für eine Begrenzung der Grundrechte von Soldaten durch kollidierendes Verfassungsrecht in erster Linie entscheidend auf einen verhältnismäßigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen an.534 Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass das Enumerationsprinzip des Art. 17a GG grundsätzlich die Uneinschränkbarkeit jener Grundrechte garantiert, die dort nicht aufgeführt sind. Das Gleiche gilt für die Grundrechte, die nicht unter einem ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Gesetzes- oder Schrankenvorbehalt stehen.535 Hiervon ist nur dann eine Ausnahme zu machen und auf das Institut des kollidierenden Verfassungsrechts zurückzugreifen, wenn durch eine schrankenlose Grundrechtsausübung des Soldaten die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr nachhaltig infrage gestellt würde.536 532

So ausdrücklich Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 7. Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 80 f.; Kokott in Sachs, GGKommentar, Art. 17a GG, Rn. 7; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 106 f. So im Ergebnis auch Mutschler, NZWehrr 1998, 1 (5 f.); Spranger, Verwaltungsrundschau 1999, 20 (21). Für eine abschließende Regelung des Art. 17a GG hinsichtlich der vorbehaltlos garantierten Grundrechte Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 19 f.; Heun in Dreier, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 14; Ipsen in Bonner Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 81: „Das nicht zu übersehende Ziel der Verfassungsnovelle, die Zahl möglicher Grundrechtseinschränkungen im militärischen Statusverhältnis zu begrenzen, ist bindende Leitlinie der Interpretation.“ Siehe auch Rauball in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Band I, Art. 17a GG, Rn. 13. 534 Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 7 mit Hinweis auf Spranger, Verwaltungsrundschau 1999, 20 (21); in diesem Sinn auch Ullmann, Grundrechtsbeschränkungen des Soldaten, S. 66 f. Das BVerwG spricht in diesem Zusammenhang von „praktischer Konkordanz“, „optimaler Wirksamkeit“ und einem „schonenden Ausgleich“ für beide Seiten, vgl. BVerwG 2 WD 12.04, S. 115 ff. 535 Vgl. Dürig in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 31; Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 6 f. 536 Die Strafgefangenenentscheidung nach BVerfGE 33, 1 (1 ff.), die eine grundlegende Änderung hinsichtlich des besonderen Gewaltverhältnisses statuierte, steht einer 533

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1. Teil: Das Wehrrecht

(5) Der Eingriff in Grundrechte durch Befehl außerhalb des Art. 17a GG und Art. 137 I GG (a) Der Eingriff in einschränkbare Grundrechte durch Befehl Sonstige Grundrechte, die unter einem Gesetzesvorbehalt stehen, können nach den allgemeinen Regeln auch für die Soldaten der Bundeswehr eingeschränkt werden.537 Anderenfalls ergäbe sich das soeben beschriebene und wenig überzeugende Ergebnis, dass gerade Soldaten – als Angehörige eines besonderen Gewaltverhältnisses – geringeren Grundrechtsbeschränkungen unterliegen als jeder andere Staatsbürger im Rahmen der allgemeinen Gewaltverhältnisse.538 Ein Eingriff in einschränkbare Grundrechte durch Befehl setzt jedoch stets voraus, dass ein solcher Befehl geeignet, erforderlich und angemessen ist, um eine nach dem SoldatenG gesetzlich begründete Dienstpflicht zu fördern.539 Diese Fallgruppe steht daher in erster Linie unter einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung.540 Als Beispiel, bei dem ein Befehl in einschränkbare Grundrechte außerhalb des Art. 17a GG eingreift, soll ein aus der Rechtsprechung entschiedener Fall dargestellt werden.541 Hierbei ging es um den Befehl eines Vorgesetzten an eiEinschränkung vorbehaltloser Grundrechte durch kollidierendes Verfassungsrecht nicht entgegen. Dort heißt es a. a. O. auf S. 11: „In Art. 1 III GG werden die Grundrechte für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung für unmittelbar verbindlich erklärt. Dieser umfassenden Bindung der staatlichen Gewalt widerspräche es, wenn im Strafvollzug die Grundrechte beliebig oder nach Ermessen eingeschränkt werden könnten. Eine Einschränkung kommt nur dann in Betracht, wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zwecks unerlässlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht. Die Grundrechte [. . .] können also nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.“ Von einer beliebigen Einschränkung der Grundrechte kann in dem oben genannten Sinn keine Rede sein. Überdies ist die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ein von der Werteordnung des Grundgesetzes gemeinschaftsbezogener Zweck [BVerfGE 28, 243 (261)], der im Fall ungehemmter Grundrechtsausübung eine Beschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht unerlässlich macht. Für verfassungsimmanente Schranken im Rahmen des Art. 9 I GG siehe Mutschler in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 17a GG, Rn. 16. 537 Heun in Dreier, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 14; Ipsen in Bonner Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 80; Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 9; Mutschler, NZWehrr 1998, 1 (5). 538 Hierauf machen u. a. Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 80 f. und Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 106 f. aufmerksam. 539 Vgl. Mann, DÖV 1960, 409 (414 f.); Scherer/Alff, SoldatenG, § 6, Rn. 9 f., 18; zum sog. Haarerlass vgl. BVerwG, NZWehrr 1972, 221 (221 ff.). Hierzu auch das verfehlte Urteil des TDG Süd in der sog. „Pferdeschwanz-Entscheidung“, Urteil vom 21.12.2004 – S 4 BLc 18/04, abgedruckt in NZWehrr 2005, 257 (257 ff.). 540 Vgl. Ipsen in Bonner Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 82; Kokott in Sachs, GGKommentar, Art. 17a GG, Rn. 9 f.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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nen unterstellten Soldaten, an einem dienstlichen Abschiedsabend teilzunehmen und hierfür einen Kostenbeitrag zu entrichten. Rechtswidrig ist ein solcher Befehl bezüglich der Kostentragung, weil es dem Vorgesetzten nicht erlaubt ist, den Untergebenen zur Disposition über seine Finanzen zu veranlassen.542 Das folgt aus der Grundrechtsgarantie des Art. 14 I GG. Da sich auch sonst im Wehrrecht keine Norm findet, die den Vorgesetzten dazu berechtigt, durch Befehl einem Untergebenen Geldleistungen aufzuerlegen, ist dieser insoweit rechtswidrig, als er den Untergebenen verpflichtet, einen Kostenbeitrag zu erstatten.543 Nach richtiger Ansicht folgt hieraus auch die Unverbindlichkeit des Befehls.544 Andernfalls müsste der Soldat gehorchen und wäre auf den Beschwerdeweg verwiesen, der gemäß § 3 I 1, 2 WBO keinen Suspensiveffekt auslöst. Ein durch Befehl erfolgter Eingriff in die grundgesetzliche Eigentumsgarantie des Untergebenen wiegt jedoch so schwer, dass konsequenter Weise hieraus die Unverbindlichkeit folgen muss. Auch gilt es zu bedenken, dass den Vorgesetzten gemäß § 8 SoldatenG i.V. m. § 10 I SoldatenG eine gesteigerte Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung trifft. Hierzu gehört insbesondere die Achtung der Grundrechte, die gemäß § 10 IV SoldatenG auch nicht durch Befehl außer Kraft gesetzt werden können. Für die Unverbindlichkeit des Befehls lässt sich überdies der Gedanke fruchtbar machen, dass der Befehl zur Kostentragung gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Ein Befehl an einen Soldaten, sein Eigentum einzusetzen, um den Zweck des Verteidigungsauftrages (mittelbar) zu erreichen, ist nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig. Er ist somit nach richtiger Ansicht rechtswidrig und unverbindlich.545 541 WDB vom 20.09.1978, NZWehrr 1978, 224 (224 ff.) mit kritischer Anm. von Alff, NZWehrr 1978, 227 (227 f.); vgl. auch bereits die Darstellung von Peterson, NZWehrr 1979, 24 (24 ff.), der sich für die Unverbindlichkeit des Befehls ausspricht. Hierzu auch Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 130, 139; Scherer/Alff, SoldatenG, § 6, Rn. 47, § 11, Rn. 15. 542 WDB vom 20.09.1978, NZWehrr 1978, 224 (226 f.). 543 WDB vom 20.09.1978, NZWehrr 1978, 224 (227); insoweit in Übereinstimmung mit dem Bundeswehrdisziplinaranwalt und dem Wehrbeauftragten, abgedruckt in: Schriftenreiche Innere Führung 1976, Heft 7, S. 35 ff. 544 Hierzu und zum Folgenden Peterson, NZWehrr 1979, 24 (24 ff.). 545 So bereits zum Ganzen Peterson, NZWehrr 1979, 24 (24 ff.). Der Zweite Wehrdienstsenat (a. a. O.) hat indes den Befehl zur Kostentragung als rechtswidrig, aber verbindlich beurteilt. Nach Auffassung des Senates dient ein Abschiedsabend dienstlichen Zwecken. Eine solche Veranstaltung sei geeignet, die Kameradschaft zu festigen, die Erziehung der Soldaten zur Gemeinschaft zu fördern und zum inneren Zusammenhalt der Truppe beizutragen. Insgesamt diene also die Veranstaltung mittelbar der Erfüllung des Verteidigungsauftrages. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sieht der Senat nicht in unzumutbarer Weise berührt. Da auch ein sonstiger Mangel nicht erkennbar sei, handelt es sich somit nach Ansicht des Senates insgesamt um einen rechtswidrigen, aber verbindlichen Befehl. Innerhalb dieser besprochenen Fallgruppe wird auch das Urteil vom AG Sonthofen [NZWehrr 1959, 34 (34 f.)] behandelt, bei dem es um

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1. Teil: Das Wehrrecht

(b) Der Eingriff in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte durch Befehl (aa) Einführung Wie bereits beschrieben, ist ein Befehl, der in ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht des Soldaten eingreift, allein deshalb nicht grundsätzlich rechtswidrig und unverbindlich. Auch im Hinblick auf die Soldaten finden die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte ihre Grenzen in den immanenten Schranken.546 Zu diesen immanenten Schranken kann im Einzelfall auch die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte gehören, die gemäß den Art. 12a, 65a, 73 Nr. 1, 87a I, 115a ff. GG ein Gemeinschaftsinteresse von Verfassungsrang ist.547 So heißt es in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:548 „Mit den nachträglich in das Grundgesetz eingefügten wehrverfassungsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere den heute geltenden Vorschriften der Art. 12a, 73 Nr. 1, 87a und 115b GG hat der Verfassungsgeber eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wirksame militärische Landesverteidigung getroffen. Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr haben verfassungsrechtlichen Rang.“ Eine Grundrechtskollision kann sich etwa dergestalt ergeben, dass Grundrechte verschiedener Soldaten aufeinander prallen. Möglich ist jedoch auch, dass die Grundrechte eines Soldaten mit den wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes kollidieren.549 Ein Rückgriff auf die immanenten den Befehl einer Feldjägerstreife an einen der Trunkenheit am Steuer verdächtigen Soldaten ging, bei der Feststellung der BAK mitzuwirken. Siehe hierzu Peterson, NZWehrr 1979, 24 (26 ff.) und Scherer, NZWehrr 1959, 130 (130 ff.), die zu Recht auf den nach § 136a I 2 StPO verbotenen Zwangscharakter eines solchen Befehls und den nemo-tenetur-Grundsatz abstellen. Vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO-Kommentar, Einleitung, Rn. 29a; Krause in Löwe-Rosenberg, StPO Kommentar, § 81a, Rn. 22 ff., 41. 546 BVerfGE 28, 243 (244) = NJW 1970, 1729 (1729) zweiter Leitsatz: „Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen.“ Vgl. auch BVerwGE 63, 99 (99 ff.) = NZWehrr 1979, 230 (230 ff.) mit Anm. von Walz, NZWehrr 1980, 26 (26 f.). 547 BVerfGE 28, 243 (261); BVerfGE 28, 282 (292); BVerfGE 44, 197 (202); BVerfGE 48, 127 (159 f.); BVerfGE 57, 29 (36); BVerfGE 69, 1 (21, 57 ff.); BVerwGE 63, 37 (38); BVerwGE 83, 358 (361 f.); BVerwGE 93, 323 (325); Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 7; Scherer/Alff, SoldatenG, § 6, Rn. 5; Tettinger, JuS 1997, 769 (772); Ullmann, Grundrechtsbeschränkungen des Soldaten, S. 83: „Freiheitsrechte und Gemeinschaftsgüter müssen deshalb zueinander zugeordnet werden. Die Berechtigung dazu ergibt sich aus dem Verständnis des Menschen als Gemeinschaftswesen.“ 548 BVerfGE 69, 1 (21). 549 Scherer/Alff, SoldatenG, § 6, Rn. 5.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Schranken zur Einschränkung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte ist deshalb notwendig, weil spätestens seit der Strafgefangenenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts550 vom 14.03.1972 die Heranziehung der Kategorie des besonderen Gewaltverhältnisses als ungeschriebene Grundrechtsschranke unzulässig ist.551 Daher vermag das besondere Gewaltverhältnis allein eine Grundrechtseinschränkung nicht zu rechtfertigen.552 Ein verfassungsrechtlicher Konflikt zweier widerstreitender Interessen ist darum im Wege der sog. praktischen Konkordanz zu einem gerechten Ausgleich zu bringen.553 Staatliche Eingriffe in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte sind demnach dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn sie im konkreten Fall Kollisionen mit Grundrechten Dritter oder mit anderen Verfassungsgütern ausgleichen.554 Wie u. a. die oben zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, stellen Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Streitkräfte ein solches Rechtsgut von Verfassungsrang dar, die positiv-rechtlich in den Normen gemäß Art. 12a, 65a, 73 Nr. 1, 87a I, 115a ff. GG zum Ausdruck kommen. Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine effektive militärische Landesverteidigung kann dann im Einzelfall dazu führen, dass eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, dass auch ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht des Soldaten eingeschränkt werden kann.555 (bb) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Reichweite der Gehorsamspflicht nach Art. 4 I 2. Var. GG vom 21.06.2005 Aktualität gewinnt diese Fallgruppe durch das jüngst entschiedene Urteil des Zweiten Wehrdienstsenates des Bundesverwaltungsgerichtes.556 Das Urteil 550

BVerfGE 33, 1 (1 ff.). Vgl. Brenner in von Mangoldt/Klein, GG-Kommentar, Band I, Art. 17a GG, Rn. 3; Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 5; Münker, NZWehrr 2001, 89 (97). 552 Vgl. Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 5 ff.; Münker, NZWehrr 2001, 89 (97). 553 Hierzu Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 275 ff.; Spranger, Verwaltungsrundschau 1999, 20 (21). 554 So Münker, NZWehrr 2001, 89 (100). Vgl. auch Jarass in Jarass/Pieroth, GGKommentar, Vorb. vor Art. 1 GG, Rn. 39 f., 45 f.; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 69 ff. 555 Münker, NZWehrr 2001, 89 (100 f.). Vgl. auch Mutschler, NZWehrr 1998, 1 (2, 5 f.); Scherer/Alff, SoldatenG, § 6, Rn. 5; Spranger, Verwaltungsrundschau 1999, 20 (21 f.); BVerfGE 28, 243 (261); BVerfGE 69, 1 (21, 57 ff.); BVerwGE 63, 37 (38); BVerwGE 93, 323 (325). 556 BVerwG 2 WD 12.04 vom 21.06.2005, abgedruckt in NJW 2006, 77 (77 ff.); DVBl. 2005, 1455 (1455 ff.) mit kritischer Anm. von Battis. Siehe auch die Besprechungen von Dau, NZWehrr 2005, 255 (255 ff.); Kotzur, JZ 2006, 25 (25 ff.); Metje, JA 2006, 97 (97 ff.); Sohm, NZWehrr 2006, 1 (1 ff.). Hierzu auch der juristisch irrige und politisch verfehlte Kommentar im Handelsblatt vom 09.09.2005, S. 11: „Ausrei551

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1. Teil: Das Wehrrecht

sorgte in den Medien vor allem deshalb für großes Interesse, weil erstmals ein deutsches Gericht Stellung zum Irak-Krieg und seiner Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht nahm. Dem zu entscheidenden Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:557 Ein Soldat im Dienstgrad eines Majors bekam im April 2003 den Befehl, an der Weiterentwicklung eines militärischen Software-Programms für die Vernetzte Operationsführung (NetOpFü 558) der Streitkräfte mitzuwirken, das logistische und administrative Prozesse steuern soll. Diesen Befehl verweigerte er. Zur Begründung führte er an, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, Befehle zu befolgen, die geeignet seien, Kriegshandlungen im Irak zu unterstützen. Dabei machte er geltend, sein Vorgesetzter habe vor Befehlserteilung ihm gegenüber ausdrücklich nicht ausschließen können, dass mit der Arbeit an dem Projekt eine Beteiligung der Bundeswehr an dem von ihm als völkerrechtswidrig angesehenen Krieg gegen den Irak unterstützt werde. Eine mittelbare Unterstützung sah der Major dadurch begründet, dass Bundeswehrangehörige in Kuwait stationiert seien, deutsche Soldaten an AWACS-Flügen beteiligt wären, USLiegenschaften in Deutschland bewachten und dass den USA für die im Irak operierenden Streitkräfte Überflug- und Landerechte in Deutschland gewährt würden. Er hielt dies für eine verfassungs- und völkerrechtswidrige Unterstützungsleistung i. S. d. Art. 26 I GG. Das Truppendienstgericht Nord hat den Soldaten u. a. wegen Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht für schuldig befunden und setzte ihn in den Dienstgrad eines Hauptmanns herab.559 Der Zweite Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts sah es hingegen nicht als erwiesen an, dass der Soldat sich des ßer“, „Politurteil“, „starker Tobak“ und „[. . .] Werk von Aktivisten der Friedensbewegung, die in der Verkleidung der Richterrobe und unter Missbrauch ihrer höchstinstanzlichen Unanfechtbarkeit Politik zu machen versuchen“. Eine ausführliche journalistische Darstellung findet sich auch in der SZ vom 24.06.2005, S. 2 mit weiteren Reaktionen aus der Presse. 557 Pressemitteilung Nr. 38/2005 der Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.06.2005. 558 Die sog. vernetzte Operationsführung (NetOpFü) soll die drei Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine, insbesondere im Verbund mit anderen Nationen in die Lage versetzen, alle an einem Einsatz beteiligten Personen, Truppenteile und Waffensysteme miteinander und untereinander zu verbinden (Interoperabilität). Die NetOpFü basiert auf der Vernetzung von Aufklärungs-, Führungs- und Wirkmitteln. Das so gewonnene umfassende Lagebild soll vor allem im Rahmen multinationaler Operationen Entscheidungsprozesse effektiver und Einsatzmittel damit wirkungsvoller machen. Aus einem Informations- wird somit ein Gefechtsvorteil. Siehe hierzu http://www.luft waffe.de/portal/a/luftwaffe/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLN493CrE ESYGYAYb6kTChoJRUfW99X4_83FT9AP2C3IhyR0dFRQCXKPGo/delta/base64xml/ L2dJQSvUUt3QS80SVVFLzZfN19CVDk!?yw_contentURL=%2F01DB060000000001 %2FW26KYHBK713INFODE%2Fcontent.jsp. Vgl. auch http://www.esg.de/pdf/ESGSpektrumIII-04.pdf. Zuletzt besucht am 23.06.2006. 559 TDG Nord, Urteil vom 09.02.2004 – N 1 VL 24/03.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Ungehorsams schuldig gemacht hat. Es hob das Urteil auf und sprach den Soldaten frei. Die Gründe hierfür sieht das Gericht wie folgt: Zunächst stellt das Gericht klar, dass § 11 I 1, 2 SoldatenG die Verpflichtung jedes Bundeswehrsoldaten begründet, die ihm erteilten Befehle „gewissenhaft“ auszuführen. Hieraus folge jedoch nicht ein „bedingungsloser Gehorsam“, sondern vielmehr ein „mitdenkender und die ethischen Grenzmarken des eigenen Gewissens bedenkender Gehorsam.“560 Sodann prüft das Gericht die sich aus dem Grundgesetz und dem SoldatenG ergebenden Grenzen des Gehorsams. Unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit einer Befehlsbefolgung macht es sodann Ausführungen über den Schutzbereich des Art. 4 I 2. Var. GG. Danach ist eine Gewissensentscheidung jede ernste sittliche, das heißt an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt innerlich verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte.561 Der Gewissensappell „als innere Stimme des Soldaten“ könne hierbei „nur mittelbar aus entsprechenden Indizien und Signalen, die auf eine ernsthafte Gewissensentscheidung hinweisen, vornehmlich über das Medium der Sprache erschlossen werden.“562 Erforderlich sei jedoch stets die positive Feststellung einer „nach außen tretenden, rational mitteilbaren und nach dem Kontext intersubjektiv nachprüfbaren Darlegung der Ernsthaftigkeit, Tiefe und Unabdingbarkeit der Gewissensentscheidung.“563 Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Gerichtes, dass sich die Nachvollziehbarkeit der Darlegung einzig auf das „Ob“, nicht jedoch auf das „Wie“ bezieht. Entscheidend sei daher nicht, ob auch die Gewissensentscheidung selbst als „irrig“, „falsch“ oder „richtig“ gewertet werden kann.564 Nach Ansicht des Senates ist ein Befehl zur mittelbaren Unterstützung eines völkerrechtlich zweifelhaften Krieges565 nicht hinreichend, die Gewissensfreiheit des Soldaten zu beschränken. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit gemäß 560

BVerwG 2 WD 12.04, S. 47 ff. BVerwG 2 WD 12.04, S. 51, 99 ff. 562 BVerwG 2 WD 12.04, S. 57. 563 BVerwG 2 WD 12.04, S. 57. 564 BVerwG 2 WD 12.04, S. 57. 565 Wörtlich heißt es hierzu im sechsten und siebten Leitsatz auf S. 2 a. a. O.: „Gegen den am 20. März 2003 von den USA und dem Vereinigten Königreich (UK) begonnenen Krieg gegen den Irak bestanden und bestehen gravierende rechtliche Bedenken im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige geltende Völkerrecht. Für den Krieg konnten sich die Regierungen der USA und des UK weder auf sie ermächtigende Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates noch auf das in Art. 51 UNCharta gewährleistete Selbstverteidigungsrecht stützen. Weder der NATO-Vertrag, das NATO-Truppenstatut, das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut noch der Aufenthaltsvertrag sehen eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland vor, entgegen der UN-Charta und dem geltenden Völkerrecht völkerrechtswidrige Handlungen von NATO-Partnern zu unterstützen.“ Die völker561

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1. Teil: Das Wehrrecht

Art. 4 I 2. Var. GG werde im vorliegenden Fall auch nicht durch die wehrverfassungsrechtlichen Normen gemäß Art. 12a, 65a, 73 Nr. 1, 87a I, 115a ff. GG verdrängt.566 Insbesondere sei dies nicht schon dann der Fall, wenn eine Inanspruchnahme der Gewissensfreiheit durch einen Soldaten in den Augen der Vorgesetzten als „störend“ oder „für den Dienstbetrieb belastend“ empfunden werde.567 Die sich für den militärischen Dienstbetrieb ergebenden Schwierigkeiten seien durch die Herstellung einer „praktischen Konkordanz“ zu lösen.568 Einen so angestrebten schonenden Ausgleich der widerstreitenden Interessen sieht der Senat dadurch am besten gewährleistet, dass der betroffene Soldat einer anderweitigen Verwendung zugeführt oder versetzt werde.569 Das vom Bundesverwaltungsgericht gefundene Ergebnis mag auf den ersten Blick etwas verwundern. In der Tat ist es richtig, dass auch der Soldat sich auf die Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I 2. Var. GG berufen kann. Richtig ist aber auch, dass nach den obigen Ausführungen dieses Grundrecht nicht grenzenlos gilt, sondern durch kollidierende Verfassungsgüter eingeschränkt werden kann, um der Gefahr eines „Supergrundrechts“ wirksam zu begegnen und den von der Verfassung geforderten Verteidigungsauftrag sicherzustellen.570 So formuliert das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dass es „zum Inbegriff aller Grundrechte gehört, dass sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden. Denn jedes Grundrecht setzt den Bestand der staatlichen Gemeinschaft voraus, durch die es gewährleistet wird.“571 Der vor-

rechtliche Beurteilung des Irak-Krieges wird sodann auf S. 72 ff. a. a. O. ausführlich dargelegt. 566 BVerwG 2 WD 12.04, S. 105 ff. 567 BVerwG 2 WD 12.04, S. 111 ff. 568 BVerwG 2 WD 12.04, S. 107 ff. 569 BVerwG 2 WD 12.04, S. 118. 570 In diesem Sinn BVerfGE 28, 243 (260 f.); BVerfGE 32, 40 (46); BVerfGE 48, 127 (159 f.); vgl. auch Herzog in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 4 GG, Rn. 91, 151 ff., 192 ff.; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 158 ff. m.w. N. zur Rechtsprechung und Literatur; ders., a. a. O., S. 171: „Ein Grundgesetz, das es mit seinem Bekenntnis zum freiheitlich demokratischen Rechtsstaat ernst meint, kann eine unbegrenzte Geltendmachung der Gewissensfreiheit in Form der Gewissensbetätigung nicht zulassen.“ Noch deutlicher, jedoch mit der geltenden Rechtslage kaum zu vereinbaren Arndt, Wehrstrafrecht, S. 121: „Ist ein volles Wehrdienstverhältnis begründet, dann muss der Soldat alle Befehle befolgen und darf den Gehorsam nicht aus Gewissensgründen im Einzelfall verweigern.“ 571 So schon BVerwGE 1, 48 (52). Vgl. auch BVerfGE 30, 173 (193): „Die Freiheitsverbürgung des Art. 4 I GG geht wie alle Grundrechte vom Menschenbild des Grundgesetzes aus, das heißt vom Menschen als eigenverantwortlicher Persönlichkeit, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet. Diese vom Grundgesetz anerkannte Gemeinschaftsbindung des Individuums macht auch Grundrechte, die vorbehaltlos gewährleistet sind, gewissen äußeren Grenzziehungen zugänglich. Jedoch dürfen die Grenzen [. . .] nur von der Verfassung selbst bestimmt werden.“

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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zunehmende Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen bedarf daher einer genaueren Betrachtung des Einzelfalls, die den Wertgehalt der Verfassungsgüter hinreichend berücksichtigt.572 Für den zu beurteilenden Fall bedeutet dies, dass es entscheidend auf eine angemessene Abwägung des Grundrechts der Gewissensfreiheit mit dem kollidierenden Verfassungsgut der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ankommt.573 Bezüglich einer Kollision der Gewissensfreiheit mit der Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr führte das Bundesverfassungsgericht 1970 in einem zu Art. 4 III GG entschiedenen Fall klarstellend aus, dass zur Auflösung der Kollision nicht der Befehl den Maßstab für die Auslegung verfassungsrechtlicher Bestimmungen liefert, sondern vielmehr die Verfassung selbst und die von ihr geschützte gesamte Werteordnung ausnahmsweise imstande sind, auch vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen.574 Dabei auftretende Konflikte lassen sich nach Ansicht des Gerichts nur lösen, indem ermittelt wird, welche Verfassungsbestimmung für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat.575 Die schwächere Norm dürfe nur so weit zurückgedrängt werden, wie dies logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt müsse jedoch in jedem Fall respektiert werden.576 Eine in diesem Sinn vorzunehmende Begrenzung der Gewis572 Vgl. auch BVerwGE 56, 227 (227 ff.) zum Spannungsverhältnis der Gewissensfreiheit und der Institution des Berufbeamtentums mit Anm. von Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, Rn. 224 f. 573 Vgl. Kokott in Sachs, GG-Kommentar, Art. 17a GG, Rn. 5, 7. Kritisch zur Grundrechtseinschränkung aufgrund der „Funktionsfähigkeit der Bundeswehr“ Sachs, JuS 2006, 167 (170): „[. . .] grundsätzlich nur die Einzelbestimmungen des Grundgesetzes als taugliche Begrenzungen in Betracht zu ziehen, statt aus einer pauschalen Zusammenschau diverser Vorschriften ein nirgendwo festgelegtes, übergeordnetes Verfassungsprinzip zu gewinnen und dann als Grundrechtsbegrenzungsnorm zu instrumentalisieren.“ 574 BVerfGE 28, 243 (260 f.). Siehe auch BVerfGE 32, 40 (46): „Abzuwägen sind unter diesen Umständen die Sicherung des inneren Gefüges der Streitkräfte, die imstande sein müssen, ihre militärischen Aufgaben zu erfüllen, und [. . .] die mit Verfassungsrang ausgestattete Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr gegen das Interesse (des Kriegsdienstverweigerers) an der Freiheit von jeglichem Zwang gegenüber seiner Gewissensentscheidung.“ 575 BVerfGE 28, 243 (261). So auch das BVerwG in BVerwGE 93, 323 (329) mit Hinweis auf BVerwGE 83, 358 (360): „Die Bundesrepublik Deutschland braucht das politische Engagement ihrer Soldaten, denen in § 8 SoldatenG das Eintreten für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes ausdrücklich zur Pflicht gemacht ist. [. . .] Unter Umständen kann im Konflikt mit anderen Verfassungsbestimmungen [. . .] dem Grundrecht der Freiheit des Gewissens nach Art. 4 I GG gegenüber einem Befehl das größere Gewicht zukommen.“ 576 BVerfGE 28, 243 (261). Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 177 stellt der Gewissensentscheidung eine ernsthafte und akute Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung gegenüber. Liegt eine solche vor, ist seiner Ansicht nach eine Geltendmachung der Gewissensentscheidung angesichts der notwendigen und erklärten Überordnung der verfassungsmäßigen Ordnung nicht möglich. Sei dies nicht der Fall,

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1. Teil: Das Wehrrecht

sensfreiheit werde daher nur dann in Betracht kommen, wenn andernfalls die Gemeinwohlinteressen „ernsthaft und akut“ gefährdet sind.577 Eine auf diese Ausnahme begrenzte Auslegung macht das hohe Gut der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I 2. Var. GG deutlich, welche die stärkste Ausprägung des Menschenwürdegehalts im geistig-seelischen Bereich ist.578 Daher betont das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen zu Art. 4 GG immer wieder, dass in einer „konkreten Lage, in der es innerlich unabweisbar wird, sich zu entscheiden, dem Grundrecht der Freiheit des Gewissens nach Art. 4 I 2. Var. GG gegenüber einem Befehl das größere Gewicht zukommen kann mit der Folge, dass der Befehl unverbindlich ist.“579 Dabei begründe die Gewissensfreiheit des Art. 4 I 2. Var. GG jedoch nicht einen Anspruch darauf, vollständig und nach persönlicher Willkür allein „nach eigenem Gesetz zu leben und zu handeln“. „Das Gewissen tritt in der sozialen Realität – auch im militärischen Bereich – nicht ständig, täglich und gleichsam bei jeder Gelegenheit, sondern als regulierende und fordernde Instanz vornehmlich dort in Erscheinung, wo die Persönlichkeit durch eine Verhaltensmöglichkeit oder durch Verhaltensanforderungen, die die Mitwelt an sie stellt, in ihrer Struktur und ihrer Möglichkeit, die eigene Identität zu wahren, in kritischer Weise berührt wird. Als innere ethische Gebotsinstanz, als „Rufer“, wird das Gewissen regelmäßig erst dort aktiv, wo die Persönlichkeit als solche in ihrer Identität kritisch bedroht ist. Die Befürchtung einer „Inflation“ von Gewissensentscheidungen verfehlt daher die soziale Realität.“580 Im vorliegenden Fall war das Gericht der Auffassung, dass dem Grundrecht der Gewissensfreiheit in seiner abwehrrechtlichen Dimension581 gegenüber dem kollidierenden Verfassungsgut der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr der Vorzug zu geben ist. Dem wird man im Ergebnis zustimmen, da eine der beschriebenen Ausnahmen nicht vorliegt. Ein Grundrechtseingriff ist daher verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.582 Annehmbar wird für alle Seiten die Entscheidung des Senats, wenn er – Missverständnissen vorbeugend – klarstellt, dass auch eine Gewissensentscheidung nicht die Aufhebung der generellen Geltung könne aus dem Wehrdienstverhältnis selbst keine Berechtigung abgeleitet werden, ein konformes Verhalten des Soldaten zu erzwingen. 577 Vgl. Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 167 ff., 171. 578 Schnorr, JuS 1963, 292 (300). 579 BVerwGE 83, 358 (360 f.); BVerwGE 93, 323 (329). Siehe auch BVerwG 2 WD 12.04, S. 43 m.w. N. 580 BVerwG 2 WD 12.04, S. 53 f. 581 Der Senat stellt in erster Linie auf die negatorische Funktion und nicht auf den objektiven Schutzgehalt des Art. 4 I 2. Var. GG ab. Vgl. die Ausführungen des Gerichts a. a. O., S. 52 f. 582 Ablehnend im Hinblick auf das Vorliegen einer Gewissensentscheidung und kritisch bzgl. der Abwägung im konkreten Fall Schafranek, NZWehrr 2005, 234 (234 ff.).

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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der Rechtspflicht oder gar der allgemeinen Rechtsunterworfenheit bedeutet. „Es wird „lediglich“ in Vollziehung der Garantie des Grundrechts eine Handlungsalternative zugelassen, um einen unausweichlichen, den Betroffenen in seiner geistig-sittlichen Existenz als autonome Persönlichkeit berührenden Konflikt zwischen hoheitlichem Gebot und Gewissensgebot zu lösen.“583 Eine Aufhebung der generellen Gehorsamspflicht gemäß § 11 I 1, 2 SoldatenG liegt hierin nicht.584 cc) Befehle, die zu nicht dienstlichen Zwecken ergehen, und Befehle für die dienstfreie Zeit Befehle, die von einem Vorgesetzten an einen Untergebenen erteilt werden, haben gemäß §§ 10 IV, 11 I 3 SoldatenG i.V. m. § 22 I 1 WStG nur dann Anspruch auf Gehorsam, wenn ihnen ein dienstlicher Zweck zugrunde liegt. Der Begriff des Dienstes wird hierbei sehr weit ausgelegt. Er umfasst „die Gesamtheit der Verrichtungen, denen sich die Angehörigen der Bundeswehr in ihrer Eigenschaft als Soldaten zu unterziehen haben, um die Erfüllung der zu den Angelegenheiten der Bundeswehr gehörenden Aufgaben zu ermöglichen.“585 Diese vom Reichsgericht damals für die Wehrmacht aufgestellte und von den Kommentaren zum Wehrstrafgesetz übernommene Formel bedarf jedoch vor dem Hintergrund des Grundgesetzes einer weiteren Konkretisierung. Einziger Maßstab für die Beurteilung des „dienstlichen Zweckes“ ist demnach die Verfassung, welche die Aufgaben der Streitkräfte verbindlich festlegt und deren Grenzen festsetzt.586 Zu diesen Aufgaben zählt gemäß Art. 87a I 1 GG vornehmlich der eigentliche Verteidigungsauftrag. Unter „Verteidigung“ wird gemäß Art. 115a I 1 GG eine Situation verstanden, in der „das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall)“. Verteidigung im weiteren Sinne beinhaltet darüber hinaus all die Maßnahmen, die nach geltendem Völkerrecht zum Selbstverteidigungsrecht i. S. d. Art. 51 UN-Charta zu rechnen sind. Danach wird neben der individuellen Verteidigung auch die sog. kollektive Verteidigung mitumfasst. Dieser völkerrechtlich allgemein anerkannte Grundsatz beinhaltet hierbei das Recht, bei erbetener Nothilfe dem Angegriffenen beizustehen (so zum Bespiel der NATO-Bündnisfall).587 „Dienstlich“ – und damit im Bereich der Aufgaben 583

BVerwG 2 WD 12.04, S. 55. BVerwG 2 WD 12.04, S. 56. 585 RGSt 59, 330 (335 f.); RGSt 64, 66 (67) hinsichtlich der Aufgaben der Wehrmacht; im Hinblick auf die Bundeswehr siehe BDH, NZWehrr 1963, 160 (163); BDH, NZWehrr 1967, 128 (128 f.); vgl. auch Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 23. 586 Hierzu und zum Folgenden vgl. BVerwG 2 WD 12.04, S. 29 ff. 587 Vgl. BVerwG 2 WD 12.04, S. 29 ff. 584

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1. Teil: Das Wehrrecht

der Bundeswehr – sind schließlich jene Maßnahmen, die auf der Grundlage des Art. 24 II GG getroffen werden. Danach fällt auch der Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Bundesgebietes in den Aufgabenbereich der Bundeswehr, sofern dieser im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt und sich im Einklang mit den Regeln des betreffenden Systems hält.588 Angesprochen sind hiermit insbesondere solche Auslandseinsätze, die die Bundeswehr seit Jahren im Rahmen der UNO oder der NATO leistet. Zusammenfassend bedeutet der Verteidigungsauftrag, dass im Frieden der dienstliche Zweck in der militärischen Ausbildung gut geschulter und umfassend ausgebildeter Soldaten zu sehen ist, wohingegen in der Krise primär die unmittelbare Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung in den Vordergrund rückt.589 Zu den dienstlichen Zwecken i. S. d. § 10 IV SoldatenG gehören jedoch auch alle der Erfüllung des verfassungsmäßigen Auftrages mittelbar zugeordneten Aufgaben.590 Als Beispiel mittelbarer Aufgabenerfüllung – und damit als Dienstbefehl – gelten etwa die Öffentlichkeitsarbeit der Streitkräfte, die staatsbürgerliche Erziehung gemäß § 33 SoldatenG oder etwa der Befehl, an einem Fototermin für Angehörige einer Einheit teilzunehmen.591 Darüber hinaus hat die Bundeswehr die sonstigen Aufgaben zu erfüllen, welche ihr durch das Grundgesetz selbst oder mittelbar durch andere Gesetze zugewiesen sind.592 Korrespondierend mit den genannten Aufgaben der Bundeswehr ergeben sich die Dienstpflichten des einzelnen Soldaten: Es sind dies vor allem gemäß § 7 SoldatenG und § 8 SoldatenG die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und die freiheitlich demokratische Grundordnung zu verteidigen.593 Alle Aufgaben, welche dieses Ziel zu fördern geeignet sind, können Dienstpflichten begründen und demnach auch Gegenstand verbindlicher Befehle sein, soweit nicht Normen des Grundgesetzes entgegenstehen. Folgerichtig ist der aus dem SoldatenG stammende Pflichtenkatalog gemäß §§ 6 ff. SoldatenG – wie etwa die Pflicht zur Kameradschaft, zur Wahrheit und Verschwiegenheit, zum Wohlverhalten in und außer Dienst, zur Gesunderhaltung sowie zum Leben in 588

BVerfGE 90, 286 (346 ff., 355 f.); BVerwG 2 WD 12.04, S. 30 f. Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 168. 590 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 128; Scherer/Alff, SoldatenG, § 10, Rn. 47. 591 Zu den Einzelheiten siehe Scherer/Alff, SoldatenG, § 10, Rn. 47; § 11, Rn. 15; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 158 ff. 592 Etwa der Einsatz bei Naturkatastrophen gemäß Art. 87a II, 35 II und III GG, die Aufgaben nach Art. 87a III, IV GG, aber auch die durch andere Rechtsvorschriften übertragenen Aufgaben, welche der Erfüllung des verfassungsmäßigen Auftrages unmittelbar oder mittelbar zu dienen bestimmt sind. So zum Beispiel § 30 LuftVG; § 70 IfSG; §§ 38, 68 LFGB; hierzu im Einzelnen Scherer/Alff, SoldatenG, § 1, Rn. 3 m.w. N. 593 Hierzu Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 68 ff.; Scherer/Alff, SoldatenG, § 7, Rn. 1 ff. und § 8, Rn. 1 ff. 589

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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einer Gemeinschaftsunterkunft – letztlich Ausdruck dafür, den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr nachhaltig sicherzustellen und zu gewährleisten. Selbstverständlich dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass all die Befehle, welche der kampf- und waffentechnischen Gefechtsausbildung unter realen Kampfbedingungen dienen, dienstlich und damit verbindlich sind. Dies gilt auch dann, wenn sie bis an die Grenze der physisch-psychischen Belastung gehen und nur unter der vollen Aufopferung und der persönlichen Hingabe des Einzelnen zu erfüllen sind.594 Ein dienstlicher Zweck liegt insbesondere dann nicht vor, wenn der Befehl allein Privatangelegenheiten des Vorgesetzten oder des Soldaten betrifft oder dienstlichen Zwecken gerade zuwiderläuft.595 Der Befehl ist in diesen Fällen gemäß §§ 10 IV, 11 I 3 SoldatenG, § 22 I 1 WStG rechtswidrig und unverbindlich. Unter diese Fallgruppe können auch die Befehle subsumiert werden, die für die dienstfreie Zeit erteilt werden. Als solche kommen vor allem die Wohlverhaltenspflicht des Soldaten in der Öffentlichkeit und die Pflicht zur Gesunderhaltung gemäß § 17 I, II 2, IV 1, 2 SoldatenG in Betracht. Solche Präventivbefehle sind jedoch nur rechtmäßig und verbindlich, wenn sie sich auf das dienstlich notwendige Maß unter strikter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beschränken und Pflichten des Soldaten konkretisieren, die ihn auch außerhalb des Dienstes treffen.596 Entsprechend den Vorschriften des Allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts muss es sich für den Erlass eines Präventivbefehls um eine unmittelbar bevorstehende, konkrete Gefahr einer Dienstpflichtverletzung bei dem Untergebenen handeln.597 Ergeht ein dienstlicher Befehl in dieser Absicht, so ist er zu dienstlichen Zwecken erteilt und damit rechtmäßig und verbindlich.598 594 In diesem Sinn bereits Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 164. 595 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 23 nennen beispielhaft den Befehl zu einer unwahren dienstlichen Meldung. Beispiele aus der Rechtsprechung, bei denen der dienstliche Zweck bejaht wurde: BDH, NZWehrr 1963, 160 (163) Öffentlichkeitsarbeit des Musikkorps; BVerwG, NZWehrr 1978, 224 (225 f.) Befehl, an einem Abschiedsabend teilzunehmen. Dienstlicher Zweck hingegen verneint: BDH, NZWehrr 1967, 128 (128 f.) Flugsicherungskontrolldienst an Sonn- und Feiertagen auf einem Militärflugplatz, der auch zivil genutzt wird; BVerwG, NZWehrr 1984, 74 (74 f.) Befehl, an einen als Ordonanz im Unteroffiziersheim eingeteilten Soldaten, eine in diesem Heim von einem Unteroffiziersdienstgrad als Schabernack aus dem Fenster geworfene Dienstmütze hereinzuholen. 596 Vgl. Lingens/Marignoni, S. 50 m.w. N. aus der Rechtsprechung; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 24; siehe auch BVerwG, NZWehrr 1976, 20 (22); Barth, NZWehrr 1965, 97 (105); Lammich, NZWehrr 1970, 98 (100); Scherer, NZWehrr 1961, 97 (97); Schütz, NZWehrr 1961, 100 (101 f.). 597 Huth, NZWehrr 1990, 107 (108); Lammich, NZWehrr 1970, 98 (100) m.w. N. 598 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 24; a. A. Huth, NZWehrr 1990, 107 (110), der den Präventivbefehl auf die Fälle einer erkannten Vorschädigung des Untergebenen beschränken will.

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1. Teil: Das Wehrrecht

dd) Der unzumutbare Befehl Möchte man den unzumutbaren Befehl überhaupt noch als eine eigenständige Fallgruppe anerkennen, so gilt, dass er zwar befolgt werden darf, aber nicht befolgt werden muss.599 Unzumutbarkeit ist nach anerkannter Rechtsprechung vor allem dann gegeben, wenn die Ausführung des Befehls eine derart große Gefahr für Leib und Leben des Untergebenen begründet, die gegenüber dem dienstlichen Zweck unverhältnismäßig hoch ist.600 Die Unverbindlichkeit kann sich außerdem daraus ergeben, dass der Befehl so tief in Ehre, Ansehen, militärische oder wirtschaftliche Stellung des Untergebenen eingreift, dass die Ausführung des Befehls dem Untergebenen nicht zugemutet werden kann.601 Der militärische Wert der Befolgung des Befehls tritt in diesem Fall so weit hinter den Wert des gefährdeten Rechtsgutes des Befehlsempfängers zurück, dass der Befehl hierdurch seinen Anspruch auf Verbindlichkeit verliert.602 Als unzumutbar wurde etwa der Befehl gesehen, unter persönlicher Lebensgefahr einen Fluss zu Übungszwecken zu durchqueren oder bei Frost ohne Zelt im Freien zu schlafen, weil die Stube nicht aufgeräumt war.603 Nach dem heutigen grundrechtsdogmatischen Verständnis bedarf es für derartige Fälle jedoch in der Tat keiner eigenständigen Fallgruppe. Sie können ohne Schwierigkeit in das bestehende System der Unverbindlichkeitsgründe eingeordnet werden.604 ee) Unverbindlichkeit bei inhaltlich sich widersprechenden Befehlen Im täglichen Dienstbetrieb kann es bisweilen vorkommen, dass ein Untergebener zwei sich widersprechende Befehle von einem oder mehreren Vorgesetzten erhält. Fraglich und umstritten ist dann, welcher Befehl für den Untergebenen verbindlich ist. Einhelliger Auffassung ist man in der wehrrechtlichen Literatur insoweit, dass nicht beide Befehle gleichermaßen verbindlich sein können, da andernfalls der Untergebene der Leidtragende einer nicht reibungslos funk599 Zum Streitstand siehe Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 144 und Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 45 m.w. N. 600 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 45 m.w. N. auf die ältere Rechtsprechung; BDH, NZWehrr 1959, 98 (98 ff.) Blindgänger auf Truppenübungsplatz; vgl. auch OLG Hamm, NJW 1966, 212 (213) mit Hinweis auf RKGE 1, 177 (180). 601 Dritter Leitsatz des OLG Hamm, NJW 1966, 212 (212). Eine ausführliche Rechtsprechungsübersicht findet sich bei Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 17. 602 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 45. Kritisch hierzu Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 92, Anm. II, 2b. 603 Beispiele nach Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 45. 604 Kritisch auch Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 144; Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 142 ff.; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 45; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 172, 194 f.

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tionierenden Befehlsapparatur wäre und er eine Verpflichtung zu erfüllen hätte, die meist nicht möglich oder zumindest militärisch sinnlos wäre.605 Eine Meinung geht davon aus, dass sich der Befehl des höheren Vorgesetzten stets gegenüber dem Befehl des unteren Vorgesetzten durchsetzt, der dadurch unverbindlich wird.606 Als Grund hierfür wird die größere Sachkunde des ranghöheren Vorgesetzten, das Hierarchieprinzip in den Streitkräften und die größere Nähe zur militärischen Führungsspitze angeführt.607 Nach der Gegenansicht ist zu differenzieren. Ist der zweite Befehlsgeber erreichbar, soll Folgendes gelten: Aus der Pflicht zur „vollständigen, gewissenhaften und unverzüglichen Befehlsausführung“ und aus der Pflicht zum „treuen Dienen“ gemäß § 7, § 11 I 2 SoldatenG wird gefolgert, dass der Untergebene dem Vorgesetzten, der den zweiten Befehl erteilt hat, von dem abweichenden Befehl Meldung zu erstatten hat.608 Dies soll nur dann nicht gelten, wenn der Soldat begründeter Weise annehmen darf, dass der entgegenstehende Befehl dem zweiten Befehlsgeber bereits bekannt ist.609 Auf die Meldung hin entscheidet sodann der zweite Vorgesetzte in eigener Verantwortung.610 Ist der zweite Vorgesetzte nicht erreichbar, müsse der ausführende Soldat dem ersten Vorgesetzten dies melden. Für den Fall, dass kein Vorgesetzter erreichbar ist, gelte der tradierte militärische Grundsatz, dass stets der letzte Befehl verbindlich ist, gleichgültig ob er von dem ranghöheren oder rangniederen Vorgesetzten erteilt wurde.611 Für die zweite Meinung sprechen die besseren Argumente. Eine solche Verhaltensregel erscheint einfach und klar. Sie gewährleistet somit ein hohes Maß an zuverlässiger Befehlsausführung. Um es mit beliebten Worten aus der Truppe zu formulieren, ist eine derartige Behandlung sich widersprechender Befehle „soldatensicher“. Diese Meinung ist vor allem auch deshalb vorzuziehen, weil sie eine prompte und zweifelsfreie Befehlsausführung i. S. d. § 11 I 2 SoldatenG ermöglicht und damit der Schlagkraft der Bundeswehr am besten ge-

605 Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 187. Vgl. auch Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 151; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 104 ff.; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 24. Für die ältere Literatur vgl. Rittau, Kommentar zum MStGB, § 92, Anm. III b; Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 92, Anm. II, 1d. 606 Arndt, NZWehrr 1960, 145 (151). 607 Vgl. Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 152; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 188. 608 Schirmer, Befehl und Gehorsam, S. 18. Von einem Recht, nicht aber einer Pflicht zur Meldung sprechen Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 148. 609 So Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 42 mit Hinweis auf BVerwGE 46, 108 (108 ff.) = NZWehrr 1973, 228 (228 ff.) Hubschrauberlandung auf Gemeindeplatz entgegen den Dienstvorschriften. 610 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 42. 611 RMG 14, 85 (86); Huth, Die Gegenvorstellung, S. 106 ff.; Kohlhaas/Schwenck, § 22, Anm. 2/16; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 42.

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recht wird. Darüber hinaus wird der Befehl des Unterführers aufgrund der Nähe zum tatsächlichen Geschehen in vielen Fällen lagegerechter und situationsangepasster sein.612 Auch streitet für die zweite Ansicht der Aspekt der Disziplin in der Truppe. Denn sie vermeidet grundsätzlich das Problem, dass der Untergebene dem zweiten, meist rangniederen und unmittelbaren Vorgesetzten den Gehorsam verweigert.613 Dazu darf es jedoch unter keinen Umständen kommen.614 Durch den zweiten Lösungsansatz wird so vermieden, dass die Autorität der vorwiegend noch jungen Unterführer in den Teileinheiten gefährdet wird. Eine Kollision mit der ersten Meinung wird bei guter Führung meist jedoch dadurch zu vermeiden sein, dass Befehle von ranghöheren Vorgesetzten grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Lageänderung ergehen. Das Problem zweier sich widersprechender Befehle ergibt sich dann nicht.615 ff) Befehle, die unter Überschreitung der Befehlsbefugnis ergehen Das deutsche Befehlsrecht ist im Hinblick auf die Vorgesetzteneigenschaft maßgeblich in den §§ 1 III 1, 2 SoldatenG i.V. m. der Vorgesetztenverordnung (VVO) geregelt.616 Befehle, die unter Überschreitung der Befehlsbefugnis ergehen, sind wegen fehlender Übereinstimmung mit den Vorschriften der VVO rechtswidrig.617 Davon zu trennen ist aber die Frage, ob solche Befehle auch stets unverbindlich sind. Denkbar sind zwei Fallgestaltungen:

612 So schon Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 189 mit Hinweis auf die ältere Kommentarliteratur. Er möchte dann eine Einschränkung von diesem Grundsatz machen, wenn der ranghöhere Vorgesetzte einen Befehl ohne jede Einschränkung allgemein für alle Untergebenen erteilt und dabei erkennbar keinen Vorbehalt ausgesprochen hat, er vielmehr zu erkennen gab, dass der Befehl auf jeden Fall auszuführen ist. 613 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 153. 614 Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 189 f. weist zu Recht darauf hin, dass die Gefährdung der Disziplin in Anbetracht der Wirkung der Gehorsamsverweigerung gegenüber dem anwesenden Vorgesetzten auf die umstehenden Soldaten eine viel größere ist, als wenn der Untergebene einem Befehl des abwesenden Vorgesetzten nicht nachkommt. Vgl. auch Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 153; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 107. 615 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 153; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 25; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 189. 616 Art. 65a GG, Art. 115b GG, § 21 II 2 WDO enthalten hierzu Sonderregelungen. Grundlegend zum Vorgesetztenrecht vgl. die Schrift von Schreiber, Befehlsbefugnis und Vorgesetztenverhältnis in der BW. 617 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 127; Scherer/Alff, SoldatenG, § 1, Rn. 45.

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(1) Es besteht kein Vorgesetztenverhältnis i. S. d. VVO Die erste Konstellation betrifft die Fälle, in denen es von vornherein an einem Vorgesetztenverhältnis i. S. d. VVO und damit an einem Befehl i. S. d. § 2 Nr. 2 WStG fehlt.618 Ein Vorgesetztenverhältnis ist konstitutiv für die Annahme eines Befehls. Ähnlich wie der sog. „Nicht-VA“ im allgemeinen Verwaltungsrecht handelt es sich bei Fehlen eines Vorgesetztenverhältnisses i. S. d. VVO um einen „Nichtbefehl“, der nach h. M. keine Gehorsamspflicht beanspruchen kann.619 (2) Es besteht ein Vorgesetztenverhältnis i. S. d. VVO Die zweite Variante ist komplizierter und betrifft die Fälle, in denen zwar ein Vorgesetztenverhältnis nach der VVO grundsätzlich vorliegt, der Befehlsgeber aber seine Befugnisse inhaltlich, örtlich oder zeitlich überschreitet. Denkbar ist eine Überschreitung der Befehlsbefugnis beispielsweise bei Fachvorgesetzten gemäß § 2 VVO, die eben nur zu fachdienstlichen Zwecken Befehle erteilen dürfen. Auch Vorgesetzte mit besonderem Aufgabenbereich nach § 3 VVO oder aufgrund besonderer Anordnung gemäß § 5 VVO haben eine Befehlsbefugnis nur für die zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendigen Befehle. Dies gilt etwa auch für den Vorgesetzten aufgrund eigener Erklärung gemäß § 6 VVO. Seine Befehlsbefugnis endet dort, wo die besondere Vorgesetzteneigenschaft zur Bewältigung der Lage nicht mehr erforderlich ist, § 6 III VVO.620 In diesen Fällen ist es umstritten, ob bei einem Überschreiten der Befugnisse in inhaltlicher, örtlicher oder zeitlicher Hinsicht überhaupt noch ein Vorgesetztenverhältnis vorliegt, welches definitionsgemäß Voraussetzung für einen Befehl ist. Eine Meinung spricht sich dafür aus, dass nur bei Beachtung aller in der VVO enthaltenen Beschränkungen eine Vorgesetzteneigenschaft besteht und ein Befehl vorliegt.621 Nach einer anderen Ansicht müssen die von der VVO vorausgesetzten zeitlichen und örtlichen Erfordernisse vorliegen, damit die Vorgesetzteneigenschaft und damit ein Befehl gegeben ist. Etwas anderes soll lediglich bei den inhaltlichen Beschränkungen gelten, welche die VVO für die Reichweite der Befehlsbefugnis einzelner Vorgesetzter vorsieht.622 Eine dritte 618 Lingens/Marignoni, S. 13; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 14. 619 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 62 ff., 66; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 65 f.; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 154 ff. 620 Zum Ganzen Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 14 f. 621 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 194; Lingens, NZWehrr 1978, 55 (55 ff.); Schreiber, Befehlsbefugnis und Vorgesetztenverhältnis in der BW, S. 20 ff., 56, 63, 78 f. 622 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 15, die das Vorgesetztenverhältnis bei Überschreiten der Befehlsbefugnis in inhaltlicher Hinsicht dadurch nicht berührt sehen. Dies ergebe sich aus § 1 III 1 SoldatenG, nachdem Vorgesetzter ist,

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Ansicht geht am weitesten. Zwar habe der Vorgesetzte die Beschränkungen seiner Befehlsbefugnis nach § 10 IV SoldatenG zu befolgen. Gehe er aber über die in der VVO geregelten örtlichen, zeitlichen und inhaltlichen Grenzen seiner Befehlskompetenz hinaus, so sei dies für seine Vorgesetzteneigenschaft unschädlich und ändere auch nichts an dem Rechtscharakter der erteilten Anweisung als Befehl.623 Vorzugswürdig erscheint die vermittelnde, zweite Ansicht. Dies bedeutet, dass für die Begründung der Vorgesetzteneigenschaft die zeitlichen und örtlichen Einschränkungen der Befehlsbefugnis eingehalten werden müssen, nicht jedoch zwingend die inhaltlichen. So muss derjenige, welcher mit Anspruch auf Gehorsam einem anderen einen Befehl erteilt, die nach den Vorschriften der VVO erforderliche Dienststellung innehaben, sich grundsätzlich im Dienst befinden und die örtlichen Beschränkungen einhalten, vgl. die §§ 1–3, 4 I 2, III VVO.624 Ein Verzicht auf eine konstitutive inhaltliche Beschränkung lässt sich dadurch rechtfertigen, dass nach § 1 III 1 SoldatenG derjenige Vorgesetzter ist, „wer befugt ist, einem anderen Befehle zu erteilen“.625 Knüpfte man die Vorgesetzteneigenschaft an die Einhaltung der inhaltlichen Beschränkungen, wäre eine unverzügliche Befehlsausführung gemäß § 11 I 2 SoldatenG nicht immer gewährleistet und die sofortige Einsatzbereitschaft von Mensch und Material gefährdet. Dies gilt gerade für den Fall, bei dem die Vorgesetztenverhältnisse nicht ganz eindeutig sind. So erscheint es in der Sache wenig angebracht, wenn in Zweifelsfällen etwa eine Diskussion darüber entsteht, ob der Vorgesetzte mit besonderem Aufgabenbereich (§ 3 VVO) oder der Vorgesetzte aufgrund besonderer Anordnung (§ 5 VVO) tatsächlich befugt ist, Befehle dieser Art zu erteilen. Im Sinne eines reibungslosen Funktionierens der Streitkräfte ist der Unterwer befugt ist, einem Soldaten Befehle zu erteilen. Die Vorgesetzteneigenschaft entfalle danach nicht etwa deshalb, weil die Beschränkungen zur Erteilung von Befehlen nicht eingehalten werden. 623 So Scherer/Alff, SoldatenG, § 1, Rn. 45. Vgl. auch Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 127; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 74; Wipfelder/Schwenck, Wehrrecht, S. 88. Burmester, NZWehrr 1990, 89 (96, 106) geht als Vertreter dieser Ansicht noch weiter und lässt es genügen, „dass es sich bei dem fraglichen Soldaten um eine Person handelt, die unter bestimmten Voraussetzungen verbindliche Befehle erteilen könnte.“ In Abgrenzung zu einer konkreten Befehlsbefugnis lässt er daher eine abstrakte Kompetenz zur Erteilung von Befehlen ausreichen. Sein Verweis auf BDH, NZWehrr 1968, 179 (179 ff.) ist aufgrund der Eigenart des Falles jedoch nicht verallgemeinerungsfähig und stellt überdies nicht zwingend ein Argument für seine Ansicht dar. 624 Zum Ganzen siehe Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 14 f. Nach ihnen ergibt sich dies aus dem Wortlaut des § 2 Nr. 2 WStG i.V. m. § 1 III 1, 2 SoldatenG, §§ 1–6 VVO. In zeitlicher Hinsicht lasse sich dies auch aus den §§ 29 und 36 WStG herauslesen, die zwischen Soldaten im Dienst und außer Dienst unterscheiden und die davon ausgingen, dass Soldaten, die nur im Dienst Vorgesetzte sind, es außer Dienst auch im strafrechtlichen Sinn nicht sind. 625 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 15 mit Hinweis auf die Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 15.

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gebene in Zweifelsfällen auf den nachträglichen Rechtsschutz gemäß den Vorschriften der WBO zu verweisen.626 Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die inhaltliche Überschreitung der Befehlsbefugnis des Vorgesetzten offensichtlich ist. Dies zieht dann die Unverbindlichkeit der Anordnung nach sich.627 gg) Unverbindlichkeit des Befehls bei Unmöglichkeit und wegen grundlegender Veränderung der Sachlage – die sog. clausula rebus sic stantibus In der militärischen Dienstpraxis ist es nicht ungewöhnlich, dass zwischen der Befehlsausgabe und Befehlsausführung ein gewisser Zeitraum liegen kann. Unproblematisch ist dies, wenn die Sachlage zwischen diesen Zeitpunkten gleich geblieben ist und der Wille des Befehlsgebers sich mit der späteren Ausführungshandlung des Befehlsempfängers deckt. Ungleich schwieriger ist jedoch die Situation zu beurteilen, bei der es zwischen der Befehlsausgabe und Befehlsausführung zu einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse kommt. Für den erteilten Befehl ergibt sich dann die Frage, ob diese Veränderung in der Außenwelt einen Einfluss auf die rechtliche Qualifizierung des Befehls hat.628 Im allgemeinen Dienstbetrieb wird ein solches Problem meist dergestalt gelöst werden, dass der Rangniedere die Veränderung der Sachlage seinem Vorgesetzten meldet und auf eine weitere Entscheidung des Befehlsgebers wartet. Ein Zeitverlust wirkt sich hier meist nicht so gravierend aus und es gilt der schon jedem Rekruten eingebläute Grundsatz: „Melden macht frei.“ Einleuchtend dürfte sein, dass eine solche Vorgehensweise im tatsächlichen Einsatz nicht immer möglich ist. Auch ein Mannschaftsdienstgrad hat jederzeit damit zu rechnen, dass der Gruppen- oder Zugführer ausfällt und er die Verantwortung für sich und seine Kameraden selbst übernehmen muss.629 Leitlinie des Handelns ist dann nur noch der Auftrag, den es auch bei schwieriger Lage stets zu erfüllen gilt.630 Verändert sich die Sachlage grundlegend, so ist zu unter626 So auch Huth, Die Gegenvorstellung, S. 67; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 30; vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 14 f. 627 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 66 f.; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 67; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 29 f.; vgl. auch Böttcher/ Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 138; Scherer/Alff, SoldatenG, § 1, Rn. 45. 628 Eingehend Huth, Die Gegenvorstellung, S. 90 ff. 629 Vgl. ZDv 3/11, Teil D, Kapitel 23, Rn. 2353 ff. 630 Hierzu ZDv 3/11, Teil A, Kapitel 1, Rn. 101 ff.: „Jeder Soldat muss fähig und bereit sein, zu kämpfen, durchzuhalten, Aufträge zuverlässig auszuführen und als Kamerad zu bestehen. Ziel des Gefechtsdienstes ist, dass der Soldat die grundlegenden Fertigkeiten und Kenntnisse, die er in der Waffen-, Geräte- und Schießausbildung erworben hat, im Kampf anwenden kann. Er muss lernen, sich gefechtsmäßig zu verhalten, erfolgreich den Feuerkampf zu führen und zu überleben. Ist der Soldat auf sich allein gestellt, muss er in der Lage sein, im Sinne des Auftrages zu handeln. Jeder

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scheiden: Die Unausführbarkeit des einmal ergangenen Befehls kann sich daraus ergeben, dass die eingeforderte Handlung objektiv oder subjektiv unmöglich ist. Die militärische Lage kann sich aber auch so entwickeln, dass wegen der Veränderung der tatsächlichen Umstände zwischen Befehlsausgabe und Befehlsausführung die Handlung für die eigene Truppe sinnlos wäre oder die Ausführung sogar kontraproduktiv und schädlich ist.631 Diese drei Unverbindlichkeitsgründe gilt es näher zu untersuchen. (1) Objektive Unmöglichkeit der Befehlsausführung Eine Veränderung der Sachlage kann zur Folge haben, dass die Befehlsausführung für den Untergebenen objektiv unmöglich ist. Hierbei ist zunächst zwischen den Befehlen zu unterscheiden, die in tatsächlicher Hinsicht objektiv unmöglich sind, und denen, die sich nach rechtlicher Würdigung als objektiv unmöglich herausstellen. Ein solcher Befehl, der zum Zeitpunkt der Ausführung objektiv unmöglich ist, ist nach h. M. rechtswidrig und unverbindlich.632 Diesem Gedanke liegt der allgemeine Rechtsgrundsatz zugrunde, dass eine objektiv unmögliche Handlung von niemandem erbracht werden muss: impossibilium nulla obligatio est.633 (2) Subjektive Unmöglichkeit der Befehlsausführung Anders als bei objektiver Unmöglichkeit sind Befehle, die nur wegen des subjektiven Unvermögens des Befehlsempfängers unausführbar sind, nicht unverbindlich.634 Aus der Verpflichtung des Soldaten gemäß § 11 I 2 SoldatenG, den Befehl nach „besten Kräften“ auszuführen, folgt, dass der Soldat zumindest zum Versuch der Ausführung verpflichtet ist, soweit der Untergebene nicht offensichtlich überfordert ist.635 Bleibt der Versuch jedoch erfolglos, wird der Befehl unverbindlich. Erkennt der Untergebene die Unausführbarkeit der DurchSoldat muss damit rechnen, dass er die Aufgaben des Führers seiner Teileinheit übernehmen muss, wenn dieser ausgefallen ist.“ ZDv 3/11, Teil B, Kapitel 11, Rn. 1130: „Auch in feindlichem Feuer muss er seinen Auftrag ausführen.“ 631 Vgl. Huth, Die Gegenvorstellung, S. 90; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 27. 632 Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, § 1, Rn. 142; Lingens/Marignoni, S. 64; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 18; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 41; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 185. 633 Für das öffentliche Recht, insbesondere zum objektiv und subjektiv unmöglichen Verwaltungsakt, vgl. Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn. 569; Forsthoff, Verwaltungsrecht I, § 12, S. 242 f. 634 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 41; so auch schon RMG 14, 156 (158). 635 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 3. Die Fälle der offensichtlichen Überforderung sind umstritten. Eine Meinung geht davon aus, dass auch der subjektiv unmögli-

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führung, so ist er dem Vorgesetzten gegenüber verpflichtet, hierüber eine Meldung zu erstatten. Aus der Pflicht zur „gewissenhaften Befehlsausführung“ gemäß § 11 I 2 SoldatenG schließt die h. M., dass der Untergebene eine Vollzugsmeldung bzw. eine Meldung über die Unausführbarkeit des Befehls an den Vorgesetzten zu machen hat.636 (3) Unverbindlichkeit des Befehls bei grundlegender Änderung der Sachlage Im Zivilrecht ist seit langem anerkannt, dass grundlegende Veränderungen in der Außenwelt einen Einfluss auf das Fortbestehen von rechtlich erheblichen Tatsachen haben können. Man spricht in diesem Fall von der sog. clausula rebus sic stantibus.637 Aber auch im öffentlichen Recht hat die Durchbrechung der strikten Vertragsbindung gemäß § 60 I 1 VwVfG Ausdruck gefunden.638 Bei dem Institut der Störung der Geschäftsgrundlage kann man mithin für das gesamte Recht von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz sprechen.639 Grundgedanke dieses Rechtsinstituts ist, eine wesentliche Veränderung der Sachlage in einem bestehenden Rechtsverhältnis angemessen zu berücksichtigen. Wenngleich Einzelfragen seit jeher umstritten sind, so sind die Grundsätze über das Fehlen und den Wegfall der Geschäftsgrundlage an sich in der Rechtsprechung und Lehre auch schon vor der Kodifizierung im BGB640 und VwVfG641 anerkannt gewesen.642 Gerade im Wehrrecht kann sich die Situation ergeben, dass es zwischen der Befehlsausgabe und der Befehlsausführung zu einer grundlegenden Änderung der militärischen Lage kommt. Dies kann dazu führen, dass die Ausführung des Befehls nicht mehr sinnvoll ist, weil er auf eine bestimmte militärische Lage che Befehl stets verbindlich ist, wohingegen die Gegenmeinung von der Unverbindlichkeit derartiger Befehle ausgeht, vgl. hierzu Huth, Die Gegenvorstellung, S. 96 ff. 636 Dau, NZWehrr 1986, 198 (200 f.); Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 146 ff.; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 99; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 41; für das alte Recht vgl. implizit RMG 7, 67 (69); RMG 14, 156 (158); RMG 18, 250 (252); Schwinge, Kommentar zum MStGB, § 92, Anm. II, 2a. 637 Vgl. hierzu Dau, NZWehrr 1986, 198 (201), der die grundlegende Veränderung der Sachlage im Zusammenhang mit dem sog. „gefährlichen“ Befehl bei Übermüdung von Militärkraftfahrern behandelt. Hierzu und zum Folgenden Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 190 ff. 638 Hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 60, Rn. 2 mit Hinweis auf BVerfGE 34, 216 (230); Bernsdorff in Obermayer, VwVfG-Kommentar, § 60, Rn. 1 ff. 639 Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 60, Rn. 2, 5. 640 § 313 BGB n. F., eingeführt durch Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11. 2001, BGBl. I 2001, 3138. 641 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vom 29.05.1976, BGBl. I 1976, 1253. 642 Zum Ganzen siehe Grüneberg in Bamberger/Roth, Kommentar zum BGB, Band I, § 313, Rn. 2.

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zugeschnitten war und der Befehlsgeber eine konkrete Situation vor Augen hatte. Fraglich ist dann, wie dieser Umstand angemessen berücksichtigt werden kann. Insbesondere in der älteren Literatur ging man davon aus, dass sich der Untergebene im Fall der wesentlichen Änderung der Sachlage in einer Pflichtenund Interessenkollision befinde. Führte der Untergebene den Befehl nicht aus, so war er nach den Regeln des „übergesetzlichen Notstands“643 gerechtfertigt.644 Diese Meinung verkennt jedoch, dass es bei der Pflichtenkollision stets um zwei gleichrangig konkurrierende Pflichten geht, bei der eine Pflicht auf Kosten der anderen erfüllt wird.645 Verändert sich die Sachlage grundlegend, kann von einer Interessenkollision i. S. d. Notstands keine Rede sein. Nach § 11 I 2 SoldatenG wird von dem Untergebenen eine „gewissenhafte“ und damit zugleich eine sinnvolle Befehlsausführung gefordert. Erweist sich der Befehl wegen einer wesentlichen Änderung als sinnlos, kann dies für den Soldaten nur bedeuten, dass der ursprüngliche Befehl so keinen Bestand mehr haben kann. Zwei gleichrangig vorliegende Pflichten bestehen somit nicht mehr. Eine Notstandssituation liegt nicht vor.646 Nach heutiger Ansicht ergehen Befehle bei ihrer Erteilung entsprechend den Regeln im Zivilrecht unter dem Vorbehalt der grundlegenden Änderung der Sachlage. Dies hat seinen Grund darin, dass der Vorgesetzte eine Lagebeurteilung nur für die ihm bekannten Umstände abgeben kann. Verändert sich nach einer solchen Einschätzung die militärische Lage dergestalt, dass dem Befehl die Grundlage entzogen ist, so kann der ursprüngliche Befehl nicht mehr verbindlich sein.647 Die sog. clausula rebus sic stantibus stellt somit einen eigenständigen Unverbindlichkeitsgrund dar.648 643 Zur alten Rechtslage und zum sog. „übergesetzlich-rechtfertigenden Notstand“ vor Einführung des § 34 StGB siehe die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. b) hh) (3). 644 Schwinge, Gehorsam und Verantwortung, S. 41 (48). Vgl. auch Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 191. 645 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 735. 646 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 131 f.; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 100, der überdies auf die eigenen Interessen des Soldaten und die der Kameraden hinweist, wenn sich die Lage grundlegend verändert; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 190 ff. 647 Vgl. Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 130; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 102; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 10; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 43. 648 Für das frühere Recht vgl. RMG 10, 61 (69); RMG 10, 158 (163); RMG 17, 142 (147); Hirschmann, der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 132; Huth, Die Gegenvorstellung, S. 102; Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 83 f.; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 27 f.; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 25; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 43; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 86.

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Von der Unverbindlichkeit des Befehls ist jedoch die Frage zu trennen, wie sich der Untergebene im Fall einer wesentlichen Lageänderung zu verhalten hat. Einig ist man sich in der Feststellung, dass der untergebene Soldat in einer solchen Situation nicht passiv bleiben darf.649 So heißt es auch sinngemäß650 in der Dienstvorschrift HDv 100/100: Entschlossenes Handeln ist das erste Erfordernis im Kriege, Beharrlichkeit eine Voraussetzung für den Erfolg. Die Gunst einer Lage wird niemals ausgenutzt, wenn Führer auf Befehle warten. Der höchste Führer wie der jüngste Soldat muss sich stets bewusst sein, dass Unterlassen und Versäumnis ihn schwerer belasten als ein Fehlgreifen im Entschluss. Ist der Vorgesetzte erreichbar, muss der Befehlsempfänger die grundlegende Änderung der Sachlage dem Vorgesetzten melden und versuchen, eine Befehlsänderung zu erreichen.651 Ist eine Verbindungsaufnahme mit dem Vorgesetzten nicht möglich, ergibt sich aus der Pflicht zur „gewissenhaften Befehlsausführung“ gemäß § 11 I 2 SoldatenG, dass der Soldat von der ursprünglichen Befehlsausführung absieht und sein Handeln entsprechend dem Sinn des Befehls der neuen Lage anpasst.652 Vorstellbar ist jedoch auch die Situation, dass die Absicht des Vorgesetzten unter Berücksichtigung der veränderten Lage unter allen Umständen weiter verfolgt werden soll. In einem solchen Fall hat der Untergebene nach der Befehlsausführung seine Entscheidung und Handlung dem Vorgesetzten zu melden, damit dieser gegebenenfalls korrigierend eingreifen kann.653 In der Dienstvorschrift HDv 100/200 heißt es hierzu sinngemäß:654 Die Entwicklung der militärischen Lage kann es notwendig machen, vom Auftrag abzuweichen, wenn die Voraussetzungen, unter denen er erteilt worden ist, sich grundlegend geändert haben und die Lage schnelles Handeln erfordert, 649

Statt vieler: Huth, Die Gegenvorstellung, S. 102. Die Dienstvorschrift HDv 100/100 unterliegt dem Geheimhaltungsschutz VS NfD. Daher wird der Text nur in alter, jedoch hinsichtlich der heutigen Regelung sinngemäßen Fassung wiedergegeben. Auf eine genaue Fundstelle muss aufgrund des Geheimhaltungsschutzes verzichtet werden. 651 Lingens/Marignoni, S. 127 sprechen von einer Gegenvorstellungspflicht; so auch Böttcher/Dau, WBO-Kommentar, Einführung, Rn. 148; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 10; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 43; Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (507). 652 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 10; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 43. 653 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 102 f. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich hierbei nicht um eine Gegenvorstellung handelt, weil diese definitionsgemäß nur dann vorliegen kann, wenn der Befehl noch nicht ausgeführt wurde und somit einer Korrektur durch den Vorgesetzten zugänglich ist. 654 Die Dienstvorschrift HDv 100/200 unterliegt dem Geheimhaltungsschutz VS NfD. Daher wird der Text nur in alter, jedoch hinsichtlich der heutigen Regelung sinngemäßen Fassung wiedergegeben. Auf eine genaue Fundstelle muss aufgrund des Geheimhaltungsschutzes verzichtet werden. 650

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1. Teil: Das Wehrrecht

ohne dass eine Entscheidung des Vorgesetzten eingeholt oder abgewartet werden kann. Wer von seinem Auftrag abweicht oder ihn nicht ausführt, hat dies zu melden und die Verantwortung für die Folgen zu tragen. Stets muss er im Sinne des Ganzen handeln. Das eingeforderte Verhalten ist also lageabhängig zu beurteilen. Der Untergebene ist bei einer grundlegenden Veränderung in der Außenwelt verpflichtet, im Sinne des Ganzen zu handeln.655 Das ist die Konsequenz der Auftragstaktik und zugleich der Vorteil eines „mitdenkenden Gehorsams“.656 hh) Unverbindlichkeit des Befehls wegen rechtfertigender Pflichtenkollision in der Person des Untergebenen? Auch für das Wehrstrafrecht gilt, dass eine Handlung, die alle Merkmale eines gesetzlichen Tatbestandes erfüllt, nur dann eine strafbare Handlung ist, wenn sie rechtswidrig ist.657 Wie im allgemeinen Strafrecht kann die Rechtswidrigkeit durch Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen sein. Diese können sich hierbei nicht nur aus dem Wehrstrafrecht, sondern auch aus dem allgemeinen Strafrecht ergeben. In der älteren wehrrechtlichen Literatur658 ist zu lesen, dass sich die Unverbindlichkeit eines Befehls auch aus einem in der Person des Untergebenen liegenden „übergesetzlich-rechtfertigenden Notstands“ ergeben kann. Dem lag folgendes, theoretisches Beispiel zugrunde:659 655 So heißt es schon 1906 in einem Exerzierreglement: „In Fällen, in denen sich der Untergebene sagen muss, dass der Auftraggeber die Verhältnisse nicht genügend übersehen konnte, oder wo der Befehl durch die Ereignisse überholt ist, wird es zur Pflicht des Untergebenen, erhaltene Befehle nicht oder abändernd auszuführen und dies dem Vorgesetzten zu melden.“ Nachweis bei Schwinge, Gehorsam und Verantwortung, S. 41 (47 f.). In diesem Sinn auch Schreiber, Befehlsbefugnis und Vorgesetztenverhältnis in der BW, S. 39. 656 Vgl. hierzu die Ausführungen in der HDv 100/100. Auf eine genaue Fundstelle muss wegen des Geheimhaltungsgrades VS NfD verzichtet werden. Hierzu passt auch der Satz: „Im preußisch-deutschen Heer ist der Gehorsam niemals ein wortlautgebundener, sondern stets ein sinnbestimmter gewesen, der an Einsicht und Denkvermögen des Untergebenen appellierte und ihm soweit irgend angängig Bewegungsfreiheit einräumte. Darin lag zu allen Zeiten das Wesen und die Stärke preußisch-deutschen Soldaten- und Führertums.“ Schwinge, Gehorsam und Verantwortung, S. 41 (47). In die gleiche Richtung: „Der preußische Gehorsam ist der Gehorsam einer freien Entscheidung und nicht der einer unterwürfigen Dienstwilligkeit.“ Hierzu passend vgl. die Inschrift auf dem Grabstein des Generalmajor Johann Friedrich Adolph von der Marwitz (1723–1781) in Friedersdorf: „Sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen. Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.“ Vertiefend Schnapp, FS für Leuze, S. 469 (469). 657 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 62. 658 Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 195 ff.; hiermit setzen sich auch Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 140 ff. und Huth, Die Gegenvorstellung, S. 116 ff. auseinander. Vgl. auch Schirmer, Befehl und Gehorsam, S. 17 f. 659 Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 197.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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(1) Beispiel: Das unbewachte Kasernentor Der Wachsoldat, der in einem abgelegenen Waldstück das Eingangstor eines Munitionslagers bewacht, eilt einer Frau zur Hilfe, die im angrenzenden Gebüsch das Opfer eines Sittlichkeitsverbrechens zu werden droht. Dem heraneilenden Wachposten gelingt es, den mutmaßlichen Täter zu vertreiben. Wegen der Hilfeleistung des Soldaten ist jedoch der Eingangsbereich des Munitionslagers für einige Zeit unbewacht und es entsteht die Gefahr, dass Unbefugte in das Lager eindringen und Sabotageakte gegen die Bundeswehrliegenschaft verüben, was des Öfteren auch schon versucht wurde. (2) Die auftretende Pflichtenkollision Diesem Beispielsfall liegt eine Kollision zweier widerstreitender Pflichten zugrunde: Auf der einen Seite streitet die Pflicht zum militärischen Gehorsam gemäß § 11 I 1, 2, SoldatenG, die im Fall der Nichtbeachtung nach § 44 WStG strafbewehrt ist. Auf der anderen Seite gilt die allgemeine Pflicht zur Hilfeleistung gemäß § 323c StGB. Diese Pflichtenkollision wurde nach alter Rechtslage entsprechend den Regeln des „übergesetzlich-rechtfertigenden Notstands“ gerechtfertigt.660 Dieses Ergebnis erklärt sich nur, wenn man sich die alte Rechtslage vor Einführung des heutigen § 34 StGB vor Augen führt. (3) Historischer Hintergrund Vor Einführung des § 34 StGB im Jahr 1975 wurden die Fälle, die nicht von den Vorschriften über die Sachwehr gemäß § 228 BGB und über den zivilrechtlichen Angriffsnotstand gemäß § 904 BGB erfasst wurden, aber denen eine „rechtfertigende Notstandssituation“ zugrunde lag, unter dem Aspekt des „übergesetzlich-rechtfertigenden Notstands“ als gerechtfertigt angesehen.661 Dieser ungeschriebene rechtfertigende Notstand wurde aus dem Rechtsgedanken hergeleitet, der allen Rechtfertigungsgründen zugrunde liegt: „Dass nämlich bei einer unausweichlichen Kollision widerstreitender Interessen der Täter rechtmäßig handelt, wenn er das höherwertige Interesse dem geringwertigen vorzieht und damit im Ergebnis etwas sozial Nützliches tut.“662 Der „übergesetzlich-rechtfertigende Notstand“, der erstmals im Jahr 1927 Eingang in die Rechtsprechung fand663, gründete sich demnach auf dem Prinzip der Güter- und 660 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 140 f.; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 197. 661 Zur Entwicklung des rechtfertigenden Notstands und seinen Vorläuferregelungen siehe Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 1 ff. 662 Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 3. 663 Urteil vom 11.03.1927, RGSt 61, 242 (242 ff.).

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1. Teil: Das Wehrrecht

Pflichtenabwägung. Die Pflichtenkollision wurde somit als ein Fall des „übergesetzlichen Notstands“ verstanden.664 Durch die positiv-rechtliche Normierung wird heute der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB und die rechtfertigende Pflichtenkollision getrennt behandelt. Der sog. „übergesetzlicher Notstand“ entfaltet mit seinen engen Voraussetzungen665 nach heute h. M. lediglich entschuldigende Wirkung.666 Der oben beschriebene Fall wirft zwei interessante Fragen auf: Zunächst ist zu fragen, wie die Wachverfehlung des Untergebenen gemäß § 44 I Nr. 2 WStG heute zu behandeln ist, nachdem es den sog. „übergesetzlich-rechtfertigenden Notstand“ in dieser Form nicht mehr gibt. Zweitens ist zu klären, ob das hierbei gefundene Ergebnis etwaige Auswirkungen auf die Verbindlichkeit des Befehls hat. (4) Die Rechtfertigung des Wachsoldaten Umfasste früher der sog. „übergesetzlich-rechtfertigende Notstand“ sowohl eine Güter- und Pflichtenabwägung, so wird heute nach Einführung des § 34 StGB zwischen einer Güter- und Interessenabwägung auf der einen und einer Pflichtenkollision auf der anderen Seite unterschieden.667 Das, was früher unter den ungeschriebenen rechtfertigenden Notstand fiel, kann heute demnach nicht automatisch unter die geltende Regelung des § 34 StGB subsumiert werden. Wenngleich es sich vom Ergebnis her nicht auswirkt, handelt es sich in casu nach richtiger Ansicht nicht um einen Fall des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB668, sondern um einen Fall der rechtfertigenden Pflichtenkollision, die nach eigenen Regeln zu behandeln ist.669 Dies lässt sich wie folgt begründen: Nach allgemeiner Definition liegt eine Pflichtenkollision vor, wenn mehrere rechtlich begründete Handlungspflichten in der Weise an den Normadressaten herantreten, dass die eine nur auf Kosten der anderen erfüllt werden kann. Es 664

Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 4, 115. Siehe etwa Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 452. 666 Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 212 ff. 667 Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 115; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 71 f. 668 In diese Richtung jedoch wohl Huth, Die Gegenvorstellung, S. 116 ff. Seiner Ansicht nach handelt der Untergebene gemäß § 34 StGB gerechtfertigt. Dabei verweist er auf die Vorschriften über die Furcht vor persönlicher Gefahr in Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, aus denen sich eine solche Festlegung auf den rechtfertigenden Notstand jedoch gerade nicht ergibt. Eine mögliche Rechtfertigung wegen rechtfertigendem Notstands bzw. rechtfertigender Pflichtenkollision wird vielmehr in der Kommentierung zu § 44, Rn. 17 offen gelassen. 669 S/S-Lenckner/Perron, § 34, Rn. 3 f. sprechen von einer „Rückgriffssperre“ auf § 34 StGB, soweit andere Rechtfertigungsgründe abschließend sind. Die Vorschrift gelte daher nicht für die Pflichtenkollision. 665

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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muss also notwendig eine von ihnen verletzt werden, gleichgültig, wie sich der Täter auch verhalten mag.670 Gemäß den Regeln der rechtfertigenden Pflichtenkollision handelt der Täter nicht rechtswidrig, wenn er bei rangverschiedenen Pflichten die ranghöhere Pflicht auf Kosten der rangniederen Pflicht erfüllt. Ebenso handelt rechtmäßig, wer bei gleichwertigen Pflichten eine von beiden erfüllt.671 Das Rangverhältnis der hierbei kollidierenden Pflichten hängt vom Wert der gefährdeten Güter, von der rechtlichen Stellung des Normadressaten zum geschützten Objekt, von der Nähe der Gefahr und von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ab.672 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes: Auf der einen Seite steht die Pflicht des Soldaten zur ordnungsgemäßen Ausführung des Wachdienstes, das heißt zum Gehorsam gegenüber dem Wachbefehl.673 Das gefährdete Rechtsgut ist die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und die Schlagkraft der Truppe in Friedenszeiten. Diese sind grundsätzlich sehr hoch einzuschätzen. Das Gleiche gilt hierbei hinsichtlich der rechtlichen Stellung des Wachsoldaten zum geschützten Objekt.674 In Bezug auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts besteht wegen der in der Vergangenheit versuchten Sabotageakte auch eine erhöhte Gefahr. Auf der anderen Seite stehen als konkret gefährdete Rechtsgüter die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung, u. U. sogar das Leben der in Not geratenen Frau. Wenngleich die Hilfeleistungspflicht insbesondere dann eingeschränkt ist, wenn diese nicht ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist675, führt eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen in dem zu beurteilenden Fall zu einem Überwiegen der Schutzinteressen für die konkret und unmittelbar bedrohte Frau. Als Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass der zur Hilfe herbeieilende Wachsoldat wegen rechtfertigender Pflichtenkollision gerechtfertigt handelt, eine Strafbarkeit gemäß § 44 I Nr. 2 WStG daher entfällt.676

670

Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 116; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 735. Statt vieler: Roxin, Strafrecht AT I, § 16, Rn. 125; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 736. 672 So Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 735 f. 673 Die Wachverfehlung gemäß § 44 WStG ist regelmäßig ein Sonderfall des Ungehorsams gemäß §§ 19, 21 WStG; vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 44, Rn. 16, 22. 674 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 44, Rn. 5 sprechen von einer „erhöhten Verantwortung, die der Soldat durch die Vergatterung bewusst übernommen hat.“ 675 Zu Fragen der Zumutbarkeit der Hilfeleistung wegen Verletzung anderer Pflichten siehe SK-StGB-Rudolphi, § 323c, Rn. 26 f. 676 In diesem Sinn vor dem Hintergrund der alten Rechtslage S/S-Schröder, 16. Auflage, § 109b, Rn. 18. 671

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1. Teil: Das Wehrrecht

(5) Die Verbindlichkeit des Wachbefehls Als Zweites ist der Frage nachzugehen, ob das gefundene Ergebnis Auswirkungen auf die Verbindlichkeit des Wachbefehls hat, die Pflichtenkollision somit einen eigenständigen Unverbindlichkeitsgrund darstellen kann. Eine Meinung in der Literatur geht hiervon tatsächlich aus.677 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Nicht zustimmungsfähig ist der Gedanke, dass ein allgemeiner Rechtfertigungsgrund – hier die rechtfertigende Pflichtenkollision – die Unverbindlichkeit des Befehls begründen soll. Da auch im Wehrstrafrecht die allgemeinen Rechtfertigungsgründe anzuwenden sind, kann zwar die Nichtbefolgung eines verbindlichen Befehls bereits gerechtfertigt sein. Weshalb die Verbindlichkeit des Befehls dadurch entfallen soll, dass ein allgemeiner Rechtfertigungsgrund vorliegt, leuchtet aber nicht ein. Die von der Literaturansicht vertretene Meinung würde bedeuten, dass ein zunächst verbindlicher – und damit zu befolgender Befehl – deshalb unverbindlich wird, weil nachträglich ein allgemeiner Rechtfertigungsgrund hinzukommt. Vielmehr ist es aber doch so, dass erst die Verbindlichkeit des Befehls dazu führt, dass sich eine Interessenkollision ergeben kann.678 Der militärische Befehl erlangt im Wehrrecht zu zwei Seiten hin eine besondere Bedeutung: Der verbindliche Befehl ist ein besonderer Rechtfertigungsgrund zur Ausführung auch rechtswidriger Taten679, wohingegen der unverbindliche Befehl gemäß § 22 I 1 WStG i.V. m. §§ 19 ff. WStG einen Rechtfertigungsgrund zur Befehlsverweigerung darstellt. Die Verbindlichkeit bzw. Unverbindlichkeit des Befehls stellt somit je nach Fallgestaltung einen besonderen Rechtfertigungsgrund für die Ausführung bzw. Nichtausführung der Weisung dar. Hieran anknüpfend findet sich bei Hirschmann680 ein weiteres Argument gegen die Annahme der Unverbindlichkeit eines Befehls im Fall einer Güterkollision: Folgte man der Meinung, dass die rechtfertigende Pflichtenkollision zur Unverbindlichkeit des Befehls führt, würde man die im Wehrrecht präzise vorgenommene Trennung der Unverbindlichkeit als ein besonderer Recht677 Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 195, 197, der für die alte Rechtslage in dem sog. „übergesetzlich-rechtfertigenden Notstand“ einen selbständigen Unverbindlichkeitsgrund des Befehls sieht. So auch Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 125 ff.: „[. . .] können rechtmäßige – und für sich gesehen verbindliche – Befehle vorkommen, die wegen Hinzutretens weiterer Umstände den Untergebenen in einen übergesetzlichen Notstand versetzen und den Befehl unverbindlich werden lassen“, a. a. O., S. 127. 678 So auch bereits Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 141; Olboeter, Die Gehorsamspflicht des Soldaten, S. 30 f. 679 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 78; BGHSt 4, 161 (162). Dass auch der rechtswidrige, verbindliche Befehl den Untergebenen richtigerweise bereits rechtfertigt, wurde oben im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. im Rahmen der „Rechtfertigungslösung“ behandelt. 680 Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 142.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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fertigungsgrund mit den allgemeinen Rechtfertigungsgründen aufheben und verwischen.681 Wie der besprochene Fall zeigt, kann der Ungehorsam in Form der Wachverfehlung bereits durch den allgemeinen Rechtfertigungsgrund der Pflichtenkollision gerechtfertigt werden. Mit Hirschmann682 ist daher festzustellen, dass es kein Bedürfnis gibt, bei Vorliegen eines allgemeinen Rechtfertigungsgrundes hieraus die Unverbindlichkeit folgen zu lassen. Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass die rechtfertigende Pflichtenkollision nicht schon zur Unverbindlichkeit des Befehls führt. Die Nichtausführung des Wachbefehls ist hingegen nach den Regeln der rechtfertigenden Pflichtenkollision gerechtfertigt. ii) Sonstige Unverbindlichkeitsgründe Neben den beschriebenen Fallgruppen kennt das Wehrrecht darüber hinaus Gründe, die einen Befehl unverbindlich werden lassen. So sind Befehle, bei denen der Vorgesetzte nicht in der Lage ist, einen rechtlich relevanten Willen und damit eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung zu bilden, unverbindlich.683 Hat sich etwa der Vorgesetzte durch berauschende Mittel in einen die freie Willensbildung ausschließenden Zustand versetzt, so kann dieser Befehl eine Gehorsamspflicht nicht begründen.684 Wichtig ist hierbei jedoch, dass sich der die freie Willensbildung ausschließende Zustand offensichtlich nach außen zeigen muss. Schlichte Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Befehlenden sind daher nicht hinreichend, um daraus die Unverbindlichkeit des Befehls zu folgern.685 Eng verwandt mit der bereits behandelten clausula rebus sic stantibus ist die nachfolgende Fallgruppe. Rechtmäßige und verbindliche Anordnungen des Vorgesetzten können ausnahmsweise auch durch bloßen Zeitablauf nachträglich ihre Verbindlichkeit verlieren. Die Unverbindlichkeit kann sich etwa daraus ergeben, dass der Vorgesetzte vor Ausführung des Befehls die ein-

681

So Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 142. Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 142. 683 Zum Befehl als empfangsbedürftige Willenserklärung siehe Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 19 m.w. N. sowie die obigen Ausführung im ersten Teil, erstes Kapitel, C. 684 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 67 ff. Schreiber, NZWehrr 1959, 29 (30) geht sogar von einem Nichtbefehl aus, wenn die Geistestätigkeit erheblich gestört ist und der Vorgesetzte überhaupt nicht mehr in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden. Nach Huth, a. a. O., soll sich die Unverbindlichkeit des Befehls auch daraus ergeben können, weil dieser unter Bedrohung oder Zwang auf den Vorgesetzten zustande kam und damit ein freier Willensentschluss nicht gewährleistet ist. Dogmatisch lässt sich die Unverbindlichkeit des im Nötigungsnotstand zustande gekommene Befehls an §§ 10 IV, 11 I 3 SoldatenG i.V. m. § 22 I 1 WStG festmachen. Dem so zustande gekommenen Befehl fehlt der dienstliche Zweck. Er ist daher für den Untergebenen unverbindlich. 685 So Huth, Die Gegenvorstellung, S. 68 f.; Mellmann, Der rechtswidrige verbindliche militärische Befehl, S. 129 ff. 682

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1. Teil: Das Wehrrecht

mal erteilte Anweisung später aufhebt oder gegenüber dem Untergebenen zu erkennen gibt, dass er eine zukünftige Befehlsausführung nicht mehr erwartet. Eine Gehorsamspflicht wird hier durch das Gesetz nicht mehr gefordert. Der Befehl ist unverbindlich.686

C. Die normative Ausgestaltung der Strafrechtsvorschriften bei einem Handeln auf Befehl I. Einführung Nachdem die Grundlagen des Wehrrechts dargestellt wurden, soll im Folgenden die normative Ausgestaltung der Strafrechtsvorschriften bei einem Handeln auf Befehl näher untersucht werden. Die anschließende Betrachtung dient zum einen dazu, das Wehrrecht umfassend zu beleuchten. Zum anderen wird die Darstellung im zweiten und dritten Teil der Arbeit helfen, die beamtenrechtlichen Vorschriften bei einem Handeln auf Weisung besser zu verstehen und die dahinter stehenden Wertungen systemgerecht zu erfassen. Aufgrund der bisherigen Vorarbeiten erschließt sich die normative Ausgestaltung der Strafrechtsvorschriften recht schnell, sodass auf die bereits gewonnenen Erkenntnisse weitgehend verwiesen werden kann. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtungen werden die Vorschriften stehen, die ein Handeln des Untergebenen auf Befehl im engeren Sinn betreffen. Hierbei handelt es sich um die Normen der § 11 II 2 SoldatenG, § 5 WStG und § 22 WStG. Zunächst wird der Blick auf die vorsätzliche Straftatbegehung gerichtet, bevor auf die fahrlässige Begehung einer Straftat noch einmal kurz eingegangen wird. II. Das vorsätzliche Begehungsdelikt bei einem Handeln auf Befehl Gemäß § 3 I WStG, § 15 StGB ist lediglich vorsätzliches Handeln strafbar, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. Die in der Praxis selten vorkommenden Fälle einer vorsätzlichen Straftatbegehung durch den Untergebenen auf Befehl sind Gegenstand der nachstehenden Untersuchungen. Auch für das Wehrstrafrecht gilt, dass der Täter nur dann einer Strafe unterzogen werden kann, wenn er tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handelt.

686 Huth, Die Gegenvorstellung, S. 110 mit Hinweis auf Mellmann, Der rechtswidrige verbindliche militärische Befehl, S. 136 f.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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1. Der Tatbestand einer vorsätzlichen Straftatbegehung auf Befehl Im Hinblick auf den Tatbestand ergeben sich gegenüber dem Kernstrafrecht keine grundlegenden Besonderheiten. Erforderlich ist demnach eine kausale Handlung, die einen objektiv zurechenbaren Erfolg herbeiführt und ein Vergehen oder Verbrechen zur Folge hat. In subjektiver Hinsicht ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis all seiner objektiven Tatumstände erforderlich – also ein Willens- und ein Wissenselement. Sieht eine Norm des Wehrstrafrechts nicht eine bestimmte Vorsatzform vor, ist Eventualvorsatz ausreichend. Irrt sich der Untergebene bei der strafbaren Befehlsausführung über tatsächliche Umstände, kommt nach allgemeinen Regeln ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum gemäß § 16 I 1 StGB in Betracht. Sofern gesetzlich vorgesehen, ist dann gemäß § 16 I 2 StGB nur noch eine Fahrlässigkeitsstrafe möglich, und dies auch nur, soweit nicht Rechtfertigungsoder Entschuldigungsgründe wie beispielsweise § 5 I WStG eingreifen.687 2. Die Rechtswidrigkeit einer vorsätzlichen Straftatbegehung auf Befehl Die Befehlsausführung des untergebenen Soldaten ist rechtswidrig, wenn sie gegen die objektive Rechtsordnung verstößt und nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. In Betracht kommen hierbei die allgemeinen und die speziellen Rechtfertigungsgründe. a) Allgemeine Rechtfertigungsgründe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kommen auch im Wehrstrafrecht gemäß § 3 I WStG all die Rechtfertigungsgründe in Betracht, die den Untergebenen rechtfertigen, unabhängig davon, welcher Rechtsmaterie sie entstammen.688 Einen numerus clausus der Rechtfertigungsgründe gibt es auch im Hinblick auf das Wehrstrafrecht nicht. Zur Anwendung gelangen daher die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, wie beispielsweise die Notwehr gemäß § 32 StGB, § 227 BGB, der zivilrechtliche Notstand gemäß §§ 228, 904 BGB, der allgemeine, rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB, § 16 OWiG oder die rechtfertigende Pflichtenkollision. Da sie für das Handeln auf Befehl keine Be687 Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 50 betont zu Recht, dass es sich nur um eine Bestrafung wegen unbewusst fahrlässiger Tat handeln kann, weil bei der bewussten Fahrlässigkeit das intellektuelle Moment dem des bedingten Vorsatzes entspricht, das heißt der Täter die Tatumstände und die sich möglicherweise daraus ergebenden Folgen kennt. Damit ist der Weg über § 16 I StGB versperrt. 688 Vgl. BGHSt 11, 241 (244); Scherer/Alff, SoldatenG, § 23, Rn. 4; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 97.

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1. Teil: Das Wehrrecht

sonderheiten aufwerfen, ist hierauf lediglich hinzuweisen und der Blick auf die besonderen Rechtfertigungsgründe zu richten. b) Besondere Rechtfertigungsgründe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl Der Gesetzgeber hat erkannt, dass das Handeln des Untergebenen auf Befehl besonderen Anforderungen unterliegt. Daher wurden dem befehlsunterworfenen Soldaten spezielle Rechtfertigungsgründe zur Seite gestellt. aa) Gemeinsame Struktur der Erlaubnissätze: Das subjektive Rechtfertigungselement bei einem objektiven Vorhandensein der Rechtfertigungslage Nach h. M. ist bei allen Rechtfertigungsgründen eine tatbestandsmäßige Handlung nicht schon dann gerechtfertigt, wenn lediglich die objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen vorliegen.689 Um gerechtfertigt zu sein, müssen vielmehr zusätzlich subjektive Rechtfertigungselemente vorliegen. Wie diese im Einzelnen beschaffen sein müssen, ist in Lehre und Rechtsprechung umstritten. Die Literatur hält es überwiegend für ausreichend, dass der Täter in Kenntnis der rechtfertigenden Sachlage und im Bewusstsein der eigenen Rechtfertigung handelt.690 Einer besonderen Rechtfertigungsabsicht bedürfe es nicht.691 Vor allem die Rechtsprechung verlangt demgegenüber für einen Ausschluss des Handlungsunrechts, dass der Täter über die bloße Kenntnis von der Konfliktlage hinaus über eine Rechtfertigungsabsicht i. S. e. bestimmten Zweckbezuges verfügt.692 Fraglich ist, wie das subjektive Rechtfertigungselement bei einem Handeln aufgrund eines verbindlichen Befehls beschaffen sein muss. Sicherlich wird man als Mindestvoraussetzung zum Ausschluss des Handlungsunrechts auch hier die Kenntnis der Rechtfertigungslage fordern müssen. Dies bedeutet, dass das subjektiv notwendige Rechtfertigungselement somit die Kenntnis von der Verbindlichkeit des Befehls darstellt. Der Untergebene handelt somit gerechtfertigt, wenn er aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre weiß, dass es 689 Liegen nur die objektiven, nicht aber auch die subjektiven Voraussetzungen der Rechtfertigungssituation vor, bestraft die (noch) h. M. wegen vollendeter rechtswidriger Tat, während die Gegenmeinung lediglich Versuch annimmt, was insbesondere dann relevant wird, wenn ein Fahrlässigkeitsdelikt in Rede steht. Hierzu Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 278 m.w. N. 690 Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 25, Rn. 24; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 275. 691 S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 14. 692 Geppert, Jura 1995, 103 (104 f.); zum Ganzen vgl. auch Roxin, Strafrecht AT I, § 14, Rn. 96 ff. m.w. N.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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sich für ihn um einen verbindlichen Befehl handelt, „er diesen somit ausführen muss“.693 Kein allgemeiner und stets zu fordernder Bestandteil des subjektiven Rechtfertigungselements ist hingegen die gewissenhafte Prüfung der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen.694 Sie ist daher auch für den verbindlichen Befehl nicht zu fordern. Zum einen ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der Untergebene weder berechtigt noch verpflichtet ist, die Rechtmäßigkeit des Befehls zu überprüfen. Überdies würde die Rechtsordnung die Anforderungen an den einzelnen Soldaten überspannen, verlangte sie eine solche Prüfung durch den untergebenen Soldaten. Aber auch rein tatsächlich wird es schlicht die militärische Lage oftmals nicht erlauben, dass der Untergebene dezidierte Überlegungen in diese Richtung anstellt. Militärisches Handeln ist geprägt von einer schnellen Befehlsausführung.695 Insgesamt wird man daher die Kenntnis der Rechtfertigungslage – das heißt die Kenntnis vom Vorliegen eines verbindlichen Befehls – als ausreichend zu betrachten haben. bb) Der besondere Rechtfertigungsgrund der „militärischen Notwendigkeit“ Ein besonderer Rechtfertigungsgrund der „militärischen Notwendigkeit“ – wie es das Reichsgericht696 noch annahm, um rechtswidrige Befehle zu rechtfertigen – kann es nach geltendem Wehrrecht nicht geben.697 Auch die Bundeswehr ist als Teil der vollziehenden Gewalt gemäß Art. 20 III GG an Gesetz und Recht gebunden.698 Die Unbestimmtheit und Weite eines solchen Rechtfertigungsgrundes widersprechen dem Rechtsstaatsprinzip, wonach insbesondere das Gesetzmäßigkeitsprinzip eine nahezu ausnahmslose Anwendung dieses uferund konturenlosen Begriffs verbietet.699 693 Sinngemäß auch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 31, IV, 1: „Der Täter muss das Vorliegen der die Tat rechtfertigenden Situation erkannt [. . .] und zur Erfüllung der ihm dadurch auferlegten Pflicht gehandelt haben.“ A. A. Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 55, 154 ff., der ausschließlich auf das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungslage abstellt. 694 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 31, IV, 3. 695 Vgl. § 11 I 1, 2 SoldatenG. 696 RGSt 59, 404 (406 f.). 697 Erfordert es die „militärische Notwendigkeit“, obliegt es dem Befehlshabenden, verbindliche Befehle zu erteilen. Ein derart erteilter Befehl hat dann die Kraft, die Ausführungshandlung zu rechtfertigen, nicht jedoch die „militärische Notwendigkeit“ an sich. Hierzu auch Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 64 f.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 99. 698 Vgl. statt vieler: Brenner in von Mangoldt/Klein, GG-Kommentar, Band I, Art. 17a GG, Rn. 3. 699 Eine Rechtfertigung des Hoheitsträgers kann u. U. eine Duldungspflicht des Bürgers für Eingriffe in seine Rechtsgüter begründen. Daher ist dem Vorbehalt des Geset-

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1. Teil: Das Wehrrecht

cc) Der rechtmäßige, verbindliche Befehl Im Rahmen der Grenzen der Gehorsamspflicht wurden die Voraussetzungen und die rechtlichen Folgen eines rechtmäßigen, verbindlichen Befehls herausgearbeitet.700 Es hat sich gezeigt, dass die Ausführung eines rechtmäßigen, verbindlichen Befehls durch den Untergebenen stets rechtmäßig ist. Die abgeleitete Handlungsbefugnis des Untergebenen von seinem befehlserteilenden Vorgesetzten erweist sich als Rechtfertigungsgrund für den Befehlsempfänger.701 Der rechtmäßige, verbindliche Befehl steht mit der objektiven Rechtsordnung im Einklang und rechtfertigt daher die Befehlsausführung des Untergebenen.702 dd) Der rechtmäßige, unverbindliche Befehl Einen rechtmäßigen, unverbindlichen Befehl kennt das geltende Wehrstrafrecht nicht. Eine rechtfertigende Wirkung kann ihm daher nicht zukommen. ee) Der rechtswidrige, verbindliche Befehl Das Problem des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls wurde ausführlich behandelt. Nach dem oben gewonnenen Ergebnis rechtfertigt er bereits das befohlene Unrecht.703 ff) Der rechtswidrige, unverbindliche Befehl Demgegenüber kann der rechtswidrige, unverbindliche Befehl niemals eine Befehlsausführung durch den Untergebenen rechtfertigen. Dies gilt vor allem für den strafrechtswidrigen und für den völkerrechtswidrigen Befehl. Gleiches muss aber auch für die unverbindlichen Befehle gelten, die der Untergebene zwar ausführen darf, aber nicht ausführen muss. So kann etwa ein Befehl, der die Menschenwürde des Untergebenen oder eines von der Befehlsausführung betroffenen Dritten verletzt und daher rechtswidrig und unverbindlich ist, nicht gleichzeitig einen Erlaubnissatz darstellen. Einleuchtend dürfte daher sein, dass für eine Rechtfertigung hier kein Platz ist.

zes und dem Bestimmtheitsgebot hinreichend Rechnung zu tragen. Vgl. hierzu Roellecke in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 20 GG, Rn. 73 ff., 81 ff. und Sachs in Sachs, GG-Kommentar, Art. 20 GG, Rn. 113 f., 126 ff. 700 Siehe oben, erster Teil, drittes Kapitel, B. III. 1. 701 Vgl. BGHSt 4, 161 (162); Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 173; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 87. 702 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 79; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 2, Rn. 29. 703 Siehe oben, erster Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. c) ll).

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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gg) Weitere besondere Rechtfertigungsgründe Die Rechtsordnung kennt nicht nur den verbindlichen Befehl als einen besonderen Rechtfertigungsgrund des Wehrrechts, sondern darüber hinaus auch zahlreiche, aus unterschiedlichen Rechtsbereichen stammende Erlaubnissätze. Die Wichtigsten seien kurz genannt: Einen besonderen Rechtfertigungsgrund stellt die sog. Manöverlast gemäß § 68 I BLG i.V. m. § 66 II BLG dar. Danach dürfen die Bundeswehr und ihre Bündnispartner Grundstücke überqueren, vorübergehend besetzen oder zeitweilig sperren. Maßnahmen der Truppe, die in das Eigentumsrecht Dritter eingreifen, sind somit bereits gerechtfertigt.704 In diesem Zusammenhang ist auch die übermäßige Nutzung oder Sperrung von Verkehrswegen, die Überquerung von Schienenbahnen und die Benutzung von Hoheitsgewässern gemäß § 70 BLG zu sehen. Außerhalb von Manövern und Übungen richten sich die straßenverkehrsrechtlichen Sonderbefugnisse der Bundeswehr nach § 35 I, II, III, IV, VIII StVO.705 Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Sonderrechte ist allerdings, dass eine solche gemäß § 35 I 2. HS, VIII StVO zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist und unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt wird.706 Ein weiterer besonderer und den militärischen Erfordernissen angepasster Rechtfertigungsgrund ist die schon behandelte vorläufige Festnahme gemäß § 21 WDO. Sie rechtfertigt ebenso wie § 127 I StPO und § 6 UZwGBw Einschränkungen des Grundrechts der Freiheit der Person nach Art. 2 II 2 GG – oder strafrechtlich ausgedrückt – eine tatbestandliche Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB. Ferner findet sich ein spezieller Rechtfertigungsgrund für Soldaten im Kriegsrecht der Haager Landkriegsordnung707 (HLKO) von 1907.708 Danach sind solche Kriegshandlungen rechtmäßig, die während einer kriegerischen Auseinandersetzung aus militärischen Gründen notwendig werden und sich im Rahmen der Kriegsregeln halten. So sind beispielsweise die Verletzung und Tötung feindlicher Kombattanten, die Beschädigung und Zerstörung fremder Sachen oder die Aneignung feindlichen Eigentums kraft Beuterechts aufgrund dieser besonderen Rechtfertigungsgründe rechtmäßige Handlungen.709 Neu hinzugekommen ist die Ermächtigung der Streitkräfte zum unmittelbaren Waffeneinsatz gegen Luftfahrzeuge gemäß § 14 III LuftSiG i.V. m. § 15 I 1 704

Siehe hierzu die Ausführungen bei Butz, BLG-Kommentar, §§ 66–70 BLG. Vgl. hierzu die Kommentierung bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 35 StVO. 706 Zu den Einzelheiten siehe Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 35 StVO, Rn. 5, 8. 707 RGBl. 1910, 107 in der Bekanntmachung vom 25.01.1910, RGBl. 1910, 375. 708 Ausführlich zum Kriegsvölkerrecht vgl. etwa die Ausführungen bei Schwenck, Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 154 ff. 709 Ausführlich hierzu Arndt, Wehrstrafrecht, S. 65 ff. 705

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1. Teil: Das Wehrrecht

LuftSiG. Das LuftSiG710 dient nach seinem § 1 „dem Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs, insbesondere vor Flugzeugentführungen, Sabotageakten und terroristischen Anschlägen“ und möchte der Realität gewordenen Bedrohungssituation seit 2001 Rechnung tragen.711 Wird ein Flugzeug als Waffe gegen das Leben der Insassen und zielgerichtet auch gegen das Leben anderer Menschen durch den Einsatz von Gewalt rechtswidrig bedroht, sieht § 14 III LuftSiG i.V. m. § 15 I 1 LuftSiG eine Ermächtigungsnorm i. S. e. Ultima-Ratio-Klausel vor.712 Danach dürfen die Streitkräfte nach Maßgabe einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Waffengewalt unmittelbar auf das betreffende Flugzeug einwirken. Dem politisch und gesetzestechnisch sehr umstrittenen Gesetz hat jedoch nun das Bundesverfassungsgericht in einer aktuellen Entscheidung vom 15.02.2006 einen Riegel vorgeschoben.713 Nach Ansicht des Ersten Senates ist § 14 III LuftSiG mit Art. 2 II 1 GG i.V. m. Art. 87a II GG und Art. 35 II und III GG sowie i.V. m. Art. 1 I GG unvereinbar und nichtig.714 Wie der Gesetzgeber hierauf reagieren wird, bleibt abzuwarten. 710

Luftsicherheitsgesetz vom 11.01.2005, BGBl. I 2005, 78. Vgl. Beschluss und Bericht des Innenausschusses LuftSiG, BT-Drucksache 15/ 3338, S. 28 und Begründung zum LuftSiG, BT-Drucksache 15/2361, S. 21. 712 Zum Ganzen vgl. Begründung zum LuftSiG, BT-Drucksache 15/2361, S. 21. 713 Urteil des BVerfG vom 15.02.2006, BVerfG 1 BvR 357/05, nachzulesen unter http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20060215_1bvr035705.html. Zuletzt besucht am 17.03.2006. 714 BVerfG, 1 BvR 357/05 vom 15.02.2006, Abs.-Nr. 84. In formeller Hinsicht rügt das Gericht eine fehlende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes, Abs.-Nr. 89 ff. In materieller Hinsicht verstößt § 14 III LuftSiG nach Ansicht des Gerichtes gegen den Menschenwürdegehalt des Art. 2 II 1 GG, soweit hierdurch Unschuldige betroffen sind, Abs.-Nr. 118 ff. Nicht zustimmungsfähig ist jedoch der Ansatz, dass durch eine Waffeneinwirkung gemäß § 14 III LuftSiG die Flugzeuginsassen zum Objekt staatlicher Gewalt herabgewürdigt werden. Nicht der reagierende Staat beraubt bei einem Vorgehen nach § 14 III LuftSiG die entführten Insassen ihrer Würde, sondern der Gewalttäter, der die Menschen an Bord nicht nur tötet, sondern sie darüber hinaus auch zur Auslöschung weiterer Unschuldiger instrumentalisiert (so auch die Stellungnahme des BT, a. a. O., Abs.-Nr. 47). Von einer „Verdinglichung“ und „Entrechtung“ (Abs.Nr. 124) durch die Staatsgewalt kann daher nur schwerlich gesprochen werden. Auch findet nach § 14 III LuftSiG keine Abwägung Leben gegen Leben statt. Kommt es zu dem von der Norm vorausgesetzten Fall, sind die Flugzeuginsassen auch dann dem Tode geweiht, wenn der Staat nicht für eine juristische Sekunde in das Leben der Insassen mittelbar eingreifen würde. Außerdem gilt es zu beachten, dass dem Staat gemäß Art. 1 I 2 GG in einer solchen Situation die Aufgabe zukommt, weitere Menschenleben zu schützen. Ein Vorrang der grundrechtlichen Abwehrfunktion der Insassen an Bord gegenüber der Schutzfunktion für die Menschen auf der Erde besteht nicht. In Erfüllung der Schutzfunktion darf der Gesetzgeber daher vorsehen, dass ein gegenwärtiger Angriff auf das Leben von Menschen abgewehrt wird – notfalls durch den Abschuss eines zur Tatwaffe umfunktionierten Flugzeugs (so die Stellungnahme der Bundesregierung, a. a. O., Abs.-Nr. 54; a. A. BVerfG, a. a. O., Abs.-Nr. 137). Hierfür können auch die in der „Schleyer-Entscheidung“ des BVerfG entwickelten Gedanken fruchtbar gemacht werden, wonach sich der Staat nicht dadurch erpressbar machen lassen darf, dass er auf Forderungen von Terroristen aufgrund der Lebensgefahr für die Geiseln eingeht, BVerfGE 46, 160 (165). Die materiell-rechtliche Prüfung des 711

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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3. Die Schuld des Untergebenen bei einer vorsätzlichen Straftatbegehung auf Befehl Auch bei einem Handeln aufgrund eines rechtswidrigen, unverbindlichen Befehls wird die Schuld des Untergebenen individuell bestimmt, § 3 I WStG, § 29 StGB. Die Schuld behandelt hierbei die Frage, ob dem Täter die rechtswidrige Tat auch persönlich vorzuwerfen ist und er somit zur Verantwortung gezogen werden kann. Das Schuldprinzip setzt hierbei die grundsätzliche Fähigkeit des Einzelnen voraus, seine anlage- und umweltbedingten Antriebe zu kontrollieren und sein Handeln nach sozialethisch verpflichtenden Normen und Wertvorstellungen auszurichten.715 Dem liegt das Autonomieprinzip zugrunde, das eine freie Geistestätigkeit des Menschen voraussetzt, so dass dieser sich zwischen einem Willensentschlusses für eine Straftatbegehung und dem eines rechtskonformen Verhaltens frei entscheiden kann.716 Nach dem Grundsatz nulla poena sine culpa ist die Schuld neben der Rechtswidrigkeit eine weitere materielle Voraussetzung der Strafbarkeit. Schuldhaft handelt daher nach dem normativen Schuldbegriff, wer sich nicht zu einem rechtmäßigen Handeln hat motivieren lassen, obwohl er das Unrecht seines Handelns erkannt hat oder hätte erkennen können und ihm eine entsprechende Steuerung seines Verhaltens möglich gewesen wäre.717 Voraussetzung für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ist, dass der Täter im Zeitpunkt der Tatbegehung schuldfähig ist. Auch sind etwaige spezielle Schuldmerkmale, die Schuldform und das Unrechtsbewusstsein mit in die Prüfung aufzunehmen. Ist der Täter etwa schuldunfähig oder unterliegt er einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gemäß § 17 S. 1 StGB, fehlt ein schuldbegründendes Merkmal. Ein solcher Schuldausschließungsgrund verhindert eine Bestrafung. a) Allgemeine Entschuldigungsgründe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl Ebenso wie bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit kommen auch auf der Ebene der Schuld die allgemeinen Regeln zur Anwendung. Liegt ein Entschuldigungsgrund in der Person des Täters vor, ist der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat so herabgesetzt, dass die untere Grenze der Strafwürdigkeit nicht mehr erreicht ist und die Rechtsgemeinschaft wegen der besonderen Motivationslage Gerichts erscheint vor diesem Hintergrund mit seinen Konsequenzen bedenklich. Die sicherheitspolitische Signalwirkung ist hingegen fatal. 715 So Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 397. 716 Zum Ganzen: Jescheck in LK, vor § 13, Rn. 71 ff. 717 S/S-Lenckner/Eisele, vor § 13, Rn. 103/104 ff., 118; siehe auch Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 394 ff.

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1. Teil: Das Wehrrecht

auf einen Schuldvorwurf verzichtet.718 Als Entschuldigungsgründe kommen insbesondere eine entschuldigende Pflichtenkollision, die Notwehrüberschreitung gemäß § 33 StGB sowie der entschuldigende Notstand nach § 35 StGB in Betracht. § 6 WStG trifft hierbei die für das Wehrrecht wichtige Aussage, dass Furcht vor persönlicher Gefahr eine Tat nicht entschuldigt, wenn die soldatische Tapferkeitspflicht verlangt, diese zu bestehen.719 Der entschuldigende Notstand gemäß § 35 StGB ist hierbei von besonderem Interesse, da er heute nach überwiegender Ansicht den sog. Nötigungsnotstand miterfasst720 und in Fällen der auf Befehl begangenen rechtswidrigen Handlungen einschlägig sein kann.721 Denkbar sind Konstellationen, in denen der Untergebene als Täter selbst Opfer einer Nötigung seines Vorgesetzten gemäß § 240 StGB wird. Voraussetzung hierfür ist, dass der Vorgesetzte durch Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel den befehlsunterworfenen Untergebenen zu einer rechtswidrigen Handlung, Duldung oder einem Unterlassen nötigt, die den Untergebenen dazu motiviert, seinerseits eine rechtswidrige Tat zu begehen. Um den Notwehr übenden Dritten nicht ins Unrecht zu setzen, wird in Übereinstimmung mit der früher geltenden gesetzlichen Regelung gemäß § 52 a. F. StGB und der ihr zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertung die Tat des Genötigten lediglich entschuldigt.722 Überprüft man die dargestellte Meinung über die Behandlung des Nötigungsnotstandes mit dem gewonnenen Ergebnis über den rechtswidrigen, verbindlichen Befehl, taucht die Frage auf, ob es sich hierbei um eine widerspruchsfreie Gesamtdarstellung handelt. Dem rechtswidrigen, verbindlichen Befehl lag eine dem Nötigungsnotstand i. w. S. vergleichbare Interessenlage zugrunde. Herausgestellt wurde insbesondere der auf dem Untergebenen lastende Befehlsdruck, welcher sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht motivierend auswirkt und den Soldaten die befohlene Handlung durchführen lässt. Ein Vergleich des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls mit der Situation des Nötigungsnotstands sprach im Fall der damit verbundenen Begehung geringwertigen Unrechts für die sog. „Rechtfertigungslösung“.723 Eine genaue Betrachtung zeigt jedoch, dass dies ein nur scheinbarer Konflikt und Widerspruch ist. Erneut ist auf die maßgebliche Entscheidung des Gesetzgebers hinzuweisen. Dieser hat dem Befehl zur Begehung geringwertigen Unrechts Verbindlichkeit beigemessen, um den militärischen Erfordernissen hinreichend Rechnung zu tragen. Die Ausfüh718

Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 432. Hierzu Raap, JuS 2003, 9 (11). 720 Vgl. statt vieler: Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 443 m.w. N. 721 Zur Frage, ob der Nötigungsnotstand unter bestimmten Umständen bereits rechtfertigende Wirkung entfalten kann, siehe Hirsch in LK, § 34, Rn. 69a m.w. N. auf die Literatur. 722 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 443. 723 Vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. c) ff). 719

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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rung des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls durch den Untergebenen ist im Geringfügigkeitsbereich daher Recht, nicht Unrecht. Anders ist die Situation im Fall eines „echten“ Nötigungsnotstands zu beurteilen: Wenn etwa der Kompaniechef unter Androhung von Waffengewalt einem ihm unterstellten Feldwebel befiehlt, einen missliebigen Rekruten zu misshandeln, liegt hier in der Nötigungssituation für den Feldwebel kein konkretisierter Gesetzeswille in Form eines verbindlichen Befehls – also kein Recht –, sondern vielmehr kriminelles, strafbares Unrecht des Vorgesetzten. Der rechtswidrige, unverbindliche Befehl kann daher auch keine rechtfertigende Kraft entfalten. Der auf dem Feldwebel lastende außergewöhnliche Motivationsdruck lässt jedoch in dieser Situation einen Schuldvorwurf entfallen. Die an dem Rekruten begangene Misshandlung gemäß § 30 I WStG ist nach § 35 I StGB entschuldigt.724 Entscheidender Unterschied für eine Rechtfertigung des Untergebenen bei Ausführung eines rechtswidrigen, verbindlichen Befehls bzw. für eine Entschuldigung des im Nötigungsnotstand handelnden Untergebenen ist also letztlich die Schwere der anbefohlenen Handlung. Das Merkmal der Verbindlichkeit löst diese Schwierigkeiten widerspruchsfrei. b) Besondere Entschuldigungsgründe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl aa) Der Schuldausschließungsgrund eigener Art gemäß § 5 I WStG bei einem Handeln auf Befehl (1) Der Normzweck Gemäß § 10 V 1 SoldatenG trägt der Vorgesetzte allein die Verantwortung für die von ihm erteilten Befehle. Korrespondierend dazu ist der Soldat daher auch bei Ausführung eines rechtswidrigen Befehls grundsätzlich von jeder Verantwortung frei.725 Von diesem Grundsatz gibt es gemäß § 11 II 2 SoldatenG zwei Ausnahmen, in denen auch der Befehlsempfänger strafrechtlich verantwortlich ist: Schuldhaft handelt der Untergebene dann, wenn er die Strafrechtswidrigkeit erkennt. Die zweite Ausnahme betrifft den Fall, dass eine Straftatbegehung nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist.726 Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber der besonderen Lage des Befehlsausführenden

724 § 30 WStG geht der Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB i.V. m. § 48 I WStG vor; eingehend Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 30, Rn. 28. 725 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 25; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 5 ff.; BVerfG, NZWehrr 1993, 116 (118). 726 Hierzu vgl. Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 25 ff.; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 8 ff.

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1. Teil: Das Wehrrecht

Rechnung tragen.727 Das geltende deutsche Recht nach § 5 WStG stellt damit eine bewusste Abkehr von der Vorgängerregelung des § 47 MStGB dar.728 Für das Strafrecht wiederholt § 5 I WStG inhaltlich die in § 11 II 2 SoldatenG geregelte Strafbarkeit des Befehlsempfängers.729 § 5 WStG regelt die Folgen einer mit Strafe belegten Handlung und behandelt den Befehl hierbei als einen Entschuldigungsgrund sui generis.730 Unterscheidet man noch genauer zwischen Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgrund, so wird man das Handeln auf Befehl gemäß § 5 I WStG als Schuldausschließungsgrund auffassen müssen, da der Untergebene von dem Normappell schon gar nicht erreicht wird.731 Die Voraussetzungen sind im Einzelnen: (2) Die Voraussetzungen des § 5 I WStG (a) Das Begehen einer rechtswidrigen und schuldhaften Tat durch den Untergebenen Der besondere Schuldausschließungsgrund des § 5 I WStG setzt im Vorfeld zunächst voraus, dass der untergebene Befehlsempfänger eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat i. S. d. § 3 I WStG, § 11 I Nr. 5 StGB begeht. Dies bedeutet, dass die Ausführungshandlung durch den Befehlsunterworfenen eine rechtswidrige Tat darstellt. Nicht unbedingt erforderlich ist hingegen, dass auch der Vorgesetzte durch den Befehl eine rechtswidrige Tat begeht. Seine Strafbarkeit ist vielmehr isoliert zu betrachten.732 Darüber hinaus wird auch eine schuldhafte Handlung des Untergebenen vorausgesetzt, da anderenfalls § 5 I WStG als Schuldausschließungsgrund erst gar nicht zur Anwendung gelangt.733 Die oben beschriebenen Voraussetzungen für ein schuldhaftes Handeln müssen daher vorliegen.734 (b) Das Begehen der Straftat durch den Untergebenen auf Befehl Der Schuldausschließungsgrund des § 5 I WStG setzt weiterhin voraus, dass der Untergebene aufgrund eines militärischen Befehls i. S. d. § 2 Nr. 2 WStG 727 So der Bericht Schäfer zum UZwG, BT-Drucksache 3/2272, S. 3 zu der inhaltlich gleich lautenden Norm nach dem UZwG. 728 Vgl. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 28 m.w. N. 729 Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 17. 730 Dreher/Lackner/Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 1; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 1. 731 Hierauf weist Ambos, JR 1998, 221 (221) klarstellend hin. 732 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 4. 733 Klarstellend Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 2, 8. 734 Vgl. die Ausführungen oben im ersten Teil, drittes Kapitel, C. II. 3.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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handelt, so wie er eingangs definiert wurde.735 In Bezug auf das Vorliegen eines Befehls können sich im Hinblick auf Verbrechen und Vergehen folgende Irrtumskonstellationen ergeben, die selbst nicht von § 5 I WStG geregelt sind: (1) Der Untergebene nimmt irrig tatsächliche Umstände an, welche an die Voraussetzungen eines Befehls anknüpfen. In einem solchen Fall wird der Befehlsempfänger rechtlich so gestellt, als lägen sie in Wirklichkeit vor.736 Dies ist etwa der Fall, wenn der Untergebene irrig glaubt, dass er sich noch im Dienst befindet oder er eine Bitte für einen Befehl hält.737 Entsprechend der Vorschrift über den Putativnotstand gemäß § 35 II StGB wird der Untergebene nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. War der Irrtum über die Voraussetzungen eines Befehls in diesem Sinn vermeidbar, ist die Strafe entsprechend § 35 II 2 StGB i.V. m. § 49 I StGB zu mildern.738 (2) Beurteilt der Untergebene die Voraussetzungen eines Befehls in rechtlicher Hinsicht unzutreffend, ist bei Vermeidbarkeit des Irrtums entsprechend § 35 II 2 StGB i.V. m. § 49 I StGB die Strafe zu mildern. In Abgrenzung zu einem bloßen Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB darf es sich jedoch nicht lediglich um einen Irrtum über die Reichweite eines verbindlichen Befehls handeln.739 Eine so vorgenommene Wertung wäre ein reiner Bewertungsfehler auf der Rechtsebene.740 Für die entsprechende Anwendung des § 35 II StGB i.V. m. § 49 I StGB ist es daher erforderlich, dass der Untergebene die Voraussetzungen eines Befehls rechtlich falsch beurteilt. Vorstellbar ist etwa die Konstellation, dass der untergebene Soldat irrig denkt, dass jeder Ranghöhere gleichzeitig Vorgesetzter ist, der ihm befugtermaßen Befehle erteilen kann.741 Der Grund für die Gleichbehandlung des Irrtums in der ersten und zweiten Fallgruppe ist in der psychischen Zwangslage für den Untergebenen zu sehen. Der in beiden Fällen subjektiv erfahrene Motivationsdruck des Befehlsempfängers ist der Gleiche, wie bei einem tatsächlichen Vorhandensein eines Befehls. Die Umstände, die sonst gemäß § 5 WStG bei einem wirklichen Vorliegen ei735 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 3. Zum Begriff des militärischen Befehls vgl. die Ausführungen im ersten Teil, erstes Kapitel. 736 Müssig in MünchKommStGB, § 35, Rn. 79 ff.; S/S-Lenckner/Perron, § 35, Rn. 41 ff. m.w. N.; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 3. 737 Beispiele nach Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 3. 738 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 3. 739 Ein solcher unbeachtlicher Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB läge z. B. vor, wenn der Untergebene irrig glaubt, dass ihn auch bei einer offensichtlichen Straftatbegehung keine Schuld treffe und der Befehl jedes Handeln rechtfertige. Zur Abgrenzung des § 5 I WStG vom Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB vgl. auch die Ausführungen oben im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. a) bb) (5) (c) (cc). Siehe auch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 44, V und § 46, I f.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 96. 740 Vgl. S/S-Lenckner/Perron, § 35, Rn. 45; Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, § 35, Rn. 17. 741 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 3.

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1. Teil: Das Wehrrecht

nes Befehls zum Schuldausschluss, zu einer Strafmilderung oder zu einem Absehen der Strafe führen, entsprechen der inneren Zwangssituation beim Befehlsempfänger. Eine so ausgestaltete Irrtumsregelung trägt vor allem auch der Notwendigkeit Rechnung, die Nachprüfungspflicht des Soldaten zu begrenzen.742 Für beide Irrtumsfälle gilt jedoch, dass sich der Untergebene subjektiv vorstellen muss, aufgrund eines Befehls zu handeln. Handelt er daher aus anderen Gründen, fehlt es an der von der Norm vorausgesetzten psychischen Zwangssituation des Soldaten – für eine Entschuldigung nach § 5 I WStG ist dann kein Raum.743 So lässt sich auch die dritte Irrtumskonstellation leicht lösen: (3) Begeht der Untergebene ein Verbrechen oder Vergehen und verkennt hierbei eine in Wirklichkeit gegebene Befehlssituation, kann der Schuldausschließungsgrund nach § 5 I WStG nicht zur Anwendung gelangen. Zwar liegen die objektiven Voraussetzungen des § 5 I WStG vor. Der Untergebene befindet sich aber nicht in der von der Norm vorausgesetzten psychischen Zwangslage, die ein Befehl herkömmlich ausübt. Das Motiv für die Begehung einer rechtswidrigen Tat ist hier ein anderes. Zu einem subjektiv empfundenen Widerstreit zwischen Ungehorsam bzw. Disziplinarverstoß und dem Wunsch, sich rechtmäßig zu verhalten, kommt es in dieser Situation nicht. Der Untergebene handelt daher voll schuldhaft.744 (3) Die Rechtsfolge des § 5 I WStG bei einem Handeln auf Befehl Begeht der untergebene Soldat auf Befehl eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, handelt er nach der gesetzlichen Ausgestaltung des § 5 I WStG zwar rechtswidrig, doch nur ausnahmsweise schuldhaft.745 Voraussetzung ist zunächst, dass ein Vergehen oder Verbrechen gemäß § 3 I WStG, § 12 StGB vorliegt, das weder durch allgemeine noch durch besondere Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe gerechtfertigt bzw. entschuldigt ist. Handelt es sich um eine rechtswidrige Tat und ist diese schon aus anderen Gründen entschuldigt, ist der Schuldausschließungsgrund des § 5 WStG im Ergebnis nicht mehr entscheidend.746 Lediglich in zwei Fällen ist die Schuld des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl nicht ausgeschlossen:

742 Zum Ganzen Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 3. Hierzu vgl. auch Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 200 und § 35, Rn. 72 ff.; S/S-Cramer/SternbergLieben, § 16, Rn. 30 f.; S/S-Lenckner/Perron, § 35, Rn. 39 ff.; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 89 ff. 743 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 3; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 96; Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, § 16, Rn. 22. 744 Zum Ganzen vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 3; Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, § 16, Rn. 22. 745 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 5. 746 Klarstellend Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 2, 8.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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(a) Kenntnis des Untergebenen von der Rechtswidrigkeit der Tat gemäß § 5 I 1. Var. WStG Gemäß § 5 I 1. Var. WStG trifft den Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl nur dann eine Schuld, wenn er positiv erkennt, dass er eine rechtswidrige Tat in Form eines Vergehens oder Verbrechens gemäß § 3 I WStG, § 12 StGB begeht. Damit das subjektive Element des „Erkennens“ erfüllt ist, ist auf Seiten des Befehlsempfängers eine sichere Kenntnis von der Strafbarkeit der Befehlsausführung erforderlich.747 Ein schlichtes „Für-möglich“- oder -„wahrscheinlich“-Halten genügen daher nicht, weil der Untergebene keine Prüfungspflicht hinsichtlich des Befehls hat und der Vorgesetzte allein gemäß § 10 V 1 SoldatenG die Verantwortung trägt.748 Der Untergebene darf und soll sich daher für den Gehorsam entscheiden.749 Daraus folgt, dass die bereits behandelte Frage nach einer Gegenvorstellungspflicht konsequenterweise auch an dieser Stelle verneint werden muss. Auch hier gilt, dass der gewissenhaft und umsichtig handelnde Untergebene sicher sein kann, dass er die Befehlsausführung nicht zu scheuen braucht.750 Der Gesetzgeber hat damals richtig erkannt, dass eine solche Pflicht der militärischen Befehlsapparatur eklatant zuwider laufen würde und mit militärischen Erfordernissen nicht zu vereinbaren ist.751 Einschränkend zu dem bisher Gesagten gilt aber auch für den Fall der „Kenntnis“, dass es nicht einer rechtlich einwandfreien Subsumtion des Untergebenen für sein Handeln bedarf. Vielmehr reicht es aus, wenn der Untergebene gemäß einer Parallelwertung in der Laiensphäre „die mit der Ausführung des

747 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 118; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 46, II, 2; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 26; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 146 f.; a. A. Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 39 ff. Siehe auch Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 87, wonach es ausreichen soll, wenn die „Kenntnis“ von der Strafrechtswidrigkeit sich auf den Handlungsunwert bezieht. Danach soll es genügen, wenn der Untergebene mit der Möglichkeit rechnet, dass auch der Erfolg eintritt. Einem solchen gespaltenen Vorstellungsbild ist nicht beizupflichten. Der Befehlsempfänger muss in intellektueller Hinsicht richtigerweise auch die Tatbestandsverwirklichung für sicher halten, um das Element der Kenntnis zu erfüllen. Der Untergebene muss sich daher über den verwirklichten Handlungs- und Erfolgsunwert sicher sein. Ist er sich über den Handlungsunwert sicher, hält er jedoch den Erfolgsunwert lediglich für möglich, fällt dies in den Anwendungsbereich der „Offensichtlichkeit“ der Straftatbegehung gemäß § 5 I 2. Var. WStG. 748 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 118; Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 25; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 146 f. Vgl. auch BGHSt 5, 239 (244) zu § 47 MStGB; BGHSt 19, 231 (232); BGHSt 22, 223 (225) zu § 47 MStGB; Dreher/Lackner/Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 8; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 9; Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21. 749 So Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 27. 750 So ausdrücklich die Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21. Vgl. auch Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 27. 751 Siehe Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21.

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1. Teil: Das Wehrrecht

Befehls verbundene Handlung für ernsthaft kriminelles Unrecht hält“.752 Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das „Erkennen“ der Strafbarkeit i. S. d. Norm sowohl an tatsächlichen als auch an rechtlichen Gesichtspunkten scheitern kann. Dies bedarf einer genaueren Betrachtung: (aa) Nichterkennen der Straftatbegehung aus tatsächlichen Gründen Handelt es sich bereits um Tatumstände i. S. d. § 16 StGB, die der Untergebene nicht kennt, entfällt bereits der Vorsatz gemäß § 16 I 1 StGB.753 Der Schuldausschließungsgrund gemäß § 5 I WStG gelangt in diesem Fall erst gar nicht zur Anwendung. Relevant wird die Norm des § 5 I WStG auf Rechtsfolgenseite hinsichtlich des Nichterkennens der Straftatbegehung aus tatsächlichen Gründen nur dann, wenn es sich um auf Befehl begangene, bedingt vorsätzliche oder fahrlässige Straftatbegehungen handelt. Denn handelt der Untergebene bereits wissentlich oder gar absichtlich754, so liegt eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und wegen des „Erkennens“ i. S. d. § 5 I 1. Var. WStG auch eine schuldhafte Tat vor. Der befehlsausführende Untergebene ist voll strafbar. Handelt der Soldat hingegen mit dolus eventualis oder nur fahrlässig, liegt auch hier zwar eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat vor. In diesem Fall fehlt es aber an einem „Erkennen“ der Straftatbegehung i. S. d. Schuldausschließungsgrundes gemäß § 5 I 1. Var. WStG. Ist die Normübertretung auch nicht „offensichtlich“, handelt der Untergebene nicht schuldhaft. Er ist straffrei.755

752 Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 146 f. Einzelheiten bei Arndt, Wehrstrafrecht, S. 118, der hierzu ergänzend anmerkt, dass das „Gefühl, die Sache sei nicht in Ordnung“ für eine Kenntnis nicht ausreicht, weil auch Ordnungswidrigkeiten nicht „in Ordnung“, aber noch keine Vergehen oder Verbrechen sind. 753 Bei Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 9 ist hierzu zu lesen: „Damit ist, soweit nicht Offensichtlichkeit vorliegt, die Schuld ausgeschlossen, wenn der Untergebene einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (§ 16 StGB).“ Dem ist zu entgegnen, dass gemäß § 16 I 1 StGB bereits der Vorsatz entfällt. 754 Die Vorsatzform der Absicht ist vor allem dadurch geprägt, dass das Willenselement gegenüber dem Wissenselement dominiert. Je nach Konstellation kann daher bei der Vorsatzform der Absicht ein Fall des „Erkennens“ gemäß § 5 I 1. Var. WStG oder der „Offensichtlichkeit“ i. S. d. § 5 I 2. Var. WStG vorliegen. Hält der Täter – was für die Vorsatzform der Absicht grundsätzlich ausreicht – den Eintritt der Tatbestandsverwirklichung nur für möglich, liegt ein „Erkennen“ i. S. d. § 5 I 1. Var. WStG nicht vor. Dieser Fall fällt dann in den Anwendungsbereich der „Offensichtlichkeit“ gemäß § 5 I 2. Var. WStG. Anders hingegen – so wie hier unterstellt – wenn es dem Täter gerade auf den Erfolgseintritt ankommt und er die Tatbestandsverwirklichung auch als sicher voraussieht. 755 Vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 9; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 146 f.; a. A. Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 39 ff., 42.

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(bb) Nichterkennen der Straftatbegehung wegen irriger rechtlicher Bewertung des Untergebenen Verkennt der Untergebene die Begehung eines Verbrechens oder Vergehens aus Rechtsgründen, unterliegt er also einem rechtlichen Bewertungsirrtum, so handelt er ohne Schuld, sofern auch hier nicht ein Fall der „Offensichtlichkeit“ gegeben ist.756 Der Grund für die fehlende „Kenntnis“ von der Rechtswidrigkeit ist dabei grundsätzlich ohne Belang. Der Untergebene kann etwa irrig an das Eingreifen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes glauben. Möglich ist auch, dass er einen der Rechtsordnung nicht bekannten Rechtfertigungsgrund für gegeben hält oder die Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes überdehnt. Gemeinsam ist allen Irrtümern, dass der Untergebene die Rechtswidrigkeit seiner Handlung nicht erkennt.757 Für § 17 StGB, der bei Vermeidbarkeit des Irrtums nur eine Strafmilderung zulässt, ist in all diesen Fällen grundsätzlich kein Raum. Denn hier steht die ausdrückliche Regelung des § 5 WStG mit den Besonderheiten der militärischen Befehlsverhältnisse entgegen.758 Eine Ausnahme hierzu wird man wiederum dann vorzunehmen haben und zu § 17 StGB gelangen, wenn der Untergebene die Strafrechtswidrigkeit erkennt, aber irrig davon überzeugt ist, auch in diesen Fällen gehorchen zu müssen.759 Der Schuldausschließungsgrund des § 5 I WStG ist in seinem Anwendungsbereich somit erheblich weiter ausgestaltet als der reine Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB.760 Denn ist der Verbotsirrtum vermeidbar, so kommt gemäß § 17 S. 2 StGB nur eine Strafmilderung in Betracht, eine Bestrafung des Untergebenen ist daher nicht ausgeschlossen. Anders ist es hingegen, wenn sich der Untergebene bloß vermeidbar und fahrlässig darüber irrt, dass durch den Befehl ein Verbrechen oder Vergehen begangen wird. § 5 I WStG verhindert hier eine Bestrafung.761 Interessant ist auch ein Vergleich mit der früheren Regelung des § 47 I 2 Nr. 2 MStGB. Beschränkte sich nach alter Fassung die Strafbarkeit des Untergebenen auf die Fälle sicheren Wissens darüber, dass der Vorgesetzte mit der Befehlsausführung ein Verbrechen oder Vergehen beabsichtigte, ist es nunmehr ausreichend, dass der Untergebene weiß, dass er durch die Befehlsausführung 756 Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 26 f.; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 10. 757 So Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 10. 758 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 10. 759 Arndt, Wehrstrafrecht, S. 119; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 46, I f.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 96; a. A. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 10. Vgl. auch die obigen Ausführungen, Fn. 739 m.w. N. 760 Vgl. Arndt, Wehrstrafrecht, S. 118; Schwaiger, NZWehrr 1961, 64 (66 f.). 761 Vgl. Arndt, Wehrstrafrecht, S. 118, der bereits den Vorsatz ausgeschlossen sieht. Richtig ist dies für den Tatbestandsirrtum gemäß § 16 I 1 StGB. § 5 I WStG lässt hingegen die Schuld entfallen.

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1. Teil: Das Wehrrecht

eine Straftat begeht. Die positive Kenntnis der kriminellen Motivation des Vorgesetzten ist nach geltender Rechtslage nicht mehr erforderlich. Zur Straffreiheit des Untergebenen führen daher nicht mehr die Fälle, in denen er eine sichere Kenntnis davon hat, dass er ein Vergehen oder Verbrechen begeht, sich jedoch hinsichtlich der Motivation seines Vorgesetzten über eine bezweckte Strafrechtswidrigkeit unsicher ist. Demjenigen, der sich seiner Kenntnis des wissentlichen Unrechts versperrt, ist nach geltender Rechtslage zutreffenderweise eine Exkulpation verwehrt. Er trägt für sein Wissen gemäß § 5 I 1. Var. WStG die Verantwortung.762 (b) Offensichtlichkeit eines Vergehens oder Verbrechens gemäß § 5 I 2. Var. WStG Der zweite Fall schuldhaften Handelns liegt nach § 5 I 2. Var. WStG vor, wenn der Untergebene zwar nicht erkennt, dass er ein Verbrechen oder Vergehen begeht, dies aber „nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist“. Hiernach sind somit ein objektiver und ein subjektiver Aspekt für ein schuldhaftes Handeln des Untergebenen erforderlich.763 (aa) Die objektive Komponente Das Kriterium der „Offensichtlichkeit“ ist objektiv zu begreifen.764 „Offensichtlich“ ist die Strafrechtswidrigkeit der Befehlsausführung, wenn sie für jedermann in dieser Lage „ohne weiteres Nachdenken erkennbar ist“.765 Auf die individuelle Erkenntnisfähigkeit kommt es demnach nicht an. Entscheidend ist vielmehr ein durchschnittlich intelligenter Soldat in der konkreten Situation.766 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind an das Kriterium der „Offensichtlichkeit“ gemäß § 5 I 2. Var. WStG hohe Anforderungen zu stellen.767 Der Grund für diesen Umstand ist nach Ansicht des Gerichts in der Tatsache zu sehen, dass sich der Untergebene durch den Befehl starkem Druck ausgesetzt sieht. Darüber hinaus gelte es, die militärische Disziplin zu wahren.768 Mit dem Merkmal der „Offensichtlichkeit“ verbrecherischer Befehle wollte der Gesetzgeber dem Gewissenlosen und dem Rechtsblinden Einhalt ge762 Zum Ganzen vgl. die Ausführungen bei Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 18 ff.; Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 17; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 4. 763 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 12. 764 Vgl. BGHSt 19, 231 (232 ff.); Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 13. 765 So Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 46, II, 3b. 766 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 13. 767 BGHSt 39, 168 (189). 768 BGHSt 39, 168 (189).

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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bieten, indem die Berufung auf ein Nichterkennen der Strafrechtswidrigkeit und des damit verbundenen, offen zutage tretenden Unrechts dem Befehlsempfänger abgeschnitten wird.769 Der Gesetzgeber formulierte es in der Begründung zum SoldatenG wie folgt:770 „Der gehorchende Untergebene trägt auch dann die Verantwortung für die Ausführung des Befehls, wenn es von seinem Standpunkt her gesehen unter Ausschluss jeden Zweifels für jeden vernünftigen Menschen offensichtlich gewesen wäre, dass die Ausführung des Befehls strafbar ist. Bleibt hier der Untergebene gefühllos, spürt er sein Gewissen nicht, das bei jedem anderen in seiner Lage geschlagen hätte, befolgt er den verbrecherischen Befehl in blindem Gehorsam, obwohl niemandem sonst der verbrecherische Charakter des Befehls verborgen geblieben wäre, dann allerdings trifft ihn eine Schuld. Gewissenlose oder moralisch Blinde können sich hier durch ihre Berufung darauf, dass ihnen das Verbrechen oder Vergehen, das in der Ausführung des Befehls liegt, überhaupt nicht zum Bewusstsein gekommen sei, ihrer Verantwortung nicht entziehen.“ Fälle der „Offensichtlichkeit“ i. S. d. Norm werden regelmäßig ohne Zweifel sein. Sollte sich dies einmal anders erweisen, der Soldat also tatsächlich über die Rechtmäßigkeit seines Handelns zweifeln, liegt von seinem Standpunkt aus auch keine offensichtlich rechtswidrige Anweisung vor. Dann aber ist er von einem persönlichen Schuldvorwurf befreit.771 Dies schließt die Fälle mit ein, in denen dem Untergebenen die „Offensichtlichkeit“ wegen grober Fahrlässigkeit verborgen geblieben ist. Würde ein grob fahrlässiges Verhalten bereits ausreichen, läge hierin die rechtliche Missbilligung der Tat aufgrund einer unterlassenen Prüfung, die den Soldaten gerade nicht trifft.772 Auch an dieser Stelle wird erneut der direkte Bezug zu einer modernen Menschenführung deutlich, der mit der Wehrnovelle von 1956 im Lichte des Grundgesetzes neue Maßstäbe in der militärischen Untergebenenführung setzte. Der Wehrgesetzgeber vermochte es, mit der Einführung zeitgemäßer Normen über Befehl und Gehorsam einerseits den militärischen Befehlsausführungsmaximen – Vollständigkeit, Gewissenhaftigkeit und Unverzüglichkeit – Rechnung zu tragen und damit die unabdingbare Gehorsamspflicht zu unterstreichen. Andererseits gelang es ihm auch, den Soldaten als Individuum verantwortungsvollen Handelns zu betrachten. Die normative Ausgestaltung des speziellen Entschuldigungsgrundes gemäß § 5 I WStG zeigt auch, dass der Untergebene nicht bloßes Befehlsausführungsorgan staatlicher Gewalt ist. De lege lata ist der Soldat ein in selbständiger Verantwortung stehender, mündiger und der freiheitlich-demo769 Lingens/Marignoni, S. 95; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 28 f.; Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 20 f. 770 Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 20 f. 771 Vgl. Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21. 772 So Scherer/Alff, SoldatenG, § 11, Rn. 30 f.

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1. Teil: Das Wehrrecht

kratischen Grundordnung verpflichteter Bürger. Mit dieser Wertung hat der Gesetzgeber den Schritt von der früher geltenden „Gesinnungsethik“, bei der es allein auf die subjektive Kenntnis des Soldaten ankam, hin zu einer „Verantwortungsethik“ vollzogen.773 (bb) Die subjektive Komponente demonstriert am Beispiel der „Mauerschützenfälle“ Die subjektive Komponente der „Offensichtlichkeit“ drückt sich dadurch aus, dass die Strafrechtswidrigkeit gemäß § 5 I 2. Var. WStG „nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich“ sein muss. Entscheidend ist in subjektiver Hinsicht demnach das individuelle Wissen des Untergebenen von der konkret gegebenen Situation. In diese Beurteilungskenntnis werden alle bedeutenden Umstände mit einbezogen. So sind in diesem Zusammenhang insbesondere auch vorangegangene Ereignisse, Zusammenhänge und Befehle relevant. Besonderes Wissen hinsichtlich der Lage gereicht dem Befehlsempfänger zum Nachteil, während Wissensmängel für die Frage seiner Entschuldigung nach § 5 I WStG für ihn von Vorteil sind.774 Wie schwierig in einem Verfahren die Feststellungen an die subjektive Komponente sein können, zeigen die tatrichterlichen Ausführungen der Instanzgerichte und des Bundesgerichtshofs in den sog. Mauerschützenprozessen.775 Nach Prüfung des Tatbestandes gemäß § 212 I StGB und Verneinung von Rechtfertigungsgründen wendet sich der Bundesgerichtshof im Rahmen der Schuld einer entsprechenden Anwendung des § 5 I WStG776 für die auf Befehl 773 So die Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 20. Vgl. auch Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 28 ff. 774 Zum Ganzen Dreher/Lackner/Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 11; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 13. 775 BGHSt 39, 1 (32 ff.); BGHSt 39, 168 (188 ff.); BGHSt 40, 48 (53); BGHSt 40, 241 (250 f.); BGHSt 41, 10 (14 f.); BGHSt 41, 101 (110); BGHSt 42, 356 (362); BGHSt 44, 204 (209); BGHSt, NStZ 1993, 488 (488 f.); BGHR, § 5 I WStG, Schuld 1, 3, 6, 7. Siehe auch BGHSt 40, 218 (218 ff.) und BGHSt 42, 65 (70) zur mittelbaren Täterschaft hoher DDR-Funktionäre/eines Regimentskommandeurs bei volldeliktisch – und damit schuldhaft – handelndem Werkzeug. Ausführlich hierzu Korte, Das Handeln auf Befehl als Strafausschließungsgrund, S. 111 ff. m.w. N. 776 Bei der Suche nach dem milderen Recht gemäß Art. 315 I 1 EGStGB i.V. m. § 2 I, III StGB hatte nach Ansicht des BGH § 27 II GrenzG-DDR als Rechtfertigungsgrund außer Betracht zu bleiben. Bei Zugrundelegung der von der Staatsführung der sog. DDR anerkannten Prinzipien müsse dieser Rechtfertigungsgrund einschränkend ausgelegt werden, weil er Ausdruck einer Einstellung sei, die das Lebensrecht der Menschen niedriger einschätzt als das Interesse des Staates, die Flüchtlinge am Verlassen des Hoheitsgebietes zu hindern. Vgl. BGHSt 39, 1 (22 f.). Im Hinblick auf die Schuld war § 258 I StGB-DDR in dem zu beurteilenden Fall wegen Art. 315 I 1 EGStGB i.V. m. § 2 I, III StGB nicht einschlägig, so dass grundsätzlich die bundesdeutsche Regelung Anwendung gefunden hätte. Diese gilt jedoch

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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begangenen Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze zu. Ein „Erkennen“, dass die Ausführung des Befehls i. S. d. § 5 I 1. Var. WStG gegen Strafgesetze verstößt, lehnt das Gericht ab und prüft sodann die zweite Alternative. Danach ist gemäß § 5 I 2. Var. WStG für eine Entschuldigung der angeklagten Grenzsoldaten entscheidend, ob es „nach den ihnen bekannten Umständen offensichtlich“ ist, dass ihnen eine rechtswidrige Tat im Sinne des Strafgesetzbuches (§ 11 I Nr. 5 StGB) befohlen wurde. Im Ergebnis wird dies bejaht. Hierzu führt der Bundesgerichtshof aus:777 „Die Jugendkammer hat nicht übersehen, dass die Angeklagten als Grenzsoldaten der DDR einer besonders intensiven politischen Indoktrination ausgesetzt waren und dass sie zuvor ,im Geiste des Sozialismus mit entsprechenden Feindbildern von der Bundesrepublik Deutschland und von Personen, die unter Überwindung der Sperranlagen die DDR verlassen wollen, aufgewachsen‘ sind. Sie hat auch unter diesen Umständen nicht die hohen Anforderungen verfehlt, die an die Offensichtlichkeit im Sinne des § 5 I WStG zu stellen sind. [. . .] Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Jugendkammer gleichwohl angenommen hat, es sei nach den Umständen offensichtlich gewesen, dass das Schießen hier gegen das Strafrecht verstößt. Die Jugendkammer hebt zutreffend auf das ,Gebot der Menschlichkeit‘ ab, zu dem u. a. gehöre, dass auch der Straftäter ein Recht auf Leben hat. Damit will sie sagen, es sei ohne weiteres ersichtlich gewesen, dass der Staat nicht das Recht habe, einen Menschen [. . .] zur Verhinderung eines unerlaubten Grenzübertritts töten zu lassen. Den Revisionen ist zuzugeben, dass die Anwendung des Merkmals ,offensichtlich‘ hier sehr schwierig ist. Immerhin ist während der langen Jahre, in denen an der Mauer und an den sonstigen innerdeutschen Grenzen geschossen wurde, nicht bekannt geworden, dass Menschen, die in der DDR in Politik, Truppenführung, Justiz und Wissenschaft Verantwortung trugen, gegen das Töten an der Grenze öffentlich Stellung genommen haben. Verfahren gegen Schützen waren nicht durchgeführt worden. Angesichts des Lebensweges und der Umwelt der Angeklagten erscheint es auch nicht angemessen, ihnen ,Bequemlichkeit‘, ,Rechtsblindheit‘ und Verzicht auf eigenes Denken zum Vorwurf zu machen. [. . .] Gleichwohl ist der Jugendkammer letztlich darin zuzustimmen, dass die Tötung eines unbewaffneten Flüchtlings durch Dauerfeuer unter den gegebenen Umständen ein derart schreckliches und jeder vernünftigen Rechtfertigung entzogenes Tun war, dass der Verstoß gegen das elementare Tötungsverbot auch für einen indoktrinierten Menschen ohne weiteres einsichtig, also offensichtlich war.“ gemäß § 1 I WStG nur für Soldaten der Bundeswehr. Das Gericht hätte es jedoch als unbillig empfunden, die Angeklagten für das Handeln auf Befehl weder dem Verantwortungsregime der sog. DDR noch dem des WStG zu unterwerfen. Daher wendete es § 5 I WStG zugunsten der Untergebenen entsprechend an. Siehe BGHSt 39, 1 (32 f.). 777 BGHSt 39, 1 (33 f.); BGHSt 40, 241 (250 f.).

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1. Teil: Das Wehrrecht

Die Ausführungen des Gerichts zeigen sehr gut, dass die Feststellung der „Offensichtlichkeit nach den dem Täter bekannten Umständen“ mitunter Schwierigkeiten aufwirft.778 Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich nicht um einen punktuell bestimmten Zeitpunkt einer dem Betrachter vertrauten Situation, sondern um eine nicht alltägliche Lage oder Erfahrung während eines längeren Zeitraums handelt. In den sog. „Mauerschützenfällen“ hatte sich das erkennende Gericht sogar in die Gegebenheiten einer anderen, ihr u. U. nicht vertrauten Zeit und deren Gesellschaft zu versetzen. Hier sind es dann auch politische, wirtschaftliche, kulturelle und militärische Erwägungen – gleichsam „Rahmenbedingungen“ einer den Täter prägenden Situation –, die Umstände einer rechtswidrigen Tat „offensichtlich“ werden lassen oder nicht. bb) Der besondere Entschuldigungsgrund nach § 3 VStGB Ein besonderer Entschuldigungsgrund für ein Handeln auf Befehl kann sich aus § 3 VStGB ergeben.779 Anders als man vielleicht vermuten könnte, ist dass noch junge VStGB780 selbst kein internationales Regelwerk, sondern ein Gesetz im Rang eines nationalen Bundesgesetzes.781 Mit seinen vierzehn Paragraphen soll es die Strafvorschriften des Römischen Statuts vom 17. Juli 1998782 in nationales Recht umsetzen und das deutsche Strafrecht an allgemein anerkanntes Völkerrecht anpassen.783 Überdies ist es Ziel des VStGB, „das spezifische Un778 Vgl. BGH, Urteil vom 29.04.1997 – 4 StR 158/97 zum Schusswaffeneinsatz an der innerdeutschen Grenze gegen einen bewaffneten Deserteur der NVA und die hiermit verbundene Frage der „Offensichtlichkeit“, abgedruckt in NStZ 1997, 491 (491 ff.) mit zutreffender kritischer Anm. von Ambos, a. a. O. Beachte hierzu auch das Urteil des BVerfG unter Bezugnahme auf die Radbruchsche Formel im Hinblick auf Art. 103 II GG und etwaige Rechtfertigungsgründe, BVerfGE 95, 96 (96 ff.) = NJW 1997, 929 (929 ff.). Überdies stellt das BVerfG klar, dass von einem objektiven Vorliegen eines schweren Menschenrechtsverstoßes nicht automatisch auf die „Offensichtlichkeit“ des Strafrechtsverstoßes geschlossen werden darf, BVerfGE 95, 96 (141 ff.). Kritisch zum Ganzen Korte, Das Handeln auf Befehl als Strafausschließungsgrund, S. 111 ff. 779 § 3 VStGB lautet: Handeln auf Befehl oder Anordnung Ohne Schuld handelt, wer eine Tat nach den §§ 8–14 in Ausführung eines militärischen Befehls oder einer Anordnung von vergleichbarer tatsächlicher Bindungswirkung begeht, sofern der Täter nicht erkennt, dass der Befehl oder die Anordnung rechtswidrig ist und deren Rechtswidrigkeit auch nicht offensichtlich ist. 780 Völkerstrafgesetzbuch vom 26.06.2002, BGBl. I 2002, 2254. 781 Zu den internationalen Bezügen des (deutschen) Strafrechts vgl. auch die Ausführungen von Eisele, JA 2000, 424 (424 ff.). 782 Zum Römischen Statut ausführlich Korte, Das Handeln auf Befehl als Strafausschließungsgrund, S. 77 ff. 783 Fragen zum Anwendungsbereich des VStGB, zu den Hintergründen und zum Konkurrenzverhältnis gegenüber dem allgemeinen Völker- und nationalen Strafrecht werden in der Begründung zum VStGB, BT-Drucksache 14/8524, S. 11 ff. eingehend

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recht der Verbrechen gegen das Völkerrecht“ besser zu erfassen, als dies nach dem allgemeinen Strafrecht bislang möglich war.784 Voraussetzung des § 3 VStGB ist, dass der Untergebene einen unverbindlichen Befehl ausführt und hierbei eine Tat nach den §§ 8–14 VStGB785 in Ausführung eines militärischen Befehls begeht.786 Von besonderem Interesse sind mögliche Unterschiede gegenüber der soeben besprochenen Norm gemäß § 5 I WStG. Im Gegensatz zu § 5 I WStG stellt § 3 VStGB nicht auf das Erkennen der rechtswidrigen Ausführungshandlung durch den Untergebenen ab, sondern auf das Erkennen der Rechtswidrigkeit des Befehls.787 Auch fehlt die Wendung im Gesetzestext, dass die rechtswidrige Tat nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich sein muss.788 Diese Formulierungsunterschiede gegenüber dem WStG erklärt der Gesetzgeber mit einer engen Anlehnung an das Statut. In praktischer Hinsicht seien hiermit keine Unterschiede verbunden.789 Das sprachlich der wehrstrafrechtlichen Bestimmung gemäß § 5 I WStG angepasste Merkmal der „Kenntnis“ gemäß § 3 VStGB sei gleich dem Art. 33 des Statuts zu verstehen.790 Auch die „Offensichtlichkeit“ des rechtswidrigen Befehls möchte der Gesetzgeber entsprechend der wehrstrafrechtlichen Norm und entsprechend des Statuts gemäß Art. 33 verstanden wissen.791 Dass jedoch entgegen der Ansicht des Gesetzgebers im Hinblick auf die „Offensichtlichkeit“ zwischen diesen verschiedenen Auslegungsvarianten im Einzelfall ein erheblicher Unterschied bestehen kann, hat Korte in jüngster Zeit eingehend beleuchtet, sodass an dieser Stelle auf die Problematik lediglich hingewiesen sei.792 dargestellt und erläutert. Daher wird auf eine nähere Betrachtung verzichtet und auf die dortigen Ausführungen verwiesen. Lesenswert sind auch die Darstellungen von Satzger, NStZ 2002, 125 (125 ff.) und Werle, JZ 2001, 885 (885 ff.). 784 So die Begründung zum VStGB, BT-Drucksache 14/8524, S. 12; zu den weiteren Zielen des VStGB siehe Werle, JZ 2001, 885 (889). 785 Das sind zum einen Kriegsverbrechen nach §§ 8–12 VStGB, zum anderen die Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 13 VStGB) und das Unterlassen der Meldung einer Straftat (§ 14 VStGB). 786 „Soweit der Untergebene einen verbindlichen Befehl ausführt, kann im Rahmen des VStGB keine Strafbarkeit eintreten [. . .].“ Begründung zum VStGB, BT-Drucksache 14/8524, S. 18. 787 Vgl. auch Begründung zum VStGB, BT-Drucksache 14/8524, S. 18; Walter, JR 2005, 279 (282). 788 Hierauf macht auch Walter, JR 2005, 279 (282) aufmerksam. 789 Begründung zum VStGB, BT-Drucksache 14/8524, S. 18. Kritisch zu Recht im Hinblick auf einen so generalisierenden Ansatz Walter, JR 2005, 279 (282 f.). 790 Begründung zum VStGB, BT-Drucksache 14/8524, S. 18. 791 Nach der Gesetzesbegründung schließt sich die Vorschrift über das Handeln auf Befehl einerseits an Art. 33 IStGH-Statut, andererseits an § 5 WStG an; vgl. Begründung zum VStGB, BT-Drucksache 14/8524, S. 18. 792 Korte, Das Handeln auf Befehl als Strafausschließungsgrund, S. 136 ff., 167 f. Wegen der zu erwartenden objektiven Auslegung der „Offensichtlichkeit“ ohne Berücksichtigung der dem Untergebenen bekannten Umstände gemäß Art. 33 IStGH-Sta-

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1. Teil: Das Wehrrecht

cc) Der besondere Entschuldigungsgrund nach Art. 33 IStGH Begeht ein Untergebener ein dem Gerichtshof unterliegendes Verbrechen793, ist er gemäß Art. 33 I IStGH grundsätzlich auch dann persönlich verantwortlich, wenn er dieses Verbrechen auf Befehl eines militärischen Vorgesetzten begeht.794 Die persönliche Verantwortlichkeit tritt nur dann nicht ein, wenn die drei nachfolgenden Voraussetzungen gegeben sind:795 Zunächst muss der Täter zum Gehorsam gesetzlich verpflichtet sein. Überdies darf er keine Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Befehls haben und diese darf auch nicht offensichtlich sein. Einschränkend erklärt Art. 33 II IStGH-Statut, dass der Befehl zur Begehung eines Völkermordes oder zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit stets offensichtlich rechtswidrig ist. Begeht der Untergebene daher ein solches Verbrechen, kann er sich nicht strafbefreiend auf die Befolgung eines Befehls berufen. Für die Begehung eines Völkermords und für Verbrechen gegen die Menschlichkeit trägt der Untergebene ohne Exkulpationsmöglichkeit die volle persönliche Verantwortung.796 4. Der besondere Strafmilderungsgrund des § 5 II WStG Der Gesetzgeber dachte bei der Normierung des § 5 II WStG vor allem an „leichte Fälle“, bei denen das Gericht ebenso in der Lage sein soll, eine tatund schuldangemessene Strafe zu finden.797 § 5 II WStG hält hierfür einen besonderen Strafmilderungsgrund bereit.798 Danach kann die Strafe des Untergebenen bei einem Handeln auf Befehl gemildert, bei Vergehen gemäß § 3 I WStG i.V. m. § 12 II, III StGB sogar von Strafe abgesehen werden.

tut ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des auf Befehl Handelnden im Vergleich zu § 5 I WStG weitergehend. 793 Gemäß Art. 5 I a–d IStGH-Statut werden hiervon erfasst: Verbrechen des Völkermordes (Art. 6 IStGH-Statut), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 IStGHStatut), Kriegsverbrechen (Art. 8 IStGH-Statut) und das Verbrechen der Aggression (gemäß Art. 5 II IStGH-Statut ist für die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den IStGH noch eine Bestimmung von der Versammlung der Vertragsstaaten notwendig, die das Verbrechen definiert und die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit festlegt). 794 Nach dem Grundsatz der Komplementarität gemäß Art. 17 IStGH-Statut wird der Gerichtshof nur dann strafverfolgend tätig, wenn Staaten nicht willens oder in der Lage sind, eine bestimmte schwere Straftat ernsthaft zu verfolgen. 795 Korte, Das Handeln auf Befehl als Strafausschließungsgrund, S. 132 ff. 796 Vgl. Begründung zum IStGH-Statut, BT-Drucksache 14/2682, S. 109. Zum Ganzen siehe die Arbeit von Korte, Das Handeln auf Befehl als Strafausschließungsgrund, S. 122 ff. 797 Vgl. Bericht Haasler zum WStG, BT-Drucksache 2/3295, S. 2. 798 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 1.

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Voraussetzung für eine Strafmilderung ist zunächst, dass der Soldat ein Verbrechen oder Vergehen auf Befehl begeht und der Schuldausschließungsgrund gemäß § 5 I WStG wegen „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ der rechtswidrigen Tat nicht eingreift. Weiterhin ist erforderlich, dass sich der Täter in einer besonderen, also nicht gewöhnlichen Lage befindet.799 Diese Besonderheit kann sich darin zeigen, dass die außergewöhnliche Situation durch innere oder äußere Umstände hervorgerufen wird.800 Nicht ausreichend ist ein Dauerzustand, wie beispielsweise der eines Krieges oder Dauereigenschaften des Untergebenen.801 Dritte Voraussetzung für eine in das Ermessen des Gerichtes nach § 5 II WStG i.V. m. § 49 I StGB gestellte Strafmilderung ist, dass gerade mit Rücksicht auf die besondere Lage die Schuld des Untergebenen gering sein muss. An dieser Stelle muss also die Schuld des Untergebenen aufgrund der besonderen Lage mit derjenigen verglichen werden, wie sie ohne die besonderen Umstände bestünde. Das bedeutet, dass gerade die außergewöhnliche Lage dazu beigetragen haben muss, dass die persönliche Vorwerfbarkeit an den Untergebenen als gering anzusehen ist. Eine solche geringe Vorwerfbarkeit wird aber nur dann anzunehmen sein, wenn der Untergebene durch die besondere Lage seiner Fähigkeit beraubt wird, das Unrecht der Tat einzusehen, oder er aufgrund dieser besonderen Umstände seiner Widerstandskraft gegenüber kriminellen Befehlen verlustig wird.802 Sind die Voraussetzungen des § 5 II WStG erfüllt, ist eine Strafmilderung gemäß § 49 I StGB zugelassen. Für eine solche fakultative Strafmilderung ist eine Gesamtabwägung aller wesentlicher Tatumstände und der Täterpersönlichkeit ausschlaggebend.803 Eine Abweichung vom Regelstrafrahmen ist hierbei in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Meist handelt es sich bei den militärischen Straftaten nach dem WStG um Vergehen.804 Bei Vergehen kann das Gericht gemäß § 5 II WStG von Strafe auch ganz absehen, anstatt auf das Mindestmaß der Freiheitsstrafe gemäß §§ 49 799

Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 14 f. Eine besondere äußere Lage, welche eine normgemäße Willensbildung wesentlich erschwert, kann nach Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 15 etwa der Mangel an Kleidung oder Lebensmitteln sein. Als eine besondere innere Lage werden Krankheit, Hunger oder Depression angeführt. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 46, II, 3c nennen als Beispiel für eine besondere Lage eine verzweifelte Gefechtslage, Zermürbung durch hohe Verluste und Erschöpfung durch einen lang dauernden Einsatz. 801 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 15. 802 Zum Ganzen Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 16; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 95 f. 803 Gribbohm in LK, § 49, Rn. 2. 804 Militärische Straftaten kommen nach den wehrstrafrechtlichen Bestimmungen nur dann als Verbrechen in Betracht, wo auf die Strafdrohung des allgemeinen Strafrechts verwiesen wird (§§ 33, 34, 48 WStG). Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, vor § 9, Rn. 2; Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 13. 800

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1. Teil: Das Wehrrecht

I Nr. 3, 38 II StGB zu erkennen. Das bedeutet, dass schon die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts nach § 153b I StPO von der Erhebung der Klage absehen kann. Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, kann das Gericht bis zum Beginn der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten gemäß § 153b II StPO das Verfahren durch Beschluss einstellen.805 Eine weitere prozessuale Einstellungsmöglichkeit bietet § 153 StPO unter dem Aspekt der Geringfügigkeit. Kann das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch die Erfüllung von Auflagen und Weisungen durch den Beschuldigten beseitigt werden, ist überdies unter den Voraussetzungen des § 153a StPO auch eine Einstellung zu erreichen.806 Gemäß 16 I WDO ist eine disziplinarrechtliche Würdigung nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen durch den Soldaten hiervon i. d. R. mit umfasst. Dies bedeutet, dass gemäß § 16 I Nr. 1 WDO eine gleichzeitige Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme mit Ausnahme des Disziplinararrestes unzulässig ist.807 Durch diese Regelung soll insbesondere eine doppelte Ahndung im Geringfügigkeitsbereich vermieden werden. Der Hintergrund für die Behandlung derartiger Fälle ist nach der Gesetzesbegründung vor allem darin zu sehen, dass die Betroffenen die erbrachte Geldzahlung oder sonstige Leistung bereits als ein der Geldstrafe vergleichbares Übel empfinden.808 Vergleicht man die heutige Regelung des § 5 II WStG mit der alten Fassung gemäß § 47 II MStGB, fällt auch hier die gesteigerte Verantwortlichkeit des Untergebenen auf. Beging der Untergebene etwa ein Verbrechen auf Befehl, war es nach alter Rechtslage grundsätzlich möglich, dass von seiner Bestrafung ganz abgesehen wurde. Voraussetzung war nach § 47 II MStGB lediglich eine geringe Schuld des Befehlsempfängers. Die soeben dargestellte besondere Konfliktlage in der Person des Untergebenen war daher nicht zwingend eine Voraussetzung für eine Entlastung des Täters, wie es § 5 II WStG fordert. Auch ist nach geltender Rechtslage ein Absehen von Strafe nur bei einem Vergehen, nicht aber bei einem Verbrechen möglich. Insgesamt kann man also von einer gesteigerten Verantwortlichkeit des Befehlsempfängers sprechen.809

805 Zum Verhältnis des § 153b StPO zu anderen Erledigungsmöglichkeiten vgl. Beulke in Löwe-Rosenberg, StPO-Kommentar, § 153b, Rn. 6 ff. 806 Zu den Einzelheiten sei an dieser Stelle auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen. 807 Vogelgesang, ZBR 2003, 198 (199) mit Hinweis auf die Begründung zur WDO, BT-Drucksache 14/4660, S. 26. 808 So die Begründung zur WDO, BT-Drucksache 14/4660, S. 26; Dau, WDOKommentar, § 16, Rn. 3 f. 809 Vgl. Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 17; Bericht Haasler zum WStG, BT-Drucksache 2/3295, S. 2 f.; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 18 ff.

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5. Die Irrtumsregelung des § 22 WStG Kernstück der Irrtumsregelung nach § 22 WStG ist der gesetzgeberische Wille, dass der Ungehorsam bei einem unverbindlichen Befehl weder disziplinar- noch strafrechtlich geahndet werden soll.810 Die Irrtumsregelung gemäß § 22 WStG trägt dem Umstand Rechnung, dass das Merkmal der Verbindlichkeit nicht eine begriffliche Voraussetzung des Befehls ist. Dies hat zur Folge, dass sich bei den Ungehorsamsdelikten gemäß §§ 19 ff. WStG der Vorsatz des befehlsuntergebenen Soldaten nicht auf die Verbindlichkeit des Befehls zu erstrecken braucht. Geht der Untergebene daher irrig davon aus, dass der Befehl unverbindlich sei, so schließt dies seinen Vorsatz im Hinblick auf die Ungehorsamsdelikte nicht aus.811 Die Irrtumsregelungen in § 22 WStG bringen die befehlsfreudige Grundkonzeption des WStG deutlich zum Ausdruck.812 Der Vorgesetzte kann und muss daher prinzipiell davon ausgehen, dass verbindliche Befehle ausgeführt werden.813 Sowohl der vermeidbare als auch der unvermeidbare Irrtum des Untergebenen über die Verbindlichkeit eines Befehls gehen daher grundsätzlich zulasten des Untergebenen, wenn es ihm möglich und zumutbar war, sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen zu wehren.814 a) § 22 I WStG Nach § 22 I 1 WStG815 handelt der Untergebene i. S. d. Ungehorsamsdelikte nicht rechtswidrig, wenn der Befehl unverbindlich ist. Die eingangs beschriebenen Unverbindlichkeitsgründe lassen demnach bereits das Unrecht eines Ungehorsamsdeliktes gemäß §§ 19 ff. WStG entfallen. Diese gesetzliche Regelung gemäß § 22 I 1 WStG fügt sich in das gewonnene Ergebnis über den verbindlichen Befehl als Rechtfertigungsgrund ein. Wurde dargelegt, dass der verbindliche Befehl im Fall der Ausführung einen Rechtfertigungsgrund für den Untergebenen darstellt – mithin das Unrecht der Befehlsausführung ausschließt –, spricht die Rechtsordnung auf der anderen Seite aus, dass der unverbindliche Befehl keinen rechtswidrigen Ungehorsam des Untergebenen zu begründen ver-

810 Schölz, FS für Dreher, S. 479 (481) mit Hinweis auf Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 31. 811 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 1. 812 Schwaiger, NZWehrr 1961, 64 (67). 813 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 7. Zum Ganzen vgl. auch Schölz, FS für Dreher, S. 479 (479 ff.); Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 117 ff. 814 Dreher, JZ 1957, 393 (396); Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22 Rn. 7. 815 Vgl. auch § 11 I 3 1. HS SoldatenG, wonach bei einem unverbindlichen Befehl kein Ungehorsam möglich ist.

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mag. Die Unverbindlichkeit des Befehls stellt somit einen Rechtfertigungsgrund i. S. d. Ungehorsamsdelikte dar.816 Nach der Wertung des § 22 I 2 WStG gilt dies selbst dann, wenn der Untergebene einen unverbindlichen Befehl irrigerweise für verbindlich hält.817 In einem solchen Fall muss der Untergebene also glauben, ungehorsam gegenüber seinem Vorgesetzten zu sein.818 Die Kenntnis der Unverbindlichkeit – und damit das sonst geforderte subjektive Rechtfertigungselement zum „recht-handelnwollen“ – fehlt ihm im Fall des § 22 I 2 WStG.819 § 22 I 2 WStG regelt damit den Fall eines untauglichen Versuchs bzw. eines Wahndelikts, abhängig davon, ob der Befehlsempfänger sich über den gegebenen Sachverhalt oder über das Bestehen oder den Inhalt von Rechtsvorschriften irrt.820 Wie jedoch einleitend beschrieben, ist das Element der Verbindlichkeit keine begriffliche Voraussetzung des Befehls. Dies bedeutet zugleich, dass sich der Vorsatz des Täters nicht auf das Merkmal der Verbindlichkeit beziehen muss.821 Auch hier gilt die Anordnung des Gesetzgebers gemäß § 11 I 3 1. HS SoldatenG, nachdem kein Ungehorsam gegeben ist, wenn der Befehl objektiv unverbindlich ist. Der auch in § 113 III 2 StGB niedergelegte Gedanke bringt die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass bei rechtswidrigem822 hoheitlichem Handeln der Betroffene selbst dann nicht bestraft werden soll, wenn er die Rechtswidrigkeit der staatlichen Maßnahme nicht erkennt.823 Für die irrige Annahme der Unverbindlichkeit i. S. d. § 22 I 2, II, III WStG muss es sich jedoch um eine echte Überzeugung von der Nichtbefolgungspflicht handeln. Nicht ausreichend ist es, wenn der Befehlsempfänger lediglich Zweifel an der Verbindlichkeit des Befehls hat oder die Möglichkeit der Unverbindlichkeit in Betracht zieht.824

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Grundlegend Schölz, FS für Dreher, S. 479 (481 ff.). Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 249. 818 Vgl. Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 119 f. 819 Hierzu Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 154 ff.; Schölz, FS für Dreher, S. 479 (483 f.). 820 Bericht Haasler zum WStG, BT-Drucksache 2/3295, S. 7; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 5. 821 Dreher/Lackner/Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 1; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 1. 822 Zwar ist für die Frage des Ungehorsams die Verbindlichkeit des Befehls ausschlaggebend. Der unverbindliche Befehl ist aber auch stets rechtswidrig, nicht jedoch umgekehrt. 823 Vgl. von Bubnoff in LK, § 113, Rn. 23; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, § 113, Rn. 30. 824 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 1 mit Hinweis auf OLG Frankfurt, NJW 1961, 39 (41). 817

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b) § 22 II, III WStG § 22 II, III WStG regelt den umgekehrten Fall: Der Untergebene nimmt irrig an, dass ein verbindlicher Befehl unverbindlich ist. Die lex specialis des Irrtums über die Verbindlichkeit nach § 22 II, III WStG erfasst nach richtiger Ansicht alle Erscheinungsformen dieses Irrtums. Der Irrtum kann somit darauf beruhen, dass der Untergebene einem Bewertungs- oder einem Tatsachenirrtum unterliegt. Dies hat zur Folge, dass die allgemeinen Irrtumsregeln hier nicht zur Anwendung gelangen.825 § 22 II WStG behandelt den Fall, dass der Untergebene davon überzeugt ist, sich durch die Befehlsausführung strafbar zu machen und der Befehl aus seiner Sicht deshalb unverbindlich ist. Der Regelungszweck der Norm ist in einem engen Zusammenhang mit § 5 I WStG zu sehen. Denn aus der subjektiv irrigen Sicht des Befehlsempfängers hat er die für § 5 I WStG notwendige „Kenntnis“ i. S. d. Norm, so dass er glaubt, rechtswidrig und schuldhaft zu handeln. Dieser auf dem Soldaten lastenden Drucksituation möchte § 22 II WStG Rechnung tragen.826 Liegen die Voraussetzungen des § 22 II WStG vor, ist die Befehlsverweigerung rechtswidrig, aber nicht schuldhaft. Denn träfe die Annahme des Untergebenen tatsächlich zu, wäre er nach § 22 I 1 WStG vom Gehorsam befreit.827 War hingegen die Fehleinschätzung über die Verbindlichkeit des Befehls nach Anwendung der individuell gebotenen Sorgfalt vermeidbar, kann dies nur auf Strafzumessungsebene berücksichtigt werden. Wegen der abschließenden Sonderregelung der Irrtumsnorm gemäß § 22 WStG kommt eine Strafrahmenverschiebung nach den Regeln des Verbotsirrtums gemäß § 17 S. 2 StGB i.V. m. § 49 I StGB jedoch nicht in Betracht.828 § 22 III WStG regelt hingegen den Fall, dass der Untergebene irrig annimmt, dass ein Befehl aus anderen Gründen nicht verbindlich ist und er deshalb den Gehorsam verweigert.829 Der Unterschied zu Absatz II liegt darin, dass der Un825 Zum Ganzen: Schölz, FS für Dreher, S. 479 (487 f.); Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 189 ff.; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 7 ff.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 117 ff. 826 Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 31; Dreher/Lackner/ Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 8; Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 189 f.; Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 202 f.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 172. 827 Eingehend dazu vgl. die Ausführungen bei Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 7 ff. sowie die Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 31. 828 Vgl. Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 31; Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts, S. 250; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 7, 10. 829 Hierzu und zum Folgenden Dreher, JZ 1957, 393 (396); Hirschmann, Der Ungehorsam im Wehrrecht, S. 200 ff.; Schölz, FS für Dreher, S. 479 (487 ff.); Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 11 f.

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1. Teil: Das Wehrrecht

tergebene davon überzeugt ist, dass er den Befehl zwar ausführen darf, aber nicht ausführen muss.830 Nach der Regelung des § 22 III WStG ist der Untergebene also gerade nicht der Überzeugung, dass er sich strafbar macht, wenn er den Befehl befolgt.831 Ein nach § 22 III WStG zu behandelnder Irrtum ist etwa dergestalt denkbar, dass sich der Untergebene vorstellt, der erhaltene Befehl schränke ihn in unzulässiger Weise in seinen Grundrechten ein oder dem Befehl fehle der dienstliche Zweck.832 Gemäß § 22 III WStG entfällt in diesen Fällen eine Strafbarkeit nach §§ 19–21 WStG, wenn der Untergebene den Irrtum nicht vermeiden konnte und wenn es ihm überdies nach den ihm bekannten Umständen unzumutbar war, sich mit Rechtsbehelfen gegen den vermeintlich unverbindlichen Befehl zu wehren. Die Unzumutbarkeit, einen Rechtsbehelf einzulegen, wird man jedoch nur in seltenen Fällen annehmen können.833 Daher ist der Untergebene grundsätzlich selbst dann strafbar, wenn er den Irrtum über die Verbindlichkeit des Befehls nicht vermeiden konnte, er es aber auf der anderen Seite unterlassen hat, sich in zumutbarer Weise mit einem geeigneten Rechtsbehelf gegen den vermeintlich unverbindlichen Befehl zu wehren.834 Ein solcher Irrtum wird deshalb so streng gehandhabt, weil sich der Untergebene nicht in einer psychischen Zwangssituation befindet, wie sie § 22 II WStG zum Gegenstand hat.835 Für den Befehlsunterworfenen bedeutet es aus seiner subjektiv irrigen Sicht auch kein Risiko, die Anweisung auszuführen, so dass die gesetzlich getroffene Risikoverteilung insgesamt ausgewogen und in der Sache angemessen erscheint.836 III. Das fahrlässige Begehungsdelikt bei einem Handeln auf Befehl Im Rahmen des sog. „gefährlichen“ Befehls wurde der Fall besprochen, in dem das Handeln des Untergebenen aufgrund einer rechtswidrigen Anordnung mit dem Risiko eines Fahrlässigkeitsdelikts verbunden ist. Nicht zu verwech830

Dreher, JZ 1957, 393 (396). Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 31; Dreher/Lackner/ Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 11. 832 Vgl. Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 31. 833 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 12. 834 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 7. War es dem Untergebenen zumutbar, einen Rechtsbehelf einzulegen, so steht gemäß § 22 III 2. HS WStG eine Bestrafung nach den Vorschriften der Ungehorsamsdelikte im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. 835 Buth, Die Entwicklung des militärischen Befehlsrechts. S. 251; Dreher/Lackner/ Schwalm, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 12. 836 Zum Ganzen vgl. Dreher, JZ 1957, 393 (396); Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 22, Rn. 11 f.; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 31. Vgl. auch die inhaltlich übereinstimmende Bestimmung des SoldatenG in § 11 I 3 2. HS. 831

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seln mit dem „gefährlichen“ Befehl ist die Konstellation, bei der ein rechtmäßiger, verbindlicher Befehl vorliegt und der Untergebene sich in Ausführung des Befehls aufgrund Fahrlässigkeit eines Vergehens schuldig macht. Es handelt sich hier also nicht um einen rechtswidrigen Befehl, bei dem die Verbindlichkeit infrage steht.837 Für ein fahrlässiges Begehungsdelikt bei einem Handeln auf Befehl ist etwa folgendes Beispiel denkbar: 1. Beispiel: Tödlicher Unfall durch unvorsichtiges Einparken Nach einem Aufenthalt auf dem Truppenübungsplatz verlegt die Kompanie eines PzGrenBtl wieder in die Kaserne. Der Panzerkommandant eines SPz befiehlt dem untergebenen Fahrer, den Panzer im T-Bereich unter das der Kompanie zugewiesene Schleppdach zu stellen. Hierzu weist er den abgesessenen Richtschützen und einen weiteren Gefreiten an, den Fahrer zu unterstützen und ihn in die entsprechende Parklücke einzuweisen. Abgelenkt durch Kameraden einer anderen Kompanie kommen sie ihrem Auftrag jedoch nicht wie befohlen nach. Daher reißt der Sichtkontakt zwischen den Einweisern und dem Fahrer für kurze Zeit ab. Anstatt den Panzer in dieser Situation wegen der versperrten Sicht nach hinten anzuhalten, fährt der MKF sorgfaltswidrig ohne den ständig notwendigen Sichtkontakt zu den Einweisern rückwärts in die Parklücke. Hierdurch wird ein umherstehender Soldat tödlich verletzt. 2. Die Lösung des Beispiels Der Befehl selbst ist rechtmäßig und verbindlich. Er ist daher gemäß § 11 I 2 SoldatenG nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. Im strafrechtlichen Interesse steht hierbei die Befehlsauführung durch den Untergebenen.838 Durch das vorschriftswidrige Handeln des Fahrers kommt ein Dritter in dem gebildeten Beispiel um sein Leben. Der Tod des Kameraden beruht hierbei kausal auf einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit des wesentlichen Kausalverlaufes und des Erfolges. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit839 liegen somit vor. Der rechtmäßige, 837 Vgl. Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 96 f.; Schwenck, Wehrstrafrecht, S. 90 f. 838 Eine andere Frage ist, ob der Vorgesetzte nach § 41 WStG i.V. m. § 10 II, V 2 SoldatenG wegen mangelhafter Dienstaufsicht strafbar ist. Ferner kommt eine Strafbarkeit des Vorgesetzten wegen fahrlässiger Tötung in Betracht. Je nachdem, ob der Vorgesetzte überhaupt nicht seiner Pflicht zur Dienstaufsicht nachgekommen ist oder ob er sie nicht in der gebotenen Weise und in dem gebotenen Umfang erfüllt hat, ist eine Strafbarkeit gemäß §§ 222, 13 StGB bzw. § 222 StGB zu prüfen. Auf Konkurrenzebene wird § 41 WStG von § 222 StGB verdrängt, vgl. § 41 IV WStG i.V. m. § 3 I WStG. 839 Zur Rechtfertigung durch Notwehr bei Fahrlässigkeitsdelikten siehe Eisele, JA 2001, 922 (922 ff.). Siehe auch S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 92 ff.

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verbindliche Befehl des Vorgesetzten vermag hieran nichts zu ändern, da sich dieser auf das vorschriftsgemäße Abstellen des Panzers und nicht auf das vorschriftswidrige Fahren innerhalb geschlossener militärischer Anlagen bezog. Fraglich ist deshalb allein, ob der Untergebene auch schuldhaft gehandelt hat. In dem gebildeten Beispielsfall handelt es sich um eine unbewusst fahrlässige Tatbegehung. Eine solche impliziert, dass der Soldat wesensgemäß weder das Handlungs- noch das Erfolgsunrecht seiner Tat erfasst.840 Für die Fahrlässigkeitsschuld gilt jedoch, dass der Fahrer bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten die Sicherheitsvorschriften hätte einhalten können.841 Ihm fällt daher auch ein subjektiver Sorgfaltsverstoß bei subjektiver Voraussehbarkeit des wesentlichen Kausalverlaufs und des Erfolges zur Last. Handelt es sich um eine derartige Fallkonstellation, kann den Fahrer möglicherweise der spezielle Schuldausschließungsgrund gemäß § 5 I WStG von der persönlichen Verantwortung befreien. Dann dürfte die Strafrechtswidrigkeit nicht „offensichtlich“ i. S. d. Norm sein. In einer solchen Situation wird man jedoch annehmen müssen, dass jeder ausgebildeter Militärkraftfahrer in einer solchen Situation ohne weiteres Nachdenken gewusst hätte, dass er beim Einparken eines Panzers nur mit Sichtkontakt zu einem Einweiser fahren darf.842 Gemäß den Sicherheitsvorschriften dürfen Kettenkraftfahrzeuge nur auf Befehl des Kommandanten, des Geschützführers oder eines Einweisers bewegt werden. In Kasernenanlagen, auf Abstellplätzen und in technischen Bereichen ist es verboten, Kettenkraftfahrzeuge ohne abgesessenen Einweiser zu bewegen.843 Die Strafrechtswidrigkeit der Handlung war daher nach den ihm bekannten Umständen „offensichtlich“ i. S. d. § 5 I 2. Var. WStG. Der spezielle Schuldausschließungsgrund gemäß § 5 I WStG greift demnach in casu nicht ein. Im Ergebnis kommt es somit auch nicht auf den Streit an, ob § 5 I 2. Var. WStG überhaupt anwendbar ist, wenn der Befehl nicht mindestens die Verwirklichung der äußeren Tatumstände der Straftat fordert.844 Der Untergebene hat sich in dem Bei840

Hierzu Schwaiger, Handeln auf Befehl und militärischer Ungehorsam, S. 97. Vgl. ZDv 43/2, Kapitel 6, Rn. 616 ff. i.V. m. ZDv 3/11 Anlage 5; ZDv 43/6, Kapitel 2, Rn. 2146 ff., Kapitel 8, Rn. 8001 ff. 842 Vgl. ZDv 43/2, Kapitel 6, Rn. 616 ff. i.V. m. ZDv 3/11 Anlage 5; ZDv 43/6, Kapitel 2, Rn. 2146 ff., Kapitel 8, Rn. 8001, 8004. 843 Vgl. insbesondere ZDv 43/2, Kapitel 6, Rn. 622 f.; ZDv 43/6, Kapitel 8, Rn. 8001, 8004. 844 So Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 5, Rn. 4, wonach die Anwendung des § 5 WStG ausgeschlossen sein soll, weil hier der strafrechtswidrige Erfolg nur anlässlich und nicht aufgrund der Befehlsausführung eingetreten ist. Der Befehl des Vorgesetzten müsse mindestens die Verwirklichung der äußeren Tatumstände der Straftat fordern. Dies wäre im vorliegenden Fall zu verneinen. Der Befehl bezog sich lediglich auf das vorschriftsgemäße Einparken. § 5 I 2. Var. WStG wäre dieser Ansicht nach daher schon nicht anwendbar. A. A. Dau, NZWehrr 1986, 198 (203), der 841

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spielsfall somit einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB strafbar gemacht. Ob eine Strafmilderung oder gar ein Absehen von Strafe gemäß § 5 II WStG i.V. m. §§ 222, 12 II, III StGB in Betracht kommt, ist grundsätzlich Tatfrage, hier jedoch wohl nicht anzunehmen. IV. Die Rechtsfolgen der Tat 1. Die strafzumessungserheblichen Umstände Handelt der Täter schuldhaft, etwa weil die rechtswidrige Tat i. S. d. § 5 I 2. Var. WStG „offensichtlich“ war, und liegen die Voraussetzungen für eine Strafmilderung bzw. ein Absehen von Strafe nach § 5 II WStG nicht vor, kommt der Strafzumessung eine entscheidende Bedeutung zu. Daher soll auf die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten des deutschen Strafrechts bei einem schuldhaften Handeln des Befehlsempfängers näher eingegangen werden. § 46 I 1 StGB bestimmt als Grundlage für die Strafzumessung die Schuld des Täters. Die Strafzumessungsschuld erfasst neben der persönlichen Vorwerfbarkeit auch das verschuldete Unrecht im Sinne einer sozialen Verantwortung.845 Grundlage der Strafzumessungsschuld ist somit eine Handlungs- und eine Erfolgskomponente, die in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen. Die konkrete Strafe richtet sich dann im Einzelfall danach, wie stark der Täter durch seine Tat die Rechtsordnung gestört hat.846 a) Der Erfolgsunwert Der Erfolgsunwert der Tat ist gemäß § 46 II StGB vornehmlich durch das Ausmaß des vom gesetzlichen Tatbestand vorausgesetzten Erfolges und von dem Ausmaß der außertatbestandsmäßigen Folgen gekennzeichnet. Bei den außertatbestandsmäßigen Folgen ist das Augenmerk insbesondere auf den Schutz-

zutreffend auf eine zu enge Auslegung des § 5 WStG hinweist, wenn man die Fälle von der Norm ausschloss, in denen der strafrechtswidrige Erfolg nur anlässlich der Befehlsausführung eingetreten ist. Die Gegenansicht berücksichtigt somit auch in diesem Fall den auf dem Untergebenen lastenden Befehlsdruck. Sie ist daher vorzuziehen. 845 Vgl. NK-Streng, § 46, Rn. 19 f.; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 309, Fn. 4 mit Hinweis auf Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 146. 846 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 309 ff. Vgl. auch die Rechtsprechung des BGH zu dieser Frage, für den „die Schwere der Tat, ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der persönlichen Schuld des Täters als Grundlage der Strafzumessung“ entscheidend sind. „Unter Berücksichtigung und gegenseitiger Abwägung dieser Gesichtspunkte soll der Richter die gerechte, das heißt, schuldangemessene Strafe finden.“ Exemplarisch BGHSt 20, 264 (266).

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1. Teil: Das Wehrrecht

bereich der strafrechtlichen Norm zu richten. Sie müssen im Einzelfall vom Schutzbereich der verletzten Norm umfasst sein.847 b) Der Handlungsunwert Für die vorliegende Arbeit ist vor allem der Handlungsunwert der Tat von Interesse. Er stellt die zweite Komponente der Strafzumessung dar, vgl. § 46 II StGB. Zunächst soll hierfür der Blick auf die psychischen Faktoren des Täters gewendet werden, die bei einem Handeln auf Befehl naturgemäß eine gewichtige Rolle spielen. Der Beweggrund und das Ziel der Handlung sind im militärischen Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis dadurch gekennzeichnet, dass der Befehlsempfänger gemäß § 11 I 1, 2 SoldatenG seiner Rechtspflicht zum Gehorsam nachkommen will. Ein bedeutender strafzumessungserheblicher Umstand ist daher das Vorliegen eines Befehls, auch wenn dieser unverbindlich ist und die Vermutung der Rechtmäßigkeit im Einzelfall ausgeschlossen ist. Daher ist es wichtig zu erkennen, dass der Beweggrund der Tat bei einem Handeln auf Befehl grundsätzlich ein von der Rechtsordnung anerkannter, ja sogar ein allgemein geforderter Handlungsantrieb ist.848 Aber auch für den Fall, dass nicht ein Handeln auf Befehl in Rede steht, sondern der Untergebene aus eigenem Entschluss handelt, sind gemäß § 46 II 2 StGB nachfolgende Gesichtspunkte für die Frage der Strafzumessung in Betracht zu ziehen. Zum einen sind es die den inneren Beweggrund bildenden internen und externen Umstände, die bei Soldaten für die Strafzumessung relevant werden können. Diese Umstände sind mitunter in der Lage, das Untergebenenverhalten stark zu beeinflussen. Die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in Abu Ghraib/Irak 849 sind hierfür ein Beispiel. Ein für die Strafzumessung zu berücksichtigender innerer Beweggrund kann sich insbesondere in hierarchisch streng geführten Einheiten aber auch dadurch ergeben, dass die freie Wahl der Handlungsmöglichkeiten – wie es das Schuld- und Verantwortungsprinzip voraussetzt – u. U. nicht immer ohne Weiteres für den Einzelnen gegeben sein wird. Dies kann zum einem daran liegen, dass der Untergebene seinem Vorgesetzten zumindest partiell psychisch und emotional besonders intensiv ergeben ist.850 Eine solche, die freie Handlungsmöglichkeit einschränkende starke Auto847

Einzelheiten bei Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 316, 321 ff. Vgl. § 11 I 1, 2 SoldatenG, §§ 19 ff. WStG. 849 Wie stark äußere Extremsituationen und soziale Einflüsse der Gruppe die individuellen Denk- und Verhaltensweisen von Befehlsuntergebenen beeinflussen, zeigen die aktuellen Forschungsthesen von Fiske/Harris/Cuddy, Science 2004, 1482 (1482 f.) vor dem Hintergrund der Missbrauchsfälle in Abu Ghraib/Irak in komprimierter Form. 850 Hierauf weist schon Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen, S. 99, hin. 848

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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ritätsbindung ist in militärischen Einheiten keine Seltenheit. Dem auf Befehl und Gehorsam aufbauenden militärischen Prinzip ist ein am Vorgesetzten ausgerichtetes Verhalten daher nicht fremd, sondern im Ansatz vielmehr systemimmanent.851 Die Sozialpsychologie zeigt, wie stark eine autoritative Verhaltensanweisung die Bereitschaft zur Gehorsamsleistung fördern kann.852 Verstärkt wird dieses Verhalten im Krieg. Ein den Handlungsunwert kennzeichnender Faktor ergibt sich dann vor allem zusätzlich daraus, dass ein bewaffneter Konflikt den Soldaten auf die härteste Probe seiner seelischen und körperlichen Widerstandskraft stellt. Das Erleben von Tod und Töten, Panik, chaotischen Zuständen, Zerstörung, menschlichem Leid und Elend sowie die Angst vor eigener Verwundung, Verstümmelung, Gefangennahme oder Tod sind als strafzumessungserhebliche Umstände in einer derartigen Situation bei der richterlichen Strafzumessung zu berücksichtigen.853 Besonders relevant werden die angesprochenen „Motivumstände“ in einer militärisch eskalierenden Situation. Eine solche ist nicht nur in einem herkömmlichen Krieg denkbar. Eine Eskalation der militärischen Lage ist auch bei friedenserhaltenden oder friedenserzwingenden Auslandseinsätzen denkbar, wie sie die Bundeswehr und ihre verbündeten Partner seit Jahren bestreiten. Deshalb sind auch hier Umstände in Betracht zu ziehen, die den Handlungsunwert der Tat und damit die Strafzumessung u. U. erheblich beeinflussen können. Insbesondere der Eindruck der gegnerischen Waffenwirkung, das Empfinden ständiger, unkontrollierbarer existentieller Bedrohung, hohe eigene Verluste oder die Ungewissheit über die weitere Lageentwicklung können Furcht hervorrufen, die sich auch in einer disziplinierten Truppe schlechtestenfalls zur Panik ausweiten kann.854 Ist der Soldat den Anforderungen einer solchen Lage nicht gewachsen, ist es zum einen vorstellbar, dass der Untergebene aufgrund der psychischen Extremsituation eine Normübertretung begeht, um die eigene Bedrohungslage emotional zu kompensieren.

851

In diese Richtung bereits Heiden, Handeln auf Befehl im Strafrecht, S. 11 ff. Insbesondere durch das Milgram-Experiment wurde deutlich, dass ein am Gehorsam ausgerichtetes Verhalten vor allem dann gefördert wird, wenn die mit Autorität versehene Bezugsperson direkt anwesend ist und wenn die Möglichkeit besteht, die Verantwortung für die Folgen einer Handlung auf eine Institution zu delegieren. Siehe hierzu die einschlägige Fachliteratur. Grundlegend: Milgram, Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität. Vgl. hierzu auch die Schrift von Kargl, Schlussfolgerungen aus dem Milgram-Experiment. Zum Ganzen auch Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, S. 96 ff. 853 So die hierzu einschlägige HDv 100/100. Die Dienstvorschrift HDv 100/100 unterliegt dem Geheimhaltungsschutz VS NfD. Daher ist auf eine genaue Fundstelle zu verzichten. 854 So HDv 100/100. Die Dienstvorschrift HDv 100/100 unterliegt dem Geheimhaltungsschutz VS NfD. Daher ist auf eine genaue Fundstelle zu verzichten. 852

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1. Teil: Das Wehrrecht

Liegt nicht bereits ein Fall von § 20 StGB oder § 21 StGB855 vor, kann sich ein strafzumessungserheblicher Umstand aber auch daraus ergeben, dass die Eskalation der militärischen Lage zu einer affektuellen Überwältigung oder zu einem motivationalen Defekt beim Soldaten führt. Ein solcher „breakdown of self-regulation“ lässt den Untergebenen in einer derartigen Krisensituation nicht mehr vernunftgeleitet handeln. Das Maß der Vorwerfbarkeit ist möglicherweise stark eingeschränkt. Wird vor Gericht eine solche Ausnahmesituation verhandelt, ist das Augenmerk daher besonders auf das Spannungsverhältnis zwischen Emotionsregulation und Selbstkontrolle auf der einen Seite und der Gehorsamspflicht auf der anderen Seite zu richten. Zum anderen kann die freie Wahl der Handlungsmöglichkeiten dadurch reduziert sein, dass die Gruppe mittelbar auf das Individuum Gehorsamsdruck ausübt und sich der Befehlsempfänger erheblichen Konformitätsstrukturen ausgesetzt sieht.856 Eine in dieser Weise steuernde Gruppendynamik ist zwar vornehmlich im militärischen Bereich vorzufinden, darauf aber nicht unbedingt beschränkt.857 Gemeinsam ist einer solchen gruppendynamischen Entwicklung, dass sie insbesondere unter physisch und psychisch hoher Belastung schon nach kurzer Zeit einzusetzen beginnt und maßgeblich das Handeln der Beteiligten gegenseitig beeinflusst. Dies gilt gerade auch dann, wenn die eigene Zukunft aufgrund der lebensbedrohlichen Umstände als unsicher gilt und dem sozialen Rückhalt der Gruppe daher ein besonderes Gewicht zukommt. In positiver Hinsicht bewirkt eine so beschriebene Internalisierung von Autoritätsbindungen im militärischen Bereich, dass aus einer kleinen Kampfgemeinschaft eine untrennbare Einheit wächst. Rücksichtnahme, Kameradschaft und gegenseitige Aufopferungsbereitschaft kennzeichnen das wechselseitige Verhalten.858 Negative Erscheinungsform eines so erlebten „Wir-Gefühls“ ist das gelegentlich auftretende Phänomen, dass sich die Gruppe aufgrund ihrer besonderen Stellung in Staat und Gesellschaft, ihrer Ausbildung und Aufträge gegenüber den Normappellen der Zivilgemeinschaft nicht immer zur Einhaltung verpflichtet sieht. Auch Angst vor sozialer Missachtung und Exklusion der Gruppe können in sozialintegrativer und in einer die Gruppenordnung sichernden Weise dazu beitragen, dass die freie Wahl der Handlungsmöglichkeit eines sonst rechtstreuen 855 Stets im Blick gehalten werden müssen bei einer so beschriebenen „Eskalationstat“ daher die §§ 20, 21 StGB („tiefgreifende Bewusstseinsstörung“). Ist bereits die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit gemäß § 20 StGB ausgeschlossen, handelt der Täter ohne Schuld. Ihn trifft in diesem Fall keine Strafe. Handelt es sich um einen Fall des § 21 StGB, ist an eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 I StGB zu denken. 856 Zur Konformität in Gruppen vgl. das Experiment von Asch aus dem Jahr 1956. Hierzu Thomas, Grundriss der Sozialpsychologie, S. 97 ff. 857 Eine solche Gruppenbildung ist etwa auch auf hoher See oder im Gebirge vorstellbar. 858 Vgl. ZDv 10/1, Kapitel 3, Rn. 312, 314.

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

193

Soldaten eingeschränkt ist. Dadurch kann der Einzelne möglicherweise seiner Fähigkeit beraubt sein, diesem Druck zu widerstehen. Handelt es sich überdies um eine geringfügige Normübertretung, kann dies die Schwelle für die Begehung einer Straftat mindern und zusätzlich motivierend für eine Straftatbegehung wirken. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass psychische Faktoren aufgrund der Lageentwicklung, des Befehls- und Gruppendrucks schuldmindernd wirken können. Neben den Beweggründen, Zielen und der Gesinnung ist hierbei auch ein besonderes Augenmerk auf die Intensität des Täterwillens und die dadurch zum Ausdruck kommende kriminelle Energie zu richten, § 46 II StGB. Auch ist der Tatsache hinreichend Rechnung zu tragen, dass bei einem Handeln auf Befehl der Täter i. d. R. nicht aus eigenem Entschluss, sondern – ähnlich der Anstiftung – erst aufgrund der psychischen Einwirkung eines Dritten handelt, die somit den Handlungsunwert mitbestimmt.859 Gemäß § 46 II 2 StGB ist neben den psychischen Faktoren im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte insbesondere das Maß der Pflichtwidrigkeit mit zu berücksichtigen.860 Beurteilt der Untergebene beispielsweise einen „gefährlichen“ Befehl falsch, obwohl dies „offensichtlich“ i. S. d. § 5 I 2. Var. WStG ist, wird es für eine angemessene Strafzumessung auch entscheidend darauf ankommen, welche Schwere objektiv und subjektiv die Pflichtwidrigkeit annimmt.861 2. Die einzelnen Instrumentarien auf Rechtsfolgenseite Der Strafzumessung kommt die Aufgabe zu, die Rechtsfolgen der Tat schuldangemessen festzusetzen. Hierzu stehen dem erkennenden Gericht – und u. U. auch schon der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren – unterschiedliche Instrumentarien zur Seite. Auf die Maßnahmen nach §§ 153 ff. StPO, die den Täter gering belasten und das Verfahren erledigen, wurde bereits hingewiesen.862 Zwar betreffen diese nicht die Strafzumessung im eigentlichen Sinn, sondern stellen prozessrechtliche Vorschriften dar. Sie können aber in der beschriebenen Weise einen wichtigen Beitrag dazu leisten, wie schuldangemessen auf den volldeliktisch handelnden Befehlsempfänger reagiert werden kann. Daher seien sie auch an dieser Stelle noch einmal kurz erwähnt. Fehlt es jedoch an der erforderlichen Zustimmung der Prozessbeteiligten, oder ist die in § 153a I 3 StPO genannte zeitliche Obergrenze zur Erfüllung von Auflagen zu kurz, oder erachtet die Staatsanwaltschaft aus öffentlichem In859 Bei einem Handeln auf Befehl besteht jedoch insoweit ein wesentlicher Unterschied zur Anstiftung, dass gemäß § 26 StGB der Haupttäter keine Strafmilderung genießt. 860 Hierzu Franke in MünchKommStGB, § 46, Rn. 32 f.; NK-Streng, § 46, Rn. 55. 861 Vgl. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 343 ff. 862 Siehe hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, C. II. 4.

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1. Teil: Das Wehrrecht

teresse eine formale richterliche Schuldfeststellung durch Urteil oder Strafbefehl für notwendig, kommen verfahrenseinstellende Maßnahmen nach §§ 153 ff. StPO nicht in Betracht.863 Ist auch ein Absehen von Strafe gemäß § 60 StGB nicht möglich, stellt die Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß 59 ff. StGB ein geeignetes Instrument dar, geringes Unrecht angemessen zu ahnden. Die Verwarnung mit Strafvorbehalt nach den Vorschriften der §§ 59 ff. StGB ist ein strafrechtliches Reaktionsmittel eigener Art mit maßnahmeähnlichem Charakter.864 Bei ihr erfolgt zunächst lediglich eine Verwarnung und keine Bestrafung des Täters.865 Eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nach §§ 59 ff. StGB kommt dann in Betracht, wenn der Täter eine gute Kriminalprognose aufweist und sich die Tat im Bereich geringen Unrechts bewegt.866 Günstig sind die Regelung der §§ 59 ff. StGB für den Täter vor allem deshalb, weil er es durch ein rechtskonformes Verhalten selbst in der Hand hat, nach Ablauf der Bewährungszeit endgültig einer Bestrafung zu entgehen. Darüber hinaus ist er im Fall der Bewährung insoweit nicht vorbestraft.867 Um bei einem Handeln auf Befehl zur Anwendbarkeit der §§ 59 ff. StGB zu gelangen, müssen folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen:868 In formeller Hinsicht darf der Täter keine Freiheitsstrafe, sondern lediglich eine Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen verwirkt haben. Materiell ist neben einer günstigen Kriminalprognose des Täters gemäß § 59 I 1 Nr. 1 StGB erforderlich, dass nach § 59 I 1 Nr. 2 StGB besondere Umstände vorliegen und die Verteidigung der Rechtsordnung eine Verurteilung zu Strafe nicht gebietet, § 59 I 1 Nr. 3 StGB. Besonderes Augenmerk ist auf die Voraussetzung nach § 59 I 1 Nr. 2 StGB zu richten. Danach muss für die Anwendung der Verwarnung mit Strafvorbehalt eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergeben, die besondere Umstände ersichtlich werden lassen, aufgrund derer es angebracht ist, ihn vor einer Bestrafung zu verschonen, § 59 I 1 Nr. 2 StGB. Es muss sich demnach um solche besonderen Umstände handeln, „die dem Fall den Stempel des Außergewöhnlichen aufdrücken.“869 Damit sind in erster Linie Taten gemeint, deren Motiv nicht unehrenhaft oder wenigstens nachvollziehbar ist.870 Für den Täter wirkt es sich günstig aus, wenn er sonst überzeugt rechtstreu ist 863

Groß in MünchKommStGB, vor § 59, Rn. 4. Lackner/Kühl, StGB-Kommentar, § 59, Rn. 2. 865 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 63. 866 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 63 f. 867 Vgl. Groß in MünchKommStGB, vor § 59, Rn. 1 ff.; S/S-Stree, § 59, Rn. 1. 868 Hierzu Groß in MünchKommStGB, § 59, Rn. 3 ff.; Lackner/Kühl, StGB-Kommentar, § 59, Rn. 3 ff.; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 66 ff. 869 Groß in MünchKommStGB, § 59, Rn. 6 m.w. N. 870 Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, § 59, Rn. 5 f. 864

3. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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und er sich in einer Konflikt- oder Gelegenheitssituation befand oder wenn ihm bereits Nachteile entstanden sind, ohne dass ein Fall des § 60 StGB vorläge.871 Außerdem muss in die Gesamtabwägung eingestellt werden, ob eine Verurteilung schwere und außerhalb der Strafzwecke872 liegende Folgen mit sich brächte. Auch ein geringer Unrechts- oder Schuldgehalt kann eine Verwarnung mit Strafvorbehalt begünstigen.873 Liegt im Einzelfall eine solche „besondere Konfliktsituation“ vor, stellt die Rechtsordnung mit dem Instrument der Verwarnung mit Strafvorbehalt eine weitere geeignete Möglichkeit zur Verfügung, mit der angemessen auf schuldhaftes Handeln eines Befehlsempfängers im unteren strafrechtlichen Bereich reagiert werden kann. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch noch auf den Strafarrest gemäß § 9 WStG. Dieser stellt eine moderne Form einer verhältnismäßig kurzen Freiheitsstrafe dar und kommt für Straftaten im unteren und mittleren Bereich infrage.874 Der Strafarrest ist eine militärische Freiheitsstrafe eigener Art und soll gewährleisten, dass der Soldat seine Strafe nicht einfach absitzt. Daher sieht § 9 II WStG vor, dass der Soldat nach Möglichkeit aktiv am täglichen Dienst teilnimmt. Durch die Teilnahme am Dienst soll einerseits die militärische Ausbildung weiter gefördert werden. Andererseits soll durch die Regelung verhindert werden, dass bequeme Dienstunwillige ein Verweilen im Arrestraum – dem sog. „Cafe Viereck“ – gegenüber dem Leben im Felde „vorziehen“.875 V. Besonderheiten für Jugendliche und Heranwachsende Gemäß § 3 II WStG finden für jugendliche und heranwachsende Soldaten die Vorschriften des JGG Anwendung. Die Normen des WStG sind hierbei „allgemeine Vorschriften“ i. S. d. § 2 JGG und gelten daher nur, soweit das JGG nichts anderes bestimmt. Nach den Sondervorschriften für Soldaten können sich hier materiell-rechtliche Besonderheiten für die Straftatfolgen ergeben, §§ 112a, 112b JGG. Diese werden nach den Regelungen über die Vollstreckung (§ 112c JGG), zur Anhörung des Disziplinarvorgesetzten (§ 112 d JGG) und in verfahrensrechtlicher Hinsicht (§ 112e JGG) ergänzt.876 871

Groß in MünchKommStGB, § 59, Rn. 6. Hierzu Meier, JuS 2005, 769 (769 ff.). 873 Groß in MünchKommStGB, § 59, Rn. 6 m.w. N. 874 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 9, Rn. 3. 875 Zum Ganzen Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, § 9, Rn. 3; Bericht Haasler zum WStG, BT-Drucksache 2/3295, S. 3. Zu den Einzelheiten des wehrstrafrechtlichen Sanktionssystems (Freiheitsstrafe, Strafarrest, Geldstrafe) siehe die Kommentierung bei Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetzkommentar, vor § 9, Rn. 1 ff. 876 Zum Ganzen: Ostendorf, JGG-Kommentar, S. 1005 ff.; Brunner/Dölling, JGGKommentar, vor § 112a, Rn. 1 ff. 872

Zweiter Teil

Das Beamtenrecht Handeln aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung Erstes Kapitel

Einführung Die mit dem Wehrrecht verbundenen Fragestellungen geben im ersten Teil dazu Anlass, das hoheitliche Handeln auf Befehl im militärischen Bereich eingehend zu untersuchen und umstrittene Einzelfragen näher zu beleuchten. Dennoch muss die Frage beantwortete werden, weshalb dem Wehrrecht die Normen des zivilen Sektors gegenübergestellt werden. Die Antwort ist einfach und augenscheinlich zugleich. Denn das hoheitliche Handeln auf Weisung kann auch im Beamtenrecht nur dann sachgerecht erfasst werden, wenn in Abgrenzung hierzu die wehr- und vollzugsrechtlichen Vorschriften klar umrissen sind. Auch das Beamtenrecht ist nicht isoliert, sondern in einem Gesamtzusammenhang für hoheitliches Handeln zu betrachten. Die Ausführungen des ersten Teils dienen auch hierfür. Diese recht umfangreiche Darstellung bietet nun den Vorteil, dass sich die beamtenrechtlichen Normen für ein Handeln auf Befehl schnell erschließen. Der immer wieder herzustellende Bezug zum Wehrrecht wird helfen, die im Beamtenrecht hinter der Norm stehenden Notwendigkeiten und Interessen deutlich zu machen. Die im ersten Teil gewonnenen Erkenntnisse sind somit auch für die nachfolgende Untersuchung des Beamtenrechts von Bedeutung und können hierfür fruchtbar gemacht werden. Im zweiten Teil der Arbeit soll daher nun der Blick auf die beamtenrechtlichen Vorschriften für ein Handeln auf Befehl gewendet werden. Die Ausführungen werden zeigen, dass das hoheitliche Handeln in diesem Bereich stark reformbedürftig ist. Vor dem Hintergrund der wehr- und vollzugsrechtlichen Ausführungen zeigt sich ein gesetzgeberischer Korrekturbedarf für das beamtenrechtliche Handeln auf Befehl. Die weiteren Betrachtungen werden darlegen, dass diese Reformbedürftigkeit der beamtenrechtlichen Normen für ein Handeln auf Weisung auch nicht durch eine Korrektur durch den Rechtsanwender zu umgehen ist. Hier ist vielmehr der Gesetzgeber aufgefordert, eine Harmonisierung herbeizuführen.

2. Kapitel: Der Begriff der beamtenrechtlichen Weisung

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Zweites Kapitel

Der Begriff der beamtenrechtlichen Weisung Die beamtenrechtliche Weisung ist gemäß § 55 S. 2 BBG, § 37 S. 2 BRRG eine innerdienstliche Einzelanordnung von einem Vorgesetzten an einen Untergebenen, die zu einem dienstlichen Einzelfall oder einer bestimmten dienstlichen Angelegenheit ergeht.1 In diesem Sinn versteht man die Weisung als „die imperative Feststellung hinsichtlich der Wahl einer Verhaltensalternative durch einen anderen in der Erwartung, dass der Impuls von dem Empfänger als Argument seiner Wahl akzeptiert werde.“2 Die Voraussetzungen sind im Einzelnen:

A. Innerdienstliche Einzelanordnung Auch die innerdienstliche Weisung gemäß § 55 S. 2 BBG, § 37 S. 2 BRRG ist wie der militärische Befehl abzugrenzen von bloßen Anregungen, Vorschlägen und Warnungen.3 Darüber hinaus ist die Einzelanordnung zu unterscheiden von allgemeinen Verwaltungsanordnungen, Richtlinien und allgemeinen Anordnungen.4

B. Weisungsgebundenheit des Beamten Die Weisungsgebundenheit des Beamten folgt aus § 55 S. 2 BBG, § 37 S. 2 BRRG und ist konstitutiv für die Stellung des Amtswalters in der Behördenhierarchie.5 Eine Ausnahme hierzu ist in der Regelung des § 55 S. 2 2. HS BBG, § 37 S. 3 BRRG zu sehen, die durch die persönliche Verantwortung nach § 56 BBG, § 38 BRRG ergänzt wird.6 Die gemäß § 2 I BBG, § 2 I BRRG auf dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis beruhende Gehorsamspflicht gehört nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufbeamtentums i. S. d. Art. 33 V GG.7

1

Post/Braun, Beamtenrecht, Kapitel 1, Rn. 78. Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 25 f. 3 Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 25; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 30 mit Hinweis auf Günther, ZBR 1988, 297 (299). 4 Vgl. zu diesen unterschiedlichen Rechtsinstituten Post/Braun, Beamtenrecht, Kapitel 1, Rn. 75 ff.; Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 58, Rn. 5; Battis, BBGKommentar, § 55, Rn. 4. 5 So Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 3. 6 Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 3. 7 Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 3 mit Hinweis auf BVerfGE 9, 268 (286); BVerfG, ZBR 1995, 71 (71). 2

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2. Teil: Das Beamtenrecht

C. Vorgesetzter und Untergebener Zu einer dienstlichen Weisung ist regelmäßig jeder Vorgesetzter des Beamten berechtigt.8 Wer Vorgesetzte ist, bestimmt sich gemäß § 3 II BBG nach dem Aufbau der öffentlichen Verwaltung.9

D. Rechtliche Qualifikation der beamtenrechtlichen Weisung Auch die beamtenrechtliche Weisung, die nicht in das sog. Grundverhältnis10 eingreift, erfüllt die Merkmale eines VA i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG nicht.11 Ebenso wie beim militärischen Befehl mangelt es an der für § 35 S. 1 VwVfG erforderlichen Regelung mit Außenwirkung.12 Drittes Kapitel

Die rechtshistorische Entwicklung bei einem Handeln aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung Die Weisungsgebundenheit des Beamten13 ist eine der „vornehmsten Beamtenpflichten“, wie es einmal ein Gericht formulierte.14 Die Gehorsamspflicht 8 Baßlsperger, Lexikon des öffentlichen Dienstrechts, S. 305; Battis, BBG-Kommentar, § 3, Rn. 4 f. 9 Im Einzelnen ergibt sich dies aus dem Geschäftsverteilungsplan der Behörde. Dabei kann der Beamte mehrere Vorgesetzte haben. Vgl. Baßlsperger, Lexikon des öffentlichen Dienstrechts, S. 301. 10 Die auf Ule zurück gehende Terminologie vom Grund- und Betriebsverhältnis beruht im Wesentlichen auf dem Gedanken des „besonderen Gewaltverhältnisses“. Daher wird sie heute vielfach als überkommen bezeichnet. In der Sache ist sie jedoch nach wie vor zutreffend: Das Grundverhältnis wird vom Betriebsverhältnis insbesondere dadurch abgegrenzt, dass sich die Maßnahme an die selbständige Rechtspersönlichkeit des Beamten richtet. Entscheidend ist somit, dass die Maßnahme regelnd auf subjektive Rechte des Beamten gerichtet ist. Dann handelt es sich um eine Regelung mit Außenwirkung und damit um eine Frage der persönlichen Rechtsstellung. Hingegen liegt lediglich eine innerdienstliche Weisung ohne Vewaltungsaktqualität vor, wenn es sich um eine behördeninterne Maßnahme handelt, die an den Beamten in seiner Eigenschaft als Amtsträger und Glied der Verwaltung gerichtet ist. Hier ist nur die Amtsstellung und damit das Betriebsverhältnis betroffen. Derartige sachliche Weisungen betreffen organisationsinterne Anordnungen des Dienstherrn und zielen vornehmlich auf die Art und Weise der dienstlichen Verrichtung ab. Zum Ganzen siehe Janßen in Obermayer, VwVfG-Kommentar, § 35, Rn. 104 ff. und Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 35, Rn. 82 ff. mit jeweils zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 11 Janßen in Obermayer, VwVfG-Kommentar, § 35, Rn. 104 ff. Ausführlich hierzu die Arbeit von Leister, Abgrenzung des Befehls vom Verwaltungsakt, S. 47 ff. 12 Janßen in Obermayer, VwVfG-Kommentar, § 35, Rn. 105 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 35, Rn. 82 ff.

3. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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zählt daher zu den Hauptpflichten eines jeden Beamten.15 Wie bereits eingangs festgestellt, gehört sie zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufbeamtentums nach Art. 33 V GG.16 Die beamtenrechtliche Weisung ist so alt wie das Beamtentum selbst. Träger von Ämtern der Gemeinschaft gibt es seit vielen Jahrtausenden.17 So gab es seit den chinesischen Dynastien stets Bemühungen, wichtige Aufgaben der Allgemeinheit Getreuen zu übertragen.18 Geschichtlich betrachtet ist die aus der Weisung folgende Gehorsamspflicht des Beamten die interessanteste Untergebenenpflicht.19 Dies lässt sich am Beispiel Preußens veranschaulichen. Im Jahr 1613 trat Johann Sigismund von Preußen vom lutherischen Glauben zum Calvinismus über. Dadurch entstand für den Staat Preußen die Situation, dass die Herrscher und ihre einflussreichsten Ratgeber dem Calvinismus angehörten. Der Calvinismus fordert eine freie, erfolgsgläubige, asketische und aktive Verhaltensweise. Die ihnen unterstellten Beamten gehörten hingegen weiterhin vornehmlich dem lutherischen Glauben an.20 Ein an der Obrigkeit ausgerichteter Gehorsam zählte für diese Beamten zu den vorrangigen Pflichten.21 Der Autoritätsgedanke wurde von ihnen aus religiöser Überzeugung befürwortet, wodurch eine Beamtenethik von neuer Qualität entstand. Geprägt von einer solchen Geisteshaltung konnte hierdurch eine Staatsdisziplin und Staatsaktivität ganz neuer Art entstehen.22 Der Beamtengehorsam nach § 55 S. 2 BBG, § 37 S. 2 BRRG ist seit jeher eng verknüpft mit der Beamtenverantwortlichkeit und dem Remonstrationsverfahren gemäß § 56 BBG, § 38 BRRG. Deshalb wundert es nicht, dass beide ebenso traditionell in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen.23 Dieses Spannungsverhältnis konnte jedoch erst durch das Staatsverständnis des aufge13

Zum Begriff des Beamten siehe Thieme, Der öffentliche Dienst, S. 2. So der BayVerfGH, ZBR 1960, 381 (381). 15 Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 58, Rn. 3; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 12, 15. 16 BVerfGE 9, 268 (286); BVerfG, ZBR 1995, 71 (71); Alberts, DÖD 1987, 67 (67 f.); Günther, ZBR 1988, 297 (298); Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 15. 17 So Scheerbarth/Höffken, Beamtenrecht, S. 39. 18 Eingehend zum Beamtentum in Geschichte, Gesellschaft und Staat: Scheerbarth/ Höffken, Beamtenrecht, S. 39 ff. 19 So Scheerbarth/Höffken, Beamtenrecht, S. 417. Zum Folgenden ders., a. a. O. 20 Der Bevölkerung gestattete Johann Sigismund, entgegen den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens (cuius regio, eius religio) den Konfessionswechsel nicht nachzuvollziehen. Damit gilt er als eine der ersten Fürsten in Europa, die Religionsfreiheit gewährten. http://www.preussen-chronik.de/_/person_jsp/key=person_johann+ sigismund+von_brandenburg.html. Zuletzt besucht am 23.06.2006. 21 Vgl. von Borch, Obrigkeit und Widerstand, S. 177 ff. 22 Zum Ganzen Scheerbarth/Höffken, Beamtenrecht, S. 417. Vgl. auch Hattenhauer, Geschichte des deutschen Beamtentums, S. 164. 23 Hierzu vgl. Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 5 ff., 14 mit Hinweis auf Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (406). Vgl. auch Weiß, ZBR 1994, 325 (327). 14

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2. Teil: Das Beamtenrecht

klärten Absolutismus entstehen. Erst seit dieser Zeit betrachtete man den Beamten nicht mehr als reinen Befehlsempfängers, der schlicht zu gehorchen hat. Ihm wurde fortan auch eine begrenzte persönliche Verantwortung für sein Handeln zugewiesen.24 Ein eigenständiges materielles Prüfungsrecht des Beamten gab es aber auch im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus nur in beschränkter Weise.25 Korrespondierend dazu blieb der Beamte für die Ausführung von Weisungen haftungsrechtlich grundsätzlich frei.26 Im Hinblick auf die strafrechtliche Verantwortung galt jedoch, dass der Beamte die ihm erteilten Befehle auf das Strafgesetz hin prüfen und bei einem Verstoß dagegen unbeachtet lassen muss, § 343 PrALR zweiter Teil, zwanzigster Titel.27 Vor allem die frühliberalen Verfassungen, wie etwa die Württembergische Verfassung von 1819, betonten anstelle einer strikten Gehorsamspflicht zunehmend die eigene Verantwortung des Beamten.28 In das Reichsbeamtengesetz von 1873 wurde die Remonstrations- und Gehorsamspflicht hingegen nicht ausdrücklich aufgenommen. Die Pflicht zum Gehorsam wurde jedoch als ein aus dem Wesen des Amtes folgendes Prinzip als selbstverständlich vorausgesetzt, da Reichsbeamter nach § 1 RBG derjenige war, wer den Anordnungen des Kaisers Gehorsam schuldete.29 Auf der anderen Seite wurde die Verantwortlichkeit des Beamten positiv-rechtlich in § 13 RBG geregelt. Danach war der Reichsbeamte für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen verantwortlich. Wie soeben beschrieben, verzichtete der Gesetzgeber des Reichsbeamtengesetzes sowohl in der ursprünglichen Form als auch in der Fassung von 190730 darauf, ein Recht des Beamten auf Remonstration zu normieren.31 In Rechtsprechung und Schrifttum setzte sich jedoch die Meinung durch, dass der Beamte lediglich dann zu gehorchen hat, wenn er und sein Vorgesetzter zuständig sind, die vorgeschriebene Form des Dienstbefehls eingehalten wurde und die Weisung nicht gegen das Strafgesetz verstößt.32

24 Ausführlich Weiß, ZBR 1994, 325 (327 f.); vgl. auch Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 1. 25 Weiß, ZBR 1994, 325 (328). Im Hinblick auf die Vorschriften des PrALR vgl. Heilborn, FS für Otto von Gierke, S. 125 (144 f.). 26 Zu den beamtenrechtlichen Regelungen des PrALR, insbesondere §§ 45 PrALR ff. vgl. Weiß, ZBR 1994, 325 (328). 27 Hierzu Heilborn, FS für Otto von Gierke, S. 125 (144). 28 Hierzu und zum Folgenden vgl. die ausführliche Darstellung bei Weiß, ZBR 1994, 325 (328 f.). 29 Weiß, ZBR 1994, 325 (328) mit Hinweis auf Liste, Die Gehorsamspflicht des Beamten, S. 12 f.; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 1. 30 RGBl. 1907, 245. 31 Dies erfolgte erst in § 97 III Militärstrafgerichtsordnung von 1898, RGBl. 1898, 1189.

3. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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Erst das Deutsche Beamtengesetz von 1937 nahm in § 7 DBG eine dezidierte, dem staatsautoritären Denken entsprechende Regelung der Gehorsamspflichten vor. Absatz I des § 7 DBG hatte die Verantwortlichkeit des Beamten zum Regelungsgegenstand, wohingegen die Gehorsamspflicht und ihre Grenzen in den Absätzen II und III geregelt wurden.33 § 7 DBG lautete: (1) Der Beamte ist für die Gesetzmäßigkeit seiner Amtshandlungen verantwortlich. (2) Er hat die dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten oder der kraft besonderer Vorschrift ihm gegenüber zur Erteilung von Weisungen berechtigten Personen zu befolgen, soweit gesetzlich nichts anderes vorgeschrieben ist; die Verantwortung trifft dann denjenigen, der die Anordnung gegeben hat. Der Beamte darf eine Anordnung nicht befolgen, deren Ausführung für ihn erkennbar den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde. (3) Der Beamte darf Anordnungen für seine Amtshandlungen nur von seinen Vorgesetzten oder den kraft besonderer Vorschrift ihm gegenüber zur Erteilung von Weisungen berechtigten Personen entgegennehmen; seine Bindung an Gesetz und solche Anordnungen geht jeder anderen Gehorsamsbindung vor. (4) Der Führer und Reichskanzler bestimmt, ob und inwieweit es zulässig ist, einen Beamten, der Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ist, vor einem Parteigericht zur Verantwortung zu ziehen. In der amtlichen Begründung heißt es hierzu:34 „Der Beamte hat allen Anordnungen seiner Vorgesetzten [. . .] Folge zu leisten, wenn solche Anordnungen nicht für ihn erkennbar den Strafgesetzen zuwiderlaufen [. . .]. Besteht der Vorgesetzte auf Durchführung einer Anordnung, die zwar nicht den Strafgesetzen zuwiderläuft, wohl aber anderen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften, so muss der Beamte die Anordnung befolgen. In diesem Fall übernimmt der Vorgesetze die Verantwortung für die Folgen für eine unrichtige oder Schaden stiftende Handlung. Der Beamte ist jedoch nach Lage des Falles verpflichtet, in geeigneter Weise seine abweichende Ansicht zum Ausdruck zu bringen.“ An der Regelung des § 7 DBG wird deutlich, dass das zuvor bestehende, verhältnismäßig weit gehende Prüfungsrecht – und damit verbunden eine Prüfungspflicht – des Beamten nach dem Reichsbeamtengesetz entsprechend dem sog. Führergrundsatz35 der damaligen Zeit zugunsten einer strafferen Führung 32 Weiß, ZBR 1994, 325 (329) mit Hinweis auf Daniels, Das deutsche Beamtengesetz, § 7, Anm. III m.w. N. auf die Rechtsprechung des PrOVG. 33 Eingehend zum Ganzen Weiß, ZBR 1994, 325 (329). 34 Begründung zum DBG, Deutscher Reichsanzeiger Nr. 22 vom 28.01.1937, § 7 II. 35 Bemerkenswert ist, dass der Beamte durch Gesetz vom 20.08.1934 (RGBl. I 1934, 785) fortan gemäß § 4 DBG einen Eid auf den Führer zu leisten hatte, treu und

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2. Teil: Das Beamtenrecht

abgelöst wurde.36 Das Beamtenrecht wurde fortan rechtlich und politisch durch die nationalsozialistische Ideologie durchdrungen und geprägt. So wundert es beispielsweise nicht, dass in der Begründung zum DBG der Gehorsamspflicht des Beamten dadurch Nachdruck verliehen wird, dass „im nationalsozialistischen Staat treue Pflichterfüllung oberstes Gebot für jeden Volksgenossen ist, insonderheit für denjenigen, der sich als Beamter unmittelbar dem Dienst am Staate widmet.“37 „Der Beamte ist nicht nur Diener am Staate und am Volk; er soll auch Diener an der nationalsozialistischen Idee sein, die den Staat trägt, und an der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, die mit dem Staat eine Einheit bildet. Der Beamte steht zum Führer und Reich in einem öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis. Dem Führer persönlich ist der Beamte durch den Treueid zu Treue und Gehorsam [. . .] verbunden. Er soll dem Führer Treue halten bis zum Tode; wenn auch die Dienstpflicht des Beamten und damit sein Beamtenverhältnis selbst endet, so darf darum doch die Treue nicht aufhören.“38 „Der Beamte soll vom nationalsozialistischen Geist durchdrungen sein.“39 Exemplarisch sei auch § 3 DBG40 genannt, wonach „das Pflichtenverhältnis des Beamten durch den alles überdeckenden Grundsatz von der Pflicht zum jederzeitigen rückhaltlosen Eintreten für den nationalsozialistischen Staat begehorsam zu sein. Intention hierfür war, „eine menschlich-persönliche Verpflichtung zwischen dem Beamten und dem Führer der Nation zum klaren Ausdruck zu bringen. Der persönliche Treueid auf den Führer, der nunmehr kein politischer Eid im früheren Sinne war, endete auch nicht mit dem Amt.“ Vgl. Fischbach, DBG-Kommentar, § 4, Anm. I, 3. Eine Verweigerung der Eidesleistung hatte beamtenrechtlich gemäß § 57 DBG die fristlose Entfernung aus dem Dienst zur Folge. 36 Zum Ganzen Weiß, ZBR 1994, 325 (329). 37 Begründung zum DBG, Deutscher Reichsanzeiger Nr. 22 vom 28.01.1937, AT, Abs. 5. 38 Begründung zum DBG, Deutscher Reichsanzeiger Nr. 22 vom 28.01.1937, AT, Abs. 6. 39 Begründung zum DBG, Deutscher Reichsanzeiger Nr. 22 vom 28.01.1937, AT, Abs. 8. 40 § 3 DBG lautete: (1) Die Berufung in das Beamtenverhältnis ist ein Vertrauensbeweis der Staatsführung, den der Beamte dadurch zu rechtfertigen hat, dass er sich der erhöhten Pflichten, die ihm seine Stellung auferlegt, stets bewusst ist. Führer und Reich verlangen von ihm echte Vaterlandsliebe, Opferbereitschaft und volle Hingabe der Arbeitskraft, Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten und Kameradschaft gegenüber den Mitarbeitern. Allen Volksgenossen soll er ein Vorbild treuer Pflichterfüllung sein. Dem Führer, der ihm seinen besonderen Schutz zusichert, hat er Treue bis zum Tode zu halten. (2) Der Beamte hat jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten und sich in seinem gesamten Verhalten von der Tatsache leiten zu lassen, dass die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei in unlöslicher Verbundenheit mit dem Volke die Trägerin des deutschen Staatsgedankens ist. Er hat Vorgänge, die den Bestand des Reiches oder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei gefährden könnten, auch dann, wenn sie ihm nicht vermöge seines Amtes bekannt geworden sind, zur Kenntnis seines Dienstvorgesetzten zu bringen.

3. Kapitel: Die rechtshistorische Entwicklung

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herrscht“ wurde.41 Diese Zitate ließen sich weiter fortführen. Stellvertretend für weitere Belege sind sie Zeugnis dafür, wie das (Beamten-)Gesetz eng mit der politischen Weltanschauung verzahnt wurde und sich zunehmend vom Recht entfernte.42 Im Hinblick auf die gesetzliche Ausgestaltung zur Befolgung von Anordnungen hatte der Beamte nur noch festzustellen, dass er weisungsunterworfen und daher folgepflichtig ist.43 Er hatte jedoch nicht der Frage nachzugehen, ob der Vorgesetzte für die Erteilung der Anordnung auch sachlich zuständig ist. Beachtenswert ist auch die Tatsache, dass der Beamte lediglich ein Prüfungsrecht dahingehend hatte, festzustellen, ob die eingeforderte Handlung erkennbar gegen Strafgesetze verstößt.44 Rechtlich problematische Anordnungen, die kein strafbewehrtes Verhalten einforderten, hatte der Beamte zu befolgen. Den untergebenen Beamten traf daher allein das disziplinarrechtliche Risiko, einen Befehl seines Vorgesetzten nicht auszuführen, weil seiner Überzeugung nach keine Weisungsbefugnis bestand oder die Anordnung ein strafrechtlich pönalisiertes Verhalten erforderte.45 Bestand der Vorgesetzte auf der Durchführung seiner Weisung und befolgte der Beamte diese nicht, so hatte dies in jedem Fall eine dienstrechtliche Ahndung zur Folge, um der Disziplin und Staatsautorität Nachdruck zu verleihen.46 Nach dem Krieg konnten die bisherigen beamtenrechtlichen Regelungen nach In-Kraft-Treten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 in dieser Form keinen Bestand mehr haben.47 Daher wurde 1950 das sog. Bundespersonalgesetz48 erlassen, welches in einer politisch bereinigten und modifizierten Fassung die Fortgeltung des DBG von 1937 festschrieb.49 Bemerkenswert ist, dass sich der Ge-

(3) Der Beamte ist für gewissenhafte Erfüllung seiner Amtspflichten verantwortlich. Durch sein Verhalten in und außer dem Amte hat er sich der Achtung und des Vertrauens, die seinem Berufe entgegengebracht werden, würdig zu zeigen. Er darf nicht dulden, dass ein seinem Hausstande angehörendes Familienmitglied eine unehrenhafte Tätigkeit ausübt. 41 Fischbach, DBG-Kommentar, § 3, Anm. II. 42 Zu einer möglichen Diskrepanz von Gesetz und Recht vgl. auch OLG Oldenburg, Urteil vom 04.10.1949 – Ss 158/49, abgedruckt in NJW 1950, 38 (39). 43 Hierzu und zum Folgenden Weiß, ZBR 1994, 325 (329). 44 Zu der vorrangig geltenden Gehorsamspflicht des Beamten nach § 7 III, IV DBG gegenüber seinen Vorgesetzten in dienstlichen Angelegenheiten im Vergleich zu der als Mitglied der NSDAP eingegangenen Gehorsamspflicht vgl. Fischbach, DBG-Kommentar, § 7, Anm. III f. 45 Zum Ganzen siehe Weiß, ZBR 1994, 325 (329). 46 Fischbach, DBG-Kommentar, § 7, Anm. I, 2d. 47 Hierzu und zum Folgenden vgl. die ausführliche Darstellung bei Weiß, ZBR 1994, 325 (329 f.). 48 Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen (BPG) vom 17.05.1950, BGBl. I 1950, 207.

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2. Teil: Das Beamtenrecht

setzgeber vor dem historischen Hintergrund des Handelns auf Befehl50 dazu veranlasst sah, die traditionell im deutschen Recht geltende Terminologie zu ändern. So findet sich der Begriff der Gehorsamspflicht des Beamten im Bundespersonalgesetz nicht.51 Neu hinzu kam erstmals in der modifizierten Fassung des § 7 IV BPG ein Recht des Beamten zur Remonstration.52 Im Jahr 1953 wurde das Beamtenrecht – und damit gleichzeitig die Weisungsgebundenheit der Beamten – im Bundesbeamtengesetz53 neu geregelt. Die sich hieraus ergebenden Fragestellungen und Probleme sollen Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen sein. Viertes Kapitel

Die bestehende Rechtslage bei einem Handeln aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung A. Die rechtliche Ausgestaltung der beamtenrechtlichen Gehorsamsvorschriften I. Einführung Mit der Neufassung des BBG von 1953 sind auch die Normen über den Inhalt und die Grenzen der beamtenrechtlichen Gehorsamspflicht auf eine neue Grundlage gestellt worden. Anders als im militärischen Bereich (vgl. § 11 I 1 SoldatenG) wird in den geltenden beamtenrechtlichen Vorschriften das Wort „Gehorsam“ vermieden. Begründen lässt sich dies mit einer Reaktion auf die im Deutschen Beamtengesetz vom 26. Januar 193754 in § 1 DBG55 überzogen normierte 49 Weiß, ZBR 1994, 325 (329). Zum geschichtlichen und politischen Hintergrund siehe Hattenhauer, Geschichte des deutschen Beamtentums, S. 509 ff. 50 Kritisch zum Gehorsamsprinzip und zu den Gräueltaten im Namen einer Befehlsstruktur, Alberts, DÖD 1987, 67 (67 ff.). 51 Vgl. Fischbach, Deutsches Beamtengesetz und Bundespersonalgesetz, § 7, Anm. I, der darauf hinweist, dass sich der neue, entnazifizierte § 7 aus Bestandteilen des früheren § 3 DBG (allgemeine Beamtenpflicht) und des früheren § 7 DBG (Gehorsamspflicht) zusammensetzt, die Gehorsamspflicht selbst aber nicht erwähnt, sondern nur umschreibt. Weiß, ZBR 1994, 325 (329); hierzu auch Simianer, ZBR 2004, 149 (151). 52 Hierzu Fischbach, Deutsches Beamtengesetz und Bundespersonalgesetz, § 7, Anm. IV. 53 Bundesbeamtengesetz (BBG) vom 14.07.1953, BGBl. I 1953, 551. 54 RGBl. I 1937, 39. 55 § 1 DBG vom 26. Januar 1937 lautete: (1) Der deutsche Beamte steht zum Führer und zum Reich in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treuverhältnis (Beamtenverhältnis). (2) Er ist der Vollstrecker des Willens des von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getragenen Staates.

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Gehorsamspflicht. Das moderne Verständnis eines Vorgesetzten-UntergebenenVerhältnisses ist für den zivilen Bereich im allgemeinen Beamtenverhältnis weitaus weniger von Befehl und Gehorsam geprägt. Mit Recht wird heute vielmehr die Unterstützungspflicht des Beamten gemäß § 55 S. 1 BBG, § 37 S. 1 BRRG betont. Aus dieser wird gefolgert, dass der Beamte dasjenige tut, was von ihm erwartet wird und ein förmlicher Gehorsam daher entbehrlich ist.56 Wenn daher im Folgenden von Gehorsam des Beamten gesprochen wird, dann ist hiermit nicht ein autoritärer, dem militärischen Verständnis entsprechender Gehorsam gemeint, sondern ein solcher, der als ein Weisungsrecht des Vorgesetzten gegenüber seinen unterstellten Beamten in einem kooperativen Arbeitsumfeld zu verstehen ist.57 Die vom BBG verwendete Terminologie darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass der Gesetzgeber auf eine Weisungsgebundenheit des Beamten verzichtet hat. Die beamtenrechtliche Folgepflicht ist vielmehr konstitutiv für die Stellung des Amtswalters in der Behördenhierarchie.58 Seinen verfassungsrechtlichen Niederschlag hat das mit Art. 20 II 1 GG eng verknüpfte hierarchische Organisationsprinzip in Art. 65 GG gefunden. Danach bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet gemäß Art. 65 S. 2 GG jeder Minister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Damit diese Verantwortung des Kanzlers und seiner Minister gegenüber dem Bundestag wirksam wahrgenommen werden kann, ist es notwendig, dass sie den nachgeordneten exekutiven Stellen in einem gewissen Umfang weisungsund anordnungsbefugt sind.59 Zur Durchsetzung stehen ihnen eine Reihe von Aufsichts- und Informationsrechten zu, die in Form der Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht zur Verfügung stehen. Durch den Einfluss der gewählten Volksvertretung auf die parlamentarisch verantwortliche Regierung ist somit gewährleistet, dass der demokratisch gebildete Wille bis in die Verwaltung hineingetragen wird.60 (3) Der Staat fordert von dem Beamten unbedingten Gehorsam und äußerste Pflichterfüllung; er sichert dafür seine Lebensstellung. 56 Zum Ganzen Simianer, ZBR 2004, 149 (151). 57 Ähnlich Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 13 mit Hinweis auf BVerwGE 93, 100 (104), wonach ein „mitdenkender Gehorsam“ (des Soldaten) gefordert wird. 58 So Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 3. Vgl. auch Bank, ZBR 1963, 161 (162): „Die Pflicht zum Gehorsam ist für jeden Beamten eine Selbstverständlichkeit“ und BayVerfGH, ZBR 1960, 381 (381): „Die Gehorsamspflicht ist daher eine seiner vornehmsten Pflichten.“ 59 Simianer, ZBR 2004, 149 (150); Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 7 ff. Zur ministeriellen Weisungsbefugnis vgl. auch BVerwGE 46, 55 (55 ff.); Klein, JuS 1974, 362 (362 ff.). 60 Zum Ganzen Simianer, ZBR 2004, 149 (150). Vgl. auch Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (405); Rittstieg, ZBR 1970, 72 (73). Hierzu siehe auch Herzog in Maunz/

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2. Teil: Das Beamtenrecht

Auch die beamtenrechtlichen Regelungen verfolgen das Ziel, innerhalb eines hierarchisch gegliederten Verwaltungsaufbaus das Funktionieren der Verwaltung zu garantieren.61 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat die Folgepflicht des Beamten ihren Grund in der zu wahrenden Funktionstüchtigkeit der öffentlichen Verwaltung. Diese gebiete eine Effektivität der Entscheidungsprozesse und ihres Handlungsvollzuges.62 Die Gehorsamspflicht des Beamten gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ und ist verfassungsrechtlich in Art. 33 V GG verankert.63 In Zusammenhang mit einem funktionstüchtigen und effektiven Staatshandeln wird häufig auch darauf hingewiesen, dass es wenig überzeugend wäre, wenn einzelne Beamte in ihrem Aufgabenbereich den Ablauf und den Vollzug von Verwaltungsentscheidungen hemmen könnten, nur weil sie diese für „schlicht“ rechtswidrig halten. Ein effektives Arbeiten der Verwaltung wäre damit nicht möglich und die Erfüllung übertragener Aufgaben gefährdet.64 Für Weisungen des zuständigen Vorgesetzten soll daher auch im Beamtenrecht nach h. M. die Vermutung der Rechtmäßigkeit der Anordnung bestehen.65 II. Inhalt der Gehorsamspflicht des Beamten Auch im Beamtenrecht müssen neben den eher selten vorkommenden Formvorschriften vor allem die Zuständigkeitsregeln beachtet werden, damit eine Folgepflicht des Amtswalters begründet wird.66 Diese besteht nur, wenn der Vorgesetzte67 (§ 3 II 2, 3 BBG) und auch der Beamte zum Erlass bzw. zur Ausführung der fachlichen oder persönlichen Weisung68 örtlich und sachlich zuständig sind. Überdies muss die Weisung von dem Vorgesetzten in dessen amtlicher Eigenschaft ausgesprochen sein. Ferner ist Voraussetzung, dass die Weisung

Dürig, GG-Kommentar, Art. 65 GG, Rn. 48 ff.; Oldiges in Sachs, GG-Kommentar, Art. 65 GG, Rn. 1, 5 ff., 22; Weckerling-Wilhelm in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band II, Art. 65 GG, Rn. 10, 19 ff. 61 Vgl. Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 3; Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (236 f.); Leuze, DÖD 1995, 1 (1 ff.); Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 1, 8; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 7. 62 BVerfG, ZBR 1995, 71 (72). 63 BVerfG, ZBR 1995, 71 (72) mit Hinweis auf BVerfGE 9, 268 (286) und BVerfGE 64, 367 (379). 64 Simianer, ZBR 2004, 149 (150); BVerfG, ZBR 1995, 71 (72). 65 Statt vieler: Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (236 f. m.w. N.). 66 Eingehend Günther, ZBR 1988, 297 (301); Rittstieg, ZBR 1970, 72 (74). 67 Hierzu Battis, BBG-Kommentar, § 3, Rn. 5; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 32 ff. 68 Vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 8 ff.; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 30 ff.

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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eine fachliche oder persönliche Angelegenheit betrifft, die sich auf den Dienst bezieht.69 Gemäß § 55 S. 2 BBG, § 37 S. 2 BRRG ist der Beamte dann verpflichtet, die von seinem Vorgesetzten erlassenen Anordnungen auszuführen und ihre allgemeinen Richtlinien zu befolgen. Die Folgepflicht des Untergebenen wird hierbei gemäß § 55 S. 1 BBG, § 37 S. 1 BRRG durch eine Beratungs- und Unterstützungspflicht ergänzt.70 Die Gehorsamspflicht gilt für den Beamten nur ausnahmsweise dann nicht, wenn es sich um Fälle handelt, in denen er nach besonderer gesetzlicher Vorschrift an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen ist, § 55 S. 2 BBG, § 37 S. 3 BRRG.71 Wenn auch die Befolgungspflicht des Beamten nicht so weit gehend ist wie im militärischen Bereich, so lässt sie sich doch als Gehorsamspflicht in einem weiteren Sinne verstehen.72 Inhaltlich umfasst die Gehorsamspflicht all die Maßnahmen, die von dem Vorgesetzten in der Absicht getroffen werden, eine funktionstüchtige und effektive Verwaltung sicherzustellen. Weisungsgebunden ist der Beamte jedoch stets nur dann, wenn es sich hierbei um eine solche Anordnung handelt, die auch zu seinem dienstlichen Aufgabenbereich gehört.73 Die aus § 55 S. 1 BBG, § 37 S. 1 BRRG folgende Beratungs- und Unterstützungspflicht konkretisiert das Hingabe- und Verhaltensgebot aus § 54 S. 1 und 3 BBG, § 36 S. 1 und 3 BRRG, die ihrerseits Ausfluss der allgemeinen Amtswalterpflicht gemäß § 52 I BBG, § 35 I BRRG ist. Diese Pflichten sollen hierbei der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung dienen.74 Im Unterschied zum Soldaten hat der Beamte seinen Vorgesetzten in Fragen der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu beraten. Die Pflicht zur Beratung endet jedoch dort, wo Zweckmäßigkeitserwägungen durch den Vorgesetzten nicht angenommen und zurückgewiesen werden. In einem solchen Fall ist der Beamte

69 Zum Ganzen Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 4 m.w. N.; Günther, ZBR 1988, 297 (301 f.). Ausführlich hierzu auch Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 107 ff.; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 14 ff. 70 Köhler/Ratz, BDO-Kommentar, S. 232. Vgl. auch Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 8; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 13. Simianer, ZBR 2004, 149 (149): „Die Gehorsamspflicht ist eingebettet in die Pflichtendreiheit „Beratungs-, Unterstützungs- und Gehorsamspflicht“.“ 71 Zu den Ausnahmen der Folgepflicht vgl. Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 5; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 55 ff. 72 Günther, ZBR 1988, 297 (297) spricht hinsichtlich des Weisungsrechts von einer „Reserve“, die lediglich verfügbar sein müsse. Für den zivilen Sektor gelte hingegen primär, Entscheidungsspielräume für eigenes Handeln zu eröffnen und Konsens und Akzeptanz innerhalb der Behörde zu erreichen. 73 Vgl. Simianer, ZBR 2004, 149 (149), der von einer Anordnungsbefugnis in einem „umfassenden Sinn“ spricht; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 30, 36, 67. 74 Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 2; Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 73.

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2. Teil: Das Beamtenrecht

verpflichtet, die Weisung auch entgegen eigenen Zweckmäßigkeitsvorstellungen auszuführen.75 Zum Inhalt der Gehorsamspflicht des Beamten gehört darüber hinaus die Pflicht, die von dem Vorgesetzten erlassenen Anordnungen und Richtlinien zu befolgen, § 55 S. 2 BBG, § 37 S. 2 BRRG. In enger Anknüpfung an das allgemeine Verwaltungsrecht versteht man unter Richtlinien allgemeine Vorschriften, die eine unbestimmte Zahl von Fällen betreffen, ohne sie in allen Einzelheiten und Details festzulegen. Anordnungen hingegen betreffen konkret individuelle Sachverhalte und sind als allgemeine Weisungen oder als Einzelanweisung denkbar.76 Diesem Verständnis entspricht es, dass der Beamte seinem Vorgesetzten nicht zu einem „blinden“ Gehorsam verpflichtet ist.77 Der Beamte ist gemäß § 52 I 2 BBG, § 35 I 2 BRRG vielmehr gehalten, seine Aufgaben gerecht zu erfüllen und bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Rücksicht zu nehmen. Folgerichtig obliegt jedem Beamten gemäß § 56 I BBG, § 38 I BRRG grundsätzlich die volle persönliche Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen.78 Dieser Grundsatz wird einzig in § 56 II 3 BBG, § 38 II 2 BRRG durchbrochen. Danach entfällt die persönliche Verantwortung des Beamten unter den dort beschriebenen Voraussetzungen.79 III. Grenzen der Gehorsamspflicht und die Verantwortung des Beamten Auch im Beamtenrecht schließen sich Gehorsamspflicht und persönliche Verantwortung nicht aus, sondern ergänzen sich vielmehr.80 Gemäß den verfas75 Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 2 mit Hinweis auf BayVerfGH, DÖV 1960, 950 (950 f.): „Der Beamte ist aber nicht befugt, den Vollzug ihm erteilter Befehle zu verweigern, die er für unzweckmäßig hält. Hat er gegen die Zweckmäßigkeit einer angeordneten Maßnahme Bedenken und befürchtet er, sie könnte nachteilige Folgen für die Allgemeinheit haben, so wird er dem Vorgesetzten seine Besorgnisse vortragen. Dieser wird die Vorstellungen prüfen. Wird der Befehl aufrechterhalten, so ist er auch weiterhin zu vollziehen. Der Beamte handelt pflichtwidrig, wenn er ihm nicht nachkommt.“ BayVerfGH, DÖV 1950, 950 (951). Wurde der Beamte zu einer bestimmten Handlung angewiesen, hat ausschließlich der Vorgesetzte die Zweckmäßigkeit der Amtshandlung zu verantworten. Hierzu Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 15 f.; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 87 f. 76 Zum Ganzen Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 4. Vgl. auch die Ausführungen bei Simianer, ZBR 2004, 149 (150 f.). 77 Simianer, ZBR 2004, 149 (151); vgl. auch Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (406); Leuze, DÖD 1995, 1 (4); Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 15. 78 Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (405 f.); Simianer, ZBR 2004, 149 (151). 79 Vgl. Battis, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 1; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBGKommentar, § 56, Rn. 1. 80 Vgl. Battis, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 3. Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S. 298 spricht von einem „gesetzlich normierten

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sungsrechtlichen Vorgaben des Art. 20 III GG und den einfach-gesetzlichen Vorschriften der Beamtgesetze bedingen sich Gehorsam und Verantwortung auch für den Bereich des Beamtenrechts wechselseitig.81 Dieser Überlegung folgend trägt der Beamte gemäß § 56 I BBG, § 38 I BRRG für alle dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung.82 Die persönliche Verantwortung umfasst eine Haftung in vermögens-, disziplinar- und strafrechtlicher Hinsicht.83 Der Beamte ist gegenüber der Vorgängerregelung nach § 7 I DBG somit nicht nur für die Gesetzmäßigkeit seiner Amtshandlungen verantwortlich, sondern entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 20 III GG überdies auch an das Recht gebunden.84 Von dieser ihn persönlich treffenden Last ist der Beamte disziplinar- und haftungsrechtlich85 nur dann befreit, wenn er das nach § 56 II BBG, § 38 II BRRG vorgesehene Remonstrationsverfahren bestreitet und Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen oder Rechtsnormen im vorgegebenen Verfahren unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten geltend macht.86 Ziel dieses Verfahrens ist es, den für die Verwaltung lebensnotwendigen Ausgleich zwischen der Gehorsamspflicht und der persönlichen Verantwortung des Beamten für die Rechtmäßigkeit dienstlicher Handlungen herzustellen.87 Gegenstand des Remonstrationsverfahrens ist nach richtiger Ansicht jedoch nicht die Prüfung der Rechtmäßigkeit der dienstlichen Weisung an sich, sondern lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der befohlenen Ausführungshandlung. Nur im Hinblick auf das auszuführende Dienstgeschäft kann sich für den Beamten ein Haftungsrisiko ergeben, nicht jedoch bezüglich der Anweisung selbst.88

Gleichlauf“ der Verbindlichkeit dienstlicher Weisungen und der Entlastung von individueller Verantwortung. 81 Vgl. Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (405); Felix, Remonstration und Rechtsschutz, S. 8; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 2; Schütz/ Maiwald, BeamtenR. Band II, § 59, Rn. 2. 82 Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 8; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 9. Grundlegend zum Spannungsverhältnis von Weisungshierarchie und persönlicher Verantwortung siehe Loschelder in Isensee/Kirchhof, Band III, § 68. 83 Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 8. 84 Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 59, Rn. 2. Dass „zwischen Gesetz und Recht nicht nur eine Spannung, sondern sogar ein voller Widerspruch bestehen kann, zeigen die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus“. So Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 3 in der 259. Lieferung. 85 Zur Verantwortlichkeit des Beamten ausführlich Günther, ZBR 1988, 297 (311 ff.). 86 Battis, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 1; zu den hiermit u. U. verbundenen Schwierigkeiten in der Praxis vgl. Bank, ZBR 1963, 161 (164 f.). 87 So Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 59, Rn. 6. 88 So zum Ganzen Weiß, ZBR 1994, 325 (330 f.). In diesem Sinn grundlegend und ausführlich bereits Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 22 ff. m.w. N. In

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2. Teil: Das Beamtenrecht

Anders ausgedrückt könnte man auch sagen, dass Gegenstand des Remonstrationsverfahrens und damit „dienstliche Anordnung“ i. S. d. § 56 II BBG, § 38 II BRRG nicht die Anweisung selbst, sondern ausschließlich die in Rede stehende Ausführungshandlung ist. Das Remonstrationsverfahren gemäß § 56 II BBG, § 38 II BRRG ist daher nur für den Fall anzuwenden, dass der Beamte Bedenken gegen das aufgetragene Dienstgeschäft hat.89 Wird die Anordnung durch den unmittelbaren Vorgesetzten aufrechterhalten, so hat sich der Beamte, wenn seine Bedenken gegen ihre Rechtmäßigkeit fortbestehen, an den nächsthöheren Vorgesetzten zu wenden, § 56 II 2 BBG. Bestätigt dieser die Anordnung, so folgt daraus prinzipiell die Verbindlichkeit der Weisung. Korrespondierend hierzu wird der Beamte dann von seiner eigenen Verantwortung disziplinar- und haftungsrechtlich befreit, § 56 II 3 BBG, § 38 II 2 BRRG.90 Im Gegensatz zu den Normen des Wehrrechts sieht das allgemeine Beamtenrecht nach erhobener Gegenvorstellung eine Übertragung der persönlichen Verantwortung vor.91 Die sich bei Aufrechterhaltung der Weisung ergebende Pflichtenkollision wird durch die gesetzliche Regelung in § 56 II BBG, § 38 II BRRG grundsätzlich dahingehend entschieden, dass nach erfolgloser Remonstration die Folgepflicht des Beamten den allgemeinen Rechtspflichten vorgeht.92 Die Gehorsamspflicht besteht gemäß § 56 II 3 BBG, § 38 II 2 BRRG nur dann nicht, wenn die Ausführung des Befehls „strafbar93 oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für den Beamten erkennbar ist oder das ihm aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt.“94 Ebenso wie im Wehrrecht ist „das aufgetragene Verhalten“ nicht schon

Anlehnung an Felix, a. a. O. spricht Weiß, a. a. O. von einer „Geltung der Remonstration nur gegenüber „haftungsgefährlichen“ Anordnungen“. 89 Weiß, ZBR 1994, 325 (330 f.) mit Hinweis auf Felix, a. a. O. Vgl. auch die Ausführungen im dritten Teil, drittes Kapitel, D. 2. 90 Battis, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 4. Die Verbindlichkeit einer einfach-rechtswidrigen Weisung hat zur Folge, dass das Handeln des Beamten nach erfolgloser Remonstration kein Dienstvergehen darstellt. Eine disziplinarrechtliche Verantwortung gemäß § 77 I BBG und eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Dienstherrn gemäß § 78 BBG entfällt. Simianer, ZBR 2004, 149 (152). Im Außenverhältnis begeht der Amtswalter keine Amtspflichtverletzung i. S. d. § 839 BGB, wenn er eine ihn bindende Anordnung befolgt. Hierzu BGH, NJW 1977, 713 (713); Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 87 ff.; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 58. 91 Schwenck, FS für Dreher, S. 495 (509). 92 Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 198. 93 Zum Problem der dynamischen Verweisung auf das (verwaltungsakzessorische) Strafrecht sowie die Ausdehnung des Tatbestands auf Ordnungswidrigkeiten und die Verletzung der Menschenwürde und die hiermit verbundene kritische Verantwortung des Beamten siehe Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (410 f.). 94 Vgl. Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (406).

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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dann strafbar, wenn der objektive Tatbestand einer Strafnorm gegeben ist, sondern erst dann, wenn dem Beamten kein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht.95 Die h. M. lässt über den Wortlaut der Norm hinaus die Gehorsamspflicht auch dann entfallen, wenn die Weisung des Vorgesetzten „an einem besonders schwer wiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist“.96 Die Unverbindlichkeit der Anweisung im Fall eines evidenten Rechtsverstoßes wird damit begründet, weil sich anderenfalls ein auffallend wertungswidersprüchliches Ergebnis ergäbe. Denn bei einer wortlautgetreuen Gesetzesanwendung würde beispielsweise die Gehorsamspflicht auch für den Fall bestehen bleiben, wenn hiermit ein offenkundiger Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbunden ist. Die Gehorsamspflicht bliebe überdies auch für den Fall aufrechterhalten, wenn mit der Befehlsausführung ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verbunden ist, nicht aber bei dem Befehl, eine relativ geringwertige Ordnungswidrigkeit zu begehen.97 Daher sei für den Fall, dass die Anordnung an einem besonders schweren Fehler leidet, der Beamte von der Gehorsamspflicht frei, wenn das ihm aufgetragene Verhalten offenkundig rechtswidrig ist.98 Ferner gilt auch im Beamtenrecht der allgemeine Rechtsgedanke, dass eine unmögliche Leistung nicht gefordert werden kann. In diesen Fällen muss der Beamte die Anweisung nicht ausführen.99 Führt die Befolgung der dienstlichen Anweisung dazu, dass der Beamte hierdurch eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen würde, so entfällt bei subjektiver „Erkennbarkeit“ gemäß § 56 II 3 BBG, § 38 II 2 BRRG die Gehorsamspflicht. Die Anordnung ist unverbindlich.100 Aus welchen Gesetzen sich die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit im Einzelnen ergibt, ist hierbei nicht entscheidend. In Betracht kommen sowohl für das Strafrecht als auch für das Recht der Ordnungswidrigkeiten die jeweiligen Kern- und Nebengesetze.101

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Günther, ZBR 1988, 297 (303) m.w. N.; vgl. hierzu auch die Fn. 102. Simianer, ZBR 2004, 149 (159) mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 07.11.1994 – 2 BvR 1117/94, 1118/94, 1119/94, abgedruckt in ZBR 1995, 71 (72); Leuze, DÖD 1995, 1 (7). Vgl. auch Günther, ZBR 1988, 297 (305 ff.); Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (238); Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 147 ff. Kritisch hierzu m.w. N. Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (407 f.); Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 138 ff.; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 67. 97 So Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (407 f.). 98 Simianer, ZBR 2004, 149 (159). Vgl. auch Köhler/Ratz, BDO-Kommentar, S. 229; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 18. 99 Vgl. Günther, ZBR 1988, 297 (307) mit Verweis auf die wehrrechtliche Literatur. 100 Vgl. Bank, ZBR 1963, 161 (165); Battis, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 6; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 66. 101 Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 121; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 66. 96

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2. Teil: Das Beamtenrecht

„Strafbar“ bzw. „ordnungswidrig“ ist das Handeln des Beamten i. S. d. Norm, wenn er durch die Ausführung der Weisung den objektiven Tatbestand erfüllt und nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist.102 Ist jedoch der zum Handeln aufgeforderte Beamte subjektiv nicht in der Lage, die Normübertretung zu erkennen, bleibt die Anweisung selbst dann verbindlich, wenn sie strafrechtswidrig ist.103 Maßgeblich für die Frage der Verbindlichkeit ist die Kenntnis der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Beamten.104 Dieser muss aufgrund seiner Fähigkeiten und seines Wissens unter Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit seines Handelns erkennen können.105 Damit die Verbindlichkeit der Anweisung wegen der persönlichen „Erkennbarkeit“ von der strafrechtlichen oder ordnungswidrigen Ausführung gemäß § 56 II 3 BBG, § 38 II 2 BRRG ausgeschlossen ist, erfordert dies somit zum einen eine hinreichende Kenntnis der Tatsachen. Weiteres konstitutives Merkmal für die „Erkennbarkeit“ i. S. d. § 56 II 3 BBG, § 38 II 2 BRRG ist eine entsprechend der Parallelwertung in der Laiensphäre vorgenommene hinreichend sichere Kenntnis des Normverstoßes.106 Ist die Tatsachen- und Rechtslage dem untergebenen Beamten in diesem Sinn erkennbar, ist die Anweisung unverbindlich. Der Untergebene ist dann von der Gehorsamspflicht befreit.107 § 56 II BBG, § 38 II BRRG unterscheidet damit letztlich zwischen einem einfachen und einem qualifiziert rechtswidrigen Verhalten.108 Das schlicht 102 Günther, ZBR 1988, 297 (303 f. m.w. N.); Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 59, Rn. 12. Auf das Erfülltsein des subjektiven Tatbestands kommt es hingegen nicht an. Die Grenze der Verbindlichkeit wird ausschließlich objektiv bestimmt. Durch das Merkmal der „Erkennbarkeit“ wird dies nach bestehender Gesetzeslage leider wieder relativiert. Zum Ganzen vgl. Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 121 ff. m.w. N.; Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (226 f.); Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 66. 103 Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 16. 104 Vgl. Rittstieg, ZBR 1970, 72 (77 f.); a. A. Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 165 ff., der für die Frage der Unverbindlichkeit einer Weisung entgegen der geltenden Rechtslage auf die objektive Strafrechtswidrigkeit abstellt. Vgl. auch Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 197 ff.; Thiele, JR 1975, 353 (358). 105 Vgl. Battis, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 6; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 71. 106 Vgl. Rittstieg, ZBR 1970, 72 (77 f.). 107 Rittstieg, ZBR 1970, 72 (78). 108 Simianer, ZBR 2004, 149 (152). Siehe auch Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (407 f.), der auch auf das Problem aufmerksam macht, dass im Fall der Bundesauftragsverwaltung gemäß Art. 85 III GG das betroffene Bundesland die bundesaufsichtliche Weisung nicht mit der Begründung zurückweisen kann, diese sei rechtswidrig. Der einzelne Amtswalter ist hingegen zur Nichtausführung verpflichtet. Damit übertrage das Recht dem Beamten ein Mehr an Verantwortlichkeit, als seinem Verwaltungsträger zukommt, a. a. O., 404 (410).

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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rechtswidrige Verhalten erfasst Anordnungen, die weder ein strafbares, noch ein ordnungswidriges, noch ein die Würde des Menschen verletzendes Handeln des Beamten verlangen. Im Zusammenhang mit der hierarchisch strukturierten Verwaltung und ihrer Funktionsfähigkeit muss der Beamte das Remonstrationsverfahren beschreiten, an dessen Ende die Verbindlichkeit der Anordnung – mit der Folge der Entlastung des Beamten von seiner persönlichen Verantwortung – stehen kann. Bei qualifiziert rechtswidrigem Verhalten besteht dagegen grundsätzlich ein Ausführungsverbot, bei dessen Missachtung der Beamte dann wiederum die volle Verantwortung trägt.109 In der Literatur wird an dieser Regelung vor allem kritisiert, dass es nicht sachgerecht sei, dass trotz strafbarem oder ordnungswidrigem Verhalten die Anordnung in Fällen verbindlich ist – mit der Folge der Straflosigkeit des Handelnden –, in denen für den Untergebenen bloß subjektiv die Strafbarkeit oder die Ordnungswidrigkeit nicht erkennbar ist.110 Dies erfordert eine genauere Betrachtung, so dass hierauf im Einzelnen näher einzugehen ist. Da sich die beamtenrechtlichen Normen gemäß § 56 II BBG und § 38 II BRRG weit gehend entsprechen, soll aus Vereinfachungsgründen im Folgenden ausschließlich die bundesbeamtengesetzliche Regelung gemäß § 56 BBG im Vordergrund stehen.111

B. Kritische Würdigung des § 56 II 3 BBG Die Enthaftung des Beamten für ein strafbares oder ordnungswidriges Handeln bei einem bloßen Nichterkennenkönnen dieser Umstände berechtigt in der Tat zu erheblicher Kritik.112 Die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung, dass die Gehorsamspflicht des Beamten gemäß § 56 II 3 BBG lediglich dann entfällt, wenn das ihm aufgetragene Verhalten nicht nur strafbar, sondern die Strafbarkeit auch für ihn persönlich erkennbar ist113, erscheint vor dem Hinter109

Simianer, ZBR 2004, 149 (152). Grundlegend Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (223 ff.), der auch der interessanten, hier jedoch zu vernachlässigenden Frage nachgeht, wie sich ein Dissens zwischen dem Vorgesetzten und dem untergebenen Beamten über die Rechtmäßigkeit der anbefohlenen Handlung in Zweifelsfällen auf die Gehorsamspflicht auswirkt. Kritisch zum subjektiven Merkmal der individuellen „Erkennbarkeit“ auch Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 16. 111 Wenngleich die meisten Beamten Landesbeamten sind, wird auf eine Darstellung der verschiedenen länderrechtlichen Parallelnormen aus Vereinfachungsgründen verzichtet. 112 Grundlegend so auch schon Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (223 ff.); ihm zustimmend Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 177: „Dass ältere Anordnungsregelungen bei der Beurteilung der Handlung als etwaigem Strafunrecht auf die rein subjektive Sicht des konkret betroffenen Untergebenen abstellen, ist ein gesetzgeberischer Fehler, der durch Auslegung allein schwerlich korrigierbar sein dürfte.“ 113 Vgl. Ule, Beamtenrecht, § 38, BRRG, Rn. 3. 110

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2. Teil: Das Beamtenrecht

grund der sonstigen Normen für hoheitliches Handeln systemwidrig.114 Sie ist vor allem auch nach Sinn und Zweck der Regelung nicht gerechtfertigt. Wie zu zeigen sein wird, können historische Erwägungen oder überzeugende systematische Aspekte eine derartige Ungleichbehandlung eines in der Sache gleichen Problems nicht rechtfertigen. Hier entstehen erhebliche Zweifel an der materiellen Berechtigung der Norm. Um dies zu verdeutlichen, soll der weitere Blick besonders auf die unterschiedlichen Auslegungsmethoden gewendet werden. I. Der entstehungsgeschichtliche Hintergrund als materielle Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung? Das historische Argument verfängt nicht, will man eine ungleiche Behandlung eines gleichen Problems rechtfertigen. Daher reicht der Hinweis auf die Historie der Normsetzung nicht, die unterschiedliche Regelung einer materiell vergleichbaren Handlung hätte einen entstehungshistorischen Hintergrund und wäre so inhaltlich gerechtfertigt. Richtig ist zwar, dass das BBG vom 14.07. 1953115 zeitlich früher datiert, wohingegen das Wehrstrafgesetz116 und die Vollzugsgesetze117 das Ergebnis einer späteren parlamentarischen Entscheidung sind und damit im Datum nachfolgen.118 Wie die weiteren Ausführungen zum Gesetzgebungsverfahren des UZwG zeigen werden, liegt es nahe zu behaupten, dass sich die Erkenntnis für eine sachgerechte Behandlung des Problems „Handeln auf Befehl“ zeitlich erst später eingestellt hat. Wenngleich dem so ist, so rechtfertigt dies in der Sache eine unterschiedliche Behandlung nicht, zumal die Norm des § 56 BBG in den fortwährenden Legislaturperioden hätte angepasst werden können. In einer modernen parlamentarischen Demokratie können immer nur die Normvorstellungen der Gemeinschaft im Sinne einer „Rechtfertigung des gesetzlichen Status quo“ entscheidend sein, die nach gegenwärtiger, allgemeiner Übereinkunft „Gesetz und Recht“ i. S. d. Art. 20 III GG sind. Ein historisches Argument kann daher u. U. eine Normentstehung erklären, niemals aber eine gegenwärtige, unbefriedigende Rechtslage materiell rechtfertigen. Für die unterschiedliche Haftung von Soldaten und Vollzugsbeamten gegenüber den Weisungsadressaten nach dem allgemeinen Beam114

Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (228). Bundesbeamtengesetz (BBG) vom 14.07.1953, BGBl. I 1953, 551. 116 Wehrstrafgesetz (WStG) vom 30.03.1957, BGBl. I 1957, 298. 117 Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) vom 10.03.1961, BGBl. I 1961, 165; Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (StVollzG) vom 16.03.1976, BGBl. I 1976, 581, 2088; BGBl. I 1977, 436. 118 Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (226) spricht in diesem Zusammenhang bei den Vollzugs- und wehrstrafrechtlichen Normen von einem „moderneren Modell“ gegenüber der beamtenrechtlichen Regelung. 115

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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tenrecht ist also nach einer anderen Begründung zu suchen. Möglicherweise ergeben sich Antworten für eine (Un-)Gleichbehandlung aus der Auslegung der Norm. II. Die Auslegung des § 56 II 3 BBG 1. Die Auslegung nach dem Wortlaut a) Der Wortlaut des § 56 II 3 BBG und seine „Korrektur“ Bei wörtlicher Auslegung des § 56 II 3 BBG ist eine Anweisung, deren Ausführung strafbar oder ordnungswidrig ist, nach erfolgter Remonstration nur dann unverbindlich, wenn dem Beamten die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit seiner Handlung auch persönlich erkennbar ist. Anders gewendet: Ist der Normverstoß dem Amtswalter subjektiv nicht erkennbar, bleibt die Anweisung nach wortlautgetreuer Auslegung verbindlich.119 Dass bei einer solch vorgenommenen Auslegung auffallende Wertungswidersprüche entstehen, wird von den meisten Autoren aus dem hierzu einschlägigen Schrifttum erkannt. Um ein solches Ergebnis zu verhindern und um dem § 56 II 3 BBG einen angemessenen Regelungsgehalt zuzuweisen, wird zuweilen eine immer wieder zu beobachtende „Korrektur“ des Wortlauts und der systematischen Stellung der „Erkennbarkeit“ vorgenommen. So ist im neueren Schrifttum zu lesen:120 „Die irreführende Gesetzesformulierung beruht auf der Tatsache, dass der Gesetzgeber in den §§ 38 BRRG und 56 BBG nicht nur über die Pflichtenkollision entscheiden wollte, sondern gleichzeitig eine Aussage über die Verantwortlichkeit des handelnden Beamten gemacht hat. Die Frage der ,Erkennbarkeit‘ der Strafbarkeit des aufgetragenen Verhaltens ist für die Frage der Verbindlichkeit der Weisung ohne Bedeutung; ob der Beamte erkennen konnte, dass sein Verhalten ,strafbar‘ ist, ist vielmehr ein Aspekt in der Beurteilung der persönlichen Haftung des Betroffenen.“ Risken schreibt unter der Überschrift „Interpretation gegen den Wortlaut“:121 „Zur Erzielung sachgerechter Ergebnisse bedarf es der Interpretation der Gehorsamsvorschriften des Beamten- und Tarifvertragsrechts gegen den Wortlaut. Diese Normen sind sinnvoll nur so zu verstehen, dass Weisungsgrenzen durch jede strafrechtliche Norm objektiv markiert werden. Die Unverbindlichkeit ist dann ipso iure gegeben; es bedarf nicht erfolgloser Remonstration.“

119 120 121

So auch schon Oehler, JuS 1963, 301 (303). Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 130. Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 167.

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2. Teil: Das Beamtenrecht

Oehler schreibt bereits 1963 in einem Aufsatz:122 „Die Gehorsamspflicht geht nach den [. . .] Bestimmungen objektiv zu weit und bedarf der Korrektur. Diese ist durch die Fortentwicklung der Vorschriften zu gewinnen, die hier gegen den Wortlaut vorzunehmen ist. Eine solche Auslegung ist geboten, weil andernfalls die Anwendung des Gesetzes zu einem untragbaren Ergebnis führen würde. Die Zulässigkeit dieser Art der Rechtsfindung ergibt sich aus dem Gedanken, dass alle Bestimmungen nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen sind. Dabei spielt der gedankliche Zusammenhang mit entsprechenden Vorschriften und die Abwägung der eingreifenden Rechtsgrundsätze nach ihrem Rangwert eine entscheidende Rolle.“ Diese eindeutig vorgenommene Wertung entgegen dem Wortlaut bedarf einer kritischen Überprüfung. Richtig ist an dem ersten Zitat, dass die vom Gesetzgeber in § 56 II 3 BBG gewählte Formulierung Missverständnisse hervorruft und zwei unterschiedliche Dinge – nämlich Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit – in einen gefährlich engen Zusammenhang rückt. Auch ist dem zweiten Zitat in der Feststellung zuzustimmen, dass eine erfolgte oder möglicherweise unterlassene Remonstration gemäß § 56 II BBG auf die Frage der Strafbarkeit des Beamten zunächst keine Auswirkungen hat. Diese folgt vielmehr den allgemeinen Regeln des Strafrechts und ist erst einmal losgelöst und unabhängig von einer Gegenvorstellung zu beurteilen.123 Auch ist dem dritten Zitat in der Überzeugung zuzustimmen, dass die unterschiedlich ausgestaltete Gehorsamspflicht nicht einleuchtend ist und die Haftung des Beamten vom Standpunkt des geltenden Rechts objektiv zu weit geht. Hier besteht in der Tat ein (gesetzgeberischer) Handlungsbedarf für eine Korrektur des § 56 BBG. Fraglich ist indes, ob der eingeschlagene Weg zu dem zu erreichenden Ziel gangbar ist. Große Skepsis ruft eine Interpretation der Norm wider den Wortlaut hervor.124 Die zitierten Autoren125 legen die „Erkennbarkeit“ entgegen ihrer systematischen Stellung im Gesetz aus. Sie beziehen die „Erkennbarkeit“ nicht auf die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit der auszuführenden Handlung – und damit auf das Element der Verbindlichkeit –, sondern auf die persönliche Verantwortung des Beamten. Wird die Richtigkeit einer so vorgenommenen Auslegung der Norm unterstellt, fragt es sich, was dann von dem Aussagekern der 122

Oehler, JuS 1963, 301 (303). So auch Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 130 f. 124 Vgl. Herzberg, JuS 2005, 1 (2): „[. . .] dass der Bürger die Rechtslage erkennen und sich nach ihr richten kann. Dies erscheint am ehesten gewährleistet, wenn sich die Auslegung an den „natürlichen Wortsinn“ bindet, das heißt an diejenige Bedeutung, die das Wort im allgemeinen Sprachgebrauch hat. Das ist überzeugend, und es kann danach nicht erlaubt sein, den Worten des Gesetzes hemmungslos den Sinn zu unterlegen, der für den zu beurteilenden Fall (nach Meinung des Interpreten) die sachlich beste Lösung ergibt.“ 125 Weitere Nachweise bei Günther, ZBR 1988, 297 (304, Fn. 104). 123

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Regelung übrig bleibt. Bezöge man in diesem Sinn die „Erkennbarkeit“ i. S. d. § 56 II 3 BBG auf die persönliche Verantwortung des Beamten, so hätte die Regelung keine eigenständige Aussage. Sie würde nur das zum Ausdruck bringen, was das Schuldprinzip126 als ein konstituierendes Element ohnehin fordert: Persönliche Verantwortlichkeit erfordert ein Mindestmaß an Einsicht in die Unrechtshandlung. Diese Wertung ist jedoch bereits § 17 StGB und § 20 StGB zu entnehmen.127 Fehlt gemäß § 17 S. 1 StGB „dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte“. Nach § 20 StGB handelt ohne Schuld, wenn er „bei Begehung der Tat [. . .] unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen [. . .]“. Die oben zitierte und als hypothetisch richtig unterstellte Auslegung würde also zu dem Ergebnis führen, dass § 56 II BBG den Regelungsgehalt nach dem Kernstrafrecht gemäß §§ 17 S. 1, 20 StGB lediglich wiederholt. Sie wäre letztlich eine inhaltslose Worthülse. Eine eigenständige Aussage wäre der beamtenrechtlichen Regelung in diesem Punkt somit nicht zu entnehmen. Dies räumen auch die Vertreter jener Auslegungsmethode ein.128 b) Kritik an der Wortlaut„korrektur“ Die skizzierte Auslegung entgegen dem Wortlaut erscheint daher fragwürdig. Bedenklich ist diese Auslegung zum einen, weil jede Norm mit dem Ziel auszulegen ist, den gesetzgeberischen Regelungswillen und Regelungszweck zu ermitteln. Hierbei ist nicht auf einen „Buchstabengehorsam“ abzustellen, sondern auf das vom Gesetzgeber wirklich Gewollte.129 Die Norm ist dabei grundsätzlich so auszulegen, dass sie ihre größtmögliche Wirkung entfalten kann.130

126 Hierzu statt vieler: S/S-Lenckner/Eisele, vor § 13, Rn. 103 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 396 ff. 127 Roxin, Strafrecht AT I, § 19, Rn. 1 spricht von der „Möglichkeit der Unrechtskenntnis“. Vgl. auch die weiteren Ausführungen a. a. O., § 21, Rn. 35 f. „normative Ansprechbarkeit“. 128 Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 130: „Dabei ist festzustellen, dass die Aufnahme der „Erkennbarkeit“ in die §§ 38 BRRG und 56 BBG letztlich überflüssig ist. [. . .] Ein Ergebnis, das sich auch ohne die Erwähnung der Erkennbarkeit in den §§ 38 BRRG und 56 BBG ergäbe.“ Siehe auch Günther, ZBR 1988, 297 (304); Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223, (229). 129 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 716. 130 Einschränkend gilt jedoch, dass der mögliche Wortsinn des Gesetzes die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation markiert. Hierzu BVerfGE 73, 206 (235 f.).

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2. Teil: Das Beamtenrecht

aa) Die objektiv-teleologische Auslegung Die beispielhaft erwähnten Vertreter dieser Wortlaut„korrektur“ hängen mit der von ihnen vorgenommenen Auslegung einer objektiv-teleologischen Methode an.131 Ihr Bestreben ist es, „ein rechtspolitisch unhaltbares Ergebnis“132 zu vermeiden und rechtsdogmatische Bedenken auszuräumen. Um dies zu erreichen, bedarf es ihrer Ansicht nach „zur Erzielung sachgerechter Ergebnisse“133 und einer „angemessenen Lösung“134 der Interpretation entgegen dem Wortlaut. Zur methodischen Vorgehensweise heißt es in diesem Sinn bei Larenz/Canaris:135 „Ein Wertungswiderspruch innerhalb der Rechtsordnung kann dadurch nachträglich entstehen, dass neuere Gesetze die gleiche Rechtsfrage für einen anderen räumlichen und sachlichen Bereich anders beantworten als ein früheres Gesetz. Mitunter wird dann die Auslegung des älteren Gesetzes an die neuere Gesetzgebung angepasst.“ Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies: Die „gleiche Rechtsfrage“ i. S. d. Zitats betrifft das hoheitliche Handeln auf Befehl. In diesem Sinn angepasst werden soll die beamtenrechtliche Regelung mit denen des Wehr- und Vollzugsrechts. So begrüßenswert die Normkritik ist – die Regelung des § 56 II 3 BBG führt in der Tat zu inakzeptablen Ergebnissen –, so wenig kann aber dem eingeschlagenen Weg gefolgt werden. Zu Recht weisen u. a. Risken und Felix darauf hin, dass bei einer wortlautgetreuen Auslegung der in Rede stehenden Norm die Gehorsamspflicht des Beamten weiterginge als die von Soldaten.136 Schon mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die Gehorsamspflicht des Soldaten gemäß § 11 II 1 SoldatenG entfällt, der Befehl also unverbindlich ist, „wenn dadurch eine Straftat begangen würde“. Im Unterschied zum SoldatenG führt das BBG nach dem Wortlaut für die Frage der Verbindlichkeit von Befehlen eine subjektive Komponente ein. Zutreffend stellt bereits Risken fest, dass der objektive Sachverhalt der Verbindlichkeit einer Weisung auch nur von objektiven Voraussetzungen abhängig sein kann, wenn er nicht zur Disposition des Untergebenen stehen soll. „Wenn das Gesetz Verbindlichkeit und Schuld in Beziehung setzt, wird unzulässig aus subjektiven Kriterien eine objektive Rechtsfolge gezogen.“137 131 Vertreter dieser Methode sind vor allem Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 153 ff.; kritisch hierzu Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 806 ff. 132 So Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166; ihm folgend Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 129. 133 Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 167. 134 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 153. 135 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 158. 136 Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 129 f.; Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166. Vgl. auch Bank, ZBR 1963, 161 (165).

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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bb) Kritik an einer rein objektiv-teleologischen Auslegung Diese richtige Einsicht in die wenig geglückte Norm des § 56 II BBG darf einen jedoch nicht dazu verleiten, den eindeutigen Wortlaut der Regelung und die hierin enthaltene Wertung auf den Kopf zu stellen, um das sachlich angemessene und allseits gewünschte Ergebnis auf „interpretatorischem“ Weg zu erreichen.138 Kritisch ist daher bereits der Ansatz der Wortlaut„korrektur“ zu betrachten, wenn es etwa bei Larenz/Canaris heißt, dass die entscheidenden Kriterien objektiv-teleologisch zu bestimmen sind, und hiermit gemeint ist, dass „es bei ihnen nicht darauf ankommt, dass sich der Gesetzgeber ihrer Bedeutung für die von ihm geschaffene Regelung immer bewusst gewesen ist.“139 Das Gesetz entfalte ihrer Ansicht nach eine „ihm eigene Wirksamkeit“, die über das hinausgehe, was der Gesetzgeber beabsichtigt habe. Es gewinne ein „eigenes Leben und entferne sich damit von den Vorstellungen seiner Urheber.“140 Rüthers hat die Kritik an einer rein objektiv-teleologischen Auslegungsmethode besonders treffend formuliert: „Bei der Rechtsanwendung können zwei Regelungswillen verwirklicht werden, entweder derjenige der normsetzenden Instanz (des ,Gesetzgebers‘) oder derjenige des Rechtsanwenders, insbesondere der Richter. Einen anderen (,dritten‘) Willen gibt es nicht.“141 „Die objektive Methode dient mit ihren Kriterien nicht der Auslegung eines Gesetzes, sondern der vom Rechtsanwender gewollten Gesetzesabweichung oder -korrektur. Der angebliche ,objektive Wille des Gesetzes‘ wird notfalls ,frei beweglich und entwicklungsfähig‘, wenn die gewandelten Verhältnisse das erfordern.“142 „Aus der Suche und dem Wunsch des Interpreten nach den zeitgemäßen Antworten folgt nicht, dass die Erfüllung der Erwartung gesichert wäre. Wo die Antwort im Gesetz fehlt, kann auch die objektive Methode sie nicht herbeizaubern. Das heißt, die Auslegung ist dann am Ende. Die richterliche Rechtsfortbildung, die oft zur Gesetzesumdeutung führt, erhält durch die objektive Theorie mit dem Begriff ,Auslegung‘ den An137 Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166. Vgl. auch Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (228). 138 Ähnlich Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 177. Vgl. auch Herzberg, JuS 2005, 1 (6): „Sie [lies: die „teleologischen“ Auslegungen] lenken von solider Gesetzesauslegung ab und erziehen dazu, die Verfolgung eines – absolut betrachtet – guten Zieles, meist den Schutz eines Wertes oder berechtigten Interesses, zur ratio legis zu erklären und über plausiblen Vernunft- und Sachgerechtigkeitserwägungen zu vernachlässigen, was allein entscheidet: das Gesetz und die Grenzen, die es sich selbst bei der Verfolgung des Zieles gesetzt hat. Speziell im Strafrecht schafft deshalb die teleologische Auslegung augenscheinlich die Tendenz der Strafbarkeitsausdehnung.“ 139 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 154. Kritisch hierzu Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 802. 140 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 138. 141 Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 719. 142 Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 810.

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2. Teil: Das Beamtenrecht

schein einer kognitiven, rational zwingenden Operation. Die reale richterliche Normsetzung wird durch beide Begriffe, nämlich ,objektiv‘ und ,Auslegung‘ vernebelt und mit der Aura einer scheinbar rein wissenschaftlichen Prozedur irreführend etikettiert.“143 Der lebhaft geübten Kritik Rüthers ist in aller Deutlichkeit beizupflichten.144 Daher ist auch dem Argument Oehlers nicht zuzustimmen, wenn er sagt, dass eine Korrektur des Wortlauts methodisch durch eine objektiv-teleologische Auslegung nach Maßgabe einer „Fortentwicklung“ zu gewinnen sei.145 Am Anfang einer jeden Auslegung steht die Frage nach dem Normzweck. Um diesen herauszufinden, muss der Bedeutungsgehalt des Textes herausgearbeitet werden. Der Normzweck drückt hierbei den rechtspolitischen Gestaltungswillen des Gesetzgebers aus, der dann durch den Gesetzestext allgemein verbindlich umgesetzt wird.146 Daher ist es folgerichtig, dass die Normen und Gesetze keinen eigenen „Willen“ haben, sie vielmehr den politischen Gestaltungswillen des parlamentarischen Gesetzgebers ausdrücken.147 Dieser Gestaltungswille ist es dann, der ausgelegt werden kann, „was als Wertentscheidung des Gesetzgebers in den Normtext eingegangen (,eingelegt‘ worden) ist. Ziel der Auslegung ist es, diese im Gesetz enthaltene Wertentscheidung des Normsetzers zu ermitteln.“148 „Es handelt sich danach nicht mehr um ,Auslegung‘, wenn bei der Rechtsanwendung die tatbestandlich festgelegten Wertmaßstäbe der Gesetzgebung erweitert oder verengt werden.“149 „Abweichende Interpretationsergebnisse sind nicht Produkte der Auslegung, sondern von außen in die Norm implementierte Elemente der Einlegung.“150 Diese Feststellung bedeutet zugleich aber auch, dass nicht die Vorstellungen und Intentionen des Rechtsanwenders, sondern diejenigen des Gesetzgebers ausschlaggebend sind.151 Ist es dem Rechtsanwender aufgrund des Demokratie-, 143

Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 813 f. Siehe auch Herzberg, JuS 2005, 1 (4): „Man lässt die störenden Einschränkungen beiseite, unterscheidet vom Gesetz seinen ,Grundgedanken‘ und macht diesen zum Kriterium. Aber das ist bei Lichte besehen eine dreiste Missachtung des Gesetzes. Sie kann dahin führen, dass man Fälle, die das Gesetz in seiner geltenden Fassung ausgrenzt, als vom ,Grundgedanken‘ oder von ,Sinn und Zweck der Vorschrift‘ noch erfasst betrachtet und auf sie das Gesetz anwendet – als ob es sie nicht ausgrenze, sondern einbeziehe.“ 145 Oehler, JuS 1963, 301 (303). 146 Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 717 ff. 147 Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 718; ähnlich Roxin, Strafrecht AT I, § 5, Rn. 32. 148 Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 722. 149 Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 786. 150 Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 789. 151 „Wenn also Art. 20 II GG besagt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und durch besondere Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung ausgeübt wird, 144

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Gewaltenteilungs- und Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 II, III GG verwehrt, sich zum „Ersatzgesetzgeber“ aufzuschwingen, kann der als subjektiv für richtig erachtete Regelungsgehalt einer Norm nicht im Wege einer wertenden „Auslegung“ des Rechtsanwenders zu einer zulässigen Umdeutung des Gesetzes im gewünschten Sinne führen. Die von manchen Autoren im Schrifttum vorgenommene Wortlaut„korrektur“ anhand der objektiv-teleologischen Auslegung bietet somit keine tragfähige Grundlage, um der Norm des § 56 II BBG einen sachlich angemessenen Aussagegehalt zuzuweisen. Sie legt bei genauer Betrachtung die Norm nicht aus, sondern korrigiert sie. Dies obliegt jedoch nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 20 II, III GG nicht dem Normanwender, sondern einzig dem Gesetzgeber.152 cc) Verstoß gegen das Analogieverbot Äußerst bedenklich ist diese Gesetzes„korrektur“ darüber hinaus vor dem hier interessierenden Hintergrund, dass es sich mit der Vorschrift des § 56 II 3 BBG auch um eine strafrechtliche Bestimmung handelt. Die Garantiefunktion des Strafgesetzes gemäß Art. 103 II GG, § 1 StGB, Art. 7 I EMRK lehrt, dass eine Auslegung im Strafrecht behutsam vorzunehmen ist. Eine zulasten des Täters wirkende Analogie ist unzulässig.153 Wenngleich die Abgrenzung zwischen gebotener Auslegung und verbotener Analogie auch im Strafrecht im Einzelfall schwierig sein kann, so verlässt eine Wortlaut„korrektur“ im Sinne einer Umdeutung den vom Rechtssatz abgesteckten Rahmen des § 56 II 3 BBG zuungunsten des Beamten.154 Dadurch, dass sich die „Erkennbarkeit“ i. S. d. § 56 II 3 BBG trotz eines klaren Gesetzeswortlauts nach Ansicht mancher Autoren nicht auf die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit beziehen soll, sondern eine (bereits im StGB geregelte) Frage der persönlichen Verantwortung betreffe, wird die Verbindlichkeit des Befehls als ein konstitutives Gehorsamselement neu bestimmt. Eine so vorgenommene „Interpretation“ verkürzt die Verbindlichkeitsgründe erheblich. Die vom Gesetz dann ergibt sich daraus die Legitimation für den demokratisch gewählten Gesetzgeber. Da es darum geht, Gesetze dieses Gesetzgebers zu befolgen, müsste es eigentlich selbstverständlich sein, dass es darauf ankommt, welche Bedeutung dieser Gesetzgeber mit dem Gesetzestext verbindet.“ Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 33 f. 152 Statt vieler: Sommermann in von Mangoldt/Klein, GG-Kommentar, Band II, Art. 20 GG, Rn. 142 ff., 197 ff., 285 f. 153 Vgl. BVerfGE 73, 206 (235 f.): „Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidungen [lies: des Gesetzgebers] zu korrigieren. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende ,Interpretation‘ zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so darf dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen. Die Gerichte müssen daher in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr erfasst sind, zum Freispruch gelangen.“ BVerfGE 73, 206 (236). 154 Zu der im Einzelfall schwierigen Abgrenzung zwischen Analogie und Auslegung vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 56.

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2. Teil: Das Beamtenrecht

klar angeordnete persönliche „Erkennbarkeit“ des Normverstoßes wird bereits durch das objektive Vorliegen der Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit ersetzt. Verkürzt man jedoch die Verbindlichkeitsgründe für den Beamten in der beschriebenen Weise, so geht damit eine Erweiterung der strafrechtlichen Verantwortung einher.155 Folgte man einer so vorgenommenen Lesart des Gesetzestextes, hätte dies zur Folge, dass die Anweisung des Vorgesetzten an den Untergebenen u. U. weitaus schneller als de lege lata unverbindlich ist. Dies wiederum bewirkt, dass der Rechtfertigungsgrund „Verbindlichkeit des Befehls“ contra legem erheblich eingeschränkt wird.156 Die oben skizzierte Gesetzesinterpretation entgegen dem Wortlaut verlässt somit den vom Rechtssatz des § 56 II 3 BBG geregelten Fall zulasten des Beamten. Durch einen Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip verletzt eine solche Vorgehensweise die Garantiefunktionen des Strafgesetzes gemäß Art. 103 II GG, § 1 StGB, Art. 7 I EMRK.157 Es handelt sich folglich um eine strafverschärfende, verbotene Analogie.158 In die gleiche Richtung ergibt sich das Problem der verbotenen Analogie, wenn es sich nicht um eine unzulässige Umdeutung des Gesetzwortlautes, sondern um das Hinzutreten weiterer Unverbindlichkeitsgründe handelt. Nach materiellen Kriterien ist es zwar grundsätzlich richtig, wenn die h. M. die Verbindlichkeit einer Anweisung im Fall eines offensichtlich schweren Rechtsverstoßes verneint.159 Für den hier interessierenden Fall, dass ein offensichtlich schwerer Rechtsverstoß zugleich ein Strafgesetz verletzt, muss dies zutreffenderweise wegen der besonderen Unrechtsqualität die Unverbindlichkeit des Befehls nach 155 Zur Tendenz der Strafbarkeitsausdehnung aufgrund Auslegung vgl. Herzberg, JuS 2005, 1 (6). 156 Vgl. auch die Ausführungen bei Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (230): „[. . .] auch die befürwortete „Rechtfertigungslösung“ nicht als Korrektiv dienen kann, mit dem es nach Art eines Filters möglich wäre, den Fremdkörper der subjektiven (Nicht-)Erkennbarkeit auszuscheiden. Das Strafrecht kann sich seine in anderen Teilen der Rechtsordnung vorgegebenen Rechtfertigungsgründe nicht aussuchen, und es kann sie sich auch nicht nach seinen Bedürfnissen zurechtschneiden. Rechtfertigungsgrund ist hier die zum öffentlichen Dienstrecht gehörende ,verbindliche Weisung‘, und zwar so, wie sie dort geregelt ist, d.h. einschließlich ihrer Voraussetzungen. Hängt deshalb die Verbindlichkeit einer auf ein strafrechtswidriges Verhalten gerichteten Anordnung nach den einschlägigen Gesetzen vom subjektiven Nichterkennenkönnen der Strafbarkeit ab, so muss das Strafrecht dies gleichfalls als ein Faktum hinnehmen.“ 157 Vgl. BVerfGE 14, 174 (185); BVerfGE 71, 108 (114 ff.); BVerfGE 73, 206 (234 ff.); BVerfGE 82, 236 (269). Vgl. auch Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GGKommentar, Art. 103 GG, Rn. 224 ff. 158 Statt vieler: Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 103 GG, Rn. 231: „Das Verbot strafbegründender und strafverschärfender Analogie erfasst das gesamte materielle Strafrecht [. . .]. [. . .] ist es unzulässig, den strafrechtlichen Rechtfertigungsgründen einen über den Wortlaut hinausgehenden einschränkenden Sinn zu geben und damit die Strafbarkeit auszuweiten.“ 159 Hierzu Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 55, Rn. 18 m.w. N. und § 56, Rn. 12; siehe auch Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (238 m.w. N.).

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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sich ziehen.160 Auf der anderen Seite sind aber auch hier das Gesetzlichkeitsprinzip und das Analogieverbot zu beachten. Von den Vertretern der h. M. wird diesbezüglich leider nicht hinreichend berücksichtigt, dass bedauerlicherweise nach geltender Gesetzeslage erst die „Erkennbarkeit“ den gesetzlichen Ausnahmegrund gemäß § 56 II 3 BBG eingreifen lässt. Dieser Tatsache wird im dritten Teil ausreichend Rechnung zu tragen sein. Als Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass eine Interpretation entgegen dem Wortlaut unzulässig ist.161 Die sich im Vergleich zu den Wehr- und Vollzugsnormen ergebenden Wertungswidersprüche müssen auf einem anderen Weg bereinigt werden. Die Wortlautauslegung hilft hier nicht weiter, will man die auftretenden Friktionen und Wertungsdivergenzen im Wehrund Vollzugsbereich gegenüber dem allgemeinen Beamtenrecht vermeiden. Die nun vorzunehmende historische Auslegung der Norm bestätigt dieses Ergebnis. 2. Die historische Auslegung Bei der historischen Auslegung des § 56 BBG ist der Blick insbesondere auf die Gesetzgebungsmaterialien zum Beamten- und Vollzugsrecht zu richten, um den Regelungswillen und den Normzweck zu verstehen. Bei der Fassung des § 56 BBG war es das Bestreben des parlamentarischen Gesetzgebers, eine vermittelnde Lösung für „die im demokratischen Staat besonders wichtigen Fragen der Verantwortlichkeit des Beamten für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen und des Einflusses von Dienstbefehlen auf diese Verantwortlichkeit“ zu suchen.162 Ziel der gesetzlichen Regelung war es demnach, die widerstreitenden Interessen der persönlichen Verantwortung und des hierarchischen Prinzips zu einem gerechten Ausgleich zu bringen.163 Die Umsetzung von diesem Normzweck sah man vor dem Erfordernis eines geregelten Dienstbetriebes am besten dadurch gewährleistet, dass der Beamte grundsätzlich die volle persönliche Verantwortung für seine Handlungen trägt und er davon nur dann befreit ist, wenn aufgrund von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Handlung das Remonstrationsverfahren erfolglos durchgeführt wurde. Dieses Regel-Ausnahme-Prinzip sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers lediglich dann durchbrochen werden, wenn die Anordnung des Vorgesetzten ein erkennbar strafbares Verhalten fordert. Für solche 160

Vgl. Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (228 m.w. N.). „Keinesfalls ist der Strafrichter aufgerufen, Fehlleistungen des Gesetzgebers bei der Abfassung des Gesetzeswortlauts zu korrigieren. Auch für mangelhafte Gesetze, in denen der Wille des Gesetzgebers nachweislich nicht richtig zum Ausdruck kommt, ist der mögliche Wortsinn eine unüberschreitbare Auslegungsschranke.“ Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 103 GG, Rn. 228. 162 Vgl. Begründung zum BBG, BT-Drucksache 1/2846, S. 42 f. 163 Vgl. Begründung zum BBG, BT-Drucksache 1/2846, S. 42 f. 161

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2. Teil: Das Beamtenrecht

Fälle sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers die persönliche Verantwortung des Beamten bestehen bleiben.164 Für die Frage, ob sich die „Erkennbarkeit“ i. S. d. § 56 II 3 BBG möglicherweise entgegen dem Wortlaut auf die persönliche Verantwortung – und nicht auf die Gehorsamspflicht – bezieht, ist die historische Auslegung mithilfe der hierzu recht kurzen Gesetzesbegründung des BBG nicht besonders ergiebig. Entsprechend dem Gesetzestext wird auch in der Begründung nicht ausreichend zwischen Verbindlichkeit und persönlicher Verantwortung differenziert. Die besseren Gründe sprechen jedoch bereits an dieser Stelle dafür, dass sich die „Erkennbarkeit“ zunächst auf die Verbindlichkeit der Anordnung bezieht. So heißt es in der Begründung zum BBG:165 „[. . .] dass er aber – ausgenommen Fälle erkennbar strafbaren Verhaltens – von der Verantwortung befreit ist und die Anordnung ausführen muss, wenn der nächsthöhere Vorgesetzte sie bestätigt.“ Schon nach alter Fassung war der Beamte für auf Befehl begangene Handlungen nur dann nicht verantwortlich, wenn die Anweisung verbindlich ist. Daher liegt der Schluss nahe, dass sich die „Erkennbarkeit“ nach der Gesetzesbegründung auf die Verbindlichkeit bezieht. Etwas aufschlussreicher sind die Gesetzgebungsmaterialien zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, der im Zusammenhang mit dem Zweiten Strafrechtsreformgesetz zu sehen ist. Dort heißt es zur Anpassung des inhaltlich mit dem BBG übereinstimmenden § 38 BRRG:166 „In § 38 II BRRG entscheidet der Entwurf die Zweifelsfrage, ob ein Beamter auch die Ausführung einer Anordnung verweigern kann, wenn das ihm aufgetragene Verhalten eine Ordnungswidrigkeit darstellen würde, und ob er die persönliche Verantwortung für seine Handlung trägt, wenn die Ordnungswidrigkeit für ihn erkennbar ist, im bejahenden Sinne.“ Da nun nicht davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber mit dieser Begründung das bereits angesprochene und in §§ 11 II, 12 II OWiG zugrunde gelegte Schuldprinzip lediglich wiederholen wollte, ist die „Erkennbarkeit“ auf den Normverstoß und damit auf das Element der Verbindlichkeit zu beziehen. Diese klare Aussage wird jedoch wieder erschüttert, wenn es in der Gesetzesbegründung zum EGStGB weiter heißt:167 „Die vorgeschlagene Regelung stimmt auch mit dem Grundgedanken des § 38 BRRG überein, der besagen will, dass eine bestimmte Anordnung dann nicht rechtsverbindlich sein könne, wenn ihre Befolgung ganz offensichtlich der 164 165 166 167

Vgl. Begründung Vgl. Begründung Begründung zum Begründung zum

zum BBG, BT-Drucksache 1/2846, zum BBG, BT-Drucksache 1/2846, EGStGB, BT-Drucksache 7/550, S. EGStGB, BT-Drucksache 7/550, S.

S. 43. S. 43. 363. 364.

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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durch staatliche Unrechtsfolgen geschützten Rechtsordnung zuwiderlaufen würde. Das ist bei einem strafbaren Verhalten – im früheren, umfassenden Sinne – eindeutig und ebenso auch bei einem ordnungswidrigen Verhalten der Fall, weil hier ein ganz bestimmtes, tatbestandlich festgelegtes Verhalten nicht nur untersagt, sondern auch mit einer staatlichen Unrechtsfolge bedroht ist.“ Dass es zwischen subjektiver „Erkennbarkeit“ und „Offensichtlichkeit“ zum Teil erhebliche Unterschiede geben kann, wird im Einzelnen noch zu belegen sein.168 Mag es dem Normsetzer ein berechtigtes Anliegen gewesen sein, auch Fälle der offensichtlichen Normübertretung zu erfassen, so findet sich im Gesetzeswortlaut selbst hierfür jedoch kein hinreichender Anhaltspunkt.169 Für die Frage, ob sich die „Erkennbarkeit“ gemäß § 56 II 3 BBG auf die Verbindlichkeit des Befehls oder auf die persönliche Verantwortlichkeit bezieht, geben diese Materialien nicht abschließend Auskunft. Aufschlussreich ist hingegen ein Blick auf die Vorgängerregelung des § 56 BBG. In § 7 II 2 DBG hieß es zur Gehorsamspflicht des Beamten: „Der Beamte darf eine Anordnung nicht befolgen, deren Ausführung für ihn erkennbar den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde.“ Die persönliche „Erkennbarkeit“ wurde in der Literatur hierbei als ein negatives Tatbestandsmerkmal der Gehorsamspflicht verstanden.170 Günther171 stellt richtigerweise fest, dass dieser Umstand zur Zeit der Schaffung des BBG dem Gesetzgeber auch bekannt war. Der Grund liegt darin, dass der Gesetzgeber in dem zeitlich nachfolgenden Entwurf zum UZwG zunächst von einer ähnlichen Regelung ausging.172 In § 4 I UZwG heißt es im Entwurf zunächst in einer dem § 7 II 2 DBG vergleichbaren Weise: „Vollzugsbeamte sind verpflichtet, unmittelbaren Zwang, der im Vollzugsdienst von ihrem Vorgesetzten angeordnet wird, anzuwenden, wenn sie nicht zweifelsfrei erkennen, dass durch die Anwendung ein Verbrechen oder Vergehen begangen werden würde.“ In der Begründung zum Entwurf des § 4 UZwG ist hierzu noch unter Berufung auf die Kommentarliteratur zum DBG anfänglich zu lesen:173 „[. . .] der Vollzugsbeamte hat die Anordnung immer [. . .] durchzuführen, es sei denn, dass er zweifelsfrei erkennt, dass ein Verbrechen oder Vergehen be168

Vgl. hierzu die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel, B. II. 4. b) bb)

(2). 169

Ausführlich Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 139 ff. Günther, ZBR 1988, 297 (304) mit Hinweis auf die zum DBG geschriebene Kommentarliteratur. 171 Günther, ZBR 1988, 297 (304). 172 Günther, ZBR 1988, 297 (304); hierzu auch Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (229). 173 Begründung zum UZwG, BT-Drucksache 3/38, S. 8. 170

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2. Teil: Das Beamtenrecht

gangen würde.“ „[. . .] hat der Vollzugsbeamte [. . .] den Befehl zu befolgen, auch wenn bei richtiger Würdigung des Tatbestands objektiv ein Verstoß gegen ein Strafgesetz gegeben ist.“ Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens stellte sich die Erkenntnis ein, dass die in Anlehnung an das DBG geregelte Gehorsamspflicht nicht sachgerecht gelöst wurde. Nach der Änderung der Norm im Zuge der Beratungen entfiel die subjektive „Erkennbarkeit“ als ein Element der Verbindlichkeit zugunsten eines objektiven Maßstabes. Der Gesetzgeber des UZwG entschied sich fortan für eine objektive Auslegung der Gehorsamspflicht und befreite die Verbindlichkeit somit von subjektiven Elementen.174 Für die Frage der persönlichen Verantwortung des Amtswalters wurden die Kriterien der „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ der Strafrechtswidrigkeit eingeführt. Diese wesentliche Modifikation wurde vor allem damit begründet, dass die ursprüngliche Fassung zu eng erschien und durch Einfügung eines objektiven Maßstabs ergänzt werden sollte. Damit wollte man zum einen etwaigen Beweisschwierigkeiten in einem Strafverfahren entgegenwirken, zum anderen die Gehorsamspflicht und die persönliche Verantwortlichkeit systemgerecht normieren.175 Die Tatsache also, dass die Gehorsamspflicht in dem zeitlich früher erlassenen § 56 II 3 BBG an die subjektive „Erkennbarkeit“ des Beamten geknüpft wurde, beruhte demnach nicht auf einem Redaktionsversehen oder einer sprachlichen Ungenauigkeit des Normsetzers.176 Sie entsprach vielmehr der überkommenen Rechtsvorstellung der damaligen Zeit.177 Als Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten, dass die historische Auslegung im Zusammenhang mit den Gesetzesmaterialien zum UZwG für die vom Gesetzgeber gewollte, wörtliche Norminterpretation spricht. Daraus folgt weiter, dass weder die Auslegung nach dem Wortlaut noch eine historische Interpretation der Norm die zutage tretenden Friktionen hoheitlichen Handelns befriedigend zu erklären vermögen. 3. Systematische Aspekte Systematisch verwandt mit den Vorschriften des BBG sind die Regelungen für die Vollzugsbeamten. Auch sie betreffen die Ausführung hoheitlicher Akte auf Befehl. Mit den § 7 UZwG und § 97 StVollzG beschreiten sie einen Mittelweg über den Umfang und die Grenzen der Gehorsamspflicht. Sie tragen somit vor allem dem Vollzugscharakter der Maßnahmen Rechnung.178 174

Vgl. Begründung zum UZwG, BT-Drucksache 3/38, S. 16. Vgl. Begründung zum UZwG, BT-Drucksache 3/38, S. 16. 176 Dieser Ansicht scheinen für das letztere Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 198 und ihm zeitlich folgend Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 130 anzuhängen. 177 So auch bereits Günther, ZBR 1988, 297 (304). 175

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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a) Die Regelung in § 7 UZwG aa) Umfang und Grenzen der Gehorsamspflicht nach dem UZwG Für die Vollzugsbeamten des Bundes werden der Umfang und die Grenzen der Gehorsamspflicht durch die Norm des § 7 UZwG179 bestimmt.180 Gegenüber der im allgemeinen Beamtenrecht geregelten Gehorsamspflicht gemäß § 55 S. 2 BBG ist sie lex specialis.181 Handelt es sich nicht um unmittelbaren Zwang, sondern um eine andere Vollstreckung, ist die Vorschrift des § 7 UZwG nicht anwendbar.182 Nach § 7 I 1 UZwG ist ein Befehl eines Vorgesetzten i. S. d. § 3 II 2 BBG oder einer sonst zur Anordnung befugten Person183 an einen unterstellten Vollzugsbeamten verbindlich und löst damit grundsätzlich eine Gehorsamspflicht des Vollzugsbeamten aus. Gemäß § 7 I 2 UZwG gilt dies nur dann nicht, wenn die Befehlserteilung oder die Befehlsausführung die Menschenwürde des Beamten oder die Würde Dritter verletzt. Darüber hinaus entfällt die Pflicht zur Anwendung unmittelbaren Zwangs, wenn die Weisung nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt wurde. Die Anordnung ist in diesen Fällen gemäß § 7 I 2 UZwG unverbindlich und braucht nicht befolgt zu werden.184 Richtigerweise wird man die Unverbindlichkeit eines Befehls für den ganzen Vollzugsbereich auch dann annehmen müssen, wenn durch die Anordnung die herbeigeführte Gefahr für Leib oder Leben des Vollzugsbeamten in einem krassen Missverhältnis zu dem dienstlichen Zweck der Anordnung steht.185 Eine Anordnung darf darüber hinaus gemäß § 7 II 1 UZwG nicht befolgt werden – 178 Vgl. Günther, ZBR 1988, 297 (304); Begründung zum UZwG, BT-Drucksache 3/38, S. 7 f. 179 Vgl. auch § 37 MEPolG. 180 Eingehend Heesen/Hönle, BGSG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 1; Wacke, JZ 1962, 137 (137 ff.). 181 Heesen/Hönle, BGSG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 1; Wacke, JZ 1962, 137 (144). 182 Heesen/Hönle, BGSG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 1. 183 Auch zur Anordnung unmittelbaren Zwangs ist beispielsweise der zuständige Staatsanwalt befugt, der eine Weisung an die Polizeibehörde gemäß § 161 I StPO richten kann. Überdies ist er gemäß § 152 GVG ermächtigt, die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft auch persönlich anzuweisen. Beachte hierzu die „Allgemeine Verfügung über die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Polizeibeamte auf Anordnung der Staatsanwaltschaft“ vom 15.12.1973, Bundesanzeiger vom 22.12.1973, S. 1. Zum Ganzen vgl. Blümel/Drewes/Malmberg/Walter, BPolG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 2 f.; Heesen/Hönle, BGSG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 8 ff. 184 Heesen/Hönle, BGSG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 11 ff. Siehe hierzu auch die Kommentierung bei Blümel/Drewes/Malmberg/Walter, BPolG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 4 ff. 185 So Blümel/Drewes/Malmberg/Walter, BPolG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 7, die die Rechtsprechung des BDH zu § 11 SoldatenG vom 08.03.1958, NJW 1958, 1463 (1463 f.) auch auf Vollzugsbeamte übertragen möchten.

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2. Teil: Das Beamtenrecht

und ist damit selbstverständlich unverbindlich –, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Anders als im allgemeinen Beamtenrecht, aber ebenso wie im Wehrrecht, reicht demnach eine Ordnungswidrigkeit nicht aus, um die Gehorsamspflicht entfallen zu lassen.186 Auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vollzugsbeamten ist wie die des Soldaten ausgestaltet: Der Beamte ist gemäß § 7 II 2 UZwG bei Ausführung einer auf Befehl begangenen rechtswidrigen Tat strafrechtlich nur dann verantwortlich, „wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass durch die Befehlsausführung eine Straftat begangen wird.“187 bb) Das gestraffte Remonstrationsverfahren nach dem UZwG Auch für Vollzugsbeamte des Bundes ist die Remonstration eng mit der persönlichen Verantwortung des Beamten verknüpft. Eine Besonderheit gegenüber dem allgemeinen Beamtenrecht besteht insoweit, als nach § 7 III, IV UZwG ein verkürztes Remonstrationsverfahren stattfindet. Ein solches schnelleres Verfahren soll in erster Linie dem Vollzugscharakter der Maßnahmen Rechnung tragen und ein schnelles Handeln des Beamten vor Ort gewährleisten.188 § 7 IV UZwG bestimmt daher, dass das Remonstrationsverfahren nach dem allgemeinen Beamtenrecht gemäß § 56 II und III BBG nicht zur Anwendung gelangt. Der Vollzugsbeamte hat vielmehr gemäß § 7 III UZwG seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Weisung dem Anordnenden gegenüber vorzubringen, soweit dies freilich nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Hält der Anordnende die Weisung aufrecht, ist diese grundsätzlich verbindlich und somit auszuführen. Der Vollzugsbeamte ist entlastet. Dies gilt wiederum nur dann nicht, wenn einer der beschriebenen Unverbindlichkeitsgründe vorliegt.189 b) Die Regelung in § 97 StVollzG § 97 StVollzG, der das Handeln auf dienstliche Anordnung für Vollzugsbedienstete regelt, gleicht in seiner gesetzlichen Ausgestaltung der Vorschrift über den unmittelbaren Zwang.190 Daher soll an dieser Stelle lediglich auf das Wesentliche eingegangen werden.

186 Vgl. Heesen/Hönle, BGSG-Kommentar, § 7 UZwG, Rn. 14; Heise/Riegel, MEPolG, Anm. zu § 37. 187 Vgl. hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, C. II. 3. b) aa). 188 Vgl. Heise/Riegel, MEPolG, Begr. zu § 37 zu der inhaltlich vergleichbaren Regelung nach dem MEPolG. 189 Zum Ganzen siehe Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 59, Rn. 9a ff.; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 79; vgl. auch Begründung zum UZwG, BT-Drucksache 3/ 38, S. 7 f., 16. 190 Vgl. auch Begründung zum StVollzG, BT-Drucksache 7/918, S. 80.

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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aa) Umfang und Grenzen der Gehorsamspflicht nach dem StVollzG Gemäß § 97 I StVollzG sind Vollzugsbedienstete verpflichtet, den von ihren weisungsberechtigten Stellen angeordneten unmittelbaren Zwang anzuwenden. Der Grundsatz lautet also auch hier, dass eine Gehorsamspflicht des Vollzugsbediensteten insbesondere gegenüber seinen Vorgesetzten besteht. Gleich dem § 7 I 2 UZwG wird dieser Grundsatz durchbrochen, das heißt, der Befehl ist unverbindlich, wenn die Anordnung oder die Ausführung der Weisung die Menschenwürde verletzt oder nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist. Eine Verletzung der Menschenwürde liegt etwa dann vor, wenn der Gefangene gefoltert, gedemütigt, bloßgestellt, erniedrigt, grausam behandelt oder in einer Art und Weise behandelt wird, die seine Intimsphäre verletzt oder seinen Willen brechen soll, wobei nicht die subjektive Sicht des Betroffenen, sondern das Ziel der Maßnahme entscheidend ist.191 Die Anordnung darf gemäß § 97 II 1 StVollzG nicht befolgt werden – und ist damit selbstverständlich ebenso unverbindlich –, wenn dadurch eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Straftat begangen würde. Wie in der inhaltlich gleichen Vorschrift des § 7 II 1 UZwG und ebenso wie im Wehrrecht reicht die Begehung einer Ordnungswidrigkeit nicht aus, um den Befehl unverbindlich werden zu lassen. Befolgt der Vollzugsbedienstete die Anordnung trotzdem, trifft ihn gemäß § 97 II 2 StVollzG nur dann eine Schuld, „wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch eine Straftat begangen wird“. Da das StVollzG insoweit mit den Normen aus dem Wehrrecht und dem § 7 I, II UZwG übereinstimmt, kann auf die Ausführungen dort verwiesen werden.192 bb) Das gestraffte Remonstrationsverfahren nach dem StVollzG Soweit dies nach den Umständen möglich ist, hat der Vollzugsbedienstete gemäß § 97 III 1 StVollzG Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung gegenüber dem Anordnenden vorzubringen. Ebenso wie nach dem UZwG handelt es sich für die Vollzugsbediensteten um ein gestrafftes Remonstrationsverfahren, das die Regeln über die Gegenvorstellung nach dem allgemeinen Beamtenrecht für nicht anwendbar erklärt, § 97 III 2 StVollzG. Somit ist gewährleistet, dass Entscheidungen zügig getroffen und rasch durchgeführt werden können.

191 192

So Brühl in Feest-StVollzG-Kommentar, § 97, Rn. 1. Siehe hierzu die Darstellung im ersten Teil, drittes Kapitel, C. II. 3. b) aa).

230

2. Teil: Das Beamtenrecht

c) Systematischer Vergleich der Vollzugsregeln mit der des allgemeinen Beamtenrechts nach § 56 II 3 BBG Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Vorschriften aus dem Vollzugsbereich im Hinblick auf das Element der Verbindlichkeit der Anweisung ausschließlich auf objektive Kriterien abstellen, § 7 I 2, II 1 UZwG, § 97 I, II 1 StVollzG. Für die Frage der persönlichen Verantwortung ist hingegen gemäß § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG die „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ der Strafrechtswidrigkeit das entscheidende Merkmal. Eine entsprechende Wertung lässt sich ferner dem MEPolG entnehmen, vgl. § 37 I 2, II 1 MEPolG und § 37 II 2 MEPolG. Auch ist die Begehung einer Ordnungswidrigkeit aufgrund einer verbindlichen Anweisung des Vorgesetzten nicht pönalisiert. Damit gleichen die Vollzugsvorschriften inhaltlich den wehrrechtlichen Normen gemäß § 11 I 3 1. HS, II 1, 2 SoldatenG, § 5 I WStG, § 22 I 1 WStG. In systematischer Hinsicht betreffen sowohl die beamtenrechtlichen Normen als auch die Regelungen über Soldaten und Vollzugsbeamte in einem engeren bzw. weiteren Sinn hoheitliches Handeln auf Befehl. Vergleicht man diese Vorschriften miteinander und beleuchtet diese unter systematischen Gesichtspunkten, so leuchtet eine privilegierte Vorrangstellung des allgemeinen Amtswalters nicht ein. Ihn trifft gemäß § 56 II 3 BBG eine gegenüber Soldaten und Vollzugbeamte geringere Verantwortungsdichte. Nicht nachvollziehbar ist jedenfalls das Argument, „dass der Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt den Bürger viel empfindlicher treffe, als wenn ein Beamter anderweitig dienstlich handelt.“193 Richtig ist zwar, dass die Ausübung staatlichen Zwangs den Bürger in seinen Rechtsgütern und Interessen erheblich zu beeinträchtigen vermag. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass der Amtswalter nach dem allgemeinen Beamtenrecht gegenüber Soldaten und Vollzugsbeamten strafrechtlich zu bevorzugen sei.194 Die Systematik für hoheitliches Handeln auf Befehl spräche vielmehr für eine einheitliche Behandlung derartiger Probleme. Einzig die Regelung des § 56 II 3 BBG schließt von subjektiven Kriterien auf objektive Voraussetzungen.195 Soll jedoch die Frage der Verbindlichkeit von Befehlen nicht zur Disposition des Beamten stehen, kann diese nur von objektiven Voraussetzungen abhängig sein. Das subjektive Element der „Erkennbarkeit“ i. S. d. § 56 II 3 BBG ist daher in 193

So jedoch Oehler, JuS 1963, 301 (303). Daher spricht sich Oehler, JuS 1963, 301 (303) für eine „Korrektur“ aus. Dass der methodisch fragwürdige Ansatz einer „Fortentwicklung der Vorschriften gegen den Wortlaut“ nicht gangbar ist, wurde bereits beleuchtet. Vgl. hierzu die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel, B. II. 1. b). 195 Vgl. Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 129; Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166. 194

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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rechtsdogmatischer Hinsicht bedenklich.196 Überdies ist eine solche Regelung in einem modernen Verfassungsstaat auch rechtspolitisch verfehlt. Indem die subjektive „Erkennbarkeit“ gemäß § 56 II 3 BBG über das „Ausführen-Müssen“ des Befehls entscheidet, ist das Merkmal der Verbindlichkeit dem Amtswalter gewissermaßen anheim gestellt. Hier zeigen sich im Hinblick auf die damit verbundene Frage der strafrechtlichen Haftung noch deutlich obrigkeitsstaatliche Elemente.197 Vergleicht man die beamtenrechtliche Regelung mit den sonstigen Haftungsnormen für ein Handeln auf Befehl, harmoniert diese im Sinne eines Gesamtkonzeptes „Handeln auf Befehl“ nicht.198 Die beamtenrechtliche Regelung in § 56 II 3 BBG weicht als einzige Vorschrift von den sonst gelungenen Regelungen für ein hoheitliches Handeln auf Befehl ab. Sie bleibt damit hinter den zeitgemäßen Vorschriften des Wehr- und Vollzugsrechts zurück. In systematischer Hinsicht ist sie heute eine überkommene und isolierte Erscheinung. Die angestellte Betrachtung führt zu dem Schluss, dass die Vorrangstellung des Beamten nicht gerechtfertigt ist. Die beamtenrechtliche Privilegierung gemäß § 56 II 3 BBG ist weder durch die Stellung des Beamten innerhalb der allgemeinen Beamtenvorschriften nach dem BBG noch im Kontext mit den spezialgesetzlichen Sondervorschriften für Vollzugsbeamte gemäß dem UZwG und StVollzG zu rechtfertigen. Am klarsten tritt dieser Widerspruch bei einem Vergleich mit den Normen des Wehrrechts hervor. Das werden insbesondere auch die nachfolgenden Gesichtspunkte nach Sinn und Zweck der unterschiedlichen Regelungen aufzeigen. 4. Teleologische Aspekte Unter teleologischen Gesichtspunkten wirft eine Gegenüberstellung der Vollzugs- und wehrrechtlichen Vorschriften mit der Norm des § 56 II 3 BBG zwei Fragen auf. Beide sind im Kontext innerhalb des BBG, aber auch im Zusammenhang mit der Gesamtrechtsordnung für hoheitliches Handeln interessant. Zunächst ist die Differenzierung im Wehr- und Vollzugsrecht auf der einen Seite und dem allgemeinen Beamtenrecht auf der anderen für den Bereich der Ordnungswidrigkeiten zu beleuchten. Sodann ist der Frage nachzugehen, ob sich die unterschiedlich geregelte Verbindlichkeit hoheitlicher Weisungen und die damit verbundene Frage der Verantwortlichkeit des Befehlsempfängers aus teleologischen Gründen materiell rechtfertigen lässt.

196 Hierzu und zum Folgenden Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (227 ff.); S/ S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89; vgl. auch Vitt, NZWehrr 1994, 45 (52). 197 Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (229). 198 In diese Richtung bereits Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (226 ff.).

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2. Teil: Das Beamtenrecht

a) Das Entfallen der Weisungsgebundenheit des Beamten bei einem ordnungswidrigen Befehl Bereits die Ausführungen zum Wehrrecht haben gezeigt, dass das Telos für eine Gehorsamspflicht zur Ausführung auch ordnungswidriger Befehle darin zu sehen ist, die Folgepflicht im Bereich exekutiv-hoheitlichen Handelns gegenüber der Normübertretung im Geringfügigkeitsbereich höher zu bewerten. Dem Gesetzgeber war die hier auftretende Kollision bewusst. Daher ist von einer klaren Entscheidung des Normsetzers im Wehr- und Vollzugsbereich zugunsten der Gehorsamspflicht auszugehen.199 Wie die Ausführungen zum allgemeinen Beamtenrecht zeigen, hat sich der Gesetzgeber von 1953 mit der Regelung des § 56 II 3 BBG anders entschieden. Ist der Befehl ordnungswidrig, entfällt im Fall der „Erkennbarkeit“ das Element der Verbindlichkeit. Die Weisungsgebundenheit des Befehlsadressaten ist aufgehoben. Führt man sich den Unterschied des materiell zu regelnden Sachverhalts vor Augen, erscheint diese Differenzierung durchaus berechtigt. Für den „herkömmlichen“ (Verwaltungs-)Beamten200 ist sachlich kein Grund ersichtlich, ihn zur Begehung von Normübertretungen zu verpflichten. Dies gilt auch, wenn es sich lediglich um geringe Rechtsverstöße handelt. Der Beamte ist als Teil der vollziehenden Gewalt ausnahmslos an Gesetz und Recht gebunden, Art. 20 III GG. Die Bindung an Gesetz und Recht gilt zwar auch gemäß Art. 1 III GG, Art. 20 III GG uneingeschränkt für die Streitkräfte. Dem steht jedoch nicht entgegen, dass die zu lösende Problemlage insbesondere im militärischen Bereich eine wesentlich andere ist. Dort verlangt das militärische Prinzip eine feste Bindung des Untergebenen an den Vorgesetzten. Dieser muss sich aufgrund der wahrzunehmenden Aufgabe stets sicher sein, dass die erteilten Befehle grundsätzlich ausgeführt werden, wenngleich mit der Befehlsausführung im Einzelfall ein Verstoß gegen das Recht der Ordnungswidrigkeiten verbunden ist. Wollte man dies anders sehen, wäre die Effektivität und Funktionstüchtigkeit hoheitlichen Handelns für diesen sensiblen Bereich staatlicher Tätigkeit infrage gestellt. Diese Grundsätze gelten auch für die materiell vergleichbare Situation der Vollzugsbeamten, so dass die Argumentation hierauf entsprechend übertragbar ist. Daher gilt: Erfordert es der Dienstzweck, ist der Befehl im Wehr- und Vollzugsrecht auch dann verbindlich, wenn damit im Einzelfall die Begehung einer Ordnungswidrigkeit verbunden ist. Darin ist auch nicht etwa ein Verstoß gegen das in Art. 20 III GG verankerte Rechtsstaatsprinzip auszumachen. Die Ausfüh199 Vgl. Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 20: „Die militärische Pflicht ist häufig höher zu bewerten als die Übertretungsnorm, die im allgemeinen nur eine nicht besonders ins Gewicht fallende Ordnungswidrigkeit verhindern will. Es ist daher gerechtfertigt, die Gehorsamspflicht [. . .] in keinem Fall in Frage zu stellen.“ 200 Vgl. Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (228), der von einem „normalen“ („Schreibtisch“-)Beamten spricht.

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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rungen zum Wehrrecht haben gezeigt, dass der Gesetzgeber selbst durch die Anordnung der Verbindlichkeit derartiger Befehle den Weisungsempfänger von dem allgemeinen Verbot der Normübertretung suspendiert.201 Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass die gebotene Differenzierung für hoheitliches Handeln in Zusammenhang mit der Begehung von Ordnungswidrigkeiten sinnvoll und angemessen ist. Die zu regelnde Materie ist in dieser Hinsicht im allgemeinen Beamtenrecht eine grundlegend andere als diejenige im Wehr- und Vollzugsbereich. b) Der „strafrechtswidrige, aber verbindliche Befehl“ und die Haftungsprivilegierung des Beamten gemäß § 56 II 3 BBG aa) Unterschiede bei der Verbindlichkeit: die Regelung im Wehr- und Vollzugsrecht gegenüber der Bestimmung im allgemeinen Beamtenrecht Die sich gegenüber den wehr- und vollzugsrechtlichen Bestimmungen ergebende Haftungsprivilegierung des Beamten gemäß § 56 II 3 BBG ist unlösbar mit der Verbindlichkeit des Befehls verbunden. Es wurde gezeigt, dass der Soldat einen Befehl nicht befolgen darf – und dieser damit unverbindlich ist –, wenn durch die Ausführung eine Straftat begangen würde, § 11 II 1 SoldatenG, § 22 I 1 WStG.202 Die Normen aus dem Vollzugsbereich treffen hierbei inhaltlich gemäß § 7 II 1 UZwG, § 97 II 1 StVollzG eine gleich lautende Anordnung. Anders ist die Gehorsamspflicht – wie gesehen – in den Bestimmungen des allgemeinen Beamtenrechts geregelt. Gemäß § 56 II 3 BBG ist die bestätigte Anordnung „auszuführen, sofern nicht das ihm aufgetragene Verhalten strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für ihn erkennbar ist oder das ihm aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt.“ Die Gehorsamspflicht des Beamten endet bei wörtlicher Auslegung also nicht schon mit der Strafbarkeit des ihm aufgetragenen Verhaltens, sondern erst dann, wenn dem Beamten die Strafbarkeit auch persönlich erkennbar ist. Entscheidend ist also nicht ein „maßstabsgerechter“ Beamter, sondern der konkret individuelle Weisungsadressat.203 Lenckner bemerkt dazu:204

201

Vgl. hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, A. III. Vgl. die Darstellung im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. a) aa). 203 Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (227). Vgl. auch Günther, ZBR 1988, 297 (304); Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 71. 204 Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (227); vgl. auch die Ausführungen bei Günther, DÖD 2000, 278 (286). 202

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2. Teil: Das Beamtenrecht

„Nach allgemeinem Beamtenrecht bleibt eine Anordnung ungeachtet ihres ,strafbaren‘ Inhalts verbindlich, wenn der Weisungsempfänger nicht erkannt hat und nach seinem Wissens- und Erfahrungshorizont auch nicht erkennen konnte, dass das, was von ihm verlangt wird, ,strafbar‘ ist. Hier gibt es also nach wie vor einen ,strafrechtswidrigen, aber verbindlichen Befehl‘, dann nämlich, wenn das angewiesene Verhalten tatbestandsmäßig und rechtswidrig ist, der Untergebene dies in seiner Person aber nicht erkennen kann.“ Die Ausführungen zum verbindlichen Befehl haben im Zusammenhang mit dem Wehrrecht gezeigt, dass die weitaus besseren Gründe für eine bereits rechtfertigende Wirkung sprechen.205 Der verbindliche Befehl ist Rechtfertigungsgrund. Überträgt man diesen Gedanken auf das allgemeine Beamtenrecht, so ergibt sich auch nach verständiger Würdigung der Problemlage ein kaum nachvollziehbares und rechtlich nur schwer zu begründendes Ergebnis:206 Erkennt der untergebene Beamte aus persönlichen Unzulänglichkeiten die Strafrechtswidrigkeit nicht, bleibt die Anweisung verbindlich. Die Verbindlichkeit auch dieser Anweisung hat wiederum zur Folge, dass sie ebenso einen Rechtfertigungsgrund darstellt, der Beamte also rechtmäßig handelt. Einen strafrechtswidrigen, verbindlichen Befehl anzuerkennen fällt schwer. Ihm darüber hinaus eine rechtfertigende Kraft zuzusprechen, ist angesichts des Werte- und Regelungssystems der Rechtsordnung eine nicht zu akzeptierende Tatsache. Damit statuiert § 56 II 3 BBG eine dem Recht fremde, sonst nicht anzutreffende Wertung. Die wehr- und vollzugrechtlichen Bestimmungen verbieten sogar die Ausführung strafrechtswidriger Befehle. Sie sind stets unverbindlich und können daher auch niemals einen Rechtfertigungsgrund darstellen. Zu erklären ist diese Misslichkeit im allgemeinen Beamtenrecht mit der gesetzgeberischen Vermengung von Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit in § 56 II 3 BBG. Über die Verbindlichkeit der Anweisung entscheidet de lege lata das subjektive Element der persönlichen „Erkennbarkeit“, die damit letztlich auch auf die persönliche Verantwortlichkeit des Amtswalters Einfluss hat. Die nicht vorgenommene objektive, sondern subjektive Festlegung der Verbindlichkeit beamtenrechtlicher Weisungen führt dazu, dass sie maßgeblich von individuellen Kriterien bestimmt wird. Hängt die persönliche Verantwortlichkeit des Beamten aber unlösbar mit der Verbindlichkeit der Anweisung zusammen, führt die gesetzliche Anordnung gemäß § 56 II 3 BBG zu einer wertungsmäßigen Schieflage im Strafrecht.207 205

Vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. Kritisch auch Felix, Remonstrationsrecht und Rechtschutz, S. 129 ff.; vgl. auch Bank, ZBR 1963, 161 (165); Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (227 ff.); Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 165 ff.; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89; Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam, S. 195 ff. 207 Vgl. auch die grundlegenden Ausführungen bei Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (228 ff. m.w. N.). 206

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Risken spricht in diesem Zusammenhang von „einem rechtspolitisch unhaltbaren Ergebnis.“208 Zu Recht weist er darauf hin, dass bei wortlautgetreuer Auslegung der beamtenrechtlichen Normen die Gehorsamspflicht von Beamten weiter gehend ist als die der Soldaten (ergänze: und der Vollzugsbeamten).209 Nicht zustimmungsfähig ist jedenfalls der bereits angesprochene Hinweis mancher Autoren, dass die Beibehaltung solcher Wertungsdifferenzen zwischen dem BBG und den Wehr- und Vollzugsnormen sich „allerdings mehr schlecht als recht“ mit der Begründung einsichtig machen ließe, „dass der Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt den Bürger empfindlicher trifft als wenn ein Beamter anderweitig dienstlich handelt.“210 Der Gesetzgeber erlaubt sich an dieser Stelle, die u. U. weit reichende und mit entscheidenden Konsequenzen behaftete Frage der Verbindlichkeit von Weisungen nicht selbst und anhand objektiver Maßstäbe zu determinieren, sondern diese in einem gewissen Maß dem Beamten individuell anheim zu stellen.211 Man könnte auch insoweit von einem Subjektivismus des Rechts sprechen. Hierdurch aber entledigt sich der Gesetzgeber seiner ureigensten Aufgabe – nämlich der verbindlichen Festlegung dessen, was Gesetz und Recht sein soll. bb) Unterschiede in der Haftung: die Regelung im Wehrund Vollzugsrecht gegenüber der Bestimmung im allgemeinen Beamtenrecht (1) Gleichlauf im Fall der „Kenntnis“ mit der „Erkennbarkeit“ Aufgrund der unterschiedlichen Regelung der Verbindlichkeit von Weisungen sind daher auch uneinheitliche Bestimmungen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angewiesenen zu konstatieren. Gegenüber Soldaten und Vollzugsbeamten ist der Beamte nach dem BBG sanktionsrechtlich privilegiert. Soldaten und Vollzugsbeamte haften entsprechend der Gesetzeslage bei einem objektiven Vorliegen der Strafbarkeit und „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ von der Strafrechtswidrigkeit.212 Damit der Beamte nach allgemeinem Beamtenrecht persönlich verantwortlich gemacht werden kann, muss zunächst die 208

Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166. Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166 mit Hinweis auf Oehler, JuS 1963, 301 (303): „Die Fassung der beiden Bestimmungen (gemeint ist § 38 II 2 BRRG und § 56 II 3 BBG) ist bedenklich. Richtiger wäre gewesen, die Gehorsamspflicht für Verbrechen und Vergehen generell zu beseitigen.“ 210 So aber Günther, ZBR 1988, 297 (305) mit Hinweis auf das Argument von Oehler, JuS 1963, 301 (303). 211 A. A. Günther, ZBR 1988, 297 (304) mit dem Hinweis auf die Prüfungspflicht des Beamten „für das ihm aufgetragene Verhalten“ unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gemäß §§ 58 I, 55 S. 1, 56 I, II BBG. 212 Vgl. § 5 I WStG, § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG. 209

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2. Teil: Das Beamtenrecht

Verbindlichkeit des Befehls als Rechtfertigungsgrund entfallen. Wie gesehen, entfällt diese gemäß § 56 II 3 BBG für den Beamten aber erst dann, wenn die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit ihm auch persönlich „erkennbar“ ist.213 An dieser Stelle ließe sich einwenden, dass im Fall der „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ der rechtswidrigen Tat diese dem Weisungsempfänger stets auch individuell „erkennbar“ ist. Richtig ist an diesem Einwand, dass bei „Kenntnis“ der rechtswidrigen Tat diese auch „erkennbar“ ist. In dieser Richtung besteht daher ein Gleichlauf. Rechtliche Bedenken hiergegen bestehen daher insoweit nicht. (2) Inkongruenz zwischen „Offensichtlichkeit“ und „Erkennbarkeit“ Nicht zwingend ist jedoch ein Gleichlauf zwischen „Offensichtlichkeit“ i. S. d. § 5 I WStG, § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG und „Erkennbarkeit“ i. S. d. § 56 II 3 BBG. Im Regelfall wird es zwar so sein, dass, wenn die Straftat offensichtlich ist – diese sich also für jedermann in der konkreten Situation geradezu aufdrängt –, auch ein Fall der subjektiven „Erkennbarkeit“ vorliegen wird. Das muss jedoch nicht immer so sein. Handelt es sich bei dem untergebenen Beamten um einen überdurchschnittlich moralisch blinden Menschen, der überdies lediglich nur mit unterdurchschnittlich intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet ist, ist es gut vorstellbar, dass „Offensichtlichkeit“ und individuelle „Erkennbarkeit“ divergieren. Dort, wo die Strafbarkeit jedem eingeleuchtet hätte und ein Berufen auf einen Schuldausschließungsgrund demnach ausgeschlossen ist, wird sich der so beschriebene Beamte mit Erfolg exkulpieren. Für eine straf-, disziplinar- und haftungsrechtliche Verantwortlichkeit ist es nach § 56 II 3 BBG entscheidend, dass die Strafbarkeit für den konkret individuellen Beamten „erkennbar“ ist.214 Der Beamte wird sich jedoch auf seine persönlichen Unzulänglichkeiten berufen – de lege lata ist dies in der Tat, um mit Risken215 zu sprechen, „ein rechtspolitisch unhaltbares Ergebnis“. Zugegebenermaßen ist die Wahrscheinlichkeit der Begehung rechtswidriger Taten mit „unmittelbarem tödlichem Ausgang“ oder anderen schwer wiegenden Folgen bei (Verwaltungs-)Beamten geringer als etwa bei waffentragenden Hoheitsträgern. Das Bild eines bürokratischen Amtsträgers lässt den Gedanken eher fern liegen, eine Straftat auf Befehl zu begehen. Gänzlich von der Hand 213

Ule, Beamtenrecht, § 38 BRRG, Rn. 3. „[. . .] indessen sind die praktischen Schwierigkeiten bei der „Erkennbarkeit“ nicht zu übersehen. Denn mit dieser „Erkennbarkeit“ der Gesetzeswidrigkeit ist nicht eine allgemeine Erkennbarkeit gemeint, sondern die subjektive für den einzelnen Beamten. Was aber für den einen Beamten erkennbar, sogar klar erkennbar ist, ist es für den anderen Beamten noch lange nicht.“ Bank, ZBR 1963, 161 (165). Vgl. auch Battis, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 6; Rittstieg, ZBR 1970, 72 (78). 215 Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166. 214

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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zu weisen ist eine solche Gefahr jedoch auch dort nicht. Dies sei anhand der folgenden Beispiele demonstriert. Das erste Beispiel ist frei erfunden, das zweite hingegen betrifft einen Fall, der in der Praxis immer wieder vorkommt:216 (a) Beispiel: Sicherungshaft eines terrorverdächtigen Ausländers Der gemäß § 58a I 1 AufenthG 217 i.V. m. den Vorschriften des LVG zuständige Innenminister eines Bundeslandes erteilt einem ihm unterstellten Mitarbeiter im Ministerium die Anweisung, eine Abschiebungsanordnung gegen einen ins Fadenkreuz der Behörden geratenen Ausländer zu verfügen. Dieser wird nach Erkenntnissen des Innenministers der terroristischen Szene zugeordnet. Eine auf Tatsachen gestützte Prognose habe daher ergeben, dass der Ausländer eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstelle.218 Die Abschiebungsanordnung kann jedoch gemäß § 58a III 1 AufenthG i.V. m. § 60 II, III AufenthG nicht vollzogen werden, weil dem Verdächtigen in seinem Heimatland die konkrete Gefahr der Folter und der Todesstrafe wegen früher von ihm begangener Delikte droht.219 Zur Sicherung der Abschiebung weist der Innenminister seinen Mitarbeiter entgegen geltendem Recht 220 an, alles Notwendige zu veranlassen, damit der terrorverdächtige Ausländer gemäß § 62 II 1 Nr. 1a AufenthG in Sicherungshaft genommen werden kann. Dabei geht der leichtgläubige und einem obrigkeitsstaatlichen Denken verhaftete Beamte überdies irrig davon aus, dass der Innenminister bereits befugt sei, eine Sicherungshaft anzuordnen. Eine richterliche Anordnung – wie es § 62 II 1 AufenthG vorsieht – hält er für entbehrlich. Der Beamte erlässt daraufhin eine entsprechende Verfügung und verständigt die zuständige Vollstreckungsbehörde.221 Sie solle den Terrorverdächtigen in Sicherungshaft nehmen. Zur Vollstreckung 216 Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Insbesondere im Umweltstrafrecht sind Konstellationen denkbar, in denen ein Beamter auf Weisung seines Vorgesetzten entgegen dem geltenden Recht eine umweltrechtliche Genehmigung erteilt und sich hierdurch strafbar macht. 217 Hierzu Discher in GK zum AufenthG, vor §§ 53 ff., Rn. 46 f.; Funke-Kaiser in GK zum AufenthG, § 58a, Rn. 2 ff. Siehe auch den lesenswerten Beitrag von Marx, ZAR 2004, 275 (278 ff.). 218 Vgl. Funke-Kaiser in GK zum AufenthG, § 58a, Rn. 7 ff. 219 Hierzu Heilbronner, Ausländerrecht, § 60 AufenthG, Rn. 81 ff. 220 Gemäß § 62 II 4 AufenthG ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. So liegt es hier. Die Anordnung des Innenministers ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt rechtswidrig. Der betroffene Ausländer unterliegt jedoch den Überwachungsmaßnahmen nach § 54a AufenthG. 221 Die Zuständigkeit der Vollstreckungsbehörde ergibt sich aus § 71 V AufenthG i.V. m. den jeweiligen landesrechtlichen Polizeivorschriften.

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2. Teil: Das Beamtenrecht

der Sicherungshaft kommt es jedoch nicht, weil die Vollstreckungsbehörde im konkreten Fall erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Sicherungshaft hat. (b) Beispiel: Präventive Ingewahrsamnahme zur Sicherstellung der Abschiebung222 Die zuständige Ausländerbehörde möchte einen Ausländer abschieben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine rechtmäßige Abschiebung liegen nach den ausländerrechtlichen Bestimmungen so weit vor. Der Behördenleiter befürchtet, dass sich die betroffene Person der Abschiebung entziehen könnte. Daher weist er einen ihm unterstellten Beamten an, Verbindung mit dem örtlichen Vollzugsdienst aufzunehmen. Dieser solle den Ausländer bereits einen Tag vor der Abschiebung aufsuchen und ihn in einen Haftraum verbringen. Der angewiesene Beamte kommt der Anordnung des Amtsleiters nach und unterrichtet den örtlich zuständigen Polizeivollzugsdienst. Eine richterliche Anordnung ergeht indes nicht. Diese wird wiederum für nicht notwendig gehalten. Der Polizeivollzugsdienst hält jedoch abermals eine solche Maßnahme für rechtswidrig und holt den Ausländer erst wenige Stunden vor der Abschiebung ab. (c) Die Lösung der Beispiele Untersucht man die Strafbarkeit des angewiesenen Beamten, so ergibt eine isoliert auf das StGB bezogene Prüfung folgendes Bild: Wegen der Nichtvollendung der Tat handelt es sich in beiden Fällen mit den erlassenen Verfügungen um einen tatbestandsmäßigen Versuch einer mittelbaren Freiheitsberaubung. Dieser ist gemäß §§ 239 I, II, 23 I, 25 I 2. Var. StGB strafbar. Für den zweiten Fall gilt, dass durch die Anweisung, den Ausländer bereits einen Tag vor seiner Abschiebung in einen Haftraum zu verbringen, die Beschränkung der Freiheit hinsichtlich der Intensität und Dauer über das Maß hinausgeht, das unvermeidbarer Weise mit einer Abschiebung verbunden ist. Es handelt sich daher um eine tatbestandliche Freiheitsentziehung und nicht lediglich um eine Freiheitsbeschränkung.223 Für beide Fälle wäre gemäß Art. 2 II 2, 3 GG, Art. 104 I 1, II GG, § 62 II 1 AufenthG eine richterliche Anordnung erforderlich gewesen. Rechtfertigungsgründe aus dem Kernstrafrecht greifen daher nicht ein. 222 Abgewandelt nach BVerfG, Beschluss vom 15.05.2002 – BvR 2292/00, abgedruckt in InfAuslR 2002, 406 (406 ff.); vgl. auch Heilbronner, Ausländerrecht, § 58 AufenthG, Rn. 52. 223 Vgl. Heilbronner, Ausländerrecht, § 58 AufenthG, Rn. 52; BVerfG, Beschluss vom 15.05.2002 – BvR 2292/00, Abs.-Nr. 24, 29 mit Hinweis auf BVerfGE 10, 302 (323); BVerfGE 94, 166 (198), nachzulesen unter http://www.bverfg.de:80/entschei dungen/rs20020515_2bvr229200.html. Zuletzt besucht am 23.06.2006.

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

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Das Augenmerk liegt somit auf der Schuld. Denkbar wäre, dass der VorsatzSchuldvorwurf des Amtswalters analog § 16 I 1 StGB wegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums entfällt.224 Dazu müsste sich der Beamte über die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes irren, das heißt irrig Umstände für gegeben halten, die im Fall ihres wirklichen Vorliegens die Tat rechtfertigen würden. Der Beamte geht in beiden Fällen jedoch irrig davon aus, dass eine richterliche Anordnung nicht notwendig sei. Er stellt sich daher nicht Umstände vor, bei deren tatsächlichem Vorliegen er gerechtfertigt handeln würde. Aufgrund der Annahme, dass bereits die Weisung des Innenministers bzw. des Amtsleiters den Erlass einer Sicherungshaft bzw. einer Ingewahrsamnahme rechtfertige, glaubt er an einen der Rechtsordnung nicht bekannten Rechtfertigungsgrund. Der Beamte befindet sich folglich in einem sog. Erlaubnisirrtum. Dieser wird entsprechend den Regeln des § 17 S. 1 StGB behandelt. Bei einem Mitarbeiter des Ministeriums bzw. der Ausländerbehörde wird man insoweit auch davon ausgehen können, dass dieser die erforderliche Rechtskunde aufweist, andernfalls sich informiert.225 Daher ist der Irrtum des Amtswalters bei gehöriger Anspannung aller Erkenntniskräfte vermeidbar i. S. d. § 17 S. 1 StGB. Er handelt demnach auch schuldhaft. Eine auf das Kernstrafrecht isoliert bezogene Fallprüfung ergibt, dass der Beamte strafbar ist wegen einer versuchten Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft gemäß §§ 239 I, II, 23 I, 25 I 2. Var. StGB. Für die Strafbarkeit des Amtswalters kommt es nach einer strafrechtlichen Gesamtbetrachtung entscheidend auf die ministerielle Weisung bzw. auf die Anordnung des Behördenleiters an. Diese könnte ihn wegen ihrer Verbindlichkeit rechtfertigen. Wegen der persönlichen Unzulänglichkeiten ist die Rechtswidrigkeit der Weisung226 bzw. die Strafbarkeit der Befehlsausführung dem Untergebenen verborgen geblieben. Sie war ihm i. S. d. § 56 II 3 BBG persönlich nicht „erkennbar“. Daraus folgt, dass es sich bei der Anweisung des Ministers und des Behördenleiters um einen verbindlichen Akt handelt.227 Nach dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung stellt auch im allgemeinen Beamtenrecht der 224 Zur umstrittenen Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums vgl. statt vieler: Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 467 ff. 225 Vgl. § 54 S. 1, 2 BBG, § 42 II 3 BLV. Hierzu Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 57, Rn. 2. 226 Siehe hierzu oben, Fn. 220. 227 Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass der Beamte in den gebildeten Beispielsfällen nicht remonstriert hat. Hat der Beamte noch nicht einmal Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Weisung, besteht für ihn auch kein Anlass, diese bei seinem Vorgesetzten geltend zu machen. Die fehlende „Erkennbarkeit“ verhindert de lege lata, dass der strafrechtswidrige Befehl unverbindlich ist. Daher bleibt es auch für den Bereich des Beamtenrechts beim Grundsatz: Die Weisung ist verbindlich. Vgl. auch Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 130 f. und Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166 f. Der Unterschied zu den genannten Autoren besteht jedoch darin, dass für sie in einem solchen Fall die allgemeinen strafrechtlichen

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2. Teil: Das Beamtenrecht

verbindliche Befehl einen Rechtfertigungsgrund dar. Die gemäß § 56 II 3 BBG äußerst missliche Gesetzeskonzeption rechtfertigt im vorliegenden Fall das Handeln des Beamten. Die Beispiele zeigen, dass der „strafrechtswidrige Befehl“ auch im allgemeinen Beamtenrecht denkbar ist. Auch sind die Beispiele ein Beleg dafür, wie „Offensichtlichkeit“ und „Erkennbarkeit“ auseinander fallen können. Vor dem Hintergrund der zu regelnden Materie und der sonstigen Teilregelungen für hoheitliches Handeln erscheint dies äußerst bedenklich. Im Wesentlichen wird man auch im allgemeinen Beamtenrecht den Grund für die Ablehnung der Verbindlichkeit derartiger Befehle in der Gesetzesbegründung zum SoldatenG sehen können. Dort heißt es:228 „Der Soldat steht, vom Dienst her gesehen, den er dem Staat leistet, neben dem Beamten. [. . .] Dabei verdient es hervorgehoben zu werden: Die Befehlsgewalt ist ausdrücklich an Gesetz und Recht gebunden, dem verbrecherischen Befehl spricht das Gesetz selbst die bindende Kraft ab.“ Bei den Erläuterungen zur Gehorsamspflicht heißt es sodann:229 „Absatz II 1 (gemeint ist der heutige § 11 II 1 SoldatenG) stellt mit Rücksicht auf die Erfahrungen der Vergangenheit deutlich fest, dass eine strafrechtliche Norm stets stärker ist als der militärische Befehl. Ein Befehl, dessen Ausführung ein Verbrechen oder Vergehen darstellen würde, darf nicht befolgt werden.“ Im Zusammenhang mit den Grenzen für die strafrechtliche Haftung des Soldaten und seine Verantwortung bei „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ der rechtswidrigen Tat heißt es weiter:230 „Damit ist der Schritt von der Gesinnungsethik, bei der es auf das subjektive Kennen allein ankommt, zur Verantwortungsethik vollzogen. Der gehorchende Untergebene trägt auch dann die Verantwortung für die Ausführung des Befehls, wenn es von seinem Standpunkt her gesehen unter Ausschluss jeden Zweifels für jeden vernünftigen Menschen offensichtlich gewesen wäre, dass die Ausführung des Befehls strafbar ist. Bleibt hier der Untergebene gefühllos, spürt er sein Gewissen nicht, das bei jedem anderen in seiner Lage geschlagen hätte, befolgt er den verbrecherischen Befehl in blindem Gehorsam, obwohl niemandem sonst der verbrecherische Charakter des Befehls verborgen geblieben wäre, dann allerdings trifft ihn eine Schuld. Gewissenlose oder moralisch Blinde können sich hier durch ihre Berufung darauf, dass ihnen das Verbrechen Grundsätze zur Anwendung kommen. Sie beziehen die „Erkennbarkeit“ nicht auf das Element der Verbindlichkeit, sondern auf die Schuld. 228 Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 16. 229 Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 20. 230 Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 20 f.

4. Kapitel: Die bestehende Rechtslage

241

oder Vergehen, das in der Ausführung des Befehls liegt, überhaupt nicht zum Bewusstsein gekommen sei, ihrer Verantwortung nicht entziehen.“ Gelten diese Grundsätze somit für Soldaten, die überdies auch auf die Vollzugsbeamten übertragen werden können, so überzeugt es nicht, den Weisungsadressaten im allgemeinen Beamtenrecht hiervon auszunehmen. Die besseren Gründe sprechen genau für das Gegenteil. Es ist der im Vollzugs- und Wehrbereich zu erfüllenden Aufgabe geradezu immanent, dass im Konfliktfall ein rasches Handeln geboten ist. Das gilt für den Vollzugsbeamten auf der Straße gleichermaßen wie für den Soldaten in der Stellung. Der einen gefährlichen Straftäter festnehmende (Bundes-)Polizeibeamte oder der sich im Dienst befindende Soldat werden unverzichtbarer Weise gehalten sein, die erteilten Befehle ohne langes Reflektieren auszuführen. So haben Soldaten insbesondere im Einsatz gemäß dem erlernten Drill Befehle zügig auszuführen.231 Eine nicht gerechtfertigte Befehlsverzögerung kann hier u. U. für den einzelnen Soldaten und für die Gruppe verhängnisvoll, wenn nicht sogar tödlich sein. Die prompte Befehlsausführung, wie sie in § 11 I 2 SoldatenG normiert ist, stellt daher eine der wesentlichen Grundlagen für ein erfolgsorientiertes Handeln dar. Hiervon kann im Einzelfall das Gelingen eines ganzen Auftrages abhängen. Diese Erkenntnis zwingt sodann aber auch zu dem Schluss, dass der allgemeine Amtswalter gemäß § 56 II 3 BBG über Maßen hinaus privilegiert ist. Im Gegensatz zu Soldaten und Vollzugsbeamten entspricht es dem Bild des Beamten, dass er nicht Situationen zu bewältigen hat, bei denen es entscheidend auf ein unverzügliches Handeln ankommt. Ein Konfliktfall, bei dem es sozusagen „um Leben und Tod“ geht, ist hier nicht vorstellbar. Der Beamte hat sich zwar gemäß § 54 S. 1 BBG während seiner Arbeitszeit mit voller Intensität seinem Beruf hinzugeben, also einen individuell optimalen Einsatz zu erbringen.232 Aus diesem Hingabegebot in Verbindung mit der Gehorsamspflicht gemäß §§ 55 S. 2, 56 II, III BBG wird man daher auch eine rasche Dienstausführung ableiten können. Im Unterschied zu Soldaten und Vollzugsbeamten wird es sich aber i. d. R. auf die Person und die zu erledigende Aufgabe nicht gravierend nachteilig auswirken, wenn der Beamte seiner gebotenen Pflicht zur umgehenden Durchführung erteilter Anweisungen nicht in der geforderten Kürze nachkommt. Mit anderen Worten: Dem Beamten wird meist ein erheblich längerer Zeitraum eingeräumt sein, Entscheidungen von großer persönlicher oder sachlicher Tragweite zu treffen. Erachtet es der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund bei Soldaten und Vollzugsbeamten gemäß § 5 I WStG, § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG als ausreichend, für die Begründung strafbaren Verhaltens auf die „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ der rechtswidrigen Tat abzustellen,

231 232

Vgl. ZDv 10/1, Kapitel 3, Rn. 351. Statt vieler: Battis, BBG-Kommentar, § 54, Rn. 3.

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2. Teil: Das Beamtenrecht

so muss dies argumentum a maiore ad minus für den allgemeinen Beamten erst recht gelten.233 Die von § 56 II 3 BBG geforderte „Erkennbarkeit“ subjektiviert über die Verbindlichkeit zum einen die Grenze strafbaren Verhaltens. Die Strafbarkeit des handelnden Beamten ist damit letztlich ausschließlich von seinen persönlichen Eigenschaften abhängig. Zum anderen wird es der zu beurteilenden Situation nicht gerecht. Demjenigen, der mit sorgfältiger Bedacht und reifer Überlegung – vielleicht auch unter Hinzuziehung eines Kollegen – eine problematische Lage zu meistern hat, gebührt gegenüber demjenigen, der mitunter innerhalb von Sekunden Entscheidungen mit erheblichen Folgen für sich und andere treffen muss, kein Haftungsprivileg. Ist daher für eine strafrechtliche Verantwortung des Soldaten und der Vollzugsbeamten die „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ erforderlich und ausreichend, so muss dies argumentum e contrario auch für den Beamten nach dem BBG gelten. Die unterschiedliche Haftungsbegrenzung für Handeln auf Befehl ist nach Sinn und Zweck der Norm unbegründet und vor dem Hintergrund der dahinterstehenden Problemlagen widersprüchlich. 5. Ergebnis der Auslegung und Ausblick Zusammenfassend lässt sich daher feststellen: Die oben aufgestellten systematischen und teleologischen Erwägungen lassen an der materiellen Berechtigung der Haftungsprivilegierung des § 56 II 3 BBG zweifeln. Diese Bedenken werden durch eine grammatikalische und historische Auslegung gestützt. Der von Teilen der Literatur vorgeschlagene Weg für eine „Korrektur“ der Norm ist methodisch nicht gangbar. Daher ist bedauerlicherweise dieses unerwünschte Ergebnis vom Rechtsanwender hinzunehmen, denn eine (strafrechtliche) Norm kann nicht contra legem interpretiert werden. Sie ist nur insoweit auslegungsfähig, wie es der Wortlaut selbst noch zulässt.234 An dieser Stelle ist deshalb der Gesetzgeber aufgefordert, den Wertungswiderspruch auszuräumen und eine Harmonisierung herbeizuführen.235

233

In diesem Sinn schon Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (227 f.). Vgl. statt vieler: Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 56 f. 235 In diesem Sinn bereits Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (229). Siehe auch Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 177; Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 16; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89. 234

Dritter Teil

Schlussbetrachtung – Die Ausgestaltung der Normen de lege ferenda Erstes Kapitel

Einführung Die Ausführungen des ersten und zweiten Teils haben versucht deutlich zu machen, dass die Ausgestaltung der Normen für ein Handeln auf Befehl sowohl im allgemeinen Beamtenrecht als auch im Wehr- und Vollzugsbereich von erheblicher theoretischer und praktischer Bedeutung ist. Dies gilt zum einen für den von einer Anweisung betroffenen Untergebenen. Im Konfliktfall sind es aber auch der Befehlsgeber und der außenstehende Dritte, für die eine sachgerechte Lösung des Problems von erheblicher Relevanz ist. Die besprochenen Regelungen sind hierbei nicht nur von einem akademischwissenschaftlichen Interesse. Auch im Beamten-, Vollzugs- und Wehrrecht gilt, dass eine Rechtsnorm keinen Selbstzweck darstellt. Die Normen für ein Handeln auf Befehl regeln zunächst abstrakt einen von der Gesetzgebung für notwendig erachteten Sachverhalt. Erst die Rechtsanwendung zeigt jedoch, ob sich die gesetzgeberische Wertung auch in der Realität verwirklicht. Ihre praktische Bewährung oder ein etwaiges Korrekturbedürfnis zeigen sich daher vornehmlich in der täglich angewandten Dienstpraxis. Darüber hinaus können auch gewandelte gesellschaftliche und politische Anschauungen eine Überarbeitung des Gesetzes verlangen. Fraglich ist, wie vor diesem Hintergrund die Normen über Befehl und Gehorsam de lege ferenda zu betrachten sind. Zweites Kapitel

Die wehr- und vollzugsrechtlichen Vorschriften Ein wichtiges Anliegen dieser Arbeit ist es, einen Beitrag für die noch umstrittenen Einzelfragen des Wehrrechts zu leisten. Die hierbei auftretenden Friktionen sind nicht nur unter dem Blickwinkel einer theoretischen Betrachtung zu lösen, sondern hängen in diesem Bereich auch entscheidend von ihrer Praktikabilität in der Truppenpraxis ab.

244

3. Teil: Schlussbetrachtung

Die wehrrechtlichen Normen für ein Handeln auf Befehl erscheinen vor diesem Hintergrund dogmatisch fundiert und praktisch angemessen. Die für diese Arbeit im Vordergrund stehenden Vorschriften des Soldaten- und WStG sind in der Lage, allseits befriedigende Ergebnisse bei den noch umstrittenen Fragen zu erzielen. Eine umfangreiche, bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Rechtsprechung, aber auch eine fortwährende Durchdringung der Materie durch die Literatur tragen – wie aufgezeigt – dazu bei, dass die hiermit verbundenen Probleme zu einer sachgerechten Lösung finden.1 Anlass zu einer durchgreifenden gesetzgeberischen Kritik besteht daher nicht. In praktischer Hinsicht eng verwandt mit der Situation des Wehrrechts ist das Handeln auf Befehl im Bereich der Vollzugsbeamten. Daher wundert es nicht, dass die vollzugsrechtlichen Normen hinsichtlich der persönlichen Verantwortung mit denen des Wehrrechts inhaltlich übereinstimmen.2 Führen sie im Wehrrecht zu befriedigenden Ergebnissen, so gilt dies aufgrund der sachlichen Nähe ebenso für die Vollzugsbeamten. Auch die vollzugsrechtlichen Vorschriften sind daher für gut zu befinden. Drittes Kapitel

Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG Anders fällt hingegen die Beurteilung über die beamtenrechtlichen Vorschriften aus. Die Norm des § 56 II BBG ist inhaltlich unangemessen, im Vergleich mit verwandten Vorschriften widersprüchlich und überdies rechtspolitisch verfehlt. Nach heutiger Anschauung stellt sie – wie oben aufgezeigt – keine überzeugende und rechtlich tragfähige Grundlage für ein hoheitliches Handeln auf Weisung dar.3 Konsequenterweise bedarf die Vorschrift des § 56 BBG daher einer dringend vorzunehmenden Korrektur. Die Ausführungen haben jedoch auch gezeigt, dass eine solche Korrektur nicht mithilfe einer Auslegung durch den Rechtsanwender gewonnen werden kann.4 An dieser Stelle ist vielmehr der 1 So konnten insbesondere Fragen zum Inhalt und Grenzen der Gehorsamspflicht untersucht werden. Hierbei war u. a. zur Frage der Gegenvorstellungspflicht [erster Teil, drittes Kapitel, B. II.], zum sog. „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff“ [erster Teil, drittes Kapitel, B. III. 2.], zur Wirkung des rechtswidrigen, verbindlichen Befehls [erster Teil, drittes Kapitel, B. III. 3.] und zum sog. „gefährlichen“ Befehl [erster Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. a) bb)] Stellung zu nehmen. Auch wurde das Spannungsverhältnis des Wehrrechts mit den Normen des GG [erster Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. b)] und die sog. clausula rebus sic stantibus näher beleuchtet [erster Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. b) gg)]. Wichtig war es auch, den Schuldausschließungsgrund gemäß § 5 I WStG [erster Teil, drittes Kapitel, C. II. 3. b) aa)] und die Rechtsfolgen der Tat bei einem Handeln auf Befehl [erster Teil, drittes Kapitel, C. IV.] zu untersuchen. 2 Vgl. hierzu die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel, B. II. 3. c). 3 Vgl. die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel. 4 Vgl. die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel, B. II.

3. Kapitel: Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

245

Gesetzgeber aufgefordert, die Verantwortlichkeit für ein Handeln auf Weisung im Beamtenrecht neu und angemessen zu regeln.5 Fraglich ist, wie eine Neugestaltung des § 56 BBG de lege ferenda aussehen könnte. Ausgangspunkt hierfür sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe und die ratio legis. Ziel einer Gesetzesnovelle muss es daher sein, einerseits die allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätze hinreichend zu berücksichtigen.6 Dies gebietet Art. 33 V GG, wonach „das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln ist“.7 Auf der anderen Seite ist der Gesetzgeber gehalten, eine weit gehende Harmonisierung mit den wehr- und vollzugsrechtlichen Vorschriften anzustreben.8 Erst dadurch wird für einen materiell vergleichbaren Sachverhalt ein gesetzesübergreifendes, vernünftiges Zusammenspiel von öffentlichem Recht und Strafrecht erreicht. Vom Standpunkt einer zukünftigen Gesetzgebung aus sind für die Ausgestaltung der Norm gemäß § 56 BBG folgende Leitlinien maßgebend:

A. Trennung von Verbindlichkeit und persönlicher Verantwortung Ziel einer Gesetzesnovelle muss es vornehmlich sein, auch im allgemeinen Beamtenrecht streng zwischen der Verbindlichkeit einer Weisung und der persönlichen Verantwortung des Amtswalters zu unterscheiden. Eine solche Differenzierung ist gesetzestechnisch unerlässlich. Die bislang nach § 56 II BBG bestehende Vermengung beider Elemente ist aufzuheben. Durch eine so vorgenommene Trennung von Verbindlichkeit und persönlicher Verantwortung ist es möglich, den maßgeblichen gesetzlichen Missstand des § 56 II BBG zu beseitigen. Dies wird sodann dazu beitragen, den Weg für ein schuldangemessenes Strafen zu eröffnen. Das Beamtenrecht ist in diesem Sinn dem zeitgemäßen 5 So oder ähnlich bereits Hirsch in LK, vor § 32, Rn. 177; Lenckner, FS für Stree/ Wessels, S. 223 (229); Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 16; S/S-Lenckner, vor § 32, Rn. 89. 6 Zu den „hergebrachten Grundsätzen“ i. S. d. Art. 33 V GG gehören u. a. die Gehorsamspflicht des Beamten und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Vgl. Maunz in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 33 GG, Rn. 68, 71; BVerfGE 9, 268 (286). Zum Berücksichtigungsgebot des Art. 33 V GG siehe Dollinger/Umbach in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 33 GG, Rn. 98 f. m.w. N. auf die bundesverfassungsgerichtliche Judikatur. 7 Hierzu Dollinger/Umbach in Umbach/Clemens, GG-Kommentar, Band I, Art. 33 GG, Rn. 90 ff.; BVerfGE 9, 268 (286) m.w. N.: „Art. 33 V GG ist nicht lediglich ein Programmsatz oder eine Anweisung an den Gesetzgeber, sondern unmittelbar geltendes Recht.“ 8 Bereits der Entwurf für ein SoldatenG sah vor, das Wehr- und Beamtenrecht einander anzunähern, wo dies in der Sache geboten ist, vgl. Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 16.

246

3. Teil: Schlussbetrachtung

Wehr- und Vollzugsrecht anzupassen. Daraus folgt, dass das Element der Verbindlichkeit einzig objektiv zu bestimmen ist. Der bislang vorgenommene Rückschluss von subjektiven Kriterien auf objektive Voraussetzungen ist eine dem Recht fremde Vorgehensweise.9 Auch ist er methodisch bedenklich. Fragen der persönlichen „Erkennbarkeit“ dürfen auf die Verbindlichkeit einer Weisung keinen Einfluss nehmen. Objektive und subjektive Kriterien sind daher gewissenhaft zu unterscheiden. Subjektive Kriterien spielen erst auf der Ebene der Schuld eine Rolle.10

B. Streichung der „Erkennbarkeit“ gemäß § 56 II 3 BBG Wie im zweiten Teil der Arbeit beschrieben, spricht sich eine beachtenswerte Gegenmeinung dafür aus, die „Erkennbarkeit“ gemäß § 56 II 3 BBG entgegen der systematischen Stellung im Gesetz nicht auf die Verbindlichkeit des Befehls, sondern auf die Schuld zu beziehen.11 Um diesen Streit beizulegen und ferner eine klare Trennung objektiver und subjektiver Merkmale zu erreichen, ist es notwendig, das Merkmal der „Erkennbarkeit“ im Gesetz zu streichen. Im Hinblick auf die Gefahr, dass sich ein unzulänglich ausgebildeter oder moralisch blinder Amtswalter auf seine Defizite mit Erfolg berufen kann, ist es zwar zunächst von untergeordneter Bedeutung, ob man das Kriterium der „Erkennbarkeit“ auf die Verbindlichkeit des Befehls oder lediglich auf die Schuld bezieht. Die bestehende gesetzliche Regelung entspricht nach beiden Lesarten einem veralteten, der Obrigkeit verschriebenen Denken und passt systematisch und wertungsmäßig nicht in die bestehende Rechtsordnung.12 Auch ist einer zu großen Diversifizierung bei Fragen der Verbindlichkeit eines Befehls bzw. der Schuld vorzubeugen, die durch das Element der „Erkennbarkeit“ aufgrund individuell differierender Fähigkeiten zwangsläufig auftreten.13 Auch hier gilt, dass sich die Frage der „Erkennbarkeit“ nach richtiger Lesart nicht auf die Verbindlichkeit auswirken darf. Im Vergleich mit den moderneren wehr- und vollzugs9 Hierzu Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 129; Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, S. 166 f. 10 Zum Ganzen Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (227 ff.). Die Ausführungen zum sog. „gefährlichen“ Befehl stehen dem nicht entgegen. Aufgrund der Eigenart der zu regelnden Materie ist hier eine gewisse subjektive Sichtweise unverzichtbar. Betont sei jedoch, dass sie eine Ausnahme für das Handeln auf Befehl darstellt. Zum sog. „gefährlichen“ Befehl vgl. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. a) bb). 11 Siehe hierzu die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel, B. II. 1. a). 12 Kühl, Strafrecht AT, S. 287; Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (229). 13 Erstmals Bank, ZBR 1963, 161 (165): „Denn mit dieser „Erkennbarkeit“ der Gesetzeswidrigkeit ist nicht eine allgemeine Erkennbarkeit gemeint, sondern die subjektive für den einzelnen Beamten. Was aber für den einen Beamten erkennbar, sogar klar erkennbar ist, ist es für den anderen Beamten noch lange nicht.“

3. Kapitel: Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

247

rechtlichen Vorschriften ist der Begriff der „Erkennbarkeit“ überdies zu weit, um eine persönliche Verantwortung des Beamten zu begrenzen. Daher ist das Merkmal der „Erkennbarkeit“ insgesamt zu streichen.

C. Die eingeschränkte Verbindlichkeit rechtswidriger Weisungen Nach dem Prinzip der Recht- und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 III GG darf der Beamte nach dem allgemeinen Beamtenrecht grundsätzlich nur rechtmäßige Anweisungen ausführen. Einfach-gesetzlich kommt dies in § 56 I BBG zum Ausdruck, wonach der Beamte für die Rechtmäßigkeit all seiner dienstlichen Handlungen persönlich verantwortlich ist.14 Mit dem Gebot einer funktionsgerechten und effizienten öffentlichen Verwaltung wäre es jedoch unvereinbar, wenn der Beamte die ihm aufgetragene dienstliche Weisung zurückweisen könnte, weil sie seiner Auffassung nach nicht rechtmäßig ist.15 Daher begründet nicht jede rechtswidrige Weisung gleichsam ein Recht des Beamten, den Anordnungen seiner Vorgesetzten den Gehorsam zu versagen. Um eine effektive Arbeit der Verwaltung sicherzustellen und damit die Erfüllung der ihr übertragenen öffentlichen Aufgaben zu gewährleisten, ist ein „gewisses Maß an Rechtswidrigkeit“16 auch für diesen Bereich hoheitlichen Handelns unumgänglich.17 Hierfür streitet insbesondere Art. 33 V GG, der die Institution des Berufsbeamtentums in ihrer Funktionsfähigkeit im Interesse der Allgemeinheit erhalten und gewährleisten will.18 Verstößt das angeordnete Verhalten gegen Normen des Zivil-, Verwaltungs- oder Verfassungsrechts, ist grundsätzlich auch im allgemeinen Beamtenrecht die Weisung somit verbindlich.19 Dies gilt nur dann nicht, wenn mit der auszuführenden Handlung eine Ordnungswidrigkeit, ein strafbares Verhalten20 oder ein Verstoß gegen die Menschenwürde verbunden 14

Hierzu Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (404 f.). Vgl. Simianer, ZBR 2004, 149 (150) mit Hinweis auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung. 16 So Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 132 im Zusammenhang mit den Fahrlässigkeitsdelikten. Vgl. auch dies., a. a. O., S. 119 f. 17 Vgl. Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 119 f., 132; BVerfG, Beschluss vom 20.04.1994 – 2 BvR 1117/94, 1118/94, 1119/94, abgedruckt in DÖD 1995, 193 (193 f.). Vgl. auch Weiß, ZBR 1994, 325 (333), der es bei „leichter Regelwidrigkeit“ für den Beamten als zumutbar ansieht, die Gehorsamspflicht aufrechtzuerhalten. 18 BVerfGE 9, 268 (286); BVerfG, Beschluss vom 20.04.1994 – 2 BvR 1117/94, 1118/94, 1119/94, abgedruckt in DÖD 1995, 193 (193 f.). 19 Vgl. Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 54 ff.; Simianer, ZBR 2004, 149 (152); Weiß, ZBR 1994, 325 (332 ff.); BVerfG, Beschluss vom 20.04.1994 – 2 BvR 1117/94, 1118/94, 1119/94, abgedruckt in DÖD 1995, 193 (194). 20 Strafbar bzw. ordnungswidrig ist nach dem im zweiten Teil, viertes Kapitel, A. III. Gesagten das Handeln oder Unterlassen des Beamten, wenn die Ausführungshand15

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3. Teil: Schlussbetrachtung

ist.21 Solche Anordnungen sind uneingeschränkt unverbindlich. Eine de lege ferenda so vorgenommene Grenzziehung der Verbindlichkeit rechtswidriger Weisungen entspricht inhaltlich der geltenden Gesetzeslage gemäß § 56 II 3 BBG unter Verzicht der persönlichen Erkennbarkeit. Fraglich ist, ob vom Standpunkt einer zukünftigen Gesetzgebung aus darüber hinaus weitere Unverbindlichkeitsgründe normativ zu berücksichtigen sind. Zu Recht wurde in der Literatur darauf hingewiesen, dass nach geltendem Recht etwa die Anweisung zu einem Verhalten, das einen groben Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darstellt oder eine offensichtlich willkürliche Ungleichbehandlung bedeutet, nach erfolgter Remonstration verbindlich ist. Dies gilt aber nicht bei einer relativ geringfügigen Ordnungswidrigkeit, wie beispielsweise die Anweisung des Vorgesetzten an seinen Untergebenen, ein Parkverbot zu missachten.22 Damit sich das Gesetz nicht selbst in Widerspruch setzt, ist es daher notwendig, derartige Konflikte im Zuge einer Gesetzesnovelle ausreichend zu beachten. Verkörpert die Ausführungshandlung offensichtlich erhebliches Unrecht, muss die Anweisung auch im allgemeinen Beamtenrecht unverbindlich bleiben.23 Sie entbindet den Beamten von der Gehorsamspflicht gemäß § 55 S. 2 BBG. Insbesondere den institutionellen Verfassungsgrundsätzen des Art. 20 GG, den Grundrechten und dem Völkerrecht gebührt bei einem erheblichen Verstoß gegenüber der Weisungsgebundenheit des Beamten der Vorrang, wenn dieser klar und ohne Weiteres zutage tritt.24 Die Gehorsamspflicht des Beamten entfällt daher, wenn ein so gedachter evidenter, besonders schwerer Rechtsverstoß gegeben ist.25 Wo die Grenze zu einem nach der Schwere und lung den objektiven Tatbestand einer solchen Norm erfüllt und dem Beamten kein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. 21 Vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 12; zu verfassungswidrigen Anordnungen siehe BVerfG, Beschluss vom 20.04.1994 – 2 BvR 1117/ 94, 1118/94, 1119/94, abgedruckt in DÖD 1995, 193 (194) m.w. N. und mit Hinweis auf BVerfGE 28, 191 (205): „Die Gehorsamspflicht kann daher auch bei verfassungswidrigen Anordnungen nur entfallen, wenn ein evidenter, besonders schwerer Verfassungsverstoß vorliegt.“ 22 Darauf weist Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (407) mit erfrischender Klarheit hin. 23 So bereits Köhler/Ratz, BDO-Kommentar, S. 229. Vgl. zum Ganzen auch Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 68 ff. 24 In diese Richtung bereits Rittstieg, ZBR 1970, 72 (78). Für die Entbindung des Beamten von der Gehorsamspflicht bei verfassungswidrigen Weisungen Köhler, PersR 1994, 12 (12). 25 BVerfG, Beschluss vom 20.04.1994 – 2 BvR 1117/94, 1118/94, 1119/94, abgedruckt in DÖD 1995, 193 (193 f.). Vgl. auch Battis, BBG-Kommentar, § 56, Rn. 6; Rittstieg, ZBR 1970, 72 (78); Simianer, ZBR 2004, 149 (159); auf „Gewicht und Evidenz“ des Rechtsverstoßes abhebend Weiß, ZBR 1994, 325 (332 ff.); ders., ZBR 1995, 195 (196). Im Hinblick auf die gesetzlich festgelegten Ausnahmen von der Gehorsamspflicht bei einem Dissens zwischen Vorgesetztem und Untergebenen über die Verbindlichkeit vgl. Lenckner, FS für Stree/Wessels, S. 223 (238): Unverbindlichkeit des Befehls wegen der Begehung einer Straftat, Ordnungswidrigkeit oder wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde, „wo die Entscheidung des Vorgesetzten in tatsäch-

3. Kapitel: Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

249

Offensichtlichkeit zu bestimmenden Maß der Unverbindlichkeit verläuft, ist unter Abwägung der in Streit befindlichen Rechtsgüter und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall zu entscheiden.26 Ist der Befehl zur Begehung eines offensichtlich schweren Rechtsverstoßes unverbindlich, bedeutet dies im Umkehrschluss aber auch, dass lediglich zweifelhafte Weisungen auch dann ausgeführt werden müssen, wenn selbst ihre Verfassungsmäßigkeit fraglich ist. De lege ferenda sind rechtlich zweifelhafte Anordnungen stets verbindlich.27 Fraglich ist nur, ob jeder denkbare Unverbindlichkeitsgrund in diesem Sinn in das Gesetz aufgenommen werden sollte. Im Sinne der Übersichtlichkeit und einer klaren Gesetzessprache sprechen die besseren Gründe dagegen. Gesetzestechnisch lässt sich das angesprochene Ziel auch dadurch verwirklichen, dass die Unverbindlichkeitsgründe nicht abschließend normiert werden [„unverbindlich ist insbesondere“].28 Dies ist eine dem Recht bekannte Vorgehensweise, wie sie beispielhaft in § 22 I 1 WStG oder in § 54 III 1 ZDG vorzufinden ist.29 Ein weiterer Vorteil einer so gefassten Norm ist, dass das Gesetz in gewissem Umfang elastisch und so für weitere mögliche Unverbindlichkeitsgründe anpassungsfähig bleibt. Hingegen besteht im allgemeinen Beamtenrecht kein Bedürfnis für eine dem Wehr- und Vollzugsbereich vergleichbare strengere Gehorsamsanbindung. Die verbindliche Anordnung von Verwaltungsunrecht bleibt daher ausgeklammert. Auf einen unverzüglichen Vollzug kommt es im Beamtenrecht nicht in dem gesteigerten Maße an, wie etwa im Wehr- und Vollzugsrecht. Insoweit unterscheidet sich das allgemeine Beamtenrecht vom Wehr- und Vollzugsrecht in einem wesentlichen Punkt. Eine wirksame Verpflichtung des Beamten zur Begehung von Ordnungswidrigkeiten muss für den Bereich des allgemeinen Beamtenrechts daher auch vom Standpunkt eines künftigen Rechts außen vor bleiben.

licher oder rechtlicher Hinsicht nicht mehr vertretbar ist“ bzw. „wenn das aufgetragene Verhalten ein solches Maß an Evidenz erreicht, dass die fragliche Weisung von einer rechtsstaatlichen Verwaltung nicht mehr verantwortet werden kann.“ 26 Vgl. Weiß, ZBR 1994, 325 (335). Siehe hierzu auch die Ausführungen von Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (411 ff.). 27 So bereits Weiß, ZBR 1994, 325 (337). Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 20.04. 1994 – 2 BvR 1117/94, 1118/94, 1119/94, abgedruckt in DÖD 1995, 193 (193 f.). 28 Auch das geltende Beamtenrecht nimmt nach h. M. mit der Regelung des § 56 II BBG keine abschließende Aufzählung möglicher Unverbindlichkeitsgründe vor. Statt vieler: Weiß, ZBR 1994, 325 (332). 29 Zu den Hintergründen einer solchen Gesetzestechnik vgl. Begründung zum WStG, BT-Drucksache 2/3040, S. 31.

250

3. Teil: Schlussbetrachtung

D. Die Haftung bei Ausführung unverbindlicher Befehle Auch im allgemeinen Beamtenrecht kann es zuweilen vorkommen, dass der Angewiesene aus falsch verstandenem Gehorsam oder aus Unkenntnis über die Rechtslage unverbindliche Befehle ausführt. Fraglich ist dann, wie der Beamte de lege ferenda disziplinar-, vermögens- und strafrechtlich verantwortlich ist. 1. Der Konflikt: Gehorsamspflicht und Rechtsstaatsprinzip Es gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Beamtenrechts gemäß Art. 33 V GG, dass der Amtswalter in einem gesteigerten Treue- und Pflichtenverhältnis gegenüber seinem Dienstherrn steht.30 Zu diesem Treue- und Pflichtenverhältnis gehört das Gehorsamsprinzip, auf dem die hierarchisch strukturierte Verwaltung wesentlich aufbaut.31 Daraus folgt, dass auch den Beamten grundsätzlich eine Pflicht zur Befolgung von Weisungen trifft. So heißt es zur beamtenrechtlichen Gehorsamspflicht in § 55 S. 2 BBG: Der Beamte „ist verpflichtet, die von seinen Vorgesetzten erlassenen Anordnungen auszuführen.“ Diese Rechtspflicht wird auch im allgemeinen Beamtenrecht zusätzlich dadurch verstärkt, dass der Untergebene einem gewissen Befehlsdruck ausgesetzt ist. Zwar ist der Befehlsdruck im allgemeinen Beamtenrecht nicht so weitgehend wie im militärischen Bereich. Man wird sich aber nicht der Tatsache verschließen können, dass auch auf dem Zivilsektor die Autorität des Vorgesetzten eine zu beachtende Größe darstellt. In weit abgeschwächter Form sind daher auch im Beamtenrecht die Voraussetzungen und die Folgen des Befehlsdrucks mit denen des Wehrrechts zumindest im Ansatz vergleichbar, so wie sie im ersten Teil beschrieben wurden.32 Bei der angemessenen Verteilung des Haftungsrisikos ist diesem Gedanken Rechnung zu tragen. Mit der Gehorsamspflicht kollidiert auch im allgemeinen Beamtenrecht das verfassungsrechtliche Gebot zu rechtmäßigem Verwaltungshandeln. Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 33 V GG und Art. 20 III GG gilt es daher im Lichte der geltenden Tradition aufzulösen. Um beiden Verfassungswerten zu ihrem größtmöglichen Anwendungsbereich zu verhelfen, sind diese im Wege der praktischen Konkordanz zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Um dieses Ziel zu verwirklichen, hat eine Gesetzesnovelle mit den Vorschriften über die Gehorsamspflicht, das Remonstrationsverfahren und die Entlastung des Beamten einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen bereit30

Vgl. Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, vor §§ 55–84, Rn. 2 f. Vgl. BVerfGE 9, 268 (286). 32 Vgl. hierzu die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, C. IV. 1. b) und die Darstellung von Bank, ZBR 1963, 161 (161 ff.). 31

3. Kapitel: Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

251

zuhalten: Hat danach der Beamte seine Bedenken bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten vorgebracht, geht die Gehorsamspflicht im Fall der Bestätigung durch den Vorgesetzten grundsätzlich vor. Hingegen setzt sich das Rechtsstaatsprinzip mit dem Vorrang des Gesetzes durch, wenn das angewiesene Verhalten insbesondere ordnungswidrig oder strafbar ist oder gegen die Würde des Menschen verstößt. Als Folge der Unverbindlichkeit rechtswidriger Weisungen besteht eine Gehorsamspflicht bei solchen Befehlen nicht. Ein so vorgenommener Kompromiss spiegelt die bereits geltende gesetzliche Regelung unter Verzicht der „Erkennbarkeit“ wider. 2. Das Remonstrationsverfahren und die Entlastung des Beamten Grundsätzlich gilt, dass nur ein unverbindlicher Befehl verantwortet werden kann. Richtig ist daher der Satz, dass nur jenes „verantwortet werden kann, was der eigenen Entscheidungskompetenz unterliegt; was demgegenüber verbindlich angeordnet wird, kann befolgt, nicht aber verantwortet werden.“33 Diesem hier zum Ausdruck kommenden Spannungsverhältnis zwischen Verbindlichkeit und Verantwortung möchte das Remonstrationsverfahren Rechnung tragen.34 Das Remonstrationsverfahren hat hierbei zwei Ziele zum Regelungsgegenstand:35 Das eine Ziel ist durch den Gedanken gekennzeichnet, dass der Untergebene seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung bei seinem Vorgesetzten vortragen soll.36 Durch die Geltendmachung der Rechtsbedenken wird bewirkt, dass die streitige Rechtsfrage innerhalb der Behörde ein weiteres Mal geprüft wird.37 Diese erneute Überprüfung trägt wesentlich dazu bei, dass die Verwaltung nach außen rechtmäßig handelt und damit das in Art. 20 III GG verankerte Rechtsstaatsprinzip verwirklicht wird.38 Im Vordergrund des Remonstrationsverfahrens steht jedoch das Ziel, dass der Beamte durch ein Vorbringen seiner Rechtsbedenken die Möglichkeit erhält, einer persönlichen Haftung für die auf Weisung begangenen Handlungen zu ent33

So Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (406). Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 45; Simianer, ZBR 2004, 149 (152); Zängl in GKÖD Band I, § 55, Rn. 5, § 56, Rn. 25 ff. 35 Grundlegend zum Ganzen: Felix, Remonstration und Rechtsschutz, S. 22 ff. Vgl. auch Weiß, ZBR 1994, 325 (327). 36 Dies ergibt sich vor allem aus der Unterstützungspflicht des Beamten gemäß § 55 S. 1 BBG. Felix, Remonstration und Rechtsschutz, S. 27; Köhler/Ratz, BDOKommentar, S. 229, 232 f. 37 Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (409). 38 Ausführlich Felix, Remonstration und Rechtsschutz, S. 22 ff. Zu diesem Aspekt Simianer, ZBR 2004, 149 (152). Romann, Remonstrationsrecht und Remonstrationspflicht im Beamtenrecht, S. 70 ff. weist darauf hin, dass das Remonstrationsverfahren im Hinblick auf den Gesichtspunkt der verwaltungsinternen Selbstkontrolle mit dem Vorverfahren gemäß §§ 68 VwGO vergleichbar ist. 34

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3. Teil: Schlussbetrachtung

gehen.39 Denn bestätigt auch der nächsthöhere Vorgesetzte die Anordnung – das heißt, war das Remonstrationsverfahren erfolglos – trifft den Beamten grundsätzlich eine Folge- und Ausführungspflicht. Andererseits ist der Beamte dann gemäß § 56 II 3 BBG entlastet. Das Remonstrationsverfahren dient somit als Ausgleich dafür, dass der Beamte gehorchen muss. Ein derartiger Ausgleich kommt jedoch nur dort in Betracht, wo der Beamte auch Gefahr läuft, sich einer persönlichen Haftung auszusetzen. Eine solche Haftung ist jedoch nur hinsichtlich der Ausführungshandlung selbst, nicht aber bezüglich der erhaltenen Weisung denkbar.40 Daraus folgt, dass das Remonstrationsverfahren nach richtiger Ansicht nur dann zur Anwendung gelangt, wenn der Beamte Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der aufgetragenen Diensthandlung hat und es diese aus seiner Sicht zu überprüfen gilt. Es muss sich somit um eine solche Weisung handeln, die für den Beamten „haftungsgefährlich“ ist und er daher zu befürchten hat, für das aufgetragene Dienstgeschäft persönlich verantwortlich zu werden.41 Damit sich der Beamte für dienstlich begangenes Handeln und Unterlassen42 im Einzelfall entlasten kann, muss er seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Weisung im Wege des vorgegebenen Remonstrationsverfahrens gemäß § 56 II BBG vorbringen. Wird die Anordnung durch seinen Vorgesetzten bestätigt, ist der Beamte nach § 56 II 3 BBG korrespondierend hierzu grundsätzlich von seiner persönlichen Verantwortung befreit. Die disziplinar- und haftungsrechtliche Verantwortlichkeit geht nach erfolgloser Remonstration prinzipiell auf den Vorgesetzten über. Dies gilt wiederum nur dann nicht, wenn die Ausführung des Befehls eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat beinhaltet oder gegen die Menschenwürde verstößt. In diesen Fällen kann den Beamten auch ein erfolglos durchgeführtes Remonstrationsverfahren nicht entlasten.43 Fraglich ist daher, ab welcher Grenze der Beamte vom Standpunkt einer zukünftigen Gesetzgebung aus die persönliche Verantwortung zu tragen hat. Gehorsamsgebot und Rechtsstaatlichkeit sind in ihrer Wechselwirkung hier zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Ziel einer Gesetzesnovelle muss somit sein, eine weitgehende Harmonisierung mit den sonstigen Normen für 39 Hierzu ausführlich Felix, Remonstration und Rechtsschutz, S. 24 ff.; Weiß, ZBR 1994, 325 (330 f.). 40 Eingehend Weiß, ZBR 1994, 325 (330 f.). 41 Grundlegend zum Ganzen Felix, ZBR 1994, 18 (19 ff.). Siehe auch Köhler/Ratz, BDO-Kommentar, S. 228 f., 235; Weiß, ZBR 1994, 325 (325, 330 f.); Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 27. Vgl. auch die Ausführungen im zweiten Teil, viertes Kapitel, A. III. 42 Auf die bestehende gesetzliche Ungenauigkeit weist Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 59, Rn. 4 hin. Wenn daher von einem Handeln des Beamten gesprochen wird, ist Unterlassen stets mit einbezogen. 43 Felix, Remonstration und Rechtsschutz, S. 76 f.; Zängl in GKÖD Band I, § 56, Rn. 58.

3. Kapitel: Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

253

hoheitliches Handeln auf Befehl zu erreichen. In erster Linie kommen hier die Vorschriften aus dem Wehr- und Vollzugsrecht gemäß § 5 I WStG, § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG, § 37 II 2 MEPolG in Betracht. Aber auch das Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer trifft mit § 30 III ZDG eine dem modernen Verständnis angemessene Verantwortungsregelung. Eine Angleichung an die genannten Normen für hoheitliches Handeln ist dort sinnvoll, wo sie aufgrund der Vergleichbarkeit sachlich geboten ist. Vor dem beschriebenen Hintergrund der inhaltlichen Unterschiede des Beamtenrechts gegenüber dem Wehr- und Vollzugsrecht wird man die Regelungen für Soldaten und Vollzugsbeamte auf das allgemeine Beamtenrecht daher nicht unterschiedslos übertragen können. Eine den wehr- und vollzugsrechtlichen Vorschriften entsprechende rechtliche Ausgestaltung des allgemeinen Beamtenrechts erscheint lediglich dort sachgerecht, wo es mit diesen Regelungen auch materiell verwandt ist. Das die persönliche Verantwortlichkeit begrenzende Merkmal der „Kenntnis“ bzw. der „Offensichtlichkeit“ i. S. d. § 5 I WStG, § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG, § 37 II 2 MEPolG darf somit nur dort zur Anwendung gelangen, wo es das Gehorsamsprinzip im allgemeinen Beamtenrecht zwingend erfordert. Eine Begrenzung der Haftung des Beamten auf „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ i. S. d. § 5 I WStG, § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG, § 37 II 2 MEPolG für alle durch den Vorgesetzten angeordneten Handlungen kommt demnach nicht in Betracht. Für das allgemeine Beamtenrecht bietet es sich somit an, zum einen nach dem materiellen Unwertgehalt der auf Befehl begangenen Tat zu unterscheiden. Ein weiteres Differenzierungskriterium wird sein, die persönliche Verantwortlichkeit auch davon abhängig zu machen, ob die Rechtslage für den Beamten in zumutbarer Weise überschaubar ist. Das Rechtsstaatsprinzip darf auch im allgemeinen Beamtenrecht nicht dadurch überspannt werden, dass der reibungslose Ablauf einer funktionstüchtigen Verwaltung lahm gelegt wird. Auch für den Beamten muss daher der Grundsatz gelten, dass er die Ausführung von Weisungen seiner Vorgesetzten nach erfolgter Remonstration grundsätzlich nicht zu scheuen braucht.44 Diese Überlegungen führen zu dem Schluss, dass für die Ausgestaltung der Normen im allgemeinen Beamtenrecht de lege ferenda wie folgt zu unterscheiden ist: a) Die Verantwortung des Beamten aufgrund privilegierten Haftungsmaßstabes Im Sinne einer Anpassung an die sonstigen Normen für hoheitliches Handeln gemäß § 5 I WStG, § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG, § 37 II 2 MEPolG, § 30 III ZDG ist ein privilegierter Haftungsmaßstab gesetzestechnisch so zu 44

Vgl. Begründung zum SoldatenG, BT-Drucksache 2/1700, S. 21.

254

3. Teil: Schlussbetrachtung

erreichen, dass der auf Befehl handelnde Beamte lediglich im Fall der „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ haftet. Beide Begriffe sind entsprechend dem Wehrrecht auszulegen, wie sie im ersten Teil beschrieben wurden.45 Fraglich ist, wo eine in diesem Sinn begrenzte Verantwortlichkeit des Beamten für ein Handeln auf Befehl in Betracht kommt. aa) Die Begehung einer Ordnungswidrigkeit auf Anordnung Zum einen lässt sich eine Begrenzung der persönlichen Verantwortung dort rechtfertigen, wo der Unwertgehalt der auf Befehl begangenen Tat gering ist. Dies ist im Bereich der Ordnungswidrigkeiten der Fall. Aus welchen Vorschriften sich hierbei die Ordnungswidrigkeit ergibt, ist ohne Belang. Begeht der Untergebene daher auf Befehl Verwaltungsunrecht, haftet er, wenn er entweder sicher weiß, dass die Ausführungshandlung ordnungswidrig ist oder dies nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. Nicht von dem gleichen Haftungsmaßstab erfasst ist hingegen der Befehl, dessen Ausführung die Verletzung eines Strafgesetzes bedingt. Ein solcher Befehl ist auszuklammern.46 bb) Der auf Anordnung begangene Menschenwürdeverstoß Gemäß Art. 1 I GG ist eine Anordnung verfassungswidrig, die die Menschenwürde des Beamten oder die Menschenwürde eines von der Befehlsausführung betroffenen Dritten verletzt. Im Vergleich zu der soeben behandelten Konstellation schwieriger ist daher die Frage zu beantworten, wie ein auf Weisung begangener Menschenwürdeverstoß zu behandeln ist. Fraglich ist daher, ob dieser einem privilegierten Haftungsmaßstab unterfallen darf und somit gleich der Begehung einer Ordnungswidrigkeit zu behandeln ist. Rechtliche Bedenken könnten sich aus der Tatsache ergeben, dass die Menschenwürde gemäß Art. 1 I GG den höchsten Wert der Verfassung darstellt und sich somit eine Gleichbehandlung in jedem Fall verbietet. Bildlich gesprochen steht die Menschwürde auf höchster Stufe, eine Ordnungswidrigkeit hingegen ganz unten. Bei genauer Betrachtung liegt eine undifferenzierte Behandlung i. S. e. Gleichsetzung jedoch nicht vor. Lediglich die Folgen einer auf Befehl begangenen Handlung entsprechen einander. Bereits das geltende Recht sieht in § 56 II 3 BBG vor, dass der Beamte von der persönlichen Verantwortung nicht befreit ist, wenn die Ausführung der Anordnung gegen die Menschenwürde verstößt. De lege lata wird die Anordnung zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit ebenso behandelt. Beide Fallgruppen entsprechen einander daher nur in ihren Rechtsfolgen.

45 46

Vgl. die Darstellung im ersten Teil, drittes Kapitel, C. II. 3. b) aa). Hierzu vgl. die Ausführungen im dritten Teil, drittes Kapitel, D. 2. b).

3. Kapitel: Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

255

Inhaltlich lässt sich dieses Ergebnis damit rechtfertigen, dass bei einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Anordnung der Beamte häufig überfordert sein wird, die Rechtslage zu überblicken. Meist wird es sich in der Person des Beamten nicht um einen juristisch voll ausgebildeten Amtswalter handeln, der die mit Art. 1 I GG verbundenen schwierigen Fragen behände zu lösen vermag. Die Grundrechtsdogmatik zu Art. 1 I GG stellt im Einzelfall selbst Juristen und Gerichte vor schwierige Auslegungsfragen.47 Vor dem Hintergrund eines reibungslosen Dienstablaufs der öffentlichen Verwaltung ist eine in ihren Rechtsfolgen gleiche Behandlung daher geboten. Der Beamte begeht daher nur dann ein Dienstvergehen, wenn die auf Weisung begangene Handlung die Würde des Menschen verletzt und er entweder Kenntnis davon hatte oder die Verletzung der Menschenwürde offensichtlich ist. Handelt es sich um eine Weisung, deren Ausführung eine Ordnungswidrigkeit oder einen Menschenwürdeverstoß zur Folge hat, ist zur Sicherstellung des Gehorsamsprinzips in der Verwaltung de lege ferenda die persönliche Verantwortlichkeit des Amtswalters nach erfolglos durchgeführter Remonstration zu begrenzen. Der Beamte erfährt eine die persönliche Verantwortung begrenzende Privilegierung. Eine solche Begrenzung ist wie bereits angedeutet entsprechend den Vorschriften des Wehr-, Vollzugs- und Kriegsdienstverweigerungsrechtes gemäß § 5 I WStG, § 7 II 2 UZwG, § 97 II 2 StVollzG, § 37 II 2 MEPolG, § 30 III ZDG vorzunehmen. b) Die Haftung nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen Etwas anderes muss jedoch gelten, wenn die Ausführung der Anweisung die Begehung einer Straftat zur Folge hat. Ein solcher Befehl ist im allgemeinen Beamtenrecht nicht einer Harmonisierung mit dem Wehr- und Vollzugsrecht zugänglich. Eine Begrenzung der persönlichen Verantwortung für den Fall der „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ erscheint für den Beamtenbereich nicht vertretbar.

47 Weiß, ZBR 1994, 325 (334) spricht von einer „schwierigen Judizierbarkeit dieser wichtigsten Verfassungsnorm.“ Vgl. auch die Ausführungen bei Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (410): „Dem einzelnen Amtswalter an der Legalordnung vorbei die Befugnis zuzuweisen, unmittelbar unter Berufung auf eine von ihm angenommene Menschenwürdeverletzung seine Weisungsgebundenheit aufzuheben, überfordert den Amtswalter dadurch, dass ihm die letztverantwortliche Entscheidung höchst heikler Rechtsfragen abverlangt wird.“ Siehe auch Felix, Remonstrationsrecht und Rechtsschutz, S. 137, 141; Herdegen in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 1 I GG, Rn. 30 ff., der von einer „exegetischen „Sperrigkeit“ des Begriffs der Menschenwürde“ spricht. Vgl. auch Jescheck, Befehl und Gehorsam, S. 79; Leuze, DÖD 1995, 1 (8): „[. . .] die rechtliche Konkretisierung dieses höchsten Grundrechts außerordentlich schwierig ist und den einzelnen Beamten arg überfordern kann [. . .].“

256

3. Teil: Schlussbetrachtung

Bedingt durch die Eigenart der Sache sind zunächst schon wenige Fälle denkbar, in denen ein Beamter auf Weisung eine Straftat begeht. Die Ausführungen im zweiten Teil haben aber auch gezeigt, dass sie für bestimmte Konstellationen grundsätzlich möglich sind.48 Für diese verbleibenden Fälle inkriminierten Verhaltens ist es aufgrund der beschriebenen Unterschiede zum Wehrund Vollzugsrecht nicht gerechtfertigt, sie in diesem Punkt dem gleichen Verantwortungsregime zu unterwerfen. Dem könnte man zwar mit dem Einwand begegnen, dass das Strafrecht zunehmend auch verwaltungsakzessorisch ausgestaltet ist und die Rechtslage möglicherweise nicht einfach zu finden ist.49 Für eine verwaltungsakzessorische Strafbarkeit seien beispielhaft die Boden- und Luftverunreinigung gemäß §§ 324a f. StGB genannt. Diesem Argument lässt sich aber entgegen, dass es sich hier um den ureigensten Bereich handelt, für den der Beamte ausgebildet ist. Sollte er einmal nicht die erforderliche Sach- und Rechtskenntnis haben, ist er beamtenrechtlich gemäß §§ 54 S. 1, 2 BBG, 42 II 3 BLV verpflichtet, sich diese anzueignen.50 Ferner gilt es zu bedenken, dass der Beamte nicht nur als Amtswalter, sondern auch als Person Adressat des Strafrechts ist. Dies führt zu dem Ergebnis, dass das Strafrecht als ein „ethisches Minimum“ einer Gesellschaft für diesen Bereich einer Lockerung nicht zugänglich ist. Begeht ein Beamter auf Befehl eine Straftat, so greifen die allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze ein.

E. Funktionale Einteilung hoheitlichen Handelns Die soeben skizzierte Unterscheidung im Beamtenrecht zwischen einem privilegierten Haftungsmaßstab und der Verantwortung nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen bei einem Handeln auf Befehl führt dazu, dass hoheitliches Handeln im allgemeinen Beamtenrecht anders behandelt wird als im Wehr- und Vollzugsrecht. Eine solche Differenzierung erscheint aufgrund der materiellen Unterschiede auch geboten. Der erste und zweite Teil der Arbeit 48 Vgl. hierzu die Beispiele im zweiten Teil, viertes Kapitel, B. II. 4. b) bb) (2) (a) und (b). 49 Vgl. §§ 324 ff. StGB, § 330d Nr. 4 StGB. Zum Problem der Verwaltungsakzessorietät im Strafrecht vgl. die Arbeit von Ensenbach, Probleme der Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht. Siehe auch Depenheuer, DVBl. 1992, 404 (410 f.); Leuze, DÖD 1995, 1 (7 f.); Rengier, FS für Brohm, S. 525 (530): „Die einschlägigen Rechtsvorschriften sind und bleiben „schwer überschaubar“. Im Grunde lässt sich ja das gesamte Umweltverwaltungsrecht heranziehen [. . .].“; Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, vor § 324, Rn. 6 m.w. N. 50 Neben der Norm des § 42 II 3 BLV folgt eine solche Informationspflicht aus dem Gebot der vollen Hingabe zum Beruf gemäß § 54 S. 1 BBG und aus der Pflicht, die Dienstaufgaben nach besten Gewissen zu erfüllen, § 54 S. 2 BBG. Vgl. hierzu die Kommentierungen bei Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG-Kommentar, § 54, Rn. 2, 4; Schütz/Maiwald, BeamtenR. Band II, § 57, Rn. 2, 5; Zängl in GKÖD Band I, § 54, Rn. 5 m.w. N., 7, 47, 51. Deutlich auch BGHZ 117, 240 (249).

3. Kapitel: Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

257

haben gezeigt, dass die wehr- und vollzugsrechtlichen Normen entscheidend durch eine autoritär-imperative, prompte und befehlsfreudige Konzeption geprägt sind. Unverzügliches und verlässliches Handeln stehen hier maßgeblich im Vordergrund. Gewiss gelten nach den Ausführungen des zweiten Teils diese Grundsätze auch im allgemeinen Beamtenrecht. Doch wird man nicht umhin können, den hierarchischen Erfordernissen im allgemeinen Beamtenrecht eine andere Qualität zuzusprechen als insbesondere dem Soldatenrecht. Anders formuliert ließe sich auch sagen, dass die so gewonnene Differenzierung nach dem Aufgabenbereich dazu führt, dass hoheitliches Handeln mehr in einem funktionalen Sinn verstanden wird. Dort, wo es überragend auf „Befehl und Gehorsam“ ankommt, gelten andere Regeln als in jenen Bereichen, in denen sich lediglich der (zivile) Wille eines Vorgesetzten durchsetzen muss. Nach diesem funktionalen Verständnis formuliert bedeutet dies, dass das Handeln auf Befehl im Wehr- und Vollzugsbereich anders behandelt wird als dort, wo es den Willen eines Vorgesetzten in einer dem allgemeinen Beamtenrecht zuzuordnenden Behörde umzusetzen gilt.

F. Die Ausgestaltung der Verantwortlichkeit des Beamten de lege ferenda Die Überlegungen des zweiten und dritten Teils führen zu dem Ergebnis, dass die Norm des § 56 BBG einer gesetzgeberischen Neufassung bedarf. Eine solche Gesetzesnovelle könnte im Lichte vergleichbarer Normen wie folgt lauten:51 § 56 BBG [Verantwortlichkeit] (1) Der Beamte trägt für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen und Unterlassungen die persönliche Verantwortung. (2) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen hat der Beamte unverzüglich bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten geltend zu machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten, so hat sich der Beamte, wenn seine Bedenken gegen ihre Rechtmäßigkeit fortbestehen, an den nächsthöheren Vorgesetzten zu wenden. Bestätigt dieser die Anordnung, so muss der Beamte sie ausführen. Die Bestätigung hat auf Verlangen schriftlich zu erfolgen. Von der eigenen Verantwortung ist der Beamte nach Maßgabe des Absatzes 4 befreit. (3) Eine Befolgungspflicht besteht für den Beamten nicht, wenn die Anordnung des Vorgesetzten unverbindlich ist. Unverbindlich ist insbesondere eine

51 Zur besseren Übersichtlichkeit sind die neu zu fassenden Bestandteile der Norm kursiv hervorgehoben.

258

3. Teil: Schlussbetrachtung

solche Anordnung, deren Ausführung strafbar oder ordnungswidrig ist oder gegen die Würde des Menschen verstößt. (4) Befolgt der Beamte eine unverbindliche Anordnung, trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt, dass es sich um eine unverbindliche Weisung handelt oder dies nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. Dies gilt nicht, wenn es sich um eine Anordnung handelt, deren Ausführung strafrechtswidrig ist. In einem solchen Fall bleibt es bei den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen. (5) Verlangt der unmittelbare Vorgesetzte die sofortige Ausführung der Anordnung, weil Gefahr im Verzuge besteht und die Entscheidung des nächsthöheren Vorgesetzten nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, so gelten Absatz 2 Satz 3 bis 5, Absatz 3 und 4 entsprechend.

G. Zusammenfassende Erläuterung 1. Zu § 56 I BBG § 56 I BBG macht i. S. e. klaren Gesetzessprache den allgemeinen Rechtsgrundsatz deutlich, dass der Beamte nicht nur für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen, sondern auch für Unterlassen persönlich verantwortlich ist, sofern ihn eine rechtliche Pflicht zum Einschreiten trifft.52 2. Zu § 56 II BBG Das in § 56 II BBG vorgesehene Remonstrationsverfahren trägt zum einen dazu bei, dass die Verwaltung gemäß den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Art. 20 III GG rechtmäßig handelt. Im Vordergrund des Remonstrationsverfahrens steht jedoch das Ziel, dass der Beamte durch ein Vorbringen seiner Rechtsbedenken die Möglichkeit erhält, einer persönlichen Haftung für die auf Weisung begangenen Handlungen zu entgehen. Daher kommt das Remonstrationsverfahren nur dann zur Anwendung, wenn durch die Ausführung des Befehls eine persönliche Haftung des Beamten möglich ist.53 3. Zu § 56 III BBG Die Verbindlichkeit einer Weisung wird einzig objektiv bestimmt. Insbesondere ist sie scharf von der persönlichen Verantwortlichkeit des Amtswalters zu unterscheiden. Auf die persönliche „Erkennbarkeit“ des Normverstoßes durch 52 53

Vgl. oben, dritter Teil, drittes Kapitel, D. 2. Vgl. oben, dritter Teil, drittes Kapitel, D. 2.

3. Kapitel: Die beamtenrechtliche Norm des § 56 BBG

259

den individuellen Beamten kommt es für die Frage der Verbindlichkeit einer Weisung de lege ferenda hingegen nicht an.54 Inhaltlich ist die Grenze der Verbindlichkeit daher unter Verzicht auf die persönliche „Erkennbarkeit“ entsprechend der geltenden Gesetzeslage gezogen, wonach insbesondere ein Verstoß gegen das Strafrecht, die Menschenwürde und Verwaltungsunrecht ausgeklammert bleiben.55 Überdies sind die Grenzen der beamtenrechtlichen Gehorsamspflicht nicht abschließend geregelt. Vorteil einer so gefassten Norm ist, dass das Gesetz in einem gewissen Umfang elastisch und so für weitere mögliche Unverbindlichkeitsgründe anpassungsfähig bleibt.56 4. Zu § 56 IV BBG § 56 IV BBG verfolgt das Ziel, die persönliche Verantwortung des Beamten weitgehend an die sonstigen Normen für hoheitliches Handeln anzupassen und zu harmonisieren.57 Im Interesse der Funktionstüchtigkeit der Verwaltung ist der Beamte daher grundsätzlich lediglich aufgrund eines privilegierten Haftungsmaßstabes persönlich verantwortlich. Dies bedeutet, dass den Beamten eine persönliche Schuld für auf Befehl begangene Handlungen nur dann trifft, wenn er die Unverbindlichkeit der Weisung kennt oder diese nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. Dies gilt wiederum nicht, wenn es sich um eine Anordnung handelt, deren Ausführung strafrechtswidrig ist. Für auf Befehl begangene Straften verbleibt es bei den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen.58 5. Zu § 56 V BBG Die Regelungen über das verkürzte Remonstrationsverfahren enthalten lediglich eine redaktionelle Anpassung an den neuen Wortlaut der Norm. Inhaltlich sind hiermit keine Änderungen verbunden.

54 55 56 57 58

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben, oben, oben, oben, oben,

dritter dritter dritter dritter dritter

Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,

drittes drittes drittes drittes drittes

Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,

A. und B. C. C. D. 2. D. 2. a) und b).

Zusammenfassung und Ausblick A. Einführung Bereits der geschichtliche Rückblick lehrt, dass hoheitliches Handeln auf Befehl und Weisung seit der Zuweisung von persönlicher Verantwortung an den Untergebenen in einem althergebrachten und systembedingten Konflikt steht. Auf der einen Seite soll der Untergebene seinem Vorgesetzten gehorchen. Andererseits ist aber auch der Hoheitsträger von Gesetzes wegen gehalten, die objektive Rechtsordnung zu beachten. Gehorsamsgebot und Rechtsstaatlichkeit sind daher bei einer gesetzlichen Ausgestaltung dieses Spannungsverhältnisses in ihrer Wechselwirkung zu einem interessengerechten Ausgleich zu bringen. Dies gilt sowohl für ein Handeln des Amtsträgers aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung als auch für den untergebenen Soldaten, der einem militärischen Befehl gehorcht. Der vorliegenden Arbeit liegt der Versuch zugrunde, hoheitliches Handeln auf Weisung gesetzesübergreifend in einem Gesamtzusammenhang zu verstehen. So waren sowohl der beamtenrechtliche als auch der wehrrechtliche Teil nicht isoliert zu betrachten, sondern vielmehr in einem systematischen Kontext gegenüber zu stellen. Im Beamten-, Wehr- und Vollzugsrecht zeigten sich in manchen Aspekten weitgehend übereinstimmende Wertungen und inhaltliche Gemeinsamkeiten. Es wurden aber auch wesentliche Unterschiede deutlich. Die angesprochenen Handlungsformen hoheitlichen Handelns teilen das sie prägende Schicksal, dass ihnen eine Gehorsamspflicht des Amtsträgers zugrunde liegt, die korrespondierend hierzu auf der anderen Seite die persönliche Verantwortung des Untergebenen begrenzt.

B. Das Handeln aufgrund eines militärischen Befehls Die wehrrechtlichen Ausführungen konzentrierten sich insbesondere darauf, bislang umstrittene und in der Praxis wichtige Einzelfragen näher zu beleuchten. Ein besonderes Anliegen dieser Arbeit war es, die hiermit verbundenen Fragestellungen nicht nur von einer wissenschaftlich-akademischen Sicht aus zu untersuchen. Um auch zu praktisch angemessenen Ergebnissen zu gelangen, waren die möglichen Lösungsansätze stets auch vor dem Hintergrund einer truppendienstlichen Handhabung aus zu beleuchten. Im Rahmen der Arbeit standen für den militärischen Bereich insbesondere Fragen zum Inhalt und

Zusammenfassung und Ausblick

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Grenzen der Gehorsamspflicht im Vordergrund. Die hierzu angestellten Betrachtungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Eine strafbewehrte Gegenvorstellungspflicht des Soldaten gibt es nicht. An eine unterlassene Remonstration kann lediglich dienstrechtlich, nicht aber strafrechtlich angeknüpft werden.1 2. Ein eigenständiger „strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff“ ist nicht anzuerkennen. Nicht individuell-subjektive Kriterien entscheiden über die Strafbarkeit des Untergebenen, sondern einzig ein normativ-objektivierter Maßstab.2 3. Ein durch das Recht gebotenes Verhalten ist rechtmäßig. Der rechtswidrige, verbindliche Befehl ist daher für den Hoheitsträger bereits Rechtfertigungsund nicht erst Entschuldigungsgrund.3 4. Die Konstellation des sog. „gefährlichen“ Befehls ist mit Hilfe der „Prognoselösung“ sach- und interessengerecht zu lösen. Die sog. „Feststellungslösung“ ist daher zu verwerfen.4 5. Das Wehrdienstverhältnis steht mit seinen militärischen Notwendigkeiten einerseits und mit der allgemeinen Grundrechtsgeltung für die Angehörigen der Streitkräfte andererseits in einem besonderen Spannungsverhältnis. Die Frage der Verbindlichkeit eines Befehls ist hier nicht immer leicht zu beantworten, weil bei Verfassungsfragen häufig widerstreitende Abwägungselemente eine große Rolle spielen. Das kann zur Folge haben, dass das Ergebnis der Rechtsfindung daher erst im Wege einer umfassenden Würdigung aller Interessen und Umstände des Einzelfalls ermittelt werden kann. Für Grundrechtseingriffe und deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung hält einzig das Grundgesetz den Maßstab bereit, die hierbei auftretenden widerstreitenden Interessen zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Verstößt der Befehl in diesem Sinn gegen die Normen des Grundgesetzes, ist dieser unverbindlich. Je nach Fallgestaltung darf bzw. muss er nicht befolgt werden.5 6. Von besonderem Interesse sind bei einem Handeln auf Befehl der Schuldausschließungsgrund gemäß § 5 I WStG6 und die Rechtsfolgen der Tat.7 Die Ausführungen der Arbeit haben gezeigt, dass die hiermit verbundenen Fragestellungen im Hinblick auf ein modernes Staatsverständnis angemessen gelöst werden können. 1

Siehe Siehe 3 Siehe 4 Siehe 5 Siehe aa)–bb). 6 Siehe 7 Siehe 2

die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. II. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 2. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 3. die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. a) bb). die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, B. III. 4. a) cc) und 4. b) die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, C. II. 3. b) aa). die Ausführungen im ersten Teil, drittes Kapitel, C. IV.

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Zusammenfassung und Ausblick

C. Das Handeln aufgrund einer beamtenrechtlichen Weisung Die Betrachtungen im beamtenrechtlichen Teil konzentrierten sich insbesondere auf die Norm für ein Handeln auf Weisung gemäß § 56 BBG. Die mit der beamtenrechtlichen Gehorsamspflicht verbundenen Probleme konnten jedoch nach geltender Rechtslage nicht system- und interessengerecht gelöst werden. Ein Vergleich des § 56 BBG mit den wehr- und vollzugsrechtlichen Vorschriften zeigte, dass im Hinblick auf die normative Ausgestaltung der persönlichen Verantwortung des Beamten die bestehende Regelung stark reformbedürftig ist. Hier ist der Gesetzgeber aufgefordert, eine Harmonisierung herbeizuführen. Vom Standpunkt einer zukünftigen Gesetzgebung aus sind für die Ausgestaltung der Norm gemäß § 56 BBG folgende Leitlinien maßgebend: 1. Ziel einer Gesetzesnovelle muss es vornehmlich sein, auch im allgemeinen Beamtenrecht streng zwischen der Verbindlichkeit einer Weisung und der persönlichen Verantwortung des Amtswalters zu unterscheiden. Die bislang nach § 56 II BBG bestehende Vermengung beider Elemente ist aufzuheben. Durch eine so vorgenommene Trennung von Verbindlichkeit und persönlicher Verantwortung wird es möglich werden, den maßgeblichen gesetzlichen Missstand des § 56 II BBG zu beseitigen. Das Beamtenrecht ist in diesem Sinn dem zeitgemäßen Wehr- und Vollzugsrecht anzupassen. Daraus folgt, dass das Element der Verbindlichkeit einzig objektiv zu bestimmen ist.8 2. Um den Streit hinsichtlich der systematischen Stellung der „Erkennbarkeit“ gemäß § 56 II 3 BBG beizulegen und ferner eine klare Trennung objektiver und subjektiver Merkmale zu erreichen, ist es notwendig, das Merkmal der „Erkennbarkeit“ im Gesetz insgesamt zu streichen.9 3. Die Verbindlichkeit rechtswidriger Weisungen muss für das allgemeine Beamtenrecht gegenüber dem Wehr- und Vollzugsbereich eingeschränkt werden. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Verstößt das angeordnete Verhalten gegen Normen des Zivil-, Verwaltungs- oder Verfassungsrechts, ist auch im allgemeinen Beamtenrecht die Weisung somit grundsätzlich verbindlich. Dies gilt nur dann nicht, wenn mit der auszuführenden Handlung eine Ordnungswidrigkeit, ein strafbares Verhalten oder ein Verstoß gegen die Menschenwürde verbunden ist. Solche Anordnungen sind uneingeschränkt unverbindlich. Die Gehorsamspflicht des Beamten entfällt überdies, wenn ein evidenter, besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt.10

8

Hierzu vgl. die Ausführungen im dritten Teil, drittes Kapitel, A. Hierzu vgl. die Ausführungen im dritten Teil, drittes Kapitel, B. 10 Hierzu vgl. die Ausführungen im dritten Teil, drittes Kapitel, C. 9

Zusammenfassung und Ausblick

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4. Das Remonstrationsverfahren kommt nach richtiger Ansicht nur dort zur Anwendung, wo es sich um „haftungsgefährliche“ Anordnungen des Vorgesetzten handelt und der Beamte Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des ihm aufgetragenen Verhaltens hat. Die disziplinar- und haftungsrechtliche Verantwortlichkeit geht nach erfolgloser Remonstration prinzipiell auf den Vorgesetzten über. Dies gilt wiederum nur dann nicht, wenn die Ausführung des Befehls eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat beinhaltet oder gegen die Menschenwürde verstößt. In diesen Fällen kann den Beamten auch ein erfolglos durchgeführtes Remonstrationsverfahren nicht entlasten.11 5. Um auch für das Beamtenrecht zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen, die andererseits der Funktionstüchtigkeit der Verwaltung hinreichend Rechnung tragen, ist im Hinblick auf die persönliche Haftung des Amtswalters zu unterscheiden. Für auf Befehl begangene Ordnungswidrigkeiten und etwaige Menschenwürdeverstöße ist ein privilegierter Haftungsmaßstab anzulegen. Dies bedeutet, dass der auf Befehl handelnde Beamte lediglich im Fall der „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ haftet. Die persönliche Verantwortung des Amtswalters richtet sich jedoch dann nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen, wenn die Ausführung der Anweisung die Begehung einer Straftat zur Folge hat. Ein solcher Befehl ist im allgemeinen Beamtenrecht nicht einer Harmonisierung mit dem Wehr- und Vollzugsrecht zugänglich. Eine Begrenzung der persönlichen Verantwortung des Beamten auf die „Kenntnis“ oder „Offensichtlichkeit“ der strafbaren Handlung ist nach Würdigung aller zu berücksichtigenden Umstände für den Beamtenbereich nicht vertretbar.12

11 12

Hierzu vgl. die Ausführungen im dritten Teil, drittes Kapitel, D. Hierzu vgl. die Ausführungen im dritten Teil, drittes Kapitel, D.

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Sachregister Abschiebungshaft 238 Absehen von Strafe 181 f., 189, 194 Actio illicita in causa 80 Allgemeine Entschuldigungsgründe 165 ff. Allgemeine Rechtfertigungsgründe 159 f. Allgemeine Regeln des Völkerrechts 118 f. Analogieverbot 221 ff. Aufschiebende Wirkung 123 Auftragstaktik 28, 55, 152 Autonomieprinzip 91 f., 165 Autoritätsbindung 97 ff. Befehl, Definition 27 ff. Befehl zur Vorbereitung eines Angriffskrieges 117 f. Befehlsdruck 166, 250 Beschwerde 123, 131 Besitzstörung 50 Besondere Entschuldigungsgründe 167 ff. Besondere Rechtfertigungsgründe 160 ff. Besonderes Gewaltverhältnis 30, 123 ff., 133, 198 Betriebsverhältnis 198 Bundesbeamtengesetz 204 ff. Bündnisfähigkeit 125 Deutsches Beamtengesetz 201 ff. Eingeschränkte Verbindlichkeit rechtswidriger Weisungen 247 ff. Einheit der Rechtsordnung 49, 79, 83, 86, 97, 159, 239 Einschränkbares Grundrecht 127 ff. Enthaftung 40 ff., 213 ff. Entschuldigungslösung 76 ff., 89

Erfolgsunwert 189 f. Erkennbarkeit gemäß § 56 II 3 BBG 246 f. Erlaubnisirrtum 239 Erlaubnistatbestandsirrtum 238 f. Erscheinungsformen rechtswidriger, verbindlicher Befehle 51 f. Evidenzkontrolle 53, 112 Fahrlässiges Begehungsdelikt 186 ff. Festnahme 66 ff., 163 Feststellungslösung 105 ff. Flussüberquerung 105 Freizügigkeit 127 Funktionsfähigkeit der Streitkräfte 129 f., 132 f., 137 f., 146 Funktionstüchtigkeit der Verwaltung 232, 247, 253, 259, 263 Furtum usus 50 Gefährlicher Befehl 101 ff., 261 Gegenvorstellung/Prüfungspflicht 55 ff., 171, 210, 216, 229, 261 Gehorsamspflicht des Beamten: Grenzen 208 ff. Gehorsamspflicht des Beamten: Inhalt 206 ff. Gehorsamspflicht des Soldaten: Grenzen 64 ff. Gehorsamspflicht des Soldaten: Inhalt 55 ff. Gesetzesvorbehalt 124, 128, 130 Gesetzmäßigkeitsprinzip 161 Gewissensentscheidung 133 ff. Grundrechte 119 ff. Grundrechtsbeschränkung 119 ff. Grundrechtsschranke 127 ff.

Sachregister Grundrechtstypische Subjektsqualität 124 Grundverhältnis 198 Haager Landkriegsordnung 119, 163 Haftungsprivilegierung des Beamten 233 ff. Handlungsunrecht/-unwert 68, 71, 160, 171, 190 ff. HDv 28 f., 151 f., 191 Hergebrachte Grundsätze des Berufbeamtentums 197, 199, 206, 245, 250 Hingabegebot 241 Historische Auslegung 223 ff. Iller-Unglück 105 Immanente Schranken 132 ff. Innen- und Außenrecht 84 f. Internationaler Strafgerichtshof 180 Irrtum über die Verbindlichkeit 183 ff. Irrtumsprivileg des Staates 67, 73, 75 Jugendliche und Heranwachsende 195 Kenntnis der Rechtswidrigkeit 171 ff. Kollidierendes Verfassungsrecht 129 f., 132, 136 f., 138 Kommando 28 Lage, Lagebild 55 f., 61 f., 64, 113, 125, 147 ff., 181, 191 f. LDv 28 Manöverlast 163 Mauerschützenfall 176 ff. MDv 28 Meinungsfreiheit 127 Menschenwürde 42, 53, 119, 120 ff., 162, 227, 229, 233, 247, 251 f., 254 f., 257, 259, 263 Militärische Notwendigkeit 31, 48, 95, 161 Militärstrafgesetzbuch 33 ff.

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Nötigungsnotstand 88 ff., 157, 166 f. Notstand 68, 71, 81, 84, 89 ff., 150, 152 ff., 159, 166 Notwehr 50, 67 f., 71, 76, 78, 80, 84 ff., 89 ff., 100, 109, 116, 159, 166 Numerus clausus der Rechtfertigungsgründe 159 Objektiv-teleologische Auslegung 218 ff. Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit 174 ff. Ordnungswidrigkeit 51, 54, 63, 76, 84, 93, 95 f., 102, 210 ff., 221 ff., 229 ff., 233, 236, 247 ff., 252, 254 f., 263 Petitionsrecht 127 Pflichtenkollision 40, 48, 75, 81 f., 87 f., 100, 150, 152 ff., 159, 166, 210, 215 Pflichtgemäße Prüfung der Sachlage 66 ff., 69 ff., 73 f. Praktische Konkordanz 129, 133, 136, 250 f. Privilegierter Haftungsmaßstab 253 ff., 259, 263 Prognoselösung 106 ff., 261 Putativnotstand 169 Rechtfertigungslösung 78 ff., 90 Rechtmäßiger, unverbindlicher Befehl 66 ff., 162 Rechtmäßiger, verbindlicher Befehl 65, 162 Rechtmäßigkeit des Befehls 47 ff., 53 Rechtsbewährungsprinzip 93 f. Rechtsfolgen der Tat 189 ff. Rechtsstaatsprinzip 70, 161, 221, 232, 250 ff. Rechtswidriger, unverbindlicher Befehl 100 ff., 162 Rechtswidriger, verbindlicher Befehl 75 ff., 162 Rechtswidrigkeit 53, 60, 68 ff., 72 ff., 79 f., 82 f., 85 ff., 90, 94, 96 f., 152, 159 ff., 165, 179 f., 187 f., 234, 239, 247

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Sachregister

Reichsbeamtengesetz 200 f. Relativität der Rechtsverhältnisse 79 f., 82 f., 93 f. Remonstration 57, 61 ff., 199 f., 204, 209 f., 213, 215 f., 223, 228 f., 248, 250, 251 ff., 255, 258 f., 263 Schuld 97 ff., 116, 158, 165 ff., 188 ff., 192 ff., 217, 229, 238 ff., 245 f., 258 f., 261 Schuldfähigkeit 165 Schuldprinzip 165, 217, 224 Sicherstellungsgesetz 127 Sicherungshaft 237 ff. Sonderstatusverhältnis 30, 123 ff. Spannungsverhältnis 120, 124, 126, 137, 192, 199, 250 ff., 260 f. Staatsbürger in Uniform 45, 120, 124 Staatswille 77 f., 94 f. Strafarrest 195 Strafgefangenentscheidung 129 f., 133 Strafmilderungsgrund 98, 170, 173, 180 ff., 189, 193 Strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff 67 ff., 82 f., 86, 261 Strafrechtswidriger Befehl 39, 101, 162, 234 Straftat 31, 43 f., 46, 95, 101 ff., 158 ff., 165 ff., 181, 188, 193, 211, 218, 228 f., 233, 236, 252, 255 f., 263 Strafvollzuggesetz 228 f. Strafzumessung 34, 98, 185, 189 ff., 193 ff. Subjektives Rechtfertigungselement 68, 71, 160 f., 184 Suspensiveffekt 123, 131 Systematische Auslegung 226 ff. Tatbestand 38, 42, 70, 73 f., 97 f., 100, 106, 115, 152, 158 f., 170, 172, 176, 187, 189, 211 f., 225 f., 229, 234, 238 Tatbestandsirrtum 58, 67, 159, 172 f., 185

TDv 28 f., 104 Teilnahmeargument 95 f. Teleologische Auslegung 231 ff. Trennung von Verbindlichkeit und Verantwortung 245 f. Unmittelbares Zwanggesetz 225 f., 227 f. Unterscheidung von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit des Befehls 47 ff. Unverletzlichkeit der Wohnung 127 Verbindlichkeit des Befehls 47 ff. Verbotsirrtum 116, 165, 169, 173, 185 Verfassungsprinzipien 122 ff. Verfassungswidriger Befehl 117 ff., 119 ff., 254, 262 f. Vermutung der Rechtmäßigkeit 52 f., 62, 190, 206 Versammlungsfreiheit 127 Verteidigungsgesetz 127 Verwaltungsakzessorietät 210, 256 Verwarnung mit Strafvorbehalt 194 f. Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes 117 Völkerrechtswidriger Befehl 101, 117 ff., 134, 162 Völkerstrafgesetzbuch 178 f. Vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht 129, 132 ff. Vorläufige Festnahme 66 ff., 163 Vorrang des Gesetzes 73, 251 Vorsätzliches Begehungsdelikt 158 ff. Weisung, Definition 197 f. Wesensgehalt 126, 128 Wille des Gesetzes 77 f., 94 f., 99, 167, 219 f. Wortlautauslegung 215 ff. ZDv 28 f., 55 f., 58, 68, 104, 116, 120 f., 125, 147 f., 188, 192, 241