Handbuch Niederländisch: Sprache und Sprachkultur von 1800 bis heute 3534259831, 9783534259830

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German Pages 508 [525] Year 2016

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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Hinweise
Abkürzungen
1.Einführung
1.1. Zur Geschichtsschreibung niederländischer Sprache und Sprachkultur
1.1.1. Beschreibungsperspektive und Beschreibungsgegenstand
1.1.2. Äussere und innere Grössen des Niederländischen
1.2. Methodische Vorüberlegungen
1.2.1. Periodisierungen der Geschichte des Niederländischen
1.2.2. Die verwendete Terminologie
2.Vorboten des Niederländischen (bis 500)
2.1. Das Rhein-Maas-Schelde-Delta und seine ersten Bewohner
2.1.1. Prähistorie
2.1.2. Die römische Zeit
2.2. Indogermanisch und Germanisch vor der Ausdifferenzierung des Altniederländischen
2.2.1. Frühere Darstellungen der Vorgeschichte des Niederländischen
2.2.2. Folgen der Auseinanderentwicklungen des Germanischen im Delta
2.3. Vorläufer des Niederländischen in den ältesten Quellen
2.3.1. Die Frage der ältesten niederländischen Wörter
2.3.2. Runen als mögliche Anzeichen der Entstehung des Niederländischen
2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen
2.4.1. Phonemik
2.4.1.1. Germanische Lautverschiebung
2.4.1.2. Grammatischer Wechsel
2.4.1.3. Festigung des Wortakzentes
2.4.1.4. Umstrukturierung des Vokalsystems
2.4.1.5. Neuerung des Ablauts
2.4.2. Morphologie und Syntax
2.4.2.1. Änderungen der Formkategorien der Verben
2.4.2.2. Schwache Konjugation
2.4.2.3. Veränderung von Kasus und Numerus
2.4.2.4. Änderungen in den Klassen der Substantive und Adjektive
2.4.3. Lexik
2.4.3.1. Indogermanische und germanische Erbwörter
2.4.3.2. Wörter anderer Herkunft
3.Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)
3.1. Das Gebiet der Niederlande als Teil grösserer Reiche
3.1.1. Die merowingische Zeit
3.1.2. Die karolingische Zeit
3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen
3.2.1. Die Anfänge des Niederländischen
3.2.2. Verbreitung des entstehenden Niederländischen
3.2.3. Quellen und Anwendungsbereiche des Altniederländischen
3.3. Textbeispiele des Altniederländischen
3.3.1. Religiöse Texte
3.3.1.1. Utrechtse doopbelofte
3.3.1.2. Wachtendonckse Psalmen, Psalm 67 und 68
3.3.2. Persönliche Notizen, literarische Wörter
3.3.2.1. Probatio pennae
3.3.2.2. Munsterbilzer Satz
3.4. Merkmale des Altniederländischen
3.4.1. Graphemik und Phonemik
3.4.1.1. Vokale
3.4.1.2. Diphthonge
3.4.1.3. Konsonanten
3.4.1.4. Ingwäonische Lautentwicklungen
3.4.2. Syntax und Morphologie
3.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen
3.4.2.2. Genus
3.4.2.3. Deklination, Kasus
3.4.2.4. Plural
3.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen
3.4.2.6. Modus und Tempus
3.4.3. Lexik
3.4.3.1. Einheimische Wörter
3.4.3.2. Lexikalische Ingwäonismen
3.4.3.3. Sonstige Substrat- und Lehnwörter
4.Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)
4.1. Geschicke der Lehen in den Niederlanden
4.1.1. Zunehmende Selbstständigkeit der Lehen in den Niederlanden (1150–1305)
4.1.1.1. Religiöse Wörter in der Muttersprache
4.1.1.2. Höfische Sprachkultur
4.1.2. Streben nach der Vorherrschaft in den Niederlanden (1305–1482)
4.1.2.1. Aufkommen der Städte, bürgerliche Sprachkultur
4.1.2.2. Unterricht
4.1.3. Politische Wende während Maximilians Regentschaft (1482–1493)
4.1.3.1. Handschriften
4.1.3.2. Rhetoriker-Kammer
4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät
4.2.1. Einheit und Verschiedenheit des Mittelniederländischen
4.2.2. Mittelniederländische sprachliche Selbstbezeichnungen
4.2.3. Die überregionale Geltung des Mittelniederländischen
4.2.4. Quellen und Anwendungsbereiche des Mittelniederländischen
4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen
4.3.1. Literatur
4.3.1.1. Van den vos Reynaerde, Reinke de Vos, Johann Wolfgang Goethe, Reineke Fuchs
4.3.1.2. Augustin, Mich heeft een ridder die waldoen haet
4.3.1.3. Matthijs de Castelein, Rethorike Extraordinaire
4.3.1.4. Elckerlijc
4.3.2. Briefe
4.3.2.1. Brief von Hadewijch
4.3.3. Historische Texte
4.3.3.1. Lodewijk van Velthem, Guldensporenslag
4.3.3.2. Melis Stoke, Rijmkroniek van Holland
4.3.4. Religiöse Texte
4.3.4.1. Hendrik van Veldeke, Sint Servaes
4.3.4.2. Jacob van Maerlant, Rijmbijbel
4.3.4.3. Beatrijs
4.3.4.4. Duytsce psolter, Psalm 67 und 68
4.3.5. Urkunden
4.3.5.1. Schepenbrief van Bochoute
4.4. Merkmale des Mittelniederländischen
4.4.1. Graphemik und Phonemik
4.4.1.1. Vokale
4.4.1.2. Diphthonge
4.4.1.3. Konsonanten
4.4.1.4. Schematische Zusammenfassung mittel- und neuniederländischer sowie deutscher Laute
4.4.2. Syntax und Morphologie
4.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen
4.4.2.2. Genus
4.4.2.3. Deklination, Kasus
4.4.2.4. Plural
4.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen
4.4.2.6. Modus, Tempus, Numerus
4.4.3. Lexik
4.4.3.1. Wortbildung
4.4.3.2. Erbwörter, altniederländische Bildungen, Lehnwörter
4.4.3.3. Einige Erneuerungen in Wortklassen
4.4.3.4. Regionale lexikalische Varianten
5.Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)
5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit
5.1.1. Zunehmende Macht der Habsburger (1493–1555)
5.1.1.1. Religiöse Emanzipation
5.1.1.2. Schulwesen, Lese- und Schreibfähigkeit
5.1.2. Bruch mit Philipp II., Trennung der nördlichen und südlichen Niederlande (1555–1584)
5.1.2.1. Universitäten, Hochschulen
5.1.2.2. Herstellung und Verbreitung von gedruckten Texten
5.1.3. Die nördlichen Provinzen befreien sich (1584–1609)
5.1.3.1. Stadt und Land
5.1.3.2. Verbreitung des kultivierten Niederländischen
5.1.4. Glaubensstreit und Parteikämpfe (1609–1621)
5.1.4.1. Handel, Seefahrt
5.1.4.2. Handelsmonopole, Niederlassungen, Kolonien
5.1.5. Ende der Kämpfe, Frieden in der Republik und in den Österreichischen Niederlanden (1621–1648)
5.1.5.1. Die Republik als Refugium und als Reiseziel
5.1.5.2. Das Niederländische in Asien während der Zeit der VOC
5.2. Die Herausbildung der neuniederländischen Kultursprache
5.2.1. Voraussetzungen für die Entstehung einer niederländischen Kultursprache
5.2.1.1. Die Tradition einer überregionalen Verkehrs-, Verwaltungs- und Literatursprache
5.2.1.2. Zunehmendes Ansehen der Muttersprache
5.2.2. Ausbau des überregionalen Niederländischen
5.2.2.1. Texte zur Orthografie
5.2.2.2. Grammatiken
5.2.2.3. Wörterbücher
5.2.2.4. Puristische Bestrebungen
5.2.3. Quellen und Anwendungsbereiche des Frühneuniederländischen
5.2.3.1. Wissenschaft
5.2.3.2. Kunst
5.2.3.3. Religion
5.2.3.4. Literatur
5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen
5.3.1. Belletristik und Kunst
5.3.1.1. Pieter Cornelisz. Hooft und Daniël Heinsius, Gedichte
5.3.1.2. Karel van Mander, Het leven van Pieter Bruegel, uytnemende schilder
5.3.1.3. Gerbrand Adriaensz. Bredero, Spaanschen Brabander
5.3.2. Briefe
5.3.2.1. Brief von Pieter Cornelisz. Hooft
5.3.2.2. Brief von Rembrandt
5.3.3. Sonstige Prosatexte
5.3.3.1. Pieter Cornelisz. Hooft, Nederlandsche Historien
5.3.3.2. Willem Bontekoe, Scheepsjournaal
5.3.4. Religiöse Texte
5.3.4.1. Evangelienbuch, Lukas 19
5.3.4.2. Statenvertaling, Lukas 19
5.3.4.3. Statenvertaling, Psalm 68 und 69
5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit
5.4.1. Geschriebene und gesprochene Formen des frühen Neuniederländischen
5.4.1.1. Laute
5.4.1.2. Schriftzeichen
5.4.1.3. Frühere Beschreibungen von Vokalen, Diphthongen und Konsonanten
5.4.1.4. Zeichensetzung
5.4.2. Syntax und Morphologie
5.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen
5.4.2.2. Genus
5.4.2.3. Deklination, Kasus
5.4.2.4. Numerus
5.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen
5.4.2.6. Infinitivkonstruktionen, Infinitive
5.4.2.7. Partizipialkonstruktionen, Partizipien
5.4.2.8. Modus und Tempus
5.4.3. Lexik
5.4.3.1. Neubildung
5.4.3.2. Formvarianz
5.4.3.3. Änderungen in Wortkategorien
5.4.3.4. Eingewanderte Fremdwörter, ausgewanderte niederländische Lehnwörter
6.Das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit (1650 bis 1800)
6.1. Die Republik der Vereinigten Niederlande zwischen den europäischen Mächten
6.1.1. Die erste statthalterlose Ära der Republik (1650–1672)
6.1.1.1. Niederländer am Kap der Guten Hoffnung
6.1.1.2. Entstehung niederländischer Sprachvarietäten im Süden Afrikas
6.1.2. Die Republik während der Amtszeit Wilhelms III. (1672–1702)
6.1.2.1. Kolonien im Westen, Dreiecksfahrten, Handel mit Sklaven
6.1.2.2. Niederländisch in Amerika
6.1.3. Die zweite statthalterlose Ära (1702–1747)
6.1.3.1. Moralische Wochenschriften
6.1.3.2. Erscheinungsformen einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft
6.1.4. Statthalter und Patrioten im Norden, Einverleibung des Südens (1747–1795)
6.1.4.1. Erste Vereine und Fachzeitschriften zur Förderung der niederländischen Philologie
6.1.4.2. Niederländisch als Universitätsfach
6.2. Vermehrte Reglementierung des überregionalen Niederländischen
6.2.1. Fortschreitende Vereinheitlichung der gepflegten Sprache
6.2.2. Die Suche nach Sprachnormen
6.2.3. Veröffentlichungen zum Niederländischen in der mittleren Neuzeit
6.2.4. Anwendungsbereiche des kultivierten Niederländischen
6.2.4.1. Verschiedenartige gedruckte Medien
6.2.4.2. Niederländisch als Sprache unterschiedlicher Wissensgebiete
6.2.4.3. Niederländische Literatur
6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit
6.3.1. Literatur
6.3.1.1. Prosa von Elizabeth Wolff und Agatha Deken
6.3.1.2. Gedichte für Kinder von Hieronymus van Alphen
6.3.2. Briefe
6.3.2.1. Briefe an Seeleute
6.3.3. Historische Texte
6.3.3.1. Jan Wagenaar, Vaderlandsche Historie
6.3.4. Religiöse Texte
6.3.4.1. Afrikaanse Bibel, Psalm 68 und 69
6.3.5. Journalistische Texte
6.3.5.1. Justus van Effen, De Hollandsche Spectator
6.4. Merkmale des Niederländischen der mittleren Neuzeit
6.4.1. Schriftsprache und gesprochenes Niederländisch der mittleren Neuzeit
6.4.1.1. Laute
6.4.1.2. Vokale und Diphthonge
6.4.1.3. Konsonanten
6.4.1.4. Einige lautliche Varianten
6.4.2. Syntax und Morphologie
6.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen
6.4.2.2. Deklination, Kasus
6.4.2.3. Genus
6.4.2.4. Strukturen verbaler Gruppen
6.4.2.5. Partizipialkonstruktionen
6.4.2.6. Zusammenziehungen
6.4.2.7. Festigung syntaktischer Merkmale des Neuniederländischen
6.4.3. Lexik
6.4.3.1. Erweiterung des Lexikons
6.4.3.2. Frequenz und Wertschätzung von Lehnwörtern
6.4.3.3. Französische Lehnwörter
6.4.3.4. Deutsche Lehnwörter
6.4.3.5. Übrige Lehnwörter
7.Ausblick
Bibliografie
Register
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Handbuch Niederländisch: Sprache und Sprachkultur von 1800 bis heute
 3534259831, 9783534259830

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Jelle Stegeman

Handbuch Niederländisch Sprache und Sprachkultur von den Anfängen bis 1800

Mit freundlicher Unterstützung der Nederlandse Taalunie (Niederländische Sprachunion – www.taalunie.org)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt. Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: PTP-Berlin, Protago TEX-Production GmbH (www.ptp-berlin.de) Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Umschlagabbildung: Pieter Bruegel d. Ä.: Turmbau zu Babel, 1563. Wien, Kunsthistorisches Museum (Ausschnitt). © akg-images/Erich-Lessing Abbildung Vorsatz: Probatio pennae, vgl. 3.3.2.1. Abbildung Nachsatz: Karte der Niederlande von Joan Blaeu, vgl. 5.1.2.2. Gedruckt auf säurefreies und alterungsbeständiges Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-25977-9 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73739-0 eBook (epub): 978-3-534-73740-6

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Zur Geschichtsschreibung niederländischer Sprache und Sprachkultur . . . . 1.1.1. Beschreibungsperspektive und Beschreibungsgegenstand . . . . . . . . . . . . 1.1.2. Äussere und innere Grössen des Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Periodisierungen der Geschichte des Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Die verwendete Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 22 22 23 25 26 28

2. Vorboten des Niederländischen (bis 500) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Das Rhein-Maas-Schelde-Delta und seine ersten Bewohner . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Prähistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Die römische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Indogermanisch und Germanisch vor der Ausdifferenzierung des Altniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Frühere Darstellungen der Vorgeschichte des Niederländischen . . . . . . . 2.2.2. Folgen der Auseinanderentwicklungen des Germanischen im Delta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Vorläufer des Niederländischen in den ältesten Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Die Frage der ältesten niederländischen Wörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Runen als mögliche Anzeichen der Entstehung des Niederländischen . . 2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Phonemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.1. Germanische Lautverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.2. Grammatischer Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.3. Festigung des Wortakzentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.4. Umstrukturierung des Vokalsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.5. Neuerung des Ablauts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Morphologie und Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.1. Änderungen der Formkategorien der Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.2. Schwache Konjugation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 29 31 35 35 38 40 40 40 41 42 43 44 45 46 50 56 56 59

6

Inhaltsverzeichnis

2.4.2.3. Veränderung von Kasus und Numerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.4. Änderungen in den Klassen der Substantive und Adjektive . . . . . . . . 2.4.3. Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.1. Indogermanische und germanische Erbwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.2. Wörter anderer Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 61 63 63 63

3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150) . . . . . . . . 3.1. Das Gebiet der Niederlande als Teil grösserer Reiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Die merowingische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Die karolingische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Die Anfänge des Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Verbreitung des entstehenden Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Quellen und Anwendungsbereiche des Altniederländischen . . . . . . . . . . 3.3. Textbeispiele des Altniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Religiöse Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.1. Utrechtse doopbelofte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.2. Wachtendonckse Psalmen, Psalm 67 und 68 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Persönliche Notizen, literarische Wörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.1. Probatio pennae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2. Munsterbilzer Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Merkmale des Altniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1. Graphemik und Phonemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.1. Vokale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.2. Diphthonge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.3. Konsonanten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.4. Ingwäonische Lautentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Syntax und Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.2. Genus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.3. Deklination, Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.4. Plural . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.6. Modus und Tempus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3. Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.1. Einheimische Wörter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.2. Lexikalische Ingwäonismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.3. Sonstige Substrat- und Lehnwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 67 67 69 72 74 79 86 90 90 90 91 102 102 102 103 103 105 106 107 107 108 109 110 111 117 118 122 126 127 128 128

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500) . 131 4.1. Geschicke der Lehen in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.1.1. Zunehmende Selbstständigkeit der Lehen in den Niederlanden (1150–1305) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.1.1.1. Religiöse Wörter in der Muttersprache  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4.1.1.2. Höfische Sprachkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4.1.2. Streben nach der Vorherrschaft in den Niederlanden (1305–1482) . . . . . 136 4.1.2.1. Aufkommen der Städte, bürgerliche Sprachkultur . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.1.2.2. Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.1.3. Politische Wende während Maximilians Regentschaft (1482–1493) . . . . 144 4.1.3.1. Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4.1.3.2. Rhetoriker-Kammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät . . . . . . . . . . . . 147 4.2.1. Einheit und Verschiedenheit des Mittelniederländischen . . . . . . . . . . . . . 149 4.2.2. Mittelniederländische sprachliche Selbstbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . 150 4.2.3. Die überregionale Geltung des Mittelniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . 153 4.2.4. Quellen und Anwendungsbereiche des Mittelniederländischen . . . . . . . . 156 4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4.3.1. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4.3.1.1. Van den vos Reynaerde, Reinke de Vos, Johann Wolfgang Goethe, Reineke Fuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4.3.1.2. Augustin, Mich heeft een ridder die waldoen haet . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4.3.1.3. Matthijs de Castelein, Rethorike Extraordinaire  . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 4.3.1.4. Elckerlijc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4.3.2. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.3.2.1. Brief von Hadewijch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.3.3. Historische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.3.3.1. Lodewijk van Velthem, Guldensporenslag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.3.3.2. Melis Stoke, Rijmkroniek van Holland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4.3.4. Religiöse Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4.3.4.1. Hendrik van Veldeke, Sint Servaes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4.3.4.2. Jacob van Maerlant, Rijmbijbel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4.3.4.3. Beatrijs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4.3.4.4. Duytsce psolter, Psalm 67 und 68 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4.3.5. Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4.3.5.1. Schepenbrief van Bochoute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4.4. Merkmale des Mittelniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4.4.1. Graphemik und Phonemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 4.4.1.1. Vokale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4.4.1.2. Diphthonge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

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Inhaltsverzeichnis

4.4.1.3. Konsonanten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 4.4.1.4. Schematische Zusammenfassung mittel- und neuniederländischer sowie deutscher Laute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 4.4.2. Syntax und Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4.4.2.2. Genus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4.4.2.3. Deklination, Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4.4.2.4. Plural . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 4.4.2.6. Modus, Tempus, Numerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 4.4.3. Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 4.4.3.1. Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4.4.3.2. Erbwörter, altniederländische Bildungen, Lehnwörter . . . . . . . . . . . . 227 4.4.3.3. Einige Erneuerungen in Wortklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4.4.3.4. Regionale lexikalische Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650) . 231 5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5.1.1. Zunehmende Macht der Habsburger (1493–1555) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5.1.1.1. Religiöse Emanzipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 5.1.1.2. Schulwesen, Lese- und Schreibfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5.1.2. Bruch mit Philipp II., Trennung der nördlichen und südlichen Niederlande (1555–1584) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 5.1.2.1. Universitäten, Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 5.1.2.2. Herstellung und Verbreitung von gedruckten Texten . . . . . . . . . . . . . 243 5.1.3. Die nördlichen Provinzen befreien sich (1584–1609) . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5.1.3.1. Stadt und Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5.1.3.2. Verbreitung des kultivierten Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 5.1.4. Glaubensstreit und Parteikämpfe (1609–1621) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 5.1.4.1. Handel, Seefahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 5.1.4.2. Handelsmonopole, Niederlassungen, Kolonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 5.1.5. Ende der Kämpfe, Frieden in der Republik und in den Österreichischen Niederlanden (1621–1648) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 5.1.5.1. Die Republik als Refugium und als Reiseziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5.1.5.2. Das Niederländische in Asien während der Zeit der VOC . . . . . . . . . 262 5.2. Die Herausbildung der neuniederländischen Kultursprache . . . . . . . . . . . . . . 264 5.2.1. Voraussetzungen für die Entstehung einer niederländischen Kultursprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 5.2.1.1. Die Tradition einer überregionalen Verkehrs-, Verwaltungs- und Literatursprache  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 5.2.1.2. Zunehmendes Ansehen der Muttersprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

Inhaltsverzeichnis

5.2.2. Ausbau des überregionalen Niederländischen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.1. Texte zur Orthografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.2. Grammatiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.3. Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.4. Puristische Bestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3. Quellen und Anwendungsbereiche des Frühneuniederländischen . . . . . 5.2.3.1. Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3.2. Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3.3. Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3.4. Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1. Belletristik und Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.1. Pieter Cornelisz. Hooft und Daniël Heinsius, Gedichte . . . . . . . . . . . . 5.3.1.2. Karel van Mander, Het leven van Pieter Bruegel, uytnemende schilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.3. Gerbrand Adriaensz. Bredero, Spaanschen Brabander . . . . . . . . . . . . 5.3.2. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.1. Brief von Pieter Cornelisz. Hooft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.2. Brief von Rembrandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3. Sonstige Prosatexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3.1. Pieter Cornelisz. Hooft, Nederlandsche Historien . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3.2. Willem Bontekoe, Scheepsjournaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4. Religiöse Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4.1. Evangelienbuch, Lukas 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4.2. Statenvertaling, Lukas 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4.3. Statenvertaling, Psalm 68 und 69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1. Geschriebene und gesprochene Formen des frühen Neuniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1.1. Laute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1.2. Schriftzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1.3. Frühere Beschreibungen von Vokalen, Diphthongen und Konsonanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1.4. Zeichensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2. Syntax und Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2.2. Genus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2.3. Deklination, Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2.4. Numerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2.6. Infinitivkonstruktionen, Infinitive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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266 268 270 275 279 282 282 286 287 291 299 299 300 303 305 310 310 312 315 315 320 327 327 328 329 332 333 333 334 339 360 362 362 364 366 368 370 374

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Inhaltsverzeichnis

5.4.2.7. Partizipialkonstruktionen, Partizipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2.8. Modus und Tempus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3. Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3.1. Neubildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3.2. Formvarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3.3. Änderungen in Wortkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3.4. Eingewanderte Fremdwörter, ausgewanderte niederländische Lehnwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit (1650 bis 1800) . . . . . 6.1. Die Republik der Vereinigten Niederlande zwischen den europäischen Mächten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1. Die erste statthalterlose Ära der Republik (1650–1672) . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1.1. Niederländer am Kap der Guten Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1.2. Entstehung niederländischer Sprachvarietäten im Süden Afrikas . . . 6.1.2. Die Republik während der Amtszeit Wilhelms III. (1672–1702) . . . . . . . 6.1.2.1. Kolonien im Westen, Dreiecksfahrten, Handel mit Sklaven . . . . . . . . 6.1.2.2. Niederländisch in Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3. Die zweite statthalterlose Ära (1702–1747) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3.1. Moralische Wochenschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3.2. Erscheinungsformen einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4. Statthalter und Patrioten im Norden, Einverleibung des Südens (1747–1795) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4.1. Erste Vereine und Fachzeitschriften zur Förderung der niederländischen Philologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4.2. Niederländisch als Universitätsfach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Vermehrte Reglementierung des überregionalen Niederländischen . . . . . . . 6.2.1. Fortschreitende Vereinheitlichung der gepflegten Sprache . . . . . . . . . . . . 6.2.2. Die Suche nach Sprachnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3. Veröffentlichungen zum Niederländischen in der mittleren Neuzeit . . . . 6.2.4. Anwendungsbereiche des kultivierten Niederländischen . . . . . . . . . . . . . 6.2.4.1. Verschiedenartige gedruckte Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4.2. Niederländisch als Sprache unterschiedlicher Wissensgebiete . . . . . . 6.2.4.3. Niederländische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1.1. Prosa von Elizabeth Wolff und Agatha Deken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1.2. Gedichte für Kinder von Hieronymus van Alphen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2.1. Briefe an Seeleute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6.3.3. Historische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.1. Jan Wagenaar, Vaderlandsche Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4. Religiöse Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4.1. Afrikaanse Bibel, Psalm 68 und 69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5. Journalistische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5.1. Justus van Effen, De Hollandsche Spectator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Merkmale des Niederländischen der mittleren Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1. Schriftsprache und gesprochenes Niederländisch der mittleren Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.1. Laute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.2. Vokale und Diphthonge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.3. Konsonanten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1.4. Einige lautliche Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2. Syntax und Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.2. Deklination, Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.3. Genus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.4. Strukturen verbaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.5. Partizipialkonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.6. Zusammenziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.7. Festigung syntaktischer Merkmale des Neuniederländischen . . . . . . 6.4.3. Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3.1. Erweiterung des Lexikons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3.2. Frequenz und Wertschätzung von Lehnwörtern . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3.3. Französische Lehnwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3.4. Deutsche Lehnwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3.5. Übrige Lehnwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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444 444 450 450 453 453 460 460 461 462 464 464 465 465 466 468 468 470 471 471 472 473 474 475 476 476

7. Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

Vorwort

Im vorliegenden Buch berichte ich von meiner langjährigen, für mich atemberaubenden Expedition durch die Geschichte des Niederländischen in seinem politischen, sozialen und kulturellen Umfeld. Dass Kenner einzelner Gebiete wohl öfters abweichende Routen empfohlen und eine andere Berichterstattung vorgezogen hätten, ist mir dabei bewusst. Für die Unterstützung, die ich unterwegs erfahren habe, bin ich Margot und Hugo, Fachkollegen sowie Freunden sehr verbunden. Insbesondere war Margots Mitarbeit für mich äusserst wertvoll. Den emeritierten Professoren Amand Berteloot, Cor van Bree und Stefan Sonderegger gebührt mein Dank für die zahlreichen Anregungen, Ergänzungen und Korrekturen. Dass sie bereit waren, an einer Darstellung der Geschichte des Niederländischen in einem ungewöhnlich ausführlich dargestellten historischen Kontext mitzuwirken, schätze ich sehr. Prof. Dr. Joop van der Horst und dem emeritierten Prof. Dr. Theo Janssen danke ich für die wertvollen Kommentare. Meinem Leidener Kollegen Dr. Donald Haks bin ich für die Korrektur mancher historischen Daten zu grossem Dank verpflichtet. Auch meiner Züricher Kollegin Prof. Dr. Elvira Glaser danke ich für die vielen Korrekturen und wertvollen Hinweise. Dankbar bin ich M.A. Patrick Schetters, Irmgard Fuchs, BA, Iris Lauper, BA, lic. phil. Christina Müller und lic. phil. Chris De Wulf  für die Transkriptionen, Übersetzungen und Bearbeitungen der von Dr. Marja Clement mit viel Zeitaufwand aus Primärquellen übernommenen Texte. Für ihren unermüdlichen Einsatz und ihre grossartige Unterstützung bin ich Helga OdermattKeinert sehr verbunden. Dass sie immer wieder bereit war, die Texte zu überprüfen, bedeutete für mich eine ausserordentliche Hilfe. Schliesslich danke ich der Nederlandse taalunie Den Haag für die finanzielle Unterstützung des aufwendigen Projektes Deutsche Geschichte des Niederländischen, das von Dr. Marja Clement und von mir seit 2007 an der Abteilung Niederlandistik des Deutschen Seminars der Universität Zürich betreut wurde. Sie ermöglichte die Veröffentlichung des vorliegenden Textes in dieser Form. Jelle Stegeman

Hinweise

Die Textgliederung des vorliegenden Buches erleichtert es, sich rasch einen Überblick über ein Thema zu beschaffen. So lassen sich die Kapitel ‚horizontal‘ zu bestimmten Themen lesen: die ersten Abteilungen der Kapitel 2 bis 6 bilden zusammen beispielsweise eine Einführung in die Geschichte der Niederlande, die Entwicklung des niederländischen Lautsystems lässt sich ab 2.4.1. jeweils in den ersten Paragraphen des vierten Teiles jedes Kapitels verfolgen. Um sprachliche Gegebenheiten in ihrem Kontext zu deuten, kann man den Text auch ‚vertikal‘ lesen und sich auf das jeweilige Kapitel beschränken, das einen sprachhistorisch begründeten Abschnitt der niederländischen Sprachkultur behandelt.

Zitate, Quellenangaben ohne Fussnoten Naturgemäss stützt sich diese Monografie auf zahlreiche primäre wie sekundäre Texte, die immer wieder angeführt werden. Zitate aus Texteditionen werden jeweils durch Abkürzungen, siehe die unten stehende Liste der Abkürzungen, sowie durch Seitenangaben oder Zeilennummern im Haupttext vermerkt. Lexikalische Elemente, Wörter und Beispielsätze ohne Quellenangaben stammen je nach Periode aus dem Oudnederlands Woordenboek (ONW), dem Vroegmiddelnederlands Woordenboek (VMW), dem Middelnederlandsch Woordenboek (MNW), dem Etymologisch Woordenboek (EWN) oder dem Woordenboek der Nederlandsche Taal (WNT). Auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Geschichte der niederländischen Sprache gilt es als eine Selbstverständlichkeit, direkte und indirekte Zitate genauestens zu belegen. Um den Text des vorliegenden Buches möglichst leserfreundlich zu gestalten, wurde im Haupttext dennoch auf Fussnoten mit Angaben zu sekundären Quellen verzichtet, auch wenn diese direkt oder indirekt angeführt wurden. Dafür werden die bedeutendsten Autoren dieser sekundären Werke jeweils namentlich im Haupttext erwähnt, zudem folgen nach jedem Abschnitt Angaben zur angeführten Literatur. Zwar beziehen sich die Darlegungen möglichst auf eigene Beispiele, gelegentlich lässt es sich aber nicht vermeiden, häufig zitierte Texte anzuführen, so der vermutlich altniederländische Satz Hebban olla vogala nestas hagunnan (‚haben alle Vögel damit angefangen, Nester zu bauen‘) oder der althochdeutsche Satz phīgboum habēta sum giflanzōtan in sīnemo wingarten (‚er hatte einen gepflanzten Feigenbaum in seinem Weingarten‘).

Abkürzungen

Primäre Quellen AKB Die Bybel. Dit is die Ganse Heilige Skrif wat al die kanonieke boeke van die Ou en Nuwe Testament bevat oorgesit uit die oorspronklike tale en uitgegee in opdrag van die gesamentlike kommissie verteenwoordigende die drie Hollandse Kerke in SuidAfrika. Kaapstad 1944. BGN De Bosatlas van de geschiedenis van Nederland. Groningen, 2011. BLN Den Bloem-hof van de Nederlandtsche Ieught. Hg. von L.M. Van Dis/J. Smit. ­Amsterdam/Antwerpen 1955. BLS Liesveltbijbel (1542), www.biblija.net 22.2.2012. BTR Beatrijs. Hg. von A.M. Duinhoven. De geschiedenis van Beatrijs. Deel 2. ­Synoptische uitgave der redacties R, K en D van de Middelnederlandse Beatrijs, naast L. (Redaktion R, Kodex 76 E 5 der K.B., ’s-Gravenhage). Utrecht 1989. CGY M. Gysseling (Hg.), Corpus van Middelnederlandse teksten (tot en met het jaar 1300). Reeks I: Ambtelijke bescheiden; reeks II: Literaire handschriften. ­’s-Gravenhage 1977/87. EFB Justus van Effen, De Hollandsche Spectator [1731–1732]. Ausgabe 5. Hg. von P.J. Buijnsters. Deventer 1984. EFK Justus van Effen, De Hollandsche Spectator [1733–1734]. Ausgabe 202. Hg. von J. de Kruif. Leuth 2001. ELC Elckerlijc, Den Spyeghel der Salicheyt van. Diplomatische editie A. van Elslander, 8. Aufl. Antwerpen 1985. FGT Ferguut. Hg. von A.C. Bouman. Zwolle 1962. GBS G.A. Bredero, Moortje en Spaanschen Brabander [1617–1618]. Hg. von E.K. Grootes. Amsterdam 1999. GPS Groningse Psalmglossen. In CGY. GYDB Gysseling/Debrabandere 1999 (ONW). GYS im ONW zitierte, nicht herausgegebene Kollektion Gysseling HDW Hadewijch, Brieven. Hg. von J. van Mierlo S.J., Leuvense studiën en tekstuitgaven 14. Antwerpen 1947. HUY Constantijn Huygens, De briefwisseling 1608–1687. Hg. von J.A. Worp. 6. Bd. ’s-Gravenhage 1911/17. HVV Heynrijck van Veldeke, Sint Servaeslegende. Hg. von G.A. van Es, G.I. Lieftinck und A.F. Mirande. Antwerpen/Brussel/Gent/Leuven 1950. JCW Jacob Cats, Alle de Wercken. Amsterdam 1712.

18

Abkürzungen

JMH Jacob van Maerlant, Heimelijkheid der heimelijkheden. Hg. von A.A. Verdenius. Amsterdam 1917. JMR Jacob van Maerlant, Rijmbijbel. In: CGY. JVV Joost van Vondel, De werken. 10 Bd. Amsterdam 1927/37. KMS Karel van Mander, Ter liefde der Const. Uit het Schilder-Boeck (1604). Hg. von W. Waterschoot. Leiden 1983. LVV Lodewijk van Velthem, ‚Ghi Fransoyse sijt hier onteert‘. De Guldensporenslag. Kritische editie van de Middelnederlandse tekst uit de Voortzetting van de Spiegel historiael. L. Jongen/M. Piters (Hg.). Leuven 2002. LWR Leidse Williram zitiert nach dem ONW. MDC Matthijs de Castelein, De const van rhetoriken. Facsimile van de eerste uitgave, Gent 1555. Oudenaarde 1986. MRB Mittelfränkische Reimbibel zitiert nach dem ONW. MST Melis Stoke, Rijmkroniek van Holland (366–1305). Hg. von J.W.J. Burgers. Den Haag 2004. PDG Prudentiusglossen zitiert nach dem ONW. PHB Pieter Cornelisz. Hooft, De briefwisseling van Pieter Corneliszoon Hooft. Hg. von H.W. van Tricht et al. 3. Teil. Culemborg 1979. PHH Pieter Cornelisz. Hooft, Alle de gedrukte werken. 1611–1738. Hg. W.G. Hellinga/P.Tuynman. Amsterdam 1972. PHL Pieter Cornelisz. Hooft, Uit Hoofts Lyriek. Hg. von C.A. Zaalberg. 5. Aufl. Den Haag 1981. PHW Pieter Cornelisz. Hooft, Waernemingen op de Hollandsche Tael. In: Zwaan 1939, 235–256. PLA Petrus Leupenius, Aanmerkingen op de Neederduitsche taale en Naaberecht. Hg. von W.J.H. Caron. Groningen 1958. RIB Runeninscriptie Bergakker. In: Mees 2002. SAN Samuel Ampzing, Nederlandsch Taelbericht. In: Zwaan 1939, 133–192. SBH Elizabeth Wolff/Agatha Deken, Historie van Mejuffrouw Sara Burgerhart. Hg. von P.J. Buijnsters 1980. SCH Schepenbrief van Bochoute. Hg. von J. Taeldeman/L. Van Durme. Studia Germanica Gandensia. Gent 1999. SLJ M.J. van der Wal (Hg.), De voortvarende zeemansvrouw. Openhartige brieven aan geliefden op zee. Sailing Letters Journaal 3. Zutphen 2010. SVB Statenvertaling (1637), Transkription Nicoline van der Sijs, 2008. www.bijbelsdigitaal.nl. TKT L. ten Kate, Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche Sprake Bd. 1. Amsterdam 1723. TPO Taalpeilonderzoek. http://taalunieversum.org/publicaties/taalpeil-2010. Juni 2013. UDB Utrechtse doopbelofte. In: CGY.

Abkürzungen

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VAP Hieronymus van Alphen, Kleine gedigten voor kinderen [1778]. Hg. von P.J. Buijnsters. Amsterdam 1998. VVR Van den vos Reynaerde. (Red. A, Comburgse handschrift). Hg. von W.G. Hellinga. Zwolle 1952. WAL Walewein. Hg. von W.J.A. Jonckbloet. Leiden 1846. WBS Willem Ysbrantsz. Bontekoe, Iovrnael ofte gedenckwaerdige beschrijvinghe. De wonderlijke avonturen van een schipper in de Oost 1618–1625. Hg. von V.D. Roeper. Amsterdam 1996. WGN Jan Wagenaar, Vaderlandsche Historie 2. Aufl., Band 6. Amsterdam 1770. WPS Wachtendonckse Psalmen. M. Gysseling (Hg.), Corpus van Middelnederlandse teksten (tot en met het jaar 1300). Reeks II: Literaire handschriften. Deel 1. ­’s-Gravenhage 1980.

Sekundäre Quellen ANKO J. Daan/M.J. Francken, Atlas van de Nederlandse klankontwikkeling. Kaarten en tekst. 2 Bd. Amsterdam 1972/77. EWN Philippa, M./F. Debrabandere/A. Quak/T. Schoonheim/N. van der Sijs, ­Etymologisch woordenboek van het Nederlands. 4 Bd. Amsterdam 2003/09. FAND J. Goossens/J. Taeldeman/G. Verleyen/C. de Wulf (Hg.), Fonologische atlas van de Nederlandse dialecten, I–IV. Gent 1998/2005. FSA Goossens, J., Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen ­Niederlands ‚Fränkischer Sprachatlas‘. 3 Bd. Marburg 1988/2002. MAND G. de Schutter/B. van den Berg/T. Goeman/T. de Jong (Hg.), Morfologische atlas van de Nederlandse dialecten, I. Amsterdam 2005. T. Goeman/M. van Oostendorp/ P. van Reenen/O. Koornwinder/B. van den Berg/A. van Reenen, Morfologische atlas van de Nederlandse dialecten, II. Amsterdam 2008. MNW Middelnederlandsch Woordenboek ONW Oudnederlands Woordenboek RND E. Blancquaert/W. Pée, Reeks Nederlands(ch)e Dialectatlassen. 16 Bd. Antwerpen 1925/82. SAND S. Barbiers/H. Bennis/G. De Vogelaer/M. Devos/M. van der Ham (Hg.), Syntactische atlas van de Nederlandse dialecten, I. Amsterdam 2005. S. Barbiers/J. van der Auwera/H. Bennis/E. Boef/G. De Vogelaer/M. van der Ham, Syntactische atlas van de Nederlandse dialecten II. Amsterdam 2008. VMW Vroegmiddelnederlands Woordenboek WNT Woordenboek der Nederlandsche Taal

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Abkürzungen

Sprachen (adjektivisch kleingeschrieben) Afk. Afrikaans Afr. Altfriesisch Afz. Altfranzösisch Agl. Altenglisch Ahd. Althochdeutsch Air. Altirisch Alem. Alemannisch Anl. Altniederländisch Anord. Altnordisch Bair. Bairisch Brab. Brabantisch Dts. Deutsch Eng. Englisch Fläm. Flämisch Fränk. Fränkisch Fri. Friesisch Frz. Französisch Ger. Germanisch Got. Gotisch Gri. Griechisch Hds. Hochdeutsch Holl. Holländisch

Idg. Indogermanisch Ita. Italienisch Klt. Keltisch Lat. Lateinisch Mhd. Mittelhochdeutsch Mir. Mittelirisch Mnl. Mittelniederländisch Ndl. Niederländisch Nds. Niederdeutsch Nhd. Neuhochdeutsch Nnl. Neuniederländisch Pgm. Protogermanisch Port. Portugiesisch Schwed. Schwedisch Sgm. Südgermanisch Skt. Sanskrit Spa. Spanisch Tch. Tocharisch Türk. Türkisch Ugm. Urgermanisch Wgm. Westgermanisch

Sprachwissenschaftliche Begriffe Adj. Adjektiv Adv. Adverb Akk. Akkusativ Dat. Dativ Fem. Femininum Gen. Genitiv Mask. Maskulinum Neutr. Neutrum Nom. Nominativ

Palat. Palatalisierung Perf. Perfekt Pers. Person Plur. Plural Präs. Präsens Prät. Präteritum Sek. Sekundär Sing. Singular Sp. Spontan

1. Einführung

Warum kennt das Niederländische eine sprachliche Form wie vijf als Entsprechung des deutschen fünf (vgl.  3.4.1.4.)? Welche Phraseologismen, die Pieter Bruegel der Ältere 1559 auf seinem Gemälde Die niederländischen Sprichwörter darstellte (vgl.  5.3.1.2., Farbb. VIII, IX, Abb. 19), verwendet man heute noch? Wieso sprechen so wenige Einwohner der ehemaligen niederländischen Kolonien die Muttersprache Erasmus’ und Rembrandts (vgl. 5.1.5.2., 6.1.1.2., 6.1.2.2.)? Daten zur Beantwortung solcher und einer Vielzahl anderer, höchst unterschiedlicher sprachgeschichtlicher und historischer Fragen zum Niederländischen früherer Zeiten findet man in der vorliegenden Monografie ebenso wie Einführungen in die älteren Sprachstufen des Niederländischen oder Angaben zur einschlägigen Fachliteratur. Die folgenden Kapitel führen systematisch in die Geschichte des Niederländischen in seinem politischen, sozio-ökonomischen und kulturellen Kontext von den Anfängen bis 1800 ein. Die Beschreibungen der diachronen Entfaltung des überregionalen Niederländischen beruhen auf Darstellungen der sprachhistorischen Phasen des Alt-, Mittel- und Neuniederländischen. Die Erörterungen zu den jeweiligen sprachimmanenten Entwicklungen des Niederländischen erfolgen im Rahmen ausführlicher Schilderungen der Lebensumstände der Bewohner des Rhein-MaasSchelde-Deltas in der entsprechenden Epoche. Dabei stehen solche unterschiedliche Themen wie beispielsweise die Ausbildungsmöglichkeiten der Sprecher des Niederländischen, die Herstellung von Kodizes und Büchern in der Muttersprache oder der Einfluss von Migranten auf die Entwicklung der einheimischen Sprache zur Diskussion. In der Folge kommen neben phonologischen, morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Entwicklungen auch eine Fülle historischer Gegebenheiten zur Sprache, die mittelbar, häufiger aber unmittelbar die Geschichte des Niederländischen mitbestimmen. Da seit der Veröffentlichung von Herman Vekemans und Andreas Eckes Geschichte der niederländischen Sprache 1993 keine ausführliche deutschsprachige Geschichte des Niederländischen in Buchform mehr erschien, fehlte bis anhin eine deutsche sprachhistorische Monografie dieser germanischen Schwestersprache, welche die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse mit berücksichtigt. Zwar lassen sich Forschungsergebnisse von Sprachhistorikern zum früheren Niederländischen digital auch auf Deutsch immer leichter ausfindig machen. So bietet Neon der Freien Universität Berlin, das ein Projekt Matthias Hünings zur Sprachgeschichte des Niederländischen als Grundlage hat, online einen Schatz an Wissenswertem über das Niederländische, die über das Internet abrufbaren Daten dürften jedoch eine zusammenhängende, umfassende Darstellung des Werdeganges der niederländischen Sprache nicht ersetzen. Der vorliegende Band, der die Geschichte des Niederländischen bis 1800 zum Gegenstand hat, soll diese Lücke schliessen. Eine Beschreibung des Algemeen Nederlands, der niederländischen Standardsprache von heute, die sich seit dem 19. Jh. herausbildete, ist in einer separaten Veröffentlichung darzustellen.

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1. Einführung

Im Folgenden werden zuerst Vorläufer und frühere Formen des Niederländischen sowie die Entstehung und Herausbildung des Neuniederländischen als Beschreibungsgegenstand bestimmt. Danach steht zur Diskussion, inwiefern sowohl äussere sich ändernde Umstände als auch sprachimmanente Erneuerungen systematisch in der Beschreibung der niederländischen Sprache und Sprachkultur zu berücksichtigen sind. Weiter werden methodische Vorüberlegungen angestellt, namentlich zur Problematik der Periodisierung sprachhistorischer Daten und zur Verwendung sprachwissenschaftlicher Ausdrücke. Die Berücksichtigung zahlreicher Einzelheiten in den Ausführungen der vorliegenden Veröffentlichung, die nicht direkt rein sprachhistorische Entwicklungen betreffen, sprengt den traditionellen Rahmen sprachhistorischer Einführungen. Sie dürften aber als Erscheinungen niederländischer Sprachkultur im weitesten Sinn näher ersichtlich machen, in welcher Welt das Niederländische entstand und wie es sich zur drittgrössten germanischen Sprache zwischen Englisch, Friesisch und Deutsch herausbildete.

1.1. Zur Geschichtsschreibung niederländischer Sprache und Sprachkultur Im Folgenden wird zuerst die Beschreibungsperspektive erläutert, die für die vorliegende Darstellung der Geschichte der niederländischen Sprache und Sprachkultur gewählt wurde. Sie bestimmt in hohem Masse Selektion und Auswertung der verwendeten Daten.

1.1.1. Beschreibungsperspektive und Beschreibungsgegenstand Die sprachhistorischen Beschreibungen gehen im vorliegenden Buch von der Fragestellung aus, wie das Niederländische von heute entstand und wie es sich herausbildete. Somit dient das Bestehen der Allgemeinen Niederländischen Standardsprache als Ausgangspunkt bei der Berücksichtigung früherer sprachlicher Entwicklungen. In dieser Beschreibungsperspektive sollen somit jene spezifischen dialektgeografischen, sprachhistorischen und gesellschaftlichen Daten inventarisiert werden, die in der Rückblende den Ursprung und die Entwicklung des heutigen Niederländischen näher erklären können beziehungsweise begleiteten. Dass Merkmale germanischer Sprachvarietäten, die im Delta-Gebiet vorkamen, sprachhistorisch in Zusammenhang mit Eigenschaften benachbarter, verwandter Schreibdialekte im kontinentalsüdgermanischen respektive kontinentalwestgermanischen Gebiet zu sehen sind, spricht für sich. Forschung, welche die Sprache, die aus heutiger Sicht als Altniederländisch zu begreifen ist, in ihrem zeitlichen und räumlichen Umfeld beschreibt und erklärt, hat daher im Kontext eines kontinentalsüdgermanischen beziehungsweise kontinentalwestgermanischen Schreibsprachenkontinuums zu erfolgen, wie u.a. De Grauwe dargelegt hat. So wären Merkmale des in der niederländischen Sprach- und Literaturwissenschaft viel zitierten Satzes Hebban olla uogala nestas h[b?]agunnan, hinase hi[c] [e?][a?]nda thu uug… un[m?]biada…e [uuat unidan

1.1. Zur Geschichtsschreibung niederländischer Sprache und Sprachkultur

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uue?] nu (‚Haben alle Vögel Nester angefangen [zu bauen], ausser Du und ich. Was erwartet Ihr jetzt?/Worauf warten wir noch?‘, vgl. 3.2.3., 3.3.2.1.) in dieser Perspektive im Kontext allgemeinerer Entwicklungen zu beschreiben. Die Entstehung periphrastischer Muster vom Typus hebban hagunnan wäre beispielsweise im Rahmen des Kontinentalwestgermanischen näher zu beleuchten. Dagegen stehen in der hier gewählten Beschreibungsperspektive sprachliche Eigenschaften dieser vorher zitierten Probe einer Schreibfeder im Mittelpunkt, die als relevant für das entstehende Niederländisch einzustufen sind. Es wäre in dieser Optik zum Beispiel zu erforschen, warum periphrastische Muster in den ersten anl. Texten äusserst selten vorkommen, in den jüngeren aber keine Ausnahme bilden (vgl. 3.4.2.5.). Ebenso stellt sich in dieser Betrachtungsweise beispielsweise die Frage, inwiefern olla als ‚Küstenniederländisch‘ (vgl. Dekeyser 2007, Louwen 2009) einzustufen wäre und wie es sich im Niederländischen entwickeln sollte. So wird im vorliegenden Buch versucht, in der Rückblende sprachliche Entwicklungen aufzuzeichnen, die zur Herausbildung des allgemeinen Niederländischen führten. Versucht man die Faktoren zu beschreiben, welche die Entstehung der geschriebenen und gesprochenen niederländischen Standardsprache ermöglichten, so umfasst der Gegenstand der Geschichtsschreibung niederländischer Sprachkultur auch in dieser Beschreibungsperspektive sehr viel mehr als die zögerliche Standardisierung des geschriebenen Niederländischen seit der frühen Neuzeit und die bedeutend später erfolgte Vereinheitlichung des gesprochenen Niederländischen. Merkmale des Altniederländischen, die sich in einer späteren Phase zum Niederländischen herauskristallisierten, gehören ebenso dazu wie Eigenschaften lokaler mittelniederländischer Sprachvarietäten sowie der überregionalen mittelniederländischen Verkehrs- und Kultursprache, welche die Herausbildung des Neuniederländischen ermöglichten (vgl. 5.2.).

1.1.2. Äussere und innere Grössen des Niederländischen Die Beschreibung einer diachronischen Entfaltung des Niederländischen ist in zwei Hinsichten auf verandering im Sinne von ‚Wandel‘ zu gründen: einerseits wandelt sich Sprache kontinuierlich, andererseits vollzieht sich Sprachwandel in einer Gesellschaft, die sich ebenfalls dauernd wandelt. Folglich ist bei der Entwicklung des Niederländischen sowohl mit sprachinternen Erneuerungen als auch mit äusseren sich ändernden Bedingungen zu rechnen. Sodann sind für die Erörterung eines sprachhistorischen Bildes des Niederländischen neben beliebigen, inkonstanten Gegebenheiten auch konstante Entwicklungstendenzen zu berücksichtigen, wie namentlich St. Sonderegger dies für die Geschichte des Deutschen systematisch dargelegt hat. Sie werden hier weiter als feste und variable äussere beziehungsweise feste und variable innere Grössen des Niederländischen bezeichnet. Bei den konstanten, festen äusseren Grössen des Niederländischen ist zuerst das Vorhandensein einer Gruppe Menschen zu nennen, die gemeinsam Niederländisch als Muttersprache anwenden. Sodann gehört das Bewusstsein dieser Menschen, Niederländisch als Muttersprache zu gebrauchen, ebenfalls zu den konstanten äusseren Grössen, ebenso die Selbstbezeichnung der eigenen Sprache, weiter die überregionale Geltung des Niederländischen wie auch die zu-

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1. Einführung

nehmende Möglichkeit der Mitglieder der niederländischen Sprachgemeinschaft, im Niederländischen zu kommunizieren. Damit ist die Geschichte des kommunikativen Handelns in niederländischer Sprache angesprochen, die stets in den ersten Abschnitten der jeweiligen Kapitel zur Sprache kommt. Es handelt sich dabei zum Beispiel um die zeitliche und räumliche Bestimmung der sich etablierenden niederländischen Sprachgemeinschaft. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ab wann von einer niederländischen Schreibtradition die Rede sein kann (vgl. 3.2.1.), die sich von benachbarten Schreibtraditionen abhebt. Ebenso fragt sich, wann im hohen und späten Mittelalter im Gebiet zwischen Maas und Niederrhein, in den Grafschaften Flandern und Holland, auf den Inseln Seelands, in den Herzogtümern Brabant und Geldern und im Bistum Utrecht eine Sprachgemeinschaft vorauszusetzen ist, deren Mitglieder sich nicht nur lokaler Sprachvarietäten, sondern auch einer mittelniederländischen überregionalen Verkehrsund Kultursprache bedienten (vgl.  4.2.). Weiter gehört dazu das Bewusstsein, einer Gemeinschaft mit eigener Sprache anzugehören: ab wann war man sich dessen bewusst, eine gemeinsame Sprache zu benützen, die von der Sprache benachbarter Sprachgemeinschaften abwich, wie sind damalige Bezeichnungen der Muttersprache wie Dietsch oder Duutsch zu verstehen (vgl. 4.2.2.)? Zu den äusseren Grössen zählt zudem die überregionale Geltung des Niederländischen, die zum Beispiel 1477 zum Ausdruck kam, als Maria von Burgund verordnete, Niederländisch als Amtssprache in niederländischsprachigen Provinzen einzuführen (vgl. 4.1.2.). Zu den variablen äusseren Grössen der Geschichte des Niederländischen ist u.a. die Entwicklung des Schreibsystems zu rechnen. Da das lateinische Schriftsystem nur unvollkommen niederländische Laute wiedergeben kann, weisen die überlieferten Texte lokale und individuelle Merkmale auf. Die Kultivierung der Muttersprache, die im 16. Jh. einsetzte, führte allmählich zu einheitlichen Regelungen der Rechtschreibung, die mehr oder weniger zufällig zustande kamen (vgl. 5.2.2.1.). Auch die Textüberlieferung gehört zu den zufälligen äusseren Grössen der Geschichte des Niederländischen: so kennt die mittelniederländische Sprachkultur Ritterepik, in der mittleren Neuzeit umfasst die Epik u.a. Romane in Briefform; in der frühen Neuzeit entstehen Blätter mit kurzen Nachrichten, im 18.  Jh. veröffentlichen Journalisten umfangreiche Essays in Moralischen Wochenschriften (vgl. 6.1.3.1.). Die Veränderlichkeit der Funktionen des Niederländischen hängt wohl mit der uneinheitlichen Textsortenüberlieferung zusammen. So dienten die Wachtendonckse Psalmen wahrscheinlich als Unterstützung beim Lesen eines lateinischen Textes, auch wurden sie vermutlich beim Lateinunterricht benutzt (vgl. 3.2.3.). Mittelniederländische Texte wie die abele spelen (‚weltliche Theaterstücke‘) dienten der Unterhaltung, mehrere Werke Van Maerlants erfüllen didaktische Aufgaben (vgl. 4.2.4.). Brüche in den historisch-systematischen Erneuerungen des Niederländischen werden hier als variable innere Grössen zusammengefasst. Sie gelten als nicht vorhersagbare sprachliche Änderungen, die Teilsysteme wie Akzent-, Laut- und Formensystem durchdringen. So entwickelte sich das Objekt 3. Pers. Plur. hun Anfang des 20. Jh. in einzelnen Sprachvarietäten zu einem Subjekt Plur. wie in hun heb gezegd (,sie haben gesagt‘). Diese Verwendung von hun, die als Verstoss gegen allgemein akzeptierte Grammatikregeln gilt, sich aber rasch verbreitete, erfolgte nicht aus einer sprachhistorisch erklärbaren Entwicklung des Sprachsystems, sondern ist als zufällige Erneuerung einzustufen. Auch die offene Artikulation der Diphthonge ei, ui,

1.2. Methodische Vorüberlegungen

25

und ou durch zumeist gebildete Sprecher, die gegen Ende des 20. Jh. im Westen der Niederlande entstand, ist als zufällige Entwicklung in der Aussprache des Standardniederländischen zu bewerten. Solche Aussprachevarianten, die gemeinhin mit dem Ausdruck poldernederlands (‚Polderniederländisch‘) zusammengefasst werden, hatten bereits Grammatiker wie Christiaen van Heule und Jacob van der Schuere beschrieben, sie konnten sich früher aber nicht durchsetzen (vgl. 5.4.1.3.). Dagegen zählen systematische Entwicklungen der Laute, der Morphematik, der Wortbildung und der Syntax zu den festen inneren Grössen der Geschichte des Niederländischen. Es sind dies gesetzmässig erfolgte sprachinterne Erneuerungen. Zu den zahlreichen Beispielen solcher systematischen Änderungen zählen die Umschreibungen ursprünglich synthetischer Strukturen. So treten im Anl. neben synthetischen Strukturen wie mistrot bin in mistrot bin fan stimmon fiundes (‚missmutig bin ich von der Stimme des Feindes‘ WPS 54, 3) auch umschriebene Strukturen auf, so ic riep (,ich rief‘) in ic eft te gode riep (‚ich jedoch rief zu Gott‘ WPS 54, 17; vgl. 3.4.2.5.). Die Verlagerung des Wortakzentes auf die Stammsilbe führt auch im Niederländischen tendenziell zu vokalischen und konsonantischen Verkürzungen, zur Abschwächung und zur Ausstossung von Nebensilben sowie zu Reduktionen der Flexion. Solche systeminhärente Erneuerungen, die sich in den einander folgenden Sprachstufen des Niederländischen verfolgen lassen, gehören ebenfalls zu den festen inneren Grössen. Zwischen äusseren und inneren Grössen bestehen kausale Zusammenhänge. So sind archa­ ische Merkmale der niederländischen Schriftsprache des 18. Jh. auf die Rezeption von Texten der bewunderten Schriftsteller des 17.  Jh. und der Texte der Statenvertaling zurückzuführen (vgl. 6.4.3.). Sie können dagegen nicht als logisch bezeichnet werden: dass der archaische Charakter des Niederländischen im 19. Jh. von führenden Philologen geschätzt und beschützt wurde, um im 20. Jh. von Linguisten, Pädagogen und Schriftstellern kritisiert und zerstört zu werden, sind beispielsweise zufällige, zeitgebundene Entwicklungen. In den folgenden Kapiteln wird der geschichtliche, sozio-ökonomische und kulturelle Wandel der niederländischen Sprachgemeinschaft zuerst skizzenhaft als äussere Grösse der jeweiligen Sprachstufe des Niederländischen dargestellt. Textbeispiele dienen dazu, einen Eindruck des Sprachmaterials der entsprechenden Epoche zu vermitteln. Die Kapitel schliessen jeweils mit einem Überblick variabler beziehungsweise systeminhärenter interner Sprachentwicklungen ab. Das Zusammenspiel äusserer und innerer, variabler und fester Grössen hat Entstehung und Herausbildung des Niederländischen von heute bestimmt und bildet daher die Grundlage der vorliegenden Darstellung der Geschichte des Niederländischen und der niederländischen Sprachkultur.

1.2. Methodische Vorüberlegungen Die historische Darstellung einer Sprache beruht naturgemäss auf Beschreibungen kürzerer Epochen, die sich voneinander abheben. Die Abgrenzung dieser einzelnen Phasen, die sich nicht strikt logisch aus der Sprache ableiten lässt, basiert auf heterogenen Kriterien, wie dies beispiels-

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1. Einführung

weise T. Roelcke für die Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte belegt hat, und erfolgt subjektiv. Es ist daher zu erläutern, wie sich eine Periodisierung der Geschichte des Niederländischen begründen lässt.

1.2.1. Periodisierungen der Geschichte des Niederländischen Die historische Beschreibung einer Sprache setzt die Einteilung in zeitlich begrenzte Einheiten voraus: ein diachronischer Überblick bedingt somit eine Reihe Darstellungen synchronischer Sprachzustände, wobei aber gilt, dass natürliche Sprachen sich fortlaufend ändern. Somit setzt Diachronie eine nicht bestehende Synchronie voraus. Für diesen bekannten Widerspruch der Sprachgeschichte, der hier nicht weiter zur Diskussion steht, sind Lösungen zu suchen, die es gestatten, Zeiteinheiten abzustecken, in denen ‚keine bedeutenden‘ sprachlichen Veränderungen stattfinden. Ein solches subjektives Vorgehen wird erschwert, da sprachliche Erneuerungen, die eine neue Stufe einläuten, häufig vereinzelt in Erscheinung treten und sich in der Regel zeitlich nicht genau festlegen lassen. So ist es unmöglich, ein Jahr zu nennen, in dem der sprachhistorisch so entscheidende Prozess der Reduktion von Vokalen in unbetonten Silben abgeschlossen war. Noch im 11. Jh. sind solche Vokale, die als Merkmale des Altniederländischen gelten, zu finden, wie a in Hebban olla uogala (‚haben alle Vögel‘). Hundert Jahre später sind sie im Mittelniederländischen zum Schwa ə, geschrieben reduziert wie in hebben, alle und vogele oder vogels. Das Neuniederländische unterscheidet sich diesbezüglich vom Mittelniederländischen durch Apokope, so wird das Mittelniederländische bedde (‚Bett‘) durch Wegfall des Auslauts zum bed. Auch diese Entwicklung, die im Spätmittelalter anzusetzen ist, längere Zeit beanspruchte, Gegenstand von Diskussionen der Sprachgelehrten in der frühen Neuzeit war (vgl. 5.4.3.2.) und sich im Norden anders vollzog als im Süden, lässt sich nicht mit genauen Daten festlegen. Wählt man für die Periodisierung trotzdem die Reduktion des Auslauts als Ausgangspunkt, die auch im Niederländischen die bedeutsame Mutation von einer synthetischen in eine analytische Sprache begleitet, so ist unsicher, ob eine solche Unterscheidung in Sprachstufen sich auch für die Beschreibung der sonstigen phonemischen Merkmale oder zur Kennzeichnung graphemischer, syntaktischer, morphologischer und lexikalischer Erscheinungen eignet. So lässt sich die Syntax des späteren Mittelniederländischen nicht eindeutig von derjenigen des Frühneuniederländischen abgrenzen. Schliesslich ergibt diese Dreiteilung, die auf sprachimmanenten Erscheinungen basiert, ungleiche Perioden, die für das Neuniederländische gar eine Sprachstufe von fünf Jahrhunderten bedeutet. Verfasser von Handbüchern zur Geschichte des Niederländischen gründen die Periodisierung denn auch zwangsläufig auf mehreren, verschiedenartigen Kriterien. In der Regel gehen sie von der Dreiteilung Alt-, Mittel- und Neuniederländisch aus, verfeinern diese allerdings auf recht unterschiedliche Weise, um überschaubare Zeitabschnitte zu erhalten. So berücksichtigt De Vooys zuerst die Sprachstufe des Mittelniederländischen, nimmt dann die vollen Jahrhunderte als Abgrenzung der jeweiligen Abschnitte wie Zestiende eeuw (‚Sechzehntes Jahrhundert‘) und Zeventiende eeuw (‚Siebzehntes Jahrhundert‘), wählt später eine von der Politik ab-

1.2. Methodische Vorüberlegungen

27

gegrenzte Episode wie De Bataafse Republiek. De inlijving. De eerste jaren van het koninkrijk (1795 – ±1835) (‚Die Batavische Republik. Die Einverleibung. Die ersten Jahre des Königreiches, 1795 – ±1835‘) oder eine Periode, die auf kulturellen Erneuerungen basiert, zum Beispiel De Gids-tijd. Opkomst van de taalwetenschap (±1835 – ±1885) (‚Die Epoche der Zeitschrift De Gids. Entstehung der Sprachwissenschaft, ±1835 – ±1885‘), vgl. De Vooys 1952. Van der Wal und Van Bree bestimmen die Periodisierung des Niederländischen einerseits auf sprachhistorisch begründeten Stufen wie De verscheidenheid van het Middelnederlands (‚Die Verschiedenheit des Mittelniederländischen‘). Andererseits benutzen sie die Jahrhunderte als Abgrenzung wie Drie eeuwen interne taalgeschiedenis (‚Drei Jahrhunderte interne Sprachgeschichte‘) oder eine sprachpolitische Gegebenheit wie De strijd voor en om het Nederlands in Vlaanderen (‚Der Kampf für und um das Niederländische in Flandern‘), vgl. Van der Wal et al. 2008. Janssens und Marynissen gehen bei der Einteilung ihrer Sprachgeschichte von der Dreiteilung Alt-, Mittel- und Neuniederländisch aus, fügen aber ein Kapitel Het Nederlands vandaag (‚Das Niederländische heute‘) hinzu, was allerdings zum Neuniederländischen zu rechnen wäre, vgl. Janssens et al. 2005. Auch Vekeman und Ecke grenzen die ersten Kapitel ihrer Geschichte der niederländischen Sprache aufgrund sprachhistorischer Kriterien ab, so folgt auf Das Altniederländische und seine Vorgeschichte ein Kapitel über Mittelniederländisch, sie wechseln dann aber auf eine Einteilung in Jahrhunderten, verwenden sodann zur Periodisierung politische Ereignisse, zum Beispiel im Kapitel 1794–1830. Revolutionen und Sprachpolitik, vgl. Vekeman et al. 1993. Van den Toorn, Pijnenburg, Van Leuvensteijn und Van der Horst teilen ihre Sprachgeschichte aufgrund sprachimmanenter Gegebenheiten mit Kapiteln wie Oudnederlands (tot circa 1200) (‚Altniederländisch, bis zirka 1200‘) ein, unterteilen dann das Mittelniederländisch in Früh- beziehungsweise Spätmittelniederländisch, ohne dazu eindeutige Kriterien zu formulieren. Weiter beschreiben sie das Neuniederländische in drei verschiedenen Kapiteln, während der Titel des Kapitels über das Niederländische in Belgien offen lässt, ob es sich hier um Neuniederländisch handelt, vgl. Van den Toorn et al. 1997. Schliesslich sei die Periodisierung von Van der Horst in seiner Geschichte der niederländischen Syntax erwähnt, die einerseits auf sprachhistorischen Erscheinungen beruht mit einem Kapitel wie Oudnederlands (‚Altniederländisch‘), andererseits eine Verteilung des Mittelniederländischen in zwei Kapitel kennt, dann einzelne Jahrhunderte berücksichtigt, schliesslich aber für die Beschreibung des neuesten Niederländischen einen Zeitabschnitt von zwei Jahrhunderten aufweist, vgl. Van der Horst 2008. Die Periodisierung des vorliegenden Buches basiert zuerst auf den sprachlichen Erscheinungen, die sich mit den Begriffen Alt-, Mittel- und Neuniederländisch zusammenfassen und durch Entwicklungen des Sprachsystems begründen lassen. Die weitere Einteilung dieser Sprachstufen erfolgt aufgrund von Ausdrücken wie ‚frühe Neuzeit‘ oder ‚mittlere Neuzeit‘, die Historiker oft verwenden und die zum Beispiel die Struktur des Standardwerkes Algemene Geschiedenis der Nederlanden, vgl.  Blok et al. 1977/83, markiert. Schliesslich deuten Bezeichnungen wie ‚Das überregionale Neuniederländische‘ oder ‚Das kultivierte Niederländische‘ in den Titeln

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1. Einführung

der einzelnen Kapitel auf die Funktion des Niederländischen in der jeweiligen Periode. Diese Einteilung, die überschaubare Zeitabschnitte ergibt, beruht folglich sowohl auf sprachinternen Entwicklungen des Niederländischen, auf allgemeinen historischen Gegebenheiten als auch auf dem spezifischen Status der Muttersprache in der entsprechenden Periode.

1.2.2. Die verwendete Terminologie Wie verführerisch es auch sein mag, die Geschichte des Niederländischen planmässig im Einklang mit einem theoretisch begründeten, umfassenden sprachhistorischen Konzept darzustellen, ein derartiges Unternehmen würde allein schon wegen der erforderlichen theoretischen Erklärungen den Rahmen des vorliegenden Buches sprengen. Zudem könnte ein Versuch, die Geschichte des Niederländischen beispielsweise als einen sich über Jahrhunderte vollziehenden generativen Prozess darzustellen, den Text wegen der zu benützenden Ausdrücke und der benötigten Formeln schwer zugänglich machen. Sodann sind in einem Übersichtswerk zur niederländischen Sprachgeschichte fortlaufend sekundäre Quellen zu zitieren, die auf unterschiedlichen Theorien beruhen und unterschiedliche Fachausdrücke verwenden. Folglich liesse sich ein Durcheinander von unterschiedlich verwendeten Termini kaum verhüten. Daher werden in den weiteren Ausführungen Ausdrücke gebraucht, die in sprachwissenschaftlichen Texten gemeinhin Anwendung finden. Diese sprachwissenschaftlichen Begriffe werden nicht weiter theoretisch begründet, ihre Bedeutung ist jeweils durch den Kontext bestimmt. Zur Gliederung der Vielzahl sprachhistorischer Daten wurde eine Einteilung in Graphemik, Phonemik, Syntax, Morphologie und Lexik gewählt, sodann eine Gliederung der Syntax in ‚Strukturen nominaler Gruppen‘ beziehungsweise ‚Strukturen verbaler Gruppen‘ vorgenommen. Auch diese Unterscheidung entbehrt einer weiteren theoretischen Erklärung, ist aber ebenfalls durch den jeweiligen Kontext begründet und schliesst bei anderen Darstellungen der niederländischen Sprache an. So unterscheidet A.M. Duinhoven in seiner Middelnederlandse syntax ebenfalls eine naamwoordgroep (‚Substantivgruppe‘) und eine werkwoordgroep (’Verbgruppe‘), das Standardwerk Algemene Nederlandse Spraakkunst kennt mit den Kapiteln Het woord (‚Das Wort‘), De constituent (‚Die Konstituente‘) und De zin (‚Der Satz‘) eine ähnliche, allerdings weiter ausgearbeitete Strukturierung. Literatur zu 1.1., 1.2.: Aitchison 1991; Ammon 1995; Bartsch et al. 1982; Besch 2003; Besch et al. 1998/2004; Blok et al. 1977/83; Van Bree 1987; Van Bree 1996; Van Bree 2005b; Caron 1954; Coseriu 1974; Dekeyser 2007; Donhauser et al. 2007; Duinhoven 1988/97; Goossens 1985; Goossens 1996; Goossens 2008; De Grauwe 2003; De Grauwe 2008; Haas 2003; Haeseryn et al. 1997; Van der Horst 2008; Hüning 1993; Janssens et al. 2005; Keller 1990; Louwen 2009; Van Oostrom 2006; Philippa et al. 2003/09; Von Polenz 2000; Roelcke 2003; Van der Sijs et al. 2009; Sonderegger 1979; Sonderegger 1999; Stedje 1989; Stegeman 2014; Stellmacher 1971; Stevenson 1984; Van den Toorn et al. 1997; Vandeputte 1997; Vandeputte et al. 1997; Van Veen et al. 1991; Vekeman et al. 1993; De Vooys 1952; Van der Wal 1992; Van der Wal et al. 2008; Willemyns 1995; Willemyns et al. 2003; Te Winkel 1898.

2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

Wie es in prähistorischen Zeiten um das Rhein-Maas-Schelde-Delta, wo das Niederländische entstehen sollte, und seine Bewohner bestellt war, lässt sich nur lückenhaft rekonstruieren. Erst die römische Zeit gibt vermehrt zuverlässige Daten zu diesem Gebiet und den Vorfahren der Niederländer und Belgier preis. Im Folgenden werden zuerst einige historische Voraussetzungen zusammengefasst (vgl. 2.1.), welche die Entstehung der Vorläufer der niederländischen Sprache während der zweiten Hälfte des ersten Millenniums in dieser Ecke Europas ermöglichten. Danach werden die sprachlichen Auseinanderentwicklungen im Germanischen im Hinblick auf die Entstehung des Altniederländischen schematisch dargestellt (vgl.  2.2.). Anschliessend stellt sich die Frage nach den ältesten niederländischen Wörtern, weiter stehen Runen als früheste Quellen des Niederländischen zur Diskussion (vgl. 2.3.). Schliesslich wird die Bedeutung wesentlicher Neuerungen im Germanischen für das spätere Niederländische zusammengefasst (vgl.  2.4.). Es betrifft dies phonemische, morphologische, syntaktische und lexikalische Entwicklungen, die im Niederländischen fortwirken sollten.

2.1. Das Rhein-Maas-Schelde-Delta und seine ersten Bewohner 2.1.1. Prähistorie Während des ausgehenden Zeitalters der letzten Eiszeit entstand an der Nordseeküste um 9700 v.Chr. eine von Mündungsarmen geprägte Flusslandschaft, die, sei es durch Einwirkung der Natur, sei es durch menschliches Eingreifen, im Laufe der Zeit immer wieder ihre Gestalt änderte, bis sie sich zum Rhein-Maas-Schelde-Delta der Gegenwart herausbildete (vgl. Abb. 1a, 1b, 1c, 1d). Jäger und Fischer streiften in der Mittleren Steinzeit von 9000 bis 5500 durch das Gebiet, dann begannen die Menschen in dieser Gegend erstmals Landwirtschaft zu betreiben. Die Kultivierung des Deltas, die bis heute das Handeln der Delta-Bewohner massgeblich bestimmt und sich auch in ihrer Sprache niederschlägt, nahm ihren Anfang. Zuvor hatten sich im Gebiet der heutigen Niederlande, Belgiens und des Nordwestens Deutschlands schon Menschen aufgehalten, was 300.000 Jahre alte Spuren der ausgestorbenen Neandertaler, die vom Jagen und Sammeln lebten, bezeugen. Erste moderne Menschen, wandernde Jäger, Fischer und Sammler, waren hier um 12.700 v.Chr. erschienen. In der Jüngeren Steinzeit nahmen zwischen 5500 und 2000 v.Chr. Bauern und Viehzüchter, die zur bandkeramischen Kultur zählen, südlich der Flüsse in der Umgebung des heutigen Limburgs ihren Wohnsitz, Teile der ausgedehnten Wälder mussten dort für Nutzflächen Platz machen. Grabhügel aus der Zeit nach 2900 v.Chr., die zum Teil noch heute in der Landschaft er-

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

kennbar sind, zeugen vom Totenkult der Völker, die im Deltagebiet während der Späteren Steinzeit und der Bronzezeit lebten. Im Nordosten des Deltas liessen sich die Megalithiker nieder, die der Trichterbecherkultur zugeordnet werden. Mehr als fünfzig Hünengräber in den nördlichen Niederlanden, hergestellt aus markanten Findlingen, belegen heute noch, dass sie auch in diesem Teil Europas gelebt haben. Bauern und Viehzüchter aus der Glockenbecherkultur dürften um 2500 v.Chr. eingewandert sein.

1a

1b

1c

1d

Abb. 1:  Das Rhein-Maas-Schelde-Delta (vgl. Bosatlas 20, 45, 75, 201). 1a 8. Jh. v. Chr.; 1b 1. Jh. n. Chr.; 1c 13. Jh.; 1d 17. Jh.

2.1. Das Rhein-Maas-Schelde-Delta und seine ersten Bewohner

31

Um 500 v.Chr. fingen die Bewohner des Deltas an, erhöhte Siedlungen zu bauen, nachdem sie sich zuvor auf natürlichen Bodenerhöhungen niedergelassen hatten, um sich gegen die Überflutungen in der Fluss- und Moorlandschaft am Meer zu schützen. So entstanden bis 1200 n.Chr., als erste Seedeiche angelegt wurden, allein schon in den Niederlanden mehr als 1100 kleinere Haus- und grössere Dorf-Warfen. Ortsnamen aus der Zeit der Germanen mit lexikalischen Elementen wie terp (aus Afr. therp ‚höher gelegenes Land‘ beziehungsweise thorp aus pgm.*þurpa ,Bau auf urbar gemachtem Land‘ oder als ablautende Variante neben dorp ‚Dorf‘), wierd (Afr. auch werd oder wird, ‚Höhe‘, das möglicherweise etymologisch mit weren ‚Wasser abwehren‘ zusammenhängt und vielleicht mit wierd und waard verwandt ist), und werf (‚Warfte‘) markieren die Siedlungen. Hunderte Ortsnamen in den Landschaften entlang der Nordseeküste, von Südholland bis Dänemark enthalten sprachliche Elemente, die an diese Wohn- und Landwirtschaftskultur erinnern, so -werf in Wieringerwerf, -werd in Tjerkwerd, wird- in Wirdsterterp, -wier in Metslawier, -ward in Bolsward, -uert in Usquert, -warf in Warfhuizen, -uard in Aduard, -warden in Leeuwarden, -weer in Amsweer, sodann weiter östlich in deutschen Ortsnamen auf -wehr, -würden, -wörden, -worth oder -wurth und schliesslich in dänischen Namen auf -vaerft, -vart oder -verft. Erste kleinere Dämme aus der gleichen Zeit bezeugen, dass die Deltabewohner, traditionell im Norden als ‚Westgermanen‘ und im Süden als ‚Kelten‘ bezeichnet, bereits lange vor der römischen Zeit versucht haben, Sumpfland durch Entwässerung urbar zu machen, eine Fertigkeit, die spätere Bewohner der Niederlande schon im Mittelalter zu gefragten Fachleuten in Europa machte (siehe 4.1.1.). Zu Beginn der Zeitrechnung, zwischen 58 und 51 v.Chr., eroberten die Römer Gebiete links des Rheins der als ‚Belgae‘ bezeichneten Germanen, wie Caesar in Einzelheiten in seinen Commentarii belli Gallici beschreibt. Die zum Teil lückenhaft erstatteten Berichte dieser Epoche setzen dem Zeitalter der Prähistorie der Niederlande ein Ende.

2.1.2. Die römische Zeit Um die Zeitenwende lebten auch im Deltagebiet Stammesverbände, die traditionell zu den ‚Germanen‘ gerechnet werden, deren ethnische Identität sich aber nicht zweifelsfrei bestimmen lässt. Anhaltspunkte zu einer Gliederung germanischer Völker und zu ihrer geografischen Zuordnung in Europa bieten antike Zeugnisse. So wären nach Plinius die folgenden fünf Stammesgruppen zu unterscheiden: (1) Vandilier, die man als Nordostgermanen bezeichnen kann, zu denen die Burgunder, die Variner, die Chariner und die Goten zählen, (2) Ingwäonen mit den Kimbern, Teutonen und Chauken, heute auch als Nordseegermanen zusammengefasst, (3) am Rhein lebende Istwäonen, die sogenannten Rheingermanen mit den Sugambrern, (4) Hermionen oder Binnenlandgermanen, wozu die Sueben, Hermunduren, Chatten und Cherusker zu rechnen sind, und (5) Völker wie Peukiner und Bastarnen, die zu den weiteren Ostgermanen gehören. Ohne zwischen den Stämmen weiter zu differenzieren, unterteilt Tacitus die alten Festlandgermanen in Ingaevones, Nordseegermanen, Hermiones, Binnenlandgermanen und ceteri Istaevones, die übrigen Nord- und Ostgermanen. Für das Deltagebiet sind weitere Bezeichnungen der dort lebenden Stammesverbände überliefert. So sollen zwischen Rhein und Maas Eburonen gewohnt

32

2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

haben, die Caesar zwar Germanen nennt, die vermutlich aber Kelten waren. Die Siedlungsgebiete von Stämmen wie Aduatuker und Nervier, von Caesar als Belgae bezeichnet, lagen zwischen Schelde und Maas. Ausserdem wohnten im Delta weitere Bevölkerungsgruppen, die man traditionell als ‚Kelten‘ bezeichnet, zudem dürfte es Gebiete gegeben haben, wo eine keltisierte Aristokratie zwischen einer germanischen Bevölkerung lebte. Neben den antiken schriftlichen Quellen bieten Ergebnisse archäologischer Untersuchungen Argumente zu einer Gruppierung der Germanen um die Zeitenwende, die Übereinstimmungen mit den antiken ethnografischen Zeugnissen der Ingwäonen, der Istwäonen und der Hermionen aufweist. Aus sprachhistorischer Sicht ist eine Gliederung der Germanen zu Beginn der christlichen Zeitrechnung allerdings problematisch, da die benötigten sprachlichen Daten, abgesehen von verhältnismässig wenigen Orts- und Personennamen, erst Jahrhunderte später zur Verfügung stehen. Die Römer besiegten ab 57 v.Chr. Stämme der Belgae, schlugen 51 v.Chr. Ambiorix, Anführer der Eburonen, nachträglich auch als ‚alte Belgier‘ bezeichnet, drängten dann die Nervier und Menapier in den Süden und vereinnahmten den nördlichen Teil des hauptsächlich von Kelten, Galli, bewohnten Galliens, links des Rheins bis südlich der Mündung bei Katwijk. In seiner Darstellung der Ereignisse hält Caesar mit der Aussage Horum omnium fortissimi sunt Belgae die Belgae für die stärksten, fortissimi, aller seiner Gegner, eine Wertschätzung, die Jahrhunderte später die Aufständischen während der Auflehnung gegen König Wilhelm I. und der Entstehung des belgischen Staates 1830 gerne anführten. Sodann besiegte Drusus 12 v.Chr. die nördlich des Rheins lebenden Frisii, Friesen, die Tacitus zusammen mit den Chauken und den Sachsen zu den Ingwäonen rechnet, baute dann vermutlich am Vlie, das von Mela und Plinius lacus Fleuo (vergleiche ger. *flewa ‚fliessendes Wasser‘) genannt wird, die Verstärkung Flevum, vermutlich an irgendeiner Stelle, wo heute das IJsselmeer liegt. Ungewiss ist übrigens, ob der von Plinius verwendete Name Frisiavones einen separaten, möglicherweise südlichen Stamm der Friesen bezeichnet. Nach der Niederschlagung friesischer Aufstände 28 und 47 n.Chr. bestimmte Claudius I. den Rhein als Limes des Imperiums. Nach späteren erfolgreichen Kriegen gegen germanische Völker zwangen die Sieger die Friesen, sich als halbfreie laeti südlich des Rheins niederzulassen. Mittlerweile zogen weitere Stämme, manchmal auf Drängen der Römer, in die Nordwestecke des Imperiums, so die Cananefaten in der Küstengegend mit Forum Hadriani, dem heutigen Voorburg, als Mittelpunkt ihres Gebietes, die Bataver entlang Maas und Rhein oder die Tungerer am linken Ufer des Niederrheins nördlich von Lüttich mit der Hauptstadt Atuatuca, dem späteren Tongeren, das ein Zentrum römischer Kultur wurde. Weiter sollen Sturii und Marsaci auf Inseln im Westen des Deltas gelebt haben. Um die Grenze zu verstärken, schlossen die neuen Herrscher mit einigen Stämmen Bündnisse, u.a. mit den Batavern, die sich auch an der Rheinmündung angesiedelt hatten. Einen von Gaius Julius Civilis geleiteten Aufstand der Bataver in Germania inferior schlugen die Römer 69–70 n.Chr. nieder. Trotz dieser Niederlage entstand in der Neuzeit, als die niederländischen Provinzen sich gegen die zentralistische Macht der Habsburger auflehnten, der Mythos der Bataver als unüberwindliche Vorfahren, der die Humanisten (siehe 5.1.2.1.) veranlasste, in ihren neolateinischen Texten die Niederlande mit Batavia zu bezeichnen oder Leiden phantasievoll in Lugdunum Batavorum umzutaufen, was der Name der ältesten Universität der

2.1. Das Rhein-Maas-Schelde-Delta und seine ersten Bewohner

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Abb. 2:  Germanen im Rhein-Maas-Schelde-Delta (vgl. Bosatlas 45).

Republik (siehe 5.1.2.1.) Academia Lugduno Batava noch immer festhält. Auch in der bildenden Kunst zeigt sich die Verehrung der Bataver, so bearbeitete Otto van Veen 1612 den Bataveraufstand in einer Serie von Radierungen, die Rembrandt wohl zu seinem Gemälde Die Verschwörung der Bataver inspirierte, das für das neue Rathaus von Amsterdam, der mächtigsten Stadt der damaligen niederländischen Weltmacht, bestimmt war. Weiter halten die Hauptstadt niederländisch Ostindiens, Batavia (siehe 5.1.4.2.) oder der Name der nördlichen Niederlande in der französischen Zeit Bataafse Republiek die angeblich heldenhaften Vorfahren in Ehren.

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

An der nördlichen Grenze des Imperiums bauten die Römer Militärstützpunkte. Aus diesen Heereslagern entstanden Nimwegen, Ulpia Noviomagus Batavorum, Köln, Colonia Claudia Ara Agrippinensium und Trajecto, später Utrecht, dessen Name aus lat. traiectum, ‚(Fluss-) Überquerung‘ und ger. ūta- ‚flussabwärts‘ zusammengesetzt ist. Sodann legten die Römer Strassen an, so eine von Köln entlang der Grenze nach Katwijk, eine weitere von Köln zum Ärmelkanal, welche die Maas bei Trāiectum überquerte und bis Boulogne lief. Letztere Strasse erwähnt Heinrich von Veldeke, der erste bekannte Schriftsteller der niederländischen Literatur, in seiner Servatius-Legende, einem der ältesten im Mittelniederländischen überlieferten Texte, als er Maastricht beschreibt: Des steyt die stat te maten / Aen eynre ghemeynre straten / Van Inghelant in Ongheren (‚So liegt die Stadt günstig an einer allgemeinen Strasse von England bis Ungarn‘, siehe 4.3.4.1.). Spätere Zufügungen wie Mose-, Mase- oder Maas- liessen Maastricht‚ in der Bedeutung von ,Übergang über die Maas‘, übrigens von anderen Orten mit ähnlichem Namen unterscheiden, tricht oder trecht dürfte das älteste aus dem Lateinischen entlehnte lexikalische Element im Niederländischen sein. Augustus’ General Drusus liess eine Wasserverbindung zwischen Rhein und Vecht graben und einen Damm zur Regulierung des Rheins bei der Abspaltung der Waal bauen, der römische General Corbulo verband Rhein und Maas mit einem Kanal. Der Ausbau der Infrastruktur diente militärischen Zwecken, sollte aber auch dem Verkehr – manche Hauptverbindung wurde bis zur napoleonischen Zeit benutzt – und dem Handel zugute kommen. Links des Mittel- und Niederrheins befestigten die Römer die Provinz Germania prima mit der Verwaltungsstadt Tongeren und dem militärischen Stützpunkt Nimwegen, weiter südwestlich gründeten sie Belgica secunda mit der Hauptstadt Reims und weiteren Bezirkshauptstädten wie Kamerijk, Atrecht und Doornik. Unter der Herrschaft der Römer wuchsen Städte wie Voorburg, Nijmegen, Tongeren, Doornik, Maastricht oder Heerlen; auf dem Lande, zum Beispiel in der Gegend Aachens, bauten die Privilegierten Villen. Handel, Gewerbe und Handwerk gediehen in Gebieten, die nun zum zentral verwalteten, ethnisch allerdings heterogenen Imperium gehörten. Münzgeld vereinfachte den Zahlungsverkehr, ein neuer, später julianisch genannter Kalender trat in Kraft, der auch im Niederländischen mit Monatsnamen wie juli (‚Juli‘) oder augustus (‚August‘) an römische Kaiser erinnert. Die römische Rechtsprechung förderte eine geordnete Gesellschaft, was wohl auch eine gewisse Alphabetisierung voraussetzte. Inzwischen zogen immer wieder, auch während der Pax Romana (27 v.Chr. bis 180 n.Chr.) Völkerschaften aus dem von Caesar als Germanien bezeichneten Gebiet über den Rhein, führten einmal Raubzüge im römischen Gebiet durch, schützten dann wieder römische Niederlassungen in der Grenzgegend oder dienten in römischen Heeren. Auch die aus dem Gebiet zwischen Rhein und Weser stammenden Franci (‚Franken‘ wohl in der Bedeutung von ‚Mutige‘), die antike Quellen erst im 3. Jh. erwähnen, fielen regelmässig in Gallien ein. Sie setzten sich wahrscheinlich aus mehreren germanischen Stämmen, so den Saliern, Chamaven, Chattuariern und Brukterern zusammen. Während der Regierungszeit Kaiser Julians durften sie sich 358 als foederatii (‚Verbündete‘) auf römischem Gebiet nahe der Grenze in Toxandrien, dem heutigen Brabant niederlassen, um den Limes zu schützen; Köln wurde das Zentrum der ripuarischen Franken. Im folgenden Jahrhundert verbreiteten die Franken sich weiter in Gallien, als Chlodio, König

2.2. Indogermanisch und Germanisch

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der Salfranken, Kamerrijk und Doornik besetzte und trotz einer Niederlage gegen die römischen Truppen bei Atrecht ein fränkisches Reich gründete, das sich bis zur Somme ausdehnte. Chlodios Nachfolger soll der legendäre Merovech gewesen sein, der möglicherweise Vater Childerichs I. respektive der Grossvater Chlodwigs I. und in der Folge Stammvater der späteren Frankenkönige aus dem Geschlecht der Merowinger war. Der Name Saksen (‚Sachsen‘), der seit dem 4. Jh. belegt ist und von den Römern wohl als Sammelbegriff für seefahrende Räuber benutzt wurde, dürfte eine Gruppe von Stämmen wie Chauken, Angrivarier und Cherusker bezeichnen, die sich zusammengeschlossen hatten und zwischen dem Harzgebirge, dem Süden Schleswig-Holsteins und dem heutigen IJsselmeer lebten. Diese sog. Altsachsen, die vermutlich andere germanische Stämme wie u.a. die Tubanter in der heutigen Landschaft Twenthe eingliederten, besiedelten allmählich weite Teile des heutigen Nordwestdeutschlands und der östlichen Niederlande, so Groningen, Drenthe, Overijssel und Achterhoek. Aus ihrer altsächsichen Sprache entstanden niedersächsische Dialekte, die auch für die Entwicklung des Niederländischen von Bedeutung sein sollten (siehe 3.2., 3.4.). Es stellt sich nun die Frage, wie man sich die Entwicklung der Sprache der Deltabewohner vorstellen kann. Damit sind komplexe Sachverhalte angesprochen, die u.a. Verwandtschaftsverhältnisse indogermanischer und germanischer Sprachen betreffen. Literatur zu 2.1.: Bazelmans 2009; Berendsen 2009; Blok 1979; Blok et al. 1977/83, Bd. 1; Blonk et al. 1960/62, Bd. 1; Derks et al. 2009; Van Es 1981; Geyl 1948/59; Gysseling 1960; Haase 1972/73 ff; James 1988; Jonge et al. 2006; Joris 1966; Philippa et al. 2003/09; Van der Sijs 2001; Sonderegger 1979; Van Veen et al. 1991; Vercoullie 1925; Woodman 2009.

2.2. Indogermanisch und Germanisch vor der Ausdifferenzierung des Altniederländischen Im Folgenden werden zuerst Versuche besprochen, Verwandtschaft und Ursprung indogermanischer beziehungsweise germanischer Sprachen zu beschreiben. Anschliessend kommen die ersten sprachlichen Auseinanderentwicklungen im Germanischen, so die Ausdifferenzierung des Gotischen zur Sprache. Schliesslich stellt sich im Hinblick auf die Entstehung des Altniederländischen die Frage nach den Entwicklungen des Germanischen an den Nordseeküsten.

2.2.1. Frühere Darstellungen der Vorgeschichte des Niederländischen Bereits im 16. Jh. erfreute sich die Suche nach der Herkunft einzelner Sprachen Europas einer grösseren Beliebtheit. Neben fantasievollen Versuchen von Humanisten wie Goropius Becanus, das Niederländische als älteste Sprache der Welt einzustufen (siehe 5.2.1.2.), entstanden ernst zu nehmende Beschreibungen von Sprachen und Darstellungen ihrer Verwandtschaftsverhältnisse. So inventarisierte der schweizerische Gelehrte Conrad Gessner 1555 in seinem Mithridates um

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

die 130 Sprachen, nebenbei stellte er übrigens in der Nachfolge von Aegidius Tschudi zwischen dem schweizerischen Deutsch und dem älteren Niederländischen vor der neuniederländischen Diphthongierung der langen i, u und ü eine nähere Verwandtschaft fest. Als erster Gelehrter Europas beschrieb Cornelis Kiliaan (1529?–1607) in seinen Wörterbüchern schon ab 1574 mehrere Sprachen systematisch-vergleichend, indem er zur Erklärung der Stichwörter, die aus seiner brabantischen Muttersprache stammen, Etymologien wie Entsprechungen in anderen Sprachen anführte. So berücksichtigte er für die etymologischen Erklärungen und die damit angedeuteten Verwandtschaftsbeziehungen in seinem 1599 erschienenen Etymologicum Teutonicae Linguae sive Dictionarium Teutonico-latinum französische, deutsche, niederdeutsche, englische, sächsische, spanische, italienische, gotische, griechische, lateinische und hebräische Entsprechungen; seine systematische Beschreibungsweise, die er in der Einleitung begründete, stützte er auf der einschlägigen Fachliteratur seiner Zeit ab (siehe 5.2.2.3.). Im gleichen Zeitalter erwähnte der englische Jesuit Thomas Stephens, Verfasser der ersten Grammatik einer Sprache Indiens, in einem später veröffentlichten Brief von 1583 Übereinstimmungen zwischen einer Sprache des indischen Subkontinentes, dem Konkani in Goa, und dem Lateinischen beziehungsweise dem Altgriechischen. Zwei Jahre später stellte der florentinische Geschäftsmann Filippo Sassetti lexikalische Ähnlichkeiten zwischen dem Sanskrit und dem Italienischen fest. Dann beschrieb Marcus Zuerius Boxhorn (siehe 5.1.2.1.) 1647 in einer dreiteiligen Veröffentlichung als Erster systematisch die Verwandtschaft indoeuropäischer Sprachen, wobei er sowohl Griechisch, Lateinisch, Altsächsisch, Holländisch, Deutsch, Gotisch, Russisch, Dänisch, Schwedisch, Litauisch, Tschechisch, Kroatisch, Walisisch als auch Sanskrit, Persisch, Keltisch und Baltisch berücksichtigte. Er war seiner Zeit weit voraus mit der Annahme einer Urverwandtschaft aller dieser Sprachen, die er bemerkenswerterweise auf grammatikalische Merkmale zurückführt. Ausdrücklich lässt er in seiner Beweisführung zufällige lexikalische Übereinstimmungen zwischen Sprachen nicht gelten: twee dosijnen (‚zwei Dutzend‘) willkürliche Wörter, die sich in unterschiedlichen Sprachen ähneln, seien für seine Annahme einer Verwandtschaft ebenso wenig gültig, so schreibt Boxhorn, wie ein weit verbreitetes ‚Fremdwort‘, wie das in vielen Sprachen vorkommende kemel (‚Kamel‘). Sodann führen Aussagen vom Typus Griecken ende Duytschen (hebben) aan de borsten van eene moeder gelegen, ende uyt eene mondt leeren spreecken (‚Griechen und Niederländer/Deutsche – haben – an den Brüsten einer Mutter gelegen und haben aus einem Munde sprechen gelernt‘) zur Annahme einer Art indoeuropäische Ursprache. Obschon Boxhorn diese irrtümlicherweise als ‚Scytisch‘ bezeichnete, hatte er mit seiner Arbeit die Grundzüge einer historisch vergleichenden Sprachwissenschaft formuliert. Als Geburtsstunde des Faches gilt allerdings der Vortrag des Juristen Sir William Jones vor der Asiatic Society in Calcutta 1786, in dem er auf einen gemeinsamen Ursprung von Sprachen wie Griechisch, Latein, Gotisch, Keltisch, Sanskrit und Altpersisch schloss. Vorher hatte der Jesuit Gaston-Laurent Cœurdoux 1767 übrigens in einem erst 1808 veröffentlichten Brief Übereinstimmungen zwischen Sanskrit, Griechisch, Latein, Deutsch und Russisch beschrieben. Die Arbeit von Gelehrten wie Friedrich von Schlegel, Rasmus Christian Rask, Franz Bopp, Jacob Grimm und ihrer Nachfolger ermöglichte dann ab dem 19. Jh. die systematische Beschreibung der Verwandtschaft beziehungsweise Urverwandtschaft indoeuropäischer Sprachen, so auch

2.2. Indogermanisch und Germanisch

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des Niederländischen. Bedeutende Beiträge zur Forschung der Verwandtschaft des Niederländischen und der niederländischen historischen Grammatik haben auch Sprachhistoriker wie M. Schönfeld und seine Nachfolger geliefert, die im Folgenden mit berücksichtigt werden. Dank diesen wissenschaftlichen Leistungen lässt sich die historische Entwicklung der indo­europäischen Sprachgruppe, die mit etwa 300 Sprachen und heute über drei Milliarden Sprechern, d. h. der Hälfte der Weltbevölkerung, die grösste Sprachfamilie der Welt ist, wohl weiter zurückverfolgen als die Geschichte irgendeiner anderen Sprachgruppe. Als Grundlage dazu diente die Hypothese einer indogermanischen Spracheinheit, auch ‚Urindogermanisch‘ oder nach dem englischen ‚Proto-Indo-European‘ von manchen ‚Protoindoeuropäisch‘ genannt, die man zwischen 3400 und 3000 v.Chr. südlich der Ostsee oder wohl auch in der Nähe des Schwarzen Meeres vermutet. Traditionell wurde diese aufgrund späterer Lautentwicklungen der palatovelaren, velaren und labiovelaren Plosiven in zwei Klassen unterteilt, die einer Isoglosse im Indogermanischen entsprechen würden, eine umstrittene Annahme, welcher namentlich die Lokalisierung des Hethitischen und des Tocharischen widerspricht. Zudem fehlen weitere gemeinsame Lautentwicklungen für jede der beiden Gruppen, die diese Klassifizierung begründen könnten. Für eine Inventarisierung der indogermanischen Sprachen scheint es dennoch zweckmässig, Kentum- und Satemsprachen zu unterscheiden. In Kentumsprachen sind Palatale mit Velaren verschmolzen, während Labiovelare erhalten blieben. Dabei dienen die jeweiligen Bezeichnungen für ‚hundert‘ mit /k/ im Anlaut, wie das lateinische centum, als Prüfstein. Durch Lenisierung hat sich dieser Laut übrigens im Germanischen weiter zu /ch/ oder /h/ wie in nl. honderd (aus *hunda in der Bedeutung ‚grössere Menge‘ und *raþa, ‚Zahl‘), dts. hundert entwickelt. Zu den mehrheitlich im Westen vorkommenden Kentumsprachen gehören Keltisch, Italisch, Germanisch, Illyrisch, Griechisch, Lykisch, Lydisch, Phrygisch, so auch Hethitisch, das aber in Anatolien, und Tocharisch, das im Nordwesten Asiens anzusiedeln ist. In den Satemsprachen fielen labiovelare und velare Plosive zusammen, das palatale /*k/ wurde zu einer Art Sibilant, einem sogenannten Zischlaut. Die Gruppe der Satemsprachen mit Bezeichnungen wie altind. śatám oder iran. sata für ‚hundert‘ umfasst Baltisch, Slawisch, Albanisch, Thrakisch, Armenisch, Iranisch und Indisch, während Pelasgisch laut H. Haarmann eine Substratsprache ist. Einige Nachfolgesprachen des Lateinischen weisen übrigens später eine ähnliche Entwicklung auf, so das Spanische mit cien /θien/ für ‚hundert‘. Die Frage, ob die lautlichen Entwicklungen der Kentum- und Satemsprachen den am frühesten aufgetretenen Unterschied zwischen indogermanischen Sprachen markieren, wäre ebenso Gegenstand der historischen vergleichenden Sprachforschung wie auch das Problem, inwiefern man die Ausdifferenzierung der Sprachgruppen aus der rekonstruierten indogermanischen Spracheinheit erklärt: welche Bedeutung ist beispielsweise räumlicher Nähe und möglichen Kontakten zwischen Sprechern von weniger verwandten Sprachen innerhalb des Indoeuropäischen für die Verwandtschaftsverhältnisse beizumessen? Als Vorläufer der germanischen Sprachen nimmt man traditionell das Urgermanische an, das im ersten Jahrtausend v.Chr. in Gebieten westlich des Baltikums anzusiedeln wäre, sodann das Frühgermanische, das einige Jahrhunderte vor und nach dem Beginn der Zeitrechnung zu datieren ist (siehe 2.2.2.). Die sprachliche Auseinanderentwicklung im Germanischen mit der

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

frühen Herausbildung des Gotischen, die im Folgenden zur Diskussion steht, sollte später, in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n.Chr. zur Ausdifferenzierung weiterer altgermanischer Sprachen, so auch des Altniederländischen (siehe 3.2.) führen.

2.2.2. Folgen der Auseinanderentwicklungen des Germanischen im Delta Die Ausdifferenzierung des Gotischen aus dem Frühgermanischen erfolgte bereits vor dem 4.  Jh. n.Chr., Bibeltexte, die der westgotische Bischof Wulfila (311?–382?) um 369 aus dem Griechischen ins Gotische übersetzte, zeugen davon. Übrigens haben schon früh auch Gelehrte aus den Niederlanden zur Vermittlung dieser gotischen Quelle beigetragen. So befassten sich Humanisten wie Georg Cassander und Cornelius Wouters bereits um 1550 mit Wulfilas Texten, die sich dazumal in einer Handschrift im Benediktinerkloster Werden an der Ruhr befanden. Goropius Becanus (für die in diesem Abschnitt genannten Gelehrten siehe 5.1. und 5.2.), der ebenfalls Einblick in die Handschrift erhielt, erwähnte 1569 als erster Gelehrter diese Quelle in seinen Origines Antwerpianae. Zudem reproduzierte er Fragmente aus der Handschrift mit Hilfe von Holzschnitten und transkribierte sie in römische Buchstaben. Auch Bonaventura Vulcanius veröffentlichte 1597 in seinem De literis et lingua Getarum sive Gothorum (‚Über die Literatur und Sprache der Geten oder Gothen‘) Teile der Texte mit lateinischen Transkriptionen. Er gab der aus dem 6. Jh. stammenden Handschrift nach der silbrigen Farbe der verwendeten Tinte den Namen Codex Argenteus (‚Silberne Handschrift‘) und brachte sie mit Bischof Wulfila in Verbindung. Sodann gab 1602 Janus Gruter Fragmente der gotischen Texte in Druck. Francis Junius der Jüngere, oder François du Jon, besorgte dann 1665 die erste Ausgabe des Codex Argenteus und fügte eine Wörterliste hinzu. Zuvor war Gerardus Vossius als Bibliothekar der Königin Christiana von Schweden in den Besitz der Handschrift gekommen, musste sie dann aus Geldnot nach Schweden verkaufen. Der Codex Argenteus, der die ältesten erhaltenen grösseren Texte einer germanischen Sprache umfasst, ist für die vergleichende und historische Sprachforschung nach wie vor von entscheidender Bedeutung, da er sozusagen vollständig die älteste überlieferte germanische Sprache enthält. Dass das Gotische, das neben Altertümlichkeiten auch wesentliche Erneuerungen des Sprachsystems aufweist, eine Fülle von Daten für die Beschreibung der Geschichte germanischer Sprachen, so auch für die historische Grammatik des Niederländischen enthält, dürfte einleuchten. Allmählich erfolgte nach der Ausdifferenzierung des Gotischen mit der Trennung des Spätgemeingermanischen in eine südliche, kontinentale, später auch britische Gruppe und eine nördliche Gruppe die Herauslösung weiterer germanischer Sprachen, wobei ihre zeitliche Einordnung ungewiss ist. Das aus dem Spätgemeingermanischen entstandene Nordgermanische, Vorläufer der skandinavischen Sprachen, kann mit dem Süd- oder Westgermanischen noch bis ins 5.  Jh. n.Chr. eine gewisse Einheit gebildet haben. Überlieferte Runen (siehe auch 2.3.2.) schliessen dies jedenfalls nicht aus. Vom Südgermanischen hob sich dann im frühen Mittelalter das Nordseegermanische oder Ingwäonische ab, ein Vorgang, der möglicherweise durch den Bedarf an Verständigung an den Küsten der Nordsee nach dem angelsächsischen Einfall in England

2.2. Indogermanisch und Germanisch

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im 5. Jh. begünstigt wurde. Oder handelt es sich bei ‚Ingwäonismen‘ um Varianten, die sich am Rande des vom Fränkischen geprägten germanischen Gebietes durchsetzen konnten? Wie auch immer, sie sollten die Entstehung des Altenglischen, des Altfriesischen und des Altsächsischen prägen, Sprachen, die in der Forschung wegen ihrer gemeinsamen sogenannten nordseegermanischen Merkmale nicht selten als engerer Sprachenverband zusammengefasst werden. In den Küstengebieten der Niederlande dagegen hat der nordseegermanische Einfluss mit Ausnahme der friesischen Gebiete stark abgenommen, das Niederländische weist nur noch vereinzelte ingwäonische Merkmale auf (siehe 3.4.). Weiter entstanden aus dem Südgermanischen neben dem Elbgermanischen (Hermionisch) auch das Rhein-Weser-Germanische (Istwäonisch), das die Herausbildung des Altniederländischen (siehe 3.2.) prägen sollte. Schematisch lässt sich die sprachliche Auseinanderentwicklung vom Indogermanischen bis zur Entstehung des Nordsee-, Rhein-Weser- und Elbgermanischen wie unten darstellen: 4. Jahrtausend v.Chr. Indogermanisch (sog. Kentum-/Satemsprachen) ↓ 1. Jahrtausend v.Chr. Urgermanisch ↓ einige Jh. v./n.Chr. Frühgermanisch ↓ ↘ 4. Jh. n.Chr. Spätgemeingermanisch Ostgermanisch ↙ ↓ (Burgundisch1, Gotisch1, Wandalisch1) Nordgermanisch Südgermanisch (Westgermanisch) ↙ ↘ ⤵ ab dem 5. Jh. n.Chr Nordseegermanisch Rhein-Weser-Germanisch Elbgermanisch (Istwäonisch)2 (Hermionisch)2 (Ingwäonisch)2 1 ausgestorben 2 vgl. 2.1.2.

Die Ausdifferenzierung des Altniederländischen aus dem Germanischen, die im frühen Mittelalter zu datieren ist, steht im nächsten Kapitel, insbesondere in 3.2. zur Diskussion. Literatur zu 2.2.: Beck et al. 1998; Van Bree 1995; Caron 1972; Van Coetsem 1964; Van Coetsem et al. 1972; Daan 1966; Gorter 1983; De Grauwe 1979/82; De Grauwe 2008; Van Hal 2010; Klein 2003; Krause 1968; Kuhn 1959; Kyes 1969; Kyes 1983; Quak 1981; Quak 1983; Quak 2010; Rauch et al. 1995; Schoonheim 2008; Sonderegger 1979; Sonderegger 1985; Sonderegger 1993; Sonderegger 2003; Ulfila/Streitberg 1971; De Vries 1982.

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

2.3. Vorläufer des Niederländischen in den ältesten Quellen 2.3.1. Die Frage der ältesten niederländischen Wörter Die Ausdifferenzierung germanischer Sprachen setzte im 4. Jh. oder früher mit dem Gotischen ein, die Herausbildung weiterer germanischer Sprachen, so des Althochdeutschen oder des Altniederländischen, dürfte erst in der zweiten Hälfte des ersten Millenniums n.Chr. erfolgt sein (siehe 2.2. und 3.2.). Wer die ältesten niederländischen Wörter sucht, kann in der Folge schwerlich antike oder spätantike Quellen zitieren, die aus einem Zeitalter stammen, als sich die niederländische Sprache noch nicht etabliert hatte. Wohl lässt sich ein Nomen wie Vada in der Bedeutung von wad (‚Watt‘), das Tacitus 108 n.Chr. als Bezeichnung eines Ortes im späteren niederländischen Sprachgebiet verwendet, als Vorbote des Niederländischen deuten. Laut N. van der Sijs bezieht sich diese einheimische Bildung, die mit dem lat. vadum urverwandt ist, auf das heutige Wadenoijen in der Provinz Gelderland. Oder meinte der römische Historiker den Ort Vaudancourt in der Umgebung von Amiens, das früher nördlich der französisch-niederländischen Sprachgrenze lag? Jedenfalls gibt der Name im Gebiet, in dem sich das Niederländische herausbilden sollte, das Substantiv vada als Bezeichnung für ‚durchwatbare Stelle‘ preis, das als wad im Niederländischen weiterlebt. Sodann kommt twee (‚zwei‘) im Namen Tuihanti als Bezeichnung für die Landschaft Twenthe bereits zwischen 222 und 235 n.Chr. vor, wohl in der Bedeutung von ‚zwei Teilen‘ oder ‚zweite Landschaft‘. Schliesslich ist auch trecht in der Ortsbezeichnung Traiecto, heute Utrecht (siehe 2.1.2.) in der Bedeutung von ‚durchwatbare Stelle‘ oder ‚Überfahrt, Fähre‘, das um 300 n.Chr. belegt ist, ebenfalls noch während der römischen Zeit als Vorbote des Niederländischen einzustufen. Soweit trecht hier nicht eine Ableitung des anl. Verbs dragan (‚tragen‘) mit Suffix -ti und Umlaut darstellt, ist auf eine Wortübernahme aus lat. traiectus, traiectum zu schliessen.

2.3.2. Runen als mögliche Anzeichen der Entstehung des Niederländischen Die Runeninskription auf einer im niederländischen Bergakker 1996 gefundenen Schwertscheide dürfte den ältesten Satz einer Vorstufe des Niederländischen enthalten, sofern man wie B. Mees ihre Merkmale als niederfränkisch beziehungsweise altniederländisch einstuft. Der Text wurde wohl zwischen 425 bis 450 n.Chr. von Franken hergestellt, die sich im Flussgebiet in der Betuwe niedergelassen hatten. Er lautet:

Abb. 3:  Bergakker Runeninskription.

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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Transkribiert könnte dies heisen: haþuþýwas ann kusjam logūns. Das erste Wort haþuþýwas bezeichnet wohl einen Männernamen, ann ist eine jüngere Form des ugm. *gi-unnan-, anl. gonnen (‚gönnen‘). Als synthetische Bildung darf ann (ik gun ‚ich gönne‘ oder hij gunt ‚er gönnt‘) als erster Vorläufer eines niederländischen finiten Verbs gelten, das mit den nominalen Ergänzungen einen Satz bildet. Die Erklärung der letzten zwei Wörter ist übrigens zweifelhaft. Die ­Inskription führt so zu Interpretationen wie (van) Haþuþýw. Ik (hij?) gun(t) een vlam (zwaard) aan de uitverkorenen (‚[von] Haþuþýw. Ich [er?] gönn[t] eine Flamme [Schwert] dem Erkorenen‘). Gestützt auf einige ausgewählte Befunde der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft soll nun die Bedeutung einiger Änderungen im Germanischen für das später entstandene Niederländische erörtert werden. Literatur zu 2.3.: Künzel et al. 1989; Looijenga 1997; Looijenga 2003; Mees 2002; Van der Sijs 2001; Van der Sijs 2006; Woodman 2009.

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen Für die weitere Bestimmung der Ursprünge des Niederländischen sind die Verwandtschaftbeziehungen näher zu umschreiben. Versteht man mit St. Sonderegger unter Urverwandtschaft eine gemeinsame Wurzel beziehungsweise Morphematik im Indogermanischen, die erst wissenschaftlich linguistisch über die Kenntnis der Lautgesetze erkennbar wird, lässt sich auch für das Niederländische die indogermanische Urverwandtschaft feststellen. So ist stellvertretend für zahllose Belege die Urverwandtschaft von ndl. vis (‚Fisch‘) mit idg. *pisk- durch die von der Sprachwissenschaft systematisch beschriebene Änderung von /*p/ in /f/ beziehungsweise /v/ nachweisbar; wie üblich werden Rekonstruktionen mit [*] bezeichnet. Die Urverwandtschaft geht aber auch aus Entsprechungen im Latein, hier piscis hervor, das diesbezüglich unmittelbar Eigenschaften der vermuteten indogermanischen Bildung preisgibt. So ist auch ndl. hond (‚Hund‘) urverwandt mit idg. *kuon-, vergleiche lat. canis. Ebenso ist -e in ndl. leve wie in leve de koningin (‚es lebe die Königin‘) als Morphem für den Konjunktiv Präsens urverwandt mit idg. *-oi(-), so auch das Suffix -ter in Verwandtschaftsnamen, beispielsweise ndl. zuster (‚Schwester‘) und ndl. broeder (‚broeder‘) mit idg. *-ter, vergleiche lat. frater (‚Bruder‘). Im Vergleich mit dem Indogermanischen weisen das Urgermanische beziehungsweise das jüngere Germanische bedeutende lautliche und grammatikalische Änderungen auf, die in den altgermanischen Sprachen, so auch im Altniederländischen, fortwirken sollten. Diese Änderungen haben sich sehr wahrscheinlich im 1. Jahrtausend v.Chr. vollzogen, möglicherweise setzten sie rund 500 v.Chr. ein, was Merkmale von Lehnwörtern, die erst nachher ins Germanische aufgenommen wurden, andeuten. Aus unveränderten lateinischen Lehnwörtern, die germanische

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

Sprachen nach den römischen Eroberungen in Gallien und entlang dem Rhein aufweisen, wäre andererseits zu folgern, dass die Änderungsprozesse im Germanischen wohl im 1. Jh. n.Chr. zum Abschluss gekommen waren. Die folgenden Abschnitte bieten eine knappe Zusammenfassung der für die Entwicklung altgermanischer Sprachen so entscheidenden Erneuerungen des Germanischen. Einige ihrer Auswirkungen ins Altniederländische, das erst später entstehen sollte (siehe 3.2.), werden bereits hier vermerkt. Die lautlichen und grammatikalischen Erneuerungen im jüngeren Germanischen lassen sich in der Regel anhand von mit [*] bezeichneten indogermanischen Rekonstruktionen und ihren Entsprechungen in jüngeren Sprachstufen darstellen, so die oben erwähnte Entwicklung vom indogermanischen (‚idg.‘) /*p/ zum germanischen (‚ger.‘) /f/, vergleiche idg. *pelu mit altniederländischem (‚anl.‘) filo, niederländisch (‚ndl.‘) veel (‚viel‘). In den folgenden Abschnitten, die u.a. Befunde und Beispiele von C. van Bree und St. Sonderegger berücksichtigen, werden sie mit Belegen aus nicht-germanischen Sprachen, so aus dem Lateinischen, dem Griechischen, dem Mittelirischen, dem Sanskrit beziehungsweise dem Tocharischen oder mit indogermanischen Rekonstruktionen und mit Entsprechungen im Altniederländischen, Althochdeutschen, Mittelniederländischen, Niederländischen und Neuhochdeutschen zusammengefasst. Die zitierten Wörter aus älteren Sprachstufen stammen aus dem ONW, dem VMW sowie vereinzelt aus dem MNW und dem EWN, neuere Beispiele wurden dem WNT entnommen. Die folgenden vergleichenden Darstellungen zeigen neben Übereinstimmungen zwischen früheren Stufen germanischer Sprachen auch systematische Unterschiede. So enthalten die deutschen Beispiele Merkmale der hochdeutschen Lautverschiebung, welche die Ausdifferenzierung des Deutschen im engeren Sinn markiert und zu den hauptsächlichen Strukturelementen des seit dem 8. Jh. schriftlich-literarisch belegten Althochdeutschen zählt. Diese lautlichen Änderungen verbreiteten sich vom Süden aus bis in Gebiete südlich der sogenannten Benrather Linie, eines Isoglossen-Bündels, das vom belgischen Eupen über das niederländische Venlo, weiter via Achen und Düsseldorf-Benrath nach Gummersbach verläuft. Südlich dieser Isoglossen entstanden verschobene Bildungen wie machen oder ich, welche die deutsche Hochsprache kennzeichnen, nördlich davon blieben ältere Formen wie maken oder ik erhalten, so auch im Niederländischen. Da die hochdeutschen Lautentwicklungen sich lediglich in dialektischen Varietäten im äussersten Südosten der Niederlande und im Nordosten Belgiens bemerkbar machen, sind sie für die Entwicklung des Standardniederländischen bedeutungslos (siehe auch 3.2.1.). Sodann belegen die angeführten Beispiele nicht selten bereits in den frühesten Sprachstufen niederländische Eigenarten, welche die weitere Entwicklung des Niederländischen mit prägen sollten. Sie betreffen nicht nur die Phonemik, sondern auch die Morphologie und Syntax.

2.4.1. Phonemik Die Interpretation früherer Schriftzeichen als Wiedergabe lautlicher Eigenschaften erschwert sich, weil Sprachelemente auch früher diverse phonemische und graphemische Varianten kann-

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

43

ten. Die angeführten Beispiele, die lediglich eine Auswahl daraus bilden, sind daher höchstens als ein Versuch der Rekonstruktion früherer Lautverhältnisse aufzufassen. 2.4.1.1. Germanische Lautverschiebung Die folgenden Belege des Tenuis-Spirans-Wandels gelten der Verschiebung von indogermanischen nichtbehauchten Verschlusslauten in neuen germanischen Reibelauten, ‚Spiranten‘: idg. > ger. *p, ph > f ft ff *t, th > þ *k, kh > χ χs χt χj *kw χw 1 vor

> ndl. Beispiel anl. > v lat. pater fadar (‚Vater‘) > cht idg. *grab-ti- graft (‚Graben‘) = ff lat. capere heuon (‚heben‘) > d lat. tres thrī (‚drei‘) > h-1 lat. centum hundret (,hundert‘) Ø lat. pecū fē (,Vieh‘) slān (,schlagen‘) > mir. slacc2 hōon (,hohe‘) > -g3 toch. kauc > ss skt. uksánas ohsson (‚Ochsen‘) = cht lat. octō ahto (,acht‘) > ch ger. *hlahjan – > h- gri. kardiē herta (‚Herz‘) > w- lat. quod uuad (‚was‘) Ø lat. aqua ie (,-a‘‚Wasser‘)

mnl. ndl. vader vader gracht gracht heven heffen drie drie hondert honderd vee vee slaen slaan hoghe (,Höhe‘) hoog ossen ossen achte acht lahgene (,lachen‘) lachen herte hart wat, wes wat aa aa

Vokal

2 vielleicht 3 Lautwert

ist mittelirisch slacc (‚Schwerd‘) mit ‚schlagen‘ verwandt -χ(ch)

Ausgenommen von diesen Änderungen sind pt, st und sk. Der Wandel von Mediae aspiratae zu stimmhaften Reibelauten bezeichnet die Änderung indogermanischer behauchter Reibelaute, die letztlich in mehreren germanischen Sprachen zu weichen Verschlusslauten werden: idg. > ger. > ndl. Beispiel anl. > b skt. bhrātār bruothron1 (‚Bruder‘) *bh > Б Б > v lat. septem sivon (‚sieben‘) > d gr. thúra dura (‚Tür‘) *dh > ð Ø2 idg. *wedhra – = g skt. hamsā gōs (‚Gans‘) *gh > g = ŋ lat. lingua tunga (‚Zunge‘)

mnl. ndl. bruder, broder broe(de)r seven zeven duere deur weder (‚Wetter‘) weer gans gans tonghe tong4

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

*gwh > gw 1 Dativ

> g3 > g5 > w7

ger. *singwan singan (,singen‘) idg. *guhnt- idg. *gwhormos warm (,warm‘)

singhen zingen4 Guntheer6 Gunther warm warm

Plural

2 intervokalisch 3 vor

Nasalen Nasal mit späterer Assimilation 5 vor dunklen Vokalen und Konsonanten 6 als frühmittelniederländischer Name aus *gunþō (‚Kampf‘) und *χarja- (‚Heer‘) 7 vor hellen Vokalen und a 4 nach

Der Media-Tenuis-Wandel betrifft die Entwicklung indogermanischer stimmhafter Verschlusslaute zu stimmlosen Verschlusslauten: idg. > ger. > ndl. Beispiel anl. mnl. ndl. = p lat. scabere skeppen (‚schöpfen‘) scheppen scheppen *b > p *d > t = t lat. pēs, fuot (,Fuss‘) voet voet Gen. pēdis = k lat. dēgūnere cos1 kiesen (,wählen‘) kiezen *gu > k = k lat. gelidus kalt (‚kalt‘) cout koud *g > k 1 als

Präteritum in uuithercosik (‚widerwählte ich‘ in der Bedeutung ,wählte ich ab‘)

2.4.1.2. Grammatischer Wechsel Eine weitere lautliche Entwicklung betrifft das Stimmhaft-Werden der verschobenen stimmlosen Frikative f, þ, χ, χw aus idg. *p, *t, *k, *qw wie auch z aus s im In- und Auslaut, wenn der freie Hauptakzent des Wortes nicht unmittelbar vorausgeht. Nach diesem von Karl Verner 1876 formulierten Lautgesetz entspricht idg. *t daher, abhängig vom Hauptton des Wortes, einmal þ, vergleiche lat. frater mit got. broþar, ein anderes Mal ð wie im Fall lat. pater > got. fadar. In der Folge konnte in Klassen von verwandten Wörtern eine Abwechslung von stimmhaften und stimmlosen Lauten entstehen. Dieser sogenannte grammatische Wechsel lässt sich auch im Niederländischen trotz späterer Entwicklungen wie die komplexe Erscheinung der Analogie nachweisen. So entstand beispielsweise in einer früheren Form des Präteritums Plural von zijn (‚sein‘), das eine Betonung der letzten Silbe kannte, im Inlaut ein z, das sich dann durch wgm. Rhotazismus in -r-, also waren (‚waren‘) verwandelte, während im Singular mit vorhergehender Betonung stimmloses -s erhalten blieb, wie was (‚war‘). Ähnlich entstanden spätere stimmhafte Bildungen von kiezen (‚wählen‘), so im mnl. coren und ghecoren (vgl. deutsche Formen wie ‚erkiesen‘ und ‚erkoren‘) neben Singular coos (‚wählte‘), die später durch Analogiewirkung zu kozen und gekozen wurden. Die Nachwirkung des grammatischen Wechsels, die im Deutschen weitgehend verloren ging, erklärt die im Vergleich zur Nachbarsprache grössere Sonorität des Niederländischen.

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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In einer jüngeren Phase des Germanischen, als das auf dem Vorkommen unterschiedlicher Wortakzente beruhende Vernersche Gesetz nicht mehr wirksam war, fiel der ursprünglich freie indogermanische Wortakzent auf die Stammsilbe. Wie im Deutschen ermöglichte diese Änderung übrigens auch im Alt- und Mittelniederländischen die Entstehung von Texten mit Stabreim, ein Merkmal, das viele der ältesten Quellen des Niederländischen kennzeichnet (siehe 3.3. und 4.3.). Die vermutlich bereits vor der Fixierung des Wortakzentes entstandenen Nominalkomposita mit Präfixen behielten den betonten Vollvokal wie mnl. b’iloke (‚Gefängnis‘‚ ‚Kloster‘), Präfixe in den später gebildeten Verbalkomposita hingegen blieben unbetont wie im anl. bil’ukan (‚schliessen‘, ‚einsperren‘, aus bi und l’uka) und wurden abgeschwächt, vergleiche mnl. beluken, ndl. beluiken (‚schliessen‘), eine Erscheinung, die im Neuniederländischen nachwirkt. 2.4.1.3. Festigung des Wortakzentes In sämtlichen altgermanischen Sprachen traten mit der Verlagerung des Wortakzentes auf die Stammsilbe vokalische und konsonantische Verkürzungen beziehungsweise Reduktionen der Flexion im Auslaut auf. Diese sollten die Entwicklung der germanischen Sprachen morphologisch wie syntaktisch prägen (siehe 3.4., 4.4. und 5.4.). Dass dieser Prozess sich in den germanischen Sprachen zeitlich verschieden wirksam vollzog, zeigt Sonderegger am Beispiel beran (‚tragen‘), einem Verb, das in der 3. Person Sing. so unterschiedliche Formen wie idg. *bhereti, ugm. Бeriþ, got. bairiþ, ahd. birit, anord. berr und agl. bireð kennt. Ergänzend sind weitere Varianten im Anl. zu nennen, so die Formen berid, bired und bîrïd in der Bedeutung von ‚er trägt mich‘, weiter kennt das Mnl. bare (‚gebärt‘), das Ndl. baart (‚gebärt‘) und das Fri. bernath und bernet in der Bedeutung von ‚bringt hervor‘. Die Auswirkung dieser Änderungen im Auslaut im Alt-, Mittelund Neuniederländischen geht aus den folgenden, willkürlich gewählten Beispielen hervor: beginnen (‚beginnen‘) Infinitiv 1 Prät. Sing. 3 Prät. Plur. 3 Part. Perf. 1auch

anl. mnl. biginnan beghinnen begegunsta began, beghonste begunda beghondene

ndl. beginnen begon begon

begondan1 begonnnen hagunnan beghonnen

begonnen begonnen

‚begunden‘

worden (‚werden‘) anl. irrotwuerthan Infinitiv Präs. Sing. 1 wirthon 2 werthes 3 wirthit

mnl. werden word(s)1 wedts wird

ndl. worden word (/t/) wordt (/t/) wordt (/t/)

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

Präs. Plur. 1 werthun 2 unerthet 3 wertint 1 warth Prät. Sing. 3 warth Konj. Präs. Sing. 1 uuerte 3 uuerte Konj. Prät. Sing. 3 wurti Konj. Prät. Plur. 3 wurtīn Part. Perf.

werden werdet worden wart waerd werdde werde gebreduuerthit uuerthin worthan

worden worden worden werd (/t/) werd (/t/) worde1 worde1 wurde wurde werden

1 ungebräuchlich

Es stellt sich die Frage, ob das spärlich überlieferte Altniederländische ebenso wie das diesbezüglich archaische Althochdeutsche im Vergleich zu anderen altgermanischen Sprachen eine zurückhaltende Entwicklung der Flexionsreduktion im Auslaut kannte, wie beispielsweise die wenigen überlieferten Konjunktivformen des Verbs werden (‚werden‘) oder Varianten in der Flexion von hant (‚Hand‘) vermuten lassen: werden anl. Konj. Prät. Sing. 3 gebreduuerthit 3 werthin Konj. Prät. Plur. hant anl. Dat. Sing.  Akk. Plur. Nom. Plur. Gen. Plur. Dat. Plur. Akk. Plur.

hand, hant, hendi, hand, hant hande, hendi hande, hando, hondena handen, handon, handun hande, heinde, hende, hendi

2.4.1.4. Umstrukturierung des Vokalsystems Sodann änderte sich das indogermanische Vokalsystem der Stammsilben, ein verzwickter Vorgang, der sich u.a. durch i- und a-Umlaut, aber auch durch Dehnung vollzog. Sie lässt sich mit Hilfe indogermanischer Rekonstruktionen über das Germanische und verschiedene Stufen einzelner Sprachen, so des Niederländischen, darstellen. Die folgende kurze Zusammenfassung der Nachwirkung einiger dieser Erneuerungen im Niederländischen beruht u.a. auf Ausführungen und Beispielen von Sonderegger und Van Bree, die im Folgenden zum Teil zitiert werden.

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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Aus dem indogermanischen Kurzvokalsystem, das sechs Phoneme umfasste, entstanden im Germanischen die Kurzvokale /a/, /e/, /i/, /o/ und /u/. Einzelsprachlich erfolgte dann eine Phonemvermehrung durch Umlaute, spontane Palatalisierungen und Brechungen, in der Folge kennt das Niederländische /a/, /ā/, /e/, /ē/, /ie/, /o/, /ō/, /ø/, /ɔ/, /ɛi/, /ɔu/, /u/: idg. ger. ndl. ə, a > a > a, e, i, ei, ā, ē > e, i > e, i, ē e > e, i > e, i, ē i > a > a, e, i, ei (/ɛi/) o u, o2 > o, ō, u, ø, ou (/ɔu/) u, u1 > 1 2

aus m̩, n̩, r̩, l̩ vor a, e, o der Folgesilbe

So ist a in ndl. akker (‚Acker‘) auf ger. beziehungsweise idg. a zurückzuführen, vergleiche idg. *aĝros. In offenen Silben entstand im Niederländischen durch Dehnung ā wie in dagen (,Tage‘). Ein a kann auch mit einem älteren o zusammenhängen, vergleiche ndl. acht (‚acht‘), das im idg. *oktom als mögliche Andeutung für vier Finger mit der Dualisform *okto- in der Bedeutung von zwei mal vier entsprechen würde, lat. octō. Beispiele von e und ē, die auf a zurückgehen, sind ndl. heffen (‚heben‘), vergleiche got. hafjan, ahd. heffen, anl. heuon und veen (‚Moor‘), vergleiche got. fani, ahd. fenni, anl. feni. Weiter konnte aus idg. e neben ger. e auch ger. i entstehen, einzelsprachlich ergaben sich dann e, i, oder ē, wie ein Vergleich vom Niederländischen mit dem Althochdeutschen beispielsweise zeigt: 1) e > e, ahd. fel, anl. fel, ndl. vel (‚Fell‘); 2) i > i, ahd. fisc, anl. fisk, ndl. vis (‚Fisch‘); 3) i > ē, ahd. wituwa, anl. widowa, ndl. weduwe (‚Witwe‘); 4) e > ē, ahd. geban, anl. gevon, ndl. geven. Bei verwandten Wörtern ist wie im Deutschen mit Alternanz von e und i zu rechnen, vergleiche ndl. geven, dts. geben, ndl. gift, dts. Gift (‚Gabe‘). Durch Ausgleich oder durch weitere gesetzmässige lautliche Entwicklungen ist dieser e-i-Wechsel im Niederländischen vielfach verschwunden, vergleiche dts. sprechen, spricht, ndl. spreken, spreekt. Unter spezifischen Bedingungen, welche die Merkmale der Folgesilben betreffen, fand eine zusätzliche Steuerung von germanisch e und i sowie von o und u statt, die zum Teil einzelsprachlich erhalten ist und sich auch im Niederländischen nachweisen lässt. Die Änderungen dieses komplexen Vorganges erläutert Sonderegger u.a. mit folgenden Beispielen: 1) e > i, vergleiche lat. medius, ahd. mitti, anl. mitdon, ndl. midden, (‚mitten‘), auch gri. pénte, ahd. fimf, anl. vinf oder durch Wegfall von -n- vor dem ursprünglichen Frikativ im Nordseegermanischen auch anl. vueth, fithima, vīf, mnl. vijf, ndl. vijf (‚fünf‘), sodann ger. *meluk- (‚Gemolkenes‘), ahd. miluh, anl. miluk, mnl. melc, auch anl. milken neben melken (,melken‘), ndl. melken, schliesslich das mit gri. éthos verwandte ger. *siðuz (e > i), ahd. situ, anl. sido, mnl. sede, ndl. zede (‚Sitte‘); 2) i > e, vergleiche das mit dem lat. vir verwandte ger. *weraz, ahd. wër (‚Mann‘); 3) u > o, vergleiche idg. *gulþa-, ahd. gold, anl. golt, mnl. golt (‚Gold‘).

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

Neben dem schon im Indogermanischen vorhandenen und erhaltenen u, vergleiche idg. *juka und lat. iugum, das sich später im Niederländischen in o, vergleiche mnl. joc (‚Joch‘) oder auch ø verwandeln konnte, vergleiche idg. *hubil-l-ar-, anl. huvil, mnl. houvel, ndl. heuvel (‚Hügel‘), entstanden aus den indogermanischen silbenbildenden Liquiden beziehungsweise Nasalen m̩, n̩, r̩, l̩ die urgermanischen Kurzvokale *ul, *um, *un und *ur. Sie entwickelten sich zu u oder o und wurden in einer späteren Phase im Niederländischen zu o, ō, oder ø, so: 1) *ul > u > o, vergleiche idg. *fulla-, afr. ful, fol, anl. fol, mnl. vol ndl. vol (‚voll‘); 2) *um > u > o, vergleiche idg. *gumtis, ahd. kumft, anl. cuomst, mnl. comst, ndl. komst (‚Kommen, Ankunft‘); 3) *un > u > ō, vergleiche idg. *sunu, anl. suno, mnl. soon, ndl. zoon (‚Sohn‘); 4) *ur > o, ō, vergleiche idg. *murþra > anl. morth, mnl. mord, ndl. moord (‚Mord‘); 5) *ur > o > ø wie idg. *duri als Dual für ‚Tür‘ in der Bedeutung von zwei Türhälften, anl. duri, mnl. dore, ndl. deur. Im Gegensatz zum Deutschen mit Bildungen wie gefunden neben gegolten sind in geschlossenen Silben im südlichen Anl. u und o zu o zusammengefallen, im nördlichen Anl. kam aber auch u wie in munt (‚Mund‘), ndl. mond neben o wie in folk (‚Volk‘) vor. Sodann kannte das Urgermanische die besondere Entwicklung von anχ, inχ und unχ zu āχ, īχ, ūχ, weiter entstanden aus den fünf indogermanischen Langvokalen wie auch aus älteren Kurzvokalen und Diphthongen die germanischen Langvokale /ā/, /ē/, /ī/, /ō/ und /ū/. Durch Umlaute und Diphthongierungen erfolgte dann einzelsprachlich eine Phonemvermehrung, die im Niederländischen /ū/, /ī/, /ɔ/, /ʌ/ /ɔei/ und /ɛi/ umfasst: idg. ugm. anχ, inχ, unχ > ā > > ē > ē ī > > ō ū > 1 spätgemeinger.

ger. āχ, īχ, ūχ ō ā 1 ēi ī ō ū

ndl. > > > > > > >

a, i (> ei, /ɛi/), o (/ɔ/), u (/ʌ /) ie ie i (> ei, /ɛi/) ei /ɛi/ oe /u/ uu /y/, ui /ɔei/, ou /ɔu/

ā

Aus Urgermanisch -anχ-, -inχ-, -unχ- entstanden mit n-Schwund und Ersatzdehnung: 1) ā, vergleiche *anχan , anl. dahto, ndl. dacht (,dachte‘); 2) ī, vergleiche *þinχan- , ahd. (gi)thīhan, anl. thīon, diphthongiert ndl. gedijen (‚gedeihen‘); 3) ū, vergleiche *þunχ-tō , ahd. thūhta, anl. (n) eduhe (mit proklitischer Verneinung), thute, mnl. docht, ndl. dunkte (‚dünkte‘). Die mnl. Bildung docht für dacht gilt mit der Entwicklung ǎ > ǒ als einzelsprachliche Bildung, die als sogenannte ingwäonische Erscheinung das Niederländische kennzeichnet. Die idg. Langvokale *ā und *ō fielen zum ō zusammen, vergleiche lat. frāter, ahd. bruoder, anl. bruothron (Dat. Plur.), mnl. broder, brueder, ndl. broeder (‚Bruder‘); so auch *bok, ahd. buoh, anl. buoke (Dat. Sing.), mnl. buec, ndl. boek (‚Buch‘). Germanisch ō wurde immer zum ndl. oe /u/, ein Übergang, der mit Ausnahme der Küstendialekte vermutlich über eine diphthon-

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

49

gische Zwischenstufe erfolgte. Somit dürfte die Vorstufe des Niederländischen ein ō gekannt haben, das sich unmittelbar zum oe entwickelte. Dialektische Varianten dieses Lautes fielen später zum oe zusammen und traten an die Stelle des alten ū, das durch Palatalisierung und Diph­thongierung verschwunden war, vergleiche die anl. Ortsbezeichnung Bidningahusum und anl. hūs mit ndl. huis (‚Haus‘). Das germanische ē, auch als ē2 bezeichnet, das aus idg. ēi entstanden war, wurde entweder direkt, so im Küstengebiet oder sonst wahrscheinlich über eine diphthongische Zwischenstufe, vergleiche ahd. hiar, im Niederländischen schliesslich zu ie /ī/ wie in hier (‚hier‘). Präteritumformen der starken Verben der 7. Klasse erhielten dieses ie, vergleiche anl. (bi)haldan, (be)hilt, ahd. haltan, hialt, ndl. (be)houden, (be)hield (‚behalten, hielt‘) wie später auch lateinische beziehungsweise altfranzösische Lehnwörter, vergleiche frühe Entlehnungen wie ahd. riemo, mnl. rēm, ndl. riem (‚Riemen‘) aus lat. rēmus und die Ortsbezeichnung Tieglon, die das Wort tiegel aus lat. tēgula enthält, im anl. tegela allerdings mit ē, im mnl. mit ē und ie wie teghel, tighel dann ē im ndl. tegel (‚Ziegel‘). Ebenso enthalten spätere Lehnwörter aus dem Afz. wie ahd. spehōn, mnl. spien, ndl. spieden (‚spähen‘) aus espier dieses ie. Schliesslich entstanden aus dem indogermanischen Diphthongsystem, das zwölf Phoneme umfasste, die germanischen Diphthonge ai, eu und au. Durch Phonemspaltung und Monophthongierungen ergab sich einzelsprachlich eine Phonemvermehrung. In der Folge entstanden im Niederländischen /ei /, /ɛi/, /e./ und /ĕ/, das später mit /ē/ zusammenfiel, sodann /o/, /o./ /ou/, /ɔu/ und /ô/, schliesslich /ui/, /ɔei/ beziehungsweise /ie/: idg. āi, ai, ōi, oi > āu, au, ōu, ou > > ēi, ei, ēu, eu 1 später

ger. ai > au > eu >

ndl. /ei/, /ɛi/, /e./, /ê/1 /o/, /o./, /ou/, /ɔu/, /ô/ /ui/, /ɔei/, /ie/

mit /ē/ zusammengefallen

Indogermanische Diphthonge fielen ausser ēi und ei zu den germanischen Kurzdiphthongen ai, eu und au zusammen, ein komplexer Vorgang, der sich namentlich wegen der Entwicklung der Langvokale nicht mit Sicherheit nachvollziehen lässt. Es wären folgende Laute zu unterscheiden: 1) ger. ai aus idg. āi, ai, ōi und oi, das zu ndl. /ei/, /ɛi/, /e./ oder /ê/ wurde, vergleiche idg. *gaiti-, ahd. geiƶ, anl. get- in Ortsbezeichnungen wie Gētenbrugga, mnl. gheet, geit, ndl. geit (‚Geiss‘), sodann idg. *moinis im ahd. gimeini, das aus meini (‚zusammen‘) und Präfix gi (‚tributpflichtig‘) zusammengesetzt ist, anl. gemeine, mnl. gemēn, ndl. gemeen (‚gemeinsam‘); 2) ger. au aus idg. āu, ōu und ou, das im ndl. zu /o./ wurde, vergleiche lat. auris, ahd. ōra, anl. ōra , ndl. oor (,Ohr‘) und idg. *roudhos, ahd. rōt , anl. rōt, mnl. root, ndl. rood (‚rot‘); vor w blieb allerdings ou, vergleiche ahd. scouwōn, anl. skouwon, ndl. schouwen (‚erblicken, schauen‘); 3) ger. eu aus idg. ēu, eu das zum ndl. ui (/ɔi/) diphthongierte, vergleiche lat. teutoni (als Name eines Volkes) und möglicherweise idg. teutā, ahd. thiota, anl. *thiudisk, mnl. dudesc, ndl. Duits.

50

2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

2.4.1.5. Neuerung des Ablauts Erneuerungen der indogermanischen Ablautverhältnisse, die sich im Germanischen vollzogen, führten durch unterschiedliche Auslautgesetze und Endsilbenabschwächungen einzelsprachlich zu weiteren Veränderungen. Unter Ablaut ist der regelmässige, funktionelle Vokalwechsel in der Stammsilbe wurzelverwandter Wörter oder in lautlich einander entsprechenden Wortteilen zu verstehen. So markiert er beispielsweise in nam (‚nahm‘) das Prät. des starken Verbs der 4. Klasse nemen (‚nehmen‘). Bei Abtönung der Klangfarbe spricht man von qualitativem Ablaut, so bei geven, gaf (‚geben‘, ‚gab‘), die Dehn- beziehungsweise Schwundstufe bezeichnet man als quantitativen Ablaut, so anl. gaf (‚gab‘) als 3. Pers. Sing. Prät. neben 3. Pers. Plur. Prät. gauon mit ā (‚gaben‘). Jeder funktionelle Vokalwechsel, der sich auf das Indogermanische zurückführen lässt, ist als Ablaut zu bezeichnen, so haan (‚Hahn‘) neben hoen (‚Huhn‘) und mit Umlaut hen (‚Henne‘). Eine bedeutsame Änderung des Ablauts ergab sich in altgermanischen Sprachen bei der Stammbildung der primären Hauptgruppe der sogenannten starken Verben wie ndl. helpen, hielp, hielpen, geholpen (‚helfen, half, halfen, geholfen‘). Bereits 1710 hatte Lambert ten Kate in seinen Beschreibungen des Gotischen und des Niederländischen die Systematik des Vokalwechsels der starken Verben, die er in sechs Klassen unterteilte, historisch vergleichend dargestellt (vergleiche 6.2.). Jacob Grimm sollte diese Erscheinung dann 1819 mit dem Ausdruck ‚Ablaut‘ in der Sprachwissenschaft allgemein bekannt machen. Die Nachwirkung lautlicher Änderungen dieses Typus zeigt sich im Niederländischen in jenen Zeitwörtern, die das Präteritum als Fortsetzung des indogermanischen Perfekts ursprünglich nicht mit Dentalsuffixen wie ndl. -de, -den, -te, -ten bildeten, vergleiche werkte, werkten (‚arbeitete‘, ‚arbeiteten‘) und wandelde, wandelden (,spazierte‘, ‚spazierten‘), sondern mit Ablaut. Im Urgermanischen entstanden die Präteritumformen vermutlich mehrheitlich durch den dann noch produktiven, jüngeren Ablaut, eine Minderheit durch Reduplikation. Anders als im Gotischen hat sich die Präteritumbildung mit dem jüngeren Ablaut im Westgermanischen durchgesetzt, was sich auch im Niederländischen zeigt, wie aus den unten stehenden Beispielen hervorgeht. Zu unterscheiden sind die Ablautstufen zwischen Infinitiv beziehungsweise Präsensstamm, Präteritum Singular, Präteritum Pluralis (mit Konjunktiv 2 Sing. und Plur.) und Partizip Präter­i­ tum der germanischen e-Gruppe auf der Basis e / a (idg. e / o), der germanischen a-Gruppe auf der Basis a / ē, a / ō und jener auf Basis der germanischen Langvokale ē / e, ō / ē. Die folgenden Beispiele, welche einige der wichtigsten Entwicklungen dieser Ablautstufen festhalten, zeigen im Vergleich zu den deutschen Entsprechungen in den verschiedenen Sprachstufen mehrere spezifische Eigenheiten des Niederländischen.

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

Klasse/Gruppe Inf./Präs. Prät. Sing. Sprache ai 1 ger. e-Gruppe   ī+Kons.   ger. *rīđan *raiđ   rīdan anl.   reit ahd.   rītan   reed, reit mnl.   riden   reed ndl.   rijden   ritt nhd.  reiten

Prät. Plur.

Part. Prät.

  i *riđum

 i *gariđan

  ritum   reden   reden   ritten

  giritan   g(h)ereden   gereden   geritten

51

Die Wirkung niederländischer Lautgesetze zeigt sich in Verben der ersten Klasse mit der ­Di­ph­thongierung von /ī/, der Entwicklung von /ai/ zu /ê/ sowie der Dehnung von /i/ zu /ē/. Klasse/Gruppe Inf./Präs. Prät. Sing. Prät. Plur. Sprache   u 2 ger. e-Gruppe   eu+Kons.   au ger. *gebeuđan *gebauđ *gebuđum   gebot anl.   gibidan   gibōt   gibutum ahd.  gibiotan   ghebieden   ghebô(e)d1   ghebod(e) mnl.   gebood   geboden ndl.   gebieden   gebot   geboten nhd.  gebieten 1 Prät.

Part. Prät.  o *gabođan  gebodan   gibotan   g(h)bo(e)den   geboden   geboten

Sing. kennt Analogformen mit ō (vgl. 3. und 4. Klasse)

Im Einklang mit den niederländischen Lautgesetzen weisen Verben der zweiten Klasse die Entwicklung von /eo/ zu /ie/, von /au/ zu /ô/ auf, zudem hat Dehnung von /u/ zu /ō/ und von /o/ zu /ō/ stattgefunden. Klasse/Gruppe Inf./Präs. Prät. Sing. Prät. Plur. Part. Prät. Sprache 3 ger. e-Gruppe e+Nasal+Kons a u u ger. *finþan *fanþ *fundun *[ga-]fundan   uand   fundan anl.   findan   fundan, uonthen 1   fand   funtum  funtan ahd.  fīndan   uant, vond-   uonden, vanden   g(h)euonden, mnl.   vinden   vunden, wonden   vonden, vunden     vonden ndl.   vinden vond  gevonden   fand   fanden nhd.  finden  gefunden

52

2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

 e+Liquid+Kons.   a ger. *werpan *warp   vuirp anl.   werphan   warf ahd.  wërfan   warp, worp, mnl.   werpen   wurp   wierp ndl.   werpen   warf nhd.  werfen 1 mit

  u  o *wurpum *gaworpan   (far)uuarp  (far)uuirp   wurfum   giworfan   waerpen,   g(h)eworpen   worpen, wurpen   wierpen   geworpen   warfen   geworfen

grammatischem Wechsel

In geschlossenen Silben fielen im Niederländischen /u/ und /o/ zu /o/ zusammen. Sodann sind mnl. hielp, hielpen (‚half, halfen‘) und ndl. wierp, wierpen (‚warf, warfen‘) als Analogformen zu scheppen, schiep, schiepen (‚schöpfen, schöpfte, schöpften‘) entstanden. Klasse/Gruppe Inf./Präs. Prät. Sing. Prät. Plur. Part. Prät. Sprache e+Nasal/Liquid a ē o 4 ger. e-Gruppe   a   ē  o e+k ger. *helan *hal *hēlum *gaholan   (be)hal   (be)halon  (be)holon anl.   (be)helan1   hal   hālum  giholan ahd.  hëlan mnl.   helen  geholen   heelde2   heelde2  geheeld2 ndl.   helen   hehlte2   hehlten2 nhd.  hehlen  gehehlt2

ger. *stëkan anl. *stekan ahd.  stëchan mnl.   steken ndl.   steken nhd.  stechen

*stak

*stēkum *gastokan

  stach   sta(e)c   stak   stach

  stāchum  gistochan   stacense3  g(h)este(e)ken   staken  gestoken   stachen  gestochen

der Bedeutung von ‚verstecken‘; ursprünglich ein starkes Verb, wie aus ndl. onverholen (‚unverhohlen‘) hervorgeht 2 mit Dentalsuffix 3 mit enklitischem Objekt 1 in

Durch Dehnung von /e/ und /i/ in betonten offenen Silben enstand im Niederländischen /ē/; /o/ entwickelte sich unter diesen Bedingungen zu /ō/, sodann wurde /έ/ zu /a/.

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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Klasse/Gruppe Inf./Präs. Prät. Sing. Prät. Plur. Part. Prät. Sprache e+Kons. a ē e 5 ger. e-Gruppe (nicht Nasal, Liquid, k) ger. *geБan *gaБ *gēБum *gageБan   gaben, gauon   gegeben, gegeuan(a) anl.   gevan  gaf   gegiuon, iegieuan   gābum   gigëban ahd.  gëban  gab   g(h)af, jaf   g(h)auen,   g(h)even, gieven mnl.   gheven   gheghem, ghegheuet   gafh,  g(h)aven   gaven   gegeven ndl.   geven  gaf   gaben   gegeben nhd.  geben  gab Auch die Verben der fünften Klasse zeigen, dass im Niederländischen in offenen betonten Silben eine Dehnung von /e/ und /i/ zu /ē/ stattfand. Klasse/Gruppe Inf./Präs. Prät. Sing. Prät. Plur. Sprache ō 6 ger. a-Gruppe a+Nasal/Liquid ō a+sk, hs ger. *malan *mōl *mōlum anl.  mahalon   muol   muolum ahd.  malan   moel   moelen mnl.   malen   maalden1   maalde1 ndl.   malen   mahlte   mahlten nhd.  mahlen ger. *wahsan *wōhs *wōhsum anl.   vuahson, wassan   wuohs   wuohsum ahd.  wahsan 2   wies(s)en   wies mnl.   wassen   wies   wiesen ndl.   wassen   wuchs   wuchsen nhd.  wachsen ger. a-Gruppe a+Kons. (nicht Nasal, Liquid, k) ger. *swarjan anl.   sweren ahd.  swerien

Part. Prät. a *gamalan   gimalan   g(h)emalen,   gemalen   gemahlen *gawahsan   gewassen   giwahsan   g(h)ewassen   gewassen   gewachsen

ō

ō

a

*swōr   suor   swuor

*swōrum

*gaswaran

  swuorum

  gisworan

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

  suo(e)r mnl.   sweren   zwoer ndl.   zweren   schwor, nhd.  schwören   schwur 1 schwach,

  suo(e)ren   ghezuo(e),   gheswo(e)   zwoeren   schworen,   schwuren

  ghesuo(e), ghesvo(e,)

  gezworen   geschworen

mit Dentalsuffix

2 Analogbildung

In den Verben der sechsten Klasse ist im Niederländischen die Dehnung von /a/ zu /ā/ in offenen betonten Silben festzustellen, sodann wurde /ō/ zu /oe/. Klasse/Gruppe Inf./Präs. Sprache 7 ger. a-Gruppe ai+Kons. ger. *haitan anl.   hētan ahd.  heiʒan mnl.   heten ndl.   heten nhd.  heißen ger.

Prät. Sing.

Prät. Plur.

Part. Prät.

ē *hēt   hiez   hiaʒ   hiet   heette1   hieß

ē ai *hētum *gahaitan   hiezen   geheyzan   hiaʒum   giheiʒan   hieten   g(h)eheten 1   heetten   geheten   hießen   geheißen

a-Gruppe au+kons. eu eu au ger. *hlaupan *hleup * hleupum *gahlaupan   (h)leof, liuf   (h)leofum, liufum *gi(h)loufan ahd.  (h)loufan anl.   lôpan   li(e)p   li(e)pen   g(h)elo(e)pen mnl.   lopen   liep   liepen   gelopen ndl.   lopen   liefen   gelaufen nhd.  laufen   lief

ē2 a ger. a-Gruppe a+Nasal+Kons. ē2 ger. *gangan *gēng *gēngum *gagangan   gieng   giengen   gegan, gegangen anl.   gān 2, 3   giang   giangum   gigangan ahd.  gangan   ginck, ghenc   giengen   g(h)eg(h)aen, mnl.   gaen   gegain   ghijnc, gienc   gincghen   g(h)eg(h)angen,   jg(h)aen   ging   gingen   gegaan ndl.   gaan   ging   gingen   gegangen nhd.  gehen

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

ger.

a-Gruppe a+Liquid+Kons. ē2 ger. *faldan *fēld anl. *faldan   fialt ahd.  faldan   uielt4 mnl.   valden   vouwde4 ndl.   vouwen   faltete nhd.  falten

ger.

ē-Gruppe ē+Kons. ger. *slēpan anl.   slāpan ahd.  slāfan mnl.   sla(e)pen ndl.   slapen nhd.  schlafen

ē2 *slēp   sclip, slip   sliaf   sliep, slip   sliep   schlief

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ē2 a *fēldum *gafaldan   fialtum   vouwden4   falteten

  gifaldan, gifaltan   g(h)euonden   gevouwen   gefalten

ē2 ē *slēpum *gaslēpan   sliafum   sliepen   sliepen   schliefen

ē2 ger. ō-Gruppe ō+Kons. ē2 ger. *hrōp(j)an *hrēp *hrēpum   rief, riep(h) anl.   ruopan   (h)reof   (h)reofum ahd.  (h)ruofan   riep, rip   riepen, ripen mnl.   roepen   riep   riepen ndl.   roepen   rief   riefen nhd.  rufen

  gislāfan   geslapen   geschlafen ō *gahrōpan   gi(h)ruofan   g(h)eroe(p)en   gheroupen, yroepen   geroepen   gerufen



aus urspr. ai Infix -n3 im Präsens kommen gān, namentlich im Alem. wie auch gēn eher im Bair. und Fränk. vor 4 das ursprünglich starke Verb wurde im Mnl. schwach und kannte in der Folge die mnl. Varianten vouden, voude(n) und geuouden; diese Formen zeigen übrigens das Ergebnis der lautlichen Entwicklung ald > old > oud im Ndl. 2 mit

Bei den Verben der siebten Klasse gehen Bildungen wie slāfan beziehungsweise slāpan auf ger. ē zurück, ger. e2 findet sich in Formen wie *slēp und *slēpum zurück, der Wechsel von a und e markiert hier den Unterschied zwischen Verbzeiten. Bei Verben der ō-Gruppe entwickelten sich sowohl im Deutschen als auch im Niederländischen in der zweiten und dritten Stufe ē2 zu /ie/, vergleiche rief, riefen und riep, riepen. Anders als im Deutschen sind im Niederländischen Alternanzen in der vierten und fünften Klasse durch Dehnung verschwunden wie in steken (‚stechen‘), hij steekt (‚er sticht‘). Ausgleichsregeln erklären, dass auch in der dritten Klasse Alternanzen, die nicht mehr von den Klassen vier und fünf unterstützt wurden, im Niederländischen wegfielen wie in helpen (‚helfen‘), hij

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

helpt (‚er hilft‘), was ebenfalls für die Klassen sechs und sieben zutrifft: wassen (‚waschen‘), hij wast (‚er wäscht‘), slapen (,schlafen‘), hij slaapt (‚er schläft‘). Für die zweite Klasse gilt, dass in beiden Sprachen Alternanzen fehlen: gebieden (‚gebieten‘), hij gebiedt (‚er gebietet‘). Sodann ist mit i-Umlaut in Optativformen zu rechnen wie im Deutschen er könnte neben er konnte, der im modernen Niederländischen fehlt: hij kon, möglicherweise weil alte Konjunktivformen neueren Umschreibungen mit beispielsweise zou (,würde‘) Platz gemacht haben.

2.4.2. Morphologie und Syntax Weitere bedeutende Erneuerungen im Germanischen betreffen die Formkategorien der Verben, die Reduktion des indogermanischen Kasussystems sowie Änderungen in den Klassen der Sub­ stantive und Adjektive. Die folgenden Abschnitte fassen kurz zusammen, wie einige dieser Änderungen sich auch im Niederländischen auswirkten. 2.4.2.1. Änderungen der Formkategorien der Verben Im Germanischen entstanden umschriebene Verbalformen, die synthetische Strukturen ersetzten, welche Verbalendungen mit eventuell Umlaut kannten. So enthält das Gotische im Präsens des Passivs zum Beispiel noch synthetische Strukturen, so nimada mit der Wurzel nim, dem stammbildenden Element a und der Endung da mit der Information, dass es sich um die erste und dritte Person Indikativ Präsens des Passivs handelt (‚ich/er wird genommen‘). Umschriebene, periphrastische Verbalformen, die beispielsweise das Verb worden (‚werden‘) umfassen wie ndl. ik word gered (‚ich werde gerettet‘), sollten synthetische Strukturen wie got. nasjada (‚ich/er werde gerettet‘) ablösen. Unsicher ist es übrigens, ob sich umschriebene Strukturen mit Verben wie hebben (‚haben‘), zijn (‚sein‘), willen (‚wollen‘), worden (‚werden‘ für Passiv), zullen (‚werden‘ für Futurum) und ähnliche in Kombination mit Partizip oder Infinitiv, die auch in romanischen Sprachen entstanden, bereits vor der schriftlichen Überlieferung in westgermanischen Sprachen entwickelt hatten. Die Umstrukturierung der Verbalgeschlechter im Germanischen betrifft Aktiv, Medium und Passiv. Aktiv kennzeichnet sich durch eine nach aussen gerichtete Aktivität oder Wirkung des Subjekts, wie in sie sluogan mich (‚sie schlugen mich‘ LWR 84, 3). Medium betrifft eine auf sich selbst bezogene Tätigkeit oder Zustand des Subjekts, wie uon thannan wunderon ich mich (‚darum verwunderte ich mich‘ LWR 106, 5). Passiv deutet eine Einwirkung oder Tätigkeit von aussen auf das logische Subjekt, wie these herren wrthon sus geslagen (‚diese Herren wurden so getötet‘ MRB 522). Im Laufe der Zeit ergänzten umschriebene Strukturen einzelsprachlich die synthetischen Verbalformen des Aktivs. So kennt das Altniederländische einerseits synthetische Bildungen wie bin in mistrot bin (‚missmutig bin ich‘ WPS 54, 3). Andererseits kommen umschriebene Strukturen mit werthan (‚werden‘) und skulan (‚sollen‘ in der Bedeutung von ‚werden‘) im Futurum vor, so sal in Unillico sal ic offran thi (‚willig werde ich Dir opfern‘ WPS 53, 8). Auch willen (‚wollen‘) kommt bereits im Altniederländischen in Kombination mit einem Infinitiv vor, so in Nu willon ich ufsteen ande willo hine suochen (‚Jetzt will ich aufstehen und will ihn suchen‘

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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LWR 48, 3). Dass perfektische Strukturen wie hebban hagunnan (‚haben angefangen‘) im viel zitierten Satz hebban olla vogala nestas hagunnan (‚Haben alle Vögel damit angefangen, Nester [zu bauen]‘, siehe 3.3.2.) nach Van der Wal/Van Bree im Altniederländischen noch äusserst selten vorkommen, trifft für die aus dem 9. oder 10. Jh. stammenden Wachten­donckse Psalmen zu: wo aus heutiger Sicht Perfekt oder manchmal Plusquamperfekt auch aufgrund der lateinischen Vorlage zu erwarten wäre, steht in der Regel Präteritum, so in ic gesag unriht (‚ich sah Unrecht‘ WPS 54, 10). Der Leidener Williram und die Mittelfränkische Reimbibel, die zweihundert Jahre jünger sein dürften, weisen hingegen zahlreiche Konstruktionen mit hebben (‚haben‘) oder zijn (‚sein‘) und Perfekt auf, wie Van der Horst darlegt, so nehauon fundan (‚habe nicht gefunden‘) in Ienoch nehauon ich sin niet fundan (‚Ich habe ihn immer noch nicht gefunden‘ LWR 48, 5) oder auch is cuman (‚ist gekommen‘) in Thu quithes, thaz ich scona si, auor al mina sconheyd thiu is mer uan thich cuman (‚Du sagst, ich sei schön, aber alle meine Schönheit ist mir von Dir gekommen‘ LWR 23, 3). Es ist nicht immer sicher, ob es sich in diesen Strukturen jeweils um Hilfsverben mit Partizip handelt oder um die semantisch selbstständigen Verben hebben und zijn, verknüpft mit Nomina, so beispielsweise in Gestekit bin ic an leimo diupi (‚Im Schlamm der Tiefe bin ich steckengeblieben‘ WPS 68, 3). Die im Althochdeutschen geläufigen Konstruktionen mit haben und sein und Partizip als nominaler Ergänzung lassen sich wie bei Nübling et al. anhand des immer wieder angeführten Satzes phīgboum habēta sum giflanzōtan in sīnemo wīngarten, d. h. ‚(einen) Feigenbaum hatte einer als gepflanzten in seinem Weingarten‘ verdeutlichen. Diese nominale Lesart stützt sich auf die Kongruenz zwischen der Mask. Akk. Sing.-Endung -an in giflanzōtan und Mask. Akk. von phīgboum. An Stelle der synthetischen Formen für Medium entwickelten sich umschriebene Strukturen mit Aktiv und Personalpronomina oder Reflexivpronomina. Auch im Altniederländischen lässt sich diese Entwicklung belegen, so scamin sig in Gescendoda uuirthin in scamin sig, thia suokint sela mina (‚geschändet mögen sie werden und sich schämen, die meine Seele suchen‘ WPS 69, 3). Weiter wird Passiv, das im Gotischen im Präsens noch eine synthetische Form kannte, neu in umschriebenen Strukturen mit Verben wie worden (‚werden‘) und zijn (‚sein‘) zum Ausdruck gebracht, so uuerthin gihorda (‚wurden gehört‘) in Ne sint spraken noh woorth, thero ne werthin gihorda stemmen iro (‚Es gibt keine Äusserungen oder Wörter, worin ihre Stimmen nicht gehört werden‘ WPS 18, 3). Inwiefern Strukturen mit zijn und worden in Kombination mit einem Partizip sich eindeutig als Passiv kategorisieren lassen, soll in diesem Rahmen weiter nicht zur Diskussion stehen. Aus dem komplexen urgermanischen Tempus-Aspektsystem entstand ein einheitliches Präsens im Germanischen, zudem wurde das indogermanische Perfekt zum Tempus der Vergangenheit. Futurum liess sich im Germanischen erst mit Präsens ausdrücken, wie dies heute nach wie vor im Niederländischen und im Deutschen möglich ist, später entstanden daneben umschriebene Strukturen mit Hilfsverben. Das neue Tempussystem mit spezifischen Formen für Präsens und Präteritum sowie mit Umschreibungen für das Futurum kennzeichnet das ältere Niederländische. Präfigierte Verbalformen mit Präfixen wie gi oder ge, althochdeutsch gi, können übrigens Perfekt beziehungsweise Plusquamperfekt wie im oben zitierten ic gesag unriht (‚ich habe Un-

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

recht gesehen‘ WPS 54, 10) zum Ausdruck bringen, so auch im Mnl. mit Verneinung, vgl. hi en conste dat niet ghesegghen (‚er konnte das nicht sagen‘). Die Umstrukturierung des indogermanischen Modussystems, das aus Indikativ, Imperativ, Konjunktiv und Optativ bestand, betrifft die Aussageweisen der Mitteilung, der Aufforderung, des Wunsches, der Möglichkeit, der Irrealität und der indirekten Rede. Dieser Beziehungsbereich wird im Germanischen vom Optativ, in der Regel Konjunktiv genannt, erfüllt, der im Alt- und im Mittelniederländischen zum Teil erhalten ist, so uuerthe (‚werde‘) in That nat uuerthe fuot thin an bluode (‚Dass dein Fuss nass werde von Blut‘ in der Bedeutung ‚Dass dein Fuss bade im Blut‘ WPS 67, 24). Viele der Konjunktivformen sind allerdings bereits im Altniederländischen mit dem Indikativ zusammengefallen, im modernen Niederländischen kommen sie kaum mehr vor. Dafür werden Wünsche usw. in der Regel mit dem Präteritum des Verbs ausgedrückt, so ik kwam graag (‚ich käme gerne‘) oder mit dem Präteritum von zullen (‚werden‘) und Infinitiv wie in ik zou graag komen (‚ich würde gerne kommen‘). Abgesehen vom Nordfriesischen vereinfachte sich im Spätgermanischen das Numerusgefüge, das ursprünglich Singular, Dual und Plural umfasste, zu einem System, bestehend aus Singular und Plural. Von dieser Erneuerung zeugt auch das Niederländische seit seinen frühesten Überlieferungen. Die Vereinfachung der ursprünglichen nominalen Formen des Verbums führten im Germanischen zu einheitlichen nominalen Bildungen des Partizips Präsens, so anl. ruopinde, ndl. roepend(e) (‚rufend‘). Weiter entstanden ablautend nominale Bildungen aus dem Partizip Präter­i­ tum der starken Verben, die dann im Altniederländischen das Suffix -an beziehungsweise -en, ndl. en kannten, so anl. fundan, ndl. gevonden. Aus Partizipien der schwachen Verben bildeten sich Nominalformen mit Dentalsuffix, vergleiche anl. geleget (‚gelegt‘). Diese Partizipien, die als Adjektive flektiert wurden, kommen im Altniederländischen gelegentlich als Attribut vor wie drunchan in eiusdem pomi in wine drunchan (‚diese Frucht in Wein getränkt‘ LWR 128, 20) oder sonst als prädikatives Attribut wie ruopinde in Ic aruidoda ruopinde (‚Ich strengte mich rufend sehr an‘ in der Bedeutung ‚ich habe mich mit dem Rufen sehr angestrengt‘ WPS 68, 4). Aus den Infinitiven der starken Verben entwickelten sich im Germanischen nach dem Präsensstamm einheitlich Nominalformen mit anl. -an, ndl. -en so ezzan (‚Essen‘) in Ther hals ther dragat thaz ezzan in then buch ande dragat auor thie stemma uz (‚Der Hals, der bringt das Essen in den Bauch und bringt aber die Stimme nach aussen‘ LWR 17, 2). Die Bildung von Nominalformen aus schwachen Verben kannte die germanische Klassendifferenzierung -jan, -ōn, -ēn, die sich zu anl. -an, -en, ndl. -en vereinheitlichten, so anl. *fisken (‚Fischen‘), vgl. uischenes in Petrus ande sin brôther nit ne hauodon. ne war that se sig uischenes be drâgodon (‚Petrus und seine Brüder hatten nichts anderes als was sie durch Fischen bekamen‘). Die Nominalbildungen aus dem Infinitiv wurden wie Substantive flektiert, was die zitierten Beispiele zeigen, so die Flexion von drinchenes und uischenes als Genitiv Singular.

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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2.4.2.2. Schwache Konjugation Sodann bildeten sich im Germanischen neben den ablautenden Verben vier Klassen von Verben heraus, die das Präteritum sowie das Partizip mit Dentalsuffixen formen, wie die folgenden Beispiele zeigen: Klasse/Sprache Inf./Präs. Prät. 1 ger. -jan -iðō, -ðō Kausativa *lagtiðō *lagjan1 ger.   legede, legete anl.   leggen ahd.   leggen   legita   leged, lachte mnl.   lecghen   leede, leidde   legde ndl.   leggen   legte nhd.   legen -ōn -ōðō 2 ger. Faktitiva ger. *makōn *makōðō   machoda, anl.   makon   machodo   machōta ahd.   machōn   mak(e)de, maecte mnl.   maken   macten, machte   maakte ndl.   maken   machte nhd.   machen ger. -ēn -ēðō 3 Durativa *libēðō ger. *libēn2   lebete, leuede anl.   livon   leuodo, leuotho ahd.   lëbēn *libda, lëbēta   leefde, levede mnl.   leven   leefde ndl.   leven   lebte nhd.   leben 4 ger. -nan -nōðō Inchoativa ger. *waknan *waknōðō (in Klasse 3 übergegangen) 1 als

Kausativ von *legjan (‚liegen‘) *liðjan

2 neben

Part. Prät. -ið(-), -ð(-) *galagið   geleget  gilegit   gheleg(he)gt, gheleed   g(h)eleit, ghele(g)t  gelegd  gelegt -ōð *gamakōð   gemachet, gemachot   makad   gimachōt   g(h)emach(t), giemaect(h)   gi(e)macht, gemaket   gemaakt   gemacht -ēð *libēð   gelebet, geleuet   gilëbēt   gheleeft  geleefd  gelebt -nðō *waknðō

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

Die im Präteritum vorkommenden ndl. Dentalsuffixe -te(n) und -de(n) wie in maakte(n) (‚machte[n]‘) und legde(n) (‚legte[n]‘) dürften die gekürzten, abgeschliffenen Formen des germanischen Suffixes *ðēðō (‚tat‘) sein, das mit dem verknüpften Infinitiv das Präteritum bildete, so ist ger. *salbōðō als ‚ich/er tat salben‘ aufzufassen. Periphrastisch doen (‚tun‘) ist übrigens in nordniederländischen Dialekten sehr gebräuchlich, vgl. deden in Dan deden we eerst de ramen zemen (,Dann putzten wir zuerst die Fenster‘). Typologisch ähnlich wäre anl. hie behaldon mi deda (WPS 54, 9 ‚er behalten mich tat‘ in der Bedeutung ‚er bewahrte mich‘), wie dies auch im Neuenglischen bei der Bildung des Präteritums mit did und Infinitiv der Fall ist. In neugermanischen Sprachen, so auch im Niederländischen, ist die Bildungsweise des Präteritums und des Partizips mit Dentalsuffixen nach wie vor produktiv, die Konjugation mit Ablaut hingegen nicht mehr. Es ist bezeichnend, dass ältere entlehnte Verben in der Regel die schwache Konjugation aufweisen, eine Ausnahme ist ein Verb wie kwijten (‚entledigen, nachkommen‘), das auf frz. quitter zurückgeht und mit den Ablautstufen kweet, kweten, gekweten analog zu den Verben der grössten Klasse der starken Verben gebildet wurde. Übrigens ist die Zahl der insbesondere weniger frequenten Verben, die Präteritum und Partizip mit Ablaut generieren, in allen germanischen Sprachen, auch im Niederländischen, stark zurückgegeangen, in seiner Tochtersprache Afrikaans (siehe 6.1.1.2.) fehlen sie völlig. Zudem wechselten laut Van Bree einige Verben die Klasse. So ging heffen (‚heben‘) von der sechsten in die siebte Klasse hinüber, zaaien (‚säen‘) aus der siebten Klasse wurde schwach, vergleiche hij zaaide (‚er säte‘). Im weniger frequenten Präteritum wurden Verben wie wreken (‚rächen‘) schwach, vgl. die mnl. Präteritumformen Sing. vrac, wrac, wrach beziehungsweise Plur. wraken, wroken und die Partizipien gevroken, gewraken, die sich zu den ndl. Formen wreekte, wreekten und gewroken entwickelten. Sodann wechselte ein schwaches Verb wie wijzen (‚zeigen, weisen‘) in die erste, das schwache Verb zenden (,senden‘) in die dritte Klasse. Ein Verb wie vragen (‚fragen‘) mit schwachen, bereits im Anl. vorhandenen Präteritumformen wie uvrageten bildete erst im 17. Jh. neben dem schwachen Part. gevraagd die starken Formen der Standardsprache vroeg (‚fragte‘) und vroegen (‚fragten‘), die den veralteten deutschen Formen frug und frugen entsprechen. Schliesslich wechselten hebben (‚haben‘) und zeggen (‚sagen‘) von der dritten in die erste Klasse der schwachen Verben und zeigen sogar Gemination der Konsonanten vor j. 2.4.2.3. Veränderung von Kasus und Numerus Das Kasussystem, das im Indogermanischen wahrscheinlich acht Fälle umfasste, kannte im Südgermanischen fünf Kasus, soweit man Nominativ als Kasus mitzählt. Es ist anzunehmen, dass während eines Reduktionsvorgangs ein Kasus die Funktionen anderer Kasus übernahm, infolge dieses sogenannten Kasussynkretismus erhielt der Dativ die mittlerweile eingeschränkten Funktionen des Ablativs, Lokativs, Instrumentalis und zum Teil des Genitivs. Sodann bekam der Nominativ zusätzlich die Funktion des im Urgermanischen und zum Teil Gotischen noch vorhandenen Vokativs. Neu ermöglichten Wortfolge und Präpositionen es, die entsprechenden Aufgaben von Fällen zu übernehmen. Wie im Deutschen ist im Niederländischen der frühere Kasus in erstarrten Bildungen erhalten, so im ndl. heden, hds. heute, anl. hiudo, ahd. hiutu aus

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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ugm. *hiu dagu (‚an diesem Tag‘), mit ursprünglicher Instrumentalisbildung dagu und Demonstrativum hiu, im Ndl. mit einem Schluss-n wohl als Analogiebildung zu gisteren (‚gestern‘) und morgen (‚morgen‘). Es stellt sich die Frage, wie Funktionen oder auch Bedeutungen von Sprachformen wie Kasus in früheren Sprachstufen zu kennzeichnen sind und wie ihre Entsprechungen in neueren Sprachstufen lauten. Die entsprechenden Abschnitte der folgenden Kapitel enthalten Versuche, solche Beschreibungen vorzunehmen (siehe u.a. 3.4.2., 4.4.2. und 5.4.2.). Hier steht allerdings die Deflexion im Vordergrund, die als fortschreitender Verschleiss von Endungen zunehmend die Formunterschiede zwischen den Fällen verschleiern sollte. Wie in den nachfolgenden Kapiteln erörtert wird, setzte sich die Deflexion im Niederländischen stärker fort als im Deutschen. Die Reduktion des indogermanischen dreistufigen Numerussystems erfolgte nicht nur bei den Verben (siehe 2.4.2.1.), sondern auch bei Substantiven, Adjektiven und Pronomina. In der Folge kennt das Niederländische seit der frühesten Überlieferung keinen Dual, sondern lediglich einen Singular und einen Plural. Es fällt übrigens auf, dass als Folge des komplexen Vorganges der Deflexion Unterschiede zwischen Kasusformen und Klassen von Substantiven (siehe 2.4.2.2.) zwar wegfielen, die morphologischen Unterschiede zwischen den Kategorien Singular und Plural hingegen bestehen blieben. Wo durch lautliche Entwicklungen distinktive Merkmale für Mehrzahl verschwanden, entwickelten sich gar durch Analogie Neubildungen, so Plur. woorde (‚Wörter‘) neben Plur. die woort (‚die Wörter‘) und Sing. dat woort (‚das Wort‘). Weiter entstanden neue Pluralbildungen, wenn ein Substantiv nicht mehr als Mehrzahl empfunden wurde, so sc(h)oenen, sc(h)oens und sc(h)oene (‚Schuhe‘) aus der ursprünglichen Pluralbildung sc(h)oen, Einzahl sc(h)oe. Diese Tendenz zeigt sich im Niederländischen bis heute, so in nicht-korrekten Bildungen wie musea’s (‚Museen‘). 2.4.2.4. Änderungen in den Klassen der Substantive und Adjektive Im Germanischen kam es zu einer Ausbreitung der Deklinationsklassen. Zu unterscheiden sind in der Folge vokalische oder starke Stämme, konsonantische oder schwache Stämme sowie eine weitere Sondergruppe von Stämmen. Neben den vokalischen a-(idg. o-)Stämmen wie anl. dag (ahd. tag ‚Tag‘) und ja-(idg. jo-) Stämmen, vergleiche anl. hiret (ahd. hirti, ‚Hirte‘), bildeten sich wa-Stämme, vergleiche anl. snēo (ahd. snēo, ‚Schnee‘). Ebenso entstanden neben ō-(idg. ā-)Stämmen, vergleiche anl. ertha (ahd. ërda, ‚Erde‘) und jō-(idg. jā-)Stämme, vergleiche anl. sunda (ahd. sunte, ‚Sünde‘), zusätzlich wō-Stämme, vergleiche mnl. winbra(u)wen (ahd. wintbrāwa,‚Augenbraue‘). Weiter zählen zu diesen starken Stämmen die i-(idg. i-)Stämme, vergleiche anl. liud, Plur. liudī (ahd. liuti, ‚Leute‘) und die u-Stämme, vergleiche anl. fritho (ahd. fridu, ‚Friede‘). Eine bedeutende Ausbreitung der konsonantischen Stämme ergab sich im Germanischen bei den n-(idg. n-)Stämmen, die zu einer neuen Klasse mit einheitlicher Deklination, bestehend aus Vokal und -n führte. Beispiele dieser schwachen Deklination sind an-Stämme, vergleiche anl. chana, ahd. han(o) (‚Hahn‘), jan-Stämme, vergleiche anl. gesello, ahd. gisello (‚Geselle‘), ōn-Stämme, vergleiche anl. zunga, ahd. zunga (‚Zunge‘), jōn-Stämme, vergleiche den anl. Namen Walterus Muggo, ahd. mucka (‚Mücke‘) und īn-Stämme, vergleiche anl. diupi, ahd. tiufī

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

(‚Tiefe‘). Die germanischen n-Stämme sind, wie Sonderegger ausführt, für Personenbezeichnungen, so anl. boda, ahd. boto (‚Bote‘) und Abstrakta aus Adjektiven, so anl. diupi, ahd. tiufī (‚Tiefe‘) zu Dat. Sing. Mask. tiefen, ahd. tiof (‚tief‘) sowie aus Verben, so anl. douphe, ahd. toufī (‚Taufe‘) zu anl. doufen, ahd. toufen (‚taufen‘) produktiv geworden. Zu den schwachen Stämmen gehören weiter nd-(idg. nt-)Stämme, wie anl. fiunt, ahd. fiant (‚Feind‘), r-Stämme, wie anl. bruother, ahd. bruoder (‚Bruder‘), s-Stämme, die später in die a-Stämme übergingen, wie anl. calb, ahd. kalb (‚Kalb‘). Zur Sondergruppe zählen Wurzelstämme, wie anl. buoke, ahd. buoh (‚Buch‘). Vermehrt erfolgte im Germanischen die Kennzeichnung des Geschlechtes durch die Flexionsendung, somit konnte die äussere Form des Substantivs das Geschlecht markieren. In der ältesten Stufe des Deutschen ist laut Sonderegger die Kennzeichnung von Maskulinum, Feminimum und Neutrum in den Flexionsendungen vielfach noch sichtbar, allerdings nicht im Nom. Sing. So weist die grosse Mehrheit der Pluralmorpheme im Nom. Plur. noch ausschliessliche Geschlechtsmerkmale auf, so die maskulinen Morpheme -a, -wa, -eon/-iun zum Beispiel in taga (‚Tage‘) mit der anl. Entsprechung daga, ebenso hlē-wa (‚Grabhügel‘) mit anl. Entsprechung huuela. Allerdings wurde die Geschlechtsmarkierung durch die Auswirkung verschiedener Auslautgesetze und durch Verschleiss der Endungen teilweise verwischt. Im Niederländischen verschwanden die Unterschiede zwischen Genera immer mehr, die Geschlechtsmarkierung konnte sich gar auf neue Formmerkmale stützen. Dies gilt namentlich für die vielen mnl. Substantive der früheren Klassen der n-, ō-, ja-, i- und u-Stämme mit ə im Auslaut. Sie waren vielfach feminin, in der Folge wirkte im Mittelniederländischen -ə allmählich als Kennzeichnung für feminin, auch bei ursprünglich männlichen Substantiven. Substantiv und Adjektiv unterschieden sich ursprünglich im Indogermanischen morphologisch nicht voneinander, als Begleiter des Substantivs konnte das Adjektiv in allen Klassen alle drei Geschlechter bilden. Das Germanische kannte bei den Adjektiven und den Demonstrativen eine starke, das heisst vokalisch-nominale und vokalisch-pronominale Deklinationsweise, die auf die Flexionsformen der oben aufgezählten Vokalstämme der Substantive zurückzuführen ist. Daneben entwickelte sich eine schwache, n-haltige Flexion, die mit der Deklinationsweise der substantivischen n-Stämme übereinstimmt. So verfügte jedes Adjektiv über eine doppelte Flexionsmöglichkeit. Auch im Altniederländischen lassen sich diese starke und schwache Deklination des Adjektivs noch unterscheiden. Die starke Flexion erscheint prädikativ, so groz in anl. The tûrn was groz ande erlig (‚Der Turm war gross und respektabel‘ MRB 625), sowie bei syntaktischer beziehungsweise semantischer Unbestimmheit, zum Beispiel anl. groz in tho se godo groz folk erworuen (‚als sie viel Volk für Gott gewonnen hatten‘ MRB 519). Die schwache Beugung kommt nach einem bestimmten Artikel oder nach einem Pronomen mit voller Bedeutung vor. Sie ist in den Wachtendonckse Psalmen durch das Fehlen von Artikeln selten, ein jüngeres Beispiel ist das attributive anl. arme in Thure sinen bosen níth betroch er thaz arme wif (‚Durch seinen boshaften Hass betrog er die arme Frau‘ MRB 17). Sodann vollzog sich im Germanischen eine Umgestaltung der starken pronominalen Deklination. Als Mischform zwischen Substantiv- und Pronominaldeklination ist sie, wie Sonder-

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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egger ausführt, im Hochdeutschen noch in den Endungen des starken Adjektivs zu finden. So entspricht das prädikativ verwendete stark dem Mask. Sing. Nom. des Substantivs Tag, ebenso im Altniederländischen, so starc (‚stark‘) in miner minnon, thiu ingegen thich so starc is (‚meine Liebe, die dir gegenüber so stark ist‘ LWR 137). Andererseits entspricht eine Pronominaldeklination wie in ahd. Akk. Plur. guote der Pronomenbildung ahd. dëso, -e, ebenso im Altniederländischen die Akk.-Plur.-Form starko in so lango her so starko thing thurgh mich leyth (‚so lange erlitt er meinetwegen solche elende Dinge‘ LWR 79, 9). Allmählich unterschied sich die Flexion des Adjektivs sowohl im Deutschen als auch im Niederländischen immer mehr von der Deklination des Substantivs.

2.4.3. Lexik Die Einwanderung der Germanen im Deltagebiet vor Anfang unserer Zeitrechnung und die später erfolgten Eroberungen der Römer des linksrheinischen Gebiets Westeuropas haben in der Epoche vor der Entstehung des Niederländischen Voraussetzungen geschaffen, welche die Zusammensetzung seines Lexikons aus Erb-, Substrat- und Lehnwörtern massgeblich bestimmen sollten. Wie die oben angeführten Beispiele bereits zeigten, geht auch das niederländische Lexikon zum Teil auf das Indogermanische beziehungsweise Germanische zurück. Das niederländische Wortinventar besteht weiter aus Wörtern, die wohl aus Substratsprachen der ursprünglichen Bevölkerung stammen, die meisten niederländischen Wörter sind aber Lehnwörter, häufig aus dem Latein. 2.4.3.1. Indogermanische und germanische Erbwörter Seit den Anfängen des Niederländischen besteht sein Grundwortschatz zum Teil aus sogenannten einheimischen Wörtern, die auf das Indogermanische beziehungsweise Germanische zurückzuführen sind. Es handelt sich dabei laut Van der Sijs um eine Klasse von Wörtern, die sich auf das alltägliche Leben des Menschen beziehen. Überliefert aus der ersten Hälfte des Millenniums n.Chr. sind lediglich drei einheimische Wörter, die im Niederländischen erhalten sind, und zwar ein Nomen, ein Zahlwort und ein Verb (siehe 2.3.). Die Zahl der überlieferten niederländischen Wörter sollte ab dem 9. Jh. durch die aus dieser Zeit stammenden Quellen erheblich ansteigen, vgl. 3.4.3. 2.4.3.2. Wörter anderer Herkunft Es stellt sich die Frage, inwiefern die Germanen, die sich im Deltagebiet niederliessen, Wörter aus vorhandenen Sprachen, sogenannten Substratsprachen, übernahmen. Es handelt sich dabei um eine spezifische Klasse Lehnwörter, deren Herkunft unbestimmt ist und die man gemeinhin als Substratwörter bezeichent. Sicher ist, dass ein Teil der germanischen, so auch der niederländischen Wörter in einigen oder gar in sämtlichen anderen indogermanischen Sprachen unbekannt sind. Das kann ein Grund sein, sie als nicht-indoeuropäisch einzustufen, so Wörter mit einer Lautkombination wie /k/ + /l/, vergleiche anl. cleith (‚Kleid‘), die in anderen indogermanischen Sprachen fehlen. Ähnliches

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2. Vorboten des Niederländischen (bis 500)

gilt für Bildungen mit der Lautkombination /k/ + /n/ wie in anl. knecht (‚Knecht‘), ein Wort, das ausserhalb des Germanischen keine Verwandten hat. Ebensowenig lassen sich Lautkombinationen wie in drempel (‚Dorpel‘, ‚Schwelle‘) oder honk (‚heim‘) als indoeuropäisch klassifizieren, da das Indoeuropäische keine Neubildungen mit /m/ und /n/ vor Konsonant kannte. Folglich sind abgeleitete Bildungen vom Typus drempel, vergleiche dazu anl. durpilo (‚Dorpel‘, in der Bedeutung von ‚Schwelle‘), mit vermutlicher r-Methathese und Nasalinfix wahrscheinlich Beispiele von Wörtern, die das Germanische aus ursprünglich einheimischen Sprachen übernommen hat. Dies ist wohl auch der Fall mit der nasalisierten Variante eines Wortes aus einer Substratsprache wie honk (‚Mal‘, ‚Heim‘), das im ahd. Namen Hancwin erhalten ist und keine Verwandten ausserhalb des Germanischen kennt. Auch Varianten der Stammformen in *hak oder *hēk, mnl. haec (ahd. hako, ‚Haken‘) gelten als typisch für nordeuropäische Substratwörter, die aus vorindoeuropäischen Sprachen stammen. Aufgrund des Vorkommens solcher Wörter folgert das EWN, dass 15% des niederländischen Lexikons aus Substratwörtern besteht, die aus vor-indoeuropäischen Sprachen stammen, Indogermanisten wie R.S.P. Beekes schliessen nicht aus, dass gar die Hälfte der Erbwörter als Substratwörter zu klassifizieren sind. Es handelt sich dabei namentlich um sogenannte Inhaltswörter aus den ursprünglichen einheimischen Sprachen, welche die eingewanderten Germanen als Bezeichnungen für Gegebenheiten, die für sie neu waren, in ihre Sprache übernahmen. Dass Vorsicht bei der Einstufung von lexikalischen Elementen als Substrat geboten ist, geht beispielsweise aus Untersuchungen von G. J. Kroonen hervor, die belegen, dass eine Geminate nicht zwangsläufig aus einer Substratsprache zu erklären ist. Abzuwarten bleibt, inwiefern weitere Forschung die Klassifizierung einzelner Wörter als Substrate rechtfertigt. Schliesslich ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass Wörter, die nur im Germanischen vorkommen, nicht aus Substratsprachen stammen, sondern als indoeuropäische Bildungen gelten, die aber in anderen indoeuropäischen Sprachen verloren gingen. Neben den übernommenen Wörtern aus Substratsprachen kennt der germanische Wortschatz Lehnwörter, die aus Sprachen von nicht durch Germanen besiedelten Gebieten stammen. So hat das Wort Silber vermutlich einen semitischen Ursprung und käme daher eher aus einem Superstrat oder es stammt aus dem Baskischen, vermutlich einem Substrat. Im Gegensatz dazu haben in vielen anderen indoeuropäischen Sprachen Bezeichnungen für dieses Edelmetall einen idg. Ursprung, so das lat. argentum mit der Wurzel *hrg. Vom Wort Sattel, das zwar auf idg. *sod-tló zurückzuführen wäre, vermutet man, es sei eine spätere Entlehnung aus dem Altslawischen, da die Germanen diesen Gegenstand erst später zu gebrauchen lernten. Solche frühen Lehnwörter sollten auch in den niederländischen Wortschatz einfliessen, vergleiche anl. siluer (ahd. silabar, ‚Silber‘) und anl. sadal (ahd. satal, ‚Sattel‘) in der Ortsbezeichnung Sadalt. Das Germanische kennt ebenfalls Entlehnungen oder auch Substratwörter aus dem Keltischen. Vermutlich wohnten die Kelten seit 500 v.Chr. im Deltagebiet, sehr wahrscheinlich südlich der Flüsse, eventuell aber auch nördlich davon. Latinisierte keltische Ortsnamen mit dem klt. Suffix -aco, so in Doornik und Kamerijk, oder mit dem Suffx -dunum wie in Lugdunum (‚Loosduinen‘) können darauf deuten. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass Namen wie Lugdunum aus dem Vulgärlatein der Römer stammen, das bereits keltische Lehnwörter übernommen hatte.

2.4. Fortwirkung einiger Neuerungen des Germanischen im späteren Niederländischen

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Einige Forscher, so P. Schrijver, sind der Überzeugung, dass bis 500 n.Chr. an der Nordseeküste Flanderns, Hollands und Frieslands Keltisch gesprochen wurde, was beispielsweise aus Lautentwicklungen des Nordseegermanischen abzuleiten wäre. Eine vermutlich direkte niederländische Entlehnung aus dem Keltischen wie die ndl. hyperkorrekte Form kade aus kaai (‚Kai‘, Lehnwort aus dem Ndl.), das einzig im Niederländischen überliefert wurde, könnte diese Auffassung unterstützen. Es ist aber auch möglich, dass Kelten nie nördlich Galliens gelebt haben. Wie dies auch sei, es muss bereits vor Anfang der Zeitrechnung wohl Kontakte zwischen Kelten und Germanen gegeben haben, die keltische Entlehnungen im Germanischen zur Folge hatten und umgekehrt. Es sind dies laut Van der Sijs namentlich Bezeichnungen für Begriffe aus Bereichen wie Bodenbearbeitung und Staatswesen, die bei den Germanen unbekannt waren, so wahrscheinlich reich, das im anl. als rīki (ahd. rīhhi) vorkommt, oder Düne, das im anl. als dunos belegt ist. Unklar ist, ob ein Wort wie eed (‚Eid‘) aus dem Keltischen übernommen wurde oder verwandt mit dem air. óeth ist und idg. Ursprung hat. Für die Herausbildung des niederländischen Wortschatzes sollte insbesondere aber das Latein durch die Anwesenheit der Römer im Deltagebiet (siehe 2.1.2.) von Bedeutung sein. Die ansässigen Einwohner kamen hier mit Truppen des Imperiums in Berührung, trieben Handel mit römischen Kaufleuten und lernten neue Produkte kennen, der Rhein bildete im Deltagebiet diesbezüglich keine tatsächliche Kulturscheide. Vieles übernahmen die Einheimischen aus der für sie neuen Kultur, so auch die entsprechenden Ausdrücke aus dem Vulgärlatein, der Sprache der Neuankömmlinge, die aus den unterschiedlichsten Gegenden stammten (vgl. 3.4.3.3.). Literatur zu 2.4.: Beekes 1990; Van Bree 1995; Van Bree 2005a; Caron 1972; Van Coetsem 1964; Van Coetsem et al. 1972; Daan 1966; Duinhoven 1988/97; Franck et al. 1976; Goossens 1978; De Grauwe 1979/82; De Grauwe 2008; Van Hal 2010; Haarmann 2010; Van der Horst 2008; Klein 2003; Krause 1968; Kroonen 2009; Kuhn 1959; Kyes 1969; Kyes 1983; Lockwood 1976; Van Loon 1986; Nübling 2010; Quak 1981; Quak 1990; Quak 2010; Quak et al. 2002; Rauch et al. 1995; Schoonheim 2008; Schrodt 2004; Schuchardt-Brevier 1976; Sonderegger 1979; Sonderegger 2003; De Vries et al. 1994; Van der Wal et al. 2008.

3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Zu den Umständen, welche die Herausbildung von Formen des Altniederländischen im RheinMaas-Schelde-Delta begünstigten, sind nicht nur die Entstehung staatlicher Strukturen unter den Merowingern und Karolingern auf dem Kontinent zu rechnen, sondern auch das Aufkommen von Handel und Verkehr, die fortschreitende Christianisierung und die Förderung der Kultur. Solche äusseren Grössen, die die Entwicklung der frühesten Formen des Niederländischen mitbestimmten, werden im Anschluss kurz zusammengefasst (vgl. 3.1.). Wie man sich die Ausdifferenzierung des Altniederländischen innerhalb des Germanischen vorstellen kann, steht unter Berücksichtigung veränderlicher und unveränderlicher sprachlicher Grössen danach zur Diskussion (vgl. 3.2.). Namentlich die entsprechenden sprachhistorischen sowie dialektgeografischen Daten sollen begründen, wie sich das entstehende Niederländische vom benachbarten Germanischen abhebt. Die anschliessend zitierten Textbeispiele weisen Merkmale auf, die in der hier gewählten historischen Perspektive (vgl. 1.1.) als altniederländisch einzustufen sind. Die angeführten althochdeutschen Entsprechungen ermöglichen es dem Leser festzustellen, in welchen Hinsichten das früheste Niederländische sich von einer anderen altgermanischen Sprache unterscheidet und eigene Merkmale aufweist (vgl. 3.3.). Schliesslich werden die wichtigsten Merkmale des Altniederländischen zusammengefasst. Die Paragraphen Graphemik, Phonemik, Syntax und Morphologie enthalten Beispiele der entsprechenden sprachlichen Daten (vgl. 3.4.).

3.1. Das Gebiet der Niederlande als Teil grösserer Reiche 3.1.1. Die merowingische Zeit Bereits Anfang des 5. Jh., vor dem Zusammenbruch des Römischen Reiches im Westen um 476, fielen kriegerische Verbände, welche die antiken Schriftsteller als ‚Germanen‘ bezeichneten, im Nordwesten Galliens ein. Laut Hieronymus zerstörten sie im linksrheinischen Gebiet Städte wie Atrebatum oder Atrecht, Portus Britannicus mit dem höher gelegenen Stadtteil Bononia oder Boulogne, von den Römern wohl nach ‚Bologna‘ benannt, und Turnacum oder Doornik (‚Dornick‘). Um 430 eroberte König Chlodio (siehe 2.1.2.) Doornik und Kamerijk, später auch Atrecht, es entstanden kleinere Staaten, die manchmal die Römer unterstützten, manchmal selbstständig auftraten. Die kriegerischen Auseinandersetzungen veranlassten ansässige Franken, der Schelde entlang in Richtung Süden zu fliehen, römische villae, Ländereien, wurden verlassen, versteckte

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Münzschätze deuten darauf, dass die Flüchtlinge auf eine Rückkehr gehofft hatten. Die Frage, ob diese Ereignisse einen Bruch zwischen Spätantike und Mittelalter markieren oder ob von einer ununterbrochenen kulturellen Weiterentwicklung die Rede ist, wird unterschiedlich beurteilt. Allenfalls machte eine gewisse Raumkontinuität die weitere Bearbeitung der Äcker durch die Franken wahrscheinlich, die sich im 5. und 6. Jh. in grösseren Gebieten bis an der Somme niedergelassen hatten. Dass die fränkischen Könige sich in den ehemaligen römischen Zentren niederliessen, zeigt ihr Bemühen, die Verwaltung im geläufigen Rahmen weiterzuführen. Sodann nahmen sie die Staatsgüter in Besitz und fingen an, Münzen nach römischem Beispiel zu schlagen. Auch gesellschaftlich schlossen die neuen Machthaber sich dem Bestehenden an, der germanische und gallisch-römische Adel vermischte sich, neben freien Bürgern gab es Hörige und Sklaven. Das im Römischen Reich stark verbreitete Christentum war nach der Völkerwanderung möglicherweise nicht ganz aus dem Nordwesten Europas verschwunden, erst die Bildung eines Reiches durch Chlodwig I. sollte jedoch im heidnischen Umfeld bessere Voraussetzungen für eine monotheistische Religion schaffen. Nachdem Chlodwig die übrigen fränkischen Stämme unterworfen hatte, breitete er seine Macht weiter aus. Mit den Siegen über die Burgunder, Alemannen und die Westgoten festigte er seine Macht im grössten Teil Galliens, 507 eroberte er das ripuarische Königreich im Rheinland. Paris wurde Hauptstadt des fränkischen Reiches, über das Chlodwig in spätantiker Tradition als König der Franken von 482 bis 511 herrschte. Die Bekehrung Chlodwigs zum athanasischen Glauben der römischen Kirche ermöglichte auf die Dauer eine Vermischung der Franken mit der Mehrheit der katholischen gallorömischen Bevölkerung. Sprachlich passten sich die Franken dem Vulgärlatein der Besiegten an, der Einfluss der Sieger lässt sich dennoch bis zum heutigen Französischen nachweisen, so im Lexikon, das hunderte ursprünglich fränkische Wortstämme wie beispielsweise guerre (‚Krieg‘) vgl. altfränkisch werra umfasst, weiter im Lautsystem, so mit dem behauchten h, das im Anlaut nicht angebunden wird, oder in der Wortstellung, vergleiche beispielsweise die Voranstellung gewisser Adjektive vor das Substantiv. Durch die fränkischen Eroberungen verschob sich die Grenze des Germanischen nach Norden, ein Gebiet, das sich vermutlich vom Nordwesten Galliens bis in den Süden des Rhein-Maas-Schelde-Deltas streckte, wurde in der Folge mehrsprachig (vgl. 3.2.2.). Da die Macht der merowingischen Könige ähnlich wie ihre Güter vererbt wurde, sollten sich staatliche Gebilde einmal vergrössern, dann wieder zerstückeln, so entstanden zwischen Seine und Schelde Neustrien, zwischen Maas und Rhein Austrasien. Mittlerweile versuchten fränkische Könige wie Dagobert (625–639), die Friesen zu unterwerfen, nicht nur um ihr Gebiet und damit ihre Macht zu vergrössern oder ein Handelszentrum wie Dorestad am Rhein zu erobern, sondern auch um die Christianisierung zu fördern. Missionare aus Gallien, so Amand, verbreiteten das Christentum in den Gegenden des Schelde-Gebietes, sodann gründeten sie die Sint-Baafs und Sint-Pieters Abteien in Gent, in Antwerpen die Kirche Peter und Paul. Mönche aus Irland wie Columbanus (zirka 540–615), Gründer mehrerer Kloster, so der Abtei Marmoutier im Elsass und Verfasser einer strengen Klosterregel, verkündeten den Glauben auf dem Festland. Auch angelsächsische Geistliche wie Willibrord (zirka 658–739, Gründer des Klosters Echternach) missionierten in West-Europa. Vom Papst zum reisenden Bischof der Friesen

3.1. Das Gebiet der Niederlande als Teil grösserer Reiche

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ernannt und gestützt vom Hausmeier Pippin, missionierte der ‚Apostel der Friesen‘ ab 690 wahrscheinlich zuerst von Antwerpen aus im nördlichen Teil des Deltas. Utrecht wurde nach dem zweiten Friesenfeldzug 695 zum Zentrum der friesischen Kirchenorganisation bestimmt, erst nach dem Tode des friesischen Königs Radbod 719 konnte Willibrord sich aber in Utrecht niederlassen. Die merowingischen Machthaber belohnten nach Vorbild des antiken Klientelwesens ihre Anhänger vermehrt mit Schenkungen. Vasallen erhielten Lehen als Gegenleistung für Treue und Dienste, es entwickelte sich das Lehnswesen. Indem die Merowinger die Verwaltungsaufgaben zum grösseren Teil ihren Hausmeiern überliessen, erhielten diese Anfang des 8. Jh. mehr Macht. So nahm der Einfluss der Pippiniden nach dem Tode Dagoberts I. zirka 638 in Austrasien immer mehr zu, der Sieg Karl Martells über die von der iberischen Halbinsel einfallenden Mauren 732 bei Tours und Poitier trug weiter zur Vorherrschaft der Hausmeier im fränkischen Reich bei. Karl förderte in Zusammenarbeit mit Bonifatius die Christianisierung, der ‚Apostel der Deutschen‘, Kirchenreformer im Frankenreich, Gründer mehrerer Klöster und erster Erzbischof von Mainz, wurde zuletzt Erzbischof Utrechts. Er nahm erneut die Missionierung der Friesen auf, wurde aber 754 oder 755 im hohen Alter mit seinen Begleitern von ihnen bei Dokkum erschlagen. Karl Martell führte Kriege gegen die Sachsen, Friesen, Thüringer, Alemannen und Bajuwaren, so gelang es ihm, das fränkische Reich auszubreiten und die Grenzen zu sichern, eine Machtübernahme bahnte sich an.

3.1.2. Die karolingische Zeit Karl Martells Sohn Pippin III. konnte das merowingische Gebiet dank einem Sieg über die Friesen 734 ausdehnen. Er liess sich 751 nach Absetzung Childerichs III. zum König der Franken ausrufen. Von Papst Stephan II., der auf seine Unterstützung gegen die Langobarden angewiesen war, wurde er mit seinen Söhnen drei Jahre später gesalbt. Im Jahr 768 folgten der 742 oder 748 geborene Karl und sein Halbruder Karlmann dem Vater nach, nach dem plötzlichen Tod Karlmanns wurde Karl zum Alleinherrscher des Frankenreiches. Dieser bedeutendste Fürst des frühen Mittelalters führte über 50 Feldzüge, u.a. gegen die Langobarden, die Mauren, die Sachsen und die Bayern, um sein Gebiet zu erweitern und die Grenzen zu sichern. Das Rhein-Maas-ScheldeDelta wurde nun Teil eines Reiches, das sich von der Nordseeküste bis zur Mitte der ApenninenHalbinsel und von den Pyrenäen bis zur Donau erstreckte. Der 800 von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönte Imperator hielt sich vorzugsweise in Aachen auf, wo er zirka 793 die Pfalzkapelle bauen liess, auch kam der reisende König oft nach Nimwegen, das damals Numaga hiess. Hier bekräftigte Karl der Grosse 806 die Reichsverteilung unter seine Söhne Karl, Ludwig und Pippin. Der Bau einer Königspfalz auf den Mauern des römischen Kastells Nimwegens soll 777 begonnen haben, Karls Sohn Ludwig der Fromme hat sich später oft in dieser villa regia aufgehalten. Auch den Nordwesten seines Reiches hatte Karl zu verteidigen, so als Dänen, die zuvor schon die aufständischen Sachsen unterstützt hatten, in Flandern, Friesland und Gegenden an der Ostseeküste einfielen. Der Kaiser zog nach Friesland, liess eine Flotte bauen, konnte dann 811 mit den Dänen Frieden schliessen, die Eider bildete fortan die nördliche Grenze des Imperiums.

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Karls Bemühungen um die Kultur sollten die Zivilisation Europas prägen. Der Hof, wo Gelehrte aus verschiedenen Gegenden des Kontinentes, namentlich auch aus Italien und England, verkehrten, förderte Kunst und Wissenschaft. Auch trieb er die Christianisierung seiner Gebiete voran. So unterstützte er den in Utrecht geborenen Friesen Liudger (zirka 742–809), der an der Utrechter Domschule, später an der Domschule zu York, wo Alkuin lehrte, seine Ausbildung erhalten hatte, bei seiner Missionierungsarbeit u.a. in Friesland. Der Gründer und Leiter des Werdener Klosters wurde erster Bischof von Münster, Jahrhunderte sollte die Diözese Münster Landstriche in den heutigen Provinzen Groningen und Friesland umfassen. Die Politik Karls, um sein Reich auf schriftlicher Grundlage zu verwalten, begünstigte zudem eine Schreibkultur, die eine Bildungsreform nötig machte: Bischöfe und Äbte erhielten den Auftrag, Schulen zu führen, jedes Bistum hatte über eine Schule zu verfügen, die Laien, insbesondere Kinder von Adligen ausbilden sollte. Ein Dokument wie die Lex Frisionum, das von der entstandenen schriftlichen Kultur zeugt, gibt Einblick in die Verwaltung des Deltagebietes in dieser Epoche. Sie enthält unter Berücksichtigung alter Stammesrechte Rechtsvorschriften für die einzelnen friesischen Regionen zwischen dem Zwin und Vlie, also die heutigen Niederlande südlich des IJsselmeers bis Brügge und zwischen Lauwers und Weser, d. h. das nördliche Deltagebiet bis zur Weser. Sie unterscheidet vier Stände, nämlich Edle, Freie, Diener und Sklaven, und sieht die Wahl eines friesischen Podestes vor. Der Kaiser, der seinen Namen kaum schreiben konnte, beherrschte mehrere Sprachen, so neben Latein ebenfalls eine Form des Niederfränkischen, das auch eine der Grundlagen des entstehenden Niederländischen bildete (vgl. 3.2.1.). Für die Förderung der Schreibkultur ist die Wirkung des Gelehrten Alkuin aus York zu nennen, der die Hofakademie und das Skriptorium in Aachen leitete. Von hier aus verbreitete sich die Anwendung der karolingischen Minuskelschriftart, einer gut lesbaren Schrift, die sich leicht kopieren liess und so zur Verbreitung von Wissen beitrug. Wie umfangreich die karolingische Schriftkultur war, die auch andere Zentren wie u.a. Klöster in Tours und Reims pflegten, bezeugen die 500 aus Karls Zeit sowie die 7000 aus der Epoche bis 900 stammenden Handschriften. Erst gegen Ende des 11. Jh. sollte die frühgotische Minuskel, die in den südlichen Niederlanden und Nordfrankeich entstand, die karolingische Schrift verdrängen (vgl. 4.1.3.1.). Übrigens führte die Erforschung alter Kodizes durch italienische Humanisten dann zu einer Renaissance der karolingischen Schrift, wovon die Antiqua in gedruckten Büchern der frühen Neuzeit zeugt (vgl. 5.1.2.2., 5.4.1.4.). Auch die früheste mittelniederländische Literatur zeigt, wie sehr Karl der Grosse, der zu Lebzeiten bereits Carolus Magnus genannt wurde, in der europäischen Kultur fortlebte. So haben Jahrhunderte später zahlreiche epische Bearbeitungen französischer Vorlagen wie Ogier van Denemarken, Renout van Montalbaen oder der in den Niederlanden entstandene Karel ende Elegast phantasievolle Heldentaten zum Gegenstand (vgl.  4.2.4.), welche die Verfasser dem Kaiser zuschrieben. Das Roelantslied, eine teilweise überlieferte Bearbeitung aus dem 13. Jh. des Chanson de Roland, handelt von der Niederlage von Karls Truppen gegen die Basken bei Roncevaux-Pas im Jahre 778. Der Verfasser der niederrheinischen Karlemeinet-Texte aus dem 14. Jh. benutzte neben lateinischen und französischen Vorlagen auch mittelniederländische Quellen für seine Kompilation.

3.1. Das Gebiet der Niederlande als Teil grösserer Reiche

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Da Ludwig der Fromme als einziger Sohn seinen Vater überlebte, folgte er ihm 814 nach. Die wirtschaftlich bedenkliche Lage, die vielen Kriege und die Einfälle der Wikinger förderten insbesondere im Nordwesten seines Reiches das Feudalsystem: als Gegenleistung für eingegangene Verpflichtungen wie Treue und Kriegsdienste erhielten Vasallen Grundeigentum als Lehen. Die Wikinger, deren Raubzüge bereits um 800 an der friesischen Küste eingesetzt hatten, plünderten trotz der von Karl dem Grossen errichteten Küstenwacht stromnahe Städte wie Antwerpen, Gent, Doornik, Utrecht oder Dorestad. Nach dem Tode Ludwigs wurden ihre Fahrten zu umfangreichen militärischen Unternehmen, die erst dank Verstärkung der Stadtmauer und dem Bau von Festungen entlang der Küste aufgehalten werden konnten. Der Sieg des römisch-deutschen Kaisers Arnulf von Kärnten über die Normannen bei Löwen 884 oder 891 setzten ihren Raubzügen bald ein Ende. Zwistigkeiten über Grundbesitz und Erbschaften zwischen Lehnsmännern, die ihre Macht im Kampf gegen die Eindringlinge vergrössert hatten, sollten auch im Deltagebiet immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen lokalen Machthabern führen und das Kaiserreich zerstückeln. Sodann brachten Machtkämpfe zwischen Ludwig und seinen Söhnen, die drei Jahre nach Ludwigs Tod mit dem Vertrag zu Verdun 843 beigelegt wurden, die Teilung des Reiches in ein West-, Mittel- und Ostreich. Der grösste Teil der Niederlande gehörte nun zu Francia Media, Kaiser Lothars I. Mittelreich mit den Kaiserstädten Rom und Aachen, das von der friesischen Nordseeküste bis zum Golf von Gaeta reichte. Mit dem Vertrag von Ribemont 880 wurden die Niederlande östlich der Schelde Teil Deutschlands, das Gebiet westlich der Schelde mit Flandern und Artesien sollte bis ins 16. Jh. unter dem Einflussbereich des französischen Königs stehen, Machtkämpfe zwischen den Bürgern und den Machthabern kündigten sich bald an (vgl. 4.3.3.1.). Trotz dieser Zweiteilung des Delta-Gebietes entwickelte sich in den Niederlanden dank dem kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhalt im hohen und späten Mittelalter ein von den schwachen Verwaltungszentren in West- und Ostfranzien losgelöstes staatliches Gefüge. Da die zahlreichen Wasserwege im Delta den gegenseitigen Handel und Verkehr begünstigten, förderten sie ein Zusammenwachsen der verschiedenen Landstriche. Inzwischen strebten adlige Familien in Westfranzien auf Kosten der Karolinger nach Besitz und Macht. So erweiterte Balduin I. Eisenarm, erster Graf von Flandern, der die Tochter des westfränkischen Königs und späteren römischen Kaisers Karls des Kahlen entführt und geheiratet hatte, im 9.  Jh. seine Gebiete in der Gegend Gents und Brügges. Dem Haus Flandern gelang es, den Besitz nach Süden bis zur Somme, nach Osten über die Schelde zu erweitern. So nahmen die Grafen Balduin IV. und V. Landstriche in Seeland in Besitz, Burggrafen vertraten ihre Macht in der Herrschaft Flandern. Die Machthaber legten Strassen und Kanäle an, sie förderten zudem den Städtebau. So gründete Balduin II. Ypern, das vermutlich nach dem kleinen Iepere-Fluss genannt wurde, unter Balduin V. entstand Rijsel (‚Lille‘), das seinen Namen dem lat. Ad insulam, afz. À lisle, mnl. Ter ijs(s)el mit diphthongiertem /i/ verdankt. Im Norden Niederlothringens bildeten sich nach der Jahrtausendwende ebenfalls Herrschaften, allerdings übte hier der deutsche König mit Unterstützung treuer Erzbischöfe in Lüttich, Utrecht und Kamerijk seine Macht weiter aus. So verwaltete der Bischof von Utrecht Land-

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

striche in den heutigen Provinzen Utrecht, Drente und Overijssel sowie die Stadt Groningen. Erst als es dem deutschen Kaiser durch das Konkordat von Worms 1122 untersagt wurde, einen Bischof mit weltlicher Macht auszustatten, kam es im 12. Jh. zum Ende der deutschen Einmischung in den Niederlanden. Die Verbundenheit der einzelnen Gebiete des Deltas sollte trotz gegenseitiger politischer und kriegerischer Auseinandersetzungen der lokalen Herrscher im Spätmittelalter (vgl.  4.1.) zur Herausbildung der ‚Siebzehn‘ vereinten Provinzen führen (vgl. 5.1.). Literatur zu 3.1.: Bauwhede 2012; Beck et al. 1998; Blok 1960; Blok 1979; Blom et al. 2003; Cornelissen 1989; Desmulliez et al. 1988; Einhard in: Pertz et al. 1911; Van Es 1981; Geyl 1948/59; James 1988; Joris 1966; Krause 1968; Lamarcq et al. 1996; Matzel 1970; Tausend 2009; Verhulst 1996.

3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen Aus historisch-ethnografischen Zeugnissen ist zu folgern, dass die Germanen zu Anfang der Zeitrechnung keine geschlossene Einheit bildeten (siehe 2.1.), was die Ausdifferenzierung einzelner Sprachen innerhalb des Germanischen während des ersten Millenniums n.Chr. wohl mit erklärt. Nach der frühen Herausbildung des Gotischen vor dem 4.  Jh. (siehe 2.2.2.) erfolgte im frühen Mittelalter die Ausdifferenzierung weiterer Sprachen innerhalb des Germanischen, die dann zur Entstehung der modernen germanischen Sprachen führen sollte. Es sind dies in der Reihenfolge der zwischen Klammern angeführten ablaufenden, grob eingeschätzten Zahlen ihrer Muttersprachler Englisch (340 Millionen), Deutsch (100 Millionen), Niederländisch (24 Millionen), Schwedisch (9 Millionen), Afrikaans (6 Millionen), Dänisch (5,5 Millionen), Norwegisch (Bokmål und Nynorsk 5 Millionen), Friesisch (720.000), Isländisch (300.000) und Färöisch (44.000 – in der Heimat). Die historischen Zusammenhänge (siehe auch 2.2.2.) lassen sich schematisch wie unten darstellen:

73

3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen einige Jh. v./n.Chr.

Frühgermanisch





4. Jh. n.Chr. 5. Jh. ff.

Nordgermanisch



Skandinavisch

       ↙



Spätgemeingermanisch

Ostgermanisch



(Burgundisch1, Gotisch1, Wandalisch1)





Südgermanisch (Westgermanisch) ↓



   Westnordisch2   Ostnordisch3 Nordseegermanisch



7./8. Jh. ff.



Elbgermanisch

(Istwäonisch)

(Hermionisch)

(Ingwäonisch)

   ↙  ↙

Altenglisch  Altfriesisch



↙    ↙







Rhein-Weser-Germanisch ↙



Altfränkisch u.a. ↙

Altbairisch

↘        ↘



Altalemannisch ↙

Althochdeutsch 9. Jh. ff. 12. Jh. ff. 16 Jh. ff.     ↙

Altniederländisch ↓ Mittelniederländisch ↓ Neuniederländisch ↓

Mittelniederdeutsch



Mittelhochdeutsch





Niederdeutsch ↘

Neuhochdeutsch ↙

    Englisch  Friesisch  Afrikaans  Standardniederländisch Deutsche Sprache 1 ausgestorben 2 aus 3 aus

dem Westnordischen entstanden Isländisch, Färöisch und Norwegisch dem Ostnordischen entstanden Dänisch und Schwedisch

Die nächsten Abschnitte handeln von den Anfängen des Niederländischen und seiner Verbreitung. Als wesentlich für eine Darstellung des entstehenden Niederländischen sind neben den sprachimmanenten Entwicklungen, die dem Niederländischen seine Eigenart verliehen (vgl. 3.2.1.), auch äussere Grössen des Niederländischen (vgl. 1.1.2.) zu erwähnen, so den offensichtlichen Bedarf an niederländischen Übersetzungen in frühesten Zeiten, aber auch die Übersetzungsarbeit an sich. Übersetzungen wie die Utrechtse doopbelofte, die Wachtendonckse Psalmen, der Leidener Williram oder die Middelfrankische Rijmbijbel belegen, dass im letzten Viertel des ersten Millenniums im Deltagebiet eine Schreibkultur in der Volkssprache entstanden war, zudem zeugen sie von einem Bedarf an Übersetzungen in die Muttersprache. Dass die Glossen des bayrischen Abtes Williram in das Altniederländische übersetzt wurden, macht zudem klar, dass das Hochdeutsche der Vorlage derart von der Sprache Hollands abwich, dass eine Übersetzung ins Altniederländische ähnlich wie bei lateinischen Vorlagen offenbar nötig war. Der Leidener Williram liefert in diesem Sinne ein frühes Indiz für das Bewusstsein des Bestehens einer Muttersprache, heute Altniederländisch genannt, die sich von benachbarten Sprachen abhob und eine eigene Verschriftung verlangte.

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Zuerst werden im Folgenden sprachliche Entwicklungen aufgezählt, die man aus heutiger Sicht als kennzeichnend für das entstehende Niederländische einzustufen hat. Danach steht die Verbreitung des frühesten Niederländischen zur Diskussion. Schliesslich werden altniederländische Quellen und die Anwendungsbereiche des Altniederländischen näher erörtert.

3.2.1. Die Anfänge des Niederländischen Sowohl sprachhistorische wie auch dialektgeografische Befunde lassen den Schluss zu, dass die Bevölkerung im Rhein-Maas-Schelde-Delta eine südgermanische oder westgermanische Sprache gesprochen hat. Sie wurde vom Nordseegermanischen oder Ingwäonischen geprägt, das sich in der Mitte des Millenniums weiter auf dem Kontinent ausgebreitet hatte, in der Folge weisen das Sächsische und das Niederfränkische im Gegensatz zum Althochdeutschen ältere Ingwäonismen auf. Zudem dehnte sich das Ingwäonische durch die Migrationen der Angeln, Sachsen und Jüten im 5. und 6. Jh. in weitere Gegenden entlang der Küsten aus, so nach Südengland und Nordwestfrankreich. Kontakte zwischen den Auswanderern und ihren Stammesangehörigen in den Herkunftsgebieten, Handel und Verkehr wie auch die Seefahrt namentlich der Friesen festigten das Nordseegermanische im Nordwesten des germanischen Raumes, wie die Entwicklungen des Friesischen und Englischen bestätigen. Erst im Zeitalter der zunehmenden Macht und des kulturellen Einflusses der Karolinger wurde die Ausdehnung des Nordseegermanischen auf dem Kontinent gebremst, jüngere Ingwäonismen lassen sich in den Niederlanden nur noch an der Küste belegen, wie u.a. Van Bree nachweist. Mittlerweile hatten sich im Osten und im Süden des Deltas Einwanderer niedergelassen mit einer abweichenden, gemeinhin als Fränkisch bezeichneten Sprache. Untersuchungen von u.a. F. van Coetsem und A.F. Buccini unterstützen die These, dass die Deltabewohner dann mit Ausnahme der Friesen während der merowingisch-karolingischen Zeit im Zeitraum mehrerer Generationen die in höherem Ansehen stehende Sprache der östlich und südlich von ihnen lebenden Bevölkerung übernahmen. In diesem Fränkischen kannten die Sekundärumlaute erst eine allophonische Phase, in der Sprache der Küstenbewohner waren hingegen der Primärumlaut von sgm. a, der die sprachlichen Entwicklungen im Westen prägen sollte, phonemisiert. Im Westen bestand in der Folge kein Bedarf an weiteren Phonemisierungen, fränkische Sekundärumlaute wurden somit nicht übernommen, die Möglichkeit weiterer Umlautbildung war gesperrt. Für die Vorläufer des Niederländischen ist somit eine südgermanische ingwäonische Artikulationsgrundlage mit einem überlagerten, reduzierten fränkischen phonologischen beziehungsweise morphologischen System anzunehmen. Später, als die westliche Bevölkerung zur vorherrschenden Gruppe wurde, drangen Sprachformen ihrer vom entstehenden Niederländischen geprägten Sprache in die benachbarten Sprachvarietäten durch, es etablierte sich ein niederländischer Sprachraum (siehe 3.2.2.). Dank der dialektgeografischen Forschung lässt sich die Verbreitung dieser überregionalen Sprachformen belegen, da Dialekte sich aber genauso wie die überregionale Sprache erneuern, beruht eine Darstellung der historischen Gegebenheiten zum Teil auf Annahmen. Formen der alt-, mittel- und frühneuniederländischen Verkehrs- und Kultursprache deuten dann auf die Kodifizierung des entstehenden Niederländischen. Aus der Vielheit

3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen

75

der komplex zusammenhängenden sprachhistorischen und dialektgeografischen Daten stehen im Folgenden Einzelheiten zur Diskussion, welche die anfangs formulierte verallgemeinernde modellhafte Darstellung der Anfänge des Niederländischen unterstützen. Zwar bestanden vielfältige Zusammenhänge zwischen Nord-, Ost- und Südgermanisch, die hier nicht weiter zu erörtern sind, dennoch lassen sich einige Merkmale aufzählen, die insbesondere das Südgermanische kennzeichnen und auch im Altniederländischen anzutreffen sind. So entstanden, wie u.a. Sonderegger darlegt, in Mittel- und Endsilben neue inlautende Konsonanten vor j, zum Teil auch vor r, l, w, m und n, eine Erscheinung, die auch im Anl., beispielsweise in ackar erhalten ist. Weiter zeigt sich die Konsonantengemination im Anl., so in der Verdoppelung des inlautenden d im anl. biddon (‚Gott anrufen‘), vergleiche got. bidjan. Zudem ist die Bildung einer Sonderform der 2. Pers. Prät. der starken Verben mit Vokal kennzeichnend für das Südgermanische. Sie kommt ebenfalls im Anl. vor, z.B. in gāui (‚du gabst‘). Sodann schied die Klasse der schwachen Verben der 4. Klasse auf -nan aus. Schliesslich unterscheidet sich das Südgermanische durch die Auslautverhältnisse der starken maskulinen und zum Teil femininen Substantive, so zum Beispiel durch den Schwund der alten Endung in anl. dag (‚Tag‘), vergleiche pgm.*dagaz, anrd. dagr, got. dags. Im Gegensatz zum Binnengermanischen blieb im Nordseegermanischen das südgermanische Konsonantensystem weitgehend erhalten (siehe 2.4.), so t wie im anl. tēn, dagegen im Ahd. t > tz wie zehan (‚zehn‘), weiter p wie im anl. thorpe, vergleiche thorpe-falthio (‚Überfall auf Hof‘), aber im Ahd. p > pf, ff, f, so im ahd. dorf (‚Dorf‘, ‚Landgut‘), sodann k, so im anl. buoke (‚grosses Dokument‘), dagegen im Ahd. k > kX, ch wie in buoh (‚Buchstabe‘, ‚Buch‘), auch d wie im anl. dohteron (Dat. Plur. von ‚Tochter‘), dafür im Ahd. d > t wie in tohter, schliesslich th wie im anl. thankis (Gen. Sing. von ‚Dank‘), im Ahd. jedoch þ (th) > d wie in danc. Eine Lautverschiebung t > s wie in alles (‚alles‘) ist, falls es sich nicht um eine Genitivbildung handelt, im Niederländischen folglich eine Seltenheit. Auch ger. ē und ō wurden im Nordseegermanischen bewahrt, so ē im afr. hēr, vergleiche ahd. hiar (‚hier‘), oder ō im anl. Blome (‚Blume‘) im Namen Balduino Blome neben bluom, auch im mnl. blomen (Plur. von ‚Blume‘) neben bloeme, ahd. bluoma. Neu im Nordseegermanischen ist die Monophthongierung von ger. ai, so im anl. stēn in stēnbuk (‚Steinbock‘), vergleiche ahd. stein, die allerdings nicht erfolgt vor z, x, w oder im Auslaut, wenn in der folgenden Silbe i oder j auftritt. Weiter entwickelten sich im Nordseegermanischen ger. au zu ō, ā beziehungsweise ea, so im anl. dōf, afr. dāf, agl. dēaf dagegen ahd. toub (‚taub‘). Sodann machten sich konsonantische Einflüsse auf einfache Vokale im Nordseegermanischen bemerkbar wie Nasalierungen, Brechungen und Palatalisierungen, zum Beispiel anl. old (‚alt‘) im Ortsnamen Oldenzaal. Zudem fand Schwund von m und n vor Reibelaut mit Ersatzdehnung des vorausgehenden Vokals statt wie in muiden (‚Mündung‘), dem zweiten Teil des Ortsnamen IJmuiden (in der Bedeutung ‚IJ-Mündung‘). Auch neu sind die Ausgleichstendenzen in den Kasusformen der Substantive, der Schwund von Doppelformen der Adjektive, die weitgehende Aufgabe der Genus-Unterschiede im Plural der Pronomina und die Entstehung eines verbalen Einheitsplurals, für Einzelheiten und Beispiele siehe 3.4.

76

3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Eine Reihe durch die Festigung des germanischen Akzentes (siehe 2.4.1.3.), der sog. Erstbetonung, ausgelöster lautlicher Erscheinungen im Germanischen, die man seit Jacob Grimm als Umlaut zusammenfasst, sind für eine Kennzeichnung der Herausbildung des Niederländischen von besonderer Bedeutung. Es handelt sich dabei um lautgesetzlich bedingte Änderungen der Stammsilbenvokale, die durch den assimilierenden Einfluss folgender Laute entstanden und auch zu analogen, nicht-systematischen lautlichen Änderungen führten. So entstand ein gemeingermanischer Umlaut wie i aus e vor i oder j wie im anl. mitdon, ahd. mitti (‚mitten‘), vergleiche pgm. mifjō und lat. medius. Beispiele von analogen Bildungen sind anl. geuuelde oder geuueldi neben anl. geuualt (ahd. giwalt, ,Macht‘), pgm. *ga-wald mit einer lautlichen Änderung -eld, die in allen Kasus erschien. Es sind primäre Vollumlaute wie e aus a zu unterscheiden, die in den germanischen Sprachen in unterschiedlichem Ausmass zur Entstehung neuer Phoneme beziehungsweise Morpheme führten, sich graphematisch nicht oder geringfügig hervorhoben und mit einem bestehenden Vokal zusammenfielen. So ist in den ältesten niederländischen Quellen das ursprünglich vorhandene e wie im anl. uelli (‚Fell‘), vergleiche ahd. fel, pgm. *fella, schriftlich nicht anders erhalten als das e, das aus Umlaut entstand, so im anl. heuon (‚heben‘), vergleiche ahd. heffen und pgm. *hafjan. Dieses durch Umlaut entstandene ě, das lautlich wohl mit dem bestehenden ě zusammengefallen ist, erklärt übrigens, dass es im Neuniederländischen mehr Wörter mit e und weniger mit a gibt als in einer früheren Sprachstufe. Sekundärumlaute, die im Althochdeutschen zu einer zweiten, graphematisch allmählich vermehrt bezeichneten Phonemisierung führten, entwickelten sich später. Bereits im Germanischen waren die Diphthonge ai und eu in den Varianten ai/ae und iu/eo auseinandergefallen; sodann konnte interne Assimilation im Deltagebiet zur Entstehung von ei aus ai und iü aus iu führen. Die zweite Variante, ae beziehungsweise eo ist im Südwesten des niederländischen Sprachgebietes phonemisiert. Zu den jüngeren Umlauten ist der palatale i-Umlaut zu rechnen, der die Entstehung neuer Phoneme, so e aus a vor dem Nebensilbenvokal i, j bewirkte, vergleiche beispielsweise pgm. *fanja und anl. feni in der Ortsbezeichnung Sutpheni (‚Zutphen‘ mit der Bedeutung ‚Süd-Moor‘), ahd. fenni, mhd. venne. Die Wirkung des i-Umlautes, der seit dem 6. Jh. auftrat, prägte die germanischen Sprachen unterschiedlich. Wenn man die skandinavischen Sprachen einbezieht, so kann man stark verallgemeinernd feststellen, dass die Umlautbildung von Norden nach Süden in Quantität ab-, in Funktionalität zunimmt, in südwestlicher Richtung dagegen sowohl in Quantität als auch in Funktionalität abnimmt. So führte Primärumlaut im Althochdeutschen zur Entstehung neuer Morphemtypen mit Umlaut im Stamm in Verbindung mit den alten vollen Endungen, wie im ahd. gesti, oder später auch mit geschwächten Endungen, wie im spätahd. geste (‚Gäste‘). Zudem bewirkte er nach einer ersten paradigmatischen Ausscheidung von Umlautvarianten ein Nebeneinander von Umlaut- und Nichtumlaut-Flexion in der gleichen grammatischen Kategorie. Der Sekundärumlaut erweiterte im Spätalthochdeutschen die Morphemtypen mit Umlaut im Stamm in Verbindung mit den geschwächten Endungen wie in spätahd. hiute (‚Häute‘). Es erfolgte eine zweite paradigmatische Ausscheidung von Umlautvarianten, die ein teilweises Nebeneinander von Umlaut- und Nichtumlaut-Flexion in der gleichen Kategorie im Mittelhochdeutschen zum Ergebnis hatte. In der Folge stuft Sonderegger den Umlaut als eine tragende Entwicklungstendenz für das Deutsche ein mit übergreifender Wirkung auf die sprachlichen

3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen

77

Teilsysteme und mit Auswirkungen bis in das Mittelhochdeutsche. Grundverschieden sollte der Umlaut sich durch die abnehmende Quantität und Funktionalität nach Südwesten in Vorstufen des Niederländischen im westlichen Deltagebiet auswirken, was somit bei einer Besprechung von Erklärungsmodellen der Entstehung des Niederländischen zu berücksichtigen ist. Dialektgeografische Untersuchgungen von Forschern wie u.a. J. Goossens, M. Gysseling, K. Heeroma, J. Taeldeman, C. Vereecken, P.V. Verstegen oder A. Weijnen zeigen zwar ein variiertes Vorkommen von Umlauten im niederländischen Sprachgebiet, dennoch lassen sich diesbezüglich Unterschiede zwischen dem westlichen und östlichen Teil des Deltas feststellen, welche die am Anfang dieses Abschnittes skizzierte Entstehung der Vorläufer des Niederländischen mit begründen. Obschon die Verteilung des Umlautes bei sgm. u sowohl in geschlossenen als auch in offenen Silben schwer zu deuten ist, kann man nachweisen, dass palatal umgelautete u-Vokale im Osten des niederländischen Sprachgebietes systematisch vorkommen, vergleiche

Umlaut als Lautgesetz 1 Wgm. ô Beispiel groen 2 Wgm. â Beispiel kaas 3 Wgm. au, Beispiel droog 4 Wgm. α in offener Silbe, Beispiel leven 5 Wgm. α in geschlossener Silbe, Beispiel hebben 6 Wgm. α in geschlossener Silbe, Beispiel menneke

Umlaut in morphologischer Funktion a Diminutivbildung b Pluralbildung Substantive, 3.Pers. Sing., Ind. Präs. starke Verben c 2.Pers. Sing. Ind. Präs. starke Verben

Spontane Palatalisierungen Grenze bei Wgm. û Gebiet mit Palatalisierungen mit â Gebiet mit Palatalisierungen mit au

Abb. 4:  Umlaut und Palatalisierungen im niederländischen Sprachgebiet nach Goossens 2008.

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

vullen (‚füllen‘) und pgm. *fulljan. Im Westen ist die Verteilung des Umlautes bei diesem Vokal hingegen undurchsichtig: einmal erhalten umlautfähige Bildungen keinen Umlaut wie in locht (‚Luft‘), einmal gibt es Bildungen mit spontaner Palatalisierung wie in druk (‚Druck‘), sodann sind auch systematische Bildungen mit Umlaut wie in druppel (‚Tropfen‘) und ohne Umlaut wie in hond (‚Hund‘) anzutreffen. Zudem kommen Fälle von entrundeten Umlauten vor wie in brig neben brug (‚Brücke‘). Eindeutig dagegen ist das Vorkommen von primärem Umlaut, namentlich beim historischen Kurzvokal a, der im gesamten Raum festzustellen ist, sofern keine umlautbremsenden Faktoren dessen Entstehung verhinderten. So ist neben anl. tala (‚Anzahl‘) anl. tellen (‚erzählen‘) entstanden, vergleiche ahd. zellen (‚zählen‘, ‚erzählen‘) und pgm. *taljan. Nach den Geminaten hh beziehungsweise in einer lautlichen Umgebung mit dem Konsonantencluster /χ/ oder /χt/ unterblieben jedoch Umlaute in Teilen des niederländischen Sprachgebietes, vergleiche mnl. lachen (ahd. hlahhan, ‚lachen‘), pgm. *hlahjan und anl. maghtiga (ahd. mahtig, ‚mächtig‘). Nur in östlichen Dialekten kommt in dieser Position der sekundäre Umlaut wie in dts. mächtig vor. Für die übrigen umlautfähigen Bildungen besteht, wie bei diesem ä, ein Gegensatz zwischen dem östlichen und westlichen Teil des niederländischen Sprachraumes, der für das entstehende Niederländische von wesentlicher Bedeutung ist. Es betrifft dies die sgm. langen Vokale und Diph­thonge â, ô, û und au/ou. Im Westen des Deltas, d. h. im heutigen Flandern, Seeland und Holland westlich etwa von einer Linie, die bei Geraardsbergen beginnt und nördlich von Hilversum an der Küste des heutigen IJsselmeers endet, wurden die ursprünglich langen Vokale und Diphthonge ô, â, au/ou und û nicht umgelautet. Bereits K. Heeroma hatte dies für ger. ô und æ (sgm. â) mit u.a. der meist westlichen zoeken (‚suchen‘)-Isoglosse belegt, spätere Forschung bestätigt diesen Befund, wie Goossens darlegt. Dazu ist zu bemerken, dass der Umlaut bei â südlich von Utrecht bis zur belgischen Grenze etwas westlicher vorkommt als jener von ô. Palatalisierungen in Wörtern wie kaas (‚Käse‘) mit ä-ähnlichen Vokalen, die dennoch westlich der æ-Isoglosse vorkommen, erfolgten spontan, können aber auch alt sein. Laut Goossens widersprechen sie Heeromas Folgerungen ebensowenig wie die spontanen Palatalisierungen des â in Seeland und Teilen Südhollands oder jene im Norden Nordhollands. Der Befund wird auch nicht widerlegt durch den morphologischen Umlaut von â in Gebieten westlich und östlich der niederländischen Staatsgrenze in Limburg und Overijssel, der zwar lautlich durch eine vergleichbare Öffnung dem nicht umgelauteten Velar â ähnelt, aber gerundet ist. Die Grenze für den Umlaut bei ger. au verläuft weniger westlich als jene von â und ô. Spontane Palatalisierungen von au/ ao in Ostflandern und in einem kleineren Gebiet um Brüssel sind jüngeren Datums. Schliesslich wurde von den langen Vokalen und Diphthongen auch û nur im Osten des niederländischen Sprachgebietes umgelautet, siehe Abb. 4, im Westen lassen sich lediglich spontane Palatalisierungen des û feststellen, die sich dann in westöstlicher beziehungsweise südwestlicher Richtung verbreiteten. Somit kennt der Westen des heutigen niederländischen Sprachgebietes, der Wiege des entstehenden überregionalen Niederländischen, im Gegensatz zu den östlichen Gebieten keinen sekundären, phonemisierten Umlaut der langen sgm. Vokale und Diphthonge. Dies sollte der Morphologie des entstehenden Niederländischen und damit auch den syntaktischen Strukturen ihre spezifischen Charakterzüge verleihen.

3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen

79

Im Westen, wo wie oben dargelegt nur primärer Umlaut stattgefunden hatte, beschränkte sich die Umlautwirkung hauptsächlich auf die Wortbildung, allerdings ohne dass die semantische Beziehung zwischen den unterschiedlichen Bildungen immer unmittelbar ersichtlich ist. So kommt behendig (‚behende‘) mit e durch den Umlautfaktor -ig neben hand (‚Hand‘) vor. Dagegen konnten Umlautalternanzen sich im Allgemeinen nicht in der Morphologie durchsetzen, es fand eine Nivellierung in Konjugation und Deklination statt. So kennt das Niederländische keine umgelauteten Formen im Indikativ. Zwar kommen in den Wachtendonckse Psalmen umgelautete Formen wie feret (‚fährt‘) als 3. Pers. Sing. Ind. des Verbes faran (‚fahren‘) vor, das Mittelniederländische kennt aber neben vert nicht-umgelautete Formen wie uart oder vaert mit e als Verlängerungszeichen. Im Neuniederländischen findet sich bezeichnenderweise nur das nicht umgelautete vaart. Blockierung des Umlautfaktors in der 2. und 3. Pers. Sing. Ind. wie auch Dehnung, vgl. gevet und geven, führten zudem zu Analogiebildungen bei Verben, die ursprünglich in diesen Positionen abweichende Vokale kannten. So änderte sich hij hilpt (‚er hilft‘) zu hij helpt. Ebenso fehlen in der Regel bereits im Altniederländischen im Konjunktiv Vokalalternanzen, eine Form wie behêlin (‚sie würden verstecken‘) des Verbs bihelan zählt zu den Ausnahmen (vgl. 3.4.2.6.). Auch in der Deklination fehlen im Niederländischen in der Regel Alternanzen, die auf Umlaut zurückzuführen sind. So ist Umlaut als Pluralmarkierung wie im anl. slege (‚Rückschläge‘) neben anl. *slag selten, im Leidse Williram kommen zwar Pluralformen wie crefti (‚Kräfte‘) vor, daneben aber auch nicht-umgelautete Bildungen wie magathe (‚Mägde‘); eine neuniederländische Pluralform wie steden (‚Städte‘) neben dem Singular stad stellt eine Ausnahme dar. Ähnlich fehlt Umlautwirkung bei der Bildung des Diminutivs, Komparativs und Superlativs, vergleiche dazu mnl. vogelkijn (‚Vögelchen‘), mnl. grozere (‚grössere‘) und mnl. hogheste (‚höchste‘). Die hier aufgezählten lautlichen und morphologischen Entwicklungen prägen die Struktur der Sprache Flanderns, Seelands und Hollands. Sie sollten dem entstehenden Niederländischen, das sich allmählich vom Westen in östlicher beziehungsweise vom Norden in südwestlicher Richtung verbreitete, seine Wesensart verleihen.

3.2.2. Verbreitung des entstehenden Niederländischen Sprachformen, die zu den oben skizzierten Entwicklungen zu rechnen sind und aus heutiger Sicht zu den wesentlichen Merkmalen des entstehenden Niederländischen gehören, drängten in der zweiten Hälfte des ersten Millenniums vom Westen aus in die östlichen wie auch in die südwestlichen Sprachvarietäten durch oder überlagerten sie. In der Folge entstand ein niederländisches Sprachgebiet, das vom Altsächsischen im Osten, vom Ripuarischen im Südosten, von entstehenden romanischen Dialekten im Süden, vom Altenglischen mit der natürlichen Grenze der Nordsee im Südwesten und Westen sowie von altfriesischen Dialekten in den weiter nördlich beziehungsweise nordöstlich gelegenen Küstengegenden eingekreist wurde, vgl. Abb. 5.

80

3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Das Rhein-Maas-Schelde-Delta in karolingischer Zeit Abtei königliche Residenz (Pfalz)

S SI IE R TF AL

CH

ALTSÄCHSISCH

I

D N

E

D

E

R

L

Ä

(z

ALTENGLISCH

uv

or

al

tf

S

ri

es

C

is

H

ch

)

römische, möglicherweise noch benutzte Straße

N

I

RIPUARISCH

T

L A

A LT F R A N Z Ö S IS C H Abb. 5:  Altniederländisch zwischen Altsächsisch, Ripuarisch, Altfranzösisch, Altenglisch und Altfriesisch vgl. Bosatlas 87.

3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen

81

Nach Osten vollzogen sich die spezifisch niederländischen Sprachentwicklungen von der Nordseeküste über die volle Breite des Deltagebietes. Je nach Zeitalter und gesellschaftlichen sowie politischen Umständen ist das Gebiet, in dem sich dieses überregionale Niederländische durchsetzte, im Osten des Deltas unterschiedlich abzugrenzen (vgl. 5.1.3.2.). Anders als bei einer Beschreibung der Grenze zwischen germanischen und romanischen Sprachvarietäten lassen sich benachbarte Dialekte im Osten des Deltas in einem früheren Zeitalter auf Anhieb schwierig als ‚niederländisch‘ beziehungsweise ‚deutsch‘ einstufen. Nicht nur fehlt es an genügend primären Quellen, die aus den Grenzregionen stammen, auch die Auswahl der zu berücksichtigenden Merkmale, die eine derartige Unterscheidung rechtfertigt, scheint eher willkürlich. Zwar kann man einen Plural des finiten Verbs im Präsens wie wi maakt (‚wir machen‘) als altsächsisch, die Form wi maken als altniederländisch deuten, die benachbarten Sprachvarietäten ähneln sich dennoch in so vielen Hinsichten, dass von einem Dialektkontinuum auszugehen ist. Da im vorliegenden Buch die Entwicklung früherer Stufen des überregionalen Niederländischen als überdachende Sprache der dialektischen Varietäten im Mittelpunkt steht, ist allerdings auf eine Darstellung möglicher Übereinkünfte zwischen lokalen ‚niederländischen‘ und ‚deutschen‘ Sprachvarietäten zu verzichten. Innere Grössen des entstehenden Niederländischen, wie in 3.2.1. beschrieben, sowie äussere Grössen, so die oben erwähnte altniederländische Übersetzung einer deutschen Vorlage, begründen diese Beschreibungsperspektive. In südwestlicher Richtung reicht die Verbreitung des Niederländischen bis in den Norden Frankreichs, allerdings markiert die gesetzlich festgelegte niederländisch-französische Sprachgrenze in der Gegenwart den südlichen Rand des Gebietes der niederländischen Standardsprache. Als Voraussetzung der mittelalterlichen Ausdehnung des Niederländischen bis nach Nordfrankreich ist die Germanisierung des Schelde-Deltas sowie des flämischen und französischen Küstengebietes zu nennen, die in spätantiker Zeit durch die Einfälle der Germanen in Gallien (vgl.  2.1.2.), die Entstehung fränkischer Niederlassungen und die Einwanderung von Friesen und Sachsen erfolgt war. Die südliche Grenze dieses Gebietes, wo Vorläufer des Niederländischen entstehen sollten, verlief wahrscheinlich von Lille nach Béthune in Richtung des Canche- oder Kwinte-Flusses südlich von Boulogne. Detaillierte Beschreibungen dieser Entwicklungen, die in der Vergangenheit gelegentlich zu spekulativen, manchmal politisch motivierten Diskussionen über die südliche Grenze des germanisierten Gebietes in Frankreich führten, wie u.a. H. Ryckeboer festhält, haben komplex zusammenhängenden Befunden verschiedener Fachbereiche wie Geschichte, Archäologie oder historische Sprachwissenschaft Rechnung zu tragen. So zeugen Ortsnamen im heutigen Nordwesten Frankreichs und im Südwesten Belgiens auf -iaca(s), soweit dies nicht keltisch ist, gefolgt von -curtis (heute -cort ) oder -villa (heute -ville) von fränkischen Niederlassungen in der Gegend von Atrecht. Ortsnamen auf -inga (heute -gem) und -haim (heute -hem) belegen, dass Germanen in der Umgebung von Boulogne und an den Ufern der Schelde Wohnsitz genommen hatten, vgl. frz. Audinghen oder ndl. Oudingem und frz. Merville oder ndl. Meregem. Solche Ortsbezeichnungen setzten sich aus einem Personennamen mit Genitivform des Kollektivsuffixes -inga zur Andeutung der Zugehörigkeit zu Clan und haim (‚Wohnsitz‘) zusammen. So ist Evergehem laut Van der Bauwhede als ‚Wohnsitz des Clans der Person Ever‘ zu verstehen. Sodann zeigen archäologische Befunde, dass Germanen, die nament-

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

lich aus Gebieten nördlich des Rheins und aus norddeutschen Küstengegenden stammten, die von den Franken verlassenen Gebiete in Nord-Brabant und in den Kempen, wo noch Reste der spätrömischen Armee zurückgeblieben waren, im 6. Jh. besiedelten. Zudem liessen sich an der nordfranzösischen Küste angelsächsische Einwanderer aus Nord-Deutschland und Süd-England nieder, wie Ortsnamen, die auf -tun enden, vgl. Audincthun, im Departement Pas-de-Calais belegen. In den eroberten Gebieten entstand zuerst eine germanisch-romanische Gesellschaft, Eroberer und Besiegte lernten gegenseitig ihre Sprachen kennen. Teile der Bevölkerung, die sich hier aus den ursprünglichen gallisch-römischen Bewohnern und den fränkischen Neuankömmlingen zusammensetzte, sind wohl mehrsprachig gewesen, wie Gysseling annimmt. Man vermutet, dass feudale Herrscher, Krieger und freie Bauern Formen des Altniederfränkischen sprachen, die als Vorläufer des Niederländischen gelten dürfen, während aus dem Vulgärlatein entstehende Vorläufer des Französischen in den Städten vorherrschten. So ist hier in merowingischer Zeit von einem zweisprachigen Gebiet mit Diglossie auszugehen. In der Folge haben diverse Orte, so in Hennegau, Namur und Lüttich in diesem mehrsprachigen Gürtel doppelte, romanische wie germanische Namen, so Lüttich mit Liège und Luik.

N

o

r d

e s e

Flandern

westliche Ecke

FRANKREICH

Französisch-Flandern

HENNEGAU Atras

ARTOIS

Cambrai

CAMBRAI

heutige belgisch-französische Staatsgrenze Grenzen von Flandern, Artois, Hennegau, Namen und Cambrai vom 16. bis 18. Jh.

Abb. 6:  Gebiet der niederländisch-französischen Sprachgrenze im Westen nach Ryckeboer 2006.

3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen

83

In den südlich davon liegenden Gebieten Galliens kam es zu einer romanischen Einsprachigkeit, die übrigens von germanischem Einfluss zeugt. So übernahmen die ansässigen Bewohner bis ins 8. Jh. nicht nur Personennamen von den Franken, sondern auch Lehnwörter namentlich in Bereichen wie Landwirtschaft, Häuserbau, Flora, Fauna, Verwaltung, Armee, Jurisprudenz und Gefühlsleben, 15% des französischen Wortschatzes dürfte germanischen Ursprunges sein. Wie weit südlich der germanische Einfluss reichte, zeigen Beispiele von dem Substantiv vorangehenden Adjektiven wie Neuchâtel, vgl. Châteauneuf, Ortsbezeichnungen auf -court oder -ville mit vorangehenden germanischen Personennamen kommen bis zu einer Linie von Bayeau bis Genf vor. Landstriche mit einer dünneren germanischen Besiedlung im Nordwesten Frankreichs romanisierten gegen Ende des Millenniums dann schrittweise, im 10. Jh. reichte die Romanisierung des Nordwestens Frankreichs bis zur Leie, westlich von Aire. Die Romanisierung von Gebieten zwischen Boulogne und Sint-Omaars erfolgte wahrscheinlich im 11. Jh., was aus dem Ersatz des Suffixes -eke durch -y in Namen und den Bezeichnungen neuer Niederlassungen auf -ville und -mes hervorgeht. Boulogne war allerdings bis ins 12. Jh. zweisprachig, niederländischsprachige Toponyme in Gegenden nördlich der Stadt finden noch im13. Jh. ihre Verwendung. Inzwischen hatte sich, wohl im 9. Jh., eine romanisch-germanische Sprachgrenze herausgebildet, die sich weiter östlich des Küstengebietes über Jahrhunderte halten sollte (vgl. Abb. 7). Für eine Einschätzung des Zeitraumes, in dem die niederländischen Sprachmerkmale sich ausbreiteten, ist von einer zeitlichen Staffelung auszugehen. Die Datierung der entsprechenden sprachlichen Erscheinungen lässt sich je nach Quantität und Qualität der überlieferten alt-, mittel- und frühneuniederländischen Quellen einmal genau, dann wieder weniger zuverlässig aufstellen. Aus Belegen literarischer Texte ohne Angaben zur Zeit und zum Ort des Entstehens kann beispielsweise die Verbreitungsgeschichte überregionaler Merkmale weniger eindeutig abgeleitet werden als aus Urkunden, die, allerdings von örtlichen Sprachvarietäten geprägt, naturgemäss genau zu datieren und zu lokalisieren sind. So enthält der Schepenbrief van Bochoute (vgl. 4.3.5.1.) 1249 zum Beispiel die Form selen (‚werden‘) im Satz Descepenen van bochouta quedden alle degene die dese lettren sien selen in onsen here. (‚Die Schöffen von Bochoute grüssen all diejenigen, die diesen Briefen lesen werden im Namen Gottes.‘), die belegt, dass im 13. Jh. auch in Boechaute, Ostflandern, wie in Brabant und Limburg palatale neben nicht-palatalen Varianten von sullen entstanden waren. Übrigens hatten sich in grossen Teilen des kontinentalen Südgermanischen unter Einfluss der Konjunktivformen palatale Varianten der Präteritopräsentia neben nicht-palatalen Formen herausgebildet, so im Mhd. seit Mitte des 11. Jh. und im Mnl. seit dem 12. Jh. in Brabant und Limburg, vgl. mnl. connen neben cunnen (‚können‘), mhd. kunnen neben künnen. Dagegen weisen die westlichen Sprachvarietäten in Flandern und Holland lediglich palatale Varianten auf, in der Folge setzte sich sullen als überregionale Variante durch, Seeland kennt die Form sillen. Auch wenn die Datierung vereinzelter Erneuerungen im Niederländischen folglich problematisch ist, so lässt sich feststellen, dass ihre Verbreitung sich zeitlich unterschiedlich vollzog. So sind Bildungen wie maakte (‚machte‘) mit t in der Präteritum-Flexion im Zeitalter des Mittelniederländischen belegt, die sogenannte holländische Expansion der ui-Diphthongierung fand

84

3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

N o r d s e e

niederländisches Sprachgebiet. niederländisches Sprachgebiet in Frankreich

zweisprachiges Gebiet Niederländisch-Französisch

zweisprachiges Gebiet Friesisch-Niederländisch

Abb. 7:  Grenzen des Niederländischen in Europa nach Vandeputte 1997a.

3.2. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen

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erst in der frühen Neuzeit statt und verbreitete sich je nach Wort unterschiedlich. Verallgemeinernd ist festzuhalten, dass der Anstoss zu sprachlicher Erneuerung zuerst sowohl von Holland, Seeland als auch von Flandern aus erfolgte, später stammten Änderungen, die sich überregional durchsetzten, vor allem aus Holland, der dann sprachlich eher erhaltende Südwesten übernahm sie nur noch teilweise. Die folgenden ausgewählten Beispiele, die vor allem aus der dialektgeografischen Forschung stammen, dürften diese Verbreitung niederländischer Sprachmerkmale stichprobenweise ersichtlich machen. Da es sich dabei lediglich um die Aufzeichnung einiger entscheidender Tendenzen handelt, wird hier auf eine Besprechung komplexer Zusammenhänge der Einzelheiten verzichtet. So steht beispielsweise ein möglicher Zusammenhang zwischen spontaner Palatalisierung des sgm. û, Pluralbildungen durch Umlaut oder Flexion und Genussystemen der Substantive wie in Ausführungen von u.a. G. Postma oder P.T. van Reenen nicht zur Diskussion. In diesem Rahmen erübrigt sich zudem eine ausführliche Besprechung der Folgen der Verbreitung des entstehenden Niederländischen für die Dialekte. Unter der zunehmenden Einwirkung der westlichen Sprachvarietäten wurde die morphologische Funktion des Umlautes in den östlichen Dialekten angetastet, nur im Osten Nordbrabants, in Limburg, in der Region der Liemers, in der Achterhoek und Twenthe hat er sich zum Teil gehalten. Eine spontane Palatalisierung des ū, die sich in östlicher Richtung verbreitete, bewirkte beispielsweise, dass Alternanzen vom Typus Sing. moes (‚Maus‘), Plur. muze (‚Mäuse‘) in Teilen Brabants und Utrechts verschwanden. Entwicklungen dieser Art vollzogen sich langsam, wie Goossens u.a. mit Beispielen aus Südwestbrabant zeigt, das bis ins 16. Jh. morphologische Umlaute kannte, u.a. in der Bildung des Diminutivs, so in vuesken (‚Füchslein‘) neben vos (‚Fuchs‘) oder in der Pluralbildung meeghden (‚Mägde‘) neben maaghd (‚Magd‘). Vereinzelte Beispiele einer Zunahme des funktionalen Umlautes in östlichen Dialekten, so bei Pluralbildungen, sind übrigens für die Verbreitung des überregionalen Niederländischen nicht von Bedeutung. Durch Zusammenfall von a und o und Vokalisierung von l entwickelten sich lautliche Cluster wie -ald (-alt) und -old (-olt) im Westen zum einheitlichen -oud (-out). Die Verbreitung dieser Erneuerung erfolgte ebenfalls über die volle Breite des Sprachgebietes in östlicher Richtung, so kommen Wörter wie oud (‚alt‘) und goud (‚Gold‘) im Süden bis in Limburg, im Osten bis westlich der IJssel vor, weiter östlich blieben aber old und gold in den Dialekten erhalten. Als weiteres Beispiel der West-Ost-Verbreitung sprachlicher Entwicklungen erwähnt Goossens die Entstehung von ie aus sgm. eo beziehungsweise ê und oe aus sgm. ô. Bildungen wie lief (‚lieb‘) und diep (‚tief‘), voet (‚Fuss‘) und boek (‚Buch‘) sind im gesamten Sprachgebiet von der Nordseeküste in östlicher Richtung anzutreffen, nur in einigen Streifen im Osten blieben ee und oo in Dialekten, mit vereinzelten Diphthongierungen, erhalten. Ebenso verbreitete sich der Zusammenfall des sgm. â mit dem gedehnten kurzen a in offenen Silben nach Osten, nur in einigen östlichen Gegenden und in einigen Gebieten Hollands, wo beispielsweise â in slapen (‚schlafen‘) geschlossener ist als ā in haten (‚hassen‘), konnte er sich nicht durchsetzen, wie Goossens darlegt. Sodann entwickelten Verben, die Cluster mit intervokalischen stimmlosen Konsonanten t, k, f, s, ch und p umfassten, im Westen im Präteritum Formen mit t, vergleiche anl. makon (‚machen‘) mit 3. Pers. Ind. Prät. machoda (‚machte‘), dann im mnl. neben makede auch maecte, im ndl. nur maakte. Auch diese Erscheinung unterstützt die Annahme einer Verbreitung nieder-

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

ländischer Sprachmerkmale in östliche Richtung, nur in einigen östlichen Sprachvarianten ist die stimmhafte Assimilation des intervokalischen Clusters erhalten, so die Bildung maagde an Stelle von maakte (‚machte‘). Weiter fand bei historischer Gemination eine Verdrängung des alten okklusiven g durch frikatives g in Richtung Osten statt, so bei Wörtern wie brug (ahd. brucka ‚Brücke‘), vergleiche dazu auch Taeldeman. Dass die sogenannte zweite niederländische Auslautverschärfung sich am Rande des niederländischen Sprachgebietes nicht voll behauptete, wie Goossens darlegt, deutet ebenfalls auf eine Ausdehnung des Niederländischen vom Westen aus. So sind in Dialekten in Limburg und Twente mehr oder weniger stimmhafte Konsonanten im Auslaut anzutreffen, die durch Wegfall des folgenden Schwas in finale Position kamen, so nözz (‚Nase‘), vergleiche ndl. neus. Weiter brachte die Abwesenheit des funktionalen Umlauts im Westen Erneuerungen mor­ phologischer Teilsysteme mit sich, die sich über das niederländische Sprachgebiet verbreiteten. Durch fehlenden Umlaut brauchte beispielsweise der Plural bei starker Beugung eine neue Markierung, so erhielten Substantive auf -el, -em, -en, -er(d) und -aar(d) eine, möglicherweise aus dem ingwäonischen Substrat stammende (vgl. 3.4.2.4.), -s-Endung. Diese niederländische Pluralbildung verdrängte alte Pluralmarkierungen nach Osten. Somit zeugen die altniederländischen Quellen von einer Schreibkultur, die sich im Deltagebiet nach Osten, Süden und Südwesten verbreitete und sich durch innere wie äussere Grössen von benachbarten Sprachvarietäten abhob. Sie sollte sich zum überregionalen, je nach Quelle weniger oder mehr lokal gefärbten Mittelniederländischen heranbilden (vgl. 4.2.) und schliesslich zur Entstehung der allgemeinen niederländischen Standardsprache führen (vgl. 5.2., 6.2.).

3.2.3. Quellen und Anwendungsbereiche des Altniederländischen Vom Altniederländischen wurden bedeutend weniger Texte als vom Althochdeutschen oder Altenglischen überliefert, was nicht nur Zerstörungen und Überflutungen in einem von Kriegen und Naturkatastrophen geprägten Zeitalter zuzuschreiben ist, sondern sich auch mit der ursprünglich dünnen Besiedlung des Deltagebietes in karolingischer Zeit und seiner bescheidenen Oberfläche erklären lässt. Zudem begann hier die Christianisierung, die eine Verwendung geschriebener Sprache förderte, später als in England oder in anderen Teilen des europäischen Kontinents, vgl. 3.1.1. Sieht man von den frühen Vorboten des Niederländischen (vgl. 2.3.1., 2.3.2.) ab, so enthalten die Malbergse Glossen aus dem 6.  Jh., die im Pactus legis Salicae vorkommen, die ältesten überlieferten Sätze in der Volkssprache, die das Altniederländische einläuteten. So ist in diesem auf Antrag des Merowingerkönigs Chlodwig I. (vgl. 3.1.1.) 507–511 verfassten lateinischen Gesetzestext eine Glosse wie Maltho, thi ātōmeo, theo! (‚ich sage, ich lasse dich frei, Sklave‘) zu finden, die als ältester niederländischer Satz aufgefasst werden kann. Aus dem letzten Viertel des 8. Jh. stammt die Utrechtse Doopbelofte (‚Utrechter Taufgelübde‘) mit Sätzen wie ec gelobo in got alamehtigan fadaer (‚ich glaube in Gott, dem allmächtigen Vater‘). Der Text, der abhängig von der Interpretation seiner sprachlichen Merkmale ebenfalls als altniederländisch gelten darf, ist in einer Handschrift der Bibliothek des Vatikans in Rom enthalten (Codex Palatinus Latinus

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577, folio 6 verso, folio 7 recto). Ebenfalls sind aus dem 8. Jh. altniederländische Namen in Urkunden und Chroniken, so aus dem Kloster Sithiu erhalten, Sprüche, die bei der Heilung von Pferden geäussert wurden, stammen aus dem 9.  Jh. Auch Namen wie Schermer, zusammengesetzt aus schier (‚klar‘) und meer (‚See‘) von Anfang des 11. Jh. stammen aus altniederländischer Zeit. Weiter enthalten lateinische Urkunden und Register niederländische Wörter, wie aus Veröffentlichungen lexikalischen Materials aus der Zeit bis 1250 von Forschern wie B.H. Slicher van Bath hervorgeht. In lateinischen Quellen lassen sich namentlich altniederfränkische Wörter finden für Sachverhalte, die keine lateinischen Bezeichnungen kannten, als Beispiel erwähnen Quak und Van der Horst ein Wort wie dunos (‚Dünen‘). Weiter enthält das mittellateinische Lexikon latinisierte germanische lexikalische Elemente wie weregeldum. Zu den aus verschiedenen Quellen überlieferten altniederländischen Wörtern zählen zudem die Namen der Monate und Himmelsrichtungen in einer vermutlich in Utrecht verfassten Handschrift von Einhards Vita Karoli Magni aus dem 11. Jh. Von dem von Gysseling veröffentlichten ältesten lexikalischen Material dürften die aus Sint-Omaars stammenden Glossen ebenfalls altniederländisch sein. Eine wichtige Quelle des Altniederländischen bildet ein Psalter aus einer Handschrift, die der Äbtissin von St. Amor in Munsterbilzen gehört hatte, die Justus Lipsius (vgl. 5.1.2.1.) 1598 vom Kanoniker Arnold Wachtendonck aus Lüttich geliehen hatte, danach aber verloren ging. Laut einem Brief Lipsius’ an den Antwerpener Gemeindeschreiber Henricus Schottius umfasste die Handschrift einen in Lateinisch verfassten Psalter mit Übersetzungen in der Volkssprache oberhalb der Texte: Germanica interpretatione superscripta. Es betrifft eine altniederländische Bearbeitung von vermutlich mittelfränkischen Glossen, die vielleicht in der niederländischdeutschen Grenzgegend, eventuell in Xanten niedergeschrieben wurde und aus dem 9. oder 10. Jh. stammt. Lipsius’ Brief enthält zahlreiche Zitate aus der verschollenen Handschrift mit fast 500 altniederländischen Wörtern. Eine Kopie der Handschrift, die Lipsius hatte anfertigen lassen, ging ebenfalls verloren. Lediglich Psalm 18, den Abraham van der Myle 1612 in seinem Lingua Belgica in lateinischer Sprache ergänzt von einer neuen Übersetzung übernommen hatte, geht mit Sicherheit auf Lipsius’ Kopie zurück. Sodann wurden noch weitere Textfragmente überliefert, die auf der Handschrift oder auf Lipsius’ Kopie basieren, so in einer Handschrift der Universitaire bibliotheek Leiden (Signatur Ms. Lips. 53) mit über 800 Glossen, weiter in Handschriften der Staatsbibliothek Berlin (Signatur Ms. Diez. C. Quart. 90) und der Provinciale en BUMA-bibliotheek Leeuwarden (Signatur Ms BH 149), schliesslich vereinzelt in sonstigen Quellen. Insgesamt umfasst die Überlieferung der Wachtendonckse Psalmen die Psalmen 1,1–3,6, 18 und 53,7–73,9 sowie vereinzelte Wörter. Das Buch der Psalmen zählte zu den meistgelesenen Bibeltexten im Kloster, anl. und mnl. Beispiele werden in 3.3.1.2. beziehungsweise 4.3.4.4. zitiert. Die umfangreichste Quelle des Altniederländischen bildet der Egmondse Williram, auch Leidse Williram genannt und hier weiter als Leidener Williram bezeichnet, eine Handschrift, die 214 folia mit zirka 9500 Wörtern umfasst und sich ebenfalls in der Leidener Universitätsbibliothek befindet (Signatur BPL 130). Als während des Achtzigjährigen Krieges die Geusen (vgl. 5.1.2.) 1573 die Abtei Egmond besetzten, gelang es dem Abt zusammen mit dem Rektor der lateinischen Schule in Alkmaar, die Handschrift zu retten. In der Zeit des Humanismus veröf-

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

fentlichte Paullus Merula 1598 die Texte bei Plantin in Leiden (vgl. 5.1.2.2.), Hoffmann von Fallersleben gab im Zeitalter der Romantik den Williram 1827 erneut heraus, W. Sanders besorgte dann 1971 eine wissenschaftliche Edition. Der Text ist eine altniederländische Bearbeitung der hochdeutschen Glossen, die Williram, Abt des bayrischen Klosters Ebersberg, zwischen 1059 und 1065 neben seiner in Latein gedichteten Version des Hohen Liedes und dem entsprechenden Vulgata-Text niedergeschrieben hatte. Der Leidener Williram, der möglicherweise ein Autograf ist, entstand wohl kurz nachdem der Abt seine Arbeit vollendet hatte und gilt als einer der ältesten und als altniederländische Übersetzung freiesten Texte in der ansonsten konservativen Williram -Überlieferung. Zwar hat der wahrscheinlich aus Holland stammende Bearbeiter Althochdeutsches aus seiner Vorlage übernommen, dennoch deuten u.a. Wortwahl und Flexion darauf hin, dass er bestrebt war, den Text in die Muttersprache zu übersetzen. Für über hundertdreissig niederländische Wörter gilt, dass sie zum ersten Mal in seinem Text erscheinen, so Zahlwörter wie zestig (‚sechzig‘), vgl. seszogh bitherua kneghta (‚sechzig tapfere Soldaten‘ LWR 051, 02) und tachtig (‚achtzig‘), vgl. aghtzhogh sint thero keuese (‚es sind achtzig Nebenfrauen‘ LWR 103, 1), Adverbien wie dus (‚folglich‘) und gaarne (‚gern‘), die Artikel een (‚ein‘) und de (‚der‘, ‚die‘) und das Pronomen zulk (‚solch ein‘). Auch der häufig zitierte Satz Hebban olla uogala nestas hagunnan hinase hi enda thu uu … unbida…e nu (wahrscheinlich zu übersetzen als ‚haben alle Vögel angefangen Nester [zu bauen] ausser ich und du, was erwarten wir nun‘) datiert vom letzten Viertel des 11. Jh. Dieser Satz, der als probatio pennae auf dem Schutzblatt einer Handschrift der Bodleian Library in Oxford (Kodex 340 fol.169 v.) vorkommt, wie Kenneth Sisam 1933 zum ersten Mal darlegte, stammt vermutlich aus der Abtei von Rochester. Die Frage, ob ein flämischer, vielleicht verliebter Geistlicher, der in Kent verblieb, diese Worte in seiner Muttersprache niedergeschrieben hat oder ob der Text als altenglisch einzustufen ist, hat unter Sprachhistorikern eine Diskussion ausgelöst, die bis jetzt nicht endgültig abgeschlossen wurde. Allerdings dürften einige Merkmale des Textes, so die Form olla die küstenniederländische Herkunft des Satzes, wie Louwen darlegt, bestätigen. Weiter enthalten die Texte der Middelfrankische Rijmbijbel aus dem Anfang des 12. Jh., insbesondere die A-Fragmente, die sich in der Universitäts- und Landesbibliothek Halle (Saale), (Sign. Yg4°34) befinden, neben mittelfränkischem auch altniederländisches Sprachmaterial. Die Texte, die wohl aus der Gegend des Niederrheins stammen, wurden anfänglich als Legendarium oder aber als Sammlung von Bibelerzählungen, später auch als eine Kollektion von Homilien aufgefasst. Als letztes überliefertes altniederländisches Sprachmaterial gilt der Satz Tesi samanunga was edele unde scona (‚Diese [Kloster-]Gemeinschaft war edel und schön‘). Diese von 1130 datierte Inskription ist in einem Evangeliar enthalten, das vermutlich im 9. Jh. in Augsburg hergestellt wurde und sich in der Bibliothek der Bollandisten zu Brüssel (Hs. 299) befindet. Die Handschrift gehörte zu einer Sammlung religiöser Kodizes der ehemaligen Frauenabtei von Munsterbilzen, die auch ein Psalterium mit den oben erwähnten Wachtendonckse Psalmen umfasste. Die schriftliche Anwendung des Altniederländischen beschränkt sich auf einige wenige Bereiche. Die Malbergse Glossen deuten darauf, dass die Volkssprache die Auslegung der Jurisprudenz unterstützte. Auch kam sie zum Einsatz bei der Bekehrung von Heiden, wie aus dem

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Utrechtse doopbelofte hervorgeht. Sodann fand die Muttersprache Verwendung in Beschwörungsformeln, welche die Heilung von Tieren zu begünstigen hatten. Das Altniederländische kam zudem in Urkunden bei der Namensgebung zum Zug, wie aus überlieferten Personen-, Orts- und Flurnamen hervorgeht. Weiter boten altniederländische Glossen Hilfe beim Verstehen von Texten, die in einer anderen Sprache verfasst waren, wie die Wachtendonckse Psalmen und der Leidener Williram zeigen, gleichzeitig dienten sie so religiösen Zwecken. Altniederländische Glossen mögen ebenfalls als Unterstützung beim Erlernen des Lateinischen gewirkt haben. Ausserdem griffen Gelehrte auf die Muttersprache zurück bei der Suche nach Bezeichnungen, die dem Latein fehlten. Texte der Middelfrankische Rijmbijbel deuten zudem auf den Gebrauch des Altniederländischen in der Glaubensunterweisung oder bei der Formulierung von Homilien während der Messe. Auch kam es zum Einsatz beim Verfassen von persönlichen Notizen, wie der Munsterbilzer-Satz und Hebban olla uogala nestas hagunnan hinase hi enda thu uu …unbida…e nu zeigen. Schliesslich zeugt letzter Satz nicht nur von einem praktischen Gebrauch der eigenen Sprache, nämlich um die Eigenschaften einer neuen Feder zu erproben, sondern auch von der Anwendung der Muttersprache für das Niederschreiben eines lyrischen Textes in altniederländischer Zeit. Zum ersten Mal hat ein Verfasser mit dieser Liebeslyrik einen Vorläufer der geschriebenen niederländischen Sprache in seiner ästhetischen Funktion verwendet, sieht man von möglichen ästhetischen Intentionen bei der Produktion beziehungsweise Rezeption anderer Texte, so der Wachtendonckse Psalmen ab. Schliesslich zeugt der Satz von einer raffinierten Spielerei mit der Muttersprache und der lateinischen Entsprechung, wie Caron überzeugend dargelegt hat. Der berühmte Schreibversuch zeigt so in mehreren Hinsichten, wie die Muttersprache zum Gegenstand einer sprachlichen Kultivierung wird. Diese ästhetische Verwendung der Sprache, welche die Kultivierung des Niederländischen stets begleitet, lässt sich in jeder weiteren Sprachstufe des überregionalen Niederländischen verfolgen. Die aufgezählten Anwendungsbereiche des Altniederländischen blieben im Niederländischen erhalten. Im Zeitalter des Mittelniederländischen und in den verschiedenen Epochen des Neunie­ derländischen sollten sich die Anwendungsbereiche des überregionalen Niederländischen dann systematisch erweitern, vgl. u.a. 4.2.4. und 5.2.3., eine Entwicklung, die als äussere Grösse die Entfaltung des Standardniederländischen entscheidend mitbestimmte. Literatur zu 3.2.: Barbiers et al. 2005/08; Baumann 1998; Van der Bauwhede 2012; Bloemhoff et al. 2008; Buccini 1995; Caron 1954; Caron 1972; Van Coetsem 1988; Cordes et al. 1983; Cornelissen 2003; Cotman et al. 2003; Dekeyser 2007; Frings 1944; Frings 1963; Goeman 1999; Goeman et al. 2008; Goossens 1978; Goossens 1984; Goossens 1985; Goossens 1996; Goossens 1988/2002; Goossens 1999; Goossens 2008; De Grauwe 1979/82; De Grauwe 2003; De Grauwe 2004; De Grauwe 2008; Grüttemeier et al. 2006; Gysseling 1960; Gysseling 1972; Gysseling 1976; Janssens et al. 2005; Klein 2003; Kremer 1978; Kremer 1998; Kwakkel 2005; Kyes 1969; Kyes 1983; Lamarcq et al. 1996; Louwen 2008; Moerdijk et al. 2007; Van Oostendorp 2003; Van Oostrom 1993; Van Oostrom 2006; Pijnenburg et al. 2001; Pijnenburg et al. 2003; Ponelis 1993; Postma 2004; Quak 1981; Quak 1983; Quak 1990; Quak 2010; Quak et al. 2002; Van Reenen 2006; Ryckeboer 2006a; Ryckeboer 2006b; Sanders 1974; Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Schoonheim 2008; Schrodt 2004; Slicher-van Bath 1948; Sonderegger 1999; Stellmacher 2000; Stichlmair 2008; Taeldeman 1971; Taeldeman et al. 1999; Taubken 1981; Tervooren 2006; Van den Toorn et al. 1997; Van der Wal et al. 2008; Weijnen 2003; De Wulf et al. 1998/2005.

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

3.3. Textbeispiele des Altniederländischen Erste Studien altniederländischer Texte erschienen im 19. Jh., Quellen wurden von Sachkundigen wie F.W.E. Roth, E. Steinmeyer, E. Sievers, H. Götz, M. Heyne, K. Müllenhoff, W. Scherer, J.H. Gallée und E. Wadstein erschlossen. Im Laufe des 20. Jh. nahm die Zahl der Studien zu, sie stammen von Spezialisten wie W.L. van Helten, E.S. Firchow, H.K.J. Cowan, A. Lasch, J. Gessler, K. Sisam, M. Schönfeld, A. Van Loey, A.C.F. Koch, W.J.H. Caron, F. Baur, W. Pée, W. Krogmann, J.M. de Smet, E. Cramer-Peeters und R.L. Kyes. Später lieferten vor allem M. Gysseling, J. Goossens, A. Quack und L. De Grauwe wichtige Ausgaben, die ergänzt wurden durch Studien von u.a. P. Slechten, T. Coun, M. Wijnen, N. van der Sijs, J.M. van der Horst, F. Cotman, J.Taeldeman, X. Dekeyser, K. Louwen, C.M.A. Caspers, W. Pijnenburg, T. Schoonheim, E. Kwakkel, M. Mooijaart und F.P. van Oostrom.

3.3.1. Religiöse Texte 3.3.1.1. Utrechtse doopbelofte Das Utrechter Taufgelöbnis oder Altsächsische Taufgelöbnis stammt vom Ende des 8. Jh. Forsachistu diobolae. & respondeat. ec forsacho diabolae end allum diobol / gelde respondeat. end ec forsacho allum diobolgeldae. end allum dioboles uuercum / respondeat. end ec forsacho allum dioboles uuercum and uuordum thunaer / ende uuoden ende saxnote ende allvm them unholdum the hira genotas / sint. / / gelobistu in got alamehtigan fadaer ec gelobo in got alamehtigan fa/daer gelobistu in crist godes suno ec gelobo in crist gotes suno. gelobis/tu in halogan gast. ec gelobo in halogan gast. (Utrechtse doopbelofte 1980, 26) Die Übersetzung lautet: Entsagst du dem Teufel? Und er antworte: Ich entsage dem Teufel. Und allen Teufelsopfern? Er antworte: Ich entsage allen Teufelsopfern. Und allen Werken des Teufels? Er antworte: Und ich entsage allen Werken und Worten des Teufels, Donar und Wodan und Saxnot und allen Abgötter die ihre Gesellen sind. Glaubst du an Gott den allmächtigen Vater? Ich glaube an Gott den allmächtigen Vater. Glaubst du an Christus den Sohn Gottes?

3.3. Textbeispiele des Altniederländischen

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Ich glaube an Christus den Sohn Gottes. Glaubst du an den Heiligen Geist? Ich glaube an den Heiligen Geist.

3.3.1.2. Wachtendonckse Psalmen, Psalm 67 und 68 Psalm 67 67,2 Vpstandi got in testorda uuerthin fiunda sina / in flient thia hatodon imo fan antsceine sinin / 67,3 Also teferit rouc tefarin, also flutit / uuahs fan antsceine fuiris, so farfarin sundiga / fan antsceine godis / 67,4 Jn rehlica gouma uuirkint in mendint an ant/sceine godis, in gelieuent an blithone. / 67,5 Singet gode lof quethet namon / sinin, uueg uuirkit imo thia upsteig ouir ni/thergang, herro namo imo. / 67,6 Mendit an geginuuirdi sinro, gidruoueda / uuerthint fan antsceine sinin fadera uueisono / in scepenin uuidouuano. 67,7 Got an stede heilegono sinro, got thie an//uuunon duot einis sidin an huse, / Thie utleidende bebundona an stercke, also / thia thia uuitherstridunt thia uuonunt an grauon. / 67,8 Got mit so thu giengi an geginuuirdi fol/kis thinis, so thu thurolithi an uustinon. / 67,9 Ertha irruort ist geuuisso himela druppon / fan antsceine godis sinai, fan antsceine godis israhelis. / 67,10 Regin uuilligin utsceithon saltu got / erui thinin in ummahtig ist thu geuuisso / thuro fremidos sia. / 67,11 Quiccafe thina uuonun sulun an iro, thu ge/ruuidos an suoti thinro got. / 67,12 Herro giuit uuort predicon/don mit crefte mikiliro. / 67,13 Cunig crefte lieuis lieuis, in scuonis / husis te deiline giruouuj / 67,14 Of gi slapit under mitdon samnungun, fe/theron duuon fersiluerdero, in afrista / rugis iro an bleike goldis / 67,15 So undirsceithit himilisco cuninga ouir sia / fan sneue uuita sulun uuerthun an selmon 67,16 berg godis / berg feit / Berg sueuot berg feitit, 67,17 beuuie / uuanitgi berga gequahlit // Berg an themo uuala gelicad ist gode te / uuonone an imo, geuuisso herro uuonon sal an ende. / 67,18 Rediuuagon godes mit ten thusint manohfalt / thusint blithendero, herro an im an sinai an heiligon. / 67,19 Vpstigis an hoi, nami hafta. antfiengi geua an mannon / Geuuisso ne ungelouuinda an te uuonene herro got / 67,20 Geuuiet herro an dag dagauuelikis gisunda / farht duon sal vns got saldano vnsero. / 67,21 Got unser got behaldana duonda, in her/rin herrin utfarht dodi. / 67,22 Nouanthoh got te brecan sal houit / fiundo sinro, sceihtlon lockis um/bigangindero an misdadin iro. / 67,23 Quad herro fan basan bekeran sal ic, / keron an dubi seuues. /

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67,24 67,25 67,26 67,27 67,28

3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

That nat uuerthe fuot thin an bluode, tun/ga hundo thinro fan fiundun fan imo. / Gesagon ganga thina got ganga / godes minis, cuningis minis, thie ist an heiligin / Furi quamon furista gefuogeda sin/gindon, an midton thierno timpa/rinno / An samnungun geuuiet gode, herren fan // brunnon Israhelis, / Thar beniamin iungelig an muo/dis ouirferdi. / Furista Iuda leidera iro, furista / Zabulon furista Nepthalim. / 67,29 Gebiut got crefti thinro, gefeste that / got that tu uuorhtus an unsig. / 67,30 Fan duome thinin an ierusalem, thi offron sulun cuninga geuon, / 67,31 Refang dier riedis, samnun/ga stiero an cuon folco, that / sia ut sciethin thi thia gecoroda sint mit siluer / 67,32 Te stori thiadi thia uuiga uuilunt, cumun / sulun bodon fan ægipto, æthiopia furicumun sal / heinde iro gode. / 67,33 Riki erthon singit gode, singit herrin. 67,34 Sangit gode thia upstigit ouir himel / himeles te osterhaluon. 67,35 Ecco geuon sal stimma sinro stemma crefte. / geuet guolicheide gode ouir Israhel, mikili / sin in craft sin an uulcun. / 67,36 Vundirlic got an heiligon sinin, got Israhelis / hie geuon sal craft in sterke / folkis sinis, geuuiit got. // Psalm 68 68,2 Behaldan mi duo got, uuanda / ingiengon uuatir untes te se/lon minro. / 68,3 Gestekit bin ic an Leimo diupi, / in ne ist geuuesannussi / Ic quam an diopi seuues, inde geuui/dere bescendida mi. / 68,4 Ic aruidoda ruopinde, heisa gidana uurthun / kelon mina, te fuoron ougon min sal ic gi/ truon an gode minin / 68,5 Gimanoch foldoda sint ouir locka houi/dis minis. thia hatodon mi thankis. / Gesterkoda sint thia heftidon mi fiun/da mini mit unrehte, thia ic ne nam thuo fargalt, / 68,6 Got thu uueist unuuiti mine, in mis/dadi mina fan thi ne sint beholona / 68,7 Ne scaman sig an mi thia bidint thi / herro, herro crefte. / Ne uuerthin gesceindit ouir mi thia suo/cunt thi got israhelis. / 68,8 Vuanda thuro thi tholoda ik bismer / bethecoda scama antsceini min. / 68,9 Elelendig gedan bin bruothron minon / in fremithj kindon muodir minro. // 68,10 Vuanda ando huses thinis at mi, in bis/mer lastrindero thi fielon ouir mi / 68,11 In ic thecoda an fastingon sela mina, / in gedan ist an bismer mi. / 68,12 In gesatta uuat min te heron / in gedan bin im an spelle, 68,13 Angegin mi spracon thia saton an / portun in an mi sungun thia druncun uuin / 68,14 Ic geuuisso gebet min te thi herro, / tit uuala te likene got, / An menege ginathon thinro gehorj / mi an uuarheide saldun thinro. / 68,15 Genere mi fan horouue that ne ic inne stecke / genere mi fan then thia hatodon mi, in fan dio/pithon uuatiro. / 68,16 Ne mi besenki geuuidere uuateres, nohne / farsuelge mi diupi, noh ne antluke / ouir mi putte munt iro. /

3.3. Textbeispiele des Altniederländischen

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68,17 Gihori mi herro uuanda guot ist / ginatha thina, aftir menege / ginathono thinro scauuuo an mj. / 68,18 In ne kere antsceine thin fan knapin thinin / uuanda ic geuuithenot uuirthon sniumo gihori mi. / 68,19 Thenke selon minro in ginere sia, thuro // fiunda mina irlosi mi. 68,20 Thu uuest laster minin in sca/ma mina in vnera mina. / An geginuuirdi thinro sint alla thia uui/tonont mi, 68,21 Lasteris beida herta / min in armuodis / In ik beid thia samon gedruouit uuirthj in / ne uuas, the getrostoda in ne fant. / 68,22 In gauon an muos min galla, in an thur/ste min drenkedon mi mit etige / 68,23 Vuerthe disc iro furi im an stricke, / in an uuitherlonon in an besuicheide. / 68,24 Duncla uuerthin ougon iro that sia ne gesian / in rukgi iro io an crumbe. / 68,25 Vtgiut ouir sia abulge thina, in heitmuode / abulge thinro befange sia. / 68,26 Vuerthe uuonunga iro uuosti, in an se/lethon iro ne sie thia uuone. / 68,27 Vuanda thana thu sluogi ehtidon sia, in / ouer ser uundeno minro geocodon, 68,28 Gesette unreht ouir unreht / iro in ne gangint an rehtnussi thin / 68,29 Fardiligot uuerthin fan buoke libbendero, in / mit rehtlicon ne uuerthon gescriuona. // 68,30 Ic bin arm in treghaft, salda thin / got antfieng mj. / 68,31 Louon sal ic namo godis mit sange, in ge/mikolon sal ic imo an loue, / 68,32 In gelicon sal it gode ouir calf nuuui, / horni forhbrenginde in clauuon, / 68,33 Gesian arma in blithin, suokit / got in libbun sela iuuua. / 68,34 Vuanda gehorda arma herro, in gibundana sina ne faruuirp. / 68,35 Louin imo himela in ertha, seu in alla / criepinda an im / 68,36 Vuanda got behaldan duon sal sijon, in / gestiftoda sulun uuerthun burge iudæ / In ­uuunun sulun thar in mit erui / geuuinnon sulun sia. / 68,37 In cunni scalco sinro nieton sal sia, in thia / minnunt namo sinan uuonon sulun an imo. / (Wachtendonckse Psalmen 1980, 73–77) Die althochdeutsche Übersetzung des Psalmes 67 von Notker dem Deutschen mit zusätzlichem Kommentar aus Lateinischen Quellen lautet: Psalm 67 EXVRGAT DEVS ET DISSIPENTVR INIMI – Gót stánde ûf. unde sîne fíenda uuerden ze-uuórfen. Daz ist kescêhen. CHRISTVS ist irstánden. uidei sîne fíenda sint ze-triben. Et fugiant qui oderunt eum a facie eius. Vnde skíhtig sîn diê ín házzent. fóre sînemo ánasiûne. Sô sint sîe úber al. dâr fideles uuérbint. an diên Gótes facies scînet. Sicut deficit fumus deficiant. Also rúgh zegât. sô zegán- gen siê. De terra uiuentium ze-gânt siê in die iudicii. Sicut fluit cera a facie ignis. sic pereant peccatores a facie dei. Also uuahs

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smílzet fóre démo fiûre. so zegángen iudei peccatores a facie dei. Et iusti iocundentur. et exultent in conspectu dei. et delectentur in 4 letitia. Vnde réhte uuérden ke-uuúnnesámot. unde fréuuen sih fore Góte. unde ín fréuui uuérden sie gelússamot. Vuanne? Sô siê gehôrent. VENITE BENEDICTI PATRIS MEI PERCIPITE REGNVM. Cantate deo. psallite nomini eius. Aber ír 5 fideles. ir nóh hiêr ínin guôten uuerlte bint. síngent Góte. in puritate cordis. sálmosángont ímo in operibus bonis. Iter facite ei qui ascendit super occasum. Réchenônt démo dén uuég. dér dén tôd úber steîg resurgendo. Dominus nomen est illi. Hêrro ist sîn námo. Daz ne-uuísson iudei. Vuíssîn siê íz. numquam dominum maiestatis crucifixissent. Et exultate in conspectu eius. Vnde frô sînt fóre ímo. Also iz chît. QVASI TRISTES. SEMPER AVTEM GAVDENTES. Turbabuntur. Qui? Peccatores de quibus predictum est. SICVT FLVIT CERA A FACIE IGNIS. SIC PEREANT PECCATORES. A facie eius. Cuius eivs? 6 A facie dei. Qualis dei? Patris orphanorum et iudicis uiduarum. Sún- dige uuérdent ferstôzen fóne sînemo ánasiûne. der uueîson fáter ist. unde uuítuon ríhtet. Deus in loco sancto suo. An diên ist 7 Got. in heîligero sînero stéte. Deus inhabitare facit unis modi. uel. uni- us moris. i. unanimes in domo. Got tuôt siê búen eînmuôtigo in sinemo hûs. Daz sint íro herzen. Daz grecus hábet trope. daz pezeîchenet peîdiu. morem et modum. Noh er ne-habet. qui inhabitare facit. núbe échert habitare facit. Qui educit compeditos in fortitudine. Der diê háftenten ín dien sundon nímet. ûzzer diên háften. in sînero starchi. Similiter amaricantes. i. prouocantes. qui habitant in sepulcris. Samo uuóla diê. diê noh uuírserin sint. uuanda sie Got crément. diê in íro súndôn ióh pegráben sint. állero mánno fertânosten. ich diê ingrébet er. unde tuôt sîe lében in fortitudine sua. Deus cum egredieris coram 8 populo tuo. Daz tuôst dû Got. sô dû uz kâst fóre dînemo liûte. Vuánne ist daz? So dû siê tuôst fernémen dîniu uuergh. sô getâniû. so diû sint. daz dû siê tuôst unanimes habitare in domo. Educens compeditos in fortitudine. similiter amaricantes qui ha9 bitant in sepulcris. Cum transieris in deserto. °terra mota est. Dô dû fuôre unde gebrédigot uuúrde inter gentes. do uuúrden terreni homines iruuéget ad penitentiam. Etenim celi distillauerunt. Daz uuas fóne diû. uuanda ín hímela regenôton. apostolorum doctrina uuas ín chómen. Vuannan gesántiû? A facie dei israhel. Fóne démo Góte israhelis. der sie ûz frúmpta repletos spiritu sancto. Mons syna. a facie dei israhel. Celi régenôton. montes régenôton.

3.3. Textbeispiele des Altniederländischen

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Diê celi sint. diê sint ouh montes. Vnder diên uuas mons syna. an démo PAVLVS fernómen uuirt. der régenota sô sámo a facie dei israhel. Pluuiam uoluntariam segregans deus hereditati tue. Vuíl- 10 ligen régen uuâre dû dô sceîdende. dînemo erbe. Vuílligen fóne diû. daz er fergébeno chám. nullis precedentibus meritis. Kesceîdenen. uuanda ér priscis gentibus ne-cham. nouissimis uuard er gespáret. Et infirmata est. Vnde geúnchréftigôt uuard daz erbe. uuanda iz pechnâta non esse se aliquid per se ipsam. nube so PAVLVS chad. GRATIA DEI SVM. ID QVOD SVM. Tu uero perfecisti eam. Dû béréchenotost iz. also er aber chad. NAM VIRTVS IN INFIRMITATE PERFICITVR. Animalia tua ha- 11 bitabunt in ea. Díniû uého bûent dâr ínne. Siû bûent in sancta ecclesia. diû ist hereditas domini. Parasti in tua suauitate. egenti deus. Ziû egenti? Quia infirmata est ut perficiatur. Démo dúrftigemo hábest dû gegáreuuet in dinero suôzzi. promptam uoluntatem. ad faciendum opus bonum. non timore sed amore. Dominus dabit 12 uerbum euangelizantibus uirtute multa. Truhten kíbet únde zeîgot sînen predicatoribus daz siê spréchen súlen. in míche[l]lero chréfte signorum et miraculorum. Sînen animalibus séndet 13 er sólichiû cibaria. Vuéler dominus? Rex uirtutum dilecti. Chú- ning déro túgedo. sînes trûtes unde sînes liêben CHRISTI. diê ér sáment ímo meîsterot. unde nâh sînemo uuíllen chêret. Dilecti. Sînes liêben. unde sînes iruuéleten. Vuara zûo? Et speciei domus diuidere spolia. Oûh ze teîlenne geroûbe déro scôni des hûses. Daz hus ist sancta ecclesia. dîa ér scône getân hábet. mit diên diê er diabolo ge-nám. apostolis. prophetis. doctoribus. linguis loquentibus. gratiam curationum habentibus. Si dormiatis inter medios 14 cleros. V́ be ír réstent únder mítten erben ueteris et noui testamenti. sô. daz ih iûh fertrôstent terrene felicitatis. diû in ueteri geheîzzen uuard. unde ir patienter bîtênt. eterne inmortalitatis. diû in nouo geheîzzen ist. Penne. s. eritis columbe deargentate. et posteriora dorsi eius in pallore auri. Sô uuerdent ir fédera déro gesílbertûn tûbun sancte ecclesie. unde der áftero teîl íro rúkkes. dâr diê penne radicem hábent. Penne. daz er mit geminis preceptis caritatis ze hímele fliêgent. dorsum. daz ír iugum domini trágênt. in déro scôni des pleîchen Góldes. Sancta ecclesia ist columba deargentata. uuanda sî íst diuinis eloquiis erudita. sî hábet in dorso uirorem auri. uuanda íro starchi ist in uirtute caritatis et sapientie. Dum discernit celestis reges super eam. 15 s. columbam. So der hímelsco chúning. an íro gescêidet sîne chúninga. Niue dealbabuntur in selmon. i. in umbra. Danne uuér-

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dent sîe geuuîzet in scátue. Vmbe uuaz heîzzent sie reges? Vuanda sie regentes sint carnis concupiscentias. Vuiêo sceîdet er siê an íro? Also iz chit. ET IPSE DEDIT QVOSDAM APOSTOLOS. QVOSDAM AVTEM PROPHETAS. QVOSDAM VERO EVANGELISTAS. QVOSDAM AVTEM DOCTORES ET PASTORES. Vuieo? mit niue in umbra. Daz ín spiritus sancti gratia umbram tuôt. contra carnales estus. Selmon heîzet ételih pérg in palestina. Ih ne-ságo dén niêht. Montem (16) dei. montem uberem dico. Ih mêino den ánasíhtigen christum. dén hôhesten Gotes perg. ke-núhtigen. bérháften. spúnneháften. ad nutriendos lacte paruulos. Vt quid suspicamini montes uberes. 17 montem in quo beneplacitum est deo habitare in eo? Ziû ánauuânont ir sîn ándere bérga bírige? Ziû uuânent ír íro doh-eînen sô gelîcheten bérg Góte ze ánasídele? Vuanda er selbo chad. PA TER IN ME MANENS IPSE FACIT OPERA. EGO IN PATRE ET PATER IN ME EST. Etenim dominus inhabitabit. s. illos uberes montes usque in finem. Also Got an ímo bûet. sô bûet ér án ín. Nâh diên uuórten. EGO IN EIS. ET TV IN ME. Vuiê lango? Vnz er siê 18 brínget án énde. daz er selbo ist. Currus dei. Sie sint Gotes reîta. Bediû sízzet er an ín. bediû rihtet er siê. unz er siê bringet an ende. Decem milium multiplex. Cêndûsendîg. daz chit manigfaltig. uuanda iro ne-heîn zála ne-íst. Milia letantium. Dúsent fróuuero. Ziû ne-sulen? Dominus in illis. Trúhten ist ín ínne. Des fréuueNT siê sih. In syna in sancto. Hoc est in mandato quod sanctum est. Got ist ín ínne. unde stâtet siê an sînemo hêiligen gebóte. Ascendisti in altum 19 captiuasti captiuitatem. accepisti dona in hominibus. Dû CHRISTE stíge ze hímele. déro ménniscon éllende geéllendôtost dû. dû irsluôge den tôd. mísselicha géba inphiênge dû án ín. Vuanda siê dîn corpus sint. pediû sint íro géba dîn. unde déro gébôn uuúrden alii apostoli. alii prophete. alii doctores. Sóliche tâte dû siê. Êreron uuîoliche? Non credentes inhabitare dominum deum. Vngeloûbige. Vuéles dínges? Gót sól búen an ín. Des siê ne-trûeton. daz Got an ín bûen solti. unde sie currus dei uuerden sóltîn. des tâte du siê geloûbige. BENEDICTVS DOMINVS DE DIE IN DIEM. Des 20 si Got ke-lóbot. fóne táge ze tage. uuanda er oûh nóh unde iêmer ist captiuans captiuitatem. et accipiens dona in hominibus. Prosperum iter faciet nobis deus sanitatum nostrarum. °deus noster. deus sal- 21 uos faciendi. Got únserro hêili. Got únser. Got des keháltennes. er tuôt únsera fart frámuuértiga. Cursum uite getuôt er prosperum. Et domini exitus mortis. Vnde diû hínafart trúhtenes tôdes. Vuaz diû? Tuôt uns prosperum iter. Alde iz chît. Ioh des háltenten. ist diû hínafart des todes. Sîd er innocens irstárb. ziû ne-

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súln uuir is danne unsih trôsten. noxii et peccatores? Verum- 22 tamen deus conquassabit capita inimicorum suorum. uerticem capilli perambulantium in delictis suis. Aber. doh er mortem líte. er géfnótôt diû hoûbet sînero fíendo. unde diâ fâhs-scêitelun dero follefárenton in íro míssetâten. Also ez chît. RESVSCITA ME ET REDDO EIS. Dixit dominus ex basan. i. ex ariditate. con- 23 uertam. conuertam de profundis maris. Sús ke-hiêz trúhten. Fone dúrrî bechêro ih sie ze grûoni. Fone diên tiêfinon des méres. daz chit fóne diên uuerltfrêison bechêro ih siê. Ih nímo siê ûzer diên fluctibvs uitiorum. Vt intinguatur pes tu- 24 us in sanguine. Sô ínnelîcho bechêrest dû siê ze dír. daz dîn fuôz in sanguine martyrii getúnchot uuérde sámet ín. Siê sint tua membra. an ín lîdest dû persecutionem. Lingua canum tuorum ex inimicis ab ipso: Dînero húndo zúnga uuérdent. diê êr dîne fíenda uuâren. Dîne predicatores uuerdent siê. Vuannan chú met ín daz? Vuannân âna fóne ímo. demo selben. der sie bechêrta ex basan et de profundis maris. Visi sunt ingressus tui deus. Dîne 25 ín-génge Got uuúrden gesêuuen hára in uuérlt. ioh an dîn selbes incarnatione. ioh daz dû an diên nubibus châme. fone diên dû châde. AMODO VIDEBITIS FILIVM HOMINIS VENIENTEM IN NVBIBVS. Diê sint ouh dîn currus. ûffen diên dû dísa uuerlt alla irríten hábest. Gressus dei mei. regis mei. s. uisi sunt. qui est in sancto. Mînes Gótes kénge. mines chúninges. der in sînemo sancto templo ist. Vuéle sint daz? die oûh nubes sínt. unde currvs. 26 Preuenerunt principes coniuncti psallentibus. in medio iuuen- cularum tympanistriarum. Apostoli chamen ze êrist. sâr dara nâh kefuôgte ze ánderen die ín fólgeton. Gótes lob singenten in uoce et opere. Siê châmen unde uuúrden prepositi in medio nouarum ecclesiarum. an tympanis singente. uuanda sie in carnis maceratione lébeton. also timpanum uuirt ûzer corio siccato et extento. In ecclesiis benedicite deum. Ecclesie sint tympanistrie. 27 an diên lóbont Got. Dominum de fontibus israhel. Lóbont trúhtenen fone diên israhelis prúnnon. Diê êresten fontes. ih neîmo apostoli. diê châmen fóne israhel. Sîe uuâren fontes. siê uuâre di ursprínga. fóne ín châmen flumina. Ibi beniamin adulescenti- 28 or. Dâr uuas inter fontes PAVLVS de tribu beniamin. adulescentior. daz chit nouissimus apostolorum. In extasi. i. in excessu mentis. Ín irchómeni. Also er sih erchám. dô er fóne himele gehorta. SAVLE SAVLE QVID ME PERSEQVERIS? Alde iz chît. ín déro hína-gelíteni des muôtes. also iz fuôr dô er raptus uuard ad tertium celum. Principes iuda. i. confessionis. duces eorum. Princi-

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

pes zabulon. i. fortitudinis. Principes neptalim. i. latitudinis. Apostoli uuâren principes confessionis. fortitudinis. latitudinis. hoc est fidei spei caritatis. Manda deus uirtutem tuam. Commenda nobis deus uirtutem tuam. Keliûbe uns Gót fáter Christum. der dîn uirtus ist. Kelêre únsih den mínnon der umbe únsih irstárb. Confirma hoc deus quod operatus es in nobis. Keuésteno Got dîa geloûba. dîa dû úns kâbe. A templo tuo quod est in ierusalem. tibi offerent reges mu- nera. Ferro fone dînemo hus. daz ín déro níderun ierusalem ist. príngent dir diê chúninga geba ín dero óberun ierusalem. Daz sint diê. diê hiêr doûbont carnis concupiscentias. Increpa feras calami. Irréfse diû tiêr des rôres. Irréfse hereticos. inimicos sancte scrippture. Congregatio taurorum. inter uaccas populorum. ut excludantur. hoc est ut emineant. hi qui probati sunt argento. Dîe sélben heretici dánne uuerbent also mánige phárre under diên liût-chuôen. Vuéle sint daz? Âne spénstige unde ferleîtige ménniscen. also diê chûoe. die diên pharren fólgent. daz diê irbúret uuerden. diê ze diuinis eloquiis lóbesam sî. Also paulus chad. OPORTET ET HERESES ESSE. VT COMPROBATI MANIFESTI FIANT IN VOBIS! Diû úbeli déro hereticorum getéta scînen dîa guôti. unde den uuîstuôm déro catholicorum. Fóne diû chît hiêr. EXCLVDANTVR EXPRIMANTVR. Also oûh dîe héuâra déro sílberfázzo exclusores heîzzent. Disperge gentes que bella uolunt. Zeuuírf trúhten die hereticos. diê niêht gentes ne-heîzzent umbe generationes familiarum. núbe úmbe genera sectarum. Fertîligo siê. êr siê successionem geuuúnnen. Offerant uelociter ex egypto. Spuôtigo bríngen gentes iro sêla Góte ûzzer egypto. ûzer tenebris. îlen ze ímo alle gentes. Ethiopia festinet manus dare deo. Ethiopia île íro hénde biêten Góte. île sih ímo irgében. Also in uuîge sígelôse tuônt. Secundum ieronimum chît iz sô. Regnae terra cantate deo. psallite domino. Vmbe sús mánigfalta gnâda. síngent Góte álliû erderîche. hôh-sángoNT trúhtene. Psallite deo. °qui ascendit super celos celorum ad orientem. Hôh-sángont Góte der álle hímela úber fuôr. fóre sînen iúngeron ze ierusalem. diû in orientis partibus ist. siue ad orientem. i. ad patrem. Ecce dabit uocem suam uocem uirtutis. So er dannan chúmet ad iudicandum. sô óffenot er sîna stimma. stimma déro crefte. i. uenite. uel. ite. So uuirt lûtrêiste. der iû êr uuólta uuésen stille. Date gloriam deo. super israhel magnificentia eius. Cuôllichont Got. uuanda danne chumet sîn míchellichi úber israhelem. dann gemíchelîchot er populum fidelem. Et uirtus eius in nubibus. Vnde sîn chráft scînet danne an diên nubibus. in apostolis et prophetis.

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3.3. Textbeispiele des Altniederländischen

dîe hiêr uuâren nubes. unde dar uuerdent iudices. Mirabilis deus in sanctis suis deus israhel. Dánne uuirt uuúnderlih an sînen hêilegon Got israhelis. Got uidentis deum. Ipse dabit uirtutem. et fortitudinem plebis sue. benedictus deus. Danne gíbet er sinemo liûte chraft déro resurrectionis. starchi dero incorruptionis. Gót kelóbot sî er des. (Notker der Deutsche 1981, 225 ff)

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Die folgenden zeitgenössischen deutschen Übersetzungen der Psalmen 68 und 69 entsprechen den althochdeutschen Psalmen 67 und 68. Psalm 68 Der Gott vom Sinai in seinem Heiligtum 1) Für den Chormeister. Von David. Ein Psalm. Ein Lied. 2) Gott steht auf, und seine Feinde zerstieben, und die ihn hassen, fliehen sein Angesicht. 3) Du verwehst sie wie Rauch; wie Wachs vor dem Feuer schmilzt, so vergehen die Frevler vor Gottes Angesicht. 4) Die Gerechten aber freuen sich, frohlocken vor Gott und jauchzen voll Freude. 5) Singt Gott, spielt seinem Namen, baut eine Strasse dem, der auf den Wolken dahinfährt,­ Jah ist sein Name, frohlockt vor ihm. 6) Ein Vater der Waisen und ein Anwalt der Witwen ist Gott in seiner heiligen Wohnung. 7) Den Einsamen gibt Gott ein Zuhause, die Gefangenen führt er heraus ins Glück, die ­Empörer aber bleiben in der Öde. 8) Gott, als du auszogst vor deinem Volk, als du einherschrittest durch die Wüste, Sela 9) da bebte die Erde, die Himmel troffen vor Gott, dem vom Sinai, vor Gott, dem Gott ­Israels. 10) Reichen Regen spendest du, Gott, dein erschöpftes Erbland hast du gefestigt. 11) Deine Wohnstatt, darin sie sich niederliessen, richtest du für die Elenden her, Gott, in deiner Güte. 12) Ein Wort ging aus vom Herrn, Freudenbotinnen in grosser Schar. 13) Die Könige der Heere fliehen, sie fliehen, und auf der Tempelflur verteilt man Beute. 14) Wollt ihr bei den Hürden bleiben? Die Flügel der Taube sind mit Silber überzogen und ihre Schwingen mit gelbem Gold. 15) Als der Allmächtige dort Könige zerstreute, fiel Schnee auf dem Zalmon. 16) Berg Gottes, Baschansberg, Berg vieler Gipfel, Baschansberg: 17) Warum blickt ihr scheel, Berge vieler Gipfel, auf den Berg, den Gott zum Thronsitz begehrt hat? Dort wird der Herr ewig wohnen. 18) Die Wagen Gottes, vielmal tausend und abertausend, der Herr ist unter ihnen, der vom Sinai ist im Heiligtum. 19) Du bist emporgestiegen zur Höhe, hast Gefangene weggeführt, du hast Gaben empfangen unter den Menschen; auch Empörer sollen wohnen bei Gott, dem Herrn. 20) Gepriesen sei der Herr Tag für Tag, der uns trägt, der Gott, der unsere Hilfe ist. Sela 21) Gott ist uns ein Gott der Rettung, Gott, der Herr, kann herausführen aus dem Tod.

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

22) Gott wird zerschmettern das Haupt seiner Feinde, den Schädel dessen, der in Schuld ist. 23) Der Herr hat gesprochen: Aus Baschan bringe ich sie zurück, ich bringe sie zurück aus den Tiefen des Meeres, 24) damit dein Fuss im Blute bade, die Zungen deiner Hunde an den Feinden ihren Teil haben. 25) Man schaute deine Festzüge, Gott, die Festzüge meines Gottes, meines Königs, im Heiligtum: 26) Voran die Sänger, dann die Saitenspieler, inmitten von Mädchen, die die Trommel schlagen. 27) Preist Gott in den Versammlungen, den Herrn, die ihr vom Quell Israels seid. 28) Da schreitet voran Benjamin, der Jüngste, die Fürsten Judas mit ihrer lärmenden Schar, die Fürsten von Sebulon, die Fürsten von Naftali. 29) Biete auf, Gott, deine Macht, erweise dich mächtig, Gott, der du für uns gewaltet hast, 30) von deinem Tempel aus hoch über Jerusalem. Könige sollen dir Gaben bringen. 31) Bedrohe das Tier im Schilf, die Horde der Stiere unter den Kälbern, den Völkern; tritt entgegen denen, die nach Silber rennen, zerstreue die Völker, die ihre Lust an Kriegen haben. 32) Aus Ägypten kommen bronzene Geräte, Kusch bringt Gaben eilends zu Gott. 33) Ihr Königreiche der Erde, singt Gott, spielt dem Herrn, Sela 34) ihm, der dahinfährt am höchsten, am ewigen Himmel. Siehe, er lässt seine Stimme ­erschallen, die mächtige Stimme. 35) Gebt Gott Macht, dessen Hoheit über Israel und dessen Macht in den Wolken ist. 36) Furchtbar bist du, Gott, von deinem Heiligtum aus. Israels Gott, Kraft und Stärke gibt er dem Volk. Gepriesen sei Gott. Psalm 69 Schmach und Schande bedecken mein Angesicht 1) Für den Chormeister. Nach der Weise . Von David. 2) Hilf mir, Gott, die Wasser stehen mir bis zum Hals. 3) Ich bin versunken in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist. In Wassertiefen bin ich geraten, und die Flut reisst mich fort. 4) Ich bin erschöpft von meinem Rufen, meine Kehle brennt, meine Augen ermatten, da ich harre auf meinen Gott. 5) Zahlreicher als die Haare auf meinem Haupt sind, die mich grundlos hassen, mächtig sind, die mich verderben wollen, die mich ohne Ursache anfeinden; was ich nicht geraubt habe, soll ich erstatten. 6) Gott, du allein weisst um meine Torheit, und meine Schuld ist vor dir nicht verborgen. 7) Mögen durch mich nicht zuschanden werden, die auf dich hoffen, Herr, du Herr der ­Heerscharen. Mögen durch mich nicht in Schande geraten, die dich suchen, Gott Israels. 8) Denn um deinetwillen trage ich Schmach, bedeckt Schande mein Angesicht. 9) Entfremdet bin ich meinen Brüdern, ein Fremder den Söhnen meiner Mutter. 10) Denn der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt, und die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen. 11) Ich weinte und fastete, und es brachte mir Schmach. 12) Ich nahm als Kleid den Sack und wurde ihnen zum Gespött. 13) Es reden über mich, die im Tor sitzen, und mit Liedern die Zecher beim Wein.

3.3. Textbeispiele des Altniederländischen

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14) Ich aber komme mit meinem Gebet zu dir, Herr, zur Zeit deines Wohlgefallens; Gott, in deiner grossen Güte erhöre mich mit deiner treuen Hilfe. 15) Rette mich aus dem Schlamm, dass ich nicht versinke, dass ich gerettet werde vor denen, die mich hassen, und aus den Wassertiefen, 16) dass die Wasserflut mich nicht fortreisse und die Tiefe mich nicht verschlinge, noch der Brunnen seinen Mund über mich schliesse. 17) Erhöre mich, Herr, denn deine Güte ist köstlich, in deinem grossen Erbarmen wende dich mir zu. 18) Verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knecht, denn mir ist bange, erhöre mich bald. 19) Sei mir nahe, erlöse mich, um meiner Feinde willen befreie mich. 20) Du kennst meine Schmach und meine Schande, vor Augen sind dir alle meine Widersacher. 21) Die Schmach hat mir das Herz gebrochen, ich sieche dahin. Ich hoffte auf Mitleid, doch da war keines, auf Tröster, doch ich fand sie nicht. 22) Gift gaben sie mir zur Speise und Essig zu trinken für meinen Durst. 23) Es werde ihr Tisch vor ihnen zur Falle und ihren Freunden zum Fallstrick. 24) Ihre Augen sollen dunkel werden, dass sie nicht sehen, und ihre Hüften lass immerfort ­wanken. 25) Giess aus über sie deinen Grimm, und die Glut deines Zornes erfasse sie. 26) Veröden möge ihr Lagerplatz, und niemand wohne in ihren Zelten. 27) Denn sie haben verfolgt, den du selbst geschlagen hast, und vom Schmerz derer, die du trafst, erzählen sie mit Lust. 28) Häufe ihnen Schuld auf Schuld, dass sie nicht eingehen in dein Heil. 29) Sie sollen getilgt werden aus dem Buch des Lebens, sie sollen nicht aufgeschrieben werden bei den Gerechten. 30) Ich aber bin elend und voller Schmerzen, deine Hilfe, Gott, beschütze mich. 31) Ich will den Namen Gottes preisen im Lied, will ihn rühmen mit Lobgesang. 32) Das gefällt dem Herrn besser als ein Opferstier, als ein Rind mit Hörnern und Klauen. 33) Die Gebeugten haben es gesehen und freuen sich; ihr, die ihr Gott sucht, euer Herz lebe auf. 34) Denn der Herr erhört die Armen, und seine Gefangenen verachtet er nicht. 35) Himmel und Erde sollen ihn preisen, die Meere und alles, was sich in ihnen regt. 36) Denn Gott wird Zion helfen und die Städte Judas aufbauen, und dort werden sie sich ­niederlassen und es in Besitz nehmen; 37) und die Nachkommen seiner Knechte werden es erben, und die seinen Namen lieben, ­werden darin wohnen. (Zürcher Bibel 1996, 230–233)

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

3.3.2. Persönliche Notizen, literarische Wörter 3.3.2.1. Probatio pennae Vom zum Teil kaum lesbaren Text bestehen u.a. die folgenden Lesearten: Hebban olla uogala nestas hagunnan hinase hi[c] [e]nda thu uu[at] unbida[t] g[h]e nu. (Gysseling 1980, 130) Hebban olla uogala nestas hagunnan hinase hic enda thu uuat umbidan uue nu (Louwen 2009, 77–78) Die probatio pennae (vgl. Farbb. Ia) ergab unterschiedliche Interpretationen, so: (1) ‚Laten nu nog alle vogels nesten gebouwd hebben, behalve ik en jou 1 – wat verwachten jullie nu?‘ (De Grauwe 2004) 1mit Objektform ‚Haben doch alle Vögel Neste gebaut, ausser ich und dich – was erwartet ihr nun?‘ (2) Bezitten alle vogels begonnen nesten behalve ik en jij. Waar wachten we nog op? (Van Oostrom 2006) ‚Besitzen alle Vögel angefangene Neste ausser ich und du. Worauf warten wir noch?‘ (3) ‚Haben alle Vögel Neste begonnen, ausser ich und Du. Was warten wir nun?‘ ‚Alle Vögel sind Neste begonnen [zu bauen], ausser ich und Du, worauf warten wir nun eigentlich?‘ (Louwen 2009, 77) 3.3.2.2. Munsterbilzer Satz Die folgende, von 1130 datierende Inskription gilt als letztes sprachliches Material der altniederländischen Sprachstufe: Tesi samanunga vvas edele. unde scona. & omnivm virtutum pleniter plena. (Gysseling 1980, 133) Die Übersetzung lautet: ‚Diese [Kloster-]Gemeinschaft war edel und schön‘

3.4. Merkmale des Altniederländischen

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Abb. 8:  Munsterbilzer Satz.

3.4. Merkmale des Altniederländischen Im Indogermanischen sowie in älteren und jüngeren Stufen des Germanischen hatten sich grundlegende phonemische Änderungen wie die germanische Lautverschiebung, der grammatische Wechsel, die Festigung des Wortakzentes, eine Umstrukturierung des Vokalsystems sowie die Neuerung des Ablauts vollzogen, die das Altniederländische prägten und die zu teilweise eigenen, von anderen altgermanischen Sprachen abweichenden Entwicklungen führten (vgl.  2.4. und 3.2.). Zudem hatten sich im Germanischen morphologische und syntaktische Erneuerungen durchgesetzt, die auch das Altniederländische kennzeichnen, so Änderungen der Formkategorien der Verben, die Entstehung der schwachen Konjugation, die Veränderungen von Kasus und Numerus oder die Erneuerungen in den Klassen der Substantive und Adjektive (vgl.  2.4.2.). Weiter lieferten das Indogermanische beziehungsweise Germanische dem Altniederländischen sogenannte einheimische Wörter des Grundwortschatzes (vgl.  2.4.3.1.), hinzu kamen Wörter aus Substratsprachen (vgl. 2.4.3.2.) sowie Lehnwörter (vgl. 2.4.3.2.). Von der nordseegermanischen Substratsprache (vgl. 3.2.1.) sind im gesamten niederländischen Sprachraum ältere wie auch in den Küstengegenden jüngere Ingwäonismen anzutreffen. Im Folgenden werden einige Merkmale des Altniederländischen zusammengefasst, die von den in 2.4. und 3.2. skizzierten Entwicklungen im Deltagebiet zeugen.

3.4.1. Graphemik und Phonemik Die Deutung der schriftlichen Wiedergabe altniederländischer Laute erschwert sich nicht nur durch die Schwierigkeit, dass am Latein orientierte Geistliche lateinische Schriftzeichen für germanische Laute zu verwenden hatten, sondern auch durch die individuellen Schreibweisen und Traditionen unterschiedlicher Schreibschulen, welche die altniederländischen Texte durch das Fehlen einer allgemein gültigen Schreibtradition aufweisen. Hinzu kommt, dass der Kopist Merkmale der Vorlage in seinen Text übernehmen konnte, wodurch ein verzerrtes Bild des Alt-

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niederländischen entsteht. So enthält der Leidener Williram Beispiele verschobener Laute, die auf die hochdeutsche Fassung des Hohen Liedes zurückzuführen sind. Ausserdem dürfte die Überlieferung der Texte das Bild der ursprünglichen Verschriftung des Altniederländischen verfälscht haben. So stellt sich die Frage, wie beispielsweise die altniederländischen Glossen aus der verschwundenen Handschrift Wachtendoncks, wovon Justus Lipsius (vgl. 5.1.2.1.) um 1600 eine Kopie hatte machen lassen, die ebenfalls verloren ging, dennoch fragmentarisch in einigen Handschriften als Wachtendonckse Psalmen überliefert wurden, graphematisch und phonemisch zu beurteilen sind. Als Beispiel graphematischer Varianten in altniederländischen Texten führen Quak und Van der Horst u.a. die Schreibweise des ger. /þ/ als an, vgl. brôther in Petrus ande sin brôther (‚Petrus und seine Brüder‘ MRB a, 361), ein Laut, der auch als đ oder ð, so in Quellen des Klosters Werden vorkommt. Als weitere graphematische Variationen erwähnen sie u.a. und für /xt/, vgl. farht (‚Reise‘) in gisunda farht duon sal vns got (‚Eine wohlbehaltene Reise wird Gott uns gewähren‘ WPS I, 67, 20) und uarth, vgl. thense an [t]her uarth uorhte (‚die sie während ihrer Fahrt fürchteten‘ MRB a 462). Weiter für /k/ in Anlaut vor velaren Vokalen, so in cundo min (‚mein Vertrauter‘ WPS h, 54, 14), aber vor palatalen Vokalen wie kerk (‚Kirche‘) in der Ortsbestimmung Keruuerf sowie abwechselnd und in anderen Positionen, so in weiteren Ortsnamen und Komposita mit dem Substantiv kerka neben kerc, kiric, kirica wie u.a. in An Naruthi thiu kirica endi kiricland fan Almeri te Tafalbergon (‚In Naarden die Kirche und das Kirchland von Almere bis zum Tafelberg‘). Zu den zahlreichen weiteren graphematischen Varianten zählen für /u/ und für /v/, so das Element fūhti (‚feucht‘) in Ortsnamen wie Fuhti und Uothēholt, weiter für behauchten Glottal wie houph (‚Haufen‘) in Thin wamba is samo weizes houph (‚Dein Bauch ist wie ein Haufen Getreide‘ LWR 114, 02) beziehungsweise Frikativlaut wie in brahte in Ther erist brahte ime arabies golt (‚Der erste brachte ihm Gold aus Arabien‘ MRB b, 163), sodann für /i/ und für /j/, wie in bidden (‚flehen‘, ‚beten‘) beziehungsweise iagere (‚Jäger‘), für /w/, so in Keruuerf, für /kw/ wie quelen (‚quälen‘) in There lichamon her dede quelen (‚Ihre Körper liess er quälen‘ MRB a, 339). Sodann kommt gelegentlich wohl als Bezeichnung von /ts/ vor, so zuelf (‚zwölf‘) in Von iac[obes] zuelf sunen sint ther ivthen z[uelf ge]slahte chomen (‚Von Jacobs zwölf Söhnen sind die zwölf Geschlechte der Juden hergekommen‘ MRB b, 69). Schliesslich ist zu beachten, dass die Länge der Vokale schriftlich in der Regel nicht festgehalten wird. Wie aus den in 3.2. beschriebenen sprachhistorischen und dialektgeografischen Befunden hervorgeht, ist im entstehenden niederländischen Sprachraum von einem Lautsystem mit einer sich von West nach Ost unterscheidenden regionalen Varietät auszugehen, das von der oben erwähnten uneinheitlichen Verschriftung nur mangelhaft widerspiegelt wurde. Der folgende zusammenfassende Überblick der altniederländischen Laute kann somit nur unvollständig den Lauten der frühesten Phase des Niederländischen Rechnung tragen.

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3.4.1.1. Vokale Das Altniederländische umfasst in betonten Silben die Kurzvokale /a/, /e/, /i/, /u/ und /o/, die aus dem indogermanischen Kurzvokalsystem hervorgegangen waren (vgl. 2.4.1.4.): /a/ aus idg. /ə/, /ǒ/, /ĭ/ oder /a/, so in balgun (‚Balg‘), vgl. Quae ueterum tuba queue lyra flatibus (balgun) inclyta uel fidibus (snarin) (‚Welche Trompete der Alten oder welche Leier, berühmt von den Tönen, die vom Balgen darauf geblasen werden konnten oder vom Spiel der Saiten‘ PDG 114, 18); /ǎ/ wahrscheinlich sekundär aus Laryngal + beispielsweise /ĕ/ oder in Substratwörtern; /e/ aus idg. /ə/, /a/, /e/, /i/ oder /o/, so in erthen (‚Erde‘), vgl. Samenstuendon kunninger erthen (‚Die Könige der Erde waren zusammen‘ WPS fa, 2, 2); sodann entstand /e/ aus Entrundung von /u/, vgl. uuel in Bekere uuel fiundo minon (‚Wende die übelen Sachen auf meine Feinde ab‘ WPS h, 53, 7); /i/ aus idg. /e/, /i/, /ǎγ/ oder /o/, so vische (‚Fisch‘), vgl. Vische noh uleisches er ne gerete (‚Weder Fische noch Fleisch begehrte er‘ MRB c, 226); /u/ aus idg. /u/ oder aus sonantischem Element von Liquida beziehungsweise Nasal, so tunga (‚Zunge‘), vgl. Bescurgi herro te deile tunga iro, uuanda ic gesag unreht in fluoc an burgi (‚Werf sie nieder, Herr, spalte ihre Zunge, denn ich sah Unrecht und Verfluchung in der Stadt‘ WPS h, 54, 10); /o/ aus idg. /u/, so fol (‚voll‘), vgl. wanda min hoiuet is fol douwes ande mine lokka fol therro naghtdrophon! (‚denn mein Kopf ist voll Tau und meine Locken sind voll von diesen nächtlichen Tautropfen‘ LWR 4); /ə/ oder Schwa entsteht im Zeitalter des Anl., vgl. in den zitierten Sätzen e in Bildungen wie gesag oder vische. Sodann kennt das Altniederländische die Langvokale, /ā/, /ē/, /ī/, /ō/ und /ū/, die aus Umstrukturierungen des germanischen Vokalsystems entstanden waren beziehungsweise sich durch Dehnung in offenen Silben mit Hauptbetonung entwickelt hatten oder in Lehnwörtern vorkamen: /ā/ war im Germanischen aus an vor h entstanden, wie han (‚hangen‘), vgl. That he lieze petrum an ein cruce han (‚Dass er Petrus an einem Kreuz aufhängen liess‘ MRB a, 406); sodann hatte eine sekundäre germanische Entwicklung /ā/ aus /æ/ stattgefunden, so in slapho (‚Schlaf‘), vgl. thiu ther werelde thurg minon willon in slapho sii (‚der um meines Willen sich im Schlaf von der Welt absondert‘ LWR 33, 9); eine Pluralform wie daga weist als Alternanz zu dach (‚Tag‘) die Dehnung /ā/ auf, vgl. Man bluodo in Losa ne solum gemitdelon daga iro (‚Blutrünstige und bösartige Menschen werden ihre Tage in zwei verteilen‘ WPS h, 54, 24);

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/ē/ hatte sich aus Germanisch /ai/ entwickelt, so in sela (‚Seele‘), vgl. Gehore got gebet min so ik biddon fan forhtun fiundis genere sela mina (‚Hört Gott mein Gebet, wenn ich bete, rette meine Seele von der Angst vor dem Feind‘ WPS 63, 2), weiter aus /ǎ/ oder war durch Dehnung entstanden, so in stede als Alternanz zu stad (‚Stelle‘, ‚Stadt‘), vgl. thar an thero seluero stede (‚dort, an der gleichen Stelle‘ LWR 136, 10); auch in Lehnwörtern kommt /ē/ vor, so tegula (‚Ziegel‘) im Ortsnamen Tegulon (‚Tegelen‘); /ī/ kommt im Altniederländischen unverändert wie im Germanischen vor, so in tide, vgl. Ne faruuirp mi an tide eldi (‚Verwerfe mich nicht in der Zeit meines Altertums‘ WPS i, 70, 9), sodann in Lehnwörtern, so pil (‚Pfeil‘) im Namen Albertus Pil (GYDB 115); /ō/ hatte sich in der Regel durch Monophthongierung sekundär aus /au/ entwickelt, vgl. hoon (‚höhe‘) in Mendida also wrisil te loupom weh, fan hoon himili utgant sin (‚Er freute sich, wie ein Held, sich auf den Weg zu machen, vom hohen Himmel ging er weg‘ WPS 18, 6), es kommen, möglich durch deutschen Einfluss aber auch Bildungen mit /ou/ wie in loupom (im Zitat als gerundium louponi ,laufend‘, aufzufassen) vor; /ū/ kommt im Altniederländischen wie im Germanischen vor, vgl. duuon (‚Tauben‘) in jn ic quad uuie sal geuan mi fetheron also duuon (‚Wer wird mir Flügel wie Tauben geben‘ WPS h, 54, 7); es ist mit einer spontanen Palatalisierung von /u/ zu /ū/ zu rechnen, so in godeshūs (‚Gottes Haus‘), vgl. Tho wart thaz kint ihesus gedragen zu them gotes hus (‚Dann wurde das Kind Jesus in den Tempel gebracht‘ MRB b, 203). 3.4.1.2. Diphthonge Im Altniederländischen lassen sich die diphthongischen Laute /ie/, /ei/, /au/, /ê/ und /uo/ unterscheiden: /ie/ war aus dem germanischen Diphthong /eu/ entstanden, der sich vor einem /a/, /e/ oder /o/ der folgenden Silbe zu /eo/, dann zu /io/, in den übrigen Fällen zu /iu/ erneuert hatte, vgl. dier (‚Tiere‘) in Refang dier riedis (‚Rügt die wilden Tiere des Schilfes‘ WPS i, 67, 31); /ei/ kann auf den ger. Diphthong /ai/, der sich übrigens häufig zu /ê/ entwickelt hatte, zurückgehen, so in heil, vgl. ne ist heil himo in Gode sinemo (‚es gibt keine Rettung für ihn bei seinem Gott‘ WPS fa, 3, 2); in der Folge entstanden Alternanzen wie in gehelida neben heil, vgl. tho gehelida ina use druhtin (‚Dann heilte ihn unser Herr‘); /au/ geht auf ger. /au/ zurück, das sich mehrheitlich, wie oben erwähnt, zu /ô/ zusammengezogen hatte; im Anl. kommt aber /au/ noch vor in Wörtern wie louphen (‚laufen‘, ‚gehen‘, siehe oben unter ‚/ō/‘), vgl. so louphen wer in themo stanke thinero saluon (‚dann gehen wir im Duft deiner Salbe‘ LWR 5, 1) oder gelóufen (‚glauben‘) wie in the aneuren got wille gelóufen (‚die in Eurem Gott glauben möchten‘ MRB a, 358) neben Bildungen mit /ō/ wie in gelobistu, so in gelobistu

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in got alamehtigan fadaer (‚Glaubst du an Gott, den allmächtigen Vater?‘ UDB 26, 20); vor w konnte /au/ sich handhaben, wie in scouwest (‚erschauest‘), vgl. thie thu ane mir scouwest (‚die du bei mir erschauest‘ LWR 107, 6), allerdings kommt daneben auch scowen vor, so in Then mugen mit geistligen ougen alle heiligen scowen (‚die können alle Heiligen mit geistigen Augen erschauen‘ MRB c, 10). Der /au/-Diphthong, der im Ndl. noch heute als ou geschrieben wird und sich aus ger. /āw/ im Inlaut, aus ū vor w und im Auslaut, aus ī vor w sowie aus ew vor w entwickelt hatte, ist lautlich mit /au/ zusammengefallen: /uo/ ist eine diphthongische Entwicklung des ger. /ō/ so in bluodi, vgl. hendi sina uuascon sal an bluodi sundigis (‚Er wird seine Hände im Blut des Sünders waschen‘ WPS h, 57, 11). 3.4.1.3. Konsonanten Durch die erste Auslautverhärtung, welche die Entwicklung des anl. Konsonantensystems prägte, entstanden Alternanzen, so: b > p, vgl. dumba in Dumba. stultus (‚Narr‘ WPS 91, 7) und dumpeide in Dumpeide. Insipienta (‚Dummheit‘ WPS 37, 7); Ь > f, vgl. bleif in inde bleif an endi (‚und blieb in Einsamkeit‘ WPS h, 54, 8) und beliuen in Tho ther biscof eusebius was beliuen (‚Als der Bischof Eusebius geblieben [gestorben] war‘ MRB b, 201); d > t, vgl. munt in in mit leporon mendislis Louan sal munt min (‚und mit Lippen von Freude wird mein Mund loben‘ WPS h, 62, 6) und mundis in Misdat mundis (‚die Sünde ihres Mundes‘ WPS h, 58, 8); g > k, vgl. kuninc in thaz anther kuninc wesen ne scolde (‚dass da nicht ein anderer König sein sollte‘ MRB b, 151) und kununga in Inde nu kununga fornemot, gelierot unerthet irther dremot ertha (‚Und nun, Könige, versteht: Ihr werdet unterrichtet, Ihr, die die Erde urteilen wird‘ WPS fa, 2, 10); γ > χ, vgl. anl. alamehtigan in gelobistu in got alamehtigan fadaer (‚Glaubst du an Gott, den allmächtigen Vater?‘ UDB 26, 20) und mnl. mechtech in want sine [leeringe] was mechtech als des gheens die almechtech was (‚denn sein [Unterricht] war mächtig wie das desjenigen der allmächtig war‘). Schliesslich ist ein h-Schwund im Anlaut festzustellen, vgl. die Ortsbezeichnung Hwitsand. 3.4.1.4. Ingwäonische Lautentwicklungen Als frühere küstengermanische oder ingwäonische Lautentwicklung ist die Reduktion beziehungsweise der Schwund des Präfixes in Partizipien zu nennen, vgl. dazu u.a. Van Bree, so in

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dialektischen Varietäten wie emaakt, eine Erscheinung, die auch im Altniederländischen gelegentlich vorkommt, so makad in factus makad (‚gemacht‘) wie auch im Fri., so makke und Eng., vgl. made gegenüber deutsch gemacht, ndl. gemaakt. Weiter gehört der n-Schwund mit Ersatzdehnung vor stimmloser labialer Frikativa f dazu wie in anl. uif (‚fünf‘), vgl. die Ortsbezeichnung Uif gemete, ebenfalls fri. fiif (‚fünf‘), weiter mit Diphthongierung ndl. vijf, so auch eng. five. Zu den späteren ingwäonischen Lautentwicklungen ist der n-Schwund mit Ersatzdehnung vor stimmloser dentaler Frikativa zu rechnen, so in Muiden (Ortsname mit der Bedeutung ‚Mündung‘), vgl. eng. Portsmouth gegenüber hds. Wesermünde wie auch in use (‚uns‘), vgl. anl. tho gihelida ina use druhtin (‚dann heilte ihn unser Herr‘ CGY II-1, 39), das auch als uus in nie­ derländischen Küstendialekten sowie im Fri. vgl. ús und Eng., vgl. us vorkommt gegenüber ndl. ons. Ein Element wie docht im ndl. achterdocht (‚Argwohn‘) geht nach Van Bree auf einen spätingwäonischen Nasalschwund mit Kürzung vor Konsonantencluster zurück, vgl. fri. tocht (‚Gedanke‘) und eng. thought. Sodann ist eine ingwäonische Palatalisierung des /ā/ wie *aha >*ehe (‚Wasserlauf‘) in Ortsbezeichnungen festzustellen, vgl. Edam mit als weiterer Entwicklung /ē/ > /ī/ in Krommenie (Ortsbezeichnung mit der Bedeutung ‚krummes Wasser‘). Schliesslich zeugen Ortsnamen, insbesondere in den Küstengegenden von der spätingwäo­ nischen Entrundung des /Ø/, das durch i-Umlaut entstanden war, vgl. eng. bridge und die Elemente brig(ge) beziehungsweise breg(ge) (‚Brücke‘) in den Ortsnamen Brigdamme und Terbregge. Die ingwäonischen Lautentwicklungen haben dem entstehenden Niederländischen einen besonderen Wesenszug verliehen. Gleiches gilt für die ingwäonischen Merkmale des niederländischen Lexikons, vgl. 3.4.3.2.

3.4.2. Syntax und Morphologie Wahrscheinlich entwickelten sich im Zeitalter der Ausdifferenzierung von germanischen Sprachen wie das Niederländische, das Friesische, das Englische oder das Deutsche Wortfolge-Muster mit spezifischen syntaktischen und morphologischen Merkmalen. Sie werden im Weiteren aus pragmatischen Gründen in Strukturen nominaler beziehungsweise verbaler Gruppen unterteilt. Indem Glossen wie die Wachtendonckse Psalmen aus fast wortwörtlichen Übersetzungen einer lateinischen Vorlage bestehen, eignen sie sich nur mit Einschränkungen für eine Beschreibung grammatischer Merkmale des frühesten Niederländischen. So ist zu vermuten, dass die Wortfolge dieser altniederländischen Texte in der Regel jene des Ausgangstextes widerspiegelt. Bezeichnenderweise entspricht die Wortfolge Syon berg heilenen in Ik gunnisso gesazt bin kuingnan himo uuer Syon berg heilenen (‚Ich bin jedoch als König über Sion eingesetzt, seinen heiligen Berg‘ WPS fa, 2, 6) dem Vulgata-Text Syon montem sanctum. Ebenso dürfte der Übersetzer in fan hoon himili vgl. Mendida also wrisil te loupom weh, fan hoon himili utgant sin (‚Er freute sich wie ein Held sich auf den Weg zu machen, vom hohen Himmel ging er weg‘ WPS 18, 6) die lateinische Wortfolge übernommen haben, die der Vulgata-Text aufweist in a summo coelo

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egressio eius, auch wenn die Übersetzung der geläufigen Wortfolge anderer altniederländischer Texte zu entsprechen scheint. Trotzdem lassen sich in den ältesten Quellen syntaktische und morphologische Merkmale als bezeichnend für das Niederländische einstufen, insbesondere auch wenn der Übersetzer offensichtlich von der Vorlage abgewichen ist. So hat der Verfasser der Wachtendonckse Glossen im Unterschied zur Vorlage Subjektpronomina eingefügt (vgl.  3.4.2.5.), wie bereits De Smet gezeigt hat. Jüngere altniederländische Texte wie der Leidener Williram enthalten Strukturen nominaler und verbaler Gruppen, welche die Merkmale des Altniederländischen wohl zuverlässiger wiedergeben. Beschreibungen des Altniederländischen verlangen als Darstellungen einer sprachlichen Phase des Niederländischen Verallgemeinerungen, die in der Regel der altniederländischen Schreibpraxis nur zum Teil gerecht werden. Paradigmen, die im Weiteren Daten zu Deklination und Konjugation schematisch wiedergeben, sind somit höchstens als allgemeine Zusammenfassungen zu verstehen, welche die Eigenarten vereinzelter Textstellen ausser Acht lassen. So ist beispielsweise in der Beschreibung der schwachen und starken Flexion des Adjektivs eine Form wie michol (‚gross‘) im Akk. fem. an Stelle des zu erwartenden michola im Satz Thu lithest alliz ana michol arbeid (‚Du erleidest schwere Bürden‘ LWR 120, 3) ebenso wenig zu finden wie die Form heligemo (‚heilig‘) als stark flektiertes Adjektiv Mask. Sing. im Satz in gehorda her mih fan berge heligemo sinimo (‚und er hat auf mich gehört von seinem heiligen Berg‘ WPS fa, 3, 4). Im Folgenden werden Genus, Kasus und Numerus in Zusammenhang mit Strukturen nominaler Gruppen, Tempus und Modus in Zusammenhang mit Strukturen verbaler Gruppen erörtert. Diese Gliederung, die in diesem Rahmen theoretisch nicht näher begründet wird, dient hier lediglich einer praktischen Einteilung der zu besprechenden grammatikalischen Daten. 3.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen Bereits im Altniederländischen scheint die Wortfolge Artikel, Demonstrativum, Possessivum oder Adjektiv vor dem Substantiv in Strukturen nominaler Gruppen üblich zu sein. Der Artikel, der u.a. in Texten wie dem Leidener Williram gängig ist, steht zum Beispiel vor dem Substantiv in thiu suoze und thiu skarphe im Satz Thiu suoze thinere gratie is bezzera than thiu skarphe thero legis (‚Die Milde ihrer Anmut ist besser als die Strenge des Gesetzes‘ LWR 2, 2). Auch das Possessivum kann vor dem Substantiv kommen, so in mine fideles, vgl. Wanda alla mine fideles sculen thaz bekennan (‚Denn alle meine Gläubigen müssen zugeben‘ LWR 119, 8). Schliesslich geht das Adjektiv dem Substantiv voran, so in richon wazzaron, vgl. bi then richon wazzaron (‚bei den üppigen Gewässern‘ LWR 89, 4). Wenn man Dfiunt (‚der Feind‘ WPS a, 3, 5) als eine Verschreibung von diufil (‚Teufel‘) nicht zählt, kommt der bestimmte Artikel übrigens nur ein Mal vor 1100 im Altniederländischen als the vor, vgl. binet the lera (‚Eigne dich die Lehre an‘ WPS fa, 2, 12). Mit dieser Hinzufügung the zu der interlinearen Übersetzung einer lateinischen Fassung des zweiten Psalters, die keine Artikel kannte, vgl. den Vulgata-Text Apprehendite disciplinam, dürfte der Verfasser etwas von der Verwendung des Artikels in seiner Sprache preisgeben.

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Zwischen Artikel und Substantiv kann ein Possessiv vorkommen, vgl.  min in Einigh is thiu min duva, min thurghnahtiga (‚Einzigartig ist die „meine“ Taube, meine Vollkommene‘ LWR 104, 1). Sodann kann der Artikel einem Substantiv im Genitiv vorangehen, das das folgende Substantiv näher umschreibt wie the godes stimne in The godes stimne êre (t)ho ságodo (‚Die Stimme Gottes sagte ihr dann‘ MRB a, 563). Gelegentlich folgen Adjektive und Possessive dem Substantiv. So steht das Possessiv min hinter dem Substantiv in Ich hauo thich, friundinna min (…), (‚Ich habe Dich, meine Freundin […]‘ LWR 15, 2), so auch sin in (Mannasse unde E)ffraym hiezen thie kint sin (‚[Manasse und E]phraim hiessen seine Kinder‘ MRB b, 80). Ebenso kommen die Adjektive guldin und sinowolde nach dem Substantiv hande in Sine hande guldin ande sinowolde waron uol iachande (‚Seine goldenen, runden Hände waren voll Saphire‘ LWR 92, 10). 3.4.2.2. Genus Durch die Festigung des germanischen Wortakzentes und den Verschleiss der Endungen verwischten allmählich die Unterschiede zwischen den alten germanischen Stammesformen. Dennoch erinnern Wortbildungen des Altniederländischen an ein komplexes System konsonantischer und vokalischer Klassen von Substantiven und Adjektiven, das die alte Flexion zum Teil noch widerspiegelt. Die a-Stämme sind nach wie vor Mask. oder Neutr. vgl. mask. scaz (‚Schatz‘) in iudas in uerkfte umbe einen lutzel scaz (‚Judas verkaufte ihn für wenig Geld‘ MRB b, 244) und neutr. iaris in Quethon saltu coronam iaris guodi thinro (‚Segnen wirst Du die Krone des Jahres Deiner Wohltat‘ WPS h, 64, 12). Weiter kommen die i-Stämme als mask. und fem. Substantive vor. Die ursprünglichen fem. o-Stämme sind zum Teil mit den fem. n-Stämmen zusammengefallen. In der Folge können im Akk. Sing. sowie im Nom. und Akk. Plur. Endungen mit und ohne -n vorkommen, vgl. ertha in irther dremot ertha (‚ihr, die die Erde urteilt‘ WPS fa, 2, 10), daneben laut ONW auch erthon. Die u-Deklination war in andere Klassen übergetreten, eine Form wie fiu (‚Vieh‘, ‚Vermögen‘) in Fiu. pecuniam (‚Geld‘ WPS 14, 5) erinnert noch an diese Kategorie. Für die altniederländische Deklination sind somit drei Genera vorauszusetzen, welche die Morphologie nur teilweise widerspiegelt: Maskulinum, Neutrum und Femininum. Die anl. mask. Substantive umfassen zum grössten Teil die alten a-Stämme mit als weitere Gruppen die ja- und wa-Stämme, sowie i- und n-Stämme, schliesslich sind einige andere Wörter, so die u-Stämme mask. Zu den fem. Substantiven gehören vor allem i- und ō-Stämme sowie Adjektivabstrakta, die auf i enden. Die Klasse der neutr. Substantive besteht hauptsächlich aus a- und n-Stämmen. Die Paradigmen in 3.4.2.3. zeigen, dass die Flexion der Substantive, Adjektive, Artikel, Demonstrative und Possessiva nur wenige distinktive Merkmale für die Bezeichnung des Genus aufweist. So fehlen beispielsweise in Substantiven distinktive Merkmale, die Akk. Mask. dach (‚Tag‘), Akk. Fem. chraft (‚Kraft‘) und Akk. Neutr. uuort (‚Wort‘) voneinander unterscheiden, ähnlich kann ein Artikel wie the im Nom. Mask. Sing. (‚der‘), Nom. Fem. Sing. (‚die‘), Akk. Mask. Sing. (‚den‘), Akk. Fem. Sing. (‚die‘) und im Nom. sowie Akk. Plural (‚die‘) neben anderen Formen vorkommen.

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3.4.2.3. Deklination, Kasus Gemeinhin unterscheidet man im altniederländischen Kasussystem, sieht man vom Nominativ ab, die drei Fälle Genitiv, Dativ und Akkusativ, die noch zum Teil von der Deklination beziehungsweise Wortbildungen ausgedrückt werden. Kasusmerkmale, die sich in Substantiven, Adjektiven, Artikeln, Demonstrativen, Possessiven sowie Pronomina unterscheiden lassen, werden im Folgenden anhand einiger älterer altniederländischer Beispiele erörtert. In jüngeren altniederländischen Texten wie dem Williram sind zahlreiche, wohl durch die Reduktion der Vokale entstandene Varianten in der Flexion anzutreffen, die hier nur in Auswahl angeführt werden. Da eine kleinere Zahl altniederländischer Texte überliefert wurde, lassen sich nur von vereinzelten Substantiven wie dag (‚Tag‘), berg (‚Berg‘), *himil (‚Himmel‘) usw., die wohl aus diesem Grund häufig in der sekundären Literatur zitiert werden, mehr oder weniger vollständige Paradigmen zum Kasus aufstellen. Maskulinum a-Stämme dag (‚Tag‘) Sing. Plur. Nom. dach, dag daga Gen. dages, dagis *dago dag, daga, dage dagen, dagon, tagen Dat. Akk. dach, dag, thac dag, daga, dage, tage In Texten wie Williram kommt a in unbetonten Silben gelegentlich an Stelle von e, vgl. berg: berg (‚Berg‘) Sing. Plur. Nom. berg, bergh berga Gen. bergas bergo, berge Dat. bergo, berge bergan, bergon Akk. berg berga, berge Andere anl. mask. Substantive kennen eine Flexion, die jener des Wortes dag ähnelt, vgl.  himil (,Himmel‘) Sing. Plur. Nom. *himil himela, himele Gen. himeles *himelo Dat. himele, himili, himolo himelen, himelon himel himila Akk.

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In der Deklination ähneln sich die Substantive der ja- und wa-Stämme, so in Bezug auf die -sEndung im Genitiv Sing., vgl. das zu den ja-Stämmen zählende rugis in in afrista rugis iro an bleike goldis (‚und der hintere Teil ihrer Rücken in der gelben Farbe des Goldes‘ WPS 1, 67, 14) und das zu den wa-, ursprünglich wi-Stämmen gehörende seuues in Ic quam an diopi seuues (‚Ich kam in der Tiefe des Sees‘ WPS i, 68, 3). In Bildungen ohne Flexion besitzen sie noch /i/ oder /e/, vgl. mnl. dille (‚Dill‘). Substantive wie lewo (‚Löwe‘) weisen Relikte des wa-Stammes auf wie lewon in mith grimme also thie pardi ande thie lewon (‚mit Wut wie die Panther und Löwen‘ LWR 62, 17). i-Stämme *liut (‚Leute‘) Sing. Plur. *liut liude, livte, luide Nom. Gen. liudes liude, lute liude liuden Dat. liud liude Akk. Bei den i-Stämmen erscheint die ursprüngliche Flexion als -i oder -e nach mask. langsilbigen Stämmen im Nom. und Akk. Plur., vgl. liude (‚Leute‘) in thes minnede her uuele liude (‚deswegen liebte er schlechte Menschen‘ MRB a, 340). Von der alten Flexion finden sich nach kurzsilbigen Stämmen vereinzelte anl. Zeugen, so in suli (‚Säule‘), vgl. Suli. Columnas (‚Säule‘ WPS 74, 4). n-Stämme *likhamo (‚Körper‘) Sing. Plur. Nom. *likhamo lichamen, lichnamen Gen. lichamon, lichnamen *lichamono Dat. lichnamen lichamen Akk. lichamo, lichamon lichamon Die sog. schwache Deklination dieser n-Stämme kennt abgesehen von Nom. Sing. in sämtlichen Kasus -n; die Form lichnamen, die das ONW als Nom. Sing. aufführt, weicht folglich hiervon ab. Sonstige Deklinationen Die überlieferten Formen, die zu den sonstigen Deklinationen zu rechnen sind, haben sich häufig an die Beugung von u.a. a- oder n- Stämmen angepasst, so verloren ursprünglich kurzsilbige u-Stämme wie *frithu (‚Frieden‘) u im Auslaut und kennen im Sing. Akk. Formen wie fritho, frithe oder uriden.

3.4. Merkmale des Altniederländischen

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Femininum o-Stämme Sing. Plur. ertha, erthe *ertha Nom. Gen. erthen, erthon erthono Dat. erden, erthan, erthon *erthon Akk. ertha, erthon *ertha, *erthon Zu den ô-Stämmen, die mit den fem. n-Stämmen zusammengefallen sind, gehören ausschliesslich feminine Substantive. i-Stämme *kraht (‚Kraft‘) Sing. Plur. craft Nom. Gen. crefte crafto, crefte, crefti, crifto Dat. craft, crefte, creft crafton, creiftin Akk. chraft, craft, creft Ursprünglich ähnelten sich fem. und mask. i-Stämme in der Deklination, im Anl. unterscheiden sie sich dann im Sing., vgl. Gen. Mask. liudes und Gen. Fem. crefte. Fem. i-Stämme können somit im Gen., aber auch im Dat. Flexion aufweisen, vgl. geuuelde in gegurdit mit geuuelde (‚gerüstet mit Macht‘ WPS h, 64, 7). Von Adjektiven abgeleitete Abstrakta wie diupi (‚Tiefe‘) kommen im Sing. mit der gleichen Flexion vor. Neutrum a-Stämme wort (‚Wort‘) Sing. Plur. Nom. uuort uuort, woorth, word Gen. *wordes wordo, worte Dat. worde uuordum, wordan, wordon, worthen Akk. uuort, wort uuort, wort, worte Reste der älteren ja-Stämme zeigen sich im Anl. noch als e in Kasus ohne Flexion, vgl. bedde in Vnse bedde is wole gebloomed (‚Unser Bett ist reich mit Blumen geschmückt‘ LWR 24, 1). In Wörtern wie ueuuon (‚Weh‘) ist w des wa-Stammes noch erhalten.

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

n-Stämme oga (,Auge‘) Sing. Plur. auge, oga ougan, ougon Nom. Gen. ogun ougan Dat. *ogun ougan, ougen Akk. *oga […]gen, ougon, ogum Da die Zahl der schwachen Neutra im Ger. gering war, kennt auch das Anl. wenige Beispiele dieser n-Stämme. Die oben stehenden Paradigmen zeigen, dass Kasus des Substantivs, wie dies auch bei Genus der Fall war, nur noch beschränkt von distinktiven morphologischen Merkmalen im Altniederländischen ausgedruckt wird: so unterscheiden sich Nom.- und Akk.-Formen kaum voneinander, Formen des Dat. Sing. ähneln nicht selten jenen des Akk. Plur. Die Reduktion der Flexion sollte die Zahl der distinktiven Kasusmerkmale in jüngeren Phasen des Niederländischen weiter verringern. Für das Adjektiv sind im Altniederländischen die ursprünglich ältere, schwache sowie die später im Germanischen entstandene neuere starke Deklination zu unterscheiden. Die Anwendung der Flexionsarten wird von der jeweiligen syntaktischen Struktur bedingt. Die starke Flexion steht mit der Deklination der substantivischen a-Stämme für Mask. und Neutrum sowie mit den o-Stämmen für das Fem. im Einklang. Die schwache Beugung, welche der Deklination der n-Stämme des Substantives ähnelt, folgt im Altniederländischen nach dem bestimmten Artikel, in den ältesten Texten ohne Artikel kommt sie somit selten vor. Starke Beugung des Adjektivs Mask. Nom. Ø Gen. -es, -is Dat. -in Akk. -an, -on

Fem. Ø -ero -ero -a

Neutr. Ø -es, is -in -Ø

Plur. Ø, -a, -e -ero -on -Ø, -e, -a

Schwache Beugung des Adjektivs Mask. Nom. Ø Gen. -in Dat. -in Akk. -on

Fem. Ø -on -on -on, -a

Neutr. Ø -in -in Ø

Plur. Ø, -on -no -on -on

3.4. Merkmale des Altniederländischen

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Verglichen mit den oben stehenden Paradigmen weisen die in diesem Kapitel zitierten altniederländischen Texte Varianten auf, die Änderungen in der Deklination des Adjektivs ankündigen und die Entstehung der Artikel mit förderten. In Artikeln, Demonstrativen und im Relativum kommt Kasus ebenfalls zum Ausdruck. Die Entstehung der Artikel als Neuentwicklung in den alten germanischen Sprachen wäre übrigens laut E. Glaser als Folge des Flexionsverlustes des Nomens zu begreifen, sodann hat die Verwischung der Unterschiede zwischen der schwachen und starken Beugung des Adjektivs möglicherweise den Bedarf an einer Unterscheidung zwischen indefinit und definit mit Hilfe des Artikels verstärkt, wie bereits E. Prokosch vermutete. Die bestimmten Artikel sind in den altgermanischen Sprachen wahrscheinlich aus Demonstrativen entstanden, der unbestimmte Artikel entwickelte sich wohl später aus dem Zahlwort een (‚ein‘). Die unten stehenden Paradigmen zeigen eine grössere Formenvarietät, die es erschwert, Aussagen zu den betreffenden distinktiven Merkmalen des Kasus zu verallgemeinern. Anfänglich lassen sich Artikel, Demonstrativum und Relativum im Altniederländischen nicht eindeutig voneinander unterscheiden, das ONW stuft die folgenden überlieferten Formen dennoch getrennt als Beispiele von Artikeln beziehungsweise Demonstrativen des Altniederländischen ein: Bestimmter Artikel Mask. Sing. Fem. Sing. the, thie, thiu, [t]hiu, thiv d1, the, ther2 Nom. thes ther, there, thero, thero, thiro Gen. Dat. deme, them, theme the, [t]her, thera, there den, then, thene, [th]en the, thia, thie, thiu Akk. 1 möglicherweise

als proklitische Form ein Schreibfehler Formen wie ther deuten auf hochdeutschen Einfluss im ersten Teil der Wachtendonckse Psalmen sowie im Leidener Williram 2

Mask. Plur. Fem. Plur. Neutr. Plur. Nom. the the, thiu thiu then then, thero Dat. Akk. the thioe, thiu Gen. Plur. ther, thera, there, thero Unbestimmter Artikel ēn (‚ein‘) in lat. Kontext Mask. Fem. Neutr. Nom. en, ein ein, einander eine, eyn ein Gen. – – – eines

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Dat. Akk.

3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

einem, einemo ein

einem, einemo einer, eynero einan, einen, einon eine, ene

einemo, einen eyn, eine

Demonstrativa that (‚das‘) Sing. Nom. that, thaz, th[az], thethade thes, [t]es Gen. them, themo Dat. daz, that, thaz Akk. thie (‚die‘) Mask. Sing. Fem. Sing. Nom. ther, thie the, thie, thiu Gen. ther then, them, themo der, ther, thero Dat. Akk. then the, thia, thie these (‚diese‘) Nom. Gen. Dat. Akk.

Plur. the, thie, thiu ther, there, thero, therro then the, thi, thia, thie

Mask. Sing. Fem. Sing. these tesi, thise, thisa, thiusa theses therro, thirro inthisemo, thesen dirre, inthiser, therro, thirre, thirro thesen, thisen, thissen thesa, these, thise

Plur. Nom. these, thiese, thise Gen. therro Dat. disen, thesen, thisen Akk. thise Die angeführten Formen zeigen, dass die Artikel wie die Demonstrative nur noch zum Teil dis­ tinktive Kasusmerkmale aufweisen, eine Erscheinung, welche die Entwicklung des Niederländi­ schen prägte. Es ist diesbezüglich bezeichnend, dass die Verwischung der Unterschiede zwischen Akk., Dat. Sing. und Dat. Plur. bei Demonstrativen im Mittelniederländischen zur Entstehung von dien und die führen, wie W. Sanders dargelegt hat. Die Personalpronomina besitzen ebenfalls Merkmale, die Kasus zum Ausdruck bringen. Sie lassen sich für das Altniederländische zwar mit dem folgenden Paradigma schematisch darstellen, die überlieferten Texte weisen aber auch diesbezüglich zahllose Varianten auf:

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3.4. Merkmale des Altniederländischen

Personalpronomina 1. Sing. ic Nom. min Gen. Dat. mi Akk. mi Nom. Gen. Dat. Akk.

2. Sing. 3. Mask. Sing. thu he, hie thin sin, is thi imo thi imo

3. Fem. Sing. siu iro iro sia

3. Neutr. Sing. it sin imo it

1. Plur. 2. Plur. 3. Plur. wi gi sie, sia unser iuwer iro uns iu im uns iu sie, sia

Von den Varianten des Personalpronomens sind die Dativ-Formen wie mir und thir neben den Akkusativ-Formen mich und thich zu erwähnen, die von hochdeutschem Einfluss namentlich im Leidener Williram zeugen. Dass der Verfasser des Textes diese Personalpronomina gelegentlich durcheinander bringt, deutet laut Sanders darauf hin, dass er in der Muttersprache nicht mehr eindeutig zwischen Akkusativ und Dativ unterscheidet. Dies zeigt sich auch in der Verwendung der Dativform him als Akk. Mask. Sing. an Stelle von hin(e). Sodann kommen in den WPS, wie Quak und Van der Horst ausführen, im Nom. Plur. sowohl wir wie wi vor, im LWR nur wir, die WPS kennt in der 2. Pers. gi, der LWR ir, sodann kennen sowohl die WPS als auch der LWR die Form her (‚er‘). Auch in den anderen Kasus dieses Pronomens weisen die WPS anfänglich h-Formen wie himo (‚ihm‘) und hino (‚ihn‘) auf, im weiteren Text fehlt hier das h. Der LWR kennt ebenfalls Personalpronomina mit h, so im Gen. und Dat. Fem. wie auch im Gen. Plur., vgl. hiro, weiter kommt hiz (‚es‘) als Nom. und Akk. Neutr. vor, himo als Dat. Sing. Mask. und Neutr. Die Deklination der Possessiva kann ebenfalls distinktive Merkmale des Kasus besitzen, so kommen beispielsweise neben Nom. Sing. Mask. min (‚mein‘) Formen wie Gen. Sing. Mask. mines, Akk. Sing. Mask. minan, Gen. Fem. Sing. miner, Dat. Sing. Neutr. minemo oder Akk. thin (‚dein‘) vor. In den WPS erscheinen im 1. Pers. Plur. unsa (‚unsere‘) und im 2. Pers. Plur. iuwa (‚eure‘, ‚ihre‘), der LWR kennt zudem die nach dem Hds. mit r gebildeten Formen unser und iuwer. Wie bei den Personalpronimina kennt das Possessiv im Altniederländischen eine Vielzahl von Varianten, die nur beschränkt Kasus markieren. 3.4.2.4. Plural Wie aus den obigen Paradigmen des Substantives hervorgeht, kennt der Plural der Substantive je nach Klasse im Nom. und Akk. ein -a-, -e-, -on- oder -Ø-Suffix. Weiter wird der Plural im Genitiv mit -o (-no) ausgedrückt, im Dativ mit -on (-non) oder -in. Bei Wurzelnomina fehlte im Ger. das stammbildende Element, in der Folge haben Wörter dieser Klasse keine beziehungsweise kurze Plur.-Endungen, so kennt das anl. Substantiv man (‚Mann‘) im Nom. und Akk. Plur.

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

ein -Ø-Suffix. Die mask. südgermanischen a-Stämme kannten Pluralbildungen mit und ohne -s, wovon anl. nestas und vogala in hebban olla vogala nestas hagunnan zeugen. Im Altniederländischen kommt der s-Plural allerdings äusserst selten vor. Von den wenigen anl. Beispielen mit -as-Plural nennt M. Phillipa dadsisas (‚Leichengesänge‘), das aus einer holländischen Liste heidnischer Bräuche in einer Handschrift des 8. Jh. stammt. Diese Quelle, die auf einen Kanon des 742 vom angelsächsischen Bischof Bonifatius (vgl. 3.1.1.) durchgeführte concilium germanicum zurückgeht, weist angelsächsische Merkmale auf. Ist in der Folge -s-Pluralbildung auf altenglischen Einfluss zurückzuführen, wie u.a. De Grauwe dies ähnlich für nestas im vorher zitierten Satz annimmt? Oder stellt sie eine ingwäonische Entwicklung dar? Die einschlägige Literatur erwähnt immerhin Belege des -s-Plurals im Altenglischen sowie im Altniederländischen, und zwar in Flandern, weiter auch im Altsächsischen. Ergänzend sind vereinzelte altniederländische -s-Pluralbildungen in Seeland, Holland, Utrecht und im Nordosten des Deltas zu nennen, vgl. houas (Plur. von ‚Ackerland mit oder ohne Haus‘) in id est tres houas in tribus locis (vgl.  ONW huova), somit stammen die altniederländischen Belege aus dem Südwesten, der Mitte und dem Nordosten des Deltas. Im Englischen stellt -s- die domaninante Pluralmarkierung dar, sie kommt in neueren Phasen des Friesischen vor und sie wird in neueren Phasen des Niederländischen neben dem dominanten -en-Plural gebräuchlich nach Schwa, vgl. tantes (‚Tanten‘), nach Schwa gefolgt von Nasal, vgl. dekens (‚Decken‘) beziehungsweise Liquida, vgl. bijbels (‚Bibel‘) oder nach Vollvokal, vgl. dodo’s (‚Dronten‘). Dennoch lässt -s-Plural sich nicht ohne Weiteres als nordseegermanisch einordnen, da er im Altfriesischen fehlt. 3.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen An Stelle der synthetischen Formen für Medium (vgl. 2.4.2.1.) entstanden umschriebene Strukturen mit Aktiv und Personalpronomina oder Reflexivpronomina. Zwar kennt das Altniederländische noch synthetische Bildungen, so bin in mistrot bin fan stimmon fiundes (‚missmutig bin ich von der Stimme des Feindes‘ WPS 54, 3), analytische Strukturen wie ic eft te gode riepo (‚ich jedoch rief zu Gott‘ WPS 54, 17) sollten dann die synthetischen Verbalformen des Aktivs ersetzen. Bereits die ältesten niederländischen Quellen enthalten analytische Strukturen wie ec forsacho vgl. ec forsacho diabolae (‚ich schwöre dem Teufel ab‘ UDB 26, 14) oder he uuas in under managon he uuas mit mi (‚in der Mitte von Vielen war er bei mir‘ WPS h, 54, 19). Kernstrukturen Weiter ist für die ersten Phasen von germanischen Sprachen wie das Niederländische, das Deutsche oder das Englische die Entstehung von Wortgruppen mit dem finiten Verb an zweiter Stelle (Vf2) anzunehmen. Es handelt sich dabei um verbale Wortgruppen, hier als Kernstrukturen bezeichnet, die keinen anderen Strukturen untergeordnet sind. Theorien zur Entwicklung von Vf2-Kernstrukturen stehen hier weiter nicht zu Diskussion, wohl ist festzuhalten, dass Vf2 allmählich, eventuell noch im Altniederländischen grammatikalisierte. So hängt laut Van der Horst die Position des finiten Verbes anfänglich mit dem Textganzen, später aber vermehrt mit der Struktur der Wortgruppe zusammen, folglich entwickelte das Verbum finitum sich von einer

3.4. Merkmale des Altniederländischen

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pragmatischen zu einer syntaktischen Funktion. Ein altes Beispiel von Vf2 stellt gelobo in ec gelobo in halogan gast (‚Ich glaube an den Heilgen Geist‘ UDB 26, 25) dar, in einer Wortgruppe mit Inversion wie an gode gitruoda ic (‚auf Gott vertraute ich‘ WPS h, 55, 11) steht gitruoda ebenfalls an zweiter Stelle. Auch ist Vf2 in Strukturen mit mehr als einem Verb anzutreffen, so sal in jc sal beidan sin (‚ich werde ihn erwarten‘ WPS h, 54, 9). Andere Positionen des finiten Hilfsverbs kommen in Kernstrukturen aber auch vor, so beispielsweise heuit (‚hat‘) als Vf3 in mikila faruuart heuit fiunt an heiligin (‚An solchen grossen Sachen hat sich der Feind im Heiligtum vergriffen‘ WPS i, 73, 3). Sodann kommt in Kernstrukturen das finite Verb in Endstellung (Vfn) vor, so in der Reimbibel, vgl. sagete (‚sagte‘) in Then namen ther engel marien sagete (‚Der Engel sagte Maria den Namen‘ MRB b, 136). Auch Strukturen mit mehreren Verben kennen Vfn, vgl. die erste Form sal (‚wird‘) und sulen (‚werden‘) in Inde louff sin niuucht nit hervallan sal, inde alla sonnelix duen sal gesu eit uuerthan sulen (‚Und sein Blatt wird nicht herunterfallen und alle Dinge, die er machen wird, werden gelungen sein‘ WPS fa, 1, 3). Bis ins Mittelniederländische ist Vfn in Kernstrukturen vielfach anzutreffen, wie dies beispielsweise G.S. Overdiep an Hand des Ferguut-Textes dargelegt hat. Es stellt sich allerdings die Frage, inwiefern die Wortfolge in Zeilen wie Dat swert hi vaste in die hant hilt (‚Er hielt das Schwert fest in der Hand‘ FGT 2696) von metrischen Überlegungen des Verfassers bestimmt wird. Geht eine untergeordnete Wortgruppe voran, so kommt das finite Verb nicht nur an zweiter Stelle, sondern auch in anderen Positionen vor, so beispielsweise nach einer konditionalen Wortgruppe, vgl. wil in Scal ich ouch then d( )t ane gan, ich newil thin nieht abe stan (‚auch wenn ich den T[o]d erleiden muss, ich werde dich nicht verlassen‘ MRB b, 264). Gelegentlich steht das finite Verb in Kernstrukturen auch an erster Stelle, namentlich in Übersetzungen aus dem Lateinischen, wie cumun in cumun sulim bodon fan aegipto (‚Es werden Boten aus Egypten kommen‘ WPS i, 67, 32), vgl. Vulgata-Text venient legati ex Aegipto. In Strukturen wie Gan sal ic an huse thinin, an offringon (‚In Dein Haus werde ich hinein gehen, zu den Opfern‘ WPS i, 65, 13) steht das Prädikat, bestehend aus Infinitiv gefolgt von einem finiten Verb, an erster Stelle. Auch Entscheidungsfragen kennen Vf1, vgl. gelobistu in got alamehtigan (‚Glaubst Du an Gott, den allmächtigen Vater?‘ UDB 26, 20). Weiter kommt im Altniederländischen Vf1 vor, wenn ein Verb Imperativ oder Konjunktiv ausdrückt. In Vuerthe uuonunga iro uuosti (‚Möge ihre Wohnung verlassen werden‘ WPS i, 68, 26) erscheint vuerthe beispielsweise als Konjunktiv in der ersten Position, so auch mache in mache sie constantes in predicatione (‚mache sie beharrlich in der Verkündung‘ LWR 126, 9). Als Imperativform steht das finite Verb in der ersten Position in Sage mir, wine min, war thu thine scaaph weythenes, war thu rowes umbe middendach (‚Sag mir, mein Freund, wo Du Deine Schafe weiden lässt, wo Du am Nachmittag ruhest‘ LWR 13, 1). Gelegentlich geht dem finiten Verb im Imperativ ein sprachliches Element vorab, so nu in nu saga uns ouch, welich her si in natura humanitatis (‚Nun, sag uns auch, wie er ist in menschlicher Natur‘ LWR 86, 6).

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Untergeordnete Wortgruppen Untergeordnete Wortgruppen kennen im Altniederländischen häufig eine Endstellung des finiten Verbes, eine Position, die möglicherweise im Protogermanischen in verbalen Wortgruppen gebräuchlich war. Als Vf2 in Kernstrukturen des Altniederländischen die Regel wurde, dürfte Vfn sich laut Van der Horst zum Merkmal untergeorneter Strukturen mit Hintergrundinformation zur Kernstruktur herausgebildet haben. So bestimmte die Position des finiten Verbs auf die Dauer die Muster der unterschiedlichen verbalen Wortgruppen. Indem die Stellung des finiten Verbs so eine syntaktische Aufgabe erhielt, grammatikalisierte sie folglich. Bereits in den Wachten­ donckse Psalmen lässt sich Vf2 in Kernstrukturen und Vfn in untergeordneten Wortgruppen feststellen, vgl. In ik beid thia samon gedruouit uuirthj (‚Und ich erwartete jenen, der zusammen mit mir betrübt würde‘ WPS i, 68, 21). Ähnlich kommt scames an zweiter, duost wie auch mislicho an letzter Stelle in Thu scames thich, thaz thu iet scandlikes duost ande thaz mir mislicho (‚Du schämst dich, dass Du etwas Schändliches tust und etwas, was mir missfallen würde‘ LWR 16, 2). Auch finden sich in den Wachtendonckse Psalmen untergeordnete Wortgruppen mit dem finiten Verb an dritter beziehungsweise späterer Stelle, eine Wortfolge, die im Williram und in der Reimbibel regelmässtig vorkommt, vgl. deda in jc sal beidan sin thie behaldon mi deda Fan Luzzilheide geistis in fan geuuidere (‚Ich werde ihn erwarten, der mich rettete von Kleinmütigkeit des Geistes und von Unwetter‘ WPS h, 54, 9). Untergeordnete konzessive Wortgruppen mit al (‚wenn auch‘) kommen wie im Neuniederländischen auch im Altniederländischen bereits mit Inversion vor, allerdings nur in der Reimbibel, vgl. die Position von weren (‚waren‘) in The bekarde her zo godes riche, al weren se grimme ande égisliche (‚Die bekehrte er zu Gottes Reich, auch wenn sie bösartig und furchterregend waren‘ MRB a, 511). Verbalperiphrase Unsicher ist, wann Konstruktionen, die zwei oder mehr Verbstämme umfassen, sich zu Prädikatseinheiten entwickelten. Möglicherweise kamen periphrastische Strukturen, bestehend aus dem Hilfsverb hebben (‚haben‘) und einem Partizip eines transitiven Verbs, schon kurz vor oder zu Anfang der schriftlichen Überlieferung vor, wie Van der Wal vermutet. Allerdings erscheinen Strukturen wie hauet furebraht (‚hat hervorgebracht‘) in Ther fiigboum hauet furebraht sina bittera figon (‚Der Feigenbaum hatte seine bitteren Feigen hervorgebracht‘ LWR 41, 1) abgesehen von einer Ausnahme noch nicht in den Wachtendonckse Psalmen, da das lat. Präteritum jeweils mit einer Imperfektform des Verbs übersetzt wurde. Jünger dürften Prädikate mit dem Hilfsverb zijn (‚sein‘) sein, wie is kuman (‚ist gekommen‘) in wanda sol iusticie nu skiinet, so is kuman thiu heyderhed thes heyligan gelouan ouer al thie wereld (‚dass die Sonne der Gerechtigkeit nun scheint, ist in der Folge die Klarheit des heiligen Glaubens über die ganze Welt gekommen‘ LWR 39, 7). Die Entwicklung perfektischer Zeitformen, die sich laut Van der Horst vermutlich über Jahrhunderte hinweg vollzog, kann mit Wortgruppen vom Typus hebben in der Bedeutung ‚besitzen‘ ergänzt von einem Objekt und einem prädikativen Attribut beziehungsweise zijn mit nominaler Ergänzung eingesetzt haben. So verdeutlicht R. Schrodt anhand des in der Literatur häufig angeführten Satzes phīgboum habēta sum giflanzōtan in sīnemo wingarten, d. h. ‚(einen)

3.4. Merkmale des Altniederländischen

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Feigenbaum hatte einer als gepflanzten in seinem Weingarten‘, wie habēn im älteren Althochdeutschen als semantisch eigenständiges Verb vorkommt in Verbindung mit einem Partizip, das einen Zustand des Akkusativobjektes ausdrückt. Diese nominale Lesart stützt sich auf die Kongruenz zwischen der Mask. Akk. Sing.-Endung -an in giflanzōtan und Mask. Akk. von phīgboum. Konstruktionen mit zijn (‚sein‘) und einem Attribut in der Form eines Partizips, das einen Zustand des Subjektes zum Ausdruck bringt, sind in den ältesten niederländischen Quellen zu finden, so gestekit bin (‚bin steckengeblieben‘) in Gestekit bin ic an leimo diupi (‚Im Schlamm der Tiefe bin ich steckengeblieben‘ WPS 68, 3). Ob es sich in derartigen Strukturen jeweils tatsächlich um die semantisch selbstständigen Verben hebben und zijn, verknüpft mit attributiven Ergänzungen handelt oder um Hilfsverben mit Partizip, lässt sich allerdings nicht immer eindeutig feststellen. Dass perfektische Strukturen wie hebban hagunnan (‚haben angefangen‘) in hebban olla vogala nestas hagunnan (‚Haben alle Vögel damit angefangen, Nester [zu bauen]‘) laut Van der Wal im Altniederländischen noch äusserst selten vorkommen, trifft für die aus dem 9. oder 10.  Jh. stammenden Wachtendonckse Psalmen zu: wo aus heutiger Sicht Perfekt oder auch Plusquamperfekt zu erwarten wäre, steht in der Regel wohl in Nachfolge der lateinischen Vorlage Präteritum, so in ic gesag unriht (‚ich sah Unrecht‘ WPS 54, 10). In einem Prädikat wie ist irfullit (‚ist gefüllt‘) in Fluot godis irfullit ist mit uuateron (‚Der Fluss Gottes ist mit Wasser gefüllt‘ WPS h, 64, 10) ist die Form ist als Kopula mit dem prädikativen Attribut irfullit mit uuateron (‚mit Wasser gefüllt‘) und nicht als Hilfsverb einer periphrastischen Struktur aufzufassen. Wohl verwendet der Übersetzer zijn als Hilfsverb in Kombination mit te (‚zu‘) und Infinitiv, so te cumene ist (‚zu kommen ist‘) in Vntes ic cundi arm thinin, cunni allin thia te cumene ist (‚Bis ich Deine Kraft der ganzen Generation, die noch kommen muss, verkünde‘ WPS h, 70, 18). Zudem bildet er im Futurum und Passiv periphrastische Strukturen mit Hilfsverben wie werthan (‚werden‘) und skulan (‚sollen‘ in der Bedeutung von ‚werden‘), so sal in Uuillico sal ic offran thi (‚willig werde ich Dir opfern‘ WPS 53, 8). Übrigens unterscheidet sich das Altniederländische mit der Verwendung von sulun (‚sollen‘, ‚werden‘) für Futurum vom Altdeutschen, das hier werden kennt, noch immer kann zullen im Niederländischen neben worden (‚werden‘) Futurum ausdrücken. Auch willen (‚wollen‘) erscheint bereits im Altniederländischen in Kombination mit einem Infinitiv, wohl als Umschreibung des Optativs, so in Nu willon ich ufsteen ande willo hine suochen (‚Jetzt will ich aufstehen und will ihn suchen‘ LWR 48, 3). Der Leidener Williram und die Mittelfränkische Reimbibel, die zweihundert Jahre jünger sein dürften, weisen hingegen zahlreiche perfektische Konstruktionen mit den Hilfsverben hebben oder zijn auf, wie Van der Horst darlegt, so nehauon fundan (‚habe nicht gefunden‘) in Ienoch nehauon ich sin niet fundan (‚Ich habe ihn immer noch nicht gefunden‘ LWR 48, 5) oder auch is cuman (‚ist gekommen‘) in Thu quithes, thaz ich scona si, auor al mina sconheyd thiu is mer uan thich cuman (‚Du sagst, ich sei schön, aber alle meine Schönheit ist mir von Dir gekommen‘ LWR 23, 3). Weiter wird das Passiv, das im Gotischen im Präsens noch eine synthetische Form kannte, neu in umschriebenen Strukturen mit Verben wie worden (‚werden‘) und zijn (‚sein‘) zum Ausdruck gebracht, so uuerthin gihorda (‚wurden gehört‘) in Ne sint spraken noh woorth, thero ne werthin

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

gihorda stemmen iro (‚Es gibt keine Äusserungen oder Wörter, worin ihre Stimmen nicht gehört werden‘ WPS 18, 3). Es ist übrigens nicht immer sicher, inwiefern Strukturen mit zijn und worden in Kombination mit einem Partizip sich eindeutig als Passiv kategorisieren lassen. 3.4.2.6. Modus und Tempus Die altniederländischen Verben, die Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft bezeichnen können, kommen im Indikativ, Konjunktiv und Imperativ vor. Sie umfassen zwei Klassen, eine starke und eine schwache, die sich im Germanischen herausgebildet hatten, vgl. 2.4.1.5., 2.4.2.1. und 2.4.2.2. Die starken Verben kennen im Präteritum und im Partizip Ablaut, die schwachen Verben bilden die entsprechenden Formen in der Regel mit dem Dentalsuffix -d-, gelegentlich nach stimmlosem Konsonant auch mit -t-. Sodann gibt es im Altniederländischen Reste besonderer Verbalbildungen, wozu die Präteritopräsentia zu rechnen sind. Durch die geringe Zahl der überlieferten altniederländischen Texte lassen sich Ablaut sowie Konjugation nur lückenhaft an Hand von Beispielen belegen, rekonstruierte Formen ergänzen unten die betreffenden Paradigmen. Es sind aufgrund des Ablautes die folgenden sieben Klassen starker Verben zu unterscheiden: 1 ī – e (ei) – i – i rīdan (‚reiten‘) Präteritum Sing./Plur. Infinitiv *ridan ride1, reithe1; *ridon 13.

Partizip *giridon

Pers. Sing. Konj. Prät.

2 ie – o (ou) – u – o / u – o – u – o liegon (‚lügen‘) Präteritum Sing./Plur. Infinitiv liegon *log; *lugon *drupan drouph; druppon

Partizip gelogen *gidropan

3 (a) i – a – u – u brinnan (‚brennen‘) Präteritum Sing./Plur. Infinitiv brinnan *brant; *brundon

Partizip *gibrundon

3 (b) e – a – u – o werpan (‚werfen‘) Infinitiv Präteritum Sing./Plur. werphan *warf; *warfon

Partizip giworfan

3.4. Merkmale des Altniederländischen

4e–a–a–o neman (‚nehmen‘) Infinitiv Präteritum Sing./Plur. nam; naman, namen neman

Partizip genomen, genuman, ginumena

5e–a–a–e gevan (‚geben‘) Infinitiv Präteritum Sing./Plur. gaui, geui; gaben, gauon geben, geuan, geuen, geuon

Partizip gegeben, gegeuan, gegeuona, iegieuan

6 a – uo – uo – a dragen (‚tragen‘) Infinitiv Präteritum Sing./Plur. dragen, tragen drog, druch; druogon druog 7 a/o/e/ei – ie – ie – a/o/e/ei1 ruopen (‚rufen‘) Infinitiv Präteritum Sing./Plur. ruopen, ruopon riep, rieph; *riepon

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Partizip gedragen

Partizip *giruopon

1Die

ursprünglich reduplizierenden Verben bilden im Altniederländischen eine Klasse starker Verben mit ie-Ablaut. In den ältesten Texten tritt wohl durch den Einfluss östlicher Schreibtraditionen in den starken Verben durch die -i-Endung noch Umlaut beziehungsweise ein e-i-Wechsel in der 2. und 3. Pers. Ind. Sing. auf, ebenso in der 1. Pers. Sing. in Verben mit e im Stamm. So kennt geuan (‚geben‘) Formen wie giuo in Ich giuo thich suleche doctores (‚ich gebe Dir solche Lehrmeister‘ LWR 18, 5), giuon in thie ich nogh thir giuon (‚die ich Dir noch gebe‘ LWR 54, 13) und giued in ande giued mir (‚und [er] gibt mir‘ LWR 32, 6) neben geuen in Ande an godes minne geuen (‚Und dass [sie] aus Liebe zu Gott [weg-]geben‘ MRB a, 370). Die Blockierung des Umlautfaktors im Westen des Deltas, die als besonderes Merkmal des Niederländischen zu begreifen ist, verhinderte allerdings, dass sich solche Umlautalternanzen in der Morphologie durchsetzten (vgl. 3.2.). Anfänglich kommt auch Imperativ Sing. mit Vokalwechsel vor, vgl.  gif in Got duom thin cunig gif (‚Gott, gib dem König Dein Urteil‘ WPS h, 71, 2). Hingegen kennt der Konjunktiv, mit e-­Flexion, im Präsens keinen Vokalwechsel, vgl. geue in that ik geue geheita mina (‚dass ich Dir mein Gelübde gebe‘ WPS h, 60, 9). Die Konjugation der starken Verben lässt sich am Beispiel des häufig in der Literatur zitierten Verbes gevan (‚geben‘) schematisch wie in den unten stehenden Paradigmen zusammenfassen:

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Präsens, Ind. Präsens, Konj. Sing. Plur. Sing. Plur. *gevon, *geven geue *geven, 1 giuo, giuon, *geve *gevet *givis, *geves *gevet 2 *givis, *geves 3 giued, giuet, giuit geuen, giuon *geve *geven Präteritum, Ind. Präteritum, Konj. Sing. Plur. Sing. Plur. 1 *gaf *gavon *gavi *gavin *gavet *gavis *gavit 2 gaui, geui 3 gaf gaben, gauon gebe, geue, *gavi *gavin Partizip gegeben, gegeuan, gegeuona, gegiuon, gegiuen, iegieuan Die Herausbildung der schwachen Verben im Germanischen hatte im Altniederländischen zu Präteritumformen mit -i- und mit -o- geführt, vgl. das ursprünglich kurzsilbige generida (‚rettete‘) in in generida sela mina (‚und rettete meine Seele‘ WPS h, 56, 5) und das zu den Verben auf -on gehörende thioda (= thinoda) in thioda (‚diente‘ WPS 17, 45), die verschiedenen Formen kamen aber vermischt vor. Die Konjugation schwacher Verben lässt sich anhand von belegten Formen des langsilbigen Verbes geloufen (‚glauben‘) und Rekonstruktionen wie folgt zusammenfassen: Präsens, Ind. Präsens, Konj. Sing. Plur. Sing. Plur. 1 gelobo *gelobon *gelobe *geloben *gelobet *gelobes *gelobet 2 gelobistu1 3 *gelobit *gelobunt *gelobe *geloben Präteritum, Ind. Präteritum, Konj.2 Sing. Plur. Sing. Plur. 1 *geloveda *gelovedon *gelove *geloven 2 *gelovedos *gelovedet *geloves *gelovet 3 gelouede gelobeten, gelouodon *gelove *geloven 1mit 2der

enklitischem Pronomen spärlich überlieferte Konj. Prät. hatte in der Regel die gleichen Formen wie der Konj. Präs.

Zu den Resten besonderer Verbalbildungen gehören die Präteritopräsentia, deren starke Perfekta Präsensbedeutung erhalten hatten, in der 2. Pers. Sing. die alte t-Endung kennen und ein neues schwaches Präteritum bildeten, so das Verb uuitton (‚wissen‘):

3.4. Merkmale des Altniederländischen

125

Präsens Präteritum Sing. Plur. Sing. Plur. wizzon newistes1 1 weiz, weyz 2 weist, uuest wizet wizzon newisten1 3 uuert, uuoz, weiz 1 mit

proklitischem Verneinungselement

Zu dieser Klasse gehören die folgenden Verben, die verschiedene Ablautreihen kennen: *unnan (‚gönnen‘), vgl. ann (‚ich gönne‘, RIB) *kunnan (‚können‘), vgl. kan (‚kann‘), cunnon (‚können‘) *durran (‚wagen‘, ‚dürfen‘), vgl. ich dar (‚ich wage es‘), durren (‚dürfen‘) *sullan (‚sollen‘), vgl. thu scalt (‚du sollst‘), sie scolden (‚sie sollten‘) *mugan (‚vermögen‘, ‚können‘), vgl. mahc (‚ich kann‘), sie mugan (‚sie können‘), mohte (‚konnte‘) *muotan (‚Gelegenheit haben‘, ‚können‘), vgl. ich muoz (‚ich kann‘), se mozon (‚sie können‘) Semantisch bedingt hatte das Verb *willen (‚wollen‘) Formen des Optativs mit -i-Suffix entwickelt, in der Folge entstanden aus der e-Wurzel Formen mit -i-; überliefert sind Formen wie: Präsens Sing. Plur. 1 uuillon, welle, wil willan willa, willo, willon 2 willes, wilt, wil 3 wila, wilt

Präteritum Sing. Plur. uuolda, wol, woldich1, woldik1 uuolde, wolda, eolte uuilunt, willant, wollent woldan, wolden

Präsens, Konj. Sing. Plur. 1 2 3 wela, wila, wile wollent wolla, wolle

Präteritum, Konj. Sing. Plur. wolde woldest wolde, wolt wolden, woldon

1 mit

enklitischem Subjekt

Zu den langsilbigen Verben ohne stammbildendes Element gehören sin (‚sein‘), gan (‚gehen‘), stan (‚stehen‘) und duen (‚tun‘). Im Präsens kennen sie die folgende Konjugation: Präsens sin (‚sein‘)

stan (‚stehen‘)

duen (‚tun‘)

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

Sing. 1 bim, bin, bun 2 bis, bist 3 is, ist

*stan duo, duon *stas duos, duost stat, sted, steed duot, thuot, tut

Plur. 1 sin *stan do, duon stat *duot 2 siit, sint stien, *stant don, duont 3 sin, sind, sint Im Präteritum kennen Verben wie duen Reduplikation, vgl. Präteritum duen (‚tun‘) Sing. Plur. 1 dada, deda *dedon 2 dedes, deda *dedet daden, taten 3 dada, deda, dede, tete, deth

3.4.3. Lexik Die Forschung altniederländischen lexikalischen Materials kennt mit Sachverständigen wie u.a. J. Franck, C.B. van Haeringen, F. de Tollenaere, J. de Vries, N. van Wijk und M. Gyssling eine längere Tradition, neuere Forschungsergebnisse stammen namentlich von F. Debrabandere, M. Philippa, W.J.J. Pijnenburg, A. Quak, T.H. Schoonheim, N. van der Sijs, P.A.F. van Veen oder Th.P.E. Wortel. Das neulich von Philippa, Debrabandere und Quak herausgegebene Etymologisch woordenboek van het Nederlands, die online etymologiebank.nl und das unter Federführung von Pijnenburg beziehungsweise Schoonheim online veröffentlichte Oudnederlands Woordenboek, das gelegentlich aktualisiert wird, bilden für Beschreibungen des Altniederländischen eine unentbehrliche Grundlage. Bereits Gysseling hatte in seinem Corpus separate Abteilungen für das Altniederländische eingeräumt, später inventarisierten die Redakteure des ONW das altniederländische lexikalische Material von Gysselings Sammlung neu und erweiterten sie mit u.a. Ortsnamen und Zunamen von Personen sowie mit Wörtern aus der Runeninskription von Bergakker, den Malbergse Glossen, der Lex Salica, den Reichenauer Glossen und der Mittelfränkischen Reimbibel. Die über 50.000 Wortzitate und Namen ergaben zirka 4.500 Stichwörter, die wegen der mangelhaften Überlieferung der Texte den altniederländischen Wortschatz nur zum Teil widerspiegeln können.

3.4. Merkmale des Altniederländischen

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3.4.3.1. Einheimische Wörter Zu den aus dem Indogermanischen beziehungsweise Germanischen stammenden sogenannten einheimischen Wörtern (vgl. 2.4.3.1.) zählen laut Van der Sijs u.a. verschiedene Bezeichnungen für Verwandte, so broeder, (‚Bruder‘), anl. belegt als Dat. Plur. bruothron (ahd. bruoder) und anl. muoder (ahd. muoter, ‚Mutter‘), sowie mehrere Wörter für Körperteile, beispielsweise anl. arm (ahd. ar[a]m, ‚Arm‘). Weiter gehören zu dieser Klasse Andeutungen für Wetterverhältnisse, so anl. regan (ahd. regan, ‚Regen‘), für Himmelskörper, so anl. sunna (ahd. sunna, ‚Sonne‘), für Landschaft und Natur, so anl. weitha (ahd. weida, ‚Weide‘) oder anl. buok (ahd. buohha, ‚Buche‘), belegt in Ortsnamen wie Buokholte (siehe 4.3.5.1.) und für Bezeichnungen von Tieren beziehungsweise tierischen Erzeugnissen wie anl. kuo (ahd. kuo, ‚Kuh‘) und anl. miluk (ahd. miluh, ‚Milch‘). Zum einheimischen Teil des niederländischen Lexikons zählen ebenfalls allgemeinere Wörter für Eigenschaften wie anl. ald (ahd. alt, ‚alt‘) oder das anl. Adv. lango (ahd. lang, ‚lang‘), sodann Zahlwörter, so anl. thri mit unterschiedlichen Flexionen wie Dat. tren (ahd. drī, drīo, driu, ‚drei‘), und schliesslich Verben, die elementare Handlungen des Menschen ausdrücken wie anl. etan (ahd. ezzan‚ ‚essen‘) so in az (‚ich ass‘), anl. fragon (ahd. frāgēn, frāgōn, ‚fragen‘) oder auch ndl. zijn (‚sein‘), das drei einheimische Verben zijn, wezen und bennen einschliesst und vermutlich auf drei idg. Wurzeln zurückgeht, nämlich *h1es- mit anl. Bildungen wie sind (‚sind‘), *bhueh2- mit anl. Entsprechungen wie bin (‚bin‘) und *h2ues- mit anl. Formen wie wesan (‚wesen‘, in der Bedeutung von ‚sein‘). Schliesslich rechnet man auch zum Teil jüngere germanische Wörter mit grammatikalischen Funktionen wie Pronomina, Präpositionen und Artikel zum Grundwortschatz. Naturgemäss sind die ältesten Stufen des Niederländischen mitunter von diesen einheimischen Wörtern geprägt. Allerdings lassen sich nicht alle Wörter des Grundwortschatzes als indogermanische oder germanische Erbwörter einstufen, so ist der Ursprung von anl. etan (‚essen‘) zwar indogermanisch, anl. drinkan (‚trinken‘) gilt hingegen als Substratwort, anl. fuot (ahd. fuoz, ‚Fuss‘) hat einen indogermanischen Ursprung, anl. ande (ahd. hant, ‚Hand‘) hingegen ist wohl als germanisch einzustufen, dürfte aber aus einer Substratsprache stammen, und mnl. sole (‚Sohle‘) ist ein lateinisches Lehnwort. Die Zahl der einheimischen Wörter in den altniederländischen Texten stieg dann bis auf über 700 an, das bedeutet über 90% des überlieferten altniederländischen Wortschatzes. Mit welchen Zahlen in nicht-überlieferten Texten und gesprochener Sprache in altniederländischer Zeit zu rechnen ist, lässt sich nicht einschätzen. In Texten aus jüngerer Zeit kommen mehr Lehnwörter vor, Erweiterungen des niederländischen Lexikons im Laufe der Jahrhunderte hatten zur Folge, dass der Anteil einheimischer Wörter verhältnismässig abnahm und auf schätzungsweise ein Viertel des gesamten Wortschatzes zurückging. Der Anteil der Substrat- und Lehnwörter des niederländischen Wortschatzes dürfte somit beachtlich sein (vgl. 3.4.3.3.). Sodann sollten germanische Wortbildungsverfahren in den sich herausbildenden Sprachen weiter produktiv sein, so auch im Altniederländischen. So kommen Zusammensetzungen aus zwei Substantiven im frühesten Niederländischen vor, wie Van der Sijs darlegt, so anl. man­ slag (‚Totschlag‘). Neben diesen häufig vorkommenden Bildungen finden sich in den ältesten Quellen auch Beispiele anderer, im Germanischen bekannter Wortbildungsverfahren, wie die

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3. Das Altniederländische des Früh- und Hochmittelalters (bis 1150)

folgenden, willkürlich gewählten Belege zeigen. So ist anl. misdāt (‚Verbrechen‘) aus dem Präfix mis (‚schlecht‘, ‚falsch‘) und dem Substantiv dāt (‚Tat‘) gebildet, das anl. junkfrouwa (‚junge Frau‘, ‚Mädchen‘), belegt im Akk. Plur. jungfrouwan, setzt sich aus Adjektiv und Substantiv zusammen, schliesslich stellt uuitherstandne (‚Widerstand‘) als substantiviertes Präsens eine Ableitung eines Verbes, nämlich witherstān (‚widerstehen‘, ‚Widerstand bieten‘) dar. Daneben sollten neue Möglichkeiten entstehen, um Wörter zu bilden, die im Germanischen nicht produktiv waren, beispielsweise mit einem Verb oder nomen actionis als erstem Teil, so drinke­water (‚Trinkwasser‘) im anl. Namen Simoni Drinkewater. 3.4.3.2. Lexikalische Ingwäonismen Wie u.a. Van Bree dargelegt hat, rechnet man zu den früheren lexikalischen Ingwäonismen, die sich in der Mitte des Millenniums im nordwestlichen Teil des südgermanischen Gebietes an den Nordseeküsten und teilweise weiter auf dem Kontinent verbreiten konnten, Wörter wie anl. ālendi, mnl. eilant (‚Insel‘), vgl. fri. eilân und eng. island oder anl. *nessi (‚Landzunge‘), vgl. Ortsnamen wie ndl. Markenes und eng. Sheerness. Weiter gilt die Entstehung einer einzigen Objektform an Stelle der Dativ- und Akkusativformen bei den Personalpronomina sowie der Wegfall von z > r im Dativ der Pronomina als ingwäonisch, vgl. anl. mi (‚mir‘, ‚mich‘; eng. me), anl. thi (‚dir‘, ‚dich‘; eng. you), anl. imo (‚ihm‘, ‚ihn‘; eng. him) oder anl. iu (‚ihnen‘, ‚euch‘; eng. you), siehe auch 3.4.2.3. Ebenfalls gehören Pronomina wie anl. wi (‚wir‘; eng. we), anl. gi (‚ihr‘, ‚euch‘; eng. you) und anl. he oder hie (‚er‘; eng. he) sowie eine Bildung wie das anl. Interrogativ huo (‚wie‘; eng. how) zu den Ingwäonismen, ebenso Bildungen von Zahlwörtern mit dem Präfix ant wie tachtig (‚achtzig‘). In karolingischer Zeit, als niederfränkische Siedler aus dem Osten sich im Delta niederliessen, konnten jüngere ingwäonische Bildungen sich weniger durchsetzen. Relikte solcher späten lexikalischen Ingwäonismen wie das Wort elder (‚Euter‘) kommen noch in Dialekten entlang der Küste Seelands vor, auch Wörter des Standardniederländischen wie ndl. big (‚Ferkel‘; mnl. bicghe, eng. pig), ndl. gier (‚Dünger‘; mnl. ier) oder ndl. ladder (‚Leiter‘; mnl. ladere) sind ingwäonisches Substrat. Ortsnamen mit von delven (‚graben‘) abgeleiteten Formen wie Delft und Delfzijl oder mit dem Element zwin (‚Wassergraben‘, ‚Gezeitenstrom‘) wie in den Namen Het Zwin oder Zwijndrecht zählen ebenfalls zu den Ingwäonismen. So verleiht das Lexikon ähnlich wie die arteigenen Lautentwicklungen (vgl. 3.4.1.4.) dem Niederländischen ingwäonische Eigenschaften. 3.4.3.3. Sonstige Substrat- und Lehnwörter Laut Schätzungen des EWN besteht das niederländische Lexikon zu 15% aus Substratwörtern, die aus vor-indoeuropäischen Sprachen stammen (vgl. 2.4.3.2.). Es handelt sich dabei nach dem EWN namentlich um sogenannte Inhaltswörter aus den ursprünglichen einheimischen Sprachen, so beispielsweise das anl. *āl (‚Aal‘) als Bezeichnung eines bei der vor-indoeuropäischen Bevölkerung angeblich beliebten Fisches, vgl. den Ortsnamen Aelmere, ebenso das als ‚rein germanisch‘ bezeichnete anl. ben (‚Bein‘, ‚Knochen‘) oder, in ‚Anbetracht der beschränkten Verbreitung‘, wie es in der Erklärung heisst, das anl. *bort , *bret (‚Bord‘, ‚Brett‘, ‚Teller‘) in Ortnamen wie Britte und Brida. Häufig betrifft es Wörter, die eingewanderte Germanen vermutlich in

Ia  Probatio pennae, Bodleian Library, Oxford, Kodex 340 fol. 169 v.

Ib  Miniatur Jan Ruusbroec, Koninklijke Bibliotheek Albert I., Brüssel, Kodex 19.295–97, fol. 2 v. Ein Mönch, Jan Ruusbroec, schreibt auf einer Wachstafel während ein anderer Mönch eine Vorlage auf Pergament kopiert; zwischen den beiden Geistlichen liegt ein Kodex als Ergebnis der Schreibarbeit.

II  Jacob van Maerlant, Rijmbijbel, Rijksmuseum Meermanno-Westreenianum, Den Haag, Kodex 10 B 21, fol. 1 v.

3.4. Merkmale des Altniederländischen

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ihrer Sprache als Bezeichnungen für Gegebenheiten übernahmen, die sie nicht kannten. Wie spekulativ die Klassifizierungen einzelner Wörter als Substrat zum Teil übrigens sein können, zeigt manche Erklärung im EWN, das beispielsweise bei aak Formen in anderen germanischen Sprachen wie ahd. nahho (‚Flussschiff‘) erwähnt, weitere Verwandtschaften jedoch als unsicher einstuft: aak wäre vielleicht mit lat. nāvis verwandt, das auf idg. *neh2u, vgl. Skt. náuh und Gri. naǔs zurückgehen könnte, wegen seiner ‚isolierten Position im Germanischen‘ solle man jedoch eher von einem Substratwort ausgehen. Es bleibt abzuwarten, inwiefern künftige Forschung solche Interpretationen bestätigt. Nicht auszuschliessen ist, dass sich für Wörter unbestimmter Herkunft doch indogermanische Wurzeln rekonstruieren lassen, die besser abgesichert sind als beispielsweise Van Veens und Van der Sijs’ vorsichtig formulierte Vermutung, wijf (ahd. wīb, ‚Weib‘) wäre mit got. biwaibjan (‚umhüllen‘) in Beziehung zu setzen und verweise vielleicht auf die mit einem Tuch eingebundenen Haare der Braut. Sodann ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass Wörter, die nur im Germanischen vorkommen, nicht aus Substratsprachen stammen, sondern indoeuropäische Bildungen sind, die aber in anderen indoeuropäischen Sprachen verloren gingen. Von den Lehnwörtern sind bereits für das Altniederländische die Entlehnungen aus dem Latein zu erwähnen, die das niederländische Lexikon mit prägen sollten. Die ansässige Bevölkerung übernahm von den Eroberern (vgl. 2.1.) insbesondere Ausdrücke in Bereichen wie Häuserbau, Landwirtschaft, Viehzucht, Nahrung, Handel und Heereswesen, so anl. mura (ahd. mūra, ,Mauer‘) oder tegula (ahd. ziegala, ‚Ziegel‘), in der Ortsbezeichnung Tegulon, dem heutigen Tegelen, ebenso anl. walla (ahd. wal, ‚Wall‘) in der Ortbezeichnung Walle, weiter auch anl. strāta (ahd. strāza, ‚Strasse‘) im Dat. Plur. straton, eine frühe Entlehnung mit dem vulgärlateinischen intervokalischen -t-, das sich später zu -d- entwickelte, vergleiche ita. strada, sodann anl. win (ahd. wīn‚ ‚Wein‘), eine frühe lateinische Entlehnung, die von der römischen Weinkultur im Nordwesten Europas zeugt, auch anl. pīl (ahd. pfīl, ‚Pfeil‘) oder anl. kiese (ahd. chāsi, ‚Käse‘) in kiese uath (‚Käsefass‘). Der Anteil der Lehnwörter in den überlieferten altniederländischen Texten beträgt wohl weniger als 10%, mit welchen Zahlen in nicht-überlieferten Texten und gesprochener Sprache in altniederländischer Zeit zu rechnen ist, lässt sich naturgemäss nicht einschätzen. In Texten aus jüngerer Zeit kommen verhältnismässig mehr Lehnwörter vor, der Wortschatz neuerer Stufen des Niederländischen dürfte zu drei Vierteln aus Lehnwörtern bestehen. Literatur zu 3.4.: Beekes 1990; Blok 1960; Van Bree 1987; Van Bree 1996; Van Bree 1997; Franck et al. 1976; Glaser 2000; Goossens 1974; Goossens 1978; De Grauwe 1979/82; Van der Horst 1986; Van der Horst 2003; Van der Horst 2008; Van Loey 1970; Van Loon 1986; Overdiep 1915/16; Overdiep 1924; Philippa 1981; Pijnenburg et al. 2001; Prokosch 1939; Quak 1975; Quak 1990; Quak et al. 2002; Sanders 1974; Schoonheim 2008; Schrodt 2004; Van der Sijs 2001; Van der Sijs 2006; Van der Sijs et al. 2000; Slechten1999; Slicher-van Bath 1948; Sonderegger 1979; Sonderegger 1999; Van Veen et al. 1991; De Vries 1971; De Vries et al. 1994.

4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Zum Anfang des zweiten Millenniums hatten sich in den Lehen der Grundherren des RheinMaas-Schelde-Deltas Machthaber durchgesetzt, die vermehrt eine selbstständige Politik verfolgten. So widersetzte Flandern sich gegen die französische Krone, westfriesische Grafen versuchten ihre Macht im Norden zu festigen, Utrechter Bischöfe strebten nach Gebietserweiterung. Eine städtische Kultur sollte vermehrt die Sprache und Literatur der Niederlande prägen. Die Geschicke der einzelnen Gebiete, die den äusseren Grössen des entstehenden Mittelniederländischen zuzuordnen sind, werden im Folgenden zuerst besprochen (vgl. 4.1.). Das überregionale Mittelniederländische wurde anfänglich von einer südöstlichen, dann von einer flämischen beziehungsweise brabantischen, schliesslich von einer holländischen Schreibtradition geprägt. Sprachliche Selbstbezeichnung, Äusserungen zum Übersetzen in die eigene Sprache sowie die Erweiterung der Anwendungsbereiche der Muttersprache zeugen vom vorhandenen Bewusstsein einer überregionalen mittelniederländischen Verkehrs- und Kultursprache, wie nachher dargelegt wird (vgl. 4.2.). Die angeführten Textbeispiele mit deutschen Übersetzungen dürften Einheit und Verschiedenheit der Sprache mittelniederländischer Texte zeigen (vgl. 4.3.). Schliesslich zeigt die Besprechung einiger bedeutender graphemischer, phonemischer, syntaktischer, morphologischer sowie lexikalischer Merkmale des Mittelniederländischen, wie sehr sich der überregionale Vorläufer des Neuniederländischen von benachbarten Schreibsprachen abhebt (vgl. 4.4.).

4.1. Geschicke der Lehen in den Niederlanden 4.1.1. Zunehmende Selbstständigkeit der Lehen in den Niederlanden (1150–1305) Von den Flandrenses, Flamen, berichtet die Vita sancti Eligii bereits im 8. Jh., dass sie in Flandria lebten, einem Gebiet, das in jener Zeit regelmässig unter Wasser stand. Der Name bringt dies zum Ausdruck: Vlaanderen, das von der ingwäonischen Form flâm stammt und mit dem germanischen flauma- verwandt ist, bedeutet ‚überflutetes Land‘. Die Grafen dieses an die Nordsee grenzenden Gebietes, nördlich von Frankreich, westlich von Brabant und südlich von der heutigen Provinz Seeland, zielten Anfang des zweiten Millenniums mit ihrer Heiratspolitik auf eine Erweiterung ihrer Herrschaft in südlicher Richtung, wie die Ehe von Philipp, dem Nachfolger von Diederich von Elzass, 1156 mit der Erbtochter Elisabeth von Vermandois zeigt. Nach und nach verwalteten flämische Grafen die Gebiete zwischen Schelde und Somme. Der Krieg zwischen Philipp und dem französischen König Philipp II. August schwächte Flandern aller-

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

dings; als dann der flämische Graf während des dritten Kreuzzuges 1191 bei der Belagerung Akko’s fiel, besetzte der König den Süden Flanderns, Balduin IX., Graf von Hennegau herrschte über den Norden. Seine Tochter Johanna, die ihm nachfolgte, geriet in grosse Bedrängnis, als ein Einsiedler sich für den längst in einer Schlacht gegen die Bulgaren gefallenen Vater ausgab. Erst mit Hilfe des französischen Königs gelang es ihr, die Krise zu meistern. Der Tod Johannas verursachte einen langjährigen Streit zwischen den Avesnes und den Dampierres um ihre Erbschaft. Schliesslich sprach König Ludwig IX. den Avesnes Henegouwen, den Dampierres Flandern zu. Soziale Unruhen in den flämischen Textilstädten führten 1280 während der Kokerulle in Ypern zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Patriziern und den Zünften der Handwerker. Sie kündigten den Streit zwischen den vornehmen Bürgern, leliaards‚ ,der Lilie zugehörigen‘ genannt, die es mit der französischen Krone, der Lilie, hielten, und den Handwerkern sowie einem Teil der Adligen, die nach den Krallen des flämischen Löwen klauwaards hiessen, an. Nachdem Gewijde, Graf von Flandern und später auch von Namur (Guy von Dampierre), die Oberhoheit Frankreichs gekündigt hatte, besetzte der König 1300 und 1302 grössere Teile Flanderns. Als aufgebrachte Bürger in der Nacht vom 17. zum 18. Mai 1302 während der ‚Brügger Frühmette‘ unter Führung des Webers Pieter de Koninck und des Metzgers Jan Breidel hunderte Soldaten der französischen Garnison niedermetzelten, fing die Auflehnung gegen die Franzosen an. Der darauf folgende Rachefeldzug Frankreichs misslang, da die Miliz der flämischen Handwerker unter Führung von Willem van Jülich die französischen Ritter am 11. Juli 1302 während der Guldensporenslag (‚Goldene-Sporen-Schlacht‘, genannt nach den Sporen der Ritter) bei Kortrijk vernichtend schlug. Lodewijk van Velthem (?1260/75 bis nach 1316) beschrieb unter Berücksichtigung der Quellen seiner Zeit 1316 die Ereignisse (siehe 4.3.3.1.) im fünften Teil des Spiegel historiaels, der Weltchronik Vinzenz von Beauvais in der Bearbeitung Jacob van Maerlants, die Van Velthem mit fast 30.000 Versen fortsetzte. Hendrik Conscience (1812–1883) sollte in seinem De leeuw van Vlaanderen (,Der Löwe von Flandern‘) 1838 diese Schlacht in Prosa verewigen. ‚Der Mann, der sein Volk lesen lehrte‘, erlaubte sich in dieser romantischen Geschichte zwar grössere historische Freiheiten, bedeutsamer ist für die Geschichte der Sprache in den Niederlanden der durchschlagende Erfolg des Buches: der Roman steigerte das Selbstbewusstsein der Flamen, förderte in der Mitte des 19. Jh. ihre Emanzipation und erhöhte den Status der Muttersprache. Nach dem Sieg über Frankreich wagten die Dampierres es, den holländischen Grafen Floris V. einzusperren, um ihre Macht in Seeland auszubreiten. Allerdings besiegte der französische König Philipp IV. wenig später das flämische Heer 1304 bei Pevelenberg. Der Frieden von Athis-sur-Orge, 1305, forderte erdrückende Entschädigungszahlungen, der Graf von Flandern kehrte unter die Oberhoheit Frankreichs zurück. Dennoch sollte es der französischen Krone nicht mehr gelingen, die Herrschaft über die Städte Flanderns endgültig an sich zu reissen. Im Norden versuchten die westfriesischen Grafen ihre Macht zu festigen. Nachdem Floris I. 1061 bei Nederhemert im Schlaf getötet wurde, als er sich von seinem Sieg gegen die Heere von Utrecht und Cuyck erholte, schien die Lage des westfriesischen Grafengeschlechtes jedoch misslich, denn sein Nachfolger Dirk V. war noch minderjährig. Zudem schenkte der deutsche König Heinrich IV. dem Bistum Utrecht gräfliche Besitzungen am Rheinufer. In der Folge er-

4.1. Geschicke der Lehen in den Niederlanden

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oberte Bischof Wilhelm die ihm zugesprochenen Gebiete, der junge Graf Dirk flüchtete nach Flandern, kehrte aber später mit Hilfe seines Stiefvaters, des flämischen Grafen Robrecht des Friesen, zurück, um die väterlichen Grafschaften wieder zu erlangen. Die Beziehungen zu Utrecht scheinen sich dann allmählich verbessert zu haben, denn Dirks Nachfolger Floris II. wird in einer Urkunde des Bischofs Burchard als Zeuge aufgeführt, und zwar als ‚Graf von Holland‘, ein Titel, den sein Vater möglicherweise bereits als erster westfriesischer Graf geführt hatte. Das Wort Holland, das etymologisch mit Holtland (‚Holzland‘) zusammenhängen könnte und sich dann auf die baumreiche Gegend bei Haarlem bezöge oder von holte (‚Höhlung‘) mit der Bedeutung ‚Wasserrinne‘ stammt, erscheint 1168 in den Annalen von Egmont. Es bezeichnet wohl ein Fluss- und Moorgebiet im Delta, das den holländischen Grafen dank Konzessionen zur Urbarmachung ansehnliche Einkünfte sicherte. Die Besiedlung des Gebietes vollzog sich im 12. Jh. dank erfolgreicher Anstrengungen der Bauern, die tiefer gelegenen Flächen zu entwässern. In dieser Epoche sind somit die Anfänge der holländischen Zivilisation im Deltagebiet anzusetzen, die Jahrhunderte später die Entwicklung des Niederländischen prägen sollte. Es gelang den sachkundigen holländischen Bauern, auch weiter im Osten Niedermoor durch Entwässerung anbaufähig zu machen, 1113 erhielten sie vom Bischof zu Hamburg Moorgebiete zum Kultivieren. Um 1150 machten Siedler aus den Niederlanden Sümpfe in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg bis nach Sachsen urbar. Die Gegend heisst nach wie vor Fläming, der Flemming bzw. Flemmingen bei Naumburg a.d. Saale. Das Vorkommen von Wörtern wie Sloot (‚Graben‘), Beke (‚Bach‘), Dörpel (‚Schwelle‘) oder Schüppe (‚Schaufel‘) im Norden Deutschlands liesse sich mit der Anwesenheit dieser Einwanderer erklären. Im Jahre 1165 reiste Kaiser Friedrich I. Barbarossa nach Utrecht, um Zwisten wegen der Ernennung des neuen Bischofs ein Ende zu setzen. Zudem befahl er, dass Utrecht und Holland künftig gemeinsam das friesische Gebiet verwalten sollten. Es ist dies eine der letzten offiziellen Taten der zentralen Reichsgewalt, um die Geschicke der mittlerweile selbstständigen Lehen in den Niederlanden zu lenken. Die holländischen Grafen taten sich anfänglich schwer, ihre Macht zu behaupten. Zwar konnten sie ihr Gebiet im Osten Richtung Utrecht ausbreiten, wirtschaftlich waren sie von Flandern abhängig, wie ein 1167 zu Brügge geschlossener Vertrag zeigt. Zudem verlor Dirk VII. um die Jahrhundertwende einen Krieg gegen Brabant. Dank Unterstützung des Herzogs von Brabant wurde der holländische Graf Wilhelm II. 1247 zum König des Heiligen Römischen Reiches gewählt, das bereits 1157 als Sacrum Imperium, dann während Wilhelms Königtums 1254 erstmals als Sacrum Romanum Imperium urkundlich belegt ist. Nach der Eroberung Aachens erfolgte 1248 Wilhelms feierliche Krönung, worauf er Flandern zu unterwerfen und die Westfriesen zu besiegen versuchte. Der König von Deutschland und Graf von Holland und Seeland fiel 1256 aber in der Schlacht bei Hoogwoud. Seinem Sohn, Floris V., gelang es dann, die Westfriesen, die durch das von Überflutungen entstandene Binnenmeer Zuiderzee vom restlichen friesischen Gebiet getrennt waren, endgültig zu unterwerfen. Mit den Einkünften aus diesem Besitz verstand er es, seine zahlreichen Feinde gegeneinander auszuspielen und die Grafschaft mit u.a. den Landschaften Amstelland und Het Gooi zu erweitern. Zudem liess er die Deiche pflegen, Sumpfgebiete entwässern und Ödland im Herzen Hollands anbaufähig machen. Für die Erweiterung seines Gebietes in Richtung Seeland schloss der Graf zum Missfallen des englischen

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Königs einen Verbund mit Frankreich. Edward I. ermunterte daraufhin einige unzufriedene, von Floris  V. entmachtete Adlige wie Gijsbrecht van Amstel, Herman van Woerden, Gerard van Velzen und Jan van Kuik, den holländischen Grafen nach England zu entführen. Nachdem sie Floris V. 1296 während einer Beizjagd festgenommen und auf dem Schloss zu Muiden, der späteren Sommerresidenz des Renaissancedichters Hooft, gefangen gesetzt hatten, versuchte eine Gruppe Bauern ihn zu befreien. Im Gedränge wurde der keerlen god (‚der Bauern Gott‘) aber von seinen Feinden erschlagen. Melis Stoke (?1235–?1305) beschrieb als Zeitzeuge in seiner Rijmkroniek, einem der ersten historiografischen Werke Hollands, die Geschehnisse aus eigener Erinnerung (siehe 4.3.3.2.). Vondel sollte den Grafenmord in seinem Trauerspiel Gysbreght van Aemstel thematisieren, das er zur Eröffnung des neuen Amsterdamer Schauspielhauses Januar 1638 verfasst hatte in einer Epoche, in der die Literatur der neuniederländischen Sprache eine ungekannte Blüte erlebte. 4.1.1.1. Religiöse Wörter in der Muttersprache Kein Zufall kann es sein, dass die ältesten überlieferten niederländischsprachigen Zeilen im von der christlichen Religion durchtränkten Mittelalter Erklärungen biblischer Texte darstellen. Der Verfasser dieser Wachtendonckse Psalmen (vgl.  3.2.3.), der ein Jahrhundert nach einer englischen Übersetzung biblischer Stellen aus dem 9. Jh., aber noch vor der von Anfang des 11. Jh. stammenden Psalter-Übersetzung Notkers von Sankt Gallen seine Texte niederschrieb, dürfte ein gebildeter Geistlicher gewesen sein, der im Altniederländischen die lateinische Vorlage vermutlich für Schüler verdeutlichte. Auch das älteste Buch in niederländischer Sprache, der Leidener Williram belegt, dass die frühesten niederländischen Texte in einer christlichen Tradition stehen. Die freie anl. Bearbeitung der Paraphrase des Hohen Liedes König Salomos (vgl. 3.2.3.) des Abtes Williram von Ebersbergs wurde von gebildeten Benediktinern des Klosters Egmonds verfasst. Dagegen stammen die frühesten mnl. religiösen Texte zumeist von Weltgeistlichen mit niederen Weihen, wie Van Oostrom festhält, offensichtlich kümmerte die Kirche sich anfänglich weiter nicht um fromme Texte in der Volkssprache. So fertigte der Minnesänger Heinric van Veldeke (zirka 1150 bis nach 1184) um 1180 eine mnl. Bearbeitung der Legende des Heiligen Servatius an, die in der ältesten bekannten, nur fragmentarisch erhaltenen mnl. Handschrift überliefert wurde. Von Jacob van Maerlant (zirka 1235 bis zirka 1300), Küster auf der Insel Voorne, stammt die Rijmbijbel, eine Historienbibel, die auf Petrus Comestors Historia scholastica zurückgeht. Die in Brabant lebende Hadewijch, eine Begine, schrieb um 1240 Visioenen (‚Visionen‘), Briefe und mystische Lyrik, von der Nonne Beatrijs van Nazareth (1200–1268), Verfasserin mystischer Texte, ist ein mnl. Traktat erhalten. Ab der zweiten Hälfte des 14. Jh. verfassten vermehrt Mönche, Priester und Gelehrte religiöse Texte in der Volkssprache, es entstanden mnl. Fassungen liturgischer Gesänge und biblischer Texte, aber auch Traktate zu den Zehn Geboten oder den Sakramenten, zu Sünden und zu Tugenden. Dass der Mystiker Jan van Ruusbroec (1293–1381) seine Werke, die sich in lat. Übersetzung bald über Europa verbreiteten, im Mnl. schrieb, macht klar, dass im Deltagebiet die Muttersprache in der vom Latein beherrschten Welt der Religion ernst genommen wurde. So

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empfiehlt der Kartäuser Bruder Geraert, zeitgenössischer Exeget von Ruusbroecs Arbeit, man solle die Schriften des Mystikers auf Niederländisch studieren, wenn man die Muttersprache besser als das Latein beherrsche. Somit eignet sich auch das Niederländische allmählich als Sprache für den Diskurs der Gelehrten, wie Van Oostrom folgert. Weitere Angaben zu religiösen Texten werden in 4.2.4. zusammengefasst, an dieser Stelle ist zu folgern, dass früheste niederländische Schreibtraditionen mit religiösen Wörtern einsetzen. Im 14. Jh. diente das Mnl. bereits der Bibelübersetzung beziehungsweise als Sprache anspruchsvoller religiöser Texte und wohl gelegentlich auch als Alternative des Lateins für den wissenschaftlichen Disput. 4.1.1.2. Höfische Sprachkultur Ertragreiche Quellen für die Beschreibung des Mittelniederländischen bieten auch Texte von Verfassern, die als Gebildete ihrer Zeit in Kreisen des Adels verkehrten oder zu den angesehenen Bürgern zählten. Anfänglich förderte eine literarische Tradition an den Höfen von Grafen und Herzögen in Loon, Brabant inklusive Limburg, Holland, Geldern und Kleve die Entstehung mnl. Texte, wie u.a. A. Berteloot erörtert hat. So erteilten vermögende Adlige Aufträge, Texte zu verfassen und Kodizes anzufertigen: Jacob von Maerlant schrieb seinen Spiegel Historiael (‚Spiegel der Geschichte‘) beispielsweise in Auftrag des Grafen Floris V. von Holland, seine Historie van den Grale (‚Geschichte des Grals‘) widmete er wohl nicht ohne Grund Albrecht van Voorne. Laut Berteloot überreichte Jan van Boendale dem Herzog Johann III. von Brabant ein Exemplar seines Der Leken spieghel (,Spiegel der Laien‘), der dem Burggrafen von Brüssel Rogier Leefdale und dessen Gemahlin Agnes von Kleve zugedacht war. Jan van Heelu hatte seine Chronik der Schlacht bei Worringen der Tochter des englischen Königs Margaretha von York, der späteren Gattin des Herzogs Johann II. von Brabant gewidmet. Bereits für die Entstehung der ältesten überlieferten mnl. Texte im Maas-Rhein-Gebiet dürfte die Rolle des Adels entscheidend gewesen sein. In einer Gegend, in der sich romanische und germanische Sprache und Kultur berührten, hat bei den Adligen aus beispielsweise der Grafschaft Loon oder dem Herzogtum Kleve im 12. Jh. wohl Bedarf an übersetzter höfischer Literatur aus dem Französischen bestanden. Dass im Gebiet des Niederrheins der erste namentlich bekannte Verfasser mittelniederländischer Texte, Heinric von Veldeke, Übersetzungen anfertigte, hält F. van Oostrom daher keineswegs für einen Zufall. Übrigens dürfte sich die Oberschicht in zum Teil zweisprachigen Gebieten wie Flandern und Brabant mühelos sowohl des Französischen als auch der jeweiligen lokalen mittelniederländischen Sprachvarietät bedient haben. Wollten Adlige in Flandern sich an der französischsprachigen höfischen Kultur und Literatur beteiligen, so waren sie folglich nicht auf mnl. Texte angewiesen. Vielsagend ist es diesbezüglich laut Van Oostrom, dass der flämische Graf Philipp von Elzass (vgl. 4.1.1.) kurz nach 1180 Chrétien de Troyes Auftrag erteilte, Perceval zu dichten. Sein Nachfolger Balduin von Flandern soll mehrere Troubadours sowie Hersteller von Büchern aus Frankreich an seinen Hof verpflichtet haben, Kopien von französischen Kodizes gehörten zum Besitz der flämischen Grafen. Ebenso kannten die Adligen Brabants eine französischsprachige Kultur. Die Entstehung einer mnl. höfischen Sprachkultur in Flandern und Brabant wäre daher später als in Limburg anzusetzen.

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Als unsicher gilt folglich, in welchem Ausmass die noble Gesellschaft im Süden sich mit niederländischsprachiger Literatur befasst hat, Französisch war immerhin die Kultursprache des europäischen Adels. Wie Van Oostrom darlegt, sind aber französisch-niederländische Berührungen an den Höfen anzunehmen, zudem stammen aus dem 13. Jh. eine grosse Zahl mittelniederländischer Ritterromane (vgl. 4.2.4.), darunter eine mittelniederländische Bearbeitung des Perceval-Textes. Sodann kannte die im Vergleich zu Flandern rückständige Grafschaft Holland vermutlich bereits im 13. Jh. eine niederländische höfische Kultur, die wohl auf mittelniederländische Texte angewiesen war. Immerhin weisen mehrere Ritterromane holländische Merkmale auf, so kämpfen beispielsweise Helden dieser epischen Texte mit Schildern, die mit dem Emblem des holländischen Grafen, dem roten Löwen, geschmückt sind. Dass Melis Stoke sich über den Sprachgebrauch flämischer Grafen lustig macht, die Lehnwörter wie onnoyaelhede (‚Untreue‘) oder confort (‚Trost‘, ‚Hilfe‘) verwenden würden, bestätigt allenfalls das Bestehen einer holländischen Schreibtradition. Ausserhalb der Höfe und Klöster entfaltete sich mittlerweile mit dem Wachstum der Städte gegen Ende des 12. Jh. (vgl. 4.1.2.1.) auch eine bürgerliche Sprachkultur, die sich schrittweise festigte und die Entwicklung der niederländischen Sprache und Sprachkultur bereits gegen Ende des Mittelalters entscheidend bestimmen sollte (vgl. 4.2. und 5.2.).

4.1.2. Streben nach der Vorherrschaft in den Niederlanden (1305–1482) Flandern, das als Städtelandschaft von so bedeutenden Städten wie Gent mit über 60.000 Einwohnern und Brügge mit über 40.000 Einwohnern beherrscht wurde, zählte wirtschaftlich und kulturell nach wie vor zu den bedeutendsten Gebieten des Deltas. Das Tuchgewerbe blühte, ein vermögender Kaufmann wie Jacob van Artevelde, der sich auf die Seite der Zünfte geschlagen hatte, pflegte Beziehungen mit Eduard III., König Englands, das Flandern die Wolle lieferte. Der flämische Graf Ludwig von Nevers schloss mit Wilhelm III. von Holland und Hennegau 1323 den Vertrag von Paris, der den Kampf zwischen den Avesnes und Dampierres beendete, die holländische Vorherrschaft über die Gebiete Seelands westlich der Schelde regelte und dafür holländische Machtansprüche in Flandern ausschloss. Ein Aufstand der freien Bauern 1323–1328, die antifranzösische Gefühle hegten, zwang den flämischen Grafen, die Hilfe des französischen Königs Philipp VI. von Valois anzurufen, der dann mit der Hilfe u.a. von Wilhelm III. die Bauern 1328 bei Cassel in Flandern schlug. Dennoch einverleibte Philipp Flandern, wo Jacob von Artevelde bald die Politik bestimmte, nicht. Als das Haus Kapet im gleichen Jahr ausstarb, liess Eduard III. sich in Gent zum König Frankreichs ausrufen, die französischen Reichsgenossen unterstützten aber das Haus Valois, Flandern schlug sich auf die englische Seite. Nach Seeschlachten im Ärmelkanal und vor den Küsten Flanderns sowie Seelands, womit der Hundertjährige Krieg anfing, besiegten die Engländer 1346 die französische Armee vernichtend bei Crécy. Der Unmut über Arteveldes Machtstellung in Flandern, der sich auf die Milizen der Weber stützte, hatte ein Jahr zuvor zu seiner Ermordung geführt. Erst indem Ludwig von Male die aufständischen Weber schlug, konnte er seine gräfliche Gewalt in Flandern durchsetzen. Bei der Ehe Von Males Tochter mit Philipp dem Kühnen von Burgund gab der französische König 1369 Südflandern,

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d. h. Lille, Dowaai und Atrecht, zurück. Die zentralistische Machtpolitik des Grafen beschwor Widerstände der Städte herauf, erst nach einer militärischen Auseinandersetzung gelang es 1386, Frieden mit dem aufständischen Gent zu schliessen. Der neue Machthaber Philipp der Kühne gründete sowohl eine Rechenkammer als auch einen Gerichtshof, dessen juristische Abteilung, ,Raad van Vlaanderen‘, die ab 1407 in Gent tagte, als Verhandlungssprache Niederländisch verwendete. Johann II., Herzog von Brabant, gründete bereits 1312 einen Rat der Stände, der die Interessen der Städte und des Adels wahrnahm. In der unsicheren Zeit der umstrittenen Erbfolge Jans III. machte Johanna von Brabant den Ständen weitere Zugeständnisse, zudem versprach sie, das Gebiet zusammenzuhalten. Trotz militärischer Erfolge gelang es dem Flamen Ludwig von Male nicht, seine Macht in Brabant, das einen starken Patriotismus kannte, zu festigen. Flandern erwarb allerdings nach dem brabantischen Erbfolgekrieg 1357 Mechelen und Antwerpen. Auch in Brabant setzten die Zünfte ihre Machtansprüche auf Kosten der Patrizier durch. Nach dem Tod des Herzogs suchte seine Witwe vermehrt die Unterstützung Philipps des Kühnen, insgeheim versprach sie dem burgundischen Herzog und seiner Gattin Margaretha die Erbfolge. Als Vorschuss auf die Erbschaft schenkte Johanna gegen ihr Versprechen den Burgundern Limburg. Trotz Zwistigkeiten zwischen mehreren Parteien, die sich hoeken und kabeljauwen oder schieringers und vetkopers nannten, entwickelte sich in den nördlichen Gebieten ebenfalls eine Ständegesellschaft. Nach wie vor versuchten die Grafen von Holland, das seit 1299 in einer Personalunion mit Seeland und Hennegau verbunden war, die Herrschaft über Friesland zu erlangen, 1328 hatte Kaiser Ludwig von Bayern Teile dieses Gebietes Wilhelm III. geschenkt. Inzwischen gelang es dem holländischen Grafen, seinen Einfluss im Bistum Utrecht in Absprache mit dem Herzog von Geldern zu vergrössern. Sein Sohn, Wilhelm IV. griff nach einer Belagerung Utrechts die Friesen an, fiel dann 1345 kinderlos in der Schlacht bei Warns. Kaiser Ludwig von Bayern belieh in der Folge seine Ehegattin Margaretha, älteste Schwester Wilhelms, mit Holland, Seeland und Hennegau, wo ihr minderjähriger Sohn Wilhelm V. später die Nachfolge antrat. Der neue Graf suchte nach einer vergeblichen Belagerung Utrechts Unterstützung bei den Städten und Adligen, die der kabeljauw´schen Faktion, den Gegnern seiner Mutter, angehörten. Nachdem Wilhelm V. seine Mutter besiegt hatte, kamen Holland und Seeland in seinen Besitz, später, nach dem Tod Margarethas, erhielt er auch Hennegau. Die Heiratspolitik seines Sohnes Albrecht, der dem geisteskranken Vater nachfolgte, bewirkte eine stärkere Verbindung mit dem Haus Burgund, indem ein Sohn und eine Tochter sich mit Kindern Philipps des Kühnen vermählten. Vergeblich unternahm Albrecht mit seinem Sohn Wilhelm, gestützt von den holländischen Städten, drei Feldzüge nach Friesland, wo sie mit der Faktion der vetkopers zusammenarbeiteten, 1414 räumten sie ihre letzte Eroberung Staveren. Bischof Arnoud von Horn musste 1375 dem inzwischen in Utrecht gegründeten Ständerat Mitbestimmung zugestehen, um nach seinem erfolglosen Krieg gegen Holland und Geldern die nötigen Steuereinnahmen zu erhalten. Geldern hatte im 14.  Jh. nicht nur unter den Zwisten zwischen verschiedenen Faktionen zu leiden, sondern wurde auch von Kämpfen um die Erbfolge beherrscht, zuerst zwischen den kinderlosen Brüdern Reinoud III. und Eduard. Später, als Eduard nach einem Sieg über Brabant durch einen Verräter getötet wurde und sein Bruder in der

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Haft vor Hunger gestorben war, entstand ein Streit zwischen den Töchtern Reinouds III. um die Nachfolge, die Machteld für sich entschied. Ihr Sohn Wilhelm I. von Geldern, der sich mit dem englischen König Richard II. verbunden hatte, forderte anfänglich Frankreich heraus, der darauffolgende französische Feldzug nach Geldern blieb 1388 durch das schlechte Wetter erfolglos. Zwei Jahrzehnte später wählte der Herzog Gelderns dennoch die Seite Frankreichs aus Furcht vor der zunehmenden Macht der Burgunder in den Niederlanden. Vergeblich verlangten gegen Ende des 14. Jh. städtische Patrizier die Unterstützung des Grafen Wilhelm VI. von Holland und Seeland, der auch als Herzog Wilhelm II. über Bayern-Straubing herrschte, um ihre wirtschaftlichen Interessen, u.a. auch gegen die Hanse, zu schützen. Der anhaltende Parteienstreit der hoeken und kabeljauwen, der nach wie vor kriegerische Auseinandersetzungen und Zwiste zwischen adligen Häusern, Patriziern, Zunftmitgliedern und Bauern verursachte, veranlasste den Grafen, Anschluss beim Herzog von Burgund zu suchen, der bereits einige Gebiete im Süden unter seine Gewalt gebracht hatte. Nach dem Tode Wilhelms erhob Philipp von Burgund Anspruch auf dessen Erbe, obschon die Stände Hollands Wilhelms Tochter Jacobäa als Erbfolgerin bestätigt hatten. Inzwischen hatte der Kaiser Holland und Seeland ihrem Onkel Johann von Bayern als Lehngut geschenkt. Jacobäa, die ihre Erbansprüche durchsetzen wollte, trennte sich von Johann IV. von Brabant, als dieser sich nicht gegen Johann von Bayern behaupten konnte, und heiratete den Herzog von Gloucester, Bruder des englischen Königs. Obwohl der neue Gatte ebenfalls versagte und heimkehrte, kämpfte Jacobäa weiter gegen ihren ehemaligen Ehegatten Johann von Brabant, der sich Philipp angeschlossen hatte, wurde aber gefangen gesetzt. Zwar gelang es der Erbfolgerin als Mann verkleidet zu entkommen und ihren Kampf für das Erbe fortzusetzen, dem neuen Gegner, Philipp von Burgund, war sie nicht gewachsen. Jacobäa musste laut dem Haager Vertrag 1433 ihre Gebiete an Philipp von Burgund abtreten, der inzwischen die Grafschaften des 1425 vergifteten Johann von Bayern geerbt hatte. Mit dem Tod Jacobäas endete 1436 die Vorherrschaft der Linie Straubing-Holland des Hauses Wittelsbach im Deltagebiet. So war der vornehmlich in Gent aufgewachsene Philipp, der nach dem Mord an seinem Vater 1419 Herzog beziehungsweise Pfalzgraf von Burgund und Graf von Flandern sowie Artois geworden war, in den Besitz Hollands, Seelands und Hennegaus geraten. Er dehnte seine Gebiete u.a. mit Eroberungen in der Picardie aus und verpflichtete den französischen König Karl VII. mit dem Vertrag von Arras 1435, ihm sämtliche Gebiete, die er mittlerweile unter seine Gewalt gebracht hatte, zu übertragen. So strebte Philipp ein völlig unabhängiges burgundisches Reich an, das Gebiete bis an die Nordseeküste umfasste. Eine zentralistisch geführte Verwaltung, die auch in den Niederlanden allmählich die alten feudalen Machtverhältnisse ersetzte, leitete die Entstehung neuer staatlicher Strukturen im Deltagebiet ein. Philipp regierte sein Reich von der Hauptstadt Brüssel aus, ein Kanzler, ein Grossrat und legisten, Beamte, darunter Juristen, die an der Universität Löwen (vgl. 5.1.2.1.) studiert hatten, standen ihm zur Seite. Die angesehensten Adligen seiner Länder wusste Philipp an sich zu binden, indem er ihnen hohe Ämter vergab und sie in den 1430 von ihm gegründeten Orden vom Goldenen Vlies aufnahm. Statthalter verwalteten die einzelnen Gebiete, regionale Staten (‚Stände‘) und Stadtverwaltungen erhielten beratende Aufgaben. Zur Erhebung der Steuer rief Philipp gelegentlich die Staten-Generaal (‚Generalstaaten‘) in Brüssel zusammen, um über die Bede des Landesherren zu beraten. Diese

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Zusammenkünfte förderten die Kontakte zwischen den niederländischen Provinzen, die allerdings zu dieser Zeit noch keine Einheit bildeten. Philipps Sohn Karl der Kühne führte ab 1467 die zentralistische Politik Philipps weiter. Weniger bedächtig als sein Vater mischte er sich in lokale Zwiste, so in Lüttich und in Geldern ein, gegen den Willen seiner Untertanen gründete er einen überregionalen Gerichtshof, das Parlement van Mechelen und zentralisierte die Rechnungskammer. Während überstürzter Verhandlungen mit Kaiser Maximilian versuchte er vergebens den Königstitel zu erlangen. Eine erfolglose Belagerung von Neuss, Auseinandersetzungen sowohl mit Sigismund von Österreich als auch mit der Eidgenossenschaft, welche die Reichsstädte im Elsass in ihrer Auflehnung unterstützte, aber auch der Streit mit René von Lothringen über die Erbfolge schafften Karl viele Feinde. Zwar gelang es ihm, durch die Eroberung des Herzogtums Lothringen 1475 sein Gebiet beträchtlich zu erweitern und die Niederlande mit Burgund zu verbinden, dass aber misstrauische Gegner, so Ludwig XI. von Frankreich, sich gegen ihn verbündeten, sollte sein Verhängnis werden. Bereits 1474 hatten die Eidgenossen ein burgundisches Heer besiegt, weitere helvetische Burgunderkriege führten zu Karls Untergang. Bei seinem Versuch, Lothringen zurückzuerobern, gelang es Herzog René mit seinem eidgenössisch-lothringischen Heer, die burgundischen Truppen 1477 vernichtend zu schlagen, Karl fiel. Karls Reich brach auseinander, Lothringen und Geldern wurden selbstständig, Ludwig XI. brachte angrenzende Gebiete, so Burgund und Picardie, unter die französische Krone. Verhandlungen Kaiser Friedrichs III., der weitere Gebietserweiterungen Frankreichs verhindern wollte, führten 1477 in Gent zur Vermählung seines Sohnes Maximilian mit Maria, der einzigen Erbin Karls. Die in Brüssel aufgewachsene Braut, die Latein, Geschichte und Musik studiert hatte und zudem Reiterin und Jägerin war, sprach, wie wohl eine Mehrheit der Adligen in den Niederlanden (vgl. 4.1.1.2.), fliessend Französisch und Niederländisch. Um die notwendige finanzielle und militärische Unterstützung der Generalstaaten für ihren Kampf gegen die Franzosen zu erhalten, gewährte Maria den Niederlanden 1477 das Grosse Privileg (vgl. 4.2.3.), das die Selbstverwaltung der Provinzen absicherte. Fortan durften die Stände nach eigenem Gutdünken zusammenkommen, Provinzen konnten nicht mehr gezwungen werden, einer Bede zuzustimmen, zur Kriegsführung brauchte ein Fürst die Bewilligung der Stände. Niederländisch wurde neben Französisch als Amtssprache eingeführt, Briefe der Verwaltung mussten in den niederländischsprachigen Provinzen auf Niederländisch abgefasst werden. Maximilian und die Nachkommen sollten das burgundische Erbe ihrer Vorfahren in Ehren halten. So wuchsen die Kinder in Gent auf, Marias und Maximilians Sohn Philipp der Schöne war nach Philipp dem Guten benannt. Da die Vermählung Marias mit Maximilian das burgundische Erbe, so auch die Niederlande mit der Hausmacht der Habsburger verband, sollte sie weitreichende Folgen für die Geschichte der Niederlande bekommen (vgl. 5.1.). 4.1.2.1. Aufkommen der Städte, bürgerliche Sprachkultur Inzwischen hatten sich seit dem 10. Jh. im Süden an Flüssen und Meeresarmen wirtschaftliche, administrative und kirchliche Zentren zu städtischen Siedlungen entfaltet wie Brügge, Gent, Antwerpen oder Maastricht (vgl. 4.3.4.1.). Sodann entstanden laut u.a. E. Beukers im Laufe des

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11. und 12. Jh. weitere Städte im Hinterland, so Kortrijk, Aalst, Brüssel und Löwen. Auch im Umkreis alter Burgen, die zur Verteidigung gegen die Wikinger gedient hatten, wuchsen Siedlungen, zudem förderten die Grafen von Flandern und Geldern sowie die Herzöge von Brabant den Bau politischer und wirtschaftlicher städtischer Zentren wie ’s-Hertogenbosch und Eind­ hoven in Brabant, Roermond, Doetinchem und Lochem in Geldern oder Grevelingen, Nieuwpoort und Damme an der Nordseeküste Flanderns. Im Südosten Flanderns und Brabant wuchsen weitere Städte heran, im Norden entwickelten sich hinter den Dünen der Nordseeküste Städte wie Leiden, Haarlem und Alkmaar, ’s-Gravenhage (‚des Grafen Gehege‘, ‚Haag‘), das keine Rechte erhielt, bestimmte Wilhelm II. zu seiner Residenz. Ab dem letzten Viertel des 13. Jh. entstanden mehrere Hafenstädte in Holland, so Enkhuizen, Amsterdam, Gouda und Rotterdam, weiter südlich ebenso Goes und Vlissingen. Später, im 14. Jh. entwickelten sich in Friesland zudem städtische Siedlungen an den Flüssen und an der Küste, schliesslich wurden auch alte Dorf-Warfen (vgl. 2.1.1.) wie Dokkum, Leeuwarden und Bolsward zu Städten. Bereits im 11. und 12. Jh. erhielten etwa zwei Dutzend grössere Wohnsiedlungen im Süden Stadtrechte, wozu Nieuwpoort, Brügge, Gent, Ypern und Kortrijk zählen, im Norden hingegen waren dies nur einige wenige Orte wie Utrecht, Zutphen, Deventer oder Stavoren. Die Zahl der Orte, denen dieses Privileg zugesprochen wurde, erhöhte sich im 13. Jh. stark, als insgesamt an die hundert weitere Wohnsiedlungen im ganzen Gebiet Stadtrechte erhielten. Erste städtische Beamte, ernannt vom Landesherren, besorgten Rechtspflege und Verwaltung. Nach und nach fielen dem schout (‚Schultheiss‘) und schepenen (‚Schöffen‘) polizei­liche und gerichtliche Aufgaben zu, poortmeesters oder raden (‚Stadträte‘) kümmerten sich um die Stadtmauern und Verwaltungsaufgaben. Dazu liessen sie sich von den reichen und weisen poorters (‚Stadteinwohnern‘) beraten, die sich im Laufe der Zeit als vroedschap (‚Rat der Weisen‘) einrichteten. Handel und Gewerbe bestimmten den Alltag vieler Stadtbürger, Zünfte organisierten mit einem System von meesters (‚Meistern‘), gesellen (‚Gesellen‘) und leerlingen (‚Lehrlingen‘) das Handwerk. In der Regel lenkte die Stadtverwaltung die Geschicke der Zünfte, die wirtschaftlich und gesellschaftlich wesentlich zum öffentlichen Leben beitrugen und sich manchmal gar politisch durchsetzten, so kümmerten sich Antwerpener Zunftmitglieder um Handelskonflikte mit England. Das Aufkommen der Städte im Mittelalter geht mit einer zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung des Bürgertums einher, das immer mehr auch die niederländische Sprache und Sprachkultur prägen sollte, vgl.  auch 4.1.3.2. Ab 1256 benutzte man in den Städten im Südwesten, später auch in Brabant und Holland in der Verwaltung und bei der Anfertigung von Urkunden Niederländisch neben Latein. Es lässt sich unter den Bürgern eine Professionalisierung der Schreibkultur feststellen, so erledigten scrivijns (‚Schreiber‘) wie Jan de Clerc, Lievin de Scrivere oder Johannes Stulpaert im letzten Viertel des 14. Jh. in ihren ‚Schreibhäuschen‘ in Gent Schreibarbeiten, sie verfassten Bittgesuche und Verteidigungsschriften oder machten Inskriptionen. Einige dieser Schreiber haben nach 1400 laut Van Oostrom aber auch an einer der bedeutendsten mnl. Handschriften, dem Comburger Kodex, gearbeitet. Vermehrt lernten die Bürger, auch wegen des Bedarfs an Schreibern zur Erledigung der Geschäftskorrespondenz, die Kunst des Schreibens, Schulungsmöglichkeiten verbesserten sich (vgl. 4.1.2.2.).

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Sodann deutet vieles darauf hin, dass die Zahl gebildeter Bürger, die lesen konnten, zunahm. So sind von Van Maerlant an die hundert Kodizes mit anspruchsvollen Texten aus dem 14. Jh. überliefert, die wohl für eine grössere Anzahl geübter Leser bestimmt waren. Vermehrt befassten sich Bürger mit geschriebenen Texten; so geht aus Untersuchungen mittelalterlicher Inventarlisten aus Gent beispielsweise hervor, dass nicht nur Adlige und Geistliche Bücher besassen, sondern auch mancher Bürger. Übrigens hatte man nicht selten nur ein einziges Buch in seinem Besitz, das dann ein Kompendium diverser Texte umfassen konnte. Dass laut Van Oostrom ein gewisser Jan Wasselins, von Beruf Brauer, 1388 gar dreissig niederländische Bücher, eine Bibel in Vlaemsche (‚auf Flämisch‘) inbegriffen, hinterliess, dürfte allerdings die Ausnahme gewesen sein. Sicherlich bestand unter den Bürgern Bedarf an Büchern, was beispielsweise die Geschäftstätigkeit eines gewissen Godevaert de Bloc belegt, der laut Van Oostrom ab 1370 einen Buchladen an der Bergstraat in Brüssel führte, wo Kopisten übrigens auch Schreibwaren kaufen konnten. Bestehendes Interesse an Büchern geht weiter aus dem Geschäft eines Unternehmers namens Jan de Clerc in Gent hervor, der die Bücherei einer Schwester des Gasthauses von Ypern angekauft hatte: gegen Tagestarife vermietete er seinen Mitbürgern die zirka dreissig Handschriften, die auch epische Literatur enthielten, zum Kopieren oder zum Lesen. Offenbar war die Nachfrage gross, denn er beschaffte sich für sein Geschäft weitere Bücher und leistete sich ein Haus aus Stein. Schliesslich belegt die Geschäftstätigkeit eines gewissen Everart Taybaert das Interesse der Bürger am geschriebenen Wort: der Schumacher mietete 1403 einen Saal, wo das Publikum gegen Bezahlung von ihm organisierte Vorlesungen erleben konnte, die benötigten Bücher mietete er laut Van Oostrom vom erwähnten Jan de Clerc. Nach Berteloot ist davon auszugehen, dass sich in bürgerlichen Kreisen der wirtschaftlich starken Städte ein literarisches Interesse entfaltet hatte, was sich beispielsweise in der Adaption höfischer Dichtung äusserte. Überlieferte Texte weltlichen und geistlichen Theaters, sproken (‚kleinere Verserzählungen‘), Gebete auf Reim oder Weihnachtslieder zeugen von einer vermehrt von den Bürgern geprägten mittelniederländischen Sprachkultur. Sogar Amateure wie Jan, Willem, Hendrik und Godfried versuchten Gedichte zu schreiben, wie Lodewijk van Velthem laut Van Oostrom beanstandet. Es sind dies Vorboten einer entstehenden bürgerlichen literarischen Kunst, welche die Mitglieder der Rhetoriker-Kammern ab zirka 1400 kultivieren sollten (vgl. 4.1.3.2.). 4.1.2.2. Unterricht Von Alters her betreute die Kirche den Unterricht, Klosterschulen förderten nicht nur die Unterweisung des Lateinischen, die Sprache der Kirche und der Universität, sondern unterrichteten sämtliche sieben ‚freien Künste‘ des Triviums und des Quadriviums, Fächer, die Andreas Capellanus im 12. Jh. wegweisend beschrieben hatte. Durch den Bedarf an Ausgebildeten bei unterschiedlichen Berufsgruppen entstanden bereits im 12. Jh. unter Obhut der Kirche beziehungsweise des Domkapitels zuerst im Süden, beispielsweise in Gent und Ypern, dann auch im Norden städtische Schulen, so die Schulen der Domkapitel Lüttichs und Utrechts oder der Kapitel Sankt Pieter in Löwen und Sankt Maarten in Groningen. Allmählich sollte die Mehrheit der grösseren Kirchengemeinden in den Niederlanden über Schulen verfügen, wie dies das vierte Laterankon-

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zil 1213–1215 mit der Anordnung verlangt hatte, jede Kathedrale und Kirche, die einen Lehrer entschädigen könne, errichte eine öffentliche Schule für Mitglieder der Klerus. Zudem bildeten Abteischulen junge Menschen für den Nachwuchs aus. Als die höfischen Romane um 1150 entstanden (siehe 4.1.1.2.), konnte ein Teil der Adligen vermutlich weder lesen noch schreiben, sie liessen sich, zumeist von Geistlichen, vorlesen, Schreiber verfassten für sie Urkunden und Briefe. Für den grössten Teil der Bevölkerung erfolgte die Vermittlung von mehrheitlich religiösen und literarischen Texten ebenfalls mündlich. Erst im 13. Jh. konnte ein Teil der Angehörigen des Adelsstandes lesen und schreiben, sodann begannen Anfang des 14. Jh. die angesehenen Bürger sich vermehrt schriftlich zu verständigen, was aus Urkunden und Chroniken hervorgeht. Die zunehmende Zahl von Texten bedeutet übrigens nicht, dass die Gruppe Menschen, die Lesen und Schreiben beherrschte, dementsprechend wuchs. Bei der schrittweisen Alphabetisierung der Bevölkerung erfüllte der scholasticus‚ ‚Schulmeister‘, des Kapitels, der das privilegium fori besass, entscheidende Aufgaben: er unterrichtete, prüfte und strafte seine Zöglinge, Aufgaben, die der cantor, ,Kantor‘, manchmal übernahm, so in Brügge und in ’s-Hertogenbosch. Grössere Schulen hatten temporäre Hilfsschulmeister, nicht selten Vaganten im Dienst. Der Rektor unterrichtete die höchste Klasse, die sich nach Wissensstand und nicht nach Alter zusammensetzte. Sodann beaufsichtigte er den Unterricht anderer Schulen, wie die städtischen Volksschulen für Jungen und Mädchen, die französischen Schulen und die kaufmännischen Schulen, nur die Ausbildung der Handwerker oblag in der Regel den Zünften. Kinder mittelloser Eltern konnten gratis Unterricht erhalten oder wurden von religiösen Organisationen unterstützt. Im Gegensatz zu den Klosterschulen unterrichteten die Pfarrei-Schulen nur noch die Fächer des Triviums: Grammatik, Rhetorik und Dialektik. Für die lectio (‚Lektion‘) und die praelectio (‚Vorlesung‘) benutzten die Lehrer Handschriften, sie lehrten grammarien ende logiken, das heisst Syntax, Wortarten, Rhetorik und Metrik, wozu sie vorzugsweise das um 1199 von Alexander de Villa Dei verfasste Doctrinale benutzten. Davon sind allein schon über vierzig Deventer Editionen aus den Jahren 1484 bis 1511 überliefert. Die Schüler, die sich auf Lateinisch zu unterhalten hatten, lasen Cato, Vergil, Horaz, Ovid oder Aesop. Ausser interni, Kindern des städtischen Grossbürgertums, besuchten auch die von aussen kommenden extranei, die bei Bürgern oder Geistlichen einwohnten, die Schule, zudem beteiligten sich bursae, die finanziell unterstützt wurden, am Unterricht. Nach Abschluss des Triviums konnte der baccalaureus, weibliche Studierende gab es nicht, an der Universität das Studium des Quadriviums aufnehmen, das die vier freien Künste arithmetica, geometria, musica und astronomia umfasste. Dazu musste er sich bis zur Gründung der Löwener Universität 1425 an einer ausländischen Universität, beispielsweise in Paris, Köln oder Bologna immatrikulieren. Anfänglich übernahm eine Stadt eher selten die bestehende Pfarrei-Schule, so in Mechelen. Ab dem 14. Jh. kam es aber immer häufiger vor, dass die weltliche Obrigkeit, sei es eine Stadt, sei es ein Graf, sich um die Schule kümmerte, den Unterricht für grosse Gruppen Bürger zugänglich machte, den Rektor ernannte, Schulgelder wie Gehälter festlegte und das Gebäude verwaltete. Wenn eine Stadt die Pfarrschule in eigene Verwaltung nahm, manchmal erst nach Auseinander­setzungen über die Besitzverhältnisse, versuchte sie diese meistens mit der

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Ernennung von ausgewiesenen Rektoren zu fördern und ihre Stellung zu stärken, indem sie die Entwicklung anderer Schuleinrichtungen hinderte. Dass es sowohl in den Städten wie auch in vielen Dörfern Schulen gab, zeigen die folgenden, willkürlich gewählten Beispiele: Farmsum (1232),Wittewierum (1280?), Kampen (1302), Leiden (1324), Den Haag (1367), Deventer (1386), Turnhout (1398). Die Verbreitung von Schulen entspricht Jacob van Maerlants Wunsch, den er 1266 wohl anlässlich des Amtsantrittes des zwölfjährigen Floris V. (siehe 4.1.1.) niederschrieb, der Herrscher möge Schulen in den Städten seiner Herrschaftsländer gründen und die Kinder seines Landes unterrichten lassen, zudem seien ihre Hände zu füllen, wenn sie arm wären: In steden dire moghenthede / Mac scolen, ende doe leren mede / Die kinder van dinen lande. / Sijn si arem, vul hem die hande. (JMH, 731–734). Neben den ‚grossen Schulen‘ mit Lateinunterricht entstanden ab dem 13. Jh. Volksschulen, wo die Schüler in der Muttersprache Buchstabieren, Lesen, Schreiben und Rechnen lernten. Die Schulmeister, die in der Regel Nebenberufe wie Schuster, Küster oder Gastwirt ausübten, hielten zu Hause Schule, sie benutzten für den Leseunterricht handgeschriebene Texte. Münzen dienten dazu, das Rechnen zu lehren, Schiefertafeln kamen beim Schreibunterricht zum Einsatz. Manche Schule kannte zudem gewerbliche Ausbildungsmöglichkeiten. Mädchen, die nicht selten bei Beginen und Klosterschwestern in die Schule gingen, konnten manchmal auch Weben, Nähen, Spinnen oder Klöppeln lernen. Wie erfolgreich die Duytsche (‚niederländische‘) Schule war, lässt sich so schwierig einschätzen wie die Zahl der Menschen, die im hohen und späten Mittelalter lesen beziehungsweise schreiben konnten. Was sagen diesbezüglich zum Beispiel Namenlisten aus, die zum Teil mit Kreuzen statt mit Namen ausgefüllt sind? Fest steht, dass der Handel, der immer mehr ausgebildete Menschen brauchte, im späten Mittelalter die Erziehung vorantrieb. Auch die Teilnahme der Bürger an den Aktivitäten der Rhetoriker-Vereine, die den Gebrauch des überregionalen Niederländischen in der Lyrik und auf der Bühne stark förderten (siehe 4.1.3.2.), dürfte die Schulung ihrer Kinder begünstigt haben. Zudem nahm die Zahl der Primarschulen im späten Mittelalter rasch zu. Die broeders des gemenen levens (‚Brüder des Gemeinen Lebens‘), die auch für Kinder der Ärmsten Häuser öffneten, kümmerten sich ab der Mitte des 14. Jh. ebenfalls um die Erziehung. Dabei betonten sie die christlichen Tugenden nach der Lehre der Devotio Moderna, einer von Geert Grote (1340–1384) in Deventer gegründeten Bewegung, die sich gegen Auswüchse des Klerus wehrte und die eigene Rechenschaft des Menschen für sein Seelenheil predigte. Insbesondere durch die Bibelexegese von Geert Grote und die Erweiterung des Lehrstoffes mit Philosophie und Ethik durch Johan Cele, Rektor der lateinischen Schule in Zwolle, prägte die Bewegung, die in Europa, namentlich auch in der hanseatischen Welt und im Ostseegebiet grosse Beachtung fand, die Erziehung und Auffassungen von Generationen von Schülern, Bürgern und führenden geistlichen wie weltlichen Persönlichkeiten. Förderte die Devotio Moderna mit ihren Auffassungen von eigener Verantwortung des Menschen eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem Klerus, brachen erst die Humanisten gegen Ende des 15. Jh. in Städten wie Löwen, Deventer, Brügge oder Antwerpen mit der von der geistlichen Autorität geprägten mittelalterlichen Erziehungstradition. Sie begannen die Ausbildung zu erneuern, indem sie sich am klassischen Latein orientierten, Griechisch einführten, Kennt-

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

nisse der Muttersprache verlangten, klassische Literatur lehrten und gute Sitten sowie Ehrfurcht vor Gott förderten. Laut Erasmus von Rotterdam sei es immerhin Ziel der Erziehung, die Schüler mit schöner Literatur und mit Christus zu ‚tränken‘. Die humanistischen Auffassungen zur Erziehung und Ausbildung setzten sich in der frühen Neuzeit durch, sie sollten die Pflege der Muttersprache begünstigen (siehe 5.2.1.2.).

4.1.3. Politische Wende während Maximilians Regentschaft

(1482–1493)

Als Maria von Burgund, nachdem sie bei der Jagd vom Pferd gestürzt war, am 27. März 1482 in Brügge starb, endete die Epoche der burgundischen Herrschaft in den Niederlanden endgültig. Ihr Gatte, Maximilian von Österreich, übernahm die Vormundschaft über die beiden Kinder, um als Regent seines Sohnes Philipp des Schönen über die Erblande zu herrschen, nachdem die Ständevertreter Hennegaus, Hollands und schliesslich auch Brabants während der Versammlung der Generalstaaten im April 1482 in Gent dazu zögernd ihre Einwilligung gegeben hatten. Da es dem französischen König Ludwig XI. gelang, mit Eduard IV. einen Waffenstillstand abzuschliessen, währenddessen in Lüttich, Geldern und Utrecht Unruhen ausgebrochen waren, gab Maximilian dem Druck des vereinigten Landtages nach, mit Frankreich Frieden zu schliessen. Der am 23. Dezember 1482 in Atrecht unterschriebene Vertrag hielt die künftige Vermählung von Maximilians dreijähriger Tochter mit dem dreizehnjährigen Dauphin Karl VIII. fest; die Aussteuer, die u.a. Artesien und Burgund umfasste, kam unmittelbar in den Besitz des französischen Königs. Damit verzichteten die Niederlande auf fast ein Drittel der burgundischen Erbländer. Nachdem er einen Aufstand in Flandern, geführt von Jan van Coppenholle aus Gent, unterdrückt hatte, versuchte der im Jahr 1486 zum römischen König gewählte Maximilian vergebens, das burgundische Erbe zurückzuerobern. Inzwischen widersetzte Flandern sich erneut kostspieligen militärischen Abenteuern Maximilians. Gent begann eigene Münzen, die ‚Coppenollen‘ zu schlagen, die Aufständischen sperrten gar den König in Brügge ein. Erst als Karl VIII. die Aufständischen laut dem mit Maximilian geschlossenen Waffenstillstand nicht weiter unterstützte, unterwarfen die Flamen sich 1489. Die Unruhen in Teilen Hollands konnte Statthalter Albrecht von Sachsen leicht unterdrücken, mit der Enthauptung Jan Coppenholles ergab sich auch Gent. Flandern, Artois, Brabant, Limburg, Namur, Luxemburg, Hennegau, Holland und Seeland anerkannten 1492 Philipp als ihren Landesherrn, Karl von Egmond wurde Herrscher über Geldern und Zutphen. Das Friedensabkommen von Senlis, 1493, setzte der politischen Krise in den Niederlanden ein Ende. Maximilian, der sich mit der Rückgabe von nur einigen durch die Franzosen besetzten Gebieten wie Artesien und Franche-Comté begnügte, konnte sich nun als römischdeutscher Kaiser den übrigen Interessen seines Reiches widmen. Diverse Schichten der Bevölkerung, darunter sowohl Adlige als auch Handwerker, lebten im 15. Jh. unter dürftigen Umständen. Vor allem auf dem Lande, in den Dörfern und kleineren Städten hatten die Menschen schwer unter den bürgerkriegsähnlichen Umständen zu leiden. Die Lebensbedingungen verschlimmerten sich im letzten Viertel des 15. Jh. durch die Geldpolitik

4.1. Geschicke der Lehen in den Niederlanden

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der Fürsten, die ihr Einkommen mit einer Steigerung der Prägung von Münzen zu vergrössern wussten. Der anwachsende devaluierte Geldvorrat, der durch die von Aufständischen geprägten Münzen in Städten wie Gent, Löwen oder Brüssel noch zunahm, trieb die Preise in die Höhe. Die stockende Zufuhr von Getreide führte zu Hungersnöten, Missmut machte sich unter den Bewohnern breit, aufständische Gefühle wurden geschürt. Erst 1492 sollte Maximilian mit einer Revaluation die Entwertung des Geldes bekämpfen, wodurch die Getreidepreise fielen. Inzwischen dehnten sich die Handelsaktivitäten in den Niederlanden aus, die Wirtschaft wuchs, wovon die grösseren Städte profitierten. Antwerpen, das Brügge wirtschaftlich überholt hatte, zählte inzwischen über 100.000 Einwohner. Der Güterumschlag von überseeischen Waren stieg, vor allem dank der in der Brabanter Hafenstadt angesiedelten Portugiesen. Der Absatz von englischem Tuch zog Kaufleute aus allen Himmelsrichtungen an, die in eigenen Zünften, wie in den englischen und in den portugiesischen ‚naties‘, zusammenarbeiteten. Zudem wuchs die Stadt an der Schelde zu einem Finanzzentrum mit einer eigenen Börse heran. Allmählich nahm auch die wirtschaftliche Bedeutung von Amsterdam zu, was hauptsächlich dem Handel mit den Städten an der Ostsee zu verdanken war. 4.1.3.1. Handschriften Nur eine geringere Zahl der vielen Hunderten überlieferter Handschriften enthalten mnl. Epik, didaktische Werke oder Chroniken, dagegen umfassen bedeutend mehr Kodizes religiöse Texte wie Bibelübersetzungen, mystische Schriften, Predigten oder Breviere. Sie alle liefern zusammen mit den Urkunden das Material, das den Gegenstand der Sprachgeschichte des Mnl. darstellt. Die Herstellung von Handschriften, die bereits zu Zeiten Karls des Grossen stark gefördert wurde (vgl. 3.1.2.) und auch in den Niederlanden eine reiche Tradition kannte, erhielt im 14. Jh. einen weiteren Auftrieb, wie Van Oostrom erörtert. Dieser ist der Verwendung einer neuen Schrift zu verdanken, welche die klassische littera textualis allmählich ablöste. Ein Kopist, der letztere gotische Schrift benutzte, musste für jedes neue Schriftzeichen die Feder jeweils zuerst anheben und dann neu ansetzen, so konnte er an einem Tag wohl kaum mehr als ein folium kalligrafieren. Wie vornehm das Ergebnis des monniken werks (‚mönchischer Arbeit‘, ‚Plackerei‘) übrigens sein konnte, zeigt beispielsweise die Beatrijs-Handschrift (vgl. Farbb. IV). Die neue Schrift, die littera cursiva‚ buchstäblich ‚rennende Schrift‘, die sich in den Niederlanden bereits früh entwickelte, erlaubte es, schneller zu schreiben, eine kultivierte Kursivschrift verbreitete sich rasch. Auch die zunehmende Verwendung von Papier gestattete eine Erhöhung der Buchproduktion. Erst seit dem 11. Jh. wurde in Europa aus der arabischen Welt eingeführtes Papier in Kanzleien benutzt, die eigene Herstellung von Papier erfolgte viel später, nördlich der Alpen wurden erst in der zweiten Hälfte des 14. Jh. Papiermühlen gebaut. Allmählich gelang es nun, Papier im Vergleich zur Anfertigung von Pergament rascher und preisgünstiger herzustellen. Bevorzugten Geistliche nach wie vor Pergament für ihre religiösen Schriften, ausserhalb der Klöster wurde, wie Van Oostrom darlegt, Papier gebräuchlich, wovon beispielsweise die Handschrift-Van Hulthem zeugt. Diese Sammelhandschrift, die K. van Hulthem 1811 auf einer Versteigerung gekauft hatte, zählt zu den bedeutenden mnl. Quellen. Der vermutlich um 1405 hergestellte Kodex besteht aus

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

zirka zweihundertfünfzig Papierseiten, die jeweils in zwei Spalten von durchschnittlich fünfzig Zeilen gegliedert sind. Er enthält mit weltlichen Theaterstücken (4.2.4.) wie u.a. Esmoreit, Gloriant oder Lantsloot, der Hagiografie Van sente Brandane, Legenden wie Dboec vanden houte und Theophilus oder dem Ritterroman Die borchgravinne van Vergi einen Schatz an Sprachmaterial. Übrigens hinterliess der Bibliophile Van Hulthem mehr als 76.000 Bücher, die die neugegründete Königliche Bibliothek Brüssel 1836 ankaufte. Weiter enthält die 1805 von F.D. Gräter entdeckte umfangreiche Comburger Handschrift, die vermutlich zwischen 1380 und 1425 in Gent angefertigt wurde (vgl. 4.1.2.1.), zirka fünfzig mnl. Texte, so neben Werken von Jacob van Maerlant auch Jan van Boendales Der Leken spieghel, sodann Die rose, weiter die Hagiografie Van sente Brandane, ebenfalls eine Fassung des Van den vos Reynaerde und die Rijmkroniek van Vlaanderen. Auch diese Pergamenthandschrift, die 346 folia umfasst, ist für die Literatur- und Sprachgeschichte von unschätzbarem Wert. Sodann enthält die 1840 entdeckte Gruuthuse-Handschrift, benannt nach dem ersten bekannten Besitzer, dem Buchsammler Lodewijk van Gruuthuse (zirka 1422–1492), wertvolles Sprachmaterial. Der Kodex, der von Ende des 14. Jh. stammt, ist mit seinen 170 Liedern, Gedichten und Gebeten von einer grösseren Zahl mnl. Texte die einzige Quelle. Im Laufe des 19. Jh. entdeckten mehrere Forscher, so u.a. P.H.G. Iterson, F.J. Mone und D.J. van der Meersch, in Klöstern und Kirchen weitere Texte. Auch fand man in Buchbänden Fragmente von Handschriften mit mnl. Texten, so brachte W. Holtrop 1840 Teile des Roelantslied (‚Rolandsliedes‘) und des Karel ende Elegast ans Licht. Zu den zahlreichen weiteren Funden zählen vollständige beziehungsweise teilweise überlieferte Texte wie u.a. Leven van Sint Lutgart (1840 durch J.H. Bormans), Sint Servatius (1856 durch A. Gillet), Spiegel Histo­riael (1869 durch F. von Hellwald) oder Historie van Troyen (1871 durch J.A. Wolff). Ein von H. Degering 1908 im Schloss Dyck bei Neuss entdeckter Kodex, die Dyckse-Handschrift, umfasst Der naturen bloeme von Jacob van Maerlant sowie eine Fassung von Van den vos Reynaerde. Schliesslich ist Willem de Vreese zu nennen, der während seiner vielen Erkundungsfahrten durch niederländische, belgische und weitere europäische Bibliotheken und Privatsammlungen zahlreiche Kodizes und Handschriftenfragmente entdeckte. Seine umfangreiche mnl. Bibliotheca Neerlandica Manuscripta umfasst zirka 11.000 Beschreibungen solcher Quellen. Die Herausgabe mnl. Quellen, so beispielsweise die 15-bändige Veröffentlichung amtlicher Dokumente und literarischer Texte bis 1301 von Maurits Gysseling kommt in 4.2. zur Sprache. Die Herstellung gedruckter Texte, die Mitte des 15. Jh. einsetzte (vgl. 5.1.2.2.), sollte auch in den Niederlanden die jahrhundertealte Kultur der Anfertigung von Handschriften rasch ablösen. Mit der Veröffentlichung des ersten gedruckten Buches in niederländischer Sprache 1477, der Delftse Bijbel (‚Delfter Bibel‘, vgl. Farbb. V) begann ein neues Zeitalter in der schriftlichen Überlieferung des Niederländischen. 4.1.3.2. Rhetoriker-Kammer Die wie Zünfte organisierten rederijkerskamers (‚Rhetoriker-Kammern‘) fanden sich zuerst in den Städten und Dörfern der südlichen Provinzen, später auch im Norden. Unter der Führung eines künstlerischen Leiters oder factors verfassten die Angehörigen dieser literarischen Gesell-

4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät

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schaften wie die Meistersinger Prosa, Lyrik und Theater. Die Rhetoriker trafen sich in eigenen Räumlichkeiten, kamers, um zu schreiben und vorzutragen (vgl. Farbb. VIIa). Als Schutzherr, mit dem Titel prince oder keyser, kümmerte sich eine angesehene Person um die Kammer; einem Vorstand, der mitunter einen Vorsitzenden (deken) und einen Schatzmeister (fiscaal) umfasste, oblag die Leitung der Kammer. Jede Kammer hatte einen Namen, ein Wappen (blazoen) und eine Devise (devies). So lautete die Devise der Antwerpener Kammer De Violieren (‚Die Levkojen‘): Wt jonsten versaemt (‚Aus Zuneigung zusammengetroffen‘). Die Amsterdamer Kammer De Eglantier (‚Weinrose‘) hatte als Schlagzeile In liefde bloeyende (‚In Liebe blühend‘), der Wahlspruch der Haarlemer Kammer De Pelicaen (‚Der Pelikan‘) hiess Trou moet blycken (‚Treue muss sich zeigen‘). Die rederijkers führten regelmässig Wettbewerbe durch, öfters fanden grosse literarische Wettkämpfe, sog. landjuwelen, zwischen den Kammern der Städte in den Provinzen der Niederlande statt. So organisierte De Violieren berühmte Wettbewerbe in Antwerpen, namentlich in den Jahren 1496 und 1561. Häufig unterstützten die Stadtverwaltungen die Kammern, die ihrerseits nicht selten mithalfen, Prozessionen, fürstliche Empfänge, Bogenschützenfeste und Umzüge zu organisieren. Ihre Blütezeit erlebten sie im 16. Jh. mit über 200 solchen Vereinen. Als mancher Rhetoriker sich aber mit der Reformation einliess, schritten die Behörden gegen vermeintliche Ketzerei vereinzelter Kammern ein. Trotz Verboten, die gelegentlich auch in den nördlichen Provinzen erfolgten, blieben die Rhetoriker vielerorts bis ins 18. Jh. tätig. Mit ihrer moralisierenden Dichtung stellten die rederijkers, Rhetoriker, gerne ihre technischen Fähigkeiten unter Beweis. Ihre häufig allegorischen Gedichte, Balladen und Theaterstücke umfassten komplizierte Sprachgebilde wie Rondeaus, strophische Gedichte mit Endkehrreimen, ja sogar Gedichte in Gestalt von Schachbrettern (vgl. 4.3.1.3.), die erst während einer Schachpartie ihre Form erhielten. Diese beliebte bürgerliche Literatur zeichnete sich durch eine ausgefallene Sprachverwendung mit fremden Ausdrücken und Lehnwörtern aus, die von der Bewunderung für die antike und die fremdsprachige Literatur zeugen. Literatur zu 4.1.: Van der Bauwhede 2012; Bekkering et al. 1989; Berteloot in: Grüttemeier et al. 2006; Beukers in: De Bosatlas 2011; Blockmans et al. 1997; Blom 1997; Deschamps 1972; Geyl 1948/59; Israel 1995; Jansen et al. 1988; Mak 1959; Mostert 1998; Mostert 2009; Van Oostrom 1989; Van Oostrom 2006; Van Oostrom 2013; Pleij 2007; Reynebeau 1995; Van der Sijs 2006; Van der Wal 1993; Weijers 1987; Westgeest 1987; Willaert 2010a; Willaert 2010b; Willemsen 2008; Willemyns 1979.

4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät Seit Mitte des 12  Jh. sind umfangreichere, mittelniederländische Texte überliefert, die sich sprachlich systematisch von altniederländischen Quellen unterscheiden (vgl. 4.4.). Sie entstanden in einem Zeitalter, das zuerst durch eine ritterliche Kultur sowie die Herausbildung staatlicher Strukturen mit Verwaltungszentren gekennzeichnet ist, dann durch die abklingende Macht

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

des Adels, das Heranwachsen von Städten, das Aufkommen des Bürgertums und die Zunahme von Verkehr, Handel und Gewerbe im Rhein-Maas-Schelde-Delta (vgl. 4.1.1.). Neben dem Latein als Sprache der Kirche und der Wissenschaft erhielt die Volkssprache in dieser sich so erneuernden Gesellschaft weitere Anwendungsbereiche. So dienten grössere mittelniederländische Werke u.a. der Vermittlung von Wissen, der Erbauung und der Unterhaltung; erste amtliche Dokumente wurden im 13.  Jh. in der Muttersprache verfasst. Übrigens fallen mittelalterliche Bewertungen der niederländischen Volkssprache recht unterschiedlich aus. So heben sich laut manchem Text die ‚biblischen Sprachen‘ Hebräisch, Griechisch und Latein von der Volkssprache ab, wie dies mit der in diesen drei Sprachen verfassten Inskription auf dem Kreuz im Johannes-Evangelium (Joh. 19:20) zum Ausdruck kommt. Gelegentlich zeigt sich der besondere Status des Lateinischen ausdrücklich, so in Hagiografien wie Sint Lutgart oder in Texten Beatrijs van Nazareths (1200–1268) an Stellen, die göttliche Botschaften auf Lateinisch an die Protagonisten richten. Wie unten näher erörtert wird, hatte sich inzwischen ein Bewusstsein einer eigenen Sprache mit überregionaler Geltung entwickelt, die sich einerseits vom Latein und dem Französischen, andererseits allmählich auch von benachbarten deutschen Sprachvarietäten im Osten abhob. Allerdings zeigen Texte wie die deutsche Bearbeitung von Ogier van Denemarken, dass nicht immer zwischen ‚Niederländisch‘ und ‚Deutsch‘ unterschieden wurde. Das Interesse für das Mittelniederländische hatte im Zeitalter der Romantik einen Höhenflug erfahren, namentlich durch die Arbeit Jacob Grimms (1785–1863) sowie die Bemühungen Ludwig Uhlands (1787–1862) und August Heinrich Hoffmann von Fallerslebens (1798–1874), der 1821 eine litterarische Reise in die Niederlande unternahm. Letzterer besorgte in seinen Horae Belgicae erste Ausgaben mittelniederländischer Texte. Jan Frans Willems (1793–1846) übertrug mittelniederländische Quellen, so Van den vos Reynaerde (vgl. 4.3.1.1.) in die Sprache seiner Zeit und gab alte Volkslieder heraus, die mittelniederländische Philologie kam zur Entwicklung. Anfänglich bildeten kritische Editionen mit ihren Emendationen, Konjekturen und Interpolationen allerdings eine wenig zuverlässige Grundlage für die Beschreibung des Mittelniederländischen. Veröffentlichungen wie Verdams Theophilus-Ausgabe 1882, eines der markanten Vorbilder der zahlreichen korrupten Texteditionen seiner Zeit, führten zu Fehlinterpretationen. Als willkürliches Beispiel der zahllosen so entstandenen Fehler und Missverständnisse, die u.a. Willem de Vreese an den Pranger stellte, darf die Aufnahme von einem Infinitiv wie driscen ins MNW gelten in der Bedeutung von ‚schreien‘ mit dem ‚Imperfekt dreesc‘ und dem ‚Partizip *gedrescen‘ sowie die Besprechung dieses angeblich starken, intransitiven Verbs sowohl durch J. Franck als auch durch W.L. van Helten und J. Verdam, obschon die Form driscen nie bestanden hat: sie geht auf die falsche Wiedergabe von creesc durch W.J.A. Jonckbloet in seiner kritischen Walewein-Ausgabe (WAL 546) zurück. Wie sehr die Erforschung des Mittelniederländischen durch die späteren Veröffentlichungen von diplomatischen Editionen, neue Untersuchungsmethoden, Überarbeitung beziehungsweise Neuherausgabe von Wörterbüchern und Grammatiken sowie Erschliessung weiterer Quellen an wissenschaftlicher Qualität gewonnen hat, zeigen die Beispiele neuerer Forschungsergebnisse, die nachher berücksichtigt werden. Digitalisierte Wörterbücher wie das VMW, das MNW und EWN und die online via dbnl herausgegebenen Texte sind für Lehre und Forschung von un-

4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät

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schätzbarem Wert. Die neulich veröffentlichten Bände der Geschiedenis van de Nederlandse literatuur zur mittelniederländischen Literatur erhalten eine Fülle an Daten über mittelniederländische Literatur und Sprachkultur. Der Ausdruck Middelnederlands kann sich als neuzeitliche Bezeichnung auf die Sprache im Zeitalter zwischen Alt- und Neuniederländisch im Allgemeinen als auch auf die lokale dialektische Varietät beziehen. Diese Mehrdeutigkeit steht im Folgenden kurz zur Diskussion.

4.2.1. Einheit und Verschiedenheit des Mittelniederländischen Die Verwendung eines Ausdruckes wie Mittelniederländisch scheint sinnvoll, um die von spezifischen sprachimmanenten Entwicklungen geprägte Sprache des Zeitraums zwischen Alt- und Neuniederländisch zu benennen. Allerdings deutet der Begriff nicht nur das Niederländische dieser Zeit als Gesamtes an, sondern schliesst je nach Kontext auch die im Deltagebiet vorhan­ dene dialektische Varietät ein. Diese wird bemerkenswerterweise in der Fachliteratur insbesondere für dieses Zeitalter häufig hervorgehoben, wohl weil eine überdachende Standardsprache wie das heutige Algemeen Nederlands fehlte. So umschreiben Van der Wal und Van Bree Mittelniederländisch als een verzamelnaam voor dialecten die werden gesproken en geschreven in het huidige Nederlandse taalgebied in de periode van ongeveer 1150 tot 1500 (‚ein Sammelbegriff für Dialekte, die gesprochen und geschrieben wurden im heutigen niederländischen Sprachgebiet in der Zeit von ca. 1150 bis 1500‘). Ebenso fassen Vekeman und Ecke Mittelniederlän­ disch als einen Sammelbegriff auf, der auf Regionalsprachen verweist, die später von der ndl. Standard­sprache überdacht werden. Übrigens gilt die Mehrdeutigkeit eines Begriffes wie Middelnederlands auch für Bezeichnungen anderer Sprachstufen des Niederländischen: so bezieht sich Nieuw­nederlands zwar auf das entstehende überregionale Niederländische, der Ausdruck schliesst das Vorkommen dialektischer Eigenheiten wie beispielsweise südniederländische Merkmale in Texten mit überregionaler Geltung nicht aus. Hingegen hebt sich das Mittelniederländische durch gemeinschaftliche Merkmale der überlieferten Texte von benachbarten Schreibsprachen ab. So stellt Van Loey fest: Eenvormigheid, in de zin van een Algemeen Beschaafd in onze tijd, bestond niet; wel was er een schrijftaal die algemene kenmerken vertoont waardoor het mnl. onmiddellijk van bijv. het middelnederduits valt te onderscheiden, maar waarin toch gewestelijke en chronologische verschillen duidelijk tot uiting komen (‚Einförmigkeit im Sinne der allgemeinen kultivierten niederländischen Standardsprache unserer Zeit bestand nicht; wohl gab es eine geschriebene Sprache, die allgemeine Merkmale aufweist, wodurch sich das Mnl. unmittelbar von beispielsweise dem Mittelniederdeutschen unterscheidet, auch wenn sie regionale und chronologische Unterschiede klar zum Ausdruck bringt‘). Dazu ist ergänzend festzuhalten, dass eine Vielzahl überlieferter Texte in einem überregionalen Mittelniederländisch verfasst sind, das kaum dialektische Merkmale aufweist. Eine Fülle überlieferter Texte (vgl. 4.2.4.) zeugt vom Bestehen einer mittelniederländischen Verkehrs- und Kultursprache mit überregionaler Geltung, die von Schreibtraditionen geprägt wird. Diese verlagerten sich im Laufe der Jahrhunderte mit den kulturellen und wirtschaftlichen Zentren im Delta geografisch. Anfänglich im 12. Jh. manifestierte sich das Mittelniederländi-

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

sche durch eine maas-rheinländische Schreibtradition in Limburg, im 13. und. 14.  Jh. lassen sich flämische beziehungsweise brabantische Schreibtraditionen unterscheiden, ab dem 15. Jh. bestimmt vermehrt eine holländische Schreibtradition das Mittelniederländische. In einer Beschreibung des Mittelniederländischen sind somit neben allgemein vorkommenden Merkmalen der überregionalen Sprache auch Erscheinungen zu berücksichtigen, die auf diese unterschiedlichen Schreibtraditionen zurückzuführen sind. Dies gilt namentlich für lautliche Varietät und Elemente des Lexikons (vgl. 4.4.). Schliesslich ist festzuhalten, dass die Sprache von amtlichen Dokumenten mit lokalem Belang wie beispielsweise Kaufurkunden (vgl. 4.3.5.1.) eher dialek­ tische Merkmale aufweisen. Da im Folgenden versucht wird, das Mittelniederländische als Vorstufe des Neuniederländischen zu kennzeichnen, wird die Sprache der Quellen mit überregionaler Geltung unter Berücksichtigung der jeweiligen Schreibtradition näher beschrieben, die dialektische Varietät anderer Texte wird hier somit ausgeklammert. Neben den sprachimmanenten als niederländisch zu bezeichnenden sprachlichen Entwicklungen, die sich seit der Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen vollzogen, prägt die sprachliche Selbstbezeichnung, die überregionale Geltung der eigenen Sprache sowie die Ausdehnung der Verwendung des Mittelniederländischen die Entfaltung der Volkssprache als überregionale Kultur- und Verkehrssprache. Diese äusseren Grössen werden im Folgenden näher erörtert.

4.2.2. Mittelniederländische sprachliche Selbstbezeichnungen Einer der zwingenden, nicht-sprachimmanenten Gründe, mittelniederländische Schreibtraditionen von anderen kontinentalwestgermanischen Schreibtraditionen zu unterscheiden, ist das Bewusstsein der Eigenheit der Muttersprache, das u.a. in der sprachlichen Selbstbezeichnung zum Ausdruck kommt. Je nach Kontext können Begriffe wie dudesc, Dietsch, Duuts u.ä. laut dem VMW im Mittelniederländischen neben ‚germanische Volkssprache‘ und ‚Deutsch‘ auch in einer Bedeutung vorkommen, die man heute mit ‚Niederländisch‘ umschreibt. Übrigens ist die Deutung von Begriffen wie Dietsch nicht unproblematisch. So wäre im Beispielsatz Nadera dats een serpent, datmen in Dietschen lande bekent (‚Die Natter ist eine Schlange, die man im germanischen/niederländischen Gebiet kennt‘) Dietschen laut dem MNW als ‚germanisch‘ aufzufassen, das VMW, das die neueste Forschung berücksichtigt, zitiert den gleichen Satz dagegen zur Erklärung dieses Wortes als Nederlands, Nederlandse taal (‚Niederländisch, niederländische Sprache‘). Wohl gilt als gesichert, wie das ONW belegt, dass eine lateinische Form wie theodisco in altniederländischen Überlieferungen die Sprache der einheimischen, germanischen Bevölkerung im Allgemeinen bezeichnet, d. h. als Antonym von ‚Latein‘ beziehungsweise von ‚benachbarter romanischer Sprache‘. Bezeichnenderweise nennt das VMW in diesem Zusammenhang die Bedeutung Germanen im Beispielsatz Uitellius ende die dudsce mede. Quamen te rome in de stede (‚Vitellius und auch die Germanen kamen in die Stadt Rom‘). Ähnlich, allerdings allgemeiner fasst Sonderegger das althochdeutsche thiutisk als ‚das eigene Volk betreffend, volkssprachlich‘ auf.

4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät

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Dagegen bezieht sich der aus Flandern stammende Jacob van Maerlant in seiner 1275 entstandenen Übersetzung von Bonaventuras Legenda Maior beim Wort dietsch wohl auf die überregionale Schreibsprache des Deltagebietes, wenn er in seinem Sinte Francis­cus leven festhält: Ende om datic Vlaminc bem, Met goeder herte biddic hem Die dit Dietsche sullen lesen, Dat si mijns genadich wesen Ende lesen sire in somich woort Dat in haer lant es ongehoort. Men moet om de rime souken Misselike tonghe in bouken: Duuts, Dietsch, Brabants, Vlaemsch, Zeeus, Walsen, Latijn, Griex ende Hebreeus. Om vray thoudene rijm ende zin Help mi Fransois; dits tbeghin. (Besamusca et al. 1999, 37) Übersetzt heisst dies: Und da ich Flame bin, Mit einem guten Herzen, bitte ich jene, die dieses Niederländische lesen werden, Dass sie mir gegenüber gnädig seien, falls sie (in diesem Text) bestimmte Wörter finden, die in ihrem Land unbekannt sind. Man (d. h. ein Dichter) muss verschiedene Sprachen in Büchern suchen: Südwestliche Volkssprache, nördliche Volkssprache, Brabantisch, Flämisch, Seeländisch, Französisch, Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, Um Reim und Sinn (des Textes) wahrhaft beizubehalten. Möge Franziskus mir helfen; dies ist der Anfang. Obschon Van Maerlant in diesem Text ausdrücklich festhält, Flame zu sein, bezeichnet er die von ihm verwendete Sprache doch als dit Dietsche und nicht als ‚dieses Flämisch‘, was hier die Interpretation von Dietsch als Sammelbegriff der weiteren Volkssprache im Delta beziehungsweise eine überregionale Schriftsprache möglich macht. Hinzu kommt, dass er den Ausdruck Dietsch für die Sprache verwendet, die zu lesen ist: Die dit Dietsche sullen lesen. Die gesprochene Sprache dagegen erwähnt der Verfasser in seiner Aufzählung der Mundarten, denn es heisst: Dat in haer lant es ongehoort. Dietsch weiche laut dem Verfasser somit als Sprache, die man liest, lexikalisch von Mundarten ab, soweit man vereinzelte Wörter in der eigenen Gegend

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

nicht hört. In der dann folgenden Aufzählung von Sprachen dürfte der Verfasser mit Duuts die germanische Volkssprache im Allgemeinen gemeint haben, die er hier neben Französisch, Lateinisch, Griechisch und Hebräisch aufführt. Mit dem nachher folgenden Dietsch spezifiziert er, wie dargelegt, wohl die Schreibsprache seiner Zeit, während er Brabantisch, Flämisch, Seeländisch auf die lokalen gesprochenen Sprachvarietäten bezieht. Jan van Boendale unterscheidet in seinem Der Leken spieghel neben lateinischen und französischen auch dietsche (‚niederländische) Dichter, somit verwendet er dietsche ebenfalls für die geschriebene Sprache, nämlich die Sprache der Dichter. Dass er um 1330 Jacob van Maerlant als Vater der Dietscher dichtren algader (‚sämtlicher niederländischen Dichter‘, vgl. Van Boendale 1844–1848, 163) rühmt, bestätigt somit ein allgemein vorhandenes Wissen um eine überregionale geschriebene niederländische Kultursprache, das auch gegen Ende des Mittelalters im Englischen zum Ausdruck kommt, wenn Dutch allmählich die Bedeutung Niederländisch erhält und German in der Folge Deutsch bezeichnet. Die Umschreibung onse Nederlantsche taele (‚unsere niederländische Sprache‘) in der folgenden Aussage des Antwerpener Humanisten, Druckers und Buchhändlers Jan Gymnick setzt 1541 beim Leser ebenfalls ein Wissen über die Eigenheit der Muttersprache voraus, das auf ein längst vorhandenes, aus dem Mittelalter stammendes Bewusstsein des Bestehens eines überregionalen Niederländischen deuten muss: (…) alderhande geleertheyt ende scientien haer so overvloedelick in alle natien wtghestort ende ghelijck een diluvie alle landen overloopen hebben, also dat niet alleen die selve inder Hebreuscher, Grieckscher ende Latijnscher spraken, maer oock bicants in anderen talen (in Italiaens, Spaensch, Duytsch ende Franchoys) bevonden wordden, so en can ick niet be­ uinden hoe dathet comen mach / dat onse Nederlantsche taele also aerm / ongheciert / oft onbequaem ghehouden wort / dat wy iet waer in eenighe liberael consten oft oude historien begrepen wordden daer met hebben dorren oversetten / daer nochtans egeene van alle de ­voerghenoemde wijcken en soude dorven, waert saecke datse een weynich ghelijck de andere gheoefent ende met diversche materien en argumenten ghetracteert ware. (Besamusa et al. 1994, 123f.) Frei übersetzt heisst dies: Alle Länder werden von Gelehrtheit und Wissenschaften wie von einer Überschwemmung überflutet, mit der Folge, dass sie nicht nur in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache, sondern auch in anderen Sprachen (Italienisch, Spanisch, Deutsch und Französisch) zu finden sind, daher kann ich es nicht verstehen, dass unsere niederländische Sprache für so arm, ungehobelt und ungeeignet gehalten wird, dass wir es nicht wagen, etwas, das in den freien Künsten oder antiken Historien enthalten ist, zu übersetzen, obschon das Niederländische hinter keiner der genannten Sprachen zurückstehen müsste, wenn sie, wie die anderen Sprachen, ein wenig geübt würde und zu verschiedenen Stoffen und Diskursen verwendet würde.

4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät

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Zwar lässt sich der Ausdruck natie im 16. Jh. in erster Linie als Andeutung für eine Gruppe Menschen deuten, die sich durch eine gemeinsame Sprache und Kultur, durch Rasse und Herkunft verbunden wissen: in einem einzigen Gebiet kann es somit mehrere naties (‚Nationen‘) geben. Dennoch dürfte Gymnicks natie-Begriff im angeführten Zitat mehr bedeuten, denn er steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ausdruck landen (‚Ländern‘), zudem ist die Rede von onse nederlantsche tael (‚unsere niederländische Sprache‘), Bezeichnungen, die somit viel mehr als ‚die eigene Gruppe‘ beziehungsweise ‚die eigene brabantische Sprachgegend‘ beinhalten. Zudem liegt es auf der Hand, dass ein Verleger und Buchhändler möglichst viele Leser, vorzugsweise im gesamten ‚niederländischen‘ Sprachgebiet umwarb, das wohl auch das niederrheinische, vielleicht auch das niederdeutsche Gebiet einschloss. Aus Gymnicks Äusserung scheint somit das Konzept von Nationalstaaten, vielleicht sogar von einem niederländischen Staatsgefüge hervorzugehen, indem der Verfasser die sprachlichen Bedingungen in alle natien (‚allen Nationen‘) vergleicht mit der Situation in seiner Heimat, die durch onse (‚unsere‘) impliziert wird. Welches Gebiet der Verfasser 1541 genau meinte, lässt sich allerdings nicht feststellen, was wenig erstaunt, wenn man berücksichtigt, dass in dieser Zeit mehr oder weniger selbstständige Verwaltungsgebiete im Rhein-Maas-Schelde-Delta bestanden, die Karl V. allmählich im burgundischen Reichskreis zusammenfügte. Gymnicks Erwähnung der angrenzenden Sprachen Deutsch und Französisch bestätigt wohl, dass er die Leser der überregionalen Sprache sämtlicher niederländischen Provinzen gemeint hat und nicht eine Gruppe ihm verwandter Menschen in seiner brabantischen Heimat. Ab Mitte des 16. Jh., kein Jahrzehnt nach Erscheinen von Gymnicks Buch, sollten Humanisten, Gelehrte und Schriftsteller in ihren niederländischsprachigen Veröffentlichungen mittelbar und unmittelbar bekunden, nicht nur einer überregionalen niederländischen Sprachgemeinschaft anzugehören, Joos Lambrecht, Jan van den Werve, Dirck Volckertsz. Coornhert, Hendrik Laurensz. Spiegel, Roemer Pietersz. Visscher, Simon Stevin forderten wie viele andere ihrer Zeitgenossen darüber hinaus ausdrücklich die Wertschätzung, Pflege und Säuberung (vgl. 5.2.). Somit steht Gymnick mit seiner Umschreibung des überregionalen Niederländischen in einer mittelalterlichen Tradition der sprachlichen Selbstbezeichnung, die von einem dann schon seit Jahrhunderten bestehenden Bewusstsein des überregionalen Niederländischen zeugt.

4.2.3. Die überregionale Geltung des Mittelniederländischen Eine mittelniederländische Schreibtradition ist bereits aus der Arbeit des ersten namentlich bekannten Dichters mittelniederländischer Texte, Heinrich von Veldeke (ca. 1140/1150 – ca. 1210) abzuleiten, und zwar indem er fremdsprachige Vorlagen in die eigene Sprache übersetzte. So bearbeitete er zwischen 1170 und 1184 die einige Jahrzehnte zuvor von Jocundus verfasste Vita Actus Sancti Servatii als Sint Servaes in einer frühen Form der mittelniederländischen Schriftsprache. Wenn sein in Mittelhochdeutsch vielfach überlieferter Eneas auf eine verloren gegangene mittelniederländisch-maasländische Fassung zurückgeht, so deutet die geleistete Übersetzungsarbeit des Minnesängers darauf hin, dass er sich des Bestehens einer muttersprachlichen

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

neben einer mittelhochdeutschen Sprachgemeinschaft bewusst war. Dass er neben mittelniederländischen auch mittelhochdeutsche Texte verfasste, bestätigt dies. Im gleichen Zeitalter erwähnt der Verfasser des Tierepos Van den vos Reynaerde, eines der ältesten überlieferten mittelniederländischen Literaturdenkmäler, ausdrücklich das Übersetzen in die eigene Sprache. So heisst es am Anfang des Textes, dass ein gewisser Willem die Abenteuer des Fuchses suchte, um die unvollendete Übersetzung aus dem Französischen ins Dietsche, also in die Muttersprache, zu vollenden: Willem, die vele bouke maecte, Daer hi dicken omme waecte, Hem vernoyde so haerde Dat die avonture van Reynaerde In Dietsche onghemaket bleven – Die Willem niet hevet vulscreven – Dat hi die vijte van Reynaerde soucken Ende hise na den Walschen boucken In Dietsche dus hevet begonnen. (Van den vos Reynaerde 1998, 1–9) Übersetzt heisst dies: Wilhelm, der viele Bücher verfasste, Weswegen er häufig schlaflose Nächte erlebte, Fand es äusserst langweilig, Dass Reinaerds Abenteuer In niederländischer Volkssprache unvollendet waren – Die Wilhelm nicht fertig hergestellt hatte – So dass er die Vita suchte Und sie nach den französischen Büchern In niederländischer Volkssprache wie folgt angefangen hat. Der Ausdruck dietsch wäre in diesem Kontext im Einklang mit dem MNW als de algemeene landtaal van Nederland in de Middeleeuwen (‚die allgemeine Landessprache der Niederlande im Mittelalter‘) mit überregionaler Geltung zu verstehen: Mediävisten wie D.C. Tinbergen und L.M. van Dis fassen dietsch hier als de volkstaal mit der Spezifikation Nederlands (‚die Volkssprache, Niederländisch‘) auf, F. Lulofs spezifiziert die Volkssprache in seinem Kommentar zum Prolog des Reynaerds hier als Flämisch: volkstaal [hier: het Vlaams, verg. Eng. dutch, Du. deutsch], (‚Volkssprache [hier: das Flämische, vgl. eng. dutch, dts. deutsch‘], womit er wohl die in Flandern entstandene überregionale mittelniederländische Schreibtradition meint, die neben der limburgisch-maasländischen mittelniederländischen Schreibtradition bestand. Der Verfasser des Reynaerd-Textes ist sich somit bewusst, für die Übersetzung eine allgemeine mittelnieder-

4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät

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ländische Schreibsprache zu benutzen, die im 12. und 13. Jh. von einer überregionalen, eher flämischen Schreibtradition geprägt wurde, wie die sprachlichen Merkmale des Textes bestätigen. Zudem setzt der Dichter dieses Bewusstsein in seiner Einführung nicht nur bei Lesern, sondern im Falle eines Vortrages auch bei Hörern voraus, ein Hinweis, dass auch weniger gelehrten Landsleuten das Konzept einer mittelniederländischen Schriftsprache vertraut war. Tatsächlich konnten nicht-gebildete Bewohner des Deltagebietes an der Kommunikation in einer überregionalen niederländischen Schriftsprache teilnehmen. Anders als im ersten Mil­ lennium n.Chr., als altniederländische Texte wohl nur von einzelnen Personen rezipiert wurden, die imstande waren zu lesen und Gelegenheit hatten, die entsprechende Handschrift einzusehen, muss eine zunehmende Zahl von Menschen ab dem 12. Jh. von Texten in einem allgemeineren Mittelniederländischen Kenntnis genommen haben. Nicht nur wurden Epen wie Van den vos Reynaerde vorgetragen, sondern eine jahrhundertelange mündliche Tradition, die bis ins 19. Jh. reicht, ermöglichte die Verbreitung von Liedern und Balladen unter der Bevölkerung, man sang in Gasthäusern und Kirchen, bei Hochzeiten erklangen Lieder. In späteren Jahrhunderten führten Schauspieler sowohl mittelniederländische geistliche als auch weltliche Dramen auf. Während der Theatervorstellungen hörten die Zuschauer Dialoge in mittelniederländischer Schriftsprache, Geistliche verbreiteten mittelniederländische Legenden und exempelen, erbauende in Prosa erzählte Mirakel. Im späten Mittelalter gründeten Bürger rederijkerskamers (‚Rhetoriker-Vereine‘, vgl.  4.1.3.2.), um gemeinsam literarische Texte in Formen der mittelniederländischen Schriftsprache herzustellen. Schliesslich lässt sich die überregionale Geltung des Mittelniederländischen aus dem Verhalten der Behörden ableiten. Der offizielle Status des Niederländischen als überregionale Sprache zeigte sich unmissverständlich, als Maria von Burgund am 14. März 1477 das Grosse Privileg verkündete (vgl. 4.1.2.), das für Holland und Seeland das Niederländische als Verwaltungssprache bestimmte, und vorschrieb, dass Briefe der Behörden in den niederländischsprachigen Provinzen auf Niederländisch zu verfassen seien. Diese Vorschrift der Herzogin setzt naturgemäss nicht nur voraus, dass sich – wohl seit Längerem – ein überregionales Niederländisch herausgebildet hatte, das in der Verwaltung offensichtlich unmittelbar einsetzbar war, sondern bedeutet auch, dass man sich dessen bewusst war. Stellt man einen, sprachhistorisch nicht unproblematischen, Vergleich mit beispielsweise der Verwendung von schweizerdeutschen Dialekten an, die abgesehen von Veröffentlichungen wie die Zürcher Bibel oder der Arbeit von Gelehrten wie Aegidius Tschudi einer gemeinsamen überregionalen Schreibtradition entbehren, so fällt auf, wie sich in den Niederlanden bereits im Mittelalter neben den niederländischen Dialekten schriftliche Formen eines überregionalen Niederländischen herauszubilden scheinen, die nicht nur im gesamten Gebiet ihre Anwendung fanden, sondern nun im 15. Jh. auch offiziell anerkannt wurden. Im Jahr von Marias Dekret zur Verwendung des Niederländischen erschien übrigens das erste in niederländischer Sprache gedruckte Buch, die Delftse Bijbel (‚Delfter Bibel‘), die zwar in einer flämischen Schreibtradition steht, dennoch für eine überregionale niederländische Sprachgemeinschaft bestimmt war (vgl. Farbb. V).

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

4.2.4. Quellen und Anwendungsbereiche des Mittelniederländischen Wurden in der altniederländischen Periode Texte in der Muttersprache wohl nur von vereinzelten Gebildeten niedergeschrieben und gelesen (vgl. 3.2.3.), im mittelniederländischen Zeitalter hatte die Zahl der Teilnehmer an der Kommunikation in der eigenen Schriftsprache erheblich zugenommen. Zudem standen immer mehr Texte in der Muttersprache zur Verfügung. So sind allein schon aus dem 13.  Jh. zirka zweitausend mittelniederländische Dokumente überliefert, was, verglichen mit den zirka viertausend Texten jener Zeit, die aus dem bedeutend umfangreicheren deutschen Sprachgebiet stammen, bemerkenswert ist, wie Van Oostrom darlegt. Vermehrt erteilte die Aristokratie im 12. und 13.  Jh. den zumeist von der Kirche ausgebildeten Gelehrten und Schriftstellern Aufträge, um Texte mit neuen Gebrauchsmöglichkeiten herzustellen, die in adligen Kreisen je nach Textsorte und Ausbildungsstand des Auftraggebers gelesen, vorgelesen oder gesungen wurden. Zur Unterhaltung trugen Troubadours lyrische Werke an den Höfen vor, es wurden Texte zur Natur oder Weltgeschichte verbreitet, Geistliche übermittelten religiöse Texte in der Muttersprache, biblische Geschichten sowie erbauliche Legenden erlangten unter der Bevölkerung Bekanntheit. Später, im 14. Jh. entstanden Texte für ein grösseres Publikum, so führten Schauspieler abele spelen (‚schöne, ernste Theaterstücke‘) oder sotternien (‚Schwänke‘) auf, es fanden Vorstellungen geistlicher Dramen statt, man sang religiöse Texte, weltliche Lieder waren bei der Hochzeit und in der Herberge beliebt, Balladen, die mündlich weitergegeben wurden, boten Zerstreuung. Zudem lasen auch gebildete Bürger Texte in der Muttersprache. Verglichen mit den altniederländischen Glossen zeugen die mittelniederländischen Texte von einer Erweiterung der Verwendungsmöglichkeiten der Muttersprache. So dienten sie der Vermittlung von Wissen, der Verbreitung kritischer und moralischer Ansichten, aber auch der Unterhaltung, vielleicht auch der Erzeugung sprachlicher Ästhetik oder sie verfolgten religiöse Zwecke. Zudem waren mittelniederländische Dokumente für Handel, Verkehr, Gewerbe und Verwaltung unverzichtbar. Folglich erfüllten mittelniederländische Texte unterschiedliche sprachliche Funktionen, wie sich am Beispiel der Legende Beatrijs ersichtlich machen lässt. So ist in diesem Text eine sprachliche Darstellungsfunktion zu unterscheiden, wenn der Erzähler die Leser über die Geschicke der verliebten Nonne informiert. Mancher empathische Kommentar im Text gibt im Sinne einer Ausdrucksfunktion etwas von den Gefühlen des Erzählers preis. Die Erlösung Beatrijs’ durch ihre Beichte zeigt die Appellseite der Legende, indem der Textrezipient aufgefordert wird, ihrem Beispiel zu folgen. Haben die damaligen Hörer und Leser die scone mieracle, das schöne Mirakel, bereits als ästhetischen Gegenstand rezipiert, oder ist eine poetische Funktion der Beatrijs-Legende erst bei der Rezeption in jüngeren Zeiten vorauszusetzen? Dass Texte in der Muttersprache nun zur Vermittlung von Wissen unter den Laien dienen konnten, lässt sich am Beispiel eines der bedeutsamsten Dichter mittelniederländischer Texte, Jacob van Maerlant, zeigen, der sich vor allem an ein aristokratisches Publikum richtete. So verfasste er im Auftrag des seeländischen Adligen Nicolaes van Cats um 1266 Der naturen bloeme (‚Die schönste Auslese aus der Natur‘), eine Naturenzyklopädie, die sich an Thomas von Cantimpré’s De natura rerum orientiert. Auf Wunsch Floris V., Grafen von Holland (vgl. 4.1.1.),

4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät

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arbeitete Van Maerlant in den Jahren 1285 bis 1288 an einer umfangreichen Weltgeschichte, Spiegel historiael, einer Bearbeitung von Vinzenz von Beauvais’ Speculum historiale. Lodewijk van Velthem arbeitete weiter an diesem Werk und verfasste 1316 den Schlussteil. Sodann schuf Van Maerlant mit seinen 14.000 Verse umfassenden Alexanders Geesten (‚Alexanders Heldentaten‘) eine Biografie von Alexander dem Grossen, schrieb eine Historie van den Grale (‚Geschichte des Grals‘), verfasste ein Buch über Merlyn und stellte eine Istory van Troyen (‚Geschichte von Troye‘) her. Zu den zahlreichen Texten, die Wissen vermitteln, zählen auch Jan van Heelus (letztes Viertel des 12. Jh.? – 1. Hälfte 13. Jh.?) Slag van Woeringen (‚Schlacht bei Woeringen‘) ca. 1290, Melis Stokes (1235 – ca. 1305) Rijmkroniek van Holland (‚Chronik von Holland auf Reim‘) aus der gleichen Zeit (vgl. 4.3.3.2.), Jan van Boendales (ca. 1280 – ca. 1351) Der Leken spieghel (‚Spiegel für die Laien‘) ca. 1330 oder Dirc Potters (ca. 1370–1428) Der minnen loep (‚Der Lauf der Liebe‘) ca. 1411. Häufig erfüllten Texte, die Wissenswertes weitergaben, auch didaktische und moralistische Zwecke. So formulierte Jacob van Maerlant oder ein Zeitgenosse aus den Niederlanden einen ritterlichen Ehrenkode im Text Van den neghen besten (‚Die neun besten [Helden]‘). Dieser anonyme Text, der nach 1291 entstand, sollte die mittelalterlichen Auffassungen zum Rittertum in Europa massgeblich prägen. Von ihrer kontinentalen Verbreitung zeugt übrigens die früheste Darstellung der ‚neun guten Helden‘ ca. 1330 im Hansesaal des historischen Kölner Rathauses. Auch die sproken, kurze, häufig humorvolle kritische Verserzählungen, die herumreisende dichtende Minstrel darboten, sind zu den moralistischen Texten zu rechnen. Einer der bekanntesten unter ihnen ist Willem van Hildegaersberg (ca. 1350 – ca. 1408), der in seinen 120 überlieferten Texten die politischen Zwiste in Holland, die Amtsgeschäfte der Adligen oder die Bestechlichkeit der Gerichte kritisch beleuchtet. Zu den zahlreichen religiösen Texten, die naturgemäss ebenfalls häufig moralistische und erzieherische Züge aufweisen, zählen u.a. das Tagebuch und ein Traktat der ersten Verfasserin mittelniederländischer mystischer Texte, Beatrijs van Nazareth (1200–1268), die Briefe und strophischen Gedichte (ca. 1240) der Mystikerin Hadewijch (13.  Jh.), Heiligenleben wie Van Veldekes Sint Servaes (vgl. 4.3.4.1.) oder die Vita Sint Lutgart (ca. 1270), sodann das umfangreiche Evangelium Van den Levene ons Heren (‚Über das Leben unseres Herren‘) sowie die aus den vier Evangelien zusammengesetzte Evangelienharmonie Limburgse leven van Jezus (‚Limburgisches Leben Jesu‘), die auf eine Quelle aus dem 13. Jh. zurückgeht. In einer rheinländischen Tradition steht die fiktive Heiligenlegende De reis van Sint Brandaan (‚Die Reise des Heiligen Brandan‘), eine mittelniederländische Bearbeitung einer aus dem 10. oder 11. Jh. stammenden lateinischen Erzählung Navigatio Sancti Brendani abbatis, welche die unwahrscheinlichsten Erlebnisse des seefahrenden Abtes Brandan auftischt. Als weitere Legenden sind Texte wie Beatrijs und Theophilus zu nennen. Van Maerlants sog. Rijmbijbel (siehe Farbb. II, III), eine Bearbeitung von Petrus Comestors Historia scholastica gehört ebenfalls zu den erbauenden Texten. Von diesem Text, den Van Maerlant selbst als Scolastica in dietsche, eine ‚biblische Geschichte in niederländischer Sprache für den Unterricht‘ bezeichnet, bestehen fünfzehn Kodizes aus unterschiedlichen Gegenden, die aus dem 13. bis 15. Jh. stammen. Die frühesten überlieferten Texte der über 27.000 Verse umfassenden Rijmbijbel sind mit Hilfe von lombarden (‚Initialen‘) strukturiert, Kopisten aus dem 14. Jh. haben den Text in

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Kapitel unterteilt sowie Titel der Kapitel und Kapitelnummer hinzugefügt. So wurde ein Vorlesebuch zu einem Nachschlagewerk für die gebildeten Bürger. Der bedeutendste Mystiker, der mittelniederländische religiöse Texte verfasste, war Jan van Ruusbroec (1293–1381, vgl. Farbb. Ib); Übersetzungen seiner Texte, so des Prosatraktates Die chierheit der gheesteliker brulocht (‚Die Schönheit der geistlichen Hochzeit‘) ca. 1350, die Klosterreformen bewirkten, wurden überall in Europa gelesen. Ruusbroecs Gedankengut fand auch in den nördlichen Niederlanden Anklang, namentlich im Kloster Windesheim bei Zwolle, Mittelpunkt von Geert Grotes Reformbewegung der moderne devotie (‚Moderne Devotion‘). Neben lateinischen Werken wie De imitatione Christi (‚Über die Nachfolge Christi‘) des im Kloster Agnietenberg bei Zwolle lebenden Thomas a Kempis (ca. 1380–1471) brachte diese religiöse Strömung auch mittelniederländische Texte hervor, so die Predigten Johannes Brugmans‘ (ca. 1400–1473), der im heutigen Niederländischen im Ausdruck praten als Brugman (‚reden wie Brugman‘, d. h. ‚wortgewaltig daherreden‘) weiterlebt. Eine ausführliche theologische Enzyklopädie, Tafel van den kersten ghelove (‚Kompendium des christlichen Glaubens‘), stellte Dirc van Delf (ca. 1365–1404), wohl inspiriert von Hugo Ripelin von Strassburg, 1404 im Auftrag des holländischen Grafen Albrecht von Bayern zusammen. Es entstanden zahlreiche weitere religiöse Texte in der Volkssprache, so collaciën (‚Ansprachen‘) von Johannes Brinckerinck, exempelen (‚kurze moralistische Prosatexte‘), Viten von Jesus und belehrende Traktate. Zu den vielen religiösen Dramen gehören die Bliscappen van Maria (‚Freuden Marias‘), die zwischen 1448 und 1454 auf dem Grossen Markt Brüssels jeweils zum Abschluss der Marienprozession gespielt wurden, sodann das allegorische Theaterstück Elckerlijc (‚Jedermann‘, vgl. 4.3.1.4.) oder das sog. Mirakelspiel Mariken van Nieumeghen, das 1515 als Buch erschien. Als unterhaltende mittelniederländische Texte sind die Ritterromane einzustufen, wie die Karl-Romane Renout van Montalbaen von Anfang des 13.  Jh. oder Karel ende Elegast ca. 1270, die Arthur-Romane Roman van Walewein ca. 1260, Lantsloot vander Haghedochte ca. 1255 oder die Texte der Lancelot-Kompilation ca. 1320. Sodann entstanden Romane, die sich in einem antiken Umfeld abspielten, neben Van Maerlants Werken auch Segher Diengotgafs Tprieel van Troyen (‚Troyens Lustgarten‘, Mitte des 13. Jh. ), eine Bearbeitung von Benoît de Sainte-Maures Roman de Troie. Diederic van Assenede (ca. 1230–1293) stellte sein Floris ende Blancefloer, eine Bearbeitung des französischen Floire et Blanceflor (ca. 1160), in einer babylonischen Umgebung dar. Auch weltliche Lustspiele, die dank der Handschrift-Van Hulthem, ca. 1410, überliefert wurden, wie Esmoreit, Gloriant, Lanseloet van Denemerken und Vanden winter ende vanden somer (‚Vom Winter und vom Sommer‘) und Schwänke wie Lippijn, Ruben oder Die hexe (‚Die Hexe‘), dienten der Unterhaltung. Eine ästhetische Funktion hatten kunstvoll gestaltete lyrische Gedichte und Lieder, zum Beispiel die Minnegesänge des Herzogs Jan I. van Brabant (ca. 1252–1294). Bedeutende Quellen wie die Haager Liederhandschrift und die Gruuthuse-Handschrift aus dem frühen 15. Jh. umfassen Gedichte, Lieder mit zum Teil Musiknotationen und auch Gebete. Sodann boten Volkslieder und anonyme lyrische Texte einem breiteren Publikum die Gelegenheit zum heiteren Zeitvertreib. Einen Schatz an Liedern enthält das 1544 gedruckte Antwerps liedboek (‚Antwerpener Liederbuch‘), das sowohl mit historischen, politischen und spöttischen Texten als auch mit Liebesliedern verrät, was man im ausgehenden Mittelalter gerne sang. Das einzige vollständig überlieferte Exemplar des bald von der Inqui-

4.2. Mittelniederländische Schreibtraditionen und lokale Varietät

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sition verbotenen Büchleins in Querformat stammt übrigens aus der Kollektion des Herzogs August von Braunschweig-Wolfenbüttel. Im späten Mittelalter stellten zudem die Mitglieder der Rhetoriker-Kammern (vgl. 4.1.3.2.) erbauende, moralistische und unterhaltsame Texte her. Ab dem 15. Jh. sollten die rederijkers die niederländische Literatur mit prägen, viele Hunderte dichtender Bürger verfassten nun Gedichte und Theaterstücke, es fanden Wettbewerbe zwischen Kammern statt, die sich bald als Volksfeste entpuppten. Zu den ersten Generationen der Rhetoriker zählt der Brüsseler Stadtdichter Colijn Caillieu (?–1484?), der u.a. allegorische Theaterstücke mit Tableaux vivants zum Antrittsbesuch des späteren Karl des Kühnen in Brüssel 1466 oder zur Geburt Margareta von Österreichs 1480 verfasste. Anthonis de Roovere (ca. 1430–1482) wurde bekannt durch seine Rhetoricaele Wercken (‚Rhetorische Werke‘), die erst 1562 erschienen, Matthijs de Castelein (1485?–1550, vgl.  4.3.1.3.), u.a. factor der Kammer Pax Vobis in Oudenaerde, schrieb laut eigenen Aussagen nicht nur zahlreiche Theaterstücke, sondern auch einen ausführlichen Leitfaden für seine dichtenden Zeitgenossen, die Const van Rhetoriken (‚Kunst der Rhetoriker‘), die 1555 posthum erschien und auch zahlreiche künstlerisch gestaltete Gedichte wie Balladen oder sog. rondelen, achtzeilige Gedichte mit komplexen Reimformen enthielt. Aus Antwerpen stammen Cornelis Crul (ca. 1500 – ca. 1550), Verfasser u.a. von humoristischen Gedichten und gesellschaftskritischen Schwänken, und Anna Bijns (1493–1575), die übrigens als Frau nicht zu einer Kammer zugelassen wurde. Die überzeugte Katholikin, die protestantische Überzeugungen vehement bekämpfte, verfasste Gedichte im Stil der Rhetoriker, sie erlangte als erste niederländische Dichterin durch die Druckpresse allgemeine Bekanntheit. Cornelis Everaert (1485–1556) aus Brügge schrieb Theaterstücke, Colijn van Rijsseles Komödie Spiegel der Minnen (‚Spiegel der Minne‘) sollte dank der Vermittlung des Humanisten Dirck Volkertsz. Coornhert (1522–1590, vgl. 5.2.2., 5.2.2.4.) 1561 in Haarlem gedruckt werden, Jan van den Berghe (?–1559) feierte mit seinen Theaterstücken Erfolge in Antwerpen und Brüssel, die Moralität Elckerlijc (vgl. 4.3.1.4.), die auch in englischen, lateinischen und deutschen Versionen beziehungsweise Bearbeitungen bekannt wurde, steht in der Tradition der Rhetoriker-Literatur. Johan Baptist Houwaerts (1533– 1599) Dichtung weist bereits einen Einfluss der neuen Lyrik der Renaissance auf, welche die niederländische Sprache und Literatur der Neuzeit prägen sollte (vgl. 5.2.3.4.). Einige Kostproben sollen im Folgenden einen Eindruck der Vielseitigkeit des mittelniederländischen Textmaterials vermitteln. Sie zeugen von einer erheblichen Ausdehnung der Anwendungsbereiche der Muttersprache neben dem Latein, das nach wie vor in der Wissenschaft und in der Kirche eine vorherrschende Stellung einnahm. Literatur zu 4.2.: Van Anrooij 1997; Barbiers et al. 2005/08; Bloemhoff et al. 2008; Blom 1997; Cornelissen 1989; Elckerlijc 1985; Frings 1944; Grüttemeier et al. 2006; Gysseling 1977/87; Karsten 1949; Van Maerlant 1980; Moerdijk et al. 2007; Van Oostrom 2006; Van Oostrom 2013; Overdiep 1924; Pijnenburg et al. 1984; Pijnenburg et al. 2003; Von Polenz 2000; Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Schlusemann 2010; Van der Sijs 2004; Stilma 2002; Stoke 2004; Taeldeman et al. 1999; Taubken1981; Tervooren 2006; Van den vos Reynaerde 1952; Verdam 1932; Verwijs et al. 1885/29; Van der Voort van der Kleij et al. 1983; De Vreese 1962; Wackers 1996.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen Vergleicht man mnl. Urkunden aus verschiedenen Regionen, das Gebiet des Niederrheins eingeschlossen, die aus unterschiedlichen Perioden stammen, so lässt sich feststellen, wie erst über eine längere Zeit hinweg eine überregionale mnl. Schreibtradition entstand, die auf die Dauer zu einer Vereinheitlichung tendierte. Die unten zitierten Texte weisen zum Teil ein überregionales Mnl. auf, allerdings lässt sich die Entstehung einer mnl. Verkehrs- und Kultursprache aufgrund solcher Texte nicht eindeutig rekonstruieren, dies infolge der Problematik der Datierungen und der Frage des Kopierens, vgl. 4.2.1. Immerhin vermitteln sie einen Eindruck von Formen des überregionalen Mnl., zudem belegen sie die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der Muttersprache. Erste, in der Regel kritische Editionen mnl. Texte erschienen im 19. Jh., die Quellen wurden dann allmählich von Sachverständigen wie H. Obreen, A. van Loey, R. Verdeyen oder J. Endepols besser erschlossen. Im Laufe des 20. Jh. nahm die Zahl diplomatischer Texteditionen zu, was u.a. der Arbeit von Spezialisten wie W.Gs. Hellinga oder M. Gysseling zu verdanken ist. Heute bietet die digitale Site dbnl auch für die mnl. Periode eine Fülle an wissenschaftlich editierten mnl. Texten online, sodann umfasst die 1998 vom Instituut voor Nederlandse Lexicologie herausgegebene CD-Rom Middelnederlands fast alle veröffentlichten mnl. Texte, das MNW und das Corpus-Gysseling. Im Folgenden sollen die freien dts. Übersetzungen und Zusammenfassungen lediglich als Lesehilfe dienen, es handelt sich dabei nicht um philologische Analysen einzelner Textstellen. Die zitierten älteren dts. Textabschnitte dürften zudem zeigen, wie sehr bestimmte Texte über die Grenzen hinweg rezipiert wurden, mancher dts. Text findet seinen Ursprung, allerdings häufig über Umwege, im Mnl.

4.3.1. Literatur 4.3.1.1. Van den vos Reynaerde, Reinke de Vos, Johann Wolfgang Goethe, Reineke Fuchs Die mittelalterliche Tierepik geht u.a. auf den in der Mitte des 12. Jh. möglicherweise in Gent entstandenen lateinischen Ysengrimus-Text zurück. Weiter gilt die französische Sammlung Tiergedichte Roman de Renart als bedeutende Vorlage vieler epischer Tiergeschichten in den europäischen Volkssprachen. So verarbeitete ein Heinrich, früher verstanden als der Glîchezâre, 1182 einen Teil des Stoffes als Reinhart Fuchs ins Mittelhochdeutsche. Als Grundlage des mittelniederländischen Van den vos Reynaerde aus der Mitte des 13. Jh. diente die Li Plaid-branche, eine Episode, die von Reinharts Prozess handelt. Der Plot wurde am Ende des 15. Jh. zu Reynaerts historie umgearbeitet. Eine mittelniederländische Version der Reynaert-Geschichte, die 1487 in Antwerpen in Druck ging, wurde ins Niederdeutsche übersetzt und 1498 in Lübeck herausgegeben. Diese Übersetzung zählte zu den Quellen, die Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) 1794 bei der Verfassung seines Reineke Fuchs berücksichtigte. Die folgende Episode aus Van den vos Reynaerde, die zur bedeutendsten Epik der mittelniederländischen Literatur zählt, handelt vom misslungenen Versuch Bruuns, den Fuchs vor Gericht zu stellen. Anschliessend folgt eine niederdeutsche Version sowie Goethes Fassung der gleichen Episode.

III  Jacob van Maerlant, Rijmbijbel, Rijksmuseum Meermanno-Westreenianum, Den Haag,   Kodex 10 B 21, fol. 38 r.

IV  Beatrijs, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag, Kodex 76 E 5, fol 47 v.

4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

Van den vos Reynaerde Jc soude te houe sijn ghegaen Al haddet ghi mi niet gheraden Maer mi es den buuc so gheladen Ende in so vtermaten wijse Met eere vremder niewer spise Jc vruchte in sal niet moghen gaen Jnne mach sitten no ghestaen Jc bem so vtermaten zat Reynaert wat haetstu wat Heere brune ic hat crancke haue Arem man dan nes gheen graue Dat mooghdi bi mi wel weten Wi aerme liede wi moeten heten Hadden wijs raet dat wi node haten Goeder versscher honich raten Hebbic couuer arde groet Die moetic heten dor den noet Als ic hel niet mach ghewinnen Nochtan als icse hebbe binnen Hebbicker af pine ende onghemac Dit hoerde brune ende sprac HElpe lieue vos reynaert Hebdi honich dus onwaert Honich es een soete spijse Die ic voer alle gherechten prijse Ende icse voer alle gherechten minne Reynaerd helpt mi dat ics ghewinne Edele reynaert soete neve Also langhe als ic sal leuen Willic hu daer omme minnen Reynaerd helpt mi dat ics ghewinne Ghewinnen bruun ghi hout hu spot Jn doe reynaert so waer ic zot Hildic spot met hu neen ic niet Reynaert sprac bruun mochtijs yet Of ghi honich moghet heten Bi huwer trauwen laet mi weten Mochtijs yet ic souts hu saden Jc saels hu so vele beraden Ghine hatet niet met hu tienen

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Waendic hu hulde daer met verdienen Met mi tienen hoe mach dat wesen Reinaert hout huwen mont van desen Ende sijts seker ende ghewes Haddic al thonich dat nu es Tusschen hier ende portegale Jc haet al vp teenen male REynaerd sprac bruun wat sechdi Een dorper heet lamfroit woent hier bi Heuet honich so vele te waren Ghine hatet niet in .vij. jaren Dat soudic hu gheuen in hu ghewout Heere brune wildi mi wesen hout Ende voer mi dinghen te houe Doe quam brune ende ghinc ghelouen Ende sekerde reynaerde dat Wildine honichs maken zat Des hi cume ombiten sal Hi wilde wesen ouer al Ghestade vrient ende goet gheselle Hier omme louch reynaert die felle Ende sprac bruun heelt mare Verghaue god dat mi nu ware Also bereet een goet gheual Alse hu dit honich wesen sal Al wildijs hebben .vij. hamen Dese woort sijn hem bequame Bruun ende daden hem so sochte Hi louch dat hi nemmee ne mochte Doe peinsde reynaerd daer hi stoet Bruun es mine auonture goet Jc wane hu daer noch heden laten Daer ghi sult lachen te maten NA dit peinsen ghinc reynaert huut Ende sprac al ouer luut Oem bruun gheselle willecome Het staet so suldi hebben vrome Hier ne mach zijn gheen langher staen Volghet mi ic sal voeren gaen Wi houden desen crommen pat Ghi sult noch heden werden zat

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

Saelt na minen wille gaen Ghi sult noch heden hebben sonder waen Also vele als ghi moghet ghedraghen (Van den vos Reynaerde 1952, 36–42)

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Der Text des Reinke de Vos, der über verschiedene Zwischenstufen entstand, enthält die folgende Version dieser Episode: Al hadde gy dessen wech nicht anghenomen, Ik were doch morgen to houe komen. Doch duncket my sere in myneme waen, Ik schal nu nicht wol konen ghaen: Ik hebbe my gheten alto sath, Id was nye spyse, de ik ath; Dat gantze lyff deyt my wee dar van‘. Do sprak Brun: ‚Reynke oem, wat ete gy dan?‘ Do sprak Reynke: ‚leue dem, wat hulpe yw dat, Wan ik yw sede, wat ik ath? Id was rynge spyse, dar ik nu by leue; Eyn arm man en is yo neen greue. Wan wy id nicht konen beteren myt vnsen wyuen, So mote wy eten versche honnichschyue. Sodane kost ath ik dorch de noed, Dar van is my de buek so groet; Ik moet se eten an mynen danck, Dar van byn ik wol half kranck; Wan ik dat yummer beteren kan, Wolde ik vmme honnich node vpstan‘. Do sprack Brun alzo vort: ‚Wanne wanne, wat hebbe ik nu ghehort! Holde gy honnich so seer vnwerd, Dat doch mannich myt vlite begerd? Honnich is eyn so soethen spyse, De ik vor alle gherychte pryse. Reynke, helpet my dar by to komen, Ik wyl wedder schaffen yuwen vromen‘. Reynke sprak: ‚Brun oem, gy holden yuwen spot‘. Brun sprak: ‚neyn, so helpe my god! Scholde ik spotten, dat do ik node‘. Do sprak wedder Reynke, de rode: ‚Is dat yuwe ernst, dat latet my wetten,

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Moghe gy dat honnich so gherne eten? Eyn bur wonet hir, de heth Rustevyle, Dat is men eyne halue myle; By em is so vele honnyges, vorstat my recht, Gy segens ny meer myt al yuwem slecht’ Brunen deme stack seer dat smer, Na honnige stunt al syn begher. He sprak: ‚latet my komen dar by, Ik dencke des wedder, louet des my. Wan ik my honniges sath mochte eten, So mostemen my des vele tometen’. Reynke sprak: ‚gha wy hen vp de vart! Honniges schal nicht werden ghespart. Al kan ik recht nu nicht wol ghaen, Recht truwe mod yummer schinen vor an, De ik myt gunst to yw drage. Wente ik weed nenen manckt al mynen mage, Den ik alsus wolde menen; Wente gy my seer wol wedder konen denen Jegen myne vyende vnde yegen ere klage In des konnynges hoff tom herendage. Ik make yw noch tauent honniges sath, Dar to van deme besten, merket dat, So vele, alse gy des yummer mogen dregen’. Men Reynke mende van groten slegen. Reynke loech seer vnde swynde; Brun volgede em na alse eyn blynde. Reynke dachte: ‚wylt my ghelyngen, Ik wil di to degen vppet honnichmarket bringen’ Se quemen to hant by Rustevyls thun. Do vraude syk seer de bare Brun, Men des he syk vroude, dar wart nicht van. So gheyt yd noch mannygem vnvroden man. (Reinke de Vos 1960, 25–27)

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Goethe berücksichtigte beim Verfassen seines Reineke Fuchs Gottscheds 1752 veröffentlichte Prosabearbeitung der niederdeutschen Übersetzung von 1498: Hatte der mächtige König sonst keinen Boten zu senden, Als den edelsten Mann, den er am meisten erhöhet? Aber so sollt es wohl sein zu meinem Vorteil; ich bitte,

4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

Helft mir am Hofe des Königs, allwo man mich übel verleumdet. Morgen setzt ich mir vor, trotz meiner misslichen Lage, Frei nach Hofe zu gehen, und so gedenk ich noch immer; Nur für heute bin ich zu schwer, die Reise zu machen. Leider hab ich zu viel von einer Speise gegessen, Die mir übel bekommt; sie schmerzt mich gewaltig im Leibe. Braun versetzte darauf: Was war es, Oheim? Der andre Sagte dagegen: Was könnt es euch helfen, und wenn ich’s erzählte. Kümmerlich frist ich mein Leben; ich leid es aber geduldig, Ist ein armer Mann doch kein Graf! und findet zuweilen Sich für uns und die unsern nichts Besseres, müssen wir freilich Honigscheiben verzehren, die sind wohl immer zu haben. Doch ich esse sie nur aus Not; nun bin ich geschwollen. Wider Willen schluckt ich das Zeug, wie sollt es gedeihen? Kann ich es immer vermeiden, so bleibt mir’s ferne vom Gaumen. Ei! was hab ich gehört! versetzte der Braune, Herr Oheim! Ei! verschmähet ihr so den Honig, den mancher begehret? Honig, muss ich euch sagen, geht über alle Gerichte, Wenigstens mir; o schafft mir davon, es soll euch nicht reuen! Dienen werd ich euch wieder. – Ihr spottet, sagte der andre. Nein wahrhaftig! verschwur sich der Bär, es ist ernstlich gesprochen. Ist dem also, versetzte der Rote: da kann ich euch dienen, Denn der Bauer Rüsteviel wohnt am Fusse des Berges. Honig hat er! Gewiss mit allem eurem Geschlechte Saht ihr niemal so viel beisammen. Da lüstet’ es Braunen Übermässig nach dieser geliebten Speise. O führt mich, Rief er, eilig dahin! Herr Oheim, ich will es gedenken. Schafft mir Honig und wenn ich auch nicht gesättiget werde. Gehen wir, sagte der Fuchs: es soll an Honig nicht fehlen, Heute bin ich zwar schlecht zu Fusse; doch soll mir die Liebe, Die ich euch lange gewidmet, die sauern Tritte versüssen. Denn ich kenne niemand von allen meinen Verwandten, Den ich verehrte wie euch! Doch kommt! Ihr werdet dagegen An des Königes Hof am Herrentage mir dienen, Dass ich der Feinde Gewalt und ihre Klagen beschäme. Honigsatt mach ich euch heute, so viel ihr immer nur tragen Möget. – Es meinte der Schalk die Schläge der zornigen Bauern. Reineke lief ihm zuvor und blindlings folgte der Braune. Will mir’s gelingen, so dachte der Fuchs, ich bringe dich heute Noch zu Markte, wo dir ein bittrer Honig zuteil wird.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Und sie kamen zu Rüsteviels Hofe; das freute den Bären, Aber vergebens, wie Toren sich oft mit Hoffnung betrügen. (Goethe 1962, 574–575) 4.3.1.2. Augustin, Mich heeft een ridder die waldoen haet Augustins Lied Mich heeft een ridder die waldoen haet aus der Haager Liederhandschrift enthält Formen deutsch-niederländischer Sprachmischung, die Vortragskünstler und Dichter als poetisches Mittel im 14. Jh. bevorzugten, wohl um die Atmosphäre des bewunderten hochdeutschen Minnesangs hervorzurufen (vgl. 4.4.3.2.). Beim Vortrag hat der Troubadour bestimmt versucht, sein Publikum hereinzulegen: die Verneinung der jeweils nächsten Zeile, vgl. die kursiven Wörter, bot ihm die Gelegenheit, seine frechen Aussagen rechtzeitig zu verharmlosen: Mich heeft een ridder, die waldoen haet; Tot geenre tijt hi es gemint, Den trouwen goeden hi versmaet, Niet hi es ter doecht gezint, Tzů der archeit hi hem geeft, Node ich hem doget wenschen, Want argelist in hem cleeft; Alte zelden hi eerlijc leeft, Ghelijc den goeden menschen. Al zin meynen ist buesheit, Sonder doecht is al zin wesen, Oec doet hi ongetruwicheit, Niement ich hore prisen desen, Onreyne gelaet ist hem vast, Nemmermeer hi eer bejaecht, Daerzů is hi een onwert gast, Nergent hi wil spien na rast, Hem en ruecht, wie hem beclacht. Manheit hait er och begeven, Nicht vrom is er bevonden, Der goeder wijf haesent zin leven, Ghein doget he sprac al sine stonden, Hogen name zal he scuwen, Nemmermee he staet na lof, Den goeden mach wal vor hem gruwen,

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

Min dan niet he mint den truwen In alre goeden heren hof. Augustin (Augustin 1940, 40)

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Frei übersetzt heisst dies: ich bin im Dienst eines Ritters, der Wohltun hasst zu keiner Zeit ist er geliebt den treuen Guten verschmäht er nicht er ist zu Tugend geneigt dem Bösen ergibt er sich ungern ich ihm Tugend wünsche denn Hinterlistigkeit klebt in ihm all zu selten lebt er ehrlich wie der gute Mensch alle seine Absichten sind bösartig ohne Tugend ist ganz sein Wesen auch behandelt er untreu keinen ich höre diesen loben ein unreines Antlitz besitzt er sicher nie er jagt nach Ehre dazu ist er ein unwürdiger Gast nirgends er sucht nach Ruhe es ist ihm egal, wer sich über ihn beklagt Tapferkeit hat ihn auch verlassen nicht fromm wird er befunden gute Frauen hassen sein Leben nicht Tugend sprach er alle seiner Stunden hohe Namen wird er scheuen nie er sucht Lob es graut dem guten Menschen wohl vor ihm weniger als nicht liebt er den Treuen am Hof des guten Herren

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4.3.1.3. Matthijs de Castelein, Rethorike Extraordinaire Als ausgefallenes Beispiel der Rhetoriker-Kunst darf Matthijs de Casteleins (vgl. 4.1.3.2., 4.2.4.) Gedicht in Form eines Schachbrettes gelten.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Abb. 9:  Matthijs de Castelein, Rethorike Extraordinaire.

Indem man eine Reihe auf dem Schachbrett auswählt, entsteht eine Ballade; dies geschieht horizontal, vertikal und diagonal. Nachfolgend eine der 38 Balladen, die auf diese Weise zustande kamen: Ghy moedt zeer curts van hier Droufheid zal dy ghenaken En weest dogh niet zo fier Dijn leuen zal dy laken Vvild dees ghenoughte slaken Vvacht hu voor thelsg verstoren Ter dueght steld al dijn haken Met die God toebehoren. (Castelein 1986, 224)

4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

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Frei übersetzt heisst dies: Sie müssen in Kürze von hier aufbrechen. Betrübnis wird Sie treffen. Und seien Sie doch nicht so hochmütig. Ihr Leben wird Sie rügen. Dieses Genügen müssen Sie loslassen. Passen Sie auf vor dem höllischen Zerstören. Wandeln Sie Ihr ganzes Verlangen in Tugend um Damit gehören Sie zu Gott. 4.3.1.4. Elckerlijc Den Spyeghel der Salicheyt van Elckerlijc aus dem Jahr 1496 ist eine Moralität oder ein Sinnspiel, in dem Elckerlijc (‚Jedermann‘) seinen Tod angekündigt erhält und Rechenschaft über sein nicht allzu einwandfreies Leben ablegen muss. In der gleichen Zeit entstand Everyman, eine englische Version dieses Theaterstückes, Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) verarbeitete den Stoff in seinem Jedermann (1911). Während seiner Suche nach jemandem, der ihn auf seiner letzten Reise begleiten möchte, trifft die Hauptperson Gheselscap (seine Freunde): ELCKERLIJC Goeden dach, Gheselscap! GHESELSCAP Elckerlijc, goeden dach Moet u God gheven ende ghesonde! Hoe siedi dus deerlic? doet mi orconde: Hebdi yet sonderlings dat u let?

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ELCKERLIJC Jae ick, Gheselscap. GHESELSCAP Achermen, hoe sidi dus ontset! Lieve Elckerlijc, ontdectmi uwen noot. Ic blive u bi tot in die doot, Op goet gheselscap ende trou ghesworen! ELCKERLIJC Ghi segt wel, Gheselscap. Want tes verloren!

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

GHESELSCAP Ick moet al weten, u druc, u lijden. Een mensche mocht druc uut u snijden! Waer u mesdaen, ic helpt u wreken, Al soudicker bliven doot ghesteken Ende ict wiste te voren claer!

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ELCKERLIJC Danc hebt, Gheselscap. GHESELSCAP Ghenen danck een haer. Daer by segt mi u doghen. ELCKERLIJC Gheselle, oft ick u leyde voer oghen Ende u dien last viel te swaer, Dan soude ic mi meer bedroeven daer. Maer ghi segt wel, God moets u lonen.

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GHESELSCAP Way, ic meynet, al sonder honen. ELCKERLIJC Ic en vant noyt anders aen u dan trouwe.

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GHESELSCAP So en suldi oeck nemmermeer! ELCKERLIJC God loons u ende ons Vrouwe! Gheselle, ghi hebt mi wat verhaecht. GHESELSCAP Elckerlijc, en sijt niet versaecht. Ick gae met u, al waert in die helle. ELCKERLIJC Ghi spreect als een gheselle. Ic sal u dancken, als ic best kan.

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

GHESELSCAP Daer en is gheen dancken an. Diet niet en dade in wercken aenschijn, Hi en waer niet waert gheselle te sijn. Daer om wilt mi uwen last ontdecken Als ghetrouwe vrient. ELCKERLIJC Ick salt u vertrecken Hier nu, seker al sonder veysen. Mi es bevolen dat ic moet reysen Een grote vaert, hardt ende stranghe. Oec moet ic rekeninge doen bi bedwange Voer den hoochsten Coninc almachtich. Nu bid ic u, dat ghi zijt bedachtich Mede te gaen, so ghi hebt beloeft. GHESELSCAP Dats wel blikelijc… Die ghelofte houdic van waerden. Mer soudic sulcken reyse aenvaerden Om beden wille, mi souts verdrieten; Ic soude van deser gheruchte verscieten. Mer doch willen wi dbeste doen Ende ons beraden.

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ELCKERLIJC Och hoort doch dit sermoen! Seydi mi niet, had icx noot, Mede te gaen tot in die doot Oft in die helle, had ict begaert. GHESELSCAP Dat soudic seker, maer sulc ghevaert Es uut ghesteken, plat metten ronsten! Om waer seggen, of wi die vaert begonsten, Wanneer souden wij weder comen na desen? ELCKERLIJC Daer en is gheen weder keeren.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

GHESELSCAP So en wil icker niet wesen. Wie heeft u die bootscap ghebracht? ELCKERLIJC Ay lazen, die Doot!

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GHESELSCAP Help, heylighe Gods cracht! Heeft die Doot gheweest die bode? Om al dat leven mach van Gode En ghinc icker niet, mocht icx voerbi. ELCKERLIJC Ghi seydet mi nochtans toe. GHESELSCAP Dat kenne ick vry. Waert te drincken een goet ghelaghe, Ick ghinc met u totten daghe, Oft waert ter kermissen buten der stede, Oft daer die schone vrouwen waren.

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ELCKERLIJC Daer ghingdi wel mede. Waert altoos met ghenuechten te gaen, soe waerdi bereet. GHESELSCAP Hier en wil ic niet mede, God weet! Maer woudi pelgrimagie gaen, Oft woudi yemant doot slaen, Ic hulpen ontslippen tot in die broock ende oec cloven ontween. ELCKERLIJC Och dat is een sober bescheen! Gheselle, ghi wilt anders dan ick alst noot is. Gheselle, peyst om trouwe die groot is, Die wi deen den anderen over menich jaer Beloeft hebben.

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

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GHESELSCAP Trou hier, trou daer! Ic en wilder niet aen, daer mede gesloten. ELCKERLIJC Noch bid ic, en hadt u niet verdroten, Doet mi uut gheleye, maect mi moet, Tot voer die poerte. GHESELSCAP Tjacob! ic en sal niet eenen voet. Mer haddi ter werelt noch ghebleven, Ick en hadde u nemmermeer begheven. Nu moet u Ons Lieve Here gheleyden. Ick wil van u scheyden. (Elckerlijc 1985, 12–18) Hugo von Hofmannsthal, Jedermann JEDERMANN […] Gegrüsst, Freund! DER FREUND Einen guten Tag Geb Gott dir, halte dich gesund! Was blickst du kläglich? Tu mir kund: Was ist geschehn, dass du verletzt? JEDERMANN Ach Freund! DER FREUND Wie bist du so entsetzt? Mein Jedermann, sag deine Not: Ich bleibe bei dir bis zum Tod, Freundschaft und Treue sind geschworen! JEDERMANN Du nennst, mein Freund, was längst verloren.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

DER FREUND So sage deine Last, dein Leiden! Ich werde das Geschwür schon schneiden. Geschah dir Unrecht, will ich’s rächen, Und sollte man mit Messern stechen, Wenn mir nur alles recht erklärt. JEDERMANN Ich dank dir, Freund! DER FREUND Dank ist verwehrt! Doch sag nun, was dich so erfüllt! JEDERMANN Wenn ich es dir, mein Freund, enthüllt Und dir die Last zuletzt zu schwer, Das träfe mich fürwahr noch mehr. Doch wirst du’s tun mit Gottes Lohn. DER FREUND Ich steh dafür! Ganz ohne Hohn! JEDERMANN Du sprichst so gut und ungemein, Du einzig, Freund, kannst treu nur sein. DER FREUND Sonst achtete ich mich nicht mehr. JEDERMANN Gott lohne es und die Jungfrau hehr! Ach, Freund, das hat mir gut getan! DER FREUND Sei nicht verzagt, mein Jedermann! Ich folge dir bis in die Hölle. JEDERMANN Du sprichst als wackerer Geselle, Ich will dir danken, wie ich kann.

4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

DER FREUND Dafür nehm ich kein Danken an: Wer Wort und Tat im Leben trennt, Verdient nicht, dass man Freund ihn nennt. Nun sag mir, was bedrückt dein Sinnen, Mein teurer Freund? JEDERMANN Ich muss von hinnen Ohne Verzug und ohne Klagen. Der Aufbruch ist mir aufgetragen Sehr hart und streng zur grossen Fahrt. Auf meine Rechenschaft man harrt Vorm König, der im Himmel ist. Nun bitt ich, dass auch du beschliesst Zu reisen, wie’s versprochen ist. DER FREUND Mein Wort in Ehren, das ist billig – Doch solche Reise unfreiwillig Zu tun, das schafft am Ende Streit; Da wär ich bald der Mühe leid. Doch wollen wir das Beste tun Und uns beraten. JEDERMANN Hört ihn nun! Versprachst du nicht, wenn ich in Not, Mit mir zu gehn bis in den Tod, Zur Hölle gar, so ich’s begehrt’? DER FREUND Das habe ich gewiss erklärt, Doch solche Fahrt, die sei erwogen. Sag deutlich: wenn wir ausgezogen, Wann kommen wir danach nach Haus? JEDERMANN Dann ist es mit der Heimkehr aus!

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

DER FREUND Nein, Jedermann! Dann lass mich aus! Wer hat die Botschaft dir gebracht? JEDERMANN Der Tod, mein Freund! DER FREUND Bei Gottes Macht! So kam die Kunde dir vom Tod! Bei allem Leben, das von Gott! Die Reise tu nur ohne mich. JEDERMANN Du gabst dein Wort . . DER FREUND Das kenne ich. Ging es zu einem Trinkgelage, Ich wäre bei dir alle Tage, Zur Kirmess auch im Lande weit, Mit schönen Fraun . . JEDERMANN Du wärst bereit! DER FREUND Bei solcher Reise tut’s mir leid – Wollt es auf eine Wallfahrt gehn, Gält es zu töten irgendwen: Selbst nackend wäre ich bereit. JEDERMANN Das ist ein magerer Bescheid! Du drehst dich, Freund, sobald es schwer ist; Denk an die Treue, die uns hehr ist! Die wir gelobt mit festem Sinn. DER FREUND Ach Treue her und Treue hin! Es nicht zu tun, bin ich entschlossen.

4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

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JEDERMANN Ich flehe, hat’s dich auch verdrossen, Mach Mut mir, wenn ich gehen muss Bis vor die Pforte . . DER FREUND Keinen Fuss, Beim heil’gen Jakob, will ich regen, Dies alles kommt mir nicht gelegen. Wärst du auf dieser Welt geblieben, So wollte ich dich weiter lieben; Jetzt aber helfe Gott uns beiden! Ich lasse dich . . (Der Freund verlässt ihn) (Hugo von Hofmannsthal, Jedermann 1950, 13–16)

4.3.2. Briefe 4.3.2.1. Brief von Hadewijch Die Mystikerin und Lyrikerin Hadewijch lebte im 13. Jh. in Brabant. Sie war vornehmer Herkunft, gehörte zur Beginenbewegung und spielte eine entscheidende Rolle in einer Gruppe von gleichgesinnten Freundinnen. Die von ihr überlieferten Texte, Visionen, strophische Gedichte und Briefe zeugen von ihrer Brabanter Abstammung. Die Werke Hadewijchs wurden 1923 von J.O. Plassmann übersetzt und mit ausführlichen Erläuterungen versehen. Der unten stehende neunte Brief ist an eine Freundin gerichtet: God doe u weten, lieve kint, wie hi es ende wies hi pleghet met sinen knechten ende nameleke met sinen meiskenen ende verslende u in hem. Daer de diepheit siere vroetheit es, daer sal hi u leren wat hi es ende hoe wonderleke soeteleke dat een lief in dat ander woent ende soe dore dat ander woent dat haerre en gheen hem selven en onderkent, mer si ghebruken onderlinghe ende elc anderen, mont in mont ende herte in herte ende lichame in lichame ende ziele in ziele, ende ene soete godlike nature doer hen beiden vloyende ende si beide een dore hen selven ende al eens beide bliven ja ende blivende. (Hadewijch 1947, 106) Gott tue dir kund, liebes Kind, wer er ist, und wie er mit seinen Knechten, besonders aber mit seinen Mädchen verfährt. Er verschlinge dich in sich selbst, wo die Tiefe seiner Weisheit ist: da wird er dich lehren, was er ist; wie wunderbar süss ein Lieb im andern wohnt und so ganz durch das andere wohnt, dass keins von ihnen sich selbst mehr unterscheidet. Aber einander geniessen sie beide Mund in Mund, Herz in Herz, Leib in Leib und Seele in Seele: indem

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

eine göttliche Natur in Wonne beide durchfliesst, und beide ganz Eins sich selber; und Eins werden sie bleiben, ja bleiben. (Hadewijch 1923, 21)

4.3.3. Historische Texte 4.3.3.1. Lodewijk van Velthem, Guldensporenslag Lodewijk van Velthem (vgl.  4.2.4.) setzt sich mit seiner Fortsetzung des Spiegel Historiaels in die Tradition von Jacob van Maerlant. Seine Beschreibung des Guldensporenslag vom 11. Juli 1302 ist ein lebendiger Bericht aufgrund von Forschung zeitgenössischer Quellen. Unten stehendes Fragment beschreibt, wie die schwer bewaffneten Brabanter Herren, umzingelt vom einfach bewaffneten flämischen Volksheer, in höchster Not plötzlich ihre flämische Muttersprache gebrauchen. Van Brabant oec die grote heren begonden haer gecri verkeren. Si consten wel der Vlaminge tongen. Van haren orsse datsi sprongen, ende liepen onder hem te voet. ‚Vlaendren ende leu!‘ des warensi vroet dattie Vlaminge also riepen, ende riepent mede aldaer si liepen, ende om tontdragen daer haer leven, vor die stave datsi beven. Sine hadden el niet inden mont, dan ‚Vlaendren ende leu!‘ Dit verstont menich Vlaeminch ende werd geware dattie Brabanter scare met hem roepen haren cri, ende gingent secgen na her Ghi: ‚Here,‘ secgense, ‚wats hier te rade? Wi nemen int here grote scade: die Brabanters roepen als wi doen ende volgen mede den lyoen. Het scijnt vriende ende sijn viande!‘ Mijn her Ghi hief op te hande, met ere groter stemme hi riep, daer hi met inden storm liep: ‚Slaet al doet! Hets volc verbannen wat dat sporen heeft gespannen!‘ Daer bleven prinsen in dit jagen

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

vanden Vlamingen dus verslagen. Die Brabantsce ridders van banieren bleven tuscen 2 rivieren. (Van Velthem 2002, 184)

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Frei übersetzt heisst dies: Auch die Herren von Brabant änderten ihren Schlachtruf. Sie kannten die Sprache der Flamen. Sie sprangen von ihren Pferden und gingen zusammen zu Fuss weiter (um nicht aufzufallen). „Flandern und der Löwe!“ war der Ruf, wovon sie wussten, dass die Flamen ihn so aussprachen, und sie riefen dasselbe umhergehend, um mit dem Leben davonzukommen; vor den Keulen hatten sie Angst. Sie riefen immerzu „Flandern und der Löwe!“ Manch Flame entdeckte und begriff, dass die Schar Brabanter ihren (flämischen) Schlachtruf mit ihnen mitrief, sie setzten Herrn Gwij davon in Kenntnis: „Herr“, sagten sie, „was können wir unternehmen? Wir erleben in unserer Armee grossen Schaden: die Brabanter rufen dasselbe wie wir und laufen ebenfalls hinter dem Löwen her. Sie scheinen dadurch wie Freunde, sind aber Feinde!“ Herr Gwij erhob sofort seine Stimme und tobte, sich auf den Angriff stürzend: „Schlagt sie allesamt tot! Alle die Sporen anhaben, sind Verfluchte!“ Vornehme Leute wurden während der Verfolgung von den Flamen getötet. Die Brabanter Ritter verloren ihr Leben zwischen zwei Bächen.

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4.3.3.2. Melis Stoke, Rijmkroniek van Holland Melis Stoke (vgl. 4.2.4.) wird traditionellerweise die Rijmkroniek van Holland zugeschrieben. Diese Chronik in Versform über die Grafschaft umfasst die Periode 366–1305 und basiert auf ge-

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

schriebenen Quellen, Zeugenerklärungen und eigenen Wahrnehmungen. Sowohl Literaturhistoriker wie auch Historiker betrachten die Chronik als eine der wesentlichsten Quellen der holländischen Geschichte und Literatur des 13. Jh. Unten stehendes Fragment beschreibt den Mord an Graf Floris V. im Jahre 1296 (vgl. 4.1.1.) durch Geeraerdt van Velsen, eine Episode, die im 17. Jh. im Mittelpunkt des Dramas Geeraerdt van Velsen (1613) von P.C. Hooft (vgl. 5.2.3.4.) stehen wird. Recht opden vijften daghe Souden sine voeren haerre vaerde, Ende settene op enen paerde, Ende bonden hem sine voete Ondert paert wel onsoete, Ende enen hantscoe inden mont; Dat seide mi deent was cont Ende diene dus ghebonden vant. Doe voerden sine alte hant Tote dat si bi Naerden quamen; Doe saghen si ende vernamen De liede ligghen in dat coren. Gheraert van Velsen de reet voren, Ende vraghede hem wat si sochten. Dandre seiden: dat si brochten, Dat wildsi hebben: dat waer de grave; Dan wildsi laten doer ghene have. ‚Dan sal niet wesen!‘ sprac Gheraert, Ende warp omme metter vaert. Hi trecte tsweert ende wilde slaen Den grave, de hem pijnde tontgane. Hi waende tpaerdekijn springhen soude Over den vliet; ende also houde Viel dat paert metten grave In den sloot. Gheraert sat ave, Ghetrect sweerts, ende ghinkene slaen. De grave mochte niet ontgaen, Want hi ant paert was ghebonden. Daer stac hine ten selven stonden Metten sweerde dor den live, Ende gaf hem wonden meer dan vive. Oec stac hine int herte, dats waer, Dat ment vant al openbaer. Si gaven hem ten selven stonden So diepe ende so vele wonden,

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

Dat hi daer den gheest op gaf, Eer de van Naerden wisten der af. Doe sijt vernamen liepen si toe, Ende Gheraerde van Velsen was doe Sijn paert so verre van hem ghegaen, Dat hijs niet en mochte vaen. Een sijn knape gaf hem sijn paert, Daer hi mede ontreet ter vaert. So deden de op peerde waren; (Stoke 2004, 230–232)

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Frei übersetzt heisst dies: Genau am fünften Tage (nach der Verhaftung) Sollten sie ihn mitführen auf ihrem Weg, Und auf ein Pferd setzen Und sie banden seine Füsse zusammen Unter dem Pferd auf grausame Weise, Sie pfropften ihm einen Handschuh in den Mund. Das erklärte mir jemand, der das wusste Und der ihn so festgebunden antraf. Sofort führten sie ihn mit sich mit, Bis sie in der Gegend Naarden ankamen. Dort entdeckten sie, Dass Menschen im Korn lagen. Gerard van Velzen ritt nach vorn und Fragte sie, was sie wollten. Die Gegenseite teilte mit, dass sie denjenigen haben wollten, Den sie mitführten, nämlich den Grafen, Und für kein Geld der Welt wollten sie darauf verzichten. ‚Das wird nicht möglich sein‘, sprach Gerard, Und wendete sogleich sein Pferd. Er zog sein Schwert und wollte damit Den Grafen treffen, der versuchte zu fliehen. Er glaubte, dass sein Pferdchen über den Bach Springen würde, aber unmittelbar danach Fiel das Pferd zusammen mit dem Grafen In den Graben. Gerard stieg von seinem Pferd, Mit gezogenem Schwert und begann auf ihn einzuschlagen. Der Graf konnte nicht fliehen, Weil er an seinem Pferd festgebunden war.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

In dem Augenblick durchstach Gerard Mit seinem Schwert Floris’ Körper Und fügte ihm mehr als fünf Wunden zu. Auch durchbohrte er sein Herz, das ist sicher, So dass man es sehr deutlich wahrnehmen konnte. Sie fügten dem Grafen im selben Moment So viele und solch tiefe Wunden zu, dass er folglich den letzten Atem ausstiess, Bevor die Naarders davon erfuhren. Als sie es erfuhren, stürmten sie los; Und das Pferd von Gerard van Velzen War dann so weit von ihm entfernt, Dass er es nicht fangen konnte. Einer seiner Diener gab ihm sein Pferd, Womit er spornstreichs wegritt. Dasselbe taten diejenigen, die zu Pferde waren.

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4.3.4. Religiöse Texte 4.3.4.1. Hendrik van Veldeke, Sint Servaes Hendrik van Veldekes (vgl. 4.2.4.) Legende über Sankt Servaes, die Sint Servaeslegende, enthält die unten stehende Beschreibung der günstigen Lage Maastrichts: Doen die ongherechte,  Die waren des viants knechte, Des waren woerden in eyn, Der enghel sinte Seruaes erscheyn. Hij geboet den heilighen manne Dat hi voer van danne All daer hij noch is, te Triecht, In eynen dall scoen ende liecht, Effen ende wael ghedaen Daer twee water tsamen gaen, Eyn groot ende eyn cleyne, Claer, schoen ende reyne. Dats die Jeker ende die mase. Beide te korne ende te grase Es die stadt wale gheleghen Ende te schepen in voele weghen, In visschen ende in ghewilden Ende in goeden ghevylden

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

Der bester coren eerden Die ye mochte ghewerden. Des steyt die stat te maten Aen eynre ghemeynre straten Van Inghelant in ongheren Voer Colne ende voer tongheren Ende alsoe dies ghelijck Van Sassen in vrancrijck Ende mit scepe die des pleghen Te denemerken ende te norweghen. Die weghe versamenen sich all dae. Des is die stadt daer nae Gheheiten Traiectum. Daer sande god Seruacium. (Veldeke 1950, 48)

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Frei übersetzt heisst dies: Als die Ungerechten, Die die Diener des Teufels waren, Sich darüber geeinigt hatten, Erschien der Engel dem St. Servaas. Er gebot dem heiligen Mann, Dass er dort (aus Tongeren) weggehen müsse Zum Ort, wo er noch ist: Tricht, (Gelegen) in einem schönen und hellen Tal, Flach und wohlgeformt, Wo zwei Flüsse zusammenfliessen. Ein grosser und ein kleiner, Hell, sauber und rein: Das sind der Jeker und die Maas. Sowohl für Äcker als für Weiden Ist die Stadt günstig gelegen, Als auch für die Schifffahrt in viele Richtungen, In einem fisch- und wildreichen Gebiet Und inmitten von guten Feldern Der besten Getreideerde, Die es je gegeben hat. Also liegt die Stadt günstig An einem allgemeinen Weg Von England nach Ungarn,

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

In der Nähe von Köln und nahe bei Tongeren Und ebenfalls (auf dem Weg) Von Sachsen nach Frankreich, Und für die Schiffe, die davon Gebrauch machen (Auf dem Weg) von Dänemark nach Norwegen. Alle diese Wege kommen dort zusammen. Darum ist die Stadt danach Genannt: Traiectum (d. h. Durchfahrt). Dorthin sandte Gott Servatius.

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4.3.4.2. Jacob van Maerlant, Rijmbijbel Jacob van Maerlant (vgl. 4.2.) mied häufig spezifische flämische Ausdrucksweisen, wohl um seine Schriften einem weiteren Kreis zugänglich zu machen. Hier folgt ein Fragment aus der Schöpfungsgeschichte der Rijmbijbel (vgl. Farbb. II, III), gefolgt von einer deutschen Zusammenfassung. Merct hic wille ghis seker siit dits beghin van alre tiit God die maecte int beghin Den hemel ende oec mede der in Alle die inghelike nature Desen hemel heet die scrifture Empireus in rechter name daer die inghele hare beghin in namen ende hi maecte die erde mede Wi verstaen al hier ter stede daer die lettere die erde noemnt dat met hare materien compt al dat bi der erden leuet ende al die dinc die soe vte gheuet Ende weder in hare kert dies weest oec wijs ende gheleert die materie van allen dieren van allen cruden van manieren van boemen. van adams vlesche mede brochte soe voer hare daer ter stede Maer niet ne maketse god noch toe hier namaels maect hise ende hoert hoe die viere elemente. water. vier. Erde. lucht. die waren hier Ghemaect al daer men die erde noemnt (Maerlant 1983, 5)

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

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Zusammenfassung: Merken Sie, dass Sie sich vergewissern, dass dies der Anfang aller Zeiten ist. Gott schuf am Anfang den Himmel und auch alle Engelhaften darin. Dieser Himmel heisst gemäss der Heiligen Schrift das Empireum, und dort befanden sich seit dem Anfang die Engel. Und Er schuf auch die Erde, mit aller Materie, mit allem was auf der Erde lebt und allem was die Erde hervorbringt. Er schuf alle Tiere, alle Pflanzen, und ebenfalls schuf er den Menschen Adam. Zugleich wurden die vier Elemente Wasser, Feuer, Erde und Luft an diesem Ort, den man die Erde nennt, geschaffen. 4.3.4.3. Beatrijs Der von einem anonymen Dichter im 13. Jh. verfasste Beatrijs-Text, die mittelniederländische Fassung der bekannten, in mehreren Sprachen überlieferten Marienlegende, handelt von der verliebten Nonne Beatrijs. Das Graphem ‚V‘ am Anfang des Textes kann neben auch die Zahl bezeichnen und so auf Maria verweisen: ihr Name enthält fünf Buchstaben, sodann umfasst der ihr gewidmete Text fünf Sätze, zudem ist die Anfangsinitiale mit einer Madonna mit Kind und einer knienden Nonne und fünf Blümchen verziert (vgl. Farbb. IV). Dass sich die ersten drei Sätze über fünf Zeilen verteilen, könnte ebenfalls in Beziehung zum Wort Maria gesetzt werden: von den fünf Buchstaben sind drei Vokale. V an dichten comt mi cleine bate. Die liede raden mi dat ict late Ende minen sin niet en vertare. Maer om die doghet van hare Die moeder ende maghet es bleuen Hebbic een scone mieracle op heuen Die god sonder twiuel toghede Marien teren diene soghede (Beatrijs 1989, 4)

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Die mittelniederländische Beatrixlegende ist von Friedrich Markus Huebner ins Deutsche übersetzt worden und erschien 1919 mit einem Nachwort beim Herausgeber Insel in Leipzig mit dem Titel Beatrix. Eine brabantische Legende. Das Dichten trägt mir wenig ein. Die Welt rät: ‚Lass es lieber sein und quäl damit nicht dein Gemüte.‘ Zum Ruhm jedoch von deren Güte, die Magd als Matter ist geblieben,

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

hab ich ein Wunder aufgeschrieben, das wahr vind wirklich Gott bezeugte zur Ehr Mariens, die ihn säugte. (Beatrix 1919, 5) Der Dichter erzählt anschliessend, wie eine schöne, junge Nonne, die Küsterin Beatrijs, ihrem Kloster entflieht, um mit dem Freund, den sie als Kind schon liebte, ein Leben aufzubauen. Nach sieben Jahren des Glücks schlägt das Schicksal jedoch zu (vgl. 397–432): Dus hadden si tale ende weder tale Si reden berch ende dale In can v niet ghesegghen wel Wat tusschen hem tween gheuel Si voren alsoe voert Tes si quamen in een poert Die scone stont in enen dale Daer soe bequaemt hem wale Dat siere bleuen der iaren seuen Ende waren in verweenden leuen Met ghenuechten van lichamen Ende wonnen .ij. kinder tsamen Daer na den seuen iaren Alse die penninghe verteert waren Moesten si teren vanden pande Die si brachten vten lande Cleder scoenheit ende paerde Vercochten si te haluer warde Ende brochtent al ouer saen Doen en wisten si wat bestaen Si en conste ghenen roc spinnen Daer si met mochte winnen Die tijt wert inden lande diere Van spisen van wine ende van biere Ende van al datmen eten mochte  Dies hem wert te moede onsochte Si waren hem lieuer uele doet Dan si hadden ghebeden broet Die aermoede maecte een ghesceet Tusschen hem beiden al waest hem leet Aenden man ghebrac dierste trouwe

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

Hi lietse daer in groten rouwe Ende voer te sinen lande weder Si en sachen met oghen nye zeder Daer bleuen met hare ghinder Twee vter maten scone kinder (Beatrijs 1989, 22–24) Derart ein Wort das andre gab. Sie ritten fort, bergauf, talab. Was alles sich hat zugetragen, weiss ich im einzeln nicht zu sagen. Ihr Rösslein trug sie ohn Erlahmen, bis dass in eine Stadt sie kamen, die schön in einem Tale stand. So sehr die ihr Gefallen fand, dass dort sie sieben Jahre blieben. In Schwelgerei und heissem Lieben der Leiber hin die Tage flossen. Zwei Kinder ihrem Bund entsprossen. Indessen nach dem siebten Jahr, als aufgezehrt die Barschaft war, da mussten tragen sie zu Pfande, was sie gebracht aus ihrem Lande. Gewandung, Zierat und das Pferd verkauften sie zum halben Wert. Ihr ganzes Gut sie bald vertaten, und wussten nicht, wie sich mehr raten. Sie hatte nicht gelernt zu spinnen am Rocken, Geld sich zu verdienen. Es stiegen in dem Land die Preise für Wein und Bier und alle Speise, die man zur Nahrung braucht. Darüber ward ihnen trüb der Mut und trüber, denn beide waren lieber tot, eh dass sie bettelten um Brot. Die Armut legte zwischen beide Entfremdung, ihnen selbst zu Leide. Zuletzt der Mann sein Treuwort brach. Er liess sein Lieb in Gram und Schmach und reiste in sein Land zurück.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Nie wieder schaute ihn ihr Blick. Und dort im Elend mit ihr sassen zwei Kinder, schön ob alle Massen. (Beatrix 1919, 16–17)

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Nachdem ihr Liebhaber sie verlassen hat, sucht Beatrijs Zuflucht in der Prostitution, um ihre Familie zu ernähren. Sieben Jahre lang verdient sie so ihr Brot, wonach sie zur Besinnung kommt. Eine göttliche Stimme fordert sie auf, zurück ins Kloster zu gehen. Dort angekommen, stellt sich heraus, dass niemand ihre Abwesenheit bemerkt hat: Maria hat über all die Jahre ihren Platz als Küsterin eingenommen (667–700): Daer si lach in dit ghebede Quam een vaec in al haer lede Ende si wert in slape sochte In enen vysioen haer dochte Hoe een stemme aen haer riep Daer si lach ende sliep Mensche du heues soe langhe gecarmt Dat maria dijns ontfarmt Want si heeft v verbeden Gaet inden cloester met haestecheden Ghi vint die doren open wide Daer ghi vut ginges ten seluen tide Met uwen lieue den ionghelinc Die v inder noet af ghinc Al dijn abijt vinstu weder Ligghen opten outaer neder Wile couele ende scoen Moeghedi coenlijc ane doen Des danct hoeghelike marien Die slotele vander sacristien Die ghi voer tbeelde hinct Snachs doen ghi vut ghinct Die heeft si soe doen bewaren Datmen binnen .xiiij. iaren Vwes nye en ghemiste Soe dat yemen daer af wiste Maria es soe wel v vrient Si heeft altoes voer v ghedient Min no meer na dijn ghelike Dat heeft de vrouwe van hemelrike

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4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

Sonderse doer v ghedaen Si heet v inden cloester gaen Ghi en vint nyeman op v bedde Hets van gode dat ic v quedde (Beatrijs 1989, 34–36) So betete sie unverwandt, bis Müdigkeit sie überwand und sanfter Schlummer sie umfing. Da schien ihr traumhaft, es erging an sie, wie sie dort lag und schlief, ein Wort, das eine Stimme rief: ‚So lang hast du dich abgeharmt, dass es Maria hat erbarmt – sie bat dich frei zum ew’gen Heile. Steh auf denn und ins Kloster eile! Du triffst geöffnet Tür und Pforte wie damals, als von diesem Orte mit deinem Freund du flohst, der dann im Elend dich verliess. Wohlan, du findest auf dem Altar wieder, was du vorzeit dort legtest nieder. Sandalen, Schleier, Ordenskleid, nimm alles ohne Schüchternheit. Den Dank dafür Marien weih! Die Schlüssel von der Sakristei, die einst du vor ihr Standbild hingst, da nachts du aus dem Kloster gingst, die wusste so sie zu bewahren, dass man in all den vierzehn Jahren dich nicht vermisste, noch entdeckte, wer sich an deiner Statt versteckte. Die Magd ist dir gar wohlgesinnt: Sie hat allzeit für dich gedient als Küsterin, dir scheinbar gleich. Deintwegen aus dem Himmelreich, o Sünderin, stieg sie hernieder! Jetzt heischt sie: Kehr ins Kloster wieder. Du triffst dein Bette unversehrt. Gott ists, der dich zurückbegehrt.‘ (Beatrix 1919, 24–25)

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

4.3.4.4. Duytsce psolter, Psalm 67 und 68 Der aus dem 15. Jh. stammende Psalter Dits die duytsce psolter ende op elcken psalm sinen titel die verclarende is die craften ende die doechden des psalmes, 1491 von Peter van Os in Zwolle gedruckt, enthält die folgenden mnl. Fassungen der Psalmen 67 und 68 (vgl. 3.3.1.2.), die den heutigen Psalmen 68 und 69 entsprechen: Psalm .lxvij. [1 fehlt] [2] GOd stae op en(de) dijn via(n)den moeten worden ghestoert en(de) vlien va(n) sine(n) aensicht die hem ghehaet hebbe(n) [3] Als de(n) roeck v(er)gaet moete(n) si v(er)ghae(n) ind(er) tegenwoerdicheit gods als dat was smeltet en(de) vloyt va(n)den vuyr also moete(n) v(er)derue(n) die sundare(n) va(n) de(n) aensicht godes [4] En(de) de gherechtighe moete(n) vrolicwesen i(n)t aensichte godes en(de) ghenoecht en(de) blischap hebbe(n) [5] Singet gode en(de) segget lofsanck sinen naem maect hem enen wech dyer climmet boue(n) den nedergha(n)c zijn naem is heer [6] Weest seer vrolic in zijnre teghe(n) woerdicheit si sulle(n) bedroeft worde(n) va(n) sine(n) aensicht die daer is een vader dyer wesen en(de) een rechter d(er) weduwen [7] God is in zijn heylighe stede die i(n)wone(n) doet va(n) enen seden inden huyse Die wtleyt die ghebo(n)den in starcheyt des ghelijcs die daer wreet zijn en(de) die wonen inden grauen [8] God alstu wt soldest ghaen in teghe(n)woerdicheit des volcs alstu voerbi ghaeste inder woestine(n) [9] Die aerde is beroert wa(n)t die hemele(n) drupeden va(n)de(n) aensicht godes sinay en(de) va(n)den ae(n)sichte godes va(n) israel [10] O god du salt sceyden dijnder erffenissen dyen willighen reghen en(de) si is cranck gheworden mer du hebstese volmaect [11] Die dieren sullender in wonen o god du hebbest bereyt den armen in dijnre soeticheit [12] God sal geue(n) dyen die dat euangelium seggen d(iet) woert mit grote(n) crachte [13] God der doechde(n) des gheminden en(de) die scoenheit des huses te deelen die rouen [14] Jst dat ghi slaept int midde(n) der clercscap die vederen d(er) duuen zijn versiluert en(de) dat achterste va(n) sinen rugghe is in bleechede(n) des goldes [15] Als die hemelsche onderscheyt die conighen op haer so sullen si mit worde(n) in selmon va(n)den snee die berch godes is ee(n) vet berch. [16] Die v(er)ghaderde berch is een vette berch wat vermoedi te wesen die verghaderde berch [17] Die berch in welke(n) behaghelic is den heer te wonen die here salder wonen tot inden eynde. [18] Dye waghen godes is menichuoldicht van thien dusent dieren die hem v(er)blidende zijn daer in Die heer is in hem in sinai in den heylighen

4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

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[19] Du opclimste int hoghe du grepest die va(n)ghenis du ghaefst gauen inde(n) me(n)sche Wa(n)t die niet en ghelouen in den mach noch god wonen [20] Die hier si ghebenedijt inde(n) daghe dagelixs god o(n)ser salicheit sal o(n)s maken een gheluckich wech [21] Ons god die bereyt is salich te maken en(de) die heer des heren is di wtgha(n)ck des dodes [22] Nochta(n)s sal god breken die hoefde zijnre vianden die sceidelen des haers der gheenre die wanderen in haren mischdaden [23] Die heer seide ic sal bekeren va(n) basan ic sal bekeren in dat dyepe der zee [24] Op dat dijn voet werde ghedoept inden bloede die to(n)g dijnre ho(n)den is va(n)den vianden van hem [25] O god si saghen dinen inghangen mijns godes mijns conincs die daer is inden heylige [26] Die princen queme(n) voer vergadert mitten singhenden int midden der io(n)ger maechden die daer bongeden [27] Jn der karcken benediet goede den heer van der fonteyne(n) va(n) israel [28] Daer was de io(n) ghelinc beniamin in een ouergha(n)c des ghede(n)cke(n)s Die princen va(n) iuda zijn hare beleiders die princen va(n) zabulo(n) en(de) va(n) neptalim [29] Ontbiet god dijnre doghet o god veste in o(n)s dattu ghewrocht hebste in o(n)s [30] Va(n) dijn tempel in iherusalem die coninghen sullen di offeren ghauen [31] Bescelde die beesten des riedes die verghaderinghe der stieren is onder dyen copen des volckes omme wt te slute(n) de(n)ghenen die gheproeft zijn mit siluer. [32] Scaec dat volc dat striden wil die bode(n) sullen comen wt egipten wt moerla(n)de sal zijn ha(n)t voercomen gode [33] Rike d(er) aerden singet gode louet den here [34] Singet gode die opclimt inden hemel des hemmels ten oesten waert [35] Sich hi sal geue(n) zijnre stemmen die stemme d(er) crachte geuet gode glorie ouer israel sine groethede en(de) cracht is inde(n) wolcke [36] God is wo(n)derlic in sinen heylighe(n) god va(n) israel sal gheue(n) cracht en(de) starcheit zijn volc benedijt si god. Psalm .lxviij. [1 fehlt] [2] God make mi beholden want die wateren zijn inghegaen to mijnre sielen [3] Jc ben inghestoken in dat slime des dyepes en(de) daer en is gheen onderstant Jc quam int hoge des sees en(de) die storme verdrencte my [4] Al ropende hebbic ghearbeit mijn stroten zijn hees gheworden mijn ogen gebraken als ic rope in mine(n) god [5] Si zijn menichuoldiger gheworde(n) da(n) die haeren mijns houets die mi te v(er)gheues hebbe(n) ghehaet Si zijn ghestarct mijn via(n)den die mi v(er)uolcht hebbe(n) doe betaelde ic on rechtelic die dinghe(n) die ic niet ghenome(n) en hadde [6] Heer du wetes mijn o(n)wijschede en(de) mijn v(er)sumenissen en zijn di n(iet) verholen

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

[7] Niet en moete(n) si hem scamen i(n) mi die di (ver)beide(n) heer heer d(er) doechde(n) Nyet en moeten si confuys worden va(n) mi de di soeken god va(n) israel [8] Wa(n)t om di heb ic gheleden laster co(n)fuys heeft mijn aensicht bedect [9] Jc ben vreemt gheworde(n) minen broeders en(de) een pelgrim d(er) kinderen mijnre moeder [10] Want die minne dines huses heeft mi ghegeten en(de) die lasteringhe der gheenre die mi lasterden zijn op mi gheuallen [11] En(de) ic bedecte in vasten mijn siel en(de) het is mi worden ten lastere [12] En(de) ic sette mijn cleet een haren cleet en(der) ic ben hem gheworden een parabel [13] Sij spraken weder mi die saten inder porte(n) en(de) si songhe(n) in mi die wijn droncken. [14] Mer ic sprac mijn bedinghe tot die heer god het is tijt des wel behage(n)s Jn menichuol­ dicheit dijnre o(n)tfermicheit hoer mi inder waerheyden dijnre salicheden [15] Wtneem mi vanden slijcke op dat ick daer niet in en bliuen steken verlos my van dyen die mi seer ghehaet hebben ende vanden diepen der wateren [16] Nyet so en moeten mi v(er)dre(n)cken die storme(n) dies waters noch dat diepe en ver­ slinde my niet noch die put en v(er)heffe zijn mo(n)t niet op mi [17] Hoer mi heer wa(n)t ghoed(er)tiren is dijn o(n)tfermicheit nae menichuoldicheit dijnre o(n) tfermenissen sich in mi [18] En(de) en kere dijn aensicht niet va(n) dine(n) kinde wa(n)t ic bedroeft ben hoer mi haestelic [19] Gede(n)c mijnre sielen en(de) vrietse omme mine via(n) de vrie mi [20] Du wetes mijn verwijte(n) en(de) confusie en(de) mine(n) laster [21] Jn dijnre teghenwoerdicheit zijn alle die ghene die mi bedrouen mijn herte v(er)beyde verwijt end(er) onsalicheyt En(de) ic hebbe ghelede(n) wyen mit mi drouich wesen solde end(er) daer en was niema(n)t en(de) die mi troeste(n) solden en vant ic niet [22] En(de) si ghaue(n) in mijnre spise galle en(de) in mine(n) dorst ghaue(n) si my om te drincken edick [23] Haer tafel die moet vore hem wesen in enen stricke en(de) in wed(er)gheuinghe en(de) in scanden [24] Doncker moeten worden haer oghen op dat si n(iet) en sien en(de) cromme haren rugghe altoes. [25] Wtstorte dijn thoern op hem en(de) die v(er)woetheit dijns toerns moetse begripe(n) [26] Haer woninghe moet worden woeste en(de) in haren tabernaculen moet niema(n)t wonen [27] Wa(n)t si hebbe(n) persecutie gedae(n) den du sloghest en(de) op die sericheyt mijnre wo(n)den hebbe(n) si thoe ghedaen [28] Boese hem die een boescheyt op die ander. en(de) niet en moeten si inghaen in dijn gerechticheden [29] Of soe moete(n) si ghedaen worden va(n)den boeke der leydender en(de) mitten gherechtighen en moeten si niet gescreue(n) worde(n) [30] Jc ben arm en(de) drouich wesen soecket gode en(de) v siel sal leuen. [31–33 fehlen]

V  Delftse Bijbel, Universiteitsbibliotheek, Universiteit van Amsterdam, Bijzondere Collecties.

VI  Hans Holbein der Jüngere (1497–1543), Erasmus von Rotterdam, 1523, Musée du Louvre, Paris.

4.3. Textbeispiele des Mittelniederländischen

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[34] Wa(n)t god heeft ghehoert die arme end(er) niet versmaet sine gheua(n)ghen [35] Hemel en(de) aerde moeten hem loeue(n) die see en(de) allen crupe(n)den dieren daer in [36] Want god sal beholden maek(n) syo(n) en(de) de stede(n) va(n) iuda sulle(n) ghetimmert worden En(de) daer sulle(n) inwonen ende si sullense nemen tot in eruen [37] Ende dat saet haerre knechte(n) sal haer besitten ende die haren naeme beminnen die sullen daer in wonende wesen Glorie si. (Psalterium 1491) Transkription von lic. phil. Chris de Wulf Für eine zeitgenössische deutsche Übersetzung der Psalmen 68 und 69 siehe 3.3.1.2.

4.3.5. Urkunden Die älteste überlieferte niederländische Urkunde ist vermutlich der Schepenbrief van Bochoute (,Schöffenbrief von Bochoute‘) 1249 aus der Gegend Gavere-Zottegem. Dieser Brief besiegelte einen Grundhandel zwischen dem Bauern Boudewijn Molenijzer aus Dallem und dem Genter Patrizier Hendrik van den Putte. 4.3.5.1. Schepenbrief van Bochoute

Abb. 10:  Schöffenbrief von Bochoute.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Descepenen van bochouta quedden alle degene die dese lettren sien selen in onsen here. Si maken bekent die nu sien ende die wesen selen. Ende den scepenen van velseke teuoirst dat der boidin molniser van dallem vercochte den hare henricke van den putte portere van ghint. ii 1/2 bunre lans de rode met .xx. voeten. dat lant leit tuschen den ghintwege ende sinen us op soe welc ende soet derhenric kisen wille. dat lant wercochte hii teuulre wet bi meier ende bi scepenen. dat lant heft hij geloft tequitene met .i. halster euenen ende .ix.d. bunre van alre quorelen sonder de godes tinde chegen alle die ghene die te dage ende te rechte willen comen. Dat selue lant dat hijr genomet es dat heft hij boidine molenisere weder gegeuen terfleken pachte ombe .i. mudde tarwen ende ombe .ii. capone siars die tarwe teghint bennen den .iiii. porten teleuerne dar derhenric wille. bennen.ii. d debeste ende bi der mate van ghint. Dese tarwe es hi sculdech alrehelegermesse ende ont hir ende metwintre vergouden tesine. Gebrake hem hir af soe sloge derhenric sin hant ane lant ende hilt alse sin herue. Dese rente die ute desen lande gaet die moet quiten der .b. ende sin afcomende ofte so wie so lant houdende es ouer den hare henricke soe dast der henric negene scade enebbe no sin afcomende wi en hebben selue negenen segel. Scepenen van velseke van onsen ouede bidi dat wit vor hem bekenden hebben si ons haren segel gelenet war si ne donre nemmeer toe. Dese voruuorde was gemaket anno domini mº ccº xlº ixº in maio. (Schepenbrief van Bochoute 1999, 6–7) Frei übersetzt heisst dies: Die Schöffen von Bochoute grüssen all diejenigen, die diesen Brief lesen werden im Namen Gottes. Sie geben denjenigen, die jetzt sind und denjenigen, die sein werden, und zuallererst den Schöffen von Velzeke, bekannt, dass Herr Boidin Moleniser aus Dallem dem Herrn Henric Van de Putte, Bürger von Gent, 2.5 bunre (unsicher wie viele Hektare hier bezeichnet werden) Land verkauft hat. Das Land liegt zwischen dem Gentweg und seinem Haus auf der Seite, wo Herr Henric es wählen möchte. Das Land verkaufte er (= B.M.) vor dem vollzähligen Schöffenkollegium (in Anwesenheit von Gutsverwalter und Schöffen). Mit einem Halster schwarzem Hafer und 9 Pfennigen pro Hektar hat er sich dazu bereit erklärt, das Stück Land freizumachen von allen Ansprüchen, von denjenigen, die darüber ein Verfahren einleiten würden. Dazu kommt noch der kirchliche Zehntel. Das Land, das hier genannt wird, hat er (= V. d. P.) in Erbpacht zurückgegeben an Boidin M. für einen Hektoliter Weizen und zwei Kapaune jährlich; der Weizen muss in Gent in die Stadt (wörtlich: innerhalb der vier Tore) geliefert werden, darf höchstens zwei Denaren unter (dem Preis von) der besten Quali-

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tät liegen und ist nach Genter Mass berechnet. Den Weizen hat er zwischen Allerheiligen und Weihnachten zu liefern. Bliebe er in Verzug, dann würde Herr Henric das Land pfänden und es als Erbgut behalten. Den Zins, der von diesem Land stammt, müssen Herr B. und seine Nachkommen (oder wer auch immer das Land pachtet) Herrn H. bezahlen, sodass weder Herr H. noch seine Erben dadurch Schaden nehmen. Wir selber haben kein Siegel, aber die Schöffen von Velzeke (unser Landschöffenkollegium) haben uns ihr Siegel ausgeliehen, nachdem wir ihnen dies gesetzlich erklärt hatten; übrigens sind sie nicht involviert. Dieses Abkommen wurde im Mai des Jahres unseres Herrn 1249 geschlossen/Diese Urkunde wurde im Mai des Jahres unseres Herrn 1249 erlassen.

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen Die reiche Überlieferung mittelniederländischer Texte bietet zwar eine Fülle an sprachhistorischen Daten, ihre Interpretation bedarf allerdings einiger Vorsicht: so lassen sich Aussagen zu den von den Graphemen widerspiegelten Phonemen nicht eindeutig zu einer strukturellen Beschreibung eines Phonemsystems des Mittelniederländischen verallgemeinern. Dagegen sind der Reihenfolge nach morphologische, syntaktische und lexikalische Eigenschaften immer zuverlässiger zu erörtern. Allerdings ist zu bedenken, dass die überlieferten Handschriften in der Regel als Kopien von Kopien nicht nur beträchtlich jünger als ihre Vorlagen sind, sie stammen zudem auch häufig von Kopisten aus unterschiedlichen Gegenden. Inwiefern haben letztere sich bei ihrer Schreibarbeit von der Sprache ihrer Umgebung leiten lassen? Unsicher ist zudem, in welchem Ausmass sprachliche Weiterentwicklungen des Mittelniederländischen zwischen dem 12. und 16. Jh. vom Kopisten weitergegeben wurden: wie sehr haben sie ihre Vorlagen sprachlich ihrer Zeit angepasst? Lassen sich im Hinblick auf solche Unsicherheiten Unterschiede zwischen einem ‚Frühmittelniederländischen‘, gemeint ist das Niederländische bis zum Ende des 13. Jh., und einem ‚Spätmittelniederländischen‘, das Niederländische des 14. bis 16. Jh., systematisch beschreiben? Sodann ist es unklar, ob textsortenspezifische Merkmale, soweit sich diese definieren lassen, die Beschreibung mittelniederländischen Sprachmaterials verzerren. Haben Verfasser von Texten mit Endreim sich zum Beispiel wegen des Reimzwangs gelegentlich syntaktische Freiheiten erlaubt? Bei der Beschreibung der Stellung des finiten Verbs lässt sich eine solche Frage nicht endgültig beantworten (siehe 4.4.2.5.), auch wenn Forscher wie Van der Horst und Van der Wal die Verwendung reimender Texte als Quelle für Beschreibungen des Mittelniederländischen für unbedenklich halten. Somit wäre eine Geschichte älterer Vorläufer des Niederländischen laut u.a. A. Berteloot auf Sprachmaterial zu gründen, das aus nicht-literarischen Texten wie Urkunden stammt. Wie ertragreich ein solcher Ansatz ist, zeigt namentlich die umfangreiche Forschung auf dem Gebiet der historischen Phonologie, Dialektologie und Lexikologie, die insbesondere die Varietät des Mittelniederländischen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht zutage fördert. Sie wird im Folgenden mitberücksichtigt, so in den zusammenfassenden phonologischen Beschreibungen. Da für die Entstehung des überregionalen Niederländischen den mittelniederländischen Schreibtra-

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ditionen aber eine besondere Bedeutung beizumessen ist, werden hier trotz der oben erwähnten Bedenken vermehrt auch literarische Texte als Quelle hinzugezogen. Sie kündigen eine überregionale Vereinheitlichung einer niederländischen Schriftsprache an. Als erster Verfasser einer Mittelniederländischen Grammatik beschrieb der Junggrammatiker J. Franck, der sich auf eine grosse Materialsammlung stützte, 1882 die Phonologie und Morphologie des Mittelniederländischen. Sein altgermanisches Blickfeld hinderte ihn allerdings daran, die Befunde in direkten Zusammenhang mit alt- und neuniederländischen sprachlichen Entwicklungen zu setzen. Auch W.L. van Helten befasste sich in seiner bescheidener ausgefallenen und weniger systematischen Middelnederlandsche Spraakkunst 1887 mit diesen Forschungsgegenständen, wie später ebenfalls T.H. le Roux und J.J. le Roux. F.A. Stoett beschrieb die Syntax des Mittelniederländischen, ohne aber Entwicklungstendenzen aufzuzeigen, G.S. Overdiep verfasste eine Formenlehre, die jedoch auf einer kleineren Zahl reimender Texte basiert. Van Loey, der von der Sprache des 13. Jh. bis 15. Jh. ausgeht, fasste das Wesentliche der Formen- und Lautlehre des Mittelniederländischen systematisch zusammen, wobei er die dialektische Verschiedenheit berücksichtigt. Zu den bedeutendsten neueren Veröffentlichungen zum Mittelniederländischen ist A.M. Duinhovens Middelnederlandse syntaxis zu rechnen, die synchrone wie diachrone Entwicklungen berücksichtigt.

4.4.1. Graphemik und Phonemik Die Verfasser der ältesten mittelniederländischen Texte konnten nicht auf eine Schreibtradition in der Muttersprache zurückgreifen, was sich in ihrer noch wenig einheitlichen Rechtschreibung bemerkbar macht. Es lassen sich denn auch orthografische Varianten in mittelniederländischen Quellen verschiedener Regionen feststellen. Texte aus der gleichen Gegend zeigen aber ebenfalls Unterschiede in der Rechtschreibung, sogar Schreiberzeugnisse aus der gleichen Hand entbehren meistens einer nach heutigen Massstäben folgerichtigen Rechtschreibung. Dass zur Festlegung von Texten in der Muttersprache das lateinische Alphabet, das zur Verfügung stand, nur unvollkommen das germanische Sprachmaterial wiedergeben konnte, zeigt sich in den Erzeugnissen der Kopisten. So steht häufig für /k/, für /z/, weiter kommt an Stelle von vor. Der Kopist von Heinric van Veldekes Hagiografie Sint Servaes schreibt beispielsweise ein für /v/ im Namen der Hauptperson Seruas, /k/ erscheint einmal als , zum Beispiel in cleyne (‚kleine‘ HVV Z. 961), und einmal als , zum Beispiel in knechte (‚Diener‘ HVV Z. 952). Die uneinheitlichen Schreibweisen erklären sich auch aus der Diskrepanz zwischen Phonetik und Phonologie: da die Verfasser der gesprochenen Sprache wohl teilweise folgten, hielten sie auch typische phonetische Merkmale der mündlichen Verständigung fest. Dies hat beispielsweise M. Mooijaart bei den von ihr untersuchten Schreibern von Urkunden aus dem 13. Jh. festgestellt, auch wenn sich bei ihnen Tendenzen zur Systematisierung des Buchstabierens nicht leugnen lassen. N.E. Larsen stellt für Dokumente aus Gent, die auch aus dem 13. Jh. stammen, Unterschiede in der graphemischen Wiedergabe der gesprochenen Sprache fest, wobei unsicher ist, ob die verwendeten Graphsysteme die Laute abstrahierend phonologisch darstellen oder phonetisch sind. Von der Anwendung systematischer Rechtschreibregeln, die Wortstrukturen berücksichtigen

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(vgl. 5.4.1.), ist denn auch nicht die Rede. So steht paerde (‚Pferd‘ MST Z. 6280) mit im gleichen Textabschnitt neben paert mit , menichfoude (VVR Z. 505) mit erscheint neben menichfout (VVR Z. 542) mit , was aber als Auslautverschärfung zu verstehen ist. Vielfach kommen prosodische Einheiten an Stelle von Wörtern vor, was wohl dem lauten Lesen und dem Vortragen von Texten entgegenkam. Kennzeichnend für die Notation ist die Verwendung von Klitika, welche die Anlehnung unbetonter Wörter an den Gastgeber beim Reden wiedergeben. Stellvertretend für unzählige Fälle von Klitika sind das Enklitikon s in wijs mit der Bedeutung wi des in Hadden wijs raet (‚Hätten wir einen Ratschlag‘ in der Bedeutung ‚Wüssten wir eine Lösung‘ VVR Z. 567) und das Proklitikon t in tsamen für te samen in Daer twee water tsamen gaen (‚Wo zwei Gewässer zusammengehen‘ HVV Z. 960). Auch eine lautliche Erscheinung wie Assimilation, etwa wenn ein Pronomen dem finiten Verb folgt, ist häufig zu finden, zum Beispiel in Bruun mochtijs yet für Bruun mocht ghi des yet (‚Bruun, möchten Sie etwas davon haben?‘ VVR Z. 588) oder in wat haetstu für wat hatest du (‚Was assest Du?‘ VVR Z. 562). Im Übrigen sind das Vorkommen von Klitika und von Assimilation auch heute als Merkmale des gesprochenen Standardniederländischen zu betrachten. So entspricht eine prosodische Einheit wie keppetjegesegt für ik heb het je gezegd (‚Ich habe es Dir gesagt‘) der Sprachpraxis der Sprecher des gepflegten allgemeinen Standardniederländischen. Auch eine Erscheinung wie Epenthese kann auf die Wiedergabe gesprochener Sprache deuten, wie der Lauteinschub e in arem im Satz Arem man dan nes gheen graue (VVR Z. 564), der zwei Zeilen weiter im gleichen Text in aerme, wohl als Dehnung, fehlt: Wi aerme liede wi moeten heten (VVR Z. 566). Sodann muss die uneinheitliche Verwendung bestimmter Grapheme nicht immer auf die Wiedergabe unterschiedlicher Phoneme deuten, sondern kann auch mit einer bestehenden lokalen Schreibtradition zusammenhängen oder von einer wenig systematischen Rechtschreibung zeugen, vgl. bloet neben bloot. Unterschiedliche Schreibweisen sind auch bei der Wiedergabe gedehnter oder ursprünglich langer Vokale in geschlossenen Silben zu finden, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass das lateinische Alphabet nur die einzelnen Zeichen , , , und kennt. So haben in der ältesten überlieferten niederländischen Urkunde (vgl. 4.3.5.1.) die Vokale der betonten Silben in portere und mar ein Vokalzeichen, die Schreibweise poort kommt im Mittelniederländischen aber auch vor, zum Beispiel in in een stat of in een poort (‚in einer Stadt oder in einer ummauerten Ortschaft‘). Sodann werden neben Varianten wie meer, mare, mer sowie klitischen Formen wie marsi und mert Formen wie maer, das laut dem MNW bereits 1200 in Limburg belegt ist, mit e als Verlängerungszeichen gebräuchlich. Auch i erfüllt diese Funktion, zum Beispiel in iair (‚Jahr‘), das schon 1285 in Flandern mit i als Verlängerungszeichen belegt ist und vor allem auch in brabantischen und holländischen Texten seine Verwendung findet. Verdoppelung der Vokalzeichen tritt vermehrt ab dem 15. Jh. auf. Mittelniederländische Texte mit Endreim kennen in der Regel kaum eine Interpunktion, und wenn sie vorkommt, so ist sie auf den Rhythmus und nicht auf die syntaktische Struktur ausgerichtet. Zumeist steht am Anfang des Textes eine Initiale (vgl.  4.3.4.3.), die Zeilen fangen normalerweise mit Majuskeln an, Namen kennen nicht selten Grossschreibung. Abkürzungen werden häufig wie in en̄ , ausgeschrieben ende (‚und‘) oder durch einen Punkt wiedergegeben.

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Gerade weil man mittelniederländische Überlieferungen mit überregionaler Geltung als Formen einer Schriftsprache zu verstehen hat, die auf lokaler Sprachvarietät basieren, erweist sich der Versuch, ein einziges mittelniederländisches Phonemsystem darzustellen, als problematisch. Sogar die Beschreibung der Phonemstruktur eines einzigen mittelniederländischen Dialektes ist mit Schwierigkeiten verbunden: so können strukturelle Unterschiede zwischen Schreibdialekten vorkommen, die aus dem gleichen Dialektgebiet stammen. M. Hoebeke hat beispielsweise Unterschiede zwischen dem Flämischen von Brügge und dem vom an der Grenze Brabants liegenden Oudenaarde nachgewiesen, die auf brabantischen Einfluss auf den Vokalismus und Konsonantismus der Sprache Oudenaardes zurückzuführen sind. Somit erschwert sich eine strukturelle Beschreibung des Phonemsystems des Mittelniederländischen nicht nur durch die uneinheitliche graphematische Wiedergabe der Phoneme, sondern auch durch die dialektische Verschiedenheit des Niederländischen im Hoch- und Spätmittelalter, das sich zudem in der Zeit vom 12. bis 16.  Jh. sprachlich weiterentwickelte. Kenntnisse der heutigen Dialekte können ältere Erscheinungen zum Ausdruck bringen, die in der Standardsprache verloren gingen. Aber inwiefern verzerren die lautlichen Erneuerungen, die sich seit dem Mittelalter zweifelsohne auch in den niederländischen Dialekten vollzogen, sprachhistorische Annahmen zu mittelniederländischen Phonemsystemen? Unter Berücksichtigung der hier regelmässig zitierten Darstellungen von u.a. A. van Loey, J. Goossens, W.J.J. Pijnenburg und R. Willemyns werden in den nächsten Abschnitten Annahmen zu den Merkmalen des Vokalismus und des Konsonantismus zusammengefasst, die das Mittelniederländisch modellhaft als Sprachstufe zwischen Alt- und Neuniederländisch phonologisch kennzeichnen. Nicht aufgeführt werden, abgesehen von einigen häufig vorkommenden Varianten, Merkmale phonemischer Teilsysteme, die je nach Ort und Zeit variieren, wie dies beispielsweise Willemyns für das Flämische des 15./16. Jh. der Stadt Brügge gezeigt hat. Wie in der sprachhistorischen Literatur üblich, werden die Laute im Folgenden in Kurz- und Langvokale, Diphthonge und Konsonanten eingeteilt. Auf eine Diskussion der Richtigkeit dieser Ausdrücke und der Einordnung der Laute in den entsprechenden Klassen wird hier verzichtet, auch wenn eine Kategorie wie beispielweise jene der Diphthonge wohl wegen der oben erwähnten Unsicherheiten in der Fachliteratur uneinheitlich, mit unterschiedlichen Graphemen beziehungsweise Phonemen ausgestattet wird. 4.4.1.1. Vokale Das Mittelniederländische kennzeichnet sich verglichen mit dem Altniederländischen insbesondere durch die Reduktion der Vokale in unbetonten Silben, vgl.  mnl. hebben (‚haben‘), anl. hebban oder mnl. voghele (‚Vögel‘) neben voghelen, anl. uogala. Diese Reduktion konnte einen Wegfall unbetonter Silben zur Folge haben, vgl. die Synkope im mnl. vogle, was nicht selten zu einem Verlust grammatischer Informationen führte, die ursprünglich beispielsweise im Auslaut enthalten waren. Dies trifft zum Beispiel für Dativ mit -e zu. Sodann fand im Laufe des 12. Jh. Dehnung der Kurzvokale in offenen Silben statt: /a/ > /ā/, vgl. mnl. dach (‚Tag‘) und mnl. daghe (‚Tage‘), nnl. dag und dagen; /e/ > /ē/, vgl. dts. essen und mnl. eten; /i/ > /ē/, vgl. mnl. scip (‚Schiff‘) und mnl. scepe (‚Schiffe‘), nnl. schip und schepen; /o/

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> /ō/, vgl. mnl. ghebot (‚Gebot‘) und mnl. [de]ghebode (‚Gebote‘), nnl. gebod und geboden; /u/ > /ō/, vgl. das nur regional vorkommende mnl. kumpt (‚kommt‘) und mnl. comen (‚kommen‘), nnl. komt und komen; in geschlossenen Silben /i/ > /ī/ vor n + Konsonant, vgl. mnl. twiintich (‚zwanzig‘), nnl. twintig. In der Zeit des Altniederländischen hatte primärer Umlaut /a/ > /e/ stattgefunden, dieses /e/ war mit dem bestehenden /e/ zusammengefallen (vgl. 3.2.1.). Sodann war im Osten des Sprachgebietes sekundärer Umlaut zwar teilweise phonemisiert (vgl.  3.2.1.), allerdings nicht regelmässig schriftlich festgehalten. Zudem lassen sich Palatalisierungen in zusammengeschlossenen Gebieten feststellen, vgl. mnl. wulf (‚Wolf‘) und mnl. wolf, nnl. wolf, sie konnten auch in Teilgebieten, die nicht aneinander grenzen, vorkommen, vgl. mnl. suen (‚Sohn‘) und mnl. sone, nnl. zoon. Weiter führte eine abnehmende Artikulationsspannung zu einer allgemeinen Vertiefung der Artikulation von /i/ zu /I/, von /y/ zu /Ø/ und /u/ zu /o/, vgl. ndl. dik und dts. dick, ndl. dun und dts. dünn oder ndl. bond und dts. Bunt. Zudem erfolgte, vielleicht später eine zusätzliche allgemeine Vertiefung vor /r/ plus Konsonant, die in der Orthografie bei /i/ > /e/ ersichtlich wird, vgl. berk (‚Birche‘) oder herder (‚Hirt‘). Palatalisierungen traten oft vor /r/ plus Konsonant auf, namentlich in Brabant, vgl. mnl. scerp und dts. scharf. Weiter kamen Depalatalisierungen von /i/ zu /e/ vor Konsonant im gesamten Gebiet vor, vgl. mnl. herde und dts. Hirt, sodann depalatalisierte in Westflandern und im Süden Hollands /e/ zu /a/, vgl. darde, dts. dritte. Zudem verbreitete sich im gesamten Gebiet die Dehnung von /a/, /o/ und /e/ vor r plus Dental, die übrigens in der Regel nicht immer schriftlich festgehalten wurde, vgl. mnl. wort (‚Wort‘), auch als woerd, weiter mnl. swert (‚Schwert‘), auch als sweert oder swaert. Die mnl. Kurzvokale umfassen /a/, /e/, /i/, /o/, /u/, /ʌ/, /ö/, /ə/. Sie entsprechen in geschlossenen Silben zum grössten Teil den anl. Kurzvokalen (vgl. 3.4.1.), soweit sie sich nicht durch Umlaut geändert haben: /a/ – /a/ (~ anl. /a/): achte, anl. ahto (‚acht‘), nnl. acht; zudem kommen als Varianten vor: /a/ vor r + Dental wie in mnl. warden (‚werden‘) neben mnl. werden, nnl. worden, und vor r + Labial bzw. Velar wie in mnl. karke (‚Kirche‘) neben mnl. kerke, nnl. kerk; /e/ – /e/ (~ anl. /e/): werc, anl. werk (‚Tat‘, ‚Handlung‘, ‚Arbeit‘), nnl. werk; zudem kommen als Varianten vor: /e/ > /a/ vor r + Konsonant wie in mnl. gers (‚Gras‘) neben mnl. gras, nnl. gras; sodann war /e/ durch Umlaut aus /a/ entstanden, vgl. mnl. alende (‚Elend‘), nnl. ellende und mnl. lant (‚Land‘), nnl. land; ebenfalls hatte sich /e/ in Verbformen gebildet wie in mnl. tellen (‚zählen‘), nnl. tellen, vgl. mnl. ghetal (‚Zahl‘); sodann kannten Superlative bereits /e/, vgl. mnl. best (‚am besten‘), nnl. best neben mnl. bat (‚gut‘, ‚mehr‘, ‚besser‘); weiter war /e/ aus /i/ vor r + Konsonant entstanden wie in mnl. kerke (‚Kirche‘), nnl. kerk vgl. anl. kirika;

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/i/ – /i/ (~ anl. /i/): mnl. binnen, nnl. binnen, anl. binnan (‚innerhalb‘, ‚binnen‘); auch war /i/ aus /e/ entstanden, vgl. mnl. hilpen (‚helfen‘), nnl. helpen neben mnl. helpen; /o/ – /o/ (~ anl. /o/): mnl. dochter (‚Tochter‘), nnl. dochter, anl. dohter; /o/ (~ anl. /u/): mnl. hond (‚Hund‘), nnl. hond, anl. hunt; zudem kommen als Varianten vor: /u/ wie in mnl. gesunt (‚wohl behalten‘), vgl. anl. gisunt, neben mnl. ghesont; auch in einigen Wörtern wie in der ersten Silbe von sundagh (‚Sonntag‘) erscheint im Osten die Variante /u/ neben /o/ in mnl. sonnendagh, vgl. anl. sunnadag, nnl. zondag; – /o/ aus /e/ vor r + Dental; mnl. torde (‚dritte‘), nnl. derde neben mnl. derde; – /o/ aus /ō/ in vereinzelten Wörtern wie mnl. blomme (‚Blume‘), nnl. bloem neben mnl. bloeme, vgl. anl. bluoma; /u/ – /u/ (~ anl. /u/): mnl. under neben mnl. onder, anl. under (‚unter‘), nnl. onder; sodann tritt in vereinzelten Wörtern /u/ als Variante von /o/ auf wie in mnl. juck (‚Joch‘), vgl. anl. joh, weiter durch Palatalisierung vor r + Konsonant, so in mnl. durst (‚Durst‘) neben mnl. dorst, nnl. dorst, vgl. anl. thurst; sodann war /u/ durch Umlaut aus /ǔ/ entstanden, vgl. mnl. hulde (‚Huldigung‘), nnl. hulde, anl. huldi; /ʌ/ – /ʌ/ aus anl. /u/: durch Umlaut wie in mnl. brucghe (‚Brücke‘), nnl. brug, anl. brugga; – /ʌ/ aus anl. /u/: durch spontane Palatalisierung wie in mnl. summe (‚Summe‘), nnl. som neben mnl. somme; /ö/ – /ö/ aus anl. /o/ oder /u/: durch Umlaut wie in wullin (‚aus Wolle‘), nnl. wollen neben mnl. wollin; /ə/ – /ə/ aus anl. Kurzvokalen in unbetonten Silben wie in mnl. bedde (‚Bett‘), nnl. bed, vgl. anl. *beddi, auch in mnl. voghel (‚Vogel‘), vgl. anl. vogal oder in mnl. selve (‚selber‘), nnl. zelf, vgl. anl. seluo. Zu den mnl. Langvokalen gehören /ā/, /ē/, /ê/, /ī/, /ō/, ô/, /y/, /ö/:

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/ā/ – /ā/ (~ anl. /ā/) in geschlossenen Silben; mnl. jaer (‚Jahr‘), anl. iar, nnl. jaar; – /ā/ aus anl. /a/ durch Dehnung in offenen Silben; mnl. maken (‚machen‘), anl. machon, nnl. maken; – /ā/ aus anl. /a/ vor r + Konsonant; mnl. hart (‚hart‘), anl. hardo, nnl. hard; – /ā/ aus anl. /e/ vor r + Konsonant; mnl. aerde (‚Erde‘), anl. ertha, nnl. aarde; – /ā/ aus anl. /ē/ vor r; mnl. vertaren (‚verzehren‘), anl. ferterron, nnl. verteren; /ē/ – /ē/ durch Dehnung aus anl. /e/; mnl. Plur. weghe (‚Wege‘), vgl. mnl. Sing. wech, anl. Plur. wege, vgl. anl. Sing. wech, nnl. Plur. wegen, vgl. Sing. weg; – /ē/ durch Dehnung von durch Umlaut von /a/ entstandenem /e/; mnl. beke (‚Bach‘), vgl. anl. baec, nnl. beek; /ê / – durch Monophthongierung aus anl. /ai/: mnl. steen (‚Stein‘), nnl. steen; /ī/ – /ī/ (~ anl. /ī/): mnl. idel (‚leer‘, ‚dünn‘, ‚eitel‘), anl. idil, nnl. ijdel; /ō/ – /ō/ (~ anl. /ō/): mnl. scone (‚schön‘), anl. scone; nnl. schoon (‚sauber‘, ‚schön‘); – /ō/ aus anl. /o/ in offenen Silben; mnl. godes (‚Gottes‘), anl. godis, nnl. Gods; – /ō/ aus anl. /u/ in offenen Silben; mnl. sone (‚Sohn‘), anl. sun, nnl. zoon; – /ō/ durch Dehnung aus anl. /o/ vor r; mnl. woirt (‚Wort‘), anl. uuort, nnl. woord; zudem kommt /ō/ als Variante von /ā/ vor, vgl. mnl. strote (‚Strasse‘) neben mnl. straete, anl. strata, nnl. straat; /ô/ – /ô/ aus au, vgl. anl. ouge (‚Auge‘) neben anl. oga, vgl. mnl. dopen (‚taufen‘); /y/ – /y/ durch Palatalisierung von anl. /ū/; mnl. huus (‚Haus‘), anl. hus, nnl. huis; – /y/ (~ anl. /iu/): mnl. lude (,Leute‘), anl. liud, nnl. lieden; – /y/ (~ anl. i) vor w; mnl. truwe (‚Treue‘), anl. trivwe, nnl. trouwe; /ö/ – /ö/ aus anl. /u/ in offenen Silben; mnl. euel (‚Übel‘), anl. uuel, nnl. euvel.

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4.4.1.2. Diphthonge Die folgenden Zeichenkombinationen bezeichnen wahrscheinlich mnl. Diphthonge: , , , , , , , , . Durch Rundung von al zu ol und Vokalisierung von -l- war /ou/ entstanden, vgl. mnl. out (‚alt‘), anl. alt, nnl. oud. Mehrere Sprachhistoriker vermuten, dass zum Anfang des 14. Jh. zudem eine Diphthongierung /ī/ > /ei/ im Süden Brabants stattfand, in der Regel wurde sie als , gelegentlich gar als geschrieben und war demzufolge nicht von dem diphthongierten langen /î/ zu unterscheiden, vgl. mnl. vif und mnl. wief (‚Weib‘) neben mnl. wijf‚ anl. wif, nnl. wijf. Zudem war wohl eine Diphthongierung des /ū/-Lautes erfolgt, die vor allem im Westen und Südwesten zu /y/ palatalisierte,vgl. mnl. hues (‚Haus‘), anl. hus. Eine spätere Diphthongierung dieses /y/ in mehreren Gebieten, nicht aber im Südwesten, die ab dem 16. Jh. zum Beispiel durch Reimpaare belegt ist, vgl. mnl. huys, nnl. huis hat möglicherweise ihren Ursprung in Brabant und Holland. Ausgenommen von diesen Erneuerungen ist /ū/ im Auslaut, vgl. nu (‚jetzt‘) und vor /w/, vgl. mnl. huwen (‚sich vermählen‘), nnl. huwen. In letzteren Positionen konnte möglicherweise bereits im 12. Jh. /ū/ zu /ou/ diphthongieren, vgl. mnl. bouwen (‚bauen‘) neben mnl. biuwen und mnl. buwen, anl. buuuan, nnl. bouwen. /aei/ in Wörtern wie craeyen (‚krähen‘), vgl. anl. cragent (3. Pers. Plur. Präs.), nnl. kraaien; /ei/ – /ei/ (~ anl): /ei/; mnl. heilich, anl. heilig (‚heilig‘), nnl. heilig; – /ei/ aus anl. e + Konsonant; mnl. einde (‚Ende‘), anl. endi; nnl. einde; /ooi/ – in Lehnwörtern wie mnl. fransoeis (‚Französisch‘), nnl. Frans; – in vereinzelten Wörten mit j und Vokal wie in mnl. spoie (‚Siel‘), nnl. spui; – durch Palatalisierung von ou aus anl. al oder ol; mnl. gewoyt (‚Gewalt‘), anl. geuualt, nnl. geweld; /aeuw/ – /aeuw/ aus a + w: mnl. blaeuwe (‚blaue‘), nnl. blauw; /ou/ – /ou/ aus anl. al oder ol + Dental: mnl. hout (‚Holz‘), anl. holt, nnl. hout; – /ou/ (~ anl. /ou/): mnl. houwe (‚Heu‘), anl. houuue, nnl. hooi; – /ou/ aus anl. /au/: mnl. scouwen (‚betrachten‘), anl. [bi]skouwon, nnl. [be]schouwen; – /ou/ aus anl. /ū/: mnl. nouw (‚neu‘), anl. niwa, nnl. nieuw oder in mnl. hous (‚Haus‘), anl. hus, nnl. huis; – /ou/ aus anl. /iu/ + /w/: mnl. blau (‚blau‘), anl. *blao, nnl. blauw;

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

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/iw/ – /iw/ möglicherweise aus ē + w; mnl. zieu (‚säte‘), nnl. zaaide; – /iw/ aus /eo/: in Präterita, mnl. hieu (‚haute‘, ‚hieb‘), anl. hiuuon, nnl. hieuw; /ie/ – /ie/ aus anl. /io/: mnl. diepde (‚Tiefe‘), anl. diopithon (Dat. Plur), nnl. diepte; – /ie/ aus anl. /e/; mnl. uiren (‚feiern‘); – /ye/ aus anl. /iu/: mnl. vier, vuur (‚Feuer‘), anl. fuir, fiur, nnl. vuur. 4.4.1.3. Konsonanten Sodann ist für das Mnl. u.a. die Entwicklung von ger. /χs/ zu /ss/ kennzeichnend, wo im Dts. /ks/ entstand, vgl. mnl. osse (‚Ochsen‘), anl. Akk. Plur. ohsson, nnl. os. Weiter entwickelte sich am Anfang des Wortes aus ger. /sk/ mnl. sc(h)-, gegenüber /š/ im Dts., vgl. mnl. scaep und schaep (‚Schaf‘), anl. Gen. Plur. scafo, nnl. schaap. Zudem zählt die Entstehung der Konsonantenverbindung -cht- aus ger. -ft- zu den Eigenarten des Mnl., vgl. mnl. gracht (‚Kanal‘) neben gract, graht oder graft, anl. graft neben grath und grat, nnl. gracht. Auch fällt verglichen mit dem Mhd. die Metathese des /r/ in Clustern mit Kurzvokal und Dental auf, vgl. mnl. derde (‚dritte‘), anl. dridte, nnl. derde. Bei der Auslautverschärfung, die schon in der Zeit des Altniederländischen einsetzte, handelt es sich um stimmhafte Okklusive und Frikative, die stimmlos wurden. Sie betrifft: (1) /b/ > /p/, vgl. mnl. domme (‚dumme‘) neben mnl. dompe und anl. dumba, soweit es sich hier nicht um Dissimilation handelt; (2) /Ь/ > /f/, vgl. mnl. gaf und anl. 3. Pers. Plur. Prät. gavon neben anl. 3. Pers. Sing. Prät. gaf ; (3) /d/ > /t/, vgl. mnl. hont (‚Hund‘) und anl. Gen. Plur. hundo neben anl. [hella]hunt; (4) /g/ > /k/ und /k/ nach /ŋ/, vgl. mnl. ganc (‚das Gehen‘) neben mnl. ganghe und anl. Nom. Plur. ganga neben anl. ganc in Ortsnamen, weiter mnl. ionc (‚jung‘) neben iunch und jongh, anl. Akk. Plur. iunga neben anl. iunc in Ortsbezeichnungen; (5) /g/ > /X/, vgl. mnl. heilech (‚heilig‘) und anl. heiligo neben anl. heilig. Sodann wurden in der Zeit des Mnl. die alten kurzen stimmlosen Frikative /f/, /s/ und /t/ intervokalisch, inlautend stimmhaft und zwar nach sonoren Konsonanten vor Vokal, vgl.  hoven (‚Höfe‘) und hof. Übrigens sollte im Nnl. das auslautende Schwa allmählich apokopiert werden (vgl.  5.4.), so wurde mnl. ic vinde zu nnl. ik vind (‚ich finde‘). In der Folge wurden in dieser Position Okklusive und Frikative stimmlos, es entstanden so die Gegensätze p – b, vgl. web (‚[Spinn-]Gewebe‘) und webben, t – d, vgl. vind (‚finde‘) und vinden, s – z, vgl. schrijf (‚schreibe‘) und schrijven, x – γ, vgl. oog (‚Auge‘) und ogen. /p/ bilabialer stimmloser Explosiv – /p/ (~ anl. /p/): mnl. roepen (‚rufen‘), anl. roupen, nnl. roepen; – /p/ aus > anl. Geminate /pp/; mnl. scheppen (‚schöpfen‘), anl. *skeppen, nnl. scheppen;

204

4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

/b/ bilabialer stimmhafter Explosiv – /b/ (~ anl. /b/): mnl. bant (‚Band‘), anl. Plural benthen; – /b/ aus anl. Geminate /bb/; mnl. sibbe (‚Sippe‘), nnl. sibbe; /f/ labialer stimmloser Frikativ – /f/ (~ anl. /f/): mnl. lief (‚lieb‘), anl. lief, nnl. lief; – /f/ aus anl. /v/ im Auslaut; mnl. brief (‚Brief‘), anl. breue, nnl. brief; – /f/ im Anlaut in Lehnwörtern; mnl. fonteine (‚Fontäne‘), nnl. fontein; – /f/ aus anl. Geminate /ff/; mnl. offeren (‚opfern‘), anl. offran, nnl. offeren; /v/ labialer stimmhafter Frikativ – /v/ (~ anl. /v/): mnl. gheven (‚geben‘), anl. geuen, nnl. geven; – /v/ aus anl. /f/ im Anlaut; mnl. viant (‚Feind‘), anl. fiunt, nnl. vijand; /t/ dentaler stimmloser Explosiv – /t/ (~ anl. /t/): mnl. trouwe (‚Treue‘), anl. truwa, nnl. trouw; – /t/ aus anl. /d/ im Auslaut; mnl. werelt (‚Welt‘), anl. wereld, nnl. wereld; /d/ dentaler stimmhafter Explosiv – /d/ aus anl. /þ/; mnl. broeder (‚Bruder‘), anl. brother, nnl. broer; – /d/ (~ anl. /d/); mnl. draghen (‚tragen‘), anl. dragen, nnl. dragen; – /d/ aus anl. Geminate /dd/; mnl. bidden (‚bitten‘, ‚beten‘), anl. bidden, nnl. bidden; /s/ dentaler stimmloser Frikativ – /s/ (~ anl. anl. /s/): mnl. steen (‚Stein‘), anl. stein, nnl. steen; /z/ dentaler stimmhafter Frikativ – /z/ aus anl. /s/; mnl. seleun und zeluen (‚selbst‘), anl. seluo, nnl. zelf; das Zeichen z kommt im Anlaut vor allem in Holland, Seeland und Flandern vor, vereinzelt erscheint auch ss, ts oder c, um diesen Laut von /s/ zu unterscheiden;

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

205

/k/ velarer stimmloser Explosiv – /k/ (~ anl. /k/): mnl. kint (‚Kind‘), anl. kint, nnl. kind; /k/ aus anl. Geminate /kk/; mnl. locken (‚locken‘), anl. 3. Pers. Ind. Präs. locchet, nnl. lokken; – /k/ aus anl. /g/ nach n im Auslaut; mnl. sanc (‚Gesang‘), anl. sang; nnl. zang; /χ/ velarer stimmloser Friaktiv – /χ/ (~ anl. /χ/): mnl. vechten (‚kämpfen‘), anl. ueghtan, nnl. vechten; – /χ/ aus anl. g im Auslaut; mnl. wech (‚Weg‘), anl. uueg, nnl. weg; – /χ/ aus anl. nach s in der Konsonantenkombination sk; mnl. schip (‚Schiff‘), anl. *skip, vgl. die Ortsbezeichnung Scipliede, nnl. schip; – /χ/ aus anl. f in der Konsonantenverbindung ft; mnl. sachte (‚sanft‘), anl. senifte, nnl. zacht; /h/ laryngale Liquida – /h/ (~ anl. /h/): mnl. hemel (‚Himmel‘), anl. himil, nnl. hemel; bereits im 13. Jh. wird oft nicht mehr in Flandern geschrieben, vgl. mnl. ebben neben mnl. hebben (‚haben‘), weiter kommen bis ins 14. Jh. in Brabant gelegentlich Prokope und Prothese von /h/ vor; /g/ velarer stimmhafter Frikativ – /g/ (~ anl. /g/): mnl. goet (‚gut‘), anl. got, nnl. goed; – /g/ aus anl. Geminate /gg/; mnl. licghen (‚liegen‘), anl. [ana]liggen, nnl. liggen; /w/ bilabialer stimmhafter Frikativ – /w/ (~ anl. /w/): mnl. swert (‚Schwert‘), anl. suert, nnl. zwaard; /l/ dentale Liquida – /l/ (~ anl. /l/): mnl. leren (‚lehren‘), anl. 3. Pers. Ind. Präs. leeret, nnl. leren; – /l/ aus anl. Geminate /ll/; mnl. vallen (‚fallen‘), anl. fallon, nnl. vallen; /r/ (uvulare?) liquida – /r/ (~ anl. /r/): mnl. baren (‚gebären‘), anl. 3. Pers. Ind. Prät. baroda (‚trug‘), nnl. baren (‚gebären‘); – /r/ aus anl. Geminate /rr/; mnl. verre (‚fern‘), anl. uerre, nnl. ver;

206

4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

/m/ bilabialer stimmhafter Nasal – /m/ (~ anl. /m/): mnl. man (‚Mann‘), anl. man, nnl. man; – /m/ aus anl. Geminate /mm/; mnl. stemme (‚Stimme‘), anl. stemma, nnl. stem; – /m/ aus anl. Konsonantenverbindung /mb/; mnl. ombe, omme (‚um‘), anl. umbe, nnl. om; /n/ dentaler stimmhafter Nasal – /n/ (~ anl. /n/): nemen (‚nehmen‘), anl. neman, nnl. nehmen; – /n/ aus anl. Geminate /nn/; mnl. beghinnen (‚beginnen‘), anl. 3. Pers. Ind. Präs. beginnent, nnl. beginnen; /ŋ/ velarer stimmhafter Nasal – /ŋ/ (~ anl. /ŋ/: im Inlaut vom stimmhaften velaren Explosiv /g/ gefolgt; mnl. bringhen (‚bringen‘), anl. bringan, nnl. brengen; im Auslaut vom stimmlosen Explosiv /g/ gefolgt; mnl. dinc (‚Ding‘), anl. thing, nnl. ding; für das Mnl. ist sog. synchronische Assimilation anzunehmen, vgl. coninghe met /ŋ/ neben coninc (‚König‘). 4.4.1.4. Schematische Zusammenfassung mittel- und neuniederländischer sowie deutscher Laute Die Ergebnisse entscheidender lautlicher gemeingermanischer, mittel- und neuniederländischer Entwicklungen lassen sich nach Van Bree schematisch wie unten zusammenfassen: Gemein- Mittelniederländisch Niederländisch Deutsch germ. a

a (nacht) aa (daghe) aa (maken) [a (dach) e (bedde) ee (vene)

a (nacht) aa (dagen) aa (maken) a (dag) e (bed) ee (veen)



ee (beter) [aa (draagt)

ee (beter) aa (draagt)

Bemerkungen

a (Nacht) aa (Tage) Dehnung a (machen) in Dts. keine Dehnung aa (Tag) in Dts. Analogie] e (Bett) prim. Umlaut ee (Fehn id., Dehnung = Moor) e (besser) id., in Dts. keine Dehnung ee (trägt) in Ndl. Analogie]

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

e

e (zes) ee (leven) ee (eten)

e (zes) ee (leven) ee (eten)

e (sechs) ee (Leben) Dehnung e (essen) in Dts. keine Dehnung

i

i (dick) ee (ghedeghen) ee (nemet) [e (helpt)

i (dik) ee (gedegen) ee (neemt) e (helpt)

i (dick) ie (gediegen) Dehnung i (nimmt) in Dts. keine Dehnung i (hilft) in Ndl. Analogie

207

u o (bont) o (bond) u (Bund) oo (jode) oo (jood) u: (Jude) Dehnung ø (druck) ø (druk) u (Druck) in Ndl. sp. Palat. o (vorst) o (vorst) ü (Fürst) in Dts. sek. Umlaut ø (vullen) ø (vullen) ü (füllen) in Ndl. sp. Palat., in Dts. sek. Umlaut oo (joodsch) oo (joods) ü: (jüdisch) in Dts. sek. Umlaut; Dehnung ø: (deur) ø: (deur) ü: (Tür) in Ndl. sp. Palat., in Dts. sek. Umlaut; Dehnung o

o (stock) oo (ghestolen) oo (gebroken) o (stocke) oo (sonen)

o (stok) oo (gestolen) oo (gebroken) o (stokken) oo (zonen)

o (Stock) oo (gestohlen) Dehnung o (gebrochen) in Dts. keine Dehnung ö (Stöcke) in Dts. sek. Umlaut ö: (Söhne) in Dts. sek. Umlaut; Dehnung

ā

aa (schaap) ee (scheper) aa (trage)

aa (schaap) ee (scheper) aa (traag)

aa (Schaf) ee (Schäfer) sek. Umlaut (in Ndl. beiläufig) ee (träge) in Dts. sek. Umlaut

ē

ie (brief)

ie (brief)

ie (Brief)

ī

ei (wijn) ie (gier)

ei (wijn) ie (gier)

ei (Wein) Diphthongierung ei (Geier) in Ndl. keine Diphth. vor r

208

ō

4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

u: (broeder) u: (groen)

u: (broeder) u: (groen)

u: (Bruder) ü: (grün)

in Dts. sek. Umlaut

ū y: (huus) œi (huis) au (Haus) y: (suur) y: (zuur) au (sauer) y: (huse) œi (huizen) äu (Häuser)

Diphth., in Ndl. via sp. Palat. in Ndl. keine Diphth. vor r in Dts. sek. Umlaut (y phonetisch = ü)

ai

ee (leren) ei (heide) ee (steen)

ee (leren) ei (heide) ee (steen)

ee (lehren) ei (Heide) ei (Stein)

Monophthongierung vor r vor i oder j in Dts. keine Monophth.

au

oo (broot) oo (lopen)

oo (brood) oo (lopen)

oo (Brot) Monophthongierung au (laufen) in Dts. keine Monophth.

eo

ie (bieden)

ie (bieden)

ie (bieten)

iu y: (lude) œi (lui[den]) ɔɪ̯ (Leute) Diphthongierung ie (liede) ie (lieden) in den Ndl. südwestl. Entwicklung al+Dental ou (kout)

ou (koud)

al (kalt)

ol+Dental ou (gout)

ou (goud)

ol (Gold) id.

ul+Dental ou (scout)

ou (schout)

ul (Schuld) id.

falls ohne Umlaut

Vokal ə ([nem]en) ə ([nem]en) ə ([nehm]en) Reduktion beim schwachen Akzent ə (bedde) - (bed) - (Bett) Schwa-Apokope

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen



ə (neme) ə (makede)

- (neem) ə (maakte)

ə (nehme) ə (machte)

p

p (diepe) p (part)

p (diep) p (paard)

f (tief) in Dts. Lautverschiebung pf (Pferd) id.

t

t (eten) t (tien)

t (eten) t (tien)

s (essen) id. ts (zehn) id.

k

k (maken)

k (maken)

ch (machen) id.

f

v (vader) v (boven) f (hof) [v (hove)

v (vader) v (boven) f (hof) v (hoven)

f (Vater) b (oben) f (Hof) f (Höfe)

þ

d (liden) t (leet)

d (lijden) t (leed)

d (leiden) t (Leid)

ch

– (lopen) h (hand) ch (lachen)

- (lopen) h (hand) ch (lachen)

- (laufen) h (Hand) ch (lachen)

s

z (lesen) s (las)

z (lezen) s (las)

z (lesen) s (las)

b/β

b (binden) v (lieve) f (lief)

b (binden) v (lieve) f (lief)

b (binden) b (liebe) b (lieb)

d/δ

d (bieden) t (bood)

d (bieden) t (bood)

t (bieten) in Dts. Lautverschiebung t (bot) Auslautverschärfung

209

in Dts. keine Apokope keine Apokope

in Dts. Okklusiv in Dts. analogisches f

Prokope, vgl. got. hlaupan Laryngalisierung

in Dts. Okklusiv id.; Auslautverschärfung

210

4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

g/γ

γ (liegen) ch (looch)

γ (liegen) ch (loog)

g (lügen) g (log)

in Dts. Okklusiv id.; Auslautverschärfung

z

r (waren)

r (waren)

r (waren)

Rhotazismus

ng

ŋg (singen) [nk (sanc)

ŋ (zingen) ŋ (zang)

ŋ (singen) ŋ (Sang)

Assimilation Analogie]

ft

cht (kracht)

cht (kracht)

ft (Kraft)

ks

s (wisselen)

s (wisselen)

ks (wechseln)

sk

sk (schaap) sk (vissche)

sch (schaap) s (vissen)

sj (Schaf) sj (Fische)

Ergänzende Bemerkungen 1. Das Niederländische kennt nur den primären i-Umlaut. 2. Im Niederländischen sind viele Umlautalternanzen verschwunden. 3. Das Deutsche hat, im Zusammenhang mit der Hochdeutschen Lautverschiebung, weniger Dehnung in offenen Silben mit Hauptakzent. 4. Im Deutschen ist der alte Unterschied zwischen gemeinger. kurzen u und o bewahrt geblieben, ebenso der Unterschied zwischen kurzen e und i in offenen Silben bei Dehnung. 5. Bei gemeinger. ai und au bewahrt das Deutsche öfters den Diphthong. 6. Das Deutsche hat weniger Schwa-Apokope. 7. Das Deutsche zeigt die Hochdeutsche Lautverschiebung. 8. Bei b/β usw. bevorzugt das Deutsche den Okklusiv. 9. Im Deutschen kommt auch die Diphthongierung von langen i, u und y vor, es fehlt aber die spontane Palatalisierung von langem u. 10. Deutsch hat mit dem Niederländischen die Auslautverschärfung gemein. (Im Schema ist diese nicht im synchronen, sondern im diachronen Sinne festgehalten). 11. Nicht berücksichtigt im Schema ist der für das Niederländische so wichtige Einfluss des r plus Konsonant auf den vorangehenden Vokalismus: vgl. derven und sterk mit Palatalisierung vor Labial beziehungsweise Velar (dts. darben, stark) und hart mit Depalatalisierung vor Dental (dts. Herz). Verlängerung vor r plus Konsonant (plus Dental) kommt in beiden Sprachen vor: vgl. ndl. baard, zwaard mit dts. Pferd, Schwert.

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

211

Meistens ist die Rede von den gleichen Entwicklungen, die sich aber in den beiden Sprachen unterschiedlich durchgesetzt haben. Eine tiefgreifende Veränderung im Deutschen ist aber die Lautverschiebung. An anderen Stellen ist das Deutsche konservativ, zum Beispiel beim Unterschied zwischen alten u und o.

4.4.2. Syntax und Morphologie Auch im Mittelniederländischen als Sprachstufe zwischen Alt- und Neuniederländisch findet eine Reduktion der Vokale in unbetonten Silben (vgl. 4.4.1.1.) mit einem damit zusammenhängenden Rückgang der Flexion statt. Da Deklination und Konjugation zu den Sprachelementen zu rechnen sind, die Zusammenhänge zwischen Wörtern beziehungsweise Wortgruppen zum Ausdruck bringen, ist die Deflexion in mehreren Hinsichten bedeutend für die Entwicklung des Niederländischen. So zeigt sich im Folgenden beispielsweise, dass Genus und Kasus im Mittelniederländischen nur beschränkt von distinktiven morphologischen Merkmalen markiert werden, andere sprachliche Mittel, wie Präpositionen und Wortfolge, sollen vermehrt syntaktische Zusammenhänge ausdrücken. Bezüglich Wortfolge fällt auf, dass das Mittelniederländische grössere Übereinstimmung mit dem Englischen, dem Hochdeutschen und dem Niederdeutschen dieser Epoche aufweist, später sollte das Englische sich in dieser Hinsicht vermehrt von den Nachbarsprachen unterscheiden. Die mittelniederländische Syntax entwickelt bereits Eigenheiten, die später das moderne Niederländische prägten. Dies gilt namentlich für die Wortfolge, die anfänglich allerdings freier war als im Neuniederländischen, u.a. im Hinblick auf die Stellung des verbum finitum. Die folgende Zusammenfassung auffälliger syntaktischer und morphologischer Merkmale des Mittelniederländischen erfolgt wie in 3.4.2. in getrennten Abschnitten zu nominalen und verbalen Gruppen (vgl. 1.2.2.). A.M. van Duinhoven, der sein Standardwerk zur mittelniederländischen Syntax mit den Teilen De naamwoordgroep und De werkwoordgroep ähnlich gliedert, begründet eine solche Strukturierung u.a. mit der Zweiteilung, die Sätze häufig aufweisen: Subjekt versus Prädikat, thema versus rhema, topic versus comment. Dieser zweckmässige, theoretisch jedoch nicht unproblematische Ansatz ist in diesem Rahmen weiter nicht zu vertiefen. 4.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen Häufig gehen Artikel, Demonstrativ, Possessiv beziehungsweise Adjektiv dem Substantiv voran, wie eere vremder niewer in eere vremder niewer spise (‚[von] einer fremden neuen Speise‘ VVR Z. 558, siehe 4.3.1.1.) und desen crommen in desen crommen pat (‚diesen schmalen Pfad‘ VVR Z. 633, siehe 4.3.1.1.). Attribute mit Genitiv stehen sowohl vor als auch nach dem Substantiv: des viants in des viants knechte (‚die Diener des Teufels‘ HVV Z. 952, siehe 4.3.4.1.), der bester coren eerden in goeden ghevylden der bester coren eerden (‚gute Felder der besten Ackerböden‘ HVV Z. 968–969). Weniger als im Altniederländischen kommt noch die Reihenfolge mit einem Substantiv gefolgt vom nicht flektierten Possessiv beziehungsweise Adjektiv vor, zum Beispiel nach dall in

212

4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

In eynen dall scoen ende liecht (‚In einem schönen und klaren Tal‘ HVV Z. 958) oder nach Coninc in Voer den hoochsten Coninc almachtich (‚Vor dem höchsten, allmächtigen König‘ ELC Z. 221). Seltener treten andere Varianten in der Wortfolge nominaler Gruppen auf, wie der possessive Dativ Gheraerde van Velsen getrennt vom Bezugssubstantiv in Gheraerde van Velsen was doe Sijn paert so verre van hem ghegaen (‚das Pferd von Gheraerde van Velsen war dann so weit von ihm entfernt‘ MST Z. 6316–17, siehe 4.3.3.2.). Attributive Präpositionalgruppen, die wahrscheinlich aus adverbialen Strukturen entstanden, kommen im frühen Mittelniederländischen zuerst noch wenig vor und erscheinen anfänglich auch getrennt vom Bezugswort, wie Van Brabant in Van Brabant oec die grote heren (‚Auch die grossen Herren von Brabant‘ LVV Z. 43). Im späten Mittelalter sind attributive Präpositionalgruppen geläufiger, wie metten grave in ende also houde Viel dat paert metten grave In den sloot (‚darauf fiel das Pferd mit dem Grafen gleich in den Graben‘ MST Z. 6300–6302), oder buten der stede in ter kermissen buten der stede (‚zum Jahrmarkt ausserhalb der Stadt‘ ELC Z. 247). 4.4.2.2. Genus Die Klassen der mnl. Substantive lassen sich durch die lückenhafte Überlieferung und die Entwicklungen in der Zeit des Altniederländischen nicht zuverlässig auf die germanischen Stammesklassen zurückführen (vgl.  3.4.2.). Wohl kann man im Mittelniederländischen vokalische und konsonantische Deklinationen unterscheiden, die seit Jacob Grimm auch als starke beziehungsweise schwache Deklination bezeichnet werden. So kennen mnl. Substantive, die ursprünglich mit einem Konsonant abschlossen wurden wie geest (,Geist‘), broot (,Brot‘) oder angst (,Angst‘), in der Regel starke Flexion, Substantive wie dore (,Tor‘), armoede (,Armut‘) oder hulpe (,Hilfe‘), die auf -e enden, weisen zumeist die schwache Flexion auf. Manche Substantive tauschten die Flexion, so wechselten beispielsweise mehrere Substantive auf -e wie antwoorde (‚Antwort‘) zur schwachen Flexion. Zur vokalischen Flexion rechnet A. Marynissen eine fem. und vier mask. beziehungsweise neutr. Gruppen, die nach Van Loeys Beispielen tendenziell wie folgt flektiert werden: vokalische Deklination Mask./Neutr. Fem. Sing. Plur. Sing. Plur. worm (‚Wurm‘) worme daet (‚Tat‘) dade Nom. Gen. worms worme daet dade Dat. worme wormen daet daden Akk. worm worme daet daden Zur konsonantischen Flexion gehören laut Marynissen eine fem. sowie zwei mask. beziehungsweise neutr. Gruppen Substantive, die häufig eine Flexion ähnlich wie die folgenden Beispiele von Van Loey kennen:

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

213

konsonantische Deklination Mask./Neutr. Fem. Sing. Plur. Sing. Plur. cnape (‚Knappe‘) cnapen siele (‚Seele‘) sielen Nom. Gen. cnapen cnapen siele(n) sielen Dat. cnapen cnapen siele(n) sielen Akk. cnape cnapen siele sielen In den angeführten Paradigmata fällt auf, dass die starke Flexion nur zwei Unterschiede zwischen den Substantiven der drei Genera aufweist, und zwar im Gen. und Dat. Sing. Fem. Im Paradigma der schwachen Deklination fallen, wenn man die Varianten berücksichtigt, morphologische Unterschiede zwischen den Genera völlig weg: formale Kennzeichen des Geschlechts werden nicht unmittelbar am Substantiv ausgedrückt. Übrigens konnte sich das Genus vereinzelter Substantive ändern, so wurde das ursprünglich fem. tijt (‚Zeit‘) mask., umgekehrt wurde das mask. name (‚Name‘) fem. Zudem kamen Wörter wie cruce (,Kreuz‘) sowohl fem. als auch neutr. vor. Genusunterschied kommt in der Flexion von Adjektiven ebenfalls nur in einigen Positionen zum Ausdruck. So kennt die Deklination von goed (‚gut‘) vor mask. Substantiven im Akk. Sing. die Form goeden, vor fem. Substantiven im Gen. Sing. beziehungsweise Dat. Sing. kommt goeder vor. Die von Van Loey als Vereinfachungen eingestuften Änderungen der Flexion, die sich bis zur Neuzeit vollzogen, tilgten nach Berteloot bereits im Mnl. hochgradig den Unterschied zwischen starker und schwacher Beugung. Formen starker und schwacher Deklination vermischten sich, ein vorhergehender Demonstrativ scheint die Flexion des Adjektivs nicht mehr zu bestimmen. Die Flexion von Possessiva und von Ordnungszahlen ähnelt jener der Adjektive, vgl. mijns in mijns broeder kindren (‚die Kinder meines Bruders‘), ebenso dersdaghes (‚am dritten Tag‘). Grundzahlen werden in der Regel nur vor dem Substantiv dekliniert, vgl. met hurre tweer gesiegel (‚mit dem Siegel von beiden von ihnen‘). Sodann können die Personalpronomina der 3. Pers. Sing. Genus markieren, so bezieht sich hi (‚er‘) häufig auf mask. Personen oder mask. Sachen, vgl. hine in Want d[…] wolf heuet nog v[]le ander naturen. Dene is dat h[] den hals so stif heuet. dat hine nit keren en mag (‚Denn der Wolf hat noch viele andere Eigenschaften. Die eine ist, dass sein Hals so steif ist, dass er ihn nicht drehen kann‘). Das Pronomen si kann eine fem. Person oder fem. Sache andeuten wie si (‚sie‘), hier auf minne (‚Liebe‘) bezogen, in Si [minne] dwingt sulken dat hine weet Weder spreken ofte swighen (‚Sie [die Liebe] zwingt manchen so sehr, dass er nicht weiss, ob er sprechen oder schweigen soll‘ BTR Z. 46–47). Schliesslich bezieht sich het oder dat (‚das‘) als Pronomen häufig auf ein neutr. Substantiv, vgl. t (= dat, ‚es‘) in vant, das sich auf ghedichte (‚Gedicht‘) bezieht in Hi vant in die boeke sijn (‚er fand es [das Gedicht] in seinen Büchern‘ BTR Z. 16). Das Pronomen het kann aber auch auf nicht-neutr. Substantive verweisen, vgl. t (= het, dat, ‚es‘) im enklitischen est in Eleuas es die olifant jn dutsch est elpen ghenant (‚Elevas ist der Elefant, der in der Volkssprache „Elfentier“ genannt wird‘).

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Die mnl. Relativa zeigen eine Distribution, die mit einer Entstehung des Genus commune für Mask. und Fem. neben dem Neutr. im Einklang steht. So kann sich die (‚die‘, ‚der‘) laut VMW als Relativum sowohl auf mask. als auch fem. Begriffe im Sing. beziehen: Het antecedent is een mannelijk of vrouwelijk enkelvoudig begrip (‚Das Bezugswort ist ein mask. oder fem. Begriff Sing.‘), vgl. die und mask. here in si prijst haren hemelschen here die makere es van allen scoenheiden (‚sie lobt ihren himmlischen Herren, der Schöpfer alles Schönen ist‘) und die in Hi nam den brief (…) Die hem sende sijn vriendinne (‚Er nahm den Brief (…), den seine Freundin ihm schickte‘ BTR Z. 88–89), beziehungsweise die[ne] und fem. Marien in Marien teren diene soghede (‚zur Ehre Marias, die ihn stillte‘ BTR Z. 8) oder die in een scone mieracle (…) Die god sonder twivel toghede (‚ein schönes Mirakel […], das Gott ohne Zweifel offenbarte‘ BTR Z. 6–7). Andererseits bezieht sich dat laut VMW auf ein Bezugswort, ‚das eine Nominalgruppe oder die substantivierte Form einer anderen Wortart, die als ein neutr. Begriff im Sing. aufgefasst wird‘: Het antecedent is een znw., een znw.-groep, of de gesubstantiveerde vorm van een andere woordsoort, dat als een onzijdig enkelvoudig begrip wordt opgevat, vgl. dat und neutr. fensterkijn in tfensterkijn dat met yseren banden Dwers ende lanx was bevlochten (‚das Fensterchen, das mit quer und der Länge nach geflochtenen eisernen Bändern versehen war‘ BTR Z. 102–103). Relativa wie dewelke (‚welcher‘, ‚welche‘) und hetwelk (‚welches‘), die vermehrt insbesondere in amtlichen Texten im Mnl. vorkommen, können ebenfalls Genus commune beziehungsweise Neutrum markieren, vgl. de welke und neutr. wiue in Rasen sinen ousten zone Dien hi wan van sophyen zinen wiue de welke hi nv heeft (‚Rasen, seinen ältesten Sohn, den er von seiner Frau Sophie bekam, welche er jetzt hat‘) beziehungsweise dat und neutr. land in lands dat wilke leghet. in die prochie van sconendike (‚des Landes, das in der Pfarrei Sconendike liegt‘). Die Distribution der Demonstrativa beziehungsweise Artikel wird zum Teil ebenfalls von den zwei Genera Neutrum und Genus commune bestimmt. So beziehen sich die (‚jene‘) und dese (‚diese‘) laut VMW auf nicht-neutrale Sachen oder auf Personen, vgl. die und mask. duuel in Want die duuel altoes begheert Den mensche te becorne (‚Denn der Teufel wünscht sich immer sehnlich, den Menschen zu verführen‘ BTR Z. 65–66), so auch die und fem. nonne in Die nonne daer ic af began (‚Die Nonne, von der ich angefangen habe‘ BTR Z. 18), ebenfalls desen und mask. brief in dat desen brief Bi hem alleene ware ghescreuen (‚dass dieser Brief allein von ihm geschrieben wäre‘ VVR Z. 3287–3288), mit diesen als formale Akk.-Form in Subjektfunktion, weiter dese und fem. ioffrouwe in Dese ioffrouwe en was niet sonder Der minnen (‚Und diese adlige Dame war nicht ohne Liebe‘ BTR Z. 37–38). Dagegen beziehen sich laut dem VMW die Demonstrativa dat und dit auf Neutra, vgl. dit und neutr. abijt in Dit abijt moetic begheven (‚Diese Kutte muss ich zurücklassen‘ BTR Z. 80). Die angeführten Beispiele zeigen, dass morphologische Merkmale in bestimmten Positionen dennoch zwischen Mask. und Fem. differenzieren. 4.4.2.3. Deklination, Kasus Wie u.a. Van der Horst darlegt, erfolgt die Deflexion im Mnl. stärker beim Substantiv, weniger bei adnominalen Wörtern. Anzunehmen ist, dass Kasusmarkierung in der gesprochenen Sprache

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4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

des späten Mittelalters abnimmt, dieser Rückgang wird in den Quellen erst schrittweise, vermehrt seit dem 15. Jh. ersichtlich. In den überlieferten Quellen kommt Genitiv anfänglich noch häufig in Genitivobjekten zum Ausdruck, vgl. sins in Si seyden alle dat si souden. Sins gedingen in haren gebede. (‚Sie sagten alle, dass sie seiner in ihren Gebeten gedenken würden‘). Auch unpersönliche Konstruktionen kennen oft noch Genitiv, vgl. vwes leeds (‚Eures Leides‘) in Want got die here es ouer al Saen vwes leeds ontfarmen sal (‚Denn Gott, der Herr über alles ist, wird sich bald Eures Leides erbarmen‘). Die Distribution des Genitivs kann vom jeweiligen Adjektiv, Substantiv oder Pronomen abhängig sein, vgl. Eens leewen in Eens leewen hi gheware ward (‚Einen Löwen nahm er wahr‘), auch sijns heren in Sine sconeit was so groet. Dattene verminde sijns heren wijf (‚Seine Schönheit war so gross, dass die Gattin seines Herren ihn liebte‘). Sodann kommen partitive Genitive vor wie honichs in Hier in desen seluen boem Es honichs vtermaten vele (‚Hier, gerade in diesem Baum ist ausserordentlich viel Honig‘ VVR Z. 660–661). Schliesslich kann Genitiv in Adverbialen auftreten, vgl. Nachts und dags in Die uiant die se so besochte Nachts ende dags (‚Der Teufel, der sie nachts und tagsüber feindselig besuchte/erprobte‘), wie dies auch im Nnl. vorkommt, vgl. ’s middags (‚Mittags‘). Verwandtschaftsnamen auf -er wie vader (‚Vater‘), moeder (‚Mutter‘) oder dochter (‚Tochter‘) kennen keine Genusmarkierung, nur im Genitiv tritt -s auf wie boeders in Want na die wet ne moeste gheen man. Des broeders wijf nemen te wiue (‚Denn nach dem Gesetz sollte kein Mann des Bruders Gattin zur Frau nehmen‘). Häufig kommt Dativ als indirektes Objekt in Strukturen mit einem direkten Objekt vor, aber auch in Strukturen ohne weitere Objekte, vgl. den keiser in Gheft dan den keiser dat des keisers es, ende Gode dat Gods es (‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist‘) oder hem in hem (…) ende wil niet sijn gheleert (‚und wird ihn nicht gelehrt haben‘). Sodann kann die Verwendung des Dativs je nach Adjektiven, Adverbialen beziehungsweise Präpositionen auftreten, vgl. den halse in Dat derde [kleed] dat v dunket blau Gelijc den halse van den pau (‚Die dritte [Decke] die Ihnen blau wie der Hals eines Pfaues scheint‘), dier maende in jn october in dier maende (‚im Oktober, in diesem Monat‘) oder -er in uter und hem nach vor in Die coninghe ghinghen vter stede. Ende die sterre ghinc vor hem mede. (‚Die Könige gingen aus der Stadt und der Stern ging ihnen voraus‘). Häufig sind Dativ und Akkusativ beziehungsweise Nominativ morphologisch nicht zu unterscheiden, zudem verwenden die Verfasser gelegentlich Dativ und Akkusativ durcheinander. Es zeichnet sich somit eine Schrumpfung der Dativfunktionen ab, wie Weijnen diese Entwicklung bezeichnet hat, die auch in der Verwendung von Personalpronomina zu sehen ist, vgl. Van Loeys Paradigmata: 1. Pers. 2. Pers. Sing. Plur. Sing. Plur. mask. Dat. mi ons di u hem mi ons di u hem Akk.

3. Pers. Sing. fem. neutr. haer hem haer het

Plur. hem, hen hem, hen

Nach dieser Darstellung kommt Dat. lediglich in der. 3. Pers. Neutr. zum Ausdruck.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Der Akkusativ tritt insbesondere als Kasus der direkten Objekte, prädikativen Attribute und Adverbialen auf. Akk. fem. und Akk. neutr. weisen die gleichen Formen wie der Nom. auf, vgl. fem. grote smerte in Dat ic doghe grote smerte (‚Sodass ich grossen Schmerz erleide‘ BTR Z. 116) und neutr. tdabijt in Ende ghi dabijt wout neder leggen (‚Und Ihr die Kutte wolltet ablegen‘ BTR Z. 131). Akk. mask. unterscheidet sich häufig vom Nom. mask., vgl. den brief in Hi nam den brief (‚Er nahm den Brief‘ BTR Z. 88) gegenüber Dese brief in Dese brief wart ghescreuen in den jar ons heren .m.+cc.+ende+lxxxij. (‚Dieser Brief wurde im Jahre des Herrn MCCLXXXII geschrieben‘). Accusativus-cum-infinitivo-Bildungen wie Ende gauen hem sine cruce draghen (‚Und gaben ihm sein Kreuz zu tragen‘) kommen anfänglich eher wenig, später vermehrt im Mnl. vor. 4.4.2.4. Plural Substantive der starken Flexion haben im Plur. häufig eine -e-Endung, vgl. bome (‚Bäume‘), in der schwachen Flexion wird Plur. oft von -en markiert, vgl. draken (‚Drachen‘). Für beide Flexionen gilt zudem, dass Dat. Plur. meistens von -(e)n ausgedrückt wird. Die Zahl der Substantive mit einem -en-Plural sollte ansteigen, im 15. Jh. kommen Pluralbildungen wie voghelen (‚Vögel‘) beispielsweise im Nom. Plur. neben vogle oder warden (‚Wörter‘) im Akk. Plur. neben wort und woerde zunehmend vor. Wie wort haben übrigens auch einige andere neutr. monosilbische Substantive im Plur. die gleiche Form wie im Sing. Sodann kennen manche Substantive auf -er, vor allem mask. Personennamen, insbesondere die nomina agentis namentlich in Holland, Utrecht und Limburg -s als Plur.-Endung, vgl. ia­ ghers (‚Jäger‘). Dies gilt auch für die eher in Flandern und Brabant vorkommenden Substantive auf -ere, vgl. murdeners (‚Verbrecher‘). Auch Substantive auf -el, -em und -en weisen gelegentlich im Plur. eine -s-Endung auf, vgl. pilgherijms (‚Pilger‘), ebenso monosilbische Substantive, vgl. Akk. Plur. mans (‚Männer‘) neben manne und mannen. Substantive einer geschlossenen Klasse monosilbischer neutr. Nomina kennen -er(e)-Plur., vgl. kinder (‚Kinder‘) mit den Varianten kindere und kinderen. Vereinzelte mask. Substantive weisen diese Plur.-Form ebenfalls auf, so Gen. Plur. leker (‚[der] Laien‘). Schliesslich haben Massbestimmungen in der Regel im Plur. die Form des Sing., vgl.  twee dusent pont (‚zweitausend Pfund‘), daneben kommen laut VMW auch Varianten mit -e beziehungsweise -en vor, vgl. Dat. und Akk. Plur. ponde und ponden. Bei Substantiven wie tee (‚Zehe‘) findet die Pluralform teen gelegentlich auch im Sing. Verwendung, vgl. Akk. Sing. den grooten teen (‚die grosse Zehe‘). Infolge der morphologischen Nivellierung sollte sich bei Substantiven dieser Kategorie ein weiterer -en- Plural bilden, vgl. nnl. tenen. Übrigens entwickeln sich auch heute im Nnl. solche Doppelplurale, vgl. musea (‚Museen‘), die gelegentlich mit -s erscheinen, vgl. musea’s, wenn die ursprüngliche Form nicht mehr als Plural interpretiert wird. Umgekehrt findet ein Plural wie media übrigens vermehrt Anwendung als Sing.

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

217

4.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen Die Subjekt-Verbum-Objekt-Folge (SVO) ist im Mittelniederländischen wie im Neuniederländischen geläufig: ic hat crancke haue (‚Ich ass minderwertiges Zeug‘ VVR Z. 563). Weiter ist Ausklammerung im Mittelniederländischen üblich, so folgt Traiectum nach gheheiten in: Des is die stadt daer nae Gheheiten Traiectum (‚Deswegen wurde die Stadt danach Traiectum genannt‘ HVV Z. 980–981) und daer haer leven folgen nach ontdragen in ende om tontdragen daer haer leven (‚Um mit dem Leben davonzukommen‘ LVV Z. 51). Nach einer untergeordneten Struktur folgt das finite Verb nicht obligatorisch wie im Neuniederländischen an zweiter Stelle, sondern häufig auch später, wie dies in einer SVO-Sprache wie dem Englischen der Fall ist. So steht erscheyn am Schluss in Doen die ongherechte (…) Des waren woerden in eyn, Der enghel sinte Seruaes erscheyn (‚Als die Ungerechten sich einig geworden waren, erschien der Engel Sankt Servaes‘ HVV Z. 953–954). Bereits in früheren mittelniederländischen Texten erscheint in direkten Entscheidungsfragen das finite Verb an erster Stelle (Vf1), zum Beispiel heb in Hebdi honich dus onwaert (‚Findest du Honig so unappetitlich?‘ VVR Z. 576), auch später ist Vf1 hier üblich wie soudt in Soudt hijt mi ontseggen? (‚Würde er es mir verweigern?‘ ELC Z. 178). Vf1 kommt zudem bei konzessiver beziehungsweise kausaler Unterordnung vor: hadden in wi moeten heten, Hadden wijs raet, dat wi node haten (‚wir müssen essen, was wir ungerne essen würden, wüssten wir Rat‘ VVR Z. 566–567) oder zwei Mal had in Seydi mi niet, had icx noot, Mede te gaen tot in die doet Oft in die helle, had ict begaert (‚Versprachst Du mir nicht, wäre ich in einer Notlage, mitzugehen bis in den Tod oder in die Hölle, hätte ich dies gewünscht‘ ELC 232–234). In den übrigen Verbalphrasen steht das finite Verb in der Regel an zweiter Stelle (Vf2): so geboet in Hi geboet den heilighen manne (‚Er gebot dem heiligen Mann‘ HVV Z. 955) und sande in Daer sande god Seruacium (‚Dorthin sandte Gott Servaes‘ HVV Z. 982). Von diesem Muster weichen Strukturen wie: Van haren orsse datsi sprongen (‚Sie sprangen von ihren Pferden‘ LVV Z. 46) und Vor die stave datsi beven (‚Vor den Keulen bebten sie’ LVV Z. 52) ab, indem die finiten Verben sprongen beziehungsweise beven am Schluss erscheinen. In Ergänzungsfragen erscheint das Verbum finitum an zweiter Stelle, zum Beispiel haets in wat haetstu (‚Was assest du?‘ VVR Z. 562) oder sech in bruun, wat sechdi (‚Bruun, was sagst Du?‘ VVR Z. 601). Andere Wortfolgen kommen jedoch ebenfalls vor, zum Beispiel wenn ein Element links vor dem Vorfeld, also bei Linksversetzung, erscheint, wie das zweite wi in Wi aerme liede wi moeten heten (‚Wir armen Leute, wir müssen essen‘ VVR Z. 566). Nicht selten folgt nach einer einleitenden untergeordneten Struktur ein anderes Element an Stelle des finiten Verbs, zum Beispiel hi in Wildine honichs maken zat (…), Hi wilde wesen ouer al Ghestade vrient ende goet gheselle (‚Würde er ihn mit Honig satt machen, so wolle er überall sein fester Freund und guter Verbündeter sein‘ VVR Z. 610). In Doen die ongherechte (…) Des waren woerden in eyn, Der enghel sinte Seruaes erscheyn (‚Als die Ungerechten sich darüber geeinigt hatten, erschien der Engel Sankt Servaas‘ HVV Z. 951–954) kommt das Verbum finitum sogar an letzter Stelle. Auch wenn der Reim eine solche Wortfolge möglichweise begünstigte, so ist die Endstellung des Vf hier offenbar akzeptabel. Auch nach präpositionalen Phrasen kann das Verb nach dem Mittelfeld erscheinen, wie sprongen in Van haren orsse datsi sprongen (‚sie sprangen von ihren Pferden‘ LVV Z. 46). Eine

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

ähnliche Stellung des finiten Verbs ist häufig nach konditionalen Phrasen mit Vf1 anzutreffen, so im folgenden Beispiel mit einem Verb, das von Partikeln der Negation eingebettet ist: Ne comdi niet ten ghedinghe (…) Hi doet hu breken ende raden (‚Kommen Sie nicht zum Prozess, so wird er Sie aufs Rad flechten‘ VVR Z. 527). Verben im Konjunktivmodus kommen als Vf1 und Vf2 vor wie in Verghaue god dat mi nu ware Also bereet een goet gheual (‚Gebe Gott, dass mir ebenfalls ein solcher Glücksfall geschieht‘ VVR Z. 616–617) beziehungsweise God moete ons ziere hulpen jonnen (‚Möge Gott uns seine Unterstüzung gönnen‘ VVR Z. 10). Imperative stehen anfänglich nicht nur an erster Stelle wie in Slaet al doet! Hets volc verbannen wat dat sporen heeft gespannen! (‚Schlagt alle tot. Alle, die Sporen haben, sind Verfluchte‘ LVV Z. 67–68), sondern häufig auch an zweiter Stelle: Danc hebt, Gheselscap (‚Habt Dank, Gesellschaft‘ ELC Z. 198). Um 1300 tritt das Verb im Imperativ ungefähr gleich häufig an erster wie an zweiter Stelle auf, um 1600 kommt Vf2 nur noch ungefähr in zehn Prozent der Imperativkonstruktionen vor. In eingeleiteten untergeordneten Verbalstrukturen steht die finite Form des Verbs grundsätzlich am dritten (Vf3) oder späteren Platz (Vfn) wie quamen in Doe voerden sine alte hant Tote dat si bi Naerden quamen (‚Sie führten ihn sofort mit sich mit, bis sie in die Gegend Naardens kamen‘ MST Z. 6286, 6287). In untergeordneten verbalen Phrasen ohne Bezugswort kommt das finite Verb auch an erster Stelle vor wie was in Dat seide mi deent was cont (‚Das sagte mir jemand, dem es bekannt war‘ MST Z. 6284). Die Stellung des Vfn in untergeordneten Verbalstrukturen ist freier als im modernen Niederländischen, beispielsweise bei Ausklammerung, so beriet in Hi heuet hu qualic ghedient Die hu beriet desen ganc (‚Er hat Euch einen schlechten Dienst erwiesen, der Euch diesen Gang geraten hat‘ VVR Z. 550, 551). Prädikate, die ein Hilfsverb mit einem Verb beziehungsweise mehreren Verben umfassen, werden im Mittelniederländischen gebräuchlicher. Perfekt und Plusquamperfekt bestehen aus Formen von hebben (‚haben‘) und sijn (‚sein‘), die mit einem Partizip verknüpft sind, das Passiv wird mit Formen von sijn (‚sein‘) oder werden (‚werden‘) und einem Partizip gebildet. Sodann erscheinen auch finite Formen anderer Verben in Kombination mit Infinitiven in Verbalphrasen. Dass Verbalperiphrase im Mittelniederländischen immer häufiger auftritt, steht im Einklang mit der Mutation germanischer Sprachen von synthetischen in analytische Gebilde, die sich schon im Passiv des Gotischen abzeichnet. Neben Imperfekten wie erscheyn in Der enghel sinte Seruaes erscheyn (‚erschien der Engel Sankt Servaas‘ HVV Z. 954), sande in Daer sande god Seruacium (‚Dorthin sandte Gott Servaes‘ HVV Z. 982) oder haets in wat haetstu (‚Was assest du?‘ VVR Z. 562) kommen nun vermehrt perfektische Strukturen vor wie es ghegaen und es comen in Nu es brune die beere ghegaen Dat hi te manpertuus es comen (‚Nun ist Brune so lange gegangen, bis er zu Maupertuus gekommen ist‘ VVR Z. 518–519) oder heuet ghedient in Hi heuet hu qualic ghedient (‚Er hat Euch einen schlechten Dienst erwiesen‘ VVR Z. 550) und haddet gheraden in Al haddet ghi mi niet gheraden (‚Auch wenn Ihr mir dies nicht geraten hättet‘ VVR Z. 555). Im Übrigen kommen Partizipien wie comen in es comen später im Mittelalter immer häufiger mit dem Präfix ghe- vor, dies gilt ebenfalls für Verben wie brengen (‚bringen‘), worden (‚werden‘) und finden (‚finden‘), zum Beispiel ghebracht in Wie heeft u die bootscap ghebracht? (‚Wer hat Euch die Botschaft gebracht?‘ ELC Z. 239).

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

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Es stellt sich die Frage, ob bestimmte perfektische Konstruktionen im Mittelniederländischen die Entstehung der Periphrase widerspiegeln, indem anfänglich eine Form von hebben mit einem Objekt und einem Attribut verknüpft war, wie in Ende hadde bi sinen houe Eene eecke brocht huten woude (‚Und er hatte zu seinem Hof eine Eiche aus dem Wald gebracht‘ VVR Z. 650–651). Fasst man hadde eene eecke brocht als Zustand auf, deutet hadde Besitz an, während brocht als Folge der Handlung des hier implizierten Subjektes zu verstehen ist. Von den zwei Aspekten des Verbs bringen, nämlich die Handlung und das Ergebnis dieser Handlung, dominiert in diesem Kontext das Ergebnis, nämlich der Zustand: ‚er hatte bei seinem Hof eine aus dem Wald gebrachte Eiche‘. Es ist anzunehmen, dass in einer früheren Sprachstufe derartige Konstruktionen allmählich die Interpretation einer Handlung zuliessen, vorausgesetzt, dass das Subjekt von hebben die gleiche Person ist wie das Agens des Partizips wie beim Verb hebben. Dies brachte den Verlust der Bedeutung ‚besitzen‘ mit sich, vgl. ‚bei seinem Hof hatte er eine Eiche aus dem Wald gebracht‘. So entstanden wohl perfektische Konstruktionen mit ‚haben‘. Ähnlich sind vermutlich perfektische Konstruktionen mit ‚sein‘ entstanden. Anfänglich kann das Verb zijn in Verbindung mit einem Partizip auch einen Zustand zum Ausdruck gebracht haben, vgl. is gheheiten in Des is die stadt daer nae Gheheiten Traiectum in der Bedeutung: ‚Deswegen heisst die Stadt danach Traiectum‘. In dieser Struktur enthält gheheiten aber auch den Aspekt eines Geschehens, nämlich heiten (‚nennen‘). So kann der Zustand als Geschehen neu interpretiert werden in einer perfektischen Struktur mit einem Hilfsverb, hier is und einem Partizip, hier gheheiten: ‚Deswegen wurde die Stadt danach Traiectum genannt‘ (HVV Z. 981). Solche Neuinterpretationen würden die Entstehung von Hilfsverben wie hebben (‚haben‘) und zijn (‚sein‘) sowie die Verbreitung von perfektischen Konstruktionen erklären. Ähnlich lässt sich es gheladen als eine finite Form des Verbs sein mit Attribut auffassen in Maer mi es den buuc so gheladen (…) Met eere vremder niewer spise (VVR Z. 556–558) (‚Aber mir ist der Bauch derart mit einer fremden neuen Speise gefüllt‘), in diesem Kontext scheint es unmöglich, es gheladen als Perfekt aufzufassen. Weiter entstehen Verbkombinationen mit Infinitiv, u.a. mit finiten Formen von sullen, willen und moeten, die Zukunft bezeichnen können: sael beraden in Jc saels hu so vele beraden (‚Ich werde Dir davon so viel beschaffen‘ VVR Z. 592, siehe 4.3.1.1.), so auch sal ombitten in Des hi cume ombiten sal (‚wovon er kaum kosten wird‘ VVR Z. 611, siehe 4.3.1.1.) oder wil minnen in Willic hu daer omme minnen (‚Werde ich Euch deswegen lieben‘ VVR Z. 583, siehe 4.3.1.1.). Im modernen Niederländischen können zullen (‚werden‘), gaan (‚gehen‘) und, allerdings seltener, willen verknüpft mit Infinitiv auf ähnliche Weise Zukunft ausdrücken: Ik zal het wel doen (‚ich werde es schon tun‘), Ik ga boodschappen doen (‚Ich werde die Einkäufe besorgen‘), Wil ik het doen? (‚Soll ich es tun?‘). Sodann kommen vermehrt finite Formen modaler Verben in Kombination mit Infinitiven vor: tpaerdekijn springhen soude (‚das Pferdchen springen würde‘ MST Z. 6299), wildi mi wesen hout (‚möchtet Ihr mit mir verbunden sein‘ VVR Z. 606), hoe mach dat wesen (‚Wie kann das sein?‘ VVR Z. 595), wi moeten heten (‚wir müssen essen‘ VVR Z. 566). Auch andere finite Verben treten mit Infinitiv beziehungsweise Infinitiv + te (‚zu‘) auf: de hem pijnde tontgane (‚der verzweifelt versuchte zu entkommen‘ MST Z. 6298), Daer hi vele te

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

ligghene plach (‚wo er viel zu liegen pflegte‘ VVR Z. 536), ghinkene slaen (‚fing an nach ihm zu schlagen‘ MST Z. 6303), die hem honich stelen leerde (‚der ihn lehrte Honig zu stehlen‘ VVR Z. 642), begonden haer gecri verkeren (‚Fingen damit an, ihren Schlachtruf zu ändern‘ LVV Z. 44). Aus Strukturen wie hi began spreken (buchstäblich: ‚er begann sprechen‘) entwickelten sich Bildungen wie hi began te spreken (‚er begann zu sprechen‘). 4.4.2.6. Modus, Tempus, Numerus Die folgenden laut VMW belegten Formen des Verbes gheloven (‚versprechen‘, ‚loben‘, ‚vertrauen‘, ‚glauben‘) zeigen häufig vorkommende Konjugationsvarianten schwacher Verben: Pers. Sing. 1. 2. 3. Plur. 1. 2. 3. 1mit 2mit

Präsens

Präteritum

gheloef, ghelove ghelouede, gheloueda g(h)eloues, gheloefs *gheloofdes g(h)eloeft, g(h)eloeuet geloefd, g(h)eloefde g(h)elo(e)uen, gheloef gheloefdi1, gheloeue(d)s2 g(h)elo(e)uen, ielouen

ghelouede ghelo(e)uedi1 gheloden, gheloefden, ghelouenden

enklitischem Subjekt enklitischem Objekt

Durch Synkope des ersten e in Endungen wie -ede und Assimilation durch Einfluss vorhergehender /t/, /k/, /f/, /s/, /ch/ oder /p/ entstanden Konjugationsvarianten mit t. In der Folge kommt in schwachen Verben das Suffix -te oder -ten vor, so zum Beispiel maecte in Willem die vele bouke maecte (‚Wilhelm, der viele Bücher machte‘ VVR Z. 1) neben Formen wie makden, vgl. Aldaer so makden sie hem en auontmael (‚dort bereiten sie ihm ein Nachtessen‘). Einige Verben wie bernen (‚brennen‘) kennen im Präteritum Vokalwechsel, vgl. 3. Pers. Ind. Prät. barn und bornede. Die starken Verben, die U. Hempen vergleichend mit den dts. starken Verben beschrieben hat, weisen auch im Mnl. in der Tempusbildung einen Wechsel des Wurzelvokals auf. Wie im Altniederländischen (vgl. 3.4.2.6.) kann man sieben Klassen unterscheiden, die sich übrigens laut Seebold noch weiter differenzieren lassen. Die folgenden im VMW und MNW belegten Formen der angeführten Verben der. 3. Pers. Sing. Präs. beziehungsweise Prät., 3. Pers. Plur. Prät. und Part. perf. zeigen die Tempusbildung der starken Verben: 1 -ī- ê-ē-ē 3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. Inf. bliven (,bleiben‘) blijft, blieft bleef, blief bleuen bleuen, ghebleuen

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

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2a -ū-oo-ō-ō Inf. 3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. boech, bugede boghen, buychden ghebughen, bughen (‚beugen‘) bughet ghebogen 2b -ie-ô-ō-ōInf. lieghen (‚lügen‘) 3a -in-an-on-onInf. dwinghen (‚zwingen‘)

3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. lieg(h)(e)t loch, loegh logent1 g(h)elog(h)en

3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. dwinchet duanc dvonghen geduongen

3b -e-a-o-o3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. Inf. helpen (‚helfen‘) helpt haelp, halp, holpe holpen g(h)eholpen, gehulpen 4 -ē-a-ā-ō Inf. 3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. breken (,brechen‘) brecht, breket brac braken g(h)ebroken 5 -ē-a-ā-ēInf. 3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. steken (,stechen‘) stect, stikt stac staec, staken ghesteeken, ghestoken 6 -ā-oe-oe-āInf. 3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. draghen (‚tragen‘) dracht, drecht droch, droegh droeg(h)en gedraghen, drog(h)en ydraghen g(h)edreg(h)en 7 -ā-ī-ī-āInf. blasen (,blasen‘) 1 mit

3. Pers. Sing. Präs. 3. Pers. Sing. Prät. 3. Pers. Plur. Prät. Part. perf. blaest, blaset bli(e)s bliesen g(h)eblasen

enklitischem Objekt

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

Einige Klassen starker Verben kannten im Prät. unterschiedliche Formen für Sing. und Plur., so kennt binden (,binden‘) Prät. Sing. band neben Prät. Plur. bonden wie auch bunden. Durch Ausgleich sollten die Sing.-Formen sich vokalisch dem Plur. anpassen, vgl. nnl. bond und bonden gegenüber hds. band und banden. Verben wie connen (‚kennen‘, ‚können‘). doghen (‚taugen‘), dorren (‚wagen‘), dorven (‚entbehren‘), moeten (‚brauchen‘, ‚müssen‘, ‚wollen‘, ‚dürfen‘), moghen (‚können‘, ‚dürfen‘, ,sollen‘, ‚wollen‘), onnen (‚gönnen‘), sullen (‚müssen‘, ‚dürfen‘, ‚sollen‘) oder weten (‚wissen‘, ‚kennen‘, ‚begreifen‘) bewahren als Präterito-Präsentia (vgl. 3.4.2.6.) im Präsens die ehemalige Präteritumform, so kennt das Verb moghen als 3. Pers. Ind. Präs. mac, mach, maach, in der 3. Pers. Ind. Prät. sowohl Formen wie machte als auch mocht(e), mohte, mouchte. Eine unregelmässige Flexion weisen Verben wie doen (‚tun‘), sijn (‚sein‘) und willen (‚wünschen‘, ‚wollen‘) auf. Das VMW hat u.a. die folgenden Formen belegt: doen (‚tun‘)

sein (‚sein‘)

willen (‚wünschen‘, ‚wollen‘)

Ind. Präs. Sing. 1 do, doe been, bem, bin, bent does, doest bes, bis, best, bist 2 3 doed, doot ees, es, hes, is, eis

wil, wille wels, wilds, wilt(s), wils wel(t), wil(t), wild, wille, willit

Plur. 1 doe, doen, don sein, si1, sijn, sin, zijn 2 doedt, doed si 2, siid, siit, ziit, zijt 3 doen, doin, doe sein, sien, sijn, sin, sijnt

wiellen, willen, willin welt, wijlt, willet, wilt willen, wilen

Ind. Prät. wa, was Sing. 1 dede 2 daets, dedes wars, waers, wers 3 dade, dede uas, vas, waes, was, wat

wilde, woide, woude, wovde woits, wouds, wouts wilde, woende, woide, wolde, woud(e)

Plur. 1 daden, deden 2 dadet, dait 3 daden, deden

wilden, wolden, wouden, wovden woid, woit, wolt, wout wilden, woiden, wolden, wouden

1 2

gefolgt vom Subjekt wi gefolgt vom Subjekt di

war(e), waren waerd, waert, ward ware, weren, woren,

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

Konj. Präs. Sing. 1 doe si 2 dus sijs, ziis 3 doe, doet, dowe see, si, zy, zij, zie

223

– – –

Plur. 1 doen sijn – 2 doet, doit siit, sijt – 3 doen sien, siin – Konj. Prät. Sing. 1 dade, dede 2 daets, dedes 3 dade, dede

wair, ware, weer, were – wars, waers, warst – were, wart1, waerd1, waert1 –

Plur. 1 daden, deden – 2 daedt, dat wairt, wart 3 daden, deden, daet waren, weren 1 wahrscheinlich

– – –

durch Verwirrung mit enklitischen Bildungen entstanden

Die Modi Indikativ, Konjunktiv und Imperativ werden im Mnl. weniger als in früheren Stufen germanischer Sprachen unterschiedlich von der Flexion markiert. So weisen die von Van Loey dargestellten Paradigmata des Verbs nemen (‚nehmen‘) im Präsens lediglich in der 3. Pers. Sing. einen morphologischen Unterschied zwischen Ind. und Konj. auf, vgl.  hi neemt (‚er nimmt‘) und hi neme (‚er nehme‘), auch das Präteritum zeigt in Van Loeys Beispielen nur in der 3. Pers. einen Unterschied zwischen Ind. und Konj., vgl. hi nam (‚er nahm‘) beziehungsweise hi name (‚er nähme‘). Die vom VMW belegten Formen eines Verbes wie gheven (‚geben‘) zeigen übrigens Varianten ohne Unterschiede zwischen den beiden Modi, vgl. 3. Pers. Sing. Ind. Präs. geve (‚gibt‘) und 3. Pers. Sing. Konj. Präs. gheue (‚gebe‘). Der Konjunktiv konnte einen Wunsch, eine Möglichkeit, eine Irrealität oder einen Ansporn ausdrücken. Häufig tritt er in untergeordenten Strukturen auf, Umschreibungen mit mogen (‚können‘) sind laut Weijnen noch selten, vgl. mocht in Ende Ihesus antwerdde weder aldus: Mochts du gheloeuen, di soude gheholpen werden (‚Und Jesus antwortete wiederum: Würdest du glauben, dir würde geholfen werden‘), eine Struktur, die zudem soude als Umschreibung des Konjunktivs enthält. Auch ein Verb wie moeten verbunden mit Infinitiv kann umschreiben, was ein Konjunktiv ausdrückt. Die Form des Imperativs Sing. entspricht dem Verbstamm, es kommen allerdings auch Imperative mit -e vor, vgl. hoer und hore (‚hör[e]‘). Die Pluralform, die je nach Kontext aus Höflichkeitsgründen auch gegenüber einer einzelnen Person verwendet wird, kennt -t beziehungsweise -et, vgl. hoerd und horet (‚hört‘). Wie im Alt- und Mittelhochdeutschen kann dem Imperativ ein Pronomen folgen, vgl. alle in nv hoerd dan alle na mijn woert (‚Nun hört denn alle meinen

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Worten zu‘). Übrigens können Konstituenten dem Verb vorangehen, wie nv in diesem Beispiel zeigt, vgl. auch nochtan so in Nochtan so hort wat ic v rade (‚Dennoch so hört, was ich Euch rate‘). Die Zahl der Strukturen, die Imperative umfassen, die von nominalen beziehungsweise adnominalen Konstituenten eingeleitet werden, sollte abnehmen, wie Gerritsen dargelegt hat. Sodann kommen Kombinationen von zwei Imperativformen vor wie ghaet und werkt in Ghaet ende werkt in minen wijngart (‚Geht und arbeitet in meinem Weingarten‘), die das VMW übrigens als Verbum finitum von gaen verbunden mit dem Infinitiv eines zweiten Verbs, hier werken, erklärt: ‚te parafraseren als: [persoonsvorm van gaen + inf. van het andere w.w.]. Aus solchen Strukturen sollten sich im Ndl. Konstruktionen wie hij zit te lezen (= ‚er sitzt und liest‘ in der Bedeutung ‚er ist am Lesen‘), het blijft regenen (= ‚es bleibt regnen‘ in der Bedeutung ‚es regnet immer weiter‘) u.ä. bilden. Umschriebene Formen, die einen Befehl, einen Ansporn usw. ausdrücken, umfassen laut Stoett Verben wie sullen (‚müssen‘, ‚dürfen‘, ‚sollen‘), vanden (‚besuchen‘, ‚versuchen‘, ‚wollen‘), wanen (‚meinen‘, ‚wollen‘) und willen (‚wollen‘, ‚verlangen‘). Auch weten (‚wissen‘) mit Infinitiv kann einen Ansporn zum Ausdruck bringen. Dies gilt je nach Kontext auch für ein Verb wie moeten (‚verpflichtet/gezwungen sein‘, ,brauchen‘, ‚müssen‘, ‚sollen‘), vgl. Gi muet allene [bute] staen (‚Ihr sollt/müsst alleine [draussen] stehen‘). Die umschriebenen Formen des Konjunktivs und des Imperativs zeugen wie die übrigen periphrastischen Bildungen von der Entwicklung des Niederländischen von einer synthetischen zu einer analytischen Sprache.

4.4.3. Lexik Mit ihrem Middelnederlandsch Woordenboek (1885–1919) schufen Eelco Verwijs und Jacob Verdam ein Wörterbuch des Mittelniederländischen, das in Umfang, Methode und Wert vergleichbare lexikografische Beschreibungen anderer germanischer Sprachen ihrer Zeit überragte. Dass dieses Standardwerk dennoch Mängel aufweist, ist vor allem der problematischen Quellenlage jener Zeit zuzuschreiben (vgl. 4.2.). Immerhin hat W. de Vreese zahllose von Verdam vorgeschlagene Korrekturen in Band 10 verarbeiten können, zudem veröffentlichte A.A. Beekman 1941 einen weiteren Band mit Korrekturen und Ergänzungen, G.I. Lieftinck gab schliesslich 1952 Beiträge zu den Quellen, die Bouwstoffen heraus. Für eine Beschreibung des Mnl. ist weiter das 2000 veröffentlichte Vroegmiddelnederlands Woordenboek unter Federführung von W.J.J. Pijnenburg, K.H. van Dalen-Oskam, K.A.C. Depuydt und T.H. Schoonheim, das digital zur Verfügung steht, unentbehrlich. Es basiert zum grössten Teil auf der Sammlung aller frühmittelniederländischen Texte aus der Zeit bis 1301, die M. Gysseling 1977–1988 in seinem Corpus van Middelnederlandse teksten (tot en met het jaar 1300) herausgab. Zudem ist das 2003–2009 von M. Philippa, F. Debrabandere, A. Quack und N. van der Sijs veröffentlichte Etymologisch woordenboek van het Nederlands auch für das Studium des Mittelniederländischen von grossem Wert. Weiter enthalten Van der Sijs’ umfangreiche lexikografische Studien wichtige Angaben zum mnl. Wortschatz. Die 2010 von ihr in Zusammenarbeit mit dem Meertens Instituut entwickelte digitale Etymologiebank erlaubt darüber hinaus einen raschen Zugriff auf sprachhistorische Daten, die für das Mnl. relevant sind. Unentbehrlich für die Lexikologie sind die bereits

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

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öfter erwähnten Veröffentlichungen des Instituut voor Nederlandse lexicografie (INL), wie u.a. das ONW, das VMW, das MNW oder das WNT. Wie Van der Sijs ausführlich dokumentiert hat, ist die Menge der zum ersten Mal überlieferten mittelniederländischen lexikalischen Elemente aus dem 13.  Jh. auffällig umfangreich, was sich mit dem Erhalt einer grossen Zahl mittelniederländischer Dokumente aus dieser Zeit erklärt (vgl.  4.2.4.); Textmaterial aus früheren Zeiten hat dafür Seltenheitswert. Aus dem 14. und 15. Jh. scheinen weniger Wörter zu stammen, die erstmals belegt sind, allerdings erschweren die mangelhaften Datierungen des MNW laut Van der Sijs eine zuverlässige Einschätzung. Erst im 16. Jh. wuchs das ndl. Lexikon wieder erheblich an, soweit man die Datierungen des ersten Vorkommens der selektierten Wörter ihres Corpus als Massstab nimmt. Die überlieferten lexikalischen Elemente aus dem 13. Jh. sind laut dem VMW zu mehr als 60 % flämisch, d. h. fast eine Million Wörter beziehungsweise Wortformen, weitere 20 % stammen aus Brabant, was nicht nur die umfangreichere Überlieferung flämischer Texte widerspiegelt, sondern auch die vorherrschende Rolle Flanderns und Brabants in der mittelniederländischen Schreibkultur dieser Zeit unterstreicht. 4.4.3.1. Wortbildung Mehrere von jeher bestehende Bildungsweisen von Wörtern waren im Mnl. nach wie vor produktiv. Von Wortbildungsarten, die bereits im Indogermanischen und Germanischen wirkten, zeugen beispielsweise mnl. Substantive, die aus Verben entstanden waren, wie stroem (‚Strom‘) mit langem Vokal und -m, stoerm (‚Sturm‘) mit Liquida und -m oder bodem (‚Boden‘) mit der ursprünglichen Endung -(s)man-. Sodann sind die ebenfalls im Indogermanischen und Germanischen bekannten Wortbildungen durch Zusammensetzungen und Ableitungen, die auch im Anl. vorkommen, nach wie vor produktiv, vgl. mnl. liftucht (nnl. leeftocht, ‚Wegzehrung‘) aus lif (‚Leben‘) und tocht (‚Fahrt‘) oder mnl. dorstech (‚durstig‘) aus dorst und -ech, nnl. -ig. Gelegentlich enthalten mnl. Zusammensetzungen zwischen den Wortteilen -s- oder -en-, vgl. goodsdienst (‚Religionsausübung‘). Die Mehrheit der mnl. Zusammensetzungen sind Komposita, die aus zumeist nicht-flektierten Substantiven gebildet sind, so beispielsweise Kopulativkomposita mit gleichwertigen Substantiven wie moedermaget (‚Muttermagd‘, d. h. ,Maria‘). Weiter entstanden neue Wörter aus Zusammensetzungen von Adjektiv und Substantiv, vgl.  goutbloeme (‚Ringelblume‘), Verbstamm und Substantiv wie uegefur (‚Fegefeuer‘), Adverb und Substantiv, vgl. uordeel (‚Vorteil‘) oder aus sonstigen Kombinationen. Oft kommen im Mnl. Wortbildungen vor, die ein Besitzverhältnis oder eine Eigenschaft des Bezeichneten nennen, wie rood in roodborstken (‚Rotkehlchen‘). Bildungen wie uiruoteg (‚vierfüssig‘) gehören zu den Ableitungen, die zwei Grundwörter umfassen, jene mit Zahlwörtern waren bereits im Mnl. produktiv, die übrigen entstanden vermehrt gegen Ende des Mittelalters. Nach wie vor sind im Mnl. Wortbildungen mit u.a. den folgenden Präfixen produktiv: achter-, vgl. achterbacs (,hinterhältig‘), af-, vgl. afhonst (‚Eifersucht‘), an-/aan-, vgl. anbeden (‚anbeten‘), and-/anti-, vgl. andkerst (‚Antichrist‘), beneden-, vgl. benedentrekken (‚herunterziehen‘), bi-/bij-, vgl. bibliven (‚durchhalten‘), binnen-, vgl. binnendics (‚hinter dem Deich‘), boven-, vgl. bovendoorn (‚Hagedorn‘), buten-/buiten-, vgl. buten-

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dorps (‚ausserhalb des Dorfes‘), door-, vgl. doorbiten (‚durchbeissen‘), in-, vgl. inbeeldinghe (‚Einbildung‘), langs-, vgl. langsneven (‚neben‘), na-, vgl. nagedochte (‚Gedanke hinterher‘), naer-, naar-, vgl. naercomen (‚sich annähern‘, ‚besuchen‘), om-, vgl. ommekeringe (‚Umkehrung‘), op-, vgl. opstand (‚Aufstand‘), over/ouer, vgl. ouerspel (‚Ehebruch‘), tejeghen-/tegen-, vgl.  tejeghencomen (‚begegnen‘), tusschen-/tussen-, vgl. tusschenmaels (‚zwischenzeitlich‘), ute-/uit-, vgl. utepersen (‚auspressen‘), van-, vgl. vanouts (‚seit jeher‘) oder vor-/voor-, vgl. vore­ dacht (‚Bedächtigkeit‘). Weiter sind Wortbildungen mit u.a. den folgenden Suffixen wirksam: -aart/aard, vgl. grijsaert (‚Greis‘), -asie/-age, vgl. lecasie (‚Leckage‘), -are/-aar, vgl. molennare (‚Müller‘), -dom, vgl. besdom (‚Bistum‘), -de/-te, vgl. ghequetsde (‚Verletzte‘), -ere/-er, vgl. hoedere (‚Hüter‘), -esse/-es, vgl. costeresse (‚Küsterin‘), -isse wie in abdisse (‚Äbtissin‘), -hede/-heit, vgl. waerhede (‚Wahrheit‘), -ie/-ij, vgl. leckernie (‚Leckerbisen‘), -ier, vgl. barbier (‚Rüstungsstück von Metall zum Schutz des Kinnes‘), -inge, vgl. untmutinge (‚Begegnung‘), -inne, vgl. kusterinne (‚Küsterin‘), -ment, vgl. esbatement (‚Volkstheaterstück‘), -scap, vgl. bliscap (‚Freude‘) oder -sel, vgl. decsel (‚Dach‘, ‚Deckel‘, ‚Kleidung‘). Die Bildung der Komparativformen erfolgt, wie Van Loey darlegt, mit dem Suffix -er, vgl. corter (‚kürzer‘), das aus dem älteren -ere entstanden war und noch in Bildungen wie ­scoenre (‚schöner‘) sichtbar ist. In derartigen Formen wird das Suffix zu -r, was mit epenthetischem d zu Bildungen wie scoender führte. Superlative werden mit dem Suffix -st, manchmal auch -est gebildet, vgl. scoonst (‚am schönsten‘) beziehungsweise crankest (‚am schwächsten‘, ‚am krankesten‘). Manche Steigerungen gehören zu unterschiedlichen Stämmen wie goet (‚gut‘), beter (‚besser‘), best (‚am besten‘), ebenso clein (‚wenig‘), minre (‚weniger‘), minst (‚am wenigsten‘) oder groot (‚gross‘, ‚mächtig‘), meere (‚grösser‘, ‚vornehmer‘), meest (‚am grössten‘, ‚am höchsten‘, ‚am vornehmsten‘). Mit dem Präfix g(h)e- konnte die Vollendung der vom Verb bezeichneten Handlung ausgedrückt werden. Bei Verben, die bereits eine perfektive Bedeutung hatten, fehlt daher im Mnl. im Perfekt wohl öfters das Präfix g(h)e-, vgl. bleuen neben ghebleuen (‚geblieben‘), brocht, bragt neben gebracht (‚gebracht‘), comen neben g(h)comen (‚gekommen‘), leden neben geliden (‚erlitten‘) oder uonden neben geeuonden (‚gefunden‘). Allmählich sollten solche Partizipien durch Analogbildung das Präfix ge- erhalten. Mnl. Bildungsweisen wie stenbreca (‚Pimpinella saxifraga‘) mit dem Verbteil als zweitem Glied sollten im Nnl. unproduktiv werden. Dies gilt auch für zusammengesetzte Ableitungen auf -de wie drie hoekede (‚dreieckig‘). Im Laufe des Mittelalters wurden weitere Typen der Wortbildung unproduktiv, so die Bildung von Substantiven aus Verben mit dem Suffix -m, vgl. die ablautende Ableitung mnl. melme (‚Mulm‘) aus malen (‚mahlen‘), ebenso die Bildung von Adjektiven aus Verben mit dem Suffix -n, wie möglicherweise das mnl. groene, anl. gruoni (‚grün‘) aus groeien (‚wachsen‘) entstanden war. Ebenso war die Bildung von Tiernamen wie quaccle (‚Wachtel‘) mit dem alten Suffix -el oder die Bildung kausativer Verben mittels Vokaländerung vom Typus wie mnl. soghen (‚säugen‘) neben mnl. sughen, anl. sugan (‚saugen‘) unproduktiv geworden.

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

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4.4.3.2. Erbwörter, altniederländische Bildungen, Lehnwörter Die Mehrheit der zum ersten Mal belegten mnl. Wörter, vielleicht 60 % oder mehr, sind als einheimisch einzustufen. Es handelt sich dabei um sog. indogermanische und germanische Erbwörter (vgl. 3.4.3.1.), zu den zahllosen Beispielen zählen unter anderen slic (‚Schlamm‘) oder hek (‚Zaun‘). Sodann sind dies aus Erbwörtern entstandene Zusammensetzungen, vgl. beddestade (‚Schlafplatz‘), Ableitungen wie crancheit (‚Schwäche‘, ‚Krankheit‘) oder Zusammensetzungen mit Ableitungen wie tweiarech (‚zweijährig‘), schliesslich auch Onomatopöien, vgl. das in der ersten Hälfte des 14. Jh. belegte ha ha (‚ha, ha!‘). Einige Lexeme, die im Anl. belegt sind, kommen noch im Mnl. vor, verschwinden aber allmählich, so beispielsweise laut M.A. Mooijaart, D.J.G. Geirnaert und R. Tempelaars Bezeichnungen für ‚Dekade‘ ohne -ich wie tuint (‚zwanzig‘), das Suffix -echt (‚reich an‘), vgl. omoedechte (‚niedrig‘, ‚freundlich‘), separate Bildungen für Nom. und Akk. Mask. des Zahlwortes, vgl. tuene in Gi tuene word mi noit gram (‚Ihr zwei werdet mir nie böse‘), Bildungen wie allet wie in allet verval dat ghevallen es (‚Alle Umsatzerlöse, die verfallen‘), ebenso ghent, vgl. Ghinder in ghent leuen langhe (‚Dort, in demjenigen langen Leben‘) und auch Diminutiva auf -sijn, vgl.  Daer na quam hi (…), daer een conincsijn in was (‚Dort kam er nun, wo ein Königlein [= Herr] war‘). Von den Ingwäonismen (vgl. 3.4.3.2.) blieben vereinzelteWörter wie mnl. bicghe (‚Ferkel‘) oder ladere (‚Leiter‘) erhalten. Lehnwörter bilden nach Van der Sijs’ Untersuchungen an die 40 % des mnl. Wortschatzes, laut anderen Schätzungen wäre diese Zahl noch höher einzustufen. Die ältesten Lehnwörter sind zumeist einsilbig, vgl. trecht (‚durchwatbare Stelle‘ oder ‚Überfahrt, Fähre‘, vgl. 2.3.) aus dem 4. Jh., die jüngeren umfassen häufig zwei oder mehr Silben mit vollen Vokalen, vgl. traject (‚Trajekt‘), das 1746 belegt ist. Die Mehrheit der ndl. Lehnwörter stammt aus dem Französischen, bereits im Mnl. des 13. Jh. sind viele frz. Entlehnungen, so amie (‚Geliebte‘, ‚Konkubine‘) oder vergier (‚Obstgarten‘) anzutreffen. Da das Altfranzösische auch lat. Lehnwörter kennt, ist es nicht immer klar, ob ein Wort aus dem Frz. oder aus dem Lat. stammt. Die grosse Zahl frz. Entlehnungen erklärt sich nicht nur durch die Kontakte zwischen den niederländisch- und französischsprachigen Bewohnern der Niederlande, insbesondere zwischen den Bürgern der Städte in den südlichen Gebieten, sondern auch durch die französischsprachige Verwaltung, so in der Zeit der Vorherrschaft des Hauses Hennegau von 1280 bis 1356 (vgl. 4.1.2.). Weiter prägte die französische Hofkultur, namentlich in der burgundischen Zeit von 1433 bis 1482 die Kultur und damit die Sprache der Niederlande. Sodann besteht ein erheblicher Teil der mnl. Texte aus Bearbeitungen und Übersetzungen aus dem Französischen. Schliesslich orientierten sich die Mitglieder der im späten Mittelalter entstandenen Rhetoriker-Vereine an französischen Beispielen, französische Lehnwörter waren in ihren Werken gefragt (vgl. 4.3.1.3.). In der Folge lassen sich in einer Vielzahl Lebensbereiche frz. Entlehnungen feststellen, wie die folgenden beliebig gewählten Beispiele zeigen, vgl. Natur: foreest (‚Wildnis‘), ceder (‚Zeder‘); Familie: femele (‚Frauchen‘), orfenin (‚verwaist‘); Bau: graveel (‚Steinchen‘), masiere (‚Mauer‘); Handwerk: mats (‚Maurer‘), cordewanier (‚Schuhmacher‘); Verwaltung: gouvernere (‚Verwalter‘), ordeneren (‚verordnen‘); Rechtsprechung: fait (‚Verbrechen‘), peine (‚Strafe‘); Kirche: divijn (‚Prophet‘), clergie (‚Klerus‘); Handel: livereren

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

(‚aushändigen‘, ‚bezahlen‘), monoye (‚Münze‘); Landwirtschaft: corwede (‚Herrendienst‘), racine (‚Rübe‘, ‚Wurzel‘); Essen: ajun (‚Zwiebel‘), vitaillie (‚Lebensmittel‘); Rittertum: joste (‚Zweikampf‘), glavie (‚Lanze‘); Kunst: art (‚Kunst‘), prose (‚Prosa‘); Heilkunde: cirurgie (‚Heilkunde‘), faver (‚Fieber‘). Sodann kommt wie im Anl. auch im Mnl. eine grössere Zahl Wörter vor, die auf ger. Entlehnungen aus dem Lat. der Antike zurückgehen und als eingebürgert zu betrachten sind wie die beliebig gewählten Substantive muere (‚Mauer‘) und poert (‚Hafen‘, ‚Stadt‘), für zusätzliche Beispiele vgl. 3.4.3.3. Weiter kennt das Mnl. neuere Entlehnungen aus dem Lat. in verschiedenen Lebensbereichen wie beispielsweise Natur, vgl. crocus (‚Safran‘); Gesellschaft: portenare (‚Wächter‘); Verwaltung: officie (‚Verwaltung‘); Rechtsprechung: argument (‚Beweis‘); Literatur: pagine (‚Seite‘); Musik: orghene (‚Orgel‘); Wissenschaft: arithmetique (,Arithmetik‘); Kirche: concilie (‚Kirchenversammlung‘). Die Zahl der hds. Entlehnungen ist, soweit man diese eindeutig inventarisieren kann, beschränkt. Es handelt sich dabei um vereinzelte Wörter, so mark (‚Mark‘), vgl. ahd. marca, das bereits als marc im anl. vorkommt, hanze (‚Hanse‘), vgl. anl. Akk. Sing. hansam, ganc (‚ganz‘), kerse (‚Kerze‘, vgl. ahd. kerza) oder heilant (‚Heiland‘, vgl. ahd. heilant, das aus heilen entstanden war). Dts. lexikalische Elemente lassen sich vermehrt in der zweiten Hälfte des 14. und der ersten Hälfte des 15. Jh. insbesondere in der Lyrik der Grafschaft Hollands nachweisen, die in dieser Zeit vom bayerischen Hause Wittelsbach regiert wurde. So enthält die Haager Liederhandschrift zahllose dts. Sprachelemente (vgl. 4.3.1.2.), allerdings ist auch eine grössere Zahl von Texten in dem aus Flandern stammenden Gruuthuse-Kodex mit einer Vielzahl deutscher lexikalischer Elemente gespickt, vgl. C. de Haan. Es ist in solchen literarischen Texten mit einem poetischen Stilmittel, dem sog. barbarolexis zu rechnen, das zum Zweck hatte, in der Lyrik dieser Zeit die Atmosphäre des bewunderten hds. Minnesangs hervorzurufen. Dazu stellten die Dichter aus mnl. Wörtern Neubildungen mit ähnlichen Lautverschiebungen wie im Hds. her, vgl. Wörter wie hertze (‚Herz‘) aus mnl. herte, tzijt (‚Zeit‘) aus mnl. thiit oder zwifel (,Zweifel‘) aus mnl. twifel, die sich allerdings nicht im ndl. Lexikon gehalten haben. Schliesslich enthält das Mnl. Lehnwörter aus diversen anderen Sprachen, so banc (‚Geld­ institut‘) aus dem Ita. oder rieme (‚Bogen Papier‘) aus dem Spa. Durch lat. Quellen sind zudem vereinzelte gri.Wörter ins Mnl. aufgenommen, so paap (‚Geistlicher‘), vgl. gri. pap(p)as; ein Wort wie mnl. prume (‚Pflaume‘) könnte auf eine frühere ger. Entlehnung aus dem Gri. zurückgehen oder eine Entlehnung des vulgärlat. pruna mit Assimilation /-n-/ > /-m-/ am /p-/ sein. 4.4.3.3. Einige Erneuerungen in Wortklassen Von der Vielzahl der Änderungen in den einzelnen Wortklassen sind hier jene der Pronomina zu erwähnen, die sich bis ins Nnl. auswirkten. Es betrifft dies namentlich das Personalpronomen 2. Pers. Sing. Weiter sollen von den Adverbien die lexikalischen Elemente der Verneinung kurz erörtert werden.

4.4. Merkmale des Mittelniederländischen

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Personalpronomen 2. Pers. Sing. Das Personalpronomen 2. Pers. Sing. kannte ursprünglich die Form du (,du‘) mit dem entsprechenden Possessivum dijn (‚dein‘). Ghi (‚ihr‘) mit dem dazu passenden Possessivum uwe (‚Euere‘) war neben ju und jou das Personalpronomen 2. Pers. Plur., das auch als Höflichkeitsform gebraucht wurde. Zudem fand ghi, möglicherweise unter Einfluss der französischen höfischen Kultur, wie Stoett annimmt, auch als Höflichkeitsform Sing. für einzelne Personen Anwendung. Die höfliche Mehrzahlform war immerhin den fränkischen und deutschen Königen gegenüber üblich. Im Sing. konnte in der Folge du Vertraulichkeit und Solidarität markieren, während ghi Höflichkeit und Distanz andeutete, allmählich standen so für die 2. Pers. Sing. zwei Personalpronomina, du und ghi zur Verfügung. Im Laufe der Zeit wurde ghi das gebräuchliche Pronomen der 2. Pers. Sing. und Plur., du konnte Geringschätzung ausdrücken. Wie sehr die Deutung des mnl. Pronomens der 2. Pers. übrigens vom Zeitraum und Kontext abhängt, zeigt sich, wie u.a. F. Lulofs dargelegt hat, beispielsweise im Tierepos Van den vos Reynaerde. So spricht der Dachs Grimbeert die versammelten Ritter am Hof mit dem Plur. ghi an, vgl. Ghi heeren, ghi hebt meneghen raet (‚Ihr, meine Herren, könnt schöne Pläne machen‘ VVR Z. 1337), der Kater Tybeert verwendet dem König gegenüber respektvoll ghi, vgl. heere coninc, Dor dat ghi rey­ naerde zijt onhout (…) (‚Herr König, indem Sie Reynaard gegenüber feindselig sind […]‘ VVR Z. 111–112). Wenn der Fuchs Reynaerd mit den Dorfeinwohnern schimpft, drückt er mit du Geringschätzung aus, vgl. vermalendijt Lamfroyt moet dijn herte sijn Du best dulre dan een zwijn (‚Verflucht muss dein Herz sein, Lamfroyt, du bist wertloser als ein Schwein‘ VVR Z. 916–918). Allmählich sollte ghi in der Schriftsprache du verdrängen. Um 1400 waren du und ghi nahezu austauschbar geworden, wie Berteloot anhand einer Brabantischen Legenda-aurea-Handschrift demonstriert. Verneinung Verneinung entwickelte sich aus einzelnen Formen wie anl. ne, en usw. zu zweigliedrigen Formen wie ne/en…nit, nieth usw., vgl. anl. ne niet in Ich suoghta hin ande neuand sin niet (‚Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht‘). Auch das Mnl. kennt Verneinungen wie en niet (‚nicht‘), ne noit (‚nie‘) no geen (‚keines‘) u.ä. Der zweite Teil dürfte dabei als Verstärkung gewirkt haben. Ein- und zweigliedrige Verneinungen kommen im Mnl. nebeneinander vor, vgl. ne in Hine wiste wat doen van vare (‚er wusste aus Angst nicht, was er machen sollte‘) und ne noint in Datter twee noint ne saghen (‚Dass zwei nie wieder sehen konnten‘ VVR Z. 76). Eine Häufung von Verneinungselementen konnte zur Verstärkung dienen, vgl. ne, niet, no, no in Dies zwijghics nochtan, Ne ware mijns wiues lachter Ne mach niet bliuen achter, No onversweghen no onghe­ wroken (‚Deswegen schweige ich darüber, aber die Schande, die meiner Frau angetan wurde, darf weder unter den Teppich gekehrt werden noch unverschwiegen noch ungerächt bleiben‘ VVR Z. 94–97). Übrigens hat die ‚onlogische‘ Verneinung no onversweghen an dieser Stelle nach Lulofs eine besondere Bedeutung, da dieser Fehler die Anklage des Wolfes gegen den Fuchs während des Prozesses entkräftet. Es kommen auch Verneinungen mit nur dem zweiten Element vor, vgl. niet in Mochte hi sinen clerc niet blauwen? (‚Durfte er seinen Schüler nicht schlagen?‘ VVR Z. 251). Sie kündigen die eingliedrige Verneinung an, die mit niet im Ndl. geläufig wurde.

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4. Das Mittelniederländische des Hoch- und Spätmittelalters (1150 bis 1500)

4.4.3.4. Regionale lexikalische Varianten Von einigen Lexemen lässt sich feststellen, dass sie ausschliesslich regional vorkommen. So sind Wörter wie anewalt (‚Anwalt‘), belen (‚bellen‘), hinder (‚hinter‘) oder witegen (‚wahrsagen‘) im Südosten anzutreffen. Verbbildungen aus Adjektiven wie meersen (‚vermehren‘) oder verdiersen (‚teuerer machen‘) gelten als flämisch, so auch ein Suffix wie -nede, vgl. grafende (‚Gräfin‘). Wörter wie cherken (‚herummachen‘), ieghedage (‚täglich‘), snoedel (‚einfältig‘) oder ver­spaect (‚ausgetrocknet‘) sind brabantisch. Nur in Holland und Utrecht treten aneticht (‚Klage‘) oder woent (‚Gewohnheitsrecht‘) auf. Solche spezifische lexikalische Elemente kommen in Quellen, die aus den mnl. Schreibtradtionen stammen, eher selten vor, können aber innerhalb eines Textes eine beträchtliche Frequenz haben. So können ich und mich häufig in Texten aus dem Südosten vorkommen, die sich ansonsten lexikalisch nur wenig von anderen mnl. Überlieferungen unterscheiden. Manche lexikalische Elemente treten eher im Süden auf, so das ostflämische Substantiv hesp (‚Schinken‘), andere im Norden, so das Verb straffen (‚strafen‘). Van Maerlant nennt in seinem Der naturen bloeme häufig ausdrücklich flämische Bezeichnungen u.a. von Tieren, vom ‚Igel‘ sagt er beispielsweise, dass dieses Tier im Flämischen heertse, in den restlichen Niederlanden eghel heisst. Dies unterstreicht, dass mnl. Schrifsteller Kenntnis hatten von Wörtern mit überregionaler Geltung. Dass sie diese offensichtlich in der Regel bevorzugten, steht im Einklang mit G. Janssens’ und A. Marynissens Folgerung, mnl. Verfasser würden in ihren Texten, die für ein breiteres Publikum bestimmt waren, auffällige oder exklusive Merkmale ihrer regionalen Sprachvarietät meiden. Literatur zu 4.4.: Aalberse 2004; Beatrijs 1989; Berteloot 1984; Berteloot 2001; Berteloot 2003; Berteloot 2005; Blok 1960; Boonen 2010; Van Bree 1987; Cornelissen 2003; Duinhoven 1986; Duinhoven 1988/97; Geirnaert in: Van den Toorn et al. 1997; Gerritsen 1987; Gerritsen et al. 1975; Goossens 1974; De Haan 1999; De Haan et al. 1984; Hempen 1988; Van der Horst 1986; Van der Horst 2008; Van der Horst et al. 1979; Janssens et al. 2005; Larsen 2001; Van Leuvensteijn 1988; Van Loey 1970; Van Loey 1980a; Van Loey 1980b; Van Loon 1986; Lulofs 1967; Mak 1959; Mooijaart 1990; Mooijaart 1991; Mooijaart in: Van den Toorn et al. 1997; Mooijaart et al. 2011; Overdiep 1915/16; Philippa 1981; Schoonenboom 2000; Van der Sijs 1996; Van der Sijs 2001; Slicher-van Bath 1948; Tálasi 2009; Tempelaars in: Van den Toorn et al. 1997; Van den Toorn et al. 1997; Van de Velde 2004; Van den Vos Reynaerde 1952; Van den vos Reynaerde 1985; Van den vos Reynaerde 1998; Verdam et al. 1932; Vermaas 2002; De Vries 1971; De Vries et al. 1994; Van der Wal 1986; Van der Wal in: Van Leuvensteijn et al. 1992; Van der Wal et al. 2008; Weijnen 1968; Van Wijk 1980; Willemyns 1971.

5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Die Etablierung des Neuniederländischen erfolgte in einer Zeit politischer Wirren, geprägt von der Auflehnung der Niederlande gegen die zentralistische Machtausübung der Habsburger. Kriegerische Auseinandersetzungen, interne Zwiste, aber auch eine beispiellose wirtschaftliche Tätigkeit, gefördert durch Seefahrt und Eroberungen überseeischer Gebiete, begleiteten nicht nur die Entstehung der unabhängigen Republik, sondern auch die Trennung der nördlichen und südlichen Niederlande. Eine humanistische Geisteshaltung ermöglichte die religiöse, insbesondere kalvinistische Emanzipation, die Renaissance brachte eine ungekannte Blütezeit der Künste während des ‚Goldenen Jahrhunderts‘. Einige entscheidende politische, soziale und kulturelle Änderungen dieser Epoche, die als äussere Grössen die Entstehung des Neuniederländischen mitbestimmen, stehen im Folgenden zuerst zur Diskussion (vgl. 5.1.). Anschliessend wird die Herausbildung des Neuniederländischen erörtert (vgl.  5.2.), die durch die Etablierung einer mittelniederländischen Kultur- und Verkehrssprache vorbereitet wurde und sich insbesondere dank der Geschäftstüchtigkeit und dem fachlichen Können der ansässigen Drucker rasch verbreiten konnte. Die philologische Tätigkeit der Humanisten, die Anstrengungen der Theologen, die Bibel aus den ursprünglichen Quellen in die Muttersprache zu übersetzen, die Bemühungen von Gelehrten und Schriftstellern, das Niederländische zu ‚säubern‘ und ‚aufzubauen‘, trugen wesentlich zur Kultivierung der Muttersprache bei. Neben Latein und Französisch diente das Niederländische vermehrt als Sprache der Wissenschaft. Die umfangreiche, vielseitige belletristische Literatur zeigt, wie sehr in der frühen Neuzeit das Niederländische zur allgemeinen Kultursprache herangewachsen war. Einige Textbeispiele, ergänzt von deutschen Übersetzungen, zeugen davon (vgl. 5.3.). Sodann werden einige phonemische und graphemische Merkmale des Neuniederländischen aus dem Blickwinkel der Gelehrten und Schriftsteller jener Zeit besprochen. Schliesslich werden syntaktische und morphologische Erneuerungen anhand von Textmaterial der frühen Neuzeit zusammengefasst und Ausdehnung sowie Erneuerung des Lexikons erörtert (vgl. 5.4.).

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit 5.1.1. Zunehmende Macht der Habsburger (1493–1555) Auf Drängen des vereinigten Landtages übernahm der fünfzehnjährige Philipp der Schöne 1493 die Regierung der Niederlande. Der beliebte Sohn Maria von Burgunds strebte eine Versöhnung in seiner von Unruhen heimgesuchten Heimat an. Zwar stärkte die städtische Aristokratie ihre Macht, die Städte verfolgten darüber hinaus zunehmend gemeinsame Interessen, wodurch die

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Rolle der Stände in den einzelnen Provinzen an Bedeutung gewann. Obschon von einer niederländischen Solidarität nicht die Rede war, betrieben die Abgeordneten der Provinzen vermehrt eine gemeinsame Politik, wenn sie in den Sitzungen der Generalstaaten, des vereinigten Landtages, über die finanziellen Anträge des Fürsten oder über Krieg bzw. Frieden zu entscheiden hatten. Der Fürst, der 1496 Johanna von Kastilien geheiratet hatte, verfolgte mit dem vereinigten Landtag eine Neutralitätspolitik, indem er gute Beziehungen sowohl mit England als auch Frankreich anstrebte. Philipps Vertrag mit Paris, 1498, in dem er Ansprüche auf Geldern und Burgund aufgab, fand Zustimmung bei den Ständen, die Eroberungskriege ablehnten. Vergeblich versuchte Maximilian, der die Niederlande noch immer als Hausmacht sah, den Landtag noch umzustimmen, der Bruch mit seinem Sohn war offensichtlich. Nach dem Tod einiger ihrer Verwandten wurde Philipps Gattin Johanna 1500 Erbfolgerin in Kastilien und Aragon. Um das spanische Erbe sicherzustellen, betrieb der Fürst eine vorsichtige Neutralitätspolitik mit England, das eine europäische Grossmacht fürchtete, und mit Frankreich, das sich um eine habsburgische Einkreisung sorgte. Die Cortes huldigten dem Ehepaar, allerdings mit der Bedingung, dass die Rechte eventueller weiterer Nachkömmlinge Ferdinands gesichert blieben. Als auch Isabella von Kastilien starb, liess sich Philipp zum König des Landes ausrufen. Sein Schwiegervater übernahm aber, im Einklang mit Isabellas Testament, die Regentschaft. Frankreich verband sich mit Ferdinand von Aragon, der nicht auf die kastilische Krone verzichten wollte, unterstützte zudem Ansprüche von Philipps Gegnern in Flandern und Artesien. Trotz Auseinandersetzungen mit England wegen unterschiedlicher Handelsinteressen trat Philipp im Januar 1506 mit seiner Flotte die Reise nach Spanien an. Ein Sturm brachte die Schiffe aber nach England, wo der Fürst zur Unterzeichnung eines ungünstigen Handelsvertrages gezwungen wurde. Als Philipp schliesslich in Spanien eintraf, musste Ferdinand seinen Schwiegersohn als König von Kastilien anerkennen. Nach Philipps plötzlichem Verscheiden im September des gleichen Jahres wurde Ferdinand, gegen den Willen Maximilians, erneut Regent, nun als Stellvertreter von Philipps Sohn Karl, der 1500 in Gent geboren war. Selbst übernahm der Habsburger trotz Widerstand der mehrheitlich flämischen Abgeordneten des Landtages zum zweiten Mal die Regentschaft über die Niederlande. Das Gebiet, das unter den Folgen des mit England geschlossenen Handelsvertrages litt und durch von Geldern organisierte Raubzüge in Brabant heimgesucht wurde, sollte vorläufig von Landvögten verwaltet werden. Als Erste regierte Maximilians Tochter Margarete von Österreich die Provinzen. Schon bald versuchte Ludwig XII. die Macht des Kaisers und seiner Tochter zu schwächen, indem er Verbündete in Lüttich und Geldern unterstützte. Margaretes englandfreundliche Politik führte zwar zu einem besseren Handelsvertrag, die erhoffte Unterstützung gegen Frankreich blieb aber aus. Inzwischen strebte ihr Vater nach besseren Beziehungen mit Frankreich, um Ferdinands Position in Kastilien zu untergraben. Später sollte die gegen Venedig gerichtetete Liga von Verbündeten gar zu einem französisch-habsburgischen Vertrag führen. Margarete unterstützte ihrerseits Englands antifranzösische Politik, wobei sie die Hilfe von Ferdinand von Aragon nicht scheute. Es gelang ihr schliesslich, ihren Vater für die Heilige Liga gegen Frankreich zu gewinnen, während die Niederlande neutral blieben. Ihre Versuche,

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5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

Geldern und Burgund zurückzubekommen, schlugen allerdings fehl. Den 1512 entstandenen burgundischen Reichskreis sollte Karl V. 1551 der spanischen Linie seines Hauses übertragen.

Die Niederlande 1543 Groningen Friesland Drenthe

Wedde en Westerwolde

Lingen Overijssel Holland

Utrecht

Gelder

Zeeland Gelder Brabant Flandern

Rijsels Doornik Flandern Artois

Namur Henngau Luxemburg

Abb. 11:  Die Niederlande in der 1. Hälfte des 16. Jh. (vgl. Bosatlas 153).

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Ermuntert von den Ständen, die einen eigenen Fürsten wünschten, sowie von den Adligen, die ihren Einfluss zu erweitern suchten, liess Maximilian seinen Enkel Karl volljährig erklären, um Margarete im Januar 1515 abzulösen. Ihre Herrschaft hatte den Niederlanden, abgesehen von den Problemen mit Geldern, eine friedliche Zeit beschert. Regierung und Stadtverwaltungen achteten auf eine starke Währung, sie förderten den Handel und pflegten diplomatische und kommerzielle Beziehungen. Persönliche Kontakte, z.B. zwischen Thomas More und seinen Kollegen in Brügge und Antwerpen, prägten zudem das intellektuelle Aufstreben in den Niederlanden. Ein Jahr nachdem Karl den Königstitel angenommen hatte, fuhr er 1517 nach Spanien, wo er künftig seine Regierungsgeschäfte erledigen würde. Nur gelegentlich residierte der Fürst in den Niederlanden, Margarete nahm ab 1519 die Regentschaft in den Niederlanden wahr. Die Interessen der Dynastie hatten nun Vorrang, was die Entfaltung einer eigenen niederländischen Politik behinderte. Die Regentin, die durch Verträge mit Kleve, Jülich und Lüttich Ruhe in ihrem Gebiet anstrebte, unterstützte schliesslich Karl bei seiner Wahl zum Kaiser. Diese gewann er auch durch finanzielle Hilfe der Fugger und Welser, die teilweise durch erhoffte Einkünfte aus den Niederlanden abgesichert war, im Juni 1519 gegen Franz I. von Frankreich. Bald nachdem der Kaiser sich 1520 in Aachen hatte krönen lassen, entbrannte ein Kampf um die Vormacht in Europa. Nach der Schlacht von Pavia, 1525, musste der gefangene französische König auf Burgund und Teile Italiens verzichten. Ein weiterer Krieg gegen die von Frankreich und dem Papst geschlossene Heilige Liga, in dem die kaiserlichen Truppen 1527 Rom plünderten, endete zwei Jahre später unter dem Druck der türkischen Vorstösse mit dem ‚Damenfrieden‘ von Cambrai, Kamerijk. Inzwischen führte das Gedankengut der Reformation auch in den Niederlanden zu Auseinandersetzungen in der Bevölkerung. So stimmten die Antwerpener Augustiner Luthers Ansichten zu, die Universität Löwen hingegen verurteilte zwei Jahre, nachdem Luther 1517 die 95 Thesen zu Wittenberg angeschlagen hatte, seine Ideen öffentlich. Während Luther von Karl V. im Wormser Edikt geächtet wurde, erschienen in den Niederlanden Plakate gegen den Protestantismus, der Kaiser verstärkte die Inquisition, die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung nahm zu. Karls Schwester Maria, Witwe des ungarischen Königs, trat nach dem Tode Margaretes 1531 die Regentschaft an. Beamte standen ihr als Mitglieder des Finanzrates bzw. des geheimen Rates für die Innenpolitik zur Seite, hohe Adlige berieten sie in den Sitzungen des niederländischen Staatsrates. Wegen der Einmischung in den Streit um den dänisch-norwegischen Thron wurde der Sund öfters für niederländische Handelsschiffe geschlossen, bis der neue dänische König Christian III. 1537 mit Maria Frieden schloss. Da Gent Marias Bitte um Finanzhilfe ablehnte, verlor die aufgewühlte Stadt nach einem missglückten Aufstand ihre Privilegien. Mittlerweile akzeptierte der Kaiser den Nürnberger Religionsfrieden von 1532, um die notwendige Unterstützung gegen die Türken sicherzustellen. Er eroberte Tunis während des Feldzuges in Nordafrika gegen Khair ad-Din Barbarossa, und führte 1536 Krieg gegen das französisch-türkische Bündnis. Nach dem Reichstag zu Speyer im Jahre 1544 konnte er während eines vierten Krieges gegen Frankreich mit Unterstützung protestantischer Reichsfürsten gegen Paris vordringen. Inzwischen bekämpfte er vor allem von den Niederlanden aus die Ketzer in

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

235

Deutschland. Nach dem Frieden von Crépy, 1544, und der Schlacht bei Mühlberg, die Alba drei Jahre später gegen die Protestanten gewann, bestimmte der Kaiser auf der Höhe seiner Macht 1547/48 den Ausgang des ‚geharnischten‘ Reichstages zu Augsburg. Die ‚siebzehn‘ Niederlande, die Zahl deutete wohl eher das Ganze der verschiedenen Herrschaftsbereiche im Deltagebiet an als deren genaue Anzahl, sollten künftig zwar kollektiv Bestandteil des deutschen Reiches sein, die gegenseitige Verbindung war jedoch sehr schwach. Schliesslich scheiterte Karls V. Reichspolitik, als sich Moritz von Sachsen als Führer einer geheimen Fürstenrebellion mit Heinrich II. von Frankreich verband und den Augsburger Religionsfrieden 1555 aushandelte, während der Kaiser vergeblich gegen Frankreich kämpfte. Im gleichen Jahr trat der enttäuschte Fürst in Brüssel zurück, auch Maria legte ihr Amt nieder, sein Sohn Philipp II. trat das spanische Erbe an. Bei seiner Abdankung, 1556, war Karls Traum eines Universalreiches nicht verwirklicht, die Fürsten hatten sich behauptet, eine Spaltung der Religionen setzte sich durch. Kaiser wurde Karls Bruder Ferdinand. 5.1.1.1. Religiöse Emanzipation Mancher mündige Bürger, der die Lehre der Kirche in Frage stellte, suchte sein Heil in Zusammenkünften mit Gleichgesinnten, um das Evangelium in der Muttersprache zu lesen und Luthers Schriften kennenzulernen. Entsprechend der steigenden Nachfrage verbreiteten die Drucker in den Niederlanden, als Erste jene aus Antwerpen, vermehrt Bibeltexte und religiöse Traktate in der Muttersprache (siehe 5.2.3.3.). Mit immer strengeren Plakaten versuchte der Kaiser den Protestantismus zu bekämpfen. Die ersten Ketzer, Antwerpener Mönche, liessen wegen ihrer Gesinnung 1523 ihr Leben auf dem Scheiterhaufen. Dann folgten auch Hinrichtungen in Woerden und Den Haag. Stadtverwaltungen fingen an, sich gegen die Einmischung der zentralen Macht in ihre autonome Justiz zu wehren. Unter der Bevölkerung verursachte die zentralistische Politik der Habsburger zunehmend Unmut und Ablehnung. Die in Zürich im Umfeld der Reformation entstandene Täuferbewegung, die sich seit den Zwanzigerjahren rasch über Süddeutschland in den Norden verbreitet hatte, fand in den Niederlanden ebenfalls Anhänger. In Amsterdam überfielen einige Dutzend militante Täufer die Stadtverwaltung, besetzten das Rathaus, wurden dann aber überwältigt und brutal umgebracht. Die Bewegung löste nicht nur Widerstand wegen ihrer Ablehnung der Kindertaufe aus, sondern auch wegen ihrer radikalen gesellschaftlichen Ansichten, die beispielsweise Gütergemeinschaft und Polygynie einschlossen. In Münster, wo der holländische ‚Apostel‘ Jan van Leiden, auch unter dem Namen Johann Bockelson bekannt, zum König ausgerufen war, scheiterte die Bewegung der militanten Täufer 1535, als Truppen von Bischof Franz von Waldeck und Graf Philipp von Hessen ihrem Reich mit einem Blutbad ein Ende setzten. Der noch immer geläufige Ausdruck zich ergens met een jantje-van-leiden van afmaken (‚sich etwas vom Halse schaffen‘) erinnert an den holländischen Anführer der Bewegung. Der niederländische Friese Menno Simons (1496– 1561), der sich als römisch-katholischer Priester ein Jahr später zum neuen Glauben bekannt hatte, vereinte mit seiner pazifistischen Theologie die friedvollen Anhänger der Bewegung. Seine Jünger, die eine Minderheit der Protestanten in den Niederlanden bildeten, nannten sich nach ihm ‚Mennoniten‘. Sie verbreiteten ihre Mennoniten-Gemeinden weiter friedfertig bis ins

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

polnische königliche Preussen, wo die niederländischen Täufer durch den Bau von Deichen und Kanälen das Weichsel-Nogat-Delta urbar machten. Nach der preussischen Besetzung des Gebietes zogen sie weiter in die Ukraine und nach Russland. Andere Täufer, die aus der Pfalz stammten, liessen sich in Nordamerika nieder und gründeten dort 1683 Germantown. Bis heute sprechen Mitglieder der Bewegung noch ‚Pennsylvania Dutch‘, eine Bezeichnung, die möglicherweise auf eine englische Verballhornung des Wortes Deutsch zurückgeht oder damals generell die Bewohner am Rhein, seien es Deutsche oder Niederländer, bezeichnete. Oder hielten die ansässigen Bewohner die Newcomer für Holländer, weil ihre Schiffe in Amsterdam und Rotterdam abgelegt hatten, um in die neue Welt zu segeln? Um die Mitte des Jahrhunderts gewann der Kalvinismus, der sich von Frankreich aus über Flandern verbreitete, immer mehr Anhänger in den Niederlanden. Sie zählen zu den militanten Protestanten, die für das Recht kämpften, sich zu reformierten Glaubensätzen zu bekennen. So trugen sie wesentlich zur Auflehnung der Niederlande gegen Philipp II. bei. Der theologische Disput über die Prädestination zwischen Franciscus Gomarus und Jacobus Arminius führte während der Dordrechter Synode 1618–1619 zur Annahme von Gomarus’ Auffassungen. Sie prägen bis heute weltweit den Protestantismus (siehe weiter 5.1.4.). Ob gewisse Tugenden, die den Kalvinisten zugeschrieben werden, den holländischen Geschäftsleuten zugute kamen oder umgekehrt, sei dahingestellt. Der bemerkenswerte Unternehmungsgeist, der in der Neuzeit zu weltweiter Geschäftstätigkeit der Niederländer führte (siehe 5.1.4.1. und 5.1.4.2.), liess sich jedenfalls vom Kalvinismus ebenso wenig hindern wie das Sammeln irdischer Güter. Nicht selten löste das Martyrium der verfolgten Protestanten Bewunderung und Erbarmen aus, die zum Beispiel in den Liedern und Abschiedsbriefen des täuferischen Martyrologiums Het offer des Heeren (‚Das Opfer des Herren‘) 1562 zum Ausdruck kommen. Auch der ein Jahrhundert später erschienene, über tausend Seiten zählende Märtyrerspiegel, 1660 vom Ältesten der Dordrechter Mennoniten-Gemeinde Thieleman Jansz van Braght herausgegeben, zeugt davon. Die erste deutsche Übersetzung der zweiten Auflage dieses Werkes, mit Ergänzungen zu den Verfolgungen schweizerischer Glaubensgenossen, besorgten deutsche Mennoniten 1748 in Pennsylvania. 5.1.1.2. Schulwesen, Lese- und Schreibfähigkeit Der Primarunterricht fand für die Mehrheit der Bevölkerung in der Schule statt, in der Regel in einem Klassenzimmer mit grösseren Gruppen von Jungen und Mädchen unterschiedlicher Altersstufen. Klassen mit hundert Schülern und mehr waren keine Ausnahme. Die Kinder, die sich in ihrem eigenen Tempo den Stoff anzueignen hatten, mussten sich jeweils, bis zu vier Mal am Tag, zum Schulmeister begeben, um die Fortschritte überprüfen zu lassen (vgl. Farbb. VIIb). Mit diesem zeitaufwändigen Verfahren lernten sie neben Religion und sittlichem Verhalten in erster Linie Lesen, wozu der Lehrer die sogenannten ABC-Büchlein benutzte, ein Text wie das Vaterunser diente als Übungsmaterial. Da der Leseunterricht, der mit dem Erlernen des lateinischen wie gotischen Alphabets anfing, nicht von Schreibübungen unterstützt wurde, machten die Schüler normalerweise nur langsam Fortschritte. Erst danach konnten sie je nach Schule noch Schreiben lernen. Rechnen, ein Fach, das das Doppelte wie Lesen kostete, wurde nicht immer unterrichtet.

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

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Für diejenigen, die dennoch das Rechnen zu meistern hatten, veröffentlichte Schulmeister Willem Bartjens 1604 ein Rechenbuch, das bis ins 19. Jh. immer wieder Neuauflagen erlebte. Der Ausdruck volgens Bartjens (‚laut Bartjens‘ in der Bedeutung ‚es ist ja logisch, dass…‘) hält die Erinnerung an diesen Lehrer, der in Amsterdam eine französische Schule eröffnet hatte, lebendig. Aus den grote scholen (‚grossen Schulen‘) der Städte entstanden allmählich Lehranstalten, die nur Grundunterricht für Kinder bis etwa neun Jahre umfassten. Eine geringere Zahl Schüler ging anschliessend an die Oberstufe, an die Latijnse school (‚lateinische Schule‘), die auch Rembrandt besuchte, die Nederduytsche school (‚niederländische Schule‘), die Fransche school (‚französische Schule‘) oder die Duitsche school (‚deutsche Schule‘). Verschiedene Städte beschäftigten daher französische und deutsche Lehrer. Die Zahl der wilde scholen, Privatschulen, die vermehrt auch den Bedarf an spezifisch ausgebildeten Absolventen mit Fächern wie Buchhaltung, Rechnen und Französisch abdeckten, stieg an. Sodann führten einige Schulen, die angesehene Bürger für ihre Kinder auswählten, Französisch als Unterrichtssprache, eine Kultursprache, die vornehme Kreise für ihre Konversation bevorzugten und die sich zudem neben Latein und Niederländisch als Sprache der Wissenschaft entwickelte. Dass auch Privatlehrer Erfolge bei der Erziehung manches Kindes verbuchten, zeigt sich bei einem Dichter wie Constantijn Huygens, der im Alter von acht Jahren Latein, Musik und Rechnen von seinem Erzieher Abraham Mirkenius lernte. In der Folge unterhielt sich der Zögling mit neun Jahren angeblich schon in lateinischer Sprache, konnte ausserdem bereits komponieren, beherrschte anschliessend Griechisch, Französisch und Italienisch, machte sich mit fünfzehn die Mathematik zu eigen und lernte nebenbei noch Tanzen und Reiten. Wie sehr Huygens seine Sprachen beherrschte, zeigen seine höchst anspruchsvollen, in modernen wie klassischen Sprachen verfassten Schriften und Veröffentlichungen (vgl. 5.2.3.4.). Die Reformation prägte die Entwicklung der öffentlichen Schulen in den Städten und Provinzen, Kirchengemeinden achteten auf angemessene Schulverordnungen, man stellte reformierte Lehrer an und verbannte papistische Lehrbücher. Vorrang an den Schulen hatte nach wie vor der Unterricht des Lesens, eine Fähigkeit, die auch beim Weitergeben des Glaubens in der Familie gefragt war, namentlich wenn der Vater täglich aus der Bibel vorlas. Dass römisch-katholische Lehrer zwangsläufig wegzogen und häufig von wenig Gebildeten ersetzt wurden, dürfte den Primarunterricht, dem wohl eher eine bescheidene Qualität zu bescheinigen war, zugesetzt haben. Das Unterrichten der jungen Menschen ergab jedoch äusserst wirksame Möglichkeiten, die neue Religion unter der Bevölkerung zu verbreiten, Kinder von Bedürftigen eingeschlossen, die laut Anordnung der Synode durch die örtlichen Kirchen gratis zu unterrichten waren. Zu bezweifeln ist, ob Eltern auf den Lohn von arbeitenden Kindern verzichten wollten, um diese Möglichkeit zu benutzten. Bezeichnenderweise erhielten Kinder, die in der Textilindustrie in Leiden eingesetzt wurden, am Arbeitsort Unterricht. Nicht-reformierten Religionsgemeinschaften war es untersagt, eigene Schulen zu gründen, mit Ausnahme jüdischer Gemeinden. So konnte 1616 die erste jüdische Schule in Amsterdam entstehen. Manche Stadt, wie Utrecht oder Rotterdam, duldete trotz des Verbotes den römisch-katholischen Unterricht, 1648 mussten aber die letzten katholischen lateinischen Schulen schliessen. Unsicher ist es, wie umfangreich der Analphabetismus trotz der vielen Bildungsmöglichkeiten in der frühen Neuzeit war. Der florentinische Adlige Ludovico Guicciardini berichtet 1567

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

in seiner Descrittione di tutti li Paesi Bassi zwar begeistert, dass fast jeder lesen und schreiben konnte, zuverlässige Daten zur Überprüfung dieser Annahme fehlen. Aus Amsterdamer Akten zum Aufgebot von Brautpaaren geht hervor, dass im letzten Viertel des 17. Jh. 55 % der Männer und 32 % der Frauen ihre Namen schreiben konnten. Am Ende des 17. Jh. waren 70 % der Männer und 51 % der Frauen dazu imstande. Die zitierten Daten sind allerdings nur als ein Indiz zu betrachten, da nicht jede heiratslustige Person, die eine Unterschrift leistete, auch schreiben konnte. Dass mehr Männer als Frauen in der Lage waren, ihre Namen zu schreiben, erklärt sich vielleicht mit der Neigung der Eltern, weniger Geld für die Ausbildung der Töchter auszugeben. In Anbetracht der Unterrichtspraxis der Primarschulen ist anzunehmen, dass mehr Menschen fähig waren zu lesen als zu schreiben (vgl. Farbb. X, XI, XIII, XIVa, XIVb, XVI). Laut Schätzungen konnten fast alle, die gesellschaftlich ein hohes Ansehen genossen, im 17. Jh. lesen, von den geschulten Handwerkern waren etwa 80 % dazu fähig. Sodann waren von den Ungeschulten der niedrigen Einkommensklassen zirka die Hälfte imstande zu lesen. Belegt ist, dass wenig gebildete Menschen über die letzten Nachrichten sprachen, die sie gelesen hatten. Weiter gibt es Beschreibungen von Webern, Handwerkern und Zimmerleuten, die bei Druckereien auf Pamphlete mit den neusten Nachrichten warteten, die sie lesen wollten.

5.1.2. Bruch mit Philipp II., Trennung der nördlichen und südlichen

Niederlande (1555–1584)

Obschon Philipp II. sich an die bestehenden Regierungsstrukturen hielt, führte seine vorläufige Anwesenheit in den Niederlanden bald zu Unbehagen bei Mitgliedern des Staatsrates, vor allem da er vermehrt auf eigene Ratgeber wie Ruy Gómez hörte. Hohe Adlige wie Lamoraal, Graf von Egmond, und Wilhelm von Nassau, Prinz von Oranien, beklagten sich zudem über den zunehmenden Einfluss von Antoine Perrenot de Granvelle, der bei der kirchlichen Neueinteilung 1559 Erzbischof von Mechelen, 1561 ausserdem Kardinal wurde. Die 1562 gegründete Liga von hohen Adligen verlangte zwar mit Erfolg Granvelles Austritt aus dem Staatsrat, Egmonds Besuch bei Philipp, der ab 1559 sein Reich von Spanien aus lenkte, brachte aber nicht die erwartete Regierungsreform. Zudem rief der streng katholische Fürst in seinen Briefen aus Segovia die neue Regentin, seine Halbschwester Margarete von Parma, dazu auf, streng gegen die Ketzer einzuschreiten. Die niedrigen Adligen, die ihre lokale Macht durch die zentralistischen Massnahmen der Brüsseler Regierung zu verlieren drohten, lehnten die plakkaten (‚Verordnungen‘) gegen die Protestanten und das brutale Vorgehen der Inquisition ab. Für die verfolgten Protestanten, die aus allen Bevölkerungsschichten stammten, fanden Predigten im Freien, ‚Hagepreke‘, statt. In den Strassen wagten sie mit ihren ‚chanteries‘ öffentlich protestantische Lieder zu singen. Gefangene Kalvinisten wurden in den südlichen Niederlanden von Gesinnungsgenossen befreit. Guide de Brès formulierte in Doornik das erste kalvinistische Glaubensbekenntnis der Niederlande, die ‚confessio Belgica‘. Hohe Kornpreise verschlimmerten inzwischen die Lebensumstände der Bevölkerung, eine Auflehnung drohte. Die gefährliche Lage veranlasste zweihundert

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

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Adlige, geführt von Prinz Wilhelms Bruder Ludwig von Nassau und Jan von Marnix, der Regentin 1566 ein Bittgesuch zu unterbreiten. Die als ‚gueux‘, Bettler, verspotteten Wortführer forderten, die Regentin möge die Massnahmen gegen die Protestanten ausser Kraft setzen und die Generalstaaten einberufen lassen. Margarete sagte eine Mässigung ihrer Politik zu, dennoch verlangten Vertreter der kalvinistischen Kaufleute und der Adel völlige Religionsfreiheit. Als dann im Süden Flanderns Protestanten versuchten, die Kirchengebäude für ihre Gottesdienste anzupassen, brachen Unruhen und Bilderstürme aus. Sie arteten in Plünderungen aus, die sich bis in den Norden ausbreiteten. Unter diesen bedrohlichen Umständen liess Margarete kalvinistische Predigten bedingt zu, verlangte aber von ihren Beamten und Soldaten sowie von den Adligen ein Treuegelöbnis. Der Prinz von Oranien und Brederode wiesen dies zurück, die Adligen Hoorne und Hoogstraten sollten später auf ihre anfängliche Verweigerung zurückkommen. Anfang 1567 nahmen Regierungstruppen Doornik ein und vernichteten später nördlich von Antwerpen eine kalvinistische Armee, die im Übrigen nicht vom Prinzen, der Burggraf von Antwerpen war, unterstützt wurde. Obschon Margarete nun wieder Herrin der Lage war und die Verordnungen gegen die Protestanten verschärfte, schickte der König den ‚eisernen‘ Herzog von Alba mit 10.000 Soldaten in die Niederlande, um die Ordnung wiederherzustellen, die Aufständischen zu bestrafen und eine Militärdiktatur zu errichten. Tausende flohen, wie Oranien und Brederode, ins Ausland. Viele Flüchtlinge schlossen sich Exilgemeinden an, namentlich in Emden, London und Frankfurt. Einige verstärkten die Verbände der Aufständischen, die den Ehrennamen geuzen (frz. gueux ‚Bettler‘) angenommen hatten. Wilhelms Sohn Philipp Wilhelm wurde nach Spanien verschleppt, ein Sondergericht, der ‚Blutrat‘ von Brüssel, urteilte Rebellen ab. Die Söldner des Prinzen fielen 1568 in die Niederlande ein und siegten unter Anführung von Wilhelms Brüdern Ludwig und Adolf bei Heiligerlee, wo Letzterer fiel. Nachdem Alba im gleichen Jahr Egmont und Hoorne hatte hinrichten lassen, Geschehnisse, die sehr viel Eindruck machten, schlug er die aufständischen Truppen nieder, die den Regierungstruppen in offener Feldschlacht unterlegen waren. Die Auflehnung der Niederlande hatte begonnen und sollte sich zu einem regulären Krieg entwickeln, den man gemeinhin als Achtzigjährigen Krieg bezeichnet. Die vom Herzog angekündigten Steuermassnahmen, die insbesondere die Kauftransaktionen belasten sollten, riefen in den wirtschaftlich vom Handel abhängigen Provinzen vermehrt Widerstände hervor. Allerdings gelang es Wilhelm vorerst nicht, eine Auflehnung in Gang zu setzen. Ein weiterer Angriffsplan des Prinzen sah 1572 Einfälle aus dem Osten und aus dem Süden, mit Unterstützung der Hugenotten und des französischen Königs, sowie vom Meer durch die Wassergeusen vor. Marnix Herr van (‚von‘) St. Aldegonde soll zu dieser Gelegenheit das WilhelmusLied, die heutige niederländische Nationalhymne, gedichtet haben. Die Flotte der aufständischen Geusen, die auf Drängen von Alba zuerst in den englischen Häfen aufgehalten wurden, eroberte dann am 1. April Den Briel (vgl.  5.3.3.1.). Durch diesen unerwarteten Erfolg entstanden bald spöttische Ausdrücke, wie der bereits 1579 belegte Spruch De hertog krijget een Bril op (‚Der Herzog bekommt eine Brille aufgesetzt‘) und die heute noch bekannte Redewendung Op den eersten April verloor Alva zijn bril (‚Am ersten April verlor Alba seine Brille‘), gelegentlich ergänzt vom Reim En den eersten Mei zijn neus er bij (‚Und am ersten Mai seine Nase dazu‘).

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Anschliessend nahmen die Aufständischen Vlissingen und Veere ein. Als Enkhuizen sich auf die Seite des Prinzen stellte, brach ein Aufstand aus. Die rebellierenden holländischen Städte anerkannten den Prinzen von Oranien, der mit seiner Armee auf Brüssel zurückte, als ‚Statthalter‘. Sie würden sich folglich formal nicht gegen den König, sondern gegen seine Ratgeber auflehnen. Die Bartholomäusnacht, am 24. April 1572, in der über 20.000 Hugenotten ermordet wurden, beendete aber die französische Unterstützung des Aufstandes. Ludwig zog sich nach Deutschland zurück, Wilhelm ging nach Holland, um dort ‚sein Grab zu finden‘. Albas Sohn Friedrich eroberte noch im gleichen Jahr während eines grausamen Rachefeldzuges Mechelen, Zutphen und Naarden, ein Jahr später nahm er auch Haarlem ein. Die Schiffsbauerin Kenau Simonsdochter Hasse­ laer soll als Leiterin einer Gruppe von 300 Frauen die Mauern vergeblich mit kochendem Wasser, brennendem Stroh und geschmolzenem Pech gegen die Spanier verteidigt haben. Der heute noch gängige Ausdruck een kenau (‚Mannweib‘) erinnert an ihren Auftritt. Es gelang den Spaniern aber nicht, Alkmaar zu erkämpfen, das sich mit der Waffe der Inundation erfolgreich verteidigte. Der Spruch Van Alkmaar begint de victorie (‚Mit Alkmaar beginnt die Viktoria‘), der 1649 in Blaeus Buch über die niederländischen Städte als ‚alter Spruch‘ zitiert wird, erinnert an diesen Sieg. Nachdem die Geusen eine spanische Flotte besiegt hatten, verliess Alba die Niederlande, Don Luis de Requessens folgte ihm nach. Wilhelm schloss sich nun öffentlich den Kalvinisten an. Um die unterdessen von den Spaniern belagerte Stadt Leiden zu entlasten, fielen Ludwig und Heinrich von Nassau mit französischer Hilfe und Unterstützung von Friedrich von der Pfalz 1574 in Brabant ein. Zwar zog das spanische Heer tatsächlich von der Stadt weg zur Schlacht auf der Mooker-Heide, Wilhelms beide Brüder starben dabei, bald darauf umzingelte das Heer Leiden erneut, so war Leiden in last (‚Leiden in Schwierigkeiten‘), wie man noch immer in schwierigen Umständen sagt. Schliesslich vertrieben Inundationen die spanischen Soldaten. Die bald nach Leidens ontzet (‚Leidens Befreiung‘) gegründete Universität (1575) bekam internationales Ansehen insbesondere durch ihre philologische wie theologische Lehre und Forschung, Disziplinen, die in den vermehrt vom Humanismus und Protestantismus geprägten Provinzen gefragt waren. Ein Jahr später schlossen Holland und Seeland eine Union, die Wilhelm von Oranien als ‚höchste Obrigkeit‘ anerkannte. Daraufhin vereinigten sich alle Provinzen 1576 gegen die Plünderungen und das gewalttätige Auftreten der spanischen Truppen in der Genter Pazifikation. Obschon Requessens Nachfolger Don Juan diesen Vertrag unterschrieb, versuchte er mit Hilfe deutscher Truppen die Macht zurückzuerobern, allerdings vergeblich. Immer mehr Städte und Regionen wählten nun die Seite des Prinzen, 1577 zog er triumphal in Brüssel ein. Auf Drängen von Wilhelms Gegnern ernannten die Generalstaaten wohl Mathias, Bruder des deutschen Kaisers Rudolf II., zum Regenten, dem Prinzen blieb jedoch die Macht erhalten. Nach dem Tode Don Juans folgte Margaretes Sohn Alexander Farnese, Herzog von Parma, als Landvogt nach. Der gewandte Diplomat gewann die Provinzen im Süden wieder für Spanien, indem er in der Union von Arras 1579 ihre Freiheiten bestätigte. Als geschicktem Feldherrn sollte es Farnese zudem gelingen, Maastricht, später auch Kortrijk zu erobern und ein Heer der Generalstaaten zu besiegen. Mehrere Städte schlossen sich nun der südlichen Union an. Ebenfalls 1579 unterschrieben Vertreter der Städte Gent, Antwerpen, Brügge sowie Abgeordnete der Provinzen Geldern, Holland, Seeland und der nördlichen Landstriche die Union

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von Utrecht, in der sie festhielten, ewig vereint zu bleiben und Entscheidungen über Krieg bzw. Frieden einstimmig zu treffen. Die Provinzen behielten weiter die eigenen Rechte bei, durften eine selbstständige Religionspolitik treiben, Verfolgungen waren allerdings untersagt. Die Verabschiedung des Vertrages sollte sich nachträglich als ein bedeutender Schritt in die Richtung einer unabhängigen niederländischen Republik erweisen. Bald schlossen sich flämische und brabantische Städte an, nördliche Regionen wechselten hingegen die Seite. Als Philipp II. 1580 Oranien ächtete und zu seiner Beseitigung aufforderte, verteidigte der Prinz sich in seiner Apologie, die eine Auflehnung gegen den Souverän politisch-philosophisch begründete. Darauf kündigten die Abgeordneten der sieben Provinzen, die nun in Den Haag tagten, mit dem Plakkaat von verlatinghe, der Unabhängigkeitserklärung, dem spanischen ‚Tyrannen und Rechtsbrecher‘ 1581 den Gehorsam auf. Künftig sollte Holland den Sitzungen dieser Generalstaaten vorstehen und jeweils für eine Periode von fünf Jahren einen Ratspensionär oder Landadvokaten ernennen. Formal hatten die aufständischen Provinzen nun ihre Selbstständigkeit bestätigt. Die Souveränität wurde dem von den Generalstaaten zum ‚Schützer der Freiheit‘ ausgerufenen Herzog von Anjou übertragen. Um seine schwache Position zu stärken, führte dieser, ohne Erfolg, Anschläge auf Städte im Süden aus, Farnese gelang es hingegen, Ypern, Brügge und Gent zu erobern. Schon vor dem Tode des französischen Herzogs, 1584, bestanden Bestrebungen, Wilhelm zum Grafen von Holland und Seeland zu machen. Der vader des vaderlands (‚Vater des Vaterlandes‘; die niederländische Übersetzung des römischen Ehrentitels Pater patriae ist seit 1546 belegt) wurde aber am 10. Juli des gleichen Jahres von Balthasar Gérard aus Glaubenseifer im Prinsenhof zu Delft ermordert. 5.1.2.1. Universitäten, Hochschulen Die Philologie des Griechischen, Hebräischen und Lateinischen am Collegium Trilingue der 1425 gegründeten Universität von Löwen richtete sich im 16. Jh. vor allem dank der Wirkung Erasmus’ von Rotterdam (vgl. Farbb. VI) neu auf die Erforschung der Quellen. Die kritische Auseinandersetzung der Humanisten mit sprachlichen Quellen, die einen Bruch mit mittelalterlichen Traditionen bedeutete, sollte sich weiter in den nördlichen Provinzen etablieren und auch zu einer höheren Wertschätzung der Muttersprache führen (siehe 5.2.1.2.). Infolge von Kriegswirren und Religionsstreit verlor die Löwener Universität dann aber an Bedeutung. Sie fiel auf veraltete Wissenschaftsmethoden zurück, um sich weiter um die Ausbildung der römisch-katholischen Elite zu kümmern, schliesslich wurde sie unter dem Directoir 1797 geschlossen. Dafür konnte die Philologie, wie übrigens auch die Theologie und die Jurisprudenz neben den sonst üblichen Wissenschaftsdisziplinen, an der 1575 gegründeten Leidener Universität eine hervorstechende Stellung erreichen (vgl. Farbb. X). Die neue Alma Mater sollte laut einem Brief des Prinzen Wilhelm von Oranien an die Generalstaaten als Bollwerk der Freiheit junge Menschen sowohl in die rechte Gotteserkenntnis wie in die guten, ehrlichen freien Künste und Wissenschaften einführen. Dass sogar Werke römisch-katholischer Verfasser, so von Adrianus van der Burch, in Leiden veröffentlicht wurden, deutet auf die dort herrschende akademische Freiheit. Vor allem die Ernennung Justus Lipsius’ regte zum Ausbau der humanistischen Phi-

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lologie an, ein Fach, das nicht nur zur internationalen Anerkennung der ‚Academia Lugduno Batava‘ (siehe 2.1.2.) beitrug, sondern in dieser Epoche auch die Kultivierung des Niederländischen massgeblich bestimmte. Zu den bedeutenden Schülern von Lipsius zählt auch Janus Gruter, der an mehreren europäischen Universitäten, u.a. in Rostock, lehrte und gotische Texte herausgab (siehe 2.2.2.). Auch der aus Brügge stammende Bonaventura Vulcanius, Professor für Griechisch an der Universität Leiden und Lehrer bedeutender Gelehrter wie Daniёl Heinsius oder Hugo de Groot, lehrte an der ältesten Universität der Republik. Weiter war Marcus Zuerius Boxhorn, Professor für Eloquenz in Leiden tätig, der 1647 in drei Studien die These einer indoeuropäischen Ursprache aufstellte, einen Lehrsatz, der erst im 19. Jh. erneut formuliert und dann sprachwissenschaftlich ausgearbeitet wurde (siehe 2.2.1.). Bald machte sich der Ruf Leidens im Ausland bemerkbar, so verglich Matthias Bernegger, Rektor der Universität Strassburg, voller Stolz die Gründung seiner Universität mit derjenigen in Leiden, der schlesische Gelehrte und Jurist Nikolaus von Reusner rühmte die gekrönte Akademie Leidens schon ein Dutzend Jahre nach der Gründung in einem Lobgedicht. Bald folgte auch in anderen Provinzen die Gründung von Universitäten, so in Franeker 1585, Groningen 1614, Utrecht 1634 und Harderwijk 1648. Mit Bewilligung Moritz’ von Nassau, der für seine Armee Ingenieure brauchte, wurde 1600 an der Universität Leiden die Nederduytsche Mathématique gegründet, wo Gelehrte wie der Mathematiker und Ingenieur Simon Stevin in goeder duytscer tale (‚in guter niederländischer Sprache‘) Mathematik lehrten. Dass an dieser ersten und einzigen Ingenieurschule Europas Niederländisch als Unterrichtssprache diente, wurde allerdings von manchem Fakultätsmitglied belächelt. Eine entgegengesetzte Haltung der eigenen Sprache gegenüber zeigt allerdings der europaweit berühmte Philologe und Dichter Daniёl Heinsius, der als Professor an der Universität Leiden nicht nur neulateinische, sondern auch niederländische Lyrik veröffentlichte, die namentlich deutschen Barockdichtern zum Vorbild diente. Sodann entstanden akademische Gymnasien in Amsterdam, Breda, Deventer und Middelburg, die ebenfalls einen guten Ruf erwarben. Die von Coster, Hooft und Bredero 1617 gegründete Eerste Nederduytsche Academie sollte als Rhetoriker-Kammer (vgl. 4.1.3.2.) nicht nur das Theater fördern, sondern auch das propädeutische Studium der Mathematik, Astronomie, Geschichte und Philosophie in niederländischer Sprache anbieten. Die von zwei Mennoniten geleitete Hochschulabteilung wurde aber 1618 in der Epoche des Glaubensstreits von den Behörden geschlossen. Das 1632 gegründete Athenaeum Illustre, Vorläufer der Universiteit van Amsterdam, gewährleistete in der Folge in diesem Teil Hollands die akademische Bildung, allerdings bald nicht mehr in der Muttersprache. Gelehrte wie der Humanist und Theologe Gerardus Joannes Vossius, Schüler des Justus Lipsius und Professor an mehreren europäischen Universitäten, u.a. in Rostock, vorher bereits in Leiden Professor, Freund des international anerkannten Juristen Hugo Grotius, sowie der Humanist und Philosoph Caspar Barlaeus, ehemaliger Professor in Leiden und Freund von Constantijn Huygens, lehrten am Athenaeum. Die niederländischen Hochschulen besassen ebenfalls einen guten Ruf, bezeichnenderweise berichtet der Marburger Professor Balthasar Schupp, dass die Vorlesungen von Vossius und Barlaeus in Amsterdam ihm mehr genutzt hätten als der Besuch der Universitäten.

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

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Immer häufiger immatrikulierten sich Ausländer an Universitäten und Hochschulen in der Republik, die eine beträchtliche geistige Freiheit kannte. So bildete allein die Leidener Universität bis 1750 11.000 deutsche Studenten aus. Sie stammten aus allen Gebieten Deutschlands, manches Jahr betrug der Anteil Deutschsprachiger in Leiden ein Viertel aller Immatrikulierten. Zahllose Dokumente wie Empfehlungsschreiben, Albumverse, Berichte zum Verbleib in den Niederlanden und Abschiedsbriefe zeugen vom Aufenthalt in der Republik. Stellvertretend für die vielen Verfasser solcher Texte ist Martin Opitz zu erwähnen mit seinem an Heinsius gerichteten Perscriptum in Rheno flumine oder der durch die handschriftliche Verbreitung seiner Lyrik in Strassburg bekannt gewordene Christoph Köler, der die akademische Welt seines Gastlandes ausführlich beschreibt, aber auch Zacharius Lund, der deutschsprachige Dichter aus Dänemark, der die Unterstützung Heinsius’ und Grotius’ rühmt. Viele Gelehrte im Ausland, so der Wittenberger Professor Janus Gruterus, pflegten lebhafte Kontakte mit ihren Kollegen in der Republik und regten ihre Schüler an, in den Niederlanden zu studieren. Der akademische Austausch in Europa, der aus den wenigen angeführten Beispielen nur andeutungsweise hervorgeht, ermöglichte eine internationale literarische und sprachliche Vermittlung. Die Sprache und Literatur des niederländischen Nachbarn sind in dieser Zeit für das Deutsche viel benützte Quellen. 5.1.2.2. Herstellung und Verbreitung von gedruckten Texten In der frühen Neuzeit gewannen die Produktion und der Vertrieb von gedruckten Texten in den Niederlanden bald an Bedeutung. Drucker, Verleger und Buchhändler konnten, anders als im Süden, in der Republik ungehindert ihrer Tätigkeit nachgehen. Die Provinz Holland mit Städten wie Amsterdam, Leiden, Den Haag, Rotterdam, aber auch mit Haarlem, Gouda und Dordrecht sollte bald einen führenden Platz in der Welt des Buches einnehmen. Geschäftstüchtige Fachleute konnten in der aufgeschlossenen niederländischen Gesellschaft in der Regel ohne Hindernisse Texte für den eigenen Markt wie für das Ausland veröffentlichen. So publizierten sie für alle Bevölkerungsschichten niederländische Bibeln, Psalter, Liedbücher, Almanache und Pamphlete, aber auch Standardwerke für Gelehrte in beliebigen alten wie neuen Sprachen. Anfänglich veröffentlichten Wissenschaftler vor allem in lateinischer Sprache, ab der Mitte des 17.  Jh. erschienen wissenschaftliche Werke mehrheitlich auf Französisch, seit Mitte des 16. Jh. kamen zudem auch niederländischsprachige Werke in sämtlichen Wissenschaftsdisziplinen auf den Markt. Mit ihren Wissenschaftsreihen banden die Verleger, die ihre Kontakte u.a. über die Frankfurter Buchmesse knüpften, eine weltweite Kundschaft an sich. Sachverständige, erfinderische Persönlichkeiten wie Christoffel Plantijn, Loys Elsevier, Cornelis Claesz. oder Jansz. Blaeu, deren Veröffentlichungen den höchsten Ansprüchen genügten, bestimmten auch international massgeblich Druck, Herausgabe und Vertrieb von Büchern in der Neuzeit. Christoffel Plantijn, der in seiner 1555 in Antwerpen gegründeten Druckerei mit achtzig Beschäftigten industriell Bücher herstellte, fertigte nicht nur römisch-katholische liturgische Bücher für Spanien, die spanischen Kolonien und die südlichen Provinzen an, sondern er produzierte auch Druckwerk für die protestantischen Provinzen im Norden. Um Verdächtigungen der Ketzerei zuvorzukommen, bat er Philipp II. mit Erfolg um Unterstützung für die Herstellung der Biblia Polyglotta, einer Bibel in Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Altsyrisch und Chaldaïsch,

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

die sein drucktechnisches Können eindrücklich unter Beweis stellte. Bei Plantijn erschienen weiter technisch so anspruchsvolle Werke wie Atlanten, sodann Dodoens’ mit vielen detaillierten Abbildungen bestücktes Kräuterbuch (siehe 5.2.3.1.) wie auch die grossen, mehrsprachigen Wörterbücher, Veröffentlichungen, die für die Entwicklung des Neuniederländischen bedeutend waren (siehe 5.2.2.3.). Die Druckerei war ein Treffpunkt von Gelehrten und Humanisten, Lipsius zählte zu den regelmässigen Gästen Plantijns, der mit seinen Büchern für einen internationalen Markt arbeitete. Aus Angst vor Plünderungen durch die spanischen Truppen liess Plantijn sich 1576 in Leiden nieder, wo er Drucker der Universität und der Generalstaaten wurde. Nachdem er nach Köln ausgewichen war, kehrte er nach Leiden zurück, um sein Geschäft weiterzuführen, das später sein Schwiegersohn Franciscus Raphelengius übernahm. Ein anderer Schwiegersohn, Jan Moretus, der als bedeutender Verbündeter der Gegenreformation auch mit Peter Paul Rubens zusammenarbeitete, leitete mittlerweile den Antwerpener Betrieb. Auch Loys Elsevier, der als Buchbinder bei Plantijn angefangen hatte, flüchtete in den Norden, gründete dann 1580 in Leiden eine Buchhandlung und Buchbinderei in der Nähe der Universität und fing bald an, Bücher zu drucken und zu verlegen. Er war bestrebt, gediegene, gut lesbare, kleinere Bücher zu bescheidenen Preisen herzustellen, seine internationalen Kunden traf er bei seinen regelmässigen Besuchen an den Buchmessen in Frankfurt und Paris. Die Elseviers, die nach Plantijn viele Jahre die Drucker der Universität Leiden waren, erwarben sich in der Welt des Buches als Buchhändler, Verleger und Drucker ein internationales Ansehen, weitere Unternehmen der Familie entstanden in Amsterdam, Utrecht, Dowaai und in Den Haag. Nach der alteratie 1578, als Amsterdam sich auf die Seite des Prinzen Wilhelm schlug, gründete der in Löwen geborene Cornelis Claesz. hier ein Büchergeschäft, das er zu einem international bekannten Verlag mit Druckerei und Buchhandlung ausbaute. Zuerst stellte er Seehandbücher, Reiseberichte sowie See- und Himmelskarten für Seeleute, Kaufleute und wohlhabende Bürger her. Später druckte und verlegte er zudem, häufig in Zusammenarbeit mit Kollegen, Werke für den internationalen Markt. Auch Claesz. hielt sich regelmässig in Frankfurt auf, um sich mit Kunden und Geschäftspartnern zu treffen. Die detailreichsten Seekarten seiner Zeit fertigte Willem Jansz. Blaeu an, der auch Globen herstellte, Bücher druckte und als Verleger tätig war. So veröffentlichte er Werke von Schriftstellern und Gelehrten wie Vondel, Hooft, Descartes, Grotius und Vossius. Sein Sohn Joan Blaeu (1598–1673) führte den Bücherbetrieb weiter. 1664/65 setzte er aus dem vorhandenen Material den umfangreichen Atlas Maior zusammen, einen verbindlichen Atlas der damals bekannten Welt. Das zwölfbändige Werk des offiziellen Kartografen der VOC, das 600 Karten umfasste, zählt zu den teuersten und umfangreichsten Büchern des 17. Jh. Es erschien ab 1662 in mehreren internationalen Ausgaben. Die Art und Weise, wie Christoffel Plantijn, Loys Elsevier, Cornelis Claesz. oder Jansz. Blaeu Bücher druckten und herausgaben, prägte Jahrhunderte das Büchergeschäft. Zudem beschäftigten sich Hunderte kleinerer Drucker, Verleger und Händler, darunter auch Dutzende Hugenotten, mit der Herstellung und dem Vertrieb von gedruckten Texten. Die Produktion gedruckter Texte war beachtlich, so wurden nur schon in den nördlichen Provinzen zwischen 1540 und 1700 über 50.000 Titel herausgegeben. Die ausgezeichneten Bedingungen für Herstellung und

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Vertrieb von Büchern und Flugschriften in der Republik sowie die Kontakte zwischen Druckern. Verlegern, Gelehrten und Dichtern sollten der Entwicklung der niederländischen Kultursprache zugute kommen.

5.1.3. Die nördlichen Provinzen befreien sich (1584–1609) Nach dem Tode des ‚Vaters des Vaterlandes‘ beschlossen die Generalstaaten, den Kampf im Geiste der Utrechter Union fortzusetzen unter der vorläufigen Führung des Staatsrates, dessen Mitglied auch Wilhelms Sohn Moritz war. Ein Jahr später eroberte Farnese nicht nur Brüssel, sondern auch Antwerpen, nachdem seine Soldaten mit einer Schiffsbrücke von 730 Metern die Schelde abgesperrt hatten. Mit dem Fall der Stadt an der Schelde 1585 war die Trennung der nördlichen und südlichen Provinzen besiegelt. Die Kalvinisten erhielten die Gelegenheit, sich entweder zu bekehren oder die Stadt zu verlassen. Viele Bewohner der südlichen Provinzen, laut Schätzungen rund 150.000 Menschen, flohen daraufhin in den Norden, wo sie Wirtschaft, Kultur und Sprache der Republik mit prägen sollten. Während eine Stadt wie Antwerpen die Hälfte ihrer Einwohner verlor, wuchs die Zahl der südlichen Immigranten im Norden. Gegen Ende des Jahrhunderts betrug laut Schätzungen der Anteil der Flüchtlinge in Leiden über 60 % der Bevölkerung, in Rotterdam stammten etwa 40 %, in Amsterdam rund 30 % der Einwohner aus den südlichen Niederlanden. Trotz seiner Erfolge gelang es Farnese nicht, den Krieg endgültig für sich zu entscheiden. Es mangelte ihm an Geld, der Nachschub für seine Truppen stockte, zudem fehlte ihm eine schlagkräftige Flotte. Vergebens baten die Generalstaaten Elisabeth von England, die Krieg mit Spanien fürchtete, Souverän über die Niederlande zu werden. Wohl war die Königin bereit gewesen, 1586 Leicester mit 5000 Soldaten zu schicken. Durch Verrat einiger seiner katholischen Offiziere gingen Zutphen und Deventer aber verloren, Farnese eroberte Sluis. Als Leicester nach missglückten Anschlägen u.a. auf Amsterdam und Leiden die Niederlande verliess, spitzte die Lage sich 1588 zu: die spanische Armada war unterwegs, ausländische Hilfe blieb zuerst aus. Den Engländern Howard und Drake gelang es jedoch, die feindliche Flotte im Ärmelkanal schwer zu treffen, während einige Boote aus Holland und Seeland Farneses Schiffe in Dünkirchen daran hinderten, in die Seeschlacht einzugreifen. Beim Rückzug um Schottland ging die ‚unbesiegbare‘ Flotte in einem Sturm fast ganz unter, Habsburgs führende Rolle in Westeuropa war ausgespielt. Philipp beauftragte Farnese nun, nach der Ermordung Heinrich II., 1589, die Rechte seiner Tochter auf den französischen Thron zu verteidigen, obschon der Herzog nahe daran war, die Auflehnung in den Niederlanden endgültig niederzuschlagen. Die Aufständischen nutzten die Gunst der Stunde, indem sie Breda 1590, mit dem Einsatz eines Torfschiffes als trojanisches Pferd, einnahmen. Joost van den Vondel sollte in seiner Tragödie Gysbreght van Aemstel 1637 ein ähnliches gewagtes Unternehmen thematisieren. Der neue Statthalter von Holland und Seeland, Moritz von Oranien, eroberte daraufhin weitere Gebiete und Städte wie Zutphen, Deventer, Delfzijl, Hulst und Nijmegen. Später gelang es dem ausgeklügelten Taktiker, auch Steenwijk und Coevorden einzunehmen.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Die Republik 1609 Emden

Delfzijl (1591)

(1597) erobert durch die Truppen der Generalstaaten (–1606) von spanischen Truppen zurückerobert

Leeuwarden

Groningen (1594)

die Republik die Spanischen Niederlande Hoorn

Alkmaar

Steenwijk (1592)

Enkhuizen

Coevorden (1592)

Zwolle Elburg

Haarlem

Harderwijk

Amsterdam

Leiden

Amersfoort Utrecht

’s-Gravenhage

Arnhem

Gouda

Delft

Lingen Ootmarsum (1597)

Dordrecht

Sint-Andries (1600)

Oldenzaal (1597–1605) Enschede (1597) Zutphen Groenlo (1591) (1597–1606) Doesburg Bredevoort (1586) (1597–1606/1606) Schenkenschans (1586)

Deventer (1591)

Nijmegen (1591) Grave Wesel (1602) Rijnberk Geertruidenberg ’s-Hertogenbosch (1597–1598/ (1593) 1601–1606) Breda (1590) Middelburg Meurs (1597) Wouw Turnhout Eindhoven (1605) Terneuzen (1597) Venlo Wachtendonk Hulst Sluis (1583) (1600–1605) (1591–1596) Brügge (1604) Biervliet Axel Antwerpen Roermond Aardenburg (1583) (1583) (1604) Crèvecœur (1600)

Oostende (1604) Nieuwport (1600) Dünkerken

Diksmuide

Veurne Ypern

Gent

Essen Werden

Mechelen

Brüssel

Löwen

Köln Maastricht Luik

Lille Doornik Namen Arras

Kamerijk

Abb. 12:  Die Niederlande im Jahre 1609 (vgl. Bosatlas 203).

Aachen

Bonn

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

247

Nach Farneses Tod, 1592, wurden die südlichen Provinzen vom französischen König Heinrich IV., der Spanien den Krieg erklärt hatte, bedroht. Trotz militärischer Erfolge Heinrichs schloss Frankreich 1598 erneut Frieden mit Spanien. Philipps Tochter Isabella und ihr Bräutigam Albertus von Österreich erhielten vom spanischen König die Niederlande als Aussteuer. Die nördlichen Provinzen, welche die Souveränität eines spanischen Fürsten nie mehr akzeptieren würden, blieben der Versammlung der Generalstaaten in Brüssel, in der die Abtretung der Niederlande verkündet wurde, folglich fern. Der Norden hatte zu dieser Zeit kaum mehr ein Interesse, die südlichen Provinzen zu erobern, eine weitere Kriegsführung hätte den Handel zu sehr beeinträchtigt. Allerdings führte Moritz im Auftrag des Landesanwaltes und späteren Ratspensionärs Van Oldenbarnevelt 1600 eine von den holländischen Kaufleuten sicherlich begrüsste Strafexpedition gegen Dünkirchen durch, um die Seeräuber, die immer wieder niederländische Handelsschiffe überfielen, auszurotten. Das Unternehmen ermunterte die flämische Bevölkerung ebenso wenig zum Aufstand wie Moritz’ Sieg über Albrecht von Österreich bei Nieuwpoort. Der Prinz eroberte in den nachfolgenden Jahren zuerst Grave, dann Aardenburg und Sluis, sein Angriff auf Antwerpen 1605 misslang dagegen. 5.1.3.1. Stadt und Land Im Kampf gegen das Wasser hatten die Bürger im Mittelalter angefangen, ihr Land gemeinsam zu verteidigen, erste Deiche entstanden um das Jahr 1000. Der Schutz gegen das Wasser der Flüsse und der Nordsee verlangte eine organisierte Zusammenarbeit der Interessenten, die sich schon im 12. Jh. abzeichnete beim Versuch, Utrecht vor dem Wasser des Rheins zu bewahren. Bereits 1255 rief Wilhelm II. von Holland eine Behörde, ein sogenanntes hoogheemraadschap, ins Leben, die eine Zusammenarbeit bei der Regelung des Wasserhaushaltes verlangte, weitere solche Gremien entstanden. Diese ersten behördlichen Instanzen der Niederlande regeln noch heute als selbstständige, die Grenzen der Kommunen überschreitende Körperschaften mit demokratisch gewählten Mitgliedern die Wasserverwaltung. Sie kennen nach wie vor eine Tradition von Beratungen der Betroffenen, vom Abwägen der unterschiedlichen Interessen und von der Suche nach Lösungen durch gegenseitiges Nachgeben. Die Organisation des Wasserhaushaltes forderte eine Geisteshaltung in den Niederlanden, die zum Ausdruck kommt in Wörtern wie polderen im Sinne eines gemeinsamen Suchens nach Lösungen und poldermodel in der Bedeutung eines Modells, das Verhandlungen als Grundlage einer Entscheidung kennt. Um den Bedarf an Boden für Ackerbau und Viehzucht zu decken, versuchten die Bewohner des Deltas schon früh, dem Wasser Land abzugewinnen. So hatten im 11. Jh. Klöster damit angefangen, angeschwemmtes Land an der Küste mit Deichen gegen das Meer abzuschirmen, um es landwirtschaftlich zu nutzen. Im 16. Jh. gelang es dann, durch die Entwässerung von Seen Land zu gewinnen. Bald legten vermögende Bürger Geld in der Trockenlegung von Seen und niedrigen Marschen an, so wurde Jacob Cats, beliebter Dichter und kalvinistischer Moralist, Grossgrundbesitzer dank seiner Investitionen in die Trockenlegung einiger Gebiete in Flandern, die übrigens bald wieder überschwemmt wurden. Auch Aktionäre der VOC investierten ihre Reichtümer in der Landgewinnung. So finanzierten sie die Trockenlegung des Beemster-Sees, den der findige Ingenieur Jan Adriaanszoon Leeghwater, Erfinder der drehbaren Mühlenklappen,

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entwässern konnte. Dutzende weitere Seen, darunter der Purmer, der Schermer und der Wormer folgten. So gelang es, dank der fortschrittlichen Konstruktion von Dämmen, Kanälen, Gräben und Mühlen, der Natur grössere Gebiete abzuringen und mit den neuen Poldern die landwirtschaftliche Nutzungsfläche beträchtlich zu erweitern. Inzwischen urbanisierten die Provinzen Holland und Seeland rasch, Anfang des 16.  Jh. wohnten in Holland über 40 % der Bevölkerung in Städten, im 17.  Jh. waren dies mehr als 60 %. Die zu den grössten Wohnsiedlungen Europas gehörenden Städte Amsterdam und Leiden lagen in unmittelbarer Nähe voneinander, von der gesamten Bevölkerung der Republik lebte ein Grossteil hier. In der Folge fanden mehr Menschen Beschäftigung im Gewerbe, Handel und Verkehr als in der Landwirtschaft. Diese urbanisierte Gesellschaft kannte eine Vielzahl Berufe und Dienstleistungen, vielerorts standen Notare, Rechtsanwälte, Apotheker, Schulmeister, Pfarrer, aber auch Buchhändler zu Verfügung, Stadt und Land ergänzten sich in der Lieferung von Dienstleistungen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Es entwickelten sich spezialisierte Betriebe wie Reedereien, Werften und Reeperbahnen, das Textilgewerbe dehnte sich aus, Handelshäuser wuchsen. Vom Wind angetriebene Mühlen ermöglichten die industrielle Bearbeitung von Holz und die Herstellung diverser Produkte, darunter Papier für die Druckereien. Kurze Wege und gute Verkehrsverbindungen, die mit einem dichten Streckennetz von trekschuiten (‚Schleppkähnen‘) mit festen Abfahrtszeiten verbessert wurden, förderten die Zusammengehörigkeit der Menschen innerhalb und ausserhalb der Städte. Anders als in den meisten europäischen Ländern fehlte in der Republik eine feudale Tradition mit einer die Gesellschaft beherrschenden Schicht von Adligen und Grossgrundbesitzern, sieht man von einigen grossen Landgütern mit hörigen Bauern im Osten der Niederlande ab. In einer Gesellschaft mit einer beträchtlichen Zahl gebildeter Bürger, die sich zusammen gegen gemeinsame Feinde, seien es fremde Armeen, sei es das Wasser, zur Wehr setzten und sich beruflich wie geistig in einer vergleichsweise grossen Freiheit entfalten konnten, etablierte sich das Niederländisch in der Neuzeit rasch als Kultursprache. 5.1.3.2. Verbreitung des kultivierten Niederländischen Was hat man sich unter der Verbreitung der entstehenden niederländischen Kultursprache in der frühen Neuzeit vorzustellen? Wie dargelegt, ist für die Entstehung des Niederländischen zuerst die Verbreitung spezifischer lautlicher Erscheinungen entscheidend, die sich seit dem letzten Viertel des ersten Millenniums vom zentralen westlichen Küstengebiet des Deltas aus in östlicher Richtung vollzogen, vgl.  3.2.2. Sodann trug die Entstehung von Schreibtraditionen in altniederländischen Zeiten, die sich danach ab dem 12.  Jh. im Südosten, dann im 13. beziehungsweise 14. Jh. vor allem im Südwesten und Süden, später vermehrt im zentralen Westen und im Osten weiterentwickelten, zur Festigung von Vorläufern des überregionalen Niederländischen bei. In der frühen Neuzeit verläuft die Etablierung des Neuniederländischen dann primär über die entstehende allgemeine Schriftsprache, vgl. 5.2. Daher hat in einer Beschreibung der Entstehungsgeschichte des Algemeen Nederlands eine Einschätzung der Verbreitung des überregionalen Niederländischen bei der Produktion und Rezeption geschriebener Formen dieses kultivierten Niederländischen anzusetzen. Fragen zum Status der gesprochenen Sprache im Süd-

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westen und Süden des Sprachraumes oder in den Gebieten, die durch die heutige niederländischdeutsche Sprachgrenze getrennt werden, sind in dieser Perspektive der Geschichtsschreibung genauso auszuklammern wie weitere historisch-dialektologische Fragestellungen. Im Südwesten, dem heutigen Pas-de-Calais, hatte sich das Picardische auf Kosten des Niederländischen ausgedehnt, weiter östlich stabilisierte sich die niederländisch-französische Sprachgrenze seit dem 14. Jh. weitgehend (vgl. 3.2.2.). Westlich des Aa-Flusses diente Französisch als Schreibsprache, in Sint-Omaars und Umgebung soll bis ins 18. Jh. gelegentlich auch Niederländisch geschrieben worden sein, wie Ryckeboer festhält. Das Französische verdrängte allmählich das Niederländische an der Westgrenze der alten Grafschaft Flandern bis ins 19. Jh. Wie sich diese Entwicklungen im Einzelnen vollzogen, ist Gegenstand historisch-dialektischer Forschung. Eine Beschreibung der Verbreitung der niederländischen Schriftsprache hat dagegen vermehrt andere sprachliche Grössen zu berücksichtigen. Die Frage, wie weit sich die niederländische Kultursprache ausstreckte, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Dies dürften die folgenden Angaben zur willkürlich gewählten Stadt Dünkirchen zeigen, wo die Rhetoriker-Kammer Sint-Michiel Literatur und Theater in der niederländischen Muttersprache förderte. Nachdem Ludwig XIV. Dünkirchen 1662 den Engländern abgekauft hatte, strebte er eine möglichst rasche Einverleibung der Stadt an; Französisch, das er zur Amtssprache bestimmte, sollte das Niederländische als allgemeine Verkehrssprache ersetzen. Diese Politik missglückte allerdings zuerst: auch gegen Ende des 17.  Jh. kannte Dünkirchen ein lebendiges niederländischsprachiges kulturelles Leben. Der aus Dünkirchen stammende Dichter Michiel de Swaen (1654–1707) wurde prince (vgl. 4.1.3.2.) der Kammer Sint-Michiel, 1688 erfolgte in der saele van Rhetorica die Aufführung seines Bühnenstückes De verheerlijckte Schoenlappers of de gecroonde Leersse (‚Die verherrlichten Schuhmacher oder der gekrönte Stiefel‘, vgl. 6.2.4.). Offenbar waren die Rhetoriker in den südlichen Regionen der Überzeugung, dass die Werke der grossen Dichter aus dem Norden Unterstützung bieten konnten beim Erhalt und der Pflege des Niederländischen an der südlichen und südwestlichen Peripherie des Sprachraumes. So bezeichnet De Swaen den soetvloeijenden Cats (‚den geschmeidigen Cats‘) und den hoogdravenden Vondel (‚erhabenen Vondel‘) als seine Beispiele. Bühnenstücke der bekannten nordniederländischen Schriftsteller, die auch in Buchform erhältlich waren, wurden in Dünkirchen gespielt. Allerdings beinhalten die Bestrebungen der ansässigen Bürger, die niederländische Kultursprache in ihrer Heimat zu pflegen, keine feindselige Haltung dem Französischen gegenüber. So sind sie Mitglied französisch-flämischer Rhetoriker-Kammern, die Kontakte mit ähnlichen Kammern in den spanischen Niederlanden unterhielten. Ein Dichter wie De Swaen bewunderte die französische Literatur, er übersetzte Stücke von Corneille und lobte diesen Dichter ebenso wie Molière und Despréaux. Übrigens ist unter der gebildeten Bevölkerung einer Stadt wie Dünkirchen nicht die Rede von einer uneingeschränkten Bewunderung für das Niederländische ihrer Stadt. So schreibt der Rhetoriker und Verleger Pieter Labius in einem Grabspruch zu De Swaen, er habe an einem Ort gelebt, wo die flämische Dichtkunst wenig gefallen konnte, wäre er in Antwerpen oder Holland geboren, so hätten sein Name und seine Werke ewig weitergelebt. Das Beispiel Dünkirchen dürfte zeigen, dass eine räumlich und zeitlich begründete Darstellung der Verbreitung des Niederländischen auf heterogenen Daten basiert, die nur zu arbiträren

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Bewertungen führen. Markiert die Einführung des Französischen als Amtssprache in der Stadt Dünkirchen hier das Ende des Niederländischen, ist die Beendigung produktiver Aktivitäten in niederländischer Sprache mit der Auflösung des lokalen niederländischen Kulturkreises am Anfang des 18. Jh. als entscheidend zu bewerten, oder gibt die negative Einstufung der lokal verwendeten Kultursprache den Ausschlag, soweit man vom alltäglichen Sprachgebrauch der Bürger absehen möchte? Auch für die Einschätzung der Verbreitung der niederländischen Kultursprache in östliche Richtung sind dialektologische Fragestellungen in der hier gewählten Beschreibungsperspektive auszuklammern. Gesprochene Sprachvarietäten beidseits der heutigen niederländisch-deutschen Staatsgrenze werden hier folglich nicht weiter erörtert. Wohl ist in diesem Rahmen die damalige Verbreitung von Formen des überregionalen Niederländischen im heutigen Deutschland zu erwähnen. Während die niederländische Schriftsprache sich in der frühen Neuzeit vom Westen aus herausgebildet hatte (vgl. 5.2.), etablierte sich weiter östlich das Hochdeutsche neben der niederdeutschen Verkehrssprache der hanseatischen Städte als Sprache des deutschen Reiches. Höchst komplexe weitere Entwicklungen führten einerseits zur Verbreitung des Niederländischen und des Deutschen in ihren jeweiligen Sprachgebieten, andererseits zum Abbau überregionaler Funktionen des Niederdeutschen. Die zunehmende Vereinheitlichung der niederländischen beziehungsweise der deutschen Schriftsprache bestätigen die noch im ersten Millennium entstandene Grenze zwischen den Schreibtraditionen der beiden Schwestersprachen, die von politischen Geschehnissen wie der Entstehung des burgundischen Reichskreises (vgl. 5.1.1.) zudem bekräftigt wurde. Teile des heutigen Kreises Kleve gehörten zu den Niederlanden, was sich noch heute in den lokalen Sprachvarietäten bemerkbar macht. Auch das Herzogtum Jülich zählte dazu. Erst nach der französischen Zeit wurde die niederländisch-deutsche Grenze westlich von diesen Gebieten gezogen. Als Verkehrssprache kam das Niederländische in Städten wie Emden, Bremen, Hamburg, Lübeck, Rostock, Stettin, Danzig oder Königsberg zum Einsatz, an den nördlichen Küsten Deutschlands wurde die Nachbarsprache im Handel und bei der Geschäftskorrespondenz gebraucht, im baltischen Raum benutzte man Niederländisch im Schiffs- und Transportwesen. Sodann verwendete man beim Unterricht der Navigation von der Mitte des 18. Jh. bis Anfang des 19. Jh. niederländische Fachbücher. Weiter kam das Niederländische in niederdeutschen Gegenden als Kultursprache auf der Bühne zum Einsatz. Reisende Theatergruppen führten in Norddeutschland Stücke in niederländischer Sprache auf. Der bis zum schwedischen Hof berühmt gewordene Schauspieler Jan Baptist van Fornenbergh, der in Den Haag die Theaterkultur belebt hatte, trat zwischen 1649 und 1654 auch in Norddeutschland auf. Die Zuschauer waren offenbar hier imstande, die niederländische Kultursprache zu rezipieren. Sodann ist die Verwendung des Niederländischen in den kalvinistischen Gebieten von Bentheim bis Ostfriesland zu nennen. Für nicht-lutherische Gläubige in niederdeutschen Gegenden war die Benutzung des Niederländischen nicht unnatürlich. Ihre Pfarrer waren häufig in den Niederlanden, namentlich an den Universitäten von Groningen, Kampen und Leiden ausgebildet. Es sind dies Beispiele von produktiven und rezeptiven Sprachhandlungen in niederländischer Sprache an der östlichen Peripherie des niederländischen Sprachgebietes. Nach dem Westfälischen Frieden 1648 sollte die Staatsgrenze allmählich mit der Ostgrenze des Gebietes, das vom Niederländischen überdacht wird, zusammenfallen.

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

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Durch die Geschäftstätigkeit im Rahmen der Hanse hatten das Niederländische und das Niederdeutsche im Mittelalter bereits Einfluss auf die nordgermanischen Sprachen genommen. In der frühen Neuzeit pflegte die Republik direkte Kontakte mit Schweden, insbesondere während der kulturellen und wirtschaftlichen Blütezeit Schwedens im 17. Jh. Von König Gustav II. Adolf eingeladene flämische Unternehmer wie Louys de Geer und Willem de Besche, die in die Republik geflüchtet waren, beteiligten sich im Norden am Geschäft mit Eisen und Waffen, Jacobus Trip begann Eisen und Kupfer abzubauen, niederländische Fachleute liessen sich in Schweden nieder. Mit Hilfe der Niederländer baute Gustav II. Adolf die Stadt Göteborg, die nach holländischem Muster mit grachten (‚Kanälen‘) ausgeschmückt wurde. In der ersten Stadtverwaltung wurden zehn Niederländer aufgenommen, Niederländisch wurde neben Schwedisch zur Amtssprache. Über 2000 niederländische Wörter in der schwedischen Sprache erinnern an diese Zeit (vgl. 5.4.3.4.). Mit den kriegerischen Auseinandersetzungen von 1655 bis 1660 in Skandinavien gingen diese intensiven Kontakte zwischen der Republik und Schweden zu Ende. Für die weitere Verbreitung des Niederländischen siehe 5.1.5.2., 6.1.1.2. und 6.1.2.2.

5.1.4. Glaubensstreit und Parteikämpfe (1609–1621) Nach ersten missratenen Friedensverhandlungen schloss Spanien mit seinen niederländischen Gegnern 1609 einen 12-jährigen Waffenstillstand, die Parteien behielten, was sie besassen. Das Intermezzo im Krieg war durch Parteikämpfe und einen Glaubensstreit unter den Protestanten gekennzeichnet. Die religiösen Auseinandersetzungen hatten mit einer theologischen Diskussion zwischen dem orthodoxen Franciscus Gomarus und dem liberalen Jacobus Arminius, Professoren der Theologie an der Universität Leiden, begonnen. Kontraremonstranten stritten sich als Anhänger von Gomarus’ Lehre mit Arminianern oder Remonstranten über die Prädestination. Der akademische Disput entwickelte sich bald zu einem politischen Streit mit Prinz Moritz von Oranien und Ratspensionär Von Oldenbarnevelt als Drahtzieher. Konflikte zwischen den Pfarrern wühlten die Bevölkerung auf, Kirchengemeinden spalteten sich ab, die einander bekämpfenden Parteien reichten Beschwerden in Form einer remonstrantie bzw. contraremonstrantie bei den holländischen Staaten ein. Eine im Jahre 1611 in Den Haag einberufene Konferenz vermochte die Opponenten nicht zu versöhnen. Die von den holländischen Staaten 1614 angenommene Resolution, die einen Kirchenfrieden vorsah – sie verbot eine Behandlung der Probleme auf der Kanzel, lehnte aber die Lehre der Remonstranten nicht eindeutig ab – entrüstete die Kontraremonstranten. In mehreren Städten brachen Unruhen aus, Prinz Moritz ergriff durch seine Teilnahme an einem Gottesdienst der Kontraremonstranten 1617 öffentlich Partei. Van Oldenbarnevelt unterstützte die städtischen Regenten in ihren Bestrebungen, eigene Truppen zur Wiederherstellung der Ruhe in Dienst zu nehmen, was Moritz als kapitein-generaal (‚Befehlshaber‘) der Armee missfiel. Der Oranier setzte daraufhin Regenten, die auf der Seite Van Oldenbarnevelts standen, ab und entliess die von ihnen angeheuerten Soldaten. Die Generalstaaten entschieden schliess-

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lich, eine allgemeine Kirchenversammlung, die Synode von Dordrecht 1618, einzuberufen und Moritz ausserordentliche Vollmachten zu verleihen. Die Synode legte mit einem Glaubensbekenntnis und einem Katechismus die Lehre fest, die Remonstranten wurden bald von der Versammlung ausgeschlossen, die Bibel sollte neu aus den ursprünglichen Sprachen übersetzt werden. Diese Statenbijbel, die 1637 erschien, sollte die Entwicklung des Neuniederländischen mit prägen. Nach einem Prozess vor einem speziellen Gericht der Generalitätsländer wurde Van Oldenbarnevelt wegen seiner Resolution zum Anheuern von Soldaten durch die städtischen Regenten und wegen der Versuche, sich militärisch zur Wehr zu setzen, zum Tode verurteilt. Moritz verhinderte die Enthauptung des 89-jährigen Staatsmannes, der auf ein Gnadengesuch verzichtet hatte, 1619 in Den Haag nicht. Die Empörung unter Teilen der Bevölkerung war gross, Vondel verurteilte die Geschehnisse in mehreren satirischen Gedichten, später, 1657, nochmals in seinem bissigen Het Stockske van Joan van Oldenbarnevelt, Vader des Vaderlants. Das Protokoll der Stände Hollands hält zur Enthauptung Van Oldenbarnevelts fest: Die staet siet toe dat hij niet en valle (‚Wer steht beachte, dass er nicht stürze‘), es sollten geflügelte Worte werden. 5.1.4.1. Handel, Seefahrt Handel und Seefahrt bestimmten nach wie vor das Wirtschaftsleben in den Niederlanden. Zu Anfang der Neuzeit war Antwerpen mit seinen mehr als 100.000 Einwohnern zum bedeutendsten Handelszentrum im Deltagebiet angewachsen. Hier trieben die Kaufleute, Einheimische wie zunftartig organisierte Immigranten aus Ländern wie England und Portugal, nicht nur Handel mit Waren aus Skandinavien, Deutschland und England, sondern auch mit Produkten anderer Kontinente. Flämischen Städten wie Gent und Ypern, die mit ihrem Tuchgewerbe arg unter der englischen Konkurrenz zu leiden hatten, ging es dagegen weniger gut. Brügge, einst ein bedeutender europäischer Marktplatz, blieb nach der Versandung des Zwin wirtschaftlich auf der Strecke. Die Unruhen und Kriegshandlungen nach dem Rücktritt Karls V. bewirkten zudem einen Rückgang des Handels und des Gewerbes in Antwerpen und Umgebung. Die Herstellung von Textilwaren brach ab. Auch andere Städte erlebten wirtschaftliche Rückschläge, so anfänglich auch die alte Tuchindustrie in Leiden. Obschon nicht alle Wirtschaftszweige in Mitleidenschaft gezogen wurden, verliessen viele Zehntausende die Niederlande. Während auch die hanseatischen Städte an der IJssel an Geschäftigkeit eingebüsst hatten, gewann Amsterdam im 16. Jh. vor allem dank Geschäften mit Skandinavien, England und Ländern im Süden Europas wirtschaftlich an Bedeutung. Zudem brachte der lebensnotwendige Handel mit dem Feind, wofür es offizielle Lizenzen, eine Art Zoll benötigte, Auftrieb. Zum Aufschwung trugen nicht nur portugiesische Sepharden bei, die in den Neunzigerjahren gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, sondern auch Immigranten aus den südlichen Provinzen, zudem Hugenotten sowie später auch jüdische Flüchtlinge aus dem Osten. Für geflüchtete Kaufleute mit internationalen Kontakten, wie Louis de Geer, der als Industrieller später Schwedens Industrie aufbaute, oder Isaac Lemaire, dessen Tätigkeit bei der VOC zur Entdeckung Kap Hoorns führte, bot die steigende Konjunktur in den nördlichen Provinzen neue Chancen. Auch ein flämischer Kontraremonstrant wie Petrus Plancius fand in Amsterdam als Pfarrer und Geograf vielseitige Aufgaben,

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indem er nicht nur in seinen Predigten die Lehre Luthers bekämpfte, sondern auch im Dienste der VOC Seekarten anfertigte, Steuermänner unterrichtete und an der Statenvertaling mitwirkte. In einem staatlichen Gebilde ohne einen zentralistischen Fürsten gewannen die Städte in den nördlichen Niederlanden wirtschaftlich und kulturell rasch an Bedeutung. Die Zahl der Einwohner Amsterdams, die um 1600 vermutlich etwa 50.000 betrug, vervierfachte sich in einem halben Jahrhundert, die Hälfte der gesamten Geschäftstätigkeit in den Niederlanden ballte sich dann hier zusammen. Als die Spanier in den Häfen des von ihnen besetzten Portugal holländische Schiffe beschlagnahmten, fingen die Unternehmer an, selbst Produkte aus Asien zu holen. Dazu erkundeten die Niederländer die bereits bekannte, von den Portugiesen benutzte Route, die Jan Huygen van Linschoten inzwischen beschrieben hatte. Schiffsführer Jan Molenaar und Kaufmann Cornelis de Houtman fuhren als Erste 1595 mit einer Flotte von vier Schiffen nach Bantam und Bali. Die von Zwischenfällen und Missgeschicken überschattete Fahrt, von den 249 Besatzungsmitgliedern erreichten 1598 nur 87 ihre Heimat, leitete die niederländische Vormachtstellung in Asien ein. Innerhalb von fünf Jahren segelten über sechzig niederländische Schiffe nach Asien, um Waren zu holen. Holland übernahm bald den grössten Teil des einträglichen Gewürzhandels von den Portugiesen. Viele Dutzende niederländische Wörter und Phraseologismen zeugen vom Alltag der Seeleute und ihrer Schiffe, vom Stapellauf bis zum Untergang des Bootes, von der Abreise bis zur Ankunft. Einige davon stammen aus der frühen Neuzeit, die meisten Belege sind jünger: tussen wal en schip vallen (‚sich zwischen zwei Stühle setzen‘), de boot missen (‚den Zug verpassen‘), uit de boot vallen (‚aus dem Rennen sein‘), grootscheeps (‚gross angelegt‘), de boot afhouden (‚sich drücken‘), iemand in de boot nemen (‚jemanden hochnehmen‘), met iemand in zee gaan (‚den Sprung ins Ungewisse wagen‘), van wal steken (‚loslegen‘), recht door zee (‚ehrlich‘), iets voor de boeg hebben (‚etwas vorhaben‘), alle zeilen bijzetten (‚sich kräftig einsetzen‘), een oogje in het zeil houden (‚etwas im Auge behalten‘), het gaat iemand voor de wind (‚es geht jemandem ausgezeichnet‘), iemand de wind uit de zeilen nemen (‚jemandem den Wind aus den Segeln nehmen‘), ruimschoots (‚reichlich‘), in het kielzog van (‚im Sog des‘), met vlag en wimpel (‚mit Glanz und Gloria‘), die vlag dekt de lading niet (‚der Name deckt die Sache nicht‘), onder valse vlag varen (‚unter falscher Flagge segeln‘), iemand de loef afsteken (‚jemanden ausstechen‘), in iemands vaarwater zitten (‚in jemands Fahrwasser sein‘), bakzeil halen (‚klein beigeben‘), iemand op sleeptouw nemen (‚jemanden ins Schlepptau nehmen‘). Die Seefahrt förderte die Geschäftigkeit der Werften, Reeperbahnen und Sägereien, die in vielen Städten zu finden waren. Das benötigte Holz, das aus Skandinavien und Deutschland eingeführt wurde, sägte man mit vom Wind angetriebenen Mühlen. So waren um 1630 am Zaan-Fluss bereits über fünfzig solcher Mühlen in Betrieb. Gegen Ende des Jahrhunderts zählte die Holzindustrie in der Gegend Zaandams über 250 maschinelle Sägereien. Holländische Schiffe waren gefragt, ausländische Bestellungen, u.a. des französischen Königs oder von Kunden aus Venedig, waren keine Ausnahme. Kartografen wie der Antwerpener Abraham Ortelius (1527–1598), der als Erster Karten in Buchform herausgab, oder der Flame Gerardus Mercator (1512–1594), der am Duisburger akademischen Gymnasium lehrte und 1569 seine berühmte Weltkarte herstellte, fertigten Karten, Atlanten und Globen an. Plantijn veröffentlichte 1584/85 zu Leiden Seekarten mit dem Titel Spieghel der Zeevaerdt (‚Spiegel der Seefahrt‘), bei Willem Jansz. Blaeu (1571–1638) erschienen in Amsterdam

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1608 Seekarten. Jodocus Hondius besorgte Neuausgaben der Karten Mercators, auch andere Drucker, u.a. Johannes Janssonius legten die neuesten geografischen Erkenntnisse in ihren Seekarten fest. Höhepunkt der niederländischen Kartografie war wohl Joan Blaeus Atlas Maior (vgl. 5.1.2.2.). Versuche, eine Nord-Ost- oder Nord-West-Passage zu finden, die nicht von Spanien oder Portugal kontrolliert wurde, scheiterten. Die Expedition von Jacob van Heemskerk und Willem Barentsz blieb 1596 im Packeis Nova Zemblas (‚Nowaja Semljas‘) stecken. Die Besatzung musste im aus Treibholz gebauten Haus, het behouden huis (‚das unbeschädigte Haus‘) überwintern, wie dem Tagebuch des Schiffszimmermanns Gerrit de Veer zu entnehmen ist. Die Überlebenden kehrten im Frühling mit einer Schaluppe in die bewohnte Welt zurück, der Skipper starb aber unterwegs, zwölf Mann erreichten schliesslich die Halbinsel Kola. Barentsz’ Unternehmen regte zum Walfang an, das gewinnbringende Walfang-Monopol der Noordelijke Compagnie (‚Nördliche Kompanie‘) mit der Niederlassung Smeerenburg bei Spitzbergen verursachte im Übrigen bereits Mitte des 17. Jh. fast die Ausrottung des Grönlandwals. Im Dienste der VOC (vgl. 5.1.4.2.) suchte Henry Hudson 1609 zwar vergebens die Nord-West-Passage nach Asien, er entdeckte aber den nach ihm genannten Fluss, wo die Siedlung Nieuw Nederland entstand, dessen Zentrum, Nieuw Amsterdam, das spätere New York, vom internationalen Handel lebte. Nach den Portugiesen und Engländern fuhren auch die Niederländer um Südamerika herum nach Asien. Olivier van Noort umsegelte auf dieser Route 1598–1601 die Welt. Willem Jansz. erreichte fünf Jahre später mit seinem Schiff Duyfken (‚Täubchen‘) die Küste Australiens, 1609 baten die Niederländer um Zugang zu den japanischen Häfen. Die Geschäfte mit dem Kaiserreich liefen zuerst über die Handelsniederlassung Hirado, später über die Handelsstation auf der künstlichen Insel Dejima. Nach Ausweisung der Spanier und Portugiesen sollte diese niederländische Niederlassung bis 1853 die einzige Verbindung zwischen Japan und der westlichen Welt bilden. Vereinzelte niederländische Lehnwörter im Japanischen, wie porudan, ndl. polder (‚Polder‘) und biiru, ndl. bier (‚Bier‘) erinnern an diese Zeit. Trotz strikter Überwachung der Japaner, von den Niederländern als dwarskijkers (‚Spitzel‘) bezeichnet, gelangten Zeugnisse japanischer Kultur in den Westen. Umgekehrt erreichten über diesen Weg Bücher, Instrumente und Informationen aus dem Westen das abgeschirmte Reich. Der Aufschwung der rangaku, Hollandkunde, sollte die Modernisierung Japans nach 1868 erleichtern. Um grosse Unternehmen wie die Schifffahrt nach anderen Kontinenten zu finanzieren und die Risiken zu verteilen, entstanden Aktiengesellschaften in den Niederlanden. Mehrere noch gängige Ausdrücke bringen den holländischen Unternehmergeist dieser Zeit in Erinnerung. So sollte man zusammenarbeiten, denn eendracht maakt macht (‚Einmütigkeit gibt Macht‘), wie die Devise der Generalstaaten lautete: Concordia res parvae crescunt. Weiter galt es möglichst viel Kapital zusammenzubringen, botje bij botje leggen (‚zusammenlegen‘), um zu investieren, bevor man Gewinne einholen konnte: de kost gaat voor de baat uit (‚Die Kosten kommen vor dem Gewinn‘) und de tering naar de nering zetten (‚seine Ausgabe nach der Einnahme richten‘). 5.1.4.2. Handelsmonopole, Niederlassungen, Kolonien Um die mörderische Konkurrenz zwischen den kaufmännischen Gesellschaften zu unterbinden, bewegte Van Oldenbarnevelt die Unternehmer zur Zusammenarbeit. So entstand 1602 die

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Verenigde Oostindische Compagnie (Niederländische Ostindien-Kompanie) oder VOC, die erste Aktiengesellschaft der Niederlande. Sie erhielt von den Generalstaaten nicht nur das Handelsmonopol für die Gebiete östlich des Kaps der Guten Hoffnung und westlich der MagellanStrasse, sondern auch Hoheitsrechte, die es erlaubten, Krieg zu führen, Festungen zu bauen und Land zu erwerben. Die föderal strukturierte Gesellschaft richtete an strategisch bedeutenden Lagen im asiatischen Raum Handelsniederlassungen ein, so in Persien (Iran), Bengalen (Bang­ ladesch), Ceylon (Sri Lanka), Formosa (Taiwan), an der südindischen Küste und in Kapstadt, wodurch sie u.a. die Gewürzroute von Hinterindien nach Europa kontrollieren konnte.

Abb. 13:  Handelsmonopol der VOC (vgl. Bosatlas 237).

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Als die unterlegenen Portugiesen 1605 den Niederländern Ambon kampflos übergeben mussten, erhielt die VOC die Vormachtstellung auf den für den Anbau von Gewürzen so wichtigen Molukken. Auf Java richtete die VOC zuerst Jayakatra zu einem zentralen Handelsplatz ein. Nach Auseinandersetzungen mit der englischen East India Compagny oder EIC und mit den lokalen Herrschern beendete der vierte Generalgouverneur Niederländisch-Ostindiens, Jan Pietersz. Coen, die Belagerung des von den Niederländern errichteten Forts. Er zerstörte Jayakatra, vertrieb die Bevölkerung und gründete Batavia, das heutige Jakarta. Die planmässig angelegte Stadt, wo Kirchen, Hospitäler und Warenlager genauso zu finden waren wie ein Heim für Waisen oder ein Rathaus, entwickelte sich zum Hauptsitz der VOC. Von dieser schwer bewaffneten Befestigungsanlage aus, sie war Standort der mächtigsten niederländischen Garnison im Archipel, lenkte die ‚Hohe Regierung‘ die Geschäfte der VOC in Asien. Bei der Eroberung der Banda-Insel 1621 liess Coen einen grösseren Teil der ursprünglichen Bevölkerung umbringen, um die niederländische Gewalt durchzusetzen. Mit seinem rücksichtslosen Durchgreifen im Archipel trug Coen zur Festigung der niederländischen Kolonialherrschaft in Asien bei. Der Wahlspruch Dispereert niet, ontziet uw vijanden niet, want God is met ons (,Verzweifelt nicht, schont Eure Feinde nicht, denn Gott ist mit uns‘) des heute mehr als früher umstrittenen Haudegens ist im Übrigen in seiner Heimat lange beliebt gewesen. So schloss Königin Wilhelmina am 14. Mai 1940 von ihrem englischen Exil aus ihre Radio-Ansprache an das niederländische Volk im von Deutschland besetzten Gebiet mit Coens Worten ab. Die Eroberung Malakkas folgte 1641, am Kap der Guten Hoffnung baute die Gesellschaft 1652 eine Schiffsstation, sodann festigte die VOC ihre Gewalt in Südsumatra und Makassar (Südsulawesi). Es entstanden weitere Gouvernements wie Ambon, Banda, Makassar, Malakka, Ternate, Semarang und Colombo. Zur Förderung des ertragreichen Handels mit Muskat baute die VOC die begehrten Nüsse auf den Plantagen der Banda-Inseln mit Hilfe von asiatischen Sklaven an. Um ihr Monopol mit diesem Gewürz durchsetzen zu können, holzte sie darauf sämtliche Muskatnussbäume auf den übrigen Inseln ab. Durch die Vertreibung der Portugiesen aus Ceylon kam dann der Handel mit Zimt in die Hände der niederländischen Gesellschaft. Anbau und Vertrieb von Produkten wie Muskat, Pfeffer, Gewürznelken und Zimt, später auch von Kaffee und Tee gingen immer wieder auf Kosten der einheimischen Bevölkerung, brachten aber den Aktionären hohe Gewinne ein. So verkaufte die VOC Muskatnüsse mit einem Preisaufschlag von 8.000 Prozent. Allein mit dem Handel mit Gewürznelken, die für das Zehnfache des Kostenpreises Käufer fanden, fuhr die Gesellschaft jährlich einen Gewinn von mehr als einer Million Gulden ein. Das Wort peperduur (‚pfefferteuer‘, d. h. ,so teuer wie Pfeffer‘) bringt noch heute zum Ausdruck, zu welch hohen Preisen das Monopol der VOC führte. Erst gegen Ende des 17.  Jh. begann die Gesellschaft Kaffee anzubauen und zu handeln. Dass die Kolonialherren, häufig in Zusammenarbeit mit den lokalen Fürsten, die einheimische Bevölkerung für ihre Zwecke hemmungslos ausnützten, sollte Multatuli Jahrhunderte später in seinem 1860 veröffentlichten Max Havelaar of de koffij-veilingen der Nederlandsche Handel-Maatschappij, dem am häufigsten übersetzten, meistverkauften literarischen Werk der Niederlande, an den Pranger stellen.

VIIa  Jan Havickszoon Steen (1626–1679), Der gekrönte Redner, zirka 1660, Alte Pinakothek, München.

VIIb  Jan Havickszoon Steen (1626–1679), Die Knaben- und Mädchenschule, zirka 1670, National Galleries of Scotland, Edinburgh.

VIII, IX  Pieter Bruegel der Ältere (zirka 1525/30–1569), Die niederländischen Sprichwörter, 1559, ­Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin.

X  Jan Cornelisz. Woudanus (1570–1615), Bibliothek Universität Leiden, 1610.

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Während zwei Jahrhunderten transportierten über 4.700 Schiffe der VOC Waren vom Vaterland nach Niederländisch-Ostindien und zurück, sie beförderten zudem über eine Million Menschen. Sodann beherrschte die VOC den innerasiatischen Warenverkehr. Chinesische Geschäftsbeziehungen führten beispielsweise zum Handel mit Seide, Porzellan und Keramik. Nach dem vierten Englisch-Niederländischen Krieg (1780–1782) geriet die Gesellschaft, die schon immer unter Misswirtschaft zu leiden hatte, in ernste finanzielle Schwierigkeiten, 1798 wurde sie liquidiert. Der geläufige Ausdruck VOC-mentaliteit (‚Mentalität der Niederländischen Ostindien-Kompanie‘), der je nach Kontext und politischer Gesinnung im Sprachgebrauch sowohl negativ als positiv besetzt sein kann, erinnert noch heute an die Tätigkeit der VOC. Die Niederländische Westindische Gesellschaft, WIC, 1621 gegründet, hatte das Handelsmonopol für die westliche Hemisphäre, benutzte dies aber insbesondere zum Kapern feindlicher Schiffe. So erbeutete Piet Heyn 1628 eine spanische Flotte, die Edelmetalle von Südamerika nach Spanien transportierte, eine Tat, die seinen Namen verewigen sollte im allgemein bekannten Volkslied Piet Heyn, Piet Heyn, Zijn naam is klein, Zijn daden benne groot, Hij heeft gewonnen de Zilveren Vloot (‚Piet Heyn, Piet Heyn, sein Name ist klein, seine Taten sind gross, er hat die Silberflotte erobert‘). Es gelang dem WIC nicht, die in Brasilien gegründete Kolonie, die Johan Maurits van Nassau mit viel Aufwand als Gouverneur verwaltet hatte, zu halten. Die Portugiesen eroberten nach ihrer Unabhängigkeit ihre ehemalige Kolonie zurück, die Niederländer zogen sich 1661 aus diesem Gebiet zurück. Nach Hudsons Fahrt zur Ostküste Nordamerikas 1609 gründeten die Niederländer 1624 an der Mündung des nach dem englischen Seefahrer genannten Flusses die Kolonie Nieuw Nederland (‚Neu-Niederland‘). Die Hauptstadt Nieuw Amsterdam (‚Neues Amsterdam‘) wurde zu einem Zufluchtsort für Menschen unterschiedlichster Nationalitäten und Religionen. Quäker waren hier genauso willkommen wie Römisch-Katholiken, Kalvinisten, Lutheraner, wie später auch einige aus dem von den Portugiesen eroberten niederländisch Brasilien geflüchtete Juden. Der in Wesel geborene Geschäftsmann Peter Minuit baute die Kolonie weiter aus, möglicherweise handelte er das Tauschgeschäft mit der einheimischen Bevölkerung aus, die Manna hatta (‚hüglige Insel‘, Manhattan) für Waren im Wert von 60 Gulden abzutreten, ein Geschäft, das wohl nur das Recht auf gemeinsame Benützung des Gebietes beinhaltete. Lingua franca in diesem Schmelztiegel war das Niederländische, das auch in den Dokumenten jener Zeit zur Anwendung kam. Namen wie Brooklyn (= Breukelen, ein Ort nördlich von Utrecht), Staten Island (= Staaten Eiland, ‚Staaten-Insel‘), Harlem (= Haarlem), Rhode Island (= Roode Eylandt, ‚Rote Insel‘), Cape May (= Kaap May, ‚Kap Mai‘) oder Greenwich Village (= Groenwijck), die in niederländischer Sprache auf der berühmten Jansson-Visscher-Karte von 1650 vermerkt sind, erinnern an diese Epoche. Es gelang der WIC kaum, holländische Siedler für die Kolonie zu begeistern, schliesslich eroberten die Briten 1664 das Gebiet, die Stadt Nieuw Amsterdam tauften sie in New York um. Niederländisch sollte in mehreren Kreisen noch bis ins 18. Jh. gesprochen werden (vgl. 5.1.3.2.).

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5.1.5. Ende der Kämpfe, Frieden in der Republik und in den Österreichischen Niederlanden (1621–1648) Vermehrt hatte die Republik sich in internationale Auseinandersetzungen eingemischt. So eroberte Moritz das Herzogtum Jülich, um eine Erweiterung der habsburgischen Macht an der Ostgrenze zu verhindern. Die Republik schloss mit den Schweden einen Vertrag, um einer Annäherung der Dänen an Spanien entgegenzutreten, und verband sich 1616 mit zehn hanseatischen Städten. Obschon Moritz und sein Bruder Friedrich Heinrich gegen Wesel und Köln militärisch einschritten, verwickelte sich die Republik nicht unmittelbar in den Dreissigjährigen Krieg. Frankreich versprach den Niederlanden vertraglich finanzielle Unterstützung im Kampf gegen Spanien. Der Vertrag mit Karl I. von England 1625 sah vor, dem Winterkönig Friedrich, der Unterschlupf im ‚Huis ten Bosch‘ in Den Haag erhalten hatte, zu helfen, seine Gebiete in der Pfalz zurückzuerhalten. Diese internationalen Tätigkeiten bestätigen, dass die aufständischen Provinzen sich zu einer von den anderen europäischen Mächten anerkannten Republik entwickelt hatten. Nach Moritz’ Tod wählten die Provinzen, mit Ausnahme von Friesland und Groningen, seinen Halbbruder Friedrich Heinrich 1625 zum Nachfolger. Constantijn Huygens, Sekretär der Prinzen von Oranien und Renaissance-Dichter par excellence, dichtete zur Ablösung des ‚Kapitäns des Schiffes der sieben Provinzen‘ das allegorische Gedicht Scheepspraet. Auch diesem Oranier gelang es, als ‚stededwinger‘ – ,Städte-Bezwinger‘ – mehrere Städte und Festungen der Spanier zu erobern: 1627 Groenlo, 1629 ’s-Hertogenbosch, 1632 Maastricht, nachdem Venlo und Roermond sich ergeben hatten, 1633 Rijnberk, 1637 Breda. Venlo und Roermond fielen wieder in spanische Hände, schliesslich 1641 auch Sas van Gent. Vorher hatte die Republik mit Frankreich vereinbart, die südlichen Provinzen von der Sprachgrenze ausgehend unter sich zu verteilen. Zwar wurde der Herzog von Savoyen 1635 geschlagen, Löwen verteidigte sich jedoch mit Erfolg gegen die Belagerung, der erwartete Aufstand der Bevölkerung blieb aus, zudem missglückte 1638 die Eroberung Antwerpens. Noch einmal schickte Spanien 1639 eine Armada mit 20.000 Mann an Bord in den Norden, um die Niederlande in seine Gewalt zu bringen. Admiral Tromp, der den Gegner zuerst mit einer zu kleinen Flotte im Ärmelkanal angegriffen hatte, vernichtete die spanischen Schiffe, nachdem Verstärkung eingetroffen war, in englischen Gewässern, trotz Protest des englischen Königs Karl I. Ein Jahr später gelang es den Franzosen, die den Süden nach wie vor bedrohten, Atrecht zu erobern. 1646 nahmen sie weitere Städte ein, u.a. Dünkirchen und Kortrijk. Die südlichen Provinzen, die nicht nur Frankreich, sondern auch die Republik zu fürchten hatten, verlangten nach Frieden. Auch Amsterdam und Holland waren kriegsmüde. Nach ersten Verhandlungen in Hamburg, 1641, entschieden die in den Dreissig- und Achtzigjährigen Krieg verwickelten Parteien, Friedensverhandlungen in Osnabrück und Münster aufzunehmen. Sie mündeten in einen Friedensvertrag, den Spanien und die niederländische Republik am 30. Januar 1648 zu Münster unterschrieben. Der deutsche Kaiser bekräftigte diesen am 24. Oktober des gleichen Jahres, als der Westfälische Frieden geschlossen wurde, der dem Dreissigjährigen Krieg ein Ende setzte. Die ‚Vereinigten Niederlande‘ wurden von Spanien als freie und souveräne Länder anerkannt, jede Partei sollte jene Gebiete behalten, die sie in Besitz hatte, was auch für Asien galt. Antwer-

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Abb. 14:  Die Republik im Jahre 1648 (vgl. Bosatlas 227).

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pens Lebensnerv, der Schelde-Fluss, sowie andere Gewässer im Süden blieben gesperrt, bei der Ausübung der Religion wurde ein ‚sittliches Verhalten‘ vereinbart. Prinz Wilhelm II., Sohn Friedrich Heinrichs, der 1641 Maria Stuart, Tochter Karl I. geheiratet hatte, folgte auf seinen Vater, der 1647 gestorben war. Die Oranier sollten von nun an ihre Politik auch auf die Interessen ihrer englischen Verwandten abstimmen. 5.1.5.1. Die Republik als Refugium und als Reiseziel Trotz interner Zwiste und kriegerischer Auseinandersetzungen mit Spanien, England, Schweden, später auch mit Köln, Münster und Frankreich stabilisierte sich die Republik politisch, zudem kannte sie im Vergleich zu anderen europäischen Staaten Perioden von bemerkenswerter Geistesfreiheit. Verfolgte aus den unterschiedlichsten Teilen Europas suchten in den Niederlanden immer wieder Unterschlupf. So fanden hier ab 1492 portugiesische Flüchtlinge ein Refugium, als sie infolge des Gesetzes zur Vertreibung der Sephardisten die iberische Halbinsel verlassen mussten. Der bekannteste Nachkomme portugiesischer Einwanderer, deren Rechte im Übrigen zum Teil eingeschränkt wurden, ist der Philosoph und Bibelkritiker Baruch de Spinoza. Auch Isaäc da Costa, einer der Begründer der orthodox-christlichen Bewegung Het Réveil im 19. Jh., gehört zu ihren Nachfahren. Unter den vielen Tausenden Immigranten, die die südlichen Niederlande in Zeiten des Krieges und der Verfolgung verlassen hatten, eine grosse Gruppe Bürger flüchtete nach der Eroberung Antwerpens durch die Spanier 1585 (siehe 5.1.3.), befanden sich nicht nur zahlreiche Kaufleute und Unternehmer wie der Mitbegründer der WIC Willem Usselincx, Lemaire (vgl. 5.1.4.1.) oder der Geschäftsmann und Industrielle Louis de Geer, sondern auch Maler, so Frans Hals und Karel van Mander, weiter Gelehrte und Humanisten wie Simon Stevin (vgl. 5.1.2.1.), der Theologe und Astronom Petrus Plancius (vgl. 5.1.4.1.), der Theologe, Bibelübersetzer und Dichter Philips van Marnix, Herr van St. Aldegonde, der Rechtsphilosoph und Philologe Justus Lipsius, der Humanist und erste Herausgeber der gotischen Bibeltexte des Codex Argenteus Bonaventura Vulcanius, der Gelehrte Victor Giselinus, Freund Dousas oder der Dichter und Humanist Junus Lernutius. Zuvor hatten sich der Drucker und Verleger Christoffel Plantijn sowie Loys Elsevier, Buchbinder, Buchhändler und Verleger, in Leiden niedergelassen. Joost van Vondels Familie stammte aus Antwerpen. Die um ihren Glauben verfolgten Eltern des ‚Prinzen‘ der niederländischen Renaissance- und Barock-Literatur flohen über Köln in die Republik. Später liessen sich nach der Widerrufung des Ediktes von Nantes 1685 vermehrt Hugenotten in den Niederlanden nieder, nur schon Amsterdam beheimatete dann 12.000 Protestanten aus Frankreich, das sind 7 % der Stadtbevölkerung. Mehrere von ihnen waren als Herausgeber tätig, ein Drittel der etwa 230 Verlage in den Niederlanden sollten Hugenotten gehören. Die nach dem Süden Afrikas ausgewanderten französischen Flüchtlinge, die von den ansässigen niederländischen Herrschern über das Gebiet zerstreut wurden, bilden ein Fünftel der Afrikaner (vgl. 6.1.1.1. und 6.1.1.2.). Abgesehen von den Flüchtlingen, die sich in der Republik niederliessen, und den vielen Tausenden Arbeitsmigranten aus ganz Europa, die hier als Taglöhner ihr Glück suchten, zog es Gelehrte und Dichter für kürzere oder längere Aufenthalte in die Republik, so eine grössere

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

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Zahl deutscher Professoren, die dem Ruf in die Niederlande gefolgt waren. Sodann lebte der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes, der u.a. Constantijn Huygens zu seinen Freunden zählte, fast zwei Jahrzehnte in den Niederlanden, wo er ungehindert seine bedeutendsten Werke verfassen konnte. Zuvor hatte er im Heer Moritz von Nassaus mit den Anwendungen mathematischer Prinzipien des Ingenieurs und Architekten von Verteidigungsanlagen Simon Stevin Bekanntschaft gemacht. Weiter verbrachte John Locke, Bewunderer Descartes’, Hauptvertreter des Empirismus und Wegbereiter der Aufklärung, längere Zeit in der Republik. Hier schloss er sich verbannten Engländern an und beriet Wilhelm III. bei seinem erfolgreichen Versuch, Jacobus II. vom Thron zu vertreiben (siehe 6.1.2.). Dann kam der Theologe und Pädagoge Jan Amos Comenius auf Einladung des vermögenden Louis de Geer einige Male in die Niederlande. In Amsterdam fand der vom Schicksal heimgesuchte Protestant aus Böhmen die Gelegenheit, seine wegweisenden didaktischen Werke zu verfassen. Ausserdem besuchten fast alle deutschen Dichter aus der Zeit des Barocks die Niederlande. Martin Opitz (1597–1639) hatte bereits vor seinem Besuch in Leiden Daniël Heinsius’ LofSanck Van Iesus Christus als Lobgesang Jesu Christi ins Deutsche übertragen. Während seines Aufenthaltes als Hauslehrer in den Niederlanden schloss er mit dem von ihm so bewunderten Universitätslehrer und Dichter Freundschaft. Die dichtungstheoretischen Ausführungen in seinem Buch von der Deutschen Poeterey 1624 sind von der Arbeit Joseph Justus Scaligers, der zuvor auf Drängen der Universität in Leiden tätig gewesen war, von dessen bevorzugtem Schüler Heinsius sowie von der niederländischen Metrik und Lyrik dieser Zeit geprägt. Der bedeutende Lyriker des deutschen Barock Paul Fleming (1609–1640), der wiederum Opitz’ Buch als Leitstern für seine Dichtung betrachtete, verbrachte einen Studienaufenthalt in Leiden, den er mit dem medizinischen Doktorat abschloss. Weiter machten der deutsche Dichter Zacharias Lund (1608–1667) aus Dänemark, der Verfasser von geistlichen und weltlichen Liedern Robert Roberthin (1600–1648) und der Dichter Athanasius Kircher (1602–1680) Bildungsreisen in die Republik. Zu den schlesischen Dichtern, die in die Niederlande fuhren, zählen Abraham von Franckenberg (1593–1652), der einige Zeit Hauslehrer bei einer holländischen Familie war, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616–1679), der in Leiden studierte, Daniel Casper von Lohenstein (1635–1683), bedeutender Vertreter der zweiten Schlesischen Dichterschule wie auch sein Freund Hans Assmann Freiherr von Abschatz (1646–1699). Weiter verblieben in den Niederlanden Johann Peter Titz (1619–1689), Bewunderer und Nachfolger Opitz’, Quirinus Kuhlmann (1651–1689), Verfasser mystischer Poesie, Friedrich Rudolph von Canitz (1654–1699), der Gedichte und Satiren schrieb, Christian Knorr von Rosenroth (1636–1689), Dichter und Schriftsteller, wie auch der Schriftsteller und Übersetzer Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658). Sodann verbrachte der Dichter und Dramatiker Andreas Gryphius (1616–1664) sechs Jahre seiner Studienzeit in den Niederlanden. In Leiden veröffentlichte er fünf Gedichtsammlungen, auch übersetzte er 1641 oder 1642 Vondels Gebroeders unter dem Titel Sieben Brüder oder die Gibeoniter ‚getreu‘ ins Deutsche. Die vielen Regieanweisungen in Gryphius’ Übertragung lassen annehmen, dass er einer der Vorstellungen der Tragödie, die während seines Verbleibs in den Niederlanden von 1638 bis 1644 einundzwanzig Mal aufgeführt wurde, beigewohnt hat.

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Mit seinem Gebroeders schuf Vondel erstmals eine Tragödie nach griechischem Muster mit biblischem Inhalt. Er löste damit nicht nur die Bewunderung seiner Zeitgenossen aus, Vossius folgerte, Vondel schreibe für die Ewigkeit, sondern er beeinflusste auch Gryphius’ Entwicklung als Dramatiker und damit das deutsche Barock-Theater. Vondel pflegte mit deutschen Immigranten Kontakte. So lernte er den deutschen Schriftsteller und Dichter Philipp von Zesen (1619–1689) kennen, der zunächst in den Vierzigerjahren in Amsterdam, Leiden und Utrecht als Übersetzer und Verlagskorrektor tätig war. Später, ab 1656, wohnte der deutsche Autor in Amsterdam, wo er eingebürgert wurde und für den Verlag Elsevier arbeitete. Vondel trat dann der Deutschgesinnten Genossenschaft bei, die wohl dank seines guten Bekannten Von Zesen 1643 in Hamburg entstanden war. Als hundertstes Mitglied erhielt ,Joost van Vondel aus Köln am Rhein, ein niederdeutscher Dichtmeister‘ nicht ohne Grund den Beinamen der Fundreiche. Bei den Kontakten zwischen Humanisten, Gelehrten und Dichtern in der frühen Neuzeit handelt es sich um einen europäischen Austausch des humanistischen, wissenschaftlichen Gedankengutes, der sowohl durch gegenseitige Besuche wie durch Korrespondenzen erfolgte. Die hier gewählten Beispiele ausländischer Gäste in den Niederlanden, die nur einen Bruchteil der internationalen intellektuellen Beziehungen bilden, sollen in diesem Rahmen lediglich das geistige Umfeld in der Republik näher kennzeichnen, in dem sich das Niederländische entwickelte. 5.1.5.2. Das Niederländische in Asien während der Zeit der VOC Anfänglich versuchte die VOC das Niederländische in den von ihr verwalteten Gebieten allgemein einzuführen, wie der Arbeit von Forschern wie K. Groeneboer zu entnehmen ist. So bekundete Admiral Matelief de Jonge bereits 1607 seine Absicht, die lokale Bevölkerung mit Hilfe des Niederländischen als Sprache eines ‚Grossniederländischen Reiches‘ politisch an sich zu binden. Zudem schien Niederländisch-Unterricht notwendig für die christliche Erziehung der Bevölkerung. Die Bemühungen der Niederländer, die Muttersprache im asiatischen Raum zu fördern, misslangen allerdings, wie u.a. K. Groeneboer ausführlich dargelegt hat. Anders als in den Kolonien Portugals, Spaniens, Frankreichs, Englands und später Deutschlands, wo die einheimischen Sprachen für die Kolonialherren eine untergeordnete Rolle spielten, konnten Beamte, Kaufleute, Soldaten und Einheimische sich im malaiischen Archipel des Portugiesischen als bereits vorhandener Lingua franca bedienen, ohne einheimische Sprachen wie Sundaisch oder Javanisch lernen oder die eigene Sprache einführen zu müssen. Zudem stand Malaiisch als eine zweite Verkehrssprache zur Verfügung, bereits in den Zwanzigerjahren predigten die Pfarrer auch in dieser Sprache, nachher ebenfalls in Portugiesisch. Niederländisch benutzten die Beamten hauptsächlich als Verwaltungssprache, sodann fand die Muttersprache in der holländischen Kirche in Batavia und in einigen Schulen noch ihre Anwendung. Schulunterricht erfolgte ansonsten in den Landessprachen, gegen Mitte des Jahrhunderts wurde fast nur noch in Portugiesisch und Malaiisch unterrichtet. Die kleine Gruppe ansässiger Europäer, von denen höchstens die Hälfte aus Holland stammte, verwendete, umgeben von den unterschiedlichsten asiatischen Ethnien, ebenfalls die auf den Inseln gängige Varietät des Portugiesischen. Nachkömmlinge niederländischer Väter und asiatischer Mütter,

5.1. Aufbruch der Niederlande in die Neuzeit

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die sogenannten Indo-Europäer, sprachen eine Mischsprache, das ‚Petjo‘ mit niederländischen, malaiischen und portugiesischen Elementen, das als Gemeinsprache auf der Strasse und in der Kaserne gebraucht wurde, sich aber allmählich auflöste. Die importierten Sklaven verständigten sich in einer Art Portugiesisch, in der Folge sprachen die frei gewordenen Sklaven und ihre Nachkommen, die mardijkers, zumeist christliche Mischlinge, ein kreolisches Portugiesisch. Als dann die bedeutendsten religiösen Schriften und die Bibel ins Portugiesische und Malaiische übersetzt waren, entfiel die Notwendigkeit, den Einheimischen Niederländisch beizubringen. Trotzdem versuchten VOC-Funktionäre immer wieder, das Niederländische im Archipel zu verbreiten, Erfolge blieben ihnen jedoch versagt. So missglückten Mateliefs Bestrebungen, auf Ambon beim Missionieren Niederländisch einzuführen. Die Massnahmen des Generalgouverneurs Anthony van Diemens (Amtszeit 1636–1645) zur Förderung der eigenen Sprache, so die Regel, Sklaven dürften erst eine Kopfbedeckung tragen, wenn sie Niederländisch beherrschten, nützten ebenso wenig. Joan Maetsuykers (im Amt 1653–1678) Bestreben, mit ‚allen Mitteln‘ das Portugiesische durch das Niederländische abzulösen, um so die Treue der Einheimischen abzusichern, schlug genauso fehl wie Rijckloff van Goens (1678–1681 im Amt) Vorhaben, das Portugiesische auszurotten. Obschon die Bevölkerung Formosas das Malaiische kaum als Lingua franca benutzte, schlugen auch auf dieser Insel die Versuche fehl, Niederländisch als allgemeine Sprache einzuführen. Wohl gründeten die Niederländer, die sich hier Anfang der Zwanzigerjahre niederliessen, Schulen für die lokale Bevölkerung, auch Missionare, die sich befleissigten, Einheimische zu bekehren, lehrten ihre Schüler das Alphabet. So machten Schüler wie Bekehrte unterschiedlicher taiwanischer Stämme mit dem Niederländischen Bekanntschaft. Allerdings dauerte die Anwesenheit der Niederländer, die die Insel 1668 definitiv verliessen, zu kurz, um das Niederländische hier als allgemeine Sprache zu festigen. Die Kontakte mit den Japanern auf Dejima (vgl.  5.1.4.1.) verliefen über Dolmetscher, die Niederländisch lernten, wozu sie ab 1796 Imamura Sanpakus Wörterbuch Haruma wage (‚Halma auf Japanisch erklärt‘) benutzten. Der Titel bezieht sich auf das Niederländisch-Französische Wörterbuch von Halma aus dem Jahre 1710, haruma wurde die Gattungsbezeichnung niederländisch-japanischer Wörterbücher. Auf Ceylon benutzten die meisten Euro-Asiaten wie auch die importierten Sklaven die lokale Variante des Portugiesischen, man veröffentlichte 1740 eine singhalesische Bibelübersetzung, um das Evangelium zu verbreiten. Niederländisch war dagegen Verwaltungssprache, auch bediente sich die gehobene Gesellschaft der Insel der niederländischen Sprache, zudem erfolgte an vereinzelten Schulen der Unterricht auf Niederländisch. Die Kolonialherren führten römischholländisches Recht ein, eine niederländische Heereseinheit schützte das Monopol auf Zimt. Nach dem Abtreten Ceylons an die Engländer, 1796, verschwand das Niederländische von der Insel. Es liess in einer Sprache wie Tamil einige Spuren nach, zum Beispiel Varianten der Wörter duiker (‚Taucher‘) oder kasteel (‚Burg‘), das Singhalesische hat Lehnwörter wie kamare, ndl. kamer (‚Zimmer‘) oder sukiri, ndl. suiker (‚Zucker‘) beibehalten (vgl. 5.4.3.4.). Da die VOC auf dem indischen Festland nur Handelsniederlassungen betrieb, blieb hier die Zahl niederländischer Lehnwörter in den einheimischen Sprachen gering.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Literatur zu 5.1.: Aalbers 1980; Bakker et al. 2006; Bekkering et al. 1989; Berkvens-Stevelinck 2012; Blockmans et al. 1997; Blok et al. 1977/83, Bd 6, 7, 8; Blonk et al. 1960/62, Bd 2; Bornemann 1976; Boxer 1977; Briels 1985b; Van den Broecke et al. 1998; Bruijn et al. 1987; Van Bunge 2010; Decavele 1975; Deursen et al. 1984; Eijnatten et al. 2006; Eijnatten et al. 2011; Frijhoff et al. 2000; Fruin et al. 1922; Gaastra 1991;Van Gelderen 1992; Geyl 1948/59; Goossens 1996; Goossens 2000; Groeneboer 1993; Harline 1987; Huizinga 1972; Israel 1991; Israel 1995; Janssens 1989; Koopmans 1990; Kremer in: Besch et al. 1998/2004; Lockwood 1976; Luhrman 1993; Marnef 1996; Noordegraaf 1985; Van Oostrom 1989; Parker 1978; Price 1974; Resoort 1989; Reynebeau 1995; Ryckeboer 2006b; Salman 1999; Schama 1989; Van Selm 1987; Van der Sijs 2010; Stilma 2002; Van Toorn et al. 1989; Van den Toorn 1957; Tracy 1990; Vanden jongen/Boekenoogen 1905; De Vries 1974; De Vries et al. 1995; Van der Wee 1963; Wellenreuther 2000; Westheide 1997; Willemsen 2008; Zahn 1984.

5.2. Die Herausbildung der neuniederländischen Kultursprache Ergiebige Primärquellen sowie eine umfangreiche Literatur zur Geschichte des Niederländischen geben Einblicke in die Umstände, in denen das Neuniederländische heranwuchs. Die wenigen Beispiele, die im Weiteren erwähnt werden, zeigen einige Schwerpunkte der Forschung auf dem Gebiet der Sprachgeschichte des 16. und 17. Jh. L. van den Branden veröffentlichte namentlich über die Bestrebungen der Gelehrten und Schriftsteller des 16. Jh., um das Ndl. zu kultivieren. Forscher wie L. van Helten, R. Verdeyen, G.S. Overdiep, G.A. van Es, J.L. Walch, F. Kossmann und G.A. Nauta befassten sich mit der Sprache literarischer Werke, namentlich von Marnix, Bredero, Vondel, Hooft und Huygens. J.  Heinsius und C.C. de Bruin untersuchten die Sprache der Statenvertaling, auch J.J. Berns, K.H. van Dalen-Oskam und M.A. Mooijaart erforschten Bibelübersetzungen. Sodann publizierten A. Weijnen über die Sprache des 17. Jh., G.S. Overdiep über die Syntax des Neuniederländischen, B. van Haeringen über die Frage der Aussprache, J. Heinsius über Flexion, F.L. Zwaan über Beratungen zwischen Schriftstellern und Grammatikern im 17.  Jh. über das Neuniederländische, C.G.N. de Vooys über diverse historische Entwicklungen des Niederländischen, F.A. Stoett über die ‚Expansion‘ des Holländischen, W.J.H. Caron und W.Gs. Hellinga über die Interpretation des ‚Letter‘-Begriffs und die Kultivierung des Neuniederländischen, D.M. Bakker und G.R.W. Dibbets über die Quellen des 16. und 17. Jh. Zu den Wörterbüchern publizierten u.a. A. Kluyver, R. Verdeyen, F. Claes und F. de Tollenaere. Sodann sind Arbeiten von M. van der Wal und von L. Peeters zur Standardisierung des Niederländischen zu nennen. N. van der Sijs verfasste ein umfangreiches Werk über die Entstehung des überregionalen Niederländischen, J.G.C.A. Briels und B. van den Berg publizierten über Varianten des überregionalen Niederländischen. Ausführliche Beschreibungen der Syntax des Frühneuniederländischen stammen u.a. von J.M. van der Horst. G.R.W. Dibbets veröffentlichte umfangreiche Studien zu den Grammatikern dieser Zeit. Diese unvollständige Aufzählung der Arbeit einiger Sprachhistoriker und Philologen dürfte zeigen, wie sehr das Niederländische der frühen Neuzeit nach wie vor im Mittelpunkt sprachhistorischer Forschung steht.

5.2. Die Herausbildung der neuniederländischen Kultursprache

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5.2.1. Voraussetzungen für die Entstehung einer niederländischen Kultursprache In der Zeitspanne einiger weniger Generationen bildete sich zu Anfang der Neuzeit eine Kultursprache in den Niederlanden heraus, wie dies auch auf der Apenninhalbinsel oder in England geschah, während beispielsweise dem Niederdeutschen die Rolle einer Gemeinsprache versagt bleiben sollte. Zu den heterogenen Faktoren, welche die Entstehung dieser überregionalen niederländischen Einheitssprache offensichtlich begünstigten, zählen neben gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Änderungen (siehe 5.1.) das zunehmende Ansehen der Muttersprache, die Ausdehnung ihrer Anwendungsbereiche sowie die Bestrebungen, sie zu säubern und orthografisch wie grammatikalisch zu reglementieren, wie dies beispielsweise L. van den Branden ausführlich dokumentiert hat. Es stellt sich die Frage, welches Gewicht einzelnen Aktivitäten wie der Tätigkeit der Verleger, dem mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch beim Gütertransport, im Handel und Gewerbe, den sprachlichen Regelungen seitens der Behörden, den Bedürfnissen der Reformierten, den Idealen der Humanisten, der Rolle der Gelehrten oder der Renaissancekultur der Schriftsteller und Dichter für die Entwicklung der Gemeinsprache beizumessen ist. 5.2.1.1. Die Tradition einer überregionalen Verkehrs-, Verwaltungs- und Literatursprache Als bedeutsame Voraussetzung für die Etablierung der überregionalen neuniederländischen Sprache ist anzuführen, dass in den Provinzen des Schelde-, Maas- und Rhein-Deltas, die ursprünglich vom holländischen, dann vom hennegauischen, bairischen, burgundischen und schliesslich vom habsburgischen Haus verwaltet wurden, eine zuerst vom Limburgischen, dann vom Flämischen und Brabantischen, schliesslich vom Holländischen geprägte mittelniederländische Verkehrs-, Verwaltungs- und Literatursprache mit überlandschaftlicher Geltung bestand. Davon zeugen nicht nur Urkunden, sondern auch eine vielschichtige ritterliche, bürgerliche und geistliche Literatur, überliefert seit dem 10. Jh. (siehe Kapitel 3 und 4). Das Ansehen der Sprache der Einwohner des Deltagebietes, die je nach Stadt bzw. Region Vorläufer bzw. Varianten des Neuniederländischen sprachen, sollte zum Anfang der Neuzeit stark ansteigen und neben dem Latein und dem Französischen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen wie Verwaltung, Kirche, Literatur oder Wissenschaft als Kultursprache rasch an Bedeutung gewinnen. 5.2.1.2. Zunehmendes Ansehen der Muttersprache Vermehrt interessierten sich Schriftsteller und Gelehrte, insbesondere die Humanisten, zuerst in Italien im 15. Jh., dann in Frankreich, in den Niederlanden, in England und Deutschland im 16.  Jh. für die Volkssprache. Bis dahin hatten in lateinischer Sprache verfasste Schulbücher wie Donatus’ Ars minor oder Alexander de Villa Dei’s Doctrinale gelegentlich Erklärungen und Übersetzungen in niederländischer Sprache vermittelt. So umfasste das im Jahre 1485 erschienene Excercitium Puerorum diverse mittelniederländische Beispiele sowie Vergleiche des Lateinischen mit der Muttersprache. Bei der Erklärung des lateinischen Kasussystems stellt der Verfasser zum Beispiel fest, dass sich Nominativ und Genitiv in der Muttersprache morphologisch nicht unterscheiden, was er anhand von Beispielen erläutert, eine Feststellung, die für die

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Beschreibung der niederländischen Syntax bzw. Morphologie zu Beginn der Neuzeit im Übrigen nützlich ist. Bücher, die beim Französisch-Unterricht in flämischen Städten gebraucht wurden, enthielten ebenfalls Beobachtungen über die Muttersprache. So finden sich in dem zweisprachigen Le Livre des mestiers/De Bouc vanden ambachten aus dem 14. Jh. flämische Entsprechungen französischer Dialoge zu alltäglichen Themen sowie gängige Fachausdrücke aus verschiedenen Berufssparten. Die niederländischsprachigen Angaben in solchen lateinischen und französischen Schulbüchern dienten jedoch lediglich dazu, den Schülern zu helfen, den Lehrstoff zu meistern, die Muttersprache war dabei kein Ziel, sondern Mittel. Die neue Haltung der Muttersprache gegenüber drückt Desiderius Erasmus aus, wenn er einem gewissen Ursus während eines Dialogs über die richtige Aussprache des Lateinischen und Griechischen die Aussage in den Mund legt, dass es eine Schande sei, die Muttersprache nicht zu beherrschen: Foedum est enim hominem in ea lingua videri hospitem, in qua natus est. Diese in der Renaissance oft zitierte Aussage aus dem De recta Latini Graecique sermonis pronunciatione dialogus von 1528 belegt, welche Bedeutung die Humanisten zum Beginn der Neuzeit der Muttersprache beimessen, auch wenn sie nach wie vor Latein als Wissenschaftssprache verwenden. Dass dann im Laufe des 16. Jh. neben den literarischen Texten vermehrt wissenschaftliche und religiöse Veröffentlichungen in niederländischer Sprache erschienen, bestätigt das gestiegene Ansehen der Muttersprache, die von manchem Gelehrten gar als älteste bzw. beste Sprache der Welt eingestuft wurde. Vom Antwerpener Goropius Becanus, Humanist und Leibarzt Philipp II., stammt die Aussage, die er volksetymologisch begründet, das Niederländische sei die älteste Sprache der Welt: Diets, Duutsch oder Duytsch stamme von Douts oder De oudste, was die Älteste bedeute. Adam und Eva hätten sich folglich in der Muttersprache Becanus’ unterhalten. Der Name Adam sei brabantisch und bedeute dam tegen haat (‚Damm gegen Hass‘), Eva komme von eeuw vat (‚Fass für Jahrhunderte‘) und Babel, als Ort der Sprachverwirrung, finde seinen Ursprung im Verb babbelen (‚quatschen‘). Zwar lehnten Gelehrte wie Hugo de Groot, Justus Lipsius oder Joseph Scaliger derartige Erklärungen ab, dennoch sind die Aussagen Becanus’ ernst zu nehmen als Äusserung einer hohen Wertschätzung der Muttersprache. Auch Humanisten wie Georgius Cassander, Balduinus Ronsseus oder Jan Wouters lobpreisen die eigene Sprache mit ihren Versuchen zu beweisen, sie sei besser als die Nachbarsprachen. Viele Schriftsteller und Gelehrte verherrlichen in der frühen Neuzeit ihre Muttersprache, wie aus 5.2.2. hervorgeht, wenn sie erklären, warum sie Niederländisch in ihren Veröffentlichungen bevorzugen.

5.2.2. Ausbau des überregionalen Niederländischen In der Zeit, in der sich das Niederländische als allgemeine geschriebene Einheitssprache in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft, einschliesslich Kirche, Schule, Wissenschaft, Literatur und Verwaltung, etablierte, waren nicht nur für die Autoren, sondern auch für die Leser und Drucker allgemeingültige Normen für die Orthografie sowie eine Reglementierung der Grammatik gefragt. Dutzende Veröffentlichungen zur Orthografie, Aussprache und Grammatik des Niederländischen belegen seit Mitte des 16. Jh. die Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Sprache.

5.2. Die Herausbildung der neuniederländischen Kultursprache

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In anderen europäischen Sprachgebieten ist in dieser Zeit ein ähnliches Bemühen um die eigene Sprache festzustellen. Bereits 1527 hatte Valentin Ickelsamer Die rechte weiss auffs kürtzist lesen zu lernen herausgegeben, um 1535 folgte seine Teutsche Grammatica und Fabian Franck formulierte 1531 Regeln zur deutschen Rechtschreibung in seiner Orthographia Deutsch. In seinem Esclarcissement de la langue Françoyse von 1530 befasste sich John Palsgrave mit dem Erwerb des Französischen. Im gleichen Jahr veröffentlichte Gilez du Wez Introductorie for to lerne, to rede, to pronounce and to speke French, ein Französisch-Lehrbuch für Engländer. Weiter verfasste Jacques Dubois 1532 eine Einführung ins Französische, In linguam Gallicam isagoge, Louis Meigret schrieb 1542 eine französische Orthografie, Traité touchant le commun usage de l’escriture Françoise. 1550 erschien Jacques Peletiers Rechtschreibung Dialogue de l’orthographe e Prononciation Françoese, im gleichen Jahr gab Louis Meigret sein Tretté de la grammere Françoeze heraus. Thomas Smith befasste sich in seinem De recta et emendata linguae Anglicanae scriptione von 1568 mit der Rechtschreibung des Englischen, 1580 publizierte William Bullokar zum gleichen Thema Booke at large, for the amendement of orthographie for English speech. Eine deutsche Grammatik von Laurentius Albertus, Teutsch Grammatik oder Sprach-kunst, erschien 1573. Im gleichen Jahr veröffentlichte Albertus Oelinger seinen Underricht der Hoch Teutschen Spraach. Die im Jahre 1578 erschienene Grammatica Germanicae Linguae, ex bibliis Lutheri Germanicis et aliis eius libris collecta von Johannes Clajus basierte auf Luthers deutschsprachigen Schriften. Dieses wiederholt neu aufgelegte Werk hatte, wie auch andere deutsche Sprachbücher, Einfluss auf die niederländischen Grammatiken. In den Niederlanden fand die Arbeit deutscher Grammatiker denn auch Anerkennung. So lobt Coornhert 1561 die hoochduytschen für den Einsatz, die Mühe, Arbeit und Kosten, um ihre Sprache zu verbessern. Von sprachhistorischer Bedeutung in den niederländischen Veröffentlichungen zur Orthografie sind insbesondere die unterschiedlichen Ansichten über die Frage, inwiefern lokale Varietäten des Niederländischen in einer allgemeinen, einheitlichen Schreibweise zu berücksichtigen seien. Weiter ist die Interpretation der Beziehungen zwischen Schriftzeichen und Laut sowie die Deutung von damals verwendeten Begriffen, zum Beispiel letter (‚Letter‘) oder letterkonst (‚Letterkunst‘), lateinisch literatura, sprachhistorisch von Belang. Sodann sind die Auffassungen zu phonemischen bzw. morphonemischen Grundlagen der Orthografie, die bis heute in Regelungen der Orthografie eine Rolle spielen, von Interesse. Damit das Niederländische das Lateinische als gleichwertige Sprache zu ersetzen vermochte, hielten Gelehrte wie Schriftsteller es für angebracht, der Muttersprache mit Hilfe grammatischer Vorschriften, namentlich zu Kasus und Genus, elegante Züge zu verleihen. In ihrem Bestreben, die niederländische Sprache zu kultivieren, versuchten die meisten Verfasser der Grammatiken mit ihren zum Teil normativen Texten, die Muttersprache nach dem Lateinischen zu modellieren. Sodann bestand in der Neuzeit in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft, ob Wissenschaft, Kultur, Handel, Gewerbe oder Seefahrt, Bedarf an einer Erweiterung des Wortschatzes. Umfangreiche lexikografische Werke zeugen vom Bestreben, die Muttersprache lexikalisch weiter auszustatten.

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5.2.2.1. Texte zur Orthografie Bereits um 1530 verfasste ein gewisser Christiaan van Varenbraken, ein vermutlich aus Flandern stammender Schulmeister, zwei didaktische Abhandlungen zur Rechtschreibung. Es folgten in der frühen Neuzeit mehr als zwei Dutzend Bücher über die Rechtschreibung der Muttersprache, sodann befassten sich Gelehrte und Dichter in ihren Briefwechseln nicht selten mit der Schreibweise des Niederländischen und verabredeten gar Zusammenkünfte, um sich mit der niederländischen Sprache und ihrer Orthografie auseinanderzusetzen. Bibelübersetzer suchten nach einer einheitlichen Schreibweise, Dichter strebten nach einer grundsatzgetreuen Rechtschreibung, mancher passte sogar Neuauflagen früherer Werke orthografisch an. Der Genter Drucker Joos Lambrecht (1491–1557?) formulierte 1546 in seinem Naembouck, einem französisch-niederländischen Wörterbuch, einige orthografische Regeln, dargestellt an flämischen und französischen Beispielen. Mit seinem Nederlandsche Spellijnghe veröffentlichte Lambrecht 1550 das erste Buch zur niederländischen Orthografie. Dieses erste gedruckte niederländische Buch zur niederländischen Sprache bezeichnet die Muttersprache im Titel als ‚Nederlandsch‘, ein Ausdruck, der sich neben Diets, Duytsch und Nederduytsch erst im Laufe der Jahrhunderte durchsetzen sollte. Lambrecht, der sich als Drucker im Übrigen nicht scheute, Titel des Indices librorum prohibitorum herauszugeben, war bestrebt, eine einfache Beziehung zwischen Lautfolge und Schriftbild herzustellen. Um seinem Grundsatz gerecht zu werden, führte er in seinem Nederlandsche Spellijnghe, das für Schüler bestimmt war, ungebräuchliche Zeichen und Buchstabenkombinationen ein. Durch dieses Vorgehen wurden zwangsläufig Aussprachevarianten der Sprecher unterschiedlicher Gegenden bzw. die regionale Variation zum Ausdruck gebracht. Der Jurist Antonius Sexagius (1535?–1585) versuchte in seinem De orthographia linguae Belgicae (1576), die Schreibweise niederländischer Laute derjenigen der lateinischen Sprache anzupassen, damit in beiden Sprachen die gleichen Grapheme den gleichen Phonemen entsprachen. Dies würde es Schülern erleichtern, zuerst die Muttersprache lesen zu lernen, bevor sie sich mit dem Latein befassten. Auch der Jurist und Kanoniker Pontus de Heuiter (1535–1602) strebte eine Rechtschreibung seiner Muttersprache an, die derjenigen des Lateinischen entsprach, allerdings ohne zusätzlich eigene Zeichen zu verwenden. Sein Buch, Nederduitse orthographie, das für Schulmeister und ‚alle diejenigen, die eine gute Orthografie bevorzugten‘ bestimmt war, erschien 1581 bei Plantijn. Er zieht eine überregionale Rechtschreibung einer einheitlichen, reinen niederländischen Sprache ohne Fremdwörter vor, die es gestattet‚ ‚mit wenigen Worten Gedanken wiederzugeben‘. Diese laut ihm ‚gemischte‘ Sprache sollte ‚die besten‘ orthografischen und lautlichen Elemente der bestehenden Varianten umfassen. Ausführlich behandeln die Verfasser der ersten gedruckten Grammatik des Niederländischen, der Twe-spraack vande Nederduitsche letterkunst, neben den Wortarten auch Rechtschreibung und Aussprache des Niederländischen. Das Buch wurde von Mitgliedern der Kammer De Eglantier, höchstwahrscheinlich unter Federführung von Hendrik Laurensz. Spiegel (1549–1612), im Jahre 1584 veröffentlicht. Der Text umfasst u.a. ein Zwiegespräch (Twe-spraack) zwischen dem Lehrer Roemer und einem gewissen Gedeon, Namen, mit denen wohl die Schriftsteller Roemer Visscher und Gedeon Fallet gemeint waren. Während eines Spaziergangs loben ‚R‘

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und ‚G‘ die vorzüglichen Merkmale des Niederländischen, das höher einzustufen sei als die romanischen Sprachen, da diese lediglich Entstellungen des Lateins wären. ‚R‘ möchte seinen Neffen am Französischunterricht teilnehmen lassen, allerdings müsse er dann zuerst die Muttersprache gut lernen, eine damals moderne Auffassung, die noch heute beim Fremdsprachenunterricht vorherrscht. Das sei aber ein schwieriges Unterfangen, da das Niederländische so viele Mängel aufweise. ‚G‘ nimmt sich dann die Zeit, ‚eine Stunde‘, für seine Ausführungen über das Niederländische. Er meint, dass die vernachlässigte Muttersprache zu reglementieren und von Fremdwörtern zu säubern sei. Die Verfasser widmen der Orthografie ein Drittel ihres Buches. Dazu hatten sie ein Jahr zuvor eine Art Befragung durchgeführt, in der sie Personen in Holland, Brabant und Flandern, ‚die etwas davon verstünden‘, dazu aufforderten, Stellung zu ihren Vorschlägen zur Rechtschreibung zu nehmen. Indem die Autoren der Twe-spraack die Reaktionen auf die von ihnen geschickten taefelkens (‚Wörterlisten‘) in ihrem Text teilweise verarbeiteten, versuchten sie der damaligen Praxis der Rechtschreibung gerecht zu werden. Wie De Heuiter war Spiegel bestrebt, in der Orthografie eine einheitliche, überregionale Sprache wiederzugeben, die auf gepflegtem Holländisch basierte. Die Twe-spraack verzichtete auf eine strikt phonemische Rechtschreibung, berücksichtigte dafür morphonemische Gesichtspunkte mit den Regeln der ghelyckformicheyd, oder einheitliche Schreibweise flektierter Formen, und der eenpaarticheyd, d. h. der einheitlichen Wiedergabe der Laute, namentlich der ‚langen‘ Vokale. Das von liefhebbers, Liebhabern der Orthografie, zusammengesetzte Nederduydsche Spellinge aus dem Jahre 1612, das wohl Jacob van der Schuere (1576–?) zuzuschreiben ist, berücksichtigt ebenfalls eine einheitliche Schreibweise grammatischer Ableitungen. Daneben war Van der Schuere mit seinem einflussreichen Buch bestrebt, einen Laut jeweils einheitlich einem Graphem zuzuordnen. Wie Spiegel bemühte sich Van der Schuere nicht nur um eine systematische Orthografie, sondern auch um eine standardisierte niederländische Sprache, die sich auf kultiviertes Holländisch zu stützten hatte. In seinem Schryfkunstboeck, daerinne gheleert worden velerley Nederlandsche, Italiaensche, Spaensche ende Hooghduytsche handt-gheschriften, 1613, widmet der Lehrer Anthoni Smyters (1545?–1625?) der Rechtschreibung mehrere Seiten. Er hält fest, dass eine einheitliche, geschriebene überregionale niederländische Sprache vorhanden sei, eine einheitlich gesprochene Sprache bestünde jedoch nicht. So werden in einer Provinz Wörter verwendet, die man in anderen Provinzen nicht versteht, sodann gibt es auch ‚grosse Unterschiede in der Aussprache der Buchstaben‘. Er bevorzugt die ‚allgemeine Schreibweise der Vorfahren‘, ohne diese im Übrigen näher zu spezifizieren, lässt allerdings jedem die Aussprache frei. Anthonis de Hubert verlangt in seinem Noodige waarschouwinge aan alle liefhebbers der Nederduijtze tale, 1624, dass eine einheitliche Schreibweise flektierter Formen zu beachten sei. Weiter möchte er die Ursprünge der Wörter in der Orthografie berücksichtigen, um Homographe zu vermeiden. Wie De Hubert beschäftigt auch Christiaen van Heule sich in seiner De Nederduytsche Grammatica ofte Spraec-konst, 1625, kurz mit der Orthografie. Er teilt Smyters’ Ansicht, dass sich die geschriebene niederländische Sprache in seiner Zeit etabliert hat, denn laut ihm be-

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nutzen die Niederländer eine einheitliche geschriebene Sprache, deren Rechtschreibung bereits ‚ausführlich von Gelehrten beschrieben wurde‘ und ‚im Alltag einwandfrei‘ angewendet würde. Auch Van Heule, der von Phonemen ausgeht, versucht in seinen Darlegungen Homographe zu vermeiden. Fremdwörter schreibt er möglichst originalgetreu. Der Engländer Richard Dafforne, Lehrer der englischen und niederländischen Sprache, behandelt in seiner für Schulmeister bestimmten Grammatica ofte Leez-leerlings Steunsel, 1627, Probleme der Rechtschreibung. Der Verfasser, der zeitgenössische Veröffentlichungen zur Orthografie getreu zitiert, bevorzugt eine eher phonemische Rechtschreibung, die sich von Schülern und Ausländern am leichtesten erlernen lässt. Wie Van Heule befürwortet er eine Rechtschreibung der Fremdwörter, die ihrem Ursprung gerecht wird. In der dritten Auflage seines Buches Beschryvinge ende Lof der stad Haerlem veröffentlichte Samuel Ampzing (1590–1632) im Jahre 1628 einen Bericht zur niederländischen Sprache. In diesem Text, den Van Heule 1649 separat neu auflegte, befürwortet der Verfasser eine Orthografie, die Aussprachenuancen widerspiegelt und einer konsequenten Schreibweise flektierter Formen Rechnung trägt, dies um Homographe zu vermeiden. Ampzing möchte ebenfalls die ursprüngliche Schreibweise der Fremdwörter beibehalten, auch wenn die Aussprache dies nicht immer rechtfertigt. Für eine ‚alte‘ Orthografie setzte sich Cornelis Gijsbertsz. Plemp (1574–1638) in seinem Speldwerk, of waerschouinge an den Neerduitschen schrijver van de spelding, 1632, ein. Mit Latein als Beispiel unterbreitet er Vorschläge zu einer eher phonemischen Orthografie, die er ausführlicher im Jahre 1647 auf Lateinisch veröffentlichte. Als grundlegend neu ist Petrus Montanus’ Ansatz zu bewerten, der Laute statt Buchstaben als Ausgangspunkt für die Orthografie wählte. In seinem Bericht van een niewe konst, genaemt De Spreeckonst 1635 legt er in einem Abschnitt zur Rechtschreibung dar, dass eine ‚natürliche‘, phonemische Schreibweise auch oneigenlijke, etymologische und morphologische Grundsätze zu berücksichtigen hat, allerdings in einer konsequenten Art und Weise. Die Übersetzer und Lektoren der Statenvertaling, 1637 (vgl. Farbb. XII), entschieden sich für eine traditionelle Orthografie, die sich an bestehende Wortbilder anschloss. Wie die meisten Zeitgenossen behielten sie in Fremdwörtern möglichst die ursprüngliche Buchstabierung bei. Die Übersetzer beachteten in ihrer Schreibweise zwar morphologische Grundsätze, aber oft erhielten phonemische Überlegungen mehr Gewicht. Häufig versuchten sie den Gebrauch von Homographen durch unterschiedliche Schreibweisen zu vermeiden. Die eher konservative Orthografie, die auf Kompromissen unterschiedlicher Ansichten zur Rechtschreibung basierte, hat die Rechtschreibung des Niederländischen nicht nachhaltig geprägt. 5.2.2.2. Grammatiken In seiner nicht veröffentlichten Einführung Voorreden vanden noodich ende nutticheit der Nederduytscher taelkunste (‚Vorwort zur Notwendigkeit und Nützlichkeit der niederländischen Grammatik‘) aus dem Jahre 1568 unterstreicht der in Aachen geborene Kaufmann und Humanist Johan Radermacher (1538–1617) die Bedeutung von Sprachunterricht für das Erlernen von Sprechen und Schreiben. Sein Manuskript enthält Angaben zur Sprache der Kinder und zur Aus-

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sprache des Niederländischen durch Ausländer, zudem erwähnt es Unterschiede zwischen dem Sprachgebrauch in der Stadt und auf dem Lande. Diese frühen Beobachtungen zur Beschaffenheit des Neuniederländischen gehen von Lauten und nicht von Buchstaben aus, eine linguistisch gesehen höchst moderne Vorgehensweise, die später von Montanus und dann erst wieder im 18. Jh. von Ten Kate praktiziert wird. Die gebräuchliche, auf der lateinischen Grammatik basierende Einteilung der Wortarten in acht Klassen ergänzt Radermacher mit einer Klasse für den Artikel, womit er folglich die Entwicklung des Niederländischen zu einer analytischen Sprache festhält. Auch andere frühe niederländische Grammatiken unterscheiden den Artikel als separate Kategorie, ein Sprachelement, das in Grammatiken anderer europäischer Sprachen dieser Zeit noch dem Substantiv zugeordnet wurde, wohl in der Tradition von Grammatiken synthetischer Sprachen. Dass Radermacher versuchte, grammatische Regeln aus dem Sprachgebrauch herzuleiten, war zudem modern in einer Zeit, in der die Gelehrten danach strebten, dem Niederländischen mit präskriptiven Regeln, die auf dem Latein beruhten, Glanz zu verleihen. Als einer der Ersten hatte Coornhert versucht, eine Neerlandschen Grammaticam zu verfassen, wie seinem lobenden Vorwort der Twe-spraack vande Nederduitsche letterkunst zu entnehmen ist, ein Vorhaben, das er wegen der schwierigen Umstände während seiner Verbannung 1568 nicht verwirklichen konnte. Der Haupttext der Twe-spraack, des ersten umfassenden Werkes zur niederländischen Sprache, besteht aus einem Zwiegespräch, twe-spraack, zwischen Gedeon ,G‘ und Roemer ,R‘ über das Niederländische. In sieben Kapiteln kommen die traditionellen Bestandteile der Grammatik zur Sprache. Nicht ohne Humor eröffnen ,G‘ und ,R‘ ihre Unterhaltung mit ablehnenden Bemerkungen zur überflüssigen Verwendung von Fremdwörtern in der niederländischen Sprache, die sie als älteste und reichste der Welt einstufen. Dann folgen Kapitel über Orthografie, Prosodie, Etymologie und Syntax. Die Ausführungen sind einerseits deskriptiv, indem die Verfasser das damalige Niederländische mittels eines Gespräches wiedergeben, das in dieser Darstellung im Übrigen nicht unbedingt die natürliche Kommunikation zwischen den Menschen jener Zeit getreu widerspiegeln muss. Die Autoren gehen ebenfalls beschreibend vor, wenn sie sich in ihrer Behandlung der Orthografie mit Umfragen, taelfelkens, ausdrücklich auf Informationen zur Schreibpraxis von Gebildeten in holländischen, brabantischen und flämischen Städten stützen (siehe 5.2.2.1.). Anderseits ist die Twe-spraack als präskriptiv einzustufen, da sie die Verwendung von Lehnwörtern ablehnt, Regeln zur Orthografie enthält und grammatikalische Anordnungen, namentlich zu Genus und Kasus, umfasst (siehe 5.4.2.2. und 5.4.2.3.). Zwar waren Spiegel und seine Gesinnungsgenossen bestrebt, das Niederländische nach seinem eigenen, sprachimmanenten System zu vereinheitlichen, ihre Regeln basierten dennoch auf der lateinischen Grammatik. Dies zeigt sich u.a. bei den Angaben zur Syntax sowie bei der Beschreibung von Kasus und Genus. Wie die meisten zeitgenössischen Schriftsteller waren die Amsterdamer der Überzeugung, dass die Muttersprache nur als vollwertige Kultursprache funktionierte, wenn ihre Syntax den Bau komplexer Satzgebilde gestattete und sie unterschiedliche Merkmale von Kasus und Genus in möglichst vielen Einzelheiten aufwies. Namentlich die Darlegungen zu Kasus und Genus zeigen, wie wenig die Twe-spraack diesbezüglich dem wirklichen Sprachgebrauch Rechnung trug. Für die Deklination standen nur einige wenige Formen wie -es, -en oder -e zur Verfügung, die in der lebendigen

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Sprache wenig systematisch Verwendung fanden. Diese Gegebenheit machte eine Unterscheidung von sechs Fällen, wie in der Twe-spraack vorgenommen, zu einem problematischen Unterfangen (siehe 5.4.2.3.). Zudem ist für bestimmte Sprachformen nicht eindeutig festzustellen, inwiefern sie Kasus markierten. So lässt sich in südlichen Sprachvarianten den eher als Markierung des Genus statt Kasus interpretieren. Weiter stellt sich die Frage, inwiefern die Unterscheidung dreier Genera sich aus der Eigenart der damaligen Muttersprache ableiten liess. Zwar war die Unterscheidung zwischen Neutrum und Nicht-Neutrum durch die Artikel het und die gesichert, wie die Verfasser ausführen. Ob sich aber Maskulinum und Femininum als Genera des damaligen Niederländischen eindeutig unterscheiden lassen, ist fraglich. Wohl boten die Pronomina hij (‚er‘) und zij (‚sie‘) Hinweise auf das Wortgeschlecht der entsprechenden Nomina, allerdings kamen sie bereits in den Texten jener Zeit, abgesehen von den Andeutungen für Sexus, nicht mehr eindeutig zum Einsatz. Es wäre somit neben dem Neutrum oder der Klasse der ‚het‘-Wörter ein Genus commune anzunehmen, wie das im heutigen Niederländischen der Klasse der ‚de‘-Wörter entspricht. Dass die Twe-spraack den Kasus ausführlich bespricht und im Kapitel zum Genus diverse Kriterien anführt, um das Wortgeschlecht festzustellen, zeigt einerseits, wie weit diese Grammatik diesbezüglich von der damaligen Sprachpraxis entfernt war, andererseits verkörpern solche Ausführungen das Streben, das überregionale Niederländische zu einer Kultursprache zu vervollkommnen. Das zunehmende Interesse an Fremdsprachen und das Unterrichten anderer Sprachen führten zur Veröffentlichung von mehrsprachigen Gesprächsbüchern, Wörterbüchern und Sprachbüchern, die gelegentlich auch Angaben zur Grammatik des damaligen Niederländischen enthalten. So ist in der Ausgabe von Vocabulare 1568, das der wallonische Schulmeister Noël van Berlaimont um 1530 ursprünglich als zweisprachiges Lehrbuch herausgegeben hatte, nicht nur die Konjugation niederländischer Verben zu finden, sondern auch eine Aussprachelehre des Französischen, Italienischen, Spanischen und Niederländischen. Das über 200 Mal aufgelegte Buch erschien in verschiedenen Varianten auch in anderen europäischen Städten, u.a. in Basel (1586), Genf (1591), Frankfurt (1593) und Leipzig (1611). Das Lehrbuch Een forme ende maniere der coniugatien in Nederduytsch ende Fransoys (‚Eine Art und Weise der Konjugation des Niederländischen und Französischen‘) von Pierre Anastaise Hyperphragme, das im Jahre 1576 in Rotterdam erschien, enthielt ebenfalls Angaben zum Niederländischen, u.a. zur Konjugation von Verben und zur Flexion von Nomina. Sodann hatte der Antwerpener Schulmeister Peeter Heyns 1571 ein Französisch-Lehrbuch ‚im Interesse der niederländischen Jugend‘, Cort onderwys van de acht deelen der Françoischer talen (‚Handweiser zum Unterricht der acht Bestandteile der französischen Sprache‘) veröffentlicht, das in der Twe-spraack zitiert wird. Heyns unterscheidet im Niederländischen wie in der Twe-spraack drei Genera, die Zahl der Fälle beschränkt er aber auf drei, was für die Erklärung des Französischen für Niederländischsprachige offenbar ausreichte. Diesbezüglich gewann mancher Schüler während des Fremdsprachenunterrichtes so beiläufig einen realistischeren Eindruck der Struktur der eigenen Sprache als die Leser der Twe-spraack. Englische Lehrbücher wie Thomas Bassons Coniugations in Englishe and Netherdutche, 1586, und Jacob Walravens Übersetzung von George Whetstones The honourable reputation of a souldier / De eervveerdigh achtbaerheyt van een soldener, 1586, enthalten auch Angaben zum Niederländischen, u.a. zur Syntax.

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Nicht erhalten ist die 1588 in Middelburg veröffentlichte Grammatik Neder-duytsche letterkonst (‚Niederländische Grammatik‘) des Schulmeisters Pieter de Bert, die Richard Dafforne später in seiner Grammatica 1627 zitieren sollte. Ob das öfters aufgelegte Sprachbuch Onderwys in de letter-konst (‚Unterricht in der Grammatik‘) von C. Dz. van Niervaert bereits etwa 1600 zum ersten Mal erschien, ist nicht sicher. Von der Twe-spraack erschienen 1614 und 1649 Neuauflagen, sodann veröffentlichte Chris­ tiaen van Heule (?–1655) im Jahre 1625 eine Grammatik. Der Mathematiker und Unternehmer im Bereich der Wollverarbeitung in Leiden ist der Auffassung, dass die Muttersprache zu wenig beschrieben sei, zudem weise die Twe-spraack Mängel auf, wie er in seinem De Nederduytsche Grammatica ofte Spraec-konst (‚Die Niederländische Grammatik‘) festhält. Van Heule unterscheidet in dieser Auflage seiner Grammatik wie Spiegel sechs Fälle, die er gevallen nennt. Als Purist ersetzt er lateinische Ausdrücke zur Grammatik durch niederländische, u.a. spraakkunst (‚Grammatik‘), werkwoord (‚Verb‘), deelwoord (‚Partizip‘), Wörter, die sich bis heute gehalten haben. Er versucht das Niederländische nach lateinischem Beispiel möglichst mit einem verfeinerten Kasussystem auszustatten, wobei er sich auf die 1584 erschienene Schulgrammatik Grammatica Latina des Düsseldorfers Ludolffus Lithocomus stützt. So bestimmt er für die vorhandenen synonymen Objektformen 3. Person Plural hun (‚ihnen‘ oder ‚sie‘) und hen (‚ihnen‘ oder ‚sie‘) separate Fälle: für den Dativ wählt er hun und für den Akkusativ hen. Diese wirklichkeitsfremde Kategorisierung stiftet bei den Sprechern bis zum heutigen Tag Verwirrung. Im Singular wollte Van Heule ähnliche künstliche Unterscheidungen der Fälle einführen, indem er, vergeblich, neben hem für Akkusativ (‚ihn‘) das nicht bestehende hum im Dativ (‚ihm‘) und Ablativ vorschlug. Der Verfasser, der wiederholt von den ‚Hoch-deutschen‘ spricht, liess sich von diversen deutschen Grammatiken anregen und übernahm Einzelheiten aus diesen Quellen. So bezeichnet er das Futurum mit komstich ofte Toekomstich, Johannes Clajus hatte zuvor in seiner Grammatica Germanicae Linguae 1578 die Umschreibung Künfftig, Zukünfftig verwendet. Wie in Stephan Ritters Grammatica Germanica Nova von 1616 unterscheidet Van Heule die impersonalia in neutra, activa und passiva, was er belegt mit: Het regent, men zegt, daer wort gewrocht (gedaen, geseyt). Bei Ritter finden sich fast die gleichen Beispiele: es regnet, man sagt, es wird gelesen. In der überarbeiteten Neuauflage seiner Grammatik, De Nederduytsche spraec-konst ofte tael-beschrijvinghe von 1633 nimmt Van Heule für das Niederländische nur noch vier Fälle an, Ritter war 1616 in seiner Grammatica ähnlich bei der Beschreibung des Deutschen vorgegangen. Van Heule nummeriert die vier Fälle genauso wie Christoph Helwig in seinem Werk Sprachkünste von 1619. In den Jahren 1622 und 1623 trafen Pieter Cornelisz. Hooft, Joost van den Vondel, Laurens Reael und Anthonis de Hubert öfter zusammen, um sich über die niederländische Sprache auszutauschen. Vondels Biograf Geeraert Brandt (1626–1685) teilt dazu mit: Hier werd gehandeld van d’eigenschappen der moederlijke taale. Men stelde verscheide regels, daar men zich in ’t dichten naar hadde te schikken: ontrent het stuk der taalschikkinge, de t’saamenvoeging der woorden en naamen, het onderscheidt der geslachten, buiging der gevallen, en spelling van yder woordt.

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(,Dabei ging es um die Merkmale der Muttersprache. Man formulierte verschiedene Regeln, die man beim Dichten einhalten musste: zur Fügung der Sprache und zur Syntax, zur Bestimmung der Wortgeschlechter, zur Flexion der Fälle und zur Rechtschreibung jedes Wortes.‘) Diese gemeinsamen Anstrengungen mussten folglich dazu führen, dass die Teilnehmer bereits fünfzehn Jahre vor der Veröffentlichung der Statenvertaling in ihrer Dichtung Regeln zu Orthografie, Genus und Kasus künftig auf die gleiche Art und Weise anwendeten. Brandts Formulierung hadde te schikken (‚musste einhalten‘) unterstreicht das Streben nach verbindlichen sprachlichen Regelungen. Aus Brandts Text geht weiter hervor, dass die zwei bedeutendsten Schriftsteller dieser Zeit die praktische Anwendung der Rechtschreibung für unzureichend hielten und mit ihren Freunden weiter vereinheitlichen wollten. Dass Brandt in einer nicht sprachwissenschaftlichen Veröffentlichung wie einer Biografie die grammatischen Begriffe geslachten (‚Wortgeschlechter‘) und buiging der gevallen (‚Flexion der Fälle‘) eigens erwähnt, zeugt, wie die Grammatiken jener Zeit, von der herrschenden Unsicherheit über Genus und Kasus. Einer der Teilnehmer dieser Zusammenkünfte, der Jurist Anthonis de Hubert (1583–1644?), hielt diverse Bemerkungen zum Niederländischen schriftlich fest. Auf Drängen seiner Freunde fügte er diese Noodige waarschouwinge (‚Notwendige Warnung‘) seiner Übersetzung der Psalmen aus dem Hebräischen, De Psalmen des Propheeten Davids, noch während der Drucklegung 1624 hinzu. Obschon dieser Text nur neuneinhalb Seiten zählte, fanden De Huberts Auffassungen zum Niederländischen grosse Beachtung bei anderen Schriftstellern. Vondel, der ihm sein Hecuba widmete, lobt ihn als wertvolles Mitglied der Sitzungen über die niederländische Sprache. Van Heule nennt in seiner Grammatik von 1625 De Huberts grosse Erfahrenheit mit dem Niederländischen, 1633 widmet er u.a. De Hubert sein Gammatikbuch. In seinen Notizen zeigt sich De Hubert zwar als Beobachter der lebendigen Sprache, gleichzeitig schlägt auch er eine weitere morphologische Differenzierung vor. So möchte er in der Schriftsprache ein Relativum die (‚der‘, ‚die‘, ‚das‘) von einem Relativum dien (‚den‘/,dem‘, ‚die‘/,der‘, ‚das‘/,dem‘) unterscheiden, um einer Verwechslung von Subjekt und Objekt zuvorzukommen, obschon man nach seiner Einschätzung die ‚unbewusst gebrauche‘, wie das übrigens auch heute der Fall ist. Dass er einen solchen Vorschlag ausführlich mit einem ausgefallenen Beispiel begründet, zeigt, dass die Schriftsprache sich vom lebendigen Niederländischen entfernte. Der Haarlemer Pfarrer Samuel Ampzing, der die Schriften De Huberts und Van Heules kannte, widmet in seinem Beschryvinge ende lof der stad Haerlem (‚Beschreibung und Lob der Stadt Haarlem‘) 1628 der niederländischen Sprache mehr als fünfzig Seiten. Der Text, der von Van Heule überarbeitet wurde, erschien 1649 separat unter dem Titel Taelbericht der Nederlandsche spellinge (‚Sprachnachricht zur niederländischen Orthografie‘). Als Purist lehnt Ampzing die Verwendung von Lehnwörtern romanischer Herkunft ab, in den Abschnitten zur Grammatik unterscheidet er drei Wortgeschlechter und sechs Fälle. Ampzings Ausführungen, die er nicht als vollständige Grammatik verstehen möchte, führen anschaulich das Bedürfnis der Schriftsteller im 17. Jh. vor Augen, ihre Handhabung grammatischer und orthografischer Regeln zu rechtfertigen. Dieser Wunsch zeigt sich genauso in Hoofts Waernemingen op de Hollandsche tael (‚Beobachtungen zur holländischen Sprache‘). Er hielt diese schriftlich fest bei der Überarbeitung

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seiner früheren Werke, welche die Regeln der Twe-spraack zu berücksichtigen scheinen. Aus den Waernemingen, die mehrheitlich die Deklination, u.a. des Adjektivs betreffen, geht der Einfluss seiner Zeitgenossen De Hubert und Van Heule hervor. Erst 1700 veröffentlichte David van Hoogstraten einige dieser Notizen Hoofts in seinen Aenmerkingen over de geslachten der zelfstandige naemwoorden. Lambert ten Kate, der über mehr Manuskripte Hoofts verfügte, gab 1723 sämtliche ihm bekannten Waernemingen im ersten Band seines Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake heraus. Allardus L. Kok (1616–1653), der Werke zur Philosophie von Frank Burghersdijk und zur Rhetorik von Gerard Vossius übersetzt und damit ein vollständiges Trivium veröffentlicht hatte, bekundete sein Interesse an der Muttersprache bereits 1644 in einer Übersetzung von Zwinglis Lehre. Er gab 1649 einen Entwurf der niederländischen Grammatik, Ont-werp der Nederduitsche letter-konst heraus. Diese Skizze, eine vereinfachte Darstellung der niederländischen Grammatik ohne Details, stützt sich auf Van Heules Veröffentlichungen, Gerardus Vossius’ Latina grammatica (1626) und auf dessen Hauptwerk Aristarchus, Sive de arte grammatica libri septem (1635). Als Purist ersetzte Kok lateinische Fachausdrücke durch zum Teil bereits vorhandene niederländische Wörter. In der zweiten Auflage des Nederlandtsche woorden-schat wird er deswegen ein Jahr nach seinem Tod von seinem Halbbruder Lodewijk Meyer (vgl. 6.2.1.) sehr gelobt. Mit seinen Notizen zum Niederländischen, Aanmerkingen op de Neederduitsche taale, wollte der Pfarrer Petrus Leupenius die bestehenden Sprachbücher ergänzen. Er berücksichtigte dabei nicht nur die Twe-spraack, sondern auch die Werke von De Hubert, Van Heule, Ampzing und Kok. Seine Vorschläge zur Orthografie sollten zu einer Auseinandersetzung über die Rechtschreibung des Niederländischen mit Vondel führen. 5.2.2.3. Wörterbücher Die ersten gedruckten Wörterlisten in den Niederlanden dienten als Unterstützung des Fremdsprachenerwerbs. Für den Lateinunterricht stellte Johannes Murmellius (1480–1517), der nach seinem Magisterstudium in Köln als stellvertretender Rektor an der vom humanistischen Geist geprägten Domschule in Münster arbeitete, 1514 eine lateinisch-niederländische Liste, die Nuclei zusammen. Der Rektor der lateinischen Schule in Weert, Evaldus Gallus (Ewald Franssen), gab 1556 eine ausführlichere Liste, das Dictionariolum Latinogermanicum, heraus. Als Hilfe beim Übersetzen waren umfangreiche Listen von lateinischen Synonymen mit Entsprechungen in der Muttersprache gedacht, wie das Synonymorum Sylva von Simon Pelegromius von 1537. Sodann benutzten die Lehrer in ihrem Fremdsprachenunterricht Gesprächsbüchlein mit Wörtern, die nach Themen gegliedert waren, wie das Vocabulair pour apprendre Latin, Romain et Flameng, das bereits 1495 erschien. Beliebt war das mehrfach aufgelegte Vocabulare des Antwerpener Lehrers Noël van Berlaimont, das um 1530 zuerst in einer Version Niederländisch–Französisch mit einer zusätzlichen Wörterliste herausgebracht wurde. Im Laufe der Jahrhunderte sollten von diesem Lehrbuch über 140 Ausgaben mit bis zu acht Sprachenkombinationen folgen. In seinem Wörterbuch Pappa puerorum hatte Murmellius die Wörter ebenfalls systematisch geordnet. Er veröffentlichte es

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1513 zuerst Lateinisch–Deutsch in Köln, ein Jahr später Lateinisch–Niederländisch in Deventer. Bis 1576 kamen von diesem Buch noch mindestens neunzehn an die Sprache des jeweiligen Landstriches angepasste Auflagen in Deventer, Antwerpen und ’s-Hertogenbosch in den Handel. Weitere systematisch gegliederte Wörtersammlungen aus dieser Epoche mit diversen Sprachenkombinationen von Petrus Curius (Pieter van den Hove), Joannes Paludanus (Jean Desmarez) und Petrus Apherdianus (Pieter van Afferden) stützten sich auf Murmellius’ Werke. Von Apherdianus’ lateinischem Schulbuch Tyrocinium linguae Latinae wurden bis Mitte des 17. Jh. mindestens vierzehn Editionen mit einem niederländischen und neun mit einem deutschen Text veröffentlicht. Für Fremdsprachige war das kurz gefasste systematische Wörterbuch Dilucidissimus dictionarius gemeint, das zuerst in Augsburg 1530 ohne Niederländisch, dann 1534 in Antwerpen mit Niederländisch sowie Lateinisch, Französisch, Spanisch und Italienisch erschien. Ausführlicher war der systematische Nomenclator omnium rerum, 1567, des Mediziners und Humanisten Hadrianus Junius (Adriaen de Jonghe, 1511–1575) mit griechischen, deutschen, niederländischen, französischen, spanischen und gelegentlich englischen Übersetzungen der lateinischen Lemmata. Sodann erschienen niederländischsprachige Wörterlisten und -bücher für einzelne Fachbereiche. Auf dem Gebiet der Jurisprudenz verfasste der Antwerpener Anwalt und Schöffe Jan van den Werve (1522–1576) seinen Tresoor der Duytsscher talen (‚Schatz der niederländischen Sprache‘) 1553, sechs Jahre später neu aufgelegt als Den schat der Duytsscher talen. Jan van Mussems Rhetorica 1553 umfasste eine alphabetische Liste von Termini fremder Herkunft, Vocabularius van vreemde termen, mit entsprechenden Erklärungen. Der Rhetoriker hoffte so die Verwendung von Fachausdrücken in der Muttersprache zu fördern. Wörter der Gaunersprache finden sich in Der fielen, rabauwen oft der Schalcken vocabulaer (‚Vokabular der Gauner‘) von 1563. Vermutlich basiert es auf dem niederrheinischen Liber vagatorum 1510, das die Beschreibung verschiedener Bettlertypen und eine Liste mit Wörtern der geheimen Gauner- und Vagabundensprachen enthält. Als ein Übersetzungswörterbuch in der humanistischen Tradition ist Antonius Schorus’ (Anton Schore, 1500?–1552) lateinisches Wörterbuch von 1542 einzustufen. Der Lehrer aus Hoogstraten bei Antwerpen bearbeitete dazu das lateinisch-deutsche Wörterbuch Dictionarium (1535) des schweizerischen Humanisten Petrus Dasypodius (Peter Hasenfratz, um 1490–1559) und Freund Zwinglis, das in einer zweiten Auflage 1536 mit einem zusätzlichen deutsch-lateinischen Teil Generationen von Schülern beim Lateinunterricht benutzt haben. Die Arbeit Dasypodius’, geprägt von deutschen Lehnübersetzungen und Lehnschöpfungen, machte sich in Schorus’ Wörterbuch durch die Verwendung von Germanismen bemerkbar. Jan Berckelaer gab 1556 eine freiere, ostbrabantisch gefärbte Bearbeitung der zweiten Auflage von Dasypodius’ Wörterbuch heraus, das Dictionarium Germanicolatinum. Jan Gymnicks niederländische Version des Dictionariums aus dem gleichen Jahr folgt hingegen der Vorlage. Vorher hatte der Philologe Joannes Servilius (Jan Knaep, vor 1536–?) 1545 sein vom Brabantischen geprägtes lateinisch-griechisch-niederländisches Wörterbuch Dictionarium triglotton publiziert, das auf den Werken Schorus’ und Dasypodius’ basiert. Es wurde im Laufe eines Jahrhunderts mehr als ein Dutzend Mal neu aufgelegt. Im gleichen Jahr erschien wohl unter Einfluss von Dasy-

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podius und Schorus ein fünfsprachiges Wörterbuch, Pentaglottos, mit Lateinisch, Griechisch, Deutsch, Niederländisch und Französisch, eine gekürzte, immerhin noch 1460 Seiten zählende Bearbeitung des weitverbreiteten Wörterbuchs Dictionarium 1502 des Augustinermönches Ambrosius Calepinus (Ambrogio Calepino, 1436?–1510). Spätere sieben-, acht- und elfsprachige Editionen des Dictionariums aus dem letzten Viertel des 16. Jh. enthalten auch niederländische Einträge. Joos Lambrecht veröffentlichte 1546 zum ersten Mal in den Niederlanden ein Wörterbuch mit der Muttersprache als Grundlage, das niederländisch-französische Naembouck van allen na­tuerlicken ende ongheschuumde vlaemsche woorden, ghestelt in ordene by abc, ende twalsch daer by ghevought. Lambrecht schliesst sich der lexikalischen Arbeit Robert Estiennes (1499?– 1559) an, der in seinem französisch-lateinischen Wörterbuch Dictionaire Françoislatin 1539 von der eigenen Sprache ausgegangen war, auch wenn er die Beschreibungen auf die lateinischen Wörter ausrichtete. Möglicherweise übernahm Lambrecht in seinem puristischen, ostflämisch gefärbten Wörterbuch unmittelbar lateinische Lemmata Estiennes. Nach der zweiten Auflage des Naemboucks erschien 1582 noch eine dritte mit dem Titel Dictionaire Flamen-François. Sodann publizierte der Antwerpener Schulmeister Gabriel Meurier 1557 ein alphabetisch geordnetes französisch-niederländisches Wörterbuch, Vocabulaire françois-flameng. Dazu hatte er Estiennes Les mots François benutzt und vermutlich die lateinischen Einträge des Franzosen durch muttersprachliche Entsprechungen ersetzt. Für sein Dictionaire flameng-françois 1563 stützte Meurier sich auf Arbeiten von Dasypodius, Berckelaer, Lambrecht und Estienne. Als Erster im niederländischen Sprachraum strebte der Drucker Christoffel Plantijn (vgl. 5.1.2.2.) eine umfangreiche Beschreibung des Wortschatzes seiner Muttersprache an. Sein erstes, anonym veröffentlichtes Wörterbuch mit Einträgen in der Muttersprache, das Dictionarium tetraglotton 1562, umfasst ungefähr 20.000 Lemmata und wurde wahrscheinlich von seinem Mitarbeiter Cornelis Kiliaan (Cornelis Kiel, geborener Cornelis Abts, 1529?–1607) angefertigt. Etwa neunzig Prozent der Angaben zum Lateinischen, Griechischen und Französischen dürften auf Guillaume Morels Verborum Latinorum cum Graecis Gallicisque coniunctorum Commentarij 1558 zurückgehen, der selbst die Wörterbücher Estiennes und Calepinus’ als Quelle benutzt hatte. Einige der niederländischen Eintragungen im Dictionarium tetraglotton sind Übersetzungen von Angaben aus dem lateinisch-deutschen Dictionariolum puerorum Latinogermanicum 1556 des Basler, später Zürcher Professors für Lateinisch und Griechisch Joannes Frisius. Plantijns viersprachiges Wörterbuch erlebte in den folgenden Jahrzehnten vier Neuauflagen, eine von Mathias Martinez de Waucquier bearbeitete Edition wurde bis ins 18. Jh. über zwanzig Mal neu gedruckt. Plantijn versuchte mit seinem Thesaurus Theutonicae linguae. Schat der Neder-duytscher spraken 1573, einem Werk, das etwa 40.000 Lemmata umfasst, eine vollständige Beschreibung des niederländischen Wortschatzes zu verwirklichen. Im Vorwort führt er aus, dass er sich dabei nach französischen und deutschen Wörterbüchern richte, da die niederländischen zu beschränkt seien. Dazu liess er seinen Lektor Andries Madoets die in den Niederlanden publizierten Wörterbücher zusammenfassen. Zudem übernahm er Angaben aus dem Dictionaire Françoislatin 1564 von Jean Thierry sowie aus Josuas Maalers Wörterbuch Die Teütsch Spraach 1561, das der

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zürcherische Pfarrer konsequent mit Deutsch als Ausgangssprache lemmatisiert hatte. Die vier Redaktoren Plantijns, die das Wörterbuch verfassten, stützen sich vor allem auf die Arbeit Robert Estiennes, der, aus einem Geschlecht französischer Humanisten und Drucker stammend, die moderne Lexikografie begründete. Sein Dictionarium seu Latinae linguae Thesaurus 1531, eine umfassende Beschreibung des lateinischen Wortschatzes samt Redewendungen, hatte neue Mass­ stäbe für die Verfasser von Wörterbüchern in der Renaissance gesetzt. Auch Estiennes mehrsprachige Wörterbücher wie das Dictionarium Latinogallicum 1538, das Dictionaire Françoislatin 1539, seine Schulwörterbücher sowie die spanischen, niederländischen, englischen und italienischen Bearbeitungen seiner Wörterbücher prägten die lexikografische Arbeit dieser Epoche. Kiliaan sollte dann mit seiner Arbeit die Lexikografie in den Niederlanden weiter entwickeln und während Jahrhunderten prägen. Nach seinem Lateinisch-, Griechisch-, Hebräisch-Studium an der Universität Löwen trat er als einfacher Schriftsetzer in die Dienste von Plantijns Druckerei in Antwerpen, die sich zum grössten Buchdruckunternehmen Europas entwickeln sollte. Später brachte er es zum Lektor des Verlages, einem Beruf, für den sich nur Gelehrte eigneten. Er wirkte an der Veröffentlichung der achtbändigen Polyglottbibel (1571/72) mit, die als ungewöhnliche Leistung der damaligen Buchdruckkunst gilt, fand gelegentlich aber auch Zeit, während der niederländischen Auflehnung gegen Spanien geheime spanische Dokumente für Prinz Wilhelm zu übersetzen. Kiliaans erstes Wörterbuch Dictionarium Teutonico-Latinum erschien 1574. Der Verfasser stützte sich für das ungefähr 12.000 Lemmata umfassende Werk auf Frisius’ deutsch-lateinisches Wörterbuch, berücksichtigte aber auch Veröffentlichungen von Maaler und Estienne sowie ältere niederländische Wörterbücher von Lambrecht und Berckelaer. Laut dem Vorwort strebt Kiliaan eine möglichst vollständige Beschreibung der Muttersprache an, wählt dazu Brabantisch als Grundlage. Wörter, die in anderen Gegenden der niederländischen Provinzen vorkommen, bezeichnet er vermutlich angeregt durch Junius’ Nomenclator separat, wozu er Kürzel wie fland. (‚Flämisch‘), holl. (‚Holländisch‘), fris. (‚Friesisch‘) benutzt. Gelegentlich erwähnt er auch Städte, zum Beispiel Gand (‚Gent‘). Sodann gebraucht der Verfasser die Siglen sic. (Sicambris: ‚Niederrheinisch‘), sax. (‚Sächsisch‘) und ger. (‚Hochdeutsch‘), was auf eine grosszügige Verwendung des Begriffes Teutonicum als ‚Volkssprache‘ deutet. Wörter der Kategorien sic., sax. und ger. führt Kiliaan allerdings auch als fremdsprachige Synonyme der lateinischen Stichwörter auf, was eine Unterscheidung der deutschen Wörter und der Wörter aus ‚Germania inferior‘ beinhaltet. Die über 400 deutschen ‚ger.-Wörter‘, die der Autor in sein lateinisches Wörterbuch aufnimmt, eigneten sich nach seiner Auffassung zur Ergänzung der Muttersprache. Manche davon haben sich im Niederländischen tatsächlich bis heute gehalten wie geheim (‚Geheim‘), gevaar (‚Gefahr‘) oder grens (‚Grenze‘). Wörter wie argwaan (‚Argwohn‘), geweten (‚Gewissen‘) oder herinneren (‚erinnern‘) sind in diesem Wörterbuch zum ersten Mal belegt, was darauf deutet, dass Kiliaan sie selbst in seine Muttersprache einführte. Wörter französischer Herkunft, die er in der ersten Auflage als gal. bezeichnet, entfernt er im Haupttext der zweiten Edition von 1588. Diese laut ihm fremden Wörter, die mancher ‚Anwalt, Rhetoriker oder Besserwisser‘ verwendet, führt er mit entsprechenden lateinischen Erklärungen in einem separaten Appendix auf, damit der Leser lernt, die richtigen Ausdrücke zu verwenden. Kiliaans puristisches Vorgehen hat nicht verhindert, dass viele dieser Entlehnungen roma-

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nischer Herkunft nach wie vor zum niederländischen Wortschatz gehören, zum Beispiel agent (‚Polizist‘), alarm (‚Alarm‘) oder conciërge (‚Hauswart‘). Schliesslich hält der Verfasser mit der Bezeichnung vet. bzw. vetus fest, welche Wörter veraltet sind. Neu im Dictionarium TeutonicoLatinum sind die Erklärungen zur Verwandtschaft der Stichwörter mit ihren Entsprechungen in Französisch und Deutsch. Kiliaan, der in seinen etymologischen Erklärungen auch englische, niederdeutsche, gotische und griechische Belege berücksichtigt, tritt damit als erster Gelehrter Europas in Erscheinung, der vergleichend Sprachen beschreibt. In der zweiten, erweiterten Edition, mit bedeutend mehr Belegen u.a. zum Sächsischen, Spanischen, Italienischen und Hebräischen, beruft er sich auf weitere wissenschaftliche Werke. Die dritte, stark vermehrte Ausgabe des Wörterbuches mit dem Titel Etymologicum Teutonicae Linguae, sive Dictionarium Teutonico-latinum, das 1599 bei Plantijns Nachfolger und Schwiegersohn Jan Moretus erschien, umfasst ungefähr 40.000 Lemmata. Im Vorwort dieses Druckes geht der Verfasser auf die Problematik etymologischer Erklärungen ein. Zu den sekundären Quellen, die er nennt, zählen Humanisten, Gelehrte und Dichter wie Erasmus, Lipsius, Guicciardini, Do­ doens und Boccaccio sowie mehrere Verfasser von Wörterbüchern wie Murmellius, Estienne und Frisius. Das umfangreiche, auf der Muttersprache beruhende Etymologicum mit seinen ausführlichen sprachhistorischen Erklärungen sollte immer wieder neu aufgelegt werden. Der Thesaurus Theutonicae linguae und Kiliaans bahnbrechende Wörterbücher prägten die niederländische Lexikografie bis ins 19.  Jh. So basieren niederländisch-französische Wörterbücher, u.a. Mathias Sasbouts Dictionaire Flameng-Françoys 1576 auf dem Thesaurus. Niederländischlateinische Wörterbücher wie zum Beispiel das Dictionarium Teutonico-Latinum (erste Auflage zwischen 1620–1625) des in Antwerpen lebenden deutschen Buchhändlers und Zeitungsverlegers Martin Binnert stützen sich auf Kiliaans Werk. Die lexikografische Arbeit in der frühen Neuzeit, die die ersten umfangreichen systematischen Beschreibungen des niederländischen Wortschatzes hervorbrachte, zeugt nicht nur vom neuen Ansehen der Muttersprache, sondern zeigt auch, wie sehr Gelehrte, Humanisten und Verleger sich darum bemühten, das Niederländische zu kultivieren und aufzubauen. 5.2.2.4. Puristische Bestrebungen Eine Mehrheit der Gelehrten und Dichter, die in der frühen Neuzeit bestrebt waren, das Niederländische als vollwertige Kultursprache zu entwickeln und in ihren Werken bestmöglich anzuwenden, versuchten, wie dargelegt, ihre Muttersprache zu ‚säubern‘. Diese puristischen Bestrebungen, die das Lexikon betrafen, lassen sich nicht nur in literarischen, grammatikalischen und lexikografischen Veröffentlichungen feststellen, sondern auch in Werken auf dem Gebiet der Religion, Kunst und Wissenschaft. Von allen Fachbereichen gibt es Vertreter, die Lehnwörter, insbesondere Wörter romanischer Herkunft, durch ‚einheimische‘ Synonyme ersetzten. Auf der anderen Seite schmückten sie die Sprache ihrer Werke morphologisch und syntaktisch gerade nach lateinischem Muster aus. Somit gewann die Hochsprache in den Augen der Intellektuellen jener Zeit einerseits an Ansehen durch die Vermeidung von Lehnwörtern lateinischen Ursprungs, andererseits durch die Ausarbeitung und Anwendung komplexer, am Lateinischen orientierter grammatischer Regeln.

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Eindeutig lassen sich solche Auffassungen zur niederländischen Kultursprache im Twespraack nachweisen. Bereits in dessen Vorwort beanstandet Coornhert, man ‚leihe ohne Notwendigkeit aus fremden Sprachen, was die eigene Sprache mehr und besser zu Hause besitze‘: ‚(…) datmen zo ghantschelyck zonder alle nood ghewoon was te lenen ende te lortsen van vreemde talen t’gheen wy zelve meer en beter t’huys hadden (…)‘ Die erste niederländische Grammatik stellt dann unmittelbar in Kapitel I die Verwendung von Lehnwörtern zur Diskussion. ‚Dat eerste capittel‘ eröffnet nicht ohne Witz den Dialog zwischen Roemer und Gedeon mit zwei Lehnwörtern: Bon jours Neef. Gedeon erwidert den Gruss daraufhin mit ghoeden dagh Cozyn. Damit ist der Ton gesetzt, die Verwendung von Lehnwörtern wird nicht nur ironisiert, sondern scheint zudem überflüssig. Aus dem Gespräch der beiden Männer geht hervor, dass die einheimischen Wörter besser als Lehnwörter seien. Dazu führen sie die angeblich grosse Zahl einsilbiger Wörter in der eigenen Sprache als Argument an, eine damals beliebte Beweisführung. Diese Gegebenheit zeige, dass das Niederländische alt sei und eine ausserordentliche Qualität besitze. Andere Sprachen hätten denn auch aus dem Niederländischen geliehen, was die Verfasser volksetymologisch u.a. mit einem Substantiv wie avontuur (‚Abenteuer‘) zu belegen versuchen: das Wort stamme von ‚avond uur‘ (‚Abendstunde‘) und deute die Zeit an, in der das Unerwartete passieren kann. Allerdings sei die eigene Sprache neuerdings so sehr mit Fremdwörtern gespickt, dass es unter der Bevölkerung gar ungebräuchlich wäre, rein einheimische Wörter zu wählen. Man müsse niederländische Wörter anstelle von Fremdwörtern gebrauchen, wozu nicht nur veraltete Wörter, sondern auch Neubildungen zu benutzen wären. Die Verfasser der Twe-spraack gehen mit gutem Beispiel voran und wählen für die grammatikalischen Fachausdrücke Neologismen: ‚singularis‘ wird zu enkel ghetal, ‚pluralis‘ wird meervoud und naam ersetzt ‚nomen‘. Auch in Ruyghbewerp vande Redenkaveling, einem von der Eglantier veröffentlichten Buch zur Logik, finden sich niederländische Fachausdrücke, zum Beispiel onderwerp für ‚subiectum‘ oder redenkaveling für ‚dialectica‘. Je nach Fachgebiet und Verfasser lassen sich in der frühen Neuzeit unterschiedliche Auffassungen zum Gebrauch von Lehnwörtern feststellen. Häufig ersetzen die Autoren niederländischsprachiger Fachliteratur Lehnwörter romanischen Ursprungs durch Neubildungen, wörtliche Übersetzungen und neue Zusammensetzungen. Gelegentlich übersetzen sie auch die deutschen Entsprechungen in die Muttersprache. Dodoens benutzt in seinem Cruydeboeck gängige Ausdrücke aus der gesprochenen Sprache, er bildet neue Zusammensetzungen und übersetzt Begriffe aus dem Deutschen. Das puristische Vorgehen Dodoens’, das von Lobel, einem Fachgenossen, übernommen wurde, fand seinen Niederschlag in den Wörterbüchern Kiliaans und hat das Niederländische auf dem Gebiet der Botanik mitgeprägt. Auch im Bereich der Medizin wählen puristische Verfasser wie Van Beverwijck und De Graaf Neubildungen germanischen Ursprungs, die Von Zesen im Übrigen teilweise in seinen Veröffentlichungen verdeutscht. Sodann erweist sich Stevin als Purist, wenn er für die Mathematik, Logik, Zinsrechnung und Physik an Stelle französischer Lehnwörter Zusammensetzungen und Wortschöpfungen germanischer

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Herkunft wählt. Auch Stevin ergänzt mit diesen Fachausdrücken, die Kiliaan in seine Wörterbücher aufnimmt, den niederländischen Wortschatz, andere Verfasser im Bereich der Technik, wie Verroten, übernehmen sie. Auf dem Gebiet der Biologie benutzt Van Leeuwenhoek Fachausdrücke germanischen Ursprungs, Swammerdam geht puristisch vor in Veröffentlichungen zur Anatomie und Entomologie. Die Juristen hingegen bevorzugen in der Regel Fachbegriffe romanischer Herkunft, wie sich bei Damhouder zeigt. Merula’s Versuch, deutsche Lehnwörter in der Jurisprudenz einzuführen, schlug genauso fehl wie Hugo de Groots Bestreben, juristische Lehnwörter durch niederländische Synonyme zu ersetzen. In religiösen Texten lassen sich unterschiedliche Haltungen zu den Lehnwörtern feststellen. Wortwörtliche Übersetzungen hoch- und niederdeutscher Ausdrücke in Bibeltexten von Utenhove stossen auf Ablehnung, die Wahl von Lehnwörtern deutschen Ursprungs durch Van Wingen erntet Missfallen. Dennoch wurden dank Bibelübersetzungen und anderer religiöser Texte deutsche Lehnwörter ins Niederländische aufgenommen. Eine gemässigte Haltung vertritt Baudart, der französische Lehnwörter durch aus dem Deutschen übersetzte Entsprechungen ersetzt, soweit sie nicht eingebürgert sind. Die Übersetzer und Lektoren der Statenvertaling meiden ebenfalls Wörter romanischer Herkunft, ausser sie sind allgemein gebräuchlich, der Verwendung von Lehnwörtern deutschen Ursprungs stimmen sie hingegen zu. Auf dem Gebiet der Musik und der bildenden Kunst bleiben Lehnwörter, im Einklang mit Van Manders Auffassungen, gängig, Bans puristische Wortwahl im Bereich der Musik findet keine Nachahmung. In der Belletristik wandelt sich die zuerst beliebte Verwendung von Lehnwörtern romanischer Herkunft bei den rederijkers in ihr Gegenteil bei den Dichtern der Renaissance. Letztere verwenden Neubildungen, Lehnübersetzungen und neue Zusammensetzungen, die sich zum Teil im Niederländischen gehalten haben. Dass der Gegenstand des Schreibens die Haltung zu Lehnwörtern bestimmt, zeigt sich bei Hooft. Als Verwalter benutzt er ohne Hemmungen juristische Fachausdrücke lateinischer und französischer Herkunft, als Schriftsteller scheint er den Purismus mit seinen Neubildungen, Lehnübersetzungen und neuen Zusammensetzungen geradezu zu verkörpern. Humanisten und Gelehrte, die sich mit der Sprache befassen, äussern sich unterschiedlich zur Verwendung von Lehnwörtern. In einer Epoche, in der mancher Gelehrte auch das Latein als Sprache der Wissenschaft und der römisch-katholischen Kirche zu säubern versuchte und neolateinische Texte veröffentlichte, wehren sich Wissenschaftler mehrheitlich gegen die Verwendung von Lehnwörtern, insbesondere romanischer Herkunft. Weniger eindeutig ist ihre Haltung zu Wörtern deutscher Herkunft. Einige, wie Pontus de Heuiter, weisen auch diese zurück, Marnix und Jan van der Noot scheinen ebenfalls deutsche Lehnwörter zu meiden. Jan van Hout hingegen sieht in der germanischen Schwestersprache eine Verbündete gegen romanische Eindringlinge. Das Ergebnis der puristischen Bestrebungen fällt unterschiedlich aus. In einigen Bereichen ersetzen bis zum heutigen Tag niederländische Synonyme die damals von Puristen getadelten Lehnwörter, zum Beispiel die Ausdrücke für die Grundrechenarten optellen (‚addieren‘), aftrekken (‚substrahieren‘), delen (‚dividieren‘) und vermenigvuldigen (‚multiplizieren‘). In anderen Fachgebieten ist einmal das Lehnwort als Fachausdruck gängig, dann wieder das niederländische Synonym oder man verwendet Lehnwort und niederländische Entsprechung durcheinander.

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So benutzt man in der Sprachwissenschaft eher grammatica als spraakkunst, für ‚Verb‘ ist werkwoord und nicht verbum gebräuchlich, onderwerp und subject sind beide übliche Fachwörter. In der Medizin verwenden Mediziner und Laien Fachwörter romanischer Herkunft neben niederländischen Entsprechungen je nach Situation und Person. In anderen Wissensgebieten wie Jurisprudenz, Kunst und Musik haben sich Lehnwörter als Fachausdrücke neben niederländischen Synonymen gehalten.

5.2.3. Quellen und Anwendungsbereiche des Frühneuniederländischen Nach wie vor war Latein auch in den Niederlanden die Sprache der Wissenschaft, Kirche und Verwaltung, während die Volkssprache zur mündlichen Verständigung im Alltag diente. Allerdings hatte die Muttersprache in Urkunden und in ‚Gebrauchstexten‘, zum Beispiel in Dokumenten der Zünfte oder in Güterregistern, das Latein allmählich verdrängt, weiter verhandelten die Kontrahenten beim Gericht in der Muttersprache. Die in der Volkssprache formulierte Literatur, die eine jahrhundertelange mündliche wie schriftliche Tradition kannte, entfaltete sich im 16. Jh. vor allem durch die Dichtung der rederijkers, Mitglieder der Rhetoriker-Gesellschaften. An den Theaterfesten der Rhetoriker in den südlichen Niederlanden wurden Stücke übrigens in niederländischer wie in französischer Sprache aufgeführt (vgl. Farbb. XVb), Preise gab es für die besten Stücke in beiden Sprachen, von Rivalität zwischen Sprechern der beiden Sprachen, die sich später äussert, scheint nicht die Rede zu sein. In den nördlichen Niederlanden sollte die niederländische Literatur ein ‚goldenes Jahrhundert‘ erleben. Sodann veröffentlichten ab Mitte des 16. Jh. Gelehrte immer häufiger grössere wissenschaftliche Werke in niederländischer Sprache. Dass dies eine grundlegende Änderung der Stellung des Niederländischen bedeutete, geht aus den, häufig ausführlichen, Begründungen der Verfasser hervor. Gegen Ende des 16. Jh. scheinen Erläuterungen zum Gebrauch der Muttersprache nicht mehr nötig zu sein, das Niederländische eignet sich dann offenbar ebenso gut wie Latein oder Französisch für wissenschaftliche Veröffentlichungen, es erschienen niederländischsprachige Werke in sämtlichen Wissenschaftsbereichen. 5.2.3.1. Wissenschaft Die Neuorientierung der Wissenschaft in der Renaissance, die durch eine kritische Auseinandersetzung mit den Quellen, durch Überprüfung überlieferter Thesen, eigene Beobachtungen und Experimente eine neue Geisteshaltung markiert, setzte einen Strom Veröffentlichungen in Gang, nicht nur in lateinischer Sprache, sondern auch in der Muttersprache und auf Französisch, das sich als internationale Kultursprache etablierte. Obschon vor allem das Latein, das die Humanisten in ihren Veröffentlichungen zu kultivieren und zu ‚säubern‘ versuchten, wie im Mittelalter als internationale Wissenschaftssprache galt, bevorzugten Gelehrte der unterschiedlichsten Fachgebiete vermehrt die eigene Sprache, was auch in den Niederlanden eine Funktionserweiterung der Muttersprache bedeutete. Die Verwendung des Niederländischen, die es auch den Laien ermöglichte, wissenschaftliche Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen, deutet auf eine Wertschätzung der Muttersprache hin, die das Latein bei Botanikern, Medizinern, Mathematikern, Physikern, Juris-

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ten, in der Musik und in der Kunst im Laufe des 16. Jh. vollwertig zu ersetzen vermochte, wie u.a. N. van der Sijs ausführlich belegt hat. In Latein verfasste Werke von Dodoens, Stevin oder De Groot wurden in die Muttersprache übersetzt oder umgekehrt, mitunter um eine möglichst grosse Leserschaft zu erreichen; mancher Gelehrte späterer Generationen verzichtete gar auf die Verwendung von Latein für die wissenschaftliche Arbeit. Bezeichnenderweise veröffentlichte Pieter Rabus die erste Gelehrtenzeitschrift der Niederlande, De Boekzaal van Europe 1692, ähnlich wie das Journal des Savants 1665 in Paris oder die vom Hugenotten Pierre Bayle herausgegebenen Nouvelles de la république des lettres, 1684–87 in der Muttersprache. Die Verwendung des Niederländischen in der Wissenschaft setzte Überlegungen zur Wahl sprachlicher Varianten und zum Gebrauch von Fachausdrücken in der Muttersprache voraus, die sich häufig in Einführungen und Kommentaren finden. So begründete der international angesehene Mediziner und Kräuterspezialist Rembert Dodoens (1517–1585), Leibarzt des deutschen Kaisers Maximilian II. und Professor für innere Medizin an der Universität Leiden, 1554 die Verwendung des Niederländischen in seinem Cruydeboeck (‚Kräuterbuch‘) mit der Überlegung, dass sein Buch sowohl Gelehrten als auch Laien nützen sollte. Eine lateinische Ausgabe des Buches, die 1583 nach der französischen (1557) und englischen (1578) Ausgabe mit Fachausdrücken in acht Sprachen erschien, machte das Werk für Anderssprachige zugänglich. Es enthält über 1000 Namen von Pflanzen, davon mehrere der mündlichen Sprache, die zum ersten Mal schriftlich belegt sind, entweder als niederländische Form eines Fremdwortes wie citroen (‚Zitrone‘), ereprijs (‚Ehrenpreis‘), die dem Deutschen entlehnt sind oder als Zusammensetzung, z.B. madelief (‚Gänseblümchen‘), rodekool (‚Rotkohl‘). So bereicherten Fachausdrücke aus dem Cruydeboeck, die 1599 ins massgebende Wörterbuch von Kiliaan aufgenommen wurden, das Lexikon der niederländischen Sprache im Bereich der Pflanzenkunde. Dodoens’ bahnbrechende Initiative, eine solche umfangreiche wissenschaftliche Arbeit, die von eigenständigen Beobachtungen zeugt und erstmalige Beschreibungen enthält, in niederländischer Sprache zu veröffentlichen, wurde bald nachgeahmt, u.a. von De Lobel, der 1581 ein Kruydtboeck herausgab. Jan Wouters (1539–1598), Mediziner und Professor an der Universität Löwen, übersetzte lateinische Werke des berühmten Anatomen Vesalius, um nach eigener Aussage Laien vor der Geldgier der Ärzte und ihren überflüssigen, häufig schmerzhaften medizinischen Eingriffen zu warnen. Trotz möglicher Befürchtungen anderer, die Heilkunde verlöre beim Verzicht auf Latein an Status, veröffentlichte der Arzt Johan van Beverwijck (1594–1647) im 17. Jh. die meisten seiner medizinischen Handbücher auf Niederländisch, nicht nur um die Leser über Krankheiten und Heilmittel aufzuklären, wie er ausführt, sondern auch um für eine gesunde Lebensweise zu werben. Indem Van Beverwijck die Muttersprache verwendete, was ihm sein Freund Jacob Cats (1577–1660), der wohl beliebteste niederländische Schriftsteller seiner Zeit, empfohlen hatte, trug er zur Verbreitung vieler medizinischer Fachausdrücke bei, u.a. durch bis zum heutigen Tag gängige Zusammensetzungen wie buikvlies (‚Bauchfell‘), galblaas (‚Gallenblase‘) oder hoofdpijn (‚Kopfschmerzen‘). Philipp von Zesen übersetzte Beverwijcks Arbeit ins Deutsche. Dieser Purist, Gründer der Deutschgesinnten Genossenschaft, wählte im Übrigen häufig niederländische Beispiele für die Schöpfung deutscher Neubildungen wie beispielsweise Abstand (‚afstand‘) oder Staatsmann (‚staatsman‘).

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Der Gebrauch der Muttersprache war in der Medizin allerdings nicht unumstritten. So wehrte sich der Arzt Cornelis Bontekoe (oder ‚Dekker‘, 1647–1685), Leibarzt des Kurfürsten von Brandenburg, gegen die Verwendung der Muttersprache in medizinischen Fachbüchern, u.a. um dem Missbrauch durch Quacksalber und Apotheker zuvorzukommen, auch wenn er selbst 1678 eine niederländischsprachige Abhandlung über heilende Tees veröffentlichte. Die Wahl der Sprache in medizinischen Publikationen hing offenbar von den unterschiedlichsten Überlegungen ab, wobei man Niederländisch als hilfreich betrachtete, um Laien aufzuklären, Gespräche mit Patienten leichter führen zu können oder die Arbeit von Hebammen zu erleichtern. Die Verwendung von Latein hingegen diente dazu, Missbrauch von Fachwissen zu vermeiden, sich international besser zu verständigen oder um fachliche Auseinandersetzungen zu ermöglichen – Latein war ja die Sprache der Universitäten. So enthält die niederländische Sprache im Bereich der Medizin neben Lehnwörtern, die in der Regel aus dem Griechischen bzw. Lateinischen stammen, häufig Entsprechungen in der Muttersprache, z.B. placenta neben moederkoek (‚Mutterkuchen‘) oder tuberculose neben tering (‚Tuberkulose‘), Ausdrücke, die von Fachleuten wie von Laien bis heute nebeneinander gebraucht werden. Der Mathematiker Simon Stevin (1548–1620), Mitgründer der Ingenieurschule in Leiden (1600), der ersten Ausbildungsstätte dieser Art in Europa, wurde durch seine theoretische Arbeit, seine Experimente und seine Erfindungen bekannt. So entdeckte der Lehrer und Berater des Prinzen Moritz von Oranien u.a. das hydrostatische Paradoxon. Er widerlegte, Jahre früher als Galilei, ein aristotelisches Gesetz zu fallenden Objekten mit unterschiedlichem Gewicht. Er befasste sich mit dem Bau von Festungen, entwarf eine Verteidigungslinie, bestehend aus Wasserwegen und Schleusen, die für das kriegführende Holland von höchster Bedeutung war, entwickelte aber auch das schnellste Landfahrzeug seiner Zeit: den Segelwagen. Nach seinem niederländischsprachigen Buch über Zinsrechnung, 1582, das für Buchhalter ohne Lateinkenntnisse bestimmt war, publizierte Stevin zuerst in Latein und Französisch. Ab 1585 schrieb er seine Werke über Gegenstände wie Logik, Mathematik, Festungsbau, Physik oder Gesellschaft, abgesehen von einem kleinen Pamphlet, nur noch auf Niederländisch, nicht nur aus Liebe zum Vaterland, wie er in seinem Dialectike ofte Bewysconst (‚Dialektik‘) von 1585 darlegt, sondern auch um von Lesern verstanden zu werden, die keine Fremdsprachen beherrschten. In seinem Dialectike verwendet Stevin häufig gängige Lehnwörter zum besseren Verständnis, obschon er die von ihm hinzugefügten niederländischen Entsprechungen, wie meetkunde für geometrie (‚Geometrie‘) oder stof für materie (‚Materie‘), bevorzugt. In seiner nächsten Veröffentlichung, Beghinselen der Weeghconst (‚Grundlagen der Statik‘), das 1586 zusammen mit einem Buch über Hydrostatik erschien, lobt er die niederländische Sprache, die sich nach seiner Meinung besser für die Wissenschaft eignet als Griechisch oder Latein. Zur Begründung führt er einige in seiner Zeit beliebte Argumente an, die zwei Jahre vorher in der ersten Grammatik des Niederländischen, der Twe-spraack, ausführlich zur Sprache gekommen waren: Niederländisch enthalte viele einsilbige Wörter, von Stevin mit Listen belegt, die sich leicht für die Bildung von Zusammensetzungen verwenden liessen, was gerade bei der Entwicklung von wissenschaftlichen Begriffen vorteilhaft sei. Zudem sei die niederländische Sprache beweeglijk, was wohl ‚geschmeidig‘ gleichzusetzen ist, das heisst hier geeignet, um unterschiedliche Wirkungen auszulösen. Wie mancher

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Zeitgenosse vertritt Stevin schliesslich die Überzeugung, Niederländisch sei alt und habe anderen Sprachen als Quelle für Entlehnungen gedient. Die vorzüglichen Eigenschaften des Niederländischen, insbesondere der Sprache Nordhollands mit ihren einsilbigen Formen wie moer für moeder (‚Mutter‘) oder broer für broeder (‚Bruder‘), behandelt der aus dem flämischen Brügge stammende Stevin erneut ausführlich in seinen Wisconstige Ghedachtenissen (‚Mathematische Überlegungen‘) aus den Jahren 1605 und 1608. Laut diesem Werk sei das Niederländische in der Urzeit der Weisen geschaffen worden, die Pflege der Muttersprache sei somit angesagt. Mit seinem Vorgehen, die in der Volkssprache bestehenden Fachausdrücke an Stelle von Entlehnungen zu benutzen bzw. zu verbreiten und falls nötig neue Wortschöpfungen zu prägen, hat Stevin als angesehener Gelehrter das Niederländische befähigt, auch in den Bereichen der Technik, Physik und Mathematik als Wissenschaftssprache zu fungieren. Dass Kiliaans Wörterbücher von 1588 und 1599 von Stevin verwendete Ausdrücke enthalten, die allgemeingültig wurden, zeigt, wie erfolgreich sein Bemühen um das Niederländische war. Viele Forscher in den Niederlanden gingen in der Renaissance in der Verwendung ihrer Sprache wie Stevin vor. Zu ihnen zählt der Mathematiker Jacob Willemsz. Verroten (1599–?) mit seinem 1633 in Hamburg veröffentlichten Euclides Zes eerste boekken, van de beginselen der wiskonsten (‚Euklids sechs erste Bücher der Grundlagen der Mathematik‘), der sich ausdrücklich auf Stevin beruft und die Meinung vertritt, ein Wort solle nur einer Bedeutung entsprechen, wie dies angeblich in der ‚Zeit der Weisen‘ der Fall war. Allmählich verwendeten die Forscher im Laufe des 17. Jh. ihre Muttersprache so selbstverständlich wie Latein oder Französisch. Die Wahl der Sprache ist wohl je nach Verfasser den zufälligen Gegebenheiten zuzuschreiben: beherrschte er nur die Muttersprache, so verwendete er Niederländisch, verblieb er in Frankreich, lag es auf der Hand, auf Französisch zurückzugreifen, in einer internationalen wissenschaftlichen Auseinandersetzung konnte Latein den Vortritt erhalten. Jan Baptist van Helmont (1579–1644) verbreitete in der niederländischen Übersetzung seines Ortus medicinae (1648) diverse bereits bestehende oder neu gebildete Fachausdrücke, wie verzilten (‚Salzigwerden der Äcker‘), zeezout (‚Meersalz‘) oder gas (‚Gas‘), ein Wort, das andere Sprachen dem Niederländischen entlehnen sollten. Von den meistens in lateinischer oder französischer Sprache veröffentlichten Werken des Gelehrten Christiaan Huygens (1629–1695), Sohn des Dichters Constantijn Huygens, erschienen neben deutschen und englischen auch niederländische Übersetzungen. Seine in Niederländisch verfasste Arbeit über Wahrscheinlichkeitsrechnung wurde zuerst lateinisch, danach in der Muttersprache herausgegeben. Von seinen mikrobiologischen Untersuchungen zeugen Antoni van Leeuwenhoeks (1632–1723) Briefe, in denen diverse Fachausdrücke wie vierzijdig (‚vierseitig‘) oder vergrootspiegel (‚Vergrösserungsspiegel‘) zum ersten Mal schriftlich belegt sind. In der später ins Latein übersetzten Arbeit des Anatomen und Entomologen Johannes Swammerdam (1637–1680) erscheinen erstmals Bezeichnungen wie watervlo (‚Wasserfloh‘) oder zeester (‚Seestern‘). Auch der Arzt Reinier de Graaf prägte bzw. verbreitete auf seinem Fachgebiet Ausdrücke wie moederkoek (‚Mutterkuchen‘) oder voorhuid (‚Vorhaut‘). Das Handbuch für Prozessrecht Synopsis Praxeos Civilis, Maniere van Procederen (‚Synopsis Praxeos Civilis, Art und Weise des Prozessierens‘), 1592, von Paullus Merula (1558–1607) erschien wie sein Buch über Jagdverordnungen 1605 in niederländischer Sprache, damit jeder

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den Text verstehen konnte, wie der Verfasser darlegt. Zudem bevorzugte er die Muttersprache, da sich für die gängigen juristischen Ausdrücke schwer lateinische Entsprechungen finden liessen und die gesetzlichen Bestimmungen in niederländischer Sprache verfasst seien. Die Generalstaaten hatten ja 1582 entschieden, ihre Dokumente auf Niederländisch an Stelle von Französisch zu verfassen. Für Sachverhalte, für die es keine Begriffe gab, suchte Merula deutsche Lehnwörter, z.B. halssterk (‚halsstarrig‘) oder wijdluftig (‚weitläufig‘). Im Übrigen verwendeten die Juristen häufig lateinische bzw. französische Lehnwörter als Fachausdrücke, sogar wenn sie, wie Pieter Cornelisz. Hooft, ansonsten ausgesprochene Puristen waren. Von den 1554 bzw. 1567 ursprünglich in Lateinisch veröffentlichten Einführungen in die Jurisprudenz von Joost de Damhouder, die viele Auflagen erlebten, erschienen neben deutschen und französischen Ausgaben auch niederländische Übersetzungen. Um richtig verstanden zu werden, bevorzugte man in den niederländischen Fassungen die bei Juristen gängigen Lehnwörter, z.B. arrest (‚Haft‘, ‚gerichtliches Urteil‘) oder garant (‚Bürge‘). Die beachtliche Nachfrage nach diesen Übersetzungen, sie wurden elf Mal neu aufgelegt, zeigt, wie sehr das Niederländische bereits im 16. Jh. bei Beamten wie Juristen, an die sich der Verfasser in seiner Einführung wendet, gefragt war. So haben die international angesehenen Werke Damhouders, die dem preussischen Strafrecht als Grundlage dienten, das Niederländische im Bereich der Rechtswissenschaft terminologisch und im Sprachgebrauch mitgeprägt. Obschon der Universalgelehrte Hugo de Groot (1583–1645), Mitkämpfer Johan van Oldenbarnevelts, die Beschaffenheit des Niederländischen lobte und die Benützung der Muttersprache verteidigte, veröffentlichte er seine Arbeiten, z.B. De iure belli ac pacis über internationales Recht, meistens in Latein, gelegentlich aber auch in Griechisch oder Niederländisch. Wie Stevin, den er zitiert, erachtet er seine Muttersprache als den klassischen Sprachen gleichwertig, was er mit seinem Handbuch zum niederländischen bürgerlichen Recht, Inleiding tot de Hollandsche rechts-geleerdheyd (‚Einführung in die holländische Rechtswissenschaft‘) 1631 unter Beweis stellte. Die üblichen juristischen Lehnwörter ersetzte er durch ‚gute niederländische‘ Entsprechungen, die er zum grössten Teil mittelniederländischen Quellen entnahm, z.B. erfpacht (‚Erbpacht‘) oder sonst neu bildete. In den Randbemerkungen finden sich die fachlichen Lehnwörter bzw. lateinische Entsprechungen. Mit seinen puristischen Bestrebungen hatte De Groot in seiner Zeit wenig Erfolg, da die Juristen und Beamten in ihrer beruflichen Praxis zwar Niederländisch gebrauchten, aber ihr traditionelles Idiom beibehielten. Dass die Jurisprudenz auch damals angewiesen war auf Begriffe, die über längere Zeit festgelegt sind, zeigt sich an anderen juristischen Veröffentlichungen in dieser Epoche, wie Ulrik Hubers Heedendaegse Rechtsgeleertheyt (‚Gegenwärtige Rechtswissenschaft‘), 1686, die den Gebrauch von Lehnwörtern nicht scheuten. 5.2.3.2. Kunst Für die Musik machte Tielman Susato (± 1500–1561/64?) das Niederländische salonfähig, indem er 1551 niederländischsprachige Liederbücher, Het ierste musyck boexken (‚Das erste Musikbüchlein‘), Het tvueetste musyck boexken (‚Das zweite Musikbüchlein‘) sowie Het derde musyck boexken (‚Das dritte Musikbüchlein‘), veröffentlichte. Vorher waren bereits Lieder in niederländischer Sprache erschienen, z.B. das eher katholische Devoot ende Profitelijck Boecxken

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(‚Frommes und nützliches Büchlein‘), 1539, das neben mittelalterlichen Weihnachtsliedern auch Texte der Rhetoriker umfasste, oder die vor allem von Protestanten gesungenen Souterliedekens (‚Psalterliedchen‘), 1540, mit Bearbeitungen der Psalmen. Susato aber, der als Musikverleger Dutzende Kompositionen in verschiedenen Sprachen besorgte und am Anfang einer niederländischen Tradition der Musikdruckkunst steht, förderte bewusst das niederländischsprachige Lied, das nach seiner Auffassung vertonten Texten in anderen Sprachen ebenbürtig sei. Damit sollte er später recht bekommen, denn insbesondere in der hektischen Zeit der Auflehnung gegen Philipp II. wurden Lieder in der Muttersprache beliebt: so erschien 1577 Een nieu Geusen Lieden Boecxken (‚Ein neues Geusen Liederbuch‘); auch Wilhelmus van Nassouwe, das später zur niederländischen Nationalhymne wurde, stammt aus dieser Zeit. Von den Dutzenden niederländischen Liederbüchern, die in der Renaissance, aus naheliegenden Gründen oft in Taschenformat, herauskamen, zählt Adriaen Valerius’ Nederlandtsche Gedenck-Klanck (‚Klänge zur Erinnerung an wichtige niederländische Ereignisse‘), 1626, zu den bekanntesten. Der Band, mit einer Reihe ‚vaterländischer‘ Lieder über den Krieg gegen Spanien, darunter das international bekannte ‚Ein alt-Niederländisches Dankgebet‘, sollte im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aufgelegt werden. In Joan Albert Bans (1597?–1644) Zangh-Bloemzel (‚Gesangblüte‘), 1642–43, das Kompositionen für Texte bekannter zeitgenössischer Dichter wie Hooft, Huygens und Maria Tesselschade enthält, finden sich musikalische Erläuterungen in niederländischer Sprache. Mit seinen Bestrebungen, Fremdwörter im Bereich der Musik durch einheimische zu ersetzen, z.B. zangmaker für componist (‚Komponist‘) oder bijklank für accent (‚Betonung‘), hatte Ban nur beschränkt Erfolg, u.a. beim zeitgenössischen Drucker Paulus Matthysz. Die niederländische Musikkultur sollte sich doch an der international üblichen Terminologie orientieren, wie dies auch für die bildende Kunst zutrifft. Der Maler und Schriftsteller Karel van Mander (1548–1606), ein flämischer Mennonit, der schon zwei Jahre vor dem Fall von Antwerpen in den Norden flüchtete, erklärt in seinem Standardwerk über ausländische und niederländische Maler Het Schilder-Boeck (‚Malerbuch‘) 1604, dass für die Fachbegriffe Fremdwörter gebräuchlich sind. Auch seine Dichtung war anfänglich nicht frei von Lehnwörtern, später aber verwendete er als Dichter und Übersetzer eine ‚gesäuberte‘ Sprache und spornte andere Dichter an, fremde Elemente zu meiden. Zudem strebte der seit 1583 in Haarlem wohnhafte Van Mander die Entfaltung einer überregionalen Sprache an, indem er mit Erfolg versuchte, Sprachelemente aus den verschiedenen niederländischen Gebieten miteinander in Einklang zu bringen. 5.2.3.3. Religion Um den Menschen den Glauben nahezubringen, hatte bereits Erasmus von Rotterdam für die Verwendung der Landessprache im Religionsunterricht geworben und die Übersetzung der Bibel in die eigene Sprache gefordert. Im Einklang mit dieser Überzeugung steht das Bestreben der Protestanten, auch in den Niederlanden Gottes Wort in der Landessprache unter den Menschen zu verbreiten. Somit bewirkte das Aufkommen der Reformation im Laufe des 16. Jh. im Bereich der Religion eine weitere Funktionserweiterung der Muttersprache. Da die Texte für den gesamten Sprachraum, öfter auch für die Exilgemeinden verständlich sein sollten, bevorzugten

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die Übersetzer wie die zeitgenössischen Verfasser von niederländischsprachigen wissenschaftlichen Arbeiten überregionale Varietäten des Niederländischen. Die Verwendung solcher Mischsprachen, die keine der bestehenden lokalen Sprachvarietäten in vollem Umfang widerspiegeln, schliesst sich der jahrhundertealten Schreibtradition in den Niederlanden an. Die religiösen Texte des 16. und 17. Jh. weisen neben holländischen häufig flämische und brabantische, oft aber auch ostniederländische, hoch- bzw. niederdeutsche sowie archaische Merkmale auf. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Sprache der Bibelübersetzungen, des Katechismus und der Psalmen, die nicht selten täglich gelesen, vorgelesen bzw. gesungen wurden, die Entwicklung des überregionalen Niederländischen gesteuert hat. Obschon Latein die Sprache der römisch-katholischen Kirche blieb, erschien 1477 eine niederländische Übersetzung der Vulgata-Bibel. Diese Delfter Bibel, das erste gedruckte Buch in niederländischer Sprache (vgl. Farbb. V), umfasste lediglich das Alte Testament ohne die Psalmen. Neben diesem Text, der auf Petrus Naghels Übersetzung von 1361 gründet, benutzten die Gläubigen eine niederdeutsche Bibel, die 1478 in Köln gedruckt wurde. Zwei Jahre, nachdem die kirchlichen Behörden niederländisch- und französischsprachige Bibeln auf den Index gesetzt hatten, genehmigten sie 1548 die Veröffentlichung von Nicolaas van Winghes (1495?–1552) Übersetzung der Vulgata. Dieser in ‚gewöhnlich brabantischer Sprache‘ verfasste Text galt bis ins 19. Jh. als einzige zugelassene niederländische Übersetzung der Vulgata in der römisch-katholischen Kirche. Bereits zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Luthers Neuem Testament erschienen in Antwerpen und in Amsterdam 1523 niederländische Übersetzungen dieses Textes. Auch das Deventer Neue Testament, 1525, ist eine niederländische Version des Luther-Textes, die laut der Einführung weder in holländischer noch in brabantischer, sondern in einer allgemeinen Sprache verfasst war. Vier Jahre, bevor 1530 die Zürcher Bibel als erste in eidgenössischer Kanzleisprache verfasste Komplettübersetzung der Bibel erschien, und acht Jahre vor der Veröffentlichung der vollständigen Luther-Bibel gab der Antwerpener Drucker Jacob van Liesvelt (1490?–1545) im Jahre 1526 die erste gedruckte niederländische Vollbibel heraus. Diese stützte sich teilweise auf die vorhandenen Luther-Texte und zum Teil auf die Vulgata-Übersetzung. Eine Übersetzung der vollständigen Luther-Bibel liess er 1535 erscheinen. Dass die Inquisition den Drucker zum Tode verurteilte, ist nicht nur auf die Veröffentlichung ketzerischer Schriften, sondern auch auf die eindeutig protestantischen Kommentare in seiner Bibel zurückzuführen. Cornelis Lettersnijder veröffentlichte 1524 das Delftse Nieuwe Testament, eine Übersetzung von Erasmus’ griechisch-lateinischem Neuem Testament, in ‚guter, einfacher‘ niederländischer Sprache, ohne ‚brabantische Vermischungen‘, wie es in der Einführung heisst, ein Text, der als südholländisch einzustufen ist. Als weiteres Beispiel eines religiösen Textes, der in einer überregionalen Variante des Niederländischen erschien, ist das von dem Westflamen Jan Utenhove (1520–1565) aus dem Griechischen übersetzte Het Nievvve Testament aus dem Jahre 1556 zu erwähnen, das nicht nur für Gläubige in den niederländischen Provinzen, sondern auch für die Mitglieder der Exilgemeinde in Emden gedacht war. Die Mischsprache dieses Testamentes basierte auf unterschiedlichen, mehrheitlich aus dem Osten des niederländischen Sprachgebietes stammenden sowie dem Hoch- und Niederdeutschen entnommenen Sprachvarianten. So übernahm Utenhove morpho-

XI  Gerard Dou (1613–1675), Lesende alte Frau, 1631, Rijksmuseum Amsterdam (vgl. 5.3.4.1.).

XII  Titelseite der Statenvertaling, 1637.

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logische Merkmale aus dem Deutschen, z.B. das Dativ-m beim Adjektiv (in welckem), Schreibungen wie für /au/ (wolde) oder Wörter wie das niederdeutsche aver (‚aber‘) für maar. Auch andere reformatorische Texte, namentlich die Schriften von Menno Simons (vgl. 5.1.1.1.), Joannes Anastasius Veluanus (= Jan Gerritsz. Versteghe, 1520?–1570?) und Hendrik Niclaes sind durch eine ostniederländische bzw. deutsch gefärbte, überregionale Sprachvarietät gekennzeichnet. Utenhove folgte dem griechischen Grundtext möglichst getreu, was sich beispielsweise syntaktisch in Partizip-Konstruktionen wie dat gehoord hebbend (‚das gehört habend‘) äusserte. Sodann versuchte er, sich Joos Lambrechts Vorschlag einer phonetischen Orthografie anzuschliessen. Für das Personalpronomen 2. Pers. Sing. wählte der Übersetzer dij als Objekt und du als Subjekt, eine im Mittelniederländischen übliche Form, die im Norden allmählich vom holländischen jij ersetzt werden sollte. Für das Subjekt 2. Pers. Plur. bevorzugte Utenhove gij, obwohl diese Form in gehobenen Texten auch in der Einzahl verwendet wurde. Die Sprache dieses Neuen Testamentes löste scharfe Kritik aus, die insbesondere dem Gebrauch von ungewöhnlichen, deutsch anmutenden Wörtern galt. Die Mennoniten, denen bereits die Bezeichnung verbond (‚Bund‘) an Stelle der gebräuchlichen Bezeichnung Testament auf der Titelseite missfiel, lehnten die Verwendung des Nievvve Testament gar ab. Obschon sich in der frühen Neuzeit eine überregionale deutsch-niederländische Sprachvariante westlich und östlich der heutigen niederländisch-deutschen Staatsgrenze entwickelte, fanden Utenhoves Zeitgenossen seine Übersetzung unverständlich. Die Mischsprache, die sie als Pfuscharbeit aburteilten und die durch Utenhoves Vorgehen teilweise mit der Schreibtradition brach, empfanden sie wohl als unnatürlich. Am Misserfolg dieses Testamentes lässt sich ablesen, wie weit das Bewusstsein einer Sprachnorm des geschriebenen Niederländischen in syntaktischer, morphologischer, phonologischer und lexikalischer Hinsicht bereits Mitte des 16. Jh. fortgeschritten war. In seiner Bearbeitung von Utenhoves Neuem Testament aus dem Jahre 1559 mied Johannes Dyrkinus die ausgefallene Wortwahl der ersten Ausgabe, womit er den damaligen Auffassungen zur Verwendung der Muttersprache offensichtlich besser entsprach. Der Text wurde 1561–1562 zusammen mit Godfried van Wingens Überarbeitung des Alten Testamentes der Liesvelt-Ausgabe als vollständige Bibel in Emden veröffentlicht. Wie Utenhoves Übersetzung weist Van Wingens Text, der sich an der Luther-Bibel orientiert, deutschen Einfluss auf. Diese häufig neu aufgelegte, von den Reformierten viel benutzte Bibel wird in der Regel Deux-Aes-Bibel genannt, ein Name, der einem Kommentar zu einer Bibelstelle mit Ausdrücken zum Wurf mit zwei Mal Ass im Würfelspiel zu verdanken ist. Das Werk enthielt, trotz der Eingriffe von Dyrkinus, Dutzende niedersächsische, hoch- und niederdeutsche Wörter, z.B. gelijckwel (‚gleichwohl‘)‚ veronglimpen (‚verunglimpfen‘). Deutscher – overlantse – Einfluss zeigt sich ebenfalls bei der Wortbildung oder der Verwendung eines Suffix wie -isch in z.B. kindisch (‚kindisch‘) oder vijandisch (‚feindselig‘). Kritische Kommentare zur Deux-Aes-Bibel, u.a. von Marnix van St. Aldegonde (1540–1598), lassen erneut auf ein Bewusstsein der sich festigenden Sprachnorm für das Niederländische im 16. Jh. schliessen. Das gilt auch für den Nachdruck dieser Bibel 1564–1565, der laut Einleitung deutsche Wörter und Ausdrücke, z.B. du bist, ablehnte. Die Auseinandersetzungen über die Sprache der Deux-Aes-Bibel veranlassten den Emdener Herausgeber 1565, den Neudruck weiter anzupassen. So wechselte er das Possessivum dijn (‚dein‘, ‚Euer‘) gegen uw

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aus und ersetzte die Personalpronomina du und gij durch gij (‚du‘) und gij lieden (‚ihr Leute‘), das später zu jullie (‚ihr‘) wurde. Auch solche Anpassungen zeugen von der sich festigenden Sprachnorm des überregionalen Niederländischen. Weitere Versuche, die Bibel zu übersetzen, zeigen, wie die Protestanten nach wie vor einen zuverlässigen Text in einer allgemeinen Sprache anstrebten. So begann Marnix van St. Aldegonde auf Gesuch der Stände Hollands 1594 eine neue Übersetzung, die bis zu seinem Tod jedoch nur das erste Bibelbuch umfasste. Auch Willem Baudarts (1565–1640) Anmerkungen zu bestehenden Bibelübersetzungen in seinem Wech-bereyder op de verbeteringhe van den Nederlantschen Bybel (‚Wegbereiter zur Verbesserung der niederländischen Bibel‘) von 1606 zeugen vom Bemühen um getreue Übersetzungen in einer allgemeinen überregionalen Sprache. Baudart beanstandete zwar die Verwendung von ‚Fremdwörtern‘, hielt es aber für vernünftig, eingebürgerte Wörter, z.B. evangelie (‚Evangelium‘), testament (‚Testament‘) oder victorie (‚Sieg‘) beizubehalten, statt sie durch künstliche ‚einheimische‘ Neubildungen zu ersetzen. Allerdings wollte er romanische Leihwörter möglichst durch ostniederländische, hoch- bzw. niederdeutsche Wörter ersetzen, auch wenn diese nicht gängig waren. Verschiedene solche Lehnwörter sind eingebürgert, z.B. geweten (‚Gewissen‘) oder zwafel (‚Schwefel‘), andere wie tweebak (‚Zwieback‘) wurden nicht ins Niederländische aufgenommen oder gelten als veraltet, z.B. elpenbeen (‚Elfenbein‘). Zudem hielt Baudart es für vernünftig, für neue, nicht einheimische Begriffe, die im Zeitalter der Entdeckungsreisen, der Reformation und der Renaissancekultur vermehrt benutzt wurden, die fremden Bezeichnungen zu übernehmen, z.B. vijg (‚Feige‘) oder olifant (‚Elefant‘). Diese gemässigt puristischen Ansichten finden sich zum Teil in den Vorgaben oder resoluties wieder, welche die Übersetzer der Statenvertaling später zu berücksichtigen hatten. Den Auftrag zur Herausgabe dieser neuen Bibel gab die Dordtrechter Synode im Jahre 1618. Die Übersetzer sollten die Schrift unmittelbar aus den Quellen übertragen, eine Arbeitsweise, die nicht nur theologischen, sondern auch philologischen Anforderungen entsprach. Da diese Bibel wie ihre Vorgänger für die Protestanten des gesamten Sprachgebietes bestimmt war, sollten die aus den verschiedenen Provinzen stammenden Übersetzer (overzetters) und Lektoren (overzieners oder reviseurs) einen Text in verständlicher, überregionaler niederländischer Sprache verfassen. Zudem waren sie gehalten, aus den bestehenden niederländischen Bibeln zu übernehmen, was der biblischen Wahrheit entsprach und mit der Eigenart des Niederländischen in Einklang stand. Die Frage, welche Varianten die Gelehrten aus der sich herausbildenden niederländischen Kultursprache wählten, ist somit sprachgeschichtlich von Bedeutung. Die Übersetzer legten in ihren Sitzungen vom 7. Juli bis 19. September 1628 in Leiden detailliert fest, wie sie sprachlich vorgehen wollten. Diese Entscheidungen (Resolutiën), die u.a. Genus, Flexion, Konjugation, Orthografie und Lexikon betrafen, wurden später mit Antworten zu Fragen der Übersetzer und weiteren Entscheidungen der Lektoren ergänzt. In ihrem Bestreben, eine allgemeine niederländische Sprache zu gebrauchen, hielten sich Übersetzer und Lektoren zwar möglichst an allmählich gebräuchliche Formen der sich etablierenden nnl. Schriftsprache, übernahmen allerdings in ihrem Bemühen, ‚treu‘ zu übersetzen, häufig griechische bzw. hebräische Kons­ truktionen und Ausdrucksweisen. Laut Auftrag sollten sie zudem die ‚reinsten‘ niederländischen Wörter wählen, weshalb sie französische und lateinische Lehnwörter mieden, soweit diese nicht

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eingebürgert waren; gegen die Wahl von Wörtern deutscher Herkunft bestanden hingegen keine Bedenken. Das Vorgehen der Übersetzer und Lektoren macht klar, dass sich mittlerweile eine überregionale Kultursprache gefestigt hatte, die sich allerdings in Einzelheiten weiter herauskristallisieren musste. Dies zeigt sich in den Diskussionen der Bibelherausgeber zu vielen Dutzenden sprachlichen Fragen, zum Beispiel zur Verwendung von Pronomina wie 2. Pers. Sing. Nom. gij statt des veralteten du (‚du‘) oder zum Reflexivpronomen zich (‚sich‘) statt hem/haar, weiter beispielsweise bei ihrer Wahl der Diminutivform -ken (‚-lein‘) an Stelle von -je oder der Suffixform -isch statt -s oder auch bei der Festlegung bestimmter Wortformen wie peerd statt paard (‚Pferd‘) oder goud (‚Gold‘) statt golt. Die Übersetzungen religiöser Texte sind für die Entwicklung des Niederländischen von wesentlicher Bedeutung, da sie sämtliche Bevölkerungsschichten mit der überregionalen Kultursprache vertraut machten. Die Hochsprache fand ihre Verwendung während des protestantischen Gottesdienstes beim Gebet und Gesang, bei der Predigt und der Vorlesung aus der Bibel. Zudem lasen viele Kalvinisten zu Hause täglich aus der Bibel vor. Somit erfolgte für eine Mehrheit der Einwohner der niederländischen Provinzen regelmässig ein Code-Wechsel zwischen dieser gehobenen, überregionalen Sprache und den im Alltag verwendeten lokalen Varianten des Niederländischen. Die Wirkung der Bibelübersetzungen, insbesondere der Statenvertaling, lässt sich zudem im Lexikon, in der Morphologie und der Syntax des Niederländischen nachweisen. Namentlich die aus den ursprünglichen Texten übersetzten Sprichwörter und festen Ausdrücke bereicherten das Niederländische. Bis zum heutigen Tag finden Redewendungen wie zijn licht onder de korenmaat zetten (,sein Licht unter den Scheffel stellen‘) oder de dag des Heren (‚der Tag des Herrn‘) Verwendung. Die eher feierliche, archaisch anmutende Sprache der Statenvertaling, die sich in Wortwahl und Morphologie von der alltäglichen gesprochenen Sprache abhob, widerspiegelte sich über Jahrhunderte in Predigten, Ansprachen, Prosawerken und Korrespondenzen. Wer sich der überregionalen geschriebenen Einheitssprache bediente, versuchte Kasus und Genus gerecht zu werden, benutzte das im Norden veraltete Personalpronomen gij statt jij (‚du‘) oder u (‚Sie‘), wählte Konjunktivformen und bevorzugte Konstruktionen mit dem participium praesentis. Diese gehobene Schriftsprache, die gegenwärtig gelegentlich noch während Andachten orthodoxer Glaubensgemeinschaften Verwendung findet, wurde erst gegen Ende des 19. Jh. allmählich von einer natürlichen geschriebenen Sprache abgelöst. Anders als die Luther-Bibel erschien die Statenvertaling erst, als die überregionale Kultursprache sich bereits gefestigt hatte. Dutzende Schriftsteller und Gelehrte, unter ihnen Stevin, Van Mander, Van der Noot, Cats, Hooft, Vondel und Huygens, hatten schon umfangreiche Arbeiten in der Hochsprache veröffentlicht, bevor die Statenvertaling erschien. Es stellt sich somit die Frage nach der Bedeutung literarischer Werke für die Entwicklung des Neuniederländischen. 5.2.3.4. Literatur Es waren hauptsächlich die Mitglieder der bereits um 1400 entstandenen rederijkerskamers, Rhetoriker-Vereine (vgl. 4.2.4.), die auch in der frühen Neuzeit eine Fülle niederländischsprachiger literarischer Werke verfassten.

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Bei den Gelehrten und Humanisten, die versuchten, die von ihnen verehrten antiken und modernen Schriftsteller zu übersetzen und nachzuahmen, nahm im Laufe des 16. Jh. das Interesse an der eigenen Sprache zu. Bereits im Jahre 1541 schreibt der Antwerpener Drucker Jan Gymnick in der Widmung zu einer niederländischen Übersetzung von Titus Livius’ Römischer Geschichte, dass er nicht verstehe, weshalb man die niederländische Sprache für so arm, ungehobelt oder ungeeignet halte, dass ‚wir‘ es nicht wagen, Texte aus den Bereichen der freien Künste oder alten Geschichten in die Muttersprache zu übertragen: ‚(…) so en can ick niet beuinden hoe dathet comen mach/ dat onse Nederlantsche taele also aerm / ongheciert / oft onbequaem ghehouden wort / dat wy iet waer in eenighe liberael consten oft oude historien begrepen wordden daer met hebben dorren oversetten/ (…)‘ Dabei könne das Niederländische laut Gymnick sowohl mit den alten Sprachen wie mit dem Italienischen, Spanischen, Deutschen und Französischen wetteifern, wenn man sich nur ein wenig Mühe gebe. Diese Äusserung zeigt, dass der Verfasser nicht nur stolz auf die eigene Sprache war, sondern sie auch als eigenständige Kultursprache sah. Sein Wunsch, diese überregionale Sprache zu pflegen, sollte sich bald verwirklichen. Vermehrt waren gebildete Bürger wie Jan Gymnick, Jan Cauweel, Cornelis van Ghistele, Willem van Haecht oder Lucas de Heere bestrebt, der einheimischen Literatur mehr Ansehen zu verleihen, indem sie mit Vorliebe fremde Sprachelemente in ihren Texten verarbeiteten. Bezeichnenderweise wimmelt es im literarischen Lehrbuch Const van Rhetoriken (‚Kunst der Rhetorik‘), das der bedeutende Rhetoriker Matthijs de Castelein 1548 verfasste und das im Jahre 1555 posthum erschien, von französischen Lehnwörtern. Der Verfasser wirbt in diesem Werk für eine gepflegte Sprache, die Fremdwörter offenbar nicht ausschliesst. Im Gegenteil, er ermuntert seine dichtenden Kollegen unter Berufung auf antike Beispiele, ihre Texte mit fremden Sprachelementen zu schmücken. Die zunehmende Verwendung von geschraubter Sprache mit gekünstelten Wörtern rief allmählich Gegenstimmen hervor. So missbilligten Joos Lambrecht, Jan van den Werve, Jan Utenhove, Godfridus Wingius, Hans de Laet und Jan van Mussem die überschwängliche Verwendung exotischer Sprachelemente. Letzterer warnt beispielsweise in seiner Rhetorica (‚Rhetorik‘ 1553), einer Einführung für Redner, vor dem Gebrauch fremder und unbekannter Wörter. Das Buch enthält, wie auch andere Veröffentlichungen aus diesen Jahren, eine Liste einheimischer Synonyme, die die Leser an Stelle von Lehnwörtern verwenden können. Als gemässigter Purist billigt der Verfasser im Übrigen die Verwendung von Fremdwörtern, falls die flämischen Entsprechungen nicht gängig seien oder wenn der Reim dies verlange. Der Wegbereiter der klassischen Literatur in den Niederlanden, Dirck Volckertsz. Coornhert, beanstandete ebenfalls die Verwendung von Fremdwörtern, obschon er sie anfänglich in Anlehnung an die von ihm bewunderte Sprache Ciceros nicht ausschloss. Der Notar, der sich später als Staatssekretär in den Dienst Wilhelm von Oraniens stellte, entwickelte sich unter dem Einfluss von Jan van den Werve bald zu einem überzeugten Puristen, der den Gebrauch von Lehnwörtern durch Gelehrte und junge Dichter, am Gericht und in der Verwaltung an den Pranger stellte:

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Het neerlantsch hoereert met veel onduytsche scolen. Ons tael is zelf ryc, noch wert voor haer gestolen Wt Latyn, Spaensch, walsch, wt zuyden en wt noorden … Dus zullen vreemde hoeren ons moedertael moorden. Dees corrigibel statie / / ons enargie blameert T’welc men obrueert / / met errante Imitatie teffect valt demonstratie / / die ’t propoost observeert. (‚Das Niederländische prostituiert sich mit nicht-niederländischen Schulen. Unsere Sprache ist reich. Dennoch wird aus Latein, Spanisch, Französisch, aus dem Süden und aus dem Norden für sie gestohlen. So werden fremde Huren unsere Muttersprache ermorden. Dieser zu korrigierende Zustand ist beschämend, die Folgen lassen sich mit dieser Nachahmung vorführen.‘) Manches Mitglied des Rhetoriker-Vereins In Liefde Bloeyende liess sich wohl von Coornherts puristischen Ansichten überzeugen, wie den Veröffentlichungen dieser Kammer zur grammatica (1584), dialectica (1585) und rhetorica (1587) zu entnehmen ist. Coornhert, der um 1585 Mitglied der Kammer wurde, hatte selbst das Vorwort zu der von der Eglantier herausgegebenen Grammatik Twe-spraack verfasst. Bei diesem Rhetoriker-Verein fand er einen Geistesverwandten wie H.L. Spiegel, der für das Niederländische in seinen Schriften beharrlich eine Ordnung im System der Deklination und der Flexion, eine geordnete Orthografie und ein Lexikon ohne ‚fremde‘ Elemente anstrebte. Dabei stützte er sich nicht nur auf lateinische Quellen der Antike, sondern auch auf Werke der Humanisten seiner Zeit. Der vermutliche Verfasser der Twe-spraack, der sich ein Aufblühen der ‚freien Künste‘ in der Muttersprache erhoffte, forderte zudem sämtliche Rhetoriker-Kammern dazu auf, das Niederländische zu säubern und zu bereichern. Wie ernst Spiegel die Kultivierung des Niederländischen nahm, geht aus seinem Aufruf an der Leidener Universität zum Unterrichten in niederländischer Sprache hervor. Diese Aufforderung bestätigt, dass das überregionale Niederländische im letzten Viertel des 16.  Jh. für manchen Gelehrten bereits die Funktion einer vollwertigen Kultursprache besass. In dieser Epoche bemühten sich immer mehr Schriftsteller und Gelehrte, das Ansehen der Muttersprache zu heben, Fremdelemente abzuwehren und die Sprache zu ordnen mit dem Ziel, hochstehende Werke in der Muttersprache zu schaffen. Dabei hatte manch einer wie der Dichter, Schriftsteller und Maler Van Mander oder der Gelehrte Pontus de Heuiter den Aufbau einer allgemeinen niederländischen Sprache im Auge. Auch der Leidener Stadtsekretär Jan van Hout (1542–1609), der an der Gründung der Universität teilhatte, legte in seiner Dichtung eine grosse Achtung für das Niederländische an den Tag. Sogar in der Verwaltung seien nach seiner Überzeugung Wörter französischer, lateinischer und italienischer Herkunft zu meiden, dafür sei falls nötig die deutsche Sprache, der Bruder am Rhein, in Anspruch zu nehmen. Als Kritiker der Rhetoriker, die nach seiner Meinung wahllos aus anderen Sprachen liehen, verweist er nicht nur auf die Griechen und Römer, sondern auch auf die literarische Arbeit der Italiener und Franzosen. Mit diesen Auffassungen bekannte sich Van Hout, der als erster niederländischer Lyriker im

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jambischen Versfuss dichtete, als ein Vertreter der Renaissance. Auch der vermögende Kaufmann Roemer Visscher (1547–1620), Mitglied der Eglantier, ist als Dichter von Epigrammen, Sonetten und Emblemata zu dieser in den Niederlanden neuen literarischen Epoche zu rechnen. Janus Dousa hebt hervor, dass Roemer Visscher sich, im Gegensatz zu den Rhetorikern, gegen fremde Elemente in seinem Holländisch wehrt und die Muttersprache bald dem Latein ebenbürtig machen wird. Die Werke des Antwerpener Junkers Jan van der Noot, der sich von der italienischen und französischen Literatur, namentlich von Ronsard, inspirieren liess, sind wegen der sprachlichen Gestalt und ihres Inhalts ebenfalls der Renaissance zuzuordnen. Mit seinen Veröffentlichungen, die u.a. Sonette umfassten, läutete er die für das Neuniederländische entscheidende Blütezeit der niederländischen Renaissanceliteratur ein. Die Rolle der Rhetoriker ist in unterschiedlicher Hinsicht von Bedeutung für die Entwicklung des Niederländischen. Einerseits verbreiteten die Kammern Literatur in der Muttersprache und organisierten Wettbewerbe zwischen Kammern aus verschiedenen Gegenden mit der Folge, dass grössere Gruppen der Bevölkerung Varianten des Niederländischen zur Kenntnis nahmen, die vom eigenen Sprachgebrauch abwichen. In diesem Sinn schlossen die dichtenden Bürger sich der mittelniederländischen Tradition der Verwendung überregionaler Sprachvarietäten in der Literatur an. Es ist auch für die frühe Neuzeit das Bewusstsein eines überregionalen Niederländischen anzunehmen. Hingegen rief der ausgefallene Sprachgebrauch der Rhetoriker bei Humanisten und Schriftstellern allmählich Ablehnung hervor. Diese förderte eine Auseinandersetzung über die Muttersprache und führte zu Bestrebungen, die überregionale Einheitssprache zu säubern und zu reglementieren. Vermehrt nahmen sich vereinzelte Mitglieder der Kammer, wie später die Angehörigen der Fruchtbringenden Gesellschaft im deutschen Sprachgebiet, der Geschicke der Muttersprache an. So wehrten sich Mitglieder der Kammer De Eglantier gegen den Gebrauch von – vor allem romanischen – Fremdwörtern und formulierten grammatikalische Regeln. Immer mehr Dichter und Gelehrte lernten die internationale Renaissanceliteratur kennen. Ältere und Jüngere trafen sich in den Privathäusern von Spiegel und von Roemer Visscher, wo sie sich mit Literatur und Sprache befassten. Sie übernahmen in ihren Werken Renaissancemerkmale, wobei sie wie die von ihnen bewunderten Schriftsteller auf eine sorgfältige, gepflegte Verwendung der Muttersprache in der Literatur achteten. Antike, italienische sowie französische Beispiele regten somit zur Kultivierung der Muttersprache in den Niederlanden an. Eine Generation Lyriker, Prosaschriftsteller und Theatermacher, geboren im letzten Viertel des 16. Jh., sollte während der Blütezeit der Renaissance in den nördlichen Provinzen das Neuniederländische weiter pflegen und verfeinern. So bereicherte der in seiner Zeit viel gelesene Seeländer Jacob Cats mit seinen Emblemata, mit moralistischen Versen und romantischen Kurzgeschichten das Niederländische mit Sprüchen und Volksweisheiten. Dem Holländer Pieter Cornelisz. Hooft (1581–1647) gelang es, die Muttersprache nicht nur in gehobener Lyrik und Dramatik, sondern auch in einem witzigen Lustspiel, in eleganten Privatbriefen sowie in vornehmer historischer Prosa kunstvoll einzusetzen. Inzwischen hatte der international anerkannte Humanist Daniël Heinsius, Ordinarius für Poetik und Griechisch an der Leidener Universität und Universitätsbibliothekar, der die meisten Werke auf Lateinisch schrieb, als Erster im Jahre 1601 einen Band Emblemata in niederländischer

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Sprache veröffentlicht. In seinen volksnahen Liedern, Gedichten und Bühnenstücken verstand der Amsterdamer Gerbrand Adriaensz. Bredero (1585–1618) es, unterschiedliche dialektale und soziolektale Varietäten des Niederländischen auf verspielte Weise in seinen Texten zu verarbeiten. Joost van den Vondel (1587–1679), dessen Eltern aus Brabant stammten, genoss als Theatermacher und Dichter ebenfalls grosses Ansehen. Der ‚Prinz der niederländischen Dichter‘, Verfasser von mehr als vierzig Tragödien, trug mit seiner kultivierten Wortwahl wesentlich zur Entwicklung der niederländischen Schriftsprache bei. Auch Constantijn Huygens (1596–1687) aus Den Haag, Sekretär von drei Prinzen von Oranien, wirkte dank anspruchsvoller Dichtung, stilistisch gewandten Briefen und einem volksnahen Bühnenstück zur Pflege des überregionalen Niederländischen mit. Johan de Brune (1588–1658) aus Middelburg, Übersetzer von Psalmen, bezeugt seine Liebe für die Muttersprache in seinem Emblemaband aus dem Jahre 1624. Die Kammer De Eglantier, die seit der Einnahme von Antwerpen 1585 an Bedeutung gewonnen hatte, bildete mit Mitgliedern wie Bredero, Hooft oder dem Arzt und Theaterschriftsteller Dr. Samuel Coster (1579–1665) einen der Mittelpunkte der literarischen Renaissancekultur in den Niederlanden. Die befreundete Amsterdamer Kammer ’t Wit Lavendel, die später mit der Eglantier verschmolz, zählte vor allem Immigranten aus den südlichen Provinzen, u.a. Vondel, zu ihren Mitgliedern. Nach Unstimmigkeiten bei der Eglantier gründete Coster 1617 die Duytsche Academie mit der Absicht, Literatur und Wissenschaft zu fördern und Lehrveranstaltungen in niederländischer Sprache durchzuführen. Die Akademie widmete sich jedoch hauptsächlich dem Theater. Einige Jahre, nachdem der Leiter der ‚alten Kammer‘, Theodoor Rodenburg (?1579–1644), Übersetzer von Lope de Vega und Verfasser von romantischen Bühnenstücken, sich in Brüssel niedergelassen hatte, vereinigten Kammer und Akademie sich im Jahre 1632. Das so entstandene Athenaeum Illustre ermöglichte 1637 die Gründung des ersten Amsterdamer Schauspielhauses, das mit Vondels Tragödie Gysbreght van Aemstel im Januar 1638 eröffnet wurde. In der Zeitspanne, in der den Bürgern die feierliche Schriftsprache der Statenvertaling zugänglich wurde, hörten sie im Theater (vgl. Farbb. XVa) das lebendige Niederländische der Schwänke, der romantischen Bühnenstücke und Lustspiele oder die gehobene Sprache der Tragödien und Pastoralen. Noch auf Anregung des 1606 verstorbenen Van Mander veröffentlichte Jacob van der Schuere 1610 die Anthologie Den Nederduytschen Helicon mit etwa neunzig Texten von zwanzig Dichtern der neuen Generation und von Humanisten wie Janus Dousa und Daniël Heinsius. Der Band war laut Untertitel in suyver Nederduytsche sprake ghemaeckt, d. h. in rein niederländischer Sprache verfasst. In der Widmung bezeugt der ‚Buchverkaufer‘ Passchier van Westbusch seine puristischen Ideale, die in den Texten auch umgesetzt wurden: so steht klaaglied an Stelle von elegie (‚Elegie‘), für sonnet (‚Sonett‘) erscheint klinkdicht und ballade (‚Ballade‘) wird zu verhaaldicht. Bredero hingegen versuchte Neubildungen zu vermeiden, dafür schöpfte er bewusst aus dem lebendigen Holländischen. Dank seiner volkstümlichen Lustspiele, Schwänke, Lieder und Gedichte wurden holländische Wörter und Redewendungen unterschiedlicher Bevölkerungsschichten in das Neuniederländische aufgenommen. Bredero, der namentlich die gekünstelte

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brabantische Sprache der Rhetoriker ablehnte, persifliert gerne solche Sprachvarietäten, zum Beispiel in seinem Lustspiel Spaanschen Brabander Jerolimo: Een dingen jammert may, dat is dagge soo bot Hollants sprect. O de Brabantsche taal die is heeroyck, modest en vol perfeccy, Soo vriendelayck, so galjart, so minjert, en so vol correccy Dament niet gheseggen en kan. (‚Ein Ding tut mir Leid, dass Du so ungehobelt Holländisch sprichst. O, die brabantische Sprache ist so heldenhaft, bescheiden und voller Perfektion, so freundlich, anmutig und voller Korrektur, dass man es nicht ausdrücken kann.‘) Auch mit der Verwendung von ursprünglich hochdeutschen Elementen im Niederländischen treibt Bredero seinen Spott: Anheurt vrumer burger und cauffluy jungh und alt, Edel ob unedel, edert sey vom was ghestalt, Hooch ob leech, kleyn und groot, man und weyb kumt anschouwen, Ghy vryers, gy vrysters, gy wenaers und weduvrouwen, Kumt heer vreylich by, ich brauch doch meyn kunst, (‚Hört fromme Bürger und Kaufleute, jung und alt, edel und nicht-edel, welche Gestalt Ihr auch haben mögt, hoch, niedrig, klein, gross, Mann und Weib, kommt hier schauen, Ihr Liebhaber und Liebchen, Ihr Witwer und Witwen, Kommt her ohne Hemmungen, ich brauch doch meine Kunst.‘) Anfänglich war der Dichter Hooft ein gemässigter Purist, ersetzte Lehnwörter in seinen literarischen Texten nur, wenn er niederländische Synonyme fand. Nach einer zweijährigen Bildungsreise, die ihn u.a. nach Italien führte, verfasste er Lyrik, darunter auch Sonette, sowie Tragödien und die Komödie Warenar, eine holländische Bearbeitung von Plautus’ Aulularia, die er nae ’slandts gheleghenheyt verduytschet (‚passend für die Niederlande übersetzt‘) hatte. In diesem Text verwenden Vertreter unterschiedlicher Bevölkerungsschichten wie ein Koch, eine Angestellte oder ein Dieb die lebendige holländische Sprache dieser Zeit. Um die Möglichkeiten seiner Muttersprache für anspruchsvollere Texte auszuloten, übersetzte Hooft als Übung Texte des von ihm so bewunderten Römers Tacitus. In einem Brief an Hugo Grotius schreibt er 1618, wie schwierig es sei, historische Texte in reinem Niederländisch zu verfassen. Danach versuchte er mit seiner Biografie des französischen Königs Heinrich des Grossen (1626) seinen klassischen Beispielen nahezukommen, indem er das Niederländische möglichst syntaktisch und morphologisch nach lateinischem Muster schmückt. Nach diesen Phasen in seiner schöpferischen Arbeit, die als ‚translatio‘ und ‚imitatio‘ zu bezeichnen sind, begann er mit der Geschichte der niederländischen Auflehnung gegen Spanien, die Nederlandsche Historien, einer Arbeit, die sich als

5.2. Die Herausbildung der neuniederländischen Kultursprache

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Phase der ‚aemulatio‘, Überbietung der klassischen Beispiele, versteht. Band eins dieses umfangreichen Werkes über die Epoche von 1555 bis 1584 erschien 1642, Band zwei blieb unvollendet. In dieser kunstvollen Prosa, die stilistisch und sprachlich an Tacitus erinnert, versuchte Hooft, die in seiner Zeit entwickelten Regeln zu Genus, Kasus und Orthografie gewissenhaft anzuwenden. So trug der Verfasser der Historien, die das geschichtliche Bewusstsein von Generationen von Niederländern prägen sollte, zur Entwicklung der niederländischen Schreibsprache bei. Vermehrt lehnte Hooft nun Lehnwörter ab, in Neudrucken seiner Werke ersetzte er sie durch bestehende niederländische Begriffe oder auch durch Neubildungen. So wechselte er pais (‚Frieden‘) aus für vrede, president (‚Präsident‘) wurde zu raadhoofdman und processie (‚Prozession‘) zu ommegang. Von den rund 180 so ersetzten Wörtern kamen viele bereits im Niederländischen vor. Mehrere der von Hooft bevorzugten Synonyme haben sich im Niederländischen eingebürgert, zum Beispiel aandeel (‚Quote‘) für quote, geldmiddelen (‚Geldmittel‘) neben financiën oder uitroep (‚Ausruf‘) an Stelle von exclamatie. Auch mehrere von Hooft eingeführte Neubildungen wie heelal (‚All‘) für universum oder boekerij (‚Bibliothek‘) statt bibliotheek zählen zum niederländischen Lexikon. Sowohl solche niederländische Synonyme als auch die damals bereits eingebürgerten Fremdwörter finden bis heute ihre Verwendung. Andere Neologismen, die Hooft möglicherweise erfunden hat, wie stadshuishavenaar für conciërge (‚Hauswart‘) und voordeelgeld an Stelle von pensioen (‚Ruhegeld‘) sind in Vergessenheit geraten. In den Geschäftstexten, die der Schlossbewohner Hooft als hoher Verwaltungsbeamter verfasste, er war drost (‚Truchsess‘) von der Ortschaft Muiden und baljuw (‚Vogt‘) des Bezirkes Het Gooi, wählte er die gebräuchliche amtliche Terminologie, die mit romanischen Lehnwörtern gespickt war. Dieses Vorgehen schliesst sich an die Praxis der Juristen seiner Zeit an, die für ihre Arbeit Werke wie Damhouders Handbuch benutzten. Wie Hoofts literarische Texte sollten auch die Werke Joost van den Vondels über Jahrhunderte als Beispiel einer gepflegten, überregionalen niederländischen Einheitssprache fungieren. Obschon Vondel die übermässige Verwendung von Fremdwörtern romanischer Abstammung durch Juristen ablehnte, mied er in seinen Theaterstücken und Gedichten Lehnwörter nicht. Der in Köln aufgewachsene Schriftsteller benutzte anfänglich auch öfter Wörter deutscher Herkunft, wie balt, geschier und ommekreis. In seinen früheren Werken wurden 88 solche aus dem Deutschen entlehnte Wörter gefunden. Zwar kommen in Vondels späterer Dichtung weniger Lehnwörter vor, trotzdem beanstandete Petrus Leupenius noch im Jahre 1654 die ‚un-niederländischen‘, heute aber gebräuchlichen Wörter wie regiment (‚Regiment‘) oder triomferen (‚triumphieren‘) in Vondels Dichtung. In seiner Aenleidinge ter Nederduitsche Dichtkunste (1650), einem Leitfaden für junge Dichter, äussert Vondel sich unmittelbar zum Niederländischen. Laut ihm bestehe seit Kurzem eine gesäuberte, reglementierte, überregionale Einheitssprache, die mit allen Sprachen der Welt wetteifern könne. Dieses Niederländische, mit dem Dichter Ehre einlegten, sei in Gedichten, Texten von Puristen und in Urkunden zu finden. Vondel, der im Gegensatz zu Hooft eine Orientierung an der lateinischen Syntax ablehnt, fordert eine natürliche Wortstellung. In seiner Aenleidinge äussert er sich auch zum gesprochenen Niederländischen. Die wohlerzogenen Menschen in Den Haag und Amsterdam sprächen diese Einheitssprache

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

vorbildlich, allerdings meint er, dass Höflinge, Anwälte und Kaufleute zu viele Fremdwörter benutzten. Die Umgangssprache in den Städten Amsterdam und Antwerpen, die er für mal (‚blöd‘) bzw. walgelijck (,ekelerregend‘) hält, lehnt er zudem ab: ‚Deze spraeck wort tegenwoordigh in ’s Gravenhage, de Raetkamer der Heeren Staten, en het hof van hunnen Stedehouder, en t’ Amsterdam, de maghtigste koopstadt der weerelt, allervolmaecktst gesproken, by lieden van goede opvoedinge, indien men der hovelingen en pleiteren en kooplieden onduitsche termen uitsluite: want out Amsterdamsch ist te mal, en plat Antwerpsch te walgelijck, en niet onderscheidelijck genoegh.‘ Mit diesen Bewertungen äussert der Dichter sich somit nicht nur zum gepflegten Niederländischen, sondern auch zu gruppenspezifischen Merkmalen und Soziolekten. Vondels ablehnende Bewertung der Umgangssprache in den Städten zeigt, dass man bereits im 17. Jh. städtische Varianten des Niederländischen und dialektale Varianten einer Region unterschiedlich beurteilte. Dass eine regionale Varietät durchaus ein begeistertes Echo finden konnte, geht aus Johan de Brunes Aussage zum Brabantischen hervor: Men zeght, dat een schoone vrouw moet hebben een Neerlands lijf, een Enghelands aen-ghezicht, een Brabands tongh, en een Hollands hert. (‚Man sagt, dass eine schöne Frau einen niederländischen Körper, ein englisches Antlitz, eine brabantische Zunge und ein holländisches Herz haben soll.‘) Er ist, wie so viele Zeitgenossen, der Meinung, dass das Niederländische sich als vollwertige ­Kultursprache eignet, vorausgesetzt, die Sachverständigen würden sich besser um sie kümmern. Die 7600 Sprichwörter, die er 1636 herausgab, stammen zur Hälfte aus anderen Sprachen, was nach seiner Meinung zeigt, dass die Niederländer bezüglich Sprichwörtern andere Nationen nicht zu beneiden brauchen. Da De Brune sich möglichst an die Quellen hält, erweckt seine Übersetzung der Psalmen einen gekünstelten Eindruck, seine Prosatexte hingegen, die mit Hoofts Prosa für Generationen von Niederländern als Muster einer gepflegten Sprache galten, wirken natürlich. Anders als Hooft und Vondel interessierte Constantijn Huygens sich nicht für die Reglementierung des Niederländischen. Als Dichter nutzte er ohne Hemmungen die Möglichkeiten des Niederländischen aus, sein intellektuelles Spiel mit der Muttersprache, die geistreiche Verwendung von Wörtern sowie die Neubildungen und neue Komposita verlangten dem Leser entsprechende Anstrengungen ab. Möglicherweise waren von Huygens verwendete Wörter wie ondood für het eeuwige leven (‚das ewige Leben‘), beronden für rond maken (‚rund machen‘) und versterren für tot ster maken (‚zum Stern machen‘) für seine Zeitgenossen bereits so ausgefallen, dass sie diese nicht übernahmen. Dass der hochgebildete Dichter, der bereits als Elfjähriger in lateinischer Sprache korrespondierte, ein gutes Ohr für die Varietäten des Niederländischen hatte, geht 1653 aus seinem Hofwijck (‚Dem Hofe ausgewichen‘) hervor.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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Auch Verfasser anderer sprachlicher Denkmäler tauschten sich mit Humanisten und Gelehrten in den Zwanzigerjahren des 17. Jh. über Fragen zum Wortschatz und zur Grammatik des Niederländischen aus. Solche Bemühungen von Dichtern und Gelehrten wie Pieter Cornelisz. Hooft, Joost van den Vondel, Anthonis de Hubert und Laurens Reael zeigen ebenfalls, dass das Neuniederländische als überregionale, allgemein akzeptierte Kultursprache in einigen Bereichen der Orthografie, der Grammatik und des Wortschatzes einer weiteren Vereinheitlichung bedurfte. Literatur zu 5.2.: Bakker et al. 1977; Barbiers et al. 2005/08; Van den Berg 1943; Van den Berg et al. 2010; Berns 2001; Bostoen 1985; Van den Branden 1967; Van Bree 2003; Van Bree 2005b; Briels 1985a; De Bruin 1977; De Bruin et al. 1993; Damsteegt 1982; Van Delden 1994; Dibbets 1968; Dibbets/Twe-spraack 1985; Dibbets 1991; Elkhadem/Stevin 2004; Gessler 1931; Glaser 2003; Gooyer 1962; Grondelaers et al. 2011; Grüttemeier et al. 2006; Hagen 1999; Van Hal 2010; Hartweg et al. 2005; Heinsius 1937; Hellinga 1968; De Heuiter 1972; Heule 1971; Hoffmann et al. 1999; Hooft 1972; Hooft 1976/79; Huygens 1913; Juska-Bacher 2009; Klifman 1983; Kloeke 1927; Leupenius 1958;Van Leuvensteijn et al. 1992; Lockwood 1976; Van Mander 1983; Van Mander 1991; Moerdijk et al. 2007; Montanus 1964; Peeters 1990; Pleij 2007; Porteman et al. 2008; Ruijsendaal 1991; Ruijsendaal et al. 2003; Schoenmakers 2009; Van der Schuere 1957; Van der Sijs 2004; Van der Sijs 2005b; Van der Sijs 2006; Statenvertaling 2013; Stellmacher 2000; Sterkenburg 1981; Stevin 1621; Taubken 1981; Twe-spraack 1962; Utenhove 1556; Verkruijsse 1990; Vondel 1977; De Vries 1987; Van der Wal 1990; Van der Wal 1992; Van der Wal 1993; Van der Wal 1994; Van der Wal 2002a; Van der Wal 2003; Van der Wal 2004; Van der Wal 2005; Winkler 1874; Zwaan 1939.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen 5.3.1. Belletristik und Kunst Für Textbeispiele, die die Beschreibung einer Sprachstufe erläutern sollen, scheint Prosa sich besser zu eignen als Poesie, weder Reimzwang noch prosodische Eigenheiten der Lyrik verzerren die sprachlichen Strukturen der Beispiele. Dennoch ist zu beachten, dass mancher Verfasser auch in Prosa kunstvolle, stilistisch ausgefallene Texte verfasste, wie beispielsweise Hooft, die sich syntaktisch, morphologisch und lexikalisch von anderen Prosatexten abhoben. Die hier getroffene Auswahl, die nur einige wenige Zitate aus Lyrik und Dramatik umfasst, gibt keineswegs ein repräsentatives Bild der niederländischen Literatur der frühen Neuzeit, zählten doch Theater, insbesondere die Tragödie, wie auch die Lyrik zu den belletristischen Gattungen mit dem höchsten Ansehen, so u.a. die klassischen Theaterstücke Vondels und Hoofts, ferner auch die Lustspiele Brederos, Rodenburgs, Hoofts und Huygens’ sowie auch die Lyrik Hoofts, Vondels, Huygens’ und Heinsius’. Zum Teil sind im Folgenden ältere deutsche Übersetzungen zitiert, die gelegentlich Übersetzungsfehler aufweisen.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

5.3.1.1. Pieter Cornelisz. Hooft und Daniël Heinsius, Gedichte P.C. Hooft, Sonnet XXI Leitsterren van mijn hoop, planeten van mijn jeucht, Vermogen oogen schoon in hemels vuyr ontsteken Als ghij u vensters luickt soo sietmen mij ontbreken Mijns levens onderhout, een teder soete vreucht: Want ghij besluit daerin een saligende deucht Vriendlijcke vrolijckheit; De Min met al zijn treken, Jock, Lach, Bevallijckheit daerinne sijn geweken En wat ter werelt is van wellust en geneucht. Natuire die daer schijnt in droeve damp begraven, Doort missen van u glans, betreurt haer rijckste gaven, Die gh’altesaem besluit in plaets soo nau bepaelt, Doch nau en issij niet, gelijck het schijnt van buiten, Maer wijt en woest genoech om alles in te sluiten, Daer sich mijn wufte siel soo ver in heeft verdwaelt. DMVS Chariclea (Hooft 1981, 67) Martin Opitz (1597–1639) liess sich in seiner Dichtung von Hooft anregen, wie aus der folgenden freien Übersetzung hervorgeht: An die Augen seiner Jungfrawen. Fast aus dem Holländischen. LEitsternen meines Haupts / vnd meiner jungen Zeit / Die als Planeten sind gesetzet meinem Leben / Ihr Augen / wann ich euch so freundlich sehe schweben / So bin ich als entzückt / vnd kenne gantz kein Leid: Dann jhr beschliest in euch ein’ hohe Liebligkeit / Vnd lieblich’ Hoheit; jhr / jhr könnt alleine geben Genüge / rechte Lust: wornach wir Männer streben Das habt jhr / O mein Liecht / vor allem weit vnd breit. Natura selber liegt im Tunckeln fast begraben / Vnd mangelt jhres Liechts / von wegen jhrer Gaben /

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

Die gantz versamlet sind in solcher engen statt; Doch ist sie enge nicht / vnd kan sich weit ergiessen / Ja were gross genung fast alles einzuschliessen / Weil sich mein’ arme Seel’ in jhr verirret hat. (Opitz 1979, 696) Daniël Heinsius, Trouw-Dicht De Schippers die de Zee met kielen scherp doorsnijden En met een houten paert het blauwe diep berijden, Ghecomen zijnd’ aent’ lant, bevrijt van alle noot, Soo strijcken sy het seyl, soo strijcken sy den schoot. Het gheen daer wy in zijn eer wy ons selven paeren, Is een beroerde Zee, de sorghen zijn de baeren, De liefd’ is onse wint, de Clippen die ons schaen Is daer wy aldermeest en alderliefst nae gaen. Die Clippen zijn ghestelt int midden van ons leven, Daer worden wy seer licht van alle cant ghedreven; Dan comt den Westen wint, seer lieffelijck en stil, Die brenght ons int verderf met onsen eyghen wil. De Sterren die wy sien, die heeten wy de ooghen, Die sich ghemeynelijck tot ons verderf vertooghen. Dan mist ons het Compas, dan missen wy de locht, Dan worden wy met lust in ons verderf ghebrocht. Het Roer is ons verstant, den ancker is de Reeden, De Cabels zijn de deught, de seylen goede seeden. Dan doch den minsten deel brenght in behouden hant Zijn onbeweeghde schip van sorghen aen het lant. Maer ons Bruyd’gom versien van ballast comt ghevaeren Int midden door de zee, door clippen ende baeren Tot aent’ ghewenste lant en vrij van alle wee, Van schipbreeck ende last, comt nae een goede ree. Dit is den laesten wensch, het lant hebt ghy vercreghen Daer u den oosten wint niet meer en sal beweghen. Heer Bruydgom blijft hier vast end werpt den ancker uyt End van het quade weer versekert dyne schuyt. Wy zijn noch in het diep, wy moeten voort gaen dwaelen Daer ons den wreeden wint en baeren willen haelen. Vaert wel end als ghy zijt in dijnen meesten staet,

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Denckt eens hoe dattet noch met onse schepen gaet. (Den Bloem-hof 1955, 5–6) Aus dem Niederländischen Dan. Heinsii. DIe Schiffer so jhr Haus auff blosses Meer hinbawen / Vnd jhren kühnen Leib den leichten Winden trawen / Sind kommen an das Land von aller Noth befreyt: Sie fahren nun zu Port’ in Lust vnd fröligkeit. Der Stand in dem wir sind eh’ als wir vns gesellen / Ist eine wüste See: die Sorgen sind die Wellen / Die Lieb’ ist vnser Wind / die Klippen vnd die Stein’ Ist da wir allermeist darauff befliessen seyn Die Klippen sind gestellt in vnsers Lebens mitten / Da wird man allerseits durchs wilde Meer bestritten / Dann kömpt der Westenwind gar sanfft vnd lieblich an / Der vns in Vngemach sehr leichte stürtzen kan. Die Sternen die wir sehn das sind der Augen Stralen / Von denen werden wir verführt zu vielen mahlen / Dann misst vns der Compass / dann missen wir die Lufft / Dass wir in grosse Noth gerahten vnverhofft. Das Ruder ist Verstand / der Ancker Witz der Jugend / Der Lastsandt gute Zucht / das Schifferseil die Tugend; Dann der geringste Theil bringt mit glückhaffter Hand Sein vnbewegtes Schiff ohn Anstoss an das Landt. Doch vnser Bräutigam kömpt von des Schiffes Sande / Durch Wellen / Wind vnd Stein hoch vber See zu Lande; Zu Lande kömpt er an / fehrt sicher vnd in Rhu / Befreyt von aller Last auff seinen Haffen zu Das ist der beste Wundsch: jhr habt das Land nun innen / Da euch der Ostwind nicht mehr wird verwerffen können. Nun hier / Herr Bräutigam / solt jhr bestendig seyn; Versichert ewer Schiff / vnd werfft den Ancker ein. Wir sind noch in dem Meer’ auff dem wir folgen sollen Wo vns der wilde Wind vnd Wellen haben wollen: Lebt wol / vnd wann jhr dann in Lust vnd Frewden steht / So denckt auch wie es noch mit vnsern Schiffen geht. (Opitz 1979, 590–591)

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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5.3.1.2. Karel van Mander, Het leven van Pieter Bruegel, uytnemende schilder Van Manders (vgl. 5.2.3.2.) Het Schilder-Boeck (1604), das einen Schatz an Angaben u.a. über niederländische und deutsche Maler enthält, gilt als Musterbeispiel der Renaissance-Prosa in neuniederländischer Sprache. Der Verfasser beschreibt in unten stehendem Fragment das Leben von Pieter Bruegel (vgl. Farbb. VIII, IX). DE Natuer heeft wonder wel haren Man ghevonden en ghetroffen, om weder van hem heerlijck ghetroffen te worden, doe sy in Brabant in een onbekent Dorp onder den Boeren, om Boeren met den Pinceel nae te bootsen, heeft uyt gaen picken, en tot de Schilder-const ver­ wecken, onsen gheduerighen Nederlandtschen roem, den seer gheestighen en bootsighen Pieter Brueghel, den welcken is geboren niet wijt van Breda, op een Dorp, gheheeten Brueghel, welcks naem hy met hem ghedraghen heeft, en zijn naecomelinghen ghelaten. Hy heeft de Const gheleert by Pieter Koeck van Aelst, wiens dochter hy naemaels trouwde, en hadse doe sy noch cleen was dickwils op den arem ghedraghen, doe hy by Pieter woonde. Hy is van hier gaen wercken by Jeroon Kock, en is voorts ghereyst in Vranckrijck, en van daer in Italien. Hy hadde veel ghepractiseert, nae de handelinghe van Jeroon van den Bosch: en maeckte oock veel soodane spoockerijen, en drollen, waerom hy van velen werdt geheeten Pier den Drol. Oock sietmen weynigh stucken van hem, die een aenschouwer wijslijck sonder lacchen can aensien, ja hoe stuer wijnbrouwigh en statigh hy oock is, hy moet ten minsten meese-muylen oft grinnicken. In zijn reysen heeft hy veel ghesichten nae t’leven gheconterfeyt, soo datter gheseyt wort, dat hy in d’Alpes wesende, al die berghen en rotsen had in gheswolghen, en t’huys ghecomen op doecken en Penneelen uytghespogen hadde, soo eyghentlijck con hy te desen en ander deelen de Natuere nae volghen. Hy vercoos en nam zijn wooninghe t’Antwerpen, en quam aldaer in het Gildt oft Schilders-camer, in’t Jaer ons Heeren 1551. En wrocht veel voor een Coopman, gheheeten Hans Franckert, dat een edel goet borst was van een Man, die geern by Brueghel, en met hem daeghlijcks seer gemeensaem was. Met desen Franckert gingh Brueghel dickwils buyten by den Boeren, ter Kermis, en ter Bruyloft, vercleedt in Boeren cleeren, en gaven giften als ander, versierende van Bruydts oft Bruydgoms bestandt oft volck te wesen. Hier hadde Brueghel zijn vermaeck, dat wesen der Boeren, in eten, drincken, dansen, springen, vryagien, en ander kodden te sien, welck dingen hy dan seer cluchtigh en aerdigh wist met den verwen nae te bootsen, soo wel in Water als Oly-verwe, want hy van bey­den seer uytnemende was van handelinghe. Dese Boeren en Boerinnen op zijn kempsche en anders wist hy oock seer eyghentlijck te cleeden, en dat Boerigh dom wesen seer natuerlijck aen te wijsen, in dansen, gaen, en staen, oft ander actien. Hy was wonder vast in zijn stellingen, en handelde seer suyver en aerdigh met de Pen, makende veel ghesichtkens nae t’leven. Terwijlen hy noch t’Antwerp woonde, hiel met een Meyt oft Dochter huys, welcke hy oock soude hebben ghetrouwt, dan hem mishaeghde, dat sy altijt (soo seer de waerheyt sparende) ghewent was te liegen. Hy maeckte met haer een verbondt en bespreck, hy soude al haer loghenen kerven op eenen kerfstock, waer toe hy eenen maeckte redelijck langh, en so den kerfstock met der tijdt quam vol te worden, soude t’Houwlijck gantsch uyt en te nieten zijn, ghelijck het eer langhen tijt gheschiede. Eyndlinghe, alsoo de Weduwe van Pieter

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Koeck ten lesten woonde te Brussel, werdt hy te vrijen haer dochter, die als verhaelt is, hy dickwils op den arem had gedraghen, en is met haer ghetrouwt: doch besprack de Moeder, dat Brueghel Antwerp verlatende most comen woonen te Brussel, op dat hy mocht verlaten en vergheten dat voorighe Meysken, het welck alsoo gheschiede. Hy was een seer stille en gheschickt Man, niet veel van woorden, dan wel bootsigh in’t gheselschap, doende den luyden, oft oock zijn eyghen knechten, t’somtijt verschricken met eenigh ghespoock, oft gherammel, dat hy te weghe bracht. Eenighe zijner besonderste wercken zijn althans by den Keyser, te weten, een groot stuck, wesende eenen thoren van Babel, daer veel fraey werck in comt, oock van boven in te sien. (Van Mander 1983, 127–129) Die Publikation wurde nach der ursprünglichen Ausgabe von 1617 von H. Floerke ins Deutsche übersetzt und erschien 1991, mit zahlreichen Erläuterungen versehen, mit dem Titel Das Leben der niederländischen und deutschen Maler (von 1400 bis ca. 1615). Das Leben des hervorragenden Malers Pieter Breughel von Breughel Wunderbar gut hat die Natur ihren Mann getroffen, der sie seinerseits wieder aufs glücklichste treffen sollte, als sie ihn, der unsern Niederlanden zu dauerndem Ruhme gereicht, den so geistreichen und humorvollen Pieter Breughel unter den Bauern eines unbekannten Brabanter Dorfes auswählte und zum Maler machte, damit er Bauern mit dem Pinsel wiedergebe. Er wurde unweit Breda in einem Dorfe namens Breughel, dessen Namen er geführt und seinen Nachkommen hinterlassen hat, geboren. Die Malerei hat er bei Pieter Koeck von Aalst gelernt, dessen Tochter, die er, als sie noch klein war, während seines Aufenthalts bei Pieter, oftmals auf den Armen getragen hatte, er nochmals heiratete. Von dort ging er bei Hieronymus Kock arbeiten und reiste darauf nach Frankreich und von dort nach Italien. Er hatte viel nach den Sachen des Hieronymus Bosch gearbeitet und malte auch viel Spukbilder und humoristische Szenen, weswegen er von vielen „Pieter der Drollige“ genannt wurde. Man sieht ja auch wenig Bilder von ihm, die der Beschauer ernsthaft ohne zu lachen ansehen kann, ja – so verschlossen und griesgrämig er auch sein mag, er muss zum mindesten lächeln. Auf seinen Reisen hat er viele Veduten nach der Natur gezeichnet, so dass gesagt wird, er habe, als er in den Alpen war, all die Berge und Felsen verschluckt und als Malbretter wieder ausgespien, so nahe vermochte er in dieser und anderer Beziehung der Natur zu kommen. Er liess sich in Antwerpen nieder und trat dort im Jahre des Herrn 1551 in die Malergilde ein. Er arbeitete viel für einen Kaufmann namens Hans Franckert, einen ganz vortrefflichen Mann, der gerne mit Breughel verkehrte und täglich mit ihm freundschaftlich zusammen war. Mit diesem Franckert ging Breughel häufig hinaus zu den Bauern, wenn Kirmes war oder eine Hochzeit stattfand. Sie kamen dann in Bauerntracht verkleidet und brachten Geschenke wie die andern auch unter dem Vorgeben, sie gehörten zur Verwandtschaft der Braut oder des Bräutigams. Hier machte es Breughel grosses Vergnügen, die Art der Bauern im Essen, Trinken, Tanzen, Springen, Freien und anderen spasshaften Dingen zu beobachten, lauter Momente, die er

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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sehr hübsch und komisch mit der Farbe wiederzugeben verstand und zwar sowohl mit Wasser- wie mit Ölfarbe; denn mit beiden wusste er sehr gut umzugehen. Er verstand es auch vorzüglich, diese Bauern und Bäuerinnen in der Tracht der Kampine und anderer Gegenden zu malen und das ungeschlachte bäuerische Wesen im Tanzen, Gehen, Stehen und anderen Bewegungen aufs beste zu charakterisieren. Er war wunderbar bestimmt in der Anordnung seiner Figuren und zeichnete sehr sauber und hübsch mit der Feder, namentlich viele kleine Veduten. Als er noch zu Antwerpen lebte, hielt er mit einer Dienstmagd Haus, die er wohl auch geheiratet hätte, wenn es ihm nicht missfallen hätte, dass sie jederzeit lügen musste. Er kam mit ihr überein, dass er alle ihre Lügen auf einen Kerbstock schneiden werde – er wählte zu diesem Zwecke einen recht langen – und wenn der Stock innerhalb einer gewissen Zeit voll sei, sollte es mit der Hochzeit ganz und gar aus sein, was auch in nicht langer Zeit eintraf. Endlich, als die Witwe von Pieter Koeck zuletzt in Brüssel wohnte, verliebte er sich in ihre Tochter, die er, wie erzählt, häufig auf den Armen getragen hatte, und nahm sie zur Frau, doch bedang die Mutter, dass er Antwerpen verlassen und nach Brüssel ziehen müsse, damit er von dem andern Mädchen loskomme und es vergesse. Und so geschah es auch. Er war ein sehr stiller und verständiger Mann, der nicht viel Worte machte, aber in Gesellschaft sehr spasshaft war und die Leute – auch seine eigenen Gesellen – durch allerlei Spuk und Lärm, den er ausheckte, zu erschrecken liebte. Einige seiner bedeutendsten Werke befinden sich jetzt im Besitze des Kaisers, nämlich ein grosses Bild, das den Turm von Babel darstellt und voll ist von hübschen Einzelheiten. Man kann auch von oben in den Turm hineinsehen. (Van Mander 1991, 152–155) 5.3.1.3. Gerbrand Adriaensz. Bredero, Spaanschen Brabander Bredero (vgl. 5.2.3.4.) zeigt in seinem Drama Spaanschen Brabander (1617), für das er den Plot dem spanischen Schelmenroman Lazarillo de Tormes (1554) entnahm, einen aus Antwerpen ausgewanderten spanischen Brabanter, einen kahlen Junker namens Jerolimo, der den Anschein wahren will und den Amsterdamer Volksknaben Robbeknol als Knecht in Dienst nimmt. Dieser durchschaut seinen Meister jedoch schnell. In unten stehendem Fragment verkünden Charaktere, die aus Holland und Brabant stammen, ihre Meinung über den Dialekt des jeweils anderen. jerolimo

Nu Robbeknol al properkens, sacht manneken, geeft ou te vreen, En danckt ons Heere God voor sayne goeyen gracy, Ghy zijt hier ter keure wel gheroockt te deser spacy, Want ic kick sal ou triumphantelaijck versien met al wat ou gebrect. Een dingen jammert may, dat is dagge soo bot Hollants sprect. O de Brabantsche taal die is heeroyck, modest en vol perfeccy, Soo vriendelayck, so galjart, so minjert, en so vol correccy Dament niet gheseggen en kan. Ick wouw om duysent pont Daggese so wel alse kick of als men Peterken verstont.

175

306

5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Ick sweert ou par Die, ghy souwt ou Hollants versaken: Want die ons verstoot, die verstaat alle spraken. Was ou moeyer noch maaght, ick liet ou een Brabander maken. Onse taal is een Robsodi, non pareylle sonder weergae; Sen heeft geen komparacy by de suyverheyt van Hollant op veer nae.

180

robbeknol

Ja ’tis een moye mengelmoes, ghy meuchter wel van spreken, Ghy luy hebt de Fransche, de Spanjers en d’Italianen vry wat of e keken. De Brabanders slachten d’Enghelsche of de spreeuwen, sy kennen van elcks wat.

185

jerolimo

s’Jasy wat sayn hier harsenloose botmuylen inde stadt, Zy zijn slecht en recht van leven, en simpel inde stijl van haar geschriften. robbeknol

O eelekaarten soudmen dat lebbighe Brabants siften Of wannen, gelijck de Kruyeniers haar kruyen, soo waar as ic leef, Ick wil wel wedden datter de helft niet over en bleef. Dattet Hof te Bruyssel eens banden al de uytheemsche wóórden, Dat yegelijck most gaan daar sy eygen zijn, of daarse ’thuys hóórden Wat souwer een goetje vertrecken: gantsch lyden hoe kaal Souwen de Brabbelaars staan kijcken met haar arme jottoosse taal: Maar nou zijnse hier so vermaagschapt datmense niet sou kunnen scheyen Al hadje al de geleerden, Professoren en Doctoren van Leuven en van Leyen.

190

195

jerolimo

Slecht-hoyen als ghy zijt, moockt eensens een acte notoriaal. Gaylien en weet van hoofse tarmen, gy schrijft moor duyts teenemaal. Onse Notarissen en Secretarissen verstaander pertinent op de pronunciatien. Dan trouwens ’tis haar geoctroyeert, met edicten, privilegien en gratien Van’t Kayserlaijcke Hof: ou ’tis een volcxken seer exstreem.

200

robbeknol

De Paus van Roemen met al zijn Cardinalen en brengter niet van haar teem: En dan latenser noch duncken datse verstandige Schribenten bennen, Sy schryvenje daar een goetje, datse as haar Vader-ons van buyten kennen.

205

jerolimo

Woor woren de Hollantsche botmuylen? niemant van so veel En quamper te voorschijn in ons magnifijclaijck Retorijclaijck lantjuweel, Da was een dingen van d’ander Waerelt, ’tis rekreatieflijck te lesen. Maar sjases par Dio sante, wa plochtender ellegante Poëten te wesen: Item daar haddege Kastileyn, de Roovere, Gistellen, en Kolijn, En Jan Baptisten Houwaart, dat bayloy goeye meesters zijn: Dat waaren liens vol perfeccy, en van devine eloquency, Yghelijck woordeken datse aggeerde, of nomineerde, dat was een sentency.

210

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

Het minste datse sproocken dat was een reffiereyn, en dat so exstruvagant Van uytspraack, trots een Oostersche Phar-heer, of Luytersche Predikant. En bay hoor rondeelen en balladen (met licencie magh icket vry seggen) Daar mogen de Hollantse boere lieke-dichters hoor broeck by leggen.

307

215

robbeknol

Werpt de Vlamingen niet wegh, mijn Joncker, watje doet, Met huldere incarnatie, en Palleys vol minnen, en suycker-bosjes soet.

220

jerolimo

Baste, al stillekens, ick hees ghenoegh van die muffe miskienen Retrosynen, En moockt geen grimmaasen met ou ensicht, moockt assekijck bonne mynen. Och het stoot so wel datmen parmantigh en gracelijcken gaat. En korompeert u troony niet, houtet in die form daar’t ou in staat. Zemers dats bysart, dats braaf, dats groots, dats graaf, dats wel jentjens. Kuyst en vaaght wel nettekens ou kleekens en acoutrementjens: Neemt tansens de kladder, den borstel, den kleerbessem, sulde? Dagge een Brabander waart, dat wilde kick om duysent pont, of hondert gulden, Ick souw ou annimeeren en addresseeren bay de gróótste van’t lant. Ick sal ou promoveeren tot Doctor Juris door ou beestiaal verstant. Gay zijt een merveille vande Waerelt. Gay sult wel tot hoogheyt raken: Want ick sal ou Souvereyn van Hollandt en van Vranckerayck maken. Een Marquissaatschap of Graafschap dat acht ick niet een seur. Kapitaynschappen, Kornelschappen, Hartoghschappen, daer stier ick kinders met deur: ’tIs may de payn nie waart om daar eens op te dincken. Ick sode heel Gelderlandt wel lichtelaijck wegh schincken. Ick kick hee die liberalheyt met onsen Koning ghemayn, Die heel Indyen wegh gheeft aan een simpel Kapitayn, Al eer hy dat met macht van soldaten heeft ghewonnen. Nu ick moet ter Missen gaan in’t klooster bayde Nonnen. Maar wat ’k ou vragen sou, sayde gay oock gedebaucheert? Daar en is geen dingen so goet als datmen spaarlaijck minageert. De minagie (Monseur) passeert: ’tis beestich dat-men veel eet en drinckt.

225

230

235

240

robbeknol

Dits al weer ’touwe deuntje. Ick weet wel met wat voet dat hy hinckt. Ick lóóf niet of ick ben op sinte Galperts nacht e boren, Dat’s drie daghen voor’t ghelock: nou gheef icket verloren, De droes die hellept mijn an die gierigerts altijt. (Bredero 1999, 244–249)

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Frei übersetzt heisst dies: jerolimo

Robbeknol, beruhige dich, nimm es nicht so schwer. Danke Gott, dass er dein Schicksal in seine Hände genommen hat. Du bist hier bei mir immerhin besonders gut untergebracht, Weil ich dich fürstlich mit dem versehen werde, an das dir mangelt. Nur finde ich es schon schade, dass du so platt Holländisch sprichst. Oh, die Brabanter Sprache ist erhaben, kultiviert und vollkommen perfekt; So freundlich, so lebendig, so liebevoll und so formvollendet korrekt, Dass Wörter nicht ausreichen. Ich gäbe gerne tausend Pfund, Falls du es genauso gut wie ich oder mein Patenkind verstündest. Ich schwöre dir bei Gott, du würdest kein Holländisch mehr schnattern, Weil wer die Brabanter Sprache beherrscht, muss sich um keine andere Sprache mehr kümmern. Wäre deine Mutter noch Jungfrau, ich würde dich als Brabanter zeugen. Unsere Sprache ist wie eine Rhapsodie, unerreicht, sondergleichen. Ihre Reinheit ist nicht zu vergleichen mit dem Holländischen, nicht im geringsten.

175

180

robbeknol

Ja, es ist ein hübsches Sammelsurium, das werde ich nicht leugnen. Ihr habt einiges von den Franzosen, Spaniern und Italienern abgeschaut. Brabanter sind wie Engländer oder Stare: Sie lesen von allem ein bisschen auf.

185

jerolimo

Jesses, gar viele hirnlose Dummköpfe wohnen in dieser Stadt. Sie führen ein derart einfältiges Leben und es wird so langweilig geschrieben. robbeknol

Verflixt, wenn man das hässliche Brabantisch einmal durchsieben würde 190 Oder säubern, wie die Krämer es mit ihren Gewürzen zu tun pflegen, so wahr ich lebe: Ich wage zu wetten, dass die Hälfte nicht übrig bleiben würde, Wenn der Gerichtshof in Brüssel sie einmal verbannen würde, all diese fremdländischen Wörter, So dass sie alle zurückkehren müssten, von wo sie ursprünglich herkommen, Welche Menge würde dann von dannen ziehen; allmächtig, wie jämmerlich und kahl 195 Würden die Brabbelnden dastehen mit ihrer primitiven, armseligen Sprache. Aber nun sind sie so eingebürgert, dass man sie unmöglich noch trennen kann, Auch wenn man die Hilfe von allen Professoren und Doktoren von Leuven und Leiden ­einberufen würde. jerolimo

Dummköpfe seid ihr, macht doch einmal eine notarielle Urkunde, echt legal. Ihr kennt keine vornehmen Termini, ihr schreibt nur die einfache Holländische Sprache. 200 Unsere Notare und Sekretäre beherrschen die Formeln durch und durch.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

309

Allerdings, sie dürfen es machen, das Vorrecht ist im Gesetz festgeschrieben Durch den Spanischen Kaiserhof: Ja, diese Menschen sind ganz hochkarätig. robbeknol

Sogar der Papst in Rom mit all seinen Kardinälen unterliegt ihnen. Und dann bilden sie sich auch noch ein, über kreative Schreibfedern zu verfügen: Sie schreiben einzig Parolen, die sie, genau wie das Vaterunser, auswendig können.

205

jerolimo

Wo blieben die holländischen Rhetoriker. Es gibt so viele, Aber niemand liess sich an unserem grossartigen Antwerpener Literaturwettstreit blicken. Das war etwas aus einer anderen Welt, so prachtvoll, um nie mehr zu vergessen. Verflixt, es gab, bei Gott, gar elegante Schriftsteller: 210 Wie beispielsweise Matthijs de Castelein, Anthonis de Roovere, Van Ghistelle und Colijn, Und Jan Baptiste Houwaert, du weisst, dass dies hervorragende Dichter sind. Das waren Leute voller Perfektion und mit einer göttlichen Eloquenz; Jedes Wörtchen, das sie verwendeten oder nannten, wurde eine Sentenz, Alles, was sie sagten, war zumindest ein Refrain und dann so extravagant 215 Formuliert, dass es nicht von einem deutschen oder lutherischen Prediger verbessert werden kann. Und von ihren Rondellen und Balladen kann ich mit ruhigem Herzen sagen, Dass die holländischen Dichter von Bauernliedern ihre Feder wohl ruhen lassen können. robbeknol

Denk daran, Junker, du darfst die Flamen nicht vergessen Mit ihren Flugschriften, ihrem Paleis der Liefde und wie auch immer sie heissen mögen. 220 jerolimo

Basta, still, ich habe genug von diesen öden, armseligen Rhetorikern. Zieh keine komischen Grimassen, mach ein freundliches Gesicht, wie ich. Ach, es sieht so fein aus, wenn man vornehm und anmutig über die Strasse geht. Zieh keine Fratze, ja so, halte dein Gesicht, so wie es jetzt ist; Schön, so gehört sich das, das ist gut, das ist seriös, das ist sehr anmutig. 225 Reinige und bürste deine Kleider nun auch noch ordnungsgemäss. Nimm den Feger, die Bürste und fege deine Jacke. Ich hätte tausend Pfund oder hundert Gulden dafür übrig, wärst du ein Brabanter, Ich würde dich empfehlen und introduzieren bei den Höchsten des Landes. Ich werde dich promovieren zum Rechtsanwalt, wegen deines grandiosen Verstands. 230 Du bist ein Weltwunder. Du wirst grosses Ansehen erlangen. Ich werde dich zum König von Holland und von Frankreich machen; Ein Markgrafentum oder eine Grafschaft, du dachtest doch nicht, dass ich mir etwas daraus mache? Der Rang eines Kapitäns, Colonel oder Herzog, mit dem fertige ich Kinder ab. Es ist mir die Mühe nicht wert, daran gar einen Gedanken zu verschwenden. 235 Ich könnte leicht das ganze Gelderland verschenken.

310

5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Die Freigiebigkeit habe ich mit unserem König gemein: Der hat Indien an einen einfachen Kapitän weggegeben, Noch bevor dieser es auch tatsächlich mit seinem Heer besiegt hatte. Doch, nun muss ich ins Kloster, zur Messe bei den Nonnen. Aber was ich noch fragen wollte: bist du es dir gewohnt, viel Geld auszugeben? Nichts ist so vernünftig wie ein sparsames Leben. Es geht nichts über Sparsamkeit: Es ist ungehobelt, wenn man viel isst und trinkt.

240

robbeknol

Es ist schon wieder das alte Lied, ich weiss schon, wo der Schuh drückt. Ich glaube nicht, dass ich unter einem günstigen Stern geboren wurde. Ich gebe auf, das Glück ist mir offensichtlich nicht hold: Der Teufel schickt immerzu Geizhälse auf meinen Weg.

245

5.3.2. Briefe 5.3.2.1. Brief von Pieter Cornelisz. Hooft Dass P.C. Hooft auf Sprachgebrauch und Sprachregeln Wert legte, ist auch aus einem Brief, den er am 27. Oktober 1646 an seinen Sohn Arnout richtete, ersichtlich. Arnout war zu diesem Zeitpunkt Student in Leiden und erhielt mit diesem Brief unter anderem einige Sprachanweisungen. Hooft verweist dabei auf seine Historien als Beispiel für gutes Schreiben und Sprechen in der Muttersprache. 1319 (P.C. Hooft aan A.H. Hooft). Wellieve Zoone, Uw schrijven van eergister quam mij eerst heeden ter handt. De broeder van uwe Hospita braght het. Waar hij zich voorts hier ter steede onthouden zal, is ons onbekent. Ende wen wij ’t al wisten, zoo waare ’t ons konst te raamen hoe veel tijds hij besteedt heeft, met u, aan ’t leezen van Galatheus: ik denk in Fransojs. Boovendien kunnen wij de waarde van zijnen tijdt, niet schatten. Dies moet ghij verneemen wat hij van andren voor diergelijk onderwijs heeft genooten: ende daarujt afmeeten wat hem, reedelijker wijze, van u toekomt. Doch maakt het ter eere. Ghij zult, mijns bedunkens, weldoen, leerende tejkenen met Monsr Leeuwen te zaamen, om de minste kosten. Een gemeen uur te vinden, zal, mein ik, niet zwaar vallen: ende ik acht dat ghij, leerende gelijklijk, eerder meer dan min zult vorderen. Want, in gezelschap valt meer bedenkens op de dingen, meer vraaghens naa reede en weederreede. De naarijver oft aemulatie prikkelt ook tot vlijt. De boeken die de H. Professor oordeelt u nut oft noodigh te weezen, mooght ghij wel koopen. Dat ghij de lessen van den H. Goolius gaat hooren, gevalt mij wel: ende, zoo u, om dezelve te beeter in te neemen, eenighe boeken ontbreeken, ziet ze te bekoomen.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

311

’T geldt, dat ghij aan ’t dansen en schermen hebt te besteeden, om volmaakter in die oeffeningen te worden, staa ik u geirne toe, mits dat ghij alle zujnighejt behartight, zoo veel als de eere lijden kan. Ghij doolt dikwijls in ’t spellen van uw Neederduitsch. Let op het mijne; en volght het. ’T Latijnsche Nunc is in onze taale Nu, niet Nuij gelijk ghij spelt. Ik, daarbij behoeft geen c; nochtans spelt ghij Ick. Esse schrijft ghij in Duitsch sijn: ’t moet zijn door z weezen. Als ghij onderteekent in Nominativo, gelijk ik blijf U.E. zoon, zoo moet het zijn Onderdaanighste zoon, niet Onderdaanighsten. Want men declineert dus, als volght: Nominativo Uw onderdaanighste zoon: Genitivo, Uws onderdaanighsten zoons: Dativo, Uwen onderdaanighsten zoone: Accusativo, Uwen onderdaanighsten zoon: Ablativo, van uwen onderdaanighsten zoone. Dit vermaan ik op dat ghij ook beneirstight uwe moederlijke taal wel te schrijven en te spreeken: waar toe u dienstigh zijn zal, bij wijlen, wat in mijne Historien te leezen. Mijne voorighe gezontheit heb ik noch niet weeder bekoomen, op veel naa. Doch de koorts heeft mij verlaaten. Maar ik looz veel graveels, en kleine steentjens. Heb geen’ lust tot eeten, ende nuttigh niet dan zoo veel als noodigh is om ’t lijf te behouden. Ghij mooght denken oft ik zwak ben. God verleene mij ’t zaalighste: u meede: dat bidt hem, neevens hartlijke groetenis van mij ende uwe moeder, die u op maandagh denkt te antwoorden, van ganschen gemoede, Uw t’uwaarts zeer toegenejghde Vaader, P.C. Hóóft. T’Amsterdam, den 27en in Wijnmaant, 1646. Deeze is om morghen met d’eerste schujte te gaan. Als ghij uwen naam in Dujtsch schrijft, zoo stelt, niet Arnoldus, maar Arnout. (P.C. Hooft 1979, 771–772) Frei übersetzt heisst dies: 1319 (P.C. Hooft an A.H. Hooft) Geliebter Sohn, Euer Schreiben von vorgestern erhielt ich erst heute. Der Bruder Eurer Zimmervermieterin brachte es. Wo in der Stadt er logieren wird, ist uns nicht bekannt. Und auch wenn wir es wüssten, dann wäre es für uns eine ziemliche Kunst einzuschätzen, wie viel Zeit er mit Euch beim Lesen von Galatheus verbracht hat, wahrscheinlich auf Französisch. Zudem können wir seinen Stundentarif nicht einschätzen. Darum müsst Ihr informieren, was er von anderen für den gleichen Unterricht erhalten hat: und daraus ableiten, was ihm von Euch zusteht. Aber seid nicht geizig.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Meiner Ansicht nach werdet Ihr, wenn Ihr Zeichenunterricht mit Herrn Leeuwen nehmt, am wenigsten Kosten tragen. Einen gemeinsamen Zeitpunkt zu finden wird meiner Meinung nach nicht schwierig werdet: Und ich denke dass Ihr, wenn Ihr gleichzeitig lernt, eher schnelleren Fortschritt machen werdet. Denn in Gesellschaft legt man eher Rechenschaft ab und stellt man eher Fragen zu den Überlegungen. Der Wetteifer oder Aemulation regt auch zum Fleiss an. Die Bücher, die der Herr Professor Euch empfiehlt, dürft Ihr kaufen. Dass Ihr den Lektionen von H. Goolius beiwohnen werdet, gefällt mir: und falls Euch, zum besseren Verständnis, noch einzelne Bücher fehlen, erwerbt diese. Das Geld, das Ihr für das Tanzen und Fechten ausgeben solltet, um in den Übungen vollkommener zu werden, gebe ich Euch gerne, unter der Voraussetzung, dass Ihr es mit aller Sparsamkeit verwendet. Ihr habt oftmals Mühe mit der Rechtschreibung des Niederländischen. Achtet auf meinen Gebrauch und nehmt ihn zu Herzen. Das Lateinische Nunc ist in unserer Sprache Nu und nicht, wie Ihr es schreibt, Nuij. Ik braucht kein c, dennoch schreibt Ihr Ick. Esse schreibt Ihr im Niederländischen sijn, was eigentlich zijn mit z sein sollte. Wenn Ihr im Nominativ unterschreibt, wie in ik blijf U.E. zoon, so muss es sein Onderdaanighste zoon und nicht Onderdaanighsten. Denn man dekliniert wie folgt: Nominativ Uw onderdaanighste zoon: Genitiv, Uws onderdaanighsten zoons: Dativ, Uwen onderdaanighsten zoone: Akkusativ, Uwen onderdaanighsten zoon: Ablativ, van uwen onderdaanighsten zoone. Dies ermahne ich, damit Ihr Euch Mühe gebt, in Eurer Muttersprache korrekt zu schreiben und zu sprechen: wobei Euch dann und wann meine Historien von Diensten sein können. Meine frühere Gesundheit habe ich noch nicht zurückerlangt. Doch das Fieber hat mich verlassen. Aber ich lasse viele Blasensteine. Habe keine Lust zu essen und esse nicht mehr als nötig, um am Leben zu bleiben. Ihr könnt Euch vorstellen, wie schwach ich bin. Gott gewähre mir das Allerseligste: und Euch: Bittet Ihn darum, nebst herzlichem Gruss von mir und Eurer Mutter, die beabsichtigt, Euch am Montag zu antworten, von ganzem Herzen, Euer Euch sehr zugeneigter Vater, P.C. Hooft Amsterdam Den 27. des Weinmonats, 1646. Dieser Brief sollte morgen mit dem ersten Boot gehen. Falls Ihr Euren Namen auf Niederländisch schreibt, so schreibt nicht Arnoldus sondern Arnout. 5.3.2.2. Brief von Rembrandt Von Rembrandt van Rijn (1606–1669) sind sieben Briefe aus den Jahren 1636–1639 an Con­ stantijn Huygens (vgl. 5.2.3.4.) erhalten geblieben. Der Maler empfiehlt Huygens in unten stehendem Brief, das Gemälde, das er ihm als Geschenk zusendet, ins volle Licht zu hängen, sodass es zu seinem Recht kommt.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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Met een sonderling vermaeck hebbe ick U E. aengenaemen missyve van den 14 deses doorleesen, bevinden daer U E. goeden gunst ende geneegentheijt, soodat ick van harten geneegen verobblijsier blijven U E. rekumpensyve dienst ende vrienschap te doen. Soo is t door geneegentheijt tot sulx, tegens mijns heeren begeeren, dees bijgaenden douck toesenden, hoopende, dat u myner in deesen niet versmaeden sult, want het is die eerste gedachtenis, die ick aen mijnheer laet.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Abb. 15:  Brief von Rembrandt an Constantijn Huygens.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

315

Mynheer den ontfanger Wttenboogaert is by mij geweest, sooals ick besich waer met dees 2 stuckens te packen. Hij most die noch eerst eens sien. Die seijden, soo het Sijn ­Hoocheijt beliefden, wil mij hier wt sijn kantoor die betaelinge wel doen. So soude ick aen U, mynheer, versoucken, sulx Sijn Hoocheyt mij toelecht aen die 2 stuckens, dat tsel gelt hier in den eersten ontfangen mocht, daer ick nu sonderlingen meede geryft souden weesen. Hierop verwachten, soo ’t mynheer gelieft, bescheijt, ende wensche U E. famijlij allen geluck ende heijl, dat neffens mijne groetenissen …. In der haest, deesen 27 January 1639. My heer, hangt dit stuck op een starck licht en dat men daer wijt kan af staen, soo sal t best vouchen. (Huygens 1913, Band 2, 428–429) Frei übersetzt heisst dies: Mit ausserordentlichem Vergnügen habe ich meines Herrn liebenswürdiges Sendeschreiben der 14 gelesen, worin sich Eure Gunst und Zuneigung finden lässt, so dass ich mich von Herzen verpflichtet fühle, Euch mit Dienstleistung und Freundschaft zu vergüten. Aus Zuneigung und entgegen meines Herrn Begehren, schicke ich dieses beigefügte Gemälde, in der Hoffnung, dass Ihr es nicht verschmähen werdet, es ist das erste Zeichen meiner Wertschätzung, das ich Euch widme. Mein Herr der Steuereinnehmer Wttenboogaert hat mich besucht, als ich damit beschäftigt war, diese 2 Stücke einzupacken. Er wünschte sie zuerst noch einmal zu begutachten. Er sagte, dass wenn es dem Prinzen recht sei, er mir die Bezahlungen aus seinem Büro hier tätigen werde. Darum bitte ich Sie, mein Herr, was immer Seine Hoheit [Prinz Friedrich Heinrich, vgl. 5.1.5] mir für diese zwei Stücke zusprechen möge, mir das Geld am nächsten Ersten zukommen zu lassen, welches mir im Moment sehr gelegen käme. Wenn es Ihnen gefällig ist, erwarte ich Antwort und wünsche Euch und der Familie alles Glück und Segen nebst meinen Grüssen …. In der Eile, diesen 27. Januar 1639. Mein Herr, hängen Sie dieses Stück in starkes Licht, so dass man in einer Entfernung davor stehen kann, dann wird es den besten Anklang finden.

5.3.3. Sonstige Prosatexte 5.3.3.1. Pieter Cornelisz. Hooft, Nederlandsche Historien Pieter Cornelisz. Hooft (vgl. 5.2.3.4.) beschreibt (1628–1647) in seinen Nederlandsche Historien in einer kunstvollen, durch Tacitus inspirierten, puristischen Prosa den Aufstand der Niederlande gegen Spanien. Das Werk, das unvollendet blieb, beginnt mit der Abdankung Kaiser Karls V. 1555 und verläuft bis ins Jahr 1587 (vgl. 5.1.2. und 5.1.3.). In unten stehendem Fragment beschreibt Hooft, wie die Wassergeusen, welche die Spanier zu Wasser bekämpften, die Stadt Den Briel am 1. April 1572 einnahmen, was er als wichtige Wende während des Aufstands der Niederlande sieht.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Hierby geviel ’t, dat de Koningin, geperst door den Hartogh van Alva, den weederspannighen zyns meesters den houw op te zeggen, hun, om ’t Spaansch oorlogh t’ontgaan, haar Ryk, en alle nooddruft van lyftoght daaruit, scherpelyk deed verbieden. Derhalven, maakende van de noodt een’ deughd, steeken zy, met eenen voorwindt en vierentwintigh scheepen teffens in zee, en munten ’t naa Tessel, op hoope van ’s Hartoghen oorloghscheepen aldaar, oft wel de stadt Enkhuizen, oft eenighe andere te vermeesteren. Maar, naa ’t neemen van twee scheepen, die uit Spanje quaamen, keerde de windt der wyze, dat zy goedt vonden den mondt der Maaze te kiezen. Wyd uit der maate, mits onder andre stroomen ook de vermaarde Ryn hier zyn meeste waater loost, gaapt deeze oopening; en heeft het eylandt van Voorne, en de stadt Briel op de Zuyder, het dorp van Maaslandssluys op de Noorder lippe leggen. Op den eersten van Grasmaandt, ontrent twee uuren naamiddagh, koomen eerst twee scheepen, daar naa noch vierentwintigh, tot dit logh in streeven; en stryken ’t voor ’t hooft van den Briel. D’inwoonders van beyde de voorgemelde plaatsen, verwonderden zich ten hooghste oover zulk een’ meenighte van koopvaarders, zoo zy waanden: zynde hunne minste gedachten niet, dat de Waatergeuzen daar met zoo fel en langduurigh een oorlogh quaamen aangezeylt. D’eerst, dien ’t inviel, was een veerman genaamt Jan Pieterszoon Koppestok. Deez’ oopende zyn gevoelen aan zeekere luyden, die hy in had, om ze naa den Briel te brengen: dewelke daaroover beducht, zich te rugh en aan landt deeden zetten. Hy, daarnaa, roeyt der vloote aan boordt, en vereyscht naar Treslong. Treslong, te voorschyn gekoomen, en bewelkoomt van hem, brengt den man by den Graaf, en zeit dien, dat hy de rechte was, die t’hunnen voorneemen diende. Dies begheert men op hem, dat hy een boodschap in stadt gaa doen. Koppestok, des getroost, als die weenigh te waaghen had, neemt den last aan; en met zich voor geloofnisbrief Treslongs zeeghelring, wel bekent daar ter plaatse, mits dat zyn vader Baljuw van den Briel geweest was. Voorts te lande gezet, maakt hy gang naa de poorte, die hem geoopent werd; en van daar naa ’t stadthuis. Elken benieuwde wat hy brengen moghte; en werden hem, onder weeghe, veele woorden, zommighe naar gunst, andere naar ongunst smaakende, naa ’t hooft geworpen. Vindende die van der wet vergaadert, dient hy hun aan, hoe hem by den Ammiraal, mitsgaaders Treslong, en d’ andere Hopluyden des Prinsen, geverght was, te verzoeken, dat de Majestraat, om met hun te spreeken, twee gemaghtighden wilde buiten schikken: den welken niet misschieden zoude. Want die hem gezonden hadden, verklaarden aldaar te zyn, om hen van den tienden penning te verlossen, en teeghens de dwingelandy van Alva, en de Spanjaarden, te beschermen. Teffens toont hy den ring, tot bewys van zyn onthiet. Men vraaghd’ hem, oft zy sterk waaren. Hy, meer uit losheit, dan uit list, zeyt, wel vyfduyzent mannen. Dit deed yder schrikken, en voorts tot bezending stemmen. Maar de zelfste schrik maakte hen zoo beteutert, dat’er niemandt geirne aanquam. Endtlyk hy kreegh’er twee met zich, om ’s Graaven voorstel te hooren. Die eyscht de stadt op, uit naam van den Prinse als Stadthouder des Koninx; geeft hun twee uuren beraads; en laatze steedewaarts keeren. Toen wast de versleeghenheit; ’t gaat’er op een zakken, pakken en vluchten, te waaghen, te paarde, ter Zuydtpoort uit. ’T krysvolk, gelandt daarentussen, en ten deel voor de poorten, vraaghde de geenen, die oover de muuren keeken, oft men hun op doen zoude, oft zy zich zelf moeten inhelpen. De Majestraat marde met antwoorden: thans, speurende meest eenen

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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yeghelyken, die te verliezen had, op de loop, andren gezint tot die van buyten, ziet zy ook om een goedt heenkoomen. De uuren van bedenken om zynde; en te zorghen, dat men zich binnen sterken, en ter weere bereyden moghte; rukt de Graaf toe, aan twee troepen. D’eene geleydt van Treslong, naa de Zuydtpoort, beliep aldaar den Rentmeester Johan van Duyvenvoorde, in opzet om te wyken; dien de soldaat te lyf wilde. Maar Treslong was’er voor, en beweeghd’ hem tot blyven. D’andre troep, onder Roobol, zamelt pek, rys, stroo, en ander licht ontfonkelyk tuygh aan de Noordtpoort; steekt’er ’t vuur in; en loopt ze voort oopen, met een eyndt van een’ mast. Voor neeghen uuren waaren zy meester; en trok de Graaf te deezer poorte, Treslong tot d’ander’ in, met ontrent tweehondertvyftigh mannen in alles; eensdeels Luykerwaalen, rapsch volk, maar moedtwilligh; eensdeels gevluchtte Nederlanders. De vernaamsten, die met dit stout bestaan, den eersten steen van ’t gebouw der vryheit leyden, vind ik, booven de drie voorgemelde, geweest te zyn Bartholt Entes van Mentheeda, Onderammiraal; Niklaas Ruykhaaver van Haarlem; Jakob Simonszoon de Ryk, Jan Klaaszoon Spiegel, Dirk Duyvel, alle drie van Amsterdam; Jonker Jakob Kaabeljauw, Willem de Graaf van Gent, Wouter Franssen, Fokke en Jan Abelszoonen, Hopman Looy, Hopman Daam, Hopman Gilain, Hopman Jelmer, Marten Merous, Gillis Steltman, Henrik Thomaszoon, Ellert Vlierhop, Marinus Brandt, Bruyn van Uitrecht, Kornelis Louwszoon van Eeverdingen, Oom Hedding, en ­d’Oovelens. Nochtans, (’t welk wonder en jammer is) koomen de schryvers in deeze naamen niet oover een. In de hitte van den ooverval werd de burgher verschoont, en al de geweldenaary teeghens de geestelyken gewendt. Des anderen daaghs ging ’t op een stormen van beelden, rooven van kappen, koorkleeden, karzuyfels, en allerley misgewaadt, samt andere kerk- en kloostergoederen, en berghen van den buyt in de scheepen. Want zelfs Lumey, hebbende geen wyder wit, dan ’t gewest te plonderen, sprak van de stadt in brandt te steeken, en met dien stank te ruymen. Zoo groot een scheel is’er tussen de baldaadighe buyen van eenen waaghals, en d’eerentfeste deughdt der grootmoedigheyt. Maar Treslong, Bartholt Entes, de Ryk, en Dirk Duyvel kantten’er zich teeghens, dryvende, dat het te oolyk een lafhartigheit waar, de betraapte geleeghenheit buyten nooddwang te slaaken; en aarzelende, nu men den voet op den drempel had, uit zyn voordeel te varen. Wat moedt konden de verlangende landtzaaten, welker hoop op de beloofde, en t’elkens gemiste verlossing ten eynde van aadem was, oover houden, indien men dus een sleutel des landts, willends, uit der handt worp? Ba, men had veeleer, nu hun ’t geluk in den mondt liep, den Prinse des kundschap toe te veir­dighen, die den misslagh niet doen zoude van hen verleeghen te laaten. Voor my, zeide de Ryk, meenighmaal heb ik Godt om een graf op de strandt myns vaderlands gebeeden. Nu zal’er my wel een in de wallen gebeuren. Gaanwe die met de borst sterken. De mensch is altyds veigh; maar moet ’er keur aan weeten, oft hy met suffen, oft met proefdoen van vroomheit, zyn geest vergiet. Lumey, laatende door deeze en dusdaane woorden, zich ’t hart onder den gordel steeken, zeyt dat hy getroost is het uiterst af te wachten. ’T zelfde beloofden d’anderen, zich onderlings daartoe verplichtende. Derhalven zyner doorluchtigheit boode geschikt, de vesten gestyft, schut uit de scheepen daarop gebraght, de bedenklykste aankoomsten toegebolwerkt met haaring-en andere vischtonnen vol aarde. En was ’t ’er al drok doende, tot de onstrydbaare sexe toe, met zoo vuurigh een’ yver, dat zy hunne voor-

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schooten scheurden, en draayden’er lonten af. De roep, hier af, liep terstondt oover al; en de huisvrouw van de Ryk, als zy dit t’Amsterdam vernam, by haaren vaader kermen, hoe haar man in den Briel was, met een’ handt vol volx, om eerstdaaghs altzaamen opgehangen te worden. D’ouwde man vol moeds, en ’t stuk bezeffende, spaart, zeyd’ hy, uw traanen dochter, zy hebben de koe by de hoornen. Zyn ze zoo wys geweest, als zich meester van den Briel te maaken, zy zullen van de galghe zich wel weeten te wachten. (Hooft 1972, 229–231) Zusammenfassende Übersetzung: Die Wassergeusen erobern Den Briel Im Jahre 1572 trugen die Wassergeusen unter dem Kommando von Admiral Lumey in England eine beachtliche Flotte zusammen. Sie hatten zum Ziel, anstatt der Fahrt zum Kap etwas Nützliches für das Vaterland zu tun. Königin Elisabeth verweigerte ihnen jedoch den Aufenthalt in ihrem Reich aus Angst vor einem Krieg mit Spanien. Sie machten aus der Not eine Tugend und fuhren mit dem Wind in den Segeln und mit 24 Schiffen gleichzeitig gen Texel, in der Hoffnung dort lauernde Kriegsschiffe von Alba, die Stadt Enkhuizen oder andere Orte einzunehmen. Aber nach der Eroberung von zwei Schiffen, die aus Spanien kamen, drehte der Wind dermassen, dass sie es ratsam fanden, der Maasmündung Vorrang zu gewähren. Überaus breit, weil nebst anderen Flüssen auch der berühmte Rhein hier sein Wasser abführt, gähnt dieser Mund und hat die Insel Voorne und die Stadt Den Briel auf der Unterlippe liegen und das Dorf Maaslandsluis auf der Oberlippe. Am ersten April, um etwa zwei Uhr am Nachmittag, fahren zuerst zwei Schiffe, und danach noch 24 in dieses Gewässer. Sie ziehen vor dem Hafendamm von den Briel die Segel ein. Die Einwohner von beiden oben genannten Orten wunderten sich über so einen Haufen Handelsschiffe, wie sie dachten, weil sie in keiner Weise vermuteten, dass die Wassergeusen dort gesegelt kamen, mit so einem heftigen und langandauernden Krieg als Folge. Der erste, bei dem der Gedanke aufkam, war ein Fährmann genannt Jan Pieterszoon Koppelstok. Dieser suchte den Kontakt zu den Wassergeusen und im Namen derer mit der Stadtverwaltung von Den Briel, um sich zusammen zu beraten. Er traf die Magistraten in einer Sitzung an und teilte mit, dass ihm seitens des Admirals, und auch durch Treslong und andere Offiziere von Oranien aufgetragen wurde, sie zu bitten, zwei Beauftragte nach draussen zu schicken. Ihnen würde nichts Böses geschehen. Diejenigen, die ihn gesandt hatten, erklärten, sie von den Steuern befreien zu wollen und gegen die Zwangsherrschaft von Alba zu beschützen. […] Man fragte ihn, ob sie stark seien. Er berichtete, mehr aus Leichtfertigkeit als aus wohlüberlegter Schlauheit: sicherlich fünftausend Männer. Dies liess alle zusammenzucken und man beschloss unmittelbar, Beauftragte zu entsenden. Aber die gleiche Angst brachte sie dermassen durcheinander, dass niemand diese Aufgabe auf sich nehmen wollte. Schlussendlich erhielt er zwei Begleiter, um den Vorschlag von Lumey anzuhören. Dieser fordert die Stadt im Namen des Prinzen als Statthalter des Königs, gesteht ihnen zwei Stunden Beratungszeit zu und lässt sie in die Stadt zurückkehren.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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Dann wuchs die Erschütterung. Man fängt an, seine Sachen zu packen und flieht, mit Pferd und Wagen, durch die Südpforte aus der Stadt. Das Kriegsvolk, das inzwischen an Land gegangen war, befand sich zum Teil vor den Pforten und fragten diejenigen, die über die Mauer schauten, ob man ihnen Zutritt gewährte oder ob sie sich selber Zugang verschaffen müssten. Der Magistrat zauderte mit Antworten und sieht alsbald, dass fast alle, die etwas zu verlieren haben, sich auf die Flucht begeben haben. Als die Bedenkzeit zu Ende ist und man befürchtet, sich in der Stadt verstärken und verteidigen zu müssen, rückt Lumey in zwei Gruppen auf. Die eine Gruppe, die von Treslong zur Südpforte geführt wurde, traf dort auf Verwalter Jan van Duvenvoorde, der gesonnen war, die Flucht zu ergreifen. Aber Treslong verhinderte dies und bewog ihn dazu zu bleiben. Die andere Gruppe, unter Roobol, versammelt Pech, Reisigholz, Stroh und anderes leicht brennbares Material bei der Nordpforte, steckt es in Brand und rammt anschliessend mit einem Stück des Schiffsmastes die Pforte. Noch vor neun Uhr hatten sie diese in den Händen und der Graf zog durch diese Pforte und Treslong durch die andere in die Stadt, alles zusammen ungefähr 250 Männer, teils Wallonen aus Lüttich, ein flottes Volk, aber gewalttätig, und teils geflohene Niederländer. […] Im Feuer des Überfalls wurden die Bürger verschont und alle Gewalttaten richteten sich gegen die Geistlichen. Am folgenden Tag fing man mit dem Bildersturm an, dem Rauben von Gewändern, Tüchern, Stolas und anderen Messegewändern, nebst anderen Kirch- und Klostergütern und mit der Unterbringung der Beute in den Schiffen. Sogar Lumey, mit keinem weiteren Ziel vor Augen als die Plünderung des Gebiets, sprach davon, die Stadt in Brand zu stecken und diese zu räumen. Solch ein Abgrund klafft zwischen den bösartigen Launen eines Wagehalses und der standhaften Tugend der Grossmütigkeit. Aber Treslong, Barthold Entens, De Rijck und Dirk Duyvel sträubten sich dagegen, argumentierend, dass es eine unverzeihliche Feigheit wäre, die Gelegenheit ohne zwingende Notwendigkeit fallen zu lassen, man zögerte, nun man den Fuss auf der Schwelle hatte, seinen Profit preiszugeben. Welcher Mut blieb den sehnsüchtigen Landgenossen, deren Hoffnung auf die versprochene und jeweils misslungene Erlösung erlöschen würde, falls man solch einen Schlüssel zum Land mutwillig wegwerfen würde? Ach, komm, man musste vielmehr, jetzt wo das Glück ihnen unerwartet in den Schoss gefallen war, den Prinzen davon in Kenntnis setzen, der einen Fehlschlag nicht hinnehmen würde. Was mich angeht, sagte De Rijck, ich habe öfters Gott um ein Grab am Strand meines Vaterlandes gebeten. Jetzt wird mir wohl eines in diesen Mauern zuteil werden. Lassen wir diese mit aller Kraft verstärken. Der Mensch ist dem Tode immer nahe, muss aber zu wählen wissen, ob er mit Dösen oder mit dem Beweisen seiner Tapferkeit den Geist aufgibt. Lumey lässt sich von diesen und anderen derartigen Worten überzeugen und erklärt sich bereit, sein letztes Hemd zu geben. Dasselbe versprachen die anderen, wobei sie sich untereinander dazu verpflichteten. Daher wurde dem Prinzen ein Bote entsendet, die Stadtmauern verstärkt, darauf Geschütze aus den Schiffen platziert und die wichtigsten Zugänge mit Hering- und Fischtonnen voller Erde verbarrikadiert. Und jeder war damit beschäftigt, bis

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auf das kriegsscheue Geschlecht, mit solch einem feurigen Eifer, dass sie ihre Schürzen in Stücke rissen und daraus Lunten drehten. Alsbald vernahm man diese Geschehnisse im ganzen Lande und die Gemahlin von De Rijck ging, als sie dies in Amsterdam hörte, weinend zu ihrem Vater und klagte ihm, dass ihr Mann in Den Briel sei mit einer Handvoll Soldaten, um demnächst mit ihnen erhängt zu werden. Der alte Mann, der voller Vertrauen war und den Plan erkannte, sagte: Spar dir deine Tränen, Tochter, sie haben den Stier bei den Hörnern. Wenn sie so gescheit waren, um Den Briel zu erobern, dann werden sie sich auch vor dem Galgen retten können. […] (deutsche Adaption des modernisierten Textes, Hooft 2007, 114–117) 5.3.3.2. Willem Bontekoe, Scheepsjournaal Der Kapitän und Kaufmann Willem Ysbrantsz. Bontekoe (1587–1657) veröffentlichte Jahrzehnte nach seiner Reise nach Asien, die er im Auftrag der VOC machte, 1646 seine Erinnerungen als Iovrnael ofte Gedenckwaerdige beschrijvinghe vande Oost-Indische Reyse beim Herausgeber Jan Jansz. Deutel in seiner Geburtsstadt Hoorn. Vermutlich hat der Herausgeber an der veröffentlichten Version des Textes mitgearbeitet, die der Seemann möglicherweise diktiert hat. Das Buch wurde in den Niederlanden schnell populär, mittlerweile sind mehr als siebzig Neuauflagen erschienen. Auch über die Grenzen hinweg stiess es auf grosses Interesse, so erschien bereits 1648 Bontekoes denckwürdige reyse bei Philippo Fiver, Frankfurt a/M als Die Vier und Zwantzigste Schiffahrt in der Reihe von Levinus Hulsius. Der Übersetzer Christophel le Blon hatte wohl Deutels zweite Auflage übertragen und die Radierungen dieser Quelle übernommen. Eine gekürzte deutsche Version erschien als ‚Gründliche und wahrhafftige beschreibung‘ 1675 in einem Almanach. Der Pädagoge Joachim Heinrich Campe gab Bontekoes Abenteuer 1788 in seiner Sammlung ‚interessanter und durchgangig zweckmäszig abgefasster Reisebeschreibungen für die Jugend‘ für ein junges Leserpublikum heraus. Durch Übersetzungen dieser Fassung in die skandinavischen Sprachen, ins Polnische, ins Englische und ins Französische wurde Bontekoe auch unter der Jugend weltweit bekannt. Später verarbeitete auch Johan Fabricius Bontekoes Geschichte für jugendliche Leser in seinem bis heute beliebten De scheepsjongens van Bontekoe (‚Die Schiffsjungen von Bontekoe‘ 1924). Auch die zirka 1795 neu aufgelegte französische Übersetzung, die Melchisédech Thévenot 1663 herausgegeben hatte, trug zur internationalen Verbreitung der Abenteuer des holländischen Seemannes bei. Den 9 dagh dat wy daer gelegen hadden, ons volck als geseyt fris en gesont wesende, krengden wy ons schip op zijd, soo veel als wy konden, en maeckten ’t onder schoon, met verckenen en schrobben, en gingen t’ seyl, liepen om de zuyd, tot op de hooghte van 33 graden, wenden als doen weder oost-waert over, en stelden onse koers doen na de Straet van Sunda toe, en ghekomen sijnde op de hooghte van vijf en een halve graed, sijnde de hooghte van de voorschreven Straet van Sunda, wesende den 19 dagh van november 1619, soo is door ’t pompen van brandewijn, de brandt inde brande-wijn ghekomen, want de botteliersmaet, gingh (nae ouder gewoonte) met sijn vaetjen ’s achter-middaeghs in ’t ruym, en soude dat vol pompen, om alsoo ’sanderdaeghs ’s morgens aen de gasten, yder een half mutsjen, uyt

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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de deelen. Hy nam een keers mede, en stack de steker inde boom van een vat dat een laegh hooger lagh, alst vat daer hy uyt pompte. Sijn vaetje vol gepompt hebbende, soude hy de steker daer de keers op stond’ uyt halen, en alsoo hy die wat vast hadde ghesteecken, haelt hyser met een force uyt, daer was een dief aende keers, die vielder doe of, en viel juyst inde spons van ’t vat, daer hy uyt gepompt hadde. Hier door ontfingh de brandewijn, en vloogh terstondt op, tot het vat uyt, de booms borsten uyt het vat, en de brandende brandewijn liep beneden in ’t schip, daer smits koolen laghen, strackx wordender gheroepen: brandt! brandt! Ick lagh doen ter tijdt op ’t boevenet en keeck door de tralien: dat gherucht hoorende, liep datelijck beneden in’t ruym, daer komende, sagh gheen brandt, vraeghde waer is de brandt? Sy seyden, schipper sie daer, in dat vat, ick stack mijn arm in ’t vat en konde geen brandt voelen. De botteliers maet, daer de brandt deur quam, was van Hoorn, en was genaemt Keelemeyn; hy hadde twee kitten met water by hem gehadt, die had hyder opgegooten, waer door het scheen dat de brandt uyt was, doch ick riep om water van boven, ’twelck datelijck quam, met leeren-emmers, en goot so langh, dat wy geen meer gewach van brandt sagen, gingen uyt het ruym, maer omtrent een half uer daer nae, begonnen sy weder te roepen, brandt! brandt! waer door wy altesamen seer verbaest waren, trocken nae ’t ruym, en saghen dat de brandt van onderen opwaert sloegh, want de vaten stonden drie en vier hoogh, en de brandt was door de brandewijn beneden inde smits koolen gheraeckt, trocken wederom te werck met leerenemmers, en gooten soo veel water, dat het te verwonderen was. Maer al weder een nieuwe swarigheydt, want door ’t water gieten inde smits koolen, gaf sulcken stinckende-swaveligen roock op, datmen smooren en sticken wilde in ’t ruym, van bangigheydt. Ick was meest in ’t ruym, om order te stellen, en liet altemet ander volck in’t ruym komen tot ververschingh. Ick vermoede datter al veel in ’t ruym verstickt bleven leggen, die de luycken niet hebben konden vinden, ick self was menighmael het soeckn schier bijster, gingh met mijn hooft altemet op de vaten leggen om adem de scheppen, het aengesicht na ’t luyc toe keerende, lieper eyndelijc uyt, gingh altemet by de coopman Heyn Rol, en syde: maet het is best dat wy het kruyt over boord smijten, maer de coopman Heynrol en konde hier toe niet resolveeren, gaf voor antwoordt, smijten wy het kruyt over boort, wy mochten de brandt uyt krijghen, en komen daer nae in ’t gevecht teghen onse vyandt, en als wy dan (geen kruyt hebbende) genomen wierden, hoe souden wy ’t verantwoorden. De brant en wilde niet slissen, en niemant konde in’t ruym schier langer harden, door den stinckenden roock (als verhaelt is) wy hielden achter nae gaeten inden overloop, en gooten gheweldigh met water daer door, en door de luycken, mochte evenwel niet helpen. Onse groote boot, hadden wy wel drie weecken te vooren uytgheset, en sleepten hem achter aen, en de sloep die voor op’t boevenet stont, was oock uytgeset, om dat hy ons inde weegh stont, om ’t water te mannen; en alsoo daer groote verbaestheydt in’t schip was, ghelijck men wel dencken mach (want het vyer en het water was voor oogen en geen ontset, van yemandt op aerden, door dien wy alleen waren, sonder eenigh landt, schip, of schepen te sien) soo liepender veel van ’t volck, te met over boort, en kropen tersluyp, met het hooft onder de rusten, op dat men haer niet sien soude, en lieten haer dan in ’t water vallen, en swommen alsoo aen de schuyt en boot, klommender in, en verburgen haer onder de doften en plechten, tot’er tijdt toe

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dat haer dochte dat sy volckx ghenoegh in hadden. Heyn-rol de coopman quam by geval inde geldery, was verwondert datter soo veel volck inde boot en schuyt was, het volck riepen ­Heyn-rol toe, en seyden dat sy wilden of steken, en soo hy mee wilde, soo mochte hy hem by de val-reep neder laten, Heyn-rol liet hem over-reden, en klom by de val-reep neer, en quam alsoo by haer inde boot. Heyn-rol die seyde, Mannen laet ons wachten tot dat de schipper komt, maer hy en hadde daer geen commandement, want doen sy Heyn Rol hadden, sneden sy de touwen sticken en roeyden alsoo van ’t schip of. En alsoo ick doende was met het volck met order te stellen, om de brandt, waer ’t moghelijck te uytten, quamen andere van ’t volck, by my gheloopen, en seyden met groote verbaestheydt: Och! lieve schipper, wat raedt, wat sullen wy doen? de schuyt en boot zijn van ’t schip en roeyen wegh, ick seyde tegen haer, is de schuyt en boot wegh, soo zijnse op sulcken conditie wegh gevaren, datse niet weer sullen komen. Doe liep ick metter haest nae boven toe, en sach dat sy wegh roeyden, de seylen van ’t schip laghen doe ter tijdt op de mast, het groot-zeyl was opghegijt, ick riep teghen ’t volck knaphandigh, hael de seylen om, wy sullen sien of wijse konnen beseylen, en stroopense onder de kiel deur, dat haer dit en dat hael. Wy setten de seylen schrap, en seylden daer nae toe. By haer komende, roeyden sy ontrent drie schepen langhte voor ’t schip over, want sy wilden by ons niet wesen, maer roeyden inde windt op, van ’t schip aff. Doe seyde ick: Mannen wy hebben (naest Godt) onse hulpe nu by ons, ghelijck ghy siet, een yegelijck steeck nu sijn handen uyt de mouw, om (soo veel als ghy kondt) de brandt te uytten, en gaet datelijck nae de kruyt-kamer, en smijt het kruyt overboort, dat ons de brandt in ’t kruyt niet en beloopt, ’t welck gedaen wierde. Ick met alle de timmer-luyden stracx overboort met dopgudsen, en navegers, om gaten in ’t schip te boren, zijnde van voornemen het water een vadem anderhalf in ’t schip te laten loopen, om de brandt alsoo van onderen te uytten, maer konden niet door ’t schip komen, overmidts datter soo veel yserwerck in de weegh was. Somma, de benaut­ heydt die in ’t schip was, kan ick niet wel uytspreecken, het ghekerm en ghekrijt was boven maten groot, vielen doen wederom dapper aen ’t water gieten, waer door het leeck dat de brandt minderde, doch een weynigh tijdts daer nae, quam de brandt inde oly, doen was de moet gants verloren, want hoemen meer water goot, hoe de brandt scheen grooter te worden, soo vloogh de brandt op door de oly: hier door ontstont sulcken ghehuyl, ghekerm en gekrijt in ’t schip, dat een mensche de hayren te berghen stonden, jae de bangigheydt en benautheydt was soo groot, dat het klamme sweet de menschen afliep, waren evenwel noch al besich met water te gieten, en kruyt over boordt te smijten, tot het eynde toe, dat de brandt ons in ’t kruyt beliep, ontrent 60 half vaten kruyt hadden wy overboordt, doch haddender noch wel ontrent 300 in, daer wy mede opvloghen, met alle man: het schip sprongh aen hondert duysent stucken, 119 persoonen waren wy noch in ’t schip doe ’t sprongh. Ick stonde, doen ’t aengingh, by de groote hals boven op’t schip, en ontrent 60 persoonen stonden recht voor de groote mast, die ’t water overnamen, die worden al te samen wegh genomen en aen hutspot ghesla­ ghen, datmen niet en wist waer een stuck bleef, als oock van alle de anderen. En ick, Willem Ysbrantsz. Bontekoe, doe ter tijdt schipper, vloogh mede inde lucht, wiste niet beter of ick most daer mede sterven, ick stack mijn handen en armen nae den hemel, en riep: Daer vaer ick heen, o Heer! weest my arme sondaer genadigh. Meende daermede mijn eynde te hebben;

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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doch hadde evenwel in ’t op-vlieghen mijn volle verstant, en bemerckte een licht in mijn herte, dat noch met eenige vrolijckheydt vermenght was, soo ’t scheen, en quam alsoo weder­om neer in’t water, manck de stucken en borden van ’t schip, dat heel aen stucken was. In ’t water leggende, kreegh ick sulcke nieuwe couragie, gelijck of ick een nieu mensch hadde gheweest, toe siende, soo lagh de groote mast aen mijn eene zijd’ en de fockemast aen mijn ander zijd’, ick klom op de groote mast, en gingh daer op leggen, en sagh het werck eens over, en seyd: O Godt! Hoe is dit schoone schip vergaen, gelijck Sodoma en Gomorra. Hier dus legghende, sagh gheen levendigh mensch, waer dat ick heen sagh; en terwijl ick hier dus lagh in ghedachten, soo komter een jonghman by mijn zijd’ opborlen, en smeet met handen en met voeten, en hy gheraeckte aende knop vande steven (die weer was comen opdrijven) seggende: Ick ben al klaer; doe keeck ick om en seyde: o Godt! leefter noch yemant; deze jonghman was genaemt Hermen van Kniphuysen, uyt de eyder van daen. Ick sach by dese jonghman een spiertjen of kleyn-mastjen drijven, en alsoo de groote mast (daer ick op lach) vast om en wederom walterde, dat ick daer niet wel op blijven kon, seyde ick tegen hem: schuyft my dat spiertjen toe, ick salder op gaen leggen, en halen my alsoo nae u toe, soo sullen wy by malkander gaen sitten, ’t welck hy dede, en quam alsoo by hem. Dat ick anders niet wel by hem soude gekomen hebben, quam om dat ick in ’t opvliegen soo geslagen was. Mijn rugh was heel beschadicht, hadde oock twee gaten in’t hooft, want het quam soo aen dat ik dochte: o Heer! noch een beetje, soo ben ick doodt; ja het scheen dat my hooren en sien vergingh. Wy saten hier by malkander, elck een inneckhout vande boegh inden arm hebbende, ginghen staen en keken uyt na de schuyt en boot, wordense eyndelijck gewaer, doch waren soo verd’ henen dat wy qualijck sien konden, of de voor-steven of de achter-steven na ons toe lach. De son was aen ’t water, om onder te gaen; seyde doen tegen mijn maet: Harmen, het schijnt dat onse hoop hier verloren is, want het is laet, de son gaet onder, de schuyt en boot zijn soo verd’, datmen haer qualijck sien kan, het schip is stucken, en wy mogen ’thier (op ’t wrack) niet langh harden, daerom laet ons God almachtich bidden, om een goede uytkomst. Wy deden soo, en baden Godt seer ernstelijck aen, om een goede uytkomste, het welcke wy kregen: want als wy weder opsagen, so was de schuyt met de boot dicht by ons, om het welcke wy seer verblijt waren, ick riep datelijck: Bergh de schipper, bergh de schipper. Sy dat hoorende, waren seer verblijt, en riepen: de schipper leeft noch, de schipper leeft noch, en roeyden daer op dichte by ’t wrack, en bleven daer soo leggen met schuyt en boot, dorsten niet by ons komen, vermits sy vreesden, dat een stuck van ’t wrack door de schuyt of boot soude stooten. De jonghman, Harmen van Kniphuysen, was noch soo moedich, dat hy hem van ’t wrack af begaf) en swom aende boot. Hy hadde weynigh letsel gekregen van ’topvliegen, maer ick riep: wilt ghy my hebben, soo moet ghy my halen, want ick ben soo geslagen, dat ick niet swemmen kan. Doen sprongh de trompetter uyt de boot overboort, met een loodlijn (die sy noch hadden) en brocht my het end, ick maeckte die om mijn middel vast, en sy haelden my nae de boot toe, en quam alsoo (de Heer zy gelooft) inde boot. Inde boot wesende, quam achter by Heyn Rol, Willem van Galen, en de onderstierman, genaemt Meyndert Krijnsz. van Hoorn, die seer verwondert waren, dat ick noch in ’tleven was. Ick hadde inde boot achter een roefjen laten maken, daer wel een paer man in mocht, dwars over de boot, daer kroop ick in,

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

en dochte: ick macht wat overleggen, want ick giste niet langh te sullen leven, door de slagh aen mijn rugh, en de twee gaeten in mijn hooft; doch seyde evenwel tegen Heyn Rol, en de anderen, blijft te nacht by ’t wrack, wy sullen morgen alst dagh is, wel eenige fictualie bergen en mogelijck noch wel een compas vinden, om het landt te vinden, want daer was inde schuyt en boot noch compas, noch kaert, noch boogh, noch geen of weynigh eten en gheen drincken, met sulcken haestigheyt waren sy van’t schip ghevaren; seyden oock dat de opperstierman, Ian Piet van Hoorn, de compassen uyt het nacht huys hadde genomen, ’t scheen dat hy al vrees hadde, datse het schip souden verlaten, ’t welck evenwel noch geschiede. (Bontekoe 1996, 41–50) Übersetzung: Den 9. Tag nach deme wir allda ankommen waren / vnd vnser Volck wider allerdings frisch vnd gesund ware / bogen wir vnser Schiff auff ein Seite so viel wir konten / vnnd macheten es vnden schön / giengen darauff zu segel / lieffen vmb den Suden auff die Höhe von 33. Grad / kehreten darauff wider Ostwarts / vnd stelleten vnsern Cours nach der Strass von Sunda zu / vnd als wir auff die Höhe von 5½ Grad. gekommen waren / welches die Höhe ist der Strassen von Sunda an den 19. Tag Novemb’1619. ist durch das Pumpen vom Brandewein der Brand in Brandewein kommen. Dess Botteliers oder Kelners Gesell ginge (seiner Gewonheit nach den Nachmittag mit seinem Fässlein in den Raum / vnd wolte dasselbe voll pumpen / vmb dem Schiffvolck dess andern Tags jre Gebür / jeden ein Glässlein voll ausszutheilen: Er name ein Licht in ein ­steckenden Leuchter mit / vnd sticht den oben in ein Fass dass eine lage höher / als dadz andre / da er auss pumpete; wie er nun sein Fässlein voll hat / will er den Leuchter wider herauss ziehen / vnd weil er jhn ein wenig starck eingesteckt / ziehet er mit Gewalt an / da ist eben ein Dieb oder Butzen am Liecht so herab vnnd eben in den Spund dess Fasses da er auss gepumpet hat / felt / davon der Brandewein stracks Fewer empfengt / dass fast auffstöst vnnd vnden durch leufft da Steinkolen lagen; Stracks wurde geruffen Brand / Brand; darauff ich stracks in den Raum lieffe / vnd fragete wo were er / sie zeigeten mir das Fass / aber als ich meinen Arm darein steckete / konte ich keinen Brand fühlen; dann der kellners Gesell hatte zwey Gälden mit Wasser bey sich gehabt / die hatte er darauff gegossen / dardurch der Brand / wie es schiene / gelöscht ward / doch fordert ich noch Wasser / vnd gosse mit ledernen Eymern so lang biss dass wir keine Anzeigung dess Brandts mehr spüren konten vnd davon giengen; aber vber ein halb Stund rieffe man wieder Brand / dardurch wir alle sehr erschracken / gingen in den Raum / vnd funden dass das Fewer von vnden auffschluge / dann der Brand ware durch den Brandewein in die Steinkole nkommen / vnd die Fässer lagen drey oder vier hoch vbereinander / also machten wir vns wieder ans giesen / vnd gosen was wir jmmer konten. Aber da kame ein newer Vnfall / dann durch dass giesen in die Steinkolen erhube sich so ein stinckender schwefelicher Dampff dass man hette ersticken mögen / ich ware dass meiste in dem Raum vnd ordnete alles an / liese bissweilen das Volck vmbwechseln / aber

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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ich glaube / dass jhrer etliche in dem Raum erstickt seynd vnd die Lucken oder Läden nicht haben finden können: Ich legete bissweilen mein Haupt auff die Fässer vnd kehrete das Angesicht nach den Läden zu / lieffe endlich gar darauss / kame zum Kauffmann Heyn Roll vnd sagete / Landsmann es wird dass beste seyn dass wir das Pulver vber Boord werffen / aber er konte dazu nicht verstehen antwortete / wann wir mit Gottes Hülff den Brand noch lescheten / vnnd darnach etwan vnsern Feinden auffstiesen vnd auss mangel Pulvers vns ergeben müsten / würden wir es nicht können verantworten. Der Brand wolte sich nit stillen / vnd in dem Raum kund man nit mehr dauren wegen dess stinckenden Rauchs / wir hieben Löcher in den Vberlauff gossen durch dieselben / vnd die Läden gewaltig viel Wasser / aber es wolte alles nicht helffen: Vnsern grosen Bood hatten wir wol drey wochen zuvor aussgesetzt vnd schleiffeten jhn hindennach / vnd die Schloup die forn auff den Bovenet stund / wurde auch aussgesetzt weil sie vns verhinderlich ware zum wasserschöpffen; vnd weil so groser schrecken im Schiffe ware wiewol zu erachten / dann man sahe nichts für Augen als Fewer vnd Wasser ohne Hoffnung einiges entsatzes / weil man weder Land oder Schiffe sehen konte / lieffen etliche auss dem Volck bissweilen vber Boord / krochen stillschweiges mit dem Kopff vnder die Rüsten dass man sie nicht sehen solte / liesen sich in das Wasser fallen vnd schwummen an die Schuyt vnd Bood verborgen sich vnder die Ruderbenck vnd sonsten / biss sie sich achteten starck genug zu seyn: Heyn Roll kompt vngefehr in die Galdery vnd verwundert sich vber so vielen Volck in der Schuyt vnd Boot / sie rieffen jhme zu / wann er mit wolte so könte er sich am Schiffe niederlassen / dieser lest sich vberreden vnd kompt also zu jhnen: Er sagete jhr Menner last vns warten biss der Schiffer auch kommet / aber er hatte da kein Commandement mehr / so bald sie jhn hatten / schnitten sie die Seyler entzwey vnnd ruderten vom Schiff weg: Bald kamen die im Schiff in grosen Schrecken zu mir da ich allenthalben Ordre stellet vmb / so es müglich were / den Brand zu leschen vnd sageten ach lieber Schiffer was sollen wir thun / beyde Schuyt vnd Boot rudern vom Schiffe weg / ich antwortete / seynd sie weg / so haben sie nit in willens wider zukommen / lieffe eylends hinauff / vnd sahe wie sie hinweg ruderten / die Segel lagen damals alle nieder / ich rieffe stracks flux spannet die Segel auff wir wollen sehen ob wir sie erseglen können vnd vber jhnen herfahren / dass sie dieser vnd jener hole: Darauff spannete man die Segel vnd fuhren auff sie zu / aber als wir jhnen näherten / ruderten sie gegen dem Wind vom Schiff abe / dann sie begehreten nit bey vns zu seyn: Ich sagete zu meinen Leuten / jhr Menner wir haben nun nechst Gott vnsere Hülffe bey vns / wie jhr sehen könnet / ein jeglicher brauche sich nur bestes Vermögens den Brand zu löschen / machet euch stracks nach der Pulverkammer vnd werffet das Pulver vber Boord: Ich verfügete micht neben den Zimmerleuhten aussen vmb das Schiff / zusehen ob wir mit Bohrern Löcher Bohren vnd das Wasser auff ein anderhalb Klafftertieffe ins Schiff könten lassen / vmb also den Brand von vnden zuleschen / aber kunten wegen der Menge Nägel vnnd ander Eysenwerck nit durchkommen: In summa ich kan die Angst nit gnug ausssprechen / das Geheul vnnd Geschrey ware auss der massen gross / wir gossen endlich so viel Wasser dass es sich ansehen liese als wann der Brand minderte / aber ein klein wenig darnach kame der Brand ins Oel / da ware der Muth gar verloren / dann je mehr man gose je mehr es brande / so sehr sprutzete das Oel da

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

ware solcher Jammer heulen vnd schreyen im Schiff / dass einem die Haar zu Berg stunden / ja der Angstschweiss einem ablieffe / doch gossen wir vnd lehreten das Pulver auss biss das Fewer auch darein kame / vngefehr 60. Fesslein pulver hatten wir aussgeworffen / vnd hatten noch in dreyhundert darinnen / damit wir alle miteinander auffflogen: dadz Schiffe sprung in hundert tausend stücken / 119. personen waren noch im Schiffe als es sprung: wie es anging stunde ich bey dem grossen Hals oben auff dem Schiffe / vnd vngefehr 60. Mann stunden eben für den grossen Mast / die das Wasser vbernahmen / die wurden alle mit einander zu kleinen Stückern geschlagen / so wohl als alle die andern: Und ich Wilhelm Issbrands Bun­ tekuhe / damahls Schiffer / floge auch mit in die Lufft / wuste nicht besser / als ich würde sterben / streckete die Arm gen Himmel / vnd rieff: Da fahre ich hin / Gott sey mir armen Sünder gnädig / meynete an meinem letzten Ende zu seyn / hatte gleichwol im Aufffliegen meinen vollen Verstand / vnd fühlete ein Liecht in meinem Hertzen mit Frölichkeit vermenget / fiele also wieder ins Wasser zwischen die Stücker vnd Breter dess zerschlagenen Schiffes; im Wasser empfienge ich so ein newen Muth / als wann ich newgeboren were / vnd als ich mich vmbsahe / so lage der grosse Mast an einer / vnd der Focke Mast an der andern Seiten / ich stiege auff den grossen Mast / vnd legete mich darauff / vbersahe das Werck einest / vnd sprach: O Gott / wie ist das schöne Schiff vergangen wie Sodoma vnd Gomorra / vnd in dem ich da lige / vnd keinen lebendigen Menschen vmb mich sehen konte / kompt ein Junger Gesell neben mir auff Strudeln / schmisse mit Händen vnd Füssen umb sich / vnd gelangete an dess Stevens oder Vorschiffsknopff / so wieder empor war kommen / sagend: Damit bin ich dardurch. Ich sahe mich vmb / vnnd sprach: O Gott / lebet noch jemand! Der Gesell hiess Herman von Kniphausen / war auss der Eyder. Ich sahe bey jhme ein Holtz oder kleinen Mast schwimmen / vnd weil der grosse Mast / da ich auff lage / sehr hin vnd her waltzete / also dass ich nicht wohl drauff bleiben konte / sagte ich zu jhm: Schiebet mir das Holtz zu / so wil ich mich darauff zu euch schieben / vnd wollen also bey einander sitzen / welches er thete / vnd also kame ich zu jhme / dann ich war im Aufffliegen so geschlagen / dass ich sonsten nicht wohl hette können jhme beykommen; Mein Rucken ware sehr beschädiget / vnd in den Kopff hatte ich zwey Löcher / dann es kame so an / dass ich dachte noch ein wenig / so bin ich todt / ja ich dachte / Hören vnd Sehen solte mir vergehen. Wir sassen so bey einander / vnd einjeglicher hatte ein Stück von dem Bug im Arme / sahen vns vmb nach der Schuyten vnd dem Boot / wurden jhrer endlich gewahr / aber sie waren so ferrn / dass wir nicht sehen konten / ob der Vorder oder Hindertheyl nach vns zu ware / vnd weil die Sonn schon anfieng vnterzugehen / sagte ich zu meinem Gesellen: Herman / es scheinet bald alle Hoffnung verlohren / die Sonne gehet vnter / vnd die Nachen seynd so weit / dass man sie schwerlich sehen kan / vnd so können wir es auch nicht lang treiben / darumb last vns Gott den Allmächtigen vmb einen guten Aussgang bitten. Wir theten also / baten Gott vmb ein guten Aussgang / vnd wurden erhöret / dann wie wir auffsahen / waren sie nahe bey vns / dessen wir sehr fro wurden. Ich rieffe bald: Helfft dem Schiffer. Wie sie das höreten / rieffen sie mit Frewden: Der Schiffer lebt noch / der Schiffer lebt noch / vnd ruderten darauff nahe vnter die Stücke / dorfften aber nicht zu vns kommen / weil sie besorgeten / es möchte ein Stück durch den Boot oder Schuyt stossen. Herman von Kniphausen ware

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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noch so starck / dass er dem Boot zuschwumme / aber ich rieffe: Wolt jhr mich haben / so müst jhr mich holen / dann ich bin so geschlagen / dass ich nicht schwimmen kan. Da sprange der Trombeter auss dem Boot vber Boord mit einer Bleyschnur / die sie noch hatten / vnd brachte mir das eine Ende / das ich vmb mich wickelte / vnd sie zogen mich also in den Boot; ich kame hinden zum Heyn Roll / Wilhelm von Galen / vnd dem Vnterstewermann Meinhart Crynss von Horn / die sich alle sehr verwunderten / dass ich noch im Leben ware. Ich hatte hinden am Boot in die quer ein Roeff oder Liegerplatz für zween Mann lassen machen / da kroche ich hinein / vnd dachte / ich mage es mit mir vberlegen / dann meines Lebens wird doch hie nicht mehr seyn / wegen dess Schlags in meinem Rücken / vnd der zwey Löcher im Kopff / doch sagete ich zu Heyn Roll vnd den andern: Bleibet diese Nacht allhie / morgen / wann es begint zu tagen / werden wir noch wol etwas Essenspeiss vnd vielleicht auch einen Compass finden / dardurch wir desto eher ein Land antreffen können / dann in dem Boot ware weder Compass oder Carten / oder Gradboge / vnd auch / so zu sagen / nichts zu essen oder zu trincken / so geschwind hatten sie vom grossen Schiffe abgestossen; so hatte auch / jhrem Sagen nach / der Oberstewermann die Compassen auss jhrem Orth genommen / weil er / wie vermuthlich / Sorg hatte / sie möchten das Schiff verlassen; (Bontekoe 1648, 10–14)

5.3.4. Religiöse Texte 5.3.4.1. Evangelienbuch, Lukas 19 Auf dem Gemälde ,Oude vrouw lezend in lectionarium‘ 1631/32 von Gerard Dou ist eine Frau zu sehen, die in einem Evangelienbuch Lukas 19, die Geschichte von Zachäus, liest (vgl. Farbb. XI): S. LVCAS Dat XIX Capittel 1. Ende hy tooch daer in / ende gingh door Jericho / 2. En siet / daer was een man / ghenaemt Zacheus / die was een Overste der Tollenaren / ende was rijck / 3. Ende begheerde Jesum te sien / wie hy ware / ende en konde niet voor den volcke / want hy was cleyn van persoon. 4. Ende hy liep voor henen / ende klam op eenen Moerbesyen boom / op dat hy hem saghe / want hy soude daer door komen. 5. Ende als Jesus quam aen de selve plaetse sach hy op / ende wert syns gewaer / 6. Ende sprack tot hem: Zachee / daelt haestelijck neder / want ick moet heden in dijnen hus te herbergen. Ende hy daelde haestelijck neder / ende ontfingh hem met vreughden. 7. Doen sy dat saghen murmureerden sy alle / dat hy tot eenen Sondaer ter herberghe tooch. 8. Maer Zacheus stont / ende sprack tot den Heere: Siet Heere / De helft mijnder goeden geve ick den Armen / ende ist dat ick yemandt bedroghen hebbe / dat geve ick viervoudig weder.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

9. Ende Jesus sprack tot hem: heden is desen huyse Heyl gheschiet / nademael hy oock Abrahams soon is. 10. Want des menschen Soon is gekomen / te soecken / ende salig te maken / dat verloren is. 11. Doen sy nu toe hoorden / seyde hy voorder een gelijckenis / daerom dat hy na by Jerusalem was. Ende sy meynden / dat Rijcke Godts soude terstont gheopenbaert worden. (Biblia 1633) Euangelion Sanct Lucas Capitel 19 VND er zoch hin ein / vnd gieng durch Jericho. 2. Vnd sihe / da war ein Man / genant Zacheus / der war ein öberster der Zölner / vnd war reich / 3. Vnd begerte Jhesum zusehen / wer er were / vnd kundte nicht fur dem Volck / Denn er war klein von person. 4. Vnd er lieff fur hin / vnd steig auff einen Maulberbaum / auff das er jn sehe / Denn alda solt er durch komen. 5. Vnd als Jhesus kam an dieselbige stete / sahe er auff / vnd ward sein gewar / vnd sprach zu jm / Zachee / steig eilend ernider / Denn ich mus heute zu deinem Hause einkeren. 6. Vnd er steig eilend ernider / vnd nam jn auff mit freuden. 7. Da sie das sahen / murreten sie alle / das er bey einem Sünder einkeret. 8. ZAcheus aber trat dar / vnd sprach zu dem HErrn / Sihe HErr / die helffte meiner Güter gebe ich den Armen / Vnd so ich jemand betrogen hab / das gebe ich vierfeltig wider. 9. Jhesus aber sprach zu jm / Heute ist diesem hause Heil widerfaren / Sintemal er auch Abrahams son ist. 10. Denn des menschen Son ist komen zu suchen vnd selig zu machen / das verloren ist. 11. DA sie nu zuhöreten / saget er weiter eine Gleichnis / darumb / das er nahe bey Jerusalem war / vnd sie meineten / Das reich Gottes solt also balde offenbart werden. (Biblia 1545) 5.3.4.2. Statenvertaling, Lukas 19 1. ENde [Iesus] ingekomen zijnde, ginck hy door Iericho: 2. Ende siet daer was een man met name geheeten Zacheus, ende dese was een Overste der tollenaren, ende hy was rijck: 3. Ende socht Iesum te sien, wie hy was: ende en konde niet van wegen de schare, omdat hy kleyn van persoon was. 4. Ende voor uyt loopende klam hy op eenen wilden vijgeboom, op dat hy hem mochte sien: want hy door dien [wegh] soude voor by gaen. 5. Ende als Iesus aen die plaetse quam, opwaerts siende sach hy hem, ende seyde tot hem, Zachee haest u ende komt af: want ick moet heden in uw’ huys blijven. 6. Ende hy hastede hem ende quam af, ende ontfinck hem met blijdschap.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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7. Ende alle die’t sagen murmureerden, seggende, Hy is tot eenen sondigen man ingegaen om te herbergen. 8. Ende Zacheus stondt ende seyde tot den Heere, Siet de helft van mijne goederen, Heere, geve ick den armen: ende indien ick yemandt yet door bedroch ontvremt hebbe, dat geve ick vierdubbel weder. 9. Ende Iesus seyde tot hem, Heden is desen huyse salicheyt geschiet, nademael oock dese een sone Abrahams is. 10. Want de Sone des menschen is gekomen, om te soecken ende salich te maken dat verloren was. 11. Ende als sy dat hoorden, voeghde hy daer by, ende seyde een gelijckenisse, om dat hy na by Ierusalem was, ende [om dat] sy meynden dat het Coninckrijcke Godts terstont soude openbaer worden. (Statenvertaling 2008) 5.3.4.3. Statenvertaling, Psalm 68 und 69 Psalm 68 1. EEn Psalm, een Liedt Davids: voor den Opper-sang-meester. 2. Godt sal opstaen, sijne vyanden sullen verstroyt worden: ende sijne haters sullen van sijn aengesichte vlieden. 3. Ghy sultse verdrijven, gelijck roock verdreven wort; gelijck was voor het vyer smelt, sullen de godtloose vergaen van Godes aengesichte. 4. Maer de rechtveerdige sullen sich verblijden, sy sullen van vreuchde opspringen voor Godts aengesichte, ende van blijtschap vrolick zijn. 5. Singet Gode, psalm-singet sijnen Name, hooget de wegen voor dien die in de vlacke velden rijdt, om dat sijnen Naem is HEERE; ende springet op van vreuchde voor sijn aengesichte. 6. Hy is een vader der weesen, ende een Richter der weduwen; Godt, in de woonstede sijner heylicheyt. 7. Een Godt, die de eensamen sett in een huysgesin, voert uyt die in boeyen gevangen zijn: maer de afvallige woonen in het dorre. 8. O Godt, doe ghy voor het aengesichte uwes volcks uyttoocht; doe ghy daer henen tradet inde woestijne, Sela! 9. Daverde de aerde, oock dropen de hemelen voor Godts aenschijn; [selfs] dese Sinai, voor’t aenschijn Godts, des Godts van Israel. 10. Ghy hebt seer milden regen doen druypen, o Godt; ende ghy hebt uwe erffenisse gesterckt, alsse mat was geworden. 11. Uwen hoop woonde daer in: ghy bereyddetse door uwe goetheyt voor den elendigen, o Godt. 12. De Heere gaf te spreken: der bootschappers van goede tijdingen was eene groote heyrschare.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

13. De Coningen der heyrscharen vloden wech, sy vloden wech: ende sy die thuys bleef deelde den roof uyt. 14. Al laecht ghylieden tusschen twee rijgen van steenen, [so sult ghy doch worden als] vleugelen eener duyve, overdeckt met silver; ende welcker vederen zijn met uytgegravenen geluwen goude. 15. Als de almachtige de Coningen daer in verstroyde, wert sy sneeu-wit [als] op Tsalmon. 16. De berch Basan is een berch Godes: de berch Basan is een bultige berch. 17. Waerom springet ghy op, ghy bultige bergen? desen berch, heeft Godt begeert tot sijne wooninge: oock salder de HEERE woonen in eeuwicheyt. 18. Godts wagenen zijn tweemael tien duysent, de duysenden verdubbelt: De Heere is onder hen, een Sinai in heylicheyt. 19. Ghy zijt opgevaren in de hoochte, ghy hebt de gevanckenisse gevanckelick gevoert, ghy hebt gaven genomen [om uyt te deelen] onder de menschen; Ia oock de wederhoorige, om [by u] te woonen, o HEERE Godt! 20. Gelooft zy de Heere; dach by dach overlaedt hy ons: Die Godt [is] onse salicheyt, Sela! 21. Die Godt is ons een Godt van volkomene salicheyt: ende by den HEERE, den Heere, zijn uytkomsten tegen den doot. 22. Voorseker sal Godt den kop sijner vyanden verslaen; den hayrigen schedel, des genen die in sijne schulden wandelt. 23. De Heere heeft geseyt; Ick sal wederbrengen uyt Basan: Ick sal wederbrengen uyt de diepten der zee. 24. Op dat ghy uwen voet, [ja] de tonge uwer honden, moogt steken in het bloet, van de vyanden, van een yegelijck van hen. 25. O Godt, sy hebben uwe gangen gesien, de gangen mijns Godts, mijns Conincks, in’t Heylichdom. 26. De Sangers gingen voor, de Speellieden achter, in’t midden de trommelende maechden. 27. Lovet Godt in de Gemeenten: den Heere; ghy die zijt uyt den sprinck-ader Israels. 28. Daer is Benjamin de kleyne, die over hen heerschte, de Vorsten van Iuda [met] hare vergaderinge; de Vorsten van Zebulon, de Vorsten van Naphtali. 29. Uwe Godt heeft uwe sterckte geboden: sterckt, o Godt, dat ghy aen ons gewrocht hebt! 30. Om uwes Tempels wille te Ierusalem, sullen u de Coningen geschenck toebrengen. 31. Scheldt het wilt gedierte des riedts, de vergaderinge der stieren, met de kalveren der volcken; [ende] dien, die sich onderwerpt met stucken silvers: hy heeft de volcken verstroyt, [die] lust hebben in oorlogen. 32. Princelicke gesanten sullen komen uyt Egypten: Moorenlant sal sich haesten sijne handen tot Godt uyt te strecken. 33. Ghy Coninckrijcken der aerde, singet Gode: psalm-singet den Heere, Sela! 34. Dien die daer rijdt in den Hemel der hemelen die van outs is: siet, hy geeft sijne stemme, eene stemme der sterckte. 35. Geeft Gode sterckte: sijne hoocheyt is over Israël, ende sijne sterckte in de bovenste wolcken.

5.3. Textbeispiele des Frühneuniederländischen

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36. O Godt ghy zijt vreeslick uyt uwe heylichdommen: de Godt Israëls, die geeft den volcke sterckte ende krachten: Gelooft zy Godt. Psalm 69 1. [EEn Psalm] Davids: voor den Opper-sang-meester, op Schoschannim. 2. Verlost my, o Godt: want de wateren zijn gekomen tot aen de ziele. 3. Ick ben gesoncken in grondeloose modder, daermen niet en kan staen: ick ben gekomen in de diepten der wateren, ende de vloet overstroomt my. 4. Ick ben vermoeyt van mijn roepen, mijn keel is ontsteken, mijne oogen zijn besweken: daer ick ben hopende op mijnen Godt. 5. Die my sonder oorsake haten, zijn meer dan de hayren mijns hoofts; die my soecken te vernielen, die my om valsche oorsaken vyant zijn, zijn machtich geworden: dat ick niet gerooft en hebbe, moet ick alsdan wedergeven. 6. O Godt, ghy weet van mijne dwaesheyt: ende mijne schulden en zijn voor u niet verborgen. 7. Laetse door my niet beschaemt worden, die u verwachten, ô Heere, HEERE der heyrscharen: laetse door my niet te schande worden, die u soecken, ô Godt Israëls. 8. Want om uwent wille draech ick versmaetheyt: schande heeft mijn aengesichte bedeckt. 9. Ick ben mijnen broederen vreemt geworden: ende onbekent mijner moeder kinderen. 10. Want den yver van u huys heeft my verteert: ende de smaetheden der gener die u smaden, zijn op my gevallen. 11. Ende ick hebbe geweent in’t vasten mijner ziele: maer ’t is my geworden tot allerley smaet. 12. Ende ick heb eenen sack tot mijn kleet aengedaen: maer ick ben hen tot een spreeckwoort geworden. 13. Die in de poorte sitten, klappen van my: ende ick ben een snarenspel der gener die stercken dranck drincken. 14. Maer my aengaende, mijn gebedt is tot u, ô HEERE; daer is een tijt des welbehagens, o Godt, door de grootheyt uwer goedertierenheyt: verhoort my door de getrouwicheyt uwes heyls. 15. Ruckt my uyt den slijck, ende laet my niet versincken: laet my gereddet worden van mijne haters, ende uyt de diepten der wateren. 16. Laet my de watervloet niet overstroomen, ende laet de diepte my niet verslinden: noch en laet den put sijnen mont over my niet toesluyten. 17. Verhoort my, o HEERE, want uwe goedertierenheyt is goet: siet my aen nae de grootheyt uwer barmherticheden. 18. Ende en verbercht u aengesichte niet van uwen knecht: want my is bange; haest u, verhoort my. 19. Naedert tot mijne ziele, bevrijdtse: verlost my om mijner vyanden wille.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

20. Ghy weet mijne versmaetheyt, ende mijne schaemte, ende mijne schande: alle mijne benauwers zijn voor u. 21. De versmaetheyt heeft mijn herte gebroken, ende ick ben seer swack: ende ick hebbe gewacht nae medelijden, maer daer en is geen; ende nae vertroosters, maer en hebse niet gevonden. 22. Ia sy hebben my galle tot mijne spijse gegeven: ende in mijnen dorst, hebbense my edick te drincken gegeven. 23. Hare tafel worde voor haer aengesicht tot een strick, ende tot volle vergeldinge tot een valstrick. 24. Laet hare oogen duyster worden, datse niet en sien: ende doet hare lendenen geduerichlick waggelen. 25. Stort over hen uwe gramschap uyt: ende de hitticheyt uwes toorns grijpese aen. 26. Haer palleys zy verwoest: in hare tenten en zy geen inwoonder. 27. Want sy vervolgen dien ghy geslagen hebt: ende maken een praet van de smerte uwer verwondden. 28. Doet misdaet tot hare misdaet: ende en laetse niet komen tot uwe gerechticheyt. 29. Laetse uytgedelcht worden uyt het boeck des levens: ende met de rechtveerdige niet aengeschreven worden. 30. Doch ick ben elendich ende in smerte: u heyl, o Godt, sette my in een hooch vertreck. 31. Ick sal Godts Name prijsen met gesanck; ende hem met dancksegginge groot maken. 32. Ende ’tsal den HEERE aengenamer zijn dan een osse, [ofte] een gehoornde varre, die [de klaeuwen] verdeelt. 33. De sachtmoedige dit gesien hebbende, sullen sich verblijden: ende ghy die Godt soeckt, u lieder herte sal leven. 34. Want de HEERE hoort de nootdurftige: ende hy en veracht sijne gevangene niet. 35. Dat hem prijsen, den hemel, ende de aerde; de zeen, ende al wat daer in wriemelt. 36. Want Godt sal Zion verlossen, ende de steden van Iuda bouwen: ende aldaer sullen sy woonen, ende haer erflick besitten: 37. Ende het zaet sijner knechten sal haer be-erven; ende de liefhebbers sijns Naems sullen daer in woonen. (Statenvertaling 2008) Für eine zeitgenössische deutsche Übersetzung der Psalmen 68 und 69 siehe 3.3.1.2.

5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit Zur einschlägigen Fachliteratur über das Neuniederländische zählen die Ausführungen von G.R.W. Dibbets über u.a. Pontus de Heuiter und die Twe-spraack, die im Folgenden insbesondere berücksichtigt werden. Sie dürften zu einem besseren Verständnis der Entstehung phonemischer und graphemischer Eigenheiten des Neuniederländischen führen. Die Bestrebungen, die

5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit

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überregionale Sprache zu vereinheitlichen, setzen mit einem Bemühen um ihre Verschriftlichung ein, was weitreichende Folgen hatte: Reglementierung und Aufbau des geschriebenen Niederländischen sollten im Laufe der Jahrhunderte zu einer überregionalen Kultursprache führen.

5.4.1. Geschriebene und gesprochene Formen des frühen Neuniederländischen Da für das Mittelniederländische nicht von einem einheitlichen, homogenen Sprachsystem auszugehen ist (siehe 4.4.), sondern vielmehr von regional und textsortenspezifisch verschiedenen Systemen, lassen sich in der Folge lautliche Erneuerungen des Neuniederländischen nicht unmittelbar und eindeutig aus der historischen Entwicklung eines mittelniederländischen Lautsystems rekonstruieren. Weiter ist die Beschreibung der Standardisierung des gesprochenen Niederländischen in Beziehung zur bewussten Wahl von Sprachvarianten durch Humanisten, Gelehrte und Schriftsteller, zum Prestige gewisser ‚gehobener‘ Sprachvarianten, zur Rolle der Immigranten sowie zur Entwicklung der geschriebenen Kultursprache zu setzen, wobei sich die Frage stellt, inwiefern Ideal und Wirklichkeit auseinanderklafften. 5.4.1.1. Laute Die Beschreibung eines frühneuniederländischen Lautinventars erschwert sich, da sich in der Zeitspanne einiger weniger Generationen lautliche Entwicklungen vollzogen, die sich schrittweise, wahrscheinlich halbkreisförmig von Holland aus in die Provinzen durchgesetzt haben, ein komplexer Vorgang, der seit der Arbeit von Sprachhistorikern wie G.G. Kloeke als holländische Expansion bekannt ist und die Forschung nach wie vor beschäftigt. Die Monophthonge [i.] und [y.] diphthongierten zu den spezifisch niederländischen [εi] und [ə:y], die weder im Deutschen noch im Englischen vorkommen: das mittelniederländische bliven verwandelte sich zu blijven (‚bleiben‘). Der geschlossene palatale Monophthong y. aus ger. û entwickelte sich in Holland zu [ə:y], muus wurde zu muis (‚Maus‘), wobei aufgrund der überlieferten Texte eine Zwischenstufe von [y:] in [y.j] vermutet wird. Diese Diphthongierung trat nicht ausnahmslos auf, so blieb in Positionen vor r der Monophthong [y.] beibehalten wie in zuur (‚sauer‘). Auch in anderen Fällen, zum Beispiel in der euphemistischen Andeutung des Tabunamens des Teufels mit der Variante duvel für duivel fand die lautliche Änderung nicht statt. Seit dem 14 Jh. fielen die beiden neuen Diphthonge lautlich mit den bereits im Phoneminventar vorhandenen /εi/ und /ə:y/, die in Wörtern wie reizen (‚reisen‘) und fluit (‚Flöte‘) vorkommen, zusammen. Noch heute berücksichtigt die Orthografie die unterschiedliche Herkunft des [εi] mit den Zeichen für die frühneuniederländische Diphthongierung des mittelniederländischen i., zum Beispiel in lijden (‚leiden‘), und für das bereits vorhandene εi aus ger. ai wie in leiden (‚führen‘). Die Ursache der Diphthongierung von i. und y. ist vielleicht in den lautlichen Merkmalen der brabantischen Dialekte der angesehenen Immigranten aus dem Süden zu suchen, die das holländische Grossbür­ gertum dann als distinktive, gehobene Varianten übernommen habe. Möglich ist aber auch, dass die Diphthongierungen sich als ursprüngliche Erscheinungen der holländischen Volkssprache

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zu gehobenen Varianten der Gebildeten etablierten. Oder haben die brabantischen Neulinge die ursprünglich holländische Diphthongierung des i. und y. salonfähig gemacht? Wie auch immer, es gilt als gesichert, dass holländische Aussprache-Varietäten, welche die gebildeten Bürger in Amsterdam, aber auch in Delft, Den Haag, Dordtrecht, Gouda, Haarlem, Leiden, Rotterdam und Utrecht bevorzugten, dank ihrem Prestige zur Norm im ganzen Gebiet wurden. Ausführungen zu Lettern als Wiedergabe von Lauten sowie die zahllosen überlieferten Beobachtungen sprachlicher Erscheinungen in Korrespondenzen, Theaterstücken, Gedichten und Prosatexten bieten immerhin Anhaltspunkte, um die Phonemik des Neuniederländischen näher zu kennzeichnen. Eine systematische Lautlehre, die methodisch ihrer Zeit Jahrhunderte voraus war, formulierte Petrus Montanus 1635 in seinem Spreeckonst: akribisch beschreibt er unter Berücksichtigung der Anatomie der Sprachorgane die Merkmale der Artikulation, er stellt eine Hoogte-des-Geluitsschaal (‚Höhe der Laute-Skala‘) auf, die sich mit modernen Sonoritätsskalen messen kann, und er bespricht überraschend objektiv soziale Unterschiede in der Aussprache. Seine universale Lautlehre hat allerdings die ideale Aussprache eines Spektrums geografisch verbreiteter und theoretisch möglicher Laute zum Gegenstand, umfasst aber nicht ein klar abgegrenztes Lautinventar seiner Muttersprache oder des überregionalen Neuniederländischen. Wohl vermitteln andere Grammatiker wie Erasmus, Sexagius, De Heuiter, Spiegel, Van der Schuere, Van Heule, Leupenius und andere, die ebenfalls Daten zu den Lauten mittels oft plastischer genetischer Beschreibungen der Artikulation liefern, Auskünfte über die Aussprache niederländischer Sprachvarietäten. Ihre auditiv phonetischen Angaben hingegen, die sich öfters auf den Vergleich mit anderen Lauten, zum Beispiel von Tieren, oder mit der Aussprache lateinischer, griechischer oder französischer Laute stützen, lassen sich wegen der subjektiven Wahrnehmung nicht eindeutig interpretieren: wie wurden in früheren Zeiten in den Niederlanden tote Sprachen genau ausgesprochen, welche phonetischen Eigenschaften deuteten Beispiele aus dem damals gesprochenen Griechischen oder Französischen an, welche Laute mit welchen Merkmalen meinte man beim Gesang eines Kiebitzes, beim Muhen einer Kuh, beim Blöken eines Schafes oder beim Knurren eines Hundes zu hören? Weiter gilt es, den Ist-Zustand der damals gesprochenen Sprache vom angestrebten Ideal zu unterscheiden: die Twe-spraack stützt sich beispielsweise in ihren Beschreibungen auf Lautwerte, die als ‚gehoben‘ betrachtet wurden, während andere Grammatiken von den lokal vorhandenen Varianten des Niederländischen ausgehen. 5.4.1.2. Schriftzeichen Darlegungen zur Graphemik, damals mit Begriffen wie spellijnghe oder orthographie bezeichnet, nehmen in grammatikalischen Texten aus dem 16. und 17. Jh. einen prominenten Platz ein. Der Ausdruck ‚orthographie‘ ist in der Entstehungszeit des Neuniederländischen allerdings weiter zu fassen, als man heute gemeinhin unter ‚Rechtschreibung‘ versteht. Als Bestandteil der Grammatik, begriffen als eine ars bene loquendi atque scribendi oder Kunst des richtigen Sprechens und Schreibens, umfasste sie in der Regel nicht nur eine Rechtschreibungs-, sondern auch eine Aussprachelehre. So behandelt die Twe-spraack im ausführlichen Kapitel zur Orthografie neben der ‚richtigen‘ Schreibweise, der orthographia, auch die ‚saubere‘ Aussprache, die orthoepeia.

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Anfänglich benutzten vor allem die mittleren Bevölkerungsschichten, namentlich Bürger, die in Verwaltung, Handel und Gewerbe tätig waren oder an den Aktivitäten der Rhetoriker-Vereine teilnahmen, Varianten einer geschriebenen niederländischen Sprache, während die Oberschicht sich auch der französischen Sprache bediente, Gelehrte und Geistliche vornehmlich Latein verwendeten, allmählich aber mit dem Aufkommen des Protestantismus und der Neuorientierung der Wissenschaften auch die Muttersprache einsetzten. Weniger Gebildete hingegen schrieben und lasen niederländische Schriftsprache nur bei seltenen Gelegenheiten, zum Beispiel während der Seefahrt oder beim Unterschreiben von Akten, wenn sie dazu überhaupt fähig waren. Wohl konnten sie während des Gottesdienstes Varietäten des überregionalen Niederländischen hören und beim Gesang selbst verwenden. Dass eine kultivierte geschriebene Sprache als Grundlage des überregionalen Niederländischen gedacht war, bestätigen Quellen aus der Zeit. So hält die Twe-spraack fest, dass ,eine gute, regelmässige Orthografie‘ ein grondvest (‚Fundament‘) einer ,wohl gebauten Sprache‘ sei: (…) de wyl een ghoede eenpaartighe spelling/ als een grondvest is van een welgheboude spraack (…). Am Schluss des einführenden Textes Toe-eyghenbrief wünschen die Verfasser dieser Grammatik, es möge jemand aufstehen, der selbstsicherer, met bestandigher ofte vaster voet, dieses Fundament der Sprache, grondvest onzes taals, legen würde. Auch an anderen Stellen unterstreichen sie die Bedeutung der geschriebenen Sprache für die Entwicklung des überregionalen Niederländischen, zum Beispiel wenn sie festhalten, dass (..) de Zeewen niet te beschuldighen zyn als ze Jaet maet qualyck uyt spreken, dewyl wyt al t’samen qualyck schryven. d. h. man es den Einwohnern der Provinz Seeland nicht verübeln könne, dass sie Jaet maet aussprechen, da wir doch alle diese Wörter falsch schreiben. Die Richtigkeit einer solchen Beweisführung sei an dieser Stelle dahingestellt. Die Versuche, das Niederländische zu reglementieren, setzen, wie bereits aus den oben stehenden Zitaten hervorgeht, mit Diskussionen zur Rechtschreibung ein, die naturgemäss Überlegungen zu den vorhandenen Lauten einschliessen: die Lehre der ‚richtigen‘ Rechtschreibung hängt in dieser Zeit unmittelbar mit der Lehre der ‚richtigen‘ Aussprache zusammen. Somit ist die spellijnghe ein wichtiges Thema für die Grammatiker in dieser Epoche. Bezeichnenderweise ist das erste Buch zur niederländischen Sprache, Lambrechts Nederlandsche Spellijnghe, eine Orthografie. Die erste niederländische Grammatik, die Twe-spraack, widmet in einer Wechselrede mehr als ein Drittel des Textes Fragen der Orthografie. Bei der Reglementierung der niederländischen Rechtschreibung sollten die Herkunft der Verfasser grammatischer Schriften, der Kreis der Intellektuellen, zu dem sie gehörten, sowie die Stellung der lokalen Sprachvarietät ihre Bedeutung haben. Die Rechtschreibung, die den regionalen Schreibtraditionen entsprang, basierte auf dem lateinischen Alphabet, mit dem die einheimischen Laute darzustellen waren, wobei sich die Frage stellte, was unter ‚einheimisch‘ zu verstehen sei: die lokale Sprachvarietät oder eine entstehende überregionale Einheitssprache? Wie in 5.2.2.1. dargelegt, boten die Verfasser von Veröffentlichungen zur Orthografie in der frühen Neuzeit unterschiedliche Lösungen für die Verschriftlichung der Muttersprache. So befürwortet der in Gent geborene Joos Lambrecht 1550 eine Orthografie, die möglichst einen Laut mit einem Graphem wiedergibt, wobei er seine eigene

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Sprachvarietät als Grundlage nimmt. Eine solche allgemeingültige, einheitliche Notation sollte es erlauben, die unterschiedlichen Merkmale der bestehenden Mundarten darzustellen. Sie würde es den Lesern erlauben, die Sprache aus den verschiedenen Gebieten der Niederlande zweckmässig nachzuvollziehen. So könnte sich beispielsweise ein Holländer mit der geschriebenen Form einen wirklichkeitsgetreuen Eindruck der Sprache eines Flamen verschaffen. Dieser Vorschlag würde nicht zu einer standardisierten niederländischen Sprache führen, sondern die bestehenden Sprachvarietäten schriftlich auf einheitliche Art und Weise festlegen. Da die Lautinventare von Ort zu Ort variierten, wären zusätzliche Kombinationen von Graphemen oder neue Grapheme nötig, um die lokalen Eigenheiten schriftlich festzuhalten, ähnlich wie Petrus Ramus (oder ‚Pierre de la Ramée‘) dies ein Dutzend Jahre später in seiner Gramere, 1562, für das Französische vorschlug. Antonius Sexagius befürwortete in seiner De orthographia linguae belgicae 1576 dagegen eine Rechtschreibung der Muttersprache, die der lateinischen Tradition folgte. Einheimische, im Falle Sexagius brabantische Phoneme waren folglich mit aus dem Latein stammenden Graphemen wiederzugeben, die wiederum lateinische Laute bezeichneten, deren Merkmale sich im Übrigen nicht eindeutig beschreiben lassen. Vierundzwanzig Grapheme mussten somit genügen, um den Lautstand der eigenen Sprache darzustellen. Wegweisend bei den Versuchen, eine neue Rechtschreibung mit den bestehenden Schreibtraditionen und mit der Aussprache- und Schreibtradition des Lateinischen in Einklang zu bringen, waren nicht nur die Auffassungen von Humanisten wie Erasmus oder Becanus, sondern auch niederländischsprachige Büchlein zur Aussprache des Lateinischen, namentlich jene von Sexagius selbst. Als wohl erster Grammatiker seiner Zeit ging Pontus de Heuiter für seine Nederduitse orthographie, 1581, von einer allgemeinen niederländischen Sprache, opreht Nederlants (‚aufrichtiges Niederländisch‘) aus, einer Mischsprache (een gemeingelde Tale) der vorhandenen Mundarten (van alle lants spraken), die er nach fünfundzwanzigjähriger Arbeit aus Brabantisch, Flämisch, Holländisch und den Sprachen von Gelre und Cleve zusammengestellt hatte. Dabei hatte er die Entstehung des Griechischen als Beispiel genommen: t’ Nederlants een gemeingelde Tale makende, volg’ic die nature van alle lants spraken (…) Mede heb ic exempel ande Grieken genomen (…) aldus heb ic mijn Nederlants over vijf en twintih jaren gesmeet uit Brabants, Flaems, Hollants, Gelders, en Cleefs. (,Während ich das Niederländisch zu einer allgemein gültigen Sprache mache, folge ich dem Charakter aller Sprachen des Landes (…). Zudem habe ich die Griechen zum Beispiel genommen (…) so habe ich das Niederländisch aus Brabantisch, Flämisch, Holländisch und den Sprachen Gelderns sowie Kleves geschmiedet‘). Anders als Lambrecht und Sexagius trat De Heuiter folglich für eine Reglementierung und Rechtschreibung einer überregionalen niederländischen Sprache ein, mit der er das Niederländische verschönern und säubern wollte. In den weiteren Ausführungen erhalten seine Auffassungen daher vermehrt Aufmerksamkeit. De Heuiter stützte sich auf die lateinischen Grammatiken Priscianus’ und Quintilianus’, berücksichtigte aber auch Auffassungen von Zeitgenossen wie dem Antwerpener Mediziner Becanus, dem Schulmeister Van der Gught aus Brügge oder dem Juristen Sexagius aus Mechelen. Als Leitfaden für De Heuiters Regeln zur Rechtschreibung gal-

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ten die nicht unproblematischen Grundsätze, man solle überflüssige Zeichen meiden und schreiben, wie man spricht oder sprechen hört. Die Veröffentlichungen zur Rechtschreibung (siehe 5.2.2.1.) gipfelten 1584 in einer Darstellung der Orthografie in der Twe-spraack, welche die Schreibpraxis in der Neuzeit mit prägen sollte, auch wenn mancher Nachfolger von Spiegel und seinen Geistesverwandten im 17. Jh. ihre vorsichtig formulierten Vorschläge zur Rechtschreibung kritisierte und verbessern wollte. Auch die Ansichten der Amsterdamer finden, wie De Heuiters Ausführungen, somit in den folgenden Abschnitten zu den Vokalen, Diphthongen und Konsonanten vermehrt Beachtung. Gelehrte wie Hendrik Laurensz. Spiegel strebten in der Twe-spraack, in Abweichung von den hauptsächlich phonetischen, lokal unterschiedlichen mittelniederländischen Schreibtraditionen eine überregionale, systematische Rechtschreibung an, die neben phonetischen vor allem phonemische, zudem auch etymologische Ausgangspunkte, sodann die etwaige Vermeidung von Homographie und Probleme der Assimilation berücksichtigte. Die Verfasser mieden wie die meisten Grammatiker ihrer Zeit beispielsweise die in mittelniederländischen Texten üblichen Klitika, die dank dem dann üblichen lauten Lesen eher verständlich waren. Statt die gesprochene Sprache durch Anlehnungen zweier Wörter wie teren (= ter ere; ‚zur Ehre von‘) oder diene (= die hem; ‚die ihn‘) wiederzugeben, wie im Satz Marien teren, diene soghede (‚zur Ehre von Maria, die ihn stillte‘), beachtete man nun vermehrt Phonem- und Wortgrenze. Dass dies anfänglich nicht beständig geschah, geht u.a. aus dem weiter unten zitierten Satz aus der Twespraack zur Rechtschreibung von Konsonanten in Auslautposition mit Klitika wie wilt für wil het (‚möchte es‘) und vant für van het (‚von dem‘) hervor. Die Verfasser der Twe-spraack gingen zwar von phonetischen Ansätzen aus, wobei sie sich auf Lambrecht stützten, berücksichtigten aber zusätzliche Ausgangspunkte der Orthografie. So verlangten sie eine systematische, morphologische Arbeitsweise, die von den lokalen Eigenheiten abstrahierte: Wörter seien eenpaartigh (‚regelmässig‘ oder ‚einstimmig‘) und ghelyckformigh (‚einheitlich‘) zu schreiben. Laut diesen Grundsätzen, die sich bis heute in der Reglementierung der niederländischen Rechtschreibung finden lassen, wären Wörter und Wortteile folglich nach dem morphologischen Prinzip möglichst gleich zu buchstabieren, auch wenn sie sich in gewissen Positionen phonemisch voneinander unterschieden. So kommt im Falle der Auslautverhärtung [t] als kontextgebundene Variante von /d/ vor: Nóchtans wilt niet schicken datmen krapt en klapt zou scryven om dat vant een krabben vant ander klappen komt (,Dennoch passt es nicht, dass man krapt (,kratzt‘) und klapt (‚platzt‘) schriebe, da das eine von krabben [‚kratzen‘], das andere von klappen [‚platzen‘] kommt‘), ähnlich wie heute das Phonem /t/ in bloedverwant und bloed mit einem wiederzugegeben ist wegen bloeden und bloedig, die das Phonem /d/ enthalten. Entsprechend kennt die deutsche Rechtschreibung die graphische Rücknahme der Auslautverhärtung bei Wörtern wie Betrieb wegen des Phonems /b/ in betreiben. Der gleiche Grundsatz findet sich bei anderen Grammatikern, u.a. bei Leupenius. Er beachtet die Aussprache möglichst, zum Beispiel in der Verdoppelung der Zeichen bei betonten langen Vokalen: taafel (‚Tisch‘) wegen des betonten langen a und kasteel (‚Schloss‘) wegen des kurzen a, ebenso eesel (‚Esel‘) und gesell (‚Geselle‘). Die Regel der einheitlichen, regelmässigen Rechtschreibung, bei

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ihm heisst sie gevolg, wendet er aber an, um ‚Wurzellettern‘ (wortelletteren) beizubehalten, etwa im Plural von dag (‚Tag‘), das er als dagen schreibt. Sodann wäre in der Rechtschreibung die Struktur von Wörtern und Wortteilen zu beachten. Laut diesem Prinzip der Analogie schlägt De Hubert zum Beispiel ik beminn (‚ich liebe‘) wegen beminnen (‚lieben‘) vor. Der Grundsatz der Analogie führte zu unterschiedlichen Lösungen in der Orthografie u.a. bei der Wiedergabe der Flexion. So schlägt Lambrecht Schreibweisen wie eett (‚isst‘) und bijtt (‚beisst‘) vor, Ampzing hingegen dekliniert im Präsens hij speeld (‚er spielt‘) wegen des Präteritums hij speelde (‚er spielte‘). Die heutige Rechtschreibung, die im Präsens für die dritte Person Einzahl t verlangt, auch bei einem Stamm auf d, hatte Moonen erst 1706 angeregt, die Verdoppelung des gleichen Konsonanten im Auslaut wie in beminn hat sich dagegen nicht durchgesetzt. Bis heute findet die Regel der Analogie in der niederländischen Orthografie ihre Anwendung: man schreibt stationsstraat (‚Bahnhofstrasse‘) wegen stationsweg (‚Bahnhofweg‘), ähnlich wie die deutsche Rechtschreibung Schifffahrt wegen Schiff und Fahrt verlangt. Dass nicht alle Grammatiker eine regelmässige Rechtschreibung aufgrund der Struktur von Wörtern und ihrer Teile befürworteten, zeigt sich vier Jahrzehnte nach Erscheinen der Twe-spraack bei Van Heule, der für eine phonetische Orthografie des Schlusskonsonanten eintritt. Weiter versuchte man dem Ursprung der Wörter Rechnung zu tragen mit der Folge, dass ein Phonem je nach etymologischer Begründung mit unterschiedlichen Graphemen wiederzugeben war. So war beispielsweise wegen des lateinischen Ursprungs s in cijns (‚Steuer‘) laut der Resolutiën der Statenvertaling wie bei Kiliaan, wie es heisst, mit zu schreiben: CIJNS, a censu, cum Kiliano per C. Regeln zur Vermeidung von Homographen finden sich in vielen Texten zur Orthografie, so erwähnen die Resolutiën u.a. na (‚nachher‘) und nae (‚nach‘ in der Bedeutung von ‚laut‘) oder vier (‚vier‘) und vyer (‚Feuer‘). Das Bemühen um eine systematische Rechtschreibung der Muttersprache sollte, anders als Lambrecht offenbar vorschwebte, allmählich eine Aussprache aufgrund der Orthografie fördern und somit eine Vereinheitlichung der überregionalen Sprache begünstigen. Da die ‚Lettern‘ Laute widerspiegeln, ist aber paradoxerweise zugleich die überregionale Aussprache eingeschlossen, die dank der geschriebenen Sprache erst im Begriff war, zu entstehen. Dass man sich der Bedeutung der Rechtschreibung für die Entwicklung der Kultursprache bewusst war, zeigt bereits 1568 der unbekannte Verfasser einer Einführung, Voorreden (‚Vorwort‘), in seiner Äusserung Elke natie ende tonghe ((heeft)) haere eyghene teekenen (welke letteren syn), waer by sy weeten jnt lesen, wat gheluyt sy maken sullen ,Jede Nation und Sprache ((hat)) ihre eigenen Zeichen (welche Lettern sind), wodurch sie beim Lesen wissen, welchen Laut sie bilden sollen‘. Jahrzehnte später unterstreicht De Hubert die Bedeutung der Orthografie für die Aussprache, wenn er schreibt: qualick spellen veroorsaakt verscheijdenheijd van uijtsprake (‚falsches Rechtschreiben verursacht Unterschiedlichkeit der Aussprache‘), wobei sich übrigens die Frage nach Ursache und Folge stellt. Die Systematisierung der Orthografie erleichterte das Still-Lesen, eine ‚teuflische Kunst‘, die man nach und nach lernte. Dank dieser Fertigkeit konnten immer mehr Menschen immer schneller schriftlich verfasste Texte aufnehmen, die immer weniger von örtlich unterschiedli-

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chen sprachlichen Merkmalen geprägt waren, was der Verbreitung des standardisierten Niederländischen zugutekam. Bei der Beurteilung der damaligen Diskussionen über die Orthografie ist vom Begriff letter‚ ‚Letter‘ oder ‚Schriftzeichen‘ als littera auszugehen, einem Ausdruck, der in den Grammatiken der Humanisten die Entitäten nomen, den Namen des Zeichens, figura, das Schriftzeichen, und potestas, den Laut, umfasste. Die Beziehung zwischen figura und potestas ist nachträglich nur schwer einzuschätzen, da sich phonetische Merkmale aus Schriftzeichen bzw. Kombinationen von Schriftzeichen, die vor über vier Jahrhunderten mit als Mittel zur Standardisierung bzw. Normierung der Sprache dienten und so nicht selten das Ideal statt die Wirklichkeit wiedergaben, heute nicht unmittelbar begreifen lassen. Dazu stellt sich die Frage nach der schriftlichen Festlegung lautlicher Entwicklungen, die sich gerade in diesem Zeitabschnitt vollzogen, namentlich der Diphthongierung der gedehnten Vokale [i] und [y.] zu [εi] und [ə:y]. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die meisten Grammatiker möglichst wenig von bestehenden Schreibtraditionen abweichen wollten, was die Ableitung der Laute aus den von ihnen gewählten Lettern erschwert: die Lautwerte des frühneuniederländischen ou lassen sich beispielsweise je nach Region und Autor wohl ähnlich schwer feststellen wie zum Beispiel jene vom ough im modernen Englischen mit seiner traditionellen Orthografie. Wie zögerlich die Grammatiker ihre Rechtschreibung anpassten, zeigt sich bereits bei Lambrecht, der ungern neue Vorschläge veröffentlichte, wegen ‚des langzeitigen Gebrauches‘ (om tlanghe ghebruuc), man könne besser sagen, so fügt er hinzu, wegen des ‚Missbrauches‘: maer mesbruuc moghtmen bet zegghen. Gerade der Ausdruck ‚Missbrauch‘ deutet auf ein problematisches Verhältnis zwischen Zeichen und Laut hin. Auch De Heuiter spricht das Bestehen einer Schreibtradition an, wenn er sich dafür entschuldigt, dass man wegen seiner Regel nun anders schreiben sollte, als man über manches Jahrhundert getan hat (danmen over menih hondert jaren gedaen heeft). Die Twe-spraack hält fest, dass die vorgeschlagene Orthografie zwar von der gängigen abweiche, denn sie ist ‚mit der gewöhnlichen nicht vollkommen übereinstimmend‘ (met de ghewoonlyke niet heel ghelyckstemmigh), sie schliesse aber doch besser als andere Vorschläge bei der Tradition an. Auch Van Heule beklagt sich 1625, dass er die laut ihm notwendigen Erneuerungen (nootwendig verscheyde nieuwicheden) wider Willen (als tegens onzen dank) hat einführen müssen. Ampzing schliesslich möchte überhaupt möglichst wenig von der Tradition abweichen, wenn er sagt: van’t oude gebruyk, so veel mooglijk is, nergens af en wijken. Aussagen zur Rechtschreibung wie auch zur Aussprache sind folglich in Beziehung zur Schreibtradition zu verstehen. Es dürfte einleuchten, dass in einer Zeit, in der Gelehrte und Schriftsteller bestrebt waren, das geschriebene Niederländische weiter zu vereinheitlichen und zu kultivieren, nicht auf Anhieb eine allgemein akzeptierte, einheitliche Rechtschreibung zur Verfügung stand. Eher ist die Rede von einem Ausloten der Möglichkeiten, Laut und Schrift systematisch miteinander in Einklang zu bringen. Die folgenden Beispiele sollen dieses Streben punktuell veranschaulichen. 5.4.1.3. Frühere Beschreibungen von Vokalen, Diphthongen und Konsonanten Mehrere Grammatiker versuchten in der frühen Neuzeit, ein Phonemsystem des entstehenden Neuniederländischen zu konstruieren und die Orthografie zu reglementieren (vgl. 5.2.2.), wozu sie

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in der Regel eigene Methoden und individuelle schriftliche Darstellungen lautlicher Merkmale benutzten. Die Beschreibungen der einzelnen Autoren gründen nicht selten auf innerlich konsistenten, logisch motivierten Modellen, die regionale, überregionale, artikulatorische oder auch akustische Eigenschaften des Neuniederländischen berücksichtigen können. Die folgenden Abschnitte bieten einen Einblick in die damaligen Diskussionen zu den phonologischen und phonetischen Merkmalen der Muttersprache und ihrer Verschriftung. Die zitierten Ausführungen der einzelnen Grammatiker zu den Vokalen, Diphthongen und Konsonanten des Neuniederländischen, die durch die unterschiedlichen Ansätze den heutigen Leser verwirren dürften, zeigen ihr Bestreben, die Muttersprache bewertend zu beschreiben und zu kultivieren. Für Angaben zum Phonemsystem des Neuniederländischen, das namentlich Goossens in seinen Veröffentlichungen zur historischen Phonologie des Niederländischen ausführlich beschrieben hat, sei auf Abschnitt 4.4.1.4. verwiesen. Da die Quellen in der Regel Laute mit Buchstaben darstellen, fehlen im Folgenden häufig die gebräuchlichen Schrägstriche und eckigen Klammern in den Bezeichnungen der Laute. Vokale Nach De Heuiter sind Vokale so genannt wegen ihrer Möglichkeit, ohne Unterstützung einer anderen Letter den Laut, den man hört, eigenständig auszudrücken, zu wissen a, e, i, o, u.: Klaincker, aldus genomt om haer natuirs kraht uit te drucken, mits dat zij zonder bistant van eenige ander letter, ’t geluit datmen hoort alleen geven, te weten a. e. i. o. u. Ähnliche Umschreibungen, die wohl auf Donat zurückgehen, finden sich in anderen Texten zur niederländischen Sprache, so heisst es in der Twe-spraack: Vokale würden ‚von sich selbst Laut geben‘: by haar zelven gheklanck gheven. Lambrecht hält Vokale, von Van Varenbraken die ,fünf natürlichen Lettern‘ (vijf natuerlijcke letteren) genannt, für ‚lautende, sprechende oder Stimme gebende Zeichen‘, ohne die man nicht buchstabieren kann: lúdende, sprekende, of voais ghévende letters: zonder de welke men ghean sillebe noch woord, op zijn recht, spellen en magh noch en can. Mit a, e, i, o und u würden die sich am meisten unterscheidenden Laute dargestellt, sodann gebe es y für dubbel gheklanck van i, also ein doppeltes i. Aus Van Varenbrakens Notizen lässt sich keine klare Regelung der Rechtschreibung von Vokalen ableiten. Offenbar unterscheidet er kurze und lange Vokale, schreibt sie aber nicht einheitlich: so erscheint i. als , und , auch a., e., o. und y. erhalten unterschiedliche Schriftzeichen, zum Beispiel neben . Da Lambrecht versucht, die Merkmale der vorhandenen, lokal verschiedenen Sprachvarianten zum Ausdruck zu bringen, verwendet er weitere, insgesamt etwa vierzig, zum Teil neue Grapheme, um Vokale, Diphthonge und Triphthonge schriftlich festzulegen. Sodann scheint er zwischen scharf und sanft geschnittenen Vokalen zu differenzieren, ein Unterschied, der sich für das Deutsche bereits 1535 in Valentin Ickelsamers Ain Teütsche Grammatica findet. Die Zeichen , , , und können laut De Heuiter kurze wie lange Vokale darstellen, doppelte Vokalzeichen deuten bei ihm lange Vokale an, einfache Zeichen bezeichnen je nach Position sowohl kurze als auch lange Vokale, wobei er sich auf die entsprechenden Laute, die von Schriftzeichen symbolisiert werden, stützt. Er trennt wie Lambrecht und Sexagius

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zwischen scharf und sanft geschnittenen Vokalen, wenn er, ausgehend von Konsonanten, bemerkt, dass Vokale, die mit einem Zeichen zu schreiben wären, in gewissen Positionen wie in ab, ib, ob oder ub ‚etwas vom vollen Klang‘ verlieren. Obschon De Heuiter der Auffassung ist, dass lange und kurze Vokale sich lautlich unterscheiden, reiche es, sie nur als ein einfaches Zeichen ‚neutral‘ oder ‚anceps‘, wie es bei Erasmus heisst, ins Alphabet aufzunehmen. Die Twe-spraack deutet kurze Vokale mit enckel (‚einzig‘) oder slecht (‚einfach‘), lange Vokale mit dubbeld (‚doppelt‘), volkomen (‚vollkommen‘), breed (‚breit‘), lang (‚lang‘) oder durigh (‚andauernd‘) an. Die langen Vokale seien in geschlossenen Silben mit doppelten Vokalzeichen wiederzugeben ausser i., einem Laut, den man schon immer mit dargestellt habe. In den Ausführungen der niederländischen Grammatiker ist es im Übrigen nicht immer klar, ob, und wenn ja, wann sie für die Rechtschreibung von Vokalen vom quantitativen Merkmal ‚kurz‘ oder ‚lang‘ ausgehen. a, ae Aus den frühesten phonetischen Beschreibungen des Neuniederländischen, die teilweise auf Erasmus zurückgehen, lässt sich zum a folgern, dass die Grammatiker ein ‚klares‘, nach Erasmus ‚italienisches‘ a. bevorzugten. Die Artikulation erfolge ,mit ziemlichem Gebläse‘ (De Heuiter: met tamelic geblaes) und ‚weit gähnendem Mund‘ (Lambrecht: wide achtigh gápende), ohne Zunge, Zähne oder Lippen zu rühren (Twe-spraack: zonder te roeren). Das gespannte [â], das in Teilen Hollands und Seelands wahrscheinlich als [æ] ausgesprochen wurde, entwickelte sich zu einem als ‚klar‘ bezeichneten, wohl offenen a., womit es sich, möglich unter Einfluss der geschriebenen Sprache, als Merkmal einer kultivierten Variante des Niederländischen vom Stadtdialekt abhob. De Heuiter beispielsweise gab diesem a den Vorzug vor [æ], [ɔ:] oder [aɪ], wie die Holländer dies in jae‚ die Flamen in joa oder die Einwohner Brabants in bai usw. ‚meckernd‘ aussprechen: gelijc den Hollander jae, den Flamijnc joa, den Brabander bai, mai, wai, blatende doun. Es stellt sich übrigens die Frage, was in diesem Kontext bezeichnet. Das, nach Ampzing, ‚dobbelten aa‘ (‚doppelte a‘), das eine ‚volle und starke Aussprache‘ verlangte (volle ende harde uytsprake vande dobbele aa), setzte sich neben dem in Holland gebräuchlichen /ε/ als Merkmal einer gehobenen Variante der städtischen Oberschichten durch. Gebildete Sprecher anderer Gegenden übernahmen die oben beschriebene Aussprache, diese kultivierte Aussprache des a. wurde zu einem kennzeichnenden Merkmal des überregionalen Niederländischen. Die Verwendung von als Zeichen für a. führte aber auch zu einer [ae]-Aussprache. Zum komplexen Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Lautwerten von a und ae und den verwendeten Schriftzeichen äussern sich die meisten Grammatiker ausführlich, nicht selten bewertend. So schreibt Smyters 1631 beispielsweise, dass der Holländer und der Einwohner Seelands sich über den Einwohner Brabants lustig mache, wenn er haer usw. ausspricht, während sie sehen, dass er die Lippen rundet, als ob er haar aussprechen wollte. Ebenso belächeln der Flame und der Einwohner Brabants die neue Orthografie des Holländers, wenn er haar usw. schreibt, seine Lippen aber fast oval, wie bei hair, öffnet, als ob er heir aussprechen möchte: Den Hollander ende Zeeuw, die belachen des Brabanders stemme, wanneer hy ‚haer‘, ‚daer‘, ‚claer‘, ‚waer‘, &c. prononceert, ende sien dat hy de lippen rondt settet, als of hy ‚haar‘, ‚daar‘, ‚claar‘, ‚waar‘, &c. woude uytspreken. Desghe-

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lijcx lacht den Vlaminck, ende Brabander met des Hollanders nieuwe spellinghe, als hy ,haar‘, ,daar‘, ,claar‘, ,waar‘, &c. schijft ende zyne lippen ovael settet, ,haer‘, ,daer‘, ,claer‘, ‚waer‘ (by cant) als oft hy ‚heir‘, ‚deir‘, ‚cleir‘, ‚weir‘ woude prononceren. Smyters zeigt hier somit einige in der lebendigen Sprache vorhandene Aussprachevarianten, sodann bemängelt er die Verwendung falscher Schriftzeichen für die Darstellung der produzierten Laute. Für Van der Schuere scheint das lange a einigermassen palatalisiert zu sein, das kurze a ist bei ihm offenbar scharfgeschnitten, ein Merkmal, das Ickelsamer bereits für das a im Deutschen 1527 erkannt und beschrieben hatte. Mit dem deuteten die Grammatiker in der Regel einen Laut an, der mit a und e verwandt ist und den Lambrecht auditiv phonetisch mit dem Blöken von Schafen zu umschreiben versucht: Bae, ghelijk de schapen blaeten. Vermutlich handelte es sich dabei um ein palatalisiertes langes a, das in Holland und Seeland an Stelle von a zu hören war, Lambrecht bezeichnet [ae] ausdrücklich als seeländische Aussprache. Auch Sexagius deutet mit einen Diphthong an, der lautlich von a abweicht. Obschon man nach De Heuiter ae nicht mit aa verwechseln sollte, so scheint er ae zu befürworten, wenn die Natur eines Wortes dies verlange. Auch die Twe-spraack unterscheidet und , sie werden trotzdem im Text des Buches öfters verwechselt, möglich durch Druckfehler, aber wohl auch weil die Verfasser sich deren unterschiedlicher Lautwerte nur beschränkt bewusst waren. Lambrecht, der die traditionelle Rechtschreibung für a. kritisiert, benutzt als Erster die Bezeichnung mit der Begründung, dass laut ihm e., o., y. und i. auch mit doppelten Schriftzeichen wiedergegeben würden. Noch ein Jahrhundert später wünscht auch Leupenius, wie andere Grammatiker vor ihm, an Stelle von . Sexagius gebraucht zusätzliche Schriftzeichen, um seine Sprache, geprägt von der Stadt Mechelen, darzustellen, u.a. mit e-Cedille für æ. Er bemängelt, dass man häufig schreibt, wo verlangt wird, ohne den Lautwert dieses Graphems näher zu umschreiben. Auch die Twe-spraack hält fest, dass man oft zu Unrecht als Bezeichnung des a verwendet. Wie gebräuchlich diese Schreibweise war, zeigt sich beispielsweise bei Van der Schuere, der verlangt als Schriftzeichen für das ‚lange und andauernde a‘, also /a./: om uyt te bélden den langen ende duerigen klank van ‚a‘, wobei diese Schreibweise in den entsprechenden Positionen wie bei De Heuiter ein palatalisiertes a anzudeuten scheint. Ampzing erwähnt ebenfalls das für eine ‚runde, volle Aussprache‘ und für das ‚andere‘ a. Die Übersetzer der Statenvertaling schrieben in geschlossenen, in offenen Silben. e Lambrecht beschreibt die Artikulation des e-Vokals, wie etwa Erasmus, als ‚etwas süsslich grinsend, das Ende der Zunge gegen die unteren Zähne‘ (e, wat zoetelic grijnkelende, thende van der tonghe téghen d’onderste tanden), De Heuiter nennt als Artikulationsort den Gaumen. Laut der Twe-spraack sprechen die Niederländer das e gelegentlich, namentlich vor r wie die Franzosen als α, zum Beispiel in sterck (‚stark‘) oder merckt (‚beachte‘), wohl ähnlich wie auch heute in manchen Dialekten, besonders in Seeland, z.B. karke für kerk (‚Kirche‘). Diese Aussprache rechnen die Verfasser später in ihrem Buch bei Wörtern wie scherp, perck, vercken, sterck, hert zu den gröbsten Verfehlungen in der Aussprache. Vielleicht deutet diese Bewertung auf eine Dif-

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ferenzierung zwischen der Aussprache des als α von weniger Gebildeten und als e. oder e: im Sinne eines Merkmales der gehobenen, überregionalen Sprache. Im Übrigen kennt die Standardsprache heute in scherp (‚scharf‘), perk (‚Beet‘) und sterk einen [ε]-, in varken (‚Schwein‘) und hart (‚Herz‘) einen α-Laut. Van der Schuere bemerkt, dass e in unterschiedlichen Positionen ‚kurz‘ laute, e in zijnde (‚seiende‘) hatte dann wahrscheinlich den gleichen Lautwert wie [ε] in elk (‚jeder‘) und würde somit nicht dem Reduktionsvokal ə im modernen Niederländischen wie in zijnde entsprechen. Diesbezüglich ist es bemerkenswert, dass Sexagius das e in wech (‚Weg‘) und water (‚Wasser‘) nicht unterschiedlich beschreibt, einen Reduktionsvokal e hat er, wie auch De Heuiter, offenbar nicht beobachtet. Im Allgemeinen ist anzunehmen, dass die Grammatiker je nach Position für langes e. beziehungsweise kurzes [ε] benutzten: so würde bedele hintereinander ein kurzes, ein langes und kurzes e besitzen. Sexagius benutzt verschiedene Zeichen wie und in Wörtern wie el (‚Elle‘) und versch (‚frisch‘) wohl als Bezeichnung für einen etwas offenen, kürzeren beziehungsweise längeren Laut zwischen a und e neben und für [ε] und [e.]. De Heuiter buchstabiert langes in offenen Silben wie im Auslaut meistens mit einem Zeichen, Wörter wie zee (‚Meer‘), twee (‚zwei‘), alleene (‚allein‘) und eenige (‚einige‘) sind Ausnahmen. Die Statenvertaling kennt in offenen Silben oder , um kurzes beziehungsweise langes e zu bezeichnen. Die Übersetzer unterscheiden zwischen [ee] als Dehnungsprodukt von [e] und [êê], das aus ger. [ai] entstanden war, vgl. eten (‚essen‘) neben deelen (‚verteilen‘). Sodann kommt vor, vgl. heyr (‚Heer‘). i, y, ij, ie Das bezeichnet, wie das , bei Lambrecht, De Heuiter und in der Twe-spraack in offenen und geschlossenen Silben einen langen Vokal i.. Diesen Laut bildet man nach Lambrecht ‚grinsend‘, mit dem ‚Ende der Zunge gegen die unteren Zähne‘ und ‚die Seiten der Zunge gegen die oberen Backenzähne‘: i, of y, wat greinzende, thende van der tonghe téghen d’onderste tanden, ende beade de canten van der tonghe téghen d’opperste baactanden haudende. Sodann erwähnen mehrere Grammatiker die diphthongierte Aussprache des i durch die Einwohner Brabants, so heisst es bei De Heuiter ei: Deze gebruict den Brabander, daer den Flamijnc (die ic volge) die vocale ij. als: wein wijn, zein zijn, mein mijn, reic rijc, deic dijc, leic lijc (‚der Einwohner von Brabant gebraucht ei, wo der Flame, dem ich nachfolge, ij – gemeint ist wohl i. – benutzt: ‚Wein, sein, mein, reich, Deich‘), Wörter, die heute in der Standardsprache [εi] kennen. Sowohl De Heuiter als auch die Twe-spraack hielten diese Aussprache offenbar für weniger kultiviert. Van der Schuere unterscheidet mit i ein kurzes [I] und verwendet für i.. Das , von Erasmus als Diphthong beschrieben (audis enim ‚i‘ ante ‚e‘), verwendet Lambrecht wohl ähnlich wie im heutigen Niederländisch für i., was auch für , heute als geschrieben, gilt. De Heuiter bemerkt, dass ie mit ee und ij verwandt ist, die Twe-spraack umschreibt ie in Wörtern wie niet (‚nicht‘) und nieuw (‚neu‘) vor u perzeptiv als den Laut eines Kiebitzes: De ‚ie‘ beeld uyt des kievits gheluyd in ‚zie‘, ‚bie‘, ‚iet‘, ‚niet‘, etc. vóórt in ‚nieuw‘, ‚ick hieuw‘, etc. voor de ‚u‘ komende, Unterschiede mit i oder y werden nicht näher besprochen.

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Sexagius lehnt die Schreibweise ab, bevorzugt dafür , sodann benutzt er in geschlossenen Silben für i. die Zeichenkombination . Dagegen deutet De Heuiter diesen Laut mit den Zeichen , gelegentlich auch mit an, allerdings verwendet er in offenen Silben und im Auslaut mitunter auch , das er zudem als Kurzvokal benutzt. Die Übersetzer der Statenvertaling schreiben vor -ng und -nk wie in gering (‚gering‘), in offenen und geschlossenen Silben bevorzugen sie wie in mijn (‚mein‘), im Auslaut jedoch wie in hy (‚er‘). Van der Schuere verwendet für kurzes i das Zeichen , für langes . Um Verwirrung zu vermeiden, schreibt er , wenn nach einem anlautenden i ein Vokal folgt wie in yeder (‚jeder‘). o Laut der Twe-spraack bildet man das o, ähnlich leicht wie das a, mit gheboghen lippen (‚gebogenen Lippen‘), also gerundet, wobei die Lippen die gleiche Form wie das Schriftzeichen annehmen, eine Artikulationsart, die auch Lambrecht und De Heuiter andeuten. Die Twe-spraack unterscheidet, wie Erasmus, ein o, das dem ‚westfälischen u‘ gleichkäme oder ähneln würde. Möglicherweise ist damit ein [oʊ] gemeint, ein Laut, der auch im Osten der Niederlande, in Enschede, vorkommt. Sodann erwähnt die Twe-spraack ein zweites o, das mancher als darstelle und das wegen der ‚geringen Abweichung‘ ein Akzentzeichen erhält: wy gheven hem een bytéken, om de minste verandering. Oft wurde dieses o, sowohl langes wie kurzes, ein wenig wie a ausgesprochen, was mancher Grammatiker mit den Graphemen oder bezeichnete: oick (‚auch‘), koipman (‚Kaufmann‘) und hoar (‚hört‘), gheloaf (‚Glauben‘). Dennoch zieht die Twe-spraack die Bezeichnungen vor wegen des Grundsatzes der einstimmigen Rechtschreibung (eenpaarticheyd), zudem sei Verwirrung mit in Wörtern wie móy zu vermeiden und passe nicht in die Tradition der Rechtschreibung. Der Unterschied zwischen und ist wahrscheinlich etymologisch zu begründen: das sanft-kurze o wie in schol (‚Scholle‘) geht auf Ger. bzw. Ugm. ŭ zurück vor Nasal mit Konsonant und in Wörtern, in denen kein a-Umlaut auftrat. Wörter mit dem scharfkurzen [ó] sind auf Ger. [Ŏ] zurückzuführen, das durch a-Umlaut aus Ugm. ŭ entstanden war. Die weiteren Ausführungen deuten an, dass zwischen den beiden o nur noch ein quantitativer Unterschied bestand, kurzes o ähnelte vermutlich wie auch bei Hooft dem heute gängigen [ɔ]. Lambrecht buchstabiert [o.] und [ɔ] unterschiedlich, er führt Beispiele mit und an, die wohl unterschiedliche Artikulationsarten des o bezeichnen. Dieser Gegensatz ist auch bei Sexagius zu finden, die Twe-spraack bezeichnet mit den unterschiedlichen Schreibweisen ebenfalls lautliche wie etymologische Unterschiede: mit und bezeichnen die Verfasser ein o, das auf [ô] oder [au] zurückgeht. De Heuiter schreibt das scharfgeschnittene o mit . Die Übersetzer der Statenvertaling wenden beim Schreiben des aus [au] die Regel der Übereinstimmung an, zum Beispiel in boom (‚Baum‘) und boomen, hingegen unterscheiden sie ô und o. mit den Schreibweisen beziehungsweise in offenen Silben, wie in koopen (‚kaufen‘) und koken (‚kochen‘).

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u Die Interpretation der Angaben zum u stellt sich als schwierig heraus, nicht nur wegen der Frage, welche Variante des Niederländischen für die Grammatiker dabei als Grundlage diente, sondern auch durch mögliche Änderungen in der gesprochenen Sprache, die sich im 16. Jh. vollzogen. Wenn man Erasmus’ Angaben zum u in seinem Dialogus berücksichtigt, so würde das französische u lautlich mit dem griechischen υ übereinstimmen, während das niederländische einen [u]-Laut zwischen Französisch o und u bezeichnete. Für das u, das anfänglich als Bezeichnung des Konsonanten auch als geschrieben wurde, bestehen unterschiedliche artikulatorische Umschreibungen. Die Twe-spraack unterscheidet ein u in Wörtern wie ure (‚Stunde‘), duren (‚dauern‘), das man mit hervorquellenden Lippen und die Zunge gegen die unteren Zähne artikuliert: u, doet int uyt spreken de lippen voor uyt puilen de tong an de voorste onder tanden brenghende, als ghy hóórt in d’eerste silben van ‚ure‘, ‚duren‘ (…) womit wohl ein [y]-Laut gemeint ist, und ein u, das stark davon abweiche in Wörtern wie hoeren (‚Huren‘) oder boeren (‚Bauern‘) wie das ‚westfälische‘ u, das ‚sie‘ in du als doe aussprechen. Somit würde einen Vokal wie das ‚westfälische‘ u andeuten, während das u lautlich möglicherweise dem französischen u entsprach. Das Graphem benutzt De Heuiter als Vokal meistens in den gleichen Positionen, wo das moderne Niederländische kennt, die Twe-spraack bezeichnet mit einen Vokal, der eher dem griechischen ypsilon ähnele. Van der Schuere unterscheidet mit kurzem u ein [ü] wie in geluk (‚Glück‘), ‚länger‘ u wie in nu (‚jetzt‘) und geheel lange u (‚total langes u‘) vor oder nach einem Vokal wie in oud (‚alt‘), aber auch in huys (‚Haus‘). Die Statenvertaling kennt in geschlossenen Silben ue wie in muer (‚Mauer‘), in offenen Silben vor r ein u wie in nature (‚Natur‘), die -Schreibung an Stelle von (‚aus‘) lehnt sie ausdrücklich ab. Sodann buchstabieren die Übersetzer u als in allen Positionen wie in voegen (‚fügen‘), goet (‚gut‘) und soet (‚süss‘), die Schreibweise vor Gutturalen lehnten sie ab. Diphthonge Bei der Beschreibung der Diphthonge unterschieden die Grammatiker in Nachfolge von Erasmus, der sich diesbezüglich möglicherweise auf Melanchthons griechische Grammatik stützte, zwischen eigentlichen und uneigentlichen Diphthongen: beim ersten Typus, dem der propriae, höre man zwei Laute, beim zweiten, dem der impropriae, stellen zwei Schriftzeichen einen Laut dar. Nach Lambrecht sind Diphthonge aus zwei ‚lautenden Lettern‘ gemachte Vokalsilben: ‚diphthongos‘, dat zijn by ons vocaal silleben, van twea lúdende letters ghemaakt, sie wären somit zu den eigentlichen Diphthongen zu rechnen. Zudem habe das Niederländische Silben, die aus drei und vier Vokalen hergestellt werden. Wie Sexagius unterscheidet De Heuiter Diph­ thonge, tweklainckers und Triphthonge, ‚drieklancken‘, die van drie klinkers ghevoeght wórden. Diejenigen, die hart en vol (‚hart und voll‘) sind, entsprechen den propriae, diejenigen, die zout, zaht, en eenvoudich luidende (‚süss, sanft und einfach klingen‘), den impropriae. Die Twe-spraack bespricht Diphthonge und Triphthonge gemeinsam als Zwielaute‚ da sie aus zwei oder mehr unterschiedlichen Lauten der oben erwähnten fünf Vokale zusammengesetzt werden: de ‚diphtongen‘ diemen ‚tweklanken‘ zou moghen noemen, om datse van twe ófte meer der

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voornoemde vyf klinkers onderscheidlyke eigen gheluiden t’samen worden ghezet […]: maar wy zullense hier onder den naam van ‚tweklanken’ alle bevanghen. Fasst man klinkers als Laute auf, so handelt es sich hier ebenfalls um Diphthonge der Klasse propriae. Die Twe-spraack und De Heuiter unterscheiden beträchtlich weniger Diphthonge als Lam– brecht, was andeutet, dass sie sich wohl auf die Zwielaute der gehobenen Sprache beschränkten, jene mit weniger Prestige lehnten sie offensichtlich ab. Einige der von De Heuiter beschriebenen Diphthonge südlichen Ursprungs haben sich im Übrigen nicht durchgesetzt, für die Beschreibung der Diphthonge in der Twe-spraack war die Sprache der holländischen Oberschicht massgeblich. Auch diesbezüglich prägte sie die Entwicklung der gesprochenen niederländischen Einheitssprache. In der schriftlichen Darstellung von Zwielauten schien man ebenfalls zwei Typen von Diphthongen zu unterscheiden: Grapheme, deren Zeichen zwei unterschiedliche Laute widerspiegeln, und Grapheme kombinierter Zeichen, die zusammen einen Laut darstellen. Lambrecht und Sexagius verwenden eine grössere Zahl von Graphemkombinationen und speziellen Graphen, um Zwielaute darzustellen, die sich nicht durchgesetzt haben und hier nicht weiter erörtert werden. Einige Grammatiker wie De Heuiter benutzen zudem Triphthonge wie , und . Die Twe-spraack beschränkt die schriftliche Wiedergabe der Diphthonge auf fünfzehn Grapheme: (blaeten), (lay), (zaay), (snau), (blaau), (gheyt), (eeu), (zie), (nieu), (zoet), (koeyen), (móy), (oud), (dueghd), (uyl). Sie stimmen zum Teil mit der heutigen Schreibweise von Diphthongen überein, das moderne Niederländische unterscheidet diesbezüglich die Grapheme , , , , und . Manche der Zeichenkombinationen in den älteren Grammatiken wie deuten Zwischenklänge beziehungsweise Monophtonge an, andere bezeichnen zwar einen Laut, sind aber wie ou phonetisch zusammengesetzt. Mehrere Diphthonge werden unterschiedlich geschrieben, manchmal bezeichnen unterschiedliche Grapheme den gleichen Diphthong, gelegentlich bezeichnet ein Graphem zwei Diphthonge. Von den durch die Grammatiker als Diphthong bezeichneten Lauten und Graphemen sollen in den folgenden Abschnitten einige ausgewählte Merkmale aufgezählt werden. au, ou De Heuiter umschreibt den Lautwert au mit dem lateinischen Beispiel aurum, was dem au in ‚Frau‘ entsprechen dürfte. Die Variante aeu, wovon das erste Element länger als in au wäre, ist wahrscheinlich auf den etymologischen Ursprung der betreffenden Wörter aus â + w zurückzuführen. In der Twe-spraack sind diese Wörter ebenfalls, allerdings mit buchstabiert, als eine separate Klasse zu finden. Auch Van Heule 1633 unterscheidet zwischen [ay] und [aey], letzteres wird als A gedurich, also mit einem längeren a-Element als in [ay] umschrieben. Lambrecht stellt mit sowohl [ou] wie [au] dar, De Heuiter hält [au] mehr für Deutsch als für Niederländisch, dennoch werde [au] vielerorts in den Niederlanden ‚hart‘ gebraucht, er bevorzugt allerdings vrou an Stelle vom ‚Katzengejammer‘ vrau (‚Frau‘). Letzterer teilt weiter mit, dass zwei verschiedene Laute bezeichnen kann, weshalb er eine Schreibvariante vorschlägt. Die Twe-spraack nennt neben [au] auch [aau] und [ou], verwirft aber [ou] für

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[oe]. Van Heule schreibt den Diphthong als wie in hoout (‚Holz‘) und unterscheidet ihn so vom vor Guttural beziehungsweise Labial. ai, ay, ei, ij Mit dem oder bezeichnet Lambrecht [aai] oder das brabantische [εi], für die Aussprache in Holland und Seeland verwendet er oder . De Heuiter lehnt Sexagius’ entsprechende Schreibung ab. Aus der Umschreibung der Twe-spraack ist zu folgern, dass das a und j getrennt zu hören waren, wäre kurz, lang. Obschon der Verfasser es für einen Missbrauch hält, den Diphthong [εi] als [aI] auszusprechen, enthält der Text trotzdem Beispiele dieser Aussprache, zum Beispiel in bayde, heute beide (‚beide‘). Auch Van der Schuere lehnt es ab, dass ‚manche‘ wegen ihrer ‚weit gähnenden‘ Artikulation in diesen Fällen [aI] ‚an Stelle von‘ [εi] aussprechen: Dat nu zommige inde plaetze van ‚ey‘, ‚hey‘, ‚key‘, ‚ley‘, enz. stellen ende voor goed achten ‚ay‘, ‚hay‘, ‚kay‘, ‚lay‘, enz. mag kommen duer hare wijd-gapige uytsprake, die wy in ons zoo niet en bevinden (…). Van Heule erwähnt 1625 die fragwürdige [aI]Aussprache, 1633 verwirft er sie. Van der Schueres Äusserung zum [εi] deutet auf Entwicklungen in holländischen Dialekten hin, um [ei], [ui] und [ou] allmählich mit weiter ­geöffnetem Mund zu artikulieren, eine Erscheinung, die sich seit den Siebzigerjahren des 20. Jh. vermehrt bemerkbar macht bei Sprechern des sog. poldernederlands. Es handelt sich übrigens dabei um eine alte Erscheinung, die beispielsweise bereits in lokalen Sprachvarietäten, so in Rotterdam, vorkam. Die älteren Grammatiker verwenden in Wörtern, in denen auch das heutige Niederländisch einen [εi]-Laut kennt. Sodann erwähnen mehrere Autoren, u.a. Erasmus und De Heuiter, eine [εi]-Aussprache des i durch die Einwohner Brabants, die allerdings dem ee nahe käme, wie dies auch die Twe-spraack erwähnt: De ‚i‘ (…) enighe zonderling in Braband treckenze wat na de e. ende klinckt benaast als ‚ei‘. De Heuiter sieht die Zeichenkombination als ‚Nachbarn‘ von und verdeutlicht dies mit dem Beispiel ende/einde (‚Ende‘). Mit weiteren Beispielen bezeichnet er diesbezüglich das westflämische lange e wie in bescheet neben dem brabantischen und holländischen diphthongischen [ei] wie in bescheit (‚Bescheid‘). Mit deutete er vermutlich nicht einen Diphthong, sondern einen langen Vokal i an. Lambrecht benutzt und in den gleichen Wörtern, die im modernen Niederländischen kennen. Die Twe-spraack erwähnt noch, dass die Einwohner Brabants das lange i fast wie [ei], dafür ei eher als [ai] aussprachen. oe Lambrecht verwendet , das Erasmus wahrscheinlich als diphthongus impropria einstufte, weiter lässt er die Schreibweise für diesen Laut auch zu. Nicht eindeutig ist die akustische Beschreibung von [u] in der Twe-spraack: Der koeyen eyghen gheluid zyn wy ghewoon uyt te beel­den met ‚oe‘ in ‚zoet‘, ‚ghoed‘, ‚vroed‘, ‚boet‘, ‚hoeden‘, ‚roeden‘, ‚voeden‘, etc. welck gheluid ghemeenschap hebbende met het gheklanck van ‚o‘ ende ,e‘ meen ick daar mede by ons ouders wel afghebeeld is. (,Der Kühe eigenen Laut sind wir gewohnt mit ,oe‘ in ,süss‘, ,gut‘, ,weise‘, ,büsst‘, ,Hüter‘, ,Rute‘, ‚füttern‘ usw. darzustellen, deren Laut mit ‚o‘ und ‚e‘ Übereinstimmung hat und, wie ich meine, von unseren Eltern gut dargestellt wird‘.) Als zweite

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Schreibweise für [u] erwähnt die Twe-spraack das von De Heuiter abgelehnte , das im Übrigen auch bedeutende Schriftsteller wie Van der Noot oder Van Hout verwenden. Dessen erstes Element, , würde das westfälische u bezeichnen. ou, oi De Heuiter verwendet an Stelle von , was zu Homographie führt, wie er meint: Ic weet wel dat veel woorden dan in twifel komen watmer mede meint, als in gout, ‚d’or‘ of ‚bon‘ (‚Ich weiss wohl, dass man dann bei vielen Wörtern zweifeln kann, was sie bedeuten, wie in goud, Gold, d’or, von Gold oder bon, gut.‘). Laut ihm kann aber ein Zeichen zwei Laute widerspiegeln. Sexagius schreibt [ou] und [au] beide mit , erwähnt aber zwei Möglichkeiten, um dieses auszusprechen, wie in Wörtern wie schau beziehungsweise nou. Übrigens ist zu bedenken, dass das Graphem in Flandern nicht nur [u] bezeichnen konnte wie in bouc (‚Buch‘), sondern auch den Diphthong [au] wie in hout (‚Holz‘). Laut Erasmus sprechen die Franzosen [oi] als eigentlichen Diphthong aus. Lambrecht schreibt oder in Zusammenziehungen mit d-Synkope: goikin (= godekijn, ‚Göttchen‘). Laut der akustischen Beschreibung der Twe-spraack hört man vor y oder i immer ein scharf langes o, von einem Diphthong mit sanftem o ist hier nicht die Rede. ui, uy, eu Mit bezeichnen sowohl Lambrecht als auch De Heuiter wohl u mit j, wozu Letzterer bemerkt, dass die Einwohner Brabants [eu] verwenden in allen Wörtern, in denen man in Holland und Seeland [ui] gebraucht. Die Twe-spraack hält fest, dass [uy] und [óy] sich lautlich so unterscheiden, dass ein Schaf dies merken würde, dat zou een schaep mercken, beschreibt den Unterschied jedoch nicht. Weiter unterscheide der Diphthong sich eindeutig vom [u]. Mit stellt Lambrecht laut Dibbets einen [eu]-Laut vor, wie die Einwohner Brabants aussprachen, den [ø]-Laut wie im modernen niederländischen deun (‚Melodie‘) schreibt er . Sodann verwendet er in Fällen von Synkope: weeuwe für weduwe (‚Witwe‘). Für Laute in Wörtern aus ursprünglich ĕ oder ai + w wie im modernniederländischen eeuw (‚Jahrhundert‘) verwendet er . Sexagius unterscheidet als diphthongus propria ein in Wörtern, die heute ein [ə:y] wie in huis (‚Haus‘) kennen, erscheint bei ihm in Wörtern, die heute die [ø]-Aussprache kennen, wie neus (‚Nase‘). De Heuiter nimmt ähnliche Unterscheidungen mit vor: schreauën (‚schreien‘). Die Twe-spraack verwendet als diphthongus propria in Lehnwörtern, zum Beispiel in Europa oder Hóógh­teutsch, für den Laut in eeu (‚Jahrhundert‘) verwendet sie . Wie auch in anderen Grammatiken wird in der Twe-spraack der [ø]-Laut mit dargestellt, obwohl die heute gängige Schreibweise , wie in deugd (‚Tugend‘), auch vorkommt. Zur Zeichenkombination formulieren die Grammatiker kritische Bemerkungen. So beklagen die Verfasser der Twe-spraack sich darüber, dass viele das in Wörtern wie u.a. uyt (‚aus‘) ‚übel‘ schreiben, manche verwenden dazu oder : zom nemen de ‚v‘ óf ‚w‘ in de plaats spellende ‚wt‘, ‚vuyt‘ óf ‚vyt‘. Auch Lambrecht und De Heuiter hatten bereits auf diese uneinheitlichen Schreibweisen hingewiesen. Letzterer fragt sich rhetorisch, wie viel Mühe

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es manchen Menschen kostet, das Wörtchen uit (‚aus‘) zu schreiben: wat mouiten heeft menih mens angedaen twoordeken ‚uit‘. Lambrecht scheint die Zeichenkombination für [y.] mit j zu verwenden, für jenen Diphthong, der vermutlich dem modernniederländischen [ə:y], geschrieben , ähnelte, verwendet er . Sexagius schreibt diesen Diphthong mit den Zeichen , die Statenvertaling benutzt dazu die traditionelle Zeichenkombination wie in leuy, nnl. lui (‚Leute‘). Dass die Resolutiën, die die Vorgaben für die Übersetzer umfassten, zur Rechtschreibung dieses Diphthongs auch ein Wort wie geluyt als Beispiel erwähnen, deutet darauf hin, dass die Diphthongierung von ursprünglich ger. ū inzwischen abgeschlossen war. De Heuiter bezeichnet mit zwei Diphthonge, einen ‚sanften‘ wie die, die ‚gutes Französisch‘ sprechen, diesen in einem Wort wie peu artikulieren, und einen ‚harten‘ wie ‚die Latiner‘ in einem Wort wie orpheus sprechen. Das erste [eu] verwendet der Einwohner von Brabant, zum Beispiel in heus, wo der Holländer und Flame [ui], gelegentlich auch [u] sagt wie in huis beziehungsweise huus (‚Haus‘). Das zweite [eu], das der Flame und Holländer benutzt, könne man durch [o], geschrieben als , ersetzen, wie in meugen beziehungsweise moegen (‚dürfen‘). Die Angaben von Sexagius und De Heuiter zum ‚harten‘ [eu] lassen auf einen [ε]-ähnlichen Laut schliessen, gefolgt vom Semivokal w. Vielleicht stellt eu eine Zwischenstufe zwischen Diph­ thong und Monophthong dar. Abweichend von der Tradition verwendet die Twe-spraack für [eu] in Wörtern wie dueghd die Bezeichnung , wohl um diesen Laut abweichend vom [Eu] in Wörtern wie Europa wiederzugeben. Auch Van der Schuere buchstabiert , Ampzing dagegen bevorzugt wie Van Heule und die Übersetzer der Statenvertaling die Schreibweise . Konsonanten Die meisten Grammatiker schliessen sich bei der Definition von Konsonanten den aus der lateinischen Grammatik bekannten Auffassungen an, nämlich dass sie ohne Vokale nicht lauten, wie dies Van Varenbraken festhält: dese letteren (…) moghen gheen gheluut gheuen, voor enighe van die vijf vocalen worden toeghevoucht. Eine ähnliche Umschreibung findet sich bei Lambrecht: médeludende, médesprekende, ende médevoaisghéuende letters, de welke nemmermear alleane, noch al stonden zy alle by ean, en connen noch en móghen sillebe noch woord ghemáken (‚mitklingende, mitsprechende und mit-stimmgebende Lettern, die nie allein, auch wenn sie alle zusammen stünden, im Stande sind, eine Silbe oder ein Wort zu bilden‘). De Heuiter bemerkt ebenfalls, dass Konsonanten ohne Vokale meistens ohne Klang blieben: want zij zonder vocalen meest stom, en zonder geluit bliven. Die Twe-spraack, die den Konsonanten nur wenig Platz einräumt, schliesst sich diesen Definitionen an. In der Folge handelt es sich laut den früheren Grammatiken bei Konsonanten um Laute, die ‚mitklingen‘ und ohne Vokal stumm bleiben, mit De Heuiters Worten: meklainkers, want zij zonder vocalen meest stom/ en zonder geluit bliven/ als b. c. d. g. p. zonder a. e. i. o. of u. Als Eigenschaft von Konsonanten erwähnt Lambrecht, dass sie allein keine Silben oder Wörter bilden können. De Heuiter unterscheidet neunzehn Konsonanten, die er in zwölf ‚Mutae‘, sechs ‚Semivokale‘ und einen doppelten Konsonanten unterteilt. Die Twe-spraack, die auf eine Einteilung der Konsonanten verzichtet, behandelt die Mitlaute weniger ausführlich als die Vokale und Diphthonge, wahrscheinlich weil der Bedarf an Auskünften zu Konsonanten geringer war.

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b, p Das b, das De Heuiter zu den Mutae rechnet, unterscheidet sich nach seiner Beschreibung vom p durch die Artikulation. Van Heule teilt b bei den Smeltende letteren, also den Liquidae ein. Nach Erasmus wird das b weniger gespannt als p gebildet. Zur Artikulation von b berichtet Lambrecht: B, bé, de leppen zoetgins zonder persen d’eane téghen d’ander voughende (‚B, be, die Lippen süsslich ohne zu pressen die eine gegen die andere zusammenfügend‘). Über die Aussprache des p schreibt er, ohne diese mit dem b zu vergleichen: p, pé, de leppen persende, ende dan‚ópen­ doende met eanen berst (‚p, pé, die Lippen pressend, und dann mit einem Ausbruch öffnend‘). De Heuiter hingegen betont die Verwandtschaft von b und p, seine Beispiele deuten auf eine Opposition stimmhaft-stimmlos. Anhand eines Beispiels wie kompt fragt er sich wat douter p? (‚was hat das p hier zu suchen?‘). Offenbar wurde ein p gesprochen nach dem abrupten Aufheben des Verschlusses, das bei der Artikulation des m erfolgte, ein häufig vorkommender Laut, den er vielleicht als ungehobelte Aussprache ablehnte. Nach Van der Schuere sei b ‚süsser‘, zoeter, als p, was eventuell ‚stimmhafter‘ bedeutet. Dafforne hält b für ‚milder‘. Laut Van Varenbraken verwechselt man beim Schreiben und

leicht, da sie ähnlich klingen. Lambrecht bespricht b und p getrennt, erwähnt dabei ihre phonemischen Eigenarten. Sexagius bezeichnet b als ‚dickes p‘: crassum p. Auch De Heuiter umschreibt das b als een lettel dicker of volder van geluit. Laut der Twe-spraack bestehen kaum Unterschiede zwischen b und p, sie verlangt aber wegen der oben besprochenen Regel der Analogie je nach Position unterschiedliche Grapheme für das Phonem /p/, so in krabt wegen krabben und klapt wegen klappen. c, k, ck Für die Artikulation des als k ausgesprochenen , das er zu den Mutae rechnet, erwähnt De Heuiter die Bewegung der Zunge bei Okklusion. Bei nennt er zudem zum gleichen Laut wohl dessen velares Merkmal, nicht aber das dorsale Element. Nach der Twe-spraack lautet vor a, o und u wie k, vor e und i wie s. Ähnliche Beobachtungen finden sich bei Erasmus, Van Varenbraken und Lambrecht, mehrere Grammatiker wie Van der Schuere und Ampzing verwerfen den Gebrauch von für . Für lehnt De Heuiter den neuen Namen see ab, bevorzugt stattdessen den gleichen Namen wie für , wie ‚bei den alten Latinern‘ ke. Nach ihm wäre eines der beiden Zeichen und im Griechischen und Lateinischen überflüssig, da sie den gleichen Laut bezeichnen, für das Niederländische möchte er aber neben beibehalten wegen der Zeichenkombination sch. Auch die Twe-spraack hält das Graphem für wenig nützlich, wo es sich durch und ersetzen lässt. Obschon Spiegel aus etymologischen Gründen nicht ganz auf das verzichtet, möchte er in niederländischen Wörtern schreiben, wo man k hört. Im Anlaut möchte De Heuiter k mit einem darstellen, im Auslaut lehnt er ab und überlässt dem Leser die Wahl zwischen und . Offenbar behält er im Anlaut in Lehnwörtern wie Cardinalen bei. Wörter, die doppeltes verlangen würden, möchte er mit buchstabieren, zum Beispiel backen (‚backen‘). Wie Erasmus weist Van Varenbraken auf zwei Möglichkeiten, c auszusprechen: Staet c voor o, voor u oft a, Soe es ghevende tluud der k, d. h. vor o, u, oder a spreche man k, in den anderen

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Fällen s. Die gleiche Beobachtung ist bei Lambrecht zu finden. Die Twe-spraack, die ein bevorzugt, wo man k hört, verlangt eine einheitliche Rechtschreibung, auch in etymologischer Hinsicht: want het schickt immers qualyck datmen, ,kemmen‘ ende ,cammen‘, ,kennen‘ ende ,connen‘, etc. schryft, dat dóch wóórden zyn die an elcanderen hanghen (‚denn es passt doch schlecht, dass man „kennen“ und „cammen“, „kennen“ und „connen“ usw. schreibt, welche doch Wörter sind, die miteinander zusammenhängen‘). De Hubert führt diesen etymologischen Grundsatz 1624 noch weiter durch. Die Schreibweise im Auslaut, die im Mittelniederländischen vorkommt, weist Ampzing nicht völlig zurück, die Übersetzer der Statenvertaling behalten diese Zeichenkombination nach , , und bei. Sodann benutzten sie sowohl wie im Anlaut vor a, o, u, l, n und r, weiter für den Spirant vor e und und für Verschlusslaut. Als Erster verwirft Van der Schuere die überflüssige Verwendung des als Bezeichnung für k. d, t Nach Erasmus ist das d ein ‚dickerer‘ Laut als t, Lambrecht umschreibt sie beide als Dentalen, De Heuiter erwähnt, dass d dicker und voller wäre als t. Aus seiner artikulatorischen Beschreibung folgt, dass er d zu den Mutae rechnet: De. Een vande stomste consonanten (‚De. Einer der „stummsten“ Konsonanten‘). Sowohl d wie t beschreibt De Heuiter als alveolare Explosive, bei d schlägt die Zungenspitze gerundet gegen die Oberzähne, t’ scharp van de toinge zonder geluit/ die bovenste tanden bina slaende, bei t berührt sie gerundet Ober- und Unterzähne. Sodann hält De Heuiter fest, dass d einen ‚etwas dickeren oder volleren‘ Laut als t darstellt: een lettel dicker of volder van geluit. Van Heule schlägt 1633 d zu den Liquidae. Die Twe-spraack hält fest, dass d und t sich am Ende des Wortes lautlich ähneln, wobei sich die Frage stellt, ob es sich dabei tatsächlich um phonetische Unterschiede handelt oder ob die Rede von Schreibvarianten ist. Einige Grammatiker, wie Van der Schuere und Ampzing, deuten immerhin einen stimmhaften Laut im Auslaut an, so heisst es bei Ampzing, dass einige wenige Wörter, die mit d enden, auch mit d gesprochen würden. Montanus bemerkt diesbezüglich Ähnliches, wenn er schreibt, dass de ,ch‘ in ic ,weech‘, de ,s‘ in ,ic raes‘, de ,f‘ in ic ,leef‘, de ,t‘ in ,mont‘, ,Got‘, luiden dicwils zoo: en moogen dan ooc met ,g‘, ,z‘, ,v‘ en ,d‘ beduit worden, das heisst ch in weech, s in raes, f in leef , t in mont, Got dürfen auch mit g, z, v und d umschrieben werden. Die schriftliche Verwendung von und beruht zum Teil auf phonemischen Unterschieden. In Einklang mit seinem phonetischen Ausgangspunkt zieht De Heuiter es vor, für den stimmlosen Konsonanten in Auslautposition zu schreiben, obschon er auch zulässt: got of god. Dagegen lehnt er in diesem Fall ab: Godt/ wat douter [=doeter] t. of d? (‚ „Godt“, warum stehen hier t oder d?‘). Die Twe-spraack stellt auch fest, dass d und t in der Auslautposition ähnlich seien, sie seien jedoch in ghód und pót wegen der Regel der Analogie mit unterschiedlichen Graphemen zu schreiben: om datmen ‚ghoden‘ ende ‚pótten‘ zeit (‚weil man „ghoden“ und „pótten“ sagt‘).

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f, v Die lautlichen Unterschiede zwischen f und v stuft Lambrecht als gering ein, De Heuiter hält v für eine Variante von f, die ‚ein wenig dicker oder voller‘ ist: een lettel dicker of volder. Lambrecht stellt als Unterschied zwischen f und v fest, dass der Luftstrom bei der Artikulation des v weniger kräftig sei als bei dem des f, Sexagius bezeichnet v als crassum f oder ‚dickes f‘ und ähnlich hält De Heuiter v für ‚ein wenig dicker und voller‘, Van der Schuere nennt f einen ‚viel stärker auspressenden Laut‘ als v. Mit der Beobachtung, dass f ‚schärfer lautet‘ (is scherper van gheklanck) als v, deutet die Twe-spraack wahrscheinlich an, dass es ein stimmloser Laut ist. In der Twe-spraack werden v und f im Anlaut als orthografische Varianten des gleichen Lautes behandelt wie b und p in krab und klapt, was bedeutet, dass v in Amsterdam als stimmloser Spirant, f, artikuliert wurde. Das f wäre nach De Heuiter ein ‚harter‘, gemeint ist wohl ‚scharfer‘ Semivokal, der labiodental mit stark ausströmender Luft artikuliert wird. Andere Grammatiker, wie auch Sexagius und Van Heule, scheinen f zu den Mutae zu rechnen. Letzterer deutet stimmhafte Spiranten im Auslaut in Wörtern wie in haav (‚Hab‘) an, die mittelniederländischen Formen mit nachfolgendem e und vorhergehendem langem Vokal oder Diphthong wie have entsprechen. Auch Dafforne erwähnt den stimmhaften Konsonanten im Auslaut, wenn er die Schreibung von graaf (,Graf‘) bespricht. Dass die Aussprache von v als f, wie bei ‚den Hochdeutschen und Friesen‘, keine Seltenheit ist, erwähnt Van Heule mit einem Beispiel wie Froom‚ auch Montanus nennt die Aussprache f und s für v und z, die er als friesisch betrachtet. Dafforne nennt die Aussprache f für v ebenfalls, beispielsweise in fader, während die Übersetzer der Statenvertaling diesbezüglich zögern. Für die Rechtschreibung setzt die Twe-spraack die Wahl von und in Anlautposition in Bezug zur Regel der Analogie, wie diese für p in krabt und klapt zur Anwendung kommt. Die Grapheme würden hier somit beide einen stimmlosen Spiranten /f/ bezeichnen, wie dies auch heute in Varianten des Niederländischen der Fall ist. Beim Unterschied zwischen und beachten die Grammatiker artikulatorische Merkmale, die auf ein labiodentales v und ein bilabiales [ʋ] deuten. Eine kleinere Gruppe Wörter wie faam (‚Ruhm‘), faas (‚langweilig‘) oder fruit (‚Obst‘) mit einem anlautenden f wären, wie De Heuiter mit Recht behauptet, fremden Ursprungs, dennoch ist die Schreibweise nicht wie in den übrigen Lehnwörtern, sondern . Die Übersetzer der Statenvertaling halten sich ausdrücklich an die Schreibweise im Auslaut, wie in roof (‚Raub‘), im Anlaut wählte man gelegentlich, insbesondere bei Lehnwörtern mal , mal . g, gh, ch Die Grammatiker, die mehrere Namen für nennen, beschreiben unterschiedliche phonemische Merkmale dieses Graphems. Sexagius erwähnt die Bezeichnung zje, sein Beispiel Gène deutet auf die französische Herkunft dieses Lautes, schlägt ansonsten für g die Namen ge oder ga vor. Weiter ist der Name dje im Umlauf, den Montanus für eine falsche Bezeichnung des g hält, sodann verwendet man jee, eine Bezeichnung, die sowohl De Heuiter als auch Van der Schuere und Ampzing ablehnen. Schliesslich nennt Van der Schuere die Bezeichnung ge wie bei den Hoogduydschen als richtig wegen der ‚Kraft‘, die g im Niederländischen habe. Van Heule, der g unter den Liquidae nennt, weist auf die Verschärfung des g im Auslaut und Sandhi. De Heuiter, der g

XIII  Jan (Joannis) Vermeer (1632–1675), Schreibende Frau mit Dienstbotin, zirka 1670/71, National Gallery of Ireland, Dublin.

XIVa  Jan (Joannis) ­Vermeer (1632–1675), Brieflesende Frau,   zirka 1663,   Rijksmuseum ­Amsterdam.

XIVb  Pieter de Hooch (1629–1684),   Ein Mann liest einer Frau einen Brief vor,   zirka 1670/74,   The Kremer Collection.

5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit

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zu den Mutae rechnet, beschreibt diesen Laut, wie später u.a. Van der Schuere, als Spirant: G. spruit uit t’middel vande mont/ omtrent t’gehemelt onbescheit/ mouilic geluit door weinih wints makende/ tot dat haer enige vocale t’leven geeft (‚G. entsteht in der Mitte des Mundes irgendwo am Gaumen, ein schwieriger Laut, den man mit ein wenig Wind hervorbringt, bis irgendein Vokal ihm Leben gibt‘). Die Twe-spraack beschreibt g im Vergleich zum gh als stimmhafteren Okklusiv, sowohl im Auslaut als auch bei der Geminate gg. Im Anlaut dürfte das Zeichen ebenfalls einen stimmhaften Okklusiv andeuten, abgesehen von den Positionen vor l und r. Die Verfasser halten gh wohl für einen stimmhaften Laut, wenn sie ihn als ‚zu dick und schwer‘ (te dick ende zwaar) für lachen (‚lachen‘) erachten, das mit ch einen ‚scharfen‘ Laut habe. Montanus beschreibt g, von ihm gee genannt, als stimmhaften Spiranten. Im Laufe der Zeit sollte jeweils einen Spiranten bezeichnen, einen scharfen Spiranten. Zu den Zeichen und finden sich recht unterschiedliche Auffassungen in den Grammatiken. Van Varenbraken stellt fest, dass man den ‚eigentlichen‘ Laut des g vor e und i höre, Lambrecht schreibt vor e und i, vermutlich um Verwirrung von mit einem j-Lautwert vor e und i zu vermeiden, ansonsten verwendet er . Becanus fasst die j-Aussprache des g zuerst als flämische Erscheinung auf, später verallgemeinert er sie. De Heuiter hingegen verneint ausdrücklich, dass ein j andeutete: nimant spreect: ij, jeven, jejeven, jelijc (‚Niemand spricht ij, jeven, jejeven, jelijc‘ – sondern g jeweils an Stelle von j), womit er diese Erscheinung immerhin nennt. Sexagius, der die Schreibweise ablehnt, gibt g den Namen ga oder ge an Stelle von ghe. Die Twe-spraack wiederum lehnt die Wiedergabe von j mit dem Graphem ab: statt gicht solle man iicht (‚Gicht‘) schreiben. Aus den Beschreibungen der Twe-spraack ist zu folgern, dass eher als [ng] einen ‚dickeren‘, stimmhafteren Okklusiv darstellt als . Die Grapheme und würden sich phonetisch unterscheiden: der Spirant gh, der wat blazende vóórt komt (‚etwas blasend daherkommt‘), sei laut der Twe-spraack ‚zu dick und schwer‘, um den Laut in lachen darzustellen (siehe oben), folglich sei gh zu stimmhaft, um [x] wiederzugeben. Auch wenn gh im Auslaut als ch zu hören ist, so sollte man beibehalten wegen des oben erwähnten Grundsatzes eenpaartigh (‚regelmässig‘ oder ‚einstimmig‘): dagh wegen daghen, zagh wegen zaghen. Die Schreibweise sollte mit der Zeit verschwinden zugunsten von . In seiner Grammatik von 1625 möchte Van Heule die alte Praxis der ‚veränderlichen Wörter‘ (veranderlicke Letteren) bei Schlusslauten beibehalten, t würde im Plural zu d, beispielsweise in Hont (‚Hund‘), Honden (‚Hunde‘). Weiter nennt er diesbezüglich ch, zum Beispiel in Heylich (‚heilig‘), das sich nach seiner Auffassung im Adjektiv in g verwandle (Heylige). Die Statenvertaling bevorzugt im Auslaut ebenfalls für , auch am Schluss der Silbe wie in klachte (‚Klage‘). De Heuiters Bestrebungen, die Orthografie möglichst zu vereinfachen, führen dazu, dass er als Zeichen für [ch] wählt, verwendet er für ks: kraht für kracht (‚Kraft‘), dagelix für dagelijks (‚täglich‘). h Lambrecht gibt h den Namen há/ of haats, der vom französischen hache stammt, wogegen De Heuiter sich wehrt: Leert die kinderen zeggen ha. niets haetse/ op dat zij van geen letter een Franse bijl maken (‚Lehrt den Kindern „ha“ sagen und nicht „haetse“, damit sie aus keinem

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Buchstaben eine französische Axt machen‘). Das h, das De Heuiter zu den Mutae rechnet, artikuliere man nach seiner Beschreibung mit einem starken Atemfluss entlang dem Gaumen, dank einem Vokal werde es erst hörbar. Anzunehmen sei, dass dieser Vokal nach dem h folgt wie in halm (‚Halm‘), da der Verfasser aber beim h auch die Lautwerte g und ch unterscheidet, meint er wohl ebenfalls einen vorhergehenden Vokal wie in weh (‚weg‘) oder gewiht (‚Gewicht‘). Wie Erasmus und andere Grammatiker wirft De Heuiter den Flamen einen falschen Gebrauch des h vor: Waht u mede h. te gebruiken als den Flamijnc dout/ maer volht hier alle dander Nederduitse landen eendrahtige lieflicke zede en maniere (‚Hüte Dich „h“ zu gebrauchen wie die Flamen, sondern folge diesbezüglich einträchtig den lieblichen Sitten und Manieren der anderen niederländischen Länder‘). Soweit er damit die Deletion des glottalen Frikatives h anspricht, wie in olant (,Olland‘), für holant (,Holland‘), ist zu ergänzen, dass diese, auch in anderen, u.a. romanischen Sprachen bekannte Erscheinung, möglich unter Einfluss des Pikardischen in mehreren südwestlichen Varianten des Niederländischen, so im Brabantischen und Seeländischen auftritt. Auch in östlichen Dialekten kommt sie vor, da eventuell unter dem Einfluss der Verwendung von Französisch durch die Gebildeten. Umgekehrt erscheint in westflämischen Dialekten h an Stelle von g, zum Beispiel in bruhe statt bruge (‚Brügge‘). Nach Lambrecht wäre in Nachfolge der ‚Latiner‘ kein Buchstabe, Sexagius nimmt ihn hingegen in sein Alphabet auf, laut De Heuiter war das Zeichen Hama bei den Griechen nie Bestandteil des Alphabets. Bei den Latinern gelte in der Regel als Hinweis, um den folgenden Vokal zu verstärken. Nach seiner Meinung kommt nicht nur vor Vokalen und Diphthongen vor, sondern auch vor Konsonanten, zudem nach Vokalen und Konsonanten. Somit bezeichnet das Graphem sowohl den Lautwert h, zum Beispiel in houden (‚halten‘) als auch g in volhden (‚folgten‘) oder ch in nahten (‚Nächte‘). De Heuiter ist gegen die Verwendung von nach in Positionen vor oder in der Hoffnung, dass Kinder künftig gij (‚Sie‘) an Stelle von ghij schreiben mögen ohne das überflüssige : zonder d’onnotelicke h. Trotzdem verwendet De Heuiter selbst öfter dieses entbehrliche – war der Drucker schuld oder liess der Verfasser sich durch die Rechtschreibtradition verwirren? Sodann lehnte die Statenvertaling ein nach ab wie in toonen (‚zeigen‘). j Der Unterschied zwischen i und j kommt in den Grammatiken anfänglich unterschiedlich zum Ausdruck. Lambrecht unterscheidet grafisch zwar als Vokal und als Konsonant, fehlt aber in den Beispielen von niederländischen Lettern. Auch De Heuiter führt nicht im Überblick der Konsonanten auf, obschon er, wie auch die Twe-spraack, einen klaren Unterschied zwischen und befürwortet. De Heuiter und Sexagius verwenden vor Vokal beziehungsweise Diphthong am Anfang eines Wortes oder zwischen zwei Vokalen, ähnlich wie das als Konsonant. Problematisch bei einer Einstufung des beziehungsweise als Konsonant ist sein Lautwert. Es kann als verengt artikuliertes i aufgefasst werden, wäre allerdings als Mitlaut einzustufen, da es keine Silbe bilden kann. Für das i verwendet De Heuiter ein ‚doubbel‘ (‚doppeltes‘) , das in offenen Silben mit zu schreiben wäre, wie in schriven (‚schreiben‘). Die Twe-spraack unterscheidet mit dem

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einen I-Laut, bezeichnet i. sowohl in offenen wie in geschlossenen Silben. Zum heisst es: De j, een meklinker zynde gheven wy (zó óóck andere voor ons ghedaen hebben) een kleyn staertken om jes, ende iet te onderscheyden (‚Dem j, einem Konsonanten, geben wir – wie auch andere vor uns getan haben – einen kleinen Schwanz, um jes und iet zu unterscheiden‘). Weiter erwähnt die Twe-spraack die Rechtschreibung des j-Klanges mit dem Graphem , siehe dazu oben unter g. Obschon die Verfasser den Drucker Plantijn loben wegen der Einführung des Buchstabens , lassen sie im Überblick der Lettern das weg. Tatsächlich hatte Plantijn als Drucker schon ab 1555 und in seinen Ausgaben voneinander unterschieden. Van Heule erwähnt neben dem einzelnen ein ‚doppeltes‘, geschrieben als , und separat das , Dafforne und Van der Schuere schreiben ähnlich für [I] und für [i·], sodann unterscheiden sie ein , wofür Van der Schuere das Graphem bevorzugt. l Das l wäre nach De Heuiter eine Liquida, die unilateral artikuliert wird, und zwar ‚rechts im Mund‘. Inwiefern er sich dabei auf Beobachtungen bei sich selbst stützt, ist nicht klar. Laut De Heuiter bezeichnet den ‚ersten der Semivokale‘, da man es nicht ‚nennen‘ kann ohne vorhergehenden Vokal. Seine Beschreibung macht klar, dass er es bei den Liquidae einteilt. m Das bezeichne nach De Heuiter eine Liquida, die er auch zu den Semivokalen rechnet. Es komme ‚am Anfang, in der Mitte oder am Schluss‘ der Wörter vor. Vom m gibt er sowohl eine artikulatorische als auch akustische Beschreibung, denn es heisst: m: Is een sware semivocael/ die met gesloten mont inde lippen geboren wardende niet zonder gelikenisse van stil kouien/ geroup of gelour voorts komt/ zoudende haer zelven geheel beschamen/ ten ware die voorgaende e. haer ere bewaerde. (‚m: ist ein schwerer Semivokal, der mit geschlossenem Munde in den Lippen geboren wird, nicht ohne Übereinkunft mit dem stillen Rufen oder Muhen von Kühen, und der völlig beschämt wäre, sollte das vorhergehende e seine Ehre nicht bewahren‘; gelour ist hier wohl als geloui, ‚Muhen‘, zu verstehen). In seinen Trappen vande hoochte des Geluits (‚Lautstärkestufen‘) rechnet Montanus m zu den Naestlaechste-letteren oder zu der zweittiefsten Gruppe der Lautstärke, wobei er festhält, dass je ‚tiefer‘ Nasale im Mund artikuliert werden, umso stärker lauteten sie, eine Beobachtung, welche die moderne Phonetik bestätigt. Übrigens erwähnt Van der Schuere beim Aussprechen von Nasalen die Entstehung eines Svarabhaktivokals in Wörtern wie verdwelmd (‚betäubt‘): zoo schijnt de zelve Sillabe haer in tween te willen verdeelen (‚so scheint sich diese Silbe in zwei spalten zu wollen‘). n, ng, nk Das n beschreibt De Heuiter im Vergleich zum m als ‚freundlicher‘ und ‚kräftiger‘, was auf einen klareren und kräftigeren Laut deutet. Laut dem Verfasser kann sich der Mund bei der Artikulation des n, das vorne gebildet wird, wohl als ein Apikal-Dental, ein wenig öffnen. Dass dabei die Zunge kurz die Lippen berührt, die lippen weinih vande toinge wardende geslagen scheint weniger wahrscheinlich, vielleicht sind hier Zähne an Stelle von Lippen gemeint. Mit kann ein

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Grammatiker wie Van der Schuere [ŋk] bezeichnet haben, in der Beschreibung von Montanus hat sich die progressive Assimilation des [ŋ] sowohl im Auslaut wie intervokalisch verwirklicht, denn er beschreibt als einen einzigen Konsonanten. Die Twe-spraack bemängelt die Velarisierung von n nach Kurzvokal und vor Dental: die Aussprache [ngt] für [nt], die mancher Schriftsteller wie Bredero den weniger gebildeten Holländern in den Mund legte, zum Beispiel hongdert (‚Hundert‘) an Stelle von hondert, lehnt sie somit ab. Zudem beanstandet sie Bildungen wie kijeren aus kinderen, in denen ein langer Vokal aus Kurzvokal mit Nasal vor scharfem Spirant entstand. Das Graphem bezeichne nach De Heuiter wie eine Liquida. Die Aussprache der Zeichenkombinationen und bespricht er nicht weiter. Im absoluten Auslaut schreibt er , das in dieser Position wohl für einen velaren Nasal mit stimmlosem Explosiv k steht. Ob bei ihm zwischen zwei Vokalen einen velaren Nasal mit stimmhaftem Explosiv andeutet, ist nicht klar. p, ph Die Grammatiker stellen ‚grosse Übereinstimmung‘ zwischen p und b fest: p (heeft) grote gelikenisse en gemeenschap met b. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden sei, wie u.a. Sexagius in seiner Beschreibung von p festhält, dessen Stimmlosigkeit. Grammatiker wie De Heuiter oder Van der Schuere bevorzugen die -Schreibweise in Lehnwörtern wie philosooph (‚Philosoph‘) oder diphthongen (‚Diphthonge‘), da ‚sie fremdländisch und unserer niederländischen Rechtschreibung nicht unterworfen sind‘: zy uyt-hémsch ende onze Nederduydsche Spellinge niet onderworpen en zijn. Einige Wörter mit anlautendem f, die nach De Heuiter einen fremden Ursprung haben, wie fruit, werden jedoch nicht mit geschrieben. Im Niederländischen dagegen, so schreibt Van der Schuere, behalten p und h ihre eigenen Lautwerte, wenn sie nacheinander erscheinen, wie in den Beispielen slap-handig (‚schlaff‘) oder op-houden (‚aufhören‘); eine ähnliche Beobachtung für das Deutsche ist bereits in Johannes Kolross’ Enchiridion: handbüchlin Tütscher Orthography (1529/30) mit dem Beispiel Schnapp-han zu finden. q Das q betrachtet De Heuiter als ‚stummen‘ Konsonanten, qu wird ‚mit Hilfe des Vokalen u fast wie c oder k geboren‘, allerdings mit Rundung der Lippen. Dabei befremdet der Ausdruck Vokal für u, handelt es sich bei doch um [kw], einen Explosiv mit Semivokal, der durch folgendes w bilabial artikuliert wird. Die Aussprache k von , ‚wie der Franzose es ausspricht‘, lehnt er ab, daher sei es vernünftig, den Namen ‚ku‘ für ‚q‘ durch eine andere Bezeichnung zu ersetzen. Zwar sieht De Heuiter Übereinstimmungen zwischen c, k und q, es sind ‚grosse Nachbarn‘, dennoch stellt er Unterschiede fest. Er betrachtet q wahrscheinlich als gerundetes k, das mit Hilfe des Vokals u gesprochen wird, wobei die Zeichenkombination vermutlich diesen Laut bezeichnet. Er überlegt sich offenbar nicht, dass man dementsprechend schreiben könnte. Auch andere, wie die Übersetzer der Statenvertaling, schrieben für [kw], so buchstabierten sie kwam (‚kam‘) als quam. Zur Zeichenkombination hatte der deutsche Grammatiker Ickelsamer bereits bemerkt, dass das u in qu einen w ähnlichen Laut habe. Trotzdem

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sollte man nach seiner Meinung hier nicht sondern schreiben, denn also lautet es auch subtiler, wers mercken kan. Auch Kolross verlangte mit Vokal nach , denn mit u entsteht ein vermischt gethön. Montanus deutet dann an, dass einen w-Laut enthält, erst Leupenius folgert aber, dass das Niederländische auf die Zeichenkombination verzichten könne, da den Lautwert vollkommen zum Ausdruck bringt. r Nach De Heuiter bezeichnet r eine Liquida, die er unter den Semivokalen aufführt. Wie ältere lateinische Grammatiken und auch Ickelsamer bereits vermerken, käme r laut ihm dem Knurren eines Hundes gleich: eR. Wart een honts letter genomt/ om dat haer uitspraec gelijct tgegnor van enen grammen hont. Es kommt nach De Heuiter hinten aus dem Mund, wobei die Zunge sich etwas nach oben krümmt bei geöffneten Lippen. Eventuell deutet er damit einen apikalen Laut an. Das r sei schwer auszusprechen für diejenigen, die ‚dick und kurz von Zunge‘ sind: en mitsdien swaer om uitspreken den genen die dic en kort van toinge zijn. Zudem erwähnt er, dass manche in Latein und Französisch r gelegentlich als s artikulieren, namentlich auch Pariser Frauen, und zwar um die Aussprache des r zu vermeiden: zeggende voor: ,encoire‘, ,boire‘, ,voire‘: ,encoise‘, ,boise‘, ,voise‘, om r. te schuwen. Nach Montanus gibt es veelderlei Soorten (‚viele Sorten‘) r, von denen er die Tand-erren (‚dentalen r‘) bespricht, die es in vielen Sprachen gebe. Nach Van der Schuere kann zwischen Vokal und in der gleichen Silbe kein anderer Konsonant stehen. Die Statenvertaling benutzt weiterhin ohne System zwei verschiedene Grapheme für gerundetes und nicht gerundetes /r/. s, z Das s, das De Heuiter als ‚festen Semivokal‘ einstuft, womit er wahrscheinlich ein Liquida meint, entsteht nach seiner Beschreibung zwischen den zwei Lippen, die sich etwas bewegen, und schlägt mit einem richtigen Schlangengebläse gegen die Zähne: S. die twede vaste simpele vocael wart geboren tuschen die twee lippen/ die zelve een weinih rourende/ ende hart omtrent die tanden slaende met een opreht slaingen geblaes. Er stellt Verwandtschaft zwischen s und z fest, letzteres sei aber ‚dicker‘ oder ‚voller‘. Die Twe-spraack beschreibt s im Vergleich zum z als stimmloser und weiter nicht eindeutig als ‚leichter‘ (lichter). Dagegen habe z einen ‚dickeren‘ Laut (dicker gheluyd). Sexagius nennt z ebenfalls ein crassum s, ähnlich beschreibt De Heuiter z als ein volles, ‚angenehm‘ klingendes s. Allerdings bemerkt die Twe-spraack, dass man im Gegensatz zu den Vorfahren den Unterschied zwischen s und z nur geringfügig hört und stellt zwischen s und z eine ‚grosse Übereinkunft‘, gróte gemeenschap fest. Laut der Umfrage der Verfasser sind nur geringe Unterschiede zwischen den beiden zu hören. Dies scheint De Heuiter zu bestätigen, wenn er die Verwirrung bezüglich s und z für einen der gröbsten Fehler hält, die Grammatiker machen: een vande plompste misbruiken die onder onze Taalschrivers mogen bevonden warden. Bereits Van Varenbraken stellte fest, dass man z durch s ersetzt, ein halbes Jahrhundert später bestätigt die Twe-spraack, dass man z nur noch wenig verwendet, dies in Widerspruch zur Mitteilung in Plantijn 1573, das s werde in der niederländischen Sprache fast wie lateinisch z ausgesprochen. Diese Diskussion deutet wohl an, dass im Nordwesten, anders

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als namentlich im Süden, Spiranten tendenziell stimmlos artikuliert wurden, wie dies heute auch der Fall ist. Zur Rechtschreibung hält De Heuiter fest, dass man schreibe, wo man s hört, seine Beispiele betreffen Lehnwörter wie simpel (‚einfach‘), aus [ts] entstandenes s im Anlaut wie samen (‚zusammen‘), in Wörtern vor Kurzvokal gefolgt von einer Geminate wie in suffen (‚dösen‘), im Auslaut von Adjektiven auf s, die flektiert auf e enden wie in Duitse (,deutsche‘), vor einem Konsonanten wie in snel (‚schnell‘) und auch vor w wie in swigen (‚schweigen‘), wo man heute schreibt und [z] spricht. Die Rechtschreibung von geensins (‚keineswegs‘), heute als geens­ zins zu schreiben, die auf Assimilation des z zurückzuführen ist, zeigt De Heuiters Neigung, phonetisch zu buchstabieren. 1636 erwähnt Van Heule in seiner Grammatik als Beispiele der ‚veränderlichen Letter‘ in : Wijs (‚Weise‘) und Wijzen, in : Wijf (‚Weib‘) und Wijven, in : Zaec (‚Sache‘) und Zaecken. In der Statenvertaling kommt im Anlaut gelegentlich vor wie in zee (‚Meer‘), mehrheitlich verwenden die Übersetzer aber wie in seggen (‚sagen‘), was auch für den Inlaut gilt, zum Beispiel in esel (‚Esel‘). Obschon man z und s lautlich unterschied, herrschte wohl Unsicherheit über deren Rechtschreibung. sch Die Zeichenkombination erscheint in den Beispielen von De Heuiter u.a. am Anfang von betonten Silben, wohl als Bezeichnung von [sx], wie in gescheurt (‚gerissen‘), wobei er nicht durch ersetzen, sondern sich an die jahrhundertealte Schreibweise halten möchte. Zur Schreibung wie wohl auch Aussprache von am Schluss des Wortes rät er metter tijt, auf die Dauer, ab: Nederlants (‚niederländisch‘), Mens (‚Mensch‘) oder wens (‚Wunsch‘) schreibe man an Stelle von Nederlandsch, mensch und wensch, allerdings lässt der Verfasser an anderer Stelle den Lesern die Wahl zwischen den Schreibweisen und . Die Rechtschreibung von in dieser Position sollte im Übrigen noch im 20. Jh. in Neuregelungen der Orthografie zur Diskussion stehen. Aus den Beispielen, die Sexagius nennt, ist immerhin zu folgern, dass am Wortende in Sprachvarietäten wie in der Stadt Mechelen einen anderen Laut als das s bezeichnete, wie in versch (‚frisch‘) gegenüber hęus (‚Haus‘), wobei er verwendet in Wörtern, die altgermanisch sk am Schluss hatten. Die sk-Aussprache vor Vokal, die heute noch in Nordholland, im Norden Brabants und im Südosten der Provinz Westflandern vorkommt, scheint De Heuiter abzulehnen, wenn er verlangt, schrijft an Stelle von scrijft zu buchstabieren.Van Heule deutet Ausspracheunterschiede zwischen sch und s am Schluss des Wortes an, wenn er bemerkt, dass diesbezüglich Buchstaben weggelassen werden, um die Aussprache zu ‚versüssen‘ wie Mense, Zeeuse und Hollanse an Stelle von Mensche, Zeeusche und Hollansche. Die Übersetzer der Statenvertaling berücksichtigen die Etymologie bei der Verwendung der Zeichenkombination , zum Beispiel in vleesch. Im Inlaut verdoppelten sie das wie in briesschen (‚schnauben‘). u, v Lambrecht stellt bereits 1550 u und v als Vokal bzw. Konsonant unterschiedlich dar, neun Jahre später sollte der Pariser Drucker Chrétien Wechel auf Bitte von Rasmus die Trennung zwischen

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und zum ersten Mal systematisch in Frankreich durchführen. Zur Aussprache des Konsonanten u hatte Ickelsamer bereits bemerkt, dass im Deutschen vor Vokal als f zu lesen sei. Die Verwendung der Zeichen und war in den Niederlanden vorläufig noch uneinheitlich, De Heuiter hatte 1581 denn auch Grund zu empfehlen, man solle in der Orthografie beim und zwischen den beiden Phonemen unterscheiden. Auch die Twe-spraack rät, für den Konsonanten ein und für den Vokal ein zu verwenden, eine Schreibweise, die sich dann allmählich durchsetzte. w Das w, das De Heuiter nicht zu den Semivokalen, sondern zu den Mutae rechnet, wurde wahrscheinlich bilabial artikuliert, wie aus der vergleichenden Beschreibung von v und w in der Twe-spraack hervorgeht: (…) dat de ‚v‘ met de lippen an de bovenste tanden roerende ende de ‚w‘, met een open mond ende uytpuilende lippen uytghesproken worden (‚… dass das „v“ mit den Lippen, die die oberen Zähne berühren, und „w“ mit offenem Mund und hervorquellenden Lippen ausgesprochen werden‘). Laut De Heuiters Beschreibung zieht man dabei die Lippen nach rechts: naden rehter houc betreckende, was auf eine in seiner Zeit vorkommende Aussprachevariante deuten kann. Sowohl Sexagius als auch De Heuiter scheinen Übereinstimmung zwischen dem stark vokalischen Lautwert des lateinischen v und des niederländischen w, das dem u nahe stand, festzustellen. Daher verwendet Sexagius an Stelle von . De Heuiter bevorzugt , um diesbezüglich der Entwicklung der Muttersprache gerecht zu werden und zu verhindern, dass man u sprechen würde, wo man w mit bezeichnete. De Heuiter nimmt im Gegensatz zu Sexagius das ins Alphabet auf und benennt es als wa, damit die Schuljugend unmittelbar hört, welchen Laut das bezeichnet. Die gebräuchliche Bezeichnung ‚dubbel u‘ (‚doppeltes u‘) lehnt er ab, um Verwirrung zu vermeiden. De Heuiter scheint zwischen zwei Vokalen weglassen zu wollen, aus seinen Beispielen geht hervor, dass er auch auf verzichtet nach u: blau (= blauw, ‚blau‘). Die Angaben in der Twespraack machen klar, dass einen bilabialen Laut bezeichnet, der vom Graphem zu unterscheiden sei als Bezeichnung des labialen v. x In De Heuiters genetischer Beschreibung des x kommen das velare Merkmal des k und der starke Luftstrom zum Ausdruck. Er teilt x bei den Semivokalen ein. Laut De Heuiter kann das Zeichen dazu dienen, [cs] und [gs] anzudeuten. Er lehnt es ab, an Stelle von zu verwenden: man schreibe dagelix (,täglich‘) statt dagelicx. Sodann könne x nicht am Anfang niederländischer Wörter vorkommen, ebenso wenig in Wörtern, die keine Zusammensetzungen oder Ableitungen sind. Die Statenvertaling lehnt im Genitiv ab: die Übersetzer schrieben conincs an Stelle von conincx oder coninx (‚des Königs‘). In Adverbien findet es aber Verwendung, wie in stracx oder strax (‚später‘), auch in Diminutiven wie in volxken neben volcsken (‚Völkchen‘) sowie in einigen Substantiven wie blixem (‚Blitz‘).

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5.4.1.4. Zeichensetzung Lambrecht widmet der Zeichensetzung, die sich in den ältesten gedruckten niederländischen Büchern anfänglich jener zumeist zweigliedrigen, eher auf den Rhythmus ausgerichteten Interpunktion der Handschriften anschloss, einige Abschnitte. Das Komma, dargestellt als [ , ], oder als [ / ], folgt laut dem Verfasser nach einem ‚halben oder gebrochenen‘ Satz. ‚Colon‘, mit dem Zeichen [ : ] angedeutet, steht vor Ergänzungen, ‚periodus‘, das Zeichen [ . ], schliesst den Satz ab. Zusätzlich zu diesen drei Zeichen, die offenbar als Grenzsignale wirken konnten, nennt Lambrecht ‚interrogatio‘, angedeutet mit [ ? ], das Fragen zum Ausdruck bringt. Steht das Fragezeichen am Schluss des Satzes, so hat laut dem Verfasser eine Majuskel zu folgen. Das Ausrufezeichen [ ! ] dient zum Ausdrücken von Verwunderung, könnte aber auch ‚nach anderen Adverbien‘ und nach Interjektion folgen. Schliesslich dienen Parenthesen, ‚halbe Kreise‘ mit den Zeichen [ ( ) ] dazu, Zwischenthesen zuzufügen, bei deren Weglassen der angefangene Satz ‚ganz‘ bleibt. Lambrechts Satzzeichen sind wohl als Andeutungen zu syntaktischen Strukturen und als Hinweise zum rhythmischen Lesen zu verstehen, wobei Komma, Doppelpunkt und Punkt Teilsätze beziehungsweise Satzteile kennzeichnen können. Bis ins 17. Jh. erschienen in den Niederlanden Texte, die eine derartige, dreigliedrige Interpunktion kennen, sogar die alte zweigliedrige, rhythmische Zeichensetzung kommt dann noch vor. Allmählich sollte sich jedoch, unter Einfluss der Orthographiae Ratio (1566) des Venezianer Druckers Aldo Manuzio des Jüngeren (1547–1597) auch in den Niederlanden ein System mit vier Zeichen, die je nach Kontext als Grenzsignale wirkten, durchsetzen. Die niederländischen Grammatiker schenken allerdings der Zeichensetzung wenig Aufmerksamkeit. Die humanistischen Erneuerungen der Orthografie, angereizt von Manuzio, die sich dank den Druckern im Laufe des 16. Jh. schnell verbreiteten und sich im 17. Jh. behaupteten, finden bei ihnen kaum Beachtung. So bespricht Sexagius die Satzzeichen nicht, De Heuiter behandelt sie kurz, nicht nur als Zeichen, die syntaktische Strukturen unterscheiden, sondern auch als Hilfsmittel, die das ‚richtige‘ Lesen fördern. Offenbar sind De Heuiters Ausführungen nicht nur als Hinweise zum Setzen von Zeichen beim Schreiben gemeint, wie dem folgenden Zitat zum Anführungszeichen mit der Bemerkung zur Grossschreibung zu entnehmen ist, sondern auch als Unterstützung beim lauten Lesen, hebt der Verfasser doch die Regulierung des Atmens hervor: „. Dit betekent de voorgaende redens einde/ met een nieuë redens begin/ mogende daerom die zelve nieuë redens eerste letter groot maken/ ende u aseme starc verhalen. ([ „ ] Dies bedeutet den Schluss der vorhergehenden Rede mit dem Anfang einer neuen Rede, daher möge man die neue Rede mit Majuskel anfangen und tief atmen‘). Für das Komma nennt De Heuiter wohl das Zeichen [ , ], das man vermehrt in Antiqua-gesetzten Texten verwendete, aber das in gotischer Schrift gebräuchliche Zeichen [ / ] lässt er unerwähnt, obschon es in seinem Text, auch bei der Erklärung des Kommas, zum Einsatz kommt. Die Twe-spraack behandelt die Zeichensetzung nicht, Van der Schuere dagegen bespricht die Af-teekeningen, Interpunktionszeichen, da sie an den niederländischen Schulen unklar unterrichtet werden und es doch ‚sehr notwendig‘ sei, sie zu kennen: om dat in onze Nederduydsche Scholen zeer weynige onder-scheydelijke onder-wijzinge daer van in’t lezen ende schrijven / de leerzaem jongheyd word voor-gehouden / ende nochtans zeer noodig geweten diend. Laut dem

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Verfasser dient die Interpunktion nicht nur zum besseren Lesen, sondern auch zum besseren Verstehen der Sätze, so hilft das Komma, Satzteile zu unterscheiden und Atempausen anzugeben. In seiner Grammatica 1625 zählt Van Heule die zehn Byteykens, es handelt sich um diakritische Zeichen und Satzzeichen, nur kurz auf. In seiner Spraec-konst 1633, in der er diesbezüglich die Nederduydsche Spellinge zitiert, unterstreicht er die Bedeutung von Satzzeichen für das Lesen und Verstehen der Sätze, weicht aber auch von Van der Schuere ab, zum Beispiel bei der Besprechung des Kolons. Dafforne, der sich wünschte, dass sein Büchlein an der Schule eingeführt würde, zitiert in seiner Besprechung der Zeichensetzung Van der Schueres Ausführungen. Leupenius 1653 nennt von den Satzzeichen, die er Letterstippen nennt, kurz die Zeichen sneede [ / ], tuschenstellinge [ ( ) ], Doppelpunkt [ : ], Punkt [ . ], Fragezeichen [ ? ] und Ausrufezeichen [ ! ]. Zeichen, die ‚von aussen eingeführt sind‘ wie etc; lehnt er ab, man schreibe end oder ens. Auch weist er Akzentzeichen wie in kóól (‚Gemüsekohl‘) zur Unterscheidung von Homonymen wie kool (‚Kohle‘) zurück, die Verwendung von Bindestrich und Trennungszeichen lehnt er ab. Die Schriftsteller und ihre Drucker setzten in der frühen Neuzeit die Satzzeichen recht unterschiedlich, manche benutzen noch ein zwei-, andere ein drei- oder viergliedriges System, das einmal rhythmische, dann wieder syntaktische Hinweise lieferte. So verzichtet Spiegel, der seine Interpunktion wohl als rhythmische Anweisungen versteht, in seinem Hert-spiegel 1614, wie zuvor Coornhert, auf den Gebrauch des Semikolons. Roemer Visscher gebraucht es nur spärlich. Auch die ältesten Drucke der Statenvertaling zeigen eine dreigliedrige Zeichensetzung ohne Semikolon, nur zögerlich erscheint in dieser Epoche dieses Satzzeichen und damit die viergliedrige Zeichensetzung in niederländischen Veröffentlichungen. Der viel gelesene Cats benutzt dagegen das Semikolon mit Vorliebe, insbesondere vor Sätzen, die mit want (‚denn‘) oder maar (,aber‘) anfangen. Bei Vondel und Huygens deuten Kommas möglicherweise, je nach Kontext, Lesepausen an. Bei Hooft dürften Kommas und Semikolons gelegentlich, zum Beispiel in seinen Historien, Intonationsverläufe bezeichnen. Die Interpunktion hat allerdings in der Renaissance auch syntaktische Bedeutung. So markiert bei Hooft, der das viergliedrige System anwendet, das Semikolon offenbar nicht nur den Schluss eines Satzes, der mit einem nächsten verbunden ist, sondern auch unterschiedliche Trennungen im Satz. Ähnlich setzt er das Kolon ein, wohl bei stärkeren Trennungen als bei denen, die von Komma und Semikolon bezeichnet werden, der Doppelpunkt erscheint in seinen Texten aber auch als Ankündigung einer Aufzählung. Hoofts Interpunktion ist primär wohl als ein syntaktisches, sekundär aber auch als ein rhythmisches System aufzufassen. Die hier angeführten, willkürlich gewählten Beispiele deuten auf eine wenig einheitliche Anwendung der Interpunktion in der ersten Phase der Verschriftlichung des Neuniederländischen hin. Offenbar erfüllte sie, je nach Verfasser, Text und Drucker, unterschiedliche Funktionen: die Zeichen konnten syntaktische Strukturen markieren, Intonationsverläufe andeuten, als Hinweise zum rhythmischen Lesen dienen oder Lesepausen bezeichnen. Dass die Grammatiker dieser Epoche der Zeichensetzung nur wenig Platz einräumten, zeigt, dass sie der Orthografie, der Etymologie, der Syntax, der Prosodie und der Wortbildung wesentlich mehr Bedeutung beimassen als der Interpunktion.

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5.4.2. Syntax und Morphologie Bei der Beurteilung der Daten, die ergiebige primäre und sekundäre Quellen zur Syntax und Morphologie des Niederländischen der frühen Neuzeit liefern, ist zu berücksichtigen, dass die geschriebenen Formen der überregionalen Sprache dieser Epoche in der Regel wohl beträchtlich von den gesprochenen Varietäten des Niederländischen abgewichen haben. Zudem unterscheiden sich die betreffenden Ausführungen in den frühneuniederländischen Grammatiken nicht nur untereinander erheblich, sondern mit ihren häufig präskriptiven Regeln schildern die Grammatiker ein Idealbild sprachlicher Strukturen, das sich wiederum nicht selten von der damaligen Schreibpraxis abhob. Dichtung und sprachhistorische Wahrheit lassen sich daher manchmal nur schwer entwirren. In den folgenden Abschnitten sollen einige bedeutende Merkmale der Grammatik des geschriebenen Niederländischen in der frühen Neuzeit zusammengefasst werden. Zur verwendeten Methode und Terminologie siehe 1.2.2. 5.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen Im Frühneuniederländischen stehen Artikel und Demonstrativ in der Regel vor dem Substantiv, auch das Adjektiv erscheint meistens vor dem Substantiv: een voortvaerend man (PHW 238) (‚ein energischer Mann‘). Pränominale Adjektive erscheinen vermehrt mit zusätzlichen Bestimmungen: de erentfeste, seer geleerde ende bescheyden Here Antonis de Hubert (SAN 135) (‚der ehrenhafte, sehr gelehrte und bescheidene Herr Antonis de Hubert‘). Es gibt aber auch die im Mittelniederländischen noch eher gebräuchliche postnominale Position des Adjektivs, so in einem festen Ausdruck wie God almachtich (‚der allmächtige Gott‘ WBS 47), ansonsten wohl eher in literarischen Texten, namentlich der Rhetoriker: koningen zyn gewoon zoo te handelen, magtige en zwakke (PHW 238) (,Könige sind sich gewohnt, so zu handeln, mächtige und schwache‘). Offenbar kam diese Wortfolge in der Mitte des 17. Jh. doch noch so oft vor, dass Leupenius sich veranlasst sah, sie 1654 abzulehnen: ,een goed mann, een kloeuke vrouw‘, niet ,een mann goed, een vrouw kloeuk‘ (PLA 57) (‚ „ein guter Mann, eine tüchtige Frau“, nicht „ein Mann gut, eine Frau tüchtig“ ‘). Zwei Adjektive hingegen können laut ihm dem Substantiv wohl folgen: ‚een mann wys en geleerd‘ (PLA 57) (‚ „ein Mann weise und gelehrt“ ‘). Hooft bestätigt dies mit einem Beispiel wie: Gode, zynde goedt en wys (‚Gott, gut und weise‘ PHW 247). Vermehrt kommt die Wortfolge von einem verstärkenden Adverb wie so (‚solch‘) oder dus (‚dermassen‘) mit einem Adjektiv auf -en und Substantiv vor: zo grooten man deed zulks (‚ein solcher grosser Mann tat dies‘ PHW 247). Die Folge mit Artikel, wohl die Neuinterpretation der Flexion -en als Artikel een (‚ein‘), die auch vorkommt, ist umstritten, Hooft lehnt sie ab: Zommighen meenen, dat „zoo grooten“ word gezeidt voor „zoo groot een“ (‚Manche meinen, dass „solch grosser“ für „solch gross einer“ gesagt wird‘ PHW 247). Im Übrigen hatte sich die mnl. Konstruktion vom Typus ‚so groot een man‘ zu ‚so groten man‘ entwickelt. Weiter finden Varianten mit zulk (‚solch‘), auch gefolgt von einem Artikel, ihre Anwendung. Wörter wie al (‚alle‘), gans (‚ganze‘) und heel (‚ganze‘) können dem Artikel vorangehen: al het bosch (‚der ganze Wald‘ JVV 6, 616), zudem kann al mit einem Artikel vor einem Zahlwort stehen.

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Attributive Genitive treten sowohl pränominal, vor allem bei Personen, als auch postnominal auf: ’s Hartoghen oorloghscheepen (‚des Herzogs Kriegsschiffe‘ PHH 229), Stadthouder des Koninx (‚Statthalter des Königs‘ PHH 230). Vereinzelt kommen Bestimmungen bei Genitivattributen nach dem Substantiv noch vor, vergleichbar mit in’t Jaer ons Heeren 1551 (‚Im Jahre des Herren 1551‘ KMS 127), sie werden aber seltener. Zahlwörter stehen normalerweise vor dem Substantiv wie in 119 persoonen waren wy noch in ’t schip doe’t sprongh (‚Wir waren noch mit 119 Personen im Schiff, als es explodierte‘ WBS 46), gelegentlich können sie dem Bezugswort auch folgen wie in voor een uur, drie of vier (‚während etwa drei oder vier Stunden‘ GBS Z. 254). Auch das Possessiv erscheint zumeist vor dem Substantiv, wie in Mijn lief, mijn lief, mijn lief; soo sprack mijn lief mij toe (‚Mein Lieb, mein Lieb, mein Lieb, so sprach mein Lieb zu mir‘ PHL 64). Seltener ist die im Mittelniederländischen gängige postnominale Position des Possessivs, wie in riep o Godheyd mijn (‚rief: O meine Gottheit‘ JVV 1, 555). Häufig dagegen erscheint noch die Wortfolge Demonstrativ oder Artikel gefolgt von einem Possessiv: En smelt van druk in dit mijn ongeval (JCW 454) vor. Inzwischen sind durch eine Präposition mit dem vorangehenden Substantiv verbundene Attribute gebräuchlich geworden: In de hitte van den ooverval (‚In der Hitze des Überfalls‘ PHH 230). Ist das Attribut durch ein präpositionales Adverb mit dem Bezugswort verbunden, so kann dies getrennt in Form zweier Elemente erscheinen, wie daer en deur in De botteliers maet, daer de brandt deur quam, was van Hoorn (‚Der Sommeliersgehilfe, durch den der Brand entstand, war von Hoorn‘ WBS 44). Die Elemente kommen auch zusammen vor, heute werden sie in einem Wort geschrieben, wie waar mee in als de verwe noch te vinden was, waar mee men nu der onderdaanen schuldt schildert (‚als die Farbe noch zu finden war, mit der man jetzt die Schuld der Untertanen malt‘ PHH 632). Attributive Wortgruppen mit Präposition kommen noch mit vorangehender Genitivbestimmung vor, zum Beispiel in de zaaken zynes Prinsdooms van Oranje, ’t welk in gevaar stond van verlooren te gaan (‚Die Sachen seines Fürstentumes Oranien, die Gefahr liefen, verloren zu gehen‘ PHH 46), sie werden aber seltener. Vermehrt erscheinen nach dem Bezugswort Bestimmungen, die eine Präposition, gefolgt von einem Substantiv und einem Partizip umfassen und prädikativen Attributen ähneln, wie in ongesuerde koecken, van meel-bloeme met olie gemengt (‚Ungesäuerte Kuchen aus Mehl mit Öl vermischt‘ SVB Lev  2) oder in een borst met roemzucht opgevuld (‚Eine Brust von Ruhmsucht erfüllt‘ JVV 2, 112). Adnominale Bestimmungen können nicht nur Partizipien, sondern auch Ableitungen von Partizipien umfassen, wie ongerymde in: een gantsch ongerymde, overtollige misspellinge (,ein völlig ungereimter, überflüssiger Rechtschreibfehler‘ PLA 64). Komplexere adnominale Gebilde mit Infinitiven beziehungsweise Partizipien, die zögerlich in spätmittelniederländischen Texten erscheinen, kommen nun vermehrt vor: een man goedt om te bevechten (,ein Mann, gut zu bekämpfen‘ PHW 237), laffe reedenen in den wind gestrooijt, eer verdrietig dan leersaam (,Feige Gründe, im Winde zerstreut, eher verdriesslich als lehrreich‘ PLA 63).

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Die angeführten Beispiele genügen in keiner Weise, um die Struktur nominaler Gruppen im Frühneuniederländischen erschöpfend zu beschreiben, sie zeigen aber einige grammatikalische Merkmale, die die Entwicklung des Niederländischen in der Neuzeit mitbestimmten. 5.4.2.2. Genus Genus konnte durch Artikel beziehungsweise Demonstrativ oder Possessiv, durch Pronominalbezeichnung und durch Flexion zum Ausdruck gebracht werden. So markieren im Satz De Natuer heeft wonder wel haren Man ghevonden en ghetroffen, om weder van hem heerlijck ghetroffen te worden (,Die Natur hat erstaunlich gut ihren Mann gefunden und treffend ertappt, um wieder von ihm gefunden und treffend dargestellt zu werden‘ KMS 127) die Endung -en in haren sowie die Pronominalbezeichnung hem (‚ihm‘) das Bezugswort man als Maskulinum, haren (‚ihren‘) kennzeichnet als Pronominalbezeichnung natuer als Femininum. Die Zuweisung des Wortgeschlechtes war allerdings nicht unproblematisch. So unterscheidet im zitierten Satz der Artikel de (‚die‘, ‚der‘) an sich nicht zwischen Femininum und Maskulinum, das Wortgeschlecht von natuer liesse sich folglich ohne das Objekt haren man nicht als Femininum bestimmen. Die Zahl der morphologischen Flexionsmerkmale ist gering, zudem treten sie beim Substantiv lediglich im Singular in Erscheinung. Diese Gegebenheiten erklären, wieso Schriftsteller wie Grammatiker das Genus auch in dieser Epoche je nach Region uneinheitlich zu handhaben scheinen. Die Bestrebungen der Grammatiker der frühen Neuzeit, die Muttersprache mit einem Kasussystem nach lateinischem Muster auszustatten, setzten allerdings eine einheitliche Zuweisung des Wortgeschlechtes voraus. In Anbetracht der bestehenden Unsicherheit bezüglich des Genus ist es daher verständlich, dass die Twe-spraack ausführliche Angaben und Regeln zum Wortgeschlecht enthält. Die Verfasser bezeichnen Manlyck, Wyflyck ende Ghenerley (‚männlich, weiblich und keines‘, d. h. Maskulinum, Femininum und Neutrum) als die ‚wichtigsten‘ Geschlechter des Substantivs. Sodann weisen sie merkwürdigerweise dem Adjektiv ein Wortgeschlecht zu, indem sie Adjektive mit einer e-Endung als Femininum einstufen. Für die Bestimmung des Geschlechts eines Substantivs verwenden die Amsterdamer ein syntaktisches Kriterium: Wörter, denen der Artikel het (‚das‘) vorangehen kann, sind Neutrum, die übrigen gelten als Femininum oder Maskulinum. Da für letztere Gruppe nur der Artikel de (‚die‘ oder ‚der‘) zur Verfügung steht, der wie oben gezeigt abhängig vom Kasus in verschiedenen Positionen nicht zwischen Femininum und Maskulinum unterscheidet, formulieren die Autoren zusätzlich ein syntaktischmorphologisches Kriterium, um das Genus der Wörter dieser Klasse bestimmen zu können: erhält ein Adjektiv eine e-Endung in einer nominalen Gruppe mit dem unbestimmten Artikel een (,ein‘), einem Adjektiv und einem Substantiv, so ist das Substantiv Femininum, wie in een schone vrouw (,eine schöne Frau‘). Hat das Adjektiv keine Endung, so ist das Substantiv Maskulinum, wie in een schoon man (‚ein schöner Mann‘). Dieses Verfahren zur Bestimmung des Genus blieb nicht unbestritten, so zeigt Van Heule 1625, dass auch bei maskulinen Substantiven nach einem unbestimmten Artikel ein -e im Adjektiv auftreten kann. Wie problematisch sich eine Kategorisierung der Substantive der de-Klasse in Femininum und Maskulinum darstellte, zeigt sich bereits in der Twe-spraack, indem Gedeon auf Verlangen von Roemer diesbezüglich wei-

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tere Regeln gibt, die zum Teil mit Clajus’ Angaben zum Genus im Deutschen übereinstimmen. Da eine Unterscheidung zwischen Femininum und Maskulinum offenbar nur noch beschränkt im Sprachsystem des Niederländischen vorhanden war, sah Gedeon sich wohl veranlasst, eine Reihe Beispiele aufzuzählen. So seien, sicherlich aufgrund des erwähnten syntaktisch-morphologischen Kriteriums, die Namen der Jahreszeiten lente (,Frühling‘), zomer (‚Sommer‘), herfst (‚Herbst‘) und winter (‚Winter‘) zur Klasse der Feminina zu rechnen, obschon nur lente traditionell als Femininum aufgefasst wurde. Dass die Nederduytsche Grammatica später zomer, herfst und winter zu den Maskulina rechnet, mag vielleicht eher dem herrschenden Sprachgefühl entsprochen haben. Auf jeden Fall zeugt Van Heules abweichende Klassifizierung von der herrschenden Unsicherheit über das Geschlecht dieser und zahlloser anderer Wörter bei seinen Zeitgenossen, die Spezialisten eingeschlossen, die sich wohl fragen mussten, ob der Genitiv von zomer nun mit Feminin der oder Maskulin des auszudrücken sei oder ob beim Bezugswort herfst die Pronominalbezeichnung hem (‚ihn‘) oder haar (‚sie‘) laute. Dass die Übersetzer der Statenvertaling Genitivformen wie des moeders (‚des Mutters‘ = der Mutter) und des susters (‚des Schwesters‘ = der Schwester) zuliessen, kann zur Klärung nicht beigetragen haben. Dass Sprecher des Niederländischen bei vielen Wörtern nicht fähig waren, eindeutig zwischen Femininum und Maskulinum zu unterscheiden, lässt sich mühelos mit Zitaten aus den unterschiedlichsten Quellen belegen. So erscheint das Substantiv wereld (‚Welt‘) einmal als Femininum, ein andermal als Maskulinum im WNT: im Lemma God (‚Gott‘) findet sich zum Beispiel als Erklärung dieses Wortes die Umschreibung De schepper der wereld (‚Der Schöpfer der Welt‘) mit dem flektierten Artikel der, der Femininum markiert. Im darauf folgenden von Hooft stammenden Beispielsatz ’s werelts schepper bezeichnet ’s jedoch Maskulinum. Der nächste Abschnitt im WNT lautet ’s Werelds bouwheer (‚Baumeister der Welt‘) mit ’s hier als Markierung für Maskulinum, im nachfolgenden Beispielsatz von Vondel Ick magh Noch kan dien ondergang der weerelt zien noch hooren bezeichnet der wiederum Femininum. Untersuchungen zur damaligen Schreibpraxis in Westflandern machen klar, dass die adnominale Genusmarkierung nur noch beschränkt das alte Genera-System ersichtlich machte, zudem markierte ein hoher Prozentsatz der verwendeten Wortformen kein Genus. Sodann wurde belegt, dass attributive Wortformen im regionalen Sprachgebrauch Hollands nicht eindeutig zwischen Feminin und Maskulin unterschieden. Des kam beispielsweise, im Einklang mit den zitierten Beispielen aus dem WNT, auch bei Substantiven vor, die eindeutig weibliche Personen bezeichnen, die -n-Endung konnte Emphase statt Genus markieren. Ist aus heutiger Sicht die damalige Zuweisung des Wortgeschlechtes bei Kategorien wie Femininum und Maskulinum wenig systematisch, so fallen die Meinungen von Schriftstellern und Grammatikern aus der Zeit über die Handhabung von Genus-Regeln unterschiedlich aus. De Hubert bezeichnet beispielsweise in seinem Noodige waarschouwinge die Verwendung des Wortgeschlechtes damals als ‚Missbrauch‘, Hooft hingegen beschränkt sich auf einige wenige Bemerkungen zu den communia nomina, Wörtern mit zwei Geschlechtern, sowie zu Genusabweichungen in festen Ausdrücken, bekundet aber weiter keine Mühe mit dem Wortgeschlecht. Die Frage des Genus sollte auch spätere Generationen beschäftigen, bis heute verwirrt sie nicht selten die Sprecher des Niederländischen.

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5.4.2.3. Deklination, Kasus In ihrem Bestreben, die Eigenheiten des Niederländischen zur Geltung kommen zu lassen, was immer darunter zu verstehen sei, und die Muttersprache zu einer vollwertigen Kultursprache auszubauen, versuchten Grammatiker wie Schriftsteller, dem Kasus, der sich morphologisch nur noch wenig systematisch offenbarte, gerecht zu werden. So unterscheidet die Twe-spraack nach lateinischem Muster die folgenden sechs Fälle, die in dieser Veröffentlichung niederländische Namen erhalten: noemer (‚Nominativ‘), barer (‚Genitiv‘), ghever (‚Dativ‘), anklagher (‚Akkusativ‘), roeper (‚Vokativ‘) und ofnemer (‚Ablativ‘), deren Umschreibungen Übereinstimmungen mit den Definitionen der lateinischen Grammatik des Valerius 1562 und der hochdeutschen Grammatik von Oelinger 1574 aufweisen. Der Kasus zeigt sich laut der Twe-spraack morphologisch manchmal im Artikel, manchmal im Nomen und gelegentlich auch in beiden, das Niederländische habe jedoch wenige Flexionsmerkmale. Die Verfasser stellen daraufhin die Deklination der Artikel de (‚der‘, ‚die‘), het (‚das‘) und een (,ein‘) dar, erklären die Beugung am Beispiel von een man (‚ein Mann‘), später folgt eine Erläuterung der Fälle anhand der gleichen Beispiele, die Albertus 1573 in seiner deutschen Grammatik verwendet, mit heer (‚Herr‘), vrouw (‚Frau‘) und dier (‚Tier‘). In der Einzahl sind dies: Nominativ de heer, de vrouw, het dier; Genitiv des heers, vrouws, diers; Dativ den here, vrouwe, diere; Akkusativ de óf (‚oder‘) den heer ende vrouw, het dier; Vokativ heer, vrou, dier; Ablativ vande óf (‚oder‘) vanden heer, vrou, van het óf (‚oder‘) vant dier. In der Mehrzahl: Nominativ de mannen, vrouwen, dieren; Genitiv der mannen, vrouwen, dieren; Dativ den mannen, vrouwen, dieren; Akkusativ de óf (‚oder‘) den mannen, vrouwen, dieren; Vokativ ho (,oh!‘), mannen, vrouen, dieren; Ablativ vanden óf (‚oder‘) vande mannen, vrouen, dieren. Die Autoren verzichten in diesem Rahmen auf eine Besprechung der Morphologie der Adjektive, sie sehen die betreffende Flexion wohl als Merkmale des Genus. Sodann bemerken sie, dass man im Nominativ, Akkusativ, Vokativ und Ablativ Singular sowohl here und vrouwe als auch heer und vrouw sagen kann, im Genitiv könne man, wie sie vorsichtig formulieren, ‚nach ihrer Meinung wohl nicht anders als here und vrouwe sagen‘. Sodann erhalten Wörter auf -s keine Endung im Genitiv Singular. In flektierten, von ihnen merkwürdigerweise als feminin kategorisierten Adjektiven verdoppeln Konsonanten nach Kurzvokal, so wird sot (‚verrückt‘) zu sotte, schliesslich wird stimmloses f wie in dóóf (‚taub‘) in flektierten Formen ein stimmhaftes v wie in dóve. Die vorsichtigen Formulierungen lassen die Beschreibung der Fälle in der Twe-spraack eher als deskriptiv statt als präskriptiv erscheinen, einige Widersprüche im Text scheinen dies zu bestätigen. Es fällt auf, dass die Amsterdamer beim bestimmten Artikel de nicht zwischen feminin und maskulin unterscheiden, sodann differenzieren sie nicht systematisch zwischen Nominativ und Akkusativ. Dies macht es verständlich, dass ihre Regeln zum Kasus bereits in ihrer Zeit Kritik auslösten, andere Grammatiker kamen zu einer abweichenden Systematik. So macht De Hubert, der deutlich Einfluss auf die Übersetzer der Statenvertaling ausübte, im Dativ und Akkusativ eine klare Unterscheidung zwischen feminin und maskulin. Er befürwortet eine ‚gute‘ Flexion, weil sie die Sprache eleganter und eindeutiger mache, und beanstandet, dass andere dies vernachlässigen. Andererseits beschränkt Leupenius, der von den Formen ausgeht, die Zahl der gevallen (‚Fälle‘) auf drei, da es laut ihm in der Beugung nur drei veranderingen (‚Änderungen‘,

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d. h. ‚Endungen‘) im Niederländischen gebe. Er betrachtet dies nicht als Unvollkommenheit des Niederländischen, im Gegenteil, weniger Fälle ermöglichen es, die Sprache leichter zu lernen: want hoe sy minder veranderinge onderworpen is / hoe sy lichter vallt om geleert te worden (PLA 31). Der Kasus kommt ebenfalls in der Wahl und Flexion der Pronomina zum Ausdruck, die, wie Gedeon in der Twe-spraack festhält, häufig ‚falsch‘ gebraucht wurden. Er stuft sie im Übrigen als derart schwierig ein, dass er in seiner Beschreibung die Ausführungen der Glareanus-Edition Donats übernimmt und von den lateinischen Formen ausgeht. Eventuell deuteten die Verfasser des niederländischen Buches damit an, dass ihre Muttersprache diesbezüglich mit dem Latein mithalten konnte, denkbar ist auch, dass sie die lateinischen Formen anführten, um die niederländischen Pronomina zu erklären. Die Amsterdamer behandeln sie in der gleichen Reihenfolge wie Glareanus 1570. Falls in den deutschen interlinearen Angaben Formen fehlten, so sind diese ebenfalls in der Twe-spraack nicht zu finden. Die sechs Fälle, welche die Twespraack unterscheidet, werden nur beschränkt in den dargestellten Paradigmen der Pronomina ersichtlich. So unterscheiden die Verfasser beim Personalpronomen 1. Pers. Sing. Ick (‚ich‘), abgesehen vom Nominativ, zwar vier Fälle, nur der Genitiv besitzt jedoch eine eigene Morphologie, die anderen Fälle weisen keine eigenen Merkmale auf: Genitiv myns, myner, Dativ my, Akkusativ my, Ablativ van my. Für die 2. Pers. Sing. gilt mit dy (‚dir‘, ‚dich‘) als Objektform Ähnliches, nur der Vokativ weicht mit ho du davon ab. Ebenso wenig unterscheiden sie in der 3. Pers. Sing. hem (‚ihm, ihn‘) und haar (‚ihr, sie‘) zwischen Dativ, Akkusativ und Ablativ. Als weiteres Beispiel der geringen Zahl Merkmale, die bei den Pronomina den Kasus zum Ausdruck bringen, sind die Paradigmata von die (‚jene‘) zu erwähnen. Während Glareanus in Einzahl und Plural zwischen femininer und maskuliner Beugung unterscheidet, erwähnen die Amsterdamer diesbezüglich für beide Geschlechter nur eine Beugung: die (bei Glareanus der, die), diens (bei Glareanus des, der), dien (bei Glareanus dem, der), die, dien (bei Glareanus den, die), van dien (bei Glareanus von dem, von der). Möglich sind dien neben die Reste eines Unterschiedes zwischen Maskulinum und Femininum im Akkusativ. Für wie und welcke, die Glareanus’ wer entsprachen, und welcke als Äquivalent von welche enthält die Twe-spraack jeweils nur ein Paradigma, das sowohl Maskulinum wie Femininum und Neutrum gilt. Andere Grammatiker bemühten sich in ihren Darstellungen der Pronomina, den Kasus vermehrt zu berücksichtigen. So benützte Van Heule 1625 die bestehenden Varianten hen und hun, um eine Trennung zwischen Dativ Plural, hun (‚ihr‘), und Akkusativ Plural, hen (‚sie‘) einzuführen, eine Unterscheidung, die Ampzing, Hooft, Vondel und weitere Zeitgenossen zwar übernahmen, die von anderen aber nicht beachtet wurde: die Übersetzer der Statenvertaling verwendeten hen willkürlich neben haer. Spätere Grammatiker wie Frans van Lelyveld erachteten eine Unterscheidung zwischen hun und hen nicht nur als willkürlich, sondern gar als verwirrend, dies alles mit der Folge, dass bis heute Unsicherheit im Gebrauch der Objektformen des Personalpronomens im Plural besteht. Auch versuchte Van Heule mit dem von ihm propagierten archaischen him als Form neben dem bestehenden hem im Singular Maskulin den Dativ vom Akkusativ zu unterscheiden. Dieses Experiment schlug genauso fehl wie Hoofts Bestreben, wie einige Teile seiner Nederlandsche Historien zeigen, die dialektische Variante hum als Dativ neben dem Akkusativ hem einzuführen.

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Das Ringen der Grammatiker und Schriftsteller um eine Reglementierung der Fälle zeigt zwar ihr Bemühen um die Pflege des Niederländischen als Kultursprache in der frühen Neuzeit, ihre Ausführungen lassen gleichzeitig auf die herrschende Unsicherheit bezüglich des Kasus schliessen. Aus den unterschiedlichen Auffassungen zu den Fällen geht hervor, dass von einer systematischen Kasusdifferenzierung nicht die Rede sein kann, was Untersuchungen zur damaligen Schreibpraxis bestätigen. So sind in erforschten Texten, die aus Westflandern stammen, die Formen im Nominativ und Akkusativ per Genus identisch, nur vereinzelt unterscheiden Genitiv und Dativ sich morphologisch. Abgesehen von der Genitivmarkierung, die verhältnismässig wenig vorkommt, fehlt eine geordnete, eindeutige Handhabung der Fälle. Aus Analysen der regionalen Schreibpraxis in Holland geht ebenfalls hervor, dass abgesehen vom Genitiv in der lebendigen Sprachverwendung damals bereits ein zuverlässiges, eindeutiges Kasussystem fehlte. 5.4.2.4. Numerus In der Regel kannten die Substantive mit konsonantischer oder schwacher Flexion die Pluralendung -en, wie in cnapen (‚junge Männer, Knechte‘). Die Substantive mit vokalischer oder starker Flexion hatten häufig eine -e-Pluralendung, wie in worme (‚Würmer‘), im Dativ aber -en: wormen. Allmählich kommt, möglicherweise analog dieser Dativform, bei den starken Sub­ stantiven im 15. Jh. -en auch im Akkusativ, dann ebenfalls im Nominativ und Genitiv als Plural vor, also wormen. Anders als im Deutschen mit einem Plural wie Würmer markiert -en so im geschriebenen Neuniederländischen immer häufiger den Plural der Substantive beider Klassen. Substantive mit einem Kurzvokal, der mit nur einem Graphem bezeichnet wird, wie a in dal oder dak, verdoppeln im Plural den folgenden Konsonanten häufig nicht, wie dies auch im modernen Niederländischen der Fall ist: dalen, daken, Plurale mit doppelten Konsonanten kommen aber auch vor: dacken, dallen. In älteren Ausgaben, u.a. von Anna Bijns, sind noch -e-Plurale zu finden, -en wird aber, wohl durch die Standardisierung in gedruckten Texten, gebräuchlich. Ähnlich wie heute wich diese geschriebene Form damals bei vielen Sprechern von der üblichen Aussprache mit apokopiertem -n ab. Dies gilt übrigens auch für den Plural der Verben: nicht ohne Grund beanstandet Leupenius, dass ‚viele die schlechte Gewohnheit‘ haben, wy leere, sy leere, leere (‚wir lernen, sie lernen, lernen‘) zu sagen. In gedruckten Texten der Neuzeit fehlen -n beziehungsweise -en immer seltener im Plural der beiden Kategorien der Substantive, wie dies heute noch in einem Ausdruck wie op de been (‚auf den Beinen‘) erhalten ist. Nur gelegentlich findet sich bei Dichtern wie Bredero, Hooft, Vondel oder Huygens ein Plural ohne -n oder -en, so bei Hooft been (‚Bein‘) in der Zeile ’t Heele woudt om spijze te bejaeghen, Is op de been (‚Der ganze Wald ist auf den Beinen, um nach Speisen zu jagen‘), bei Bredero in hande (‚Hände‘), bei Vondel in alle daghe (,alle Tage‘) und alle dinck (‚alle Dinge‘) oder bei Huygens in alle daegh (‚alle Tage‘), Varianten, die an einigen Stellen vermutlich durch Reimzwang entstanden, in anderen Fällen vielleicht auch dem Drucker zuzuschreiben sind. Sodann finden sich Beispiele von Substantiven im Singular, die nach einem Zahlwort einen Begriff im Plural bezeichnen, wie drie schepen langhte (‚drei Schiffslängen‘ WBS 45), 7 a 8 pont broodt (‚sieben bis acht Pfund Brot‘ WBS 50), daneben ist in dieser Position ein Plural

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noch üblich, wie in wel vyfduyzent mannen (‚sicherlich fünftausend Männer‘ PHH  229) und ontrent twee uuren naamiddagh (,etwa um zwei Uhr nachmittags‘ PHH 229), wo das moderne Niederländische Einzahl kennt: vijfduizend man und rond twee uur ’s middags. Kollektiva in der Einzahl wie volck (‚Volk‘) kommen sowohl mit einem finiten Verb in Einzahl wie im Plural vor, so was beziehungsweise riepen und seyden in Heyn-rol (…) was verwondert datter soo veel volck inde boot en schuyt was, het volck riepen Heyn-rol toe, en seyden (…) (‚Heyn Rol … war erstaunt, dass so viel Volk im Boot und im Kahn war. Das Volk riefen Heyn Rol zu und sagten …‘ WBS 44–45). Im Gegensatz zum Englischen verlangt das moderne Niederländische wie das Deutsche in dieser Position ein Verbum finitum im Singular. Der -s-Plural findet sich neben -en in maskulinen Substantiven mit den Suffixen -er, -el, -en und -em wie in broeders (‚Brüder‘), slotels (‚Schlüssel‘) oder bliksems (‚Blitze‘), sodann in männlichen Personennamen auf -aer, -aert, -eur, -oer, -ier, -eyn, -ein und -ijn wie in die­ naers (‚Diener‘) und capiteyns (,Kapitäne‘), weiter in einigen anderen Personennamen wie mans (‚Männer‘), im modernen Niederländischen mannen, oder ooms (‚Onkel‘), der heute gebräuchlichen Pluralform, schliesslich noch vereinzelt in einigen anderen Substantiven, zum Beispiel in dolfijns (‚Delphine‘), im modernen Niederländischen dolfijnen und cromhoorns (‚Krummhörner‘). Neben vaders (‚Väter‘), broeders (‚Brüder‘) und vaderen, broederen finden sich manchmal noch alte endungslose Pluralformen auf -er wie in vader, broeder, so auch auf -el und -en aus -ele und -ene wie in die duvel (‚die Teufel‘), die heyden (‚die Heiden‘) und alle Christen (‚alle Christen‘), Pluralformen, die heute unproduktiv sind. Noch selten sind die alten -e-Plurale in Neutra wie broode (‚Brote‘) oder jaere (‚Jahre‘) zu finden. Auch kennen einige neutrale Substantive neben einer -en-Endung einen -s-Plural, zum Beispiel wijfs neben dem heute üblichen wijven (‚Weiber‘). Dies ist auch bei Substantiven auf -el, -er und -en der Fall wie in exempels (‚Exempel‘). Diminutive auf -ken wie ghesichtkens nae t’leven (,lebensgetreue kleine Abbildungen‘ KMS 129) und Substantive auf -are und -ere wie inwoonders (,Einwohner‘ PHH 229) oder meullenaars (‚Müller‘ GBS Z. 80) kannten einen -s-Plural. Der sonst seltene -s-Plural kommt in der frühen Neuzeit vermehrt vor, zu den vielen Beispielen zählen Alpes (‚Alpen‘ KMS 127), heute Alpen, und zes boots (‚sechs Boote‘ PHH 283), heute boten. Möglicherweise haben die Bestrebungen der Grammatiker, im Plural der maskulinen Sub­stantive auf -er im Nominativ und Akkusativ eine -s-Endung einzuführen, also vaders im Nominativ und Akkusativ neben vaderen im Genitiv und Dativ, dazu beigetragen. So kommt casuyfels (‚Kasel‘, 1568) neben casuifelen vor, Spanjaarden (‚Spanier‘ PHH 229) neben Spanjaerds (‚Spanier‘, 1578), avontuurs (‚Abenteuer‘, 1617 GBS Z. 72) neben avonturen (WNT), kamers (‚Zimmer‘, 1632) neben kameren, scoens (,Schuhe‘), neben scoenen (BLS 1542). Letztere zwei Formen sind im Übrigen als Doppelplurale aufzufassen, da scoen ursprünglich eine Mehrzahlform von scoe ist. Manche der -s-Plurale wie Spanjaards konnten sich nicht behaupten, bei anderen Substantiven geriet die -en-Endung ausser Gebrauch wie bei kameren. Manchmal erhielt ein Substantiv mit -en-Plural einen neuen semantischen Inhalt, so vaderen für ‚Vorfahren‘ neben vaders in der Beduetung von ‚Väter‘. Bei Substantiven auf -er, die unter Einfluss des Deutschen vermehrt vorkamen, entstanden durch Analogie Doppelpluralformen wie -eren, so volckeren (‚Völker‘ BLS 1542) neben vol-

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cken. Auch liens (‚Leute‘ GBS Z. 256) ist als doppelte Mehrzahl zu betrachten, liet als Einzahl des Substantivs lieden war bereits im Mittelniederländischen ausgestorben. Der Doppelplural -ens wie in beddens neben bedden (‚Betten‘) kommt bereits vor, sollte im 18. Jh. gängig werden, wurde später dann unproduktiv. 5.4.2.5. Strukturen verbaler Gruppen Zwar weisen verbale Gruppen im Frühneuniederländischen ähnliche Strukturen auf wie im Mittelniederländischen (vgl.  4.4.2.5.; für die verwendete Terminologie vgl.  3.4.2.5.), bestimmte Muster kommen allerdings weniger vor. Als Beispiel einer Struktur, die seltener wurde, ist Twas vanden snootsten datse mocht weten (‚Es war vom Schlimmsten, das sie wissen durfte‘) einzustufen mit einer untergeordneten Präpositionalphrase, gefolgt von dat, die das Thema an erster Stelle bezeichnet. Unpersönliche Konstruktionen ohne Subjekt, die einen Zustand eines im Dativ erwähnten Beteiligten zum Ausdruck bringen wie mi lanct na di in Egidius, waer bestu bleven? Mi lanct na di, gheselle mijn. (‚Egidius, wo bist du geblieben? Ich sehne mich nach Dir, mein Kamerad‘) kommen nur noch gelegentlich vor. So zum Beispiel in der Liesvelt-Bibel 1542 die Struktur my verdroot alle mijns arbeyts in Ende my verdroot alle mijns arbeyts, die ick onder der sonnen dede (‚Und alle meine Arbeit, die ich unter der Sonne tat, verdross mich‘ BLS Pred. 2:18) mit einem Genitivelement, das die Ursache des Zustandes markiert oder Mi dorst (‚Mich dürstet‘ BLS, Joh. 19:28), auch fast hundert Jahre später in der Statenvertaling 1637: Mij dorst. Das Verschwinden solcher unpersönlichen Konstruktionen ist wohl auf den fortschreitenden Flexionsverlust des Niederländischen zurückzuführen. Sie machen vermehrt Platz für Konstruktionen mit einer Präpositionalgruppe, einer Kernstruktur oder einem Infinitiv an Stelle des Genitivelementes, wie in en gooten soo veel water, dat het te verwonderen was (‚und gossen so viel Wasser, dass es zu erstaunen war‘ in der Bedeutung ‚dass es erstaunlich war‘ WBS 44). Die unpersönliche Struktur ’t gaat’er op een zakken, pakken en vluchten (‚los geht es mit einem Verpacken in Säcken, einem Einpacken und einem Fliehen‘ PHH 230) enthält neben einem Infinitiv das finite Verb gaat, das hier wohl die durative Eigenschaft der Handlung markiert. Von syntaktischen Strukturen, die in dieser Epoche häufig vorkommen, folgen im Weiteren einige Beispiele. Kernstrukturen In verbalen Kernstrukturen vom Typus het schip sprongh aen hondert duysent stucken (‚das Schiff sprang in hunderttausend Stücke auseinander‘ WBS 46) steht ein finites Verb wie sprongh an zweiter Stelle. Wie im Mittelniederländischen können in Kernstrukturen Konjunktionen, Elemente der Verneinung, Formen der Anrede oder Exklamationen zusätzlich vorangehen, wodurch sich das Verb auch um einen Platz nach rechts verschiebt. So erscheint das finite Verb vloogh erst nach der Konjunktion und dem Subjekt in En ick, Willem Ysbrantsz. Bontekoe, doe ter tijdt schipper, vloogh mede inde lucht (‚Und ich, Willem Ysbrantsz. Bontekoe, zu jener Zeit Schiffer, flog mit in die Luft‘ WBS 46). In maer de coopman Heynrol en konde hier toe niet resolveeren (‚aber der Kaufmann Heyn Rol konnte sich dazu nicht entscheiden‘ WBS 44) kommt en als erstes Element der zweigliedrigen Verneinung en niet noch vor dem Verb. In maet het is best dat

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wy het kruyt over boord smijten (‚Kamerad, es wäre am besten, dass wir das Pulver über Bord schmissen‘ WBS 44) steht die Anredeform maet vor dem Subjekt und dem finiten Verbum. Ähnlich geht die Exklamation O Godt! dem Interrogativadverb hoe und dem finiten Verb is voran in O Godt! Hoe is dit schoone schip vergaen, gelijck Sodoma en Gomorra (,O Gott! wie ist dieses schöne Schiff untergegangen wie Sodom und Gomorra‘ WBS 46). Sodann kann ein wiederholendes Element dem finiten Verb vorangehen, wie die in Heyn-rol die seyde (‚Heyn Rol der sagte‘ WBS 45). Nach wie vor erscheint das finite Verb an erster Stelle in Imperativen wie Hoort und in Entscheidungsfragen wie soeckt in Hoort manneken, soecktege een meester? (‚Hör mal zu, Kerlchen, suchst Du einen Meister?‘ GBS Z. 60). Andere Elemente können in diesen Strukturen dem Verb vorangehen, wie wel in Wel komt hier by-men (‚Na, kommt hier zu mir‘ GBS Z. 61). Auch in Äusserungen, die einen Ansporn zum Ausdruck bringen, kann das Verb an erster Stelle auftreten wie in Gaan we die met de borst sterken (‚Lasst uns die mit der Brust verstärken‘ PHH 230). Verschiedene sprachliche Teile, beispielsweise eine Exklamation oder eine Anrede, können in Stirnstrukturen dem Verb vorangehen, wie O Godt! in O Godt! leefter noch yemant (‚O Gott! Ist noch jemand am Leben?‘ WBS 46) oder Mannen in Mannen laet ons wachten tot dat de schipper komt (‚Männer, lasst uns warten, bis der Schiffer kommt‘ WBS 45). Vergleichbar mit dem Imperativ, der von einer Exklamation eingeleitet wird, kann das Verb sich in Strukturen mit Optativ ebenfalls nach rechts verschieben wie in o Heer! weest my arme sondaer genadigh (,O Herr, sei mir armem Sünder gnädig‘ WBS 46). Das finite Verb kommt zudem bei konditioneller Hypotaxe an erster Stelle wie smyten in smijten wy het kruyt over boort, wy mochten de brandt uyt krijghen (‚Schmissen wir das Pulver über Bord, könnten wir den Brand löschen‘ WBS 44). Wenn das implizierte Subjekt fehlt, so kann das Verb ebenfalls an erster Stelle erscheinen wie meende in Meende daermede mijn eynde te hebben (‚Glaubte damit mein Lebensende erreicht zu haben‘, d. h. ‚Ich glaubte damit mein Lebensende erreicht zu haben‘ WBS 46). Dass es sich dabei nicht um Zusammensetzungen mit vorhergehenden Strukturen handeln muss, geht aus dem folgenden Abschnitt hervor: maer alst dagh worde, waren wy van ’t wrack versteken, en ooc mede van ’t lant; waren heel mismoedigh; quamen en keken achter in ’t gat, daer ick lagh (…) (‚Aber als es Tag wurde, waren wir vom Wrack entfernt und auch vom Land. Waren sehr niedergeschlagen; kamen und schauten ins Loch hinten, wo ich lag‘ WBS 50). Das erste Subjekt wy (‚wir‘) bezeichnet im Zitat sämtliche Schiffbrüchigen, den Schiffer inbegriffen, das implizierte Subjekt bei quamen bezieht sich jedoch nur auf die Besatzungsmitglieder ohne Schiffer; keken achter in ’t gat, daer ick lagh ist daher als selbstständige, parataktische Wortgruppe aufzufassen mit dem implizierten Subjekt ‚sie‘. Geht eine hypotaktische Wortgruppe voran, kann ein weiterer Satzteil vor dem finiten Verb stehen. So erscheint das Subjekt wy noch vor dem finiten Verb in der Phrase smijten wy het kruyt over boort, wy mochten de brandt uyt krijghen (‚Schmeissen wir das Pulver über Bord, könnten wir den Brand löschen‘ WBS 44), wodurch mochten erst die dritte Stelle einnimmt. In einer Struktur wie Terwijlen hy noch ’t Antwerp woonde, hiel met een Meyt oft Dochter huys (‚Als er noch zu Antwerpen wohnte, lebte er mit einem Mädchen oder einer Tochter zusammen‘ KMS 129) ist aufgrund der Wortfolge der einleitenden hypotaktischen Wortgruppe nicht auszuschlies-

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sen, dass das implizierte Subjekt noch vor hiel käme, wodurch dieses finite Verb ebenfalls an dritter Stelle stünde. Die heute gängige Struktur mit dem finiten Verb nach einer hypotaktischen Wortgruppe an zweiter Stelle ist allerdings bereits gebräuchlich, wie in maer alst dagh worde, waren wy van ’t wrack versteken, en ooc mede van ’t lant (‚Aber als es Tag wurde, waren wir vom Wrack wie auch vom Land entfernt‘ WBS 50). Von den möglichen weiteren Mustern sind Strukturen ohne Verben, die eventuell impliziert werden, zu erwähnen, wie Och! lieve schipper, wat raedt (‚Ach, lieber Schiffer, welchen Ratschlag‘ in der Bedeutung von ‚Ach, lieber Schiffer, welchen Ratschlag haben Sie für uns?‘ WBS 45). Ähnlich fehlt das finite Verb 1. Pers. Sing. beim Subjekt ick in einer Struktur wie Ick met alle de timmer-luyden stracx overboort met dopgudsen, en navegers, om gaten in ’t schip te boren […] maer konden niet door ’t schip komen (‚Ich mit allen Zimmerleuten sofort über Bord mit Meisseln und Bohrern, um Löcher ins Schiff zu bohren aber konnten nicht durchs Schiff geraten‘, d. h. ‚Ich ging mit allen Zimmerleuten sofort über Bord mit Meisseln und Bohrern, um Löcher ins Schiff zu bohren, aber wir konnten nicht durchs Schiff geraten‘ WBS 45). Nach maer erscheint dann das finite Verb 1. Pers. Plur. konden an erster Stelle, da das implizierte Subjekt ‚wir‘ in dieser Position fehlt. Auch in en werden hem, onder weeghe, veele woorden, zommighe naar gunst, andere naar ongunst smaakende, naa ’t hooft geworpen (‚Und es wurden ihm unterwegs viele Wörter, manche die von Zustimmung, andere die von Ablehnung zeugten, an den Kopf geworfen‘ PHH 229) tritt das Verb werden nach der Konjunktion en noch vor hem in dieser Position auf. Das finite Verb kann aber auch an dritter Stelle erscheinen wie in Daer op ick seyde (‚Daraufhin ich sagte‘, d. h. ‚Daraufhin sagte ich‘ WBS 50) oder in want hy van beyden seer uytnemende was van handelinghe (‚denn er sich in beiden auszeichnete‘, d. h. ‚denn in beiden zeichnete er sich aus‘ KMS 129) und in Endtlyk hy kreegh’er twee met zich (‚Endlich er bekam zwei mit sich‘, d. h. ‚Endlich gelang es ihm, zwei mitzunehmen‘ PHH 230). Die hier beschriebenen Muster, die nur eine Auswahl syntaktischer Strukturen der frühneuniederländischen Kultursprache darstellen, liessen sich je nach Kontext und Verfasser mit weiteren Typen und Varianten ergänzen. So sind bei Hooft, der auch als Verfasser von Prosa die niederländische Renaissance geradezu verkörperte, syntaktische Varianten in der Muttersprache zu finden, die nicht selten auf die freiere Wortfolge des von ihm so bewunderten Lateins zurückzuführen sind, zum Beispiel wenn ein Adverb zwischen Subjekt und Verb auftritt wie in Hy, daarnaa, roeyt der vloote aan boordt (‚Er, danach, rudert der Flotte entlang‘ PHH 229). Wie sehr er sich syntaktische Freiheiten erlaubte, zeigen stellvertretend für viele andere von ihm gewählte Muster Strukturen vom Typus De uuren van bedenken om zynde; en te zorghen, dat men zich binnen sterken, en ter weere bereyden moghte; rukt de Graaf toe, aan twee troepen (,Die Stunden des Bedenkens vorbeigegangen und fürchtend, dass man sich drinnen verstärken und zur Abwehr vorbereiten könnte, stösst der Graf mit zwei Truppen vor‘ PHH 230). Sie haben in den hypotaktischen Wortgruppen des Vorfeldes andere Subjekte als in den Kernsätzen: so ist im Vorfeld de uuren, im Kernsatz aber de Graaf als Subjekt zu unterscheiden, das bereits nach der Konjunktion en im Vorfeld mit te zorghen impliziert wird. Weiter ist davon auszugehen, dass die spontane mündliche Sprachverwendung, die sich beispielsweise aus Theatertexten herleiten lässt, bedeutend mehr syntaktische Variationen kannte. Zu den vielen Beispielen solcher

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Strukturen zählt eine Äusserung wie watje mient (‚Was Du meinst‘, d. h. ‚Verstehst Du‘ GBS Z. 162) mit Vf3 in Brederos Theaterstück Spaanschen Brabander, die wohl das lebendige, gesprochene Niederländisch seiner Zeit widerspiegelt. Das Problem einer Beschreibung der schier unbegrenzten syntaktischen Möglichkeiten gesprochener Äusserungen, früher wie heute, ist an dieser Stelle jedoch nicht weiter zu vertiefen, hier stehen die bedeutendsten Entwicklungen der geschriebenen Kultursprache im Vordergrund. Untergeordnete Strukturen Mehr als das Mittelniederländische kennt das Neuniederländische untergeordnete Strukturen mit subordinierenden Konjunktionen vom Typus maet het is best dat wy het kruyt over boord smijten (‚Kamerad, es ist am besten, dass wir das Pulver über Bord werfen‘ WBS 44) und die had hyder opgegooten, waer door het scheen dat de brandt uyt was (‚die hatte er darauf gegossen, wodurch es schien, dass der Brand gelöscht war‘ WBS 44) vor. Sie weisen vermehrt Strukturen mit finiten Verben, hier smijten, scheen und was, in Endposition auf, eine Entwicklung, die sich laut Boonen bereits im Mittelniederländischen abzeichnet. Ausklammerung wie in waer toe hy eenen maeckte redelijck langh (‚wozu er einen herstellte, einen ziemlich langen‘ KMS 129) mit redelijck lang nach dem finiten Verb ist aber keine Ausnahme. Gelegentlich fehlt die einführende Konjunktion, zum Beispiel nach bespreck in Hy maeckte met haer een verbondt en bespreck, hy soude al haer loghenen kerven op eenen kerfstock (‚Er machte mit ihr einen Vertrag und ein Abkommen, er würde alle ihre Lügen in ein Kerbholz kerben‘ KMS 129). Enthalten untergeordnete Strukturen ein Partizip und ein finites Hilfsverb, so tritt das finite Verb, namentlich in Texten aus dem Süden, häufig an letzter Stelle auf, wie wort in soo datter gheseyt wort (‚so dass gesagt wird‘ KMS 127). Das Hilfsverb kann aber auch vor dem Partizip stehen, wie geheeten in waerom hy van velen werdt geheeten Pier den Drol (‚warum er von vielen Peter der Witzbold genannt wurde‘ KMS 127). In dat hy in d’Alpes wesende, al die berghen en rotsen had in gheswolghen, en t’huys ghecomen op doecken en Penneelen uytghespogen hadde (‚dass er, als er in den Alpen war, sämtliche Berge und Felsen hereingeschlungen hatte und nachdem er nach Hause gekommen war, auf Leinwänden und Tafeln ausgespien hatte‘ KMS 127) erscheinen beide, auch im modernen Niederländischen gängigen Wortfolgen: die sogenannte ‚rote‘ mit dem Partizip in gheswolgen an letzter Stelle und die ‚grüne‘ mit dem finiten Verb hadde als letztes Element. Die Wortfolge, die im modernen Deutschen in ähnlichen Strukturen obligatorisch ist, wird in den Niederlanden neben der ‚roten‘ Folge im Osten des Sprachgebietes eher bevorzugt. In Strukturen mit Hilfsverben und Infinitiven kommen im Frühneuniederländischen beide Wortfolgen zuerst etwa gleich häufig vor. So steht das finite Verb soude in op dat men haer niet sien soude (‚damit man sie nicht sehen würde‘ WBS 44) am Schluss, in wy sullen sien of wijse konnen beseylen (‚Wir werden sehen, ob wir sie mit dem Segelschiff einholen können‘ WBS 45) hingegen erscheint das Verbum finitum konnen vor dem Infinitiv beseylen. Allmählich kommt in untergeordenten Strukturen mit Infinitiv diese ‚rote‘ Folge im Süden des Sprachgebietes sowie im Süden Hollands dann vermehrt vor, Strukturen mit Partizipien hingegen kennen im gesamten Gebiet immer häufiger die ‚grüne‘ Folge.

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Eine Struktur wie Dat ick anders niet wel by hem soude gekomen hebben (‚dass ich sonst nicht zu ihm hätte kommen können‘ WBS 46) umfasst mehr als zwei Verben in der Endposition mit einem Hauptverb, gekomen, als Partizip. Das finite Hilfsverb des zweiten Grades, soude, geht dann dem infiniten Hilfsverb des ersten Grades, hebben, voran. Die Stellung des Partizips ist variabel, so steht gekomen hier an zweitletzter Stelle, in welcke hy oock soude hebben ghetrouwt (‚welche er auch geheiratet hätte‘ KMS 129) erscheint ghetrouwt an letzter Stelle. Ist das Hauptverb aber ein Infinitiv, so steht dieser in der Regel mit te (‚zu‘) am Schluss wie in hoe hem … geverght was, te verzoeken (‚wie ihn … gefragt war, zu bitten‘ PHH 229). Eine Trennung in der verbalen Endgruppe, wie sie heute noch in südlichen Dialekten vorkommt, kann namentlich durch Objekte und Prädikative erfolgen. So trennt vol die Verbalgruppe in so den kerfstock met der tijdt quam vol te worden (‚wenn das Kerbholz im Laufe der Zeit voll werden würde‘ KMS 129). Lexikalische Elemente, die zwischen dem Hilfsverb und dem Partizip stehen und sich semantisch auf das Hauptverb beziehen, können sich damit zu einem zusammengesetzten Verb verbinden, so opgieten mit dem Element op (‚auf‘) in die had hyder opgegooten (‚die hatte er daraufgegossen‘ WBS 44). 5.4.2.6. Infinitivkonstruktionen, Infinitive Verben wie laten (‚lassen‘), zullen (‚sollen‘), moeten (‚müssen‘), mogen (‚dürfen‘), willen (‚wollen‘), kunnen (‚können‘), gaan (‚gehen‘), blijven (‚bleiben‘), horen (‚hören‘) oder zien (‚sehen‘) kommen nach wie vor ohne te (‚zu‘) in Kombination mit Infinitiven vor, wie gingh sitten in ick gingh sitten (‚ich setzte mich‘ WBS 50). Die Klasse von Verben, die te (‚zu‘) verlangen in Kombination mit einem Infinitiv, wächst allerdings ständig, eine Entwicklung, die bereits im frühen Mittelniederländischen einsetzte. Dagegen wird die Kategorie Verben, die sich sowohl mit als ohne te mit einem Infinitiv verbinden lassen, kleiner. So kommt beginnen (‚beginnen‘), das ursprünglich beide Verknüpfungsmöglichkeiten besass, vermehrt mit te vor wie in omtrent een half uer daer nae, begonnen sy weder te roepen (‚etwa eine halbe Stunde danach begannen sie wieder zu rufen‘ WBS 44). Ursprünglich liessen Verben wie staan (‚stehen‘), zitten (‚sitzen‘), liggen (‚liegen‘), und lopen (‚gehen‘) sich durch en (‚und‘) mit einem Infinitiv verknüpfen, was auch in älteren Phasen des Englischen und Deutschen möglich war. Allmählich machen diese Verbindungen im Neuniederländischen Platz für Durativa bestehend aus finiten Verben, die offenbar mehr oder weniger grammatikalisiert sind, und Infinitiven, so bleven (‚blieben‘) in bleven daer soo leggen (‚lagen dort weiterhin so‘ WBS 47). Das finite Verb bleven würde hier in der Bedeutung ‚bleiben‘ pleonastisch wirken, da ‚liegen‘ ein ‚bleiben‘ impliziert. Als grammatikalisiertes Verb fügt es jedoch Information hinzu, indem es ein duratives Merkmal der Verlaufsform im Sinne eines ‚nicht aufhören‘ ausdrückt. In Konstruktionen wie hoe kaal souwen de Brabbelaars staan kijcken (‚wie sehr würden die mittellosen brabbelnden Leute staunen‘ GBS Z. 195–196) können Verben vom Typus staan (‚stehen‘) zwar den ursprünglichen semantischen Inhalt besitzen, indem sie zum Beispiel die Haltung oder die Position des Subjekts wiedergeben, sie bringen jedoch auch den Durativ einer Verlaufsform zum Ausdruck. Im Laufe der Zeit kommen Verben dieser Kategorie vermehrt in solchen Konstruktionen als grammatikalisierte finite Verben vor,

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wie in Hij zit de hele dag te zeuren dat hij moe is (‚Er jammert den ganzen Tag, dass er müde sei‘). In dieser Struktur wäre de hele dag wohl auf zeuren und nicht auf zitten zu beziehen, das hier folglich als grammatikalisiertes Verb den Durativ der Verlaufsform ausdrückt. Verlaufsformen mit einem Prädikatsnomen wie besig (‚beschäftigt‘) und te wie in waren evenwel noch al besich met water te gieten (‚waren damit beschäftigt, Wasser zu giessen‘ WBS 45) kommen auch schon vor, ebenso eine im modernen Niederländischen geläufige Konstruktion wie Vielen doen wederom dapper aen ’t water gieten (‚Fingen wieder an, Wasser zu giessen‘ WBS 45), die auch im Deutschen als sogenannte rheinische Verlaufsform möglicherweise unter Einfluss des Niederländischen entstand wie in Er ist am Lernen. Wie die Partizipialkonstruktionen können auch Infinitive mit te (‚zu‘) als gebundene Strukturen ohne Subjekt prädikativ bei übergeordneten Wörtern oder Wortgruppen auftreten wie te zorghen in De uuren van bedenken om zynde; en te zorghen, dat men zich binnen sterken, en ter weere bereyden moghte; rukt de Graaf toe (‚als die Stunden zum Überlegen vorbei waren, rückte der Graf, der fürchtete, dass man sich drinnen vorbereiten würde, um sich zu verstärken und zur Wehr stellen, heran‘ PHH 230). Objekte übergeordneter Verben der Wahrnehmung, des Wissens, des Sprechens, des Hoffens, des Tuns und ähnliche wie zum Beispiel zien (‚sehen‘), horen (‚hören‘), zeggen (,sagen‘), hopen (‚hoffen‘), denken (‚denken‘), weten (,wissen‘), maken (‚machen‘) oder doen (‚tun‘) können verknüpft mit einem Infinitiv vorkommen, wie een spiertjen of kleyn-mastjen drijven (‚eine kleine Spiere oder einen kleinen Mast herumtreiben‘) in Ick sagh by dese jonghman een spiertjen of kleyn-mastjen drijven (‚ich sah, dass bei diesem jungen Mann eine kleine Spiere oder ein kleiner Mast herumtrieb‘ WBS 46). So enthält auch water gieten in Vielen doen wederom dapper aen ’t water gieten (‚Fingen dann wiederum tapfer an, Wasser zu giessen‘ WBS 45) einen accusativus cum infinitivo. Es stellt sich die Frage, ob accusativus-cum-infinitivo-Gebilde, die bereits im Gotischen erscheinen, als ursprünglich germanische Strukturen aufzufassen sind. Nicht zu gewagt scheint die Annahme, dass sie im kultivierten Niederländischen der Renaissance durch Einfluss des so bewunderten Lateinischen vorkommen. Finale Infinitive, die ein Ziel zum Ausdruck bringen, kommen nach wie vor mit te (‚zu‘) vor, vermehrt erscheint jedoch om te (‚um zu‘). So kommt in hoe hem by den Ammiraal, mitsgaaders Treslong, en d’ andere Hopluyden des Prinsen, geverght was, te verzoeken, dat de Majestraat, om met hun te spreeken, twee gemaghtighden wilde buiten schikken (‚[…] dass ihm seitens des Admirals, und auch durch Treslong und andere Offiziere von Oranien aufgetragen wurde, sie zu bitten, zwei Beauftragte nach draussen zu schicken‘ PHH 229) verzoeken mit te vor, an spreeken geht aber om te voran. In einer Struktur wie gooten soo veel water, dat het te verwonderen was (,Gossen so viel Wasser, dass man staunen musste‘ WBS 44) funktioniert te verwonderen als prädikatives Attribut (ver)wonderlijk (‚erstaunlich‘), dürfte in der Bedeutung om te verwonderen zudem eine finale Eigenschaft besitzen. Wie bereits dargelegt, kommen Infinitive als Substantive ohne Artikel vor wie eten, drincken, dansen, springen, in dat wesen der Boeren, in eten, drincken, dansen, springen, vryagien, en ander kodden te sien (‚das Wesen der Bauern beim Essen, Trinken, Tanzen, Knutschen und sonstigem Vergnügen zu sehen‘ KMS 127–129), gelegentlich auch mit Kasussuffix wie straffens

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in is geen straffens tijd (‚Es ist keine Zeit für Strafe‘ JVV 3, 542). Vermehrt erscheinen sie aber mit Artikel wie in ’t gaat’ er op een zakken, pakken en vluchten (‚los geht es mit einem Verpacken in Säcken, einem Einpacken und einem Fliehen‘ PHH 230). 5.4.2.7. P  artizipialkonstruktionen, Partizipien Im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus verwenden Gelehrte und Schriftsteller wohl ebenfalls unter Einfluss des Lateinischen vermehrt Partizipialkonstruktionen, die im Vor- oder Nachfeld ein Bezugswort, eine Wortgruppe oder eine übergeordnete Struktur bezeichnen oder sich auf einen nicht in der Struktur erwähnten Sachverhalt beziehen. Die sogenannten gebundenen Partizipialkonstruktionen enthalten kein Subjekt, das implizierte Subjekt kann, muss aber nicht mit dem Subjekt der übergeordenten Struktur zusammenfallen. So ist in Sijn vaetje vol gepompt hebbende, soude hy de steker daer de keers op stond’ uyt halen (‚Als er sein Behälterchen voll gepumpt hatte, wollte er den Kerzenhalter, worauf die Kerze stand, herausholen‘ WBS 41) das Subjekt hy der übergeordneten Struktur das implizierte Subjekt der Partizipialkonstruktion Sijn vaetje vol gepompt hebbende. Hingegen ist das implizierte Subjekt ick (‚ich‘) in der Partizipialkonstruktion toe siende ein anderes als das Subjekt de groote mast (‚der grosse Mast‘) in toe siende, soo lagh de groote mast aen mijn eene zijd’ (‚Dann sah ich, dass der grosse Mast an meiner einen Seite und der Fockmast an der anderen Seite lag‘ WBS 46). Auch sogenannte absolute Partizipialkonstruktionen, die ein Subjekt umfassen und sich auf unterschiedliche Kategorien von Wörtern oder Wortgruppen beziehen können, erscheinen nun häufiger. So enthält die Struktur D’inwoonders van beyde de voorgemelde plaatsen, verwonderden zich ten hooghste oover zulk een’ meenighte van koopvaarders, zoo zy waanden: zynde hunne minste gedachten niet, dat de Waatergeuzen daar met zoo fel en langduurigh een oorlogh quaamen aangezeylt. (,Die Einwohner der beiden vorher erwähnten Orte verwunderten sich in hohen Massen über eine solche Menge von Handelsschiffen, wie sie meinten, nicht im Geringsten ahnend, dass die Wassergeusen dort wegen einem heftigen, langwierigen Krieg hingesegelt waren‘ PHH 229) die Partizipialkonstruktion zynde hun minste gedachten niet mit dem Subjekt hun minste gedachten. Autoren von stilistisch anspruchsvollen Texten wie Hooft zeigen bei der Auswahl von Verben in Partizipialkonstrukionen eine bedeutend grössere Variation als weniger geübte Verfasser wie Bontekoe. Zudem gelingt es gewandten Schriftstellern viel mehr als weniger erfahrenen Schreibern, absolute Partizipialkonstruktionen an unterschiedliche Kategorien Wörter der übergeordneten Struktur anzuschliessen. Häufiger als im Mittelniederländischen kommt das Partizip Präsens verknüpft mit Verben wie zijn, worden, blijven und ähnlichen als Verlaufsform vor, zum Beispiel doende was met het volck met order te stellen (‚Und als ich damit beschäftigt war, das Volk anzuleiten‘ WBS 45). Die Zunahme solcher Konstruktionen im Niederländischen erfolgt in der gleichen Zeitspanne, in der die progressive Form sich im Englischen etabliert, sie sollte sich im Niederländischen aber nicht halten. Auch das perfektische Partizip kann verknüpft mit einem Verb wie komen, ähnlich wie die Verben vom Typus staan (‚stehen‘) mit Infinitiv, als Verlaufsform vorkommen, so zum Beispiel quamen gheloopen in En alsoo ick doende was met het volck met order te stellen, om de brandt, waer ’t mogelijck te uytten, quamen andere van ’t volck, by my gheloopen (‚Und als ich

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damit beschäftigt war, das Volk anzuleiten, den Brand, wenn dies möglich wäre, zu löschen, kamen andere vom Volke zu mir‘ WBS 45), mit quamen, das hier in der ursprünglichen Bedeutung pleonastisch wäre, als grammatikalisiertes Verbum finitum. Dies gilt auch für quaamen in zoo zy waanden: zynde hunne minste gedachten niet, dat de Waatergeuzen daar met zoo fel en langduurigh een oorlogh quaamen aangezeylt. (,wie sie meinten, nicht im Geringsten ahnend, dass die Wassergeusen dort wegen eines heftigen, langwierigen Krieges hingesegelt waren‘ PHH 229). Zudem kommen Strukturen mit verholen (‚versteckten‘) perfektischen Partizipien wie in een Dorp, gheheeten Brueghel (‚ein Dorf, Brueghel genannt‘ KMS 127), die bereits im Mittelniederländischen ihre Verwendung finden, vermehrt vor. Das perfektische Partizip kann übrigens einzeln als Attribut erscheinen, so gelandt in ’T krysvolk, gelandt daarentussen (‚Die Soldaten, die inzwischen gelandet waren‘ PHH 230) oder als prädikatives Attribut wie genaemt in was genaemt Keelemeyn (‚hiess Keelemeyn‘ WBS 44), zudem auch selbstständig wie gemaghtighden in dat de Majestraat, om met hun te spreeken, twee gemaghtighden wilde buiten schikken (‚dass der Magistrat, um mit ihnen zu sprechen, zwei Bevollmächtigte nach draussen schicken wolle‘ PHH 229). 5.4.2.8. Modus und Tempus Konjunktiv Neben dem Indikativ kommt der Konjuntiv in geschriebenen Formen des Nnl. zwar noch regelmässig vor, wird aber weniger als in früheren Zeiten verwendet; in der gesprochenen Sprache tritt er vermutlich weniger auf. An Stelle vom Konjunktiv- oder Optativmodus des Verbs wie saghe finden auch umschriebene Formen wie soude komen Anwendung, vgl. ende klam op eenen Moerbeysen boom, op dat hy hem saghe, want hy soude daer door komen (,und stieg in einen Maulbeerbaum, damit er ihn sähe, denn er würde dort durchkommen‘ Lucas 19). Dass Joannes Vollenhove 1678 de Nederduitsche schryvers (,den niederländischen Schriftstellern‘) in einer Anmerkung zu einem seiner Gedichte erklärt, wiert sei als Konjunktiv- oder Optativmodus zu verwenden, zeigt laut Van der Horst, dass mancher, der den Rückgang der Verwendung dieser Aussageweisen des Verbs bedauerte, den Konjunktiv zu beleben versuchte. Auch wenn die Verfasser in der Schriftsprache bis zum Anfang des 20. Jh. immer wieder den Konjunktivmodus wählten, um einen Wunsch, eine Möglichkeit oder einen Ansporn auszudrücken, so ersetzten auch in der geschriebenen Sprache vorhandene, umschriebene Formen mit zou (,würde‘) und zouden (‚würden‘) oder Formen des Präteritums die Konjunktivformen des Verbs. Passiv Das Passiv wurde sowohl mit zijn (,sein‘) als mit worden (,werden‘) gebildet, vgl. was in de sloep […] was oock uytgeset (,die Schaluppe war auch ausgesetzt worden‘ WBS 44) und werd in de poorte, die hem geoopent werd (,das Tor, das ihm geöffnet wurde‘ PHH 229). Dem handelnden Subjekt gehen Präpositionen wie van, door oder bij (,von‘) voran, vgl. van in en geen ontset, van yemandt op aerden (,und keine Hilfe von jemandem auf Erden‘ WBS 44), door in geperst door den Hartogh van Alva (,gezwungen vom Herzog Alba‘ PHH 229) und by in hoe hem by den Ammiraal […] geverght was, te verzoeken (,wie ihn vom Admiral gefragt war, zu

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ersuchen‘ PHH 229). Wahrscheinlich fand van wie im Deutschen von ursprünglich bei menschlichen Subjekten Anwendung, später sollte door sich als Präposition vor der handelnden Person durchsetzen. Imperativ Im Mnl. kam die Imperativform ohne -t mit du (,du‘) vor, die Form mit -t trat mit ghy (,Sie‘, ,Ihr‘) auf. Allmähnlich wird die Bildung mit -t in der nnl. Schriftsprache üblich, im 18. Jh. kommen dann beide Formen vor. Ab der Mitte des 19. Jh. setzt sich die -t-lose Form durch, die wohl dem gesprochenen Niederländischen entsprochen hat, wie Jansen und Gerritsen darlegen. Nach Van der Horst hat die Verwendung der Imperativform ohne -t bereits im 17. Jh. zugenommen, so beklagt sich Huydecoper über Vondel, wenn Letzterer -t weglässt, wo dieses verlangt würde. Sodann kommen im Nnl. Konstruktionen mit zwei anschliessenden Imperativen vor wie in Paardekoopers Beispiel gaet souckt in gaet souckt een ander medecijn (,geht sucht eine andere Medizin‘), die als ,geht suchen‘ aufzufassen wären. Zeitformen Die nnl. Verben kennen in der Bildung der Zeiten vereinzelte Erneuerungen, wie u.a. Van Leuvensteijns entsprechender Darstellung zu entnehmen ist, die im Weiteren berücksichtigt wird. So weisen die Ablautreihen der sieben Klassen der starken Verben (vgl. 3.4.2.6. und 4.4.2.6.) vermehrt Vokale auf, die nicht regelkonform ablauten. Die zweite Klasse zeigt im Inf. und Präs. beispielsweise Varianten wie /ui/, /uw/ oder /ouw/, vgl. duwen (‚schieben‘) und douwen. Andere Klassen haben dagegen im 16. Jh. noch einen regelmässigen Wechsel zwischen Inf. und Präs., Prät. Sing., Prät. Plur. und Part., so beispielsweise die erste Klasse mit den Vokalen /ij/-/ee//e/-/e/, vgl. grijpen (‚greifen‘) – greep – grepen – gegrepen. Verben mit Vokalen, die aus dem Sytem der starken Verben ausschieden, wurden vollständig oder teilweise schwach, so das Verb barsten (‚bersten‘) mit den Varianten bersten und borsten, das laut WNT neben einer starken Form wie Prät. Sing. borst auch das schwache barstte kennt. Übrigens ist das Vorkommen von unterschiedlichen Varianten dieser Vokale laut De Vriendt teilweise dialektisch bestimmt, so ist der ie-Vokalismus im Prät. des Verbs werden, auch worden (‚werden‘) eine südniederländische Erscheinung, vgl. fläm. und brab. wiert mit holl. wert. Eine zunehmende Zahl von Verben wird im 16. Jh. schwach, so benijden (‚beneiden‘), branden (‚brennen‘), eisen (‚fordern‘), helen (‚verbergen‘), kleven (‚kleben‘), krijgen (‚Krieg führen‘), mijden (‚meiden‘), ontberen (‚entbehren‘), schrikken (‚schrecken‘), sinnen (‚begehren‘), waaien (‚wehen‘) oder zaaien (‚säen‘). Einige Verben wie buigen (‚beugen‘) oder worden (‚werden‘) kennen neben den ursprünglich starken Bildungen auch schwache Formen, andere erscheinen mit einem schwachen Prät. beziehungsweise Part., vgl. schelden (‚[aus]schelten‘) mit dem Prät. schaut und dem Part. ghescelt neben den Part. geschouwden und gescholden. Umgekehrt werden schwache Verben vollständig oder teilweise stark, so zum Beispiel kwijten (‚erfüllen‘, ‚erledigen‘), lijken (‚scheinen‘), prijzen (‚loben‘), belijden, (‚bekennen‘), wijzen (‚zeigen‘), spijten (‚bedauern‘) oder kluiven (‚nagen‘). Andere Verben entwickeln Ablautformen, so schenden (‚schänden‘), schenken (‚schenken‘), zenden (‚senden‘) oder treffen (‚treffen‘).

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Bereits im 16. Jh. kommen im Prät. der schwachen Verben Bildungen wie settede (‚setzte‘) vor. Sie erscheinen vermehrt im 18. Jh., verschwinden dann allmälich.

5.4.3. Lexik Die erhebliche Ausdehnung des neuniederländischen Wortschatzes durch Bedeutungswandel, Neuschöpfung und Entlehnung ist dem Benennungsbedürfnis zuzuschreiben, welches die Etab­ lierung des Niederländischen als überregionale Kultursprache in der sich rasch ändernden Gesellschaft der frühen Neuzeit mit sich brachte. Texte in sämtlichen Lebensbereichen, Veröffentlichungen auf allen Fachgebieten, in denen Gelehrte und Schriftsteller nun auch die Muttersprache verwendeten (siehe 5.2.3.), weisen neue lexikalische Elemente auf. Die bescheidene Zahl der in diesem Kapitel angeführten Beispiele kann nur lückenhaft einen allgemeinen Eindruck von der Art und vom Ausmass der Änderungen des niederländischen Wortschatzes der frühen Neuzeit vermitteln. Bedeutungswandel vollzog sich u.a. unter Einfluss von Entdeckungen oder durch gesellschaftliche Entwicklungen. So bezeichnete erdappel, das 1351 belegt ist, laut dem MNW ursprünglich ein Alpenveilchen oder ‚Saubrot‘, eine Bedeutung, die sich bis Ende des 17. Jh. hielt. Erst als die Wurzelknolle der Solanum-Tuberosum-Pflanze, die 1565 von Peru aus nach Europa kam, Mitte des 17. Jh. allgemein bekannt wurde, erhielt aardappel allmählich die spezifische Bedeutung von ‚Kartoffel‘. Ein Begriff wie genade, Altniederländisch ginātha (10. Jh.), hatte ursprünglich die Bedeutung des lateinischen misericordia oder ‚Erbarmen‘, in der Zeit der Reformation entwickelte es sich zu einem Äquivalent des lateinischen gratia oder ‚Gnade‘. Nicht selten erfolgte die Entstehung eines Wortes unmittelbar durch ein eingreifendes Ereignis, zum Beispiel das Wort armada, das 1588, als der Angriff der spanischen Kriegsflotte drohte, zum ersten Mal belegt ist. Sodann wuchs das Lexikon durch gesellschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Erneuerungen. So finden seit 1584, als die erste Grammatik des Niederländischen erschien, Fachausdrücke wie diminutief (‚Diminutiv‘), femininum (‚Feminin‘), geslacht (‚Genus‘), klinker (‚Vokal‘), kreeftdicht (‚Palindrom‘), masculinum (‚Maskulin‘), medeklinker (‚Konsonant‘), meervoud (‚Plural‘), neutrum (‚Neutrum‘), woordenboek (‚Wörterbuch‘) und zin (‚Satz‘) Verwendung. Bezeichnungen für exotische Früchte wie ananas (‚Ananas‘), banaan (‚Banane‘), mango (‚Mango‘), papaja (‚Papaya‘) und pisang (‚Banane‘), die 1596 zum ersten Mal belegt sind, entstanden im Zeitalter der Entdeckungsreisen und Koloniegründungen. Die folgende Auslese aus den mehreren Tausend Neubildungen zwischen 1500 und 1650 zeigt, wie in sämtlichen Sektoren der Gesellschaft neue Wörter Verwendung fanden. Die angeführten Jahreszahlen bezeichnen jeweils das Datum des ersten Beleges, allerdings ist in Anbetracht der Problematik der Datierungen anzunehmen, dass die Entstehung vieler Wörter nicht selten merklich früher als das angegebene Jahr anzusetzen ist. Aus den zahlreichen neuen Bezeichnungen für Tiere und Pflanzen liesse sich ein umfangreiches Biologiebuch zusammensetzen. Zu den vielen Dutzenden Neuschöpfungen auf dem Gebiet der Zoologie zählen u.a. pink (‚einjähriges Kalb‘, 1514), rob (‚Robbe‘, 1514), muildier (‚Maultier‘, 1542), mormeldier (‚Murmeltier‘, aus Dts., 1542), dog (‚Dogge‘, aus Eng., 1546), hyena

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(‚Hyäne‘, aus Lat., 1552), poes (‚weibliche Katze‘, 1561), schimmel (‚Schimmel‘, aus Dts., 1567), big (‚Ferkel‘, 1573), giraffe (‚Giraffe‘, 1588), zebra (‚Zebra‘, aus Port., 1596) und walrus (‚Walross‘, aus Schwed., 1594). Neu in der Botanik sind u.a. framboos (‚Himbeere‘, aus Frz., 1554), anjer (‚Nelke‘, 1554), mais (‚Mais‘, aus Spa., 1581) oder tulp (‚Tulpe‘, aus Frz., 1581). Zu den neuen Bezeichnugen für Menschen zählen u.a. zuigeling (‚Säugling‘, aus Dts., 1526), grootvader (‚Grossvater‘, Nachbildung aus dem Frz., 1545), meisje (‚Mädchen‘, 1629), echtgenoot, echtgenote (‚Ehegatte, Ehegatttin‘, 1631) und papa (‚Papa‘, aus Frz., 1642). Mit den neuen Wörtern für Lebensmittel könnte man Dutzende abwechslungsreiche Menüs, vom Frühstück bis zum Nachtessen, kreieren, mit Speisen und Getränken wie zum Beispiel marmelade (‚Marmelade‘, aus Frz., 1536), vlaai (‚Fladen‘, 1540), puree (‚Püree‘, aus Frz., 1544), appelsap (‚Apfelsaft‘, 1562), boterham (‚Brotscheibe‘, 1567), bloemkool (‚Blumenkohl‘, 1567), parmezaan (‚Parmesankäse‘, 1589), cacao (‚Kakao‘, 1596), knakworst (‚Knackwurst‘, aus Dts., 1599), kruidnagel (‚Nelke‘, 1599), frikadel (‚Frikadelle‘, aus Frz., 1599). Zu den neuen Bezeichnungen für Genussmittel zählen u.a. tabak (‚Tabak‘, 1577), drank (‚stark alkoholische Getränke, 1580), jenever (‚Genever, Wacholderbranntwein‘, 1606), thee (‚Tee‘, 1637) und koffie (‚Kaffee‘, aus Türk. 1640). Die damalige Einrichtung der Häuser, die Kleidung und die Gebrauchsgegenstände der Bewohner liessen sich in Einzelheiten mit den vielen Neuschöpfungen, wie u.a. ledikant (‚Bett‘, aus Frz., 1545), kachel (‚Ofen‘, 1591), klomp (‚Holzschuh‘, 1567), schaats (‚Schlittschuh‘, 1567), satijn (‚Satin‘, 1599), tulband (‚Turban‘, aus Türk., 1601) und kant (‚Spitze‘, 1617) beschreiben. Zu den zahlreichen neuen Ausdrücken für Schiffstypen gehören u.a. aak (‚Kahn‘, 1520), jacht (‚Jacht‘, 1528), zeilschip (‚Segelschiff‘, 1573), vaartuig (‚Fahrzeug‘, 1625), kruiser (‚Kreuzer‘, 1634) und roeiboot (‚Ruderboot‘, 1642). Neue Wörter in den Bereichen Handel, Landwirtschaft und Gewerbe sind u.a. boer (‚Bauer‘, 1516), dukaat (‚Dukaten‘, aus Frz. 1525), credit (‚Kredit‘, aus Ita., 1543), daalder (‚Taler‘, aus Nds., 1566), zetter (‚Schriftsetzer‘, 1567), saldo (‚Saldo‘, aus Ita., 1569), kruidenier (‚Lebensmittelhändler‘, 1568), slager (‚Schlachter‘, 1573), magazijn (‚Magazin‘, aus Frz., 1588), dubbeltje (‚Zehn Cent‘, 1612), snol (‚Schnalle‘, 1612), winkelier (‚Ladenbesitzer‘, 1614), drukker (‚Drucker‘, 1626), beim Militär u.a. artillerie (‚Artillerie‘, aus Frz., 1550), generaal (‚General‘, aus Frz., 1567), leger (‚Heer‘, 1596), ruiterij (‚Reiterei‘, aus Nds., 1599), schout-bij-nacht (‚Flaggoffizier‘, 1610) und krijgsmacht (‚Streitkräfte‘, 1637). Eine grosse Zahl von Neubildungen sind ebenfalls in Bereichen wie Kunst, Wissenschaft, Jurisprudenz, Medizin und Religion festzustellen. Mit den neuen Ausdrücken lassen sich beispielsweise Grundrechenarten, physikalische Gesetze, die Grammatik der Muttersprache oder das Prozessrecht genauso gut beschreiben wie Kapitel aus der Anatomie des menschlichen Körpers. Zu den entsprechenden Neuschöpfungen zählen u.a. sommatie (‚Aufforderung‘, aus Frz., 1502), delict (‚Tatbestand‘, aus Frz., 1503), rekwisiet (‚Requisit‘, aus Lat., 1508), alibi (‚Alibi‘, aus Lat., 1510), reuma (‚Rheuma‘, aus Lat., 1514), dagvaarden (‚vorladen‘, 1522), augustijn (‚Augustiner‘, 1523), vertalen (‚übersetzen‘, 1526), luthers (‚lutherisch‘, 1528), catechismus (‚Katechismus‘, aus Lat., 1538), poëzie (‚Lyrik‘, aus Frz., 1548), evangelisch (‚evangelisch‘, aus Frz., 1550), bibliotheek (‚Bibliothek‘, aus dem Frz. beziehungsweise Lat. und Gri., 1552), anatomie (‚Anatomie‘, aus dem Lat., 1553), vermenigvuldigen (multiplizieren‘, 1562), sonnet

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(‚Sonett‘, aus Frz., beziehungsweise Lat. und Griechisch 1565), theater (‚Schauspielhaus‘, aus Frz., 1566), klavier (‚Klavier‘, aus Frz., 1567), professor (‚Professor‘, aus Lat., 1575), gerefor­ meerd (‚reformiert‘, 1578), protestant (‚Protestant‘, aus Lat., 1579), componist (‚Komponist‘, aus Dts., 1588), algebra (‚Algebra‘, via Mittellat., aus dem Arabischen 1612), proza (‚Prosa‘, 1617), dominee (‚protestantischer Pfarrer‘, aus Lat., 1619), vacuüm (‚Vakuum‘, aus Lat., 1627), roman (‚Roman‘, aus Frz., 1642), cel (‚Zelle‘, aus Lat., 1644), getuige (‚Zeuge‘, 1644), ballet (‚Ballett‘, aus Frz., 1650) thesis (‚These‘, aus Lat., 1650) und stilleven (‚Stillleben‘, 1650). Die Bildung der neuen lexikalischen Elemente konnte nach bestehendem Muster erfolgen. Es entwickelten sich aber auch andere Verfahren, um Wörter zu bilden, wie die Beispiele in den folgenden Abschnitten zeigen. Einige ältere Möglichkeiten zur Neuschöpfung wurden unproduktiv. 5.4.3.1. Neubildung Aus bestehenden Wörtern entstanden lexikalische Neuschöpfungen u.a. durch Kompositionen aus Substantiven zum Beispiel vom Typus manwijf (‚Mannweib‘, 1599), aber auch aus anderem lexikalischem Material, so pleytbezorgher (‚Staatsanwalt‘ PHH 215). Puristen wie Hooft schufen nicht selten ausgefallene Neubildungen. Zu den vielen Hunderten solcher neuen Wörter zählt ein Adjektiv wie toegebolwerkt (buchstäblich ‚zugebollwerkt‘ in der Bedeutung von ,verstärkt und zugemacht‘ PHH 231) und das Substantiv verkoorling (‚Auserwählter‘ PHH 231). Auch Derivation ermöglichte die Bildung neuer lexikalischer Elemente, zum Beispiel bevelhebber (‚Befehlshaber‘, 1532) oder strijkstok (‚Geigenbogen‘, 1567). Weiter konnten Wörter durch Mutation eine andere Funktion übernehmen, zum Beispiel wenn das Verb eten (‚essen‘) zum Substantiv eten (‚Essen‘) modifiziert wurde, so auch drincken, dansen und springen in Hier hadde Brueghel zijn vermaeck, dat wesen der Boeren, in eten, drincken, dansen, springen, vryagien, en ander kodden te sien (‚Hier hatte Brueghel seinen Spass, das Wesen der Bauern beim Essen, Trinken, Tanzen, Springen, Knutschen und weiteren Arten des Vergnügens zu sehen‘ KMS 127–129). Es entwickelten sich allmählich weitere Wortbildungsverfahren. Neue Zusammensetzungen konnten Imperativformen enthalten wie strijk-en-zet (‚immer wieder‘, 1561) oder vaarwel (‚Lebewohl‘, 1573). Weiter entstanden Neubildungen aus einem Verbteil mit dem Suffix -er wie uitgever (‚Herausgeber‘, 1566), auch mit vorangehendem Substantiv wie schoorsteenveger (‚Schornsteinfeger‘, 1596). Sodann gibt es Beispiele von Verben, die einen Stamm mit einem Körperteil verknüpfen, wie klaptanden (,mit den Zähnen klappern‘, 1646), oder die eine Präposition beziehungsweise ein Adverb mit einem Substantiv kombinieren wie omsingelen (‚umzingeln‘, 1620). Ebenfalls gingen neue Zusammensetzungen aus der Kombination von Partizipien mit Substantiven hervor wie Goudgeschrei (‚Geschrei um Gold‘, 1627), öfters handelt es sich beim Substantiv um ein Objekt wie im Wort godtgewijde (‚Gott geweihte‘, 1637, JVV 3, 571). Nach wie vor entstanden Substantive aus Verben mit Hilfe des Suffixes -er namentlich bei Andeutungen für Personen, wie bakker (‚Bäcker‘, 1569), jetzt aber auch als Bezeichnungen für die geografische Herkunft von Menschen, wie Waterlander (‚Einwohner von Waterland‘, 1637). Zudem erschienen Neubildungen, die einen Körperteil mit einer Eigenschaft verbinden, wie suycker-mongktje (‚Zuckermündchen, süsses Mädchen‘, Bredero 1971, Z. 168). Auch konnten

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lexikalische Elemente wie rijk (‚reich‘) mit der Bedeutung ‚viel von‘ oder loos (‚leer‘) mit der Bedeutung ‚ohne‘ als Teil einer neuen Zusammensetzung erscheinen wie in levenloos (‚leblos‘, 1605). Ausserdem wurden Adverbien mit Diminutiv und -s gebildet, wie goelickjes (‚gutmütig‘). Es entstanden Zusammensetzungen aus einer Präposition gefolgt vom Zahlwort een wie aaneengesmeed (‚zusammengeschweisst‘ JVV 3, 577), ebenfalls konnten Substantive als verstärkende Elemente zu Neuschöpfungen führen, wie wonderveel (‚Wie ein Wunder so viele‘, d. h. ‚erstaunlich viel’, 1590) und steenhard (‚So hart wie Stein‘, d. h. ‚sehr hart‘, 1573), die ursprünglich auf einem Vergleich beruhen. Neue Wörter und Phraseologismen gingen auch aus Entlehnung hervor, sowohl durch unmittelbare Übernahme, zum Beispiel retour (‚retour‘, 1508), durch Angleichung, zum Beispiel couragie (‚Mut‘, WBS 46) wie auch durch Umschreibung. So wurde klinkdicht (‚Sonett‘), das die Herausgeber der Anthologie Den Nederduytschen Helicon 1610 vermutlich zum ersten Mal verwendeten, aus klinken (‚klingen‘) und dicht (‚Gedicht‘) gebildet. Schliesslich schöpfte man neue Wörter durch Übersetzung, zum Beispiel das heute übliche deelwoord für das lateinische participium (‚Partizip‘), das Van Heule wahrscheinlich als erster Grammatiker 1633 benutzte. Als Quellen für die Entlehnungen dienten in der frühen Neuzeit vor allem das Französische und das Lateinische, viele andere Sprachen lieferten aber auch lexikalisches Material für die Neuschöpfungen im Niederländischen. Die Bedeutung anderer Sprachen für die Erweiterung des niederländischen Wortschatzes in sämtlichen Lebensbereichen geht stellvertretend für viele Hunderte Entlehnungen aus den folgenden Beispielen von Schiffsnamen, die zwischen 1500 und 1600 entstanden, hervor: karveel (‚Karavelle‘, aus dem Frz. oder Port., 1533), galjoen (‚Galeone‘, aus dem Frz., 1538), jol (‚Jolle‘, aus dem Nds., 1567), kits (‚Ketsch‘, aus dem Eng., 1572), armada (‚Armada‘, aus dem Spa., 1588), galjas (‚Galjas, kleines Handelsschiff‘, aus dem Frz., 1592), pinas (‚kleines, schnelles Kriegsschiff im Dienste der VOC‘‚ aus dem Frz., 1595), jonk (‚Dschunke‘, aus dem Indonesischen, 1596), prauw (‚Prau‘ aus dem Indonesischen, 1596), fregat (‚Fregatte‘, aus dem Frz., 1598), kano (‚Kanu‘, aus dem Spa., 1598) und kaan (‚Kahn‘, aus dem Dts., 1599). Eine grosse Zahl Phraseologismen entstanden durch die schöpferische Arbeit von Dichtern wie Roemer Visscher, Bredero, Hooft, Vondel, Cats, Huygens oder Johan de Brune. Unzählige prägnante Formulierungen wie Al is de leugen nog zo snel, de waarheid achterhaalt haar wel (‚Wie schnell die Lüge auch sein mag, die Wahrheit wird sie einholen‘ 1614) oder Daer de wijn gaet in de man, Gaet de wijsheid in de kan (,Wenn der Wein in den Mann geht, geht die Weisheit in die Kanne‘ 1636) sollten als geflügelte Worte das Niederländische bereichern. Die Werke des damals beliebten und viel gelesenen Jacob Cats, von manchem seiner Titel erschienen in einigen Jahrzehnten über 50.000 Exemplare, trugen insbesondere zur Verbreitung solcher Phraseologismen bei. Weiter gingen aus der Übersetzung der Bibel viele Hunderte Phraseologismen hervor. Bereits die Liesvelt-Bibel 1542 enthält zahlreiche Redewendungen wie dach des Heeren (‚der Tag des Herren‘), de hand in eigen boezem steken (‚die Schuld bei sich selbst suchen‘) oder steen des aanstootens (,Stein des Anstosses‘). In der Deux-Aes-Bibel 1562 sind onder een korenmate stellen (‚sein Licht unter den Scheffel stellen‘) oder mijns broeders hoeder (‚meines Bruders Hüter‘) zu finden. Weitere Phraseologismen entstanden, als die

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Übersetzer die Bibeltexte für die Statenvertaling unmittelbar aus den ursprünglichen Sprachen übertrugen, wie zum Beispiel de hayren te berge staen (‚die Haare stehen zu Berge‘). Auch der sogenannte hebräische Genitiv wie het boek der boeken (‚das Buch der Bücher‘, 1647), das noch immer produktiv ist, wurde durch die Verwendung in Bibelübersetzungen allgemein bekannt. Da die grosse Mehrheit der Niederländer, Ungebildete wie Gebildete, regelmässig Bibeltexte zur Kenntnis nahmen, sollten die aus den Bibelübersetzungen stammenden Phraseologismen die Muttersprache mit prägen. Andere Verfahren der Wortbildung wurden unproduktiv, eine Entwicklung, die bereits im Laufe des Mittelalters einsetzte, so zum Beispiel die Bildung von Substantiven aus Verben mit dem Suffix -m wie bloem (‚Blume‘) aus bloeien (‚blühen‘) oder von Adjektiven aus Verben mit dem Suffix -n wie groen (‚grün‘) aus groeien (‚wachsen‘). Dies gilt auch für Tiernamen auf -el wie wezel (‚Wiesel‘) und für die Bildung kausativer Verben mittels Ablaut wie zogen (‚säugen‘) aus zuigen (‚saugen‘). Ebenfalls wurden einige Suffixe als Mittel zur Wortbildung in der frühen Neuzeit allmählich unproduktiv, namentlich -el, -nis, -st und -te sowie das Zirkumfix ge…te, die zur Entstehung von Lexemen wie kiezel (‚Kies‘, 1287), belijdenis (‚Bekenntnis‘, 1637), vangst (‚Fang‘), zwakte (‚Schwäche‘) und gebergte (‚Gebirge‘) geführt hatten. Suffixe wie -eren und -elen hingegen funktionieren bis heute als Wortbildungselemente, so ist spetteren (‚spritzen‘) zum ersten Mal 1903 und verdoezelen (‚vertuschen‘) erstmals 1908 belegt. Möglicherweise wurden Wortbildungselemente unproduktiv, weil ihre ursprüngliche Bedeutung für die Sprecher verloren ging. Unsicher ist, ob das Verschwinden dieser Mittel die Verwendung anderer sprachlicher Elemente für die Bildung von neuen Lexemen ermöglichte. 5.4.3.2. Formvarianz Formvarianten durch e-Apokope, so bed statt bedde (‚Bett‘), aber auch durch Verlängerung mit Schwa ergaben sich namentlich bei Verben und Substantiven. Bereits im Mittelniederländischen tritt e-Apokope in Erscheinung, ein Prozess, der sich in der Neuzeit fortsetzt. De Heuiter schreibt 1581 diesbezüglich, dass die Holländer ihre Wörter ‚abbeissen und aufessen‘. Van Heule erwähnt als Beispiele dieser Lautentwicklung die Pluralformen von Substantiven ohne /n/ im Auslaut, so Scheepe (‚Schiffe‘), Huyze (‚Häuser‘), Stede (‚Städte‘) und Lande (‚Länder‘), zudem auch Formen von Verben wie Loope (‚gehen‘, ‚laufen‘), Blijve (‚bleiben‘) und Valle (‚fallen‘). Zu diesen ‚Kürzungen‘, die der Grammatiker als holländisch einstuft, meint er, dass sie strijden tegens des spraekx natuyre (‚verstossen gegen die Natur der Sprache‘). Andererseits bemängelt Van Heule diesbezüglich auch das Flämische, das in den entsprechenden Positionen nicht nur /n/ beibehält, sondern ein zusätzliches Schwa kennt, was er belegt mit Loopene, Draegene (‚tragen‘), Komene (‚kommen‘), Werkene (‚arbeiten‘) sowie mit Schuyte (‚Schute‘), Wagene (‚Wagen‘) und Steene (‚Steine‘). Übrigens handelt es sich bei den Verben um alte Gerundiumformen und nicht um Verlängerungen mit Schwa. Die Schriftsteller verhalten sich zu diesen Erscheinungen nicht eindeutig, so wählen Vondel und Cats mal Wortformen mit, mal ohne Apokope. Wie die Übersetzer der Statenvertaling möchte Hooft laut seinen Waernemingen -e als Merkmal der femininen Substantive beibehalten, für Neutra bevorzugt er später während einer längeren Zeit seines Schaffens die kürzeren Formen.

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Eine Erscheinung wie e-Apokope passt in die Entwicklung des Niederländischen von einer synthetischen zu einer analytischen Sprache, kürzere Formen traten vermehrt auf. Im Nordosten sowie im Südwesten des Sprachgebietes hat sich e-Apokope allerdings nicht durchsetzen können. Das Lexikon der Standardsprache umfasst auch heute noch einige ungekürzte Formen wie in gave aus gāva (‚Gabe‘, 1100), sodann in einigen Lehnwörtern aus dem Deutschen wie toename (‚Zunahme‘, 1893), in von Redensarten konservierten Wörtern, beispielsweise ere in ere wie ere toekomt (‚Ehre wem Ehre gebührt‘) wie auch in festen Ausdrücken, die zur traditionellen geschriebenen Sprache gehören, zum Beispiel zegge für zeg (‚sage‘), das gelegentlich einer Geldsumme im Wortlaut vorangeht. Das -e behauptete sich weiter in flektierten Formen des Adjektivs wie in Onse groote boot (‚Unser grosses Schiff‘ WBS 44), so auch in Ordinalen wie in Op den eersten van Grasmaandt (‚Am ersten April‘ PHH 229) und im Imperfekt der schwachen Verben wie in ick vermoede (‚ich vermutete‘ WBS 44). Auch blieb das Schwa im Suffix -te in Wörtern wie grootte, mnl. auch groote (‚Grösse‘, 13. Jh.) beibehalten, die sich so von Adjektiven wie groot unterschieden. Ein Substantiv wie breedte (‚Breite‘, 1618) hat sich vielleicht analog aus breed mit Suffix -te entwickelt an Stelle des älteren breede, wovon im Übrigen bereits Anfang des 12. Jh. im Niederrheingebiet Varianten wie breite belegt sind. Möglicherweise hat sich das Schwa ähnlich in Substantiven wie waarde (‚Wert‘, anl. werth, 10. Jh., mnl. werde, waerde, 13. Jh.) gehalten, die mit dem Suffix -de einer Verwirrung mit dem Adjektiv, hier waard, zuvorkommen. Als Kürzungen von Wörtern mit betontem Vokal vor dem Suffix -de wie heide entstanden Varianten ohne -de wie hei (,Heide‘) an Stelle der zu erwartenden e-Apokope heid. Eine andere Erklärung der Form hei wäre die Vokalisierung des intervokalischen ‚d‘. 5.4.3.3. Änderungen in Wortkategorien Reflexive Pronomina Im Mnl. dienten hem und haer als reflexive Pronomina der 3. Pers., im 16. Jh. traten das hds. sich und das norddeutsche sick vermehrt an ihre Stelle. Die Twe-spraack bevorzugt diese von den benachbarten Sprachen stammenden Pronomina ohne weitere Begründung, Leupenius zieht sie ebenfalls vor, um mögliche Doppeldeutigkeiten zu vermeiden. So legt er dar, dass der Satz Hy heeft hem daer mede gemoeyt zwei Interpretationen erlaubt: (a) ‚Er hat einen damit belästigt‘, (b) ‚Er hat sich darum bemüht‘. Die Verwendung des reflexiven Pronomens sich hebe eine solche Doppeldeutigkeit auf, sie lässt nur (b) zu. Leupenius stellt ähnliche Überlegungen an, bevorzugt aber das norddeutsche sick. Ein Schriftsteller wie Vondel benutzt häufig zich, Hooft ersetzt in der Neuausgabe seiner Werke hem und haer durch zich, das sich im überregionalen Niederländischen durchsetzen sollte. Das Personalpronomen der 2. Pers. Das Personalpronomen jij mit der unbetonten Form je ist im heutigen allgemeinen Niederländischen die 2. Pers. Sing., daneben ist im überregionalen Niederländischen im Süden gij mit der unbetonten Variante ge üblich. Die 2. Pers. Plur. lautet jullie (‚ihr‘), mit der entsprechenden süd-

XVa  Hans Jurriaensz.   van Baden   (zirka 1604–1663), ­Schauspielhaus ­Amsterdam, 1653,   Theater Instituut N ­ ederland.

XVb  Jahrmarkttheater auf dem Grand Place Brüssel, Anf. 18. Jh., früher   Balthasar van den Bossche (1681–1715) zugeschrieben, KMSKB, Brüssel.

XVI  Jan Ekels der Jüngere (1759–1793), Ein Schreiber, der seine Feder anspitzt, 1784,   Rijksmuseum Amsterdam.

5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit

385

lichen Variante gij oder ge. Während im Süden gij und ge im gesprochenen Niederländischen die normalen Bezeichnungen für ‚du‘ und ‚ihr‘ sind, wird die Verwendung von gij und ge im Norden als archaisch oder feierlich empfunden; so kann gij zum Beispiel im Gebet verwendet werden. Die Höflichkeitsform Sing. und Plur. lautet u. Neben dem seit Jahrhunderten bestehenden gij entwickelten sich in der frühen Neuzeit Personalpronomina wie jij (‚du‘) und jullie (‚ihr‘), das vorhandene u erfuhr eine Funktionserweiterung. Erst zögerlich tritt jij in Texten des 17. Jh. auf, vgl. jen in jen soutet […] niet loven (‚du würdest es […] nicht loben‘) von 1612 oder jy in waer ick as jy (‚wäre ich wie du‘) von 1615. Nach Berteloot und Aalberse wäre ghy für das gemeine Volk in Holland zu vornehm, man habe daher in der Umgangssprache jy/je verwendet. Da diese Formen im Mnl. nicht belegt sind, kann man auch wie Van der Sijs vermuten, dass jij und je erst in der frühen Neuzeit entstanden, und zwar aus enklitischen Formen von ghi. Ob das niederdeutsche ji, das dank der vielen Immi­granten aus dem Osten wohl täglich in den holländischen Städten zu hören war, die Verwendung von jij/ je gefördert hat, lässt sich nicht überprüfen: inwiefern übernahm man überhaupt etwas aus der Sprache von Einwanderern, über die man sich gerne lustig machte, zumindest wenn sie aus dem Süden kamen (vgl. 5.3.1.3.)? Bis ins 18. Jh. gehören die Pronomina jij/jou wohl zum Gassenjargon, Ten Kate hält sie 1723 für zu laag (‚niedrig‘) für die Schriftsprache. Dass Ten Kate es für nötig hält, je nicht nur zu erwähnen, sondern auch zu bewerten, kann aber zugleich auf eine Verbreitung dieses Pronomens als annehmbares Synonym von gy im gesprochenen Niederländisch deuten. Sodann tritt im Laufe des 17. Jh. u als Subjektform in der 2. Pers. auf, vgl. u in u sult hoope ick een wijf hebben […] (‚denn Sie werden, so hoffe ich, eine Frau haben […]‘) aus dem Jahre 1624. Die Form entstand vielleicht dank einer Funktionserweiterung der bestehenden Objektform u. Es ist aber auch möglich, dass die Subjektform sich aus der bestehenden höflichen Anredeform Uw Edelheid entwickelt hat: durch die Aussprache uwe wäre aus dieser 3. Pers. Sing. u als eine respektvolle Form neben je oder gy hervorgegangen. Als Pluralform tritt jelui (‚ihr‘) ebenfalls erst im 17. Jh. auf. Es sollte später Platz machen für jullie, das sich aus gijlieden beziehungsweise gijluiden (d. h. ‚Ihr Leute‘) entwickelte. Verneinung Zweigliedrige Verneinungen wie en … niet kommen im 17. Jh. noch vor, stehen aber zur Diskussion. So hält Leupenius das Element en für überflüssig, denn zwei negative Elemente heben sich gegenseitig auf. Vondel verwendet gelegentlich die doppelte Form der Verneinung, Hoofts Briefe aus der Zeit von 1645 bis 1647 weisen nur noch eingliedrige Verneinungen auf. Dagegen kennt die Statenvertaling die zweigliedrige Verneinung. So zitiert das WNT aus einer Edition von 1688 Wij en hebben hier niet meer dan vijf brooden (‚Wir haben nicht mehr als fünf Brote‘). Soweit die Statenvertaling weitere Entwicklungen des Neuniederländischen mittrug, dürften die bei der Bevölkerung so bekannten Bibeltexte die Durchsetzung von Verneinungen mit einem einzigen Element wie niet (‚nicht‘) oder nooit gebremst haben.

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

5.4.3.4. Eingewanderte Fremdwörter, ausgewanderte niederländische Lehnwörter Auch in der frühen Neuzeit wurden eine grössere Zahl Lehnwörter ins niederländische Lexikon aufgenommen. Die meisten stammen aus dem Französischen, weiter bürgerten sich vor allem Wörter aus dem Latein ein, zudem trugen auch Deutsch sowie mehr als ein Dutzend weitere Sprachen zur Erweiterung des niederländischen Wortschatzes bei. Sodann wirkten vor allem die internationale Geschäftstätigkeit, Handel und Seefahrt der Niederländer daran mit, dass niederländische Lehnwörter in anderen Sprachen aufgenommen wurden. Die folgende Zusammenfassung dieses lexikalischen Austausches und viele der angeführten Beispiele gehen insbesondere auf Van der Sijs’ umfangreiche Arbeiten auf dem Gebiet der Lexik zurück. Vor der jeweiligen deutschen Übersetzung des Wortes steht das Jahr, in dem ein Lehnwort zum ersten Mal belegt ist, es kann aber schon früher verwendet worden sein. Die besprochenen lexikalischen Elemente werden hier weiter pauschal als ‚Lehnwörter‘ zusammengefasst. Aus dem Französischen Dass Französisch in dieser Zeit die bedeutendste Quelle von Lehnwörtern im Niederländischen darstellt, hat mehrere Ursachen. So verbreiteten ab der zweiten Hälfte des 16. Jh. mitunter französische Pfarrer mit ihren Anhängern die kalvinistische Religion zuerst in den südlichen, später auch in den nördlichen Provinzen, wobei sie ihre Spuren im Niederländischen hinterliessen, vgl. predikant (1557‚ ‚Prediger‘), hugenoot (1565, ‚Hugenotte‘), protestant (1579, ‚Protestant‘) oder reformatie (1595, ‚Reformation‘). Vermehrt liessen sich nach 1585 Flüchtlinge aus dem Süden, später auch Hugenotten aus Frankreich in der Republik nieder, die ihr Fachwissen auf den verschiedensten Gebieten mitbrachten, vgl.  Wörter wie maculatuur (1599, ‚Makulatur‘), fabriceren (1593, ‚anfertigen‘) oder compagnie (1592, ‚Kompanie‘). Französisch war neben Latein die internationale Sprache der Wissenschaft. Auch in den Niederlanden fanden Kultur, Kunst, Philosophie und Literatur aus Frankreich grossen Anklang, was sich ebenfalls im niederländischen Wortschatz niederschlug. So ist in der Zeit von 1500 bis 1650 Französisch mit zirka 60 % aller eingewanderten Wörter der weitaus grösste Lieferant von Lehnwörtern im Niederländischen. Eine Klassifizierung der eingebürgerten Realia zeigt, dass eine Mehrheit der Lehnwörter einer Kategorie zuzuordnen sind, die Van der Sijs mit dem nicht unproblematischen Ausdruck ‚Menschenwelt‘ bezeichnet. Von dieser Gruppe stammen aus dem Französischen zum Beispiel kabinet (1588, ‚Schrank‘), complot (1588, ‚Komplott‘) oder visite (1630, ‚Besuch‘). Zum Bereich Wissenschaft kann man kwadraat (1537, ‚Quadrat‘), symmetrie (1549, ‚Symmtrie‘) oder esculaap (1615, ‚Arzt‘) rechnen. Zu den Klassen Obrigkeit und Justitz gehören procureur (1520, ‚Prozessbevollmächtigter‘), delegeren (1597, ‚delegieren‘) oder democratie (1600, ‚Demokratie‘). Auch in so unterschiedlichen Bereichen wie Handel, Konsum, Kultur oder Literatur lassen sich viele Dutzende Lehnwörter finden, die aus dem Französischen stammen, vgl.  die willkürlich gewählten Beispiele kantoor (1524, ‚Büro‘), salade (1544, ‚Salat‘), spektakel (1501, ‚Spektakel‘) oder ballade (1509, ‚Ballade‘).

5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit

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Aus dem Lateinischen Über 20 % der Lehnwörter, die sich in der frühen Neuzeit im Niederländischen einbürgerten, stammen aus dem Latein, der Sprache der Wissenschaft und der Kirche. Religion, Erziehung und Wissenschaft waren von Latein getränkt. Im späten Mittelalter waren lateinische Schulen entstanden. Humanisten begannen eine neue Form des Lateins zu verwenden, die sich an den Klassikern orientierte. So übernahm das Niederländische in der frühen Neuzeit Lehnwörter sowohl aus dem älteren Latein als auch aus dem mittelalterlichen Latein und dem Humanistenlatein. In der Folge kann man neben lateinischen Entlehnungen wie appendix (1538, ‚Appendix‘) oder prevaleren (1540, ‚prävalieren‘) Lehnwörter unterscheiden, die aus dem mittelalterlichen Latein stammen, wie kanselarij (1530, ‚Kanzlei‘), pastorie (1532, ‚Pfarrei‘) oder secretarie (1580, ‚Sekretariat‘). Weiter werden vereinzelte Wörter aus dem Humanistenlatein, so ein von Medizinern verwendeter Ausdruck wie Larynx (1624, ‚Kehlkopf‘) übernommen. Da die Gebildeten sich in der Zeit der Renaissance vermehrt mit der antiken Kultur auseinandersetzten, bürgerten sich in dieser Zeit auch weitere Wörter aus dem Latein im Bereich der Kunst und der Architektur ein, so zum Beispiel obelisk (1615, ‚Obelisk‘) oder auditorium (1634, ‚Auditorium‘). Aus dem Deutschen Zu den neuen germanischen lexikalischen Elementen in der niederländischen Schriftsprache, die aus dem Hoch- und Niederdeutschen stammen, zählen Wörter aus sämtlichen thematischen Klassen, die Van der Sijs unterscheidet. Mit weniger als 10 % der insgesamt eingebürgerten deutschen Lehnwörter liegt die Zahl beträchtlich niedriger als jene der aus dem Französischen stammenden Wörter, was wohl der Dominanz der französischen Kultur in den Niederlanden dieser Zeit zuzuschreiben ist. Eine Mehrzahl der niederdeutschen Lehnwörter stammen aus der Zeit der Hanse und betreffen in der Regel Handel und die ‚Menschenwelt‘, so zum Beispiel daalder (1542, ‚Thaler‘), scheurbuik (1554, ‚Skorbut‘), eine volksetymologische Bildung, die auf das mittelniederdeutsche schorbuck zurückgeht, oder beunhaas (1649, ‚Pfuscher‘), eine niederländische Form des norddeutschen ‚Bönhase‘, ursprünglich die Bezeichnung eines nicht einer Zunft angeschlossenen Handwerkers. Aus übrigen Sprachen Obschon angelsächsiche Mönche bereits im ersten Millennium auch in den Niederlanden tätig waren, zudem zwischen den Niederlanden und England auch in der frühen Neuzeit regelmässige Handelskontakte bestanden, hatte das Englische in dieser Zeit kaum Einfluss auf die niederländische Sprache. Von den Missionaren stammen nur zwei englische Lehnwörter, ootmoed (‚Demut‘) und delgen (‚tilgen‘), das übrigens erst 1477 belegt ist, allerdings im Anl. in der Bildung fardiligot vorkommt, vgl. Fardiligon uuerthin fan buoke Libbendero (‚Mögen sie aus dem Buch der Lebendigen getilgt werden‘ WPS 68, 29). Aus der Zeit zwischen 1500 und 1650 stammen weniger als zwanzig englische Lehnwörter, darunter Bezeichnngen für Geld, so sovereign (1548, ‚englisches goldenes Pfund‘) und zwei Ausdrücke aus dem Sport: voetbal (1648, ‚Fussball‘) und wicket (1650, ‚Wicket‘).

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Entlehnungen aus anderen Sprachen sind bis 1595 sehr selten, sie stammen aus den folgenden Sprachen: Altnorwegisch, vgl. rotgans (1504, ‚Ringelgans‘), Arabisch, vgl.  atlas (1530, ‚Seite‘), Friesisch, vgl. vieren (1567, ‚fieren‘), Griechisch, vgl. jota (1580, ‚Jota‘), Hebräisch, vgl.  talmoed (1557, ‚Talmud‘), Italienisch, vgl.  credit (1543, ‚Kredit‘), Norwegisch, vgl.  turen (1504, ‚spähen‘), Portugiesisch, vgl. crusaat (1562, ‚portugiesische Münze‘), Sprache der Roma, vgl. pooien (1504, ‚picheln‘), Spanisch, vgl. kaaiman (1564, ‚Krokodil‘), Schwedisch, vgl. walrus (1595, ‚Walross‘). Mit dem Anfang der Seefahrt nach anderen Kontinenten kommen weitere Sprachen als Quelle von Lehnwörtern hinzu. Aus Sprachen der indonesischen Inseln werden bald mehrere Wörter übernommen, vgl. bamboe (1596, ‚Bambus‘), jonk (1596, ‚Dschunke‘) oder kris (1596, ‚Kris‘, d. h. ‚Dolch‘). Zu den weiteren Sprachen, die nach 1595 als Quelle für zumeist vereinzelte niederländische Lehnwörter bis 1650 dienen, zählen Chinesisch, vgl. man­darijn (1596, ‚Mandarine‘), Russisch, vgl. kozak (1620, ‚Kosak‘), Sanskrit, vgl. veda (1651, ‚Hindu-Bücher‘), Tamil, vgl. pompelmoes (1648, ‚Pampelmuse‘) und Türkisch, vgl. koffie (1640, ‚Kaffee‘). Einbürgerung niederländischer Wörter in anderen Sprachen Die im Folgenden verwendeten Daten basieren auf Van der Sijs’ Nederlandse woorden wereldwijd (Van der Sijs 2010), die angeführten Zahlen können je nach Quellenlage naturgemäss nur annähernd das Vorkommen von Entlehnungen in den jeweiligen Sprachen wiedergeben. Insgesamt haben 138 Sprachen niederländische Lehnwörter aufgenommen, davon weisen 63 mehr als hundert niederländische Lehnwörter auf. Zudem wurden im südafrikanischen Englisch sowie in diversen afrikanischen Sprachen Wörter aus dem Afrikaans, der Tochtersprache des Niederländischen, übernommen. Sieht man hier von der Problematik ab, wie in Berechnungen der Übernahme von Lehnwörtern Begriffe wie Sprache und Lehnwort abzugrenzen sind oder ob eine Übernahme unmittelbar oder über eine andere Sprache verlief, so kann man verallgemeinernd festhalten, dass Indonesisch, d. h. Bahasa Indonesia, heute mit zirka 5570 Wörtern die grösste Zahl niederländischer Lehnwörter kennt. An zweiter Stelle kommt das in Surinam gesprochene Sranantongo mit über 2440 niederländischen Lehnwörtern, während Papiamento, das in der Karibik auf Aruba, Bonaire und Curaçao gesprochen wird, mit 2240 Wörtern aus dem Niederländischen den dritten Platz belegt. Die folgenden Ränge nehmen Dänisch mit fast 2240, Schwedisch mit über 2160, Friesisch mit zirka 1990, Norwegisch mit gegen 1950, Englisch mit ungefähr 1690, Französisch mit über 1650, Russisch mit zirka 1280, Javanisch mit über 1260 und Deutsch mit zirka 1250 niederländischen Lehnwörtern ein. Nimmt man die Einbürgerung niederländischer Wörter als Massstab der Einflussnahme des Niederländischen auf andere Sprachen, so ist zu folgern, dass das Niederländische am meisten Einfluss auf indonesische Spachen ausgeübt hat, gefolgt von Sprachen in Surinam und auf den Antillen. Dann folgen Sprachen aus der Nachbarschaft, wie Van der Sijs darlegt, sowie die Sprachen im Raum des Baltikums und am Finnischen Meerbusen. Trotz des starken Anstiegs der internationalen Kontakte während der wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit der Republik haben europäische Sprachen in der frühen Neuzeit kaum mehr Wörter aus dem Niederländischen übernommen als im Mittelalter. In der Zeit bis 1650

5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit

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kommen die meisten niederländischen Lehnwörter im Schwedischen, Französischen, Englischen und Deutschen vor, wie den folgenden Angaben zu entnehmen ist. Ins Schwedische Im Mittelalter hatte die schwedische Sprache aus der Zeit von vor 1520 namentlich durch die hanseatischen Kontakte mit zirka 780 Wörtern am meisten Lehnwörter aus dem Niederländischen aufgenommen, gefolgt vom Französischen mit über 640, dem Englischen mit zirka 395 und dem Deutschen mit über 380 Lehnwörtern. In der frühen Neuzeit nimmt Schwedisch mit über 870 niederländischen Lehnwörtern, so beispielsweise mit entsprechenden Bezeichnungen für lont (‚Lunte‘), dok (‚Dock‘) oder gracht (‚Kanal‘) erneut die erste Stelle ein. Dazu trugen die intensiven Kontakte zwischen der Repu­ blik und Schweden bei, das während seiner wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit im 17. Jh. Unternehmer aus der Republik einlud, die u.a. Waffen herstellten, Minen abbauten, Bankgeschäfte tätigten oder grachten konstruierten; Niederländisch war längere Zeit neben Schwedisch Amtssprache Göteborgs. Ins Englische Englisch nimmt in der frühen Neuzeit den zweiten Platz mit zirka 780 niederländischen Lehnwörtern ein. Handelsbeziehungen sowie Migration von Handwerkern hatten seit dem Mittelalter die Übernahme von niederländischen Lehnwörtern ins Englische gefördert, so beispielsweise englische Entsprechungen für boeg (‚Bug‘) oder kielhalen (‚kielholen‘). Weitere niederländische Lehnwörter im Englischen stammen von Flüchtlingen aus der Republik, die sich im 16. und 17.  Jh. in England niederliessen, vgl.  englische Entsprechungen für dam (‚Damm‘) und dijk (‚Deich‘). Darüber hinaus erfolgte Entlehnung über englische Truppen, die in den Niederlanden kämpften, vgl. dazu englische Entsprechungen für beispielsweise aanslag (‚Anschlag‘) und ­huurling (‚Söldner‘). Ins Französische Von den zirka 1550 niederländischen Lehnwörtern im Französischen sind etwa 960 dialektisch beziehungsweise veraltet. Von den übrigen wurden aus der Zeit nach dem fränkischen Reich 380 Wörter unmittelbar aus dem Niederländischen entlehnt. Es betrifft französische Entsprechungen von Wörtern aus der Landwirtschaft wie aardappel (‚Kartoffel‘) oder hop (‚Hopfen‘) und Lehnwörter, die auf kriegerische Handlungen zwischen der Republik und Frankreich zurückzuführen sind, wie die französischen Entsprechungen von buit (‚Beute‘) oder bolwerk (‚Bollwerk‘), das sich übrigens als boulevard (‚Boulevard‘) wiederum ins Niederländische einbürgerte. Auch in den Bereichen des Fischfanges und der Seefahrt weist das Französische niederländische Lehnwörter auf, so die französischen Entsprechungen für bakboord (‚Backbord‘) und fok (‚Fock‘) oder haring (‚Hering‘) und stokvis (‚Stockfisch‘).

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5. Das überregionale Neuniederländische der frühen Neuzeit (1500 bis 1650)

Ins Deutsche In der frühen Neuzeit übernimmt das Deutsche über 260 Wörter aus dem Niederländischen. Bereits im Mittelalter hatten niederländische Siedler Spuren in niederdeutschen Dialekten hinterlassen, so kennen Dialekte in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg mehr als hundert niederländische Lehnwörter. Sprachvarietäten in der Gegend Bremens und Hamburgs weisen zirka hundert Wörter auf, die aus dem Niederländischen stammen, u.a. Bezeichnungen für sloot, vgl. mittelniederdeutsch slōt (‚Graben‘), vliet, vgl. mittelniederdeutsch vlēt (‚Flüsschen‘) oder mier, vgl.  mittelniederdeutsch miere (‚Ameise‘). Während der Vorherrschaft des bayrischen Hauses in den Niederlanden übernahm das Deutsche mehrere zum Teil aus dem Französischen stammende Ausdrücke aus der höfischen Kultur, so zum Beispiel hoofs (‚höfisch‘) und ridder (‚Ritter‘), auch juweel (‚Juwel‘) und schaak (‚Schach‘). Zu Anfang der Neuzeit fallen sodann deutsche Entlehnungen aus dem Niederländischen auf, die auf den Fischfang zurückgehen, vgl. die vielen Namen von Fischen wie u.a. garnaal (‚Garnele‘), kabeljauw (‚Kabeljau‘) oder potvis (‚Pottwal‘). Auch wurden viele niederländische Ausdrücke aus dem Schiffsbau und der Seefahrt übernommen, so beispielsweise boei (‚Boje‘), vracht (‚Fracht‘) oder kajuit (‚Kajüte‘). Ebenso bürgerten sich niederländische Ausdrücke im Bereich des Wasserbaus ein, so baggeren (‚baggern‘), dijk (‚Deich‘) oder moeras (‚Morast‘). Sodann schöpften Puristen wie Von Zesen (vgl. 5.1.5.1.) deutsche Neubildungen nach niederländischem Muster, so afstand (‚Abstand‘), boekerij (‚Bücherei‘) oder staatsman (‚Staatsmann‘). In übrige Sprachen Da das Alter von Wörtern in Sprachen, die in Indonesien, Surinam und auf den Antillen gesprochen werden, schwierig festzustellen ist, lässt sich nicht bestimmen, in welcher Zeit die Einbürgerung niederländischer Lehnwörter erfolgte. Van der Sijs vermutet, dass die Mehrzahl der niederländischen Lehnwörter erst nach 1800 ins Indonesische, Sranantongo und Papiamento übernommen wurden, auch wenn niederländische Bezeichnungen für Gebrauchsgegenstände und Ausdrücke aus der Verwaltung wohl früher entlehnt wurden. Niederländische Lehnwörter in Tamil, Singhalesisch und Japanisch stammen dagegen wohl aus früheren Zeiten, da der niederländische Einfluss auf Sri Lanka und in Japan im 19. Jh. verschwand: Ceylon wurde 1802 offiziell englisch und die Niederlande verloren 1854 das Handelsmonopol mit Japan. Durch die zuvor auf dem indischen Kontinent gefestigten niederländischen Handelshäuser hat Tamil wahrscheinlich einige Lehnwörter direkt aus dem Niederländischen übernommen, so schipper (‚Schiffer‘) und rekje (‚kleines Gestell‘). Singhalesisch kennt 230, zum Teil veraltete Wörter, wie beispielsweise Entsprechungen für molen (‚Mühle‘), raam (‚Fenster‘), kakhuis (‚WC‘) oder ketel (‚Kessel‘), vgl. 5.1.5.2. Durch die exklusiven Kontakte mit den Niederländern (vgl. 5.1.4.1.) lernten die Japaner durch sie mehrere Gebrauchsgegenstände und Nahrungsmittel mit den entsprechenden Bezeichnungen kennen, so gerieten niederländische Lehnwörter für glas (‚Glas‘), kurkentrekker (‚Korkenzieher‘), koffie (‚Kaffee‘) oder soep (‚Suppe‘) ins Japanische. Kürzere niederländische Wörter wurden mit lautlichen Anpassungen direkt eingebürgert, so erhielt dans (‚Tanz‘) einen zusätzlichen Vokal, etwa wie dansu, längere, wissenschaftliche Ausdrücke wurden nicht selten über sino-japanische aus dem Chine-

5.4. Merkmale des Niederländischen der frühen Neuzeit

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sischen stammende lexikalische Elemente übersetzt. Japanisch kennt mehr als 400 niederländische Lehnwörter, der über das Niederländische verlaufende Austausch mit dem Westen hat die Änderungen in der japanischen Gesellschaft wesentlich beschleunigt. Literatur zu 5.4.: Aalberse 2004; Berteloot 2003; Boonen 2010; Cornelissen 2003; Damsteegt 1981; Dibbets 1991; Dibbets/De Heuiter 1968; Gerritsen 1987; Van Gestel et al. 1992; Hamans 1979; De Heuiter 1972; Van der Horst 1986; Van der Horst 2008; Van der Horst et al. 1979; Jansen et al. 1997; Van de Ketterij 1974; Kloeke 1927; Kloeke 1948: Kolthoff 1894; Komen 1994; De Korne et al. 1987; Van Leuvensteijn 1988; Van Leuven­ steijn in: Van den Toorn et al. 1997; Van Loon 1986; Mooijaart 1991; Mooijaart et al. 2011; Overdiep 1931/35; Paardekooper 1991; Postma 2004; Van Reenen 2006; Rinkel 1989; Ruijsendaal et al. 2003; Van der Schuere 1957; Van der Sijs 1996; Van der Sijs 2001; Van der Sijs 2010; Sterkenburg 1981; Stoett 1923; Stroop 1998; Van den Toorn et al. 1997; Twe-spraack 1962; Twe-spraack 1985; Vermaas 2002; De Vooys 1952; De Vriendt 1965; Van der Wal et al. 2008.

6. Das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit (1650 bis 1800)

Die Festigung des kultivierten Niederländischen erfolgte im Laufe des 17. und 18. Jh. Rationalismus, Klassizismus und Aufklärung bestimmten eine am Französischen orientierte Kultur, die eine vermehrte Reglementierung der Sprache förderte. Auch nach dem Westfälischen Frieden führte die Republik mehrere Kriege, um ihre internationalen Interessen zu verteidigen; Zwiste zwischen Regenten und Statthaltern bestimmten das politische Geschehen bis zur französischen Zeit. Die glorreiche Revolution brachte zwar eine Personalunion zwischen dem Erzrivalen Grossbritannien und der niederländischen Grossmacht, später verloren die Niederlande international an Bedeutung, schliesslich kündigten die Einverleibung der südlichen Niederlande und die Besetzung der Republik durch Frankreich gegen Ende des 18.  Jh. ein neues Zeitalter an. Politische und gesellschaftliche Entwicklungen der mittleren Neuzeit werden im Folgenden zuerst näher beschrieben (vgl. 6.1.). Nach der Herausbildung des Neuniederländischen in der frühen Neuzeit (vgl. 5.2.) festigte sich die niederländische Schriftsprache in der mittleren Neuzeit. Strukturen nominaler und verbaler Gruppen hatten sich weitgehend konsolidiert. Bestrebungen, das Niederländische weiter zu standardisieren und zu kodifizieren, veranlassten Gelehrte und Schriftsteller dennoch, nach Sprachnormen zur Reglementierung der kultivierten Sprache zu suchen. Neue Formen von Druckmedien, neu gegründete kulturelle Vereine sowie Literatur- und Sprachgesellschaften förderten die Herausbildung einer nationalen niederländischen Kommunikationsgemeinschaft. Da sie die Grundlage des entstehenden Algemeen Nederlands (‚Allgemeinen Niederländischen‘) der neuesten Zeit bildet, stehen in den anschliessenden Ausführungen die entsprechenden äusseren Grössen der Sprache des Niederländischen der mittleren Neuzeit im Vordergrund (vgl. 6.2.). Angeführte Textabschnitte mit deutschen Übersetzungen vermitteln einen Eindruck von der niederländischen Schriftsprache dieses Zeitalters (6.3.). Zwar widersprechen sich Äusserungen von Zeitzeugen zur Frage, wie weit eine Vereinheitlichung des gesprochenen Niederländischen fortgeschritten war, dennoch ist davon auszugehen, dass sich die angesehenen Bürger je nach Stadt und Region unterschiedlicher Varianten einer gepflegten gesprochenen Sprache bedienten. Einige lautliche Erneuerungen, die sich im niederländischen Sprachgebiet durchgesetzt hatten und das gesprochene Niederländische vermehrt prägen sollten, stehen anschliessend kurz zur Diskussion (vgl. 6.4.). Infolge der Konsolidierung des geschriebenen Niederländischen treten weniger sprachliche Erneuerungen als in der frühen Neuzeit auf. Die abschliessenden Darlegungen fassen solche sprachlichen Änderungen, die das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit mitprägten, kurz zusammen (vgl. 6.4.).

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6. Das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit (1650 bis 1800)

6.1. Die Republik der Vereinigten Niederlande zwischen den europäischen Mächten 6.1.1. Die erste statthalterlose Ära der Republik (1650–1672) Wilhelm II., der als 21-Jähriger 1647 seinem Vater als Statthalter in allen Provinzen ausser Friesland, Groningen und Drenthe nachgefolgt war, beabsichtigte nicht nur, mit Unterstützung Frankreichs die südlichen Niederlande zurückzuerobern, sondern er wollte zudem die Enthauptung seines Schwiegervaters Karl I. von England, 1649, rächen und die Ansprüche seines Schwagers Karl II. auf den englischen Thron unterstützen. Die Stände Hollands missbilligten zwar die Hinrichtung des englischen Königs, wollten aber eine Auseinandersetzung mit dem englischen Parlament vermeiden. Sodann lehnten sie es ab, erneut Krieg gegen Spanien zu führen, nur um Gebiete in den südlichen Provinzen zu erlangen. Dagegen strebte die Provinz Holland danach, ihre Handelsinteressen, die namentlich im Gebiet des Sundes durch Schweden gefährdet waren, möglichst zu schützen. Die unterschiedlichen Ansichten führten 1650 zu einem Streit zwischen dem jungen Prinzen und Holland, das nach der Beendigung des Krieges gegen Spanien mehr Truppen entlassen wollte als der Oranier. Die Generalstaaten untersagten daraufhin mit einer Mehrheit der Stimmen die weitere Entlassung von Soldaten. Dafür gestatteten sie dem Prinzen, die holländischen Städte ‚mit grossem Gefolge‘ zu besuchen, um weitere Entlassungen zu verhindern. Als dies nicht das erwünschte Ergebnis brachte, sperrte Wilhelm, der weitreichende Vollmachten von den Generalstaaten erhalten hatte, einige seiner Gegner, u.a. den Vater des späteren Ratspensionärs Johan de Witts, auf Schloss Loevestein ein und liess Amsterdam vom friesischen Statthalter Wilhelm Friedrich belagern. Holland lenkte ein, kurz darauf verstarb der Prinz aber unerwartet. Acht Tage später, am 4. November, gebar seine Frau Henriëtte Maria Stuart einen Sohn, Wilhelm III., den späteren Statthalter der Republik und König von England, Schottland und Irland. Die Stände der Provinzen entschieden sich nun, keinen Nachfolger für den Statthalter zu suchen, denn die wahre Freiheit verlange, so meinten sie, eine Republik ohne ‚eminentes Haupt‘. Nach wie vor blieb Wilhelm Friedrich von Nassau Statthalter von Friesland, Groningen und Drenthe. Während der ‚Grossen Versammlung‘ der Generalstaaten 1651 beharrte Holland in der Auseinandersetzung über die Organisation des Staates, auch Unie (‚Union‘) genannt, auf der Souveränität der Provinzen. Zur Lösung etwaiger religiöser Unstimmigkeiten beschlossen die Vertreter, die Entscheidungen der Dordtrechter Synode zu bestätigen. Weiter teilten sie die Vergabe militärischer Ämter neu den Ständen der Provinzen zu, was bestätigt, dass sich inzwischen kleinere Provinzarmeen gebildet hatten. Die englische Navigationsakte 1651, welche die Beförderung von Gütern von und nach England nur mit englischen Schiffen erlaubte, führte mit zum ersten Englisch-Niederländischen Seekrieg 1652–1654, der der niederländischen Flotte mehrere Niederlagen einbrachte. Beim Frieden von Westminster 1654 hatte der Ratspensionär Jan de Witt insgeheim Cromwells Forderung nachgegeben, Holland würde nie wieder ein Mitglied des Hauses Oranien zum Statthalter ernennen. Zwar verstärkten die Anhänger der Oranier ihre Position, als dieses Geschäft, der Seklusionsakt, bekannt wurde. Der Ratspensionär gewann

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trotzdem an Vertrauen dank seiner verbesserten Beziehungen mit Amsterdam, der erfolgreichen Gesundschrumpfung der Staatsfinanzen und der Reorganisation der Flotte, kurz, dank seinem unermüdlichen Einsatz für die Republik. Noch heute erinnert der Ausdruck jongens van Jan de Witt (‚Jungs von Jan de Witt‘) an die Tatkraft dieses Staatsmannes. Der Flotte der Republik ­gelang es 1658, Kopenhagen einzunehmen, ein Jahr später konnte Admiral Michiel de Ruyter die Schweden aus Dänemark vertreiben und so die freie Handelsfahrt im Sundgebiet sichern. Karl II., der 1660 die Monarchie wieder hergestellt hatte, versuchte zwar seinen Neffen Wilhelm in der Republik zu unterstützen, der englische Kampf mit der Republik um die Handelsinteressen ging dennoch unvermindert weiter. Nachdem die Engländer niederländische Besitzungen in Guinea und in Nieuw Nederland (‚Neue Niederlande‘, das Gebiet, in dem heute New York liegt) erobert hatten, fanden während des zweiten Englischen Kriegs mehrere Seeschlachten statt, die einmal von den Engländern, einmal von den Niederländern gewonnen wurden. Schliesslich gelang es Admiral De Ruyter, einen kühnen Plan De Witts zur Ausschaltung der englischen Flotte mit Erfolg auszuführen. Mit einem seiner Schiffe zerstörte er unter Segel eine über einen Nebenfluss der Themse gespannte Kette und vernichtete darauf einen Teil der hinter der Kette in Chattam stationierten englischen Kriegsschiffe. Der darauf geschlossene Frieden von Breda 1667 bewirkte eine Abschwächung der Bestimmungen der Navigationsakte, zudem tauschte die Republik Nieuw Nederland gegen Surinam mit seinen vielen Zuckerrohrplantagen. Die Erfolge De Witts führten nicht zu einer Versöhnung der unterschiedlichen Gruppierungen. Die Anhänger Oraniens rührten sich und nicht alle Mitglieder der Verwaltung, regenten, begrüssten De Witts Macht. Mit zunehmendem Alter des Prinzen stellte sich vermehrt die Frage nach dessen späteren Befugnissen. Vorsorglich sollte eine staatliche Kommission sich vorläufig um die Erziehung Wilhelms, das Kind van Staat (das ‚Kind des Staates‘) kümmern, zudem beschlossen die holländischen Stände 1667, das Amt des Statthalters voor eeuwig (‚für ewig‘), abzuschaffen. Im gleichen Jahr besetzte Frankreich einen Teil der südlichen Niederlande. Mit dem Frieden von Aachen, 1668, war die Gefahr noch nicht gebannt, denn Frankreich suchte mit Erfolg internationale Unterstützung, um den Widerstand der Republik gegen seine Machtpolitik zu brechen. Französisches Gold bewirkte, dass Karl II., der in grosser Geldnot steckte, sich insgeheim bereit erklärte, Ludwig XIV. im Falle eines Krieges gegen die Republik zu unterstützen. Frankreich griff nun 1672 mit dem Bischof von Münster und dem Erzbischof von Köln die Niederlande an. Um Unannehmlichkeiten mit dem Herrscher der spanischen Niederlande, dem österreichischen Kaiser, zu vermeiden, zogen die feindlichen Armeen auf einem Umweg durch die Bistümer Münster und Köln in die Niederlande und besiegten die geschwächte Armee der Republik. In der allgemeinen Panik gewannen die Anhänger Oraniens an Macht. Mancher Verwalter, welcher der feindlichen staatsgezinde Gruppierung angehörte, musste sein Amt einem Mitglied der Partei des Prinzen abtreten. Wilhelm, der bereits zum Leiter der Flotte und Armee ernannt war, wurde durch eine Volksbewegung zum Statthalter ausgerufen, der Ratspensionär und sein Bruder wurden vom aufgebrachten Pöbel gelyncht. Der Oranier, der nicht in die Geschehnisse hatte eingreifen können oder wollen, verschonte die Mörder. Im ‚Katastrophenjahr‘, rampjaar, 1672, das laut der Zeitzeugin und Diplomatenfrau Margaretha Turnor durch die dramatischen Ereignisse siebzehn Monate andauerte, schien die Republik unterzugehen, war doch das Volk

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ohne Redlichkeit, das Land rettungslos, die Regierung ratlos, wie man später gelegentlich wohl sagte: het volk was redeloos, het land reddeloos, de regering radeloos. 6.1.1.1. Niederländer am Kap der Guten Hoffnung Im Auftrag der VOC gründete Jan van Riebeeck 1652 nahe des Kaps der Guten Hoffnung eine Niederlassung, Fort Duijnhoop, später ersetzt durch Kasteel de Goede Hoop (‚Schloss der Guten Hoffnung‘), die dazu diente, die Schiffe, die nach Asien unterwegs waren, mit frischen Lebensmitteln zu versorgen. Die ersten Siedler, die mit Van Riebeecks Schiffen Dromedaris, Goede Hoop, Reijger, Oliphant und Walvisch mitkamen, seine französische Frau und neunzig niederländische Kalvinisten aus Seeland, Holland und Utrecht, darunter weitere sieben Frauen, sollten Kultur, Sprache und die demografischen Entwicklungen in diesem Teil der Welt mit prägen. Übrigens tragen heute bezeichnenderweise fast eine Million Afrikaner einen der zwanzig Namen der ersten Ankömmlinge, so beispielsweise Van der Merwe. Zuerst durften die Kolonisten nur das Notwendige für die Seefahrt, das Kap diente als Bunkerstation, sowie für den eigenen Bedarf anpflanzen. Dazu legten sie Gemüse- und Obstgärten an und entwickelten den Weinanbau, der später auch von Hugenotten kultiviert wurde. Weil die einheimische Bevölkerung sich nicht für die anfallende Arbeit eignete, führten die niederländischen Einwanderer bald Sklaven aus Niederländisch-Ostindien und Madagaskar sowie Verbannte aus Indien ein. Die kleine, heterogene, von der VOC verwaltete Gesellschaft am Kap umfasste anfänglich Kolonisten sowie Beamte der VOC, Besucher, die kürzere oder längere Zeit blieben, Khoikhoi und Sklaven, wie F. Ponelis darlegt. Da nur wenige Frauen mitgekommen waren, bildeten sich kaum Kolonisten-Familien, dafür entstanden Beziehungen zwischen Kolonisten und Angehörigen anderer Ethnien wie Gruppen deutscher und niederdeutscher Einwanderer, Franzosen, Khoikhoi und Sklaven. So entwickelten sich Haushalte, die sich aus Mann, Frau und Kindern unterschiedlichster Ethnien sowie Knechten und Sklaven zusammensetzten. Während der VOC-Zeit bestanden im besiedelten Gebiet nur dürftige, von der zur VOC gehörenden Kirche angebotene Unterrichtsmöglichkeiten. Es fehlte ein gut organisiertes Bildungswesen, der Bildungsstand der Kolonisten war bescheiden, entsprechende Daten zur restlichen Bevölkerung, die wohl Portugiesisch, Malaiisch oder Arabisch benutzte, fehlen. Allmählich etablierte sich am Kap eine Gesellschaft, die auch erzieherische und kirchliche Einrichtungen umfasste, in den weiter entfernt liegenden Gebieten war die Kirche dagegen kaum tätig, reisende Schulmeister versuchten sich hier laut Ponelis um den Unterricht zu kümmern. Es gelang den Kolonisten nicht, Vieh von den ansässigen Khoikhoi-Stämmen zu kaufen, also holten sie Bauern und Tiere nach Afrika, um Viehzucht zu betreiben; bereits 1659 gestattete die VOC vryburgern (‚freien Bürgern‘) deutscher und niederländischer Herkunft Landwirtschaft auszuüben. In den Achtzigerjahren begann mit der Einwanderung weiterer Europäer, nach Anordnung der VOC nur Kalvinisten u.a. aus den Niederlanden, Norddeutschland und Schottland, die Besiedlung des Hinterlandes. 1689 folgten über zweihundert Hugenotten (siehe 5.1.5.1.), unter ihnen einige aus dem heutigen Wallonien, wovon noch Namen wie Villers oder Du Plessis zeugen. Die Ausdehnung der Kap-Kolonie nach Norden und Osten im 18. Jh. führte zu Auseinandersetzungen mit den Khoikhoi, die möglicherweise wegen der ingressiven Verschlusslaute, der

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spezifischen Klick- und Schnalzlaute, in ihrer Sprache von den Niederländern hottentotten, was im nördlichen Dialekt des Afrikaans Stotterer bedeutet, genannt wurden. Kriege mit den Kolonisten und von den Europäern eingeschleppte Pockenepidemien fügten diesen Nomaden grosse Verluste zu. Nur einige Stämme behielten ihre Unabhängigkeit, die meisten Khoikhoi arbeiteten fortan jedoch für die Kolonialherren, die weitere Massnahmen ergriffen, um sie noch abhängiger zu machen. Ihre Nachkommen, die sich mit den Kolonisten wie mit der ursprünglichen einheimischen Bevölkerung vermischten, die Kaapse kleuringen, Kaapse Maleiers oder Cape Coloureds, bilden heute etwa die Hälfte der Bevölkerung der Provinz West-Kap. Sie sprechen mehrheitlich Englisch und Afrikaans, Minderheiten beherrschen nur Afrikaans. Bis zum Anfang des 18. Jh. meinte der Ausdruck Afrikaner die ursprünglichen Sklaven und vryswartes (‚freien Schwarzen‘), später bezeichnete er in Afrika geborene weisse Vryburgers (‚freie Bürger‘), die Afrikaans sprechen. Im Gebiet der San setzten die Kolonisten militärische Einheiten gegen die ansässige Bevölkerung ein, aus dem vorhandenen Heereswesen entstanden örtlich in den besiedelten Gebieten eigene Verwaltungen. Da der notwendige militärische Aufwand für diese Region die Möglichkeiten der VOC überstieg, setzte sie dem Wachstum der Kolonie ein Ende und schränkte die Einwanderung ein. Zudem schrieb sie den Bauern, die einen beachtlichen Anteil der Ernte der Gesellschaft zu überlassen hatten, vor, was sie anzupflanzen hatten. Viele Bauern verliessen in der Folge das Gebiet und wanderten weiter. Nach Auseinandersetzungen zwischen den Kolonisten und der VOC über den mangelnden Schutz gegen Angriffe von einheimischen Stämmen vertrieben die boeren die Beamten in den Grenzdistrikten und gründeten 1795 die unabhängigen Burenrepubliken Republiek Swellendam und Republiek Graaff-Reinet. Bald nach dem Einmarsch der Franzosen in die Republik 1795 (vgl. 6.1.4.) besetzten die Briten trotz anfänglichen Widerstandes des niederländischen Gouverneurs die Kolonie auf Gesuch des Statthalters Wilhelm V., auch brachten sie die Burenrepubliken in ihre Gewalt. Von 1803 bis 1806 gehörte das Gebiet noch der niederländischen Bataafse Republiek, 1806 besetzten die Briten das Gebiet erneut. 6.1.1.2. Entstehung niederländischer Sprachvarietäten im Süden Afrikas Von Anfang an galt Niederländisch als Verkehrssprache in der Siedlung am Kap, die VOC förderte nicht ohne Erfolg die Muttersprache in diesem Teil der Welt. Bezeichnenderweise berichten Zeitzeugen aus dem letzten Viertel des 17. Jh., dass auch Sklavenkinder Niederländisch beherrschten; wollten Sklaven die Freiheit erlangen, so mussten sie Kenntnisse der niederländischen Sprache besitzen. Mit dem Zuzug von Einwanderern entstand eine mehrsprachige Gesellschaft am Kap. Die neu Angekommenen stammten aus den unterschiedlichsten Gebieten der Welt, so wurden Sklaven aus Indien, Madagaskar, Niederländisch-Ostindien, Angola, Guinea und Mosambik eingeführt, hinzu kamen eine beträchtliche Zahl Khoikhoi. In der Folge wurden immer mehr Sprachen im Süden Afrikas verwendet, man sprach neben Niederländisch auch Hoch- und Niederdeutsch, Französisch, Portugiesisch, weiter verschiedene afrikanische Sprachen, sodann Sprachen vom indischen Subkontinent wie auch Sprachen aus Ostasien, so u.a. Malaiisch und Javanisch. Als

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Kommunikationsmittel unter den Sklaven diente u.a. Pidgin-Portugiesisch, das Beamte und Kolonisten in der Regel auch beherrschten und bis ins 19. Jh. im westlichen Kapgebiet gesprochen wurde. Als weitere Verkehrssprache ist Malaiisch zu nennen, das mit der zunehmenden Einfuhr von Sklaven aus Niederländisch-Ostindien im 18. Jh. an Bedeutung gewann, dann gegen Ende des 19. Jh. langsam verschwand. Sodann fand im 18. Jh. Khoikhoi vermehrt Anwendung. Während der VOC-Zeit verblieben insgesamt zirka 15.000 Deutsche im Süden Afrikas, von denen über 8000 Niederdeutsch und zirka 6500 Hochdeutsch sprachen. Im Gegensatz zu den Deutschen bildeten die Franzosen, die im letzten Viertel des 17. Jh. einwanderten, eine stärkere Sprachgemeinschaft. Sie verfügten über eine Kirche und eine Schule und heirateten anfänglich mehrheitlich Partner mit der gleichen Herkunft. Dennoch verschwand durch die zunehmende Verwendung des Niederländischen das Französische während des ersten Viertels des 18.  Jh. Durch die politische und wirtschaftliche Überlegenheit der VOC setzte sich das Niederländische auf Kosten der anderen Sprachen schrittweise durch. Eine nun starke niederländischsprachige Gemeinschaft mit einer in der Gesellschaft integrierten reformierten Kirche förderte das Niederländische als Kultursprache. Durch Kontakte zwischen Mitgliedern verschiedener Sprachgemeinschaften wuchsen aus dem europäischen Niederländisch diverse Sprachvarietäten heran, die zur Entstehung des Afrikaans führen sollten. Zu dieser Entwicklung trug nicht nur die Abgeschiedenheit der Kolonisten vom Vaterland bei, sondern auch das vielsprachige Umfeld. Einwanderer mit unterschiedlichen Muttersprachen mussten zumeist unter ungünstigen Bedingungen die Sprache der herrschenden Klasse lernen. Es entstanden unter diesen Umständen im 17. und 18. Jh. eine Vielzahl niederländischer Sprachvarietäten, die laut F. Ponelis von der Muttersprache eingewanderter Niederländer bis zum Niederländisch von Sprachlernern unterschiedlicher Herkunftsländer variierten, wie seltene Belege aus den Gründungszeiten der Siedlung bezeugen. Frühe allochthone niederländische Varietäten weisen Merkmale eines Khoikhoi-Niederländischen auf, das möglicherweise zum Entstehen des Afrikaans beigetragen hat. So kommt ons (,uns‘) bereits früh als Subjektform 1. Pers. Plur. an Stelle von wij (‚wir‘) vor, sodann fällt der Genus-Unterschied zwischen Neut­ rum und Genus commune weg, vgl. diesbezüglich den Artikel die im Afrikaans, so die in die volk (‚das Volk‘) und die in die bybel (‚die Bibel‘). Durch Sprachkontakte entstandene, als ‚kreolisiert‘ anzudeutende Varianten des Niederländischen im südlichen Afrika weisen insbesondere einen Verlust von morphologischen Merkmalen der ursprünglichen Muttersprache auf. So führte der Flexionsschwund beispielsweise zum Verlust der Kongruenz zwischen Subjekt und finitem Verb, vgl. klae in klae hulle (‚klagten sie‘ AKB, Lukas 19, 7) und kyk in kyk Hy op (‚schaute Er hinauf‘ AKB, Lukas 19, 5–6). Zu den zahlreichen weiteren Entwicklungen zählt auch die Auflösung distinktiver Merkmale starker Verben, vgl. kom in En toe Jesus by die plek kom (‚Und als Jesus zu dieser Stelle kam‘ AKB, Lukas 19, 5). Die vielfältigen Kontakte mit den vorhandenen Sprachen führten zu phonologischen, lexikalischen und syntaktischen Entlehnungen im entstehenden Afrikaans namentlich aus dem Malaiischen, Portugiesischen, Khoikhoi und Deutschen, später in hohem Mass auch aus dem Englischen, die hier nicht weiter zu erörtern sind. Bis ins 19. Jh. bestand Afrikaans als gesprochene Sprache, Niederländisch war die Schriftsprache. Als sich die Anwendungsbereiche des Afrikaans im Laufe des 19. Jh. erweiterten, erschienen

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erste Texte in Afrikaans. Ab 1876 erschien die Zeitung Patriot in Afrikaans, die Paarse Drukpers begann afrikaanse Bücher zu veröffentlichen. Mit der schrittweisen Ersetzung der niederländischen Schriftsprache machte das Allgemeine Niederländische Platz für Afrikaans, das 1925 Niederländisch als Amtssprache neben dem Englischen in der Südafrikanischen Union ablöste.

6.1.2. Die Republik während der Amtszeit Wilhelms III. (1672–1702) Die starke, mit grossem Können geführte französische Armee war zur Überraschung des jungen Prinzen 1672 bei Lobith am Rhein in die Republik einmarschiert, um Richtung Holland vorzurücken. In Eile zog sich der Oranier hinter die hastig unter Wasser gesetzten Gebiete der holländischen Wasserlinie zurück, eine Inundation, die sich von Muiden über Woerden bis Gorin­ chem am Merwede-Fluss ausdehnte. Zwar überquerten französische Truppen im Winter die Verteidigungslinie, als das Wasser zugefroren war, beim unerwartet einbrechenden Tauwetter mussten sie sich jedoch zurückziehen. Admiral De Ruyter griff die englische Flotte bei Solebay mit Erfolg an, vertrieb dabei die französischen Kriegsschiffe und konnte so eine feindliche Invasion verhindern. Zudem gelang es Rabenhaupt, das von Münster belagerte Groningen zu halten, Coevorden wurde zurückerobert. De Ruyter wehrte 1673 weitere Angriffe der französisch-englischen Flotte ab, Wilhelm III. eroberte Naarden zurück. Nach seinem überraschenden Anschlag auf das Arsenal der französischen Armee in Bonn zogen sich die Franzosen aus der Republik zurück. Die Republik war dank dieser militärischen Erfolge zur bedeutendsten internationalen Macht in ihrer Geschichte geworden. Der Prinz nutzte die Gunst der Stunde und liess das Amt des Statthalters in der männlichen Linie erblich erklären. Die Generalstände legten zudem fest, dass die höchsten Ränge der Flotte und Armee, die des Generalfeldmarschalls und des Admirals, von den Oraniern vererbt würden. Zwar nahm Wilhelms Macht rasch zu, er nutzte sie jedoch nicht zur Durchführung von Staatsreformen. Er betrieb vor allem internationale Politik, versuchte Frankreich in Schach zu halten und Bündnisse zu schliessen. Der zweite Frieden von Westminster 1674 bestätigte zwar die Vormachtstellung Englands auf den Meeren, ergab aber ebenfalls ein vorteilhaftes Handelsabkommen für die Republik. Auch der 1678 in Nijmegen geschlossene Friedensvertrag mit Frankreich brachte der Republik wirtschaftliche Vorteile. Wilhelm, der seinem Gegner noch eine Feldschlacht bei St. Denis lieferte, befürchtete, Frankreich werde trotz des Abkommens versuchen, sein Gebiet zu erweitern, um eine ‚Universalmonarchie‘ im Westen Europas zu festigen und den Protestantismus auszurotten. Als Ludwig XIV. 1685 das Edikt von Nantes, das die Religionsfreiheit sicherstellte, widerrief und der römisch-katholische Jacobus II. im gleichen Jahr König von England, Schottland und Irland wurde, erhielt Wilhelm in den überwiegend protestantischen Niederlanden mehr Zustimmung für seine Politik, auch seitens der Regenten und Kaufleute, die mit der anti-statthalterlichen Partei sympathisierten. Die unerwartete Geburt eines Sohnes, Jacobus Franz, erhöhte den Widerstand gegen eine dauerhafte katholische Dynastie in England. Wilhelms Unterstützung des englischen Adels, die später als die ‚Glorreiche Revolution‘ in die Geschichte einging, sollte die protestantische Tochter des Königs aus erster Ehe, Maria II., Ehegattin Wilhelms, auf den Thron bringen. Nachdem die Whigs und Tories Wilhelm um Hilfe gebeten hatten, landete dieser am 5. November

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1688 mit einer grossen niederländischen Armee bei Torbay. Der Statthalter löste das englische Heer auf, der König floh über Frankreich nach Irland. Das englische Parlament bestimmte Maria und Wilhelm Anfang 1689 als gesetzliche Thronfolger, das schottische Parlament bestätigte die neuen Fürsten. Als der Oranier seinen Schwiegervater 1690 in der Schlacht an der Boyne endgültig besiegt hatte, bestiegen Wilhelm und Maria auch den Thron Irlands. Eine konstitutionelle Monarchie, die eine Gewaltentrennung des Staates in Legislative und Exekutive vorsah, machte auf den britischen Inseln die Drohung einer absolutistischen Herrschaft zunichte. Wilhelm setzte die Politik des Gleichgewichts der französischen Hegemonial-Politik entgegen. Weiter brachte die Personalunion Englands mit der Republik die Entscheidung der Seerivalität zugunsten Englands, die schliesslich zum englisch-französischen Widerstreit in den Kolonien führte. Mit seinen Koalitionspartnern, zu denen Spanien, Bayern, Schweden und das Heilige Römische Reich zählten, gelang es Wilhelm als König Englands und Statthalter in der Republik, den neunjährigen Krieg mit Frankreich 1697 mit dem Frieden von Rijswijk zu beenden. Wilhelm wurde von Ludwig XIV. als König von Grossbritannien anerkannt, zudem erhielt er das Fürstentum Orange zurück. Der spanische Erbfall veranlasste Wilhelm, 1701 die grosse Haager Allianz zwischen Grossbritannien, der Republik und dem deutschen Kaiser gegen Frankreich zu schmieden, bald schlossen sich das Deutsche Reich als Ganzes, zahlreiche Reichsstände, Savoyen und Portugal dem Bündnis an. Der spanische Erbfolgekrieg, mit Kriegsschauplätzen in Spanien, Italien, Süddeutschland, den Niederlanden, auf den Ozeanen und in der Nordsee, schwächte Frankreich. Nach dem Sturz der Whig-Regierung in England und dem Tod Kaiser Josephs I. kam es schliesslich mit dem Frieden von Utrecht 1713 zur Einigung zwischen Frankreich und den Seemächten. Die bescheidene Rolle der Republik bei den Friedensverhandlungen, die Englands zunehmende Bedeutung für die Politik des internationalen Gleichgewichtes bestätigten, veranschaulichte der französische Unterhändler Melchior de Polignac treffend mit seinem Bonmot chez vous, pour vous, sans vous (‚bei Ihnen, über Sie, ohne Sie‘), das in der Übersetzung bij u, over u, zonder u bis heute im Niederländischen fortlebt. Ein Jahr später anerkannte Kaiser Karl VI. die europäische Neuordnung mit dem Frieden von Rastatt und Baden. Den Sieg seiner internationalen Politik hat Wilhelm III., der 1702 kurz nach einem Sturz vom Pferd starb, nicht erlebt. Der kinderlose Oranier hatte zwar seinen Grossneffen Johan Wilhelm Friso, Statthalter der Provinzen Friesland, Groningen und Drenthe, als Universalerben eingesetzt, nach Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Parteien fiel aber das Fürstentum Orange an Frankreich und Preussen, Johan Wilhelm Friso wurde der begehrte Titel des Fürsten Oraniens zuerkannt. Mittlerweile war eine zweite Epoche ohne Statthalter in der Republik angebrochen. 6.1.2.1. Kolonien im Westen, Dreiecksfahrten, Handel mit Sklaven In der ersten Hälfte des 17. Jh. liessen sich die Niederländer auch in Mittelamerika nieder, sie gründeten Essequebo und Demerary am Essequibo-Fluss und weitere Kolonien am Rio Berbice sowie am Pomeroon-Fluss. Zudem besetzten sie die von den Spaniern verwalteten karibischen Inseln Bonaire 1633, Curaçao 1634 und Aruba 1636. Sodann kam Sint Eustasius 1636 in ihren Besitz, 1640 wurde Saba kolonialisiert, 1648 teilten Frankreich und die Republik die von Nieder-

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ländern und Franzosen besiedelte Insel St. Maarten unter sich auf. Abraham Crijnssen eroberte 1667 Surinam von den Engländern, das beim Frieden von Breda 1667 nicht von den ehemaligen Besitzern zurückgefordert wurde. Dafür verzichteten die Niederländer auf eine Rückgabe der Kolonie Nieuw Amsterdam, des heutigen Staates New York. Der Friedensvertrag von Westmin­ ster 1674 besiegelte diese Regelungen. Die zumeist als ‚Niederländisches Brasilien‘ bezeichnete Kolonie, die Johann Moritz von Nassau-Siegen als Gouverneur verwaltet hatte, musste die Republik 1661 den Portugiesen abgeben (vgl. 5.1.4.1., 5.1.4.2.).

Pazifik Nordamerika

Die Niederlande

Atlantik

Nördlicher Wendek reis

Arabien

Kolonie der Niederländischen Westindien-Kompanie Fort oder Siedlung der Westindien-Kompanie wichtiger Schifffahrtsweg

Gold Cost

Afrika

koloniale Periode Äquator

Südamerika eis Südlicher Wendekr

Gold Cost

Abb. 16:  Dreiecksfahrten (vgl. Bosatlas 241).

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Die neue Charta der 1674 umstrukturierten WIC beschränkte das Monopol der Gesellschaft auf den Handel an der Küste Westafrikas und in den amerikanischen Besitzungen. Auf dem Hinweg nach Afrika beförderten die Schiffe Feuerwaffen, Stahl- und Bronzebarren, Tuch, Glasperlen sowie Manufakturwaren, von der afrikanischen Westküste brachten sie Sklaven nach Mittelamerika, auf dem Rückweg in die Heimat transportierten die Schiffe Ladungen, vornehmlich Zucker. So konnten die Reeder ihre Schiffe mit diesen atlantischen Dreiecksfahrten äusserst wirtschaftlich einsetzen. In Westafrika betrieb die WIC befestigte Handelsstützpunkte wie Fort Batensteyn, Fort Elmina und Fort Accra im heutigen Ghana für den Handel mit Sklaven, die in der Regel auf dem afrikanischen Kontinent von arabischen und afrikanischen Händlern eingetrieben wurden. Bis Mitte des 18. Jh. erfolgten mehrere Hundert Transporte von Sklaven mit niederländischen Segelschiffen. Durch die Plantagenbewirtschaftung in der Neuen Welt, es handelte sich dabei zuerst um den Anbau von Zuckerrohr und Getreide, später auch von Kaffee, Baumwolle und Tabak, stieg der Bedarf an Sklaven ständig. Die grössten niederländischen Schiffe, mit Besatzungen bis zu sechzig Personen, beförderten 500 bis 600 Sklaven nach Mittelamerika. Zu den grössten Sklavenhändlern in der Republik zählte die Middelburgsche Commercie Compagnie (‚Middelburger Handelskompanie‘), die jährlich bis 6000 Sklaven verschiffte. Des Öfteren gelang es Sklaven in Surinam, in die Urwälder zu fliehen. Dort bildeten sie, ähnlich wie die Indianer, eigene Gemeinschaften. Gelegentlich erhoben sich Sklaven in Mittelamerika, so auf Curaçao, wo sie auch im Bergbau und an den Salzseen Zwangsarbeit zu verrichten hatten. So fand 1795 ein grosser Aufstand auf Curaçao statt, wobei der Anführer, Tula, die Freiheit der Sklaven verlangte, ein Einsatz, den er mit seinem Leben zu büssen hatte. Erst gegen Ende des 18. Jh. erhoben sich auch in den Niederlanden vermehrt Proteste gegen die Sklaverei, die aber erst 1863 gesetzlich verboten wurde. 6.1.2.2. Niederländisch in Amerika Bis ins 19.  Jh. wurde an der amerikanischen Ostküste auch Low Dutch oder Leeg Duits gesprochen, in Teilen von New Jersey und New York war es noch bis ins 20. Jh. zu hören. Sodann waren durch die Handelskontakte zwischen Europäern und Indianern in Nordamerika im 17. Jh. verschiedene Pidgin-Sprachen entstanden, so im 17. Jh. der Pidgin Delaware-Jargon, der eine grössere Zahl niederländischer Lehnwörter kannte, inzwischen aber ausgestorben ist. Seit den Dreissigerjahren des 17.  Jh. wird auf den Inseln, die zu den Niederländischen Antillen gehörten, Niederländisch gesprochen. Auf den Inseln unter dem Winde, Aruba, Bo­ naire und Curaçao war ein Pidgin mit spanischen und indianischen Merkmalen entstanden, das möglicherweise auf eine afrikanisch-portugiesische Kreolsprache zurückgeht. Es entwickelte sich zum Papiamento, das neben englischen und französischen auch niederländische Elemente aufweist. Zu den über 2000 niederländischen Lehnwörtern im Papiamento zählen Ausdrücke für Nahrungsmittel wie zuurkool (‚Sauerkraut‘) oder Tiernamen wie Duif (‚Taube‘). Der Status des Niederländischen verstärkte sich auf den Inseln im 18. und 19. Jh., seit 1819 wird Niederländisch beispielsweise im Unterricht verwendet. So hat sich das Niederländische neben anderen Sprachen auf den heute autonomen Inseln Curaçao, St. Maarten und Aruba gehalten,

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ebenso auf den Inseln Bonaire, Saba und Sint-Eustatius, die heute eine niederländische Kommune bilden. Die ausgestorbene Kreolsprache Negerholländisch, die auf den Jungferninseln gesprochen wurde, war eine auf Kreolisch basierende Variante des Niederländischen. Bis zum Ende des 18. Jh. verschleppten die ansässigen dänischen Kolonialherren um die 80.000 Sklaven von der afrikanischen Goldküste auf die Inseln. In der Neuen Welt verwendeten sie Negerholländisch, wie neu eingetroffene Herrnhuter aus Mähren um 1730 feststellten, auch wurde Niederländisch gesprochen. Die Missionare nannten die von ihnen angetroffene Sprache cariolise oder creolisch, so entstand, wie Van der Sijs darlegt, der Ausdruck Kreolisch. Der Däne J.M. Magens veröffentlichte 1770 eine Grammatik des Negerholländischen, im gleichen Jahr gab der Missionar C.G.A. Oldendorp ein umfangreiches Wörterbuch Deutsch–Negerholländisch heraus. Im 19. Jh. sollte eine englische Kreolsprache das Negerholländische verdrängen. Trotz der verschiedenen anwesenden Ethnien wurde Niederländisch im 17. Jh. die Verkehrssprache Surinams. Das bereits durch Sprachkontakte zwischen dem Englischen und sonstigen vorhandenen, wohl auch portugiesischen Sprachvarietäten entstandene kreolische Sranantongo entwickelte sich von nun an unter dem Einfluss des Niederländischen weiter. Die Nachkommen der aus Afrika eingeführten Sklaven sprechen bis heute Sranan, das nicht nur niederländische, sondern auch englische, afrikanische und portugiesische Züge aufweist. Sranantongo ist seit 1781 mit einem von den Herrnhutern herausgegebenen Gesangbuch, dem Singi Buku, und einem Neuen Testament, dem Nyun Testamenti, schriftlich belegt. Das Niederländische der Kolonisten passte sich zwar der neuen Umgebung an, dennoch unterscheidet sich dieses Surinaams-Nederlands, das in formellen Situationen Verwendung findet, bis heute nur geringfügig vom Allgemeinen Niederländischen.

6.1.3. Die zweite statthalterlose Ära (1702–1747) Während die Nachbarstaaten wirtschaftlich und politisch an Bedeutung gewannen, verspielte die Republik ihre Stellung als Weltmacht. Innenpolitisch rächte sich jetzt, dass Wilhelm III. es versäumt hatte, die Verwaltung neu zu ordnen. Zwar versuchte ein bedeutender Politiker wie Simon van Slingelandt während der Tweede Grote Vergadering (‚Zweiten Grossen Sammlung‘) der Republik 1716–1717 die Staatsfinanzen zu sanieren und die Verfassung zu erneuern. Die langwierigen Verhandlungen führten jedoch nicht zu einem Ergebnis, wie ein Text eines anonymen Beobachters dies ironisch festhielt mit den Zeilen Sij drinken een glas, Sij pissen een plas, En laten de saak soo als hij was. (‚Sie trinken ein Glas, sie pinkeln herum, Und lassen die Angelegenheit so wie sie war.‘). Varianten dieses Spruches finden noch heute ihre Verwendung, um die Unentschlossenheit von Menschen anzuprangern; die Redensart sucht man übrigens vergeblich im WNT, was wohl auf das Kalkül der ersten Redaktion zurückzuführen ist, ‚unanständige‘ Wörter im Wörterbuch auszulassen. Es begann in den Niederlanden eine Epoche, die spätere Generationen, namentlich die Vertreter der Romantik, nicht nur als eine Zeit des wirtschaftlichen Rückgangs, sondern auch des kulturellen Zerfalls empfanden. Aus heutiger Sicht sind abwertende Urteile, die Kritiker wie

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Potgieter später mit beissendem Spott formulierten, zwar als einseitig einzustufen, dennoch kann man der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Elite der pruikentijd (‚Zopfzeit‘) eine gewisse Selbstgenügsamkeit und einen Mangel an Unternehmungslust wohl schwerlich absprechen. Nicht ohne Grund hielt Pieter Langendijk in seinem posthum erschienenen Theaterstück Spiegel der vaderlandsche kooplieden (‚Spiegel der vaterländischen Kaufleute‘) Mitmenschen von der Sorte Lichthart (‚Leichtherz‘) und Losbol (‚lockerem Vogel‘) den Tatendrang der Kaufleute des 17.  Jh. als Spiegel vor. Ein Justus van Effen (1684–1735), der unter Einfluss von Joseph Addison und Richard Steele in der von ihm gegründeten Wochenzeitung De Hollandsche Spectator (‚Holländischer Beobachter‘) 1731–1735 aufklärerische Prosa veröffentlichte, hatte mit seinen gesellschaftskritischen, dennoch freundlich formulierten Äusserungen wohl zu wenig Gewicht, um einen Umschwung in der Republik zu bewirken. Französische Kultur entsprach jetzt dem Geschmack der Zeit, Diener, Hauslehrer, Gouvernanten, Musik- und Tanzmeister aus Frankreich gaben den Ton an. Die Arbeit der Enzyklopädisten war so gefragt wie die Literatur ihrer dichtenden Kollegen, die niederländische Sprache wurde mit vielen Dutzenden französischen Lehnwörtern und Lehnübersetzungen bereichert (siehe 6.4.3.). Wie umständlich die Führenden des Landes inzwischen handelten, beschreiben weitere Zeilen aus dem eingangs zitierten Text: Sondaghs absent, Maandaghs in ’t Logement, Dinghsdaghs present, Woensdaghs compleet, Donderdaghs niet gereet, Vrijdaghs niets gedaan, Saterdaghs na huys gegaan (‚Am Sonntag abwesend, am Montag im Wirtshaus, am Dienstag anwesend, am Mittwoch vollständig, am Donnerstag nicht bereit, am Freitag nichts getan, am Samstag nach Hause gegangen‘). Nationale Interessen kümmerten die Regenten nicht, sie interessierten sich für die lokalen Belange, beschränkten sich auf die Verwaltung ihrer Reichtümer und verteilten mittels contracten van correspondentie (‚gegenseitigen Vereinbarungen‘) die lukrativen Ämter unter sich, die dann von Drittpersonen gegen geringe Entschädigungen ausgeübt wurden. Korruption und Eigeninteresse förderten die Wirtschaft der Republik, die von anderen Ländern überflügelt wurde nicht. Der Handel mit den Kolonien stagnierte, die hohe Verschuldung verlangte zusätzliche Steuern, unter der Bevölkerung nahm die Unzufriedenheit zu. Gebunden durch die Pragmatische Sanktion von 1713 musste die Republik zusammen mit England Maria Theresia von Österreichs Gebietsansprüche gegen Frankreich unterstützen. Durch die französischen Einfälle in die südlichen Niederlande und Seeland 1747 wurde der Ruf nach dem Prinzen von Oranien lauter, das Volk erhoffte sich von einem Statthalter die Rettung, die regierende Klasse sorgte sich um den Verlust ihrer Macht. 6.1.3.1. Moralische Wochenschriften Im 18. Jh. nimmt die Zahl der sowohl bei Lesern als auch Leserinnen beliebten Moralischen Wochenschriften europaweit zu. So erschienen in England zirka 200 Blätter vom Typus The Tatler (1709–1711), The Spectator (1711–1714) oder Guardian (1712–1713). Deutschland kannte einhundert derartige Veröffentlichungen, so Gottscheds Die Vernünftigen Tadlerinnen (1725–1726), die 1756 als niederländische Übersetzung mit dem Titel De Verstandige Snapsters erschien. In den Niederlanden kamen schätzungsweise 70 Moralische Wochenschriften mit

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Abhandlungen, Leserbriefen und Erzählungen auf den Markt, die in der Regel aufklärerische Auffassungen verbreiteten.

Abb. 17:  De Hollandsche Spectator.

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Wohl in Nachahmung der Engländer Richard Steele und Joseph Addison veröffentlichten anonyme Verfasser in den Niederlanden Moralische Wochenschriften wie De Mensch Ontmaskert (‚Der demaskierte Mensch‘). Justus van Effen gab zuerst die französischsprachigen Blätter Le Misanthrope, das 1754 auch in deutscher Bearbeitung erschien, La Bagatelle und Le Nouveau Spectateur François heraus, dann auf Niederländisch De Hollandsche Spectator (1731–1735). Die Zeitschrift erschien anfänglich ein Mal, später ähnlich wie manche Blätter mit Nachrichten zwei Mal pro Woche. Insgesamt kamen 360 Ausgaben auf den Markt, die Auflagen betrugen vermutlich zwischen 1000 und 2000 Exemplare. Die Wochenschriften wurden über die Post an Buchhandlungen in der ganzen Republik verschickt. Gebildete Bürger, die zum middelbare staat (‚Mittelstand‘) gehörten, wie Van Effen festhält, lasen im Kaffeehaus aus den Heften vor, um anschliessend ihre Meinungen über die angesprochenen Themen auszutauschen. Vermehrt befassten sich auch Frauen mit den spectatoriale geschriften, die sie einander während der regelmässig stattfindenden Teegesellschaften vorlasen. Wie klang es wohl, wenn die Damen und Herren in niederländischer Schriftsprache aus dem neuesten Heft vorlasen, wie stark wich ihr Sprachgebrauch in der anschliessenden Diskussion vom überregionalen Niederländischen der Vorlesung ab? Wie dies auch sei, die Moralischen Wochenschriften trugen so zur Verbreitung des überregionalen geschriebenen Niederländischen (vgl.  6.2.4.) unter dem Bürgertum bei. 6.1.3.2. Erscheinungsformen einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft Im Zeitalter der Aufklärung entstanden zahlreiche Gesellschaften und Genossenschaften, die bestrebt waren, Bildungsideale zu verwirklichen, eine bessere Gesellschaft zu fördern oder später auch gemeinnützige Ziele zu verfolgen. Der hierdurch geförderte soziale Austausch führte nach M.-T. Leuker zur Entstehung einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft. Für die Entfaltung des Niederländischen ist in diesem Zusammenhang die Wirkung literarischer Gesellschaften zu nennen, die sich wie die deutschen Literarischen Gesellschaften nicht nur mit religiösen, moralischen und patriotischen Fragestellungen befassten, sondern sich insbesondere für die Förderung der Literatur und die Pflege der Sprache einsetzten. Bereits die vielleicht von Vondel angeregte Gründung eines Vereins wie Nil Volentibus Arduum 1669 hatte die Entstehung von dichtgenootschappen (‚Sprachgesellschaften‘) in der Zeit der Aufklärung angekündigt. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. entstanden dann eine Vielzahl von Vereinen zur Förderung der niederländischen Sprache und Literatur. Die Mitglieder, zumeist gebildete Bürger, befassten sich wissenschaftlich und schöpferisch mit Literatur, man übte Rhetorik oder schrieb literarische Preisfragen aus. Zu den eher akademischen Sprachgesellschaften zählen u.a. Linguaque animoque fideles (‚Getreue in Sprache und Seele‘) in Leiden, Dulces ante omnia musae (‚Die Musen lieblich über Alles‘) in Utrecht und die bis zum heutigen Tag bestehende Leidener Gesellschaft Maatschappij der Nederlandsche letterkunde (‚Gesellschaft der niederländischen Dichtung und Literaturwissenschaft‘). Das Schöpfen von Literatur förderten Vereine wie Kunstliefde spaart geen Vlijt (‚Kunstliebe spart nicht an Fleiss‘) in Den Haag, Kunst wordt door Arbeid verkregen (‚Kunst wird durch Arbeit erlangt‘) in Leiden oder Wij streeven naar volmaaktheid (‚Wir streben Vollkommenheit an‘) in Amsterdam.

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In der Regel kannten die Gesellschaften männliche protestantische Mitglieder, Kunstliefde spaart geen Vlijt liess aber auch Frauen zu. Indem die Mitglieder solcher Vereine sich bemühten, literarische Texte oder beredte Vorträge zu schaffen, befassten sie sich naturgemäss mit der Pflege des überregionalen Niederländischen. Nach ihrer Blütezeit gingen die meisten Sprachgesellschaften im 19. Jh. ein. Wohl entstand durch Verschmelzung einiger Sprachgesellschaften 1800 die Bataefsche maatschappij van taal- en dichtkunde (‚Batavische Gesellschaft von Sprach- und Dichtkunst‘). Sie förderte insbesondere die Rhetorik und damit die Kultivierung des gesprochenen überregionalen Niederländischen.

6.1.4. Statthalter und Patrioten im Norden, Einverleibung des Südens (1747–1795) In der Not wurde Wilhelm Karl Heinrich Friso, Sohn Johan Willem Frisos, des Statthalters Frieslands und Groningens, auch zum Statthalter Seelands, Hollands, Utrechts und Overijssels ausgerufen, zudem wurde er zum Kapitän-General des Heeres ernannt. So hofften die Bürger die gemeinsamen Kräfte zu bündeln, um sich nicht nur gegen die ausländischen Feinde zu wehren, sondern auch die korrupte Verwaltungsstruktur der herrschenden Regentenklasse zu zerstören. Wilhelm IV. liess beide Ämter in der männlichen wie in der weiblichen Linie erblich erklären, sodann erweiterte er seine Macht, indem er das Recht erlangte, wichtige Stellen unmittelbar zu vergeben. Der Frieden von Aachen 1748, der den kriegerischen Auseinandersetzungen ein Ende setzte, fiel für die geschwächte Republik noch günstig aus, erhielt sie doch die verlorenen Gebiete zurück. Trotz dieser glücklichen Voraussetzungen gelang es dem Statthalter nicht, innenpolitische Reformen durchzuführen oder die bestehenden Missstände zu beseitigen. Zwar kamen die Einkünfte der Post, einer bedeutenden Einnahmequelle der Obrigkeit, jetzt dank des Prinzen den Provinzen und nicht den Regenten zugute, nach wie vor trieben aber sich bereichernde Pächter die Steuern ein; erst als Unruhen ausbrachen, wurden sie durch Beamten ersetzt. Demokratische Bewegungen u.a. in Amsterdam verlangten mehr Einfluss der Bürger auf die Stadtverwaltungen, die halbherzigen Versuche des Statthalters, solche Forderungen auf Kosten der Regenten durchzusetzen, vermochten die Demokraten jedoch nicht zu überzeugen. Enttäuscht von seiner Politik kehrten mündige Bürger sich bald gegen den Statthalter, Wilhelms Unentschlossenheit sollte den Streit zwischen den diversen Faktionen im Verlauf des 18. Jh. massgeblich bestimmen. Der dreijährige Wilhelm V. folgte seinem 1751 verstorbenen Vater nach. Anna, seine Mutter, Tochter des englischen Königs, nahm als Regentin zuerst die Geschäfte für ihn wahr, nach ihrem Ableben übernahm Ludwig Ernst von Braunschweig Wolfenbüttel die Vormundschaft des Prinzen bis zu seiner Volljährigkeit 1766. Die Abhängigkeit Wilhem V. von seinem Vormund, später auch von seiner willensstarken Frau Wilhelmina, Schwester des preussischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, wurde von seinen Gegnern öffentlich verspottet. Letztere liessen sich in der Zeit der Aufklärung und des Rationalismus von der Lehre der Volkssouveränität und vom Gesellschaftsvertrag leiten. Als patriotten (‚Patrioten‘) bildeten sie mit diversen Gruppen unzufriedener Bürger, darunter Römisch-Katholiken, Täufer und Lutheraner neben den konservativen Anhängern der Oranier und den staatsgezinden, ‚Staatsen‘, welche die Generalstaaten

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als Souverän anerkannten, eine dritte politische Kraft in der Republik. Mit ihrem Streben, die Ideale der Aufklärung umzusetzen, formten die Patrioten eine Bewegung von europäischer Bedeutung, die zu einem geistigen Klima beitrug, das zur Französischen Revolution führen sollte. Die Auflehnung der Amerikaner, die in ihrem neugegründeten Staat der freien Bürger die Ideale der französischen Philosophen zu verwirklichen schienen, veranlasste die Patrioten, Partei für Frankreich zu ergreifen, das die Amerikaner gegen die Engländer unterstützte. Obschon die Anhänger Oraniens auf der Seite Englands standen, beschlossen die Generalstaaten, unbeschränkte Beförderung von Gütern zuzulassen. Dies gestattete es, Frankreich in seinem Kampf gegen England mit den notwendigen Vorräten zu versorgen. Dass die Republik mit ihrer vernachlässigten Flotte im darauffolgenden vierten Englischen Krieg 1780–1784 kaum etwas zu bewerkstelligen vermochte, kreideten die Patrioten dem Prinzen an. Zudem wurde dem internationalen Handel, der schon Jahrzehnte Einbussen verzeichnete, weiter zugesetzt, die Schiffe aus Asien konnten durch den Krieg die Heimathäfen nur schwer anlaufen. Zwar war es der VOC gelungen, das ganze Gebiet Javas zu unterwerfen, die aufwendige Verwaltung, die ausländische Konkurrenz, die Nachfrage nach anderen Produkten wie Tee, Seide und Porzellan und die Korruption führten trotz Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung zum Untergang des damals grössten Handelsunternehmens der Welt. 1799 wurde die bankrotte Gesellschaft aufgelöst. Die WIC war bereits 1674 eingegangen. Die Patrioten begannen nun mit der Bewaffnung von Volksmilizen. Der Abschluss eines Verteidigungsvertrages mit Frankreich 1785, der ihren politischen Wünschen entsprach, stärkte sie im Kampf gegen die Autorität des Prinzen. Der nationale Zusammenschluss von demokratischen Milizen und ehemaligen Gegnern, Regenten, die sich auf die Seite der Patrioten geschlagen hatten, schwächte die Stellung Wilhelms weiter. Als ihm nach Krawallen in Den Haag der Oberbefehl der Garnison aberkannt wurde, verliess er die Residenz, faktisch verlor er damit das Amt des Statthalters Hollands. Während Wilhelm zögerte, seine Machtansprüche mit seinen Anhängern in Utrecht durchzusetzen, entschloss sich seine Gattin, nach Den Haag zu reisen, um ihnen Mut zu machen. Da die Patrioten sie bei Goejanverwellesluis an der Weiterreise hinderten, rief sie die Hilfe ihres Bruders, des Königs Friedrich Wilhelm II. von Preussen an, der den Herzog von Braunschweig mit nicht weniger als 20.000 Soldaten in die Republik schickte. Wilhelm, der im September 1787 nach Den Haag zurückkehrte – möglicherweise geht der Ausdruck prinsjesdag (‚Tag der Eröffnung des niederländischen Parlaments‘) auf dieses Ereignis oder auf seinen Geburtstag zurück – wurde nun in seinen Ämtern bestätigt. Die Beamten hatten sich auf die Konstitution mit der erblichen Statthalterschaft, welche die Führung von Heer und Flotte einschloss, einzuschwören, Tausende Patrioten flüchteten nach Frankreich. Drei Jahre nach Ausbruch der Französischen Revolution, nachdem die französische Nationalversammlung dem konservativen Bündnis europäischer Staaten 1792 den Krieg erklärt hatte, fielen französische Truppen in die österreichischen Niederlande ein. Nach ersten militärischen Erfolgen ihres Gegners, des Herzogs von Braunschweig, gelang es den Franzosen, eine österreichisch-preussische Invasion abzuwehren. Sie griffen daraufhin Deutschland an, besetzten Savoyen sowie Nizza und eroberten nach dem Sieg bei Jemappes am 6. November 1792 die österreichischen Niederlande. Frankreich einverleibte sich 1795 die südlichen Niederlande und

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verwaltete von Brüssel aus die neuen Departemente Meuse-Inférieure (das heutige belgische und niederländische Limburg), Dyle (flämisches Brabant, Brüssel, wallonisches Brabant), Jemappes (Hennegau), Lys (West-Flandern), Ourthe (Lüttich), Sambre-et-Meuse (Namur), Escaut (OstFlandern und seeländisches Flandern), Deux-Nèthes (Antwerpen), Forêts (Provinz Luxemburg, Fürstentum Luxemburg und Bitburg), Ardennes (Teile von Namur) und ab 1798 Roer (Teile des niederländischen Limburg, Gennep, Tegelen und Sittard). Die Hinrichtung Ludwigs XVI. 1793 veranlasste Wilhelm und weitere europäische Staatsoberhäupter, sich der Koalition gegen Frankreich anzuschliessen, in der Folge erklärte Frankreich dem Statthalter den Krieg. Die Truppen des Generals Dumouriez fielen zusammen mit der ‚Batavischen Legion‘, bestehend aus 1787 nach Frankreich ausgewichenen Patrioten unter Anführung von Daendels, in die Niederlande ein, um auch hier die Revolution auszulösen. Siege der Österreicher bei Lüttich und Aachen, die Aufhebung der Belagerung Maastrichts sowie der gewonnene Kampf der Koalition bei Neerwinden zwangen die französischen Truppen aber zum Rückzug. Durch das Zusammenspannen Dumouriez’ mit den Österreichern konnte die Unabhängigkeit der Republik noch kurz bestehen, bis die französischen Truppen Pichegrus Ende 1794 die Maas, Anfang 1795 die Waal und die zugefrorene holländische Wasserlinie überquerten. Die geläufige rhetorische Frage Wat nu? zei Pichegru (‚Was nun, sagte Pichegru‘) erinnert noch heute an das Hindernis, das der General zu überwinden hatte. Die Staaten Utrecht ergaben sich ohne Gegenwehr, die holländischen Staaten folgten. Wilhelm flüchtete mit seiner Familie nach England, ein Teil der Bevölkerung feierte die Ereignisse und tanzte um Freiheitsbäume, die mit der phrygischen Mütze, dem jakobinischen Symbol der Freiheit, geschmückt waren. 6.1.4.1. Erste Vereine und Fachzeitschriften zur Förderung der niederländischen Philologie In der Mitte des 18. Jh., als sich das Interesse für die Kultivierung der Muttersprache steigerte, entstanden studentische Gesellschaften zur Förderung der niederländischen Sprache und Literatur, wie J. Knol dargelegt hat. So gründete der Student Hendrik Arnold Kreet (1739–1804) mit einigen Kommilitonen in Leiden den Studentenverein Linguaque animoque fideles, der sich mit der niederländischen Sprachwissenschaft und Dichtkunst auseinandersetzte. Mitglieder des Vereins, der seit 1761 Minima crescunt hiess, riefen 1758 die Tael- en dichtkundige bydragen (‚Sprach- und Literaturwissenschaftliche Beiträge‘) ins Leben, eine Zeitschrift, die sich in den vier Jahren ihres Bestehens u.a. mit der Muttersprache beschäftigte. Dann erschienen acht Lieferungen der Zeitschrift Nieuwe bydragen tot opbouw der vaderlandsche letterkunde (‚Neue Beiträge zum Aufbau der vaterländischen Philologie‘). Auch an der Utrechter Universität fand die Gründung einer Gesellschaft zur Förderung der Geschichtsforschung und Philologie statt. Dieser Verein, Dulces ante omnia musae, veröffentlichte 1775 den Sammelband Proeve van oudheid-, taal- en dichtkunde (‚Abhandlung zur Altertumskunde und Philologie‘), herausgegeben von Meinard Tydeman. Er besorgte 1782 zudem einen zweiten Band. Im gleichen Zeitraum strebte Frans van Lelyveld die Gründung einer niederländischen Gesellschaft an, die sich mit der Académie française und der Royal Society messen konnte. Die Gründungsversammlung der Maetschappije der Nederlandsche Letterkunde te Leyden oder ‚Maatschappij‘ (‚Gesellschaft der niederländischen Philologie zu Leiden‘) fand, wie u.a. F.K.H.

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Kossmann beschrieben hat, 1766 statt. Die Gesellschaft, der älteste Verein der Niederlande, fördert seit dem 18. Jh. die Literatur, die Forschung auf dem Gebiet der Geschichte und Altertumskunde sowie die Sprach- und Literaturwissenschaft der Niederlande. Forschungsergebnisse veröffentlichte die Gesellschaft zwischen 1772 und 1788 in sieben Bänden der Reihe Werken (‚Arbeiten‘). Die Maatschappij sollte übrigens ab 1881 die auch für die niederländische Sprachgeschichte wichtige Tijdschrift voor Nederlandse taal- en letterkunde (‚Zeitschrift für niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft‘) veröffentlichen, 1983 begann sie das Nieuw Letterkundig Magazijn (‚Neues literarisches Magazin‘) zu publizieren. 6.1.4.2. Niederländisch als Universitätsfach Während der zweiten Hälfte des 18.  Jh. fanden bereits Lehrveranstaltungen zum Niederländischen an Universitäten statt. So erhielt Everwinus Wassenbergh (1742–1826), Professor für Griechisch an der Universität Franeker, 1779 einen Lehrauftrag für niederländische Sprachwissenschaft. Meinard Tydeman (1741–1825), Professor für Geschichte, Rhetorik und Griechische Literatur, der die Bedeutung des Niederländischunterrichtes unterstrich, om der roem van ons volk te vermeerderen (‚zur Vermehrung des Ruhmes unseres Volkes‘), hielt an der Universität Harderwijk auf Niederländisch Vorlesungen über die niederländische Sprache, wie u.a. J. Noordegraaf belegt hat. Die Ernennung von Matthijs Siegenbeek (1774–1854) 1797 zum Extraordinarius für Niederländisch an der Universität Leiden schuf erst die Voraussetzungen für die Entfaltung der niederländischen Philologie als Universitätsfach. Bald wurde Siegenbeeks Stelle zu einem Ordinariat ausgebaut, seine Lehre und Forschung hatten niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft, die kunst der welsprekendheid (‚Lehre der Redekunst‘), später auch vaterländische Geschichte zum Gegenstand. Neben seiner Arbeit auf dem Gebiet der niederländischen Philologie besorgte er Aufgaben der Fakultät und der Universitätsverwaltung. Auch widmete er sich als langjähriger Vorsitzender den Aktivitäten der Maatschappij der Nederlandse Letterkunde. In seiner Abhandlung zur Orthografie 1804 forderte er eine Rechtschreibung des Niederländischen, die auf dem beschaafde (‚gehobelten‘, d. h. ‚gepflegten‘) Holländischen gründete. Darüber hinaus wäre nach ihm in der Rechtschreibung die Etymologie zu berücksichtigen, die beispielsweise zur Verwendung des Graphems für den aus ger. ī entstandenen Diphthong [εi] (vgl. 4.4.1.4.) führte. Siegenbeeks Auffassungen sollten die Regeln der Rechtschreibung im 19. Jh. massgeblich bestimmen, das Graphem findet bis heute Anwendung. Literatur zu 6.1.: Aalbers 1980; Amsenga et al. 2004; Arndt et al. 2004; Baxter 1966; Bens 1997; Blok et al. 1977/83, Bd 8, 9; Blonk et al. 1960/62, Bd 2; Bootsma 1962; Van Bork et al. 2013; Buijnsters 1984; Carlin et al. 2002; Charry et al. 1983; Dongelmans 1982; Dreiskämper 1998; Van Effen 1984; Van Effen 2001; Emmer 2000; Frijhoff 1991; Frijhoff et al. 2000; Fruin 1922; Gabriëls 1990; Geyl 1948/59; Geyl 1963; Groenveld 1984; Grüttemeier et al. 2006; Hanley et al. 2009/10; Van der Haven 2008; Israel 1991; Johannes 2010; Van Kempen 2003; Knol et al. 1977; Kossmann 1986; Leeb 1973; Leuker in: Grüttemeier et al. 2006; Luhrman 1993; Panhuysen 2009; Ponelis 1993; Ponelis in: Van den Toorn et al. 1997; Reinders 2010; Reynebeau 1995; Roorda 1961; Rowen 1978; Schmitt et al. 1988; De Vries et al. 1995; Zahn 1984; Zwager 1980.

6.2. Vermehrte Reglementierung des überregionalen Niederländischen

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6.2. Vermehrte Reglementierung des überregionalen Niederländischen Über die niederländische Sprache und die Sprachgelehrten der Zeit von 1650 bis 1800 wurde im vergangenen Jahrhundert im Vergleich zu anderen Perioden der niederländischen Sprachgeschichte zuerst weniger publiziert, was nach C.B. van Haeringen dem Vorurteil zuzuschreiben ist, die Blütezeit der niederländischen Sprache und Sprachkultur wäre in dieser Epoche vorüber. Betrachtet man jedoch nur allein die Arbeit von Sprachgelehrten wie Lambert ten Kate oder Balthazar Huydecoper, so ist festzustellen, dass das Gegenteil zutrifft. Anfänglich befassten sich Sprachhistoriker wie u.a. K. Heeroma, A. de Jager oder C.G.N. de Vooys ausführlicher mit dem überregionalen Niederländischen und seinen Varietäten dieser Zeit. So widmete Letzterer den Grammatikern des 18. Jh. mehrere Aufsätze. Sodann setzte sich R.A. Kollewijn mit dem ‚Sprachdespoten‘ Balthazar Huydecoper auseinander, J. Daan betrachtete die Soziolekte, G.G. Kloeke die Haager Volkssprache des 18. Jh. Seit den Siebzigerjahren des 20. Jh. hat sich die Forschung der Kultur des 18. Jh. nachdrücklich profiliert, die Sprache sowie die Leistungen der Sprachgelehrten dieser Epoche stehen ebenfalls seit Jahrzehnten vermehrt im Mittelpunkt der Forschung. Zu den vielen Sprachhistorikern aus diesem Bereich gehören die folgenden in Auswahl angeführten Verfasser älterer und neuerer Studien. Ausführliche Angaben zu den entsprechenden primären und sekundären Quellen vermittelten G.R.W. Dibbets, J. Knol und F. de Tollenaere. J. Noordegraaf betrachtete die sprachwissenschaftliche Arbeit dieser Zeit im Lichte der Aufklärung, G.M. van der Horst beschrieb auch vom Niederländischen dieser Sprachstufe die Syntax, I. van Hardeveld publizierte über Lodewijk Meyer. Bedeutende Arbeiten über den Grammatiker Lambert ten Kate stammen u.a. von A. van der Hoeven, T.A. Rompelman, R.G. van de Velde, J. Noordegraaf, G. Rutten und M. van der Wal. Wie J. Lindeboom schrieb später auch F.A.M. Schaars über Arnold Moonen. R.J.G. de Bonth und G. Rutten untersuchten die Arbeit Balthazar Huydecopers, J.F. Vanderheyden und I. van de Bilt veröffentlichten über Adriaen Verwer. Ergebnisse dieser und weiterer sprachhistorischer Forschung werden im Folgenden mitberücksichtigt und regelmässig direkt oder indirekt zitiert.

6.2.1. Fortschreitende Vereinheitlichung der gepflegten Sprache Der Prozess der Vereinheitlichung des überregionalen Niederländischen, der sich in Formen der mittelniederländischen Schriftsprache ankündigte und sich im 16. und 17. Jh. durchsetzte, führte im Zeitalter des Rationalismus zu einer vermehrten Reglementierung. Sie galt immer noch vorrangig als geschriebene Sprache, war aber auch für das Sprechen in der Öffentlichkeit gefragt und betraf somit das gepflegte überregionale Niederländische. So bemerkt Petrus Francius (1645–1704), Professor für Rhetorik, Jurisprudenz und Griechisch am Amsterdamer Athenaeum Illustre 1669, dass alle menschen kunnen, en behooren, goed Duitsch te spreeken, die inboorelingen deezer landen zijn. In den gemeenen ommegang kan men hier niet altoos op

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letten, en het riekt eenigsins naar neuswysheidt; maar wat onachtzaamheidt is het, als men in ’t openbaar of schryven, of spreeken wil, hier geen acht op te slaan? (,alle Menschen, die Einheimische dieser Länder sind, können und müssen gutes Niederländisch reden. Im alltäglichen Verkehr kann man dies nicht immer beachten, und es sieht ein wenig rechthaberisch aus; aber wie unachtsam wäre es, wenn man öffentlich schreiben oder sprechen möchte, dies nicht zu beachten?‘). Man kann sich übrigens fragen, wie sehr Pfarrer, die insbesondere während des protestantischen Gottesdienstes viel und vielfach öffentlich zu reden hatten, auf die Ratschläge des Rhetorik-Professors angewiesen waren und inwiefern sie mit ihrem Sprachgebrauch eine Vorbildfunktion übernahmen. Francius’ Feststellung, dass alle Menschen ‚gutes Niederländisch‘ sprechen konnten beziehungsweise sollten, deutet nicht nur auf die Festigung des überregionalen Niederländischen im 17. Jh., sondern schliesst auch die Annahme eines weitverbreiteten Bewusstseins einer Sprachnorm ein. Dass man laut Francius die ‚gute‘ Sprache im täglichen Umgang offenbar nicht unbedingt verwenden müsste, sie dafür beim ‚öffentlichen‘ Schreiben und Reden sehr wohl zu beachten hätte, deutet auf Diglossie: es wird hier wohl zwischen sozio- beziehungsweise dialektischen Varietäten und überregionaler, kultivierter Sprache differenziert. Die neuere sprachhistorische Forschung berücksichtigt übrigens vermehrt Varietäten der Umgangssprache, so bieten die zirka 38.000 von den Engländern erbeuteten und in diversen Archiven aufbewahrten Dokumente und Briefe, die zum Teil von niederländischen Seeleuten stammen oder an sie gerichtet sind, eine Fundgrube für Forscher wie M. van der Wal und ihre Kollegen, um die Umgangssprache aus dem Zeitalter des 2. und 3. Englischen Krieges 1665–1674 sowie des 4. Englischen Krieges und des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges 1775–1784 (vgl.  6.1.) zu beschreiben. Entsprechende historisch-soziolinguistische Befunde sind im Rahmen der vorliegenden Arbeit zum kultivierten überregionalen Niederländischen allerdings nicht weiter zu erörtern. Trotz Unterschieden in den Ansätzen, die Sprache zu standardisieren, lässt sich feststellen, dass in der ersten Hälfte des 18. Jh. die Grundlagen für eine einheitliche Normierung der vom Holländischen geprägten überregionalen Sprache in der Republik gelegt wurden. Allmählich zählten Kenntnisse von Sprachregeln zur Bürgerpflicht, später in der französischen Zeit wurden Orthografie und Grammatik zu einer nationalen Angelegenheit. Dank den Versuchen, die Sprache zu reglementieren, die im 16. Jh. anfingen und im 17. und 18. Jh. fortgesetzt wurden, entstanden Vorläufer des Standardniederländischen, das Anfang des 19. Jh. durch Matthijs Siegenbeeks Abhandlung zur Orthografie 1804 und Petrus Weilands (1754–1841) präskriptive Grammatik des geschriebenen Niederländischen 1805 genauer festgelegt und vom Staatsbewind (‚Staatsverwaltung‘) gefördert wurde. Als die Statthalterin Maria Theresia, wie später auch ihr Sohn Joseph II. die südlichen Provinzen von Österreich aus regierten, nahm die Bedeutung des Französischen als diplomatische und administrative Sprache hier zu. In der Erziehung erhielt Französisch den Vorrang. Das 1772 gegründete wissenschaftliche Institut Académie impériale et royale des Sciences et Belles-Lettres war französischsprachig, stand allerdings dem Niederländischen wohlwollend gegenüber. Französisch entwickelte sich vermehrt zur Kultursprache der gebildeten Bürger. Zu den Gegnern des zunehmenden Einflusses des Französischen gehörten die Anwälte Jan Frans Vonck (1743–1792)

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und Baptist Chrysostomus Verlooy (1746–1797). Letzterer verlangt in seinem 1780 verfassten, erst 1788 veröffentlichten Manifest Verhandeling op d’Onacht der moederlyke Tael in de Nederlanden (‚Abhandlung zur Gleichgültigkeit gegenüber der Muttersprache in den Niederlanden‘) die Anerkennung des Niederländischen, ‚der Sprache der Freiheit‘, als eine vollwertige Sprache. Diese sollte jenen Bürgern, die das Französische nicht oder nur schlecht beherrschten, gesellschaftlich bessere Aussichten bieten. Verlooy dürfte denn auch als Urheber der Vlaamse Beweging (‚Flämischen Bewegung‘, vgl. Kap. 7) gelten. Um das Niederländische im Süden zu retten, rief Verlooy zur Zusammenarbeit mit den nördlichen Niederlanden auf. Mittlerweile entwickelte sich in den südlichen Niederlanden durch die Bemühungen von Sprachliebhabern und Schulmeistern wie u.a. Jan Domien Verpoorten (1706–1773) oder Jan Des Roches (um 1740–1787) in einer Zeitspanne von einem Jahrzehnt zwischen 1752 und 1761 eine südliche normative Tradition, die sich an der praktischen Sprachverwendung orientierte. Angehörige der 1669 gegründeten Gesellschaft Nil Volentibus Arduum (‚Nichts ist schwierig für diejenigen, die wollen‘), niederländisches Gegenstück der Académie française, die unter Einfluss des französischen Klassizismus die Veröffentlichung verfeinerter, brillanter lyrischer und dramatischer Texte förderten, bemühten sich auch um einen ‚korrekten‘ Gebrauch der niederländischen Sprache. So ermunterte Geeraert Brandt (vgl. 6.2.4.2.) die Gesellschaft, eine niederländische Grammatik zu verfassen, Andries Pels (1631–1681) besprach in der Einführung seiner einflussreichen Übersetzung Q. Horatius Flaccus Dichtkunst, 1677, orthografische Fragen, und das angesehene Mitglied Lodewijk Meyer (1629–1681, vgl.  5.2.2.2.) bereitete eine niederländische Grammatik vor. In den südlichen Niederlanden, die vom Ende des Spanischen Erbfolgekrieges bis zum Einfall der französischen Truppen 1795 auch als Österreichische oder Habsburgische Niederlande bezeichnet werden, lebten Sprachgemeinschaften ursprünglich nebeneinander. So herrschte südlich der Sprachgrenze (vgl. Abb. 7) Französisch vor, in Hennegau und in Teilen der heutigen Region Nord-Pas-de-Calais sprach man jedoch hauptsächlich Picardisch. Im Osten verwendete man vor allem Lëtzebuergesch. Obrigkeit wie Kirche anerkannten anfänglich die bestehende sprachliche Verschiedenheit, die eine regionale Identität zum Ausdruck brachte. Die Bestrebungen nach Vereinheitlichung der Sprache in der mittleren Neuzeit erforderten eine Selektion aus vorhandenen orthografischen und grammatikalischen Varianten sowie eine Festlegung des vereinheitlichten geschriebenen Niederländischen in Wörterbüchern und Grammatiken. Dieses Unterfangen setzte eine Suche nach Sprachnormen voraus, sie steht im Folgenden zuerst zur Diskussion. Anschliessend wird näher auf Veröffentlichungen zur niederländischen Sprache aus der Zeit des Klassizismus eingegangen.

6.2.2. Die Suche nach Sprachnormen Bei den Bestrebungen, die Muttersprache zu vereinheitlichen, gingen die Gelehrten von der Sprache Hollands aus, uneinig war man sich allerdings über die Frage, aus welcher Quelle die Sprachnormen abzuleiten wären. Mancher nahm die Sprache der grossen niederländischen Dichter des 17. Jh. (vgl. 5.2.3.4.) als Massstab, andere Grammatiker und Schriftsteller versuch-

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ten Gesetzmässigkeiten aus früheren Stufen des Niederländischen abzuleiten. Für manche galt zudem ein gepflegtes gesprochenes Niederländisch als hilfreich bei der Suche nach Normen. Als Norm für ein vorbildliches Niederländisch wählten David van Hoogstraten, Joannes Vollenhove, der Pfarrer Jacobus Nylöe (1670–1714), der Pfarrer und Dichter Arnold Moonen (1644–1711), der Schriftsteller und Lexikograf Willem Séwel (1654–1720) und der Regent und Dichter Balthazar Huydecoper (1695–1778) die Sprache der niederländischen RenaissanceDichter. Damit folgten sie der lateinischen Tradition, die Sprache der grossen Autoren als Richtlinie zu wählen, wie dies zum Beispiel Gerardus Outhof in Van Hoogstratens Veröffentlichung zum Wortgeschlecht, 1700, ausführt: En evenwel zullen Hoofdt en Vondel ook wel altydt de twee voornaamste Letterbaazen in ’t Nederlandsch blyven (‚Ebenfalls werden Hoofdt und Vondel [wie Cicero, Nepos, Sallust, Virgil, Horaz, Ovid usw. für das Latein] im Niederländischen wohl die bedeutendsten Meister der Sprache und Literatur bleiben‘). In diesem Sinne hatte auch Petrus Francius bereits seinen Lesern empfohlen, die Werke dieser Dichter zu lesen, um Sprachfehler zu vermeiden. Die Sprachverwendung der beispielhaften Dichter, het achtbare gebruik (‚der achtenswerte Gebrauch‘), stellt in dieser Auffassung somit die Sprachnorm dar, die sich aber nicht eindeutig festlegen lässt: nicht nur sind Unterschiede zwischen den einzelnen Schriftstellern des 17. Jh. namentlich in der Handhabung der Orthografie oder der Berücksichtigung von Genus und Kasus festzustellen (vgl. 5.4.2.2. und 5.4.2.3.), auch innerhalb der Werke eines einzigen Schriftstellers finden sich immer wieder Varianten. Diesbezüglich ist es vielsagend, dass Hooft in den Jahren 1633 bis 1636 einen Teil seiner Werke umgeschrieben hatte, um seine Sprache zu vereinheitlichen. Dass die Renaissance-Dichter in ihren Werken von den eigenen Regeln abweichen konnten, entging ihren Nachfolgern nicht. So bedauern Séwel und Pels, dass diese ‚begabten‘ Menschen gelegentlich Fehler machten, die man übrigens nicht nachahmen sollte: Het moeitme in ’t hart, als Hooft en Vondel zomtyts missen‘ (‚Es schmerzt mich, wenn Hooft und Vondel gelegentlich Fehler machen‘). Laut Francius wäre es unschön, ‚Holländer zu sein, aber das Holländische nicht zu kennen‘. Er bemängelt die schlampige Verwendung der Muttersprache, beanstandet die Vernachlässigung von Kasusregeln und die Unkenntnisse über das Genus der Substantive: Wie maakt onderscheidt, tusschen my en mijn; u en uw; daar men dagelijks in faalt? tusschen de, en den; der en des; welker gebruik weinige weeten? (‚Wer macht Unterschiede zwischen my [‚mich‘, ‚mir‘] en mijn [‚mein‘]; u [‚Sie‘, ‚Ihnen‘] en uw [‚Ihr‘]; was man täglich falsch macht? zwischen de [‚der‘, ‚die‘], und den [‚den‘], der [‚der‘] und des [‚des‘]; deren Anwendung wenige kennen?‘). In seinem Drang, das Niederländische zu reglementieren, trug der Verfasser, wie die Mehrheit seiner Zeitgenossen, den Entwicklungen, die in seiner Sprache stattgefunden hatten wie die Entstehung eines genus commune oder die Reduktion des Kasus (vgl. 5.4.2.2. und 5.4.2.3.), nicht Rechnung. Statt diese Erneuerungen zu berücksichtigen, versuchte man nach wie vor an Stelle des genus commune in der Klasse der de-Substantive die Kategorien Feminin und Maskulin zu bestimmen und Kasusregeln nach lateinischem Muster einzuführen. Francius’ Auffassungen veranlassten Van Hoogstraten dazu, 1700 eine Liste von Substantiven mit Angabe des Wortgeschlechtes zu veröffentlichen.

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Bei der Feststellung des Genus stützt Van Hoogstraten sich auf die Werke Vondels und Hoofts, weil er der Überzeugung ist, dass diese zwei Dichter im Vergleich zu ‚Marnix, Spiegel, Coornhert, Koster, Bredero oder Camphuyzen‘ am weitesten mit dem Aufbau der Sprache vorangekommen waren. In seinen Aenmerkingen, die 1200 Substantive umfassen, zitiert er am häufigsten die ‚zwei besten Schriftsteller unseres Jahrhunderts‘. Die Festlegung des Genus, die seit dem 16. Jh. zur Diskussion stand, erläutert der Verfasser in seiner Ausführung nicht systematisch, falls Vondel und Hooft in der Verwendung des Wortgeschlechtes nicht übereinstimmen, wählt Van Hoogstraten eher Vondels Gebrauch als Hoofts. Es bestand ein bemerkenswerter Bedarf an Van Hoogstratens Liste, die in überarbeiteter Form 1710, 1723, 1759 und 1783 neu aufgelegt wurde. Frühere Versuche, das Wortgeschlecht insbesondere der Substantive der de-Klasse festzulegen (vgl. 5.4.2.2.), hatten offensichtlich fehlgeschlagen. Joannes Vollenhove, der seine Ansichten zu einer Reihe grammatikalischer Probleme in seinem Gedicht Aan de Nederduitsche schryvers (‚An die niederländischen Schriftsteller‘) formulierte, befürwortet eine regelmässige, natürliche Sprachverwendung, die er auch in Hoofts und Vondels Sprache festzustellen glaubt. Dabei lehnt er gekünstelte schriftliche Sprachformen ab: Maar tong en pen verschillen al te vremt. De tong spreekt recht: de trotse veder stemt Dit tegen, en gebruikt een taal, die anders Niet waar bekent by onze Nederlanders. (‚Aber Zunge und Feder unterscheiden sich auf merkwürdige Weise. Die Zunge spricht wie es sich gehört, beziehungsweise spricht recht: die vornehme Feder lehnt dies ab und verwendet eine Sprache, die ansonsten nicht bei unseren Niederländern bekannt gewesen wäre‘). Mit seinen Auffassungen beeinflusste Vollenhove Schriftsteller und Verfasser von Grammatiken, so Jacobus Nylöe, Arnold Moonen und den Grammatiker und Übersetzer Willem Séwel, die ein kultiviertes gesprochenes Niederländisch als Norm wählten. Der Kaufmann, Philosoph und Gelehrte Adriaen Verwer (zirka 1655–1717) hingegen hält die literarische Sprache für weniger geeignet bei der Suche nach einer Norm. Die ciertaal (‚geschmückte Sprache‘) der Schriftsteller kann als dialectus poetica mit seinen dichterischen Freiheiten in der Wortfolge und grammatikalischen Besonderheiten wie Apokope oder Synkope nach seiner Meinung nicht die Grundlage einer Grammatik bilden. Die Statenvertaling hingegen kenne die meist vollkommene allgemeine Sprache, die eine Ableitung von Sprachregeln ermöglicht. Sie würde die Ordnung, die das Niederländische nach seiner Auffassung im Mittelalter kannte, wieder herstellen. Verwers Schüler Lambert ten Kate Hermansz. (1674–1731) sucht Sprachregeln im Gemeenlandsche Dialect (in der ‚allgemeinen Sprache‘), stellt aber fest, dass es trotz ‚Erziehung und Gewöhnung‘ an Kenntnissen von Gesetzmässigkeiten einer solchen Sprache mangelt: ‚elk [neemt] door gewoonte en opvoeding wel eenige fraeije Tael-wetten waer, die hij nogtans nooit kan weten dat Wetten zijn, ja zelf niet of zijn gebruik prijslijk en geregelt, of ongeregelt en

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verwerplijk, of bij anderen beter zij (…)‘ (‚jeder beobachtet durch Gewohnheit und Erziehung wohl einige schöne Sprachgesetze, von denen er dennoch nie wissen kann, ob es Gesetze sind, ja sogar nicht ob ihre Anwendung lobenswert und regelkonform oder nicht-regelkonform und verwerflich oder bei anderen besser sei […]‘). Somit geht Ten Kate wohl von einem allgemeinen Niederländisch aus, seine Zweifel an der Richtigkeit sprachlicher Gesetze stellen aber in Frage, inwiefern es tatsächlich bestand. Wenn das allgemeine Niederländisch nicht ausreicht, benutzt er daher bei der Formulierung sprachlicher Regeln auch historische Vergleiche der Dialekte. Anders als Ten Kate nimmt Balthazar Huydecoper die Sprache der ouden (‚Alten‘) als Massstab für die Reglementierung seiner Muttersprache. Er geht dazu von einer früheren Stufe des Ndl. aus, die nach seiner Auffassung eine regelmässige reine Sprache kannte, und wehrt sich gegen die sprachlichen Entstellungen, die laut ihm danach entstanden. Bereits der an Sprache und Literatur interessierte Jurist Z.H. Alewijn kritisierte 1766 diesen spekulativen Ansatz. So folgert Letzterer, dass die Verwendung des Artikels beim Substantiv beest (‚Tier‘) nicht vom Ndl. aus der Zeit der ‚Alten‘, sondern unmittelbar vom Sprachgebrauch der Muttersprache, und zwar von ‚alt‘ und ‚jung‘ bestimmt wird. Ob die gesprochene Sprache die Grundlage einer weiteren Reglementierung des Niederländischen zu sein hatte, führte u.a. zu einer Diskussion zwischen Séwel und Verwer. Der Amsterdamer Séwel war der Ansicht, dass die Kunst des gepflegten Sprechens, nicht also die alltägliche Sprache der Strasse oder der ländlichen Umgebung, die Grundlage der Schriftsprache sein sollte. Dass die Mehrheit der Sprachgelehrten seiner Zeit dies ablehnten, ist wohl auf das Fehlen einer standardisierten gesprochenen Sprache zurückzuführen: nicht nur bestanden laut Ten Kate Unterschiede zwischen den ‚Dialekten der Provinzen‘, sondern auch zwischen den Sprachvarietäten der Städte. Wie entscheidend diese in Bezug auf Aussprache, Satzbau, Morphologie oder Wortschatz tatsächlich waren, sei dahingestellt. Fest steht, dass Grammatiker wie Verwer das gesprochene Niederländisch für zu wenig einheitlich hielten. Bezeichnenderweise fragt der Rotterdamer sich, welche Stadt, gar welche Strasse als Richtlinie für die Sprachnormierung gelten sollte. Aus den Diskussionen jener Zeit zur Normierung des Niederländischen geht hervor, dass einige Gelehrte die Pflege der Muttersprache in der Tradition des 16. und 17. Jh. weiterführten, andere orientierten sich an sprachhistorischen Ausgangspunkten.

6.2.3. Veröffentlichungen zum Niederländischen in der mittleren Neuzeit Nach der Veröffentlichung von Leupenius’ Aanmerkingen op de Neederduitsche taale 1653 wurden in der zweiten Hälfte des 17.  Jh. nur noch einige Einführungen ins Niederländische für Anderssprachige und Büchlein zur Orthografie herausgegeben. Inzwischen erschienen im Ausland bedeutende grammatikalische Werke, so Justus Georg Schottels (1612–1676) Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache 1663, Kaspar Stielers Kurze Lehrschrift von der hochteutschen Sprachkunst 1691, Christopher Coopers lateinische Grammatica linguae Anglicanae des Englischen 1685 oder Claude Lancelots und Antoine Arnaulds französische Grammaire générale et raisonnée 1660.

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Immerhin befassten sich während der letzten Jahrzehnte des 17. Jh. Gelehrte und Schriftsteller weiterhin mit der niederländischen Sprache. So studierte man Hoofts Manuskript der ­Waernemingen op de Hollandsche tael (‚Beobachtungen zur holländischen Sprache‘), die David van Hoogstraten (1658–1724) 1700 teilweise in seinen Aenmerkingen over de geslachten der zelfstandige naemwoorden (‚Bemerkungen zu den Geschlechtern der Substantive‘) herausgab. Moonen und Verwer dürften sich laut Dibbets mit Geeraert Brandts Manuskript zur holländischen Grammatik befasst haben. Dichter wie Jeremias de Decker (1609–1666) und Joachim Oudaen (1628–1692) bekunden in ihren Werken Interesse für die Muttersprache, der Dichter und Pfarrer Joannes Vollenhove (1631–1708) formulierte Auffassungen zur Sprache, die nicht nur Zeitgenossen, sondern auch spätere Generationen als wegweisend empfanden. Sodann setzten sich Mitglieder der Amsterdamer Gesellschaft Nil Volentibus Arduum mit linguistischen Fragen auseinander. Meyer arbeitete in den Siebzigerjahren des 17. Jh. an einer niederländischen Grammatik, die erst 1728 unvollständig veröffentlicht wurde. Grössere Arbeiten zum Niederländischen sollten aber erst später erscheinen. Von Van Hoogstratens 1700 veröffentlichten Aenmerkingen erschienen mehrere Auflagen, an Angaben zum Wortgeschlecht bestand im 18. Jh. wohl Bedarf. Ausführungen zu Grammatikregeln und stilistischen Fragen liessen sich in Nylöes 1703 zuerst anonym veröffentlichter Aanleiding tot de Nederduitsche taal (‚Einführung in die niederländische Sprache‘) nachschlagen. Der Pfarrer und Pädagoge Johannes Hilarides (1649–1726), der übrigens mit Gysbert Japicx ein Vorkämpfer der friesischen Sprache war, gab 1705 Nieuwe taalgronden der Nederdujtsche taal; weegens het gebrujk der voorleedekens de, den: die; deeze, dit, dat, het; en de Neederlantsche woordrekkinge (‚Neue Grundlagen der niederländischen Sprache. Zum Gebrauch der Artikel de, den: die; deeze, dit, dat, het; und die niederländische Wortdehnung‘) heraus. Dass er gängige Auffassungen zu Genus und Kasus des Niederländischen in Frage stellte, sollte ihn bei Gelehrten wie Van Hoogstraten unbeliebt machen. Zu den bedeutendsten Veröffentlichungen über die niederländische Sprache Anfang des 18. Jh. ist Moonens Nederduitsche spraekkunst 1706 zu rechnen. In diesem Standardwerk, das 1719, 1740, 1751 und noch einmal ohne Angabe des Jahres neu auflegt wurde, berücksichtigte der Verfasser die Sprache der grossen niederländischen Schriftsteller des 17. Jh., insbesondere die Werke des ‚genauen‘ Vondels. Als theoretischen Rahmen benutzte er die lateinische und griechische Grammatik, sodann liess er sich von Schottels dts. Grammatik anregen. Ein Jahr später veröffentlichte Verwer unter dem Pseudonym Anonymus Batavus in seinem Idea Linguae Belgicae grammatica, poetica et retorica eine in Latein gefasste Grammatik des Niederländischen. In diesem Werk unterschied der Verfasser zwischen einer lingua communis oder allgemeinen Sprache und dialecti oder besonderen Sprachen. Die besondere Sprache des Dichters eigne sich laut Verwer nicht als Grundlage einer niederländischen Grammatik wegen der dichterischen Freiheiten, u.a. in Bezug auf Apokope oder Wortfolge. Als Richtlinie für die Reglementierung seiner Muttersprache wählte er die Texte der Statenvertaling. In seiner Nederduytsche Spraakkonst 1708 verwendet Séwel Holländisch ausdrücklich als Grundlage seiner Arbeit. Dies brachte ihm Kritik von u.a. Verwer ein, der es bevorzugte, von einer allgemeinen Landessprache auszugehen. Séwels Grammatik wurde im 18. Jh. vier Mal neu

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aufgelegt, Zar Peter der Grosse ordnete gar die Herausgabe einer russischen Übersetzung an, die 1717 in Sankt Petersburg erschien. Nachdem Ten Kate in seinem 1710 veröffentlichtem Gemeenschap tussen de Gottische spraeke en de Nederduytsche (‚Gemeinsamkeit zwischen der gotischen Sprache und dem Niederländischen‘) das Niederländische historisch-vergleichend dargestellt hatte, widmete er sich der Herausgabe seiner Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake (‚Einführung in die Wissenschaft des wertvollsten Teils der niederländischen Sprache‘), einem 1500 Seiten zählenden zweibändigen Werk, das 1723 erschien. In dieser grundlegenden Arbeit zur niederländischen Sprache und Sprachgeschichte steht die Etymologie als ‚Wertvollstes‘ im Mittelpunkt. Auch Balthazar Huydecoper leistete mit seinem Proeve van taal- en dichtkunde; in vrijmoedige aanmerkingen op Vondels vertaalde Herscheppingen van Ovidius (‚Abhandlung zur Sprach- und Dichtkunst; freimütige Kommentare zu Vondels übersetzten Metamorphosen Ovids’) 1730 einen wesentlichen Forschungsbeitrag zur Geschichte seiner Muttersprache. Hatte Ten Kate für seine vergleichenden Beschreibungen andere germanische Sprachen einbezogen, gründete Huydecoper seine Arbeit auf vergleichende Untersuchungen unterschiedlicher Sprachstufen des Niederländischen. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. erschienen noch weitere Grammatikbücher, so veröffentlichte K. Elzevier 1761 eine Abhandlung zur niederländischen Sprachlehre. Von F. de Haes wurde 1764 posthum eine Grammatik des Niederländischen herausgegeben, C.W. Holtrop ist der Verfasser einer niederländischen Sprachlehre von 1783. Sodann ist die Einführung von Weilands Nederduitsch taalkundig woordenboek (‚Niederländisches sprachwissenschaftliches Wörterbuch‘) 1799 zu erwähnen, die mehrere Bereiche der Grammatik behandelt. Für den Unterricht erschienen niederländische Sprachbücher von J. Des Roches 1761, K. van der Palm 1769, K. Stijl 1776, E. Zeydelaar 1781, L. van Bolhuis1793, H. Wester 1797 und ein anonym veröffentlichtes Werk zu den Grundlagen der niederländischen Grammatik von G. van Varik 1799. Jan van den Werves Den schat der Duytsscher talen 1553 (vgl. 5.2.2.3.) sollte bis ins 18. Jh. das wichtigste Wörterbuch des Niederländischen bleiben, es erschien zwischen 1601 und 1775 laut F. de Tollenaere zirka vierzehn Mal. Mit der Herausgabe des Nederlandtsche woorden-schat 1650, das sich insbesondere auch mit der übermässigen Verwendung von Lehnwörtern befasste, setzte Nil Volentibus Arduum (vgl. 6.1.3.2.) eine puristische Tradition fort, bis 1805 erlebte es zwölf Neuauflagen. Erst gegen Ende des 18. Jh. sind Bestrebungen festzustellen, das Lexikon des Niederländischen neu zu erfassen. So ruft der Pfarrer Josua van Iperen 1762 die Sprachliebhaber dazu auf, ein Wörterbuch der Muttersprache zu entwerfen, Mitglieder der Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde (vgl. 6.1.3.2.) formulierten einen Plan beziehungsweise einen Entwurf zur Herausgabe eines volkomen omschrijvend Nederduitsch Woordenboek (‚vollkommen beschreibenden niederländischen Wörterbuches‘) und sammelten lexikalisches Material. Zwischen 1799 und 1811 konnte Petrus Weiland es dank stalen volharding (‚eisernem Durchhaltevermögen‘) in seinem elfbändigen Nederduitsch taalkundig woordenboek verarbeiten. Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart 1774–1786 hatte ihm dazu als Beispiel gedient.

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Weiter sind auf dem Gebiet der Lexikografie zweisprachige Wörterbücher zu erwähnen. So verfasste Pierre Marin 1696 ein Dictionaire portatif Hollandois et François und 1701 das Nieuw Nederduits en Frans woordenboek. Sodann gab François Halma 1708 das erste französisch-niederländische Wörterbuch, Le Grand dictionaire François et Flamend heraus, der Band Woordenboek der Nederduitsche en Fransche taalen erschien 1710. Bereits in der Mitte des 17. Jh. hatte Henry Hexham zweisprachige englisch-niederländische Wörterbücher publiziert, Séwels zweisprachiges englisch-niederländisches Wörterbuch von 1691 wurde in der mittleren Neuzeit das Standardwerk. Deutsch-niederländische und niederländisch-deutsche Wörterbücher erscheinen erst im 18. Jh. Wurden die Überstimmungen der beiden Schwestersprachen als zu gross empfunden, um für sie zweisprachige Wörterbücher zu verfassen? Matthias Kramers Koninglyk NederHoog-Duitsch en Hoog-Neder-Duitsch dictionnaire wurde erst 1719 in Nürnberg veröffentlicht.

6.2.4. Anwendungsbereiche des kultivierten Niederländischen Neben Pamphleten und Büchern wurden in zunehmendem Masse Blätter mit Nachrichten, Moralische Wochenschriften und Monatshefte gelesen, die interessierte Bürger zudem dazu veranlassten, über die gelesenen Texte zu sprechen (vgl. 6.1.3.1.). Die Zeit des Rationalismus und der Aufklärung kannte auch in den Niederlanden auf den unterschiedlichsten Fachgebieten eine zunehmende Zahl von Veröffentlichungen in der Muttersprache, welche die Verbreitung des allgemeinen Niederländischen förderten. So darf man wie Leuker folgern, dass in den Niederlanden des 18. Jh. eine nationale, bürgerliche Kommunikationsgemeinschaft entstanden war. 6.2.4.1. Verschiedenartige gedruckte Medien Für die Verbreitung des überregionalen Niederländischen ist die Entstehung und Entwicklung von Massenmedien, zuerst durch die Buchdruckerkunst in der frühen Neuzeit, dann durch analoge Medien in der Neuzeit und schliesslich in jüngster Zeit durch digitale Technik stets eine Triebfeder gewesen. Dank der Anfertigung von gedruckten Texten in grossen Auflagen seit Anfang der Neuzeit, die das Schreiben einzelner Handschriften ersetzt hatte, beteiligten sich immer mehr Menschen an der Kommunikation in einem allgemeinen Niederländisch, das sich von seinen Dialekten abhob. Bereits im 17. Jh. wurden Texte in der Schriftsprache massenweise gelesen, wie die Werke von Jacob Cats (vgl. 5.2.3.4.), oder auch mit dem Ohr rezipiert. So hörte sich eine grosse Mehrheit der Bevölkerung, wenn nicht täglich dann doch wöchentlich, Vorlesungen aus der Statenvertaling (vgl. 5.2.3.3.) an. Im Laufe des 18. Jh. nahm die europäische Buchproduktion explosionsartig zu, Veröffentlichungen über Religion, Philosophie, Wissenschaft oder Literatur waren im Zeitalter des Rationalismus und der Aufklärung gefragt. Nach wie vor begünstigten Geschäftstüchtigkeit, technischer Stand der Druckereien und der verhältnismässig tolerante Geist in den Niederlanden die Herstellung und den Vertrieb von Büchern für den europäischen Markt. Allein schon in den Niederlanden erschienen laut Leuker im 18.  Jh. 200.000 Titel, was bedeutet, dass sich die Zahl der Neuerscheinungen im Vergleich zum 17. Jh. verdoppelt hatte, und dies bei einer Bevölkerungszu-

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nahme von nur rund 15 %. Buchhandlungen gab es in jeder Stadt, so zählte nur die Provinz Holland Hunderte Buchhandlungen, in Amsterdam verkauften über 200 Ladengeschäfte Lesestoff. Neu in dieser Zeit ist das Aufkommen von Zeitungen, Wochenheften und Gelehrtenzeitschriften. Als Vorbote der Zeitung als Massenmedium darf die älteste überlieferte niederländischsprachige Zeitung, die Courante uyt Italien, Duytslandt, & c. gelten, die 1618 in Amsterdam erschien. Das vermutlich von Caspar van Hilten herausgegebene, einseitig gedruckte Blatt, das mit seinen zwei Spalten bereits die Erscheinungsform einer Zeitung aufwies, berichtete über Vorkommnisse in verschiedenen Gegenden. So enthält es Nachrichten aus Venedig, Köln, Prag und Den Haag. Zwei Jahre später begann der Verleger Abraham Verhoeven (1575– 1652) in Antwerpen die mit Holzschnitten illustrierte Nieuwe Tijdinghen (‚Neue Nachrichten‘) herauszugeben. Auch in diesem Blatt waren Berichte über internationale Ereignisse zu finden, zudem enthielt es Stellungnahmen zu den Nachrichten, die eindeutig der Kontrareformation zuzuordnen sind. Vermehrt erschienen in diversen Städten Zeitungen. In Den Haag waren das die Post-Tydingen uyt ’s Graven-Hage (,Postnachrichten aus Den Haag‘) und die von Abraham Casteleyn 1656 veröffentlichte Weeckelijcke Courante van Europa (‚Wöchentliche Zeitung Europas‘). Ab 1658 erschien diese Zeitung unter dem Namen Haerlemse Saturdaeghse Courant (‚Haarlemer Samstagszeitung‘) beziehungsweise Haerlemse Dins­daeghse Courant (‚Haarlemer Dienstagszeitung‘) bereits zwei Mal pro Woche. Ab 1664 war sie mit dem Namen Opregte Haarlemsche Courant (‚Echte Haarlemer Zeitung‘) erhältlich. Die älteste, heute noch bestehende niederländische Zeitung ist der 1752 gegründete Leeuwarder Courant (‚Leeuwarder Zeitung‘), die ursprünglich für ein vorwiegend aus Kaufleuten zusammengesetztes Leserpublikum Nachrichten aus dem Ausland veröffentlichte. Inzwischen zeigten die im 18. Jh. in den Niederlanden erschienenen französischsprachigen Zeitungen eine gewisse Unabhängigkeit in der Berichterstattung. Auch niederländischsprachige Zeitungen begannen in den letzten Jahrzehnten des 18.  Jh. vorsichtig Standpunkte zu formulieren. Die Rückkehr Wilhelms V. 1787 (vgl. 6.1.4) setzte diesem Journalismus aber ein Ende. Eine Gelehrtenzeitschrift wie De boekzaal van Europe (‚Die Bibliothek Europas‘), die Pieter Rabus (1660–1702) ab 1692 zweimonatlich publizierte, konnte zur Verbreitung des allgemeinen Niederländischen unter den gebildeten Lesern beitragen. In den Lieferungen fanden sie zumeist Zusammenfassungen von niederländischen und ausländischen wissenschaftlichen Werken, häufig mit kritischen Bemerkungen versehen. Die Zeitschrift, die später in Tweemaandelijkse Uittreksels (‚Zweimonatliche Zusammenfassungen‘), danach in Boekzaal der Geleerde Waereld (‚Bibliothek der gelehrten Welt‘) umgetauft wurde, erschien mit einer kürzeren Unterbrechung bis 1864. Zudem entstanden im 18. Jh. erste Zeitschriften mit Aufsätzen zur Muttersprache, welche die Entstehung der Fachzeitschriften auf dem Gebiet der niederländischen Sprach- und Literaturwissenschaft einläuteten (vgl. 6.1.4.1.). So erschienen von 1758 bis 1762 in Leiden die Tael- en dichtkundige bydragen (‚Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Beiträge‘), welche nachher als Nieuwe bydragen tot opbouw der vaderlandsche letterkunde (‚Neue Beiträge zum Aufbau der vaterländischen Philologie‘) herausgegeben wurden. Der Pfarrer Cornelis Loosjes (1723–1792) gründete mit seinem Bruder Petrus 1761 die Vaderlandsche letteroefeningen (‚Aufsätze zur vaterländischen Literatur‘), eine literarisch-kulturelle Zeitschrift, die in der Regel im Monatstakt bis

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1876 erschien. Mit ihren Boekbeoordelingen (‚Buchbesprechungen‘) berichteten die häufig anonymen Mitarbeiter über Neuerscheinungen. Ausserdem veröffentlichten sie im Mengelwerk (‚Miszellaneen‘) auch literarische Texte. 1775 gab Dulces ante omnia musae in Utrecht Beiträge zum Niederländischen im Sammelband Proeve van oudheid-, taal- en dichtkunde (‚Abhandlung zur Altertumskunde und Philologie‘) heraus, 1782 erschien ein zweiter Band. Als Vorläufer niederländischer philologischer Fachzeitschriften sind zudem die sieben Bände der Reihe Werken (‚Arbeiten‘) einzustufen, welche die Maetschappije der Nederlandsche Letterkunde te Leyden (‚Gesellschaft der niederländischen Philologie zu Leiden‘) zwischen 1772 und 1788 veröffentlichte. Zu den neuen gedruckten Medien des 18 Jh., die das überregionale Niederländische naturgemäss weiter bekannt machten, zählen auch die in 6.1.3.1. erwähnten Moralischen Wochenschriften wie De Hollandsche Spectator. Van Effen und seine Mitautoren, die in einem ungekünstelten, natürlichen Stil schrieben, strebten laut eigener Aussagen eine klare niederländische Sprache an, wobei sie die Verwendung französischer Lehnwörter zu vermeiden versuchten (vgl. 6.3.5.1.). Dass die Pflege der Muttersprache zu den Themen dieser Hefte zählte, geht auch aus kritischen Anmerkungen der Redakteure über Sprach- und Rechtschreibfehler in den Leserbriefen hervor. Haben sich die Leserinnen und Leser auch über die Kultivierung ihrer Sprache Gedanken gemacht, als sie sich während ihrer Zusammenkünfte (vgl. 6.1.3.1.) über die vorgelesenen vertogen (‚Abhandlungen‘) unterhielten? 6.2.4.2. Niederländisch als Sprache unterschiedlicher Wissensgebiete Mehr noch als in der frühen Neuzeit erschienen in wohl sämtlichen Wissensgebieten Veröffentlichungen in der niederländischen Sprache. Die Zeitschrift De Boekzaal van Europe bestätigte die mittlerweile längst vorhandene Akzeptanz der Muttersprache in den unterschiedlichsten Wissensgebieten, wovon die folgenden beliebig gewählten Beispiele zeugen. Nach wie vor kamen zahllose Pamphlete und Bücher zu religiösen und philosophischen Fragen auf den Markt, wie beispielsweise Balthasar Bekkers (1634–1698) Bestseller gegen Hexerei, De betoverde weereld (‚Die verhexte Welt‘), der in zwei Monaten 4000 Mal verkauft wurde, oder Frederik van Leenhofs (1647–1712) pantheistisch orientiertes Den Hemel op aarde (‚Himmel auf Erden‘) von 1703. Im Bereich der Mathematik veröffentlichte Bernard Nieuwentyt (1654–1718) 1720 sein Gronden van zekerheid (‚Grundlagen der Sicherheit‘), das sich kritisch mit Spinoza auseinandersetzte. Die Veröffentlichungen des Mediziners, Biologen, Paläontologen und Anthropologen Petrus Campers (1722–1789) fanden europaweit Beachtung. In seinem Zur Morphologie (1817) bezeichnete Goethe den Verfasser von Büchern wie De Voortreffeleykheid der menschen boven alle andere dieren en derzelver vergelyking met den Orang Outang (‚Die Vorzüglichkeit der Menschen über alle anderen Tiere und deren Vergleich mit dem Orang-Utan‘, 1771) als einen Meteor von Geist, Wissenschaft, Talent und Tätigkeit. Trotz seiner Bedenken, Laien medizinisches Wissen weiterzugeben, gab Cornelis Bontekoe (Cornelis Dekker, vgl. 5.2.3.1.) diverse Traktate zu Medizin, Philosophie und Heilmitteln heraus. Mit seinen populären Schriften förderte er u.a. Tee als Getränk. Er führte am kurfürstlichen Hof in Berlin nicht nur den Konsum von Tee, sondern auch von Kaffee und Schokolade ein. Sodann besorgte Willem Goeree 1681 Jahrzehnte nach den

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zum Teil posthum publizierten Verhandlungen Stevins (vgl. 5.2.3.1.) zu huysbou (‚Häuserbau‘) D’Algemeene Bouwkunde Volgens d’Antyke en Hedendaagse Manier (‚Die allgemeine Baukunst nach der antiken und heutigen Art und Weise‘)‚ ein Standardwerk zur Architektur, das Ideen zum göttlichen Ursprung des Bauens mit den weniger vollkommenen Bauten des Menschen versöhnte und den charakteristischen Baustil der Niederlande jener Zeit prägte. Dass auch dieses Werk in niederländischer Sprache erschien, hatte wohl mit als Grund, dass Bauherren sich auf diese Weise leichter über Baufragen informieren konnten. Erst 1789 erschien mit Jacques Berquins Architectura of wiskunstige Verhandeling wieder eine umfangreiche niederländischsprachige Arbeit zur Architektur. Enzyklopädische Werke veröffentlichten im 18. Jh. A.G. Luïscius, David van Hoogstraten, J.L. Schuer, E. Buys und A.F. Simonsz. (vgl. 6.4.3.3.). Sodann erschien 1768/77 eine niederländische Version von Chomels Enzyklopädie in 7 Bänden, M. Houttuyn gab Linnés biologisches Standardwerk 1761/85 in 38 Bänden heraus. Verfasser von Werken auf dem Gebiet der Kunstgeschichte sind Arnold Houbraken (1660– 1719) und Jacob Campo Weyerman. Letzterer schrieb auch Theaterstücke und gab satirische Zeitschriften heraus. Sodann gehörten Biografien zur damals beliebten Lektüre. Lebensbeschreibungen des Seehelden Michiel de Ruyter oder der Dichter Hooft und Vondel durch Geeraert Brandt fanden reissenden Absatz. Von den Verfassern, die über Politik, Kirche und Geschichte schrieben, ist Jan Wagenaar (1709–1773) zu erwähnen. Sein 21 Bände zählendes Standardwerk Vaderlandsche Historie (‚Vaterländische Geschichte‘, 1749–1760, vgl. 6.3.3.1.) sollte, wie zuvor Hoofts Historien, das Bild der Geschichte des Vaterlandes vieler Generationen von Niederländern mitbestimmen. Wagenaars stilistisch ausgefeilte Texte trugen zur Verbreitung des kultivierten Niederländischen der mittleren Neuzeit mustergültig bei. 6.2.4.3. Niederländische Literatur Als weiterer wichtiger Faktor für die Verbreitung des kultivierten Niederländischen ist die Literatur zu bezeichnen. Trauer- und Lustspiele, Emblem-Literatur, Lyrik sowie Epik vermittelten die überregionale Sprache. Von besonderer Bedeutung sind diesbezüglich ebenfalls eigens für Kinder verfasste Gedichte. Auch die neue Gattung des Romans bot vermehrt Chancen für die Wiedergabe des gepflegten, auch gesprochenen Niederländischen. Ab Mitte des 18. Jh. steigerten namentlich in den heutigen belgischen Provinzen Flandern die Rhetoriker ihre literarischen Aktivitäten. Nicht selten diente ihnen die Sprache der berühmten Schriftsteller aus der Republik dabei als Vorbild. Auch in Nordfrankreich verfassten Rhetoriker nach wie vor ihre Texte auf Niederländisch, führten niederländischsprachige Theaterstücke auf, pflegten vielseitige Kontakte mit ihren dichtenden Nachbarn im heutigen Belgien und beteiligten sich immer wieder an ihren Wettbewerben. So pflegten sie in Nachfolge von De Swaen (vgl. 5.1.3.2.) weiterhin ihre Muttersprache in der französischen Provinz Flandre. Mitglieder der Gesellschaft Nil Volentibus Arduum bekundeten Kritik an dem Zustand des niederländischen Theaters. Sie tadelten nicht nur Spektakelstücke von der Sorte, die Jan Vos (zirka 1610–1667) produzierte, sondern auch die biblischen Dramen Vondels, stattdessen bevorzugten sie das klassizistische Drama Frankreichs. Wie u.a. Grüttemeier und Leuker darlegen, konnten nur wenige Dramatiker, so der als ‚Affe von Vos‘ verschriene Thomas Asselijn (zirka

6.2. Vermehrte Reglementierung des überregionalen Niederländischen

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1620–1701), sich dem zwingenden System von ‚Theaterregeln‘ entziehen. Trotz der neuen Mode blieben seine Stücke, wie De dood van de graaven Egmond en Hoorne (‚Der Tod der Grafen Egmond und Hoorn‘) aus dem Jahr 1685 oder De belegering en hongersnood van Samaria (‚Die Belagerung und Hungersnot von Samaria‘) von 1695 beliebt. Zu den Dramen in klassizistischer Tradition sind u.a. Stücke wie Constantinus de Groote, eerste Christen’ Keiser (‚Konstantin der Grosse, erster Christenkaiser‘) 1684 oder Arminius, beschermer der Duytsche vryheid (‚Arminius, Beschützer der deutschen Freiheit‘) 1686 von Pieter Bernagie (1656–1699) zu zählen. In den südlichen Niederlanden zeugen Theaterstücke wie Catharina (vor 1702) von Michiel de Swaen (1654–1707) von Zuneigung zum Klassizismus. Mit seinem Theater vertrat der Verfasser in seiner Heimatstadt Dünkirchen die niederländischsprachige Kultur, die sich gegen Ende des 17. Jh., als die neuen französischen Machthaber Französisch als Amtssprache einführten, allmählich auflöste. Auch Lukas Rotgans’ (1653–1710) Dramen, so sein Eneas en Turnus (‚Äneas und Turnus‘) von 1705 oder sein Scilla (1709) entsprachen dem Geschmack der Zeit. Von den vielen Verfassern klassizistischer Bühnenwerke, die das niederländische Theater des 18. Jh. prägten, ist weiter Balthazar Huydecoper (vgl. 6.2.2.) zu erwähnen, der einige Dramen schrieb. Achilles aus dem Jahr 1719 wurde ins feste Repertoire des Amsterdamer Stadttheaters aufgenommen. Dutzende Male spielte Jan Punt, der berühmteste Schauspieler seiner Zeit, die Titelrolle in dem so erfolgreichen Stück. Schliesslich ist Onno Zwier van Haren (1713–1779) zu nennen, der in seinem Agon, Sulthan van Bantam (‚Agon, Sultan von Bantam‘) 1769 den langjährigen Widerstand des Sultanats auf Java gegen die Kolonialherren (vgl. 5.1.4.2.) thematisierte. Begeisterung lösten Komödien wie De min in ’t Lazarushuis (‚Die Liebe im Lazarushaus‘) 1674 von Willem Godschalck van Focquenbroch (1640–1670) und De Swaens De gecroonde leersse (‚Der gekrönte Stiefel‘) 1688 aus. Als bedeutendster Verfasser von Lustspielen zur Zeit des Klassizismus gilt Pieter Langendijk, der in der Manier von Molière Stücke wie De wiskun­ s­tenaars of’t gevluchte juffertje (‚Die Mathematiker oder das entflohene Fräulein‘) von 1715 oder Het wederzijds huwelijksbedrog (‚Der gegenseitige Ehebetrug‘) aus dem Jahr 1714 schrieb. Zuvor hatte Thomas Asselijn grosse Erfolge gefeiert, insbesondere mit einer Serie Jan-KlaazTheaterstücke, in denen jeweils die gleichen Figuren vorkamen. Für seine christliche Lyrik wählte der vom deutschen Mystiker Jacob Böhme beeinflusste Jan Luyken die nach wie vor beliebte Gattung der Emblematik, so in Jesus en de ziel (‚Jesus und die Seele‘) von 1678 und in Voncken der liefde Jesu (‚Funken der Liebe Jesu‘) 1687. Bekannt geworden war er durch das Liederbuch Duytse lier (‚Die niederländische Leier‘) aus dem Jahr 1671, in dem er die Ehe besingt. Der Dichter und Bauer Hubert Kornelisz. Poot (1689–1733), der sich in seiner Poesie, ähnlich wie Luyken, stark mit der Natur verbunden zeigt, bringt in Werken wie Mengeldichten (‚Vermischte Gedichte‘) von 1716 individuelle Erfahrungen und Gefühle zum Ausdruck, die wohl als erste Anzeichen des Zeitalters der sentimentalischen Dichtung zu deuten sind. Von Jacobus Bellamy, bewundert durch die Mitglieder seiner Utrechter Studentenverbindung Dulces ante omnia Musae, stammen die unter Einfluss des deutschen Rokokos geschriebenen, zumeist reimlosen Verse Gezangen mijner jeugd (‚Gesänge meiner Jugend‘) aus dem Jahr 1782. Auch verfasste er die erste sentimentalische niederländische Erzählung Roosje (‚Röslein‘).

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Beliebt waren im 18. Jh. Heldendichte wie Rotgans’ Wilhem de Derde (‚Wilhelm der Dritte‘) von 1698–1700, das vom gleichnamigen Statthalter-König (vgl.  6.1.2.) handelt, oder Onno Zwier van Harens De Geuzen (‚Die Geusen‘) von 1771, das den Anfang der Auflehnung gegen Spanien (vgl. 5.1.2.) zum Gegenstand hat. Viel Erfolg hatte Arnold Hoogvliet (1687–1763) mit seinem biblischen Epos Abraham, de Aartsvader (‚Abraham der Erzvater‘) von 1728, das in einigen Jahrzehnten zwölf Mal neu aufgelegt wurde. Die Veröffentlichung von Texten, die für Kinder bestimmt waren, ist neu in dieser Zeit erzieherischer Ideale. Zwar kannten die Niederlande mit dem Wirken von Humanisten wie Erasmus von Rotterdam oder Schriftstellern wie Jacob Cats eine didaktische Tradition, Auffassungen von aufgeklärten Pädagogen wie Rousseau, Basedow, Campe oder Salzmann führten aber erst zu eigens für Kinder geschriebenen Texten, welche die Erlebniswelt des Kindes berücksichtigten. So veröffentlichte Hieronymus van Alphen (1746-1803) kürzere Gedichte für Kinder bis zehn Jahre. In dieser Proeve van kleine gedigten voor kinderen (‚Eine Probe kleiner Gedichte für Kinder‘, 1778) folgt er Christian Felix Weisse’s Lieder für Kinder von 1767 und Gottlob Wilhelm Burmanns Kleine Lieder für kleine Mädchen und Jünglinge aus den Jahren 1772–73 nach. Dass Niederländer noch heute Sätze wie Jantje zag eens pruimen hangen (‚Karl sah schöne Pflaumen hangen‘ in der Übersetzung Gittermanns von 1832, vgl. 6.3.1.2.) kennen, zeigt die Beliebtheit dieser Texte, welche die Jüngsten bereits mit dem kultivierten Niederländisch vertraut machten. Obschon die Gebildeten in der Neuzeit Romane, die sie nicht nur ästhetisch, sondern auch ethisch für bedenklich hielten, wohl kaum zur Kenntnis genommen haben, konnten Abenteuerromane, Schelmenromane, Robinsonaden, Biografien von Räubern und Piraten, Geschichten über Frauen in Männerkleidern und für kurze Zeit auch pornografische Romane mit einer grösseren Leserschaft rechnen. Zwischen den Dutzenden Übersetzungen derartiger Publikationen fällt Nicolaas Heinsius Den vermakelyken Avanturier ofte de wispelturige en niet min wonderlyke Levens-loop van Mirandor (,Der vergnügliche Abenteurer oder der wechselhafte und nicht weniger seltsame Lebenslauf von Mirandor‘) von 1695 als einziger ursprünglich niederländischer Schelmenroman auf, der 1714 ins Deutsche übertragen wurde. Weiter zählten übersetzte wie ursprünglich niederländische Reiseberichte, Schiffstagebücher, aber auch utopische Romane zur viel gelesenen Literatur. Vorbereitet von Schriften aus dem 17. Jh. zum moralisch-literarischen Wert epischer Texte, so beispielsweise von der Hand Pierre Daniel Huets, etablierte sich im letzten Viertel des 18. Jh. die Erzählprosa mit dem Aufkommen des moraldidaktischen Briefromans als literarische Gattung. Durch das Mitwirken von Johannes Stinstra, der in der Einführung seiner Übersetzung von Samuel Richardsons Roman Clarissa das normative Konzept einer Romankunst darlegt, entstanden niederländische Romane in Briefform. So verfassten Betje Wolff (1738–1804) und Aagje Deken (1741–1804) zusammen den ‚nicht-übersetzten‘ zweibändigen Briefroman Sara Burgerhart (‚Die Geschichte von Fräulein Sara Burgerhart‘) aus dem Jahr 1782, der u.a. von Johann Gottwerth Müller übersetzt wurde und 1796 unter dem Titel Sara Reinert, eine Geschichte in Briefen, dem schönen Geschlechte in Deutschland gewidmet erschien. Weitere, umfangreiche Werke der beiden Schriftstellerinnen folgten, so die Briefromane Willem Leevend von 1784–1785 und Cornelia Wildschut (1793–1796). Wolff und Deken stellen in ihren ‚ursprünglich vaterländischen‘ Romanen lebensechte Figuren dar, die sich in ihren Briefen der

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allgemeinen niederländischen Schriftsprache bedienen, zudem in der Wiedergabe von geführten Dialogen das gesprochene Niederländische zum Ausdruck bringen. Auch Elisabeth Maria Post verfasste Briefromane, so Het land (‚Das Land‘) von 1788. Mit der Erscheinung der niederländischen Übersetzung von Goethes Werther, die zwischen 1776 und 1793 vier Auflagen erlebte, erhielt die sentimentele (eng. sentimental) Prosa, im Sinne einer ‚empfindsamen‘ Literatur, Auftrieb. Es handelt sich dabei um eine niederländische Gattung literarischer Texte, die sich gemäss Leuker durch eine besondere Intensität des Erlebens und Darstellens subjektiver Gefühle auszeichnen. Damals beliebte Romane wie Julia (1783) oder Ferdinand en Constantia (,Ferdinand und Constantia‘) von 1785 von Rhijnvis Feith (1753– 1824) zählen zu den bekanntesten Veröffentlichungen in dieser Gattung. Noch gegen Ende des 18. Jh. debütierte der vielseitige Schriftsteller und Privatdozent Willem Bilderdijk (1756–1831), der zwar den klassizistischen Literaturauffassungen des 18.  Jh. treu blieb, sich aber gegen waanpoëten (‚Wahn-Dichter‘) wandte, die mit grammatikalischen und literarischen Regeln die Dichtkunst beherrschen wollten. Als vielseitig begabter Schriftsteller und Gelehrter sollte er sich in der ersten Hälfte des 19. Jh. u.a. durch Veröffentlichungen zum Wortgeschlecht 1804 und 1822 auch dem inzwischen entstandenen Standardniederländischen widmen. Literatur zu 6.2.: Van Alphen 1998; Bakker et al. 1977; Van de Bilt 2008; Van de Bilt 2009; De Bonth 1998; De Bonth et al. 1995; De Bonth et al. 1996; Daan 1995; Dibbets 1991; Dongelmans 1982; Van Driel et al. 2008; Van Effen 1984; Van Effen 2001; Gysseling 1972; Van Haeringen 1960; Hagen 1999; Van Hardeveld 2000; Van der Haven 2008; Van der Horst 2008; Huydecoper 1730; Ten Kate 2001; Knol et al. 1977; Leuker in: Grüttemeier et al. 2006; Van Leuvensteijn 2008; Van Leuvensteijn et al. 1992; Lockwood 1976; Moerdijk et al. 2007; Noordegraaf 2000a; Noordegraaf 2000b; Rutten 2003; Rutten 2004; Rutten 2006; Rutten 2011; Schaars 1988; Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Séwel 1773; Van der Sijs 2004; Van der Sijs 2006; Van der Sijs 2010; De Tollenaere in: Bakker et al. 1977; Vosters et al. 2010.

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit Von den Texten aus der mittleren Neuzeit werden im Folgenden einige Beispiele literarischer Texte zitiert, so Stellen aus einem Briefroman von Wolff und Deken und Beispiele von Kindergedichten, geschrieben von Van Alphen. Wie wenig gebildete Leute ihre Muttersprache schrieben bzw. schreiben liessen, zeigen zwei Briefe an Seeleute. Als Beispiel für die Geschichtsschreibung dieser Zeit wird Wagenaar zitiert, der offensichtlich auch auf Hoofts Historien basiert, vgl. 5.3.3.1. Die zitierten Psalmen bieten eine Kostprobe des Afrikaans. Journalistische Texte sind Van Effens De Hollandsche Spectator entnommen. Die aus dem 18. und 19. Jh. stammenden Übersetzungen weisen zum Teil Übersetzungsfehler auf, die hier nicht korrigiert wurden.

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6.3.1. Literatur 6.3.1.1. Prosa von Elizabeth Wolff und Agatha Deken Der Briefroman Historie van mejuffrouw Sara Burgerhart (1782) von Betje Wolff und Aagje Deken gilt als der erste moderne niederländische Roman (vgl. 6.2.4.3.). In den folgenden Passagen aus der Einleitung, die in Müllers Übersetzung fehlt, bespotten die Autorinnen u.a. die Neigung Französisch zu sprechen.

Abb. 18:  Betje Wolff (oben) und Aagje Deken (unten).

Nederlandsche Juffers! Velen uwer lezen: niet eenig en alleen, om de verveling te ontvlieden; niet eenig en alleen, om eene ongevallige vertoning te maken, door het opzeggen van kundigheden, die niet altoos

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van de nuttigste soort zyn; neen: velen uwer lezen, om uwe denkbeelden te vermeerderen; en dus verstandig te leren denken en doen. Men heeft, zedert eenige jaren, zich meer beginnen toeteleggen, om ook voor u te schryven. Men heeft u gezonde begrippen gegeven van zaken, waar by gy het hoogste belang hebt; daar gy niet onkundig van zyn moogt, indien gy geen afstand doen wilt van het voorname doeleinde, waaröm de Eeuwige wysheid Menschelyke zielen vormde – Kennis en Gelukzaligheid! Nimmer sprak, in ettelyke eeuwen, de Godsdienst zo bevattelyk. Nimmer tradt de hemelsche Zedekunde u zo bevallig te gemoet. Nimmer schikte de onveranderlyke Reden zich zo zeer naar de aandoenlykheid uwer harten. Men heeft het Ryk der Natuur voor u opengesteld, en gy kunt u bedienen van gidsen, die u, door een pedant voorkomen, niet angstvallig maken. Alle Dichters zyn thans niet eenig en volstrekt bezig met het opdeunen van beuzelingen. Men kan nu rym lezen, daar het gezont oordeel niet in over hoop ligt met de harsen – poppen des Poëets. Gy hebt zedelyke verhalen, Drama’s en Treurspelen: Daar is des zeer veel voorraads, om uwen weetlust te voldoen. Niemand, die niet geheel en al onbevoegt is, om door u te worden aangehoort, zal ook immer voorgeven, dat het goede, het voortreffelyke, niet goed, niet voortreffelyk is, als het uit een ’s Vyands hand komt: ’t is echter wáár, dat er iets zeer ongevalligs voor elk, die zyn Vaderland bemint, gelegen is, in te zien, dat verre het grootste getal goede Boeken vertalingen zyn. Verre zy het van my, tegen het vertalen te yveren: Laten wy liever die bekwame lieden bedanken, die onze ontaalkundige Landgenoten in staat stellen, zich over de grootste Geniën van Europa te kunnen verwonderen. Zy zyn het, die ons dierbare schatten aanbieden. Dit is myns oordeels de weg, waar langs wy onzen Letterkundigen smaak moeten leren verbeteren: ik meen ook, dat wy, in dit opzigt, nog het minst gevordert zyn. Men geve ons zo lang de Werken van Jerusalem, Niemeyer, Gesner, Wieland, Hermes, Klopstok, Pope, Richardson, Thomas, enz., tot dat er Vaderlansche Vernuften onder ons opstaan, wier werken insgelyks vóór de Buitenlanders verdienen vertaalt te worden: Die Leerling, die liever gebrekkige Prenten van Inlandsche Plaatkrassers na tekent, dan studiën van de beste Meesters, zal, maak daar staat op, nooit een Vinkeles worden. Laat men des voortgaan met het Vertalen; maar laat men, met opzicht tot het oorspronkelyk schryven, het eene doen, en het andre niet nalaten. Tot dus verre, lieve Juffers, zyn wy het nog al taamlyk eens: maar nu zal het zo goed met ons niet gaan. Wil ik u eens wat zeggen? Men heeft u al vroeg wys gemaakt, en gy meent ook waarlyk, dat gy dit gelooft: dat geen Vaderlandsche pen Werken van smaak schryven kan; dat onze harsens zo slegt bewerktuigt zyn, dat wy nooit in dit stuk met de Buitenlandsche schryvers kunnen gelyk staan; dat ons vernuft zo dampig is als onze luchtstreek; dat wy kunnen arbeiden, blokken, iets door en door denken, maar dat wy noch schilderen noch schertzen kunnen: met nog een hele menigte zulke droeve dingen meer. Dit ontkennen wy; ook, schoon wy maar te dikwyls de ondervinding tegen hebben! Met dit zelfde compliment streek men, nog maar voor weinige jaren, geheel Duitschland door. Duitscher en Domkop was bynaar het zelfde.

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Vóór de grote Dichter Pope zyn Rape of the Lock uitgaf, moest een geheel denkent Volk met dien huik ter kerk gaan. ‚Maakt Commentariën en Postillen,‘ graauwde men de Duitschers toe: ‚Denkt, riep men tot de Engelschen; (en wat men tegen ons zeide, zwyg ik om vredens wil,) wy Franschen, zyn de gunstelingen des Vernufts; uwe lompe vuisten kunnen de Bevalligheden niet met rozen bekranssen; of in den Tempel van den smaak offerhanden aanbieden.‘ Eindlyk staan er Geniën op, die hun verächt Vaderland wreken; England heeft haar Pope, Duitschland zyn Wieland. Richardson schildert eene Godlyke Clarissa: Klopstok zingt zyne Messiade; en het lezent Europa stemt toe, dat alle gematigde Luchtstreken grote mannen kunnen voortbrengen. Besluit hier echter niet uit, beminde Landgenoten, dat ik geloof, dat een Engelschman zo bevallig kan schryven, voor een Italiaan, als voor zyn eigen volk. Dit geloof ik niet. ’t Is hier de plaats niet, om u reden van dit myn geloof te geven: vertrouwt dan nu eens, dat ik geen Vriendin van een blint geloof ben: Dit wilde ik alleen aantonen, dat yder Volk zyn eigen Schryvers, zo wel als zyn eigen Helden en Staatsmannen moet hebben, en, zo men lang genoeg geleerd heeft, ook hebben zal. Doordrongen van deeze denkbeelden, hopen wy dien tyd nog te zien aankomen: maar ondernemen teffens, om een oorspronkèlyk Vaderlandschen Roman uittegeven. Een Roman, die berekent is voor den Meridiaan des Huisselyken levens. Wy schilderen u Nederlandsche karakters; menschen, die men in ons Vaderland werkelyk vindt. Zo wy wel geschildert hebben, zullen kenners dat toestaan. […] Maar, my dunkt, ik hoor hier en daar een jong Juffertje, dat niets meer van ons land overheeft, dan met negotie gewonnen schatten, en eenen ouden deftigen Hollandschen naam, met een opgeschort neusje, dus spreken: ‚Een Hollandsche Roman! Hede, ma chere, wel hoe vindt gy dat?‘ (En ma chere vindt het even ridicul als ons Juffertje.) ‚Ik lees geen Hollandsch; ik geloof ook niet, dat ik het zou kunnen lezen, maar ik ben toch nog al benieuwt; willen wy er nu en dan eens een verlegen uur aan geven?‘ Mag ik u bidden, doe het niet; waarlyk, gy zult er niets aan hebben. Gy hebt immers Romans, die u aanstaan. Gy hebt immers uwe Canapé Coulurs de Rose, uw Gris, Gris, uwe … maar wat hoeft Papa ook alles te weten? Dat is immers divin! Lees dit Boek niet. Men vindt in deeze Roman geen wandaden, die een Engelschman zelf met rilling leest; geen zo overdreven deugden, dat zy voor ons zwakke menschen onbereikbaar zyn. ’t Is waar, er is een verfoeilyke Heer R. in; maar wy vrezen te moeten zeggen, dat men in ons Vaderland zelf wel eens zo een schelm aantreft. Tomeloze drift, de gewoonte om altoos te overwinnen; hoeft er iets meer, om zulk een karakter uittemaken? Daar wordt in dit gehele werk geen een Duël gevogten. Eens echter wordt er een oorvyg uitgedeelt. Er wordt noch geschaakt, noch vergif gedronken. Ons vernuft heeft niets wonderbaarlyks uitgedagt. Alles blyft in het natuurlyke; de uitvoering zal alles moeten goed maken. […] In de Beverwyk, 1782.

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(Wolff/Deken 1980, 105–113) Frei übersetzt heisst dies: Niederländische Fräulein! Viele von Ihnen lesen: Nicht nur, um der Langeweile zu entfliehen; nicht einzig und allein, um durch das Kündigen von Talenten, die nicht immer von der nützlichen Sorte sind, einen unangenehmen Anblick zu machen; nein: viele von Ihnen lesen, um Ihre Denkbilder zu vermehren; und demnach vernünftig zu denken und zu tun lernen. Man hat, seit einigen Jahren, sich darauf konzentriert, auch für Sie zu schreiben. Man hat Ihnen Einsichten gewährt, die für Sie von grosser Wichtigkeit sind; da Sie nicht unwissend sein dürfen, falls Sie das Ziel verfolgen zu wissen, warum die Ewige Weisheit menschliche Seelen formte – Kenntnis und Glückseligkeit! Niemals sprach, seit Jahrhunderten, die Religion so fassbar. Nie kam die himmlische Sittenlehre Ihnen so gefällig entgegen. Nie unterwarf sich die unveränderliche Vernunft der Empfindsamkeit Ihrer Herzen so sehr. Man hat Ihnen das Reich der Natur geöffnet und Sie können sich an Reiseführern bedienen, die Ihnen, durch ihre arrogante Erscheinung, keine Angst machen. Alle Dichter sind derzeit nicht nur mit Kleinigkeiten beschäftigt. Man kann nun Gedichte lesen, worin der gesunde Menschenverstand nicht in Konflikt gerät mit Hirngespinsten des Dichters. Es gibt sittliche Erzählungen, Dramen und Trauerspiele: Davon gibt es einen grossen Vorrat, um Ihren Wissensdurst zu stillen. Niemand, der nicht gänzlich unbefugt ist, um durch Sie angehört zu werden, wird immer argumentieren, dass das Gute, das Vortreffliche, nicht gut, nicht vortrefflich sei, wenn es aus den Händen des Feindes stammte: Es ist jedoch wahr, dass es sehr unangenehm ist für jeden, der sein Vaterland liebt, einzusehen, dass die grösste Anzahl guter Bücher Übersetzungen sind. Es ist nicht an mir, gegen das Übersetzen zu eifern: Lass uns lieber bei den tüchtigen Leuten bedanken, die unsere sprachwissenschaftlich unkundigen Landesgenossen befähigen, sich über die grössten Genies von Europa zu verwundern. Sie sind es, die uns wertvolle Schätze anbieten. Dies ist meiner Meinung nach der Weg, wie wir unseren literarischen Geschmack zu verbessern haben: Ich behaupte auch, dass wir in dieser Hinsicht noch am wenigsten fortgeschritten sind. Man gebe uns solange die Werke von JERUSALEM, NIEMEYER, GESNER, WIELAND, HERMES, KLOPSTOK, POPE, RICHARDSON, THOMAS usw., bis dass vaterländische Erfindungsgeiste unter uns aufstehen, deren Werke es ebenfalls verdienen, für die Ausländer übersetzt zu werden: Der Lehrling, der lieber mangelhafte Bilder von inländischen Blechkratzern nachzeichnet als Studien von den besten Meistern, wird, glauben Sie mir, nie ein Vinkeles werden. Lass uns also weitermachen mit Übersetzen; aber lass uns, in Hinsicht auf das ursprüngliche Schreiben, das Eine tun und das Andere nicht vernachlässigen. Bis anhin, liebe Fräulein, sind wir uns ziemlich einig: aber nun wird sich das ändern. Darf ich Ihnen was sagen? Man hat Ihnen schon früh eingetrichtert, und Sie denken auch wahrlich, dass Sie dies glauben: dass keine vaterländische Feder geschmackvolle Werke schreiben kann; dass unser Hirn so schlecht konzipiert ist, dass wir in dieser Hinsicht nie

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mit den ausländischen Schriftstellern gleichziehen können; dass unsere Erfindungsgabe so dampfig ist wie unsere Himmelsgegend; dass wir arbeiten können, ochsen, etwas durchdenken, aber dass wir weder malen noch scherzen können: mit noch einer ganzen Anzahl an solch traurigen Sachen. Dies leugnen wir: auch, obwohl des Öfteren die Erfahrung dagegen spricht! Mit dieser gleichen Höflichkeit begegnete man vor einigen Jahren auch den Deutschen. Deutscher und Dummkopf war fast das Gleiche. Bevor der grosse Dichter POPE sein Rape of the Lock veröffentlichte, musste ein denkendes Volk mit einem Deckmantel zur Kirche gehen. ‚Macht Kommentare und Randbemerkungen,‘ scholt man die Deutschen: ‚Denkt,‘ rief man den Engländern zu; (und was uns gesagt wurde, darüber schweige ich friedenshalber,) wir Franzosen sind die Günstlinge des Scharfsinns; eure plumpen Fäuste können die Anmut nicht mit Rosen bekranzen; oder im Tempel des Geschmacks eine Opfergabe anbieten.‘ Endlich stehen Genies auf, die ihr verachtetes Vaterland rächen; England hat POPE, Deutschland WIELAND. RICHARDSON malt eine göttliche Clarissa: KLOPSTOK singt seine Messiade; und das lesende Europa stimmt zu, dass alle gemässigten Himmelsgegenden grosse Männer hervorbringen können. Schliessen Sie jedoch nicht hieraus, verehrte Landesgenossen, dass ich glaube, dass ein Engländer genauso so ansprechend für einen Italiener schreiben kann wie für sein eigenes Volk. Das glaube ich nicht. Es ist hier nicht angebracht, Ihnen den Grund für meine Meinung zu erläutern: glauben Sie mir, dass ich keine Freundin eines blinden Glaubens bin: Dies wollte ich nur zeigen, dass jedes Volk seine eigenen Schriftsteller, wie auch seine eigenen Helden und Staatsmänner braucht, und, falls man lange genug gelernt hat, auch haben wird. Durchdrungen von diesen Denkbildern, hoffen wir, jene Zeit noch zu erleben: aber wir probieren gleichzeitig, einen ursprünglichen, vaterländischen Roman herauszugeben. Einen Roman, der auf den Meridian des häuslichen Lebens abzielt. Wir schildern Ihnen niederländische Charaktere; Leute, die man in unserem Vaterland wirklich findet. Falls wir gut gemalt haben, werden uns Kenner dies erlauben. […] Aber, mir scheint, ich höre hie und da ein junges Fräulein, das nichts mehr für unser Land übrig hat als mit Geschäften erworbene Schätze, und einen alten, vornehmen holländischen Namen, mit einem verschobenen Näschen, sagen: ‚Ein holländischer Roman! Meine Güte, ma chère, wie findest du das?‘ (Und ma chère findet es gleich ridicul wie unser Fräulein.) ‚Ich lese kein Holländisch; ich glaube auch nicht, dass ich es lesen könnte, aber ich bin trotzdem neugierig; wollen wir hie und da eine schüchterne Stunde dafür aufwenden?‘ Darf ich Sie bitten, tun Sie es nicht; wahrlich, Sie werden nichts davon profitieren. Sie haben immerhin Romane, die Ihnen gefallen. Sie haben ja Ihr Canapé Couleurs de Rose, Ihr Gris, Gris, Ihr… aber wieso muss Papa auch immer alles wissen? Das ist immerhin divin! Lesen Sie dieses Buch nicht. Man findet in diesem Roman keine Missetaten, die ein Engländer selber mit Angstschauer liest; keine so übertriebenen Tugenden, dass sie für uns schwache Menschen unerreichbar sind. Es ist wahr, es kommt ein verabscheuenswerter Herr R. darin vor; aber wir befürchten, sagen zu müssen, dass man in unserem Vaterland selber

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manchmal so einen Schelm trifft. Zügellose Wut, die Gewohnheit, um immer zu gewinnen; bedarf es weiteres, um solch einen Charakter darzustellen? Es wird in diesem Werk kein einziges Duell ausgefochten. Nur einmal wird eine Ohrfeige ausgeteilt. Es finden weder Entführungen statt noch wird Gift getrunken. Unser Erfindungsgeist hat nichts Wundersames ausgedacht. Alles bleibt im Natürlichen; die Aufführung wird alles wettmachen müssen. […] In de Beverwyk, 1782. Im zehnten Brief des Romans erklärt die Hauptperson Sara, warum sie nicht länger bei ihrer Tante wohnen will. Tiende brief. Mejuffrouw Sara Burgerhart aan Mejuffrouw Aletta de Brunier. Douce et tendre amie! Je suis enragé, op het oud Wyf –, op myne Tante; ik wil geen week langer blyven; ’t is of ik in de hel woon. Myne Tante heeft zeer veel van zyn Satansche Majesteits karacter; en Bregt verdient wel een schonen dienst in zyn onderaardsch ryk … Ja! bons wat aan; ik zal niet antwoorden, ik zal ook niet open doen. Sus! daar hompelt zy, al grommende, den trap weêr af. Goeije reis naar beneden. Ik moet, chere, u eens een Sçene tekenen, die u niet zal uit de hand vallen. Woensdag voormiddag raasde zy als eene bezeetene, om dat ik eenige nieuwe Aria’s speelde. (Dat’s een Wyf, ook?) zy werdt geholpen door haar Hottentot van een meid, die my dorst zeggen, dat zy ook danig ontsticht was. Met wordt er gebelt. Bregt, die volmaakt een zog van een Bollebuisjeswyf gelykt, waggelde naar voor; en Tante gaf my een verbruide oorvyg, om dat ik bleef spelen. ‚Juffrouw, daar is Sinjeur Benjamin;‘ – ‚wel hede, laat Broeder maar agter komen.‘ Daar kwam Broeder, een luije zuipzak van een Kerel, in een paarschen Japon; (men zou wel zeggen, wie of zo een verlopen Slagers Knegt toch een Japon heeft leren dragen.) ‚Welkom Broertje, wel hoe is het nu nog al met je?‘ – ‘’t Gaat nog al; maar men hoofd, men hoofd!‘ – ‚Wel, dat is droevig, maar je vergt je ook wat véél.‘ – ‚Ja ’t is myn Amtsbezigheid; en hoe vaart Zuster? Je schynt wel wat onthutst.‘ – ‚Ja, dat ben ik ook, ’t is niet altyd het effen wegje, Broêrtje.‘ (Tegen Bregt.) ‚Ei meid, is er niet wat? dan zou Broeder hier maar familiair blyven.‘ (Tegen my.) ’Toe, lieve Saartje, (was dat uittestaan, lieve Saartje, en myn wang gloeide nog van den slag,) bak jy nou ereis schielykjes wat dunne Pannekoekjes, Broeder lust ze zo graag.‘ Ik sloot myn Clavier, en zei: ’t is wel, Tante. Ik ging naar de Keuken, en bakte helder door; maar-ik-at-die-al-bakkende-zelf-op. Dit is de eerste trek, die ik haar speelde, hoe zelden ik myn genoegen kryg. Ik moet hier alles doen; want Bregt is een lomp schepsel, en snuift sterk. Toen ging ik, terwyl Bregt in huis klungelde, de tafel dekken. Bregt eet met ons, want het is Zuster Bregtje, moet je weten, Letje. Tartuffe zou een goed woord spreken, maar de Vent badt, (zo noemen zy

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dat gehuilebalk,) wel een kwartier lang. Het geen hy jankte, geleek veel meer naar het morrent gegnor van ondankbaar Vee, dan naar de zuchten van een bewogen hart, ’t geen zynen God looft. Ik kreeg, à l’ ordinaire, eeten op myn bord. Twee schepjes groente, met een flenter kout vleesch van ’s daags te voren. Ik spelde myn Servet voor: ‚als ik gelyk een kind eeten kryg, moet ik ook zien, dat ik my niet bemors.‘ ‚Och of gy een kind waart,‘ zei de Smulpaap, die onderwyl met zyn duim en vinger de boter van de robe de chambre eener Cottelette aflikte. ‚Dat zou heuchelyk zyn,‘ zei Tante; ‚ja wel heuchelyk,‘ zei Zuster Bregitta. Toen kreeg ik nog wat byeengeschraapte Spenage, en een stuk Cottelet. Zuster Zantje, en Broeder namen onderwyl eens. Ik kryg nooit wyn; Tante zegt, dat het niet goed is voor my, en dat kan wel zyn; want ik ben jong en gezont. ‚Kom, Saartje, neem nou maar af; Bregtje is wat vermoeit; de sloof wordt oud.‘ Ik deed zo; zette het Dessertje op. ‚Waar bennen de Flensjes, Saartje?‘ ‚Die bennen in myn maag, Tante.‘ Snap, myn servet neêr gegooit, (by ongeluk tegen Broeders palmhoute pruik,) en het onweer op myne kamer ontweken. Gy weet, ik ben tamelyk vlug, dat my toen te pas kwam. Knap de deur op slot. ’s Avonds kwam de Hottentot met een stuk brood en een glas zuur bier, er by voegende, ‚dat ik het nooit kon verantwoorden, zo als ik een vroom mensch evel plaagde.‘ ‚Scheer je van myn kamer,‘ zei ik, en duwde haar de deur uit. Het brood (het was goed op de Flensjes,) at ik op. Het bier gooide ik weg, en dronk eens helder uit myn Caraffe: ging vroeg te bed, en sliep als een roos. Daar aanstonds kreeg ik een boterham, met een kom Thee, die wel omspoelzel lykt. Tante gaat uit, en wil my voor haar oogen niet zien. Zo zitten nu de zaken. Mooglyk geef ik u deezen wel in eigen handen, mooglyk niet: Ik weet niet hoe ’t zal uitkomen. Vast kom ik; de brief der goede Weduwe heeft my in dit voornemen gesterkt. Ik zou al by u geweest zyn, maar ik wagt op een Brief; die brief komt niet. Ik zal, voor ik dit huis verlaat, aan haar die ik bedoel nog eens schryven… doch dat kan ik by u even goed doen. Ja, lieve meid, gy hebt wel kostelyk gelyk! Men moet maar wel doen en vrolyk leven. He, wat? op die Fynen is toch geen staat te maken; echter zyn er (of jy ’t niet geloofde,) zulke vrome zielen onder, die, waren de hoofden deezer brave menschen zo goed georganiseert als hunne harten, wel zuiver en godsdienstig zyn…. enfin, kort gezeit, Letje, Salomon, de wyze Koning Salomon, is myn man: men moet het goede genieten van zyn leven, ende van zyn arbeid; – daar mee is dat maar uit, en afgedaan. ’t Wordt donker, en ik kryg geen licht in myn kamer; ik kan des niet langer schryven. Hoe zal dat gaan als ik beneden kom? Ik zal eerst Tante goeden avond zeggen, en als zy draaglyk is, by haar gaan zitten breijen; zo niet, dan ga ik in de zydkamer, de lantaarn brandt toch in het voorhuis, open mvn Clavier, en speel op ’t gevoel maar weg. Maak myn Compliment àan Mejuffrouw de Weduwe Spilgoed; en zeg haar zo veel gy nodig oordeelt, zo gy deezen nog, vóór ik u omhels, in handen krygt. Nagt, lieve ziel.  Tout à Toi, S. Burgerhart. (Wolff /Deken 1980, 139–144)

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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Übersetzung: Zehnter Brief. Sarchen Reinert an Demoiselle Antoinette de Brünier. Ich bin äusserst aufgebracht wider das garstige alte Weib, – wider meine Tante! – Nein, bestes Nettchen, keine Woche halte ichs länger aus. In der Hölle selbst kann sichs nicht schlimmer wohnen! Meine Tante hat ausserordentlich viel von Sr. Satanischen Majestät an sich, und Bregt verdient ohne Zweifel eins der ersten Hofämter im schwarzen Reich! … Ja, klopf du immer! ich antworte nicht, und mache nicht auf! – Pscht! da humpelt sie brummend die Treppe wieder hinab. Glück auf die Reise! Ich muss Ihnen doch einmal eine Scene schildern, bey der Sie sich kreuzen und segnen werden! Am Mittwoch Vormittag rasete sie wie eine Besessne, weil – ich einige neue Arien spielte. Sie glauben nicht was das ein Weib ist! Ihre Hottentottin von Magd, die vollkommen einem schmuzzigen Heringsweibe gleicht, stand ihr wacker bey, und durfte mir sagen, dass sie ein grosses Aergerniss an mir nehme. Indess klingelte es. Bregt, das alte Scheusal, wackelte nach vorn, und Tante gab mir ein paar derbe Maulschellen, weil ich am Klavier sitzen blieb. – ‚Mamsell, dar is Sinjör Benjamin.‘ – ‚Heute? Ey, lasst Bruder nur hinter kommen.‘ – Da kam Bruder, ein lüderlicher Saussack von einem Kerl, in einer braunen Chenille; (wer doch den verlaufnen Fleischerknecht eine Chenille mag tragen gelehrt haben?) – ‚Wilkommen, Brüderchen! rief Tante ihm entgegen: Nu, wie gehts?‘ – ‚Noch gut genug, aber mein Kopf! mein Kopf!‘ – ‚Ach das ist ja betrübt! aber Sie greifen sich auch zu sehr an!‘ – ‚Ey nun, ich thue was meines Amtes ist. Der Weinberg des Herrn will gebauet seyn. Aber wie befinden sich Schwester? Es will mich bedünken, als ob Sie ein wenig entrüstet wären?‘ – ‚Ja, das bin ich auch! Man wandelt nicht immer auf ebner Bahn, liebes Brüderchen! – (zu Bregt:) Ey, Mädchen, haben wir nicht ein bischen was? dann wollt ich Brüderchen bitten, hier freundschaftlich für lieb zu nehmen. (zu mir:) Komm, liebes Sarchen… (War das auszuhalten? Liebes Sarchen! und meine Wangen glüheten noch von den Ohrfeigen!) ‚Komm, liebes Sarchen, back uns doch geschwind ein paar dünne Pfannküchelchen, Du weisst ja, recht dünne und knoppernd; Bruder isst sie so gern.‘ – ‚O ja, Tante!‘ erwiederte ich, schloss mein Klavier zu, ging in die Küche und buk frisch drauf los; aber so wie ein Pfannkuchen fertig war, ass ich ihn auf. – Das ist der erste Possen, den ich ihr jemals spielte, so schlecht und dürftig ich hier auch beköstiget werde. Ich bin hier der Scherwenzel im Hause, und muss alles thun, was gethan werden soll, denn Bregt ist ein ungeschicktes tölpisches Geschöpf, das die Nase beständig voll Schnupftaback stopft; also thue ich manches schon um der Reinlichkeit willen. Indessen ist es doch hart, dass ich bey der stärksten Befugniss Aufwartung zu verlangen, andern, und gewissermassen sogar der Magd aufwarten muss! – Nachdem ich also den Pfannkuchen ihr Recht gethan hatte, ging ich hin, während Bregt im Hause herumklungelte, und deckte den Tisch. Bregt setzte sich mit uns zu Tische, denn es ist Schwester Bregt, sollen Sie wissen! – Tar-

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tüffe sollte ein gut Wort sprechen: aber der Bursche betete (so nennen sie das heulendgedehnte Eselsgeschrey,) sechsmal so lang als mein Arm, dass ich glaubte, es würde in Ewigkeit kein Ende nehmen. Was er da hersalbaderte, glich mehr dem unmuthigen Geknurre des undankbaren Viehes, als der Stimme eines gerührten Herzens das seinen Gott preiset. Ich bekam, wie gewöhnlich, zwey Löffelchen Gemüse und ein kaltes Schnitzelchen Fleisch von gestern auf meinen Teller. Ich steckte meine Serviette mit Nadeln vor: ‚Weil ich als ein Kind zu essen bekomme, muss ich auch sehn, dass ich mich nicht bekleckse.‘ – ‚Ach dass Sie ein Kind wären!‘ sagte der Bauchpriester, während er mit dem Daumen und Finger die Butter von der Robe de chambre einer Cottelette ableckte. ‚Das würde erwünscht seyn!‘ sprach Tante. – ‚Ach! ja wohl erwünscht!‘ sprach Schwester Brigitta. – Darauf bekam ich noch das letzte zusammengekratzte bischen Spinat und ein Stückchen Cottelette. Schwester Sannchen und Bruder tranken indessen einmal. Ich bekomme keinen Wein; Tante sagt, er diene mir nicht, und das kann wohl seyn, denn ich bin jung und gesund. ‚Komm Sarchen, mach nur reinen Tisch! Bregtchen wird es so sauer; das gute Mädchen wird alt!‘ – Ich that das und setzte den Nachtisch auf. – ‚Sarchen, wo sind die Pfannkuchen?‘ – ‚In meinem Magen, Tante!‘ Damit warf ich meine Serviette hin, die zum Unglück in Bruders buchsbaumerne Perücke flog, und entwich dem Ungewitter in meine Stube. Sie wissen, ich bin ziemlich flink, und das kam mir diesesmal nicht übel zu Statten. Knapps war die Thür ins Schloss! Am Abend kam die Hottentottinn mit einem Stücke Brodt und einem Glase saueren Biers. Es sey unverantwortlich, sagte sie, dass ich eine gottesfürchtige Person so plage. – ‚Packt Euch aus meinem Zimmer!‘ rief ich, und schob sie zur Thür hinaus. Das Brodt ass ich auf: es war gut auf die Pfannkuchen. Das Bier goss ich weg, und trank ein Glas Wasser aus meiner Karaffe, ging früh zu Bette, und schlief wie ein Dachs. Am Morgen bekam ich ein Butterbrodt und eine Schaale Thee, der wie Spühlicht aussah. – Tante geht aus, und will mich nicht vor Augen sehen. So stehen nun die Sachen. Vielleicht händige ich selbst Ihnen dieses ein, vielleicht auch nicht. Ich weiss nicht, wie das Ding ablaufen wird. Kommen werde ich indessen gewiss. Der Brief der guten Wittwe hat mich in diesem Vorsatze bestärkt. Schon würde ich bey Ihnen seyn, aber ich erwarte einen Brief von einer Freundinn, und der bleibt aus. Ich werde, bevor ich dieses Haus verlasse, noch einmal an diese Freundinn schreiben… Doch das kann ich bey Ihnen eben so gut. Ja, liebes Mädchen, Sie haben vollkommen Recht: Unsträflich wandeln, und fröhlich leben! Ey was! auf die Feinen kann man sich doch nimmer verlassen; indessen giebt es unter ihnen, obgleich Sie das nicht glauben mögten, doch solche fromme Seelen, die, wäre nur ihr Kopf so gut organisirt als ihr Herz, wohl lauter und gottesfürchtig seyn würden… enfin, mit Einem Worte, Salomo, der weise König Salomo ist mein Mann: Man muss seines Lebens geniessen, und seiner Arbeit froh werden; – und damit ist das aus, und abgethan. Es wird finster und ich bekomme kein Licht auf mein Zimmer; ich muss also die Feder weglegen. Wie wird das gehen, wenn ich hinunter komme? – Erst werde ich Tante guten Abend sagen; ist sie erträglich, so setze ich mich zu ihr und stricke; ist sie es nicht, so gehe ich ins Nebenzimmer, (auf der Hausflur brennt ja die Laterne,) öffne mein Klavier und klimpre nach dem Gefühle weg. Empfehlen Sie mich der lieben Wittwe, und sagen Sie ihr so

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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viel Sie nöthig finden, wofern Sie dieses noch erhalten, bevor ich Sie umarme. Gute Nacht, liebe Seele! Tout à Toi, Sara Reinert (Wolff /Deken 1806, 40–45) 6.3.1.2. Gedichte für Kinder von Hieronymus van Alphen Im Geiste der Aufklärung veröffentlichte Hieronymus van Alphen (vgl. 6.2.4.3.) 1778 den Band Kleine gedigten voor kinderen mit 66 in verständlicher Sprache verfassten Gedichten für Kinder, in denen er Tugenden wie Neugierde, Gehorsamkeit, Nächstenliebe, Religiosität und Vaterlandsliebe anpreist. Das Büchlein mit Kupferstichen von Jacobus Buijs (1724–1801) wurde zahlreiche Male nachgedruckt und bis ins 20. Jh. bei der Erziehung und in der Schule verwendet. Es fällt auf, dass Van Alphen in einem Gedicht wie Het hondjen, einer Bearbeitung von Christian Felix Weisse’s Der Gehorsam (vgl. 6.2.4.3.), nichts von der in diesem Text propagierten Autorität des Vaters und der damit verbundenen Körperstrafe übernimmt. De pruimeboom Eene vertelling Jantje zag eens pruimen hangen, o! als eieren zo groot. ’t Scheen, dat Jantje wou gaan plukken, schoon zijn vader ’t hem verbood. Hier is, zei hij, noch mijn vader, noch de tuinman, die het ziet: Aan een boom, zo vol geladen, mist men vijf zes pruimen niet. Maar ik wil gehoorzaam wezen, en niet plukken: ik loop heen. Zou ik, om een hand vol pruimen, ongehoorzaam wezen? Neen. Voord ging Jantje: maar zijn vader, die hem stil beluisterd had, Kwam hem in het loopen tegen voor aan op het middelpad. Kom mijn Jantje, zei de vader, kom mijn kleine hartedief! Nu zal ik u pruimen plukken; nu heeft vader Jantje lief. Daar op ging Papa aan ’t schudden,

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Jantje raapte schielijk op; Jantje kreeg zijn hoed vol pruimen, en liep heen op een galop. (Van Alphen 1998, 57) Die Kleinen Gedichte für Kinder (1778) von Hieronymus Van Alphen wurden von F.Ch.H. Gittermann ins Deutsche übersetzt. Der Pflaumenbaum. Eine Erzählung Karl sah schöne Pflaumen hangen; Sie zu pflücken, fühlt’ er Lust. Dass dem Vater dies missfällig, War dem Kleinen wohl bewusst. Doch kein Vater hier noch Gärtner, Spricht er, der es sehen kann. Und der volle Baum verräth’s nicht, Fehlen ein paar Pflaumen dran. Aber dürft ich denn wohl pflücken? Muss ich nicht gehorsam seyn? Mag für eine Handvoll Pflaumen Ich wohl unrecht handeln? – Nein! Weg ging Karl, jedoch sein Vater, Der ihn still belauschet hat, Trift, als käm er erst, zusammen Mit ihm auf dem Mittelpfad. Komm, mein Karlchen, spricht der Vater, Komm, du kleiner Herzensdieb! Nun will ich dir Pflaumen geben, Nun hat Vater Karlchen lieb. Und so fing er an zu schütteln; Kar[r]lchen raffte freudig auf. Er bekam den Hut voll Pflaumen, Und sprang fort in vollem Lauf. (Van Alphen 1838, 27–28)

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

Der Gehorsam Mein Hundchen ist ein gutes Thier, So bald ich rufe, folgt er mir: Doch kömmt er nicht, wenn ichs ihm sage, So ist er werth, dass ich ihn schlage. Bestrafet mich mein Vater nun, Will ich nicht seinen Willen thun, Darf ich es denn so übel nehmen? – Mich würde ja mein Hund beschämen. (Weisse 1770, 53) Het hondjen Hoe dankbaar is mijn kleine hond Voor beentjes en wat brood! Hij kwispelstaart, hij loopt in ’t rond, En springt op mijnen schoot. Mij geeft men vleesch en brood en wijn, En dikwijls lekkernij: Maar kan een beest zo dankbaar zijn, Wat wagt men niet van mij! (Van Alphen 1998, 41) Das Hündchen Wie dankbar ist mein kleiner Hund Für Brod mit etwas Brüh’; Er wedelt freundlich und läuft rund, Und springt mir an die Knie. Mir giebt man Brod und Fleisch und Wein, Manch leckeres Gericht; Wie? – Könnt’ ein Thier so dankbar seyn, Und ich, – ich wär es nicht? (Van Alphen 1838, 17)

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De spiegel Die telkens in de spiegel ziet, En zig met schoonheid vleit; Beseft de waare schoonheid niet, Maar jaagt naar ijdelheid. Dit glas maakt trots, of geeft ons pijn; Wil ’k weeten, wie ik ben, Dan moet Gods woord de spiegel zijn, Waar ik mijn hart uit ken. (Van Alphen 1998, 31) Der Spiegel Wer oft im Spiegel sein Gesicht Besieht, ob schön er sey, Begreift die wahre Schönheit nicht, Ist nicht von Leichtsinn frei. Dies Glas bringt Stolz uns oder Pein; Zu lernen, wer ich bin, Muss Gottes Wort mein Spiegel seyn; Mein Herz seh’ ich darin. (Van Alphen 1838, 12) De bedelaar Die afgeleefde man, die bijkans nakend zit, En trillend van de kou, mij om een duitje bidt, Is even goed als ik. Gods wijsheid gaf alleen Mij wat meer geld dan hem. Ben ik dan beter?… Neen. Een vroom en eerlijk mensch draagt dikwijls slegte kleeren, Ik wil dan ook de deugd in arme menschen eeren. Die met veragting op hem ziet, Doet naar ’t bevel van Jesus niet. (Van Alphen 1998, 59)

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

Der Bettler Der abgelebte Mann, der beinah nackend geht, Und starr vor Kälte mich um einen Pfenning fleht, Er ist so gut als ich. Der Höchste gab allein Mir etwas mehr als ihm. Bin ich denn besser? – Nein! Und ob der gute Mensch ärmlich gekleidet wäre: Auch in der Dürftigkeit gebührt der Tugend Ehre. Wer arme Menschen übersieht, Besitzt kein christliches Gemüth. (Van Alphen 1838, 29) De liefde tot het vaderland Al ben ik maar een kind, Tog wordt mijn Vaderland van mij op ’t hoogst bemind; Ik werd er in geboren; Ik heb er drank en spijs; Ik mag er ’t onderwijs Van wijze meesters hooren. Ik heb er ouders, vrienden in, Die ik met al mijn hart bemin; Ik kan er veilig woonen; Dies zal ik dankbaar mij betoonen; En, worde ik eens een man, Zo nuttig zijn voor ’t land, als ik maar wezen kan. (Van Alphen 1998, 129) Die Vaterlandsliebe Bin ich ein Kind auch noch, Mein theures Vaterland lieb’ ich auf’s Höchste doch. In ihm trat ich in’s Leben; Es nährt und kleidet mich, Und Unterricht hab ich – Von Lehrern rings umgeben. Ich habe Eltern, Freunde drin, An welchen hängt mein ganzer Sinn; Es lässt mich sicher wohnen. Das will ich immer dankbar lohnen.

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Und bin ich einst ein Mann, Werd’ ich dem Vaterlande nützlich seyn, so viel ich kann. (Van Alphen 1838, 69)

6.3.2. Briefe 6.3.2.1. Briefe an Seeleute Zu den Briefen an Seeleute aus dem 18. Jh., die Sprachhistoriker wie M. van der Wal vermehrt in ihre Forschung einbeziehen, zählt der folgende Brief, den Hendrikje de Cerff am 6. Dezember 1779 ihrem Mann Christiaan de Cerff nebst einer Sendung Kanarienvögel und Kaffee verschickte. Eerwa[a]rden man, Ik stuer e[e]n kl[e]yn brief vanweges e[e]n kly[n] pr[e]cent voer u st sunterkals: wat koffie in da[a]r l[e]yt een deka[a]t in van mijn moeder vo[o]r u, sunder kost, mijn lieven man, omdat gij kla[a]gt dat gij ge[en] gelt me[e]r het, want gij kan wel denken hoe het met mijn sta[a]t. Ma[a]r ik sal hopen en vertrouye op mijn Goet en Salgermaker dat hij ons blieft te segen[en] tot welstant van ons hous[h]oude. Vorders stuer ik mijn liede man wat bokken, wat kastengen, wat nuyten, wat ko[e]k, wat ba[n]ket, wat ouye. Mijn lieven man, de duka[a]t l[e]yt in de bonen; da[a]r moet gij wat versegtig me[e] wesen. En gij moet mijn ten eersten s[ch]rijven of gij het alles wel on[t]fangen het en of de vogels wel overgekomen benne. Hiermeeden breken ik of, mijn lieven man, in ik beve[e]l u in de handen van groet[e] Goet, doe [i]k mijn koppelmet a[a]n u ka[p]t[e]yn en ver[dere] of[fi]sier[en]. Ik hoep dat [gij het] met sma[a]k sal gebruyken. Va[a]rt wel mijn lie lieven man, va[a]r wel, va[a]rt nog wel. (Van der Wal et al. 2010a, 81–82)

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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Frei übersetzt heisst dies: Ehrwürdiger Mann, Ich schicke einen kleinen Brief zu Eurem Sankt-Nikolaus-Geschenk: Mein lieber Mann, weil Ihr geklagt habt, dass Ihr über kein Geld mehr verfügt, liegt im Kaffee, als besondere Gabe eine Dukate von meiner Mutter. Ihr könnt Euch sicher denken, wie es um mich steht. Aber ich hoffe vertrauensvoll auf meinen Gott und Seligmacher. Er möge uns segnen und zu Wohlstand in unserem Haushalt führen. Weiter schicke ich, mein lieber Mann, Bücklinge, Kastanien, Nüsse, etwas Kuchen, Gebäck und Zwiebeln. Mein lieber Mann, die Dukate liegt in den Kaffeebohnen, seid vorsichtig damit. Und schreibt mir so früh wie möglich, ob Ihr wohl das alles gut empfangen habt und ob die Vögel gut hinübergekommen sind. Hiermit beende ich den Brief, mein lieber Mann, und ich übergebe Euch in die Hände des Grossen Gottes. Überbringt meine Empfehlung an den Kapitän und die Offiziere. Ich hoffe, dass Euch das Geschenk schmeckt. Lebt wohl, mein lieber Mann, lebt wohl, lebt weiterhin wohl. Kurz vor dem Ablegen des Schiffes Hoogkarspel empfing Coenraad Buyk den unten stehenden Brief von seiner Ehegattin, datiert am 18. August 1779. 18 augustus 1779: wel uit het oog, maar niet uit het hart Monsuur Mons[ieu]r Coenraad Buyk, tweede stuurman op `t O[ost-]I[ndische-]Comp[agnie]schip Hoogkarspel, leggende op de rheede van Tessel Enchuysen, den 18 augustus 1779 Mij[n] waar[de] en tedergeliefde man, Derwijl ik nu nog ockasie heb ue eens te schrijven, soo dient dese al[s] dat ik uw, mij[n] liefe man, uyt grond van mij[n] hert toewens een behouwen en vergenoegde reys en [ik] hoopen dat god ue sal bewaaren voor al hetgeen uw ziel of ligaam kann schadely schadelyk weesen. Ik geef ue aan God over en vertrouw daarop, dan sult gij niet wankelen, want ik moet uw missen uyt mij[n] ooggen maar dog niet uyt [het] hert, want daar sijt [gij] noyt uyt. Maar ik troost mij daarme[e] dat het de weg is daar God ons in beroepen heeft, en daarom kan ik mij selven daar wel in troosten en [ik] geeven daar alles aan over. En als het God beha[a]gt, dan

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hoop ik dat wij kal malkander met soo veel liefde weer maggen onhelsen als wij van malkande[r] bennen gescheyden, en dat God ons mag geeven als dat ik de vrugt die ik van uw, liefe man, dra[a]g, dat ik die gelukkig mag ter waarelt brengen en dat het mag opwassen tot vrugt van ons beyden en dat het sijn of haar vader ook nog een[s] mag, beneffens mij, onthelsen. En indien het God mogt behagen om bij mij bij onse liefe kint vandaan te halen, wat ik uw dan bidde mag, my[n] liefe schat, dra[a]gt dan dog sorg voor uw kint. Als gij weer in het vaderland mag koomen, [be]denk dan dat gij daar vader en moeder over ben[t]. Indien wij malkander op de aarde niet maggen sien, dan hoop ik dat wij malkander in God[s] eeuwig Koonigk[r]yk weer vinden mag[gen]. Ik heb ue mesieven zeer wel ontvangen en ook de grooten maand en heb ue welstaand uyt [de]selven verstaan, hetwelke mij in seer verhue[g]den. Wat mij aangaat, ben ik ook soo gesont als [ik] van hemel wenschen en ben soo trakkiel in het afschey[d] neemen van de goede vrinden dat elk daarvan verwondert is, soo dat God besonder in mijn werk[t]. Ik mist niet als het liefe bijsijn van mij[n] liefe man en hoe veel geduld[ig]er wij daarin bennen, hoe veel te beter het voor ons selve is. Ik leef anders gerust en vreedig en hoop ik [dat] gij ook sal doen. Leef dog vreedig met uw neef, want hij seyt dat het aan hem niet mankeeren sel en daar vreede is, daar is God en leef dog voor wel met diegeenen daar gij overgestelt sijnen, want [ik] denk dat gij daar rekenschap van moet doen in [de] dag des oordeel[s]. Ik sal de brief aan suster een vrijdag besorgen en sal daar een brief bij schrijve. Hierneffes send ik ue koffertjen met scho[o]n goed en wat peeren, die kannen nog wel wat duren, en een koek. Schrijf mij dog [indien] uw nog wat mankeer[t]. De rok is bij de cappeteyt van het jakt, want [ik] was te laat om in de kist van de docder te doen. Ik sou de brief wel met het goed [ge]stuert hebbe, maar de heer Andrega had mij gevra[a]gt of hij een brief voor mij wou meeneemen en doe

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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do[r]st ik het niet laaten. Hij heeft mij gevra[a]gt of mij[n] man mij ook van een reekenen had geseys van het rekonissegoed dat hij voor uw betaal[d] had en ik seyd van neen. Ik versoek soo gau het mogelijk is een brief en schrijft voor al vader een uytloopersbrief. Mij[n] vogen is al beter en [ik] heb soo veel geschelsc[h]ap aan mij[n] kleyne hond als waar het een kint. De groetenis van Gappen en Scanna en van vader en moeder en susters en en broers en famielle en alle goede vrinde en van onse goede Catryna. Nadat [ik] uw, mij[n] liefe, in de beschermen des Alle[r]magtisge bevele te hebben, soo sijt wel duysen[d]maal in mij[n] gedagte onthelst. Sijt van mijn gegroet. [Ik] verblijft hiermede, liefe man, ue liefhebben[de] vrouw M. Buyk geb[oren] Kleynhens. Nagt, lief. Het sluetetjen is hierin. (Van der Wal 2010, 115–117) Frei übersetzt heisst dies: 18. August 1779: wohl aus dem Auge, aber nicht aus dem Herzen. Monsieur Coenraad Buyk, zweiter Steuermann des ostindischen Kompanieschiffs Hoogkarspel, liegend an der Reede von Texel Enkhuizen, den 18. August 1779 Mein werter und zärtlich geliebter Mann, Ich habe nun Gelegenheit zu schreiben und nutze dies dazu, Euch, meinem lieben Mann, aus der Tiefe meines Herzens eine sichere und vergnügliche Reise zu wünschen. Ich hoffe, dass Gott Euch vor all demjenigen bewahrt, das Eurer Seele und Eurem Körper Schaden zufügen kann. Ich übergebe Euch Gott und vertraue darauf, dass Ihr nicht ins Schwanken geraten werdet. Ich werde Euch vermissen. Obwohl Ihr aus meinen Augen verschwunden seid, bleibt Ihr trotzdem in meinem Herzen. Denn aus diesem verschwindet Ihr niemals. Aber ich tröste mich damit, dass dies der Weg ist, auf den Gott uns berufen hat. Deshalb fällt es mir nicht so schwer. Und wenn es Gott behagt, dann hoffe ich, dass wir einander mit so viel Liebe wieder umarmen dürfen als dass wir voneinander getrennt sind. Und ich hoffe auch, dass ich die Frucht, die ich von Euch trage, lieber Mann, glücklich auf die Welt bringe und dass sie zu einer Frucht von uns beiden heranwächst, und dass das Kind seinen oder ihren Vater auch einmal, nebst mir, umarmen darf. Und wenn Gott es so will und mich von unserem Kind wegholt, dann bitte ich Euch, mein lieber Schatz, Sorge um das Kind zu tragen. Denkt

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nach der Heimkehr ins Vaterland daran, dass Ihr Vater und Mutter zugleich sein werdet. Und wenn wir uns auf der Erde nicht mehr sehen, dann hoffe ich, dass wir uns in Gottes ewigem Königreich wieder begegnen werden. Ich habe Eure Briefe und den grossen Korb sehr wohl erhalten und schliesse daraus, dass es Euch wohl ergeht. Das erfreut mich sehr. Was mich angeht, so bin ich auch so gesund, wie ich es mir vom Himmel wünsche. Gott wirkt in einer so besonderen Weise in mir, dass ich, trotz des Abschieds von den guten Freunden, jeden mit meiner Ruhe erstaune. Ich vermisse nichts, nur das Zusammensein mit meinem lieben Mann. Aber es ist besser für uns, geduldig zu sein. Ich lebe beruhigt und friedlich und hoffe, dass Ihr das auch tut. Lebt in Harmonie mit Eurem Neffen. Er sagte, dass es an ihm nicht liegen wird, denn wo Friede ist, da ist auch Gott. Und behandelt Eure Untergebenen gut, denn ich denke, dass Ihr am Tag des Urteils Rechenschaft dafür ablegen müsst. Ich werde den Brief an die Schwester am Freitag besorgen und werde auch etwas dazu schreiben. Hiermit sende ich Euren Koffer mit sauberer Kleidung und einigen Birnen, die noch etwas weiter reifen können. Schreibt mir doch, falls Euch noch etwas fehlt. Der Mantel ist beim Kapitän des Schiffs, denn ich war zu spät um ihn in die Kiste des Doktors zu legen. Den Brief hätte ich auch mit der Ware geschickt, aber Herr Andrega hat mich gefragt, ob er ihn für mich mitnehmen solle. Dieses Angebot durfte ich nicht abschlagen. Er hat mich gefragt, ob mein Mann mir auch von der Rechnung für die Warensteuer erzählt hat, die er für Euch bezahlt hat. Ich habe mit nein geantwortet. Ich ersuche um einen möglichst baldigen Brief und schreibt vor allem Vater, dass das Schiff ausläuft. Meinem Vogel geht es wieder besser und ich habe so viel Gesellschaft von meinem kleinen Hund, als wäre es ein Kind. Viele Leute lassen ihre Grüsse ausrichten: Gappen und Scanna, Vater und Mutter, die Schwestern und Brüder, die Familie, die guten Freunden und unsere Catryna. Nach dem ich Euch, mein Liebster, in den Schutz des Allmächtigen befohlen habe, seid tausendmal in meinen Gedanken umarmt. Seid von mir gegrüsst. Ich verbleibe hiermit, mein lieber Mann, Eure liebendhabende Frau M. Buyk, geborene Kleynhens. Gute Nacht, Liebster. Das Schlüsselchen ist hier drin.

6.3.3. Historische Texte 6.3.3.1. Jan Wagenaar, Vaderlandsche Historie Wie ein Historiker im 18. Jh. Geschichte schrieb, zeigt Jan Wagenaars unten stehende Beschreibung der Einnahme Den Briels, die auch Hooft in seinen Historien (vgl.  5.3.3.1.) dargestellt hatte. En terwyl men hierop peinsde, geviel ’t, dat Koningin Elizabet, geperst door den Hertog van Alva, die, in deezen winter, de vredehandeling, aan ’t Engelsche Hof, sterk hadt voortgezet; den Graave van der Mark en den zynen beval, het Ryk te ruimen. De Koningin zogt, in deezen

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tyd, den Koning van Spanje te vriend te hebben, bedugt, dat hy, anderszins, de Schotten, die zy van zig afhangkelyk wilde maaken, te veel ondersteunen zou. Hierom besloot zy te eerder Alva te believen, met het verdryven van ’s Prinsen Vloote. Lumei dan, van den nood eene deugd maakende, loopt, aan ’t hoofd van vierentwintig schepen, met eenen gunstigen wind in zee, koers zettende naar Texel, om daar Alvas schepen aan te tasten, of de eene of de andere Stad te verrassen. Onderweg, neemt hy twee Koopvaardyschepen, die uit Spanje kwamen. Kort hierna, keert de wind. En toen eerst besluit men den mond der Maaze in te loopen, en Briele, dat nu geene bezetting inhadt, te bemagtigen. Twee schepen, gevoerd door de Hopluiden Marinus Brand en Daam zeilen dan vooruit: de anderen vierentwintig, waar­onder de twee genomen’ schepen, volgen. Allen streeken zy voor ’t hoofd van den Briele, op den eersten van Grasmaand, omtrent twee uuren na den middag. De Ingezetenen der Stede stonden verbaasd, over zo groot een getal van Koopvaardyschepen; want daarvoor hieldenze ’s Prinsen Vloote. Niemant dagt om de Watergeuzen. De Veerman Jan Pieterszoon Koppe­stok was de eerste, dien ’t inviel. Hy ontdekte zyne meening aan eenige luiden, welken hy, van Maaslandssluis naar den Briel, brengen moest: die, den naam van Watergeuzen hoorende, zo verschrikten, dat zy zig te rug en aan land zetten deeden. Maar Koppestok, niets te verliezen hebbende, roeit der Vloote aan boord, en vraagt naar Treslong, wel bekend in deezen oord, alzo zyn Vader Baljuw van den Briele geweest was. Treslong brengt den man by Lumei, zeggende, dat deez’ de regte was, om hun dienst te doen. Men zendt hem dan naar de Stad, hem, voor geloofsbrief, Treslongs zegelring medegeevende, dien men wist by die van de Wet kenbaar te zyn. Hy roeit aan land, neemt gang naar de Poorte, die hem geopend wordt, en voorts naar ’t Stadhuis. Den Raad, hier byeen gekomen, dient hy aan „dat hem, by den Graave van der Mark, Treslong en andere Hopluiden des Prinsen van Oranje, gevergd was, te verzoeken, dat de Wethouderschap twee gemagtigden naar buiten wilde schikken. Hun zou geen leed geschieden, alzo de Vloot daar tot geen ander einde gekomen was, dan om hen van den tienden Penning te verlossen, en tegen Alvas dwinglandy te beschermen.“ Te gelyk toont hy den ring, ’t bewys van zynen last. Jan Pieterszoon Nikker, de oudste Burgemeester, vraagt hem, hoe sterk de Vloot bemand ware? waarop hy, min uit list dan uit losheid, antwoordt, wel met vyfduizend man. Toen stemde men, terstond, tot bezending: doch niemant wilde ’er aan. Eindelyk kreeg ’er de Veerman twee mede. De Graaf, die hen, in een huis tusschen de Stad en ’t hoofd, wagtte, eischte de Stad op, uit den naam des Prinsen van Oranje, als Stadhouder des Konings, en geeft hun twee uuren tyds van beraad. De tyding hiervan kwam naauwlyks in de Stad, of elk viel aan ’t zakken, en pakken, en vlugten, ter Zuidpoorte uit.’s Graaven volk, midlerwyl, te land gestapt, rukt aan tot voor de Water- of Noordpoort, vraagende, of men hen, dan of zy zig zelven zouden binnen helpen? De Wethouderschap ’t stuk in beraad leggende, stemde Nikker ’t eerst tot de overgaave. Hy werdt, terstond, van Klaas Janszoon Koekebakker gevolgd, en toen van alle de anderen. Nogtans, marde men met antwoorden. Lumei dan, ziende de uuren van beraad verstreeken, zendt Treslong, met een deel volk, naar de Zuidpoorte, daar hy den Rentmeester, Joan van Duivenvoerde, aantreft, gezind te vlugten: dien hy tot blyven dringt. De Graaf zelf trekt naar de Noordpoort, daar Roobol, zyn volk takken, rys, stroo en pek hebbende doen byeen brengen, den brand in steekt. Voorts werdt zy, met een eind van een’ mast, opgeloopen. Des

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avonds tusschen agt en negen uuren, was men der Stad meester; Lumei de Noord-, en Treslong de Zuidpoorte intrekkende, met tweehonderdvyftig man in alles, ten deele Luikerwaalen, gelyk Lumei zelf was, ten deele gevlugte Nederlanders. De naamen der voornaamsten, die, met het inneemen van den Briel, den grondslag van ’t gebouw der Vaderlandsche vryheid gelegd hebben, zyn, dat wonder is, nergens naauwkeurig aangetekend. By verscheiden’ schryvers, vinden wy de volgenden genoemd: Willem, Heer van Lumei, Graaf van der Mark, Barthold Entes van Mentheda, Onder-Admiraal, Willem van Blois van Treslong, Kornelis Geerlofszoon Roobol, Jakob Simonszoon de Ryk, Marinus Brand, Hopman Daam, Jonkheer Lancelot van Brederode, Jonkheer Adriaan van Zwieten, Nikolaas Ruikhaver, Jan Klaaszoon Spiegel, Dirk Duivel, Jonkheer Jakob Kabel­jaauw, Willem de Graaf van Gend, Wouter Franszoon, Fokke en Jan Abelszoonen, Hopman Looi of Eloi, Hopman Gilain, Hopman Jelmer, Maarten Merous, Gillis Steltman, Jaques Hennebert, Henrik Thomaszoon, Ellerd Vlierhop, Bruin van Utrecht, Kornelis Louwszoon van Everdingen, Jakob Anthoniszoon en Salomon van der Hoeve, voorheen Baljuw van Schiedam, en naderhand van ’s Graavenhaage. Voorts leest men, dat een der twee Koopvaardyschepen, door Lumei, onderweg, genomen, gevoerd werdt, door Oom Hedding Dovelens van Antwerpen. Na dat de Stad over was, werden, ’s anderendaags, Kerken en Kloosters overvallen, geschonden, beroofd. Doch men verschoonde de burgery. Lumei hadt geen verder wit, dan de Stad te plonderen, en wederom te verlaaten. Doch Entes, Treslong, de Ryk en Dirk Duivel, zig hiertegen kantende, bewoogen hem, ’s Prinsen goeddunken eerst af te wagten, en, midlerwyl, de Stad te sterken, gelyk geschiedde. De Hertog van Alva ontving de tyding van ’t inneemen van den Briel, dien men voor den sleutel van Holland hieldt, met geene kleine verbaasdheid, schoon hy, uiterlyk, goed gelaat toonde. Terstond staakte hy het geweldig heffen des tienden Pennings, te Brussel, en zondt bevel aan den Graave van Bossu, in den Haage, om, met het Regiment van Lombardye, dat toen in Utrecht lag, in alleryl, naar den Briel, te trekken, en de Plaats te herwinnen, eer menze versterken kon. Doch Bossu was hem reeds voorgekomen. Hy hadt zo dra niet vernomen, dat Briele over was, of hy begaf zig naar Maaslandssluis, en ontboodt aldaar het Regiment van Lombardye, dat onder Don Ferdinand de Toledo stondt, by zig. Regt tydig, verliet dit volk de Stad Utrecht, alwaar, in deeze zelfde week, eene muitery broeide onder de Spanjaards, misnoegd, om dat men hun vyftien maanden soldy schuldig bleef. Men wil, dat zy niets minder beoogden, dan de plondering der Stad, waartoe zy den tyd van eenen plegtigen ommegang, op Wittendonderdag, wilden waarneemen. Doch de toeleg werdt ontdekt, en met het vangen en straffen van ’t hoofd der oproerigen gestuit. Bossu voerde dit Krygsvolk, van Maaslandsluis, in vyfentwintig vaartuigen, over, naar Geervliet, in ’t Land van Putten, van waar hy, door ’t water Bornisse, daar de schepen leggen bleeven, ligtelyk, op ’t Eiland van Voorne geraaken kon. Toen trok hy regt aan op den Briele, in verwagting dat de Stad hem terstond opgegeven zou worden, waarom hy geen grof geschut hadt medegevoerd. Doch dit mislukte hem. Hy werdt, uit de boomgaarden onder de Stad, die gestoffeerd lagen met Geu­zen, raauwelyk, met handgeschut begroet. Ook sprong de Stads timmerman, Rochus Meeuws­zoon, in ’t water, en sloeg ’t Nieuwlands sluisje open, waardoor de binnenwegen on-

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der liepen. Bossu moest toen, den Nieuwlandschen dyk langs, aantrekken op de Zuidpoorte, daar men ’t grof geschut op hem los brandde. Ten zelfden tyde, vaaren Treslong en Roobol, met eenig volk, naar Bornisse, daar zy de Spaansche schepen ten deele in brand steeken, ten deele in den grond booren. De Spanjaards, ondertusschen, ’t water ziende wassen, begeeven zig op de vlugt, en brengen ’t, al zwemmende en waadende, door Bornisse, op Putten, en voorts op nieuw Beyerland. Lumei, de Brielenaars mistrouwende, durfde de Spanjaards niet vervolgen, die anders grooter neêrlaag geleeden zouden hebben. Twee dagen na deeze zege, die, op Paaschavond, den vyfden van Grasmaand, behaald was, monsterde de Graaf de Opgezetenen van ’t Land van Voorne, en deedt hen zweeren, dat zy de Stad, voor den Prinse, als Stadhouder des Konings over Holland, zouden houden. Oranje toonde egter weinig genoegen over ’t bemagtigen van den Briel, dat hem ontydig scheen. (Wagenaar 1789, 341–348) Jan Wagenaars Werk wurde als Allgemeine Geschichte der Vereinigten Niederlande, von den ältesten bis auf gegenwärtige Zeiten, aus den glaubwürdigsten Schriftstellern und bewährten Urkunden verfasset. in Leipzig publiziert; 1758 erschien 3.Teil. 23. Buch. Unterdessen, da sie hierauf sannen, trug es sich zu, dass die Königinn Elisabeth, auf dringendes Anhalten des Herzogs von Alba, welcher in diesem Winter die Friedensunterhandlungen am Englischen Hofe stark getrieben hatte, dem Grafen von der Mark und den Seinigen andeuten liess, das Königreich zu räumen. Die Königinn suchte, zu dieser Zeit, die Freundschaft des Königs von Spanien, weil ihr bange war, dass er sonst die Schotten, die sie von sich abhängig machen wollte, zu sehr unterstützen würde. Aus dieser Ursache beschloss sie desto eher sich gegen den Herzog von Alba durch Vertreibung der Flotte des Prinzen gefällig zu bezeigen. Lumei, der nun aus der Noth eine Tugend machen musste, ging nebst vier und zwanzig Schiffen, mit einem günstigen Winde unter Segel, und richtete seinen Lauf nach dem Texel, um daselbst die Schiffe des Herzogs anzugreifen, oder eine oder andere Stadt durch einen Ueberfall wegzunehmen. Unterweges bemächtigte er sich zweyer aus Spanien kommender Kauffahrtenschiffe. Bald darauf wandte sich der Wind; und damals erst beschloss man in die Mündung der Maas einzulaufen, und Briel, welches itzo keine Besatzung hatte, wegzunehmen. Zwey Schiffe, welche von den Hauptleuten Marinus Brand und Daam geführet wurden, segelten also voraus; die anderen vier und zwanzig, worunter die zwey eroberten Schiffe waren, fol­ geten nach. Alle mit einander legten sich am 1sten April, um zwey Uhr nach Mittage, vor dem Hafen von Briel vor Anker. Die Einwohner der Stadt verwunderten sich über eine so grosse Anzahl Kauffahrtenschiffe; denn dafür hielten sie des Prinzen Flotte. Niemand dachte an die Wassergeusen. Der Fährmann Johann Peterssohn Koppestok, war der erste, dem dieses einfiel. Er entdeckte seine Gedanken einigen Leuten, welche er von Maaslandssluis nach Briel führete; und wie diese die Wassergeusen nennen höreten, so erschracken sie so sehr, dass sie sich zurück bringen und an das Land setzen liessen. Aber Koppestok, der nichts zu verlieren hatte, ruderte an Bord der Flotte, und fragte nach Treslong, den man an diesem Orte wohl kannte, weil sein Vater Amtmann zu Briel gewesen war. Treslong führete den Mann zu Lumei, und

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sagte, dass dieser der rechte wäre, um ihnen Dienste zu thun. Man schickte ihn also nach der Stadt, und gab ihm, zur Beglaubigung, Treslongs Siegelring mit, welcher, wie man versichert war, den Rathspersonen kennbar seyn musste. Er ruderte an das Land, ging nach dem Thore, welches ihm geöffnet ward, und darauf nach dem Rathhause. Als der Rath sich versammlet hatte, brachte er bey demselben an, „dass ihm von dem Grafen von der Mark, Treslong und andern Hauptleuten des Prinzen von Oranien aufgetragen wäre, bey dem Rathe Ansuchung zu thun, dass er zween Gevollmächtigten heraus schicken mögte. Ihnen sollte kein Leid wiederfahren, weil die Flotte zu keinem andern Ende dahin gekommen wäre, als um sie von dem zehenten Pfenninge zu befreyen und wider des Herzogs von Alba Tyranney zu beschützen.“ Zugleich zeigte er den Ring, als einen Beweis des ihm gegebenen Befehles, vor. Der älteste Bürgermeister, Johann Peterssohn Nikker fragte ihn, wie stark die Flotte bemannet wäre? worauf er nicht so sehr aus List, als Leichtsinnigkeit antwortete: mit fünf tausend Mann. Hierauf entschloss man sich so gleich zur Absendung der Gevollmächtigten: allein Niemand wollte diese Verrichtung übernehmen. Endlich bekam der Fährmann doch zweene mit sich. Der Graf, welcher sie in einem Hause zwischen der Stadt und dem Hafen erwartete, forderte die Stadt, im Namen des Prinzen von Oranien, als königlichen Statthalters auf, und gab ihr zwo Stunden Bedenkzeit. So bald die Nachricht hievon in die Stadt kam, fing ein jeder an einzupacken und aus dem Süderthore die Flucht zu nehmen. Das Schiffsvolk des Grafen, welches mittlerweile an das Land gestiegen war, rückte vor das Wasser- oder Norderthor, und fragte, ob man sie herein lassen wollte, oder ob sie sich selbst das Thor öffnen sollten? Als der Rath die Sache in Erwägung zog, gab Nikker seine Stimme zuerst zur Uebergabe. Ihm folgete so gleich Nicolaus Johannssohn Koekebakker, und so dann alle andern. Dem ungeachtet verzögerte man mit der Antwort. Als nun die zwo zur Bedenkzeit gegebene Stunden verlaufen waren, so schickte der Graf den Hauptmann Treslong mit einem Theile des Volkes nach dem Süderthore, welcher daselbst den Rentmeister Johann von Duivenvoorde auf der Flucht antraf und ihn zu bleiben nöthigte. Der Graf selbst begab sich nach dem Norderthore, wo Roobol von seinem Volke Aeste, Reisig, Stroh und Pech hatte zusammen bringen lassen, und dasselbe in Brand steckte. Es ward endlich mit dem Ende eines Mastes aufgerennt. Des Abends zwischen acht und neun Uhr war man von der Stadt Meister, und Lumei zog in das Norder-Treslong aber in das Süderthor ein. Ihr Volk bestund in allem aus zwey hundert und funfzig Mann, die theils Lüttichische Wallonen, gleichwie Lumei selbst, theils geflüchtete Niederländer waren. Die Namen der vornehmsten, welche durch die Einnahme von Briel, den Grund zu dem Gebäude der Niederländischen Freyheit geleget haben, sind, worüber man sich wundern muss, nirgends richtig aufgezeichnet. Bey verschiedenen Geschichtschreibern finden wir die folgenden genannt: Wilhelm, Herr von Lumei, Graf von der Mark, Barthold Entes von Mentheda, Unteradmiral, Wilhelm von Blois von Treslong, Cornelius Geerlofssohn Roobol, Jacob Simonssohn de Ryk, Marinus Brand, Hauptmann Daam, Lancelot von Brederode, Adrian van Zwieten, Nicolaus Ruikhaver, Johann Klaassohn Spiegel, Dieterich Duivel, Jacob Kabeljaauw, Wilhelm de Graaf von Gend, Walter Franzsohn, Fokke und Johann Abelssöhne, Hauptmann Looi oder Eloi, Hauptmann Gilain, Hauptmann Jelmer, Martin Merous, Gillis Steltman, Jacques Hennebert, Henrich Thomassohn, Ellerd Vlierhop, Bruin von Utrecht, Cornelius Louwssohn von Everdingen, Jacob

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Antonssohn und Salomon van der Hoeve, vormaliger Amtmann zu Schiedam und nachher zu Graavenhaage. Ferner findet man, dass eines der unterweges von Lumei weggenommenen Kauffahrtenschiffe von Om Hedding Dovelens von Antwerpen geführet worden sey. Nachdem die Stadt übergegangen war, so wurden den folgenden Tag, Kirchen und Klöster überfallen, übel zugerichtet und beraubet. Allein man verschonete die Bürgerschaft. Lumei hatte keine andere Absicht als die Stadt zu plündern und wieder zu verlassen. Allein Entes, Treslong, de Ryk und Duivel setzten sich dagegen, und bewogen ihn des Prinzen Gutachten erst zu erwarten und mittlerweile die Stadt zu befestigen, so wie auch geschahe. Der Herzog von Alba empfing die Zeitung von der Einnahme der Stadt Briel, welche man für den Schlüssel von Holland hielt, mit keiner geringen Bestürzung, ob er sich gleich solches äusserlich nicht merken liess. Er hielt gleich mit der gewaltsamen Einforderung des zehenten Pfennings zu Brüssel ein, und schickte dem Grafen von Bossu in dem Haag den Befehl, mit dem Regiment von Lombardey, welches damals in Utrecht lag, in aller Eile nach Briel zu gehen, und den Ort wieder wegzunehmen, ehe man ihn befestigen könnte. Allein Bossu war ihm schon zuvorgekommen. So bald er nur gehöret hatte, dass Briel erobert wäre, begab er sich nach Maaslandssluis, und befehligte das Regiment von Lombardey, welches unter Don Ferdinand de Toledo stund, dahin zu ihm zu kommen. Dieses Kriegsvolk verliess die Stadt Utrecht eben zu rechter Zeit, weil unter den Spaniern, welche missvergnügt waren, dass man ihnen einen fünfmonatlichen Rückstand ihres Soldes nicht bezahlete, ein Aufruhr keimete. Man sagt, dass ihre Absicht gewesen sey die Stadt zu plündern, und dass sie dieses, bey Gelegenheit eines feierlichen Aufzuges am grünen Donnerstage, hätten bewerkstelligen wollen. Allein der Anschlag ward entdeckt und durch Gefangennehmung und Bestrafung des Rädelsführers hintertrieben. Der Graf von Bossu führete diese Truppen von Maaslandssluis, in fünf und zwanzig Fahrzeugen, nach Geervliet, in das Land Putten herüber, von wannen er durch das Wasser Bornisse, wo die Schiffe liegen blieben, leicht auf die Insel Voorne kommen konnte. So dann rückte er gerade gegen Briel heran, in Hoffnung, dass man ihm die Stadt so gleich übergeben würde, weswegen er kein grobes Geschütze mitgebracht hatte. Allein dies schlug fehl. Er ward aus den Baumgärten unterhalb der Stadt, welche voller Geusen lagen, mit dem kleinen Gewehre sehr übel empfangen. Es sprang auch der Stadtzimmermann Rochus Meeuwssohn in das Wasser, und öffnete die Nieuwlandsschleuse, wodurch die Wege voll Wasser liefen. Bossu musste so dann auf dem Nieuwlandischen Damme gegen das Sü­ derthor heranrücken, wo man mit dem groben Geschütze auf ihn feurete. Zu gleicher Zeit fuhren Treslong und Roobol mit einigem Volke nach Bornisse, und steckte die Spanischen Schiffe theils in Brand, theils bohrete er sie in den Grund. Als die Spanier indessen das Wasser heran wachsen sahen, so begaben sie sich auf die Flucht, und kamen schwimmend und watend durch Bornisse nach Putten, und ferner nach neu Beyerland. Lumei, welcher den Brielern nicht recht trauete, durfte es nicht wagen, die Spanier zu verfolgen, die sonst eine grössere Niederlage erlitten haben würden. Zween Tage nach diesem Siege, welcher den 5ten April, am Osterabend, erhalten ward, liess er die Einwohner des Landes Voorne zusammen kommen und schwören, dass sie die Stadt für den Prinzen von Oranien, als Statthaltern des

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6. Das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit (1650 bis 1800)

Königs über Holland, besetzet halten wollten. Der Prinz bezeigete jedoch keinen grossen Gefallen über die Einnahme von Briel, welche ihm zu frühzeitig schien. (Wagenaar 1758, 154–157)

6.3.4. Religiöse Texte 6.3.4.1. Afrikaanse Bibel, Psalm 68 und 69 Die in Kapitel 3 zitierten ältesten überlieferten niederländischen Psalmen (vgl. 3.3.1.2.) lauten in Afrikaans (vgl. 6.1.1.2.) wie folgt: PSALM 68 Die oorwinning van die God van Israel. VIR die musiekleier. Van Dawid. ’n Psalm. ’n Lied. 2) God staan op, sy vyande raak verstrooid, en sy haters vlug voor sy aangesig weg! 3) Soos rook verdryf word, verdryf U hulle; soos was smelt voor die vuur, vergaan die goddelose voor die aangesig van God. 4) Maar die regverdiges is bly, hulle juig voor die aangesig van God, en hulle is vrolik met blydskap. 5) Sing tot eer van God, psalmsing tot eer van sy Naam, vul die pad op vir Hom wat deur die woestynvlaktes ry: HERE is sy Naam; en jubel voor sy aangesig! 6) ’n Vader van die wese en ’n regter van die weduwees is God in sy heilige woning. 7) God laat die eensames woon in ’n huisgesin, Hy lei die gevangene uit in voorspoed; maar die wederstrewiges woon in ’n dor land. 8) o God, toe U uitgetrek het voor u volk, toe U voortgestap het in die wildernis, Sela, 9) het die aarde gebewe! Ook het die hemele gedrup voor die aangesig van God; hierdie Sinai voor die aangesig van God, die God van Israel! 10) Met ’n milde reën het U, o God, u erfdeel besproei; en as dit moeg was, het U dit versterk. 11) U skare het daarin gewoon; U het dit in u goedheid reggemaak vir die ellendige, o God! 12) Die Here het die woord gegee – die vroue wat die goeie tyding gebring het, was ’n groot skare: 13) Die konings van die leërskare vlug, hulle vlug; en sy wat tuis gebly het, verdeel die buit. 14) As julle daar lê tussen die veekrale, is die vlerke van die duif oordek met silwer en sy vleuels met liggroen goud. 15) Toe die Almagtige konings daarin verstrooi het, het dit gesneeu op Salmon. 16) ’n Berg van God is die berg Basan, ’n berg met toppe is die berg Basan. 17) Waarom kyk julle afgunstig, o berge met toppe, na die berg wat God begeer het vir sy woning? Ja die HERE sal daar woon tot in ewigheid. 18) Die waens van God is tienduisende, duisendmaal duisende; die Here is onder hulle; dit is Sinai in heiligheid.

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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19) U het opgeklim na die hoogte, U het gevangene weggevoer, U het geskenke geneem onder die mense; ja ook wederstrewiges om daar te woon, o HERE God! 20) Geloof sy die Here! Dag ná dag dra Hy ons; God is ons heil! Sela. 21) God is vir ons ’n God van verlossinge, en die HERE Here het uitkomste teen die dood. 22) Gewis, God sal die kop van sy vyande verbrysel, die harige skedel van hom wat in sy sondeskuld rondwandel. 23) Die Here het gesê: Ek sal terugbring uit Basan, Ek sal terugbring uit die dieptes van die see; 24) sodat jy jou voet kan steek in bloed, die tong van jou honde van die vyande sy deel kan hê. 25) o God, hulle sien u optogte, die optogte van my God, my Koning in die heiligdom. 26) Vooraan gaan die sangers, daaragter die snaarspelers, tussen jongmeisies in wat die tamboeryn slaan. 27) Loof God, die Here in die vergaderinge, julle wat is uit die fontein van Israel! 28) Daar is Benjamin, die kleinste, wat oor hulle geheers het; die vorste van Juda–hulle menigte; die vorste van Sébulon, die vorste van Náftali. 29) Jou God het jou sterkte gebied: betoon U sterk, o God, wat vir ons gewerk het! 30) Terwille van u tempel in Jerusalem sal die konings aan U geskenke bring. 31) Dreig die wilde gedierte van die riet – die trop stiere saam met die kalwers van die volke – die wat hulleself onderwerp met stukke silwer. Hy het die volke verstrooi wat lus het in oorloë. 32) Edeles sal uit Egipte kom, Kus sal haastig sy hande uitsteek na God. 33) o Koninkryke van die aarde, sing tot eer van God; psalmsing die Here! Sela. 34) Vir Hom wat ry in die hoogste hemele, wat uit die voortyd is; kyk, Hy verhef sy stem, ’n magtige stem. 35) Gee sterkte aan God! Sy hoogheid is oor Israel en sy sterkte in die wolke. 36) Vreeslik is God uit jou heiligdomme, o Israel! Die God van Israel – Hy gee aan die volk sterkte en kragte. Geloof sy God! (Bybel 1944, 559–560) PSALM 69 Die martelaar. VIR die musiekleier; op die wysie van: „Lelies.“ ’n Psalm van Dawid. 2) Verlos my, o God, want die waters het tot by die siel gekom. 3) Ek sink in grondelose modder waar geen staanplek is nie; ek het in waterdieptes gekom, en die stroom loop oor my. 4) Ek is moeg van my geroep, my keel brand, my oë versmag terwyl ek wag op my God. 5) Die wat my sonder oorsaak haat, is meer as die hare van my hoof; die wat klaar staan om my te vernietig, wat sonder grond my vyande is, is magtig; wat ek nie geroof het nie, moet ek dan teruggee. 6) o God, Ú weet van my dwaasheid, en my skuldige dade is vir U nie verborge nie.

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6. Das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit (1650 bis 1800)

7) Laat deur my nie beskaamd staan die wat U verwag nie, o Here, HERE van die leërskare! Laat deur my nie in die skande kom die wat U soek nie, o God van Israel! 8) Want om U ontwil dra ek smaad, bedek skande my aangesig. 9) Vreemd het ek vir my broers geword en ’n onbekende vir die seuns van my moeder. 10) Want die ywer vir u huis het my verteer, en die smaadhede van die wat U smaad, het op my geval. 11) Wat my aangaan, my siel het geween met vas; maar dit het smaadhede vir my geword. 12) Ek het ook ’n rougewaad my kleding gemaak en vir hulle ’n spreekwoord geword. 13) Die wat in die poort sit, praat van my – ook die spotlied van die wat sterke drank drink. 14) Maar ek – my gebed is tot U, o HERE: in die tyd van genade, o God, verhoor my deur die grootheid van u goedertierenheid, deur die trou van u heil! 15) Red my uit die modder en laat my nie sink nie; laat my gered word van my haters en uit waterdieptes! 16) Laat die waterstroom nie oor my loop en die diepte my nie verslind nie, en laat die put sy mond bo my nie toesluit nie. 17) Verhoor my, o HERE, want u goedertierenheid is goed; wend U tot my na die grootheid van u barmhartighede! 18) En verberg u aangesig nie vir u kneg nie; want ek is benoud. Verhoor my dan gou! 19) Kom nader na my siel, verlos dit; bevry my om my vyande ontwil. 20) U ken my smaad en my beskaming en my skande; al my teëstanders is voor U. 21) Die smaad breek my hart en ek moet bewe; ja ek het gewag op medelyde, maar verniet; en op vertroosters, maar het hulle nie gevind nie. 22) En hulle het aan my gal gegee as my spyse, en vir my dors het hulle my asyn laat drink. 23) Laat hul tafel voor hulle ’n vangnet wees en vir hulle wat in vrede is, ’n strik. 24) Laat hulle oë duister word, sodat hulle nie sien nie; en maak dat hulle heupe altyddeur wankel. 25) Stort oor hulle u grimmigheid uit, en laat u toorngloed hulle inhaal. 26) Laat hulle laer woes word, laat in hulle tente geen bewoner wees nie. 27) Want hulle vervolg hom wat deur Ú swaar getref is, en vertel van die smart van u gewondes. 28) Voeg skuld by hulle skuld, en laat hulle nie in u geregtigheid kom nie. 29) Laat hulle uitgedelg word uit die boek van die lewe en nie saam met die regverdiges opgeskrywe word nie. 30) Maar ek is ellendig en in pyn: laat u hulp, o God, my beskerm! 31) Ek wil die Naam van God prys met ’n lied en Hom groot maak met danksegging; 32) en dit sal die HERE welgevalliger wees as beeste, as stiere wat horings en gesplitste kloue het. 33) As die sagmoediges dit sien, sal hulle bly wees; julle wat na God soek – laat julle hart lewe! 34) Want die HERE luister na die behoeftiges en verag sy gevangene nie. 35) Laat hemel en aarde Hom prys, die see en alles wat daarin roer. 36) Want God sal Sion verlos en die stede van Juda bou; en daar sal hulle woon en dit besit.

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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37) En die nageslag van sy knegte sal dit beërwe, en die liefhebbers van sy Naam sal daarin woon. (Bybel 1944, 560–561) Für eine zeitgenössische deutsche Übersetzung der Psalmen 68 und 69 siehe 3.3.1.2.

6.3.5. Journalistische Texte Justus van Effen (vgl. 6.1.3.1., 6.2.4.1.) stimulierte den Gebrauch von gepflegtem Niederländisch. So beinhaltet Ausgabe 5 einen Brief eines gewissen Herrn N.N. Geoctroyeerd Woordemaker, der einen goldenen Mittelweg zwischen einerseits der Gewohnheit, zu viele Wörter zu gebrauchen, und andererseits der Gewohnheit, zu viele Purismen zu benutzen, empfiehlt. In der Ausgabe 202 wird über den Gebrauch französischer Modewörter gespottet. 6.3.5.1. Justus van Effen, De Hollandsche Spectator No. 5, Den 17. September 1731 […] Wy Hollanders zyn, om zo te zeggen, de Pheniciers der laatste tyden geweest, en hebben meer, als oit eenig ander Volk, de Scheepvaart en Koophandel behartigd, en wyd en zyd uitgestrekt. Onze Taal is ook in benamingen en uitdrukkingen van al het geen daar toe behoort, overvloedig, en onze Nabuuren hebben in ’t minst geen zwarigheid gemaakt, om verscheidene derzelve in hunne spraak over te nemen. Wie ziet niet, by voorbeeld, dat de volgende woorden door de Franschen gebruikt: Mast, Quille, Hisser, Bord, Babord, Stribord. Touer, en veel anderen, oorspronkelyk Nederduitsch zyn? ’t Uitvinden van het Busch-pulver heeft de gansche Krygskunde en Vestingbouw verandert, en nieuwe zaken hebben nieuwe namen voor den dag gebracht, die van geheel Europa zyn aangenomen, en alle Taalen, met eenige geschiktheid naar der zelver aart, ingelyft. Wy hebben de zelven, nevens anderen, langen tyd met veel gerustheid gebruikt, en ’t is maar zedert een korten tyd, dat zommige onder ons dezelven, zonder reden, tegens zo gezegd zuiver Duitsch hebben willen verwisselen. ’t Is ook natuurlyk te begrypen, dat onze onderwerping aan vreemde Vorsten, en voornamentlyk aan ’t Huis van Burgondien, vreemde en wel meest Fransche woorden, het Nederduitsch zal hebben toegevoegd. ’t Gebruik, aan ’t welk alleen Horatius en de reden ’t recht van woorden in te voeren, opdroegen, heeft dezelven bevestigd, en Duitsch gemaakt; ieder erkend ze, verstaat ze, bediend ’er zich van; zy hebben in onze spraak haar burgerrecht verkregen, zy verzachten, vercieren, en verryken de zelve. Wat schyn van reden kan ons aanporren, om de zelve te verwerpen? Hoor eens, Heeren Zuiveraars, is het wel billyk, dat wy viezer vallen op eenige klanken onverschillig in haar Natuur, als op de menschen, die met ons mede-leden van ’t zelfde Gemeene-best zyn? Wat zouden de Heeren zeggen, indien eens iemand voorsloeg, dat het onze Landaard tot schande strekt, vermengt te zyn met zo veel luiden van ander Volken afkomstig, dat het land van zulken moest gezuiverd

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worden, door oorspronkelyke Nederlanders alleen bewoond; Wat zou je zeggen, indien men aan ’t uytvoeren van zo een fraay voorneemen teeg. Hier jy, je Voorvaders waren Schotten, je hoort hier niet, en jy vriend, jy zyt van Waalen afkomst, pak op je goedje, en gaat waar je van daan gekoomen zyt. Jy Fransjes voornamentlyk, je zyt de nieuwste van allen; wy willen zulk volkje hier niet meer dulden. Zouden de Heeren zulks niet van de uiterste onreedelykheid en belachelykheid vinden, dat men zo veel eerlyke en brave Luyden, en die zo veel tot het wel zyn, en tot de gelukkige toestand van ’t Vaderland, toe brengen, om zo eene dwaase beweegreeden verjoeg en verschopte? Brengt zulks dog eens over tot uwe Taal-zuyvering, je zult zien, dat ’er de zelfde dwaasheid, en bespottelykheid volmaaktelyk in steekt. Maar laten wy eens wat verder gaan. Hoe komen de Heeren doch aan het recht van zig Meesters van onze taal te maken, en ’er me te speelen, als Jan Potagie met zyn Muts. Hebben de Staten hun daar toe in behoorlyke forma last gegeven? is hun zulks als door eene stilzwygende overeenstemming der mede burgeren toegestaan? Of heeft de natuur zelfs haar zo een ongehoord gesag gegeven. Is ’t zo met de zaak geleegen, zo zoude ik vermeinen dat ik, en honderd duizend anderen met my ’t zelfde voorrecht hebben. Kom aan dan, lustig, allegaar aan ’t zuiveren, en aan ’t woorden smeeden. Jy verschopt zo eene uytdrukking, om dat dezelve van Vrankryk, of van Roome komt, en je maakt een ander in de plaats: ’t is wel, maar ik met het zelfde recht vind goed, die opening met een van myn maakzels te stoppen. Een derde gebruykt zyne aangeboren macht om met een van de zynen, dit gebrek te vervullen. ’t Gaat wonderlyk wel, hier hebben wy een staaltje van Babelsche spraakverwerring. Wy genieten yder de eer van een taal op ons eigen hand te hebben, maar met onze gemeene taal is het volstrektelyk uit; En ik weet geen ander hulpmiddel, als dat door ’t gezag van onze wettige Overheden een Woorde-makers Gild werde opgerecht, met verbod aan alle onderdanen van ergens anders als in de gepreviligeerde winkel hun voorraad van nieuwe woorden op te doen Ik wensche van harte dit myn voorstel gesmaakt te zien, en wel haast brieven te zien pronken met dit of diergelyk opschrift. Aan Myn Heer  De Heer NN. Geoctroyeerd Woordemaker Te Amsterdam. (Van Effen 1984, 38–40) Frei übersetzt heisst dies: Ausgabe 5, Den 17. September 1731 Wir Holländer sind, um es so zu sagen, die Phönizier der vergangenen Zeiten gewesen und haben mehr als jemals ein anderes Volk Schifffahrt und Handel beherzigt und über die ganze Welt ausgedehnt. Unsere Sprache ist auch in Benennungen und Ausdrücken mit allem, was dazu gehört, ergiebig, und unsere Nachbarn haben sich sehr wohl die Mühe gemacht, um verschiedene derselben in ihre Sprache zu übernehmen. Wer sieht nicht, dass beispielsweise

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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die folgenden Wörter und noch viele andere ursprünglich niederländische sind und durch die Franzosen verwendet werden? Mast, Quille, Hisser, Bord, Babord, Stribord, Touer? Die Erfindung des Schwarzpulvers hat die ganze Kriegskunde und den Festungsbau verändert, neue Dinge haben neue Namen an den Tag gebracht, die von ganz Europa übernommen wurden, und alle Sprachen wurden ohne grosse Mühe auf dieselbe Art angepasst und einverleibt. Wir haben dieselben, nebst anderen, lange Zeit mit grosser Zuversicht verwendet, und es ist bloss seit kurzer Zeit so, dass einige unter uns dieselben, ohne Grund, für das sogenannte reine Niederländische haben eintauschen wollen. Es ist natürlich auch zu begreifen, dass unsere Unterwerfung unter fremde Fürsten, insbesondere an das Burgundische Haus, fremde und zumeist auch französische Wörter, dem Niederländischen hinzugefügt haben wird. Der Brauch, dem allein Horaz und die Vernunft das Recht einräumten, Wörter einzuführen, hat diese bestätigt und zu niederländischen Wörtern gemacht; jeder erkennt sie, versteht sie, bedient sich ihrer; sie haben in unserer Sprache ihr Bürgerrecht erhalten, sie mildern ab, schmücken und bereichern sie. Was für ein Grund sollte uns dazu bewegen, dieselben zurückzuweisen? Hört mal, ihr Herren Reiniger, ist es denn tatsächlich so, dass wir gegenüber welcher Sorte von Lauten auch immer ungerechter sind als mit den Leuten, die derselben Gesellschaft angehören? Was würden die Herren sagen, wenn jemand einmal anbringen würde, dass es unserer Art schändlich sei, vermischt zu sein mit so vielen Leuten, die aus anderen Völkern stammen, sodass das Land von solchen gesäubert werden müsste und nur durch ursprüngliche Niederländer bewohnt werden dürfte? Was würdet ihr sagen, wenn man an der Ausführung einer solch hübschen Absicht beginnen würde. Du da, deine Vorväter waren Schotten, du gehörst nicht hierher, und Du, Freund, du stammst aus Wallonien, nimm dein Hab und Gut, und geh dorthin, woher du gekommen bist. Du Franzose vor allem, du bist der neueste von allen; wir wollen so ein Volk hier nicht mehr dulden. Würden die Herren solches nicht als äusserste Unredlichkeit und Lächerlichkeit betrachten, dass man so viele ehrliche und brave Leute, die so viel zum Wohl und zum glücklichen Zustand des Vaterlandes beitragen, um so einen törichten Beweggrund verjagen und vertreiben würde? Vergleicht dies doch mal mit eurer Sprachreinigung, man würde sehen, dass darin die vollkommen gleiche Torheit und Verspottung steckt. Aber gehen wir mal etwas weiter. Woher nehmen sich die Herren doch das Recht, sich zu Meistern unserer Sprache zu machen und damit zu spielen wie Hanswurst mit seiner Mütze? Haben die ‚Staten‘ ihnen dazu offiziell Auftrag gegeben? Ist ihnen solches wie durch eine stillschweigende Übereinstimmung der Mitbürger gestattet? Oder hat die Natur sogar der Sprache so eine unerhörte Macht gegeben? Wenn es so um die Sache bestellt ist, so würde ich meinen, dass ich und hunderttausend andere mit mir dasselbe Vorrecht haben. Kommt dann doch, fröhlich, alle zum Säubern und zum Worte Schmieden. Man vertreibt so einen Ausdruck, weil derselbe aus Frankreich oder aus Rom kommt, und macht stattdessen einen anderen: es ist schon in Ordnung, aber ich mit demselben Recht finde es gut, die Lücke mit einer meiner Schöpfungen zu füllen. Ein dritter verwendet seine angeborene Macht, um diese Lücke mit einer der seinigen auszufüllen. Es geht sonderbar gut, hier haben wir einen Fall von babylonischer Sprachverwirrung. Jeder von uns geniesst es, das Ansehen einer Sprache für sich verbuchen zu können, aber mit unserer gemeinsamen Sprache ist es

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vollkommen vorbei; und ich weiss kein anderes Hilfsmittel, als dass durch die Macht unserer gesetzlichen Obrigkeit eine Zunft von Wörtermachern gegründet würde, mit dem Verbot an alle Untertanen von irgendwo anders als in dem privilegierten Laden ihren Vorrat von neuen Wörtern zu gewinnen. Ich wünsche mir von Herzen, dass dieser von mir gemachte Vorschlag gefällt und dass ich auch bald Briefe mit dieser oder ähnlicher Aufschrift glänzen sehe. An meinen Herrn Den Herrn NN. Geoctroyeerd Woordemaker (‚patentierter Wörtermacher‘) Zu Amsterdam. [In der Ausgabe 202 kommt der unnötige Gebrauch von wichtig klingenden Wörtern zur Sprache. Dies wird dargelegt mit Hilfe eines Beitrages einer mässig geschulten Person, die mit französischen Modewörtern prahlt und diese mit allerlei ,galanten Ausdrücken‘ durcheinanderbringt. Dieser Korrespondent verzapft ausschliesslich Unsinn und macht auf diese Weise einen seltsamen Eindruck. Der Spectator reagiert darauf mit der Botschaft, dass Sprache dazu diene, Gedanken klar zu übermitteln, nicht um zu prahlen.] No. 202, Den 2. October 1733 Barbarus his ego sum, quia non intelligor ulli.1 ovid. Myn Heer Spectator, DEwyl iemand die uwe werken leest my verassereert2 heeft, dat je de vieste niet en zyt omtrent vreemde woorden met het duits gemengt, kan ik my aan niemand beter als aan u adderseeren om myn revens3 te krygen over eenige gravekeuren en afgronten, die myn onlangs om die reden zyn aangedaan. Je moet weten, dat ik, hoewel een ongestedeerd parsoon, een aartsliefhebber ben van hoffelyke espressien, en zo abendant4 ’er mee voor den dag koom, dat de buuren, als ik met ’er in conversacie raak, my met neus en mond aankyken, en niet (a) constipeeren kunnen waar ik het vandaan mag halen; Ja ze zeggen dat, ik zo (b) allokwent ben als Cicero zelf. ’t Is ook geen wonder; want voor eerst heb ik twee Champagnes gedaan, onder de Cavellery, en je weet dat den oorlog veul goeje instrueringen (c) suppelteert5. Ten tweede heb ik zeuven jaar gedient als koetsier by een Avekaat, die meer percessen en consolatien6 had, en compritien7 bywoonde als zeuven anderen van de alderbefaamsten, en die na ’t zeggen van al zyne goeje vrienden, een Ambessendeur8 of een Plenepotaris9 in welsprekendheid zou beschaamt hebben. […] [Der Spectator reagiert folgendermassen:] Vermids myn hoffelyke Correspondent met de geeischte publikatie de welke ik niet twyfel of zal den Lezer nut en vermakelyk voorkomen, zig te vrede houd, zal ik my maar bedienen

6.3. Textbeispiele des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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van de aanleiding, die zyn brief my geeft, om met eenige aanmerkingen rakende de taal, te beantwoorden den raad, van den Heer Philobelga, die my zo kragtig aanport, om met de uiterste hevigheid, op het spoor van myne Engelsche en Hoogduitsche voorgangers, onze taalmengers te keer te gaan. […] [Der Spectator teilt mit, dass er sich bereits früher dem Phänomen der Sprachmischer widmete, die mit französischen Wörtern prahlen, oft ohne irgendeine Ahnung von der französischen Sprache zu haben. Dem gegenüber steht aber, dass es vollkommen natürlich ist, wenn eine Sprache fremde Wörter aufnimmt. Vor allem das Englische ist hierfür bekannt und die Engländer machen daraus nicht das geringste Problem, wie die folgende Anekdote zeigt.] […] Ik heb eens een aardig geschil gehoort, hier te lande, tusschen een geestig Engelsman en een Hoogduitscher, die zyne moederspraak boven de Britsche waardeerde, niet alleen wegens haare oudheid, maar ook wegens haare zuiverheid, en oorspronkelyke rykdom, die zonder de minste uitheemsche hulp op haar zelve bestaan kon. De Brit, zig gelatende, als of hy afgetrokken van gedagten was geweest, en schielyk uit dien slaap ontwaakte, hield zig als of hy in de kleeding van zyn vriend groot behaagen schiep, en vroeg hem stuk voor stuk, van dewelke fabryk yder mogt wezen. De kanten wierden bevonden uit Braband te zyn, de koussen uit Engeland, ’t laken van Berlyn de zilvere Galons uit Vrankryk, en de hoed uit Groot Brittanje. Ik beken graag, wierd den Duitscher daar op toegevoegt, dat alles even keurlyk is en met een goede smaak t’zamen gevoegt; Dog het is jammer dat het zelve door een zeer weezentlyk gebrek zyn grootste luister verliest, vermids desselfs meeste dele hunne oorsprong niet uit Duitsch­land zelfs hebben. Dit met de grootste schyn van ernst uitgesprooken deed den Duitscher grimlachen, en antwoorden, dat hem die berisping zeer grillig voorkwam, en dat hy niet kon zien, wat ’er aan gelegen mogt zyn, of in zyn kleeding ’t vreemde met het vaderlandsche was vereenigt, indien dezelve maar gevoeglyk, aardig, en evenmatig zig vertoonde, en de beoogde uitwerking voortbracht, Men kan niet reedelyker spreeken, myn lieve Vriend, kreeg hy tot bescheid, maar ik bid u, laat ons uw zeggen eens op de waare natuur der talen toepassen. […] [Eine Sprache muss klar und verständlich sein und die Aufnahme fremder Wörter kann hierfür sehr wirksam sein.] […] Dog ’t gezegde belet geenzins, dat het eene dwaaze en laffe gemaaktheid zy, dat ieder een taal op zyn zelf spreekende, zo veel vreemde woorden, als hy by een sprokkelen kan, niet alleen zonder noodzakelykheid, maar ook zonder het minste nut en tegens het gezag van ’t algemeen gebruik, als met een grove paknaalde aan ’t ware duitsch ryge, en aldus de verstaanbaarheid, de grondregel aller talen, beleedige. ’t Is wel waar dat men hier door de goedkeuring en verwondering steelt, van onnozele menschen, die zig verbeelden dat alles fray is naar maten het hun begrip overtreft, duisterheid voor diepzinnigheid nemen, en de

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moeyelyke klaarheid en duidelykheid, als een teken van een gering en langs den grond kruipende verstand aanzien. Niets is zo gemeen als deze misvatting […]. [Der Spectator beendet seine Darlegung mit einem Beispiel eines Priesters, der seine Predigten mit Griechischem und Hebräischem spickt, was ihn sehr beliebt macht bei seiner Gemeinde, auch wenn man davon nichts verstehen kann. Dies illustriert den Irrtum, dass unverständlicher Sprachgebrauch höheres Ansehen verdient.] 1 Ik ben hier een Barbaar, wyl niemand my verstaat. Ovidius, Tristia V, 10, 37. 2 Verzekerd. 3 Revanche. 4 Verbastering van abondant: overmatig. (a) Concipieren, (b) Eloquent, (c) Suppediteert. 5 Verschaft. 6 Comparitiën, zittingen van de rechtbank. 7 Verm.: schikkingen. 8 Ambassadeur. 9 Plenipotentiaris, gevolmachtigde. (Van Effen 2001, 91–99) Bei den kursiv geschriebenen Wörtern der folgenden freien Übersetzung handelt es sich im Originaltext um Fremdwörter, die falsch geschrieben wurden. Wo möglich wurde versucht, diese Wörter auf gleiche oder ähnliche Weise auch im Deutschen zu verändern. Sie sind daher mit Absicht falsch geschrieben und sollen die falsche Verwendung von Fremdwörtern wiedergeben. No. 202, Den 2. Oktober 1733 Barbarus his ego sum, quia non intelligor ulli. ovid. Mein Heer Spectator, Während jemand, der Ihre Werke liest, mir versichert hat, dass Sie nicht das geringste Problem haben bezüglich des Mischens fremder Wörter mit dem Niederländischen, weiss ich mich an niemanden besser als an Sie zu aderessieren, um meine Revanche zu bekommen über einige Tadel und Zurechtweisungen, die mir kürzlich aus diesem Grund gemacht wurden. Ihr müsst wissen, dass ich, obwohl eine unstudierte Person, ein besonders grosser Liebhaber von galanten Expressionen bin, und damit einen so abundanten Eindruck mache, dass die Nachbarn, wenn ich mit ihnen in eine Konversation gerate, mich ganz erstaunt anschauen und sich nicht ausdenken können, woher ich das habe; Ja, sie sagen, dass ich so alloquent sei wie Cicero selbst. Es ist auch kein Wunder; denn erstens habe ich zwei Feldzüge gemacht

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unter der Kavellerie, und Ihr wisst, dass der Krieg viele gute Instruierungen verschafft. Zweitens habe ich sieben Jahre als Kutscher bei einem Advekat gedient, der mehr Prozesse und Gerichtstermine hatte, und Vergleichen beiwohnte als sieben andere der allerberühmtesten und der gemäss den Aussagen aller seiner guten Freunde einen Ambassendeur oder einen Plenipotentiaris [ = Bevollmächtigter] in Beredsamkeit beschämt hätte. [Der Spectator reagiert folgendermassen:] Damit mein galanter Korrespondent mit der verlangten Publikation, woran ich nicht zweifle, dass sie dem Leser nützlich und vergnüglich vorkomme, zufrieden sei, werde ich mich lediglich des Anlasses bedienen, den sein Brief mir gibt, um mit einigen die Sprache betreffenden Bemerkungen den Ratschlag des Herrn Philobelga zu beantworten, der mich so stark dazu anspornt, mit äusserster Entrüstung auf der Spur meiner englischen und hochdeutschen Vorgänger gegen unsere Sprachmischer vorzugehen. [Der Spectator teilt mit, dass er sich bereits früher dem Phänomen der Sprachmischer widmete, die mit französischen Wörtern prahlen, oft ohne irgendeine Ahnung von der französischen Sprache zu haben. Dem gegenüber steht aber, dass es vollkommen natürlich ist, wenn eine Sprache fremde Wörter aufnimmt. Vor allem das Englische ist hierfür bekannt und die Engländer machen daraus nicht das geringste Problem, wie die folgende Anekdote zeigt.] Ich habe mal von einem gehörigen Streitfall vernommen, hier zu Lande, zwischen einem geistreichen Engländer und einem Hochdeutschen, der seine Muttersprache höher wertete als das Britische, nicht nur wegen ihres Alters, sondern auch wegen ihrer Reinheit und ihres ursprünglichen Reichtums und weil sie ohne die kleinste fremde Hilfe für sich selber fortbestehen konnte. Der Brite, gelassen, als ob er mit seinen Gedanken abgeschweift gewesen wäre und plötzlich aus seinem Schlaf erwachte, verhielt sich, als ob er an der Kleidung seines Freundes grossen Gefallen fand und fragte ihn nach und nach, aus welcher Werkstätte die einzelnen Stücke sein mochten. Es wurde befunden, dass die Spitzen aus Brabant seien, die Strümpfe aus England, die Tücher aus Berlin, die silberne Bordüre aus Frankreich und der Hut aus Grossbritannien. Ich bekenne gerne, wurde dem Deutschen mitgeteilt, dass alles gut gewählt und mit einem guten Geschmack zusammengefügt ist. Es ist jedoch schade, dass dasselbe durch einen sehr wesentlichen Mangel seine grösste Schönheit verliert, denn die meisten Teile haben ihren Ursprung nicht aus Deutschland selber. Dies mit dem grössten Schein von Ernsthaftigkeit ausgesprochen, brachte den Deutschen zum Grinsen und er antwortete, dass ihm die Zurechtweisung sehr bizarr vorkomme und dass er nicht erkennen könne, was es damit zu tun habe, dass in seiner Kleidung das Fremde mit dem Vaterländischen vereinigt sei, falls dieses sich doch nur passend, angenehm und ausgeglichen zeigte und die beabsichtigte Wirkung hervorbrächte. Man kann nicht vernünftiger sprechen, mein lieber Freund, bekam er als Bescheid, aber ich bitte Euch, lasst uns Euer Gesagtes mal auf die wahre Natur der Sprache anwenden. […]

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[Eine Sprache muss klar und verständlich sein und die Aufnahme fremder Wörter kann hierfür sehr wirksam sein.] Doch das Gesagte verhindert keineswegs, dass es eine törichte und feige Ziererei ist, dass, […] ein jeder, der eine eigenständige Sprache spricht, so viele fremde Wörter wie er nur zusammentragen kann, nicht nur ohne Zwang, sondern auch ohne den geringsten Nutzen und gegen die Regeln des allgemeinen Brauchs, mit einer groben Heftnadel an das echte Niederländische anflickt, wodurch die Verständlichkeit, die Grundregel aller Sprachen, beleidigt wird. Es stimmt, dass man dadurch die Billigung und das Staunen der einfältigen Leute stiehlt, die sich einbilden, dass alles gleichermassen hübsch sei, wie es ihre Vorstellung übertrifft, die Unklarheit als Tiefsinnigkeit werten und die schwierige Klarheit und Deutlichkeit als ein Zeichen eines geringen und nahe am Boden kriechenden Verstandes ansehen. Nichts ist so verbreitet wie dieser Irrtum […]. [Der Spectator beendet seine Darlegung mit einem Beispiel eines Priesters, der seine Predigten mit Griechischem und Hebräischem spickt, was ihn sehr beliebt macht bei seiner Gemeinde, auch wenn man davon nichts verstehen kann. Dies illustriert den Irrtum, dass unverständlicher Sprachgebrauch höheres Ansehen verdient.]

6.4. Merkmale des Niederländischen der mittleren Neuzeit Versuche, das gesprochene Niederländische zu vereinheitlichen, stehen im Folgenden zuerst zur Diskussion. Dazu werden einige lautliche Erscheinungen erörtert, die in gesprochenen Formen des Niederländischen der mittleren Neuzeit auftreten. Anschliessend wird dargelegt, wie sich Normierung und Reglementierung durch die Gelehrten in der Schriftsprache auswirkten. Schliesslich kommen Erneuerungen im Lexikon zur Sprache.

6.4.1. Schriftsprache und gesprochenes Niederländisch der mittleren Neuzeit Von einem einheitlichen gesprochenen Niederländischen kann bis zum Ende des 18. Jh. nicht die Rede sein, eine Verallgemeinerung lautlicher Merkmale einer überregionalen Sprache in der mittleren Neuzeit ist aus diesem Grund nicht möglich. Wohl können einige lautliche Erscheinungen aufgelistet werden, die in damaligen Erörterungen zum gesprochenen Niederländischen zur Diskussion standen. Zudem bildet sich bis zum Ende des 18. Jh. eine stark vereinheitlichte niederländische Schriftsprache heraus, welche die Grundlage des in den letzten zwei Jahrhunderten entstandenen Allgemeinen Niederländischen darstellt.

6.4. Merkmale des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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6.4.1.1. Laute Seit Anfang der frühen Neuzeit ist von einer schrittweisen Standardisierung des Niederländischen unter gebildeten beziehungsweise gesellschaftlich führenden Mitgliedern der holländischen Stadtbevölkerung auszugehen. Diese Entwicklung setzte u.a. mit einem vielfach schriftlich zum Ausdruck gebrachten Bewusstsein bestehender Unterschiede in der Aussprache im niederländischen Sprachgebiet ein, das wohl von Beschreibungen und Bewertungen der Laute durch Gelehrte in der frühen Neuzeit (vgl. 5.2.) gefördert wurde. Anzunehmen ist, dass das Prestige der Sprache der angesehenen Bewohner der holländischen Städte bewirkte, dass Sprecher anderer Varietäten des Niederländischen sich auch in der Aussprache an diesem Holländischen orientierten, das sich weiter im niederländischen Sprachgebiet durchsetzte. Wie sich aber eine solche Anpassung konkret vollzog, lässt sich nicht ohne Weiteres nachvollziehen. Eine überregionale Standardisierung der gesprochenen Sprache ist für die jeweiligen Sprachstufen des Neuniederländischen nicht in Einzelheiten zuverlässig darzustellen. Hinzu kommt, dass Äusserungen zur Standardisierung aus der Zeit einander zu widersprechen scheinen. Einerseits belegen diverse Aussagen, dass sich das überregionale Niederländische in der mittleren Neuzeit allgemein verbreitet hatte. So hält ein Schriftsteller wie Johannes Kinker (1764–1845) fest, dass gebildete Sprecher seiner Zeit sich einer durchaus einheitlichen Sprache bedienten. Anderen Zeitzeugen fällt dagegen eine dialektisch bedingte Sprachvarianz im gesprochenen Niederländischen auf. Die regionale Varietät des gesprochenen Niederländischen kommt u.a. in Äusserungen von Ten Kate, Verwer und Séwel zum Ausdruck. So stellt Ten Kate Unterschiede zwischen der Sprache der Amsterdamer und der Rotterdamer fest. Die bestehende lokale Varietät geht auch aus dem Vorwurf des Rotterdamers Verwer hervor, der Amsterdamer Séwel unterscheide nicht zwischen langem und gedehntem ee beziehungsweise oo. Dass auch gegen Ende des 18. Jh. führende Persönlichkeiten der Republik eine dialektisch gefärbte Sprache verwendeten, sollen laut Van der Wal und Van Bree Zeitgenossen beobachtet haben, als Abgeordnete nach dem Einmarsch der Franzosen 1795 (vgl. 6.1.4.) während der öffentlichen Sitzungen der Nationalversammlung 1796 das Wort ergriffen. Welche regionalen Unterschiede waren zu hören, haben Abgeordnete sich damals schon oder erst später, überhaupt während der Verhandlungen sprachlich einander angepasst, und wenn ja, in welcher Hinsicht? Übrigens deuten die unterschiedlichen Bewertungen der Varianten in der Aussprache nicht unbedingt auf die Unzuverlässigkeit der Gewährsleute. Sie sind vielmehr auf die Natur der Fragestellung zurückzuführen, die zu subjektiven Verallgemeinerungen führt. Genauso kann man sich fragen, wie Niederländischsprachige heute die im Süden gebräuchliche Aussprache von und als palatale stimmhafte beziehungsweise stimmlose Frikative statt als velare stimmhafte und stimmlose Frikative einstufen: empfindet man diese Aussprachevariante von und als Indiz, dass die Standardisierung des Niederländischen im Süden nicht vollendet ist? Oder fasst man sie lediglich als Variante des Allgemeinen Niederländischen auf? Und stufen Sprecher aus dem Norden diese Variante anders ein als ihre Mitmenschen im Süden? Dass dem Holländischen bei eventuellen Angleichungen im Rahmen einer interregionalen Kommunikation viel Bedeutung beizumessen ist, wird beispielsweise von Ten Kate festgehalten. Laut ihm wird in keiner der Provinzen die allgemeine Schriftsprache ‚so genau ausgesprochen‘

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wie in Holland, denn onze beschaefste uitspraek verschilt bij na niet van deze Schrijftael (‚unsere kultivierte Aussprache unterscheidet sich beinahe nicht von dieser Schriftsprache‘ TKT 57). Klammert man hier die Problematik aus, wie die Notation der Schriftsprache die ‚genaue Aussprache‘ des Niederländischen wiederzugeben vermag, so ist zu folgern, dass Ten Kate hier ein gepflegtes Holländisch mit der überregionalen Form des gesprochenen Niederländischen gleichsetzt. Séwel geht für die gepflegte Art und Weise des Sprechens hingegen nicht von der Schriftsprache, sondern vom vorhandenen gesprochenen Niederländischen aus. Allerdings lehnt er die Sprache der ländlichen Gegenden genauso ab wie den Gassenjargon; vorbildlich sei die Sprache eines Vortrages oder eines ernsthaften Gespräches. Dabei fragt Séwel sich, ob dialektische Merkmale, die jeweils nur exklusiv in einer holländischen Stadt vorkommen und offenbar keine regionale Geltung haben, als gutes, allgemeines Niederländisch einzustufen sind. Dazu ist zu bemerken, dass mehrere städtische Dialekte des heutigen Niederländischen, so das Haags (‚Stadtdialekt von Den Haag‘), durch die Mehrheit der Bevölkerung als ungehobelt empfunden werden. Da Ten Kate die kultivierte Aussprache ausdrücklich hervorhebt, schliesst er das Vorkommen anderer Aussprachemöglichkeiten ein, so vermutlich die Verwendung von Sprache in informellen Situationen. Dies bestätigt sich in seiner Bemerkung, dass man beim Sprechen das Zielpublikum berücksichtigen sollte: so genüge es, den Dialekt der eigenen Stadt zu benutzen, wenn man sich mit seinen Mitbürgern unterhält. Dass ein Gelehrter wie Ten Kate Varietäten des gesprochenen Niederländischen bespricht, gepflegtes Holländisch mit einem kultivierten gesprochenen Niederländischen gleichsetzt und erklärt, wann man die lokale Varietät des Niederländischen benutzen kann, deutet auf eine bestehende Unsicherheit über die zu verwendende Sprache beim Reden. Möglicherweise ist die zögerliche Standardisierung des gesprochenen Niederländischen der Verwendung der französischen Sprache durch vornehme Bürger der Niederlande zuzuschreiben, wie Van der Wal und Van Bree vermuten. Sicherlich ist die Herausbildung und Verbreitung eines Standards für die gesprochene Form des Niederländischen, und wohl auch anderer Nationalsprachen, unter breiteren Schichten der Bevölkerung vor allem auch deshalb zurückgeblieben, weil die grosse Mehrheit der Mitglieder der Sprachgemeinschaft während ihres verhältnismässig kurzen Lebens nur bescheiden ausgebildet wurden und wenig Gelegenheit hatten, regelmässig interregional zu kommunizieren. Wie dem auch sei, ist von einer Verbreitung holländischer Merkmale auszugehen, die in der frühen Neuzeit einsetzte und sich während eines längeren Prozesses der Standardisierung im kultivierten Niederländischen durchgesetzt hat. In der Rückblende lassen sich einige lautliche Entwicklungen des Neuniederländischen zusammenfassen, die die Aussprache des entstehenden Allgemeinen Niederländischen auch in der mittleren Neuzeit vorbereitet haben, wie die unten angeführten vereinzelten Beispiele zeigen dürften. 6.4.1.2. Vokale und Diphthonge Zu den auffälligen lautlichen Entwicklungen, die sich von Holland aus im niederländischen Sprachgebiet während der Neuzeit durchsetzten, zählt u.a. laut Van Bree die Aufhebung älterer distinktiver phonologischer Merkmale einiger Vokale. Es kommen in diversen Dialekten phone-

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mische Eigenheiten vor, die auf die unterschiedlichen Ursprünge der jeweiligen Laute zurückgehen, so dialektisch i in stien (nnl. steen ‚Stein‘) vgl. got. stains, neben dem e. wie in nemen (‚nehmen‘), vgl. got. niman. Ähnlich kommt in mehreren Dialekten eine u.ə-Aussprache des aus au entstandenen langen ō, so in lopen (‚gehen‘, ‚laufen‘) neben dem gedehnten o. wie in gegoten (‚gegossen‘) vor. In anderen Gegenden, namentlich im zentralen westlichen Sprachraum, d. h. in den Städten Den Haag, Rotterdam, Utrecht, Haarlem und den umliegenden Gebieten, hatten sich dagegen solche distinktiven Merkmale aufgelöst. So nennt Van Bree diesbezüglich einen Zusammenfall des vorher erwähnten aus ger. /ai/ entstandenen ē mit dem gedehnten ē aus i oder e. Ähnliches zeigt sich beim monophthongierten ō aus ger. /au/, das in diesem Gebiet mit dem verlängerten ō aus ger. /ǔ/ oder /ŏ/ zusammengefallen war. Diese im zentralen westlichen Sprachraum vollzogenen Erneuerungen der Vokale sollten auf die Dauer das Allgemeine Niederländische prägen. Sodann fiel das ursprünglich ungespannte /α/, das bereits im Anl. in offenen Silben gedehnt wurde, in der Neuzeit mit dem im Holländischen vorhandenen gespannten â zusammen, während andere Dialekte Varianten wie o oder auch, so in Flandern, ao kennen. Aus dem langen aLaut entstand dann namentlich in Amsterdam ein ‚klar‘ artikuliertes a, das sich zur distinktiven Aussprachevariante der angesehenen Bürger Hollands, möglicherweise unterstützt von der vermehrt vorkommenden Schreibweise , herausbildete. Die überlieferten Beschreibungen dieses a (vgl. 5.4.1.1.) gestatten zwar keine zuverlässige phonemische Kennzeichnung, fest steht, dass diese ‚holländische Aussprache‘ die Lautbildung des a durch Sprecher des Standardniederländischen vorbereitet hat. Inzwischen waren die mnl. Diphthonge /âw/ und /ou/ zusammengefallen, weiter hatten sich als Ergebnis komplexer Vorgänge im zentralen Westen aus /u/, /i/ und /y/ Diphthonge gebildet, wie den Paragraphen 4.4.1.2. und 5.4.1. zu entnehmen ist. Die ältere Diphthongierung von /u/ betraf das nicht- palatalisierte anl. /u/ vor Velar oder /w/ wie in der holländischen Form douwen (‚schieben‘), die übrigens im kultivierten Niederländischen von der flämischen Variante duwen verdrängt wurde. Trotz einer Vorliebe manchen Dichters für î hatte sich vermutlich von Holland aus der Diphthong εi, vgl. wijn (‚Wein‘), aus wiin, ursprünglich wīn verbreitet, ebenso wird in der Regel eine holländische beziehungsweise südbrabantische Expansion des Diphthongs ə:y, so in muis (‚Maus‘) vgl. muus angenommen. Die neu gebildeten Diphthonge, die mit bestehenden Lauten zusammenfielen, bewirkten eine Verringerung phonetischer Varianz. Solche Entwicklungen trugen laut Sprachhistorikern wie W.Gs. Hellinga zu einem Lautsystem des kultivierten Niederländischen bei, das im Vergleich zu den bestehenden Varietäten in den Dialekten bedeutend ‚einfacher‘ war. Die Apokope des Schwas im Auslaut, die schon im späten Mittelalter im zentralen Westen sowie im Süden vorkam, verbreitete sich ebenfalls. Es betrifft den Wegfall des ə in Silben, die morphologisch oder semantisch nicht distinktiv sind wie e in Nom. Sing. sake (‚Sache‘) neben saek. Diese Entwicklung, die bereits in der frühen Neuzeit unterschiedliche Stellungnahmen ausgelöst hatte (vgl. 5.4.3.2.), setzte sich ebenfalls schrittweise im Niederländischen durch. Aus der naturgemäss konservativen Schriftsprache lässt sich allerdings nicht eindeutig ableiten, wie weit dieser Prozess in der mittleren Neuzeit fortgeschritten war.

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6.4.1.3. Konsonanten Einige Änderungen im Konsonantismus traten wohl in unmittelbarem Zusammenhang mit Entwicklungen im Vokalismus auf. So konnte in unbetonten Silben mit Schwa das n wegfallen, soweit dies nicht innerhalb der Grenzen des Stammes vorkam, wie E. Ruijsendaal darlegt. Bereits im Mittelniederländischen fiel in solchen Silben das n oft weg, dies gilt ebenso für das Neuniederländische. Diese holländische Erscheinung, die Grammatiker, Gelehrte und Schriftsteller in der frühen Neuzeit unterschiedlich beurteilten (vgl. 5.4.3.2.), betrifft vor allem Formen von Substantiven und Verben. Der Verlust sowohl des n als auch des Schwas setzte sich in der gesprochenen Sprache grösserer Teile des niederländischen Sprachgebietes durch. Kok verwendet 1649 meistens die apokopierten Formen, Leupenius bevorzugt 1653 ebenfalls die aangename kortheid (‚angenehme Kürze‘) apokopierter Formen. Apokope des Schwas hatte Auslautverhärtung zur Folge, so wurden ursprünglich stimmhafte Okklusive und Frikative in Auslautposition stimmlos, wie u.a. J. Goossens dargelegt hat. Im Nnl. entstanden so die Paare p – b, vgl. p in web (‚[Sinn-]Gewebe‘) und b in webben, t – d, vgl. t in vind (‚finde‘) und d in vinden, s – z, vgl. f in leef (‚lebe‘) und v in leven (‚leben‘) und x – γ, vgl. brug (‚Brücke‘) und bruggen. Zu den weiteren lautlichen Erscheinungen zählt die Assimilation von ŋg zu ŋ, vgl. lang (‚lange‘) und die Velarisierung von n zwischen einem Vokal und einem Dental wie in wongder (‚Wunder‘). Obschon diese Velarisierung in Holland, Seeland, Flandern und Brabant weit verbreitet war, sollte sie im gepflegten gesprochenen Niederländischen gemieden werden. Zu den auffälligen Erscheinungen zählt weiter die Synkope des d nach langem Vokal oder Diphthong und vor einem Schwa im Auslaut, die unter gewissen Bedingungen zum Verlust der letzten Silbe führte. So entstand kou (‚Kälte‘) neben koude. Schliesslich ist die gelegentliche Entwicklung des intervokalischen d zu j zu erwähnen. Diese aus Brabant beziehungsweise Limburg stammende Erscheinung, die sich auch im Mnl. in Holland und Utrecht feststellen lässt, zeigt sich zum Beispiel in goeie (‚gute‘) neben goede. 6.4.1.4. Einige lautliche Varianten Neben dialektischen Formen von gesprochener Sprache und einem entstehenden, vom Holländischen geprägten überregionalen Niederländischen sind zudem Sprachvarietäten mit weniger Prestige zu unterscheiden. Nicht ohne Grund wurde laut Van der Wal und Van Bree noch 1780 ein Haagsch Nederduitsch Woordenboekje (‚Haags-Niederländisches Wörterbüchlein‘) veröffentlicht, das dazu diente, sowohl den Schulmeistern als auch ihren Schülern die niedrige Gassensprache und schlechte Wörter abzugewöhnen: die Verwendung einer anständigen gesprochenen Sprache musste gelernt sein. Das Wörterbüchlein bietet einen Einblick in die Varietät des gesprochenen Niederländischen der Residenzstadt. Zu den Aussprachefehlern, die Haager Schulmeister und Schüler vermeiden sollten, zählen an statt aan (,an‘), bokkekast statt boekenkast (‚Bücherschrank‘), brulloft statt bruilof (‚Hochzeit‘), butter statt boter (‚Butter‘), Delleft statt Delft, gebooje statt geboden (‚geboten‘), kattekesasie statt cathechisatie (‚Konfirmandenunterricht‘), komme statt komen (‚kommen‘), mart statt markt (‚Markt‘), mit statt met (‚mit‘), most statt moest (‚muss‘), sellen statt zullen (‚sollen‘),

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speule statt spelen (‚spielen‘) oder sukker statt suiker (‚Zucker‘). Schon allein aus dieser kurzen Liste gehen folglich u.a. Aussprachevarianten von /ā/, /u/, /ə:y/, /ō/ oder /ē/ hervor. Die ein Jahrhundert später von J.W. Muller aufgelisteten Aussprachevarianten des Niederländischen zeigen, wie langsam eine Vereinheitlichung des gesprochenen Niederländischen voranschritt. Zu den von ihm erwähnten Aussprachevarianten, die naturgemäss auf frühere Varianten zurückzuführen sind, zählen u.a. die Wechselformen duur (‚teuer‘) und dier, ruiken (‚riechen‘) und rieken, luiden (‚Leute‘) und lieden, duitsch (‚deutsch‘) und dietsch sowie besturen (‚verwalten‘) und bestieren. Sodann spreche man laut Muller zwischen zwei Vokalen auch j oder w an Stelle von d, wie in goeie (‚gute‘) statt goede (vgl. 6.4.1.2.) oder zouwe (‚würden‘) statt zouden. Weiter erwähnt Muller -ie als Variante der Diminutivform -tje , vgl. koppie (‚Tässchen‘) und kopje. Zudem stellt er fest, dass in grösseren Teilen des Sprachgebietes -n nach Schwa im Suffix nicht mehr ausgesprochen wird, vgl.  paarde neben paarden oder loope neben loopen, vgl.  (6.4.1.2.), eine Erscheinung, die das gesprochene Niederländische im zentral-westlichen Sprachgebiet kennzeichnet. Auch bemerkt Muller, dass zei (‚sagte‘) und zeie(n) (‚sagten‘) im überregionalen Niederländischen zee und zeeje(n) vermehrt ersetzen. Im 20.  Jh., als sich das gesprochene Allgemeine Niederländische rasch verbreitete, wurden Aussprachevarietäten wie zouwe(n), koppie, zee und zeejen bald als Verletzungen angenommener Sprachnormen eines gepflegten Niederländischen empfunden.

6.4.2. Syntax und Morphologie Da sich die niederländische Schriftsprache konsolidiert hatte, lassen sich im Vergleich zur frühen Neuzeit weniger sprachliche Erneuerungen in der mittleren Neuzeit beschreiben. So hatten sich syntaktische Strukturen inzwischen grösstenteils gefestigt, Fragen zum Wortgeschlecht und Kasus oder zur Orthografie standen allerdings nach wie vor im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen über die niederländische Sprache. 6.4.2.1. Strukturen nominaler Gruppen Die Bildung von Strukturen nominaler Gruppen schliesst an die in der frühen Neuzeit weiter entwickelten Muster an, die bereits ausführlicher in 5.4. dargestellt wurden. Dazu zählen u.a. nominale Gruppen mit Adjektiven als Linksattribute, mit eventuell vorhergehenden Artikeln, Demonstrativen oder Possessiven, vgl. onze oudste en beste Nederlandsche Historieschrijvers (‚unsere ältesten und besten Geschichtsschreiber‘ WGN, V). Umfasst eine Gruppe mehr als ein Adjektiv, so steht das semantisch am stärksten anhaftende Adjektiv unmittelbar vor dem Sub­ stantiv, wie Hollandsche in eenen ouden deftigen Hollandschen naam (‚einen alten vornehmen holländischen Namen‘ SBH 111). Mehr noch als in der frühen Neuzeit werden postponierte Adjektive, die Grammatiker wie Moonen ablehnen, laut Van der Horst recht selten. Eine Ausnahme bilden nach wie vor Strukturen mit zwei oder mehr nebengeordneten Adjektiven, sodann kommen postponierte satzwertige Konstruktionen mit Partizip vor, vgl. een boom, zo vol geladen (‚ein voller Baum‘ VAP 57). In Strukturen mit Personennamen und Ergänzungen wie einer beruflichen Bezeichnung kann letztere sowohl vor als auch nach dem Namen stehen, vgl. De

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Veerman Jan Pieterszoon Koppelstok (‚Der Fährmann Jan Pieterszoon Koppelstok‘ WGN 343) und Filips, Graaf van Everstein (‚Filips, Graf von Everstein‘ WGN 270). Im 18. Jh. ist die Wortfolge zo (‚solch‘) gefolgt von einem Adjektiv und dem unbestimmten Artikel een (‚ein‘) noch geläufig wie in zo groot een getal van Koopvaardyschepen (‚eine solche grosse Zahl Handelsschiffe‘ WGN 342), daneben tritt auch die Folge zo een gefolgt von einem Attribut auf, so bei Wolff und Deken, vgl. dat men in ons Vaderland zelf wel eens zo een schelm aantreft (‚dass man in unserem eigenen Vaterland wohl gelegentlich solch einen Schelm antrifft‘ vgl. SBH 112 und 6.3.1.1.). Seit dem 17. Jh. kommen wie im Deutschen vermehrt erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute vor, vgl. verscheiden’ gevlugte Edelen en Burgers in Ook begaven zig verscheiden’ ge­vlugte Edelen en Burgers naar den Briel (‚Auch begaben sich mehrere geflüchtete Adlige und Bürger nach Brielle‘ WGN 348). Insbesondere ist eine Zunahme von komplexeren vorangestellten Attributen mit einem Partizip des Präsens, einem Partizip des Perfekts oder einem Adjektiv mit te und Infinitiv festzustellen. Diese Strukturen grammatikalisierten und beziehen sich so unmittelbar auf das folgende Substantiv, vgl. een geheel denkent Volk (‚ein ganzes denkendes Volk‘ SBH 107); so auch sijn‘ godvergeten in En boet’ er schendigh mee sijn’ godvergeten lust (‚Und befriedigt mit ihr seine gottvergessene Lust‘); weiter Schreeuwende Ongerechtigheden (‚Schreiende Ungerechtigkeiten‘); ebenfalls te benoemene in dat aan de gemelde te benoemene Commissie (‚dass der Kommission, die zu ernennen ist‘). Auch substantivisch verwendete Infinitive treten mit Attributen auf, vgl. verrassen in Men liet dan zyne gedagten wederom gaan over ’t verrassen van Enkhuizen (‚Man richtete seine Gedanken auf das Überraschen von Enkhuizen‘ WGN 341). Vermehrt kommen Objekte vor, die durch feste Präpositionen mit dem finiten Verb verbunden sind. So kennt das Verb verlossen (,erlösen‘) bereits die feste Präposition van, gefolgt von einem Objekt, vgl. van den tienden Penning in om hen van den tienden Penning te verlossen (,um sie von der zehnprozentigen Vermögenssteuer zu erlösen‘ WGN 343). Ähnlich erscheint houden (‚halten‘) in dieser Zeit mit der festen Präposition voor und einem nachfolgenden Objekt, vgl.  voor den sleutel van Holland in den Briel, dien men voor den sleutel van Holland hieldt (,Den Briel, das man für den Schlüssel Hollands hielt‘ WGN 346). Solche Strukturen mit Präpositionalobjekten erscheinen bereits im Mittelniederländischen, ihre Zahl nimmt aber in der mittleren Neuzeit zu und steigt bis in die heutige Zeit weiter an. 6.4.2.2. Deklination, Kasus Anzunehmen ist, dass bei der informellen Verwendung von gesprochenem Niederländisch Kasus morphologisch höchstens noch beschränkt zum Ausdruck gebracht wurde. Bei formellen Anlässen dagegen dürften Sprecher sich diesbezüglich mehr an der kultivierten geschriebenen Sprache ihrer Zeit orientiert haben, die nach wie vor von Grammatikern und Schriftstellern geförderte Formen von Kasusflexion kannte. Dass diese sich jedoch im Niederländischen weitgehend aufgelöst hatte, zeigen die Anstrengungen der Grammatiker, Deklinationsregeln zu formulieren. So besteht Moonen beispielsweise auf der Beugung des Artikels de, Ten Kate verlangt den neben de, um Akk. von Nom. zu unterscheiden. Die gelegentliche Verwendung von Mask. Gen. bei fem.

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Substantiven mag wohl ein Zeichen des Verschwindens einer systematischen Markierung des Kasus sein, vgl. des bruid in Bruidegom en moeder des bruid kunnen niet schrijven (‚Bräutigam und Mutter der Braut können nicht schreiben‘). Nicht nur Beamte, sondern auch Schriftsteller, so Bilderdijk, verwendeten solche Genitivformen beim Fem. Sing. neben Bildungen mit der, gefolgt von einem nicht-flektierten Substantiv. Auch die Verwendung von den als Markierung des Dat. Plur. sowohl für mask. als auch fem. Substantive, die sich schon im Mnl. feststellen lässt, ist ein Beispiel der Komplexität morphologischer Kasusmarkierung. Zwar übernahmen Grammatiker und Schriftsteller in der mittleren Neuzeit die namentlich von Hooft verwendete Form der in der 3. Pers. Dat. Plur. bei fem. Substantiven, sie hat sich aber nicht durchsetzen können. Eine Stichprobe aus den in 6.3. zitierten Texten zeigt, dass Kasus nur noch beschränkt, allerdings noch häufig im Genitiv morphologisch zum Ausdruck gebracht wird, vgl.: (1) Gen. Mask. Sing. vgl. des tienden Pennings in het [..] heffen des tienden Pennings (,das Erheben einer zehnprozentigen Vermögenssteuer‘ WGN 346); (2) Gen. Neutr. Sing. vgl. myns oordeels in Dit is myns oordeels de weg (‚Dies ist meiner Meinung nach der Weg‘ SBH 106); (3) Gen. Fem. Sing. vgl. der in de brief der goede Weduwe (,der Brief der guten Witwe‘ SBH 143); (4) Gen. Plur. vgl. der in ’t hoofd der oproerigen (‚der Anführer der Aufständischen‘ WGN 346); (5) Dat. Sing. Mask. vgl. den in van den nood eene deugd maakende (,während [er] aus der Not eine Tugend machte‘ WGN 342); (6) Dat. Sing. Neutr. vgl. lande in hier te lande (,hier zu Lande‘ EFK 97); (7) Dat. Sing. Fem. vgl. eenige in met eenige geschiktheid (,mit einiger Geschicklichkeit‘ EFB 38); (8) Akk. Sing. Mask. vgl. den in Te gelyk toont hy den ring (,Gleichzeitig zeigt er den Ring‘ WGN 343); (9) Akk. Sing. Fem. vgl. geene in Briele, dat nu geene bezetting inhadt (,Den Briel, das jetzt keine Besatzung hatte‘ WGN 342); (10) Dat. Plur. vgl. den zynen in dat Koningin Elizabet […] den Graave van der Mark en den zynen beval (,dass Königin Elisabeth […] dem Grafen von der Mark und seinen Leuten befahl‘ WGN 342). Auffällig für diese Zeit ist die Kasusmarkierung von Pronomina. So weist die Schriftsprache im 18. Jh. bei Interrogativpronomina Formen für Mask., Fem., Neutr. und Plur. auf, die zum Teil Fälle bezeichnen, vgl. die folgenden Formen von wie (‚wer‘): (1) Mask. Sing. Gen. wiens, (2) Mask. Dat. und (3) Akk. wien; (4) Gen. Fem. wier; (5) Gen. Plur. wier, (6) Dat. Plur. wien. Das Interrogativpronomen welk (,welches‘) hatte sich zu einem Relativpronomen entwickelt und kannte flektierte, gern gebrauchte Formen wie dewelke, hetwelke, welkers, dewelken oder welks. Sodann verwendete man mit Vorliebe Demonstrativpronomina wie dezelve und hetzelfde, die auch an Stelle von Personalpronomina oder Possessivpronomina vorkamen und in der Morphologie Kasus bezeichnen konnten, vgl. het zelve und desselfs in Ik beken graag, wierd den Duitscher daar op toegevoegt, dat alles even keurlyk is en met een goede smaak t’zamen gevoegt; Dog het is jammer dat het zelve door een zeer weezentlyk gebrek zyn grootste luister verliest, vermids desselfs meeste dele hunne oorsprong niet uit Duitschland zelfs hebben (‚Ich bekenne gerne, wurde dem Deutschen mitgeteilt, dass alles gut gewählt und mit einem guten Geschmack zusammengefügt ist. Es ist jedoch Schade, dass dasselbe durch einen sehr wesentlichen Mangel seine grösste Schönheit verliert, denn die meisten Teile haben ihren Ursprung nicht aus Deutschland selber‘ EFK 97).

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6.4.2.3. Genus Abgesehen von festen Ausdrücken und Redewendungen wie de dag des Heren (‚der Tag des Herrn‘) brachten die Artikel het (,das‘) und de (‚die‘, ‚der‘) zwar Neutr. beziehungsweise Genus commune zum Ausdruck, unterschieden aber nicht zwischen Mask. und Fem. Diese Eigenschaft des Ndl. erfuhren die meisten Grammatiker als einen Mangel, der zu beheben war. Dazu veröffentlichten sie geslachtslijsten, alphabetische Listen von Substantiven mit Genusangaben. Eine solche Liste gab David van Hoogstraten 1700 heraus. Zur Festlegung des Genus hatte er sich dabei auf die Sprache Hoofts und Vondels gestützt, ein nicht unproblematisches Unterfangen, vgl. 5.4.2.2. Die Liste wurde namentlich von Hilarides (vgl. 6.2.3.) kritisiert, die Einwände vom botterik in Vrieslandt (‚Schafskopf in Friesland‘) fanden allerdings wenig Beachtung. Für das Niederländische im Süden unterschied Des Roches drei Genera, die er im Nom. mit den für Mask., de für Fem. und het für Neutr. bezeichnete. Moonen versuchte das Genus von Substantiven u.a. aufgrund des Wortendes zu bestimmen, Séwel und Nylöe suchten das grammatikalische Geschlecht in der Flexion der Artikel, während Ten Kate und Huydecoper Genus mit Hilfe der historischen Sprachwissenschaft zu ermitteln versuchten. Pronomina können ebenfalls Genus bezeichnen, so Neutr. dat in en Briele, dat nu geene bezetting inhadt (‚Den Briel, das jetzt keine Besatzung hatte‘ WGN 342), oder Fem. ze in de Plaats te herwinnen, eer menze versterken kon (‚den Ort zurückzuerobern, bevor man ihn verstärken konnte‘ WGN 346). In den in 6.3. zitierten Texten treten solche Pronomina wenig auf, sie entsprechen in der Regel dem Genus der Bezugsworte, so bezieht sich zy auf Fem. noord Poort (‚Nordpforte‘) in Voorts werdt zy, met een eind van een’ mast, opgeloopen (‚Sie [die Pforte] wurde darauf mit dem Ende eines Mastes gerammt‘ WGN 344). Die unterschiedlichen, arbiträren Ansätze zur Bestimmung des Genus von Substantiven, die Auseinandersetzungen über die Methoden, um es zu bestimmen, und der Wunsch, Geschlechtslisten zu veröffentlichen, zeigen, dass sich in der lebendigen Sprache die Mehrheit der Sub­ stantive nicht mehr als Mask. oder Fem. klassifizieren liessen. Die Versuche, diese Kategorien dennoch einzuführen, sollten die kultivierte niederländische Schriftsprache weiter vom überregionalen gesprochenen Niederländischen entfernen. 6.4.2.4. Strukturen verbaler Gruppen Die in der frühen Neuzeit weiter entwickelten Strukturen verbaler Gruppen festigten sich in der mittleren Neuzeit, was sich zum Beispiel anhand der Stellung des finiten Verbs zeigen lässt. In Kernstrukturen kommt es an zweiter Stelle, auch Strukturen, die mit einem subordinierten Teil beginnen, kennen in der Regel Vf2, vgl. dazu hopen und geviel in den beliebig gewählten Beispielen: Doordrongen van deeze denkbeelden, hopen wy dien tyd nog te zien aankomen (‚Durchdrungen von diesen Denkbildern, hoffen wir, jene Zeit noch zu erleben‘ SBH 108) und En terwyl men hierop peinsde, geviel ’t, dat Koningin Elizabet, […] den Graave van der Mark en den zynen beval, het Ryk te ruimen (‚Und während man darüber nachdachte, trug es sich zu, dass die Königin Elisabeth […] dem Grafen von der Mark und den Seinigen befahl, das Reich zu verlassen‘ WGN 341–342). Wohl kann ein Expletivum als Ergänzung dem finiten Verb vorangehen, ohne dass die syntaktische Struktur dies erfordert, vgl. das zweite zo in Is ’t zo met de zaak geleegen,

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zo zoude ik vermeinen dat ik, en honderd duizend anderen met my ’t zelfde voorrecht hebben. (‚Wenn es so um die Sache bestellt ist, so würde ich meinen, dass ich und hunderttausend andere mit mir dasselbe Vorrecht haben.‘ EFB 40). Ähnlich kann ein Partikel wie dan (,dann‘) dem finiten Verb vorangehen, vgl. Lumei dan, van den nood eene deugd maakende, loopt, aan ’t hoofd van vierentwintig schepen, met eenen gunstigen wind in zee (‚Lumei, der nun aus der Not eine Tugend machte, ging an der Spitze von vier und zwanzig Schiffen mit einem günstigen Winde unter Segel‘ WGN 342). In Strukturen, die eine Aufforderung, einen Wunsch oder Ansporn zum Ausdruck bringen, steht das finite Verb meistens an erster Stelle, vgl.  laten in Laten wy liever die bekwame lieden bedanken (‚Lass uns lieber bei den tüchtigen Leuten bedanken‘ SBH 106) oder besluit in Besluit hier echter niet uit (‚Schliessen Sie jedoch nicht hieraus‘ SBH 108). Dem finiten Verb kann in solchen Strukturen das Subjekt folgen, vgl. jy in bak jy nou ereis schielykjes wat dunne Pannekoekjes (‚back uns doch geschwind ein paar dünne Pfannküchelchen‘ SBH 140). Sodann kennzeichnen Entscheidungsfragen sich durch Vf1, vgl. wil in Wil ik u eens wat zeggen? (‚Soll ich Ihnen was sagen?‘ SBH 107). Sodann können auch Zusammenziehungen Vf1 aufweisen, vgl. zondt in Terstond staakte hy het geweldig heffen des tienden Pennings, te Brussel, en zondt bevel aan den Graave van Bossu […] (‚Er stellte gleich die gewaltsame Einforderung des zehnten Pfennigs zu Brüssel ein und schickte dem Grafen von Bossu den Befehl […]‘ WGN 346). In untergeordneten Strukturen kommt sowohl die ‚rote‘ Wortfolge mit dem Hauptverb an letzter Stelle als die ‚grüne‘ Folge mit dem finiten Verb als letztem Element vor (vgl. 5.4.2.5.). So kommt binnenhelpen an letzter Stelle in vraagende, of men hen, dan of zy zig zelven zouden binnen helpen (‚und fragte, ob man sie hereinlassen wollte, oder ob sie sich selbst das Tor öffnen sollten‘ WGN 344). Dagegen steht das finite Verb hebben an letzter Stelle in De naamen der voornaamsten, die, met het inneemen van den Briel, den grondslag van ’t gebouw der Vaderlandsche vryheid gelegd hebben (‚Die Namen der Vornehmsten, welche durch die Einnahme von Briel den Grund zu dem Gebäude der Niederländischen Freiheit gelegt haben‘ WGN 344–345). In untergeordneten Strukturen lassen sich in den drei- oder mehrgliedrigen Verbgruppen, die in Endposition auftreten, unterschiedliche Wortfolgen unterscheiden. So ist eine Wortfolge mit dem Partizip an letzter Stelle möglich; sie tritt vermehrt in der mittleren Neuzeit auf, vgl. toegevoegd in dat onze onderwerping aan vreemde Vorsten, […] vreemde en wel meest Fransche woorden, het Nederduitsch zal hebben toegevoegd (‚dass unsere Unterwerfung unter fremde Fürsten […], fremde und zumeist auch französische Wörter dem Niederländischen hinzugefügt haben wird.‘ EFB 39). Am häufigsten steht das Partizip in diesen Strukturen aber zwischen den übrigen Verben in der Mitte, vgl. gezuiverd in vermengt te zyn met zo veel luiden […], dat het land van zulken moest gezuiverd worden (,gemischt von so vielen Leuten […], dass das Land von solchen gesäubert werden musste‘ EFB 39). Schliesslich kommt das Partizip in diesen Kon­ struktionen auch an erster Stelle, vgl. geleeden in Spanjaards […], die anders grooter neêrlaag geleeden zouden hebben. (‚Spanier […], die sonst eine grössere Niederlage erlitten haben würden‘ WGN 347). Wenn hebben (‚haben‘) oder zijn (‚sein‘) als sekundäres Hilfsverb in diesen Verbgruppen auftritt, steht es in der Regel vor dem primären Hilfsverb, das Hauptverb folgt am Schluss,

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vgl.  hebben willen verwisselen in dat zommige onder ons dezelven, zonder reden, tegens zo gezegd zuiver Duitsch hebben willen verwisselen (‚dass einige unter uns dieselben, ohne Grund, für das sogenannte reine Niederländische haben eintauschen wollen‘ EFB 39). Das Hauptverb tritt zumeist in letzter Position auf, wenn mehrgliedrige Verbgruppen am Ende der Struktur vorkommen, vgl. lezen in dat ik het zou kunnen lezen (‚dass ich es lesen könnte‘ SBH 111). Eine sogenannte Durchbrechung der mehrgliedrigen Verbgruppen ist in der mittleren Neuzeit regelmässig festzustellen, so steht gelyk zwischen den Verben kunnen und staan in dat wy nooit in dit stuk met de Buitenlandsche schryvers kunnen gelyk staan (‚dass wir in dieser Hinsicht nie mit den ausländischen Schriftstellern gleichziehen können‘ SBH 107). Grössere Freiheit in der Wortfolge entsteht durch die Umschreibung des indirekten Objektes mittels einer aan-Bestimmung, die vermehrt auftritt, vgl. aan den Graave van Bossu in Terstond staakte hy het geweldig heffen des tienden Pennings, te Brussel, en zondt bevel aan den Graave van Bossu (‚Er stellte gleich die gewaltsame Einforderung des zehnten Pfennigs zu Brüssel ein, und schickte dem Grafen von Bossu den Befehl‘ WGN 346). Ohne aan wäre die Folge zondt bevel den Graave van Bossu nicht möglich. Ähnliches gilt für Hy ontdekte zyne meening aan eenige luiden (‚Er legte seine Gedanken einigen Leuten offen‘ WGN 343). Die freiere Wortfolge, die mit der Verwendung einer Präposition wie aan zusammenhängt, macht in solchen Strukturen nicht nur die Folge Subjekt – finites Verb – direktes Objekt – indirektes Objekt möglich, sondern auch Subjekt – finites Verb – indirektes Objekt – direktes Objekt. 6.4.2.5. Partizipialkonstruktionen Kennzeichnend für die Schriftsprache der mittleren Neuzeit ist die häufige Verwendung von dem Latein entliehenen Partizipialkonstruktionen, die ein Partizip mit Verbalaussage enthalten. Sieht man hier von der Beschreibungsproblematik solcher Konstruktionen ab, so sind absolute Partizipialkonstruktionen zu unterscheiden, die ein Subjekt umfassen, das keine Funktion in der restlichen Struktur erfüllt, vgl. zijnde in T. Rinkels Beispiel Den handel op Guinea ende eenige andere plaetsen van Africa ende America versorght zijnde / voor so vele doen van noode was; hebben de Bewinthebberen die doen de Compagnie dienden / begonnen te beraeden / wat sy best souden voornemen tegen de vyanden van desen staet (,Indem der Handel in Guinea und in einigen anderen Orten von Afrika und Amerika geregelt war, so weit dies nötig war, haben die Führungskräfte, die der Kompagnie damals dienten, angefangen, sich zu beraten, was sie am besten unternehmen konnten gegen die Feinde dieses Staates‘). Sodann sind verbundene Partizipialkonstruktionen mit einem Subjekt für die ganze Konstruktion zu nennen, vgl. De Spanjaards, ondertusschen, ’t water ziende wassen, begeeven zig op de vlugt (‚Als die Spanier indessen das Wasser steigen sehen, so begeben sie sich auf die Flucht‘ WGN 347) mit De Spanjaards als Subjekt zu ziende und begeeven. Partizipialkonstruktionen können nach Van der Wal und Van Bree u.a. eine temporale oder eine kausale Funktion in der gesamten Struktur besitzen; dass eine solche Kategorisierung übrigens nicht unproblematisch ist, zeigt das vorher angeführte Beispiel: ist ’t water ziende wassen hier eine temporale oder eine kausale Funktion zuzuweisen?

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Es ist nicht ohne Weiteres zu folgern, dass die Frequenz von Partizipialkonstruktionen im Laufe der mittleren Neuzeit erheblich zunahm. Vergleicht man Wagenaars Darstellung von der Eroberung Den Briels mit Hoofts Beschreibung des gleichen Ereignisses, so fällt auf, dass der Historiker aus dem 18. Jh. nicht mehr solcher Partizipialkonstruktionen benutzt als sein Vorgänger aus dem 17. Jh. Übrigens übernimmt Wagenaar gelegentlich eine Partizipialkonstruktion von seinem Vorbild, so van den nood eene deugd maakende (‚während er aus der Not eine Tugend machte‘ WGN 342). Manchmal ersetzt er eine Phrase mit einem finiten Verb durch eine Partizipialkonstruktion. So enthält Hoofts Text das finite Verb vraaghde in ’T krysvolk […], vraaghde de geenen, die oover de muuren keeken, oft men hun op doen zoude, oft zy zich zelf moeten inhelpen (PHH 230). Dagegen steht an gleicher Stelle in Wagenaars Version die Partizipialkon­ struktion ’s Graaven volk vraagende, vgl. ’s Graaven volk, midlerwyl, te land gestapt, rukt aan tot voor de Water- of Noordpoort, vraagende, of men hen, dan of zy zig zelven zouden binnen helpen? (,Das Schiffsvolk des Grafen, welches mittlerweile an Land gegangen war, rückte vor das Wasser- oder Nordertor und fragte, ob man sie hereinlassen wollte, oder ob sie sich selbst das Tor öffnen sollten‘ WGN 344). Auch fällt auf, dass Wolff und Deken Partizipialkonstruktionen mit Mass verwenden, so enthält das eher programmatische Vorwort ihres ‚nicht-übersetzten‘ niederländischen Romans neben den über zweihundert Verbalgruppen mit finitem Verb nur eine einzige Partizipialkonstruktion. 6.4.2.6. Zusammenziehungen Von der Vielzahl syntaktischer Strukturen, die in dieser Zeit vorkommen, sind weiter Zusammenziehungen gleichgeordneter Phrasen zu nennen. In einer dieser Phrasen fehlt ein Element, das in einer anderen, angeschlossenen, gleichgeordneten Phrase auftritt. So umfasst Doordrongen van deeze denkbeelden, hopen wy dien tyd nog te zien aankomen: (‚Durchdrungen von diesen Denkbildern, hoffen wir, jene Zeit noch zu erleben‘ SBH 108) das Subjekt wy, in der anschliessenden Phrase maar ondernemen teffens, om een oorspronkèlyk Vaderlandschen Roman uittegeven: (,aber wir probieren gleichzeitig, einen ursprünglichen, vaterländischen Roman herauszugeben‘ SBH 108) fehlt das Subjekt. Es fällt dabei auf, dass das Subjekt im ersten Teil nach dem finiten Verb auftritt, das implizierte Subjekt des zweiten Teils müsste daher ebenfalls nach dem finiten Verb stehen, passt aber eher vorher. Im heutigen Niederländischen gilt ein derartiges Zeugma als ein Verstoss gegen Grammatikregeln, die für eine Zusammenziehung gleichgeordneter Phrasen allgemein angenommen werden: das abwesende, aber implizierte Element in der einen Phrase sollte nach Form, Funktion, Position und Bedeutung dem vorhandenen Element der anderen Phrase entsprechen. Hiervon abweichende Konstruktionen sind in der niederländischen Grammatik übrigens als tante Betje bekannt, seit der Sprachpurist Charivarius (1870–1946) diese Zeugma-Konstruktionen einmal so getauft hat. 6.4.2.7. F estigung syntaktischer Merkmale des Neuniederländischen Von den oben besprochenen syntaktischen Erscheinungen ist die Mehrzahl als charakteristisch für die entstehende allgemeine niederländische Standardsprache einzustufen. So sind die meis-

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ten der besprochenen Wortfolgemuster nominaler Gruppen auch im neuesten Niederländischen anzutreffen, nicht mehr vorkommende Phrasen wie so groot een getal sind diesbezüglich die Ausnahme. Auch die Wortfolge in den erörterten Strukturen verbaler Gruppen sowie die Stellung des finiten Verbs kennzeichnen das allgemeine Niederländische. Es treten vermehrt indirekte Objekte mit der Präposition aan auf, die eine freiere Wortfolge ermöglichen. Sodann erscheinen vermehrt Präpositionalobjekte, die durch feste Präpositionen mit dem entsprechenden Verb verbunden sind. In untergeordneten Strukturen kommt auch im Niederländischen der neuesten Zeit grüne neben roter Folge vor. Die Auflösung der Kasusmarkierung durch grammatische Morpheme setzte sich auch im geschriebenen Niederländischen durch. Allerdings entstanden neue morphologische Merkmale wie Markierung des Besitzes durch s-Flexion des Substantivs, wie moeders in moeders wil is wet (‚Mutters Wille ist Gesetz‘). Die Versuche der Grammatiker der mittleren Neuzeit haben nicht zu einer allgemein akzeptierten Unterscheidung zwischen mask. und fem. Substantiven geführt. Wohl sollte die Frage des Genus commune die Sprecher des Niederländischen weiter beschäftigen. Insbesondere in der schriftlichen Kommunikation bleibt die Frage ungelöst, wie pronominale Bezeichnungen in Bezug auf die unterschiedlichen Substantive zu selektieren sind: wenn im Norden der Niederlande von einer Katze gesagt wird hij heeft jongen (‚er hat Junge‘), so stellt sich die Frage, ob man hier auch hij schreibt. Unklarheit über die Klassifizierung von Substantiven sollte in der geschriebenen Sprache fortbestehen.

6.4.3. Lexik Wie M.A. Mooijaart und R. Tempelaars, die im Weiteren regelmässig zitiert werden, darlegen, setzten sich die lexikografischen Bemühungen, die im 16.  Jh. eingesetzt hatten, fort. Davon zeugen die in 6.2.3. genannten Veröffentlichungen, allerdings sollten erst gegen Ende des 18. beziehungsweise im Laufe des 19. Jh. neue lexikografische Standardwerke zur niederländischen Sprache erscheinen. Das Lexikon wächst zwischen 1650 und 1800 nicht nur durch die Entstehung neuer einheimischer Wörter (vgl. 3.4.3.1.), sondern auch durch eine erhebliche Anzahl von Lehnwörtern (vgl.  3.4.3.3.). Sodann fällt auf, dass archaische lexikalische Elemente namentlich durch die Statenvertaling und die Psalmen-Übertragungen eine lange Lebensdauer aufweisen. Nach wie vor sind Ausdrücke, die von Puristen in der frühen Neuzeit gebildet wurden, in den Texten der mittleren Neuzeit anzutreffen. Wissenschaftliche Arbeiten weisen beispielsweise von Stevin eingeführte Fachausdrücke und Bezeichnungen von Wissenschaftsdisziplinen, so tuigwerkkunst als Synonym für mechanique (‚Mechanik‘) auf. Zudem entstehen an Stelle von Lehnwörtern weitere einheimische Wörter, so wiskunde (‚Mathematik‘) oder wijsgeer (‚Philosoph‘). Auch in dieser Sprachphase können sich semantische Merkmale von Wörtern ändern, zudem sterben Wörter aus. Die Statenvertaling trug sowohl im 17. Jh. als auch danach zum Erhalt älterer lexikalischer Elemente bei. Bearbeitungen dieser Bibel als auch Neuauflagen der Psalmen erhalten im Laufe der Jahrhunderte archaisches Sprachmaterial. S.J. Lenselink hat beispielsweise gezeigt, dass eine grössere Zahl der über fünfzig Bearbeitungen von Psalm 130, die zwischen 1640 und 1800

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erschienen, sich auch lexikalisch stark an der Statenvertaling orientieren. So übernahm Hendrik Ghysen 1686 viele Wörter und Redewendungen aus dieser Bibel, Johannes Eusebius Voet zitiert im Respektrand seiner Bearbeitung der Psalmen 1763 seine Quelle von 1637. Auch die im Auftrag der Generalstaaten veröffentlichte, immer wieder von Protestanten benutzte Ausgabe der Psalmen 1773 berücksichtigt lexikalisch die Statenvertaling. Während der Jahre 1775/76 führte die Einführung dieser neuen Psalmen-Übertragung übrigens zu einem psalmenoproer (‚PsalmAufruhr‘) in orthodoxen Gemeinden, die darauf bestanden, auch weiterhin die noch archaischeren Wörter der von Petrus Datheen (zirka 1531–1588) übersetzten Psalmen zu singen. Dagegen sterben, wie in jeder Sprachstufe, auch in der mittleren Neuzeit Wörter aus. Beispiele davon sind Verben wie lobberen (‚zappeln‘), opdriesen (‚Geister wachrufen‘), vermerken (‚bemerken‘), vermijteren (‚verfaulen‘); sie sind nach dem 18. Jh. nicht mehr schriftlich festgehalten. Auch Substantive verschwinden, so beispielsweise verponding (‚Steuerveranlagung‘). Sodann sterben weitere, insbesondere in der Schriftsprache verwendete französische Lehnwörter aus, wie beispielsweise attentief (‚aufmerksam‘) oder aufugeeren (‚entfliehen‘). Weiter kann sich auch in dieser Zeit die grammatikalische Funktion vereinzelter Wörter ändern, so zum Beispiel adel (‚Adel‘), das nicht mehr adjektivisch als Synonym von edel (‚adlig‘) vorkommt. Ebenfalls sind Änderungen der Wortbedeutung festzustellen. So hat zum Beispiel koets mit den ursprünglichen Bedeutungen ‚Kutsche‘ und ‚Bett‘ im 18. Jh. die Bedeutung von ‚Bett inklusiv Bettzeug und Matratze‘ verloren. In literarischen Texten wird das Wort allerdings bis spät ins 19. Jh. weiter in dieser Bedeutung verwendet. Auch ist die Entstehung einer weiteren Bedeutung eines Wortes zu nennen, so löste das Wort kasteel nach dem Mittelalter die mnl. Bezeichnung roc als Andeutung der Schachfigur Turm ab, behielt aber daneben die Bedeutung von Schloss. Auch in der mittleren Neuzeit ist ein Wachstum des niederländischen Wortschatzes zu verzeichnen, das allerdings bescheidener ausfällt als in den Jahren zwischen 1500 und 1650. Zu den neuen lexikalischen Elementen zählen neben den einheimischen Wörtern auch Lehnwörter, die mehrheitlich aus dem Französischen stammen. 6.4.3.1. Erweiterung des Lexikons Um einen Eindruck von der Erweiterung des niederländischen Wortschatzes in der mittleren Neuzeit zu erhalten, wird im Weiteren das repräsentative Corpus von Wörtern des allgemeinen Standardniederländischen berücksichtigt, das N. van der Sijs für ihr Chronologisch Woordenboek anfertigte. Die Zahlen beziehen sich auf ungegliederte Wörter, wozu beispielsweise Infinitive gehören, vgl.  opsnijden (‚angeben‘), oder nicht zusammengesetzte Substantive wie kapper (‚Friseur‘); nicht gezählt werden lexikalische Elemente wie zum Beispiel das Diminutiv kappertje. Die so ermittelten Zahlen geben ein Indiz des Wachstums des niederländischen Lexikons. In der Zeit von 1650 bis 1800 weist das hier berücksichtigte Wortmaterial eine Zunahme von zirka 2500 Wörtern auf gegen zirka 3200 in der Zeit von 1500 bis 1650. Rund 40 % der in der mittleren Neuzeit verzeichneten neuen Wörter erscheinen in den fünfzig Jahren von 1650 bis 1700, die übrigen sind zum ersten Mal in den weiteren hundert Jahren bis 1800 belegt. Solche

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6. Das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit (1650 bis 1800)

Zahlen sagen übrigens nicht aus, wie häufig neue Wörter verwendet und in welchem Kontext sie gebraucht wurden. Zu erwarten ist in einer von Klassizismus, Rationalismus und Aufklärung bestimmten Zeit eine Zunahme von Wörtern in hier nicht weiter definierten Lebensbereichen wie Kultur, Wissenschaft, Philosophie und Erziehung. Tatsächlich wächst das Lexikon in diesen Sektoren, so gehören von den Wörtern, die im Jahr 1650 erstmals belegt sind, über 30 % zu diesen Bereichen, vgl. die folgenden, beliebig gewählten Beispiele: stilleven (‚Stillleben‘), thesis (‚These‘), theorema (‚Theorem‘) oder educatie (‚Erziehung‘). Von den neuen Wörtern, die um die Jahrhundertwende zwischen 1698 und 1702 belegt sind, können zirka ein Viertel diesen Klassen zugeordnet werden, so u.a. pantomime (‚Pantomime‘), formule (‚Formel‘), wijsgeer (‚Philosoph‘) oder doctoraal (‚Doktor-‘). In der Mitte des 18. Jh. zählen von den zwischen 1748 und 1752 belegten neuen Wörtern 30 % zu den gleichen Bereichen, so zum Beispiel chanson (‚Chanson‘) und ellips (‚Ellipse‘), gegen Ende des 18. Jh. sind dies ein Viertel der zwischen 1798 und 1800 belegten neuen Wörter, vgl. akte (‚Akt‘), causaliteit (‚Kausalität‘), ontologie (‚Ontologie‘) oder instituut (‚Institut‘). Wenn man ‚Inhaltswörter‘ wie N. van der Sijs in weiteren Klassen wie ‚Erdreich‘, ‚Pflanzenreich‘ und ,Tierreich‘ usw. rubriziert, ein Konzept, das hier nicht weiter theoretisch zu erläutern ist, so liesse sich auch eine Kategorie ‚Menschenreich‘ in einer erweiterten Anwendung von Van Sijs‘ Klasse mensenwereld postulieren, die den Menschen und seine Umwelt einschliesst. Zu einer solchen Klasse gehören die meisten der übrigen neuen Wörter, die in der mittleren Neuzeit zum ersten Mal belegt sind. Es sind dies in der Mitte des 17. Jh. über 30 %, am Ende des 17. Jh. gegen 50 %, in der Mitte des 18. Jh. über 30 % und gegen Ende des 18. Jh. fast 50 % neue Wörter, so zum Beispiel seigneur (‚Patron‘), schorr(i)emorrie (‚Gesindel‘), vrijgezel (‚Junggeselle‘) oder coiffeur (‚Friseur‘). 6.4.3.2. Frequenz und Wertschätzung von Lehnwörtern Von den neuen niederländischen Wörtern, die zwischen 1650 und 1800 entstehen, sind 30 % französische Lehnwörter. Verglichen mit der Zeit von 1500 bis 1650, als 60 % der neuen Wörter aus dieser Sprache kamen, nimmt die Prozentzahl neuer französischer Lehnwörter somit um die Hälfte ab. Immerhin ist Französisch nach wie vor die weitaus wichtigste Quelle neuer Entlehnungen. Aus dem Deutschen stammen in diesem Zeitabschnitt lediglich zirka 5 % der Lehnwörter, was übrigens im Vergleich zur Periode 1500 bis 1650 ebenfalls eine Halbierung bedeutet. Die Verwendung von Wörtern fremder Herkunft, die auch in dieser Zeit regelmässig zur Diskussion steht, wird unterschiedlich beurteilt. Die Mehrzahl der Äusserungen zum Gebrauch von Lehnwörtern beziehen sich auf lexikalisches Material, das aus dem Französischen stammt, Entlehnungen aus dem Deutschen finden nur wenig Beachtung. Die in 6.3.5.1. zitierten Texte aus De Hollandsche Spectator zeigen, dass in der ersten Hälfte des 18. Jh. eine ausgewogene Haltung gegenüber der Verwendung von Lehnwörtern bestand. Die Texte des Myn Heer Spectator und anonymer Briefschreiber, die vielleicht allesamt von Van Effen stammen, enthalten Argumente für und gegen den Gebrauch von Ausdrücken aus anderen Sprachen; sie werden bis auf den heutigen Tag in Auseinandersetzungen über Lehnwörter angeführt. So heisst es, dass andere Sprachen auch Wörter aus dem Niederländischen leihen, im

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Französischen kämen niederländische Wörter wie frz. mast (‚Mast‘) und frz. babord (‚Backbord‘) vor. Folglich wäre dem Umgekehrten nichts entgegenzusetzen. Weiter wird angeführt, dass das Niederländische zwar viele Fremdwörter kennt, die vor allem aus dem Französischen stammen, sie haben aber Bürgerrecht erhalten. Auch wäre zu bedenken, dass das Englische aus sehr vielen Lehnwörtern bestehe, es sei aber doch eine klare Sprache. Dass Sprachen fremde Wörter aufnehmen, wäre zudem ein vollkommen natürlicher Vorgang. Sodann wird den Puristen vorgeworfen, dass sie nur die fremden Elemente in der Sprache der Niederländer beanstanden, dabei aber vergessen, dass ihr Charakter ebenfalls durch die historischen Ereignisse von Fremdeinflüssen geprägt ist. Wohl wird die übertriebene Verwendung von Lehnwörtern kritisiert, so in einer Persiflage (vgl. 6.3.5.1., Nr. 202), die durch die fremden Wörter unlesbar wird: Prahlerei mit fremden Wörtern könnte höchstens naive Menschen beeindrucken. Der Herr Spectator kommt zum Schluss, dass Sprache klar und verständlich sein sollte, Wörter fremder Herkunft könnten dazu beitragen. Ein halbes Jahrhundert später vertreten die Schriftstellerinnen Wolff und Deken ebenfalls eine ausgewogene Meinung zur Verwendung von Wörtern fremder Herkunft. Sie warnen zwar vor der Verwendung insbesondere französischer Lehnwörter (vgl. 6.3.1.1.), sind aber keine ausgesprochenen Puristinnen. Diesbezüglich ist der Dichter und Historiker Bilderdijk eine Ausnahmeerscheinung. Zwar experimentierte er mit dem einheimischen Wortschatz, seine Neubildungen sollten das Niederländische nicht nachhaltig ändern. 6.4.3.3. Französische Lehnwörter Wie bedeutend war das Französische für die Erweiterung des niederländischen Wortschatzes in dieser Zeit? Wie dargelegt, ist Französisch auch in der mittleren Neuzeit Hauptlieferant von Lehnwörtern, unsicher bleiben aber Frequenz und Kontext ihrer Erscheinung im schriftlichen und im gesprochenen Niederländischen. Dass man in der mittleren Neuzeit den französischen lexikalischen Neulingen gelegentlich kritisch gegenüberstand, deutet wohl darauf hin, dass französische Lehnwörter häufiger benutzt wurden, als manchem lieb war. Nicht ohne Grund ironisiert der Verleger und Verfasser von Witztexten Arend Fokke Simonsz. (1755–1812) die zeitgenössische Verwendung französischer Lehnwörter, wenn er in seinem Ironiesch Comiesch Woordenboek (‚Ironisches-Komisches Wörterbuch‘) 1797 unter dem Lemma Beschaafd festhält: Duidt thans, over het algemeen, aan, ‚verfijnd, minder grof‘, zo wel in het ‚zedelijke‘ als ‚zedelooze‘. Edoch, wanneer de ondeugden beschaafd zijn, verkrijgen ze andere naamen; bij voorbeeld, beschaafd Overspel en Hoererij, heet men thands Galanterie; beschaafd Bedrog ‚dupeeren‘; beschaafd Ongeloof, ‚bon sens‘; beschaafde Dertelheid, ‚bon ton‘; beschaafde Ver­ kwisting ‚sçavoir vivre‘, enz. (,Zivilisiert‘: ‚Deutet heute im allgemeinen ,verfeinert‘, ‚weniger grob‘, sowohl im ‚Sittlichen‘ als im ‚Sittenlosen‘ an. Jedoch, wenn die Untugend zivilisiert ist, so bekommt sie andere Bezeichnungen, zum Beispiel: anständigen Ehebruch nennt man nun ‚Galanterie‘; anständigen Betrug ‚düpieren‘, anständigen Unglauben ‚bon sens‘ [Redlichkeit], anständige Ausgelassenheit ‚bon ton‘ [guter Ton]; anständige Verschwendung ‚Savoir-vivre‘ usw.‘). Diese häufig zitierte Stelle kann als Ironie ihre Wirkung nur erzeugt haben, wenn die Leser den belächelten sprachlichen Trend der Zeit erkannten.

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6. Das kultivierte Niederländische der mittleren Neuzeit (1650 bis 1800)

Van Effen übersetzt manche französischen Lehnwörter, so heute eingebürgerte Wörter wie fauteuil (‚Lehnsessel‘) oder stupide (‚stupide‘), bei anderen wie admiratie (‚Bewunderung‘) oder exact (‚exakt‘) fehlt eine Erklärung, sie waren wohl bekannt. Zu den eingebürgerten französischen Lehnwörtern aus der Zeit von 1650 bis 1800 zählen in der Klasse Kultur, Wissenschaft, Philosophie und Erziehung u.a. ballet (‚Ballett‘), definiëren (‚definieren‘), existentie (‚Existenz‘) oder kandidaat (‚Kandidat‘). Zum Bereich Mensch/menschliche Umwelt gehören mama (‚Mama‘), revolutie (‚Revolution‘). Französische Lehnwörter in den Bereichen Pflanzenund Tierwelt sind renet (‚Apfel‘), insect (‚Insekt‘) und gazelle (‚Gazelle‘), zu den Bereichen Nahrung und Konsum zählen biscuit (‚Keks‘), dessert (‚Dessert‘). Aus dem Französischen stammende Wörter aus Handel, Schifffahrt und Industrie sind cliënt (‚Kunde‘), assortiment (‚Sortiment‘), fabricatie (‚Fabrikation‘) oder barkas (‚Barkasse‘). 6.4.3.4. Deutsche Lehnwörter Nach Andries Pels liefern wat geboogen zijnde (‚eingermassen flektierte‘) hochdeutsche Wörter brauchbare niederländische Wörter, so gesmukt (‚geschmückt‘), ophitsen (‚aufhetzen‘), aber auch geschichten (‚Geschichten‘), das im Nnl. ansonsten als geschiedenissen vorkommt. Die puristische Arbeit Joachim Heinrich Campes (1746–1818), der Tausende Lehnwörter verdeutschte, hat auch in den Niederlanden Aufmerksamkeit erhalten. So übersetzte Johannes Lubling 1796 mehrere Neubildungen aus den Proben einiger Versuche von deutscher Sprachbereicherung ins Niederländische. Von einigen der von Campe gebildeten deutschen Lehnübersetzungen waren allerdings bereits niederländische Entsprechungen vorhanden. So ist laut De Vooys spitsvondigheid (‚Spitzfindigkeit‘) bereits 1781 belegt, spitsvondig (‚spitzfindig‘) kommt übrigens schon 1617 vor. Seit dem Mittelalter wurden deutsche religiöse Texte in den Niederlanden rezipiert. Luthers Bibelübersetzung hat nachhaltig die Arbeit niederländischer Bibelübersetzer mitgeprägt. Die Zahl der deutschen Lehnwörter aus dem Bereich der Religion, die zwischen 1650 und 1800 in den vermehrt kalvinistisch gewordenen Niederlanden entstehen, ist allerdings zu vernachlässigen. Insgesamt umfasst Van der Sijs’ Corpus zirka 150 deutsche Lehnwörter, die zwischen 1650 und 1800 ins Niederländische aufgenommen wurden. Sie vertreten verschiedene der von Van der Sijs selektierten Wortkategorien, so zum Beispiel omwenteling (,Umdrehung‘, ‚Umsturz‘), alg (‚Alge‘), ruggespraak (‚Rücksprache‘), heimwee (‚Heimweh‘), drijfveer (‚Triebfeder‘), vuurwerk (‚Feuerwerk‘) oder oplage (‚Auflage‘). Zirka 10 Wörter stammen aus dem Bereich Musik, so pauk (‚Pauke‘), partituur (‚Partitur‘), doedelzak (‚Dudelsack‘) und kamermuziek (‚Kammermusik‘). Im 19. Jh. sollte dann, in einer Blütezeit der deutschen Musik, die Zahl der deutschen Entlehnungen stark zunehmen. 6.4.3.5. Übrige Lehnwörter Durch den Handel im Mittelmeerraum bestanden seit dem Mittelalter Kontakte mit italienischen Städten. Italienische Geschäftsleute, namentlich Bankiers, liessen sich vom Ende des 13. Jh. bis ins 17. Jh. in den Niederlanden nieder. Die in Italien entstandene Renaissance prägte auch in den Niederlanden die Kultur, insbesondere Kunst und Literatur (vgl.  5.2.3.). Niederländische Schriftsteller und Maler reisten nach Italien, um die neue Kunst kennenzulernen. Die moderne

6.4. Merkmale des Niederländischen der mittleren Neuzeit

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italienische Musik, wie auch neue Formen der Oper, wurden im 17. und 18. Jh. in Europa, so auch in den Niederlanden beliebt. Dieser wirtschaftliche und kulturelle Einfluss Italiens in den Niederlanden liess auch seine Spuren im niederländischen Lexikon zurück. Berücksichtigt man die Zeit vom 15. bis zum ersten Viertel des 20. Jh., so kommt die Zahl der aus dem Italienischen stammenden Lehnwörter in der niederländischen Sprache an fünfter Stelle nach den französischen, lateinischen, englischen und deutschen Entlehnungen. In den Jahren 1650 bis 1800 bürgerten sich über 120 italienische Lehnwörter ein, so ist Italienisch in dieser Zeit die viertgrösste Quelle niederländischer Entlehnungen. Wie in der Epoche 1500 bis 1650 zählt ein beträchtlicher Teil der italienischen Lehnwörter zum Bereich des Geschäftslebens, vgl. Wörter wie valuta (‚Währung‘), franco (‚portofrei‘) oder incasseren (‚einkassieren‘). Die grosse Mehrheit der aus dem Italienischen stammenden Wörter sind in der Welt der Musik anzutreffen: zwischen 1650 und 1800 wurde das niederländische Lexikon mit zirka hundert italienischen Lehnwörtern für Musikinstrumente und musikalischen Fachausdrücken bereichert. Sodann übernahm das Niederländische zwischen 1650 und 1800 vereinzelte Wörter aus diversen anderen Sprachen, so labyrint (‚Labyrinth‘) aus dem Lateinischen, commando (,Kommando‘) aus dem Spanischen, kraal (‚Kral‘) aus dem Portugiesischen, hartenbeest (‚Grossantilope‘) aus dem Afrikaans, orang-oetang (‚Orang-Utan‘) aus dem Indonesischen, kadi (‚Kadi‘) aus dem Arabischen, fjord (‚Fjord‘) aus dem Norwegischen, autarkie (‚Autarkie‘) aus dem Griechischen, pierewaaien (‚bummeln‘) aus dem Russischen, soja (‚Soja‘) aus dem Japanischen, lychee (‚Lychee‘) aus dem Chinesischen, pietsje (‚Kleinigkeit‘) aus dem Jiddischen, zuurzak (tropische Frucht ‚Annona muricata‘) aus dem Papiamento, rosbief (‚Roastbeef‘) aus dem Englischen, pasja (‚Pascha‘) aus dem Türkischen, tungsteen (‚Wolfram‘) aus dem Schwedischen, eierdons (‚Eiderdaunen‘) aus dem Isländischen oder sjorren (‚zerren‘) aus der Nachbarsprache Friesisch. Literatur zu 6.4.: Van Bakel 1975; Van den Berg 1990; Van den Bergh 1857/59; Van de Bilt 2000; De Bonth et al. 1996; Van Bree 2004; Caron 1972; Cornelissen 2003; Van Driel et al. 2008; Frijhoff 1991; Goossens 1978; Hagen 1995; Vor der Hake 1911; Hellinga 1968; Van der Horst 2008; Lenselink 1991; Mooijaart in: Van den Toorn et al. 1997; Noordegraaf 2000a: Noordegraaf 2000b; Rinkel 1989; Ruijsendaal et al. 2003; Van der Sijs 1996; Van der Sijs 2001; Van der Sijs 2004; Tempelaars in: Van den Toorn et al. 1997; De Tollenaere 1977; Van den Toorn et al. 1997; Vermaas 2002; De Vooys 1934; Van der Wal et al. 2008.

7. Ausblick

Die Verschriftung von Vorläufern des Niederländischen, die bereits im frühen Mittelalter mit der Niederschrift des Utrechter Taufgelöbnisses begonnen hatte (vgl. 3.3.1.1.), wurde von Geistlichen, Gelehrten, später auch gebildeten Bürgern in alt- und mittelniederländischer Zeit weiter kultiviert (vgl.  Kap. 3 und 4). Formen der so entstandenen überregionalen mittelniederländischen Verkehrs- und Kultursprache bildeten eine bedeutende Grundlage des sich etablierenden Neuniederländischen in der frühen Neuzeit. Insbesondere durch die Anstrengungen von Humanisten, Grammatikern und Schriftstellern in den nördlichen Niederlanden, die sich zu einer Republik zusammengeschlossen hatten, bildete sich das Neuniederländische im 16. und 17. Jh. heraus (vgl. Kap. 5). Das gesprochene überregionale Niederländische orientierte sich vor allem an der Sprache der vornehmen beziehungsweise gebildeten Bürger der holländischen Städte. Bestrebungen von Grammatikern und Schriftstellern in der mittleren Neuzeit, das Niederländische weiter zu reglementieren und zu kodifizieren, führten um 1800 zur Festigung einer allgemeinen, überregionalen niederländischen Schriftsprache (vgl. Kap. 6). Sie war das Ergebnis einer mehr als tausendjährigen Kultivierung der Muttersprache. Die Verbreitung des gesprochenen überregionalen Niederländischen erfolgte im 19. und 20.  Jh. zuerst zögerlich. Weiter sollte gegen Ende des 19.  Jh. eine lexikalische, syntaktische und morphologische Anpassung der Schriftsprache an das gesprochene Niederländische einsetzen. Gegenseitige Einwirkungen geschriebener und gesprochener Formen des Niederländischen führten zur Festigung des Niederländischen von heute. Einige der bedeutendsten dieser komplexen Vorgänge, die in einer separaten Veröffentlichung näher darzustellen sind, werden hier im Sinne eines Ausblickes kurz genannt. Im Königreich der Niederlande, das nach der napoleonischen Zeit sowohl die nördlichen als auch die südlichen Provinzen umfasste, war Niederländisch die Muttersprache von zirka 75 % der gesamten Bevölkerung. Laut Regierungsbeschluss wurde Niederländisch 1823 in den Provinzen West- und Ostflandern, Antwerpen, Limburg und in Teilen Brabants als einzige Amtssprache eingeführt. Ein Teil der Bewohner dieser Gebiete empfand diese von König Wilhelm I. geförderte Massnahme als ungerecht; nicht nur Aristokraten und Beamte wehrten sich, sondern auch römisch-katholische Geistliche, die dem protestantischen König misstrauten, und Wallonen, die sich um den Status des Französischen sorgten. Schliesslich gab der König nach, die Sprachfreiheit wurde erlassen. Entgegengesetzte politische und wirtschaftliche Interessen führten zu einer Rebellion im Süden. Der Obrigkeit gelang es trotz militärischen Eingreifens nicht, den Aufstand endgültig niederzuschlagen, am 4. Oktober 1830 wurde feierlich der Staat Belgien verkündet. Obschon im neuen Königreich die niederländischen Sprecher in der Überzahl waren, kam das Niederländische in den niederländischsprachigen Gebieten Belgiens, hier weiter als Flandern bezeichnet, arg

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in Bedrängnis. Französisch, Kommunikationsmittel der herrschenden Klasse, wurde die Sprache der Verwaltung. In einer wirtschaftlich und sozial aussichtslosen Lage begannen die politisch entmündigten Flamen, für ihre Rechte und ihre Sprache einzutreten. Diese Bestrebungen, die gemeinhin mit dem Ausdruck Vlaamse Beweging (‚Flämische Bewegung‘) zusammengefasst werden, sollten die Emanzipation der Flamen und ihrer Muttersprache fördern. Inzwischen hatte Matthijs Siegenbeek (vgl. 6.1.4.2.) 1804 in staatlichem Auftrag die Regeln einer einheitlichen Rechtschreibung formuliert. Trotz Widerstandes gegen diese Richtlinie, die nicht nur die Etymologie, sondern auch Aussprachevarianten berücksichtigte, sollte sie in Belgien bis 1864, in den Niederlanden bis 1888 angewendet werden. Auch Grammatiken aus dem 19. Jh., die nicht nur das Niederländische ihrer Zeit beschreiben, sondern auch Sprachregeln enthalten, sind präskriptiv. So schreibt Petrus Weiland, der vier Kasus im Niederländischen unterscheidet, die ‚richtige‘ Anwendung von Kasusregeln vor. Dazu war es naturgemäss weiterhin nötig, das Wortgeschlecht festzulegen (vgl. 6.2.2.), wie dies Willem Gerard Brill (1811–1896) oder Bilderdijk in ausführlichen Arbeiten vornahmen. So entfernte sich die Schriftsprache, die vermehrt archaische Züge aufwies, auch morphologisch und syntaktisch von gesprochenen Formen des Niederländischen. Die Frage der Rechtschreibung löste Diskussionen über die Stellung der niederländischen Schriftsprache aus. So hielt Bilderdijk (vgl.  6.4.2.2.) die lebendige, gesprochene Sprache für die Grundlage des Niederländischen. Der Dichter und Philosoph J. Kinker, Hochschullehrer für Niederländisch in Lüttich, befürwortete eine Annäherung des gesprochenen und geschriebenen Niederländischen. In dieser Zeit der Romantik, mit ihrer Verherrlichung des Vaterlandes und ihrer Bewunderung für die nationale Geschichte, sagten Puristen wie der Dichter A.C.W. Staring (1767–1840) der Verwendung französischer Lehnwörter den Kampf an. Siegenbeek und Bilderdijk warnten vor dem Einfluss der deutschen Sprache, Wörter wie doelmatig (‚zweckmässig‘) oder voorliefde (‚Vorliebe‘), die heute zum niederländischen Lexikon zählen, seien zu vermeiden. Vermehrt noch wehrten sich Schriftsteller und Sprachgelehrte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. gegen den Einfluss anderer Sprachen auf das Niederländische. Unter den Befürwortern der flämischen Bewegung bestand Uneinigkeit über die Frage, welches Niederländisch zu fördern war. Sogenannte particularisten (‚Befürworter des Partikularismus‘) wie der Dichter Guido Gezelle (1830–1899) versuchten eine flämische Gemeinsprache zu schaffen, die auf lokalen, als ursprünglich angesehenen Mundarten, so dem Westflämischen, gründete. Nur so liesse sich die Eigenart gegen das Holländische und Französische verteidigen. Anhänger des sogenannten integrationisme (‚Befürworter der Integration‘) dagegen strebten eine Integrierung ihrer Sprache ins allgemeine Niederländische an. So förderte Jan Frans Willems (vgl.  4.2.), der wichtigste Exponent der flämischen Bewegung, eine sprachliche Einheit im gesamten niederländischen Sprachgebiet. Das ‚Holländische‘ der Gebildeten im Norden, das laut ihm bereits als Kultursprache eine allgemein gültige Grammatik und Rechtschreibung kannte, solle als Richtschnur für die weitere Standardisierung der Muttersprache dienen. Neben anderen Sprachvarianten verbreitete sich das Niederländische des Nordens als Kultursprache mit überregionalem Prestige schrittweise in Flandern.

7. Ausblick

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Obschon die Kritik am feierlichen Charakter der Schriftsprache u.a. seitens der Schriftsteller im 19. Jh. zunahm, weisen auch Texte von Everhardus Johannes Potgieter (1808–1875), Verfasser literarischer Werke und kritischer Essays, oder des beliebten Nicolaas Beets (1814–1903), bekannt durch seine ‚Kopierlust des alltäglichen Lebens‘, archaische Merkmale auf. Es mag sein, dass man das gesprochene Niederländische für das schöngeistige Schrifttum noch nicht für salonfähig hielt – oder versuchten die Gebildeten, sich durch den Gebrauch einer vornehmen Sprache von anderen abzugrenzen? Auch dem Erneuerer der niederländischen Literatursprache, Multatuli, Pseudonym von Eduard Douwes Dekker (1820–1887; vgl. 5.1.4.2.), gelang es nicht, archaische Elemente in seinen Texten zu vermeiden, obschon er in der Schriftsprache das gesprochene Niederländische möglichst berücksichtigen wollte. Ein solcher Widerspruch erklärt sich wohl am besten mit Multatulis häufig zitierter Aussage Ik leg me toe op ’t schrijven van levend hollandsch. Maar ik heb schoolgegaan (‚Ich verlege mich auf das Schreiben von lebendigem Holländisch. Aber ich bin zur Schule gegangen‘). Dagegen war nach Überzeugung des Linguisten und Philologen M. de Vries, der sich u.a. auf den deutschen Sprachwissenschaftler August Schleicher stützt, gerade die bestehende Schriftsprache weiter zu kultivieren; dieses gepflegte Niederländische sollte als Muster für eine verfeinerte gesprochene Sprache dienen. C.H. den Hertog, Verfasser eines noch immer beachteten grammatikalischen Standardwerkes, ist der Ansicht, die Schriftsprache besitze einen eigenen Charakter, man sollte sowohl das geschriebene als auch das gesprochene Niederländische kultivieren. Eine entgegengesetzte Auffassung vertritt T. Roorda, der sämtliche sprachlichen Entitäten, die in der Schriftsprache zwar vorkommen, im gesprochenen Niederländischen aber fehlen, für tot erklärt; die morphologischen Markierungen von Kasus und Genus in der Schriftsprache, die im gesprochenen Niederländischen grösstenteils abwesend sind, stellt er namentlich in Frage. Dennoch ist die stark normative Grammatik des 19. Jh. auf eine in sprachhistorischer Tradition stehende Kultivierung des Niederländischen ausgerichtet. Dies zeigt sich auch in M. de Vries’ und L.A. te Winkels Arbeit am Woordenboek der Nederlandsche taal. Für dieses umfangreichste Wörterbuch der Welt, das zwischen 1864 und 1998 erschien und über 45.000 Seiten mit zirka 50 Millionen Wörtern und zirka 1.700.000 Zitaten zählt, entwarfen De Vries und Te Winkel eigens eine Rechtschreibung. Sie wurde 1864 in Belgien eingeführt, ab 1870 war sie auch an den niederländischen Grundschulen vorgeschrieben. Die Orthografieregeln des WNT berücksichtigen einerseits die beschaafde uitspraak (‚gepflegte Aussprache‘) des Niederländischen, andererseits die Tradition: nach wie vor waren beispielsweise in der Deklination morphologische Markierungen von Genus und Kasus zu unterscheiden, die im spontan gesprochenen Niederländischen fehlten. Lautlich zusammengefallene Diphthonge wie /au/ oder /εi/ waren unter Berücksichtigung sprachhistorischer Überlegungen unterschiedlich als und beziehungsweise und zu schreiben. Verbesserungen im Erziehungswesen, das Aufkommen von Massenmedien, die zunehmende Mobilität und eine vermehrte Migration in der sich industrialisierenden Gesellschaft begünstigten die Verbreitung des überregionalen Niederländischen seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. Journalistische Texte, die bereits im 18. Jh. beliebt wurden (vgl. 6.1.3.1.), fanden dank der Entwicklung des Zeitungswesens immer mehr Leser. Telegramm- und Telefonverkehr förderten die

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interregionale Kommunikation, seit dem ersten Viertel des 20. Jh. verbreiteten Radioprogramme, seit den Fünfzigerjahren zudem Fernsehsendungen das kultivierte Niederländische unter der gesamten Bevölkerung. Bereits in der Mitte des 19. Jh. ersetzte dank Einsatz von Dampfmaschinen ein Netzwerk von Schiffsverbindungen die alten Linien der trekschuiten (‚Schleppkähne‘). Der Ausbau des Eisenbahnnetzes wurde anfänglich vor allem in Belgien, dann auch in den Niederlanden vorangetrieben, der fiets (‚Fahrrad‘) sollte noch im 19. Jh. den Aktionsradius vieler Bürger erheblich erweitern. So bewirkten die technischen Entwicklungen im 19. und 20. Jh., dass immer mehr Menschen aus verschiedenen Gegenden miteinander in Kontakt kamen. Das überregionale gesprochene Niederländische entwickelte sich vermehrt zur überdachenden Sprache niederländischer Soziolekte, Dialekte und regionaler Varianten. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. wusste die flämische Bewegung Erfolge zu verbuchen. So erlaubte 1873 ein Sprachgesetz Angeklagten, die kein Französisch beherrschten, sich auf Niederländisch zu äussern. Weitere Gesetze gestatteten die Verwendung des Niederländischen in der Verwaltung und im Heer, in Flandern durften an Gymnasien vereinzelte Fächer in der Muttersprache unterrichtet werden. König Leopold II. benutzte 1888 zum ersten Mal bei einem offiziellen Anlass niederländische Wörter, schliesslich machte ein 1898 eingeführtes Gesetz Belgien zweisprachig. Der flämischen Bewegung genügte dies allerdings nicht. Zur Förderung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Emanzipation der flämischen Bevölkerung verlangte sie die Einsprachigkeit Flanderns. Künftig sollte unabhängig von der Zusammensetzung der Bevölkerung die Grenze eines Territoriums bestimmen, ob Niederländisch als Verkehrssprache gelte. Mittlerweile führten Jahrzehnte andauernde Auseinandersetzungen zwischen französisch- und niederländischsprachigen Betroffenen dazu, dass die Universität Gent 1930 niederländischsprachig wurde. Grund- und Oberschulunterricht in Flandern wurde 1932 einsprachig niederländisch. Im Laufe des 20. Jh. regelten weitere Gesetze den Status der Sprachen in Belgien, so entstanden 1963 vier Sprachgebiete: Flandern wurde einsprachig niederländisch, Wallonien einsprachig französisch, eine Gegend entlang der deutschen Grenze blieb deutschsprachig, sodann wurde Brüssel-Hauptstadt zweisprachig niederländisch und französisch. Durch weitere Staatsreformen erlangten die gemeenschappen (‚Gemeinschaften‘) beziehungsweise gewesten (‚Regionen‘) grössere Selbstständigkeit. Von der Bevölkerung Belgiens sind zirka sechs Millionen Personen niederländischsprachig, zirka vier Millionen französischsprachig und zirka 74.000 haben Deutsch als Muttersprache. Sodann ist eine regionale Sprachvariante in Flandern zu nennen, die sich als sogenannte ‚Zwischensprache‘ (‚interlinguage‘) mit aus flämischen Dialekten stammenden sprachlichen Elementen vom überregionalen Niederländischen abhebt und seit einigen Jahrzehnten vermehrt zur Anwendung kommt. Bereits im letzten Viertel des 19. Jh. hatte eine Gruppe jüngerer Schriftsteller, die tachtigers (‚Achtziger‘), entscheidend zur Erneuerung der Schriftsprache beigetragen. Bezeichnenderweise betrachtete der Autor und spätere Ordinarius für niederländische Literatur an der Universität Leiden Albert Verwey (1865–1937) Schreiben als eine stilisierte Form des Redens. Im Süden förderten Schriftsteller wie August Vermeylen (1872–1945), u.a. Gründer der progressiven Zeitschrift Nieuw Vlaams Tijdschrift, die niederländische Sprache und das kulturelle Leben Flanderns. Inspiriert von Schriftstellern wie Multatuli und den tachtigers versuchten

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die Linguisten und Didaktiker R.A. Kollewijn, J. Koopmans und ihre Geistesverwandten, die Schriftsprache zu modernisieren. Sie liessen sich dabei von Auffassungen der deutschen Junggrammatiker, namentlich Hermann Pauls leiten, indem sie sich an der lebendigen, gesprochenen Sprache orientierten. Laut den vorgeschlagenen Erneuerungen wäre in der Schriftsprache auf jene sprachlichen Entitäten zu verzichten, die zwar historisch erklärbar waren, in der bestehenden kultivierten gesprochenen Sprache jedoch nicht mehr vorkamen. Die Vereinfachungen, die Kollewijn und seine Anhänger auch im Hinblick auf die Didaktik der Muttersprache propagierten, stiessen nicht überall auf Gegenliebe. Schriftsteller befürchteten, sie würden die Ästhetik literarischer Texte antasten, Linguisten wie J. van Ginneken oder J. Wille wehrten sich gegen Vereinfachungen des geschriebenen Niederländischen. Sie versuchten den besonderen Status der niederländischen Schriftsprache aus sprachhistorischen und kulturgeschichtlichen Gründen zu schützen. Erst 1934 verordneten die Behörden einige orthografische Erneuerungen für den Niederländischunterricht an der Schule. Eine weitere, stark modernisierte Rechtschreibung setzte Belgien 1946 in Kraft, die Niederlande folgten 1947. Weitere, weniger eingreifende Reformen wurden 1955, 1996 und 2006 eingeführt. Die Modernisierungen der Schriftsprache und die zunehmenden, oben erwähnten Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Sprechern der unterschiedlichen Regionen des niederländischen Sprachgebietes trugen zur Verbreitung des gesprochenen Algemeen Beschaafd Nederlands (‚Allgemein Gepflegtes Niederländisch‘) oder ABN bei: eine wachsende Zahl Sprecher verwenden dieses Niederländisch, das heute in der Regel als Algemeen Nederlands (AN) bezeichnet wird. Laut Untersuchungen wie Taalpeilonderzoek (vgl. TPO) dürften am Anfang des 20. Jh. nicht mehr als 3 % der Bevölkerung die Muttersprache ohne spezifische, auf Dialekte oder Soziolekte zurückzuführende Merkmale gesprochen haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg dieser Prozentsatz auf über 50 in den Niederlanden und 20 in Belgien, gegen Ende des 20. Jh. bis 85 an. Sodann gilt für sämtliche Muttersprachler, dass sie AN verstehen können, zudem findet AN in der Regel beim Lesen und Schreiben Verwendung, geschriebene Texte im Dialekt gehören zu den Ausnahmen. Texte von Schriftstellern aus unterschiedlichen niederländischsprachigen Gebieten werden von Lesern im gesamten niederländischen Sprachraum rezipiert, niederländischsprachige Leser rechnen die belgischen Schriftsteller Guido Gezelle, Willem Elsschot (Pseudonym von Alfons de Ridder, 1882–1960) oder Hugo Claus (1929–2008) genauso zur niederländischen Literatur wie Multatuli, Louis Couperus (1863–1923) und Harry Mulisch (1927–2010), die aus dem Norden stammen. Die Presse, so Tages- und Wochenzeitungen sowie Monatshefte, richtet sich dagegen hauptsächlich an Leser der eigenen Gegend. Dass flämische Fernsehprogramme in den Niederlanden mit niederländischen ‚Übersetzungen‘ untertitelt werden und umgekehrt, hält die Mehrheit der Fernsehzuschauer bezeichnenderweise für überflüssig: 70 % der flämischen Zuschauer möchten auf eine Wiedergabe niederländischer Texte in einer dialektischen Sprachvarietät verzichten, 65 % des niederländischen Fernsehpublikums hält eine ‚Übersetzung‘ flämischer Dialoge für unnötig (vgl. TPO). Heute ist Niederländisch die Muttersprache von gegen 24 Millionen Menschen weltweit. In den Niederlanden leben fast 17 Millionen Muttersprachler, in Belgien 6 Millionen und in Surinam

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400.000; weitere 5 Millionen Menschen benutzen Niederländisch als zweite Sprache. Niederländisch ist eine offizielle Sprache in den Niederlanden und auf den Inseln mit kommunalem Sonderstatus Bonaire, Saba sowie Sint Eustatius, in Belgien, in Surinam wie auch auf Aruba, Curaçao und Sint Maarten. Die Überlebenschance der niederländischen Sprache wird in der Sprachwissenschaft nicht ernsthaft zur Diskussion gestellt, auch wenn das Englische in manchen Bereichen der Gesellschaft an Bedeutung gewinnt. So finden Master-Ausbildungen an den Universitäten in den Niederlanden zum grössten Teil in Englisch statt, bei internationalen Unternehmen erfolgt die Kommunikation ebenfalls vorzugsweise in dieser Nachbarsprache. Dass aber laut Umfragen Eltern in den Niederlanden und Belgien Niederländisch als wichtigstes Schulfach sowohl an der Grund- als auch an der Mittelschule ankreuzen (vgl. TPO), bedeutet, dass mit einer kontinuierlichen Kultivierung des Niederländischen als Muttersprache auch in Zukunft zu rechnen ist.

7. Ausblick

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Abb. 19:  Bekannte Bruegel-Phraseologismen, vgl. l. Einführung und Farbb. VIII, IX.

Von den zirka 150 von Bruegel dargestellten Phraseologismen sind laut Untersuchungen von B.  Juska-Bacher 40 % im niederländischen Sprachraum und 27 % im deutschen Sprachraum allgemein bekannt. Die folgende Liste zeigt den Bekanntheitsgrad der bei Niederländischsprachigen bekanntesten Phraseologismen mit den entsprechenden Daten bei Deutschsprachigen: Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Niederländisch

%

Deutsch

door de vingers zien 100 durch die Finger sehen een oogje in het zeil houden 100 – [,nach dem Rechten sehen‘] bij iemand in het krijt staan 99 bei jmdm. in der Kreide stehen door de mand vallen 99 – [‚sich verraten‘] het hoofd boven water houden 99 den Kopf über Wasser halten twee vliegen in een klap slaan 99 zwei Fliegen auf einen Schlag achter het net vissen 98 – [‚das Nachsehen haben‘] op hete kolen zitten 98 auf glühenden Kohlen sitzen zo mak als een lammetje 98 zahm wie ein Lamm iemand bij de neus nemen 97 jmdn. an der Nase herumführen

% 37 – 94 – 79 97 – 98 92 97

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Register

Bei der Benutzung dieses Registers ist zu beachten, dass Namen von Autoren und Titel älterer primärer Quellen häufig uneinheitliche Schreibweisen kennen, wie den vorangehenden Kapiteln zu entnehmen ist. So kommt ‚Joost van Vondel‘ neben ‚Joost vanden Vondelen‘ vor, ‚Ysbrandszoon‘ schreibt man ndl. in der Regel ,Ysbrandtsz.‘ mit Punkt, dts. eher ohne Punkt, Titel wie ‚Boek­zaal der geleerde wereld‘ weisen in den Heften, die im Laufe der Jahre erschienen, Varianten wie ‚waerelt‘, ‚wareld‘ oder ‚werelt‘ auf, usw. Aanleiding tot de Nederduitsche taal  417 Aanmerkingen op de Neederduitsche taale en Naaberecht  18, 275, 416, 498 Abraham, de aartsvader  424 Abschatz, Hans Assmann Freiherr von  261 Achilles  423 Actus Sancti Servatii  153 Addison, Joseph  404, 406 Adelung, Johann Christoph  418 Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake  18, 275, 418, 497 Aenleidinge ter Nederduitsche Dichtkunste  297, 504 Aenmerkingen over de geslachten der zelfstandige naemwoorden  275, 417 Aesop 142 Agon, Sulthan van Bantam  423 Ain Teütsche Grammatica  267, 340 Albertus, Laurentius  267 Alexanders Geesten  157 Alkuin  70 Allgemeine Geschichte der Vereinigten Niederlande  447, 505 Alphen, Hieronymus van  19, 424 – 425, 435 – 440, 487 Ampzing, Samuel  18, 270, 274 – 275, 338 – 339, 341 – 342, 349 – 352, 367, 487, 507 Anonymus Batavus, s. Verwer, Adriaen Antwerps liedboek 158 Apherdianus, Petrus (Pieter van Afferden) 276 Architectura of wiskunstige Verhandeling 422 Aristarchus, Sive de arte grammatica libri septem  275 Arminius, beschermer der Duytsche vryheid  423 Arnauld, Antoine  416

Ars minor  265 Asselijn, Thomas  422 – 423 Assenede, Diederic van  158 Augustin  166 – 167, 487 Aulularia  296 Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache  416 Ban, Joan Albert  287 Barlaeus, Caspar  242 Bartjens, Willem  237 Basson, Thomas  272 Baudart, Willem  281, 290 Bayle, Pierre  283, Beatrijs  17, 145, 156 – 157, 185, 187, 189, 230, 488, 492 Beatrijs van Nazareth  134, 148, 157 Beatrix. Eine brabantische Legende  185 – 186, 188 – 189, 488 Beauvais, Vinzenz von  132, 157 Becanus, Goropius  35, 38, 266, 336, 353 Beets, Nicolaas  481 Beghinselen der Weeghconst 284 Bekker, Balthasar  421 Bellamy, Jacobus  423 Berckelaer, Jan  276 – 278 Berghe, Jan van den  159 Berlaimont, Noël van  272, 275 Bernagie, Pieter  423 Berquin, Jacques  422 Bert, Pieter de  273 Beschryvinge ende Lof der stad Haerlem  270, 274 Beverwijck, Johan van  280, 283 Biblia Polyglotta  243, 278 Bibliotheca Neerlandica Manuscripta  146 Bijns, Anna  159, 368

510 Bilderdijk, Willem  425, 467, 475, 480 Bliscappen van Maria  158 Blon, Christophel le  320, 489 Boccaccio, Giovanni  279 Boekzaal der Geleerde Waereld 420 Boendale, Jan van  135, 146, 152, 157, 489 Böhme, Jacob  423 Bolhuis, Lambertus van  418 Bonaventura  151 Bontekoe (Dekker), Cornelis  284, 421 Bontekoe, Willem Ysbrandsz. 19, 320, 322, 324, 327, 370, 376, 489 Booke at large, for the amendement of orthographie for English speech  267 Bopp, Franz  36 Boxhorn, Marcus Zuerius  36, 242 Brabant, Herzog Jan I. van  158 Brandt, Geeraert  273 – 274, 413, 417, 422 Bredero, Gerbrand Adriaensz. 17, 242, 264, 295 – 296, 299, 305, 307, 356, 368, 373, 381 – 382, 415, 490 Brill, Willem Gerard  480 Brinckerinck, Johannes  158 Brune, Johan de  295, 298, 382, 490, 504 – 505 Buch von der Deutschen Poeterey  261 Bullokar, William  267 Burch, Adrianus van der  241 Burghersdijk, Frank  275 Burmann, Gottlob Wilhelm  424 Buys, E. 422 Caesar, Julius  31 – 32, 34, 490 Caillieu, Colijn  159 Calepinus, Ambrosius (Ambrogio Calepino) 277 Campe, Joachim Heinrich  320, 424, 476 Camper, Petrus  421 Camphuysen, Dirck Rafaelsz. 415 Canitz, Friedrich Rudolph von  261 Cantimpré, Thomas von  156 Cassander, Georg  38, 266 Castelein, Matthijs de  18, 159, 167 – 168, 292, 309, 491, 506 Casteleyn, Abraham  420 Catharina  423 Cato der Censor  142 Cats, Jacob  17, 247, 249, 283, 291, 294, 361, 382 – 383, 419, 424, 491 Cauweel, Jan  292 Chanson de Roland  70 Charivarius, s. Nolst Trenité, Gerard

Register

Chomel, M.N. 422 Cicero, Marcus Tullius  292, 414, 456, 458 Clajus, Johannes  267, 273, 365 Clarissa  424, 428, 430 Claus, Hugo  483 Codex Argenteus  38, 260, 490 Codex Palatinus Latinus  86 Cœurdoux, Gaston-Laurent  36 Comburgse-handschrift  19 Comestor, Petrus  134, 157 Commentarii belli Gallici  31 Coniugations in Englishe and Netherdutche  272 Conscience, Hendrik  132 Const van Rhetoriken  18, 159, 292, 491 Constantinus de Groote, eerste Christen’ Keiser  423 Cooper, Christopher  416 Coornhert, Dirck Volckertsz. 153, 159, 267, 271, 280, 292 – 293, 361, 415 Corneille, Pierre  249 Cornelia Wildschut 424 Cort onderwys van de acht deelen der Françoischer talen  272 Costa, Isaäc da  260 Coster, Samuel  242, 295 Couperus, Louis  483 Courante uyt Italien, Duytslandt, & c. 420 Crul, Cornelis  159 Cruydeboeck  280, 283 Curius, Petrus (Pieter van den Hove) 276 D’Algemeene Bouwkunde Volgens d’Antyke en Hedendaagse Manier 422 Dafforne, Richard  270, 273, 350, 352, 355, 361 Damhouder, Joost de  281, 286, 297 Das Leben der niederländischen und deutschen Maler (von  1400 bis ca. 1615) 304, 498 Dasypodius, Petrus (Peter Hasenfratz) 276 – 277 Datheen, Petrus  473 Dboec vanden houte  146 De belegering en hongersnood van Samaria  423 De betoverde weereld 421 De Boekzaal van Europe  283, 420 – 421 De dood van de graaven Egmond en Hoorne  423 De gecroonde leersse 249, 423 De Geuzen 424 De Gids  27

Register

De Historie van Mejuffrouw Sara Burgerhart  18, 424, 426, 507 De Hollandsche Spectator  17, 404 – 406, 421, 425, 453, 474, 492 De imitatione Christi  158 De iure belli ac pacis  286 De leeuw van Vlaanderen  132 De literis et lingua Getarum sive Gothorum  38 De Mensch Ontmaskert  406 De min in ’t Lazarushuis  423 De natura rerum  156 De Nederduytsche Grammatica ofte Spraeckonst  269, 273, 361, 365, 495 De Nederduytsche spraec-konst ofte taelbeschrijvinghe  273, 495 De orthographia linguae Belgicae  268, 336 De Psalmen des Propheeten Davids  274 De recta et emendata linguae Anglicanae scriptione  267 De recta Latini Graecique sermonis pronunciatione dialogus  266 De reis van Sint Brandaan  157 De scheepsjongens van Bontekoe  320 De Spreeckonst  270, 334, 499 De verheerlijckte Schoenlappers of de gecroonde Leersse  249 De Verstandige Snapsters  404 De Voortreffeleykheid der menschen boven alle andere dieren en derzelver vergelyking met den Orang Outang 421 De wiskunstenaars of ’t gevluchte juffertje  423 Decker, Jeremias de  417 Deken, Agatha  18, 424 – 426, 429, 432, 435, 466, 471, 475, 507 Delf, Dirc van  158 Delftse Bijbel (Delfter Bibel) 146, 155, 288, 490 Delftse Nieuwe Testament  288 Den Bloem-hof van de Nederlantsche Ieught  17, 302, 489 Den Hemel op aarde  421 Den Nederduytschen Helicon  295, 382 Den schat der Duytsscher talen  276, 418 Den Spyeghel der Salicheyt van Elckerlijc  17, 158 – 159, 169, 173, 492 Den vermakelyken Avanturier 424 Der fielen, rabauwen oft der Schalcken vocabulaer  276 Der Leken spieghel  135, 146, 152, 157, 489 Der minnen loep  157 Der naturen bloeme  146, 156, 230, 498 Descartes, René  244, 261, 496

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Descrittione di tutti i Paesi Bassi  238 Despréaux, Nicolas Boileau  249 Deux-Aes-Bibel  289, 382 Devoot ende Profitelijck Boecxken  286 Dialectike ofte Bewysconst  284, 503 Dialogue de l’orthographe e Prononciation Françoese  267 Dialogus  345 Dictionaire Flamen-François  277 Dictionaire Flameng-Françoys  279 Dictionaire Françoislatin  277 – 278 Dictionaire portatif Hollandois et François  419 Dictionariolum Latinogermanicum  275 Dictionariolum puerorum Latinogermanicum  277 Dictionarium  276 – 277 Dictionarium Germanicolatinum  276 Dictionarium Latinogallicum  278 Dictionarium seu Latinae linguae Thesaurus  278 Dictionarium tetraglotton  277 Dictionarium Teutonico-Latinum  36, 278 – 279 Dictionarium triglotton  276 Die borchgravinne van Vergi  146 Die Bybel  17, 398 Die chierheit der gheesteliker brulocht  158 Die hexe  158 Die Leiden des jungen Werthers  425 Die rechte weiss auffs kürtzist lesen zu lernen  267 Die Rose  146 Die Teütsch Spraach  277 Die Vernünftigen Tadlerinnen 404 Die Vier und Zwantzigste Schiffahrt  320, 489 Dilucidissimus dictionarius  276 Doctrinale puerorum  142, 265 Dodoens, Rembert  244, 279 – 280, 283 Donatus, Aelius  265 Dousa, Janus  260, 294 – 295 Douwes Dekker, Eduard  256, 481 – 483 Dubois, Jacques  267 Duytsce psolter  190, 500 Duytse lier  423 Dyckse Handschrift  146 Dyrkinus, Johannes  289 Een forme ende maniere der coniugatien in Nederduytsch ende Fransoys  272 Een nieu Geusen Lieden Boecxken  287 Effen, Justus van  17, 404, 406, 410, 421, 425, 453 – 454, 458, 474, 476, 492

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Register

Einhard  72, 87, 492 Elckerlijc, s. Den Spyeghel Elsschot, Willem, s. Ridder, Alfons de Elzevier, Kornelis  418 Enchiridion: Handbüchlin Tütscher Orthography  356 Eneas  153 Eneas en Turnus  423 Erasmus, Desiderius (von Rotterdam) 21, 144, 241, 266, 279, 287 – 288, 334, 336, 341 – 345, 347 – 348, 350 – 351, 354, 424, 498 Esclarcissement de la langue Françoyse  267 Esmoreit  146, 158 Estienne, Robert  277 – 279 Etymologicum Teutonicae Linguae sive Dictionarium Teutonico-latinum  36, 279 Etymologisch woordenboek van het Nederlands  15, 19, 42, 126, 224, 500 Euclides Zes eerste boekken, van de beginselen der wiskonsten  285 Everaert, Cornelis  159 Everyman  169 Excercitium Puerorum  265 Fabricius, Johan  320 Feith, Rhijnvis  425 Ferdinand en Constantia  425 Ferguut  17, 119, 492, 499 Fleming, Paul  261 Floerke, Hanns  304, 498 Floire et Blanceflor  158 Floris ende Blancefloer  158 Focquenbroch, Willem Godschalck van  423 Francius, Petrus  411 – 412, 414 Franck, Fabian  267 Franckenberg, Abraham von  261 Frisius, Joannes  277 – 279 Gallus, Evaldus (Ewald Franssen) 275 Gebroeders  261 – 262 Geeraerdt van Velsen 180 Gemeenschap tussen de Gottische spraeke en de Nederduytsche  418 Gessner, Conrad  35 Gezangen mijner jeugd  423 Gezelle, Guido  480, 483 Ghistele, Cornelis van  292 Ghysen, Hendrik  473 Gittermann, F.Ch.H. 424, 436, 487 Glareanus, Henricus Loriti  367, 493

Glîchezâre, Heinrich der  160 Gloriant  146, 158 Goeree, Willem  421 Goethe, Johann Wolfgang von  160, 164, 166, 421, 425, 493 Gottsched, Johann Christoph  164, 404 Graaf, Reinier de  280, 285 Gramere  336 Grammaire générale et raisonnée  416 Grammatica Germanica Nova  273 Grammatica Germanicae linguae, ex bibliis Lutheri Germanicis et aliis eius libris collecta  267, 273 Grammatica Latina  273 Grammatica linguae Anglicanae  416 Grammatica ofte Leez-leerlings Steunsel  270, 273 Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart 418 Grimm, Jacob  36, 50, 76, 148, 212 Gronden van zekerheid 421 Groot, Hugo de  242 – 244, 266, 281, 283, 286, 296 Grotius, Hugo, s. Groot, Hugo de Gruterus, Janus (Gruter, Janus) 38, 242 – 243 Gruuthuse-Handschrift  146, 158, 228, 506 Gryphius, Andreas  261 – 262 Guardian 404 Guicciardini, Ludovico  237, 279 Gymnick, Jan  152 – 153, 276, 292 Gysbreght van Aemstel  134, 245, 295 Haager Liederhandschrift  158, 166, 228, 487 Haagsch Nederduitsch Woordenboekje  464 Hadewijch  17, 134, 157, 177 – 178, 494 Haecht, Willem van  292 Haerlemse Dinsdaeghse Courant 420 Haerlemse Saturdaeghse Courant 420 Haes, Frans de  418 Halma, François  263, 419 Handschrift-Van Hulthem  145, 158 Haren, Onno Zwier van  423 – 424 Harsdörffer, Georg Philipp  261 Haruma wage  263 Hasenfratz, Peter, s. Dasypodius, Petrus Hecuba  274 Heedendaegse Rechtsgeleertheyt  286 Heelu, Jan van  135, 157 Heere, Lucas de  292 Heimelijkheid der heimelijkheden 18

Register

Heinsius, Daniël  242 – 243, 261, 294 – 295, 299 – 301 Heinsius, Nicolaas  424 Helmont, Jan Baptist van  285 Helwig, Christoph  273 Hertog, Cornelis Herman den  481 Hert-spiegel  361 Het derde musyck boexken  286 Het ierste musyck boexken  286 Het land  425 Het Nievvve Testament  288 – 289 Het offer des Heeren  236 Het Schilder-Boeck  18, 287, 303, 498 Het Stockske van Joan van Oldenbarnevelt, Vader des Vaderlants  252 Het tvueetste musyck boexken  286 Het wederzijds huwelijksbedrog  423 Huebner, Friedrich Markus  185 Heuiter, Pontus de  268 – 269, 281, 293, 299, 332, 334, 336 – 337, 339 – 360, 383, 391, 492, 495 Heule, Christiaen van  25, 269 – 270, 273 – 275, 299, 334, 338 – 339, 346 – 347, 349 – 350, 351 – 353, 355, 358, 361, 364 – 365, 367, 382 – 383, 495 Hexham, Henry  419 Heyns, Peeter  272 Hilarides, Johannes  417, 468 Hildegaersberg, Willem van  157 Hilten, Caspar van  420 Historia scholastica  134, 157 Historie van den Grale  135, 157 Historie van mejuffrouw Sara Burgerhart s. De Historie van mejuffrouw Sara Burgerhart Historie van Troyen  146 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich  88, 148 Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von  261 Hofmannsthal, Hugo von  169, 173, 177 Hofwijck  298 Hohes Lied  88, 104, 134 Holtrop, C.W. 146, 418 Hooft, Pieter Cornelisz. 18, 134, 180, 242, 244, 264, 273 – 275, 281, 286 – 287, 291, 294 – 300, 310 – 312, 315, 318, 320, 344, 361 – 362, 365, 367 – 368, 372, 376, 381 – 385, 414 – 415, 417, 422, 425, 444, 467 – 468, 471, 495, 501, 507 Hoogstraten, David van  275, 414 – 415, 417, 422, 468, 489, 501

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Hoogvliet, Arnold  424 Horae Belgicae 148 Horaz, (Quintus Horatius Flaccus) 142, 414, 455 Houbraken, Arnold  422 Hout, Jan van  281, 293, 348, 494 Houttuyn, Maarten  422 Houwaert, Johan Baptist  159, 309 Huber, Ulrik  286 Hubert, Anthonis de  269, 273 – 275, 299, 338, 351, 365 – 366, 507 Huet, Pierre Daniel  424 Hulsius, Levinus  320 Huydecoper, Balthazar  378, 411, 414, 416, 418, 423, 425, 468, 489, 492, 496 Huygens, Constantijn  17, 237, 242, 258, 261, 264, 285, 287, 291, 295, 298 – 299, 312, 314 – 315, 361, 368, 382, 496 Hyperphragme, Pierre Anastaise  272 Ickelsamer, Valentin  267, 340, 342, 356, 357, 359 Idea Linguae Belgicae grammatica, poetica et retorica  417 In linguam Gallicam isagoge  267 Inleiding tot de Hollandsche rechtsgeleerdheyd  286 Introductorie for to lerne, to rede, to pronounce and to speke French  267 Iovrnael ofte Gedenckwaerdige beschrijvinghe vande Oost-Indische Reyse  19, 320, 489 Iperen, Josua van  418 Istory van Troyen  157 Jan Klaaz  423 Japicx, Gysbert  417 Jedermann  158, 169, 173, 496 Jesus en de ziel  423 Jocundus  153 Jones, William  36 Journal des Savants  283 Julia  425 Junius der Jüngere, Francis (François du Jon) 38 Junius, Hadrianus (Adriaen de Jonghe) 276, 278 Karel ende Elegast  70, 146, 158 Karlemeinet  70 Kate Hermansz., Lambert ten 18, 50, 271, 275, 385, 411, 415 – 416, 418, 425, 461 – 462, 466, 468, 489, 497 – 499, 501 Kempis, Thomas a  158

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Register

Kiliaan, Cornelis (Cornelis Kiel) 36, 277 – 281, 283, 285, 338 Kinker, Johannes  461, 480 Kircher, Athanasius  261 Kleine Gedichte für Kinder  436, 487 Kleine gedigten voor kinderen  19, 424, 435, 487 Kleine Lieder für kleine Mädchen und Jünglinge 424 Kok, Allardus Lodewijk  275, 464 Köler, Christoph  243 Kolross, Johannes  356 – 357 Koninglyk Neder-Hoog-Duitsch en HoogNeder-Duitsch dictionnaire  419 Kramer, Matthias  419 Kreet, Hendrik Arnold  409 Kruydtboeck  283 Kuhlmann, Quirinus  261 Kurze Lehrschrift von der hochteutschen Sprachkunst  416 La Bagatelle  406 Laet, Hans de  292, 501 Lambrecht, Joos  153, 268, 277 – 278, 289, 292, 335 – 354, 358, 360 Lancelot  158, Lancelot, Claude  416 Langendijk, Pieter  404, 423 Lanseloet van Denemerken  158 Lantsloot  146 Lantsloot vander Haghedochte  158 Latina grammatica  275 Lazarillo de Tormes  305 Le Grand dictionaire nouveau François et Flamend  419 Le Livre des mestiers/De Bouc vanden ambachten  266, 493 Le Misanthrope  406 Le Nouveau Spectateur François  406 Leenhof, Frederik van  421 Leeuwarder Courant 420 Leeuwenhoek, Antoni van  281, 285, 491 Legenda aurea  229 Legenda Maior  151 Leidener Williram (Leidse Williram) 18, 57, 73, 79, 87 – 89, 104, 109, 111, 115, 117, 120 – 121, 134, 501 Lelyveld, Frans van  367, 409 Lernutius, Junus  277 Les mots François  277 Lettersnijder, Cornelis  288

Leupenius, Petrus  18, 275, 297, 299, 334, 337, 342, 357, 361 – 362, 366, 368, 384 – 385, 416, 464, 498 Leven van Sint Lutgart  146, 148, 157 Lex Frisionum  70 Lex Salica  126 Li Plaid  160 Liber vagatorum  276 Lieder für Kinder  424, 506 Liesvelt-Bibel  17, 289, 370, 382, 498 Limburgse leven van Jezus  157 Lingua Belgica  87 Lippijn  158 Lipsius, Justus  87, 104, 241 – 242, 244, 260, 266, 279 Lithocomus, Ludolffus  273 Livius, Titus 292 Lobel, Matthias de  280, 283 Lobgesang Jesu Christi  261 Lof-Sanck Van Iesus Christus  261 Lohenstein, Daniel Casper von  261 Loosjes, Cornelis  420 Lope de Vega, Félix Arturo  295 Lubling, Johannes  476 Luïscius, A.G. 422 Lund, Zacharias 243, 261 Luther, Martin  234 – 235, 253, 267, 288 – 289, 291, 476, 488 Luyken, Jan  423 Maaler, Josua  277 – 278 Madoets, Andries  277 Maerlant, Jacob van  18, 24, 132, 134 – 135, 141, 143, 146, 151 – 152, 156 – 159, 178, 184, 230, 498 Magens, Jochem Melcher  403, Malbergse Glossen  86, 88, 126 Mander, Karel van  18, 260, 281, 287, 291, 293, 295, 299, 303 – 305, 498 Manuzio, Aldo  360 Mariken van Nieumeghen  158 Marin, Pierre  419 Marnix van St. Aldegonde, Philips van  239, 260, 264, 281, 289 – 290, 415 Märtyrerspiegel  236 Max Havelaar of de koffij-veilingen der Nederlandsche Handel-Maatschappij  256 Meigret, Louis  267 Mengeldichten  423 Merlyn  157 Merula, Paullus  88, 281, 285, 286

Register

Metamorphosen 418 Meurier, Gabriel  277 Meyer, Lodewijk  275, 411, 413, 417 Middelfrankische Rijmbijbel, s. Mittelfränkische Reimbibel Middelnederlandsch Woordenboek, 15, 19, 224, 504 Mithridates  35 Mittelfränkische Reimbibel  18, 57, 73, 88 – 89, 119 – 121, 126 Molière (Jean-Baptiste Poquelin) 249, 423 Montanus, Petrus  270 – 271, 299, 334, 351 – 353, 355 – 357, 499 Moonen, Arnold  338, 411, 414 – 415, 417, 465 – 466, 468, 489, 501 More, Thomas  234 Morel, Guillaume  277 Mulisch, Harry  483 Müller, Johann Gottwerth  424, 426, 507 Multatuli, s. Douwes Dekker, Eduard Murmellius, Johannes  275 – 276, 279 Mussem, Jan van  276, 292 Myle, Abraham van der  87 Naembouck  268, 277 Naghel, Petrus  288 Navigatio Sancti Brendani abbatis  157 Nederduitsch taalkundig woordenboek  418 Nederduitsche spraekkunst  417, 501 Nederduitse orthographie  268, 336, 492, 495 Nederduydsche Spellinge  269, 361, 502 Neder-duytsche letter-konst  275 Nederduytsche Spraakkonst  417, 502 Nederlandsch Taelbericht  18, 487 Nederlandsche Historien  296 – 297, 310 – 312, 315, 361, 367, 422, 425, 444, 495 Nederlandsche Spellijnghe  268, 335 Nederlandtsche Gedenck-Klanck  287 Nederlandtsche woorden-schat  275, 418 Neerlandschen Grammaticam  271 Nepos, Cornelius  414 Niclaes, Hendrik  289 Niervaert, Cornelis Dirkz. van  273 Nieuw Letterkundig Magazijn 410 Nieuw Nederduits en Frans woordenboek  419 Nieuw Vlaams Tijdschrift 482 Nieuwe bydragen tot opbouw der vaderlandsche letterkunde  409, 420 Nieuwe taalgronden der Nederdujtsche taal  417 Nieuwe Tijdinghen  420

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Nieuwentyt, Bernard  421 Nolst Trenité, Gerard  471 Nomenclator omnium rerum  276 Noodige waarschouwinge aan alle liefhebbers der Nederduijtze tale  269, 274, 365 Noot, Jan van der  281, 291, 294, 348 Notker der Deutsche  93, 99, 134, 499 Nouvelles de la république des lettres  283 Nuclei  275 Nylöe, Jacobus  414 – 415, 417, 468, 489 Nyun Testamenti  403 Oelinger, Albertus  267, 366 Ogier van Denemarken  70, 148 Oldendorp, Christian Georg Andreas  403 Onderwys in de letter-konst  273 Ont-werp der Neder-duitsche letter-konst  275 Opitz, Martin  243, 261, 300 – 302, 499 Opregte Haarlemsche Courant 420 Origines Antwerpianae  38 Orthographia Deutsch  267 Orthographiae Ratio  360 Ortus medicinae  285 Oudaen, Joachim  417 Ovid (Publius Ovidius Naso) 142, 414, 418, 456, 458, 496 Pactus legis Salicae  86 Palm, Kornelis van der  418 Palsgrave, John  467 Paludanus, Johannes (Jean Desmarez) 276 Pappa puerorum  275 Paul, Hermann Otto Theodor  483 Pelegromius, Simon  275 Peletier, Jacques  267 Pels, Andries  413 – 414, 476 Pentaglottos  277 Perceval  135, 136 Perscriptum in Rheno flumine  243 Plautus, Titus Maccius  296 Plemp, Cornelis Gijsbertsz. 270 Plinius, Secundus Maior Gaius  31 – 32 Polyglott-Bibel, s. Biblia Polyglotta Poot, Hubert Kornelisz. 423 Post, Elisabeth Maria  425 Post-Tydingen uyt ‘s Graven-Hage 420 Potgieter, Everhardus Johannes  404, 481 Potter, Dirc  157 Priscianus (Caesariensis) 336 Proben einiger Versuche von deutscher Sprachbereicherung  476

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Register

Proeve van een ironiesch comiesch woordenboek  475 Proeve van kleine gedigten voor kinderen s. Kleine gedigten voor kinderen Proeve van oudheid-, taal- en dichtkunde  409, 421 Proeve van taal- en dichtkunde  418, 489, 496 Psalterium  193, 500 Q. Horatius Flaccus Dichtkunst  413 Quintilianus, Marcus Fabius  336 Rabus, Pieter  283, 420 Radermacher, Johan  270 – 271 Ramus, Petrus (Pierre de la Ramée) 336 Rask, Rasmus Christian  36 Reael, Laurens  273, 299 Reichenauer Glossen  126 Reimbibel, s. Mittelfränkische Reimbibel Reineke Fuchs  160, 164, 493 Reinhart Fuchs  160 Reinke de Vos  160, 163 – 164, 501 Renout van Montalbaen  70, 158 Reynaerts historie  160 Rhetorica  276, 292 Rhetoricaele Wercken  159 Richardson, Samuel  424, 427 – 430 Ridder, Alphonses Josephus de  483 Rijmbijbel  18, 134, 157, 184, 498 Rijmkroniek van Holland  18, 134, 157, 179, 503 Rijmkroniek van Vlaanderen  146 Rijssele, Colijn van  159 Ripelin von Strassburg, Hugo  158 Ritter, Stephan  273 Roberthin, Robert  261 Roches, Jan Des  413, 418, 468 Rodenburg, Theodoor  295, 299 Roelantslied  70, 146 Roman de Renart  160 Roman de Troie  158 Roman van Walewein 19, 148, 158, 506 Ronsard, Pierre de  294 Ronsseus, Balduinus, s. Wouters, Jan Roorda, Taco  481 Roosje  423 Roovere, Anthonis de  159, 309, 493 Rosenroth, Christian Knorr von  261 Rotgans, Lukas  423 – 424 Ruben  158

Runeninscriptie Bergakker  18, 40, 126, 498 Ruusbroec, Jan van  134 – 135, 158 Sainte-Maure, Benoît de  158 Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 414 Sanpaku, Imamura  263 Sara Reinert, eine Geschichte in Briefen 424, 507 Sasbout, Mathias  279 Sassetti, Filippo  36 Scaliger, Joseph Justus  261, 266 Schepenbrief van Bochoute  18, 83, 193 – 194, 503 Schlegel, Friedrich von  36 Schleicher, August  481 Schorus Antonius (Anton Schore) 276 – 277 Schottel, Justus Georg (Schottelius, Justus Georg) 416 – 417, 501 Schryfkunstboeck  269 Schuer, Jan Lodewijk  422 Schuere, Jacob van der  25, 269, 295, 299, 334, 342 – 345, 347, 349 – 353, 355 – 357, 360 – 361, 391, 502 Scilla  423 Scolastica in dietsche  157 Segher Diengotgaf  158 Servilius, Joannes (Jan Knaep) 276 Séwel, Willem  414 – 417, 419, 425, 461 – 462, 468, 489, 502 Sexagius, Antonius  268, 334, 336, 340, 342 – 350, 352 – 354, 356 – 360 Sieben Brüder oder die Gibeoniter  261 Siegenbeek, Matthijs  410, 412, 480 Simons, Menno  235, 289 Simonsz., Arend Fokke 422, 475 Singi Buku  403 Sint Lutgart, s. Leven van Sint Lutgart Sint Servaes  17, 34, 146, 153, 157, 182, 196, 504 Sint Servatius, s. Sint Servaes Sinte Franciscus leven  151 Slag van Woeringen  157 Smith, Thomas  267 Smyters, Anthoni  269, 341 – 342 Souterliedekens  287 Spaanschen Brabander  17, 296, 305, 373, 490 Speculum historiale  157 Speldwerk  270 Spiegel der Minnen  159 Spiegel der vaderlandsche kooplieden 404

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Spiegel, Hendrik Laurensz. 153, 268 – 269, 271, 273, 293 – 294, 334, 337, 350, 361, 415 Spiegel Historiael  18, 132, 135, 146, 157, 178 Spinoza, Baruch de  260, 421, 490 Sprachkünste  273 Staring, Anthony Christiaan Winand  480 Statenbijbel, s. Statenvertaling Statenvertaling  18, 25, 252 – 253, 264, 270, 274, 281, 290 – 291, 295, 299, 328 – 329, 332, 338, 342 – 345, 349, 351 – 354, 356 – 359, 361, 365 – 367, 370, 383, 385, 415, 417, 419, 472 – 473, 489 – 490, 494 – 495, 503 Steele, Richard  404, 406 Stephens, Thomas  36 Stevin, Simon  153, 242, 260 – 261, 280 – 281, 283 – 286, 291, 299, 422, 472, 491 – 492, 503, 506 Stieler, Kaspar  416 Stijl, Klaas 418 Stinstra, Johannes  424 Stoke, Melis  18, 134, 136, 157, 179, 181, 503 Susato, Tielman  286 – 287 Swaen, Michiel de  249, 422 – 423 Swammerdam, Johannes  281, 285 Synonymorum Sylva  275 Synopsis Praxeos Civilis, Maniere van Procederen  285 Tacitus, Publius Cornelius  31, 32, 40, 296 – 297, 315, 507 Tael- en dichtkundige bydragen  409, 420 Taelbericht der Nederlandsche spellinge  274 Tafel van den kersten ghelove  158 Teutsch Grammatik oder Sprach-kunst  267 The honourable reputation of a souldier / De eervveerdighe achtbaerheyt van een soldener  272 The Spectator 404 The Tatler  404 Theophilus  146, 148, 157 Thesaurus Theutonicae linguae  277, 279 Thévenot, Melchisédech  320 Thierry, Jean  277 Tijdschrift voor Nederlandse taal- en letterkunde  410, 488, 494, 496 – 500, 502 – 503 Titz, Johann Peter  261 Tprieel van Troyen  158 Traité touchant le commun usage de l’escriture Françoise  267

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Tresoor der Duytsscher talen  276 Tretté de la grammere Françoeze  267 Troyes, Chrétien de  135 Tschudi, Aegidius  36, 155 Tweemaandelijkse Uittreksels 420 Twe-spraack vande Nederduitsche letterkunst  268 – 269, 271 – 273, 275, 280, 284, 293, 299, 332, 334 – 335, 337 – 357, 359 – 360, 364, 366 – 367, 384, 391, 492, 504 Tydeman, Meinard  409 – 410 Tyrocinium linguae Latinae  276 Underricht der Hoch Teutschen Spraach  267 Utenhove, Jan  281, 288 – 289, 292, 504 Utrechtse doopbelofte  18, 73, 86, 89 – 90, 504 Vaderlandsche Historie  19, 422, 444, 505 Vaderlandsche letteroefeningen 420 Valerius, Adriaen  287, 366 Van den Levene ons Heren  157 Van den neghen besten  157 Van den vos Reynaerde  19, 146, 148, 154 – 155, 159 – 161, 163, 229 – 230, 495, 498, 504 Van sente Brandane  146 Vanden winter ende vanden somer  158 Varenbraken, Christiaan van  268, 340, 349 – 350, 353, 357 Varik, Gerrit van  418 Veldeke, Heynrijck (Hendrik, Heinric, Heinrich) van  17, 34, 134 – 135, 153, 157, 182 – 183, 196, 504 Velthem, Lodewijk van  18, 132, 141, 157, 178 – 179, 504 Veluanus, Joannes Anastasius, s. Versteghe, Jan Gerritsz. Verborum Latinorum cum Graecis Gallicisque coniunctorum Commentarij  277 Verdam, Jacob  148, 159, 224, 230, 499, 504 Vergil, (Publis Vergilius Maro) 142 Verhandeling op d’Onacht der moederlyke Tael in de Nederlanden  413 Verhoeven, Abraham  420 Verlooy, Jan Baptist Chrysostomus  413 Vermeylen, August  482 Verroten, Jacob Willemsz. 281, 285 Versteghe, Jan Gerritsz. 289 Verwer, Adriaen  411, 415 – 417, 461, 489 Verwey, Albert  482 Verwijs, Eelco  159, 224, 498 – 499, 504 Villa Dei, Alexander de  142, 265 Visioenen  134

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Visscher, Maria Tesselschade Roemers  287 Visscher, Roemer Pietersz. 153, 268, 294, 361, 382 Vita Karoli Magni  87, 492 Vita sancti Eligii  131 Vocabulair pour apprendre Latin, Romain et Flameng  275 Vocabulaire françois-flameng  277 Vocabulare  272, 275 Vocabularius van vreemde termen  276 Voet, Johannes Eusebius  473 Vollenhove, Joannes  377, 414 – 415, 417, 492 Vonck, Jan Frans  412 Voncken der liefde Jesu  423 Vondel, Joost van den  18, 134, 244 – 245, 249, 252, 260 – 262, 264, 273 – 275, 291, 295, 297 – 299, 361, 365, 367 – 368, 378, 382 – 385, 406, 414 – 415, 417 – 418, 422, 468, 489, 492, 495 – 496, 501, 504 Voorreden vanden noodich ende nutticheit der Nederduytscher taelkunste  270 Vos, Jan  422 Vossius, Gerardus Joannes  38, 242, 244, 262, 275 Vreese, Willem de  146, 148, 159, 224, 505 Vries, Matthias de  481, 489, 492, 497 Vulcanius, Bonaventura  38, 242, 260 Vulgata  88, 108 – 109, 119, 288 Wachtendonckse Psalmen  19, 24, 57, 62, 73, 79, 87 – 89, 91, 93, 104, 108 – 109, 115, 120 – 121, 134, 491, 494, 496, 500, 505 – 506 Waernemingen op de Hollandsche tael 18, 274 – 275, 383, 417, 495 Wagenaar, Jan  19, 422, 425, 444, 447, 450, 471, 505 Walewein s. Roman van Walewein Walraven, Jacob  272 Warenar  296 Waucquier, Mathias Martinez de  277

Wech-bereyder op de verbeteringhe van den Nederlantschen Bybel  290 Weeckelijcke Courante van Europa  420 Weiland, Petrus  412, 418, 480 Weisse, Christian Felix  424, 435, 437, 506 Werken  410, 421 Werve, Jan van den  153, 276, 292, 418 Wester, Hendrik  418 Weyerman, Jacob Campo  422 Wez, Gilez du  267 Whetstone, George  272 Wilhelmus van Nassouwe  239, 287 Wilhem de Derde  424 Willem Leevend 424 Willems, Jan Frans  148, 480 Willeram, s. Leidener Williram Williram (Abt) 73, 88, 134 Winghe, Nicolaas van  288 Wingius, Godfridus (Godfried van Wingen) 289, 292 Winkel, Lammert Allard te  28, 481, 492 Wisconstige Ghedachtenissen  285 Wolff-Bekker, Elizabeth  18, 424 – 426, 429, 432, 435, 466, 471, 475, 507 Woordenboek der Nederduitsche en Fransche taalen  419, Woordenboek der Nederlandsche taal  15, 19, 481, 498 – 499 Wouters, Cornelius  38 Wouters, Jan  266, 283 Wulfila (Bischof) 38 Ysengrimus  160 Zangh-Bloemzel  287 Zesen, Philipp von  262, 280, 283, 390 Zeydelaar, Ernst  418 Zur Morphologie  421 Zürcher Bibel  101, 155, 288, 507